14. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 28. November 2012
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1543
MKULNV – oder wie die Energiewende misslingt
Eilantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1544
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/300
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1300
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1562
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1566
Finanzplanung 2011 bis 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1221
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/302
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1301
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/176
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/1238
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1258 – Neudruck
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/57
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1563
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/1482
5 Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen ausbauen – Fernverkehr verbessern
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1474
der
Abgeordneten
Yvonne Gebauer (FDP)
des
Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)
7 Kindertagespflege stärken: Leistungen anerkennen, Strukturen optimieren, Qualifikationen steigern
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1272
8 Studie zur Medikamentengabe in der kommerziellen Tieraufzucht
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1252
Christina Schulze Föcking (CDU)
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1469
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1571
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1475
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1554
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/743
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1555
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1556
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1483
12 Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/747
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1484
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1495
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Faktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1496
15 Abkommen zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Nationalen Kohorte (NaKo)
Vorlage
des Ministeriums
für Innovation, Wissenschaft
und Forschung
gemäß § 10 Abs. 4 LHO
Vorlage 16/233
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1485
16 Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91 a GG
Vorlage
des Ministeriums für
Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz
gemäß Art. 10 Abs. 3 LHO
Vorlage 16/244
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1486
17 Verfassungsbeschwerden der K.
2 BvR
1561/12
2 BvR 1562/12
2 BvR 1563/12
2 BvR 1564/12
Vorlage 16/350
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1487
18 Verfassungsbeschwerden des Herrn Ludwig Weyhe und anderer
1 BvR
1795/08
1 BvR 2120/10
1 BvR 2146/10
Vorlage 16/321
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1488
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1489
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1490
VerfGH 18/12
Vorlage 16/328
Vorlage 16/341
Vorlage 16/358
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1491
22 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 2
gem. § 79 Abs. 2 GeschO
Entschuldigt waren:
Minister Guntram Schneider
Ministerin
Svenja Schulze
(10:30 bis 13:00 Uhr)
Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
Minister
Dr. Norbert Walter-Borjans
(ab 15:00 Uhr)
Helene Hammelrath (SPD)
Markus Töns (SPD)
Volker Jung (CDU)
Thomas
Kufen (CDU)
(ab 12:00 Uhr)
Hendrik Schmitz (CDU)
Herbert Franz Goldmann (GRÜNE)
Daniela
Schneckenburger (GRÜNE)
(ab 16:15 Uhr)
Daniel Schwerd (PIRATEN)
Beginn: 10:03 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße diejenigen, die schon im Raum sind, ganz herzlich zu unserer heutigen, 14. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt. Von daher gehe ich davon aus, dass sich die Reihen im Laufe der nächsten paar Minuten füllen werden. Die Namen der entschuldigten Kolleginnen und Kollegen können Sie später wie immer dem Protokoll entnehmen.
Wir haben heute ein Geburtstagskind unter uns: Der Kollege Martin Börschel aus der Fraktion der SPD feiert heute einen ganz besonderen Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Martin Börschel, im Namen des Hohen Hauses zu diesem runden Geburtstag!
(Allgemeiner Beifall)
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie darüber unterrichten, dass Herr Prof. Ahnert, der den Landtag Nordrhein-Westfalen seit nunmehr zehn Jahren in Fragen der Raum- und Beschallungsakustik des Plenarsaals berät, heute unter uns ist.
(Zuruf)
– Genau, man hört so schlecht in diesem Raum. Deshalb ist Herr Prof. Ahnert ja auch hier und wird sich im laufenden Plenarbetrieb einen akustischen Eindruck verschaffen. Er wird sich hier mitten im Plenarsaal aufhalten. Er wird auch durch die Reihen gehen und sich unter Umständen für ein paar Minuten auf den einen oder anderen freien Platz setzen, um richtig wahrzunehmen und festzustellen, wo die akustischen Mängel und Unebenheiten sind, damit er in den kommenden Wochen an weiteren Verbesserungen arbeiten kann.
Da es etwas ungewöhnlich ist, dass außer denjenigen, die sich grundsätzlich in diesem Raum aufhalten dürfen, Personen im Innenraum des Plenums während der laufenden Sitzung herumgehen und sich auch noch auf Abgeordnetenplätze setzen, bitte ich Sie um Ihr Verständnis dafür. – Ich gehe davon aus, dass das so ist. Sie werden feststellen, dass Herr Prof. Ahnert, den ich jetzt auch ganz herzlich begrüße, bereits Platz genommen hat. Er sitzt gerade im Bereich der CDU-Fraktion.
(Beifall von Gregor Golland [CDU])
– Das war, glaube ich, Ihr Willkommensgruß.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
(Zuruf)
– Es macht Sinn, dass Sie sich wie immer verhalten, denn es gehört auch zu den Aufgaben von Herrn Prof. Ahnert, festzustellen, wie sich die Raumakustik verändert. Gar keine Frage!
(Heiterkeit und Beifall)
Ich rufe auf:
Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1543
MKULNV – oder wie die Energiewende misslingt
Eilantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1544
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 26. November dieses Jahres gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. In Verbindung damit wurde ebenfalls fristgerecht ein Eilantrag der Fraktion der CDU mit dem genannten Thema eingereicht.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Brockes das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Dietmar Brockes (FDP): Guten Morgen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits in der letzten Plenarwoche haben wir sehr ausführlich über das Thema der Energieversorgung debattiert. Eigentlich dachte ich, dass wir dieses Thema dadurch in dieser Plenarwoche einmal ausklammern könnten, weil bei vielen wichtigen Punkten große Einigkeit bestand.
Meine Damen und Herren, wir wollen alle gemeinsam das Gelingen der Energiewende, denn diese Energiewende ist gerade für Nordrhein-Westfalen von enormer Bedeutung. Wir sind das Industrieland Nummer eins. 35 % des Industriestroms werden hier in Nordrhein-Westfalen verbraucht, und auch fast ein Viertel aller Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik leben hier und sind auf bezahlbare Energiepreise angewiesen.
Meine Damen und Herren, wir waren uns auch weitgehend einig – wie fast immer bei der Debatte –, dass neben der Klima- und Umweltverträglichkeit auch die Versorgungssicherheit und die Wirtschaftlichkeit, die Bezahlbarkeit der Energiepreise, im Auge behalten werden müssen. Ebenso bestand weitgehend Einigkeit, dass wir in der Bundesrepublik eine Energiewende brauchen und nicht 16 plus eine des Bundes, wie man in der Vergangenheit den Eindruck gewinnen konnte.
Meine Damen und Herren, große Teile des Parlamentes sagen, weil wir bezahlbare Energiepreise haben wollen, kann es mit der EEG-Umlage nicht so weitergehen wie bisher. Auch der Energieminister hat in seiner kleinen Regierungserklärung im Wirtschaftsausschuss sehr deutlich gemacht, dass er hier großen Reformbedarf sieht.
Ebenso besteht große Einigkeit darüber, dass wir gerade in Nordrhein-Westfalen für die Übergangszeit, in der insbesondere die Netze ausgebaut und Speichermöglichkeiten für die erneuerbaren Energien entwickelt werden müssen, weiter konventionelle Kraftwerke benötigen.
Frau Ministerpräsidentin, ich erinnere Sie an die Einweihung der beiden neuen Kraftblöcke in Neurath, bei der Sie eben nicht nur betont haben, wie wichtig diese beiden neuen Blöcke sind, sondern Sie haben auch sehr deutlich gemacht, dass wir ein weiteres Kraftwerk, das BoAplus-Kraftwerk, benötigen. Soweit zur Einigkeit.
Am Wochenende wurde dann in einer Vorabmeldung des „Spiegels“ und dann am Montag in einigen Medien – zufällig oder gewollt; ich habe ja den Eindruck, es war gewollt – von einer ominösen Studie des Umweltministeriums – nicht des eigentlich zuständigen Energieministeriums – berichtet, in der es angeblich heißt, dass 29 von 72 Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich infrage gestellt werden. Meine Damen und Herren, das steht völlig konträr zu dem, was wir in den letzten Tagen und Wochen hier diskutiert haben.
(Beifall von der FDP)
Deshalb wirft dies einige Fragen auf. Eine Frage ist: Welches Ziel verfolgt das Umweltministerium mit dieser Studie? Es wirft zudem die Frage auf: Wer ist in der Landesregierung für die Energiepolitik zuständig? – Ebenso ist die Frage zu beantworten: Soll vielleicht von den wirklich wichtigen Problemen, die wir bei der Umsetzung der Energiewende haben, abgelenkt werden? Und es wirft die Frage auf: Ist es überhaupt Aufgabe der Politik, die Wirtschaftlichkeit zu überprüfen, oder sind dies nicht unternehmerische Entscheidungen, aus denen sich die Politik herauszuhalten hat? Und noch eine weitere Frage muss beantwortet werden: Ist es vielleicht Ziel von Teilen der Landesregierung, über gewisse Foltermaßnahmen wie den Wasser-Cent für die Braunkohle, dem Klimaschutzgesetz und anderen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die genannten Kraftwerke unwirtschaftlich werden?
Meine Damen und Herren, all dies steht im völligen Widerspruch, Frau Ministerpräsidentin, zu dem, was Sie in der Vergangenheit gesagt haben. Deshalb wollen wir heute in dieser Aktuellen Stunde, dass Sie uns diese Fragen beantworten. Ich finde, Frau Ministerpräsidentin, es ist an der Zeit, dass Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und in der Energiepolitik endlich ein Machtwort sprechen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Kufen.
Thomas Kufen (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brockes, ob wir heute das Machtwort hören, das weiß ich nicht, aber uns würde es schon reichen, wenn die Regierung mit einer Stimme und nicht mit mehreren Stimmen sprechen würde.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, wir konnten oder mussten in der „Neue Rhein-Zeitung“ lesen: „Werden Kraftwerke in NRW vorzeitig stillgelegt?“. „Prognos-Studie sieht in NRW 29 Kraftwerke gefährdet“, schrieb die „Westfalenpost“. „29 Kraftwerksblöcken in NRW droht das Aus durch die Energiewende“, schrieb die „Rheinische Post“. All dies sind Schlagzeilen vom gestrigen Tag.
Ausgangspunkt war offensichtlich eine Studie des, wie ich finde, renommierten Instituts Prognos, die besagt, dass 29 der 72 Gas- und Kohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen – so sieht es diese Studie im Auftrag des Umweltministeriums – ab 2014 wirtschaftliche Probleme haben werden.
Angesprochen auf diese Studie teilt ein Ministeriumssprecher mit, die Studie befinde sich noch im Entwurfsstadium. Das Ministerium wolle die Ergebnisse – ich zitiere aus den Medien – noch methodisch, rechnerisch, redaktionell und inhaltlich überprüfen. Herr Minister Remmel, ich empfehle Ihnen wärmstens, dieses Gutachten in der jetzigen Version vorzulegen und nicht erst methodisch, rechnerisch, redaktionell, inhaltlich überprüfen zu wollen. Sonst kann man Ihnen das leicht als Frisieren auslegen. Dem Vorwurf sollten Sie sich nicht aussetzen.
(Beifall von der CDU)
Ich sage es Ihnen ganz klar: Wir fordern, dass die Landesregierung diese Studie in der jetzt gültigen Fassung vorlegt, so wie sie von Prognos bei Ihnen abgeliefert wurde, und dass Sie nicht erst im Sinne der Landesregierung redigiert wird.
Wir wollen wissen: Welche Aussagen macht die Prognos-Studie zur Wirtschaftlichkeit der nordrhein-westfälischen Kraftwerksanlagen? Was sagt die Studie zu Datteln 4?
Wir wollen wissen: Welche Prognose wird für die Zukunft der Energiewirtschaft in Nordrhein-Westfalen ausgegeben? Wir wollen wissen: Welche Szenario gibt es im Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und mit Blick auf den Ausbau der Netze?
Wir wollen wissen: Wie erreichen wir unsere Klimaschutzziele? Und wir wollen übrigens auch wissen, warum diese Prognos-Studie in der Beantwortung der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Witzel nicht auftaucht, der gefragt hat, welche Studien von der Landesregierung in Auftrag gegeben wurden.
Und wir wollen natürlich auch wissen: Macht diese Prognos-Studie Aussagen zu den energieintensiven Industrien in Nordrhein-Westfalen, die wir dringend brauchen und bei denen wir den Eindruck haben müssen, dass sie in Nordrhein-Westfalen eigentlich nicht gewollt sind?
All das wollen wir wissen, weil das Gelingen der Energiewende in Nordrhein-Westfalen im nordrhein-westfälischen Interesse ist.
Die Energiewende in Deutschland muss in unserem eigenen Interesse gelingen. Wir als CDU stehen klipp und klar zur Energiewende. Wir wollen den Erfolg im Interesse unseres Landes.
(Beifall von der CDU)
Deshalb wiederhole ich das, was ich bereits in der ersten Debatte eingangs gesagt habe:
Erstens. Wir brauchen mehr Koordinierung bei den erneuerbaren Energien und beim Netzausbau zwischen Bund und Ländern, zwischen den Ländern, zwischen dem Land und den Kommunen. Wir müssen die Bezahlbarkeit für Verbraucher und für Unternehmen sichern. Wir müssen die Energieeffizienz verbessern. Und wir brauchen, meine Damen und Herren, einen Konsens in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen für diese gewaltige Aufgabe, vor der wir stehen.
Ja, wir sind Industrieland und Energieland Nummer eins. Jeder weiß – man kann es an den Zahlen ablesen –: Eine der Hauptlasten im Energieland wird von Braun- und Steinkohle getragen. Zunehmend hat man den Eindruck, Herr Remmel: Das passt Ihnen nicht. – Am Ende ist ja auch die Katze aus dem Sack. Mit den Beschlüssen der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vom 16. bis 18. November haben Sie doch gezeigt, was Sie wollen. Ich gehe davon aus, dass die Beschlüsse nicht gegen NRW mit Ihrer Stimme gefasst worden sind. Da heißt es – ich zitiere –:
Wo erneuerbare Energien wachsen, wird Kohle weichen. Die schlechten regelbaren Atom- und Kohlekraftwerke verbauen den erneuerbaren Energien, vor allem der Windkraft und der Fotovoltaik, die Zukunft. Kohlekraftwerke sind Klimakiller.
Dann geht es ganz dezidiert mit der Position von Bündnis 90/Die Grünen weiter:
Derzeit haben die zuständigen Behörden jedoch keine juristische Handhabe, den Bau von Kohlekraftwerken aus Klimaschutzgründen zu verhindern. Wir wollen deshalb ein starkes Klimaschutzgesetz verabschieden, um den grünen Kohleausstieg auch juristisch wasserdicht umsetzen zu können. – Ende des Zitats aus dem Beschluss von Ihrer Bundesdelegiertenkonferenz.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)
Vor dem Hintergrund – ich danke ausdrücklich dafür, dass die Kollegen der Grünen klatschen und damit bestätigen, dass ich richtig zitiert habe – hat das Klimaschutzgesetz eine ganz andere Bedeutung. Deshalb können wir uns in Nordrhein-Westfalen warm anziehen. Übrigens stehen auch die Gaskraftwerke auf der roten Liste der Prognos AG. Ich bin gespannt, wie der Wirtschaftsminister heute in die Debatte eingreifen wird, weil er sich doch für die Kohlekraftwerke stark gemacht hat, weil er jüngst vor dem RWE für ein Kraftwerkserneuerungsprogramm geworben hat.
Ich habe den Eindruck – da bin ich wieder am Anfang meine Rede –: Bei dieser Regierung, Frau Ministerpräsidentin, stimmen Anspruch und Wirklichkeit nicht mehr. Besser gesagt: Interviews und Wirklichkeit stimmen bei der Energiepolitik nicht überein.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Meine Damen und Herren, das alles ist nicht lapidar. Es geht um Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit, um Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz. Ich habe den Eindruck, wir haben den Eindruck, zumindest bei einem Teil der Regierung ist das eine wichtiger als das andere. Diese Haltung schadet dem Standort Nordrhein-Westfalen. Korrigieren Sie Ihren Kurs! – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Eiskirch.
Thomas Eiskirch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! CDU und FDP versuchen, ein Thema zu skandalisieren, das nicht skandalisierbar ist, weil längst bekannt.
Wer mit Energieversorgungsunternehmen spricht, der erfährt nicht nur, dass viele Kraftwerksprojekte unter den derzeit bestehenden Rahmenbedingungen nicht wirtschaftlich erscheinen, sondern er erfährt auch, dass die Wirtschaftlichkeit bestehender Anlagen infrage steht. Die neu ans Netz gehenden Kraftwerke werden unter anderen Rahmenbedingungen geplant und müssen hohe Fixkosten erwirtschaften.
Die alten Kraftwerksblöcke haben niedrigere Wirkungsgrade und geraten bei den derzeitigen Rohstoffpreisen wirtschaftlich unter Druck. Das ist alles nichts Neues. Man muss mit den Beteiligten einmal reden. Wenn Sie das mit denen oder diese mit Ihnen das nicht tun, sollten Sie lieber darüber nachdenken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie schon nicht mit den Unternehmen sprechen, dann sollten Sie wenigstens richtig Zeitung lesen. Auch dort können Sie das finden, und zwar seit Langem, was Sie heute so in Aufregung versetzt. Gerne helfe ich noch einmal auf die Sprünge. Mit Erlaubnis der Präsidentin würde ich gerne den inzwischen ehemaligen Chef von RWE Power, Johannes Lambertz, zitieren, der auf einer Pressekonferenz am 15. Dezember 2011, also vor fast einem Jahr, sagte:
Der Energieversorger RWE erwägt die Schließung einiger seiner älteren Kohlekraftwerke in den nächsten Jahren. Die Ertragssituation jedes einzelnen Kraftwerks steht unter Beobachtung. Zudem machen die höheren Rohstoffkosten insbesondere den Steinkohlekraftwerken zu schaffen.
Wie viel Stromerzeugungskapazität das Unternehmen aus Profitabilitätsgründen vom Netz nehmen will, sagte er damals nicht. Denn – so wiederum Lambertz – dies hänge von den Kostenentwicklungen bei Stromerzeugung und CO2-Emissionen ab.
Das alles ist nicht neu, Kollege Brockes und Kollege Kufen. Man muss wenigstens lesen, wenn man schon nicht spricht.
(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])
Wer all das verpasst hat, dem will ich Gelegenheit geben, das Problem noch einmal aus der Sicht zur Kenntnis zu nehmen, die die eigene Bundesregierung darlegt. Ich zitiere aus der „FAZ“ vom 16. September:
„Aus Sorge vor Stromausfällen im nächsten Winter“
– also dem direkt vor der Tür stehenden –
„will die Bundesregierung Energieerzeuger zwingen, Kraftwerke auch dann am Netz zu lassen, wenn sie damit kein Geld verdienen. Die Vorbereitungen dafür sind weit gediehen. Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums sagte,“
– ich gucke noch einmal den Kollegen Brockes an; vielleicht ist Ihnen der Minister auch persönlich bekannt –,
„man sei jederzeit in der Lage, durch schnelle gesetzliche Änderungen die Versorgung sicherzustellen.“
Es ist also nichts Neues, was wir heute lesen.
Wenn man die Herren von der Opposition reden hört und ihren Antrag liest, dann drängt sich der Verdacht auf, dass sie erst jetzt richtig wach geworden sind, als sie an diesem Montag im „Spiegel“ von einer vertraulichen Studie des Umweltministeriums zur Zukunft konventioneller Kraftwerke gelesen haben.
Ich sage Ihnen: Wir wissen doch alle, dass die Energiewende ohne jeden Zweifel einen tiefgreifenden Transformationsprozess darstellt, der große technologische, infrastrukturelle, wirtschaftliche und politische Herausforderungen an uns alle stellt. Wir wissen auch, dass die Bundesregierung dabei ist, die Chancen der Energiewende zu versemmeln und in ihrer Verantwortung komplett zu versagen, Kolleginnen und Kollegen. Das müssen wir feststellen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir wissen doch längst, dass das bestehende Marktdesign den Herausforderungen nicht gerecht wird. Der Erfolg der Energiewende erfordert ein neues Strommarktdesign – ein Strommarktdesign, das die hohen und weiter steigenden Anteile der teils unsteten erneuerbaren Energien mit der Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit und den Belangen des Klimaschutzes in Einklang bringt.
Deshalb muss auch über die Finanzierungs- und Förderinstrumente für erneuerbare Energien diskutiert werden. Keine Frage: Das gehört auf den Prüfstand. Deshalb brauchen wir Mechanismen, die den Erhalt von Erzeugungskapazitäten aus konventionellen Kraftwerken sichern. Insofern bin ich froh, dass diese Landesregierung die Herausforderungen erkennt und sich ihnen stellt. SPD und Grüne haben genau dies in ihrer Koalitionsvereinbarung skizziert, und der Energieminister hat dies auch jüngst in seiner kleinen Regierungserklärung im Ausschuss ausgeführt.
Von einer vorausschauend agierenden Landesregierung erwarte ich, dass sie sich mit der Zukunft der Steinkohle- und Gaskraftwerke und der Kohlekraftwerke insgesamt beschäftigt. Dafür brauchen wir seriöse Grundlagen – und dazu will ich jetzt kommen, Kollegen Brockes und Kufen –, und diese werden oft mithilfe von wissenschaftlichen Gutachten geschaffen. Ich kenne die Studie, die das Umweltministerium in Auftrag gegeben hat, nicht. Das, was ich kenne, habe ich wahrscheinlich ebenso wie Sie aus dem „Spiegel“ und der „Rheinischen Post“, und was ich dort lese, versetzt mich schwer in Erstaunen – aber nicht, weil es wirtschaftliche Probleme bei den Kraftwerken gibt, sondern weil diese Studie Kraftwerksblöcke mit einschließt, die zwar angeblich spätestens ab 2014 wirtschaftliche Probleme bekommen sollen, bei denen das aber schlicht und ergreifend nicht schlüssig ist.
Dazu gehört auch das Kraftwerk Westfalen mit den Blöcken A und B in Hamm. Nur, diese beiden Blöcke sind bereits im Februar 2011 dauerhaft vom Netz gegangen. Dazu gehört auch Block 7 des Kraftwerks Walsum wegen angeblich wirtschaftlicher Probleme, aber Block 7 ist noch gar nicht in Betrieb. Man sieht also, dass es in der Studie noch einige handwerkliche Fehler gibt. Und auch für Studien gilt das alte Motto der Gelben Seiten: Hätten Sie mal lieber gleich den Fachmann gefragt.
Deswegen bin ich mir sicher – um das hier auch ganz deutlich zu sagen –, dass der fachlich zuständige Minister, dass das fachlich zuständige Ministerium die Situation der konventionellen Kraftwerke bewerten wird.
(Dietmar Brockes [FDP]: Welches ist das denn?)
– Das ist ohne jeden Zweifel das Energieministerium.
(Zurufe von der FDP)
Ich sage das hier auch ganz freimütig: Deswegen bin ich mir sicher – Kollege Brockes, ich sage jetzt etwas dazu; hören Sie doch zu –, dass das fachlich zuständige Ministerium eine Bewertung der Situation der konventionellen Kraftwerke vornehmen und dies in den Prozess der Energiewende, der federführend in der Staatskanzlei angesiedelt ist, einspeisen wird.
Und weil das so ist, sage ich Ihnen: Für den parlamentarischen Raum ist diese Studie, über die wir hier gerade diskutieren, spätestens mit dem heutigen Tage wertlos. Das kann nicht die Grundlage sein. Nur die Bewertung des zuständigen Ministers kann die Bewertung sein, meine Kolleginnen und Kollegen.
(Oliver Wittke [CDU]: Jetzt müssen Sie klatschen!)
– So ist das.
Die CDU fordert in ihrem Eilantrag die Landesregierung auf, die aktuelle Fassung zur Verfügung zu stellen, und da ich Ihnen bereits gesagt habe, dass dieses für uns im parlamentarischen Raum keine Beratungsgrundlage sein kann, reiten Sie wieder einmal ein Pferd, das bereits tot ist. Daher werden wir den Antrag ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Zwischen den Zeilen war das interessant! – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Seit wann können Sie denn zwischen den Zeilen lesen? – Gegenruf von Dietmar Brockes [FDP]: Ich höre im Gegensatz zu Ihnen immer zu!)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als ich die beiden Anträge von CDU und FDP gelesen habe, habe ich mich auf die heutige Debatte gefreut. Denn damit kommt ein Thema auf die Tagesordnung, mit dem wir uns in der Tat qualifiziert und viel länger beschäftigen müssen. Es geht um das zukünftige Strommarktdesign. Es geht um die Frage von Kapazitätsmärkten. Das ist das Entscheidende.
Wenn ich mir den Antrag der FDP auf eine Aktuelle Stunde angucke, dann finde ich dort zwei Punkte, die wie so oft völlig falsch und in der Sache nicht zutreffend sind. Ihr erster Satz lautet, dass Nordrhein-Westfalen eine erhebliche Lücke bei der Stromversorgung droht. Das ist völliger Unfug.
Weiter schreiben Sie:
„Aufgrund mangelnder Rentabilitätsaussichten stehen momentan keine Investitionen in konventionelle Kraftwerke in Aussicht.“
Sie haben einfach keine Ahnung, und Sie sind auch nicht im Land unterwegs.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Kollege Brockes, wir beide machen zwölf Jahre Energiepolitik im Landtag. So etwas von Ahnungslosigkeit habe ich aber noch nicht gesehen. Sie müssen doch nur 1.000 Meter weiter gehen.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Genau!)
Da wird von den Stadtwerken Düsseldorf eines der modernsten Gaskraftwerke der Welt geplant und gebaut. Die Turbine ist bei Siemens bestellt. Dort hat man sich umentschieden. Das wollen Sie aber nicht kapieren. Was wir brauchen, sind Kraftwerke, die heute ein anderes technisches Design haben als früher. Ein altes, langsames Kraftwerk kann mit den neuen technischen Herausforderungen nicht vernünftig umgehen. Deswegen hat man sich in Düsseldorf umentschieden. Dieses Kraftwerk, das dort mit einer hohen Wärmeauskopplung gebaut wird, gehört genau zu den Kraftwerkstypen, die Chancen haben.
In Hürth wird eines gebaut, auch die RheinEnergie in Köln hat einen Doppelblock beschlossen, und auch in Krefeld laufen die Planungen für einen Doppelblock. Es gibt also eine ganze Reihe von Investitionsplanungen, die zurzeit laufen. Auch RWE hat kürzlich verkündet, dass Planungen für ein neues Gaskraftwerk laufen. Allerdings sagt RWE ehrlicherweise dazu, dass die Letztentscheidung darüber, ob es gebaut wird oder nicht, davon abhängt, wie sich der Markt entwickelt. RWE weiß aber, dass nur dieser Kraftwerkstyp in Zukunft eine Chance haben wird, und deshalb plant RWE in diese Richtung. Das Gegenteil steht allerdings in Ihrem Antrag, und das zeigt, dass Sie keine Ahnung haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Aber, Kollege Brockes, zum Schluss steht dort ein Satz, der nicht von Ihnen kommen kann, der allerdings – Sie müssen einen guten wissenschaftlichen Mitarbeiter haben – richtig ist:
„Es besteht dringender Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, das Strommarktdesign grundlegend zu überarbeiten, um den neuen Rahmenbedingungen gerecht zu werden.“
Das genau ist die Aufgabe, der ganz entscheidende Punkt.
Nur verstehe ich vor dem Hintergrund nicht, wieso Sie, die Fraktionen von CDU und FDP, das ausblenden.
(Widerspruch von Dietmar Brockes [FDP])
Sie sind Teil der Bundesregierung. Wenn irgendjemand die Aufgabe hat, dieses Design zu diskutieren und Vorschläge zu machen, dann ist das die Bundesregierung und Ihr Wirtschaftsminister. Da aber zeigt sich krachendes Versagen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Doch immerhin steht ja ein vernünftiger Satz in Ihrem Antrag.
Jetzt komme ich zum CDU-Eilantrag. – Lieber Herr Kufen, ich habe Sie als jemanden erlebt, der in seinem alten Themenbereich Kompetenz hatte und da sehr gut war. Jetzt arbeiten Sie sich in ein neues Gebiet ein. Mit diesem Eilantrag der christdemokratischen Fraktion liefern Sie eine energiepolitische Insolvenzerklärung ab. Legen Sie so etwas nie wieder vor!
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sage Ihnen, warum. Wir reden über Strommarktdesign und Kapazitätsmärkte. Wir reden über die technisch und politisch schwierig zu lösende Frage, wie Märkte zukünftig aussehen werden – und das vor dem Hintergrund, den Ihre Bundeskanzlerin in der Großen Koalition und in der jetzigen Regierung seit Jahren als energiepolitische Linie vorgibt.
Und Sie kommen hier mit der Forderung: Erstens. Die Landesregierung wird aufgefordert, das Gutachten öffentlich zu machen. – Dazu sage ich Ihnen: Ich habe hier mit Frau Thoben jahrelang gestritten. Sie hat beim Wuppertal Institut eine Studie über KWK-Potenziale in Auftrag gegeben. Selbstverständlich – das wissen Sie genau – gibt eine Regierung – wie auch die Fraktionen – Studien und Untersuchungen in Auftrag. Anschließend wertet man die aus. Dann entscheidet die Regierung, ob und wie sie sie öffentlich macht. Wir als Parlamentarier wollen sie haben. Das ist völlig in Ordnung.
Es gibt aber ein Verfahren, bis eine solche Studie fertig ist. Sie wissen genau, dass die Regierung die Studie zunächst auswertet und dann weitergibt. Das ist normaler Verlauf. Das, was Sie tun, ist billig. Das ist aber nicht das Schlimmste. Das Schlimmste kommt in Punkt 2 Ihres Beschlussvorschlages:
„Die Landesregierung wird aufgefordert, sich klar und deutlich zum Kraftwerkserneuerungsprogramm zu bekennen ...“
Das ist die Politik, die Sie machen. Die entscheidenden Punkte werden im Bund geregelt. Hier waren Sie fünf Jahre in der Verantwortung. Sie fordern „Bekenntnisse“.
Wie sieht denn die Situation real aus? Wir alle, die wir mit Kraftwerksunternehmen sprechen – ob RWE, E.ON oder die Stadtwerke –, wissen es doch; wir haben in der Landschaft seit 2007 Diskussionen geführt.
Dazu habe ich mir noch einmal das Protokoll der interessanten Plenardebatte vom 16. Oktober 2007 durchgelesen. Schon damals haben wir Grüne gesagt: Wenn es so weit kommt, dass die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung – damals war das noch eine Große Koalition – umgesetzt werden, wird der Strommarkt für Kraftwerke, die jetzt in der Grundlast laufen, enger. – So ist das.
Diejenigen, die 2007 auf Ihre politischen Vorgaben hin Kraftwerke gebaut haben, sind diejenigen, die uns heute sagen: Wir bauen Kraftwerke, von denen wir wissen, dass sie ans Netz gehen und 40 Jahre lang laufen müssen, aber diese Kraftwerke werden die Investitionen nicht mehr erwirtschaften. – Und das, weil Sie sie in eine Lücke hineingeschickt haben! Sie wussten, dass es nicht genügend Betriebsstunden geben wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, das nützt nichts. Ich bin 2007 in Hamm und andernorts gewesen. Wir haben diskutiert und um Lösungen gerungen. Jetzt lese ich folgende Zeitungsmeldung: Dortmunder Stadtwerke bauen 70 Stellen ab, weil die Beteiligung am RWE-Kraftwerk in Hamm jedes Jahr 14 Millionen bis 16 Millionen € Verluste bringt. – Das ist eine nüchterne Erkenntnis.
Sie als CDU haben von 30 % Erneuerbaren, 25 % KWK gesprochen, Herr Weisbrich von 18 % Stromeinsparung. Das war mehr als im Bund. Wenn Sie dieses Ziel 2020 erreicht haben, wird der Rest an Betriebsstunden für Kraftwerke, die in der Grundlast laufen, geringer.
Die Firmen reagieren doch alle. Was meinen Sie denn, warum die Stadtwerke hier und auch Trianel in Krefeld so handeln? Wir haben uns ja lange um das Kohlekraftwerk in Uerdingen gestritten. Jetzt planen die einen Doppelblock Gas, weil man damit wesentlich schneller reagieren und über Wärmeauskopplung in den Markt gehen und vernünftig arbeiten kann.
(Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, das ist die Grundlage. Sie müssen sich bei einem neuen Thema schon die Mühe machen und mit RWE und den Stadtwerken reden.
Ihr Parteivorsitzender, Herr Kollege Laschet, und Herr Lindner fordern draußen ein Quotenmodell für Windkraft. Darauf sagen Trianel und RWE: Was macht Ihr denn? Wir haben bei Borkum eine Investition von 850 Millionen € geplant, von denen 350 Millionen € gefertigt sind! Wenn Ihr in eurem Dilettantismus in Berlin ein Quotenmodell macht, sind 300 Millionen € versenkt. – Das ist Ihre faktische politische Antwort. Sie versagen an der Stelle!
(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, winken Sie nicht ab. Wir haben nach Fukushima im Konsens über alle damaligen Fraktionsgrenzen hinweg – die Piraten waren noch nicht dabei – den Atomausstieg beschlossen. Dann ist die nüchterne sachliche Konsequenz, dass ich die weiteren Schritte gerade beim Umbau der Energiepolitik in einem größeren Konsens gehe und breiter zusammenarbeite.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege.
Reiner Priggen (GRÜNE): Sie versagen bei allem. Beim Netzausbau bekommen Sie noch nicht einmal mehr 3.000 km hin. Und Sie liefern nicht den Masterplan Energie, der notwendig wäre.
(Thomas Kufen [CDU]: Wir?)
– Ja, wer stellt denn die Bundesregierung? Ich bitte Sie!
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Reiner Priggen (GRÜNE): Hoffentlich nicht mehr lange! Das ist – entschuldigen Sie – ja der stärkste Grund zu sagen: So dilettantisch, wie Sie den Netzausbau und dieses Kraftwerksverbotsprogramm betreiben, darf keine Bundesregierung mit diesem Thema umgehen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Entschuldigung, Frau Präsidentin! – Dass sich diese Landesregierung sachkundig macht, ist etwas, was sie machen muss. Deswegen finde ich den Beitrag, den die Regierung dazu leistet und uns dann auch liefern wird, nur vernünftig. Das, was Sie gemacht haben, war wirklich eine Insolvenzerklärung energiepolitischer Art.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Ihre Entschuldigung müssen Sie bitte eher an die Kolleginnen und Kollegen und weniger an mich richten. Zu Ihrer Information: Sie haben 52 Sekunden überzogen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wir nehmen die Entschuldigung an!)
Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schmalenbach.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wow, Herr Priggen! Ich hoffe, dass ich durch diese Legislaturperiode komme, ohne ständig den anderen vorzuwerfen, sie hätten keine Ahnung. Ich gehe einfach mal davon aus, dass alle Abgeordneten hier im Haus Ahnung von Ihrem Ressort haben.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Schön wär’s!)
Wir Piraten begrüßen es, dass die erneuerbaren Energien schon jetzt einen deutlichen wirtschaftlichen Vorteil vor den fossilen Kraftwerken erreicht haben. Das sehen wir als Beweis dafür an, dass die Energiewende auf dem richtigen Weg ist.
Derzeit gibt es keine stichhaltigen Beweise dafür, dass der deutsche Strommarkt den Anforderungen an die Versorgungssicherheit nicht gewachsen ist. Trotzdem halten wir es für erforderlich, auf Extremsituationen, wie sie sich zum Beispiel durch sehr kalte Wintertage ergeben können, vorbereitet zu sein. Dies kann durch eine moderate Anpassung des Marktsystems oder die Einrichtung einer Kaltreserve für Notfälle erreicht werden. Zusätzlich ist derzeit eine Verordnung auf dem Weg, nach der die Stilllegung von Kraftwerken ein Jahr im Voraus bekannt gegeben werden muss, die ihnen im Notfall untersagt werden kann.
Eine Kaltreserve für Notfälle darf den Marktmechanismus an sich aber nicht beeinflussen, sondern nur eine Versicherung für Extremsituationen darstellen. Die Vergütung der Unternehmen für den Weiterbetrieb sollte fair sein und transparent gestaltet werden. Zeitgleich müssen der Ausbau von Speicherkraftwerken und der erforderliche Netzausbau engagiert vorangetrieben werden, sodass auf eine Notreserve langfristig verzichtet werden kann.
Ein Zubau an fossiler Kraftwerkskapazität ist im Zuge der Energiewende weder ökologisch noch wirtschaftlich sinnvoll. Auch in Bezug auf Versorgungssicherheit sind andere Maßnahmen effizienter.
Eine grundlegende Überarbeitung des Strommarktdesigns ist kurzfristig weder notwendig noch sinnvoll. Schon durch moderate Anpassung des Marktsystems oder durch Einführung einer Notreserve kann der wirtschaftliche Betrieb erforderlicher Kraftwerke kurzfristig gewährleistet werden.
Da der Stromverbrauch kurzfristig nur wenig auf Preisänderungen reagiert, können Knappheitssituationen anders als auf vielen anderen Märkten nur bedingt durch einen Preisanstieg verhindert werden. Ein Grund hierfür ist die festgelegte Obergrenze für Strompreise. Sie verhindert, dass sich Spitzenlastkraft in Knappheitssituationen rentiert. Eine kurzfristige Anhebung der Preisobergrenze könnte hier Abhilfe schaffen.
Die Einführung eines Kapazitätsmarktes bedeutet eine fundamentale Veränderung des derzeit bestehenden Systems. Dies führt zu hohen Anforderungen an die Verwaltung und zu einer signifikanten Verkomplizierung des Marktsystems. Zusätzlich können Designfehler zu einer Verzerrung des Marktergebnisses führen. Da es außerdem derzeit keine stichhaltigen Belege dafür gibt, dass die Versorgungssicherheit im bestehenden Markt gefährdet ist, bieten sich moderate Maßnahmen wie die Anhebung der Preisobergrenze oder die Einführung einer Notreserve an.
Die CDU möchte in diesem Zusammenhang, dass die Studie veröffentlicht wird. Diesem Wunsch würde ich mich eigentlich anschließen wollen. Eine unfertige Studie zu veröffentlichen, ist aus unserer Sicht aber nicht sinnvoll. Das führt nur zur unnötigen Verwerfungen, wie die Presseberichte eindeutig zeigen.
(Beifall von den PIRATEN und Dietmar Brockes [FDP] – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
– Liebe Grüne, bevor Sie applaudieren, sage ich: Der Umgang mit Studien und Gutachten wird uns hier ganz bestimmt eine Zeit lang beschäftigen. Ich würde mich wünschen, dass Veröffentlichungen nicht eingefordert werden müssen, sondern automatisch passieren.
(Beifall von den PIRATEN und Dietmar Brockes [FDP] – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Herr Priggen, ob eine Studie veröffentlicht wird, liegt nicht im Ermessen der Regierung. Sie muss veröffentlicht werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Weiterhin scheint es uns angebracht zu sein, sich dafür einzusetzen, dass die Entstehung von Studien und Gutachten dokumentiert wird. Die Nachrichten vom Armutsbericht heute Morgen dokumentieren dies eindrucksvoll. Dafür werden wir uns einsetzen.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich habe mir Mühe gegeben, das Kraftwerkserneuerungsprogramm – wow, schönes Wort! – zu finden. Am Ende steht für mich die Frage, welches wohl gemeint ist, und vor allem, aus wessen Feder. Die ersten „Google“-Treffer dazu sind allesamt von RWE.
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)
Und die Suchergebnisse aus dem Landtagssystem sind deutlich veraltet.
Für mich hinterlässt der Antrag der CDU ausschließlich Fragen. Die Regierung erklärt in Person von Minister Duin, dass sie Braunkohlestrom per HGÜ-Technik nach Süden exportieren will. Die Netzagentur hat in ihren Charts NRW 2020 als Stromimporteur markiert. Und die Opposition malt permanent den Teufel der Unterversorgung an die Wand. Ich frage mich ernsthaft, welche Informationen in dieser Sache valide sind.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir werden diesen Antrag ablehnen.
(Zuruf von den GRÜNEN)
– Wer war das? Herr Markert?
(Zuruf von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Wir werden diesen Antrag ablehnen, weil er in unseren Augen nur wieder das Ziel zu haben scheint, die andere Seite zu diskreditieren.
Konstruktiv wäre es aus unserer Sicht gewesen, einen Veröffentlichungstermin zu erfragen, die Entstehungsgeschichte nach Veröffentlichung zu fordern und das Bekenntnis aus Punkt 2 zu entfernen. Einem solchen Antrag hätten wir zugestimmt. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Remmel das Wort.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vieles wurde schon richtig gesagt, aber ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass ein einziger Blick in den Koalitionsvertrag genügt hätte, um uns heute Morgen das Theater zu ersparen, das CDU und FDP aufgeführt haben. Ich zitiere von Seite 42 des Koalitionsvertrags, wo es zum Klimaschutzplan heißt:
„Vor dem Hintergrund des Atomausstieges, des zunehmenden Anteiles Erneuerbarer Energien, der ambitionierten Klimaschutzziele der Landesregierung ist der zukünftige Beitrag der fossilen Energieträger zur Stromerzeugung und zur Versorgungssicherheit in Nordrhein-Westfalen zu diskutieren und zu bewerten.“
Um nichts anderes geht es. Es geht um Planungssicherheit, es geht um zukünftige Investitionen.
(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])
Genau das ist der Arbeitsauftrag, der dieser Studie zugrunde liegt. Sie soll nämlich sagen, was Sache ist, wenn wir es mit der Energiewende ernst meinen, und nicht, was wünschenswert wäre oder politisch gewollt ist. Sie soll sagen, was Sache ist, wenn wir die Versorgungssicherheit der Zukunft zunehmend mit erneuerbaren Energien gestalten wollen, wenn sich die Energiemärkte verändern und wenn es darum geht, neue Geschäftsfelder zu finden. Sie soll sagen, was Sache ist, wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen und daraus nicht nur eine Sonntagsrede machen.
Wir nehmen das ernst: Klimaschutz made in Nordrhein-Westfalen. Das ist keine Politik im Affekt. Das ist kein planloses Hin und Her. Das ist kein Vor-die-Wand-Fahren, wie die Bundesregierung es derzeit mit der Energiewende tut.
(Thomas Kufen [CDU]: Das ist doch billig! Machen Sie Ihren Job!)
– Herr Kufen, erinnern wir uns doch, was wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Das war in der Tat eine Sternstunde vor aller Welt. Ein großes Industrieland sagte: Wir wollen unsere Energieversorgung völlig umstellen.
(Thomas Kufen [CDU]: Ja!)
Aber zurzeit ist die Bundesregierung dabei, uns bei diesem Vorhaben zu blamieren. Wo ist denn die große Linie? Wo ist denn der Masterplan? Wo ist denn der Weg, den wir gemeinsam gehen wollen?
(Zurufe von Thomas Kufen [CDU] und Dietmar Brockes [FDP])
– Schauen Sie sich doch mal die Bundesregierung an: Der eine will Gas geben, der andere tritt aufs Bremspedal – und die Dritte, die Bundeskanzlerin, schaut zu! Man kann nicht nur in Sonntagsreden die Energiewende hinbekommen, man muss tatsächlich handeln. Und hierfür fehlen die Rahmenbedingungen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Thomas Kufen [CDU])
Wenn wir so weiterarbeiten, dann wird die Energiewende zum Geisterschiff – ohne Kapitän und ohne Kompass.
(Thomas Kufen [CDU]: Wenn Sie so weiterreden! – Dietmar Brockes [FDP]: Wer ist denn bei Ihnen Kapitän? – Gegenruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Es geht darum, einen Kapitän, einen Kompass, eine Roadmap, also einen Plan zu haben, wie wir das Ganze angehen wollen.
Klar ist auch: Ohne Plan baut man kein Haus – das wissen Sie doch selber –, ohne Kompass können wir keinen Kurs halten, und ohne Proviant steigen wir auf keinen Berg. Wir hier in Nordrhein-Westfalen machen das anders.
(Thomas Kufen [CDU]: Wie denn?)
Wir schauen uns das an, wir urteilen, und wir handeln. Wir machen das nicht im Hinterzimmer, sondern wir machen es zusammen mit den Unternehmen, mit den Menschen, mit allen relevanten Akteuren. Genau in diesen Zusammenhang passt auch die Studie.
Es geht darum, entlang der Rahmenbedingungen, die zurzeit den Markt und die Maßnahmen bestimmen, europäisch und national gemeinsam zu schauen, wie die Infrastruktur hier zukünftig ausgerichtet werden muss. Das ist eine Aufgabe, die eigentlich schon längst hätte erledigt sein müssen. Wir reden nämlich schon seit über zehn Jahren über eine Energiewende; wir sehen, dass die Erneuerbaren zuwachsen. Daraus müssen wir doch Schlüsse ziehen.
Es ist im Übrigen nichts Neues, was wir untersuchen, um das genauer diskutieren zu können. Ich zitiere hierzu den RWE-Vorstand Martin Schmitz aus dem Sommer 2011: Noch weitere zusätzliche neue Steinkohlekraftwerke rechnen sich heute tatsächlich nicht mehr.
Der Verein der Kohleimporteure hat jüngst eine Studie bei Prognos in Auftrag gegeben haben. In der veröffentlichten Studie heißt es:
„Allerdings sind durch die vorrangige Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren die für die Betreiber notwendigen Preise in den Peakstunden (8 bis 20 Uhr, wochentags) stark gesunken.“
Solche Zitate finden sich viele. Wenn Sie mit den Unternehmen reden, werden Sie feststellen, dass genau das im Fokus der Diskussion ist. Wie schaffen wir es, unsere Struktur planungssicher unter Wettbewerbsbedingungen und zur Versorgungssicherheit bei zuwachsenden erneuerbaren Energien auch tatsächlich in die Zukunft zu bringen? Hier haben wir für Nordrhein-Westfalen eine Gestaltungsaufgabe. Wir müssen hierzu über Rahmenbedingungen und auch über eine Weiterentwicklung reden.
Bei dieser Aufgabe versagt die Bundesregierung: weil wichtige Fragen jetzt zu entscheiden wären. Das gilt beispielsweise für die Frage des Lastmanagements, für die Frage des innovativen Netzausbaus, für die Frage, wie wir Investitionen in die notwendigen Speicherkapazitäten – Pumpspeicherkraftwerke – auf den Weg bringen, und auch für die Frage, wie wir die Bedingungen des Emissionshandels so gestalten, dass er wirkungsvoll ist. Diese Fragen stehen an und müssen auf seriöser Grundlage diskutiert werden. Das ist der Grund, warum man sich bei dieser Aufgabe der wissenschaftlichen Beratung bedient. Wir machen genau das. Wir gehen in den Dialog. Und für einen Dialog braucht man entsprechende Grundlagen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist das Industrieland und Energieland Nummer eins. Wir wollen das auch in Zukunft bleiben. Dafür müssen wir uns aber anstrengen und aufstellen. Wir brauchen Planungssicherheit, wir brauchen Investitionssicherheit, und wir brauchen vor allen Dingen die Entwicklung von neuen Geschäftsfeldern. Das ist der gemeinsame Auftrag, und das ist auch das gemeinsame Ziel. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Deppe das Wort.
Rainer Deppe (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine interessante Debatte, die wir heute Morgen hier erleben.
Herr Priggen, zuerst zu Ihnen. Was ist eigentlich aus den Transparenzversprechungen der Grünen geworden? Hier wird eine Studie in Auftrag gegeben, und Sie erklären dann in diesem Plenum – der Minister widerholt das auch noch –, dass man sie nicht veröffentlichen kann. Sie sei noch nicht fertig. Der Sprecher des Ministeriums sagt, es handele sich um einen vertraulichen Entwurf. Dieser müsse noch fachlich geprüft und aktualisiert werden.
Ist das die Transparenz, für die die Grünen einmal angetreten sind? Sie sind eine Partei, eine Fraktion geworden, die hinter den Kulissen und nicht vor den Kulissen arbeitet. Damit werden Sie ihrem eigenen Anspruch überhaupt nicht mehr gerecht.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Es ist schon bezeichnend, dass in der eben zitierten Liste, die die Kollegen der FDP bei Ihnen abgefragt haben, genau dieses Gutachten nicht auftaucht. Da muss man dann schon nach den Gründen fragen.
Ich hatte eigentlich erwartet, nachdem gestern in den Medien gestanden hat, dass einer Zeitung das Gutachten offenbar vorliegt, dass Sie sich heute hierhin stellen und sagen würden: Wir sorgen für Transparenz. Die Abgeordneten bekommen das Gutachten. Dann ist es raus. – Denn was wird jetzt passieren? Das Gutachten ist ja offenbar vorhanden. Man wird also ganz genau vergleichen, was in der Ursprungs- und was in der Endfassung steht. Ich hatte gedacht, Sie würden den Schritt der Transparenz gehen. Aber Sie haben uns ein weiteres Mal enttäuscht.
Als zweiter Punkt war die Rede des Kollegen Eiskirch sehr bemerkenswert. Wir werden das im Protokoll nachlesen. Herr Eiskirch, Sie haben eben gesagt: „Fragen Sie doch den Fachmann!“, und dann auf den Wirtschaftsminister verwiesen. Im Umkehrschluss muss man natürlich sagen: Hier hat jemand ein Gutachten in Auftrag gegeben, der offenbar kein Fachmann ist und der in dieser Regierung zum Thema Energiepolitik offenbar überhaupt nichts zu sagen hat.
Deshalb war der Hinweis meines Kollegen Kufen vollkommen richtig: Die Regierung muss jetzt endlich mal sagen, was Sie will – und nicht über Gutachten einen Streit zwischen den beiden Regierungsbänken austragen. – Wir haben hier heute einen eindeutigen Beweis dafür bekommen, dass es bei der Energiepolitik um die große Einigkeit offenbar überhaupt nicht gut bestellt ist. Ich bin gespannt, ob der Wirtschaftsminister, der ja offenbar der zuständige Minister ist, wie wir eben von Herrn Eiskirch gehört haben, hier heute noch für Klarstellung sorgen wird oder ob Sie dieses Feld weiter den Grünen und Herrn Remmel überlassen werden.
Meine Damen und Herren, das wichtigste Projekt des Umweltministers – es wäre vielleicht wichtiger, wenn er sich darum kümmerte – ist nach seinen eigenen Aussagen das Klimaschutzgesetz. Die beiden Anhörungen, die am 23. Januar und am 25. Oktober dieses Jahres stattgefunden haben, waren an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Danach ist dieses Klimaschutzgesetz nicht nur überflüssig, sondern es ist auch schädlich. Wir nehmen in Kauf, dass wir CO2-Emissionen eben nicht vermindern, sondern dass wir sie maximal aus Nordrhein-Westfalen in andere Bundesländer oder in andere Staaten verlagern. Das Klima ist aber weltweit das gleiche. Es ist also relativ uninteressant, wo die Emissionen entstehen.
Sie nehmen mit dem Gesetz in Kauf, dass wir die Kommunen nach der finanziellen Bevormundung jetzt auch noch im Planungsrecht bevormunden und dass die energieintensive Industrie ins Ausland abwandert. Dazu hätten Sie mal ein Gutachten in Auftrag geben sollen!
Wie sieht es mit der Deindustrialisierung unseres Landes aus? Die Vertreter des DGB haben in beiden Anhörungen eindeutig erklärt, dass sie nicht einsehen, dass Unternehmen eines Tages gut verdienen, der Strom aus dem Ausland kommt und die Arbeitsplätze hier weg sind. Dazu sollten Sie einmal ein Gutachten in Auftrag geben – und nicht eines wie dieses, bei dem es sich offenbar um ein totes Pferd handelt, das geritten wird.
Weil es eine Andeutung in den Medien gibt, wäre es interessant zu wissen, ob Sie analysiert haben, welche Auswirkungen das Klimaschutzgesetz auf die Kraftwerksituation und auch auf den CO2-Ausstoß in Deutschland hat.
(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Leider zu wenig!)
– Das werden wir noch sehen.
Es wäre gut, wenn Sie sich dazu klar äußern und ein Gutachten in Auftrag geben würden.
Meine Damen und Herren, die Energiewende ist die größte Infrastrukturaufgabe, die wir uns – zumindest für die erste Hälfte dieses Jahrhunderts – für unser Land vorgenommen haben. Der Bundestag hat das – übrigens mit den Stimmen der Opposition – beschlossen. Insofern stellt sich doch die Frage: Warum machen Sie da nicht mit? Das ist doch ein Projekt für das ganze Land.
Wir haben klare Ziele in festgelegten Schritten bis 2050. 35 % erneuerbare Energien bis 2020. Davon, Herr Remmel, sind wir in Nordrhein-Westfalen meilenweit entfernt. Da sollten Sie Ihre Anstrengungen hineinlegen und dafür sorgen, dass nicht durch ständig neue Gutachten, durch ständige Behinderungen seitens der Artenschutzbehörden der Ausbau der Windenergie hier in Nordrhein-Westfalen ins Stocken gerät, dass es hier nicht vorangeht. Dafür sind Sie verantwortlich.
Wir sollten dafür sorgen, dass die Ziele, die wir im Bundestag gemeinsam beschlossen haben – 80 % CO2-Minderung bis 2050 –, auch tatsächlich erreicht werden. Wozu brauchen wir ein Klimaschutzgesetz? Der Pfad ist eindeutig vorgezeichnet. Er wird mit Sicherheit erreicht werden. Es wäre gut, wenn Sie sich im Geleitzug des Bundes bewegen würden, wenn Sie klarmachen würden, wie Sie den Weg gehen wollen, ohne die Industrie aus dem Land zu treiben. Dazu sollten Sie ein Gutachten in Auftrag geben.
Warum gibt es diese Aufregung? Warum gibt es diese Aktuelle Stunde? Die Öffentlichkeit hat mit Recht den Eindruck, dass hier nicht ehrlich gearbeitet wird. Es gibt den Parteitagsbeschluss der Grünen, mit dem man nach einer juristischen Handhabe sucht, den Bau von Kohlekraftwerken zu verhindern. Und auf wundersame Weise gibt es dann aus Ihrem Hause ein Gutachten, das darstellt, dass man Kohlekraftwerke überhaupt nicht mehr gebrauchen kann.
(Beifall von Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN])
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Hier wird doch die Regierung dazu benutzt, Parteipolitik der Grünen umzusetzen. Die Bevölkerung, die Stromversorgung, die Industrie, die Preise sind für Sie offenbar vollkommen uninteressant.
Meine Damen und Herren, legen Sie das Gutachten vor. Es wird Zeit, dass der Wirtschaftsminister gleich noch mal erklärt, wie die Regierung zum Kraftwerkserneuerungsprogramm in Nordrhein-Westfalen steht. Denn dazu ist hier heute leider noch kein Wort gesagt worden. Aber die Debatte geht ja auch noch ein Stückchen weiter.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Deppe, ich habe mich schon gewundert, dass aus Ihren Reihen überhaupt einer applaudiert hat; denn zugehört hat Ihnen zwischendurch keiner. Ihre Rede erinnerte mehr an den Eiertanz Ihrer Bundesregierung, als es um den Ausstieg aus dem Ausstieg ging. Insofern war es eine Eiertanzrede.
(Thomas Kufen [CDU]: Mein Gott! – Zurufe von Rainer Deppe [CDU] und Dietmar Brockes [FDP])
Wenn ich allein bedenke, wie oft Sie sowohl Minister Remmel als auch Minister Duin gesagt haben: Dazu müssten Sie mal ein Gutachten in Auftrag geben.
(Zuruf von der CDU: Zu Recht!)
Ich werde im Protokoll nachlesen, wie oft das der Fall war.
In einem Nebensatz sagen Sie dann aber: Statt teure Gutachten in Auftrag zu geben, sollten Sie … – Zwei Sätze weiter sagen Sie jedoch wieder: Aber dazu sollten Sie mal ein Gutachten in Auftrag geben. – Herr Deppe, Ihre Rede war so was von überflüssig wie nur was.
(Zurufe von der CDU)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich wundere mich über diese Debatte. Das, was in der Zeitung steht – unabhängig von der Studie, die noch gar nicht fertig ist –, war allen bekannt, zumindest den Fachleuten, allerdings ganz offensichtlich der Opposition nicht. Haben Sie die Fakten verdrängt, oder haben Sie die noch gar nicht wahrgenommen? Setzen Sie ausschließlich auf unfertige Papiere und auf Presseberichterstattungen, wo auch nichts Neues – teilweise Falsches – steht? Hat Ihre Bundesregierung keinen Sachstand in dieser Angelegenheit? Oder ist sie davon auch überrascht worden?
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Vieles spricht dafür; denn seit Fukushima ist von dieser Bundesregierung nichts, aber auch überhaupt nichts in Sachen Energiewende gekommen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, diese Bundesregierung ist – leider Gottes! – länger im Amt, als Sie hier Abgeordneter sind. Machen Sie sich erst mal schlau, bevor Sie hier tolle Worte finden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Thomas Kufen [CDU]: Das ist doch billig!)
Ich möchte noch einen Hinweis an die Landesregierung geben: Ja, der Umweltminister hat diese Studie in Auftrag gegeben. Aber Sie versuchen immer, hier einen Keil zu treiben. Das funktioniert doch überhaupt nicht.
(Widerspruch von der CDU)
Zumindest die Abgeordneten, die im Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk aktiv sind – Sie sehen: Das zweite Wort war Energie –, werden festgestellt haben, dass Minister Duin bereits deutliche Worte zu vielen dieser Punkte, die Sie angesprochen haben, gefunden hat – auch in seiner kleinen Regierungserklärung.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
– Herr Kollege Brockes, Sie haben durch einen Zwischenruf wohl bei der Rede des Kollegen Eiskirch deutlich gemacht, wofür Sie auch bekannt sind: Man hört zwischen den Zeilen. – Ich bin ja schon froh, dass Sie heute immerhin zwischen den Zeilen hören. Sonst hören Sie nämlich überhaupt nicht zu. Sonst lesen Sie nicht nach. Sie verstehen demnach nicht, worum es geht. „Zwischen den Zeilen“ könnte heute ein erster Schritt sein, dass auch Sie Energiepolitik endlich mal verstehen, Herr Kollege Brockes.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn Sie nur einen Blick in den Koalitionsvertrag werfen, der an dieser Stelle wie an anderen sehr deutlich ist, erkennen Sie, dass die Energiedebatte angesprochen wird. EEG, Speicher, KWK, Energiewende insgesamt, Versorgungssicherheit, Versorgungssicherheit von Industrie, regenerative Energien und noch mehr – ich will das jetzt nicht alles ausbreiten – sind dort einzeln aufgeführt. Lesen Sie es einfach nach! Das ist eine klare Regelung dieser Landesregierung und der beiden zuständigen Minister Duin und Remmel.
Meine Damen und Herren, wir wissen sehr wohl um die Bedeutung der fossilen Kraftwerke. Es ist immer wieder deutlich geworden: Wir brauchen nach wie vor fossile Kraftwerke. Es ist auch wichtig, dass durch die gesicherten Leistungen der fossilen Kraftwerke insbesondere für die Industrie Versorgungssicherheit gegeben wird. Das ist ebenfalls immer wieder gesagt worden.
Wir wissen auch um die Schwächen älterer Kraftwerke; das ist nichts Neues. Wir wissen aber auch aus der „Rheinischen Post“, die grundsätzlich alles weiß, dass Walsum 7 noch gar nicht in Betrieb ist, dass Westfalen seit 2011 vom Netz ist. – Wenn Sie über diese Kraftwerke reden, müssen Sie auch wissen, ob die in Betrieb sind oder noch gar nicht in Betrieb gegangen sind.
Wenn dort Lünen 6 angesprochen wird, hat sich keiner Gedanken gemacht, was Lünen 6 überhaupt ist. Lünen 6, das Kraftwerk der STEAG, ist der Bahnstromblock. Der Bahnstromblock ist gesichert, funktioniert hervorragend und liefert einen wesentlichen Anteil des Bahnstroms in Nordrhein-Westfalen. Dieser Block ist seit Inbetriebnahme des Kraftwerks stetig erneuert und modernisiert worden, sodass es kaum noch Differenzen zu neuen Kraftwerken gibt.
Wenn Sie, die CDU, in Ihrem Antrag von Schaffung von Vertrauen in die Sicherheit von Kraftwerksinvestitionen und von Versorgungssicherheit für Haushalte und Unternehmen sprechen, so ist das auch unser Ziel. Aber wir haben das nicht wie die Bundesregierung in der Schublade liegen, sondern wir haben Minister, die daran arbeiten und dafür Ideen produzieren. Minister Duin hat es immer wieder deutlich angesprochen: Wir sind bereit, mit der Bundesregierung in einen Dialog einzutreten. Aber die andere Seite muss auch bereit sein. Was hören wir denn von der Bundesregierung? – Altmaier drischt Phrasen, und Rösler ist noch nicht mal in der Lage, Phrasen zu dreschen, da kommt überhaupt nichts; er sitzt das aus. Die beiden reden auch nicht miteinander. Da passt der Satz des CDU-Eilantrags – ich zitiere –: „Alleingänge einzelner Akteure gefährden den Erfolg.“
Richtig, Herr Brockes, das sehe ich genauso. Ich wäre aber froh, wenn einer von den beiden schon mal anfangen würde, und wenn dann beide zusammengehen und endlich mal auf Bundesebene die Initiative ergreifen würden – vor zwei oder drei Wochen haben wir bei dem Antrag „Monitoring“ darüber diskutiert, dass wir 16 plus 1 brauchen –, hätten wir schon mal eine Basis. Diese Basis werden wir aus Sicht Nordrhein-Westfalens auf den Weg bringen. Minister Duin hat das immer wieder angesprochen.
Wir wollen endlich losgehen und sind dabei, Initiativen zu ergreifen. Ich bin mir sicher: Diese Studie oder das, was in der „Rheinischen Post“ steht oder das, was irgendwann einmal kommen wird, wird zwar interessant sein, bringt für mich aber gemäß den Presserklärungen nicht einen einzigen neuen Sachverhalt. All das wusste ich schon. Die „Rheinische Post“ schreibt richtig:
„Die CDU will den von ihr befürchteten ‚Kraftwerks-Kahlschlag‘ … diskutieren.“
Ja, den von ihr „befürchteten“. Beteiligen Sie sich sachlich und fachlich an einer Energiedebatte und nicht populistisch, wie Sie es heute wieder versucht haben!
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Dann kommen wir auf den richtigen Weg. Die Inhalte werden von uns ordentlich gesetzt. Da brauchen wir Ihre überflüssigen Anträge, die nur die Menschen verunsichern, aber in der Sache keinen Schritt weiterführen, überhaupt nicht. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion der FDP hat Kollege Höne das Wort.
(Dietmar Brockes [FDP]: Schön, wenn Kollege Schmeltzer von „populistisch“ spricht!)
Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Anlass für die heutige Aktuelle Stunde – das ist schon erwähnt worden – wirft mal wieder ein bezeichnendes Licht auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem roten Wirtschafts- und Energieminister auf der einen Seite und dem grünen Umweltminister auf der anderen Seite. Herr Eiskirch, diesen Eindruck haben Sie mit Ihrem Wortbeitrag deutlich verstärkt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Experten warnen davor, bei der Energiewende in Kleinstaaterei zu verfallen, und Experten warnen davor, in Deutschland 16 Energiewenden zu versuchen. Diese Landesregierung schafft es trotz dieser Warnung noch nicht einmal, sich auf eine zuständige Stelle, auf ein Haus zu verständigen. Hier liegt ein Fehler im Fundament vor, der uns wahrscheinlich teuer zu stehen kommt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Zu dem viel zitierten Gutachten, das mein Kollege Dietmar Brockes schon angesprochen bzw. als Frage aufgeworfen hat: Wenn denn zwischen den Ministerien schon die Kompetenzen getrennt werden, warum scheint dann nur das Umweltministerium an der Studie gerade zu konventionellen Kraftwerken beteiligt zu sein? Herr Minister Duin, Vertreter der FDP-Fraktion haben sich von diesem Rednerpult aus schon des Öfteren die Frage gestellt, ob denn wohl der grüne Umweltminister alles und der rote Wirtschaftsminister nichts zu sagen hat. Dieser Vorgang liefert einen neuen vielsagenden Anhaltspunkt. In der Studie ist viel über Kraftwerke geschrieben worden. Einige wurden einbezogen, obwohl sie noch gar nicht am Netz sind. Mir kommt es so vor, als hätte Herr Minister Remmel Sie, Herr Minister Duin, bis heute mit Ihrem Energieministerium nicht ans Netz gelassen.
(Beifall von der FDP)
Herr Minister Remmel, seitdem die Studie bekannt geworden ist, rudert Ihr Haus kräftig mit beiden Armen zurück. Der „Spiegel“ vom 26. November ist schon zitiert worden: Die Studie müsse noch methodisch, rechnerisch, redaktionell und inhaltlich überprüft werden. – Für mich liegt nahe, dass Sie die Studie bei so viel nachträglicher Überprüfung und Bearbeitung eigentlich schon intern durch Ihr Haus hätten durchführen lassen können.
Eben allerdings sind Sie gar nicht auf die Studie eingegangen, sondern haben sich auf die Bundespolitik beschränkt, was da eigentlich alles gemacht werden müsse. Da gibt es ein paar Punkte, bei denen wir uns durchaus einig sind.
Ich darf einen Punkt ergänzen: Beispielsweise könnte man schon mit der energetischen Sanierung etwas weiter sein als wir es heute sind.
(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])
Denn würde man mehr Energie einsparen, würde uns dies vieles erleichtern.
(Minister Johannes Remmel: Sie können morgen den Beschluss fassen! Das liegt doch nicht an uns!)
Und Sie sagen, bei den CO2-Zertifikaten auf europäischer Ebene müsse man das System überarbeiten. – Da sind wir ganz bei Ihnen, das fordern wir beim Klimaschutzgesetz schon die ganze Zeit. Aber warum wollen Sie mit dem Klimaschutzgesetz diesen Zertifikatehandel vor der Überarbeitung erst einmal untergraben? Das haben Sie nicht richtig erklärt.
(Beifall von der FDP)
Ich komme zu dem grundsätzlichen, durchaus bemerkenswerten Umgang dieser Landesregierung mit Studien zurück. Es gibt mehrere Beispiele; genannt sei das Fracking-Gutachten. Obwohl auch dieses Gutachten noch gar nicht fertig war, wurde schon Tage vor der eigentlichen Veröffentlichung darüber spekuliert, weil Teilnehmer von beratenden Arbeitskreisen die eine oder andere Vorabinformation verbreitet hatten. Das Parlament erfährt dann von solchen Studien, die von Ihrer Landesregierung in Auftrag gegeben worden sind, immer mittelbar aus der Presse.
Dabei wäre es doch, weil wir uns alle einig sind, wie zentral das Thema „Energiewende“ ist, nicht nur angebracht, sondern unbedingt geboten, das Parlament unmittelbar und direkt zu informieren und nicht immer über die Presse.
Sie scheinen aber den mittelbaren Weg zu bevorzugen. Damit schaffen Sie Unsicherheit und Verwirrung sowie fehlgeleitete Diskussionen. Vor allem instrumentalisieren Sie damit die Ängste und Sorgen einzelner Betroffener und nutzen das für Ihre eigenen politischen Zwecke.
Nachdem das nun mehrfach vorgekommen ist, muss ich mich auch fragen, ob etwa ein gewisses System dahintersteckt, dass man hier so vorgeht, oder ob man einfach undichte Stellen im Ministerium nicht auffinden kann. Unabhängig davon, für welche dieser beiden Antworten man sich entscheidet, gilt: Das ist keine seriöse und auch keine sachgerechte Politik.
(Beifall von der FDP)
Sehr geehrte Damen und Herren, seriös und sachgerecht wäre es, sich zum Kraftwerkserneuerungsprogramm zu bekennen. Seriös und sachgerecht wäre es, Rahmenbedingungen zu diskutieren und zu schaffen, die konventionellen Kraftwerken so lange, wie sie benötigt werden, eine Marktteilnahme zu rentablen Bedingungen ermöglichen; da sind wir im Bereich des EEG. Seriös und sachgerecht wäre es, Perspektiven für neue, effizientere und damit auch klimaschonendere Kraftwerke zu diskutieren, die beim gleichzeitigen Ausbau der erneuerbaren Energien weiterhin am Markt bestehen können.
Sehr geehrte Damen und Herren, korrigieren Sie Ihre Fehler im eingangs genannten Fundament bei der Aufgabenverteilung, kommen Sie zu einer ehrlichen Informationspolitik, und orientieren Sie sich vor allem an einem gleichberechtigten Dreiklang: Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit. Nur dann kann die Energiewende gelingen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. Das war eine Punktlandung. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Kollegin Brems.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einige Fragen der FDP gehört. Gleich gehe ich gerne vor allen Dingen auf eine davon ein.
Ich wünschte mir auch, dass man den frommen Wunsch des Kollegen Schmalenbach von den Piraten erfüllen könnte und hier nicht anderen Kollegen Kompetenzen absprechen müsste. Das Problem ist aber, dass wir in dieser Debatte so viel Falsches und so viel Quatsch hören, dass man das an der einen oder anderen Stelle auch einmal sagen muss.
(Beifall von den GRÜNEN)
In ihrem Antrag schreibt die FDP unter anderem, dass die konventionellen Kohlekraftwerke nun die Kapazitäten der Atomkraftwerke ersetzen sollen.
(Christian Lindner [FDP]: Müssen! – Dietmar Brockes [FDP]: So ist es!)
Das ist völliger Quatsch. Atomkraftwerke konnten noch nie dafür zur Verfügung stehen, die erneuerbaren Energien flexibel zu ergänzen. Das ist absoluter Humbug. So etwas ist technisch gar nicht möglich. Deswegen passt das überhaupt nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Ich komme nun zu Ihrer Frage, Herr Brockes, ob wir von den wirklichen Problemen der Energiewende ablenken wollten. – Da möchte ich einmal auf den von Herrn Deppe erwähnten Punkt zu sprechen kommen. Ihr Angriff auf das Klimaschutzgesetz Nordrhein-Westfalen ist eher ein Ablenkungsmanöver. Das stellt man fest, wenn man sich einmal die Ziele dieser Bundesregierung anschaut. Bis zum Jahr 2050 sollen nämlich 80 bis 95 % der CO2-Emissionen eingespart werden. Wie das mit dem von Ihnen hochgelobten Kraftwerkserneuerungsprogramm zusammenpassen soll, sagen Sie nicht. Beides widerspricht sich auch absolut.
Es gibt noch ein weiteres Ablenkungsmanöver der FDP. Sie sagen nämlich, wir würden die Probleme oder die Herausforderungen der Energiewende schlecht oder gar nicht kennen. – Im Gegenteil! Das Problem liegt bei Ihnen. Wenn Sie meinen, dass ein zukünftiges Marktdesign nicht zu den Herausforderungen der Energiewende gehört, passt hier einiges nicht zusammen.
Denn schon in den nächsten Jahren wird es Tage und Zeiten mit einer Vollversorgung durch erneuerbare Energien beim Strom geben. Das war früher nicht vorstellbar. Noch in den 1980er-Jahren hat die damalige Bundesregierung verlautbaren lassen, technisch seien mehr als 4 % Erneuerbare im Strommix nicht möglich. Nun wurde technisch das Gegenteil bewiesen. Wir haben einen höheren Anteil.
Trotzdem wird es natürlich im Übergang auch in Zukunft Zeiträume geben, in denen die Erneuerbaren nur einen Bruchteil des Bedarfs decken; das ist ganz klar.
Was brauchen wir deshalb? – Neben dem Netzausbau ist die zeitliche Verschiebung des Stromverbrauchs notwendig. Ich denke, dass wir gerade in Nordrhein-Westfalen hier sehr große Potenziale haben. Auch unsere Industrie kann einen erheblichen Beitrag dazu leisten. Das sind die Herausforderungen der Energiewende. Wir brauchen Speicher. Im Übergang brauchen wir in der Tat auch fossile, aber vor allen Dingen flexible Kraftwerke.
Das ist kein Ablenkungsmanöver, sondern das Ansprechen der Herausforderungen der Energiewende und der Vorschläge für deren Lösung.
Sie lenken hier nur von den Problemen der Bundesregierung ab; denn in Bezug auf die Frage des neuen Strommarktdesigns hat Ihr Bundeswirtschaftsminister als einzige Idee bisher hektisch und kurzfristig den massivsten Eingriff in den Markt, den man sich vorstellen kann, nämlich ein Abschaltverbot, ins Gespräch gebracht.
Das letzte Ablenkungsmanöver ist nun das nach Ihrer Auffassung angebliche Kompetenzgerangel zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium. – Dieses Kompetenzgerangel haben Sie im Bund. Wenn Herr Altmaier, Ihr Bundesumweltminister, sagt, mit ihm nehme die Energiewende nun die Stellung ein, die sie verdiene, klingt das nicht wie ein Versprechen, sondern viel eher wie eine Drohung – eine Drohung für die erneuerbaren Energien, eine Bedrohung für die Energiewende.
(Christian Lindner [FDP]: Hier spricht die Solarlobby!)
Wir hatten noch nie einen Bundesumweltminister, der sich so wenig für Umwelt und für Klima eingesetzt hat wie dieser. Das muss ein Ende haben.
(Christian Lindner [FDP]: Solarlobby!)
Wir lenken hier nicht ab. Sie lenken von Ihren Problemen auf Bundesebene ab!
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun dem Kollegen Rohwedder das Wort.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was ich in der letzten Plenarwoche hier schon über die CDU sagen musste, muss ich leider wiederholen: Wir haben es mit einer Partei zu tun, die ohne Wahlprogramm angetreten ist und sich im Umwelt- und Energiebereich sowohl im Ausschuss als auch im Plenum als reine Spaßpartei darbietet.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Heute sprach der erste Redner der CDU davon, dass es mit der EEG-Umlage so nicht weitergehen könne. – Ich glaube, Sie ahnen gar nicht, wie recht Sie damit haben. Die EEG-Umlage ist dazu da, für Bürger, die sich an der Energiewende beteiligen wollen, Rechtssicherheit zu schaffen. Es ist ein Unding, was dort im Moment in Berlin gemacht wird: Man fährt das Ganze immer weiter herunter, hält sich nicht an die selbst vorgegebenen Regeln und verunsichert die Bürger, die sich gerne an der Energiewende beteiligen wollen.
(Christian Lindner [FDP]: Es gibt auch ein paar Bürger, die das bezahlen müssen, Herr Rohwedder!)
– Ja, das ist nicht Ihr Problem. Das wissen wir. Sie können alles bezahlen. Sie können auch den schönen Atomstrom bezahlen. Kein Problem für Sie. Wir reden aber hier von den Bürgern.
(Beifall von den PIRATEN)
Es gibt im EEG eine Befreiung für Wirtschaftsbetriebe, die viel Strom verbrauchen. Für viele Betriebe bedeutet das, dass es sich für sie lohnt, mehr Strom zu verbrauchen anstatt weniger, weil sie dann von der EEG-Umlage befreit werden. Das ist ein Unding. Das ist kontraproduktiv. Das führt nicht zu mehr Energieeffizienz und nicht zu mehr Sparsamkeit.
Das Gleiche gilt für die Netzdurchleitungsgebühren. Die wirklichen Großverbraucher werden von den Netzdurchleitungsgebühren befreit. Die Kosten für die Netzdurchleitung werden auf alle anderen Gebührenzahler umgelegt.
Das heißt, in beiden Fällen bezahlen die Bürger durch eine direkte Subvention für Großverbraucher und Großbetriebe. Man hat sozusagen die Subventionierung privatisiert. Das ist auch ein Unding.
(Beifall von den PIRATEN)
Zu alledem äußern Sie sich hier in Ihren Redebeiträgen und Ihrem Antrag nicht.
Es gibt auch kein Wort zum Peak Oil, dazu, dass noch andere Energieträger knapp und teurer werden. Obwohl es Ihnen angeblich um die Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen geht, wird hier nur über Strom gesprochen.
Wir brauchen Blockheizkraftwerke. Wir brauchen Speicher. Wir brauchen eine Regionalisierung und eine Dezentralisierung. Wir brauchen keine Dinosaurier, denen man in Wirklichkeit schon vor 20 Jahren den Kopf abgeschlagen hat, bloß dass die Information an der Schwanzspitze noch nicht angekommen ist. Deshalb zuckt die CDU noch.
(Beifall von den PIRATEN)
Herr Deppe hat mehr Transparenz eingefordert. Das fand ich gut. Ich will Ihnen einmal ein bisschen Transparenz vermitteln. Ich sage Ihnen einmal ein paar Zahlen, die hier in der Diskussion heute noch nicht genannt wurden: E.ON 2005 100.000, 21.07.2006 100.000, 2008 50.000, 2009 50.000, Evonik RAG 14.02.2006 70.000, 21.01.2008 70.000, 28.01.2009 70.000, 2007 30.000, 2006 12.000, 2010 35.000.
Können Sie mir sagen, was das für Zahlen sind? – Herr Deppe, wissen Sie das? Das sind die Parteispenden, die Sie von diesen Konzernen gekriegt haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Diese Liste ist garantiert unvollständig. Das wäre aber Transparenz bei Parteispenden. Das ist in der Tat noch verbesserungsfähig. Da gebe ich Ihnen völlig recht.
Ein zweiter Punkt: Für das Geld, das Sie bekommen haben, hätte ich hier mehr erwartet. Das war ziemlich kläglich, was Sie heute hier abgeliefert haben. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Duin das Wort.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich will die Zeit meiner Rede nutzen, um Ihnen noch einmal zu verdeutlichen, warum wir eigentlich eine solche intensive Diskussion über die zur Verfügung stehenden und in der Zukunft zur Verfügung stehenden Kraftwerkskapazitäten haben.
Denn es geht im Kern ja gar nicht darum, ob man ein Gutachten dazu macht und wer das macht, sondern es geht darum, dass wir – anders als Herr Brockes vorhin vermutet hat – nicht von irgendetwas ablenken, sondern als Landesregierung den Blick auf wohl mit das zentralste Problem und die zentralste Herausforderung bei dieser Energiewende richten. Wir richten den Scheinwerfer darauf und wollen nicht von irgendeiner Verantwortung oder anderen Dingen ablenken.
Deswegen will ich das in aller Nüchternheit noch einmal erklären.
Damit sich eine Investition in eine konventionelle Anlage, in ein konventionelles Kraftwerk lohnt, damit sie rentabel ist, muss auf dem Strommarkt ganz schlicht ein entsprechender Strompreis erzielt werden.
Gemäß der Systematik in Deutschland wird der Strompreis – in einer Variante jedenfalls – über die Börse gebildet. Danach bestimmen die variablen Kosten der Stromerzeugung die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Beginnend mit den niedrigsten Grenzkosten werden so lange Kraftwerke mit dann steigenden Grenzkosten hinzugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist.
An der Strombörse, sehr verehrte Damen und Herren, bildet das letzte Kraftwerk, das zugeschaltet wird, den Preis. Den Preis bestimmt das letzte Gebot. Der Preis für Strom wird also durch das jeweils teuerste Kraftwerk – meistens sind das übrigens Öl- oder Gaskraftwerke – bestimmt, das noch benötigt wird, um die jeweilige Stromnachfrage zu decken.
Hinzu kommt der Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien, der gegebenenfalls das zuletzt zugeschaltete Konventionelle, also das Teuerste, verdrängt mit dem Effekt, dass der Börsenpreis sinkt.
Sehr verehrte Damen und Herren, da sich die Erlöse eines Kraftwerks über die gelieferte Strommenge generieren – das ist ja auch, glaube ich, allen nachvollziehbar –, fehlt, wenn die Abnahmemenge durch den gerade von mir skizzierten Effekt entsprechend einbricht, die Bereitschaft, Reservekapazitäten aufzubauen bzw. aufrechtzuerhalten und in deren Auslastung zu investieren.
Das ist sozusagen die Ursache für die zurzeit geringen Investitionen im Kraftwerksbereich, weswegen Attentismus herrscht.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Bei dem derzeit wohl weltweit effizientesten Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Irsching 4 in Bayern liegt die Auslastung im Schnitt bei rund 50 %, obwohl es das Neueste ist, was es gibt. Dieses auch von vielen anderen Experten gewählte Beispiel zeigt, dass die Ursachen für solche Dinge nicht in der Landespolitik liegen.
Die Folgen könnten allerdings sein, dass wir in der Tat aufgrund dieser abwartenden Haltung der investierenden Konzerne in Kapazitätslücken hineinlaufen.
Deswegen ist es so wichtig, eine Debatte über mögliche Anreizsysteme zu führen. Und die wird im Moment allenthalben aller Orten geführt. Die führt man aber am besten auf der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Grundlage.
Wir sind gerade dabei, uns genauso, wie es in Berlin geschieht, die einzelnen Vorschläge hinsichtlich solcher Begrifflichkeiten wie Kapazitätsmodell oder strategische Reserve anzugucken und zu diskutieren.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat in diesem Jahr auch ein Gutachten in Auftrag gegeben, und zwar mit dem Titel: „Untersuchung zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign“. Das hat man sich angeguckt. Das haben wir uns angeguckt. Das Bundeswirtschaftsministerium – von der Spitze angefangen – hat dieses Gutachten als einen wichtigen Beitrag zur Debatte bezeichnet, aber hinzugefügt, dass man damit noch nicht zu einem abschließenden Urteil darüber gekommen ist, wie ein solcher Strommarkt der Zukunft denn aussehen soll.
Es gibt eine ganze Reihe von anderen Gutachten. Ich will den Blick auf eines lenken, das Sie gleich gerne bei mir einsehen können – vielleicht haben Sie es auch selber zugeschickt bekommen –, nämlich die Prognos-Studie zu dem Thema „Bedeutung der thermischen Kraftwerke für die Energiewende“. Sie hatte einen anderen Auftraggeber, aber ich nehme an, dass Prognos – wir werden es nachlesen können – nicht zu grundsätzlich anderen Ergebnissen kommt.
(Thomas Kufen [CDU]: Also kennen Sie das Gutachten auch nicht!)
In der Prognos-Studie „Bedeutung der thermischen Kraftwerke für die Energiewende“ kommen die Gutachter zu drei Punkten:
Erstens. Erneuerbare Energien bieten auch in 2050 eine gesicherte Leistung von ca. 20 GW.
Zweitens. Selbst unter der Annahme, dass der Gesamtbedarf an gesicherter Leistung bis dahin um 6 GW sinkt, werden thermische Kraftwerke auch in beinahe 40 Jahren noch Kapazitäten von bis zu 51 GW aufbringen müssen, um die erwartete Jahreshöchstlast in Deutschland abzudecken.
Drittens. Das hat zur Folge, dass im konventionellen Bereich Erzeugungskapazitäten langfristig erhalten bleiben müssen, um die Versorgungssicherheit nicht zu beeinträchtigen.
Das bringt mich zu folgenden politischen Schlussfolgerungen, die im Übrigen in der Landesregierung nicht infrage gestellt werden und die Sie genauso im Koalitionsvertrag nachlesen können: Der fossile Kraftwerkspark in Nordrhein-Westfalen sichert den erfolgreichen Verlauf der Energiewende und den Erhalt der Versorgungssicherheit. Deswegen kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass wir ein großes Interesse an einer Erneuerung haben und dies politisch begleiten.
(Beifall von der SPD)
Ohne eine konventionelle Erzeugung in Nordrhein-Westfalen wird die Energiewende in der gesamten Bundesrepublik nicht gelingen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP – Christian Lindner [FDP]: Da hat keine grüne Hand geklatscht! – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Jede Forderung nach einem forcierten Ausstieg ist eine Gefährdung für den Industriestandort. Deswegen brauchen wir ein Marktdesign, das die gemeinsam verabredeten, auch von der Bundesregierung beschriebenen Ausbauziele bei den Erneuerbaren erreichbar werden lässt und gleichzeitig den Erhalt der fossilen Erzeugung ermöglicht. Da unterscheiden wir uns im Land von dem, was in Berlin passiert.
(Christian Lindner [FDP]: Nein, Sie unterscheiden sich zwischen denen [zeigt auf die GRÜNEN] und denen [zeigt auf die Landesregierung]!)
Wenn die Kooperationsfähigkeit und der Wille zur Zusammenarbeit zwischen Herrn Altmaier und Herrn Rösler nur halb so gut ausgeprägt wären wie zwischen Herrn Remmel und mir, dann wären wir in Deutschland schon sehr viel weiter bei dem Thema „Energiewende“.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.
Wir kommen zur Abstimmung über den Eilantrag. Nach unserer Geschäftsordnung ist über Eilanträge direkt abzustimmen. Wir stimmen deshalb ab über den Inhalt des Antrags der Fraktion der CDU. Ich darf Sie fragen, wer für den Antrag stimmt. – Wer ist dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Eilantrag Drucksache 16/1544 mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt.
Wir kommen zu:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/300
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1300
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1562
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1566
Finanzplanung 2011 bis 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1221
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/302
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1301
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/176
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/1238
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der CDU Herrn Kollegen Dr. Optendrenk das Wort.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich mit dem Haushalt in dritter Lesung beschäftige, möchte ich zunächst dem Kollegen Körfges – anschließend an die letzte Debatte zum Haushalt – herzliche Grüße von Herrn Weisbrich bestellen. Er hatte im letzten Jahr mit Ihnen über die Frage gewettet, wie der Länderfinanzausgleich am Ende dieses Jahres aussieht, und hat eingestanden, dass er die Wette verloren hat – egal, welche Gründe es sind, darüber haben wir schon diskutiert. Sie waren offensichtlich besser in der Wettervorhersage. Deshalb gibt es nachher in einer schwarzen Verpackung eine Flasche roten Weines mit herzlichen Grüßen von Herrn Weisbrich.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börschel zulassen? – Bitte schön.
Martin Börschel*) (SPD): Ich wusste nicht, dass der Kollege Weisbrich aus dem Ostwestfälischen stammt. Sie wissen doch, dass Herr Körfges versprochen hatte, den Wein mit seinem Arbeitskreis zu teilen. Wir sind von einer Kiste ausgegangen und nicht von einer Flasche.
(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
Sind Sie darüber ähnlich enttäuscht wie wir?
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Wenn man sich den Haushalt anschaut, dann ist es besser, wenn Sie ihn – und auch den nächsten – sehr nüchtern betrachten.
(Allgemeiner Beifall)
Ich sage aber gerne zu: Für den Fall, dass Herr Körfges Ihnen etwas zu probieren gibt und er Ihnen schmeckt, bekommen Sie von mir noch eine weitere Flasche desselben Weins.
(Allgemeiner Beifall)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute am 333. Tag des Jahres 2012 berät der Landtag abschließend den Landeshaushalt für das laufende Jahr. Für Karnevalisten aus Köln und anderswo ist das sicher eine bemerkenswerte Nachricht. Für uns als Abgeordnete, zu denen ich mich zählen darf, ist es eher bedrückend.
Wenn sich dieser Landtag auf Dauer ernst nehmen will, dann darf so etwas nicht mehr vorkommen: ein Haushalt, den die Regierung fast elf Monate lang vollzogen hat, ohne dass es dazu irgendeine wirksame Ermächtigung durch das Parlament gegeben hat. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, was viele als „Königsrecht“ des Landtages bezeichnen, ist von der Landesregierung in den letzten 15 Monaten gleich mehrfach ausgehebelt worden. Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat das in deutlichen Worten als verfassungswidrig bezeichnet. Wir haben darüber bereits mehrfach hier beraten.
In den letzten Wochen haben wir dennoch diesen Haushalt – auch wenn er in der Sache fast Makulatur ist – im Parlament beraten, zuletzt am letzten Donnerstag im Haushalts- und Finanzausschuss. Dabei hat der Haushaltsentwurf drei wesentliche Korrekturen erfahren: Zum einen konnte aufgrund eines Sondereffektes im Länderfinanzausgleich die Nettoneuverschuldung im Plan auf 4,26 Milliarden € abgesenkt werden.
Ich darf das einmal in Vergleich zu 2011 setzen: Der Jahresabschluss 2011 wies eine Nettoneuverschuldung von 3,0 Milliarden € aus. Herr Minister, selbst wenn man die 1 Milliarde € für die WestLB jetzt wieder als Sondereffekt bezeichnen will, zeigt das: Die Neuverschuldung sinkt nicht, sie steigt strukturell an. Wie man so die Schuldenbremse 2020 schaffen will, das bleibt bislang Ihr Geheimnis.
Zum Zweiten hat die Koalition endlich die von ihr geplanten Einnahmen aus der Auflösung der Schul- und Studienfonds aus dem Etat gestrichen. Es ist jetzt amtlich: Die von der CDU bereits von Anfang an, auch vom Kollegen Weisbrich, als Luftbuchung bezeichneten Einnahmen von 170 Millionen € bei den Schul- und Studienfonds fließen nicht. Sie waren nie etatreif; das wusste die Landesregierung sehr wohl. Sie hat ziemlich genau versucht, das Parlament dennoch ein Stück weit – im Steinbrück‘schen Jargon – hinter die Fichte zu führen.
Zum Dritten schließlich findet sich nunmehr die WestLB-Milliarde im Haushaltsplan wieder. Herr Minister, das hätten Sie bereits im Dezember 2011 etatisieren müssen, weil Sie gewusst haben, dass Sie diese Ausgabe – in welcher Form auch immer – würden leisten müssen. Da kann man nicht die Landesverfassung und auch nicht die Landeshaushaltsordnung an die Seite schieben, weil man in Verhandlungen eine Position haben will. Da sind das Recht und auch § 11 Abs. 2 der Landeshaushaltsordnung bindend, der besagt:
„Der Haushaltsplan enthält alle im Haushaltsjahr … zu erwartenden Einnahmen, … voraussichtlich zu leistenden Ausgaben …,
– und es war seit Dezember 2011 klar, dass wir bei der WestLB antreten müssen –
… die voraussichtlich benötigten Verpflichtungsermächtigungen.“
Das heißt: Es war völlig klar, dass dieser Haushalt nicht vollständig war, als Sie ihn eingebracht haben.
Der heute zur Verabschiedung anstehende Landeshaushalt macht eines wirklich deutlich: Diese Regierung wollte nie ernsthaft sparen, und sie will es auch weiterhin nicht. Nordrhein-Westfalen ist das Schlusslicht bei der Haushaltskonsolidierung unter allen Bundesländern. Da hilft es auch nicht weiter, sich ständig hier im Landtag in epischer Breite über den Bundeshaushalt auszulassen. Nur zur Erinnerung: Der Bund wird die Vorgaben der Schuldenbremse bereits 2013 einhalten, Herr Minister,
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
auch wenn Sie sich an vielen Stellen intensiv damit befassen, was die Bundesregierung tut. Wir sollten uns hier im Landtag auf den Landeshaushalt konzentrieren.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Ich habe ja Verständnis dafür, dass Ihnen das nicht so ganz angenehm ist; denn Sie flüchten sich lieber auf andere Spielfelder: von Tokio über Washington nach Berlin. Bei dem, was Sie beim Landeshaushalt bisher geleistet haben, habe ich Verständnis dafür, wenn Sie eher die Reise antreten.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Vermeintlich präventive Schuldenmacherei ist weder nachhaltig noch verantwortlich. Das merken die Menschen im Lande. Das ist die Achillesferse dieser rot-grünen Landesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die in Ulm erscheinende „Südwest Presse“ hat kürzlich bei allen Finanzministerien eine Umfrage gemacht. Laut dieser Umfrage planen zehn von 16 Bundesländern, bereits vor 2020 keine neuen Schulden mehr zu machen oder sogar vorher schon zu tilgen.
Ich habe mir die Mühe gemacht, daraufhin die Haushaltspläne aller Bundesländer durchzusehen. Da macht man, Herr Minister, eine ganz erstaunliche Feststellung: In diesem Jahr – also 2012 – schreiben bereits sechs Länder mindestens eine schwarze Null. Einige tilgen sogar Altschulden. Es sind nicht nur Bayern und Sachsen, sondern auch Sachsen-Anhalt und Thüringen, die eine Tilgung vorsehen. Und es sind Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern, die eine schwarze Null für dieses Jahr anpeilen. Die letztgenannten werden übrigens von Sozialdemokraten mitregiert und gelten mit Ausnahme von Baden-Württemberg trotz aller Finanzhilfen nicht unbedingt als finanzstark. Aber es kommt offensichtlich nicht darauf an, ob sie nun Geber oder Nehmer im Länderfinanzausgleich sind. Bayern und Baden-Württemberg sind Geberländer, die anderen vier sind Nehmerländer. Alle sechs haben die schwarze Null oder tilgen. Daran kann es also nicht liegen.
Ich will Ihnen deutlich sagen, woran es liegt: Diese sechs Länder haben sich den Herausforderungen sowohl des demografischen Wandels gestellt als auch ihre Ausgaben nach den verfügbaren Einnahmen geplant und nicht wie Sie umgekehrt.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Schauen Sie sich einmal diese wunderschöne Tabelle an: Darauf sieht man nämlich – das kann man weder zum Etatvolumen noch zur Größe des Bundeslandes in Relation setzen, sondern das kann man einfach am Sparwillen dieser Regierung deutlich machen –: Diese Regierung spart nicht. Schauen Sie es sich genau an: Nordrhein-Westfalen hat die rote Laterne, und dieses Land hat sie deshalb, weil Sie so regieren, wie Sie regieren.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Sie verschieben nämlich die unbequemen Entscheidungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag und tragen deshalb zu Recht die rote Laterne, und das ist kein so erfreulicher Anlass wie vor einigen Wochen bei Sankt Martin.
Nein, das ist unfair und ungerecht gegenüber den jungen Menschen. Das ist eine schwere Hypothek für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Und wenn wir noch eine dieser Hypotheken ansprechen sollen, dann ist das ganz sicher die Hypothek WestLB. Mit 1 Milliarde € neuem Kapital für die Aufspaltung der Bank ist der Haushalt 2012 belastet worden. In den Folgejahren wird der Steuerzahler vermutlich noch weit höhere Summen für diese ehemalige SPD-Staatsbank bezahlen müssen.
Als Ministerpräsident Johannes Rau, sein Finanzminister Heinz Schleußer und der WestLB-Chef Friedel Neuber ihr Lieblingskind Anfang der 90er-Jahre zur drittgrößten Geschäftsbank in Deutschland machten, haben sie alle dieses Ende wohl nicht für möglich gehalten. Aber die heutigen Milliardenlasten und die zukünftigen Milliardenlasten sind das Ergebnis genau dieser fatalen Geschäftspolitik der drei SPD-Granden. Sie wollten ein immer größeres Rad drehen, eine SPD-Staatsbank betreiben, mitfinanziert aus einem Wohnungsbauvermögen des Landes. Dafür sollte die Bank nur einen symbolischen Zinssatz bezahlen, und andere Banken in Deutschland sollten dann übertrumpft werden; die mussten sich nämlich am Markt teurer refinanzieren.
Wettbewerbsverzerrung nenne ich das, und unzulässige Beihilfe hat man das in Brüssel genannt. In der Folge fielen dann Anstaltslast und Gewährträgerhaftung nicht nur bei der WestLB, sondern auch bei den Sparkassen und bei den anderen Landesbanken, und die Beihilfen mussten zurückgezahlt werden. Die Bank musste sich immer häufiger rechtfertigen und machte immer riskantere Geschäfte.
Ich erinnere daran: 1998 geriet die WestLB in den Strudel der Rubelkrise, weil sie kräftig in Russland investiert hatte. Anschließend wurde in London das Investmentbanking ausgebaut. Da sollte dann mit Fernseh- und Kühlschrankleasing in England, mit Flugzeugleasing in den USA oder mit Projektfinanzierung wie beim Wembley-Stadion Geld verdient werden. – Alles Geschichte, aber sie kostet uns heute und in Zukunft viel Geld. Die WestLB versuchte damals, ein Loch mit dem nächsten zu stopfen.
Ich möchte festhalten: Mit der Integration des Wohnungsbauvermögens in die Bank Anfang der 90er-Jahre und der Großbankstrategie von Herrn Rau, Herrn Schleußer und Herrn Neuber ist die Schraube völlig überdreht und der unaufhaltsame Niedergang der WestLB eingeleitet worden. Sie, Herr Minister, waren Zeitzeuge,
(Heike Gebhard [SPD]: Sie aber auch!)
und Sie wissen, dass ich recht habe. – Deshalb mutet es schon etwas seltsam an,
(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
wenn Sie immer wieder versuchen, die Kosten für die Abwicklung der WestLB aus der Neuverschuldung des Landes herauszurechnen. Diese Lasten, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind ja nicht die Folge eines Meteoriteneinschlags, für den niemand etwas kann – nein, sie sind die Ursache ganz konkreter Entscheidungen führender SPD-Politiker in den 90er-Jahren.
(Beifall von der CDU)
Der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen zahlt heute und in Zukunft für das System Rau und Neuber. Deshalb sind es Ihre Schulden, sind es Ihre Lasten und ist das kunstvolle Hin- und Herrechnen keine seriöse Finanzpolitik, sondern kreative Buchführung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU wird dem vorliegenden Haushalt 2012 nicht zustimmen; denn er erhöht die Schuldenlast des Landes in unverantwortlicher Weise, er ist unter Missachtung der Rechte des Parlamentes viel zu spät eingebracht worden, und er zeigt, dass die Landesregierung auch in Zukunft lieber Schulden machen als notwendige Strukturentscheidungen treffen will. Die Regierung Kraft hat die rote Laterne in der Finanzpolitik, und das hat seine guten Gründe. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Börschel das Wort.
Martin Börschel*) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Finanzminister hat bei der Einbringungsrede zum Haushalt 2012 nach der Landtagswahl davon gesprochen, dass drei Elemente diesen Haushalt konkret und die Finanzpolitik der rot-grünen Landesregierung allgemein kennzeichnen: zum einen, gezielt sparen zu wollen, zum anderen, gezielt in Zukunft zu investieren, und zum dritten, dies mit angemessenen Einnahmen zu kombinieren.
Wenn man all diese Dinge herunterbricht auf den Haushaltsentwurf, den wir heute zur abschließenden Beratung im Rund des Parlaments vorliegen haben, stellt man fest: Genau diese Punkte werden von diesem Haushalt erfüllt. Der Haushalt setzt die richtigen Schwerpunkte und bildet die nachhaltige und an Zukunftsinvestitionen orientierte Finanzpolitik der Regierung und der rot-grünen Koalition ab.
Ich will auf alle drei Punkte kurz eingehen und dafür Beispiele nennen.
Wir investieren gezielt in frühkindliche Bildung und Betreuung. Alleine 214 Millionen € werden wir mehr in diesen Bereich geben, und zwar allein in diesem Haushalt. Noch deutlicher sieht der Vergleich aus, wenn man einmal die ersten zwei Jahre Rot-Grün mit den ersten zwei Jahren Schwarz-Gelb vergleicht. Das ist immer eine schöne Zwischenbilanz, die man ziehen kann. 850 Millionen € mehr hat die rot-grüne Koalition im Vergleich zur schwarz-gelben nach zwei Jahren in diesem Bereich investiert. Das ist, glaube ich, ein gutes Zeichen.
(Beifall von der SPD)
Wir investieren gezielt in Bildung. Kleinere Lerngruppen, mehr individuelle Förderung, gemeinsamer Unterricht, Ausbau von Ganztagsangeboten sind nur einige der Punkte, die man in diesem Bereich nennen kann. Auch hier zeigt sich sehr eindrucksvoll, dass die rot-grüne Regierung richtige Schwerpunkte bei ihren Zukunftsinvestitionen setzt.
Dritter Punkt: Wir investieren gezielt in den Übergang von der Schule in den Beruf, und zwar mit einer Reihe von Förderangeboten. Dieser Bereich ist Kernbestand unserer Präventionspolitik. Alleine 70 Millionen € fließen in diesem Haushalt, ergänzt um Mittel anderer, in diesen Schwerpunktbereich der Regierung und dokumentieren einmal mehr, dass präventive Politik, die wir hier setzen und leben wollen, wirklich eine Zukunft hat.
Wir haben viertens die Studiengebühren abgeschafft und den Hochschulen 124 Millionen € als Kompensationsmittel bereitgestellt. Damit investieren wir gezielt in den akademischen Nachwuchs, den wir dringend brauchen, allerdings ohne soziale Barrieren und ohne junge Menschen von einem Studium abzuhalten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist ein wichtiges Anliegen unserer Politik.
Wir investieren – und damit bleibe ich im Wissenschaftsbereich – gezielt zum Beispiel in die Medizinregion Ostwestfalen-Lippe durch Kooperation der Universitäten Bielefeld und Bochum mit den Kliniken in OWL, und zwar um mehr Medizinstudierende während ihrer Praxisphase in diese Region zu holen. Das ist ein wichtiger Beitrag, nachhaltig und finanziell verantwortbar, gegen Ärztemangel im ländlichen Raum. Auch hierfür schaffen wir erste Vorsorge und erste Möglichkeiten im Haushalt 2012.
Ich möchte nur am Rande sagen – wir werden dazu ja noch eine Debatte haben –: Die CDU hat diesen ersten Schritt, den wir zum Haushalt 2012 durch einen Änderungsantrag dokumentiert haben, glattweg abgelehnt, wie übrigens auch die FDP, und damit dokumentiert, dass sie kein Interesse an der Stärkung der Medizinregion Ostwestfalen-Lippe hat.
(Beifall von der SPD)
Wir haben gezielt in Rahmenmittel für das Teilhabe- und Integrationsgesetz investiert. Wichtige Weichenstellungen in der Integrationspolitik können wir vornehmen, indem 54 kommunale Integrationszentren geschaffen werden, die damit den Kern zum Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur bieten.
Auch da zeigt sich wieder ganz deutlich: Die Fraktionen der rot-grünen Landesregierung machen diese Schwerpunktaufgabe so, dass die Kommunen nicht im Regen stehengelassen, sondern gezielt unterstützt werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag für eine gezielte Zukunftsinvestition.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Um mit dem Bereich der Investitionen zu schließen, lassen Sie mich eines noch ganz deutlich sagen: Wir haben mit der Haushaltssanierung zulasten der kommunalen Kassen Schluss gemacht. Es war die schwarz-gelbe Regierung, die scharmlos angefangen und fortgesetzt hat, Landeshaushalte mit Raubzügen durch die kommunalen Kassen zu sanieren. Das haben wir beendet: 8,4 Milliarden € werden in diesem Jahr in die Finanzausgleichsmasse fließen, und es wird 8,1 Milliarden € Zweckzuweisung an die Kommunen geben. Beides ist ein Rekord und ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir die Kommunen nicht alleine lassen und mit dem Raubzug in deren Kassen endlich Schluss machen. Auch das kann sich die Regierung ans Revers heften.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zum Zweiten – das ist von Ihnen verschiedentlich angesprochen und auch kritisiert worden – stehen im Entwurf 750 Millionen € globale Minderausgaben. Diesen Teil werden wir erbringen können. Diese Sparanstrengung schafft die Regierung. Auch daran sieht man, dass trotz anwachsender innerer Dynamik hinsichtlich der Ausgabepositionen im Haushalt selbstverständlich auch konsolidiert wird und dieser Teil funktioniert.
Kommen wir drittens zur Einnahmenseite: Die Regierung kalkuliert mit 43,1 Milliarden € Steuereinnahmen. Damit sind wir erst heute wieder bei dem Niveau angelangt, das wir 2008 hatten. Das ist doch eine Wahrheit, der wir uns alle miteinander nicht verschließen können. Erst heute haben wir die Delle, die seit 2008 entstanden ist, wieder gerade eingeholt – und das, obwohl die innere Dynamik unseres Haushalts wie die Personalausgaben und andere Ausgaben mindestens auf Inflations- oder Tarifsteigerungsniveau ansteigen. Das heißt: Die Schere ist dort immer weiter auseinandergegangen, aber trotzdem ist es dieser Regierung gelungen, die Nettoneuverschuldung auf 4,2 Milliarden € zu drücken. Darin ist die WestLB-Milliarde enthalten. Bereinigt um diesen Sondereffekt haben wir also eine Neuverschuldung von 3,2 Milliarden € – und das, obwohl die schwarz-gelbe Regierung seinerzeit mit 6,6 Milliarden € noch mehr als das Doppelte geplant hatte. Ich finde, das kann die Regierung wirklich stolz dokumentieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Uns ist klar: Der Weg zur Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2020 wird schwer. Wir haben fest vor, diesen Weg zu beschreiten und zu gehen. Fakt ist aber auch: Bei der inneren Ausgabendynamik unserer Haushalte müssen wir auch gezielt auf die Einnahmenseite schauen. Wir müssen darauf achten, dass die Einnahmen zur Finanzierung der Staatsaufgaben dem entsprechen, was die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Staat erwarten.
Es sind ja keine rot-grünen Fantastereien, wenn es darum geht, den Staat dafür sorgen zu lassen, dass wir eine ausreichende Infrastruktur haben, dass wir gute Bildungs- und Betreuungsangebote haben, dass in frühkindliche Bildung investiert wird, dass wir eine ordentliche Wirtschafts- und Kulturpolitik haben und vieles mehr. Das ist das, was sich die Menschen im Lande von uns wünschen.
Dies wurde im Übrigen auch durch das Wahlergebnis von Mai dieses Jahres zum Ausdruck gebracht. Daran muss sich messen lassen, was sich der Staat an Einnahmen organisieren muss. Deswegen fordern wir dringend, dass die Bundesregierung hier auch ihren Beitrag dazu leistet und nicht nur die Kommunen – das bleibt nach wie vor drängende Aufgabe –, sondern auch die Länder mit den Möglichkeiten ausstattet, die Einnahmen der Situation anzupassen, was die Bürgerinnen und Bürger von ihnen erwarten.
Damit muss man zu dem kommen, was die Oppositionsfraktionen zum Haushalt beigetragen haben.
Ich will mit der Fraktion der Piraten beginnen, die als einzige eine nennenswerte Anzahl von Änderungsanträgen in die Haushaltsplanberatungen eingebracht haben. Allerdings muss man feststellen: Sie haben hier recht nonchalant die Rolle der Linken übernommen.
(Lachen von den PIRATEN)
Von allem das Beste und davon am liebsten noch mehr – das ist sozusagen Ihr Credo bei diesen Punkten. Eine Million und eine Milliarde nach der anderen geben Sie aus, als hätten wir keine Schuldenbremse und als ob wir keine Schwierigkeit hätten, zur Schuldenbremse hinzukommen.
(Robert Stein [PIRATEN]: Sie haben ja keine ausgegeben! Wir wollen jetzt!)
Das ist im Grunde Ihr finanzpolitisches Ziel: immer nur mehr ausgeben, ohne zu sagen, wo man sparen soll. Dann bekennen Sie sich dazu, dass Sie die Schuldenbremse nicht interessiert. Das ist zumindest ein Profil, das sich die Piraten geben können.
Ansonsten bleiben von Ihnen, von der Fraktion, die sich Piraten nennt, oder von den Piraten, die sich Fraktion nennen – das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen –, finanzpolitisch nur ein paar Einzelne übrig, die Strafanzeige gegen den Finanzminister einreichen, weil er Steuer-CDs ankauft.
Leute aus Ihren Reihen schwadronieren, dass man zur Not auch ein paar Sparkassen pleite gehen lassen kann, weil man die Abwicklung der WestLB nicht im Haushalt berücksichtigen muss.
Dort, wo Sie wenigstens von den Gedanken her in die richtige Richtung gehen, ist es dann auch noch besser geklaut als selbst erfunden, nämlich zum Beispiel Ihre Gedanken zu dem Thema „Mehr Transparenz für die NRW.BANK“. Sie haben schon im Haushaltsausschuss gesagt, dass Sie viele der Grundüberlegungen, die Sie dort angestellt haben, aus einem Antrag der SPD aus der vorvergangenen Legislaturperiode entlehnt haben. Ich finde, das können Sie dann auch offen zugeben.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Dann machen Sie es doch, dann müssen wir es nicht einbringen!)
Dort, wo Sie in die richtige Richtung denken, schreiben Sie auch noch ab. Das ist, meine ich, nicht die feine englische Art. Das muss man hier sagen.
(Beifall von der SPD)
Kommen wir zur FDP, die sich aus den Haushaltsberatungen gleich ganz herausgehalten hat.
(Robert Stein [PIRATEN]: Besser so!)
Dies ist auch eine Art, mit dem Haushalt umzugehen. Das Einzige, was Sie jetzt zustande gebracht haben, ist, einen schwächlichen, vor Allgemeinplätzen strotzenden Entschließungsantrag heute ins Parlament einzubringen. Wenn das der Beitrag der FDP zur Haushaltspolitik des Landes Nordrhein-Westfalen ist, dann ist mir um Ihre Zukunft noch mehr bange, als Ihnen selbst sein müsste.
(Lachen von der FDP – Christian Lindner [FDP]: Oi, oi, oi!)
Ich möchte herzlich darum bitten, dass Sie sich in Zukunft konstruktiver in die Debatten einbringen.
(Christian Lindner [FDP]: So viel Fürsorglichkeit!)
– Ja, Sie sind doch für den fürsorgenden Sozialstaat, Herr Kollege Lindner.
(Lachen von der SPD)
Insofern möchte ich mich auch fürsorglich an die FDP wenden.
Mehr Zeit muss, will, darf und kann ich auf die Kolleginnen und Kollegen der CDU verwenden. Herr Kollege Optendrenk, wenn Sie der Regierung tatsächlich und ernsthaft vorwerfen wollen, dass wir erst heute, am 28. November 2012 – das Datum wird mir durchaus in Erinnerung bleiben –, den Haushalt 2012 in der dritten Lesung beraten, dann kann ich nur sagen: Ja, meine Güte, Sie hatten es doch in der Hand. Hätten Sie damals dem Haushalt zugestimmt, dann müssten wir heute nicht darüber reden. Dann hätten wir ihn längst, und gute Politik hätte früher umgesetzt werden können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Jetzt der Regierung die Landtagswahl vorzuwerfen, das grenzt wirklich an absolute Absurdität. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man das ernsthaft von Ihrer Seite aus vortragen kann.
(Zuruf von der FDP)
Ein zweiter Punkt in Ihre Richtung: Sie haben dem Finanzminister vorgeworfen, dass er sich in bundespolitische Debatten einmischt, dass er internationale Debatten verfolgt, dass er neben mikroökonomischen Themen, die den Haushalt direkt angehen, auch makroökonomische Themen im Blick hat. Meine Güte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind doch froh, dass wir endlich einen Finanzminister haben, der über den Tellerrand hinausblickt. Wir sind doch froh, dass wir einen Finanzminister haben, der dafür sorgt, dass die Interessen Nordrhein-Westfalens in der Republik und darüber hinaus auch endlich wieder wahrgenommen werden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es ist doch ihm und der gesamten Landesregierung zu verdanken, dass wir ein extrem unfaires und auf dem Gedanken des ehrlichen Steuerzahlers herumtrampelndes Steuerabkommen mit der Schweiz endlich verhindern konnten, weil es eben nicht gerecht ist, weil es in hohem Maße die Käuflichkeit von Ländern dokumentiert hätte, wenn man sagt: Für ein paar Silberlinge macht man dieses Konstrukt mit.
Nein, wir sind dankbar, dass Ministerpräsidentin Kraft, dass Finanzminister Norbert Walter-Borjans dieses Steuerabkommen verhindert haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Insofern ist es richtig, dass sie sich auf anderen Ebenen bewegen. Jetzt kann die Losung nur lauten: schleunigst nachverhandeln! Das hat im Vermittlungsausschuss gar nichts zu suchen. Denn welchen Kuhhandel wollen Sie denn da anbieten? Wollen Sie das Steuerabkommen gegen die Herdprämie oder gegen etwas anderes tauschen? Die Herdprämie ist ja durch. Die haben sie sich ja von der CSU abringen lassen. Nein, das kommt überhaupt nicht infrage.
Neu verhandeln bedeutet: mindestens Standards setzen, wie sie die USA mit der Schweiz mit dem FATCA-Abkommen hinbekommen haben. Das muss doch das Ziel sein.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Und Finanzminister Walter-Borjans wird dafür sorgen, dass die Stimme Nordrhein-Westfalens in dieser Situation gehört wird.
Drittens. Herr Kollege Optendrenk, wenn Sie jetzt in schamloser Art und Weise versuchen, die Lasten der WestLB alleine der Sozialdemokratie und der rot-grünen Regierung anzuhängen, dann ist das wirklich eine Geschichtsklitterung und eine Amnesie sondergleichen, die Sie hier dokumentieren. Es war Ihre Regierung, es war Ihr Finanzminister, der bei Übernahme der Regierung 2005 gesagt hat: Wir wollen die Braut aufhübschen, um sie am Ende meistbietend an den Markt zu bringen und damit für die Landeskasse auch noch etwas zu bekommen.
Es war Ihre Regierung, die die WestLB dadurch aufhübschen wollte, dass sie sie an den Tropf der Sparkassen gehängt hat, indem man ihnen über die Vertikalisierung wichtige Bereiche ihres Geschäftes wegnehmen wollte, um damit die WestLB zu päppeln – einzig mit dem Ziel, dass Sie sie verkaufen können. Was ist daraus geworden? Das Gegenteil ist der Fall. Die Lasten, die wir jetzt im Haushalt in den nächsten Jahren abbilden müssen, zeugen eindrücklich davon. Sie müssen sich entgegenhalten lassen, dass sich die WestLB zu Ihrer Regierungszeit noch mit risikobehafteten Themen vollgesogen hat, die jetzt mit ein Problem ausmachen, das wir heute abzuarbeiten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein dringendes Plädoyer – wir waren da im Haushaltsausschuss auch schon einmal einen Schritt weiter –: Lassen Sie uns aufhören zu sagen, ihr wart dieses, die anderen waren jenes. – Wir tragen alle miteinander heute an den Lasten der WestLB. Daran sind die einen nicht mehr schuld als die anderen. Ich finde aber, es gehört zur Ehrlichkeit und Fairness dazu, Herr Kollege Optendrenk und liebe CDU-Fraktion, dass Sie das auch eingestehen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Letzter Punkt in Ihre Richtung: Entgegen der Ankündigung Ihres Fraktionsvorsitzenden Laumann haben auch Sie nichts zu den Haushaltsberatungen hier in diesem Rund geliefert. Herr Laumann hat in der Antwort auf die Regierungserklärung der Ministerpräsidenten gesagt: Es ist nur noch eine Frage kürzester Zeit, und wir könnten uns endlich mit den Vorschlägen der CDU-Opposition beschäftigen.
Der haushaltspolitische Sprecher Optendrenk musste das im Haushalts- und Finanzausschuss, peinlich berührt, zurücknehmen und sagen: Das war nicht für 2012 gemeint, sondern es kommt 2013. In der letzten Sitzung hat er dann wieder gesagt: Es kommt gar nichts, es sei ja Aufgabe der Regierung. Die Opposition wolle da der Regierung die Arbeit nicht wegnehmen.
Ich fordere Sie auf: Machen Sie Schluss mit diesem ständigen Hin und Her, Herr Kollege Laumann. Sagen Sie endlich: Gibt es Vorschläge der CDU-Opposition zum Haushalt und zur Zukunftslinie dieses Landes, oder gibt es sie nicht? Wie halten Sie es mit Studiengebühren? Wie halten Sie es mit der Kita-Beitragsfreistellung und anderen Dingen mehr? Sagen Sie es ehrlich, und hören Sie auf, hier ständig Unklarheiten zu verbreiten!
Wer sich allerdings wie die CDU-Fraktion mit derartiger Hingabe darüber streitet, ob nun 28 Bilder eines Parteivorsitzenden in einer Broschüre zu viel und drei Bilder eines Fraktionsvorsitzenden zu wenig sind, der hat natürlich keine Energie mehr, sich um die Zukunftsthemen dieses Landes im Landtag zu kümmern. Dafür habe ich Verständnis. Aber kommen Sie zurück, indem Sie sich endlich um die Sachprobleme dieses Landes kümmern!
Und wenn Sie – damit will ich schließen – tatsächlich jetzt das düstere Szenario malen und sagen, NRW sei haushaltspolitisch auf dem Weg in den Abgrund, dann erwidere ich: Bei aller Skepsis, die ich Ratingagenturen gegenüber klar zum Ausdruck bringen möchte, hat gerade aktuell noch die Ratingagentur Fitch dem Land Nordrhein-Westfalen Bestnoten testiert, mit den Finanzen und den Zukunftsaussichten sei es in Ordnung. Das sollte doch einen Eindruck bei Ihnen hinterlassen.
Gut, dass wir über diesen Haushalt heute abstimmen. Wir werden den Weg weitergehen. Die Richtung stimmt und die Zukunft auch. Ich hoffe, Sie gehen den Weg mit. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Börschel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal vorweg – weil die CDU es offensichtlich bis jetzt nicht verstanden hat und die FDP es auch leugnet –: Dieser Haushalt ist verfassungskonform. Er ist rechtzeitig eingebracht worden. Er ist auch, was die Grenze nach Art. 83 der Landesverfassung betrifft, verfassungskonform. Es ist schlicht falsch, dass – so wie Sie es behaupten – das Landesverfassungsgericht diesen Haushalt, der heute zur Abstimmung vorliegt, als verfassungswidrig oder verspätet eingebracht bezeichnet hätte. Das ist schlicht falsch.
Sie wissen das auch, denn die Klage der Linken bezog sich auf den Haushalt der 15. Legislaturperiode. Und der ist für verfassungswidrig in Bezug auf den Zeitpunkt der Einbringung erklärt worden. Insgesamt wäre er verfassungskonform gewesen, aber er ist verspätet eingebracht worden.
Auch der Haushalt 2013 – da gibt es einen zweiten Punkt, der sich auf 2013 bezieht – wird nach Maßgabe des Landesverfassungsgerichts rechtzeitig eingebracht sein, da es eine Neuwahl, eine Umressortierung gegeben hat und das Haushaltsverfahren 2012 abgeschlossen werden musste. Jeder von der CDU-Fraktion, der das Gegenteil behauptet, macht es wider besseres Wissen. Ich habe in der Plenardebatte mehrfach darauf hingewiesen. Wenn Sie es heute wieder tun, Herr Kollege Optendrenk, tun Sie es erneut wider besseres Wissen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Haushaltsjahr ist in der Tat weit fortgeschritten. Trotzdem haben wir im Haushaltsverfahren noch einige Veränderungen vorgenommen. Wir haben den U3-Ausbau konsequent weiter ausgestaltet. Weitere dreistellige Millionenbeträge werden bereitgestellt, um das Verfassungsgerichtsurteil umzusetzen, das gegen die schwarz-gelbe Landesregierung beim Belastungsausgleich ergangen ist. Weitere Millionen und die Millionen des Bundes werden konsequent abgerufen, damit der U3-Ausbau vorangehen kann.
Nun zu der Bilanz, die CDU und FDP der rot-grünen Regierung vorwerfen: Der Entschließungsantrag der FDP ist insoweit interessant. Sie starten mit der Bemerkung, die schwarz-gelbe Regierung sei mit 6,7 Milliarden € gestartet, um dann darauf hinzuweisen, dass sie 2008 bei 1,1 Milliarden € Neuverschuldung gelandet ist, während Sie dann vergessen, dass es 2010 wieder 6,6 Milliarden € nach der Planung von Finanzminister Linssen gewesen sind.
Sie sind mit der gleichen Summe rausgegangen, mit der Sie reingegangen sind – im Gegensatz zu der Haushaltsentwicklung, wie sie Rot-Grün vorgelegt hat und wie sie sich in diesem Haushalt widerspiegelt.
Sie haben in Ihrem Antrag auch behauptet, wir würden Politik auf Pump machen. Da frage ich Sie einmal, Herr Kollege Witzel: Was ist das denn, wenn man trotz einer Nettoneuverschuldung von mehreren Milliarden Euro Steuersenkungen für Hotels beschließt?
(Zuruf von der FDP: Ah!)
Und Sie, Herr Kollege Lindner, haben heute noch gesagt, es sei nicht die Zeit für Steuersenkungen. Warum setzen Sie sich denn im Bundesrat dafür ein, dass die Einkommensteuer abgesenkt werden soll? Ist das keine Steuersenkung auf Pump?
(Christian Lindner [FDP]: Das ist kalte Progression! Kalte Progression ist der Verzicht auf Steuererhöhungen! – Weitere Zurufe von der FDP)
Selbst wenn ich das anerkennen würde, obwohl ich es ablehne, weil es eine Besserstellung von Besserverdienenden ist, frage ich Sie: …
(Zurufe von der FDP)
– Das haben wir doch lange diskutiert. Wenn Sie die Progressionslinie verschieben, wird derjenige, der ein Jahreseinkommen von 25.000 € hat, um 20 bis 50 € entlastet, und derjenige, der bei einem Jahreseinkommen von 60.000 bis 70.000 € liegt, wird um die fünf- bis zehnfache Summe entlastet. Das wissen Sie doch. Warum sagen Sie, dass das falsch sei, was ich hier vortrage? Das hat der Finanzminister ausführlich nachgewiesen, und das weiß auch Herr Minister Schäuble. Selbst der Bund der Steuerzahler bestreitet nicht, was ich eben gesagt habe.
Ich möchte aber auf einen anderen Punkt hinaus, Herr Kollege Lindner. Ich möchte darauf hinaus, dass Sie Gegenfinanzierungen einfordern. Ihre Gegenfinanzierung sieht das Betreuungsgeld vor; dann werden noch mehr Schulden gemacht. Ihre Gegenfinanzierung beinhaltet noch einen weiteren Kuhhandel auf der anderen Seite. Ihre Gegenfinanzierungen produzieren mehr und nicht weniger Schulden, und auch Ihre Gegenfinanzierungen in Nordrhein-Westfalen führen zu mehr und nicht zu weniger Schulden. Das werde ich Ihnen auch nachweisen.
(Christian Lindner [FDP]: Jetzt sind wir auf einen Nachweis gespannt, Herr Kollege!)
Der Kollege Orth hat uns Grünen im Innenausschuss mehrfach vorgeworfen, wir würden bei der Polizei Stellen einsparen wollen und – mehrere Anfragen des Kollege Lohn und anderen weisen darauf hin – bei der inneren Sicherheit Kahlschlag betreiben. Das nehmen wir zur Kenntnis. Das heißt, bei der Polizei darf nicht gespart werden, sondern es müssen mehr Stellen bereitgestellt werden.
Herr Kollege Witzel hat noch letzte Woche Freitag gesagt, die Finanzverwaltung habe ihren Teil dazu beigetragen. Sie müsse nicht weiter konsolidieren. Die CDU-Fraktion fordert jedes Mal, wenn es um den Bildungskompromiss geht, es müssten mehr und nicht weniger Stellen zur Verfügung gestellt werden.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Justizvollzug!)
Beim Thema „Justizvollzug“ wird darauf hingewiesen: Wir brauchen Fachstellen, also nicht nur mehr Stellen, sondern qualitativ hochwertigere Stellen.
So, und nun schaue ich mir den Personaletat des Landes an. Was bleibt denn da übrig? Wollen Sie diese zusätzlichen Stellen – ich bin jetzt auf ungefähr 300.000 bis 350.000 Stellen eingegangen – bei den 30.000 in den Ministerien wieder reinholen? Oder wo wollen Sie das gegenfinanzieren?
Und Sie wollen 350 Millionen € zusätzlich für den Stärkungspakt. Sie wollen aufgrund der kalten Progression 600 Millionen € zusätzlich für den Landeshaushalt. Sie wollen dem Landeshaushalt beim Steuerabkommen schaden. Sie haben bereits in dieser Legislaturperiode des Bundes 1 Milliarde € zulasten des Landes umgesetzt, und Sie wollen laut Koalitionsvertrag, der Gott sei Dank nicht umgesetzt wird, noch einmal 17 Milliarden € zulasten der öffentlichen Kassen einsparen. Das sind insgesamt 1,7 Milliarden € zulasten von Nordrhein-Westfalen. Sie sind so etwas von unglaubwürdig – dazu fällt mir gar nichts mehr ein –, wenn Sie sagen, wir würden auf Pump finanzieren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wichtige Aufgaben liegen vor uns, und wir werden es uns als Koalition sicherlich nicht leichtmachen. Im Haushalt 2013 werden erste größere Pakete von Einsparvorhaben stehen, und ich weiß schon heute – nächste Woche wird es auf dem Tisch liegen –, dass Sie die Ersten sein werden, die auf die Barrikaden gehen und sagen werden: Auf Kosten dieses und jenes darf der Haushalt nicht saniert werden. – Sie werden sich vom Acker machen, wenn es um konkrete Einsparvorschläge geht. Das ist typisch für CDU und FDP.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Warten wir es ab!)
– Ja, warten wir es ab.
Auch was den Länderfinanzausgleich angeht, Herr Kollege Optendrenk – Sie haben eben auf die Länderfinanzen hingewiesen –, so wissen Sie doch selbst, dass zum Beispiel ein Land wie Sachsen etwa 5 Milliarden € an Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich – das bezieht sich jetzt auf alle drei Stufen – bekommt. Jetzt habe ich zur Kenntnis genommen, dass die haushalts- und finanzpolitischen Sprecher von CDU und CSU auf einer Tagung ein Papier zum Länderfinanzausgleich, das wir Grünen mitfinanziert haben, als Vorlage genommen und wesentliche Punkte übernommen haben. Das finde ich gut, Herr Kollege.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Ich biete auch ausdrücklich an, dass wir möglichst fraktions- und parteiübergreifend eine Auseinandersetzung zum Länderfinanzausgleich führen, und das meine ich nicht nur bezogen auf Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit. Ich schlage allerdings vor, stelle es anheim und würde es gutheißen, wenn Sie dann Ihre Kolleginnen und Kollegen in Bayern – in Baden-Württemberg hat sich das aufgrund des Regierungswechsels zum Glück erledigt – und in Hessen dazu bringen, zur Vernunft zurückkehren. Denn diese versuchen, dieses Konstrukt mit Klagen infrage zu stellen. Vielmehr muss es darum gehen, etwas zu schaffen, was dem Länderfinanzausgleich und auch den fachlichen Ansprüchen über das Jahr 2019 hinaus gerecht werden kann. Wenn es auch Ihnen darum geht, können wir darüber vernünftig miteinander reden.
Ein letzter Punkt: Was die Konsistenz der CDU anbetrifft, so hat der Kollege Börschel auf dieses Fotoshooting in Ihrer Mitgliederzeitung hingewiesen. Das will ich einmal beiseitelassen.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Zur Sache!)
Aber die Studiengebühren haben wir mehrfach diskutiert. Sind Sie für oder gegen Studiengebühren? Sind Sie für oder gegen Kita-Gebühren? Und sind Sie für oder gegen das beitragsfreie Vorschuljahr? – Dieses wird schließlich wesentlich teurer sein als der Erlass der Kita-Gebühren im dritten oder letzten Kita-Jahr. Sie müssen sich schon entscheiden. Denn dabei stehen sich mehrere hundert Millionen Euro an Einnahmen und Ausgaben gegenüber. Insofern würden wir das ganz gerne wissen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was ich allerdings auch ganz interessant finde, ist Ihr Familienbild. Das Thema „Betreuungsgeld“ lasse ich erst einmal weg. Denn dazu werden wir am Freitag eine Aktuelle Stunde haben.
Bei der Frage Ehegattensplitting sagt der Kollege Laumann: Das Ehegattensplitting muss so bleiben, wie es ist. Homosexuelle Lebenspartnerschaften dürfen nicht vom Ehegattensplitting profitieren.
Der Kollege Laschet sagt: Das Ehegattensplitting muss genau um diese Gruppe
(Zuruf von der CDU: Reden Sie doch zum Landeshaushalt!)
– ja, das hat mit dem Landeshaushalt eine ganze Menge zu tun, Herr Kollege – erweitert werden. Also muss die Steuerentlastung aufgrund des Splittings noch einmal ausgeweitet werden. Das bedeutet auch Mehrkosten für unseren Landeshaushalt.
Der Vorsitzende der Senioren-CDU von Nordrhein-Westfalen – das finde ich sehr interessant – schlägt hingegen vor, das Ehegattensplitting abzuschaffen.
Das ist eine ganz konsistente Position der NRW-Landes-CDU. Ich schlage Ihnen vor, Sie sollten sich einmal zusammensetzen und eine Position entwickeln. Ich für meinen Teil kann Ihnen nur sagen: Machen Sie eine gerechte Steuerpolitik! Machen Sie eine Politik, die nicht auf Pump geht! Machen Sie eine Politik, die zukunftsweisend ist, die nicht auf die Knochen der Kommunen und Länder in Deutschland geht!
Letzter Punkt: Warum war es wichtig und gut, dass in Nordrhein-Westfalen SPD und Grüne regieren? – Der Bundesrat! Seitdem SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen regieren, ist es nicht zu weiteren Steuersenkungen auf Pump gekommen. Es konnte verhindert werden, was im Koalitionsvertrag steht. Es konnte auch die aus meiner Sicht ungerechte Steuersenkung, wie Sie sie jetzt im Bundesrat vorhaben, vorerst verhindert werden.
(Christian Lindner [FDP]: Sie wollen ja erhöhen, um es der Solarlobby der Grünen zukommen zu lassen!)
– Meinen Sie das wirklich ernst? – Herr Kollege Lindner hat eben gesagt, wir würden die Steuersenkungen verhindern, um die Mittel der Solarlobby der Grünen zukommen zu lassen.
(Christian Lindner [FDP]: Absolut!)
Sie wissen noch nicht einmal ansatzweise, wovon Sie hier quatschen, Herr Kollege.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben mit dafür gesorgt, dass das Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat nicht durchgegangen ist. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kommunen bei den Fiskalpaktregelungen deutlich besser gestellt werden und dass es beim Hartz-IV-Kompromiss zu einer Entlastung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen in Milliardenhöhe gekommen ist. Das ist konsistente Politik: konsequent für Kommunen und Länder, für bessere Bildung, für Kita-Ausbau, für eine ökologische Wende in Nordrhein-Westfalen. Das haben wir auch auf Bundesebene umzusetzen versucht.
Ich freue mich auf den Herbst. Dann wird es auch zur Entscheidung darüber kommen, ob Sie mit Ihrem leeren Gequatsche, das durch keine Handlung hinterlegt ist – weder in der Haushaltspolitik noch in anderen Feldern der Gesellschaftspolitik von CDU und FDP –, endlich abgewählt werden und wir eine Chance für eine neue Bundesregierung haben.
(Christian Möbius [CDU]: Davon träumen Sie!)
– Herr Möbius, sollen wir eine Wette machen? Die biete ich Ihnen gerne an. Ich träume nicht. Dafür nehme ich mehrere Wetten an. Nicht dass Ihnen das passiert, was Herr Kollege Optendrenk heute vollziehen muss!
Dieser Haushalt ist konsequent. Er ist zukunftsweisend. Wir werden im Haushalt 2013 das tun, wovor sich CDU und FDP drücken. Wir werden weitere Konsolidierungsschritte vornehmen und dort anpacken, wo Sie pfeifen und sich vom Acker machen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Nordrhein-Westfalen liegen wahrscheinlich fünf Jahre rot-grüner Regierungszeit. Das sind fünf verlorene Jahre für Haushaltskonsolidierung und Generationengerechtigkeit, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Insofern ist auch der Haushalt für das Jahr 2012 enttäuschend,
(Widerspruch von Hans-Willi Körfges [SPD])
Herr Körfges, alleine schon in formaler Hinsicht: Wir beschließen einen Haushalt, der, wenn er im Amtsblatt veröffentlicht wird, bereits zu elf Zwölftel vollzogen ist. Sie wissen doch, dass es deswegen keinen Sinn macht, hier für einen strukturellen Konsolidierungsausgleich kleine einzelne Änderungsanträge vorzulegen. Hätten wir das gemacht, hätten Sie uns doch mangelnde Seriosität vorgeworfen.
(Beifall von der FDP)
Aber, Herr Kollege, freuen Sie sich nicht zu früh. Das kommt 2013.
Inhaltlich ist dieser Haushalt natürlich auch eine Enttäuschung, denn er forciert die Staatsschuldenkrise. Rot-Grün hat eben leider nichts aus nationalen wie internationalen Entwicklungen und Erkenntnissen gelernt. Ob Sozialticket, Gratisstudium oder beitragsfreie Kita-Jahre: Unter dem Denkmantel einer vermeintlich sozial-präventiven Politik machen Sie Wahlgeschenke und Staatsexpansionen immer nur auf Pump.
(Beifall von der FDP)
Damit nehmen Sie insbesondere der jungen Generation jeden zukünftigen Gestaltungsspielraum. Die Konsequenzen unterlassener Strukturreformen bezahlt die heutige Jugend in den Folgejahren umso bitterer, ohne die Verantwortung für die Ausgangslage jemals getragen zu haben. Fairness, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht anders aus.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Es gibt deshalb Dinge, Herr Finanzminister, die Sie zweifelsfrei haben, und es gibt ganz andere, die Sie offenkundig nicht besitzen. Das, was Sie haben, sind vom äußeren Rahmen her finanzpolitische Idealbedingungen. Das, was Ihnen aber fehlt, ist der ernsthafte Wille zur Haushaltssanierung. Wie wackelig und auch löcherig das Fundament Ihres Haushalts ist, zeigen die nüchternen Fakten: Wir haben bei der wirtschaftlichen Entwicklung und Beschäftigung gute Rahmenbedingungen, auch wenn NRW hinter dem Bundestrends hinterherhinkt. Wir haben bei den Bundesmitteln einen Zuwachs. Wir haben die historisch höchsten Steuereinnahmen der Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens, und das alles auch noch in einer Phase historisch niedriger Zinsen.
Aber schon heute ist bekannt, dass das nicht dauerhaft so bleiben wird. Von daher fragen wir Sie, Herr Finanzminister: Wann und wie sonst wollen Sie den Haushalt in Nordrhein-Westfalen sanieren, wenn nicht in diesen Zeiten idealer Bedingungen?
(Beifall von der FDP)
Oder anders formuliert: Wenn Sie selbst unter Bestbedingungen 4,3 Milliarden € neue Schulden machen, sollte Ihnen das zeigen, wie dringlich eine grundlegende Kurskorrektur Ihrer Haushaltspolitik tatsächlich ist.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Schuldenbremse im Grundgesetz für Länderhaushalte 2020 auch keine Belastung. Das ist keine Bedrohung. Das ist kein Grund, sich zu beschweren oder deshalb zu stöhnen. Das ist ein Segen, damit wenigstens das absolut Notwendige geschieht, was ansonsten politische Mehrheiten aus sträflicher Bequemlichkeit unterlassen würden.
Der Grundsatz der Schuldenbremse ist nach gesundem Menschenverstand so elementar wie selbstverständlich. Man darf eben in einem Jahr nicht mehr Geld ausgeben, als man umgekehrt einnimmt. Sonst bekommt man dauerhaft ein Problem.
Wir als FDP-Landtagsfraktion sind davon überzeugt: Mit dem nötigen Ehrgeiz wäre diese Schuldenbremse schon bis zum Ende dieser Wahlperiode im Jahr 2017 zu erreichen, wenn Sie nur heute endlich damit anfangen würden, diese ernsthaft zu wollen.
(Beifall von der FDP)
Wir werben deshalb dafür, die Schuldenbremse auch in der Landesverfassung Nordrhein-Westfalens festzuschreiben, aber natürlich nicht als Mechanismus zur Aufweichung von Bundesstandards, sondern eben mit harten Sanktionen bei der Zuwiderhandlung, damit sie tatsächlich greift.
Herr Finanzminister, Sie mögen in diesem Haus nicht so gerne auf die Opposition hören. Das mag an unserer Rollenverteilung liegen. Aber Sie könnten doch wenigstens auf das hören, was Ihnen Ihre eigenen Gutachter aufschreiben. PWC rechnet es Ihnen vor, und Sie sehen: Sie haben keinen Spielraum für die Ausdehnung neuer staatlicher Leistungen. So lautet der gutachterliche Befund.
Sie werden das Minimalziel des Haushaltsausgleichs selbst im Jahr 2020 nur dann erreichen, wenn Sie jetzt so schnell wie möglich das Ruder herumreißen. Die Liste der Notwendigkeiten dafür ist lang. Wir haben Ihnen heute als ersten Aufschlag ein Zehn-Punkte-Programm mit wesentlichen Eckpfeilern zur Konsolidierung zur Abstimmung gestellt.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Das Wichtigste dabei, Herr Kollege, lautet: Alle Staatsaufgaben sind auf Notwendigkeit und Effizienz hin zu prüfen. Landesbetriebe und ?beteiligungen müssen wir wirtschaftlich machen und sie überall dort, wo es geht, vernünftig privatisieren.
(Lachen von Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN])
Statt Ihren Aufwuchs um über 2.000 Stellen seit dem Jahr 2010 fortzusetzen, müssen weitere Synergien gehoben werden. Damit dies alles nicht zulasten von Beschäftigten und Bürgern geht, müssen Überstandards fallen, beispielsweise in der Umweltbürokratie, im Baurecht oder in der Personalratsarbeit. Wir brauchen ein Standardbefreiungsgesetz, das dem Leitbild folgt: Bundesvorgaben und EU-Vorschriften sind stets eins zu eins umzusetzen – ohne jeden landespolitischen Zuschlagsfaktor obendrauf.
Dies sorgt im Übrigen auch für eine freiheitlichere Politik. Denn ein Staat, der alles regeln und kontrollieren will, ist nicht nur teuer, sondern ihm fehlt auch die Unterstützung seiner Bürger aus der Mitte der Gesellschaft.
Ob Bauskandale des BLB oder das Milliardengrab der WestLB – wenn man eines aus all diesen Vorgängen lernen kann, dann das: Der Staat ist selten der bessere Unternehmer und sollte daher seine Finger von allen Beteiligungen lassen, von denen private Dienstleister am Markt mehr verstehen.
(Beifall von der FDP)
Das ist kein tagespolitischer Schnellschuss.
Herr Börschel, Sie haben eben eingefordert, dass wir hier ehrlich mit dem Thema „WestLB“ umgehen. Ehrlich wäre es auch gewesen, Sie hätten darauf hingewiesen: In diesem Hohen Hause gibt es bereits seit über zehn Jahren Anträge der FDP-Landtagsfraktion, die bereits damals, zu Zeiten, als es noch gewinnbringend möglich gewesen wäre, gesagt hat, dass die WestLB privatisiert werden solle.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie haben doch fünf Jahre lang regiert, Herr Kollege!)
Das hätte, Herr Kollege, den Steuerzahlern dieses Landes Aufwendungen in Höhe etlicher Milliarden Euro erspart.
(Beifall von der FDP – Zurufe von Hans-Willi Körfges [SPD] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Sie können das alles in Drucksache nachlesen. Da geht es los.
(Lachen von den PIRATEN und von Reiner Priggen [GRÜNE] – Heike Gebhard [SPD]: Fünf Jahre lang regiert!)
Deshalb sagen wir ausdrücklich: Das Grundproblem jeder öffentlichen wirtschaftlichen Betätigung liegt darin, dass fachliche Erwägungen allzu häufig hinter politischen Entscheidungen zurücktreten.
Wir wollen keine Politik der am besten behaupteten Absichten, sondern der besten Ergebnisse. Alles andere ist nicht verantwortbar.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mostofizadeh?
Ralf Witzel (FDP): Normalerweise gern, aber ich würde die Haushaltsrede gern im Zusammenhang vortragen.
(Zuruf von der SPD: Welcher Zusammenhang?)
Vizepräsident Oliver Keymis: Jetzt nicht. – Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Die Haushaltsdaten zeigen, dass nur der schlanke Staat die einzig verantwortbare Entscheidung ist. Verglichen mit den letzten Haushaltsdaten von Schwarz-Gelb aus 2010, bevor Sie, Herr Finanzminister, ins Amt gekommen sind, planen Sie heute mit 6 Milliarden € mehr Steuereinnahmen. Warum hieraus keine strukturelle Haushaltskonsolidierung erwächst, ist klar: Sie geben 2012 auch knapp 6 Milliarden € mehr aus als 2010. Das zeigt: NRW hat kein Einnahmen-, sondern ein massives Ausgabenproblem.
Wir haben uns natürlich die Zahlen näher zu Gemüte geführt, die Sie, Herr Finanzminister, in der letzten Debattenrunde genannt haben. Sie haben gesagt, NRW zahle pro Kopf weniger als andere Bundesländer für die Dienstleistungserbringung. Mal abgesehen von den Synergieeffekten des größten Bundeslandes haben Sie gezielt die kommunalpolitische Aufgabendelegation herausgerechnet, obwohl Sie wissen, dass in fast keinem anderen Bundesland so viele Aufgaben – auch zu Recht – kommunalisiert sind wie in Nordrhein-Westfalen.
Deshalb haben wir uns Ihre Zahlen näher angeschaut und geprüft, was eigentlich das Statistische Bundesamt (Destatis) für die Ausgaben von Land und Kommunen im Vergleich der 13 Flächenländer, also ohne die drei Stadtstaaten, angibt. In puncto Effizienz steht NRW dabei an Platz 12 von 13: 5.700 € Ausgaben je Einwohner für Kern- und Nebenhaushalte zusammen. Ich glaube, dass das die ehrliche Einjustierung ist.
Deshalb ermuntern wir Sie: Orientieren Sie sich gern an anderen Bundesländern, aber vorzugsweise an den Vorbildern. Sechs andere Bundesländer haben bereits 2011 ausgeglichene Haushalte erreicht. Sie wissen: Weitere haben sie unmittelbar ab 2012 in der Haushaltsplanung. Das sollte auch Ihr Benchmark sein.
Der Auftritt des Landes auf Bundesebene ist leider nicht so rühmlich. So titelte die Presse gerade erst: „Kraft macht den Lafontaine“. Diesen Anschein hat es auch. Sie vernachlässigen Ihre eigenen Landesaufgaben, indem Sie zum Nachteil des Landes NRW die Rolle der Fundamentalverhinderer im Bund übernehmen.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: In Berlin, meinen Sie!)
– In Berlin. – Da ist das Steuerabkommen mit der Schweiz. Wir sind bei der Analyse gar nicht weit voneinander entfernt. Was vorliegt, ist nicht perfekt, sondern ein Kompromiss. Aber er liefert planungssicher und dauerhaft Einnahmen.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Planungssicherheit für Steuerhinterzieher!)
Das ist besser als die weitere Verjährung zum Vorteil vieler Steuerhinterzieher.
(Martin Börschel [SPD]: Sie wollten doch selbst Nachverhandlungen! Was ist das denn für eine Heuchelei?)
Sie setzen lieber auf Kommissar Zufall und ein paar einprägsame Medienbilder.
Geradezu grotesk ist Ihr Verhalten als Beseitigungsblockade bei der kalten Progression. Ich frage, weil das gerade von Rednern angesprochen worden ist: Wie ist denn der Sachverhalt? Arbeitnehmer bekommen Lohnerhöhungen gerade zum Inflationsausgleich, gegebenenfalls auch einmal als Leistungsanreiz für größere Produktivität. Der Staat nimmt ihnen dafür mehr Steuern ab. Und in Sachen Kaufkraft hat man trotz Lohnerhöhung netto weniger als ein Jahr zuvor. Das ist Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit.
Herr Finanzminister, die Beseitigung der kalten Progression ist doch kein Steuersparmodell für Spitzenverdiener, sondern die Verhinderung einer ansonsten stattfindenden automatischen Steuererhöhung zulasten der Mitte der Gesellschaft.
(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)
Sie betrifft Tarifbereiche, für die die Gewerkschaften Lohnabschlüsse tätigen und auf die Straßen gehen. Sie ist über Steuermehreinnahmen gegenfinanziert, die noch aus den Preissteigerungen resultieren.
Dann Ihr letztes großes Projekt auf Bundesebene nach der signifikanten Erhöhung der Grunderwerbsteuer in NRW: die Einführung einer Vermögensteuer. Der Teufel steckt da schon im Detail. Deshalb sollten Sie Ihr Modell hier einmal näher präsentieren.
Sehen Sie das so offenkundig wie Herr Steinbrück, der zwischen gutem betrieblichen Vermögen, für das keine Vermögensteuer erhoben werden soll, und bösem privaten Vermögen mit Vermögensteuerpflicht unterscheidet? Wir sagen Ihnen bereits heute voraus, wenn Sie dies so umsetzen wollen, ist Ihnen auch für 2013 die nächste Niederlage vor dem Verfassungsgericht sicher, Herr Finanzminister.
(Beifall von der FDP)
Meine sehr geehrte Damen und Herren, die FDP-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen lehnt den vorliegenden Haushalt für das Jahr 2012 ab. Wir müssen den Schuldenstaat endlich aus den Fesseln der Finanzmärkte befreien, um uns neue Zukunftsperspektiven zu erarbeiten.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Dazu leistet dieser Haushalt keinen Beitrag. Unser Land braucht den Wechsel, aber nicht den, den Sie haushaltspolitisch auf die Zukunft ziehen, sondern einen Wechsel zugunsten einer verantwortungsvollen und generationengerechten Politik in Nordrhein-Westfalen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Piratenfraktion hat nun Herr Schulz das Wort.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste im Saal und am Stream! Herr Kollege Börschel, es ist ja eine feine Sache, Ihnen fehlt ein Feindbild. Die Linke sind wir nicht. Die Linke haben Sie in der letzten Legislaturperiode umworben und gebraucht. Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht auch mit dem Bund verwechseln. Wenn Sie von Milliardenforderungen sprechen und das mit den Linken verbinden, so kann das sein. Bei uns ist das nicht der Fall.
Wir finden einen Haushalt vor mit einer Nettoneuverschuldung – heruntergerechnet und nach irgendwelchen Tilgungen – von derzeit round about 4,2 Milliarden €. Im Haushaltsgesetzentwurf waren es noch 4,749 Milliarden €. Wenn ich bedenke, dass unsere Forderungen, die wir im Laufe der Haushaltsberatungen erhoben haben, 470 Millionen € umfassen, dann haben Sie wahrscheinlich vergessen, bei den Milliarden eine Null wegzustreichen, weil wir dann genau da sind, wo wir angesetzt haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Was die WestLB angeht, die gern von allen Fraktionen bemüht wird, um sich das einander vorzuwerfen: Das muss nicht sein. Ich glaube nicht, dass in diesem Raum eine Fraktion einer Partei sitzt, die sich bei der WestLB in den letzten 20 Jahren in irgendeiner Form mit Ruhm bekleckert hat. Was dabei herauskommt und ob vielleicht doch noch der Untersuchungsausschuss zustande kommt, wissen wir nicht. Das müssen wir einfach abwarten.
Letztendlich haben wir es aber mit einem Haushalt zu tun, und der ist nichts weiter als ein Beleg dafür, dass hier eine Politik der Verlustsozialisierung stattfindet. Das beste Beispiel ist die WestLB.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir sind in diesem Parlament angetreten und in dieses Parlament gewählt worden, um zu lernen. Das haben wir immer gesagt. Wir haben nie gesagt, wir können es. Wir bemühen uns darum, hier vernünftige, konstruktive Oppositionspolitik zu gestalten.
Im Eiltempo durften wir lernen, was es heißt, sich die Schatten der haushalts- und finanzpolitischen Vergangenheit der letzten Legislaturperioden um die parlamentarischen Ohren zu hauen. Im Eiltempo durften wir lernen, wie es sich anfühlt, wenn vernünftige Vorschläge zur Haushalts- und Finanzpolitik des Landes in Anlehnung an die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen niedergestimmt werden. Demokratie – wunderbar, dazu stehen wir.
Wir haben in den Ausschüssen beraten, uns in zahlreichen Anhörungen und Besprechungen ausgetauscht und die Besetzung des Schuldenraumschiffs ausgelotet. Wir haben gelernt, dass es nicht möglich ist, die Schulden auf den Mond zu schießen, und wir stellen fest, am Steuerknüppel des Schuldenraumschiffs sitzt die Regierungskoalition.
Wir haben auch gelernt, dass es nötig sein wird, an denjenigen Stellen weiterhin die haushalts- und finanzpolitischen Daumenschrauben anzusetzen, an denen wir es im Interesse der Menschen in unserem Bundesland für notwendig halten.
Wir haben gelernt, was es heißt, eine Forderung nach Erhöhung des Verbundsatzes zugunsten der Städte und Gemeinden nicht bewilligt zu bekommen, und dass moderate Einzelplanforderungen abgewiesen werden.
Wir haben gelernt, wie es sich anfühlt, wenn für solche Forderungen Hunderte von Millionen zusätzlicher Bundeszuweisungen und die Erhöhung der Zuflüsse aus dem Länderfinanzausgleich in Höhe von rund 600 Millionen € nicht als für die Gegenfinanzierung ausreichend angesehen werden, sondern dass solche Mittel in die WestLB bzw. in die Reduzierung der Schuldenlast aus der WestLB gesteckt werden müssen. Sozialisierung von Verlusten!
Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass es wegen schlechter Verhandlungsergebnisse ein notwendiges Übel ist, diese Verluste zu sozialisieren. Aber daraus können wir ja nicht die Erkenntnis ziehen, dass das gut ist. Die Städte und Gemeinden verharren weiterhin in ihren ausweglos erscheinenden Schuldensümpfen. Wenn wir dann hören, die Zuweisungen haben dieses Jahr 8,1 Milliarden € betragen, dann mag das ursprünglich auch der Plan gewesen sein – das haben wir ja schon im Haushaltsentwurf Anfang des Jahres gesehen –, aber dass die Effekte aus den Mehreinnahmen in irgendeiner Form den Kommunen zu Gute gekommen wären, davon ist nichts zu sehen. Das ist wiederum kein Lerneffekt, sondern die rechnerische Konsequenz verfehlter und nicht nachhaltiger sowie nicht in allen Belangen konnexer Haushaltspolitik.
Wir wissen, dass dies keineswegs ausschließlich Folge der Politik der aktuellen Regierung und der sie tragenden Fraktionen ist. Das ist sicher auch Folge der Politik anderer in diesem Hause, heute in der Opposition sitzender Fraktionen. Wir werden bemüht sein, daran mitzuwirken, dass das nicht so bleiben muss.
Bei der mittelfristigen Finanzplanung bis 2015 rechnet die Regierung mit jährlichen Mehreinnahmen in Höhe von rund 2 Milliarden € allein aus Steuern. Wie die konjunkturelle Entwicklung verläuft, müssen wir abwarten, und auch, ob mit solchen Mehreinnahmen realistisch gerechnet werden darf. Das wird sich bereits zeigen, wenn im Frühjahr die ersten Steuerschätzungen auf dem Tisch liegen.
Dennoch betrachten wir, die Piratenfraktion, es als nicht zwingend, einen Schuldenhaushalt des gegebenen und heute zur Abstimmung stehenden Volumens zu verabschieden und ihm zuzustimmen, ein Schuldenhaushalt, der lediglich noch dokumentarischen Charakter hat, nachdem elf Zwölftel des Jahresbudgets bereits abverfügt sind. Dabei stehen bereits heute eine dreiviertel Milliarde Euro an globaler Minderausgabe praktisch fest, und es stehen auch, wie ich bereits sagte, Mehreinnahmen aus Bundeszuweisungen fest.
Wir reden also von deutlich über 1,2 Milliarden €, die es ermöglicht hätten, sinnvolle Ausgaben vor dem Hintergrund unserer Forderungen, die insgesamt ein Volumen von 470 Millionen € ausmachen, zu tätigen – und zwar finanziert aus dem laufenden Haushalt.
Betrachten wir den Lerneffekt bezüglich unserer moderaten Forderungen für 2012, bleibt die Frage – denn wir sind ja die mit den Fragen –, ob die Landesregierung es wirklich ernst meint, wenn sie einen politischen Dreiklang proklamiert, der lautet: Sparen, Zukunftsinvestitionen und Einnahmenverbesserung.
Wir sehen im Haushalt allenfalls, dass am falschen Ende gespart wird, um sich auftuende Löcher an anderer Stelle zu stopfen, Stichwort: WestLB. Zukunftsinvestitionen stellen sich bei Ihnen als der Versuch heraus, Fehlentwicklungen der jüngeren Vergangenheit auszugleichen. Zukunftsinvestitionen hätten gemäß unseren Forderungen zum Beispiel bedeutet, 400 neue Lehrerstellen zu schaffen, die es ermöglicht hätten, verschiedene Defizite abzubauen und der Inklusion den Stellenwert einzuräumen, den sie verdient.
Einnahmenverbesserungen – das heißt bei Ihnen nichts anderes, als sich darauf zu beschränken – so sieht es zumindest aus –, nach dem Zufallsprinzip auf Steuereinnahmen aus Selbstanzeigen von Steuersündern zu hoffen.
Das kann es nicht sein. Wo bleibt der Dreiklang? Für mich ist das ein Missklang.
(Beifall von den PIRATEN)
Da es im Haushalts- und Finanzausschuss geheißen hat – Herr Kollege Börschel hat das mal erwähnt –, dass die Hand, die wir geben, nicht genommen werden könne, weil es sich nicht um die Hand handele, die die regierungstragenden Fraktionen gerne hätten, müssen wir uns fragen: Welche Hand hätten Sie denn gerne? Doch sicherlich nicht die der Zustimmung zu all dem, was Sie hier machen. Denn dazu brauchen Sie uns nicht; dafür haben Sie ja sich selbst.
(Heiterkeit von den PIRATEN)
Wir haben es mit einer Nettoneuverschuldung im Haushalt von abgerundet 4,2 Milliarden € nach Tilgung an Gebietskörperschaften und Sondervermögen zu tun. Dies dürfen und können wir angesichts des Abschlusses der Haushaltsberatungen in dritter Lesung selbstverständlich nicht unkommentiert lassen. Den Kommentar dazu habe ich bereits gegeben. Außer Annahmen ins Blaue hinein sehen wir für die Zukunft im Prinzip nichts.
Es liegen die Themen „Bildung“ und „Inklusion“ auf dem Tisch. Es liegen auch die Themen „ÖPNV“ und „Umwelt“ auf dem Tisch. In all diesen Bereichen fehlen vernünftige Ansätze, die auch zukunftsorientiert sind. Ich verweise an dieser Stelle nur auf die Kostenansätze für den Rückbau des Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop. Auch da fehlt es an Plänen, obwohl es im Koalitionsvertrag steht.
Im Koalitionsvertrag steht vieles. Er dokumentiert diejenigen Mängel der Regierungsplanung, die durch Haushaltsentwürfe offenkundig und lediglich perpetuiert werden. Das ist eine Politik, die wir beobachten werden. Wir wollen sie nach Möglichkeit weiterhin konstruktiv begleiten. In der Rolle der Opposition sehen wir uns allerdings an dieser Stelle nicht in der Lage, diesem Haushalt auch nur ansatzweise zuzustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. – Nun spricht für die Landesregierung der zuständige Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Walter-Borjans.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlebe das wiederholt bei einer Debatte zur Verabschiedung eines Haushalts: Wenn man noch eines gebraucht hätte, um zu wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dann diese Debatte, die wieder einmal zeigt, dass den einen die Ausgaben zu hoch, den anderen die Ausgaben zu niedrig sind. Man kann sagen: Wenn man Kritik in dieser Weise von zwei Seiten erfährt, muss an dem Weg per se etwas richtig sein.
Wenn ich mir die Krokodilstränen ansehe und höre, wie jetzt über die verspätete Einbringung lamentiert wird, dann kann ich nur sagen: Es hat keinen Haushalt gegeben, der so lange diskutiert worden ist wie dieser. Er liegt diesem Parlament seit einem Jahr vor. Er hätte schon im März verabschiedet werden können. Dass er nicht verabschiedet worden ist, lag an einem Zickzackkurs der FDP,
(Zuruf von der FDP: Was?)
der irgendwann dazu geführt hat, dass Sie auf die Gegenfahrbahn gekommen und zum Geisterfahrer geworden sind.
(Widerspruch von Dr. Gerhard Papke [FDP])
Dann haben Sie den Haushaltsentwurf mit den Linken und der CDU abgelehnt.
(Christian Möbius [CDU]: Es geht um die Einbringung! – Zuruf von den PIRATEN)
Ich habe heute Morgen gelesen, Herr Lindner, dass Sie glauben, wir gingen in die falsche Richtung. Wenn man wie Sie auf der falschen Spur ist, ist nachvollziehbar, warum Sie dazu kommen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie dürfen sich nur nicht wundern, wenn Ihnen ziemlich viele entgegenkommen.
(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
Ich kann nur noch einmal sagen: Es hatte eine Folge, dass Sie abgelehnt haben: Der Landtag hat sich aufgelöst. Das Thema „Haushalt und Finanzen“ stand im Mittelpunkt des Wahlkampfes, den Sie geführt haben. Die Menschen haben eine sehr klare Entscheidung getroffen. Sie haben Hannelore Kraft und ihrem Kabinett, SPD und Grünen eine deutliche Mehrheit verschafft – genau vor dem Hintergrund dieser Diskussionen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Denn die Menschen haben verstanden, dass die Politik des Dreiklangs der richtige Ansatz ist. Natürlich müssen wir sehen, wo wir sparen können. Natürlich müssen wir jede Ausgabe auf den Prüfstand stellen, um zu sehen, ob wir mit weniger Aufwand das gleiche Ergebnis erzielen können.
Aber sie wissen auch ganz genau, dass es eine Frage von Generationengerechtigkeit ist, wenn nicht mehr genug Geld für Bildung da ist, wenn die Infrastruktur verrottet, wenn die öffentliche Sicherheit in Gefahr gerät, weil der soziale Zusammenhalt in die Binsen geht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Genau an dieser Stelle geht es darum, etwas dafür zu tun, dass dieses Land auch in Zukunft noch wirtschaftlich stark und lebenswert ist und vor allen Dingen einen sozialen Zusammenhalt hat.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Papke?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ja.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Dr. Papke, bitte schön.
Dr. Gerhard Papke (FDP): Herr Finanzminister, sind Sie wirklich der Auffassung, dass das mehrheitliche Mandat der Regierung, der Sie jetzt angehören, bei der letzten Landtagswahl auch ein Mandat für Sie persönlich ist, Ihre hemmungslose Verschuldungspolitik einfach fortzusetzen?
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
Ich beziehe mich auf Ihre soeben vor dem Landtag getätigten Ausführungen. Muss man Sie wirklich so interpretieren? Sind Sie wirklich dieser Auffassung?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Papke, mindestens 96 % der Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen wissen, dass es gar nicht um das geht, worüber Sie immer reden. Deswegen stimmen Ihnen auch nur noch die restlichen 4 % zu.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der FDP)
Die Menschen wissen, dass es nicht um hemmungslose Verschuldung geht, sondern darum, die wirklich nachhaltige Konsolidierung des Haushalts sicherzustellen. Nachhaltig heißt, nicht allem anderen den Boden zu entziehen, was dafür nötig ist, anschließend überhaupt noch Steuereinnahmen zu haben, also dass Menschen überhaupt Steuerzahler sind und nicht in der Transferzahlung hängen. Darum geht es, und das haben die Menschen verstanden, und dafür haben sie uns ihr Mandat gegeben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Etwas für die U3-Betreuung zu tun, damit Frauen und Männer in der Lage sind, ihrem Beruf nachzugehen, etwas dafür zu tun, dass Talente nicht liegenbleiben, etwas in Bildung zu investieren, etwas dafür zu tun, dass die Kommunen handlungsfähig bleiben – auch das ist Generationsgerechtigkeit.
(Beifall von der SPD)
Sie haben – was schlimm genug ist – die ganze Zeit nur angekündigt, Vorschläge zu machen, sind aber mit keinem rübergekommen. Viel schlimmer ist aber, dass Sie, wenn Sie diesen Haushalt zerschießen und die Landesregierung kritisieren wollen, immer mit Zerrbildern arbeiten, die nichts mehr mit der Realität zu tun haben. Ich nenne ein paar Beispiele.
Ein Beispiel ist das Thema „Verschuldung“. Herr Optendrenk, Sie haben eine wunderschöne Grafik mit den absoluten Zahlen der Neuverschuldung herausgegeben. Wenn Sie die mit der Pro-Kopf-Verschuldung herausgegeben hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass acht Länder der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Haushalt 2012 eine geringere und sieben Länder eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung vorsehen. Das heißt, dass Nordrhein-Westfalen mit seinem Haushalt, der auf dem Weg zur Konsolidierung ist, in der Mitte dieser Länder-Phalanx steht. – Das ist das eine.
Das andere ist: Wer von den Ländern hat nicht nur einen wunderschön ausgeglichenen Haushalt, sondern zahlt sogar schon zurück? Ich nehme als Beispiel das Land Sachsen. Es hat jetzt einen leichten Überschuss, weil es im Jahr 2011 – das sind die Zahlen, die mir vorliegen – aus dem Umsatzsteuerausgleich 2,2 Milliarden, aus dem Länderfinanzausgleich ungefähr 1 Milliarde und von den Bundesergänzungszuweisungen 2,8 Milliarden bekommen hat. Das sind 6 Milliarden für 4 Millionen Einwohner. Wenn ich bei mehr als viermal so vielen Einwohnern 24 Milliarden – oder mehr: 25 Milliarden oder 26 Milliarden – zusätzliche Hilfen für den Haushalt von Nordrhein-Westfalen bekäme, hätten wir eine etwas andere Konsolidierung als Sachsen – um das mal deutlich zu machen.
(Beifall von der SPD)
Und das vor dem Hintergrund, dass Nordrhein-Westfalen – um auch damit aufzuräumen – in beiden Stufen des Länderfinanzausgleichs eben nicht Nehmerland ist, sondern 2,4 Milliarden für den Umsatzsteuerausgleich zahlt, um dann, wenn spitz abgerechnet wird, 200 Millionen zurückzubekommen!
Zweites Zerrbild: das ewige Thema „WestLB“. Gerade, weil Sie eben auch angemerkt haben, dass ich auf eine lange Zeit des Wirkens der WestLB und der damit verbundenen Menschen zurückblicken kann, sage ich: Ohne die WestLB hätte der Strukturwandel im Ruhrgebiet und der Strukturwandel in unserem Land anders ausgesehen.
(Beifall von der SPD)
Dass wir heute als ein modernes Industrieland dastehen, das immer noch eine Menge zu schultern hat, vor allen Dingen weil Erwachsene und auch Kinder bei diesem Wandel zum Teil nicht mitgekommen sind, dass nicht die Bedrohung entsteht, dass daraus ein fester Block von Transferhilfeempfängern wird, sondern Steuerzahler, ist nicht durch Zudrehen von Geldhähnen zu erreichen, sondern durch Investitionen. Das ist richtig, das muss man tun.
Aber die WestLB hat damals entscheidend zur Finanzierung des Strukturwandels beigetragen. Vieles von dem, was heute an Verlusten aufgelistet wird, ist für einen Finanzminister alles andere als vergnüglich und schön. Es ist auch alles andere als eine notwendige Folgerung dessen, was damals gemacht worden ist. Es hätte anders ausgehen können. Deswegen ist das, was von Ihnen heute immer als Last und als zusätzliche Belastung gesehen wird, nicht wie Kai aus der Kiste irgendwo hergekommen, sondern es ist zerronnen, was vorher gewonnen wurde. Ärgerlich genug!
Deswegen haben wir jetzt in die Umstrukturierung der WestLB zu Portigon 1 Milliarde investiert. Herr Witzel berichtet vor den Medien, es seien noch 2,5 Milliarden dazugekommen. Das ist aber nichts anderes als das, was in der Zeit von Finanzminister Linssen – ungleichgewichtig verteilt zulasten des Landes und zugunsten der Sparkassen mit 4 Milliarden zu 1 Milliarde – an Garantien ausgesprochen worden ist, die in den nächsten Jahren ziehen werden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Was für eine Überraschung, die da auf uns zukommt, nachdem Sie verhindert haben, das am Ende des Jahres 2010 in einen Nachtrag zu packen und zu sagen: Das legen wir uns zur Seite, weil diese Lasten auf uns zukommen werden.
Gestern, geschleust aus dem Bundesfinanzministerium, war auf einmal zu lesen: Da sind ja noch 50 Milliarden. – Das ist durch statistische Verrenkungen zustande gekommen. Das, was jetzt aus der WestLB in die Erste Abwicklungsanstalt geht, wird in der Statistik plötzlich als Staatsschulden gewertet, obwohl diese Papiere in allen anderen Landesförderbanken und Landesbanken weiterhin der Landesbank zugerechnet werden. Das soll hier wie eine zusätzliche Belastung aussehen.
Die Litanei, die die FDP mit ihrem Antrag vorgelegt hat, ist wunderbar. Man könnte sie der Reihe nach abarbeiten, wenn dafür die Zeit reichen würde.
Sie sagen unter anderem, Sie stehen mit Ihrer Leistung auf der Bundesebene davor, einen ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen. Gucken Sie sich das aber mal an! Sie ziehen von einem zweistelligen Milliardenbetrag an neuen Schulden 2,8 Milliarden ab und sagen, die seien konjunkturell. Bei uns aber sagen Sie – vorwiegend die CDU –, dass eine Störung des Gleichgewichts nicht besteht. Dann ziehen Sie all das ab, was für die Europäische Union, den Eurowirtschaftsraum, zu leisten ist, weil das nicht strukturell sei. Bei uns aber ist die WestLB natürlich strukturell, obwohl jeder weiß, dass das eine Belastung ist, die nicht zum strukturellen Defizit gehört.
(Christian Lindner [FDP]: Der Bund hat dem Land Nordrhein-Westfalen alle Lasten abgenommen für Europa!)
Nächster Punkt: Sie verschieben das Betreuungsgeld um ein halbes Jahr und lassen sich dafür feiern, dass Sie damit Geld gespart haben. Sie greifen in die Kassen Ihrer Tochter KfW, die damit nicht mehr in der Lage sein könnte, zum Beispiel zur energetischen Sanierung anständige Programme vorzulegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie senken den Zuschuss in den Gesundheitsfonds, bedienen sich an allen Ecken und Enden aus Kassen anderer und erklären dann, Sie kämen zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalt. Soll das die Seriosität sein, von der vor allen Dingen Herr Witzel immer wieder spricht?
Er sagt auch, wir hätten im Augenblick ideale Bedingungen. Erklären Sie den Leuten draußen einmal, dass das, was in Europa im Augenblick vor sich geht, die idealen Bedingungen für Haushalte der Gegenwart und der Zukunft sind!
(Christian Lindner [FDP]: Damit haben Sie in Ihrem Haushalt doch nichts zu tun! Das macht alles der Bund!)
Außerdem reden Sie von Rekordsteuereinnahmen. Ja, was denn sonst? In jeder Gesellschaft, in der die Kosten wachsen, würden schon konstante Steuereinnahmen zu einer Schwächung und einem Abbau staatlicher Leistungen führen. In jedem Unternehmen brauchen Sie steigende Umsätze, wenn Sie wachsende Kosten ausgleichen und eine wenigstens gleichbleibende Rendite erzielen wollen. Das bedeutet: Wachsende Steuereinnahmen sind die Mindestvoraussetzung. Sie reichen aber noch lange nicht, um den Haushalt morgen ausgleichen zu können.
Trotzdem haben wir all das immer wieder dafür eingesetzt, auf beiden Seiten zu konsolidieren. Sehen Sie sich einmal den Haushaltsverlauf seit 2010 an! Wir sind mit unseren Istwerten immer unter den Sollwerten geblieben. Wir haben eine Linie, die den Abbau der Neuverschuldung zeigt. Wir haben einen Pfad bis 2020, der darauf hinweist, dass wir unter normalen Bedingungen die Schuldenbremse einhalten werden – unter normalen Bedingungen. Dafür brauche ich mir gar keine wunderschönen Bedingungen auszurechnen.
All diese Dinge wollen Sie nicht wahrhaben. Sie wollen sie wegreden. Sie müssen Zerrbilder bemühen, um sich das schönzurechnen oder schlechtzurechnen, wie auch immer man es sehen will.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Lindner?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ja.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Lindner.
Christian Lindner (FDP): Vielen Dank, Herr Finanzminister. Vor dem Hintergrund Ihrer Bewertung der Haushaltspolitik im Bund und im Land würde ich gerne wissen, wie Sie beispielsweise die heutige Forderung Ihres Kabinettskollegen Guntram Schneider bewerten, der mal eben wieder vom Bund 6.000 zusätzliche Stellen finanziert haben will.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Die Stellen gibt es ja schon!)
Sie fordern immer vom Bund – und dann schimpfen Sie noch auf den Bund. Sie begleiten nicht die Konsolidierung des Bundeshaushalts durch die Bundesregierung, sondern erheben immer wieder Forderungen.
(Zuruf)
– Ich habe meine Frage bereits gestellt. Das war die Erläuterung dazu.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erst einmal geht es darum, die Stellen, die vorhanden sind, zu finanzieren. Natürlich stellen wir – auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in Bezug auf Sozialarbeiter in Schulen, aber auch bezüglich der Eingliederungshilfe – immer Forderungen an den Bund, weil es da um Dinge geht, die sich der politischen Willensbildung eines Landesparlaments oder eines kommunalen Rates entziehen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Immer nur fordern!)
Dass man dann, wenn der Bund sich dieser Aufgabe entzieht, darüber schimpft, ist ja wohl normal.
Das Schönste war übrigens, als ich am vergangenen Freitag nach der Bundesratssitzung in einem Blatt mit einer Millionenauflage las, dass jetzt eine Last von 20 Milliarden € auf die Menschen zukomme. Diese 20 Milliarden € bestanden zum einen aus den hochgeblasenen 10 Milliarden € des Steuerabkommens mit der Schweiz. Die anderen 10 Milliarden € waren ausschließlich von der Ländermehrheit blockierte Mindereinnahmen, die die Bundesregierung beschließen wollte. Da geht es beispielsweise um die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen um zwei Jahre mit der Folge, dass ein Steuerausfall von bis zu 1,5 Milliarden € entsteht. Mit anderen Worten: eine Lizenz zur Vernichtung von Beweismaterial!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das sind Ausgaben, die sich aus Ihrer Sicht für den Staat lohnen, weil sie einer ganz bestimmten Klientel in die Hände spielen. Da haben wir einen anderen Ansatz. Durch alle Ihre Beiträge ist das heute auch so deutlich geworden, dass man gar nicht mehr viel dazu sagen muss.
Das alles ist noch einmal eine Bestätigung dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auf diesem Weg werden wir weitermachen und damit auch 2020 eine Schuldenbremse einhalten, die nicht vernachlässigt, dass wir in diesem Land auch etwas zu tun haben. Es gibt nun einmal Aufgaben, die wir zu erledigen haben. Zu diesen Aufgaben stehen wir auch. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Kuper das Wort.
André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Wir bzw. Sie, die Koalitionsfraktionen, verabschieden heute das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 und entscheiden damit über das Wohl oder Unwohl unserer kommunalen Familie. Trotz Rekordsteuereinnahmen und einer zusätzlichen Abmilderungshilfe, die Sie hineingeben, gibt es 156 Verliererkommunen im Land. Das dokumentiert letztlich eine viel zu geringe Finanzausstattung, die sich auch in diesem Jahr am Jahresende wieder in einem Finanzierungsdefizit in Milliardenhöhe für die kommunale Familie dokumentieren wird.
(Martin Börschel [SPD]: Pharisäer! Erst zündet ihr das Haus an, und dann ruft ihr die Feuerwehr!)
Im Jahr 2011/2012 sorgen Sie mit dieser Finanzierungsregelung gleichzeitig dafür, dass eine Viertelmilliarde Euro aus dem ländlichen kreisangehörigen Raum in den großen kreisfreien Raum umgeswitcht wird.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch falsch! Das ist schlicht falsch!)
Damit verschlimmern Sie die Situation der mittleren und der kleineren Städte zugunsten des kreisfreien Raums, der Großstädte. Das machen Sie, ohne die Situation in den Großstädten signifikant zu verbessern.
Nach der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Kommunalpolitik zeigten Sie sich außerdem sehr beratungsresistent. Alle Sachverständigen kritisierten dort die Ausgestaltung des Schüleransatzes. Die Differenz zwischen dem Ansatz für Ganztagsschüler und Halbtagsschüler wurde von einem der Sachverständigen sogar als fast willkürlich bezeichnet.
Genauso kritisierten alle Sachverständigen die Zuordnung der offenen Ganztagsgrundschule zum Halbtagsschülerbereich. Die offene Ganztagsgrundschule ist, wie der Name schon sagt, eine Ganztagsschule. Es ist eine Binsenweisheit, dass eine offene Ganztagsschule keine Halbtagsschule ist. Sie verursacht Kosten wie beim gebundenen Ganztag. Warum ordnen Sie die offene Ganztagsgrundschule dann dem Halbtagsbereich zu? Das verstehe, wer mag. Hier ist Ihr Verhalten schlichtweg als beratungsresistent zu bezeichnen.
Mit diesem GFG helfen Sie einigen ausgewählten Städten und lassen Sie viele andere Städte in ihrer Not im Regen stehen.
Meine Damen und Herren, Sie reden von Kommunalfreundlichkeit und verweigern gleichzeitig die Konnexität und die Kostenerstattung für die Kommunen bei der Inklusion,
(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie reden über Konnexität? Das ist ja ein Witz!)
obwohl Sie genau wissen: Inklusion ohne notwendige Grundqualität geht zulasten der betroffenen Kinder und Eltern sowie der Lehrerschaft.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wer bezahlt das denn? Wer bezahlt das?)
Mit dieser Regelung wird für die Kommunen ein neuer desaströser Finanz-Tsunami ausgelöst.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
So kann man mit den Kommunen und mit den Betroffenen nicht umgehen. Kehren Sie um! Beweisen Sie die von Ihnen selbst vielgepriesene Kommunalfreundlichkeit!
Aber dazu vielleicht auch noch ein Satz: Wer hat denn die Belastungen der Kommunen eingeführt? Nehmen wir mal das Beispiel der Kosten der Unterkunft. Wer hat die Belastung der Kommunen für die Grundsicherung eingeführt? Das war die rot-grüne Bundesregierung und nicht Schwarz-Gelb. Das sei an dieser Stelle auch noch mal gesagt.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Von daher: Die Lösung der Finanznot der Kommunen wird angesichts der Finanzen des Landes nicht alleine mit GFG-Mitteln gelingen.
Es ist an der Zeit, dass Sie für die Zukunft der Kommunen endlich ganzheitliche Konzepte entwickeln. Sie sind als Regierung hier in der Verantwortung, zu liefern. Wir warten mit Spannung auf Ihre Vorschläge. Oder sind Sie jetzt schon mit Ihrem Latein am Ende? – Danke.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kuper. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Kollege Hübner.
Michael Hübner (SPD): Danke schön. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuper, wir sind heute in der fünften Lesung des Gemeindefinanzierungsgesetzes. Insofern ist das Gemeindefinanzierungsgesetz durchaus als historisch zu werten:
(Kai Abruszat [FDP]: In der Tat!)
weil wir niemals ein Gemeindefinanzierungsgesetz – ich habe mich bei Kollegen erkundigt – jeweils fünf Mal gelesen haben.
Herr Kuper, Ihr Versuch, das Gemeindefinanzierungsgesetz, das jetzt im Entwurf vorliegt, das das historisch Größte ist – sozusagen auch wieder eine historische Leistung dieser Landesregierung –, zu zerreden, der ist Ihnen kräftig misslungen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will Sie einfach noch mal darauf hinweisen, dass nicht wir es waren, nicht die rot-grüne Landesregierung der jetzigen Legislatur, auch nicht die rot-grüne Landesregierung vor 2005, die den Raubzug durch die kommunalen Haushalte begangen hat. Es sind in der Summe 3 Milliarden, die Sie den Kommunen entzogen haben. Heute die kommunalen Finanzierungsdefizite aufzurufen und die eigene Verantwortung wegzudelegieren, das ist absolut nicht in Ordnung. Das werden wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen, Herr Kuper.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie haben das GFG angesprochen. Immerhin haben Sie in Ihrer Rede erwähnt, dass 8,4 Milliarden das höchste GFG darstellen. Immerhin! Das muss ich konzedieren. Das haben Sie gesagt.
Sie haben aber nicht gesagt, dass wir seit 2010 weitere Verbesserungen eingeleitet haben. Wir stellen in diesem Jahr 8,4 Milliarden aus dem GFG und 350 Millionen aus dem Stärkungspakt zur Verfügung. Damit sind wir schon bei knapp 8,8 Milliarden, die wir in diesem Jahr alleine für die Ausstattung der Kommunen bereitstellen.
Wir haben uns seit 2010 das kommunale Finanzierungsdelta genau angeschaut. 2,5 Milliarden betrug es nach Ihrer Verantwortungszeit. 2,5 Milliarden!
Wir haben im Rahmen des Hartz-IV-Kompromisses dafür gesorgt, dass die Bundesregierung den Kommunen in Nordrhein-Westfalen über die Grundsicherung im Alter rund 1 Milliarde zusätzlich zur Verfügung stellen muss. Von den 2,5 Milliarden haben wir darüber 1 Milliarde abgedeckt.
Wir haben im GFG Verbesserungen in der Summe erreicht, die im GFG 2013 auflaufend 323 Millionen betragen werden.
Wir haben 300 Millionen in das GFG 2010 eingefügt.
Das, was wir hier seit 2010 auf den Weg gebracht haben, war wirklich eine große historische Leistung. Das können Sie auch mit dem Redebeitrag, den Sie hier gerade erbracht haben, nicht einfach vom Tisch wischen.
(Beifall von der SPD)
Sie haben hier ja gerade den Konflikt zwischen den kreisangehörigen Städten aufgemacht. Sie kommen aus einer kreisangehörigen Stadt. Ich dachte immer, dass Sie besser informiert sind, da Sie sich im Städte- und Gemeindebund um die Finanzpolitik gekümmert haben. Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass die Kollegen im Städte- und Gemeindebund relativ ordentlich gearbeitet haben. Dass Sie dann nicht anerkennen wollen, dass wir seit der ifo-Kommission enorme Verbesserungen auf den Weg gebracht haben, die hier einen großen Konsens gefunden haben, macht es umso schlimmer. Der große Konsens besteht darin, den Soziallastenansatz in die GFG-Systematik hineinzubringen. Das gelingt uns ja auch.
Weil wir kommunalfreundlich sind und kommunalfreundlich bleiben wollen, gelingt es uns auch in diesem Jahr, eine einmalige Abmilderungshilfe für diese von Ihnen vorgeworfenen Verwerfungen im GFG zur Verfügung zu stellen: in einer Größenordnung von 70 Millionen €. Dass das kein leichter Schritt ist – Sie haben gerade die Haushaltsdebatte verfolgt –, dass der Gesamthaushalt auf Kante genäht ist, wissen Sie auch. Von daher darf man loben, aber nicht in der Art und Weise kritisieren, wie Sie hier den Versuch gemacht haben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Hübner. – Für die grüne Fraktion hat sich noch einmal Herr Mostofizadeh zu Wort gemeldet.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur einige kurze Bemerkungen möchte ich noch machen. Bei Herrn Witzel habe ich heute zum ersten Mal vernommen, dass die FDP es anerkennt, dass es einen Zusammenhang zwischen den Kommunalfinanzen und dem Haushalt des Landes gibt. Das hat Herr Engel fünf Jahre lang bestritten. Er hat immer gesagt, die Kommunen müssten ihre Hausaufgaben machen und ihren Haushalt in Ordnung bringen. Das hat dazu geführt, dass Innenminister Wolf, der für die kommunalen Finanzen fünf Jahre zuständig war, die Kommunen stranguliert hat, wo es nur ging, und gesagt hat: Wenn ihr das nicht in Ordnung kriegt, ist das euer Problem.
Und einen zweiten Punkt finde ich sehr, sehr beeindruckend, Herr Kollege Witzel. Sie haben hier heute erneut, nachdem Sie das schon in der letzten Debatte um den Haushalt – also in der zweiten Lesung – vorgetragen haben, gesagt, dass es den größten Skandal beim BLB überhaupt gegeben hat, und das dann in Zusammenhang gesetzt mit einer Privatisierung von Landesgesellschaften.
Herr Kollege, soll ich Ihnen mal sagen, was beim BLB passiert ist? Egal, ob der privat wäre, eine GmbH, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts oder sonstwie aufgestellt: Sie, FDP und CDU, haben als Landesregierung wider besseres Wissen Aufträge an ein Unternehmen herausgegeben und Geld verbrannt, damit sich Herr Rüttgers und andere Politiker 2010 in Duisburg an den Hafen stellen und Schaufeln schwingen konnten.
Das war der Hintergrund. Das hat nichts mit der Privatisierung zu tun. Den Skandal werden wir aufklären. Wir werden Ihnen nachweisen, dass Mitglieder des Kabinetts trotz besseren Wissens Entscheidungen getroffen haben, die das Land mindestens zweistellige, wenn nicht sogar dreistellige Millionenbeträge gekostet haben. Das ist Ihr Vermächtnis, Herr Kollege Witzel.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Kollege Kuper, zur Kommunalfinanzierung: Sie sprechen von einem Finanztsunami im Zusammenhang mit der Inklusion. – Herr Kollege Kaiser und andere Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wollen Sie die Inklusion noch, oder wollen Sie die Umsetzung ad absurdum führen, sie blockieren oder vielleicht sogar hintergehen? Wollen Sie Ihren Kollegen Optendrenk, Laumann und anderen widersprechen, indem Sie sagen: „Haushaltskonsolidierung interessiert uns nicht, egal was passiert, das Land kann immer nachschießen; jede Forderung, die die Kommunen oder Dritte stellen, ist zu befriedigen und mit Millionenbeträgen auszufinanzieren“?
Damit sind Sie absolut unglaubwürdig und nicht an der Seite derjenigen, die das Ganze umsetzen wollen. Sie sind populistisch und machen sich vom Acker.
Das finde ich angesichts des Schulkompromisses und der vielen guten Punkte, die im Schulbereich miteinander vereinbart worden sind, nicht nur sehr schade, sondern das ist in dem zentralen Feld der Landespolitik auch ein Bruch guter Kompromisse und guter Fortschritte, die wir in Nordrhein-Westfalen in den letzten drei Jahren zustande bekommen haben.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Die letzten zwei Punkte: Herr Kollege Kuper, Sie sind neu im Parlament, aber sicherlich nicht unkundig; davon gehe ich aus. Sie werden verfolgt haben, was in den letzten Jahren in Sachen Kommunalfinanzierung passiert ist. Ich rufe es noch einmal kurz in Erinnerung: Das Verfassungsgericht hat entschieden, dass der U3-Belastungsausgleich zulasten der Kommunen verfassungswidrig gewesen ist. Das Landesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Einheitslastenausgleich zulasten der Kommunen verfassungswidrig war.
Wir alle wissen, dass Rot-Grün im Landeshaushalt strukturell zusätzlich 700 Millionen € für die Kommunen bereitgestellt hat. Dazu kommen die beiden eben genannten Tatbestände. Insofern stehen sich die Kommunen um 1 Milliarde € besser als vorher. Sie können sich ganz lange hinten anstellen, was die Leistungen gegenüber den Kommunen betrifft.
Es sind Erfolge zu verzeichnen, wenn auch auf niedrigem Niveau. Die Pro-Kopf-Ausgaben der Kommunen haben sich stabilisiert. Unsere schlimmste Stadt, Oberhausen, ist im bundesweiten Ranking der hoch verschuldeten Städte nicht mehr Schlusslicht.
Einen weiteren Punkt will ich FDP und CDU mit auf den Weg geben: In der zweiten Stufe des Stärkungspaktes werden wir im Jahr 2014 die schwierige Aufgabe haben, die Kommunalfinanzierung, also eine Solidaritätsumlage, auszufinanzieren. Werden Sie sich da genauso verhalten wie beim Länderfinanzausgleich und so tun, als wenn finanzstarke Kommunen nichts mit der Solidarität gegenüber anderen Kommunen zu tun haben, oder werden Sie sich konstruktiv an der Debatte beteiligen? Ich fürchte, auch dort werden Sie sich vom Acker machen, sich nicht konstruktiv beteiligen. Das werden wir für Sie erledigen müssen.
Aber dann – das ist die Konsequenz daraus – verabschieden Sie sich endgültig von einer soliden Haushalts? und Finanzpolitik sowie der Solidarität der Gemeinschaft zwischen Land und Kommunen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Abruszat.
Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hübner hat eben etwas Richtiges gesagt:
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ach ja?)
Wir lesen das GFG heute zum fünften Mal. – Die Meinungen, die Argumente scheinen in der Tat ausgetauscht zu sein. Daher würde ich gerne einige generelle Ausführungen machen und ein paar Fragen an uns alle richten, nämlich:
Wie würden wir als Landesgesetzgeber die Finanzierung unserer 400 Kommunen im Land ausgestalten, wenn wir jetzt zum ersten Mal vor der Aufgabe ständen, wenn wir nicht einfach eine bestehende Systematik fortschreiben würden? Würden wir dann das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 exakt so strukturieren, wie es jetzt vor uns liegt? Welche Parameter wären für uns wichtig? Welche Maßstäbe sind bei der Kommunalfinanzierung unabdingbar und für alle Fraktionen des Hauses unstreitig?
Für uns Freie Demokraten kann ich sagen: Es geht um drei Eckpfeiler; vielleicht, Herr Kollege Hübner, kommen wir an der Stelle auch zusammen. Die Gemeindefinanzierung muss auskömmlich, gerecht und nachvollziehbar sein.
Meine Damen und Herren, ist das GFG 2012 wirklich auskömmlich? – Der Kollege Martin Börschel hat vorhin in seiner Haushaltsrede betont: 8,4 Milliarden €, eine tolle Leistung. – Ich habe beim letzten Mal schon gesagt: Die Tatsache, dass wir Rekordsteuereinnahmen haben, ist keine Leistung der Landesregierung und der Koalition, sondern dem Fleiß der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen im Land geschuldet, Herr Kollege Börschel. Das heften Sie sich bitte nicht an die Brust.
(Beifall von der FDP und der CDU – Martin Börschel [SPD]: Sie hätten als Erstes den Verbundsatz gesenkt!)
Der Kollege Hübner hat gesagt: Die Regierungen vor 2005 und ab 2010 waren kommunalfreundlich und haben alles richtig gemacht. – Ich will nicht in das Landesarchiv greifen und genau nachschauen, Herr Kollege Hübner, wer den Verbundsatz von 28,5 auf 23 % gesenkt hat.
(Martin Börschel [SPD]: Das sollten auch gerade Sie lassen!)
Die Diskussion können wir gerne führen. Das waren Sie damals in der Alleinregierung. Also lassen Sie die Vergangenheitsbetrachtung sein und uns lieber nach vorne schauen: Was können wir insgesamt tun, um die Lage der Kommunen zu verbessern?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Anstatt die Lage schönzureden, haben Sie zumindest den Stärkungspakt Stadtfinanzen erwähnt. Zu dessen Stoßrichtung stehen wir. Ich bin gespannt, Herr Kollege Mostofizadeh, wie wir dann im Verhältnis zwischen Land und Kommunen über eine Art Länderfinanzausgleich, den Sie hier im Kleinen beworben haben, sprechen. Ich wusste nicht, dass Sie solch ein Verfechter des Länderfinanzausgleichs sind. Das kann – jedenfalls nach Auffassung der Freien Demokraten in diesem Haus – keine Blaupause für eine gelungene Kommunalfinanzierung sein.
(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])
Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gefragt: Ist eine Gemeindefinanzierung gerecht, oder wie muss sie gerecht ausgestaltet sein? – Gerechtigkeit ist ein hehres Ziel, philosophisch betrachtet möglicherweise ein nie erreichbarer Idealzustand. Dennoch sind ein angemessener unparteiischer Ausgleich der Interessen und der Verteilung der Gelder notwendig. Damit werden eigentlich erst die Chancen für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen ermöglicht.
Dieses Ziel können wir beim GFG 2012 nicht erkennen.
Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt: Der Soziallastenansatz wird mit einem Faktor von 15 gewichtet. Nach dem Ergebnis der Anhörung wäre ein Faktor von 7 für die insgesamt anfallenden Sozialkosten kostendeckend gewesen.
Deswegen sage ich: Im GFG fehlt es an der notwendigen Fairness in der Frage der interkommunalen Verteilung von Geldern.
Ich habe eingangs die Frage gestellt: Muss ein GFG auch nachvollziehbar oder – wie wir es heute neumodisch formulieren würden – transparent sein?
Meine Damen und Herren, im GFG wimmelt es nur so von Stellschrauben, Verteilungssystemen, Parametern, Sonderregelungen, Einflussnahmen und vielem anderen mehr. Das führt dazu, dass diejenigen, die ganz konkret davon betroffen sind, das GFG eben nicht mehr nachvollziehen können. Und wer etwas nicht nachvollziehen kann, wird es auch nur schwerlich akzeptieren.
Deswegen sage ich Ihnen: Ohne Transparenz bei der Gemeindefinanzierung keine Akzeptanz bei der Gemeindefinanzierung!
Das GFG 2012 ist eben nicht der große Wurf, den die Kommunen dringend brauchen. Was wir brauchen, ist Mut und Entschlossenheit, einen großen Wurf anzugehen. Dies können wir im GFG 2012 nicht erkennen. Deswegen lehnen wir das Gemeindefinanzierungsgesetz mit guten Gründen ab. – Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Stein das Wort.
Robert Stein (PIRATEN): Wertes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Zuschauertribüne! Und natürlich auch: Liebe Menschen am Stream und vor den Bildschirmen! Ich möchte zuerst eine Vorbemerkung machen, und zwar auf Bitte meines Kollegen Kai Schmalenbach, der vorhin in der Aktuellen Stunde fälschlicherweise Herrn Markert als Zwischenrufer identifiziert hat. Herr Markert hat darum gebeten, dass es korrigiert werden sollte. Es war natürlich Herr Mostofizadeh.
Ich habe in meiner Rede während der letzten Plenarsitzungswoche von den „Scheuklappen“ gesprochen, die hier ziemlich viele in ihrer Eindimensionalität leider noch nicht abgelegt haben, obwohl ja selbst Sie, Herr Mostofizadeh, im „Unterausschuss Personal“ endlich erkannt haben – das muss ich wirklich lobend erwähnen –, dass das Land keine bzw. kaum Einnahmekompetenzen besitzt. Das waren Ihre Worte am Freitag. Das habe ich vorher von Ihnen leider noch nicht so gehört.
(Marc Herter [SPD]: Schauen Sie in den Koalitionsvertrag! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!)
Implizit geben Sie mir damit natürlich recht, dass wir die finanzielle Situation von Kommunen, Land und Bund ganzheitlich betrachten müssen. Ihre Einsicht an dieser Stelle freut mich sehr. Danke schön!
Gerade wenn es um die Finanzierung geht, dürfen wir eben nicht eindimensional – für uns gesprochen: nur auf die Landesebene – schauen, nein, wir müssen eine ganzheitliche, mehrdimensionale Betrachtungsweise wählen, wollen wir die gravierenden Probleme unserer Kommunen, die die Menschen hier im Lande – da oben auf der Tribüne sitzen ja einige – in der Folge jahrelanger verantwortungsloser Politik Ihrerseits höchstpersönlich jeden Tag spüren müssen, in den Griff bekommen.
(Beifall von den PIRATEN)
Unsere Forderung nach einer 1%igen Erhöhung der Verbundquote wurde hier im Hause von allen Parteien abgelehnt; Herr Schulz hat das in seiner Rede gerade schon dargelegt. Ich reagiere da entsprechend irritiert. Denn die Mehreinnahmen aus einem Sondereffekt des Länderfinanzausgleichs und die hohe globale Minderausgabe, die unsere Forderungen gut dreimal, vielleicht fast viermal hätten finanzieren können, wollen Sie ignorieren. Oder – das muss man ganz deutlich sagen – Sie wollen sie für die Rettung der Banken einsetzen. Ich betone es ganz deutlich: Sie retten Banken, wir wollen Kommunen retten!
(Beifall von den PIRATEN)
Sie, Herr Dr. Walter-Borjans, haben diese Milliarde für die WestLB im Rahmen der Eckpunktevereinbarung mangelhaft ausgehandelt, obwohl Ihnen eigentlich von Anfang an klar sein musste, dass das Eigenkapital für die Abwicklungsanstalt eher nicht ausreichen wird und folglich die Verluste der ursprünglichen WestLB in Zukunft sozialisiert werden müssen. Der kleine Mann ist es also, der auf Ihr Geheiß für den Wahnsinn der Banken zahlen soll. Ihre Wähler sind es, die durch Ihre Politik der Verlustsozialisierung geschröpft werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir haben es schon gehört – auch in den Medien ist darüber berichtet worden, und die Vögel zwitschern es von den Dächern –, dass etwa weitere 2,5 Milliarden € – „mindestens“, sage ich hier ganz bewusst – an zusätzlichen Kosten in den kommenden Jahren in dieser Angelegenheit anfallen werden. Ich frage allen Ernstes: Nennen Sie das eine verantwortungsvolle Politik?
Eine verantwortungsvolle Politik soll gerecht sein und Verantwortung vermitteln. Sie aber retten lediglich Ihre Banken. Wir wollen unsere Kommunen retten. Unsere Kommunen zu retten, bedeutet hier doch, Verantwortung zu tragen. Wir fordern verantwortliches Handeln mit guten Ergebnissen für die Bürger in NRW und nicht eine blinde Sozialisierung von Verlusten. Das ist Ihre Politik!
(Beifall von den PIRATEN)
Noch eins, Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans: Rund 100 Milliarden € wandern aus der WestLB in die Erste Abwicklungsanstalt. Jetzt wollen Sie uns weismachen, dass die davon betroffenen Papiere, die also keine Käufer gefunden haben, gar nicht so toxisch seien. Ich bitte Sie: Ein gesundes Produkt findet einen Käufer am Markt.
(Zuruf von der SPD)
– So ist das!
Das ist in diesem Fall nicht geschehen. Es ist also einfach nur unglaubwürdig, wenn Sie das behaupten. Leider wird das dicke Ende kommen und vom Steuerzahler zu tragen sein: im Rahmen Ihrer Politik – ich wiederhole es noch einmal – der Verlustsozialisierung.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie werden dann zurückblicken und Verantwortung für dieses Desaster übernehmen müssen. Sie werden es dann auch unseren Bürgern erklären müssen. Ich hoffe, Sie können dabei ruhig schlafen. Ich kann es bei dem Gedanken auf jeden Fall nicht.
Für die nachhaltige Finanzierung der Erhöhung der Verbundquote haben wir übrigens ganz klare und unmissverständliche Vorschläge gemacht, deren Auswirkungen nicht dauerhaft zulasten des Landeshaushalts gehen sollen. Umverteilungen alleine im Lande und auf Bundesebene mögen nicht ausreichen. Der Ruf nach Konnexität wird vielleicht nicht so erhört, wie wir es gerne hätten.
Deshalb müssen wir natürlich über die Einmaleffekte hinaus – die Herr Schulz aus unserer Fraktion schon erwähnt hat – über die Einführung einer Vermögensteuer und auch über die moderate Erhöhung der Körperschaftsteuer im Bund bei gleichzeitiger vernünftiger Beteiligung der Länder an diesen Steuern nachdenken.
Ich will nicht zusehen, wie Sie die durch die verantwortungslose Politik entstandene finanzielle Last in allen Bereichen auf das geschwächte Kreuz des schrumpfenden Mittelstandes abwälzen und verteilen. Wir dürfen nicht weiter an das Portemonnaie unserer wertzuschätzenden Mitmenschen mit geringen und mittleren Einkommen herangehen. Wir müssen Perspektiven geben.
Und das schaffen Sie nicht, indem Sie Verluste von Spekulationsgeschäften sozialisieren und im Rahmen des Stärkungspaktes – das geht auch an Herrn Jäger – dafür sorgen, dass die Grundsteuer B und damit die Kosten für Wohnen und Miete weiter steigen.
Verantwortung heißt hier, die Fehler der Politik der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung zu erkennen und zuzugeben: der Fehler, den Finanzmarkt entfesselt zu haben, der Fehler, den Kapitalgesellschaften im naiven Glauben, sie würden ihre Investitionstätigkeit in Deutschland erhöhen, Steuergeschenke im Bereich der Körperschaftsteuer gemacht zu haben. Das muss revidiert werden.
Es ist jetzt Ihre Verantwortung, diese Fehler nicht nur zu akzeptieren, nein, sie sogar einzugestehen, sondern sie, sofern das in naher Zukunft möglich sein wird, zu korrigieren. Sonst – das verspreche ich Ihnen – werden wir das alsbald für Sie tun können; darauf können Sie sich verlassen.
(Beifall von den PIRATEN)
Handlungsfähigkeit für unsere Kommunen ist notwendig. Das haben unabhängige Studien gezeigt, die Sie in Auftrag gegeben haben. Die Benchmark-Analyse sei dazu zu erwähnen; das Demografiegutachten von PricewaterhouseCoopers, aber auch andere Untersuchungen von Ernst & Young haben das allemal hinreichend aufgezeigt. Wir dürfen unsere Kommunen in NRW nicht alleine lassen. Wir wollen das nicht, und wir werden das auch nicht.
(Beifall von den PIRATEN)
Noch ein Verweis, und zwar auf das wirklich schlimme Beispiel Griechenlands: Ich habe höchste Hochachtung und viel Respekt vor den Menschen, die sich mit dieser – ich muss es leider so nennen – künstlich geschaffenen Hölle arrangieren und dennoch optimistisch nach vorne blicken. An diesem Beispiel Griechenlands sehen wir doch, wohin blindwütiges Sparen führt. Die medizinische Versorgung ist nicht umfassend gewährleistet, der Wirtschaftskreislauf bricht zusammen, Menschen verlieren ihre Arbeit, sie verlieren ihre Perspektive und auch ein Stück weit Lebensmut. Noch viel schlimmer als Konsequenz daraus ist: Menschen radikalisieren sich.
Wenn Sie unsere Gesellschaft nicht weiter spalten wollen, dann hören Sie um Himmels willen mit dieser rücksichtslosen Politik der Verlustsozialisierung auf! Die Kommunen brauchen mehr finanzielle Mittel für ihre wichtigen Aufgaben. Sie brauchen sie; daran führt kein Weg vorbei.
(Beifall von den PIRATEN – Lachen von der SPD)
Weil die elitäre Politik nicht einsichtig zu sein scheint, wäre es umso hilfreicher, die Menschen im Land zu fragen, was sie wollen, also die Bürger zu beteiligen. Dazu braucht es natürlich mehr als eine Landtagswahl, wie wir es hier schon aus den Reihen der SPD gehört haben. Da hieß es ja, die Landtagswahl sei Bürgerbeteiligung. Zumindest ist das im Unterausschuss „Personal“ von Ihrem Kollegen Kämmerling so geäußert worden.
(Marc Herter [SPD]: Das ist auch eine Form der Bürgerbeteiligung, ja!)
Dazu braucht es natürlich mehr. Dazu gehört zum Beispiel Transparenz im Haushalt, um den Menschen erklären zu können, worum es hier eigentlich geht und wie es um die finanzielle Situation im Land und in den Kommunen bestellt ist. Das ist ein erster Schritt. den wir benötigen. Wir haben hier übrigens auch schon ein Stück weit für Transparenz gesorgt. Wir haben es innerhalb von nur sieben Tagen nach Auftragsvergabe geschafft, den Entwurf des Landeshaushalts 2012 zu visualisieren. Das haben Sie in über zehn Jahren nicht geschafft; das möchte ich in aller Deutlichkeit betonen. Es ist für uns wirklich ein Kinderspiel gewesen, kein Hexenwerk. Innerhalb von sieben Tagen konnten wir den Haushalt visualisieren und Transparenz schaffen. Das haben Sie, wie gesagt, in zehn Jahren nicht geschafft.
Da frage ich mich allen Ernstes: Warum haben Sie das denn vorher nicht umsetzen können? Oder meinen Sie es mit der Transparenz gar nicht so ernst, wie Sie immer behaupten? Diese Fragen müssen Sie sich gefallen lassen!
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der SPD)
Ich finde es auch schön, dass Sie, liebe Grüne – jetzt, nachdem Sie mit dem beschlossenen Atomausstieg Ihr Kernthema verloren haben –, so nach Transparenz rufen. Sie sind doch uralt; Bäume pflanzen wird die Welt nicht retten – das ist klar.
Dass Sie unsere Forderung, im Rahmen der Folgeentwicklungen des Klimaschutzes 20 Millionen € an die Kommunen zu verteilen, abschmettern, zeigt deutlich, wie unglaubwürdig Sie geworden sind. 20 Millionen € wären lediglich – passen Sie auf! –, gemessen am Haushaltsvolumen, etwa 1/3.000 des gesamten Haushaltsvolumens. Unsere Forderung in Höhe von 0,00033 % vom Haushalt für den Umweltschutz haben insbesondere auch Sie abgelehnt, obwohl wir selbst in dieser Höhe ausreichende Gegenfinanzierungsvorschläge eingebracht haben. Das kann man natürlich so machen. Aber Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Ihre ehemaligen Stammwähler sich von Ihnen abwenden werden und dann möglicherweise Piraten wählen,
(Lautes Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
weil wir noch nicht den Bodenkontakt verloren haben, weil wir keine Machtpolitik machen,
(Beifall von den PIRATEN – Anhaltendes Lachen von der SPD)
weil wir nicht inhaltsleer von Verantwortung reden, sondern weil wir diejenigen sind, die die Menschen im Lande mitbestimmen lassen wollen und mitnehmen werden! Wir stehen für Bürgerbeteiligung auch in Haushaltsfragen!
(Beifall von den PIRATEN – Lachen von der SPD)
– Ja, Sie mögen das lustig finden. In zehn Monaten werden wir ja sehen, wie lustig das alles war. – Wir werden die Visualisierung des kommenden Haushalts, die Vergleichbarkeit und die Entwicklung des Landeshaushalts über die Jahre hinweg gerade im Hinblick auf die Thematik Bürgerhaushalt und Mitbestimmungsmöglichkeiten weiter vorantreiben. Wir stehen für Transparenz. Wir werden für Transparenz und echte Mitbestimmung kämpfen. Und wir zeigen den Bürgern, wo Sie nicht ausreichend verantwortliche Politik gestaltet haben.
Wir lehnen diesen Haushalt und das damit zusammenhängende GFG ab. – Danke sehr.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Felix, qui potuit rerum cognoscere causas.
(Große allgemeine Heiterkeit – Beifall von der SPD – Zurufe: Ui! – Zuruf von der SPD: Wer hat dir das denn aufgeschrieben?)
Herr Kuper, Sie können damit erkennen: Diese Landesregierung ist noch lange nicht am Ende des Lateins. Übersetzt heißt das, Herr Kuper: Glücklich, wem es gelang, den Grund der Dinge zu erkennen.
(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wenn ich nach der fünften Lesung dieses Gemeindefinanzierungsgesetzes Ihre Rede höre, kann ich nur erkennen, Herr Kuper: Sie scheinen ein zutiefst unglücklicher Mensch zu sein.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Si tacuisses! – Weitere Zurufe von der CDU)
Weil die Landesregierung schon viel Zeit im Rahmen dieser Haushaltsberatung in Anspruch genommen hat, würde ich mich gerne auf einige wesentliche Punkte zum GFG 2012 beschränken.
Ich will einer Legende, einem gebetsmühlenartigen Wiederholen vonseiten der CDU und der FDP entgegentreten. Dieses GFG fußt auf einem Gutachten der ifo, auf Arbeitsergebnissen der ifo-Kommission. Für diejenigen, die neu im Landtag sind: Diese Kommission war besetzt mit Vertretern aller Fraktionen des Landtags Nordrhein-Westfalen. Wer also dieses GFG 2012 kritisiert, kritisiert seine eigene Fraktion, meine Damen und Herren.
Wir haben in diesem GFG einen Soziallastenansatz verankert, der schlichtweg einer Arithmetik folgt, dass nämlich die tatsächlichen Ausgaben der Kommunen in Nordrhein-Westfalen für die Soziallasten nach einem möglichst aktuellen Stand einzurechnen sind. Die Vorgängerregierung hat hierzu Datensätze des Jahres 1999 benutzt.
Herr Abruszat, Sie haben die Frage nach der Gerechtigkeit gestellt. Ja, diese Frage ist zu beantworten: Gerecht ist es nicht, Kommunen mit hohen Sozialausgaben den Soziallastenausgleich vorzuenthalten.
(Beifall von der SPD)
Deshalb ist es richtig, das zu tun, was wir getan haben.
Zwei Dinge noch! – Dieses GFG hat ein Gesamtvolumen von 8,4 Milliarden €. Das ist der Betrag, den das Land in diesem Jahr an die Kommunen ausschütten wird. Der Betrag ist in der Geschichte dieses Bundeslandes noch nie so hoch gewesen. Hinzu kommen 350 Millionen € Stärkungspaktmittel, mit denen wir die Kommunen unterstützen wollen, die jetzt schon überschuldet sind. Noch nie hat eine Landesregierung so viel Hilfe für ihre Kommunen geleistet, wie diese Landesregierung, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Zuletzt noch ein Punkt: Einige aus diesem Haus waren gestern beim Parlamentarischen Abend mit dem Städtetag anwesend. Bei allem Dissens und Diskurs, den auch diese Landesregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden als Landesregierung fahren muss, und trotz der Unterschiedlichkeit in der Bewertung von einzelnen Punkten hat mich gestern Abend eines gefreut: Alle Vertreter der Kommunen haben unisono gesagt, dass endlich wieder ein Klima herrscht, bei dem man auf Augenhöhe miteinander redet und die gegenseitigen Probleme ernst nimmt.
(Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, das ist nichts, worauf man stolz sein sollte. Das muss normal sein.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dass das gestern Abend so betont worden ist, zeigt, was die kommunalen Spitzenverbände und die Kommunen über fünf Jahre vermissen mussten.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Das haben wir nachgebessert. Das ist ein gutes GFG. Ich empfehle Ihnen, dem zuzustimmen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Schluss der Beratung zu Tagesordnungspunkt 2.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Wir haben insgesamt sechs Abstimmungen vorzunehmen, meine Kolleginnen und Kollegen.
Ich lasse erstens abstimmen über das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2012 Drucksache 16/302. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1301, den Gesetzentwurf der Landesregierung in der Fassung nach der zweiten Lesung mit den sich aus Drucksache 16/1301 ergebenden Änderungen anzunehmen. Ich darf fragen, wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte. – Wer ist gegen diese Beschlussempfehlung? – Wer möchte sich enthalten? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piratenfraktion angenommen und das Gemeindefinanzierungsgesetz in dritter Lesung verabschiedet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2012 Drucksache 16/300. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1300, das Haushaltsgesetz 2012 in der Fassung nach der zweiten Lesung mit den sich aus Drucksache 16/1300 ergebenden Änderungen anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Wer ist gegen diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Enthaltungen? – Letzteres ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piraten angenommen und das Haushaltsgesetz 2012 in dritter Lesung verabschiedet.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1562. Ich darf fragen, wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte. – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung von FDP und Piratenfraktion abgelehnt.
Wir kommen viertens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1566. Ich darf auch hier wiederum fragen, wer dem Entschließungsantrag zustimmen möchte. – Das ist die FDP-Fraktion. – Wer stimmt gegen den Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion. Damit ist der Entschließungsantrag der FDP mit dem festgestellten Ergebnis abgelehnt.
Wir kommen fünftens zur Abstimmung über das Gesetz zur Errichtung eines Fonds des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktfondsgesetz) Drucksache 16/176. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1238, den Gesetzentwurf in der Fassung nach der zweiten Lesung unverändert anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Wer möchte gegen diese Beschlussempfehlung votieren? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen von CDU und Piratenfraktion angenommen und das Stärkungspaktfondsgesetz in dritter Lesung verabschiedet.
Wir kommen sechstens zur Abstimmung über die Finanzplanung 2011 bis 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Haushalts- und Finanzausschuss, meine Kolleginnen und Kollegen, empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1221, die Finanzplanung 2011 bis 2015 zur Kenntnis zu nehmen. Ich darf auch hier fragen, wer dieser Empfehlung zustimmen möchte. – Wer möchte dieser Empfehlung nicht zustimmen und sie ablehnen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piratenfraktion angenommen.
Wir sind am Ende des Tagesordnungspunktes 2 angekommen. – Herzlichen Dank.
Wir treten ein in Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1258 – Neudruck
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Bayer das Wort.
(Anhaltende Unruhe)
– Meine Damen und Herren, ich darf alle die, die jetzt den Saal verlassen, bitten, das möglichst geräuschlos zu tun und auch Gespräche am Rande möglichst nach draußen zu verlagern, damit wir ohne Einschränkung den Ausführungen des Herrn Kollegen Bayer lauschen können. – Vielen Dank.
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Oliver Bayer (PIRATEN): Danke schön, Herr Präsident! – Bleiben Sie noch hier, ich mache da weiter, wo Herr Stein aufgehört hat. Das wird bestimmt spannend. Kommen Sie ruhig wieder rein!
(Beifall von den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer aller Welten! Wir haben in letzter Zeit – da knüpfe ich gleich an Herrn Stein an – viel über Transparenz gesprochen. Da sollten wir heute auch mal welche schaffen. Ich finde es gut, dass Sie alle von Transparenz sprechen und damit offen sind, Leitideen der Piraten zu folgen.
Vor allem im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs oder des öffentlichen Personenverkehrs überhaupt fehlt uns die Transparenz – uns Politikern, den Stadtplanern, allen Menschen in NRW, die sich für die Entwicklung des ÖPNV, des Verkehrs insgesamt interessieren und sich mit viel Engagement beteiligen wollen. Derzeit ist es nicht nur schwierig, spontan alle in NRW verfügbaren Einzeltickets zu verstehen; allen Akteuren fehlt die Übersicht, das System insgesamt zu erfassen.
Kosten-, Nutzungs-, Bedarfs- und Entwicklungsperspektiven: Es geht hier nicht um die Forderung nach mehr Geld. Natürlich fordere ich grundsätzlich wie alle Verkehrspolitiker die nötigen Mehrausgaben, um zumindest die vorhandene Infrastruktur zu erhalten, aber auch Investitionen in Busse und Straßenbahnen zu ermöglichen.
Nicht erst aus der kategorischen Ablehnung all unserer Haushaltsanträge schließe ich, dass wir mit mehr Geld für alles auch nicht weiterkommen. Dann allerdings sind wir in einer Situation, in der wir zusammen gänzlich neue Modelle und Finanzierungen ausprobieren sollten.
Hier im Plenum, im Ausschuss und in Diskussionsrunden habe ich schon öfter den Verkehrswandel erläutert, der auf uns zukommt, die Verkehrswende dargestellt, die wir frühzeitig in Angriff nehmen müssen. Protektionismus für die Straße und eine autozentrierte Verkehrsplanung vergangener Epochen sind überaltert.
Doch wir Piraten sind nicht in dieses Parlament gekommen, um fünf Jahre über die Versäumnisse der Vergangenheit zu schimpfen, bloß darauf hinzuweisen, dass Planungen und Verfahren veraltet sind und der Landesregierung der Mut und der Bundesregierung die Weitsicht fehlt. – Nein, wir Piraten wollen wirkliche Veränderungen und gemeinsam mit Ihnen daran arbeiten. Wir möchten dabei auch auf früheren Ideen aufbauen.
2003 hatte sich der Bund – zu dem Zeitpunkt mit rot-grüner Regierung – mit den umweltpolitischen Handlungsempfehlungen für die Finanzierung des ÖPNV – in einem Forschungsbericht – dieser Thematik schon einmal angenommen. Damals gelangte man übrigens auch zu der Erkenntnis, was ein ticketloser ÖPNV bundesweit kosten würde, nämlich pro Kopf 15 DM monatlich. Das sind 7,67 €. Die Datenbasis stammt aus der Zeit der Jahrtausendwende und ist folglich veraltet. Sie muss also aktualisiert werden.
Doch warum wurde das Thema damals nicht weiterverfolgt? SPD, Grüne, die, die noch da sind – fragen Sie auch die, die gerade abwesend sind –: Wir finden, das muss man wieder aufgreifen. Wir sind sehr daran interessiert, die damals auf Bundes- und Länderebene erfassten Daten nun auf Landes- und Kommunalebene, also noch deutlich detaillierter und aussagekräftiger, zu aktualisieren, zu ergänzen und auszuwerten.
Wir wollen die Nutzungs- und Finanzierungsstruktur des öffentlichen Personenverkehrs in einer Weise durchleuchtet sehen, die es ermöglicht, Optimierungspotenziale zu finden, Synergieeffekte zu aktivieren und überflüssige Verwaltungsebenen abzubauen. Ja, wir wollen Steuergeld möglichst effektiv und effizient verwenden. Deshalb wollen wir zusätzlich Einsparpotenziale im Bereich des motorisierten Individualverkehrs aufdecken, wir wollen, dass das Geld für den Verkehr so effektiv wie möglich verwendet wird. Womöglich sind einfache transparente Systeme auch kostengünstiger.
Wir wollen der These nachgehen, dass der öffentliche Personenverkehr nicht nur sozial und ökologisch die bessere Verkehrsform, sondern auch in Abwägung der gesamtgesellschaftlichen Kosten zudem die ökonomisch weitaus sinnvollere Investition ist.
Im Bund wurde von Rot-Grün 2003 die Gelegenheit zur Innovation vertan. Heute haben wir sie auf Landesebene erneut. Ich nehme an, dass Ihr Angebot zur konstruktiven Zusammenarbeit ernst gemeint war. Ich nehme ebenso an, dass Sie für umwelt- und sozialpolitische Innovationen zu gewinnen sind.
Ich bitte Sie daher, dieses Anliegen gemeinsam im Ausschuss weiter zu behandeln und mit uns zu vertiefen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Tüttenberg.
Achim Tüttenberg (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal finde ich es gut, dass sich die Piraten als neue Fraktion in diesem Hause der schwierigen Materie der Infrastrukturpolitik, der Verkehrspolitik zuwenden möchten. Sicherlich ist das schwere Kost. Das sehen Sie auch an der Zahl der sich für dieses Thema nicht unbedingt vorrangig interessierenden, abwesenden Mitglieder in diesem Hause zurzeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie werden, wenn Sie sich diesem Thema zuwenden, auf eine Fülle von Informationen stoßen, die in verschiedener Weise erhoben werden, vorliegen, aufbereitet werden. Wir haben eine Struktur, die dezentral und regional beim ÖPNV organisiert wird.
Sie haben selber in Ihrem Antrag ausgeführt: Es gibt die Verkehrsverbünde, es gibt die Verkehrsunternehmen. Sie sind kommunal bestimmt. Dorthin entsenden die Kommunen ihre Vertreter. Sie werden auch kommunal kontrolliert. Insofern ist das durch die Zeilen schimmernde Misstrauen, dass das dort alles intransparent ablaufe, nicht zutreffend – anders, als es der Kollege Stein eben dargestellt hat. Es ist nicht kommunalfreundlich, das hier so durchschimmern zu lassen. Ich möchte deshalb ein erstes Fragezeichen daran machen.
Zum Zweiten geht es um den Straßenbau. Wir haben tatsächlich den Landesstraßenbau, der originär durch das Land finanziert wird. Wir haben den kommunalen Straßenbau, der auf der Basis des Entflechtungsgesetzes zwischen Bund und Ländern gefördert wird, wir haben den Bundesstraßenbau, der vom Landesbetrieb „Straßen NRW“ geplant wird – sicherlich auch eine Materie, der man sich mit großer Intensität zuwenden muss.
Deswegen stößt sicherlich der eine oder andere Kollege auch zeitlich an gewisse Grenzen. Für diesen Fall gibt es die Möglichkeit, wissenschaftliche Mitarbeiter bzw. den Wissenschaftlichen Dienst zu aktivieren.
Auch die statistischen Jahrbücher, die uns immer wieder ereilen, sind letztendlich nicht ausschließlich dafür da, dass man sie archiviert. Vielmehr enthalten sie umfangreiche Zahlenwerke, welche wieder aufbereitet, abgewogen und rückgekoppelt werden sollen. Insofern kann es nicht ausschließlich darum gehen, dass – und dazu stellen Sie Ihren Antrag – ein unabhängiges Expertengremium diese Arbeit machen soll. Man muss sich ein Stück weit selbst auf diesen Weg machen und die Analysearbeit, die Auswertungsarbeit und die Rückkopplungsarbeit vornehmen. Das ist die tägliche Arbeit, die eine Fraktion leistet, und dabei werden Sie auch auf Konflikte stoßen. Das können wir Ihnen und das möchten wir auch uns selber nicht ersparen.
Insofern haben wir Bedenken, dass Sie dieses Thema in der Weise aufbereiten, wie Sie es hier formuliert haben, dass Sie nämlich zusätzlich zur Kommission, die sich mit der Zukunft des ÖPNV beschäftigt und Anfang 2013 ihre Ergebnisse vorlegen wird, ein weiteres Gremium einrichten wollen. Sie nennen es „Expertengremium“, welches dann eine Studie in Auftrag geben soll. Sie wollen also eine weitere administrative Ebene einziehen.
Ferner ist es aus meiner Sicht auch etwas unlogisch. Denn auf der einen Seite sagen Sie, dass die kommunalen Strukturen zu dezentral seien und dass diese landesweit gebündelt werden müssten. Auf der anderen Seite sprechen Sie die Bundesverkehrsinfrastruktur und sogar die Strukturförderungsmittel, die zum Teil auf der EU-Ebene laufen, an. Dann wäre es auch falsch, es auf Landesebene anzusiedeln. Sie müssten es dann konsequenterweise auf der Bundesebene ansiedeln.
Insofern möchte ich Ihren Antrag nicht per se dahin gehend schlechtreden, dass Sie nicht das richtige Thema angesprochen haben. Man kann ihm aber auch nicht ohne Weiteres zustimmen. Denn Sie erheben zunächst einmal lediglich die Forderung, ein weiteres Gremium zu bilden, um eine Lösung zu finden, machen aber keine eigenen Vorschläge.
Deswegen sind wir bereit, den Antrag in den zuständigen Fachausschuss zu überweisen. Dort möchten wir Ihnen auch die Gelegenheit geben, anhand des Textes und der Daten, die bereits vorhanden sind und nicht neu erhoben und bewertet werden müssen, präzise darzulegen, worauf Sie beschlussmäßig konkret hinauslaufen. Vielleicht kann man sich noch einigen. Ich hoffe, dass es eine fruchtbare Debatte geben wird. Wenn Sie über die Forderung – dies sage ich schon heute im Voraus –, das auf eine dritte Ebene zu verlagern, nicht hinausgehen wollen, möchte ich bereits jetzt ein gewisses Maß an Skepsis äußern, ob wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Aber lassen wir es darauf ankommen. Die Arbeit im Ausschuss kann diesbezüglich sehr erhellend wirken. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tüttenberg. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Moritz.
Arne Moritz (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Ich bin ehrlich gesagt überrascht von Ihrem Antrag, werte Kolleginnen und Kollegen von den Piraten. Denn Sie fordern in Ihrem Antrag, Daten und Studien, die es bereits gibt und die man in kürzester Zeit und mit wenig Aufwand im Internet finden kann, herbeizuführen. Ich habe in kurzer Zeit sechs Titelseiten ausgedruckt. Das heißt, uns fehlen nicht die Daten und Zahlen, sondern uns fehlen die Schlussfolgerungen. Also müssen die Zahlen zusammengeführt und in ein schlüssiges Gesamtkonzept gebracht werden – in ein Gesamtkonzept, welches die Antwort auf die Frage gibt, wie die Mobilität morgen aussieht.
Ich weiß, dass das Thema „Mobilität“ die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes bewegt. Dies gilt vielleicht nicht gerade in dieser Minute hier im Plenum, aber draußen vor den Türen des Landtags. Diskussionen über das Thema „Mobilität“ werden sehr emotional geführt, wenn es um Straßen, Gleise, Wasserstraßen oder gar Flughäfen geht. Wir alle möchten zwar permanent mobil sein, aber wir akzeptieren nicht die Folgen dieser Mobilität.
(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)
Heute will niemand mehr die ganze Landschaft zubetonieren, aber es will auch niemand im Stau stehen, und erst recht will niemand den Stau vor seiner Haustür haben.
Insofern verfolgt Ihr Antrag – abgesehen von einem tendenziösen Unterton – das richtige Ziel, aber Sie wählen den falschen Weg. Denn wir benötigen ein Gesamtkonzept, und das wiederum ist die Aufgabe der Landesregierung. Das heißt, wir benötigen kein Expertengremium, welches teure Gutachteraufträge erteilt. Ich persönlich gehe davon aus, dass das Verkehrsministerium genug eigenen Sachverstand hat, um ein Mobilitätskonzept für NRW zu entwickeln, in dem Individualverkehr und ÖPNV auf einen Nenner gebracht werden können.
In der Regel ist es auch so, dass Ministerposten und Staatssekretärsposten nach Kompetenz vergeben werden.
(Zuruf von der CDU: Aber nicht in dieser Regierung!)
– So sollte es zumindest sein.
Wir gehen davon aus, dass zumindest das Verkehrsministerium in der Lage ist, ein Konzept für ein mobiles NRW zu entwerfen.
(Jochen Ott [SPD]: Volle Kompetenz, Herr Groschek!)
Mit Ihrem Antrag würden wir die Erstellung eines solchen Mobilitätskonzeptes um Jahre zurückwerfen. Denn erfahrungsgemäß dauert es nicht nur wenige Wochen bis zur Fertigstellung eines solchen Gutachtens, sondern in der Folge muss dieses auch noch ausgewertet werden. Genau dann beginnt die Arbeit, mit der wir eigentlich schon jetzt beginnen können, nämlich die verschiedenen Gutachten und Zahlen in einem Gesamtkonzept zusammenzuführen.
(Zuruf von den PIRATEN: Nur zu!)
So viel Zeit, wie wir bis dahin vergeuden würden, haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht, und abgesehen von dem zeitlichen Kontext können wir uns auch die Kosten für ein solches neues Gutachten sparen. Denn, wie gesagt, die Zahlen liegen schon vor, und deswegen brauchen wir zeitnah ein Gesamtkonzept für die Zusammenführung der Verkehrsträger. Aus diesem Grund fordere ich jetzt insbesondere die Landesregierung auf, diese Zahlen zu einem Gesamtkonzept zusammenzuführen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und dann im Sinne der Bürgerinnen von Nordrhein-Westfalen ideologiefrei zu handeln. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Klocke.
Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der Piraten, ich würde Ihnen durchaus zustimmen, dass beim Blick auf die Verkehrsplanung die Strukturen der jeweiligen Kostenträger, der verschiedenen Verkehrsverbünde, der Bund-Länder-Kommunen-Finanzierung etc. doch recht unüberschaubar sind.
Jetzt scheint mir Ihr Antrag so ein bisschen nach folgendem Muster gestrickt zu sein: Wenn man alle Zahlen, die man so hat, irgendwie zusammenführt, in eine große Wundermaschine oben hineinwirft und das so richtig durchknetet, dann kommt unten ein gutes Gesamtverkehrskonzept heraus. – Das finde ich überhaupt nicht zielführend, aber möglicherweise kommen wir in der Ausschussdebatte noch darauf, dass doch etwas anderes dahintersteckt und dass wir möglicherweise doch zueinander kommen.
Es gab hier zum Beispiel von 1996 bis 2000 die Enquetekommission „Zukunft der Mobilität“, zu der auch ein sehr ausführlicher Abschlussbericht erschienen ist, welcher das neue Konstrukt der integrierten Gesamtverkehrsplanung enthielt. Ob uns diese sozusagen in jedem Punkt weitergebracht hat, ob das eigentliche Ziel, das dahintersteckte, nämlich den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsträger zu ermöglichen und zu fördern, letztendlich erreicht worden ist, möchte ich infrage stellen.
Alle Zahlen und Daten liegen vor. Wir haben einen Wissenschaftlichen Dienst und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das entsprechend zusammenstellen können. Es geht immer auch um die Frage der Schlussfolgerungen, die man zieht. Wir befinden uns gerade in der Debatte um die Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans und die Debatte um das ÖPNV-Gesetz. Dort wird konkret das, was wir an Zahlenmaterial und Erkenntnissen haben, zu einer Gesamteinschätzung oder -abwägung einfließen.
Sie wünschen sich zum Beispiel eine Offenlegung der Zahlen der Verkehrsverbünde. Das ist einerseits zwar wünschenswert, aber andererseits sind rechtlich gesehen nicht alle Betriebsergebnisse und Betriebszahlen veröffentlichbar. Die Nennung der Betriebsergebnisse war ein Grund, weshalb die Debatte um das ÖPNV-Gesetzes mehr Zeit in Anspruch genommen hat als eigentlich geplant. Wir haben nämlich die Daten aus den Unternehmen nicht bekommen, die wir eigentlich eher hätten haben wollen.
Durchaus stimme ich Ihrem Antrag grundsätzlich zu, dass Sie eine ehrliche Kostenbilanz beim motorisierten Individualverkehr, die gesellschaftlichen Folgekosten, die Kosten der Umwelt sowie Gesundheitskosten etc. haben wollen, sodass man darüber debattieren kann. Dabei handelt es sich aber lediglich um Einzelsegmente Ihres Antrags. Im Ausschuss müsste man noch einmal ausführlicher diskutieren.
Ich teile nicht die Einschätzung, die direkt auf der ersten Seite im ersten Satz auftaucht, dass die Verkehrssituation in den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ausschließlich von der Zunahme des Autoverkehrs geprägt ist. Schaut man sich die Zahlen der Verkehrsverbünde sowie den SPNV und die konkreten Nahverkehrsunternehmen an, so haben wir – zum Beispiel in Köln – eine deutliche Zunahme der Fahrgastzahlen in den letzten Jahren. Zum Glück ist das so. Also bewegt sich nicht nur im Autoverkehr etwas, sondern wir haben klare Zuwächse beim ÖPNV und beim SPNV. Auch das prägt das Land und bezieht sich auf Schritte, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten gegangen worden sind. Damit meine ich zum Beispiel die Regionalisierung bei den Verkehrsunternehmen. Das, was wir schon vor fünf oder sogar zehn Jahren auf den Weg gebracht haben, greift hier in Form steigender Fahrgastzahlen.
Um es noch einmal zusammenzufassen: Ihren Ansatz würde ich nicht von der Hand weisen wollen. Darüber müssen wir im Ausschuss noch einmal genauer diskutieren. Die Frage stellt sich: Welche Form gibt man dem? Sie können sich natürlich als Fraktion überlegen, ob Sie für den Landtag als Antrag aus der Piratenfraktion heraus eine neue Enquetekommission beantragen, die Sie als das Gremium nutzen möchten, in dem Sie verschiedene Ansätze und Zahlenmaterial zusammenführen wollen.
Dass wir aber neben der ÖPNV-Zukunftskommission vonseiten der Landesregierung eine weitere Kommission einrichten, in der Zahlen- und Datenmaterial zusammengeführt werden, halte ich für nicht unbedingt sinnvoll. Die Frage stellt sich, ob man das vorhandene Datenmaterial nutzt, um sowohl im Ausschuss wie auch im Ministerium eine vernünftige Verkehrsstrategie zu planen. Ich finde, dass uns genügend Zahlen vorliegen, die man für eine vernünftige Politik nur entsprechend verwenden und nutzen muss.
Oben stehen der Verkehrsträgermix und eine umweltfreundliche Verkehrsplanung. Wenn Sie auf dieser Schiene mit uns zusammen fahren wollen, befinden wir uns auf einer Linie und könnten das entsprechend unterstützen. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Abgeordnetenkollege Rasche.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns mit einem Antrag der Piraten, der sehr komplexe Fragen der Verkehrspolitik thematisiert. Herr Bayer, Sie haben eine konstruktive Diskussion im Ausschuss eingefordert. Die sagen wir Ihnen zu. Das ist doch selbstverständlich.
Trotzdem möchte ich sechs Aussagen von Ihnen ansprechen:
Erste Aussage: Im Alltag ist unsere Mobilität durch Staustandzeiten und Überfüllung der Verkehrsräume stark eingeschränkt. Die Wirtschaft verliert Zeit, Kapital und Entwicklungschancen. – Absolute Zustimmung.
Zweite Aussage: Sie fordern mehr Transparenz in den Finanzierungsstrukturen. – Mit Blick auf die Finanzierungstrukturen im ÖPNV stimmen wir Ihnen zu. Das ist kompliziert. Dort kommt man nicht an alles heran. Aber ansonsten liegt ziemlich alles vor. Das gilt insbesondere für die Grundlagendaten. In diesem Teilaspekt würden wir Ihnen nicht zustimmen.
Dritter Punkt! Der Straßenverkehr deckt nur einen Bruchteil der durch ihn verursachten externen Kosten. – Darüber sollten wir im Ausschuss einmal diskutieren. Immerhin bringt die Straße dem Fiskus im Jahr rund 53 Milliarden € ein. Zudem sind unbestreitbare Nutzen vorhanden, die zu bewerten schwierig ist. Dass nur ein Bruchteil abgedeckt wird, ist, glaube ich, eine nicht statthafte Aussage.
Vierter Punkt! Der Straßenverkehr wird überproportional aus öffentlichen Mitteln gefördert. – Auch das sollten wir im Ausschuss noch einmal in Ruhe diskutieren. Wie sieht das auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene aus? – Im Verkehrshaushalt des Landes stehen 1,5 Milliarden € für den öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung. Das sind 71 % des gesamten Verkehrsbereichs. Angesichts dessen kann man doch nicht davon reden, dass die Straße überproportional gefördert wird. Es ist doch eigentlich eher genau andersherum, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Fünfter Punkt! Sie wollen – wie alle anderen auch – möglichst viel Verkehr auf die Schiene verlagern. Das betrifft den bestehenden Verkehr und die extremen Verkehrszuwächse. Der Ehrlichkeit halber müssen wir auch sagen und feststellen: Um nur die Hälfte des zu erwartenden Zuwachses in Gänze auf die Schiene zu verlagern, müssten wir die Kapazität auf der Schiene verdoppeln.
Wir haben doch in der letzten Verkehrsausschusssitzung darüber diskutiert, wie schwierig es ist, Baurecht zu erlangen, wie lange die Planungsverfahren dauern. Das ist praktisch gar nicht machbar. Finanzierbar ist es auch nicht.
Sechster und letzter Punkt der Aufzählung! Sie fordern die fahrscheinlose Nutzung des ÖPNV, also einen kostenlosen ÖPNV im ganzen Land. Das mag im ersten Schritt für die Bürgerinnen und Bürger lukrativ wirken; aber dadurch erleiden wir Milliardenverluste. Wir hatten vorher schon von einem riesigen Investitionsstau geredet, der dadurch noch wesentlich vergrößert wird. Dieses Ziel der Piraten schadet dem ÖPNV, statt ihm zu helfen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Abschießend: Um die Probleme des Landes im Bereich Verkehr zu lösen bedarf es einer ausgewogenen Politik für alle Verkehrsträger. Die Zeiten einer einseitigen Politik einer Fraktion – vielleicht für die Straße – oder einer anderen Fraktion – nur für die Schiene – sind längst vorbei. Wir brauchen eine konstruktive Politik für alle Verkehrsträger. Nur das hilft Nordrhein-Westfalen in diesem Bereich. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Groschek das Wort.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bemühe mich jetzt wirklich um Ideologiefreiheit. Ich finde, der Antrag ist gut gemeint, aber in seiner konkreten Ausrichtung eigentlich überflüssig. Gründe dafür wurden hier schon genannt. In der Ausschussdiskussion wird das noch einmal sehr deutlich werden.
Die Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie versucht, Nachhaltigkeit in die Praxis umzusetzen – mit allen finanziellen Unzulänglichkeiten des Rahmens, in dem wir uns bewegen. Deshalb sind wir im Jahr 2012 als Bundesland mit dem besten Nachhaltigkeitskonzept in der Verkehrspolitik ausgezeichnet worden.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Zweite Anmerkung: Mobil sein, ohne Mobilitätsvehikel besitzen zu müssen – darüber sind sich die Landesregierung und Sie prinzipiell einig. Ich glaube auch: Sozialverträgliche Nutzbarkeit und möglichst umfassende Verfügbarkeit müssen die Prinzipien der Verkehrspolitik sein. Deshalb ist das langfristige Ziel, das Smartphone zum Zündschlüssel für Mobilität zu machen. Das geht in Etappen und wird noch eine relativ lange Wegstrecke sein, aber letztlich ist das das Ziel. Denn alles andere führt in eine verkehrspolitische Sackgasse.
Dritte Anmerkung dazu: Ich glaube nicht, dass das Prinzip „ÖPNV – wenn für lau, dann jau!“ richtig ist.
(Heiterkeit von den GRÜNEN)
Ich will das verdeutlichen: Wertschätzung für einen sicheren, pünktlichen und sauberen ÖPNV, der dicht vertaktet ist, also für einen hoch qualitativen ÖPNV, muss sich auch in einem Preis ausdrücken. Ich glaube nicht, dass der Nulltarif die richtige Tarifierung für einen solchen ÖPNV wäre.
(Beifall von den PIRATEN, Jochen Ott [SPD] und Arndt Klocke [GRÜNE])
Aber wir werden erleben, welche Hinweise uns die ÖPNV-Zukunftskommission geben wird. Darüber können wir ab Jahresbeginn diskutieren.
Mit Blick auf die Daten ist darauf hingewiesen worden, dass diese eher im Überfluss vorhanden sind, als dass ein Datenmangel besteht. Allerdings mangelt es an Geld. Dieser Mangel ist ganz eklatant und beträgt hochgerechnet für die gesamte Bundesrepublik Deutschland 7,5 Milliarden € pro Jahr. Das ist das strukturelle Defizit bei der Finanzierung unserer Verkehre auf den unterschiedlichen Verkehrsträgern.
Dazu gibt es die sogenannte Daehre-Kommission, die den Ländern und dem Bundesverkehrsminister zuarbeitet. Sie wird im Dezember einen Zwischenbericht übergeben, der allerdings einen Mangel an Transparenz haben wird. Darin wird zunächst wieder abgewogen und nach politischen Proporzen gewichtet.
Deshalb ist mein großer Appell: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass der nordrhein-westfälische Landtag als erster Dr. Daehre in den Verkehrsausschuss einlädt und zu seinen Ergebnissen befragt. Denn dann wird deutlich, welche strukturellen Überlegungen die Kommission hat.
Dann fällt uns gemeinsam die Entscheidung leichter, was von diesem gutachterlichen Blick den Spindoktoren der Parteien bei der Bundestagswahlkampfkampagnenplanung zum Opfer fällt, auf Deutsch gesagt: Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass für die Zukunft des öffentlichen, schienengebundenen und individuellen Verkehrs auch im Bundestagswahljahr die Verkehrspolitiker und nicht die Spindoktoren zuständig bleiben.
Es wäre ein guter Auftakt, Dr. Daehre im Januar einzuladen, um mit ihm zu diskutieren. Dann hätten wir gemeinsam verhindert, dass einige Türen bis Ende September zugeschlagen werden, weil man nicht bereit sein könnte, sich unangenehmen Fragen zu stellen. – So weit meine Einlassung.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Ende der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1258 – Neudruck – an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich darf fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/57
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1563
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/1482
Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner Herrn Kollegen Becker von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte, Herr Kollege.
Andreas Becker (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Beginn festhalten: Wir debattieren nun über ein gutes Gesetz.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Die SPD-Fraktion wird ihm unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr gern zustimmen.
Das ist ein gutes Gesetz für die mehr als 2,1 Milliarden Fahrgäste jährlich auf den rund 100 Millionen Zugkilometern im Schienenpersonennahverkehr in unserem Land, denn es sichert die Finanzierung dieses Angebots durch eine Anhebung der SPNV-Pauschale auf den neuen Mindestbetrag von 858 Millionen €.
Die konkrete Höhe und Verteilung auf die drei Aufgabenträger wird dabei zukünftig durch eine Rechtsverordnung erfolgen, die kurzfristige Reaktionen auf unterjährige Bedarfsveränderungen ermöglicht. Auch das ist gut. Noch besser ist allerdings, dass wir im Rahmen des Beratungsverfahrens gemeinsam zu der Auffassung gekommen sind, dass diese Verordnung durch die Landesregierung nicht nur im Benehmen, sondern im Einvernehmen mit dem Verkehrsausschuss des Landtags erlassen werden muss.
(Beifall von der SPD)
Leider korrespondiert die Erhöhung der ÖPNV-Pauschale mit einer Absenkung der pauschalierten Investitionsförderung um 30 Millionen €. Wir hätten uns da etwas anderes gewünscht, aber es stehen immerhin noch 120 Millionen €, die ebenfalls neu geschlüsselt werden, zur Verfügung, und der Höchstfördersatz wird von 85 % auf 90 % erhöht, um die Realisierung von Infrastrukturprojekten in finanzschwachen Regionen zu ermöglichen.
Wir wissen, dass das Fahrplanangebot, das seit 1996 um mehr als 30 % ausgeweitet worden ist, mit einem Schienennetz auskommen muss, das Lücken, Engpässe und Schwachstellen hat. Ich denke zum Beispiel an die Bahnknoten in Dortmund oder Köln.
Die Region zwischen Rhein und Ruhr als größter europäischer Ballungsraum braucht ein leistungsfähiges, schnelles schienengebundenes Verkehrsangebot für den Personenverkehr. Deshalb bin ich froh, dass wir dafür mit dem Rhein-Ruhr-Express ein zentrales Infrastrukturprojekt verbindlich auf die Schiene gesetzt haben.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Zwei weitere Regelungen des ÖPNV-Änderungsgesetzes sind von besonderer Wichtigkeit für die Menschen im Land. Zum einen werden die sogenannten Bedarfsverkehre wie zum Beispiel die Taxibusse in die ÖPNV-Pauschale einbezogen. Das ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in den Kommunen von besonderer Bedeutung, insbesondere auch für den ländlichen Raum.
Zum zweiten erteilen wir mit dem ÖPNV-Änderungsgesetz den Auftrag, die zurzeit neun Gemeinschaftstarife auf drei zusammenzuführen. Ich bin sicher, die Kunden – sprich: die Menschen – werden es uns danken.
Meine Damen und Herren, ich habe diese überaus positiven Bestandteile ausgeführt, weil ich davon ausgehe, dass sie gleich in den Reden der Opposition keine Rolle mehr spielen werden. Sie werden gleich wieder das Lied von der rot-grünen Koalition singen, welche die Mittel für den ÖPNV kürzt.
Diese Behauptung wird auch durch ständige Wiederholung nicht richtig. Sie wissen doch, dass der finanzielle Ansatz für den ÖPNV insgesamt gleich bleibt. Sie wissen doch – das ist gutachterlich belegt –, dass wir für die Betriebskosten mehr Geld brauchen. Bis 2015 sind es insgesamt 137 Millionen €. Sie wissen auch, warum, dies deshalb, weil die Trassen- und Stationspreise der Bahn und die Energiekosten steigen. Wer also diese Erhöhung der Betriebskostenpauschale nicht mitträgt, sollte auch gleich sagen, welche bestehenden Strecken er zukünftig nicht mehr bedienen will, damit wir das den Menschen im Lande auch sagen können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir Sozialdemokraten machen da nicht mit. Wir wollen den ÖPNV in Nordrhein-Westfalen nicht infrage stellen, wir wollen ihn sicherstellen. Zudem wollen wir ihn qualitativ weiter ausbauen. Wir unterstützen daher den Kurs der Landesregierung. Dies ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen, insbesondere dem Druck aufgrund der Konsolidierungsmaßnahmen für die kommenden Landeshaushalte, eine sehr schwierige Aufgabe.
Ich will Sie bei der Gelegenheit auch gerne daran erinnern, dass der ÖPNV in Nordrhein-Westfalen weitgehend vom Bund finanziert wird. Jährlich fließen rund 1,5 Milliarden € für den ÖPNV in Nordrhein-Westfalen. Davon sind 86 % Bundesmittel aus verschiedenen Quellen. Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Statt hier ein Haar in der Suppe zu suchen, sollten Sie lieber konstruktiv und im Interesse des Landes und seiner Menschen für eine nachhaltige und sichere Finanzierung des ÖPNV in Berlin eintreten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Becker, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.
Andreas Becker (SPD): Jawohl. – Eine solche nachhaltige und sichere Finanzierung funktioniert nämlich nur, wenn auch der Bund in Zukunft, also über den 31. Dezember 2013 hinaus, die Entflechtungsmittel in auskömmlicher Höhe gewährt.
Aus diesen Gründen werden wir, wie gesagt, dem ÖPNV-Änderungsgesetz auf Basis der Beschlussempfehlung zustimmen und den Änderungsantrag der CDU ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rehbaum.
Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Gäste! Wir haben heute die große Chance, den Nahverkehr in NRW kundenfreundlicher zu machen. Das Angebot muss attraktiv bleiben, die Anlagen und Fahrzeuge müssen modern und sicher und die Fahrscheintarife klar verständlich und fair sein. Dieser Dreiklang muss gegeben sein, damit die Menschen auf Bus und Bahn umsteigen, das Klima schonen und Platz auf unseren Straßen für diejenigen machen, die keine Möglichkeit zum Umstieg auf den ÖPNV haben.
Kernpunkt unseres Antrages ist die Erkenntnis, dass die U-Bahnen, die Straßen- und Stadtbahnen in NRW in die Jahre gekommen sind. Einige Beispiele: Bielefeld – Einrichtungsjahr 1971, Dortmund – 1983, KVB-Köln – 1967.
Laut einer Studie des VDV liegt der reine Erhaltungsbedarf für Schienen- und Tunnelanlagen sowie Fahrzeuge bis 2016 bei ca. 1,7 Milliarden €. Die Deckungslücke bei den Unternehmen beträgt ca. 1,2 Milliarden €. Die Lage ist dramatisch. Die Bahnanlagen drohen zu verrotten. Wenn keine neuen Mittel ins System fließen, werden die ersten Bahnen stillgelegt werden müssen, wie das in Mülheim an der Ruhr bereits geschehen ist.
In solchen Zeiten reicht es nicht, auf den Bund zu verweisen, der NRW aus der Patsche helfen soll. Hier muss eine Landesregierung investieren.
In dieser Situation aber geht die Regierungskoalition aus SPD und Grünen einen fatalen Weg. Sie kürzt die Mittel für Verkehrsinfrastruktur um 30 Millionen € entgegen der Empfehlung zahlreicher Fachleute von Verkehrsunternehmen und -verbänden.
(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)
Die CDU schlägt daher vor, keine Kürzung der Infrastrukturmittel um 30 Millionen € vorzunehmen und die Verwendung der vollen 150 Millionen € Infrastrukturmittel nicht nur wie bisher für den Neubau, sondern ausdrücklich auch für Ersatzinvestitionen von Verkehrsanlagen und Fahrzeugen verwenden zu dürfen.
(Beifall von der CDU)
Um diesen Beitrag zur Rettung unserer Stadtbahnen ohne Mehrausgaben stemmen zu können, wollen wir keine Fahrpläne kürzen. Wir sehen an dieser Stelle nur eine Möglichkeit: die Abschaffung der Förderung der Sozialtickets. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wem nützt das schönste Sozialticket, wenn die Bahnen stillgelegt sind.
(Beifall von der CDU)
Zum zweiten Punkt unseres Änderungsantrages: Früher gab es in NRW einen Flickenteppich von Gemeinschaftstarifen, der für den Fahrgast nicht mehr zu durchschauen war. Heute haben wir es fast geschafft. Wir haben den VRR-Tarif, den Tarif für das Rheinland und bald auch einen großen NWL-Tarif für Westfalen-Lippe, wo heute noch fünf verschiedene Gemeinschaftstarife herrschen.
Die baldige Fusion der hohen Preisstufen im Schienenverkehr zum gemeinsamen Westfalentarif ist uns in der Anhörung durch den NWL in Aussicht gestellt worden. Darauf verlassen wir uns.
Tausende Kunden pendeln täglich vom NWL-Gebiet in den benachbarten VRR, insbesondere nach Dortmund und Hagen. Wir möchten, dass auf dem Wege einer gegenseitigen Anerkennung von Fahrscheinen in VRR und NWL Zigtausende Kunden zukünftig mit einem einzigen Nahverkehrsfahrschein unbürokratisch über die Verbundgrenzen pendeln können, so wie es heute schon bei vielen kleinen Kragenlösungen zur Zufriedenheit der Fahrgäste praktiziert wird.
Der NRW-Tarif on top ist die sinnvolle Ergänzung, um mit einem Ticket auf lange Distanzen mit dem ÖPNV durchs Land zu reisen – jenseits der täglichen Pendlerströme im Nahbereich. Für diese kundenfreundliche über praxisnahe Lösung haben der NWL und weitere Verbände in der Expertenanhörung eindringlich geworben. Das aber wurde im Ausschuss von SPD und Grünen leider nicht diskutiert – ebenso wenig wie der Vorstoß der CDU-Fraktion, den Flächenansatz bei der Verteilung der Aufgabenträgerpauschale von lächerlichen 1 % auf 10 % zu erhöhen.
Ich darf zusammenfassen: Die CDU will drei Gemeinschaftstarife in NRW. Sie will aber auch die Möglichkeit von Überlappungslösungen zwischen den drei Gemeinschaftsräumen sowie einen landesweiten Tarif für die langen verbundübergreifenden Fahrten im Nahverkehr.
Ich bitte Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, sich unserem Antrag im Interesse Zigtausender Pendler zwischen NWL und VRR anzuschließen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Beu das Wort.
Rolf Beu (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung des ÖPNV-Gesetzes Nordrhein-Westfalen kommen wir rechtzeitig dem gesetzlichen Auftrag zur Neuverteilung der pauschalen Fördermittel bis Ende 2012 nach. Die seit 2008 geltende pauschalierte ÖPNV-Förderung hat sich grundsätzlich bewährt. Als Problem wurde aber erkannt, dass die bisherige Schlüsselung der SPNV-Pauschale keine flexiblen Reaktionen auf kurzfristige Änderungen zuließ.
In Zeiten knapper Kassen sorgen wir künftig für einen flexiblen Mitteleinsatz und sichern das umfangreiche Bahnangebot mit zusätzlichen 30 Millionen € für den Schienenpersonennahverkehr ab. Dabei handelt es sich, wie bereits erwähnt, um eine Mittelverschiebung, bei der 30 Millionen € weniger ins Material fließen, sondern stattdessen zusätzlich in den Betrieb investiert werden.
Diese Kostensteigerung hat im Wesentlichen die DB AG mit ihren Trassen- und Stationsentgelten zu verantworten, die einen erheblichen Anteil zum Konzerngewinn beitragen. Mit diesen Entgelten, die in unserem Bundesland Nordrhein-Westfalen allein 500 Millionen €, also eine halbe Milliarde, betrugen, entlastet NRW indirekt den Bundeshaushalt, statt sie für Investitionen im Bahnbereich ausgeben zu können.
Es steht außer Zweifel, dass in den kommenden Jahren erhebliche Bedarfe insbesondere für die Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur bestehen. Daher ist diese Mittelverschiebung für die pauschalierte Investitionsförderung natürlich bitter, aber sie ist unverzichtbar. Denn was nutzt es, wenn am Ende Investitionen getätigt werden, auf den Schienenstrecken aber kein Verkehr mehr stattfinden kann?
Berlin darf sich – daran muss ich hier immer wieder erinnern – seiner Verantwortung nicht entziehen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Bund die Mittel nach dem Entflechtungsgesetz entsprechend dem nachgewiesenen Bedarf anhebt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Um den armen, den finanzschwachen Kommunen im Lande die Möglichkeit zu geben, überhaupt investiv tätig zu werden, wird der Höchstförderungssatz auf 90 % erhöht. Als wichtige Änderung des Gesetzentwurfs des Ministeriums sehen wir an, dass die für die nötige Flexibilität notwendige Rechtsverordnung des Einvernehmens des Landtags bedarf.
Wir begrüßen die Zielsetzung in Richtung eines einheitlichen Gemeinschaftstarifs. So sind beispielsweise die Anwohner an den Verbundraumgrenzen die Hauptleidtragenden des Tarifdschungels. Zukünftig nur noch drei Tarifräume wären zumindest ein erster richtiger Schritt, Herr Rehbaum. Aber wo gibt es denn den „Rheinlandtarif“? Gestern gab es noch in den Gremien des NVR Diskussionen über das Problem einer Angleichung von AVV und VRS. Dort ist man von einem einheitlichen Tarifraum noch meilenweit entfernt. Die Leidtragenden sind die Fahrgäste. Das muss von den Vertretern aller Fraktionen durchaus kritisiert und über dieses Gesetz beseitigt werden.
Wir begrüßen, dass der Ausschuss ein klares Signal gegeben hat, die Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr zu verbessern, und dass in das neue Gesetz Bedarfsverkehre wie Taxibusse erstmalig aufgenommen werden. Die Verkehrspolitik reagiert damit stärker als bisher auf die Herausforderungen des demografischen Wandels.
In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf und in den vielen Gesprächen, die wir mit den Verbänden, den Verkehrsverbünden, mit Vertretern einzelner Organisationen und mit Verkehrsunternehmen geführt haben, wurde aber auch deutlich, dass es noch einige innovative Ideen und Änderungsmöglichkeiten gibt, über deren Aufnahme wir für die nächste Novellierung dieses Gesetzes noch weiter beraten werden.
Für die jetzt anstehende Novelle des Gesetzes danken wir noch einmal ganz ausdrücklich dem Minister sowie allen Mitarbeitern des Ministeriums und werden den Beschlussempfehlungen des Ausschusses natürlich folgen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Beu. – Für die Fraktion der FDP hat der Kollege Rasche das Wort.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim ÖPNV geht es um viel Geld. Der Bund zahlt in diesem Jahr 1,12 Milliarden € an Regionalisierungsmitteln an das Land Nordrhein-Westfalen. Davon fließen allein 850 Millionen € als SPNV-Pauschale an die Zweckverbände. 110 Millionen € werden als Pauschale an die Aufgabenträger weitergeleitet.
Der Gesetzentwurf der Regierung sah vor, die Beteiligungsrechte des Landtags bei der Verteilung dieser Mittel ganz erheblich zu beschneiden. Das haben wir bereits bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs kräftig kritisiert. Immerhin haben die Koalitionsfraktionen diese Kritik aufgenommen. Wir haben den Gesetzentwurf geändert, sodass der Landtag wieder zu seinem Recht kommt und jetzt eine angemessene parlamentarische Beteiligung gesichert ist.
In einem anderen wichtigen Punkt, meine Damen und Herren, gab es leider keine Bewegung bei der Regierung. Trotz massiver Kritik der Sachverständigen in der Anhörung halten SPD und Grüne an der Kürzung der Investitionspauschale von 150 auf 120 Millionen € fest. Dabei haben die Kommunen und Verkehrsunternehmen bereits jetzt einen gewaltigen Investitionsstau. Eine aktuelle Studie des VDV untermauert diese Position ganz deutlich. Städte wie Mülheim, Oberhausen und Wuppertal – es gibt weitere Städte – kommen schon jetzt in erheblichem Maße zu Leistungskürzungen. Wenn wir die Investitionspauschale tatsächlich um weitere 30 Millionen kürzen, fehlt diesen Unternehmen und diesen Städten noch mehr Geld, und es wird zwangsläufig zu weiteren Streckenstilllegungen kommen. Wir benötigen diese Mittel in Höhe von 30 Millionen dringend. Deshalb können wir sie nicht für ein neues Produkt, das Sozialticket, ausgeben.
Niemand kann behaupten, uns fehlt das Geld aus Berlin. Es kann auch niemand verlangen, die CDU oder die FDP soll doch mal Vorschläge machen, welche Strecken sie stilllegen würde, weil das Geld für den Betrieb fehlt. Nein, das Geld haben Sie im Haushalt. Sie geben es nur für das Sozialticket statt für notwendige Investitionen im ÖPNV-Bereich aus.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sie weisen immer wieder auf Berlin hin. Die Kürzung der Regionalisierungsmittel in Berlin beruhte auf Koch/Steinbrück. Gerade Kollege Steinbrück müsste sich doch in Nordrhein-Westfalen auskennen. Denn er war nicht nur Ministerpräsident, sondern auch Verkehrsminister dieses Landes. Trotzdem hat er diese Kürzung auf Bundesebene – aus seiner Sicht mit Erfolg – für die SPD durchgesetzt. Von daher ist Ihre jetzige Kritik an Berlin absolut nicht redlich.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Natürlich werden wir uns konstruktiv an der Diskussion mit Berlin beteiligen, damit es dort wieder zu einer bedarfsgerechten Ausstattung kommt. Tun Sie aber bitte nicht so, als sei die SPD bei der nicht bedarfsgerechten Ausstattung außen vor.
Einem Gesetz, das in vielen Bereichen den ÖPNV in Nordrhein-Westfalen gefährdet – das haben wir mit diesen 30 Millionen € gerade deutlich gemacht –, kann die FDP nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion spricht der Kollege Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer hier und auch an den Displays, egal zu welcher Zeit! Seit der ersten Lesung zu diesem Gesetz ist einiges passiert, auch was das Gesetz betrifft. Wir hatten eine hervorragende Anhörung. Vielleicht fanden einige sie zu lang oder den Turm schriftlicher Statements zu hoch, aber wir hatten auch viele Fragen; Sie haben es vielleicht gesehen. Zumindest konnte ich neue Erkenntnisse zu dem ÖPNV-Gesetz und den beteiligten Akteuren der Anhörung mitnehmen. Nicht alles konnte diesmal in Änderungsanträge fließen. Wir werden noch viel zu tun haben, wie Herr Beu schon sagte.
Ich freue mich aber, dass wir gemeinsam die krasse Einschränkung parlamentarischer Mitwirkung revidieren konnten. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah nämlich vor, den Ausschuss nur per Benehmen zu beteiligen. Die nun in der Beschlussempfehlung des Ausschusses unter Punkt 4 vorgenommene Änderung von Benehmen in Einvernehmen begrüße ich ausdrücklich. Alle Fraktionen hatten das unabhängig voneinander gefordert.
Ich bedaure allerdings wie Herr Rehbaum und Herr Rasche, dass SPD und Grüne die Kürzung der Investitionsmittelpauschale in § 12 für unabdingbar halten und daran festhalten, auch wenn sich das unter anderem Herr Becker anders gewünscht hatte. Wir hatten zur Finanzierung bereits einen entsprechenden Änderungsantrag zum Haushalt eingebracht und im Ausschuss erneut gefordert, von den Kürzungen abzusehen.
Wir alle wissen, dass das Geld für Investitionen in die ÖPNV-Infrastruktur dringend benötigt wird. Der Bedarf für zunehmend notwendige Erhaltungsinvestitionen steigt, zum Beispiel durch sanierungsbedürftige Brücken, Tunnel und Trassen. Außerdem soll die Attraktivität des ÖPNV verbessert werden. Kommunen können kaum zusätzliches Geld aufbringen. Da gibt es eine Diskrepanz zwischen den Versprechen der Koalitionsfraktionen und ihrem Handeln. Das ist ein Punkt, den wir als Änderungsantrag vorgetragen hatten.
Ein weiterer Punkt ist die unzureichende Beachtung der Barrierefreiheit. Es genügt nicht, dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz noch das Behindertengleichstellungsgesetz NRW hinzuzufügen, wenn gleichzeitig der kleine, aber feine Unterschied zwischen „sollen“ und „müssen“ unbeachtet bleibt. Wir wollen, dass die Einhaltung der Barrierefreiheit bei allen Anlagen des ÖPNV realisiert wird. Dieses Anliegen sollte insbesondere für die regierungstragenden Fraktionen eine Selbstverständlichkeit sein.
Ein weiteres Thema ist die Transparenz und die Verfügbarkeit der in den Prozessen erhobenen Daten. Für die im Gesetz beabsichtigten Entwicklungen und Systemverbesserungen werden mit öffentlichem Geld Daten erhoben, Gutachten erstellt und Verfahren entwickelt, die der Öffentlichkeit gehören. Diese Daten könnten, sofern sie frei veröffentlicht werden, genutzt werden, um sinnvolle Zusatzangebote durch Dritte zu erstellen wie beispielsweise Apps für Smartphones à la „Öffi“. So kann nicht nur die Schnittstellenproblematik im Nahverkehr überwunden werden, es entstehen auch innovative Angebote aus frei verfügbaren Daten, wenn man die Entwickler nur lässt. Diese eleganten Effekte können nur entstehen, wenn man öffentliche Datenbestände auch tatsächlich veröffentlicht.
Ein weiterer Änderungsantrag betrifft die Sanktionsmaßnahmen. Die Idee eines Reizes zu der Bildung von Gemeinschaftstarifen begrüßen wir als Schritt in die richtige Richtung zu einem ticketfreien ÖPNV. Aber leider sind diese diffusen Sanktionsmöglichkeiten nicht zweckdienlich. Die schwebende Gefahr der nachträglichen Kürzung durch Rückforderung von 10 % der Mittel nimmt den Beteiligten die Planungssicherheit, wirkt daher kontraproduktiv und ist darüber hinaus mit der schwammigen Hinwirkungspflicht eigentlich inakzeptabel.
Ich persönlich werde daher dem Antrag nicht zustimmen und mich enthalten, auch wenn ich ganz klar für die Änderungen bin, die wir im Ausschuss vereinbart haben und die mehr als sinnvoll sind.
Was den Änderungsantrag der CDU betrifft, kann ich dem, was Sie auf Seite 1 wollen, zustimmen. Dem versteckten Hinweis in der Begründung, man soll das Sozialticket abschaffen, kann ich leider nicht zustimmen, sondern mich maximal enthalten. Sie sagen, die Ausgaben werden zur Verfügung stehen. Sie kommen aber eh aus dem Landeshaushalt, sind also ebenso zusätzlich, wie es bei den 30 Millionen der Fall sein könnte. Das ist kein Bundesgeld, das weitergeleitet wird wie der Rest. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Landesregierung betont zunächst einmal nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame. Wir freuen uns, dass wir im Gesetzentwurf eine Reihe von gemeinsamen Punkten wiederfinden – was Inklusion angeht, was andere Bestrebungen angeht. Deshalb ist der Gesetzentwurf ein großer Schritt zu einer gemeinsamen Neuausrichtung des ÖPNV, zu einer weiteren Verbesserung des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen.
Was die Pauschalierung und die prinzipielle Finanzierung angeht, folgen wir einem Strickmuster, dessen Erstellung der Abgeordnete Lienenkämper als Verkehrsminister seinerzeit beauftragt hatte. Diesem Gutachten unterliegt jetzt letztendlich auch die Finanzierungssystematik.
Als Oppositionsabgeordneter hätte ich vermutlich auch den Finger in die vermeintliche Wunde gelegt und gefragt: Warum kürzen Sie denn bei den Investitionen 30 Millionen €, obwohl wir 300 Millionen € mehr bräuchten und nicht 30 Millionen € weniger?
Die CDU hat sich an dieser Stelle ehrlich gemacht. Das will ich à la bonne heure auch zugestehen. Sie haben nämlich einen Deckungsvorschlag für das Verschieben der Investitionsrücknahme vorgelegt. Sie haben uns vorgeschlagen, auf das Sozialticket zu verzichten, um den alten Betrag von 150 Millionen € an Investitionsmitteln wieder einstellen zu können.
Da unterscheiden wir uns allerdings ganz deutlich. Wir sagen, dass es ein soziales Recht auf Mobilität gibt. Solange der Bund diesem Recht bei der Hartz?IV-Ausgestaltung nicht Folge leistet, werden wir mit unserem Solidarbeitrag auch Menschen, die am Rande der Armut leben, über das Sozialticket Mobilität ermöglichen. Das sind grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Was den CDU-Antrag selbst angeht, will ich jetzt nicht auf die Frage der Zuständigkeit von Bund und Ländern eingehen. Natürlich hat auch der Bund eine gewisse Zuständigkeit. Natürlich haben die Landesverkehrsminister von CDU und CSU auch den bayerischen Kollegen und mich beauftragt, mit Herrn Ramsauer darüber zu verhandeln, dass die ÖPNV-Großvorhaben nach 2019 weiterhin mit Bundeszuschüssen finanziert werden können. Alles das ist in Wirklichkeit auf der Länderebene zwischen den Verkehrsministern unterschiedlicher Parteibuchfarben unstreitig.
Im Grunde ist Ihr Appell, bei der Verkehrsinfrastruktur mehr auszugeben, angesichts der vor einer Stunde geführten Diskussion schwer nachvollziehbar. Kollege Laumann selbst hat angekündigt: Spätestens im Dezember kommt die Laumann-Sparliste; dann vergeht dem rot-grünen Ausgabenbanausentum Hören und Sehen.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Nein, nein, nein!)
Bis jetzt haben wir außer dem Kürzungsvorschlag von 30 Millionen € beim Sozialticket keinen qualifizierten Sparvorschlag bekommen, Kollege Laumann. Warten wir einmal ab, was die Dezember-Sitzungen bringen!
(Beifall von der SPD)
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihren drei Vorschlägen im Einzelnen sagen.
Erstens. Die Tarifauskragungen halten wir zum heutigen Zeitpunkt nicht für vernünftig. Wir haben auch mit dem Koalitionsvertrag deutlich gemacht, dass wir ein NRW-Ticket wollen. Die drei Tarifräume sind ein großer Schritt in diese Richtung. Deshalb wollen wir keine neuen Ausnahmetatbestände mehr schaffen.
Zweitens. Die Gegenfinanzierung durch Streichung des Sozialtickets ist für uns kein gangbarer Weg, 30 Millionen € zusätzlich zu mobilisieren.
Drittens. Meines Erachtens brauchen wir hier keine gesetzliche Grundlage. Die Zweckverbände entscheiden selbst, ob sie Teile der Pauschalen für Erneuerungsinvestitionen verwenden. Wir werden im Rahmen der Verwaltungsvorschrift den Zweckverbänden eine konkrete Hilfestellung geben, wie diese Erneuerungsinvestition eröffnet werden kann.
Ich glaube, letztendlich ist an dieser Stelle ein höheres Maß an Gemeinsamkeit vorhanden, als das in der streitigen Diskussion hier ausgedrückt wurde. Meine Einladung gilt. Unterschiedlich intensiv wird sie angenommen. Auch Herr Schemmer wird sicherlich zustimmen, dass wir ab und zu ein wirklich gutes Diskussions- und Entscheidungsklima im Ausschuss haben. Das soll so bleiben. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vor. Wir sind damit am Schluss der Beratungen und kommen zur Abstimmung.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1563 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag ist. – Wer ist dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU und FDP bei Enthaltung der Piratenfraktion abgelehnt.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/57. Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1482, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Ich darf Sie fragen, wer für diese Beschlussempfehlung stimmen kann. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist diese Empfehlung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU und FDP bei Enthaltung der Piraten angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/57 in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt
5 Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen ausbauen – Fernverkehr verbessern
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1474
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Kollegen Rehbaum das Wort.
Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Rhein-Ruhr-Express ist eine große Idee für NRW. Eine schnelle Verkehrsverbindung im 15?Minuten-Takt zwischen Dortmund und Köln mit Ausläufern in die Oberzentren der Regionen stellt eine deutliche Verbesserung des Nahverkehrs in NRW dar.
(Unruhe)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte, dass ich einmal dazwischenquatsche.
Henning Rehbaum (CDU): Gerne.
Vizepräsident Daniel Düngel: Ich finde es hier etwas zu laut. Ich darf Sie bitten, wenn Sie den Saal verlassen, das doch in einigermaßen erträglicher Lautstärke zu tun. – Vielen Dank.
Henning Rehbaum (CDU): Danke schön. – Der RRX stellt eine deutliche Verbesserung des Nahverkehrs in NRW dar und wird von der CDU-Fraktion ausdrücklich begrüßt. Wir würden uns sogar eine Beschleunigung der Planungen wünschen.
Leider hat unser Wunsch nach einer baldigen Fertigstellung der Planungen bei der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses einen Dämpfer bekommen. Vor 2016 sei mit einer Fertigstellung nicht zu rechnen. Abgesehen davon sei die Elektrifizierung der Strecke für spurtschnelle, PS-starke Züge in dieser Vielzahl nicht ausgelegt. Außerdem habe man große Schwierigkeiten, alle Bahnsteige und sämtliche Zugtüren barrierefrei zu machen. Auch die finanziellen Auswirkungen auf den restlichen Nahverkehr im Land sind noch nicht geklärt.
Die CDU-Fraktion erwartet beim RRX eine ernsthafte und energische Projektbegleitung. Das Engagement des Ministeriums für den RRX wirkt derzeit eher halbherzig.
In dieser frühen Projektphase ist eine ehrliche Analyse der Auswirkungen eines RRX im 15?Minuten-Takt auf den Fernverkehr wichtig. Das Bundesgutachten warnt vor einer Kannibalisierung des Intercity-Angebotes durch den RRX. 240 Millionen Personenkilometer würden von den nutzerfinanzierten Intercity-Zügen auf den steuerfinanzierten RRX wandern. Das Gutachterkonsortium geht von einer Streichung von acht Intercity-Zugpaaren im RRX-Korridor aus.
Diese Kürzungsszenarien sind in der Expertenanhörung zum ÖPNV-Gesetz von den Vertretern der Bahn nicht dementiert worden. Damit sind die Intercity-Kürzungen keine Theorie von Gutachtern mehr, sondern eine reale Gefahr für die Anbindung unseres Landes an den Fernverkehr.
Doch anstatt Empörung gegenüber diesen bedrohlichen Signalen der DB für den Fernverkehr für NRW zu äußern betretenes Schweigen auf der Regierungsbank!
NRW steht bei der Einführung des RRX vor einer erneuten Kürzung des Fernverkehrsangebotes für seine Bürger. Damit sind folgende Linien gefährdet oder von Ausdünnung bedroht: Köln–Ruhrgebiet–Oberhausen–Recklinghausen–Münster–Rheine–Emden–Norddeich, Köln–Ruhrgebiet–Hamm–Gütersloh–Bielefeld–Hannover–Minden–Leipzig/Berlin, RuhrgebietDortmund–Hamm–Soest–Lippstadt–Paderborn–Altenbeken–Kassel. Die Strecke Köln–Bonn–Trier–Luxemburg ist bereits zur Einstellung vorgesehen. Der Intercity-Verkehr wird sich teilweise nicht mehr rechnen, weil steuerfinanzierte RRX-Nahverkehrszüge die Fahrgäste im Binnenverkehr abgreifen werden.
Dies ist kein unauflösbares Dilemma. Es gibt einen ernsthaften Lösungsansatz, den wir gerne mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ausschuss diskutieren würden. Wir müssen zu einer Einflechtung der Intercity-Fahrten in den Fahrplan des RRX kommen. Einfach gesagt: Der Intercity ersetzt einmal die Stunde eine RRX-Fahrt. Der Vorteil: Weniger RRX-Fahrzeuge sind erforderlich, und der Intercity behält durch abschnittsweise mitfahrende RRX-Kunden genügend Fahrgastpotenzial, um wirtschaftlich zu bleiben.
Diese Partnerschaft zu konstruieren ist nicht ganz einfach. Immerhin müssen hier zwei völlig unterschiedliche Systeme miteinander vermischt werden: hier der vorrangig steuerfinanzierte RRX und dort der Fernverkehr der Deutschen Bahn, der sich allein durch Fahrscheine tragen muss.
Diese Einflechtung der Fernverkehrszüge in den Nahverkehr wird bereits erfolgreich in Niedersachsen praktiziert. Zwischen Hannover, Bremen und Norddeich fahren Kunden mit dem Nahverkehrsticket in Intercity-Zügen. Weniger Züge im Nahverkehr müssen steuerfinanziert werden. Das von der Schließung bedrohte Intercity-Angebot konnte erhalten werden.
Dieses Modell möchte die CDU auch für den RRX-Korridor einführen. Noch ist es früh genug. Art und Umfang der Ausschreibungspakete für den RRX sind noch nicht festgelegt. Das ist gut.
Die CDU fordert die Landesregierung auf, Gespräche mit den Verbünden und der Deutschen Bahn aufzunehmen: für einen guten Fernverkehr in allen Regionen von NRW, eingeflochten in ein leistungsfähiges Angebot des RRX.
Ich freue mich auf gute Gespräche im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Dudas.
Gordan Dudas (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion kommt in einem schicken Gewand daher: „Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen ausbauen – Fernverkehr verbessern“. Eine schöne Überschrift für einen Antrag! Denn sie gibt diesem Antrag einen gewissen Wohlfühlcharakter. Genau das macht diesen Antrag unredlich.
(Zurufe von der CDU)
Worum geht es? Sie benennen ein wichtiges Großprojekt – namentlich den RRX – und äußern im gleichen Atemzug Befürchtungen, dass dies negative Auswirkungen auf andere Bahnverbindungen haben werde. Sie versuchen auf diesem Weg, die Menschen zu verunsichern. Das ist Panikmache!
(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)
Die vielen Berufspendler, aber auch die sonstigen Zugreisenden in diesem Land: Was sollen diese Menschen denken, wenn Sie solche Behauptungen aufstellen?
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, was Sie hier betreiben, ist der verantwortungslose Versuch, den RRX gegenüber den anderen Verkehrsträgern auszuspielen.
(Beifall von der SPD)
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Sie wollten dessen Realisierung hintertreiben. Statt als CDU hier konstruktiv politisch für NRW mitzuwirken, den Nahverkehr auszubauen und den Fernverkehr zu verbessern, streuen Sie lieber Sand ins Getriebe, womöglich aus politischem Kalkül.
(Zuruf von der CDU: Jetzt wird es ja noch verrückter!)
Fakt ist: Aus rein parteitaktischen Gründen wird von Ihnen die Strategie gefahren, keinen verkehrspolitischen Erfolg in NRW zuzulassen. Das ist die Wahrheit, und das ist die politische Triebkraft, die hinter Ihrem Antrag steckt.
So sind Sie ja auch in Berlin bei der Bundesregierung unterwegs und meinen, das würde hier in Düsseldorf nicht wahrgenommen. Schämen Sie sich dafür!
(Zuruf von der CDU: Unglaublich!)
In diesem Zusammenhang fallen mir die Meldungen aus den letzten Wochen ein, wonach CSU-Verkehrsminister Ramsauer fünf der elf wichtigsten Schienenprojekte mit besonderer Förderung in Bayern verortet und keines in Nordrhein-Westfalen.
(Zuruf von der SPD: Pfui!)
Das ist alles kein Geheimnis. Das ist alles nachlesbar im „Spiegel“ Nummer 46/2012 auf Seite 70.
(Zuruf von der CDU: So etwas lesen Sie?)
Hier wäre konstruktive Politik angezeigt. Wenn Ihnen etwas an Nordrhein-Westfalen liegt, dann sollten Sie die Landesregierung zum Wohle der Menschen in unserem Land ehrlich unterstützen, statt kleinkariert und doppelzüngig auf Verhinderung zu setzen. Denn nur mit vereinten Kräften können wir in Berlin etwas für Nordrhein-Westfalen bewirken. Aber davon sehe ich bei Ihnen nichts.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Dudas, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rehbaum zulassen?
Gordan Dudas (SPD): Nein. Die CDU lässt ja auch meine Zwischenfragen nicht zu, deswegen mache ich das auch nicht.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, vor diesem Hintergrund ist Ihr Antrag nicht nur politisch unredlich, sondern er ist auch schädigend.
Wenn wir dabei sind, über den ÖPNV in NRW zu sprechen, dann sollten wir auch Ross und Reiter nennen. Halten wir daher fest: Der ÖPNV in Nordrhein-Westfalen wird jährlich mit ca. 1,5 Milliarden € gefördert. Der Landesanteil beträgt immerhin gut 160 Millionen €. Das entspricht aber nur gut 14 % des Gesamtvolumens.
Der Bund hingegen trägt 86 % der Finanzierung. Hier kommt es zu ganz interessanten Ansätzen, was die Zusammensetzung des Bundesanteils angeht. Denn die Mittel nach dem Entflechtungsgesetz des Bundes in Höhe von rund 130 Millionen € pro Jahr, die Bestandteil der bundesseitigen Finanzierung des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen sind, sind nur bis Ende des nächsten Jahres gesichert. Der Bund will diese Mittel auslaufen lassen. Hier droht die wirkliche Gefahr für den ÖPNV in Nordrhein-Westfalen.
Dort können Sie, meine Damen und Herren von der CDU, mahnen und politisch aktiv werden. Die richtige Adresse ist die schwarz-gelbe Bundesregierung in Berlin.
(Beifall von der SPD)
Jetzt ist die Zeit für Entscheidungen gekommen. Wir können leider nicht auf die neue rot-grüne Bundesregierung und damit bis zum Herbst 2013 warten. Unsere Landesregierung, unsere Verkehrsverbünde und unsere Unternehmen brauchen Planungssicherheit für die Sicherstellung des ÖPNV in NRW. Hier können Sie konstruktiv im Interesse unseres Landes mitwirken.
Die Bundeskanzlerin hat für den 6. Dezember – endlich, muss man sagen – zum Thema „Entflechtungsmittel“ nach Berlin eingeladen. Wirken Sie auf Ihre Bundeskanzlerin ein, dort zu einer auskömmlichen Lösung bei den Entflechtungsmitteln zu kommen: für Nordrhein-Westfalen und auch für alle anderen Bundesländer. Das wäre eine ehrliche und konstruktive Unterstützung der Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen, für das Land und für seine Menschen – und nicht dieser Antrag, der am besten nie geschrieben worden wäre. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Beu.
Rolf Beu (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Antrag der CDU zweimal gelesen und mich jedes Mal gefragt, welche Zielrichtung er eigentlich verfolgt. Nach der Überschrift beantragt die CDU-Fraktion ja eigentlich etwas Selbstverständliches: „Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen ausbauen – Fernverkehr erhalten“. Dagegen dürfte keiner etwas haben. Wer will das Gegenteil? Ich glaube, niemand.
Etwas weiter kommen Sie zu dem Thema „RRX“. Dazu fällt mir nur ein, dass die Vereinbarung zur Realisierung des RRX zwischen Bund, Land und DB AG bereits im Jahr 2010 unterzeichnet wurde. Das Ministerium und wir alle haben uns zumindest bisher sehr vereinbarungstreu gezeigt. Die Modalitäten waren immer Grundlage des Handelns, wie wir auch eben beim ÖPNV-Gesetz wieder feststellen konnten.
Wo haben tatsächlich Leistungsreduzierungen stattgefunden? Die Deutsche Bahn AG – AG ist nur ein Pseudonym, in Wirklichkeit ist es ein hundertprozentiges Bundesunternehmen; Aktien der AG sind nirgendwo zu erwerben – hat das Interregio-Netz im Jahr 2007 endgültig stillgelegt. Ich habe in alten Protokollen gelesen, dass Ihr ehemaliger Kollege Lorth das vor fünf Jahren in diesem Haus selber sehr bedauert hat. Das Interregio-Netz ist Vergangenheit.
Richtig ist auch, dass die Deutsche Bahn AG durchaus Stilllegungspläne hegt. Das wollen wir gar nicht in Abrede stellen.
(Zuruf von der CDU: Aha!)
– Ja, Herr Kollege. Aber sollen wir uns von der Deutschen Bahn AG erpressen lassen, wie sie es beispielsweise in Rheinland-Pfalz versucht hat? Ich hoffe nicht, dass die Intercity-Linie Köln–Bonn–Koblenz–Luxemburg im NRW-Teil wirklich bedroht ist. Zumindest zwischen Koblenz und Luxemburg wurden bereits zum Dezember vorigen Jahres die meisten IC-Verbindungen eingestellt, weil sich Rheinland-Pfalz geweigert hat, für diese Fernverkehrsleistungen zu zahlen. Als Ergebnis gibt es jetzt stattdessen Regionalexpress-Züge, die die Taktlücke schließen, die der Bund und das Bundesunternehmen DB AG auf der Moselstrecke verursacht haben. Dieser Ersatz wird in Eigenleistung und auf Kosten von Rheinland-Pfalz betrieben.
Dann kommen Sie mit dem Hinweis auf die Intercity-Verbindung nach Norddeich, also der Emdener IC-Strecke. Auch ich würde unterschreiben, dass es dort keine riesigen Bedarfe gibt. Wo hält dieser IC denn? Er hält in Norddeich, er hält in Emden, er hält in Leer, er hält in Papenburg, er hält in Meppen, er hält in Rheine – das heißt, er hält eigentlich alle 25 km. Damit hat er eigentlich nur die Wirkung eines Regionalexpresses, wie wir ihn hier in NRW kennen. Deshalb kann man durchaus die Frage stellen: Ist es richtig, da noch einen IC fahren zu lassen? Wäre in dem Fall nicht ein Regionalexpress ein durchaus adäquates Angebot, über das das Land und die DB AG verhandeln sollten? Das ist wirklich grenzwertig. Es ist im Prinzip ein Folgeprodukt des Interregio.
Hier kann man nur sagen: NRW bleibt Herzland des Fernverkehrs zwischen Nord und Süd in Deutschland. Und NRW bleibt Herzstück des Fernverkehrs zwischen West und Ost in Deutschland. Wir wissen, dass andere Projekte sogar neu entwickelt werden sollen, auch wenn sich die Bahnindustrie durchaus als sehr verbesserungsbedürftig zeigt, Stichwort „ICE-Verbindung Frankfurt–Köln–Aachen“ – ganz bewusst gesagt – und weiter nach London, obwohl es da immer noch Probleme gibt.
Wir befürchten also nicht, dass der Fernverkehr hier eingestellt wird. Aber Verbesserungen sind immer notwendig. Wir dürfen uns von der Deutschen Bahn AG allerdings nicht erpressen lassen; denn ihre Eigenwirtschaftlichkeit ist höchst umstritten.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Rolf Beu (GRÜNE): Entschuldigung, noch einen Satz, dann ja. – Ich brauche nur die Diskussion um Trassenpreise und Stationsentgelte zu erwähnen. Es werden wirtschaftliche Strecken unwirtschaftlich gefahren, wenn die DB die eigenen hohen Preise zahlen muss.
Vizepräsident Daniel Düngel: Eine Zwischenfrage des Kollegen Rehbaum. Bitte schön.
Henning Rehbaum (CDU): Herr Kollege, was werden Sie den Bürgern in Münster, Paderborn oder Bonn sagen, wenn die Intercity-Verbindungen dort tatsächlich gestrichen werden?
(Beifall von der CDU – Bernhard Schemmer [CDU]: Pech gehabt!)
Rolf Beu (GRÜNE): Die ICs müssen bleiben. Ich hatte gerade versucht Ihnen darzulegen, Herr Rehbaum, dass die Verantwortung für den Fernverkehr bei der Deutschen Bahn AG liegt. Das heißt, nicht der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist in der Verpflichtung, auch die Verkehrsverbünde mit ihrem Regionalangebot sind es nicht. Ich würde dann sagen – das ist mein letzter Beitrag –, die DB AG hat diese Maßnahme ergriffen, weil sie vom Bund dazu gezwungen wird, ihre Eigenwirtschaftlichkeit über hohe Trassen? und Stationsentgelte nachzuweisen. Das führt dazu, dass die Mittel, die angeblich als Gewinne vorhanden sind, im Bundeshaushalt verschwinden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Beu. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Rasche.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Schienenpersonennahverkehr verdient die Deutsche Bahn AG weit mehr Geld als im Fernverkehr. Diese Erkenntnis führt zu gewissen Entwicklungen, die nicht wirklich einer Logik entbehren. Das ist doch allen klar.
Das Fernverkehrsangebot in Nordrhein-Westfalen wurde eingeschränkt – Kollege Beu sprach mit Recht die Interregio-Verbindungen an, die komplett aufgegeben wurden –, und manche Intercity-Verbindung wurde ausgedünnt. Eigenwirtschaftliche Angebote der Bahn werden ersetzt durch gemeinwirtschaftliche Nahverkehrsangebote, die von der öffentlichen Hand mitfinanziert werden.
Vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Erfahrungen sind die Befürchtungen nachvollziehbar, dass der RRX Auswirkungen auf das Fernverkehrsangebot haben kann. Selbstverständlich ist es Aufgabe der Landesregierung, darauf zu achten, dass die Bahn ihr Fernverkehrsangebot nicht auf Kosten und auf Risiko der Nahverkehrsträger ausdünnt.
Vergleichbare Gespräche haben zwischen der DB AG und Niedersachsen stattgefunden. Dort wurden sie erfolgreich abgeschlossen. Das sollte eine gemeinsame Aufgabe sein – nicht nur der Regierung, des Ministeriums, sondern auch dieses Hohen Hauses.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind belastbare Aussagen zum künftigen Fernverkehrsangebot der Bahn nicht möglich. Auch das ist klar. Deshalb ist es auch schwer, die DB AG hier zu stellen.
Nach Auffassung der FDP benötigen wir in Nordrhein-Westfalen im Interesse der Fahrgäste ein attraktives Gesamtkonzept von ICE und RRX. Dann sind wir auf einer erfolgreichen Linie. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Fricke. Bitte schön.
Stefan Fricke (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer am Stream und auf der Tribüne! Der uns hier vorliegende Antrag der CDU-Kollegen ist ebenso frech wie überflüssig. Frech ist er deshalb, weil er ganz offen die Erpressung der Legislative durch ein Wirtschaftsunternehmen unterstützt. Pikant dabei ist, dass dieses Unternehmen sich im Besitz des Bundes befindet. Überflüssig ist er, weil damit ohnehin knappe Steuergelder zum Fenster hinausgeworfen werden sollen, anstatt in zukunftssichere Projekte zu investieren.
Mal ganz langsam zum Mitschreiben: Die Bahn, ein Unternehmen im Bundesbesitz, droht mit Stilllegung und Ausdünnung von Verbindungen. Sie will ihr unternehmerisches Risiko abwälzen. Sie versucht mithilfe der CDU – heute ungerechtfertigterweise mit Hinweis auf ein Projekt, das frühestens in zehn Jahren auf die Räder kommt –, zusätzliche Fördermittel für den laufenden IC-Betrieb zu erhalten. Natürlich kann die Bahn dieses Spiel nicht mit ihrem Besitzer treiben. Deshalb versucht sie nun, dem Land NRW in die Tasche zu greifen. Die CDU, die bekanntlich sowieso die Straße der Schiene vorzieht, sekundiert ihr brav dabei
(Beifall von den PIRATEN)
und kümmert sich nicht darum, dass sie zwar einerseits der Landesregierung vorwirft, unnötig Geld auszugeben, andererseits aber selbst eifrig die betreffenden Fenster öffnet.
Meine Damen und Herren von der CDU, ich frage Sie: Was haben heutige Streckenstilllegungen mit einem Projekt zu tun, das frühestens in zehn Jahren realisiert werden kann? Ein so billiger Bluff würde an jedem Pokertisch nur ein amüsantes Mundwinkelzucken der Beteiligten hervorrufen. Hier im Saal erwarten Sie, dass er ernst genommen wird? Damit haben Sie schlechte Karten, zumindest bei uns Piraten. Wäre es ergo nicht besser, dieses Blatt hinzuwerfen und die Karten neu zu mischen?
Wir Piraten sind für den RRX, aber gegen unnötige Belastungen des Haushalts in Zeiten der Knappheit. Deshalb rufen wir Sie auf, Ihre verständliche Solidaritätsstrategie zur Bundes-CDU aufzugeben und endlich an die Interessen der nordrhein-westfälischen Bürger zu denken.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Aber das scheint für Sie ja eine unlösbare Aufgabe zu sein. Offensichtlich haben die Bürger das inzwischen auch begriffen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Für die Landesregierung spricht nun Minister Groschek.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Herr Fricke, Sie haben mir voll aus dem Herzen gesprochen. A la bonne heure!
(Beifall von der SPD)
Herr Rasche, bei Ihnen gilt das nur für die linke Herzkammer, für die rechte Herzkammer nicht ganz so. Für die Koalitionsfraktionen gilt das sowieso.
Worum geht es hier? – Ja, der Einstieg der CDU war richtig. Ja, der RRX ist ein ganz wichtiges Projekt für NRW. So weit, so gut. Da sind wir einig.
Die Finanzierungslast allerdings liegt jetzt beim Bund. Wir als Landesregierung wollen sie auch beim Bund lassen und uns keine Jacke anziehen, die uns nicht gehört, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Zweite Anmerkung: Sie haben mit Vorgängen aus Rheinland-Pfalz und aus Niedersachsen nordrhein-westfälische Beurteilungen belegt, dabei aber verkürzt oder missverständlich interpretiert.
In Rheinland-Pfalz geht es um Folgendes: Der Bahnverkehr zwischen Koblenz, Trier bzw. Luxemburg entlang der Mosel ist aufwendig und nicht sehr kundenintensiv. Das Kundenpotenzial dort ist relativ beschränkt. Deshalb sagt die Bahn: Das Ding ist ein teurer Spaß, das wollen wir uns nicht mehr leisten. Kurt Beck, bezahl du mal die Bimmelbahn entlang der Mosel! Das ist kein IC. – Da sagt der Kurt Beck: So haben wir nicht gewettet. Ihr seid für den Fernverkehr zuständig, also bezahlt ihr den. Unsere Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr geben wir nicht für das Produkt Fernverkehr IC. – Ich finde, der Mann, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, hat recht.
Nach dem gleichen Strickmuster hat Niedersachsen anders gehandelt. Die haben gesagt: Wir haben eine Fernverkehrsverbindung, die erreicht unter anderem auch die Punkte Bremen und Norddeich Mole. Jetzt kann man sich auch als Nordrhein-Westfale vorstellen, wie kundenintensiv die Strecke Bremen–Norddeich-Mole ist. Also haben die Niedersachsen entschieden: Wir sponsern den Fernverkehrszug, weil wir den Intercity zwischen Bremen und Norddeich Mole als S-Bahn nutzen. – Das sollen sie machen; wahrscheinlich ist das günstiger, als eine eigenständige S-Bahn auf der Strecke verkehren zu lassen.
Das allerdings mit dem RRX zu verquicken, liegt völlig neben der Spur, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie selbst haben doch damals das Gutachten zur Kenntnis genommen, das zeigte, welche Auswirkungen der RRX auf den Fernverkehrsbereich hat. Ich will jetzt einfach mal die Deutsche Bahn zitieren, die uns alle gemeinsam im September dieses Jahres angeschrieben und ihre Positionen zu den Verkehrskompensationen sehr deutlich beschrieben hat. Die Deutsche Bahn hat vor wenigen Wochen mitgeteilt:
Aus heutiger Sicht wird das künftige Liniennetz im Fernverkehr nach Einführung des RRX voraussichtlich weitgehend der aktuellen Struktur entsprechen. Die Nordanbindung Köln/Bonn Flughafen würde jedoch entfallen, da der Flughafen dann bereits durch RRX-Linie sehr gut angebunden wäre.
Sie schreibt aber als Erläuterung für das Anliegen, das Sie vorstellen: Belastbare Aussagen zum langfristigen Fernverkehrsangebot sind derzeit nicht möglich, da die Auswirkungen des zunehmenden Wettbewerbs und insbesondere der seitens der Politik beschlossenen Liberalisierung des Fernbusverkehrs schwer absehbar sind.
Auf Deutsch: Der RRX wird dazu führen, dass der Köln/Bonner Flughafen künftig durch RRX und vielleicht nicht mehr so intensiv durch IC angebunden sein wird. Das ist keine Verschlechterung, sondern allenfalls eine Verbesserung, weil das Fahrzeugmaterial besser sein wird.
Zweite Anmerkung: Die Liberalisierung im Fernbusverkehr wird möglicherweise zu Verschiebungen führen.
(Jochen Ott [SPD]: Wer hat das gemacht?)
– Wer das gemacht hat? Wäre ich jetzt Brüderle, würde ich sagen: „Und wer hat’s gemacht? Wir ham’s gemacht!“ – Aber ich bin nicht Brüderle.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Also müssen wir sagen: Die Positionierung ist ein Alarmismus, der im Grunde Leute ins Bockshorn jagt, aber keine ernsthafte verkehrspolitische Diskussion eröffnet.
Nächster Punkt: Diskussion mit der Bahn, Gespräch mit der Bahn. Da muss mich niemand missionieren. Ich zähle zu denen, die sagen: Es ist im Grunde vorlaut und falsch, die Bahn zum politischen Prügelknaben zu machen. Für mich ist die Bahn ein guter, zuverlässiger Partner, auch in der Verkehrspolitik des Landes.
(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])
– Ich spreche für mich, Kollege Schemmer.
(Weiterer Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])
Wäre die Bahn auskömmlich finanziert, wäre sie ein noch besserer Partner. Aber leider Gottes wird sie durch den Bund nicht so auskömmlich finanziert, wie ich mir das wünschen würde.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Wir tragen gemeinsam eine Last. Denn die Börsen-Bahn, die ja politisch mal gewollt war, hat sich zum Teil verhalten wie eine Heuschrecke auf Schienen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Damit muss Schluss sein. Da brauchen wir einen Perspektivwechsel. Deshalb freue ich mich, dass Dr. Grube offensichtlich weitermachen kann. Ich halte ihn für einen sehr verlässlichen Partner und freue mich, ihn vor Weihnachten wiederzutreffen, unter anderem zu dem Stichwort: RRX nach vorne treiben.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ihr Antrag ist im Grunde das Gegenteil von Sparen. Sie wollen Landesgeld dafür verplempern, dass wir einen landesmäßig subventionsfreien Fernverkehr aus dem Landeshaushalt sponsern. Das ist falsch, weil wir verantwortlich und sparsam mit dem Steuergeld unserer nordrhein-westfälischen Bürger umgehen müssen und uns keine Luxussubventionen erlauben dürfen. Das jedenfalls ist Meinung von SPD, von Grünen und, wenn ich es richtig verstanden habe, allemal von den Piraten, zum Teil auch von Herrn Rasche. Sie von der CDU stehen also allein.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darüber informieren, dass Herr Minister Groschek die Redezeit um 47 Sekunden überschritten hat. Mir liegen allerdings keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1474 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich darf Sie fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung folgen kann. – Wer ist dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Mit dieser Drucksache liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 7 und 8 vor. Ich rufe die
der Abgeordneten Yvonne Gebauer von der Fraktion der FDP auf:
Im Oktober 2012 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass sich das Land bei einer Klassenfahrt nicht auf eine vor Fahrtantritt unterzeichnete Verzichtserklärung einer tarifbeschäftigten Lehrerin berufen könne und die vollen Reisekosten geltend gemacht werden könnten. Im November 2012 entschied darüber hinaus das Oberverwaltungsgericht Münster, dass ein verbeamteter Pädagoge ebenfalls einen Anspruch auf die Erstattung der Reisekosten einer Klassenfahrt habe. Beide Gerichte erklärten, dass das Land mit der bisherigen, langjährigen Praxis gegen seine Fürsorgepflicht verstoße.
Schulfahrten bilden einen wichtigen pädagogischen Bestandteil des Bildungsauftrags der Schulen. Fragen der Erstattung der Reisekosten bei Klassenfahrten stellen verständlicherweise für die Lehrerinnen und Lehrer immer – nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten, sondern auch unter dem Betrachtungswinkel der Anerkennung einer schwierigen zu leistenden Aufgabe – ein wichtiges Anliegen dar. In der Zeit der FDP-Regierungsbeteiligung sind die Mittel für die Reisekostenvergütung von Lehrkräften mehrfach angehoben worden, sodass diese zwischen 2005 und 2010 schließlich rund verdreifacht wurden. Dennoch bedeuten die nun gefällten Gerichtsurteile für das Land eine deutlich weitergehende Herausforderung. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat in Reaktion auf die beiden Urteile am 14. November 2012 erklärt: „Das Schulministerium wird die Reisekostenerstattung bei Klassenfahrten neu regeln. Dazu werden die Begründungen der beiden Urteile nach Auswertung ebenso berücksichtigt wie die Praxis in anderen Bundesländern.“
Für die Lehrerinnen und Lehrer und den nordrhein-westfälischen Landtag ist es wichtig zu erfahren, zu welchen Einschätzungen die Landesregierung bezüglich der Gerichtsurteile kommt und wie die Landesregierung zukünftig in der Frage der Reisekostenmittel vorzugehen gedenkt. Darüber hinaus ist es ebenfalls für das Parlament von hoher Bedeutung zu erfahren, welche zusätzlichen Kosten die Landesregierung erwartet, ob gegebenenfalls rückwirkende Ansprüche bestehen, zu welchem Zeitpunkt die angekündigte Neuregelung erfolgen soll und auf welche Praxis anderer Bundesländer die Landesregierung möglicherweise zurückgreifen möchte.
Wie will die Landesregierung auf die Gerichtsurteile des Bundesarbeitsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Münster zu den Reisekostenvergütungen für Klassenfahrten von Lehrerinnen und Lehrern reagieren?
Ich bitte Frau Ministerin Löhrmann um Beantwortung.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Gebauer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus dem Text der Mündlichen Anfrage geht hervor, dass die Pressemitteilung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung Ihnen bereits bekannt ist. Daher brauche ich diese Pressemitteilung jetzt nicht noch einmal vorzutragen.
Der Stand des Verfahrens ist allerdings nach wie vor der gleiche wie damals. Die Begründungen der Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Münster liegen noch nicht vor. Ohne Auswertung der Begründungen ist eine seriöse Auskunft über die Konsequenzen, die gezogen werden müssen, aber nicht möglich.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal feststellen, dass es sich bei der von den Gerichten beanstandeten Praxis des formularmäßigen Reisekostenverzichts im Zusammenhang mit der Genehmigung von Schulfahrten um eine in Nordrhein-Westfalen langjährige und auch in anderen Ländern ständig geübte Verwaltungspraxis handelt. Dass uns hierbei die Interessen unserer Lehrkräfte durchaus wichtig waren und sind, beweisen die Verdreifachung des Titelansatzes in den letzten Jahren sowie die Beibehaltung des erhöhten Titelansatzes auch unter finanzpolitisch schwierigen Bedingungen.
Meine Damen und Herren, zwei Folgen des Urteils stehen unabhängig von der abschließenden Auswertung der Urteilsgründe bereits jetzt fest:
Erstens. Es ist absehbar, dass eine Änderung der Wanderrichtlinien unabdingbar ist. Zumindest der Teil der Wanderrichtlinien, in dem die Genehmigung einer Klassenfahrt vom Vorliegen einer Kostenverzichtserklärung abhängig gemacht wird, muss aufgehoben werden.
Zweitens. Reisekosten, die Lehrkräften anlässlich von Klassenfahrten im Zeitraum der letzten sechs Monate entstanden und aufgrund einer Verzichtserklärung nicht erstattet worden sind, werden aus vorhandenen Mitteln finanziert. Wie hoch dieser zusätzliche Finanzierungsbedarf sein wird, kann hingegen nicht prognostiziert werden, da die Anzahl der widerrufenen Verzichtserklärungen und damit die Höhe der Forderungen nicht bekannt ist.
Den Bezirksregierungen ist hierfür bereits im November ein Betrag in Höhe von 828.000 € zur Verfügung gestellt worden, der noch in diesem Jahr verausgabt werden kann. Berechtigte Ansprüche, die in diesem Jahr nicht mehr bedient werden können, werden unverzüglich nach Freigabe der Haushaltsmittel 2013 abgegolten.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen abschließend noch zusagen, dass alle erforderlichen Schritte unverzüglich nach Abschluss der Auswertung der beiden Urteile vollzogen werden. Dabei muss es darum gehen, erstens die berechtigten Interessen der Lehrkräfte zu berücksichtigen, zweitens die Bedeutung von Klassenfahrten für den Bildungsauftrag von Schule sicherzustellen und drittens die Finanzkraft im Auge zu behalten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Gebauer hat das Wort.
Yvonne Gebauer (FDP): Sehr geehrte Frau Löhrmann, ich muss mich ein wenig wundern, dass Sie auf beide Urteile Bezug nehmen. Ich gehe davon aus, dass Sie im tarifrechtlichen Streit das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Oktober und beim Klageverfahren für Beamte das jetzt beim Oberverwaltungsgericht gesprochene Urteil meinen, welches schriftlich noch nicht vorliegt.
Die Revision zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm ist am 16. Oktober abgelehnt worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm ist allerdings vom 3. Februar 2011. Das heißt: Dieses Urteil ist mittlerweile eineinhalb Jahre alt und mit Ablehnung der Revision auch gültig.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Ich kann Ihre Äußerung, Ihnen liege das Urteil nicht vor, nicht nachvollziehen. Denn das Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm ist vom 3. Februar 2011. Meine Frage dahin gehend lautet: Hat sich das Land bzw. das Ministerium seit dem 3. Februar 2011 mit dem Worst Case, der Ablehnung der Revision, was jetzt geschehen ist, nicht beschäftigt bzw. wenn ja, in welcher Form?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass die Herleitung der Frage etwas lang war. – Frau Ministerin, bitte.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Gebauer, die Urteile liegen vor, aber die Begründungen der Urteile noch nicht. Die Begründungen beider Urteile sind aber wichtig, um genau herzuleiten, was die richtige Konsequenz für das Land und den Landesgesetzgeber ist.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Eine Frage von Herrn Kollegen Ralf Witzel von der FDP.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann, für Ihre erste Antwort. Ich würde gerne ein Gefühl dafür gewinnen, über welche Anzahl von Fällen wir in etwa reden. Deshalb lautet meine Frage an Sie: Können Sie ganz grob einschätzen, wie viele Lehrer im vergangenen Schuljahr auf Klassenfahrten gegangen sind und jeweils eine Verzichtserklärung unterzeichnet haben?
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Witzel, diese Daten liegen mir nicht vor. Diese haben wir nicht erhoben, und sie ergeben sich auch nicht aus der Fragestellung Ihrer Kollegin.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt habe ich eine Wortmeldung von Frau Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin, können diese Urteile in der Summe dazu führen, dass es zukünftig weniger Schulfahrten geben wird?
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Schmitz, das ist eine der Folgen, die wir sehr genau abwägen müssen. Denn wie Sie wissen – das haben Sie heute Vormittag ja auch wortreich beklagt –, sind die Mittel des Landes begrenzt. Deswegen müssen wir genau die drei Sachverhalte abwägen, die ich auch schon in meiner ersten Antwort genannt habe:
Erstens: Berücksichtigung der jetzt festgestellten Belange der Lehrerinnen und Lehrer. Zweitens: das Interesse des Landes am Bildungsauftrag einer Klassenfahrt. Drittens: die Haushaltssituation des Landes. Diese drei Faktoren sind zu bedenken.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die zweite Nachfrage bei Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Frau Ministerin Löhrmann, eine Nachfrage, um sicherzugehen, dass ich das richtig verstanden habe: Die Urteilsbegründung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. Februar 2011 liegt noch nicht vor?
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Kollegin, wir beziehen uns auf zwei Urteile. Dies ist zum einen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Oktober 2012, in dem es um die tarifbeschäftigten Lehrkräfte geht. Dazu liegt die Urteilsbegründung noch nicht vor. Zum anderen reden wir von dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster von November. Auch dazu liegt die Urteilsbegründung noch nicht vor.
Wir brauchen beide Begründungen, um eine konsistente Regelung zu treffen, weil es in dem einen Urteil um eine angestellte Lehrkraft, in dem anderen Fall um verbeamtete Lehrkräfte ging. Es kann durchaus – das zeigt zumindest der Erfahrungswert in anderen Bereichen, was nicht heißt, dass ich mir das wünsche – unterschiedliche Verhaltensweisen gegenüber Angestellten und Beamten geben. Deswegen ist die Urteilsbegründung dieser Instanzen für uns so wichtig.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die zweite und damit letzte Nachfrage bei Herrn Kollegen Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die Gelegenheit zu einer zweiten Nachfrage. – Frau Ministerin, in den letzten Tagen und Wochen haben mich häufig Fragen erreicht, auf was sich die Betroffenen nun bei zurückliegenden Sachverhalten einstellen müssen.
Deshalb würde mich – vorbehaltlich Ihrer abschließenden rechtlichen Bewertung – die Antwort auf folgende Frage interessieren: Ist davon auszugehen, dass auch zurückliegende Fälle von zum Beispiel von Lehrern selbst übernommenen Reisekosten oder abgegebenen Verzichtserklärungen neu aufgerollt werden und nachträglich mit Erstattungen zu rechnen ist? Ist dies im Rahmen Ihres weiteren Vorgehens denkbar?
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Witzel. – Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Kollege Witzel, auch das hatte ich schon angesprochen. Vielleicht war dies nicht ausführlich genug. Es ist so, dass Lehrkräfte sechs Monate rückwirkend für Fahrten, für die Verzichtserklärungen vorliegen, diese Verzichte widerrufen können, um dann Mittel geltend zu machen. Dem wird stattgegeben.
Wir hatten eine Restsumme von knapp 900.000 €. Diese Mittel werden verausgabt. Dafür ist es auch ganz gut, dass wir jetzt einen beschlossenen Haushalt haben. Es gilt die Zusage, dass alle Kolleginnen und Kollegen, die von jetzt an rückwirkend davon Gebrauch machen, diese Erstattung bekommen. Das habe ich aber auch unmittelbar verkündet und veranlasst, da sich das so ergeben hat.
Bei der Gelegenheit will ich noch einmal sagen: Die eine Klage bezieht sich auf Sachverhalte aus dem Jahre 2008. Niemand, der in diesem Hause sitzt – mit Ausnahme der Piraten –, kann sich davon freisprechen, dass er diese Praxis nicht sehenden Auges durch Regierungsbeteiligung auch verantwortet hätte.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die zweite Nachfrage und damit gleichzeitig die letzte bei Frau Kollegin Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin, zunächst einmal vielen Dank für die Beantwortung meiner ersten Frage.
Meine weitere Frage lautet: Das Ministerium hat in einer Pressemitteilung erklärt, dass man sich auch an anderen Bundesländern orientieren wolle. Diese Aussage weist darauf hin, dass man sich die dortigen Regelungen bereits näher angesehen hat. Inwieweit unterscheiden sich die Regelungen in den anderen Bundesländern?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Frau Ministerin, bitte.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Kollegin, mir liegt eine Übersicht der Regelungen aus den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Sachsen vor. Wenn ich die jetzt alle vortrage, brauche ich dafür ungefähr zehn Minuten. Falls Sie das wünschen, tue ich das. Ich kann Ihnen, den schulpolitischen Sprechern, aber auch eine Kopie dieser Übersicht zukommen lassen, wenn Ihnen das gefallen würde. Das würde ich jetzt anbieten.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Es ist so – vielleicht kann ich eine Tendenz nennen –, dass in der Regel eine bestimmte Summe zur Verfügung steht und dann die Schulen im Rahmen dieser Summe genehmigen. Es ist mitnichten so, dass in anderen Ländern mal eben beliebig Fahrten beantragt und alles genehmigt würde, was in Millionensummen hineingeht.
Mit der Summe, die zur Verfügung steht, liegen wir in Nordrhein-Westfalen jetzt auch nicht weit unter dem, was andere Bundesländer bezahlen. Deswegen ist die Frage im Lichte dieser drei Faktoren, die man abzuwägen hat, auch knifflig.
Ich sage es Ihnen gerne zu und gebe Ihnen die Liste, weil wir uns diese und die Urteilsbegründung angucken, ehe wir abschließend eine Entscheidung treffen. Der Haushaltsgesetzgeber muss nachvollziehen, ob er bereit ist, Mittel – welche Summe auch immer – zur Verfügung zu stellen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich halte es für eine sehr gute Idee, wenn Sie den schulpolitischen Sprecherinnen und Sprechern die Liste zur Verfügung stellen. Dann kann im entsprechenden Fachausschuss dazu vertieft nachgefragt werden.
Frau Kollegin Gebauer, zur dritten und damit Ihrer letzten Nachfrage.
Yvonne Gebauer (FDP): Ich komme noch einmal auf die Revision zurück. Personen des Ministeriums waren bei der mündlichen Urteilsverkündung zugegen. Aus welchen Gründen ist diese Revision abgelehnt worden?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Frau Ministerin, bitte.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Meines Wissens, Frau Gebauer, war niemand von der Fachebene des Hauses zugegen. Die Frage, die Sie mir stellen, stellen wir uns auch. Es kommt darauf an, welche Gründe für die Ablehnung ausschlaggebend waren. Wir brauchen die Urteilsbegründung, um dann unsere Schlussfolgerung daraus zu ziehen und dem Landtag, dem Parlament, einen Vorschlag zu unterbreiten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt hat sich Herr Kollege Bombis gemeldet.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben eben schon etwas zu den Regelungen in den anderen Bundesländern gesagt. Ich möchte Sie, ohne auf die gesamten Regelungen noch einmal Bezug nehmen zu wollen, bitten auszuführen, ob Sie über das hinaus, was Sie eben gesagt haben, schon einschätzen können, welche dieser Regelungen aus Ihrer Sicht bei einer Neugestaltung hier in NRW zugrunde gelegt werden können.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Kollege, das ist mir seriös ohne Kenntnis des Urteils nicht möglich. Ich bitte um Verständnis. Ich möchte hier nicht einfach etwas in den Raum stellen, was dann einer genaueren Prüfung nicht standhält. Die Prüfung und Auswertung der Urteilsbegründung sind zwangsläufig für die Entwicklung einer neuen Regelung.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Löhrmann, vielen Dank. – Es gibt immer wieder die Auseinandersetzung um die unterschiedliche Honorierung von verbeamteten und angestellten Lehrerinnen und Lehrern. Im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Regelung möchte ich fragen, ob Sie geplant haben, eine übereinstimmende Regelung für Tarifbeschäftigte und verbeamtete Lehrkräfte zu schaffen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Bitte, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Stamp, ich würde mir wünschen, dass wir eine gleichwertige Lösung für verbeamtete und angestellte Lehrerinnen und Lehrer schaffen könnten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die nächste Wortmeldung habe ich von Herrn Kollegen Bombis. Das ist dann seine zweite und letzte.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Löhrmann, vielen Dank für die Beantwortung meiner ersten Frage.
Ich möchte noch einmal nachfragen, ob es nach Ihrer Auffassung so ist, dass das Land NRW zukünftig eine vollständige Erstattung der Reisekosten anstrebt oder ob Sie eher davon ausgehen, dass diese anteilig erfolgen wird.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Frau Ministerin, bitte.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Kollege, ich verstehe Ihren Wunsch nach einer Festlegung. Aber ohne Kenntnis des Urteils und genauer Prüfung der Regelungen in anderen Bundesländern kann ich Ihnen heute für die Landesregierung keine abschließende Auskunft dazu geben.
Ich rechne allerdings damit – je nach Regelung –, dass Konsequenzen in den anderen Bundesländern aufgrund dieser Rechtsprechung folgen werden.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zur Mündlichen Anfrage 7 nicht vor. Damit ist die Mündliche Anfrage 7 beantwortet.
Ich rufe die
des Abgeordneten Ralf Witzel von der Fraktion der FDP auf:
Nach aktuellen Medienberichten in unterschiedlichen Veröffentlichungen des „Handelsblatts“ aus der vergangenen Woche hat die einstige Landesbank WestLB mit ihrer Tochter Mellon Asset Management in den Jahren 2002 bis 2005 zahlreiche Beamte, Sparkassenrepräsentanten und Funktionäre von Stadtwerken zu luxuriösen Lustreisen eingeladen. Dem Steuerzahler sollen durch diese als Kundenevents deklarierte Weltreisen Kosten von mindestens einer halben Million Euro entstanden sein.
Sollten sich diese Vorgänge bei der WestLB-Tochter Mellon Asset Management bestätigen, wäre dies ein ernüchternder Beleg für problematische Aktivitäten und den allzu sorglosen Umgang der WestLB mit öffentlichen Finanzressourcen.
Ferner stellt sich die Frage, ob an dieser Stelle die bankinternen Aufsichtsstrukturen versagt haben. Es bleibt zu klären, inwieweit die Spaßreisen in Übereinstimmung mit den offiziellen Richtlinien des Instituts stehen, in welchem Umfang und durch wen das Land als Miteigentümer Kenntnis von den Vorgängen gehabt hat und ob es dabei gegebenenfalls zu Unregelmäßigkeiten auch bei der Finanzierung, Versteuerung und Vorteilsgewährung gekommen ist.
Ein Prüfbericht soll der öffentlichen Berichterstattung zufolge Aufschluss geben über die zweifelhaften Vorgänge bei der Einladung von externen Dritten zu Weltreisen innerhalb der WestLB AG. Die Ergebnisse der Begutachtung sollten nicht verschwiegen, sondern dem Landtag vollständig zur Verfügung gestellt werden.
Die WestLB-Sparte Mellon Asset Management hat 500 institutionelle Anleger als Kunden betreut.
Dem Vernehmen nach haben die internationalen Spaßreisen aber nicht vorrangig geschäftlichen Aktivitäten gedient, sondern seien ein Incentive wie beispielsweise der Besuch hochrangiger Sportveranstaltungen etwa in Dallas oder Madrid gewesen. Hierbei könnte es sich nach den berichteten Begutachtungen der internationalen Anwaltskanzlei Hogan Lovells um rechtlich unzulässige Vorteilsgewährungen an öffentliche Würdenträger handeln.
Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat ein Anrecht auf Aufklärung der zweifelhaften Vorgänge innerhalb der WestLB AG.
Welche einzelnen Erkenntnisse liegen der Landesregierung über die offiziellen Richtlinien für sogenannte Kundenevents und faktische Einladungspraxis sowie die an den Vorgängen beteiligten Verantwortlichen vor?
In Vertretung von Herrn Minister Dr. Walter-Borjans wird Herr Minister Duin antworten.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Abgeordneter Witzel! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landesregierung liegen zurzeit keine näheren Informationen zu der jüngsten Berichterstattung in der Presse im Zusammenhang mit der WestLB, der Mellon Asset Management, vor, die sich auf fragwürdige Kundenevents in der Vergangenheit beziehen.
Bis zum 30. September 2012 war die WestLB AG bzw. Portigon AG zu 50 % an der WestLB Mellon Asset Management beteiligt. Sie wissen, dass die BNY Mellon seit Oktober 2012 alleiniger Eigentümer der Gesellschaft ist.
Zu den geschilderten Vorgängen hat die Landesregierung bisher keine spezifischen Kenntnisse erlangt.
Die Landesregierung wird im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür Sorge tragen, dass die in der Presse beschriebenen Kundenevents bei der WestLB Mellon Asset Management, die anscheinend in den Jahren 2002 bis 2005 stattfanden, aufgeklärt werden. Sie wird das Parlament unaufgefordert und in geeigneter Form über den Sachstand informieren.
Ich füge hinzu, um es noch einmal etwas deutlicher zum Ausdruck zu bringen: Wir haben ein mindestens genauso großes Interesse wie Sie daran, dass wir sämtliche Informationen bekommen. Dazu gehört meines Erachtens auch, eine Aufstellung aller Events und aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erhalten. Ob das gelingt, vermag ich in der heutigen Situation jedoch nicht abschließend zu beurteilen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Witzel zur ersten Nachfrage.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die Gelegenheit zur Nachfrage. – Vielen Dank, Herr Minister Duin, für Ihre Ausführungen. Ich denke, es ist für das Parlament von großem Interesse, ein Gefühl dafür zu gewinnen, seit welchem Zeitpunkt jeweils welchem Kreis von Beteiligten die öffentlich berichteten Erkenntnisse oder darüber Hinausgehendes vorgelegen haben. Da ich Sie so verstehen musste, dass der Eigentümer – jedenfalls gilt dies für den Teil Land, die Landesregierung – vor der Berichterstattung keinerlei Kenntnisse gehabt hat – sonst verbessern Sie mich bitte –, möchte ich Sie fragen, wer innerhalb der WestLB oder seitens anderer Eigentümer Kenntnisse von diesen Vorgängen hatte? Irgendjemand hatte es schließlich zu verantworten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Nach bisherigen Informationen hat es eine Betriebsprüfung gegeben, die Gegenstand der Besprechungen in den Aufsichtsgremien der WestLB Mellon Asset Management gewesen ist. Allerdings saßen in diesen Gremien keine Landesvertreter, sodass wir auf die gleichen Informationen zurückgreifen wie Sie.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Wenn es zutreffend ist, dass der Präsidialausschuss einer Bank über die wichtigen Vorgänge informiert ist, frage ich mich, Herr Minister, sofern etwas an dem dran ist, was in den Medien berichtet wird, ob nicht auch Mitglieder des Präsidialausschusses dieser Bank von solchen Vorkommnissen gewusst haben müssten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Herr Minister.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wie gesagt, wir beziehen uns auf die gleiche Berichterstattung. Die Informationen sind bis zum Moment die gleichen, und nach meinen Informationen hat dies in den Gremien, die Sie gerade angesprochen haben, in der Vergangenheit keine Rolle gespielt und ist dort nicht erörtert worden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich hinzufügen, dass der Finanzminister dieses Thema im Aufsichtsrat der Portigon AG ansprechen und die in der Presse berichteten Vorfälle weiter verfolgen und diesen Dingen nachgehen wird. Schließlich – diesen Grund habe ich schon zu Beginn meiner Ausführungen erwähnt – haben wir an der Sachverhaltsaufklärung ein genauso großes Interesse wie Sie.
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, Bündnis 90/Die Grünen hat sich der FDP-Forderung nach Offenlegung der an den angeblichen Lustreisen Beteiligten angeschlossen. In welcher Weise sichern Sie zu, auch dem Parlament den Prüfbericht zu den Lustreisen – die Liste aller Begünstigen der Incentives und die Erkenntnisse, die Sie über das Verfahren, das Sie gerade beschrieben haben, gewinnen – zugänglich zu machen?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Dies wird unaufgefordert durch den Finanzminister gegenüber dem Parlament und im Zweifel gegenüber dem zuständigen Ausschuss erfolgen, sobald es neue Erkenntnisse gibt.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Herr Kollege Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin, vielleicht darf ich vorwegschicken, dass Herr Minister Duin hier akustisch sehr schlecht zu verstehen ist; vielleicht können wir das korrigieren.
Herr Minister, durch die Lustreisen sind Kosten entstanden. Fraglich ist, wie diese steuerlich und im Rechnungswesen behandelt worden sind. Sind die Kosten als Betriebsausgabe oder als Geschenk deklariert und gegebenenfalls vom Betriebsergebnis der WestLB abgezogen worden?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stamp. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Auch dazu bedarf es noch weiterer Sachverhaltsaufklärung. Über die konkrete steuerliche Behandlung liegen bisher keine Erkenntnisse vor.
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Minister. – Bevor ich Frau Schmitz das Mikrofon freischalte, möchte ich noch einmal auf die Akustik eingehen. Genau aus diesem Grund befindet sich Herr Prof. Ahnert hier im Raum. Er setzt sich auf verschiedene Plätze, hört aufmerksam hin und bekommt mit, wie unterschiedlich die Akustik ist. Er bemerkt also, dass mit der Akustik etwas nicht stimmt. Wir gehen davon aus, dass sich mithilfe von Prof. Ahnert die Akustik demnächst verbessern wird.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Frau Kollegin Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrter Herr Minister Duin, wie viele Personen sind in der Summe von den Begünstigungen der WestLB als Mitreisende bei Lustreisen betroffen?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Das möchten auch wir gerne wissen. Deshalb habe ich gerade gesagt, dass wir ein Interesse daran haben, eine Aufstellung der Events und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu bekommen und dass wir über den Aufsichtsrat der Portigon AG und andere Wege versuchen werden, an diese Informationen zu gelangen. Dem Parlament werden wir dann umgehend Bericht erstatten. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich das aber leider nicht beantworten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Der Kollege Bombis möchte Ihnen eine Frage stellen.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, in der Presseberichterstattung sind als Zielgruppe der Begünstigten insbesondere auch Leitungspersonal von Stadtwerken und Sparkassen, aber auch Beamte genannt. Können Sie bereits jetzt im Nachgang zur Presseberichterstattung eine Aussage darüber treffen, ob und in welchem Umfang nordrhein-westfälische Amtsträger von diesen Vorgängen betroffen sind?
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege. – Herr Minister.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Aufgrund der noch durchzuführenden Sachverhaltsaufklärung kann eine solche Aussage zu dieser Fragestellung bisher nicht gemacht werden. Auch in dem Zusammenhang kann ich nur darauf verweisen, dass wir an einer weiteren Sachverhaltsaufklärung arbeiten.
Sobald die Informationen vorliegen und wir die Namen bei den einzelnen Events haben, kann natürlich auch da nachgeschaut werden, wer von wo kam, wer genau es gewesen ist und welche Konsequenzen das für die einzelnen beteiligten Personen eventuell haben wird.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Minister Duin, das „Handelsblatt“ berichtet von Lustreisen bei der WestLB-Tochter Mellon Asset Management. – Wissen Sie, ob und, wenn ja, welche weiteren Konzernbereiche der WestLB vergleichbare Incentives für ihre Kunden organisiert haben?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Darüber liegen mir keine Informationen vor.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Dann hat Herr Kollege Wedel zu seiner zweiten und damit letzten Frage das Wort.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, in der Berichterstattung ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob rechtlich problematische Sachverhalte möglicherweise bewusst nicht verfolgt worden sind und dadurch gegebenenfalls Verjährung eingetreten ist. Ich nehme an, dass Sie dazu aus dem Stand heraus auch nicht antworten können und dem deshalb nachgehen werden:
Werden Sie dem nachgehen und dem Parlament berichten, warum die möglicherweise strafrechtlich relevanten Sachverhalte nicht rechtzeitig nach Bekanntwerden verfolgt worden sind, bevor sie mittlerweile verjährt sein dürften, wenn das entsprechend der Fall gewesen ist?
(Vereinzelt Heiterkeit)
Präsidentin Carina Gödecke: Das waren viele Schachtelsätze. Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Minister Duin wird antworten.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Der Konjunktiv ist ein wunderbares Instrument. – Sie haben es in Ihrer Frage schon angedeutet: Auch dazu kann ich nur sagen, dass wir an der weiteren Sachverhaltsaufklärung arbeiten und sich daraus ergibt, inwieweit es strafrechtlich relevante Vorkommnisse gegeben hat. Das entsprechend zu bewerten, ist dann allerdings nicht Aufgabe der Landesregierung, sondern der dafür zuständigen Stellen, insbesondere der Staatsanwaltschaften.
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Ellerbrock, auch Sie haben jetzt Gelegenheit zu Ihrer zweiten und damit letzten Frage.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister Duin, Kollege Stamp hat eben schon die steuerliche Problematik angesprochen. – Muss das, wenn da etwas dran ist, Ihrer Ansicht nach nachversteuert werden?
In Ihrem und damit im Interesse des Haushalts müsste dabei doch ein möglichst großes Volumen herauskommen. Haben Sie ein Gefühl dafür, welche Zahlen im Raum stehen, die nachzuversteuern sind?
Präsidentin Carina Gödecke: Bevor Sie antworten, Herr Minister: Der Kollege Ellerbrock ist schon etwas länger im Landtag und weiß, dass die Präsidentin aufmerksam zuhört und in der Anlage zur Fragestunde unter anderem steht: Anfragen müssen kurz gefasst sein und dürfen nur eine konkrete Frage enthalten. – Sie haben wieder zwei Fragen ineinandergepackt.
(Holger Ellerbrock [FDP]: Och!)
– Doch, doch!
(Holger Ellerbrock [FDP]: Och nö!)
– Ich wollte es nur einmal anmerken. – Herr Minister Duin, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Aber der Kollege Ellerbrock ahnt, dass ich eine solche Einschätzung zu beiden Dingen angesichts der noch nicht vorliegenden detaillierten Kenntnis des genauen Sachverhalts noch nicht abgeben kann. Deshalb kann ich auch nicht einschätzen, um welche Größenordnung es sich handelt. Dafür brauchen wir einfach mehr Fakten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Herr Kollege Bombis, Sie haben ebenfalls Ihre zweite und damit letzte Frage.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Duin, auch wenn die Aufklärung leider noch andauert – hoffentlich liegen bald weitergehende Erkenntnisse vor –, frage ich Sie: Können Sie zumindest schon einmal eine Aussage dazu machen, wann die Verantwortlichen Konsequenzen aus den Vorgängen gezogen haben, um eine Fortsetzung der Praxis der Lustreisen zu unterbinden?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Herr Minister Duin, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Nach bisher vorliegenden Informationen reden wir über einen Zeitraum von 2002 bis 2005. Dann ist im Unternehmen offensichtlich in geeigneter Weise reagiert worden. Genau diesen Fragen wird der Finanzminister im Aufsichtsrat der Portigon entsprechend nachgehen, um diese Sachverhalte aufzuklären.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin, danke schön. – Herr Minister Duin, das „Handelsblatt“ nennt Reisen nach Dallas zu Sportevents als noch harmloses Beispiel für Lustreisen. Gibt es Anhaltspunkte, welche Reiseziele oder -arten an Reiseaktivitäten öffentlich noch prekärer sein könnten?
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Da ich ja bereits erwähnte, dass wir zurzeit auf dem gleichen Informationsstand sind, gibt es auch dazu für mich keine weitergehenden Erkenntnisse. Wir werden abwarten müssen. Wenn die Berichterstattung davon spricht, dass das vergleichsweise harmlos ist, müssen wir damit rechnen, dass die Medien noch weitergehende Erkenntnisse haben, denn sonst könnte man vielleicht nicht zu einer solchen Wertung kommen.
Die Berichterstattung über Reisen der letzten Jahre in ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen Bereichen lässt den Gedanken ganz freien Lauf, was sonst noch alles initiiert worden ist. Dabei bewegen wir uns allerdings auf dem dünnen Eis der Spekulationen. Angaben dazu, ob es noch anderswohin als nach Dallas und zum Sport gegangen ist, kann ich noch nicht machen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Gebauer, Ihre ebenfalls zweite und damit letzte Frage.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Minister Duin, meine Frage schließt an die von Herrn Bombis an: Ist Ihnen bekannt, dass die Vorgänge zu den Lustreisen bislang zu irgendwelchen rechtlichen Konsequenzen bestimmter handelnder Personen geführt haben?
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Da ich die Vorgänge nach wie vor nicht im Einzelnen kenne, kann ich auch zu den rechtlichen Konsequenzen für oder durch einzelne Personen keine Aussage treffen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Witzel, Ihre zweite Nachfrage.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die erneute Gelegenheit zur Nachfrage. Vielen Dank auch, Herr Minister Duin, für Ihre bisherigen Ausführungen.
Mir ist bewusst, dass es für Sie keine angenehme Rolle ist, hier halb fachfremd in Vertretung Auskünfte zu erteilen, die andere besser erteilen könnten. Das will ich berücksichtigen, gehe aber davon aus – so hatte ich Sie auch verstanden –, dass Sie die heute nicht geklärten Fragen möglichst zeitnah einer nachträglichen Klärung zuführen und das Ergebnis dem Parlament zuleiten.
Ich gehe dennoch davon aus, dass sich eine Landesregierung, die selbst entscheidet, durch wen sie sich heute vertreten lässt, natürlich auf den von den Abgeordneten dargestellten Sachverhalt entsprechend vorbereitet. Deshalb möchte ich Sie schon zur Berichterstattung des „Handelsblattes“ fragen. Dort werden mögliche Gesetzesverstöße und sogar Straftatbestände wie beispielsweise Untreue, Bestechung, Steuerdelikte und Verletzung von Aufsichtspflichten in den Raum gestellt. Können nach Ihrer Plausibilitätsüberlegung derartige Gesetzesverstöße und Straftatbestände bei dem Ihnen öffentlich bekannten Sachverhalt hier angesprochen sein?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. Das war in der Tat auch bei Ihnen eine etwas längere Herleitung für eine relativ einfache Frage. – Herr Minister, bitte.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir haben bisher keine Plausibilitätsabschätzungen gemacht, sondern wir arbeiten an der Aufklärung des Sachverhaltes.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrter Herr Minister, das „Handelsblatt“ hat in verschiedenen Beiträgen etliche interessante Details innerhalb der letzten Woche veröffentlicht. Welche weiteren Erkenntnisse zur Gewährung von Incentives innerhalb des WestLB-Konzerns hat die Landesregierung darüber hinaus?
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Wir haben darüber hinaus keine Erkenntnisse.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Fragen? – Herr Kollege Witzel, bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe noch eine letzte und dritte Frage, die ich gern an dieser Stelle ausnutzen würde.
Herr Minister Duin, die Themen „Freiflüge“, „Lustreisen“, „Kundenincentives“, „Kundenevents“ sind nicht neu bei der WestLB. Ich halte eine sehr ausführliche sechsseitige „Spiegel“-Berichterstattung aus dem Jahr 1999 mit dem Titel „Freiflüge vom Paten“ in der Hand. Sie stellt im Detail dar, welche Mitglieder der Landesregierung von WestLB-Flügen für fragliche Anlässe profitiert haben.
Meine Frage an Sie lautet: Wie kann es aus Sicht des Eigentümers Land sein, dass es nach den damaligen Zusagen, es gäbe keine Wiederholungen mehr, und nachdem Sachverhalte schon Ende der 90er-Jahre bekannt waren, ab dem Jahr 2002 in der WestLB-Tochter Mellon Asset Management zu ähnlichen Wiederholungen gekommen ist?
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Witzel. Das war Ihre dritte und damit letzte Nachfrage. – Herr Minister antwortet.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Auch dieser Fragestellung schließen wir uns ausdrücklich an und werden versuchen, das im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung herauszubekommen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Weitere Wortmeldungen zur Mündlichen Anfrage 8 liegen mir nicht vor, sodass diese Mündliche Anfrage beantwortet ist. Ich schließe damit die Fragestunde.
Bevor ich Tagesordnungspunkt 7 aufrufe, möchte ich gern für die Kolleginnen und Kollegen mitteilen, dass mir und damit auch den Fraktionen seit dem 22. November die Entschuldigung des Finanzministers vorliegt, der sich gegenwärtig auf dem Weg nach Berlin befindet, um dort am Finanzausschuss teilzunehmen. Das wussten die Fraktionen auch. – Ich erwähne das, damit kein falscher Eindruck entsteht.
Damit rufe ich auf:
7 Kindertagespflege stärken: Leistungen anerkennen, Strukturen optimieren, Qualifikationen steigern
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1272
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Hafke das Wort.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kinderbetreuung und -bildung beschäftigt uns in diesem Parlament regelmäßig, nicht zuletzt deshalb, weil immer noch mindestens 30.000 Betreuungsplätze fehlen, um den Rechtsanspruch in Nordrhein-Westfalen umzusetzen.
Leider wird in der Diskussion die Tagespflege oft vergessen, weil alle nur auf die Kitas schauen. Wir brauchen aber Aufmerksamkeit für die Tagesmütter und -väter. Die FDP legt deshalb heute hier einen Antrag vor, mit dem wir auf die Leistung der Tagespflege hinweisen und eine Optimierung der Strukturen anstoßen möchten.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Die Kindertagespflege hat in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungswandel erfahren. Sie ist mittlerweile fester Bestandteil der Betreuungslandschaft.
Besonders im Betreuungsbereich für unterdreijährige Kinder ist das Angebot der Kindertagespflege für Familien attraktiv. Mütter und Väter schätzen die enge Bindung an eine einzige Betreuungsperson sowie die überschaubare Gruppengröße. Die Kindertagespflege leistet einen wichtigen Beitrag für den Ausbau der Betreuung und für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ohne sie ist die Erfüllung des Rechtsanspruchs überhaupt nicht zu realisieren. Das Land, die Eltern und die Kommunen sind auf sie angewiesen.
Obwohl der Stellenwert der Tagespflege also offenkundig ist, wird die Arbeit der Tagesmütter und ?väter aus Sicht der FDP nicht ausreichend honoriert und wertgeschätzt. Beim Krippengipfel der Landesregierung spielte die Kindertagespflege kaum eine Rolle.
Dafür ist uns noch sehr gut in Erinnerung, wie Sie mit dem Hygieneleitfaden für den Umgang mit Lebensmitteln große Verunsicherung hervorgerufen haben. Da hat sich Umweltminister Remmel, der leider gerade nicht hier ist, total verrannt. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass die bürokratische Belastung als Problem bei Ihnen nicht angekommen ist.
Auch die Beschränkung auf fünf Kinder für die Erlaubnis zur Kindertagespflege, die Sie geplant hatten, hat einen Aufschrei verursacht. Erfreulicherweise haben Sie von beidem wieder Abstand genommen. Aber das Ganze war sicherlich kein Ausdruck von Wertschätzung und Problembewusstsein gegenüber der Tagespflege.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen keine restriktiven Vorgaben und bürokratischen Hemmnisse. Es ist höchste Zeit, dass sich das Land der Festigung der Strukturen und einer weiteren qualitativen Absicherung widmet. Ziel muss es sein, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für Tagesmütter und für Tagesväter zu verbessern.
Dazu gehört auch der Blick in die Kommunen. Wir hören von den Beteiligten, dass es gerade bei den Vernetzungsstrukturen noch gehörig hakt. Einige Kommunen klammern die Tagespflege im Rahmen der Information von Eltern zur Kinderbetreuung völlig aus. Von einem aktiven Bewerben ist keine Rede. Hierbei richtet sich der Appell auch an die Kommunen.
Auf Landesebene haben wir mit dem von der schwarz-gelben Landesregierung beschrittenen Weg einen guten Anfang gemacht. Die Tagespflege und ihre finanzielle Förderung ist erstmals ausdrücklich gesetzlich aufgenommen und im Kinderbildungsgesetz verankert worden.
Der Zehn-Punkte-Plan zur Stärkung der familiennahen Kinderbetreuung aus dem Jahr 2010 hat zudem verschiedene Maßnahmen zur Professionalisierung angestoßen. Hieran möchten wir gern weiter anknüpfen. Der erste wichtige Schritt muss es sein zu evaluieren, inwieweit das Konzept umgesetzt wurde und wo es noch Handlungsbedarf gibt.
Wir wollen auch die Qualitäts- und Vergütungsdebatte anstoßen. Und vielleicht diskutieren wir schließlich auch über den Begriff „Kindertagespflege“, der meines Erachtens nicht hundertprozentig passt, denn es geht um Betreuung, Förderung und Bildung unserer Kleinsten und nicht „nur“ um Pflege.
Die Eltern und Familien brauchen die Kindertagespflege. Die Kindertagespflege braucht Unterstützung. Unsere engagierten Tagesmütter und ?väter brauchen Anerkennung und Wertschätzung.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion der SPD hat Frau Kollegin Benninghaus das Wort.
Walburga Benninghaus (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der FDP erkannt haben, wie wichtig eine qualifizierte und gute Betreuung unserer Kinder ist und welche Bedeutung dabei die Kindertagespflege hat. Ich kann Sie da nur unterstützen. Schon im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen haben wir festgehalten, dass wir einen weiteren Ausbau der Qualität in der Kindertagespflege anstreben und flächendeckende Maßnahmen zur Qualitätssicherung einleiten wollen, um die Gleichrangigkeit gegenüber der institutionellen Betreuung sicherzustellen. Das ist ein Teil unseres präventiven Ansatzes.
Lassen Sie mich aber, bevor ich auf den Inhalt eingehe, noch ein paar Anmerkungen machen: Ich bin sehr erstaunt darüber, dass die FDP diesen Antrag stellt, die FDP sich zeitgleich aber für ein Betreuungsgeld ausspricht. Das heißt, dass die Ernsthaftigkeit dieses Antrages infrage gestellt wird.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Um ihre Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit auf den Punkt zu bringen, darf ich zweitens aus der Mitteilung der FDP-Fraktion von heute Morgen zitieren:
„Um die Weichen auf Konsolidierung zu stellen, muss die Regierung aufhören, immer neue Wahlgeschenke“
– die Wahlen sind vorbei, aber das spielt ja keine Rolle –
„auf Pump zu verteilen wie beim Sozialticket, Gratis-Studium und beitragsfreien KiTa-Jahren.“
Das heißt, Sie haben gar keinen Blick und kein Verständnis dafür. Sie wollen ja gar keine familienfreundliche Stadt und Kommune, und sie wollen kein familienfreundliches Land. Das ist doch Ihre Aussage,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
die auch in der Presse zu lesen ist. Das sind aber Ihre Vorstellungen. Das können Sie halten, wie Sie möchten. Aber das zeigt nur, da Sie das auch öffentlich bekennen, dass Sie gar nicht dahinterstehen. Sonst würden Sie uns an diesem Punkt auch nicht …
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Benninghaus, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Walburga Benninghaus (SPD): Es ist meine erste Rede. Ich möchte heute beim ersten Mal zu Ende sprechen. Danach gehe ich gerne auf Ihre Fragen ein.
(Beifall von der SPD)
Außerdem freue ich mich sehr darüber, wenn meine Rede bei Ihnen schon zu einer Gegenfrage führt.
Lassen Sie mich kurz auf den Inhalt des Antrages eingehen: In der Tat ist es richtig, dass wir uns über das Thema „Kindertagespflege“ auseinandersetzen. Das teile ich mit Ihnen in der Sache. Es geht auch um die Frage, wie wir die Vergütungsstrukturen in den einzelnen Kommunen zu gewährleisen haben. Für viele in den Kommunen ist es eine wichtige Frage, wie das finanziert wird.
Die vielen Tagesmütter und -väter in Nordrhein-Westfalen erfüllen eine wertvolle Aufgabe, einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag. Das Arbeitsfeld der Kindertagespflege ist sehr heterogen mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen, aber gleichzeitig auch ein Arbeitsfeld, in dem viel Potenzial steckt. Die Anforderungen sind sehr unterschiedlich, das heißt, sie sind in den Städten und Gemeinden sehr unterschiedlich. In der Stadt Düsseldorf ist es beispielsweise so, dass Frauen und Väter in den Abendstunden und am Wochenende Kindertagespflege benötigen und möglicherweise im Abendbereich. Diese Vielfältigkeit der Gründe ist ein Beleg dafür, dass es kein einheitliches und flächendeckendes Konzept geben kann.
Die Kindertagespflege – vielleicht wissen Sie das gar nicht mehr – ist eine gesetzliche Regelung und hat bereits mit ihren grundsätzlichen Änderungen – erstens mit der Ausweitung der Erlaubnispflicht, zweitens mit der Einführung der Qualifizierungsmaßnahmen und drittens mit der Verpflichtung zur Ersatzbetreuung, was das Entscheidende ist – einen Paradigmenwechsel durchgemacht, der deutlich mehr Verantwortung auf die Träger der öffentlichen Jugendhilfe überträgt.
Für mich als Kommunalpolitikerin – das bin seit 20 Jahren – ist aber auch eines klar: Das Prinzip der Konnexität muss bei allem eingehalten werden, was wir hier tun. Deshalb möchte ich gerne wissen, wie Sie dieses Thema mit uns im Ausschuss weiter diskutieren wollen. Denn wenn wir als Land hier eingreifen und zulasten der bisherigen Entscheidungskompetenz der Kommunen und der Verantwortung der öffentlichen Jugendhilfe einheitliche Regelungen erlassen, dann müssen wir diese auch bezahlen. Ich fürchte, dass Sie dann nicht mehr dabei sind, denn wir haben eben schon einmal festgestellt, dass Familienfreundlichkeit und deren Finanzierung für Sie nicht infrage kommen.
Mir ist auch nicht klar, warum es sinnvoll sein sollte, die Regierung zu etwas aufzufordern, was bereits Teil Ihrer Aufgabe ist. Ihre Forderungen sind trotz des langen Vortextes ohne jeglichen politischen Inhalt und ohne Aussage.
Wenn Sie das Thema sehr ernst meinen, dann müssen Sie hier konkret Farbe bekennen und sich an den notwendigen Vorhaben, wie Sie es in Ihrem Antrag selbst formulieren, aktiv und konstruktiv beteiligen.
Ich freue mich auf die Beratungen und sage konsequent: Bildung von Anfang an. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Benninghaus, für Ihre erste Rede und herzlichen Glückwunsch dazu! Vielen Dank an die FDP, die auf ihre Zwischenfrage verzichtet hat!
Als nächster Redner spricht der Kollege Tenhumberg für die CDU-Fraktion.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Betreuung von Kindern in der Kindertagespflege ist aus dem heutigen System nicht mehr wegzudenken, insbesondere bei den kleinsten Kindern im Alter von null bis drei Jahren.
Bereits heute wird rund ein Viertel aller U3-Plätze durch die Kindertagespflege angeboten. Die Tendenz ist aufgrund des hohen U3-Betreuungsbedarfes weiter steigend.
Es war gut, dass wir trotz des erbitterten Widerstandes von Rot-Grün die Tagespflege als gleichberechtigte Betreuungsform im Kinderbildungsgesetz verankert haben.
(Beifall von der CDU)
In den von der CDU organisierten Fachtagungen mit Tagesmüttern und ?vätern – die letzte fand noch vergangene Woche in diesem Landtag statt – ist deutlich geworden, dass die Kindertagespflege noch mehr Anerkennung und Unterstützung braucht, insbesondere mit Blick auf den zu erfüllenden Rechtsanspruch auf einen U3-Betreuungsplatz ab August 2013.
Die CDU-Landtagsfraktion wird sich dieser Aufgabe weiterhin stellen und Kindertagespersonen, wo nur möglich, unterstützen.
Der FDP-Antrag ist richtig. Das, was Sie, Herr Hafke, gesagt haben, ist noch besser. Er beschreibt die tatsächliche Situation und die Handlungsfelder der Kindertagespflege zutreffend. Aus unserer Sicht würden wir lediglich bei der Fachberatung, bei der Vergütung und bei der Qualifizierung landeseinheitliche Mindeststandards konkreter fassen wollen.
Unser Ziel muss es sein, die Kindertagespflege noch attraktiver zu gestalten und die Arbeit der Tagesmütter und ?väter noch angemessener zu entlohnen – sowohl finanziell als auch durch gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz, die ich bei Rot-Grün trotz aller Bekundungen doch öfters vermisse.
Angesichts des steigenden Bedarfs müssen wir mehr Menschen für diesen wichtigen Bereich gewinnen. Uns ist klar, dass neue Tagespflegepersonen gewonnen, die strukturellen Rahmenbedingungen der Kindertagespflege verbessert, Standards für die Mindestqualifizierung landes- und bundesweit implementiert und die Anschlussfähigkeit des Berufsbildes gefördert werden müssen.
Der FDP-Antrag beschreibt das. Er findet unsere Unterstützung. Wir freuen uns deshalb über die Diskussion im Fachausschuss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tagespflege kommt in der Tat in der Kinderbetreuung eine wichtige Bedeutung zu – in Ergänzung und neben der Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kita. Das gilt vor allen Dingen für die Kleinsten, deren Eltern sich oftmals eine Betreuungsform wünschen, die familienähnlich, im privaten Rahmen und mit einer hohen Flexibilität möglich ist.
Mit dieser Bewertung befindet sich Rot-Grün im Land übrigens in guter Kontinuität zur ehemaligen rot-grünen Bundesregierung, die zum ersten Mal im Tagesbetreuungsausbaugesetz – dem TAG – die Tagespflege mit der institutionellen Betreuung rechtlich gleichgestellt und damit für die Tagespflege einen qualitativen Schritt nach vorn gemacht hat.
Der rot-grünen Koalition ist es wichtig, die Tagespflege zu qualifizieren und sie gut auszustatten. Zur Erreichung dieses Ziels ist der FDP-Antrag – ich sage es gleich vorweg – wenig hilfreich. Er ist nicht zielführend – im Gegenteil: Er ist fachlich nicht auf der Höhe der Diskussion und in einigen Punkten auch falsch. Ich möchte Ihnen das aufzeigen.
Erstens. Die FDP wünscht sich eine bessere Qualifizierung der Tagespflege.
(Beifall von der CDU)
– Die CDU wünscht sich das offenbar auch.
Rot-Grün wünscht nicht, sondern hat gehandelt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben mit dem ersten KiBiz-Änderungsgesetz genau diese Qualifizierung ins Gesetz geschrieben. Ein Blick in die Drucksache hätte geholfen und Sie ein Stück weitergebracht.
(Beifall von der SPD)
Nur am Rande sage ich: Während Schwarz-Gelb im KiBiz immer noch von Tagesmüttern gesprochen hat, haben wir das in Tagespflegepersonen umgewandelt.
(Armin Laschet [CDU] betritt den Plenarsaal.)
– Da kommt Herr Laschet, der ehemalige Minister, der das Gesetz zu verantworten hat.
Der Begriff „Tagesmütter“ ist fachlich von vorgestern und einfach inkorrekt.
Zweitens. Die FDP fordert in ihrem Antrag die Evaluierung eines Handlungskonzeptes, das Sie noch in Auftrag gegeben haben. Sie haben es damals versäumt, genau diese Evaluierung mit zu verabschieden. Jetzt, drei Jahre später, kommen Sie und wollen etwas nachreichen.
(Beifall von der SPD)
Das ist wissenschaftlich unseriös, weil wir genau wissen, dass uns die Vergleichswerte fehlen, wenn wir das im Nachhinein machen. Das hätte man in der Tat bei Beginn des Programms in Auftrag geben können. Das haben Sie in der schwarz-gelben Landesregierung versäumt.
(Beifall von der SPD)
Drittens. Sie kritisieren die Obergrenze von fünf Kindern pro Tagespflegeperson. Wir stehen zu diesem Standard, der die Qualität in der Kindertagespflege sichert. Wir legen diese Obergrenze im Übrigen auch fest, um die familienähnliche Form der Betreuung zu wahren. Darüber hinaus – auch das muss immer wieder gesagt werden – wurde diese Regelung von fachlicher Seite – vom Landesverband der Kindertagespflege – ausdrücklich begrüßt.
Viertens. Warum kommen Sie jetzt wieder mit den ollen Kamellen der Hygienevorschriften an? Wir haben das im Jahr 2011 hoch und runter diskutiert. Wenn Ihnen das immer noch nicht klar wird, Herr Hafke, dann lesen Sie doch bitte noch einmal nach. Lesen Sie den Schriftverkehr zwischen Herrn Remmel und Frau Aigner.
(Widerspruch von Marcel Hafke [FDP])
Während nämlich die rot-grüne Landesregierung ganz klar sagt, dass Kindertagespflegestellen keine Lebensmitteleinrichtungen und keine Lebensmittelunternehmen sind, beharrt Ihre schwarz-gelbe Bundesregierung immer noch auf dieser Auffassung, obwohl auch die EU die Auffassung vertritt, dass es sich nicht um Lebensmittelunternehmen handelt. Also richten Sie Ihren Protest von zu viel und überbordender Bürokratie, die dadurch entsteht, bitte nach Berlin, aber lassen Sie das nicht hier ab. Das ist sachlich einfach nicht in Ordnung und nicht korrekt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Fünftens. Die wesentliche Frage, bei der Sie als FDP-Fraktion eine Antwort schuldig bleiben, betrifft die Finanzierung. Sie listen Wünsche auf, wo Sie überall qualifizieren. Sie stellen in den Raum, dass Tagespflege eigentlich besser finanziert werden müsste. Gleichzeitig sind Sie aber nicht bereit, den Kommunen die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir erinnern uns: In der letzten Plenarrunde haben wir den Kommunen 1,4 Milliarden € zur Verfügung gestellt. Die Einzigen, die nicht mitgestimmt haben, waren die Abgeordneten der FDP.
(Widerspruch von Marcel Hafke [FDP])
Aus diesen Mitteln, aus diesem Belastungsausgleich – vielleicht ist Ihnen das nicht klar – wird auch die Tagespflege finanziert, nämlich mit 3.400 € pro Platz. Herr Hafke, Sie haben sich mit der Ablehnung des Belastungsausgleichs außerhalb jeder Diskussion um Qualifizierung und um Ausbau des U3-Bereichs gestellt. Das müssen wir hier festhalten.
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Andrea Asch (GRÜNE): Ich freue mich gleichwohl auf die Diskussion im Ausschuss. Wir haben dort die Möglichkeit, das noch einmal zu diskutieren und Sie fachlich auf den Stand zu bringen. Und Sie haben die Möglichkeit, den Antrag dementsprechend zu revidieren. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Piraten spricht Herr Wegner.
Olaf Wegner*) (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne und im Stream! Die Qualität der Kinderbetreuung – egal, ob in einer Kindertagesstätte, in der Tagespflege oder sonst wo – liegt mir als Pirat besonders am Herzen. Aus diesem Grund begrüße ich das Vorstoßen der FDP mit diesem Antrag.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Wir sehen die Kindertagespflege auch als eine wichtige und gute Alternative zu der Betreuung in der Kindertagesstätte.
Die derzeit vorgeschriebene Gruppengröße wird von mehreren Kinderschutz- und Kinderrechtsorganisationen befürwortet, da sie ein nahezu familiäres Umfeld bietet und zugleich die sozialen Kompetenzen der Kinder fördert.
Zudem bietet die Kindertagespflege ein stabiles Polster beim Ausbau der U3-Plätze. Schließlich ist ein beachtlicher Teil der Kinder in der Kindertagespflege unter drei Jahren.
Die Vergütung für die Betreuer ist allerdings alarmierend gering. Die FDP fordert in ihrem Antrag eine Prüfung auf leistungsorientierte Vergütung. Meine Damen und Herren, bei diesem Punkt muss beachtet werden, dass in dem betreffenden Alter die Grundlage für eine erfolgreiche Bildungs- und damit auch Berufslaufbahn der Kinder gelegt wird. Unter Beachtung dieser Tatsache muss die Vergütung weit höher liegen als derzeit.
Laut einer Studie des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Fachhochschule Koblenz liegt die durchschnittliche Vergütung für die Pflegepersonen zwischen 2,11 € und 4,07 € pro Stunde und Kind. Im schlechtesten Fall wird eine Tagespflegeperson bei voller Auslastung mit aufgerundet 11 € pro Stunde vergütet. Das ist definitiv zu wenig.
(Beifall von den PIRATEN)
Mit dieser Vergütung ist der Aufbau einer existenzsichernden Altersvorsorge nur sehr schwer zu bewerkstelligen. Das ist allerdings eine Tatsache, die sich nicht nur auf die Kindertagespflege beschränkt. So ziemlich alle Kinderbetreuungsberufe sehen wir Piraten als massiv unterbezahlt an. Der daraus folgende Fachkräftemangel – Sie werden wohl selbst erkennen, dass die finanziellen Anreize nicht gegeben sind – macht es für die Tagespflegepersonen unmöglich, an einem Werktag an etwaigen Fortbildungen teilzunehmen. Schließlich stellt sich die Frage, wo die Kinder untergebracht werden sollen, wenn die Pflegeperson in der Fortbildung ist.
Sie sehen, wir haben noch sehr viel Redebedarf im Ausschuss, und ich freue mich auf konstruktive Gespräche. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der FDP will mit ihrem Antrag den Eindruck erwecken, Herr Hafke, als sei in der Kindertagespflege seit 2010 nichts mehr vorangegangen. Das ist eindeutig falsch und ignoriert die aktuellen Entwicklungen.
(Beifall von der SPD)
Vielleicht hat die FDP seit 2010 nicht mehr genau genug hingeschaut. Anders ist es nicht zu verstehen, dass sie mit diesem Antrag Qualitätsverbesserungen und Professionalisierung fordert. Ich möchte für die Landesregierung noch einmal feststellen, dass die Kindertagespflege als Ergänzung zu der Betreuung in den Kitas eine gute Form der Betreuung für unter dreijährige Kinder ist. Die enge Bindung an eine Betreuungsperson, die Familiennähe, die Überschaubarkeit machen diese Betreuungsform zu einem attraktiven Angebot. Die Eltern schätzen für die erste Betreuung ihrer Kleinsten außerhalb der Familie die Kindertagespflege in besonderer Weise.
Wir unterstützen deshalb die Kindertagespflege. Das spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen wider. In diesem Kindergartenjahr haben wir rund 32.500 landesbezuschusste Plätze für U3-Kinder in der Kindertagespflege. Aus meiner Sicht ist es allerdings nicht sinnvoll, das vom damaligen Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration vorgelegte Handlungskonzept aus dem Jahr 2010 nachträglich zu evaluieren. Denn wir sind quantitativ und qualitativ heute schon viel weiter als 2010.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben mit dem ersten KiBiz-Änderungsgesetz – Kollegin Asch hat es angesprochen – den Mindeststandard für die Qualifizierung der Kindertagespflege weiter konkretisiert. Wir haben zahlreiche regionale, kommunale und landesseitige Beratungs- und Fachforen. Die im Antrag geforderte Beratungsinfrastruktur hat sich im Land vor allem nach 2010 deutlich verbessert. Ein Beispiel ist der runde Tisch im Landschaftsverband Rheinland – eine Idee aus dem Jahr 2010 –, den es jetzt schon gibt.
Im Übrigen, Herr Hafke, arbeiten wir schon seit Januar 2011 sehr konstruktiv in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit, die Sie in Ihrem Antrag erst einfordern. Es gibt sie aber bereits seit über einem Jahr. Da müssten Sie etwas genauer hinschauen.
Wir haben uns auch ganz aktiv und, wie es derzeit scheint, auch sehr erfolgreich für eine Verlängerung der krankenversicherungsrechtlichen Sonderregelung für Kindertagespflegepersonen eingesetzt.
(Christian Lindner [FDP]: Der Herr Steinbrück wollte die kippen!)
Wir haben – ein weiterer Punkt – in Nordrhein-Westfalen 67 speziell für die Qualifizierung von Tagespflegepersonen zertifizierte Weiterbildungsträger. Mit unserer Vergütungsstruktur, um das in einen Kontext zu rücken, erreichen wir nach einer aktuellen Studie im bundesweiten Vergleich Spitzenwerte. Unser Bundesland steht auf Platz 2.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Noch etwas zu Ihrer Aussage, wir müssten Bürokratie abbauen: Das Gegenteil ist der Fall. Denn mit der Einrichtung unserer Task Force haben wir einen erheblichen Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet.
(Beifall von Wolfgang Jörg [SPD])
Sie wissen, das ist im Land sehr positiv aufgenommen worden.
(Beifall von Wolfgang Jörg [SPD])
Auch bei der im Antrag genannten Lebensmittelhygiene ist es nicht das Land Nordrhein-Westfalen, das unnötige Bürokratie schafft. Es war und ist das Bundeslandwirtschaftsministerium, das die Tagespflegepersonen im Privathaushalt zu Lebensmittelunternehmen machen will.
(Beifall von Wolfgang Jörg [SPD] – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Das Bundeslandwirtschaftsministerium macht das.
(Beifall von der SPD)
Seit Beginn dieser Debatte in Berlin, Herr Hafke, wendet sich unser Bundesland – der Umweltminister und ich gemeinsam – entschieden gegen den Aufbau zusätzlicher Bürokratie und neuer Meldepflichten für Tagespflegepersonen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das können Sie allen Dokumenten entnehmen. Bauen Sie bitte keinen Popanz auf! Und wenn Ihnen der Bürokratieabbau am Herzen liegt, dann unterstützen Sie uns gerade bei diesem Thema mit Ihrer Partei in Berlin. Darüber würden wir uns sehr freuen.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Das wäre ein echter Beitrag, um die Kinderbetreuung nach vorn zu bringen; denn für den U3-Ausbau brauchen wir weiterhin gut ausgebildetes Personal in den Kitas, aber genauso die qualitätsvolle Kindertagespflege. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Hafke.
Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich die Unterstellungen und falschen Behauptungen, die die Kollegin Asch hier wieder einmal in einer unsäglichen Art und Weise in den Raum gestellt hat, nicht einfach so stehen lassen möchte.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Liebe Frau Kollegin Asch, es war die schwarz-gelbe Landesregierung, die die Qualität ins Kinderbildungsgesetz geschrieben hat.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wir haben die 160 Stunden bei der Tagespflege überhaupt erst einmal ins Gesetz geschrieben. Da haben Sie die Jahre davor nichts gemacht. Sie haben es als Grünen-Fraktion 2003 abgelehnt, dem Antrag der CDU zu folgen und die Tagespflege ins GTK zu schreiben.
(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)
Dann können Sie sich doch nicht hierhin stellen und das Gegenteil behaupten!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Uns unterstellen Sie, wir wollten hier die Qualität unterwandern und eine schlechtere Qualität einführen. Ganz im Gegenteil! In unserem Antrag steht, dass wir an der Zahl von fünf Kindern, die in der Tagespflege maximal zu betreuen sind, gar nicht rütteln wollen. Sie haben sie in den letzten Jahren aber immer wieder infrage gestellt. Ich sage klar: Die Qualität ist für die FDP die oberste Maxime. Etwas anderes lasse ich an dieser Stelle auch nicht gelten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die CDU-Fraktion hat sich der Kollege Tenhumberg gemeldet.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Genau aus diesem Grunde habe ich mich auch gemeldet. Frau Asch, Sie haben keine Zukunft. Sie blicken nur zurück.
(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Was mir bei Ihnen und Ihrer Fraktion sowie der SPD fehlt, ist ein klares Bekenntnis zur Kindertagespflege. Auf ein solches klares Bekenntnis warten die Menschen in diesem Lande.
Frau Asch, wenn Sie sagen, mit dem 1. KiBiz-Änderungsgesetz sei die Qualität verbessert worden, möchte ich gerne einmal wissen, wie Sie dazu stehen, wenn die Fachverbände ein 300-Stunden-Kontingent einfordern. Wie stehen Sie denn dazu? Sagen Sie doch einmal konkret, was Sie dazu meinen. Nichts! Da herrscht bei Ihnen wieder Funkstille.
Dann reden Sie von Qualität. Wissen Sie noch, was Sie vor 2005 über die Kindertagespflege gesagt haben? Haben Sie das alles vergessen? Ist das Schnee von gestern? Herr Hafke hat darauf hingewiesen, dass Sie 2003 aufgrund unseres Antrags erklärt haben, die Tagespflege habe eine minderwertige Qualität. Was Sie da in Sachen Tagespflege machen, nenne ich heuchlerisch und unglaubwürdig.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Frau Ministerin, Sie sagen, Sie hätten die Fachberatung in diesem Lande verbessert. Gnade uns Gott, wenn das der Maßstab ist! Die Fachberatung ist regional eine Katastrophe. Es ist viel zu wenig Personal da. Es gibt kein qualifiziertes Fachpersonal, das die Fachberatungen vornimmt. Wenn das der Level für dieses Land sein soll, dann tun mir unsere Kinder leid.
Es wird höchste Zeit, dass wir hier mehr Mitspracherechte bekommen und dass unsere Ideen umgesetzt werden, weil sie zum Wohle des Kindes sind – und nicht Ihre.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die Landesregierung hat sich Frau Ministerin Schäfer gemeldet.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Danke. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich will ein bisschen Drive aus der Diskussion nehmen und versuchen, das Ganze wieder zu erden; denn einige Dinge möchte ich richtigstellen.
Die 160 Stunden für die Kindertagespflege haben wir in das Gesetz hineingeschrieben und nicht Sie. Sie haben nur über den Qualitätsanspruch gesprochen, und wir haben die Standards festgeschrieben.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Im Übrigen werden wir zusammen mit dem Landschaftsverband Rheinland jetzt auch einen Versuch starten und zu den 300 Stunden eine Erprobung machen. Das muss man üblicherweise tun. Das heißt: Die Dinge sind schon längst im Fluss. Sie brauchen also nicht so zu tun, als dächten wir über die Weiterentwicklung der Kindertagespflege nicht nach.
Ein bisschen schmunzeln muss ich immer, wenn Sie die Erwartung äußern, welche Bekenntnisse wir hier ablegen sollen. Ich glaube, alle Vorrednerinnen und Vorredner haben gesagt, dass die Kindertagespflegepersonen gute Arbeit leisten und eine gute Ergänzung zu den Einrichtungen der Kitas sind. Ich habe das für die Landesregierung hier auch wörtlich so vorgetragen.
Lassen Sie uns die Kirche also einmal schön im Dorf lassen. Wir sind in der Kindertagespflege Schritt für Schritt weitergekommen. Die Entwicklung hat nicht nach 2010 geendet, sondern die Dinge sind weiterentwickelt worden. Die Zahl der Kinder, die wir in Kindertagespflege haben, nämlich 32.500, spricht auch dafür, dass das Angebot in Nordrhein-Westfalen gut angenommen wird.
Deswegen möchte ich darum bitten, hier nicht die Pferde scheu zu machen, sondern sachlich zu debattieren. Das können wir im Ausschuss dann ja auch machen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 1:24 Minuten überzogen. Wünscht jemand noch das Wort? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Beratungen und kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1272 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
8 Studie zur Medikamentengabe in der kommerziellen Tieraufzucht
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1252
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der Piraten Frau Kollegin Brand das Wort.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Zuschauer! Am 11. September 2012 veröffentlichte das Ministerium von Frau Aigner die Ergebnisse einer Studie, nach denen alleine 2011 in Deutschland 1.734 t Antibiotika von Tierärzten eingekauft wurden – 1.734 t, von denen das meiste an Milch- und Mastvieh verordnet wurde.
Eine von Ihrem Ministerium durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass 96,4 % aller Hühner in ihrem Leben mindestens einmal mit Antibiotika behandelt wurden. Es scheint in unserer Landwirtschaft inzwischen ein beliebtes Mittel zu sein, nicht mehr die Ursachen eines Problems zu bekämpfen, sondern einfach so lange Medikamente draufzukippen, bis man das Problem nicht mehr sieht.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Folgen sind verheerend. Täglich gibt es neue Infektionen mit MRSA. Zwischen 1990 und 2001 stieg der Anteil der resistenten Erreger von 1,7 auf 20,7 %.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schulze Föcking zulassen?
Simone Brand (PIRATEN): Ja, in Ordnung.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Kollegin Schulze Föcking.
Christina Schulze Föcking (CDU): Danke schön, Herr Präsident. – Verehrte Kollegin Frau Brand, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Ist Ihnen bekannt, dass die Studie, auf die Sie sich soeben bezogen haben, die 96,4 %, kurz nach der Veröffentlichung zur Unstatistik des Monats erklärt wurde, weil sie fehlerhaft war?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, bitte schön.
Simone Brand (PIRATEN): Nein, das ist mir nicht bekannt.
Unter diesen Erregern MRSA leiden vor allem alte Menschen, Kranke und Kinder. Auf jedem zweiten Patienten in deutschen Krankenhäusern lassen sich MRSA-Keime nachweisen. Leider ist das nur die Spitze des Eisbergs.
Das alleine sollte eigentlich Grund genug sein, so schnell wie möglich zu handeln und die Bedingungen in der industriellen Tieraufzucht so zu regeln, dass eine medikamentenfreie Aufzucht überhaupt noch möglich ist.
Allerdings leisten die Lobbyverbände von Pharmazie, Fleischproduzenten und Großschlachtern sehr effiziente Arbeit. Erst vor Kurzem verkündete Herr Tönnies, einer der größten Schlachter und Fleischhändler Deutschlands, auf einer Podiumsdiskussion stolz, dass etwas anderes als Massentierhaltung nicht vorstellbar sei. Da widersprachen ihm auch nicht die anwesenden Herren Cem Özdemir und Joschka Fischer.
Durch den unverantwortlichen Umgang mit Medikamenten in der Tieraufzucht zerstören Firmen wie die von Herrn Tönnies systematisch unsere gesunde Ernährungsgrundlage.
Auf der einen Seite steht Ihre Partei, Herr Remmel, für Tierschutz, Umwelt- und Naturschutz. Das finden wir sehr gut. Auf der anderen Seite vermisse ich von Ihnen eine Initiative, die der Industrialisierung der Landwirtschaft wirkungsvoll entgegentritt.
Auch die Kolleginnen und Kollegen der CDU fordern im Ausschuss, dass man den Ruf deutscher Produkte endlich einmal verbessern müsste. Das tut man aber nicht, indem man gegen Initiativen zur Verbesserung von Tierschutz und Verbraucherschutz stimmt. Auch helfen dabei keine Scheingefechte, um die Sommerpause mit Diskussionen um vermeintliche Lebensmittelskandälchen zu füllen, einmal ganz davon abgesehen, dass Bundesministerin Aigner ja durchaus die Möglichkeit hätte, die nötigen Gesetze voranzutreiben.
Allen Beteiligten ist hierbei eines gemeinsam: Zu ihren Argumenten für oder gegen eine tiergerechte Landwirtschaft fehlen verlässliche Daten. Dass man weiß, wie viel Antibiotika in ganz Deutschland jährlich eingekauft werden, kann nur ein kleiner Anfang sein. Was fehlt, ist also, alle Informationen auf den Tisch zu bringen, Bürger zu informieren und keine Augenwischerei zu betreiben.
Was kann denn überhaupt gegen so eine Studie sprechen? Ich höre dann wahrscheinlich irgendetwas von: Wer soll das bezahlen? – Meine Damen und Herren, die Daten liegen ja alle schon vor in den Stallbüchern eines jeden Betriebes. Es geht also nicht um eine neue Ermittlung von Daten, sondern lediglich um eine sinnvolle Zusammenführung dieser Daten.
Daher fordern wir Sie und Ihr Ministerium auf, Herr Remmel, eine breit angelegte Medikamentenstudie in Auftrag zu geben, die darüber Aufschluss gibt, welche Medikamente in welchen Mengen in NRW verabreicht werden. Machen Sie die Ergebnisse dieser Studie den Bürgern in verständlicher Form zugänglich! Wir müssen handeln, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Denn es ist nicht nur wichtig, was hinten rauskommt, sondern auch, was vorne reinkommt. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die SPD-Landtagsfraktion spricht der Kollege Sundermann.
Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Brand, was bei Ihnen rausgekommen ist, ist dieser Antrag, den Sie hier heute vorgelegt haben. Zunächst einmal kann ich feststellen, auch für meine Fraktion: Wir freuen uns, dass auch Sie sich jetzt dieses Themas angenommen haben. In der letzten Legislatur haben wir über dieses Thema sehr intensiv und auch, wie zumindest ich fand, qualitativ sehr hochwertig beraten. Insofern ist es vielleicht ganz gut, wenn die Piraten dieses Thema auch entdeckt haben. In welcher Qualität sie das tun, müssen wir im Laufe der weiteren Diskussion herausarbeiten.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das werden wir dann sehen!)
Ich möchte nur zwei Punkte zu Beginn meines Beitrages einführen.
Das Erste ist eine Selbstverständlichkeit, aber ich denke, die muss man hier an diesem Ort auch noch einmal aussprechen. Jedes kranke Tier in Nordrhein-Westfalen wird auch zukünftig die Medikation bekommen, die es braucht, um wieder gesund zu werden. Das muss hier auch einmal ausgesprochen werden, weil es auch gerade in Ihrem Wortbeitrag so herauskam:
(Beifall von der CDU)
Na ja, muss das denn alles wirklich sein? Das ist uns wirklich wichtig.
Das Zweite: Natürlich ist Dokumentation auch wichtig. Sie zielen ja wirklich sehr stark auf Dokumentation und nur ganz kurz ein wenig auf die Ursachen. Aber die Ursachen, warum die Tiere mit so viel Antibiotika, mit so vielen Medikamenten behandelt werden müssen, und die intensive Forschung darüber dürfen wir bei all dem nicht vergessen.
Sie haben es ja auch schon gesagt. Wenn über 90 % der Masthähnchen in Nordrhein-Westfalen in ihrem kurzen Leben mit Antibiotika behandelt werden, stimmt etwas im System nicht. Dann stimmt bei den Haltungsformen etwas nicht.
Meine Damen und Herren, die Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in Nordrhein-Westfalen und auch in ganz Deutschland ist einer der Schwerpunkte rot-grüner Verbraucherpolitik. Wir müssen uns da nicht, wie Sie gesagt haben, auf den Weg machen. Wir sind schon auf einem guten Weg. Ein Beleg dafür ist auch die Studie, die am 15. November des letzten Jahres vom Verbraucherministerium vorgelegt wurde. Wir sehen diese Studie als wegweisend. Sie löste nämlich auch auf der Bundesebene eine sehr intensive Debatte aus und führte endlich auch zu Aktivitäten der Bundesregierung.
Allerdings, meine Damen und Herren, hat es auch jetzt wieder fast ein Jahr gedauert, bis Frau Aigner die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes vorlegte.
Nun kann man sich natürlich die Frage stellen: Warum hat es denn wieder ein Jahr gedauert? Das mag sicherlich auch an den Wahlen in Niedersachsen gelegen haben, um da den Parteikollegen vielleicht nichts sozusagen vor die Pumpe zu legen. Das Zweite ist: Es hat sicherlich an dieser Stelle auch wieder eine sehr intensive Lobbyarbeit der Bauernverbände und auch der Schlachterbetriebe und auch sicherlich der Pharmazie gegeben. Oder könnte es auch mit der Unlust der Ministerin zu tun haben, sich überhaupt noch um diese Themen zu kümmern, weil sie sich ja gedanklich schon längst nach Bayern verabschiedet hat?
Meine Damen und Herren, wie gesagt, ein Jahr hat es gedauert, bis diese Novelle auf dem Tisch lag. Was kam dabei heraus? – Ein sehr schlechtes Ergebnis. Das belegt: Der Bundesrat hat 47 Punkte in seiner Stellungnahme kritisiert. Also werden wir diese Novelle überarbeiten müssen. Wir hoffen da auch auf Ihre Unterstützung, damit im Prinzip die Dinge, die dort aufgezeigt worden sind, auch erreicht werden, um – da sind wir uns einig – das Ziel zu erreichen, dass es zukünftig eine Landwirtschaft mit deutlich weniger Medikamenteneinsatz gibt.
Wie gesagt, im Ziel sind wir uns sicherlich einig, in der Wahl der Mittel eher nicht. Wir brauchen gewiss mehr Daten, aber wir brauchen auch Handlungsmöglichkeiten. Beides – so ist jedenfalls unsere Meinung – erhalten wir, wenn wir die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes auf den Weg bringen und die Dinge, die die Landesregierung ansteuert, umsetzen. Dann können wir das, was wir erreichen wollen, auch schaffen.
Der Mehrwert aus einer Studie, wie von Ihnen gefordert, ist daher schwer zu erkennen. Wir werden bei den Beratungen im Ausschuss aber interessiert zuhören, wie Sie das unterlegen. Wir sind der Meinung, es ist nicht notwendig, eine zusätzliche Studie in Auftrag zu geben. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Landtagsfraktion spricht Frau Abgeordnete Schulze Föcking.
Christina Schulze Föcking (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wintermonate sind die klassische Erkältungszeit. Viele Menschen werden ohne ärztliche Hilfe gesund. Menschen, die zum Arzt gehen, erhalten häufig ein Antibiotikum. Der Arzt verschreibt es, der Patient geht zur Apotheke, niemand hält das nach.
Anders ist es in der Veterinärmedizin. Muss ein erkranktes Tier behandelt werden, greift eine umfangreiche Erfassungspflicht. Der Landwirt ist verpflichtet, jederzeit den Nachweis über den Erwerb apothekenpflichtiger Tierarzneimittel zu erbringen. Die Verschreibung des Tierarztes muss belegt werden. Der Beleg wird für die Dokumentation der tierärztlichen Anwendung benötigt. Wendet der Landwirt die Medikamente dann an, ist Folgendes zu dokumentieren: Anzahl, Art und Identität des Tieres oder der Tiere, die genaue Arzneimittelbezeichnung, die Nummer des tierärztlichen Anwendungs? und Abgabebeleges, das Datum der Anwendung, die Art, also wie das Tier behandelt wird – oral, subkutan, intramuskulär, intravenös –, die Menge der Verabreichung und die Wartezeit des Medikaments. Hinzu kommt selbstverständlich neben der Kennzeichnung des Tieres auch die Person, die das Tier behandelt hat.
Sie sehen, die Medikamentengabe für Nutztiere ist aufwendig und gut dokumentiert – elf Dokumentationspunkte für eine Behandlung. Von Willkür kann hier keine Rede sein. Dies zu kontrollieren, ist den Behörden bereits heute möglich. Insofern geht Ihr Antrag, meine Damen und Herren der Piratenfraktion, offensichtlich von falschen Grundannahmen aus. – Frau Brand, ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich bei solch einem sensiblen Thema vorab fachlich besser informiert hätten.
(Beifall von der CDU)
Gleichwohl stoßen die bestehenden Kontrollmöglichkeiten mittlerweile an ihre Grenzen. Daher unterstützt die CDU-Landtagsfraktion grundsätzlich den Gesetzentwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes der Bundesregierung. Er setzt auf ein wirkungsvolles und umfassendes Antibiotikaminimierungskonzept, eine bundesweite Antibiotikadatenbank ist vorgesehen. Aus unserer Sicht besteht allerdings Diskussionsbedarf, ob wir wirklich eine weitere Datenbank in NRW benötigen. Schließlich arbeitet bereits seit April 2012 die Datenbank des QS-Systems. Diese erfasst mittlerweile rund 90 % der Schweinemastbetriebe und 95 % der Geflügelmastbetriebe. Vielleicht kann man darauf gut aufbauen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht außerdem eine Stärkung der Befugnisse der Überwachungsbehörden vor. Liegt ein Betrieb über den bundesweiten Kennzahlen, kann die Behörde einschreiten, und das sollte sie auch dringend tun. Tierärzte werden verpflichtet, auf Anweisung der Länderbehörden Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika zusammenzufassen.
Meine Damen und Herren, das Thema „Medikamenteneinsatz in der Tiermast“ ist schwierig. Hier kommen viele Faktoren zusammen. Daher ist es umso wichtiger, eine offene und ehrliche Debatte zu führen. Wir sollten uns aber im Klaren darüber sein, dass unsere Lebensmittel zu den sichersten und besten weltweit gehören. Das ist eine Leistung, die unsere Landwirte erbringen, für die wir ihnen dankbar sind. 2010 wurden deutschlandweit fast 600.000 Untersuchungen an ca. 56.000 Proben von Tieren und tierischen Erzeugnissen vorgenommen. Bei einer Untersuchung von 9.500 Schlachtschweinen auf antibakteriell wirksame Stoffe wurden lediglich fünf Proben positiv getestet. Das entspricht 0,05 %, also 5 ‰.
Seit über einem Jahr reden wir über das Thema „Antibiotika“ ausschließlich im Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Dabei sollten wir uns längst über Antibiotika und die Menschen unterhalten. Der Mensch sollte bei unserem Handeln im Mittelpunkt stehen, verehrte Kollegen.
(Beifall von der CDU)
Wo bleiben die Rückschlüsse auf eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK beispielsweise, wonach jeder Versicherte im Durchschnitt 5,2 Tagesdosen Antibiotika erhielt? Warum hinterfragen wir nicht, warum jedes Kind bis zehn Jahre in 2009 rein rechnerisch sechs Tage Antibiotika erhalten hat? Warum untersuchen wir nicht, warum 2009 mehr als 3 Millionen Kinder über eine Dauer von 14 Tagen mit Antibiotika behandelt wurden? 2009 wurden in Deutschland mehr als 40,6 Millionen Packungen Antibiotika an Menschen verkauft. Das entspricht einem Wert von 759,3 Millionen €.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stein zulassen?
Christina Schulze Föcking (CDU): Ich würde gerne zu Ende führen.
Das entspricht einem Wert von 759,3 Millionen €, einer Dreiviertelmilliarde. Antibiotika beschränken sich also nicht nur auf Ställe. Darüber sollten wir reden. Das werden wir demnächst in diesem Plenarsaal tun. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schulze Föcking. Die Redezeit war auch beendet. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Rüße.
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schulze Föcking, warum werde ich den Verdacht nicht los, dass Sie von der Schweinehaltung ablenken wollen und deshalb die Humanmedizin thematisieren?
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ich glaube, wir sollten das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ich bin gespannt, wenn Sie den Antrag stellen. Das ist in Ordnung, wir sind dann auch dabei.
Nun zu Ihnen, liebe Piratenfraktion. Ich finde es durchaus löblich, dass Sie diesen Antrag hier einbringen und sich einem für uns wichtigen Thema widmen. Ich war auch, als ich gehört habe, dass Sie einen Antrag stellen würden, gespannt, wie er aussehen würde.
Dann ist die Spannung leider ein bisschen der Enttäuschung gewichen, als ich den Antrag gelesen habe. Ehrlich gesagt, finde ich Ihren Antrag blutleer. Er ist relativ inhaltslos, und er wird, finde ich, dem aktuellen Sachstand der Debatte nicht gerecht. Er wird auch dem nicht gerecht, was wir hier in den letzten anderthalb Jahren miteinander diskutiert haben. Sie sind doch eigentlich eine internetaffine Partei – das sagen Sie zumindest selbst immer –, da hätte es gereicht, wenn Sie kurz einmal in die Parlamentsdatenbank eingestiegen wären und das Wort „Antibiotika“ eingegeben hätten. Dann hätten Sie eine Menge Beiträge, Anfragen, Anträge bekommen und jedes Wort, das wir in der Diskussion gesagt haben, lesen können und auch gesehen, dass wir schon deutlich weiter sind als Ihr Antrag.
Weil das so ein wichtiges Thema ist, haben wir es als grüne Faktion im Frühjahr 2011 erstmals auf die Tagesordnung des Umweltausschusses setzen lassen. Wir haben damals eine kurze Debatte geführt; es war nur ein Stochern im Nebel. Ich will an die kurze Phase der Debatte erinnern, nämlich vom Frühjahr 2011 bis zu dem Punkt, an dem wir in der Debatte heute stehen. Wir hatten damals überhaupt keine Daten. Der Bericht des Ministeriums musste kurz ausfallen – das hat uns alle nicht zufriedenstellen können –, weil keine Datenbasis vorhanden war.
Dann kam die Antibiotika-Studie unseres Umweltministers. Das, was bis dahin nur Vermutungen waren, ist damit belegt worden, dass nämlich – das ist die entscheidende Zahl – 92,5 % der Hähnchen im Laufe ihres kurzen Lebens mit Antibiotika in Kontakt kommen. Man könnte sagen: Fast jedes Hähnchen wird mit Antibiotika gemästet. Das ist gängige Praxis.
Dann kommt dazu die „Verschleppungsstudie“ als Nächstes. Das Land NRW hat wirklich eine Menge gemacht. In dem Zusammenhang kann man die niedersächsische Studie durchaus auch erwähnen. Der Beleg liegt vor: umfassender Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung! Dieser Gesamtbefund ist eine Katastrophe und auch ein Offenbarungseid für die sogenannte moderne Tierhaltung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Eine Sache ist mir besonders wichtig; darauf will ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal deutlich hinweisen: Es ist ja kein Zufall, dass wir im Jahre 2011 darüber diskutiert haben. Ohne die Wahlentscheidung 2010, ohne die rot-grüne Landesregierung läge das Ergebnis bis heute nicht vor, und wir würden bis heute nicht so intensiv über dieses Sachverhalt diskutieren können. Das ist wichtig, weil wir hier über die Gesundheitsgefährdung von Menschen und über Fragen des Tierschutzes reden. Wenn nämlich die Tiere in einem Schweinemaststall oder in einem Hähnchenmaststall dauernd unter Medikamente gestellt werden müssen, um überhaupt überleben zu können, hat das auch etwas mit Tierschutzbelangen zu tun. Schließlich ist es auch eine Frage, wie sich die landwirtschaftliche Tierhaltung zukünftig grundsätzlich darstellt.
Alle Indizien deuten darauf hin, dass die Haltungsbedingungen nicht in Ordnung und ursächlich für den hohen Antibiotikaverbrauch sind. Wir brauchen ein Zurückgehen bei den Belegdichten, wir brauchen auch andere Rassen, und wir brauchen ein langsameres Wachstum bei Geflügel und Schweinen. Dann benötigten wir die Antibiotikazugaben in den Mengen nicht.
Da Frau Kollegin Schulze Föcking hier immer so apologetisch redet, finde ich es spannend, was wir heute Morgen im Bundestag gehört haben. Der Bauernverband hat in der Anhörung dort gesagt, dass ihn die hohen Verbrauchszahlen bei Antibiotika sehr nachdenklich stimmten. Das ist zumindest ein erster Schritt zu mehr Erkenntnis.
In der Tat, es stimmt einen ja auch nachdenklich: Wir haben Antibiotikarückstände im Boden, im Wasser und sogar im Getreide. Mittlerweile können wir nämlich nachweisen, dass die Pflanzen das Antibiotika aus dem Boden wieder aufnehmen. Es reicht also nicht, nur darüber zu reden, wie viele Rückstände wir im Fleisch haben und ob das für uns direkt eine Gefahr birgt. Die Problematik ist viel größer. Darüber muss man viel breiter diskutieren.
Der sorglose Umgang mit Antibiotika in den letzten Jahren fällt uns jetzt auf die Füße. Andere Länder haben das verstanden. Die Niederlande oder Dänemark haben klare Reduktionsziele. Von Frau Aigner kommt an der Stelle gar nichts. Frau Aigner verharrt seit einem Jahr aus unserer Sicht mehr oder weniger im Dornröschenschlaf.
Minister Remmel hat klare Vorgaben gemacht, was man machen könnte, was man machen sollte. Das hätte Frau Aigner nur umsetzen müssen, dann wären wir erheblich weiter. Frau Aigner sitzt im Bremserhäuschen, aber im Notfall wird das eine andere Bundesregierung im Herbst nächsten Jahres angehen müssen.
NRW wird in dieser Frage bis dahin weiterhin Tempo machen. Von daher werden wir Ihren Antrag weiter diskutieren, aber wir müssen die Thematik deutlich weiter spannen, als Sie es in Ihrem Antrag gemacht haben. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die FDP-Landtagsfraktion spricht Herr Kollege Busen.
Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag der Piraten – damit Sie das gleich wissen – werden wir in dieser Form nicht unterstützen; denn dieser Antrag kommt, kurz gesagt, Jahre zu spät.
(Heiterkeit von den PIRATEN)
Die FDP-Landtagsfraktion hat bereits in der letzten Legislaturperiode Anträge und Initiativen zum Medikamenteneinsatz in der Tierhaltung zum Schutze des Verbrauchers eingebracht.
(Beifall von der FDP)
Aber der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik besteht darin, dass wir konstruktiv und sachlich mit den Landwirten zusammenarbeiten.
(Beifall von der FDP)
Zunächst einmal muss, um das Thema sachgerecht und nicht populistisch zu behandeln, gesagt werden, dass Antibiotika für die Gesunderhaltung unserer Nutztiere wichtige und unverzichtbare Arzneimittel sind. Die Entwicklung gesunder Tieraufzucht und vor allen Dingen die Entwicklung der Veterinärmedizin hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Aber woher wollen Sie das auch wissen? In der Schweinemast – das muss ich dem Kollegen Rüße mal eben sagen, damit er nicht alles in einen Topf wirft – und in der Großtiermast ist es inzwischen Standard, dass Antibiotikabehandlungen erst nach einem Antibiogramm vorgenommen werden. Allein schon die Tatsache, dass damit die Breitbandantibiotika weitgehend aus den Ställen verbannt wurden, zeigt, dass große Fortschritte gemacht wurden.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Natürlich ist auch bekannt, dass es in der Hähnchenmast und vor allen Dingen in der Putenmast weiterhin erhebliche Defizite gibt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marsching von der Piratenfraktion zu?
Karlheinz Busen (FDP): Ja.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Michele Marsching (PIRATEN): Herr Busen, Entschuldigung für die Zwischenfrage. Das betrifft nicht nur Sie, sondern auch die Vorredner. Ist Ihnen bekannt, dass es in dem Antrag nicht nur um Antibiotika, sondern um Medikamente im Allgemeinen geht? Ich höre immer nur Antibiotika, Antibiotika.
Karlheinz Busen (FDP): Ich bin noch nicht fertig. Ich komme gleich …
(Allgemeine Heiterkeit)
Aber hier ein Trommelfeuer auf die Landwirtschaft generell loszulassen, ist gegenüber dem gesamten Berufsstand nicht hinnehmbar. Natürlich gibt es schwarze Schafe. Um auch die letzten schwarzen Schafe unter den Nutztierhaltern im Sinne der Verbraucher zu überführen, sieht die FDP die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgeschlagenen Änderungen im Arzneimittelgesetz positiv und richtungweisend.
Schlichtweg falsch ist der in diesem Antrag vermittelte Eindruck, dass Daten zum Medikamenteneinsatz bisher nicht erhoben worden seien und deshalb der Tierarzneimitteleinsatz intransparent sei. Das Gegenteil ist der Fall.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
Bereits seit über zehn Jahren dokumentieren Tierärzte und Landwirte, wann und warum welche Tierarzneimittel eingesetzt wurden. Den Überwachungsbehörden stehen also schon heute alle Daten über den Einsatz von Antibiotika zur Verfügung. Nur die Auswertung – das steht außer Frage – lässt zu wünschen übrig.
Um dieses Problem zu lösen, erfolgt aktuell mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes durch die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung die Einführung einer bundeseinheitlichen Datenbank, die mit den Aufzeichnungen der zuständigen Veterinäre abgeglichen werden soll. Wir müssen diesen Ansatz unterstützen und auch auf unsere Landwirte vertrauen.
(Beifall von der FDP)
Wie nur wenige Berufsgruppen werden konventionelle Landwirte durch ein Trommelfeuer Ihrer ständigen Panikmache und Pauschalvorwürfe an den Pranger gestellt. Auch Ihr Antrag beginnt mit solch einem Vorwurf: Unnötige Medikamentenabgaben in der Landwirtschaft seien die Regel. – Das stimmt nicht. Landwirte gehen in der Regel sehr bewusst mit diesem Thema um. Weitere Studien machen uns hier in Nordrhein-Westfalen nicht schlauer.
(Lachen von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Der von der Bundesregierung verfolgte Ansatz dient der problemorientierten, nachhaltigen Lösungsfindung. Gut geführte Betriebe geben das Vorbild,
(Beifall von der FDP)
und nicht am grünen Tisch festgelegte Reduktionsziele.
Die FDP steht selbstverständlich an der Seite der Verbraucher, die zu Recht gesunde Lebensmittel verlangen. Aber um dies zu erreichen, braucht es die Einbindung von Sachverständigen und Experten auf den Höfen und in der Veterinärmedizin,
(Zuruf von den PIRATEN: Also doch Studien?!)
aber keine neuen Studien über Dinge, die längst bekannt sind. – Den Rest klären wir im Ausschuss. – Danke.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schulze Föcking, als ich eben Ihre Rede verfolgt habe, ging mir zweierlei durch den Kopf.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das erste Mal!)
Zum einen hatte ich ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich habe gedacht: Solch eine Herangehensweise hatten wir doch schon einmal. Und zum Zweiten habe ich mir die Frage gestellt, wessen Interessen Sie eigentlich hier im Landtag vertreten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Déjà-vu-Erlebnis hatte ich deshalb: Ich kann mich an eine Debatte erinnern, die wir hier im Zeitraum zwischen 2005 und 2010 führen mussten zu der Frage: Findet von Menschen verursachter Klimawandel tatsächlich statt? – Da gab es einen CDU-Kollegen, der in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass auch auf dem Mars Temperaturveränderungen stattfänden und insofern der Klimawandel hier gar nicht von so großer Bedeutung sei. Und es gab einen FDP-Kollegen, der auch heute noch hier sitzt – er meldet sich direkt –, der hier ernsthaft verkündet hat, es gäbe kein Menschenrecht auf ein gleichbleibendes Klima.
(Dr. Ingo Wolf [FDP]: Gibt es denn jetzt eines?)
Es war also so, dass das Problem als solches gar nicht wahrgenommen, sondern geleugnet wurde.
Die gleiche Wahrnehmung habe ich bei Ihnen, Frau Schulze Föcking, wenn Sie hier heute die schöne neue Welt der Antibiotikaanwendung in der Tiermast darstellen. Das kann doch wohl nicht wahr sein,
(Beifall von den GRÜNEN)
dass Sie das Problem überhaupt nicht erkennen wollen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Da sind die Kolleginnen und Kollegen in den anderen Bundesländern – egal welcher Farbenlehre, ob sie nun von der FDP oder von der CDU kommen – schon weiter. Schauen Sie sich doch nur aktuelle Befassung mit dem Arzneimittelgesetz im Bundesrat an! Ich habe in meiner Amtszeit kein Gesetz erlebt, das im Bundesrat so massiv von allen Ländern, von allen Kolleginnen und Kollegen, von allen Landesregierungen mit so vielen Änderungsanträgen versehen worden ist wie dieses Gesetz. Kein anderes Gesetz! Das macht doch deutlich, dass die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die Bundesregierung hat in der Sache Arzneimittelanwendung bzw. Arzneimittelgesetz die Forderung, eine deutliche Reduktion der hohen Antibiotikagaben hinzubekommen, nicht erfüllt.
Wir können doch nicht drum herumreden: 1.700 t Antibiotikaeinsatz in dieser Republik! Dazu sagt selbst die Bundesregierung, dass wir davon herunterkommen müssen. Sie beschreibt nur nicht die richtigen Instrumente. Deshalb muss das Gesetz, das sie jetzt vorgelegt hat – das zeigen die Beschlussfassungen im Bundesrat –, dringend überarbeitet werden. Ich bin mir auch sicher, dass der Bundesrat in seiner Gesamtheit – auch parteiübergreifend – noch einmal deutliche Zeichen setzen wird, wenn es nicht zu einer umfassenden Überarbeitung kommt.
Deshalb, sehr verehrte Kollegen der Piratenfraktion, muss ich mich auch gegen Ihren Antrag und Ihre Vorschläge wenden, die Sie hier machen. Ich glaube, dass wir in der Diskussion schon sehr viel weiter sind. Wir brauchen jetzt keine umfassenden Studien mehr. Wir haben die Vorläufe nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Niedersachsen gemacht. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Wir müssen jetzt handeln. Im Rahmen der Veränderungen und der Diskussion um das Arzneimittelgesetz müssen jetzt Entscheidungen gefasst werden.
Hier ist eine umfassende Dokumentationspflicht vorgesehen. Sie ist notwendig, um daraus Konsequenzen ableiten zu können. Da, wo überdurchschnittlich Medikamente gegeben werden, insbesondere Antibiotika, muss es auch Minimierungspläne geben. Wir ringen darum, in welcher Schärfe, in welcher Konkretheit diese Dinge umgesetzt werden. Dafür würde ich mir Ihre Unterstützung wünschen.
Wenn wir das alles umsetzen, was im Bundesrat auf den Weg gebracht worden ist, werden wir bereits 2014 so umfassende Zahlen haben, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam um die Verschärfung und die entsprechende Ausgestaltung des Arzneimittelgesetzes ringen! Dann sind wir an der Stelle auf dem richtigen Weg.
Aber, wo Sie recht haben: Wir kommen nicht darum herum – neben einer Kontrolle bezogen auf die Zielsetzung, von dem hohen Einsatz herunterzukommen – tatsächlich auch über bestimmte Formen der Tierhaltung zu diskutieren. Es kann doch nicht sein, dass wir unsere Haltungspraxis der Leistungsanforderung und dem Markt anpassen. Vielmehr müssen die Haltungsformen umgekehrt so sein, dass Tiere dort artgerecht leben können.
Wir haben die Zusammenhänge auch klar auf den Tisch gelegt. Immer da, wo kleinere Gruppen von Tieren gehalten werden, immer da, wo wir die Mastdauer nicht turbomäßig angeheizt haben, immer da brauchen wir auch weniger bis gar keine Medikamente. Dass das sogar im konventionellen Bereich geht, zeigen auch unsere Untersuchungen.
Deshalb kann man das eine nicht ohne das andere tun. Lassen Sie uns aber an der Baustelle weiterarbeiten – dann auch mit Unterstützung des nordrhein-westfälischen Landtags –, auf die es jetzt ankommt, nämlich ein ordentliches und funktionierendes Arzneimittelgesetz auf Bundesebene hinzubekommen. Denn das steht auf der Tagesordnung. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion der Piraten hat sich noch einmal Frau Kollegin Brand gemeldet.
Simone Brand (PIRATEN): Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es total interessant, dass hier weder jemand meinen Antrag gelesen noch mir zugehört hat. Ich weiß, dass Erkenntnisse über Antibiotika vorliegen. In meiner Forderung geht es ganz klar um die restlichen Medikamente.
Ich habe dazu eine Kleine Anfrage gestellt. Die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage bezüglich der Medikamente lautete: Zu anderen Medikamenten außer Antibiotika liegen uns keinerlei Erkenntnisse vor. – Deshalb habe ich diesen Antrag gestellt. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1252 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1469
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1571
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Landtagsfraktion dem Abgeordneten Herrn van den Berg das Wort.
Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag kommt goldrichtig. Wir haben am Montag hier im Landtag den Tag der Medienkompetenz begangen. Wir konnten beobachten, dass das Land auf diesem Themenfeld weit führend unterwegs ist. Insbesondere möchte ich einen Dank an die Landesmedienanstalt formulieren, die in ihrer Rolle in diesem Bereich wirklich Beispielhaftes geleistet hat.
Wenn man über dieses Thema spricht und den Begriff „Datenschutz“ in den Mund nimmt, stockt es bei mir immer ein bisschen. Denn dieser Begriff ist ein bisschen kühl und ein bisschen blutleer. Es erweckt den Eindruck, als ob wir Bits und Bytes schützen würden. In Wirklichkeit geht es aber natürlich darum, Menschen zu schützen. Deswegen geht es jetzt auch ein Stück darum, dies lebendig zu machen und mit Leben zu füllen. Dazu soll dieser Antrag dienen. Wir greifen darin einen Aspekt auf, der auf der 82. Konferenz der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern sehr explizit formuliert worden ist, nämlich den Grundgedanken, dass Datenschutz heutzutage vor allen Dingen eine Bildungsaufgabe ist.
Wie bin ich mit diesem Thema konfrontiert worden? Mein erstes richtiges Erlebnis war das Buch „1984“ von George Orwell. Dort wurde der Staat als große Gefahr beim Umgang mit Daten gesehen. Es wurde die Angst geschürt, dass den Bürgern an dieser Stelle wirklich Schlimmes drohen würde.
Heute würden wir das Bild wahrscheinlich ein bisschen anders zeichnen. Wir würden wahrscheinlich auch darauf verweisen, dass das, was mit Daten in der Wirtschaft betrieben wird, und das, was durch die Individuen in sozialen Netzwerken selber betrieben wird, nicht minder viele Gefahren bieten. Deswegen ist es richtig, dass sich dieser Prozess entwickelt hat und wir den Fortschritt an dieser Stelle anfangen.
Die Anfänge des Datenschutzes waren in der Tat Regeln und Kontrollen. Auch Nordrhein-Westfalen – das ist in dem Antrag nachzulesen – hat mit dem Informationsfreiheitsgesetz angefangen, welches den Umgang des Staates mit den Rechten des einzelnen Bürgers geregelt hat.
Heute merken wir, dass es eigentlich um so etwas wie Datenschutzkultur geht. Es geht darum, dass Menschen Bescheid wissen, was mit ihren Daten passieren kann, dass sie aber genauso wissen, was sie machen können, um sich effektiv vor Missbräuchen zu schützen.
Also, meine Damen und Herren, dies ist nicht mehr nur eine Aufgabe des Staates, sondern auch eine von Wirtschaft, Zivilgesellschaft und vermutlich auch von Eltern.
Ich selber habe diese Woche etwas dazu erlebt. Als ich meinen Sohn – er ist anderthalb Jahre alt – am Montag von der Tagesmutter abgeholt habe, sah ich ihn dort auf einer Nintendo Wii herumhämmern. Als ich so alt war, kannte ich dieses Medium nicht; damals ging es höchstens um Fernsehzeiten. Man merkt: Da verändert sich etwas. Die Frage ist: Wie passen wir uns dem an? – Dies hat mir ein wenig Vorgeschmack darauf gegeben, was ich noch vor mir haben werde, wenn er älter wird, und wie man damit umzugehen hat.
Wir wollen mit diesem Antrag zweierlei anstoßen: Wir wollen uns die Nachfrageseite angucken, deswegen die Medienkompetenz stärken. Wir wollen uns aber auch die Angebotsseite anschauen und zeigen: Auch an der Stelle kann man optimieren.
Wir gehen diesen Weg mit dem Datenschutzsiegel und legen damit in diesem Bereich einen neuen Meilenstein. Wir wollen erreichen, dass Unternehmen hier in Nordrhein-Westfalen den Datenschutz als einen Wettbewerbsvorteil für ihr eigenes Unternehmen begreifen können. Wir wollen, dass Sie ein solches Label auch als einen Vorteil nutzen können, wenn sie gegenüber Verbrauchern und Kunden auftreten und sagen können: Wir sind an dieser Stelle federführend. – Wir definieren dort also eine neue Rolle.
Wir sehen den LDI da in einer zentralen Rolle, nicht in dem Sinne, dass er alles selber macht, sondern dass er sich Expertise an Bord holt, dass er das mit der Wirtschaft gemeinsam koordiniert, da auf Ballhöhe ist und das vorantreibt.
Kurz zur Begründung, warum wir dem Änderungsantrag der Piraten an der Stelle schlecht folgen können. Denn das, was wir hier erreichen wollen, ist ein Bottom-up-Einsatz. Wir wollen, dass die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen mitgenommen werden, dass sie selber ihre Expertise einbringen können, dass sie mit dem LDI gemeinsam an Audits und letztendlich an diesem Siegel arbeiten. Wir wollen keine fertige Lösung von oben aufstülpen, also nicht von oben nach unten, sondern die Wirtschaft an dieser Stelle als Partner begreifen. Insofern wäre es falsch, von Ihnen vorgefertigte Siegel, die Sie schon im Auge haben, zu nehmen. Lassen Sie diesen Prozess wirklich von unten wachsen!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich glaube, man kann gut um Zustimmung für diesen Antrag werben. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der geschätzte Kollege van den Berg hat gerade damit angefangen – ich würde es gerne fortsetzen –: dass wir heute nicht nur über das Thema „Datenschutzkonferenz, Datenschutzsiegel, Medienkompetenzförderung“ debattieren, sondern dieses Vorhaben auch in einen größeren datenschutzpolitischen Kontext einsortieren sollten.
Der Datenschutz hat in Deutschland seit vielen, vielen Jahren ein hohes Niveau. Die Datenschutzpolitik bei uns hat auch schon eine lange Geschichte. Wir haben einige Eckdaten für Nordrhein-Westfalen in unserem Antrag aufgezählt. Wenn man sich die historischen Daten anschaut, dann sind insbesondere die 80er-Jahre mit dem Volkszählungsurteil und der Ausbuchstabierung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zu nennen.
Seitdem ist aber viel passiert. Ich glaube, darauf müssen wir reagieren. Wir haben heute die Digitalisierung als einen unglaublich breiten gesellschaftlichen Prozess, der in ganz viele Themenbereiche hineingeht. Wir haben die Situation, dass Daten zunehmend zu einem Wirtschaftsgut werden. Wir erleben immer wieder Datenskandale insbesondere in der Privatwirtschaft. Und wir sehen zugleich, dass der Prozess der Digitalisierung ein globaler Prozess ist, der nicht an Staatsgrenzen haltmacht. All das sind Herausforderungen, denen sich die Datenschutzpolitik heute stellen muss.
Meine Damen und Herren, diesen Herausforderungen sollten wir mit einem Dreiklang von Maßnahmen begegnen. Diese Maßnahmen sprechen wir in unserem Antrag an. Zunächst einmal brauchen wir weiterhin starke Institutionen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Und wir brauchen starke Rechte. Insbesondere die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union ist ein ganz wichtiger Baustein für eine Datenschutzpolitik der Zukunft, denn letzten Endes werden wir nur mit einem einheitlichen internationalen und durchsetzungsstarken Rechtsrahmen weiterkommen.
In diesem Zusammenhang ein kleiner Ausflug in die Bundespolitik! Auch da sehen wir: Die Bundesregierung steht bei der europäischen Datenschutzgrundverordnung immer wieder auf der Bremse. Aber auch auf der nationalen Ebene kommt man in Berlin nicht voran. Noch 2010 hat der damalige Bundesinnenminister, Thomas de Maizière, ein Rote-Linien-Gesetz angekündigt. Rote Linien: Damit sollten unter den Bedingungen der Digitalisierung Grenzen gezogen werden, um die Wahrung der Persönlichkeitsrechte im Netz festzuschreiben.
Jetzt, zweieinhalb Jahre später, kann man bilanzieren, was passiert ist. – Nichts! Der heutige Innenminister Friedrich folgt auch hier seiner Maxime „Vertagen und verschleppen“. Wir können seit heute davon ausgehen, meine Damen und Herren, dass das ein Ende findet, und zwar – um genau zu sein – am 22. September nächsten Jahres.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Zweitens das Thema Medienkompetenz – Kollege van den Berg hat auch das schon angesprochen. Am vergangenen Montag hatten wir hier im Haus – einige Kolleginnen und Kollegen waren anwesend – den Tag der Medienkompetenz. Ich möchte mich für unsere Fraktion noch einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die mitgewirkt haben: an der Vorbereitung, an den Aktionen vor Ort, an den Diskussionen. Das war, glaube ich, ein guter und interessanter Tag, für den ich sehr dankbar bin.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben auch im Koalitionsvertrag einige Maßnahmen festgeschrieben. Hierbei möchte ich insbesondere auf das Projekt „Medienpass NRW“ und die zusätzlichen Stellen beim Landesdatenschutzbeauftragten verweisen, die wir bereits 2011 geschaffen haben.
Drittens. Ich glaube, dass wir – das ist die große Herausforderung, vor der wir im Moment stehen – auch einen gesellschaftlichen Konsens erzeugen und Strukturen dafür schaffen müssen, dass wir diesen Diskurs führen können, um Datenschutz für die Zukunft und in der Zukunft breit aufzustellen.
Denn den genannten Herausforderungen kann man nicht nur mit starken Rechten und nicht nur mit Medienkompetenzförderung begegnen, sondern es braucht einen neuen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie wir den Datenschutz aufstellen können. Dafür schlagen wir mit der Datenschutzkonferenz eine Struktur vor. Ich finde es wichtig, dass wir dabei versuchen wollen, tatsächlich alle Akteurinnen und Akteure an einen Tisch zu holen – bewusst nicht nur die Wirtschaft, nicht nur Behörden, sondern alle gesellschaftlich relevanten Gruppen. Das ist unter Punkt II.2 des Antrages noch einmal genau aufgeführt. Das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen können.
Ich freue mich auf den Prozess, der vor uns liegt, und bedanke mich ganz herzlich.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Landtagsfraktion spricht Herr Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Aller guten Dinge sind drei“ lautet ein Spruch. Dementsprechend ist es gut, dass es hier heute drei Antragsteller für diesen Antrag gibt. Dass wir – auf diesen Punkt bezogen – Einigkeit haben, heißt natürlich nicht, dass wir in allen Datenschutzangelegenheiten mit den Roten und den Grünen immer einig sind. Das hat schon der Vortrag des Kollegen Bolte gezeigt, der hier die Bundesregierung kritisiert hat. Herr Bolte, ich kann Ihnen versprechen: Wir werden jedenfalls alles dafür tun, dass wir am 22. September weiter mitregieren. Freuen Sie sich nicht zu früh: Sie haben sich auch bei der Landtagswahl schon zu früh gefreut.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Wieso? Wir regieren doch! – Ministerin Sylvia Löhrmann: Wir regieren doch!)
– Ja, aber was uns anbelangt jedenfalls. Insofern werden wir da, glaube ich, schon noch eine gewichtige Rolle spielen.
Bei diesem konkreten Antrag ist es uns genauso wichtig wie Rot und Grün, dass wir die Medienkompetenz der Betroffenen stärken und dass wir eine Datenschutzkonferenz durchführen. Wir hätten uns dazu durchaus auch verpflichten können. Rot-Grün war da etwas defensiver. Wir vertrauen aber darauf, dass wir eine entsprechende Konferenz tatsächlich durchführen werden.
Wir sind natürlich dafür, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen ein Datenschutzsiegel bekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf den Antrag der Piraten eingehen, die das Ganze auf die europäische Ebene heben wollen. In meinen Augen ist es doch eigentlich guter Brauch, dass man immer erst mal versucht, Dinge auf der unteren Ebene zu regeln. Ich vertraue darauf, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen genug Kompetenz haben, um die Dinge zu regeln. Wir müssen nicht alles auf die europäische Ebene heben. Das macht häufig nur unnötig zusätzliche Probleme.
Ich brauche nicht alles zu wiederholen, was bereits meine Vorredner gesagt haben. Wir wollen sehen, dass wir im Rahmen der Datenschutzkonferenz und später mit dem Siegel für die Menschen etwas Sichtbares erreichen, damit sie wissen, dass da, wo Datenschutz draufsteht, auch Datenschutz drin ist. So etwas Ähnliches gab es schon einmal mit dem Gütesiegel „Umweltengel“, der den Verbraucherinnen und Verbrauchern entsprechend Auskunft gegeben hat.
Sie sagten, der Antrag sei blutleer. Blutleer bedeutet auch weniger Rot. In den Adern dieses Antrags fließt auch viel Blau-Gelb. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die CDU-Landtagsfraktion spricht der Kollege Golland.
Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung sind hohe Güter, die es zu schützen und den neuen technischen Anforderungen anzupassen gilt. Der Gesetzgeber hat dazu umfangreiche Gesetze erlassen. Die Gerichte in Deutschland haben wegweisende Urteile gesprochen. Datenschutz wird gerade in unserem Land sehr ernst genommen.
Der nun vorliegende Antrag zur Einführung eines Datenschutzsiegels für Unternehmen, die sich in Sachen Datenschutz und Datensicherheit als vorbildlich erwiesen haben, hilft uns in der Zielsetzung und in der Sache aber nicht weiter, sondern ist vielmehr gutgemeinte Schaupolitik ohne praktischen Nutzen.
Es gab zu diesem Thema bereits auf Bundesebene einen Vorstoß, der bei den Experten jedoch auf erheblichen Widerstand stieß. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz bemängelte, dass ein solches Datenschutzsiegel lediglich bescheinigen würde, dass sich das jeweilige Unternehmen an die Gesetze halte. Dies sie eine Selbstverständlichkeit und dürfe nicht mit einem Gütesiegel belohnt werden.
Das vorgesehene Verfahren für ein Datenschutzaudit sei – ich zitiere – „bürokratisch, kostenträchtig und nicht transparent“.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Das hat mit den Kriterien zu tun!)
Am 1. Juli 2009 einigte sich der Innenausschuss des Deutschen Bundestages darauf, das Datenschutzsiegel aus dem Gesetzespaket herauszunehmen. Die Einführung eines Datenschutzsiegels war damit gescheitert.
Mit Ihrem Vorschlag, ein Datenschutzsiegel für Unternehmen einzuführen, greifen Sie also eine längst gescheiterte Idee wieder auf. Im Gegensatz zu dem damaligen Gesetzentwurf der CDU/CSU-SPD-geführten Bundesregierung vermeiden Sie es allerdings, konkrete Vorgaben zu Voraussetzungen, Inhalt und Verleihung des Datenschutzsiegels zu benennen. In diesem Zusammenhang stellen sich jedoch zahlreiche Fragen, deren Beantwortung wesentlich davon abhängt, ob ein Datenschutzsiegel überhaupt sinnvoll ist oder nicht.
Zum Beispiel sind dies: Wer verleiht das Siegel? Wer bestimmt die Kriterien für das Siegel? Wie läuft das Verfahren ab? Wer erstellt die Gutachten? Welche Kosten entstehen dabei? Wie lange sind die Siegel gültig?
(Minister Ralf Jäger: Zur Not mache ich das alles!)
– Da bin ich mir sicher. – Was passiert bei grundlegenden technischen oder rechtlichen Veränderungen innerhalb der Geltungsdauer eines Siegels? Gelten die NRW-Datenschutzsiegel nur in Nordrhein-Westfalen? Gelten die Siegel auch für Tochterunternehmen eines siegelführenden Unternehmens? Und vor allem: Was bedeutet das für die Unternehmen, die sich bisher an Recht und Gesetz halten, aber kein Siegel haben oder haben wollen? Werden diese dann öffentlich unter Druck gesetzt?
Da Vertrauen nicht durch das Siegel selbst, sondern ausschließlich durch die Vertrauenswürdigkeit der das Siegel verleihenden Einrichtung und des Verfahrens geschaffen wird, muss der Gesetzgeber diese Fragen beantworten. Die unbestimmte Formulierung in Ziffer II.2 des Antrags überlässt diese Festlegung jedoch Wirtschaft, Behörden und dem LDI.
Daher geben wir Ihnen heute folgenden guten Rat: Schaffen Sie nicht mehr Bürokratie als nötig! Ihr Vorhaben streut den Bürgern Sand in die Augen und ändert nichts an bestehenden guten Gesetzen. Hier wird nur wieder in unzähligen Konferenzen und Gremien ein Dialog zwischen Politik und Betroffenen vorgetäuscht, der keinen Mehrwert bringt, sondern nur mehr Kosten verursacht. Daher werden wir Ihren Antrag und den Ergänzungsantrag der Piraten ablehnen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Olejak.
Marc Olejak (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste oben auf der Tribüne und zu Hause! Liebes Plenum! Ich muss meine vorbereitete Rede etwas ändern, weil hier einige neue Aspekte eingebracht worden sind.
Prinzipiell ist es so: Für uns Piraten ist der Datenschutz definitiv eines der zentralen Themen. Privatsphäre und Datenschutz gewährleisten die Würde und die Freiheit des Menschen. Insofern begrüßen wir prinzipiell die Intention des vorliegenden Antrags. Wir sprechen uns in unserem Antrag neben der Einführung dieses Siegels aber grundsätzlich auch für die weitere Stärkung der Datenschutzbeauftragten aus. Wir haben Datenschutzbeauftragte und bitten sie höflich mitzuarbeiten. Wir können ihnen nichts befehlen, sie sollen ja unabhängig sein.
Was unseren Antrag zum EU-Siegel angeht, vor dem alle Anwesenden offensichtlich Angst haben, so wollen wir gerade nicht etwas top-down in das Land hineindrücken. Vielmehr geht es uns darum, dieses Siegel gemeinsam mit dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein − Schleswig-Holstein ist übrigens das einzige Bundesland mit einem wirklich unabhängigen Datenschutzbeauftragten – im Rahmen einer Datenschutzkonferenz zu entwickeln.
Datenschutzkonferenzen – vielen Dank, Herr Bolte, dass Sie das korrigiert haben; die SPD hat nämlich nur den wirtschaftlichen Aspekt betrachtet – sollten allerdings auch unter der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und nicht nur mit ausgewählten Interessengruppen stattfinden.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Antrag lesen! Das steht da drin!)
– Nein, aber egal.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Doch! Punkt 2 war das!)
Das „European Privacy Seal“ wäre für das Land ein weiterer Weg, um unser Anliegen im Rahmen einer Auditierung kostengünstiger voranzutreiben.
Zum „Medienkompetenzmontag“, den ich sehr schön fand, möchte ich noch ganz kurz anmerken, dass ich in vielen Gesprächen feststellen musste, dass sehr viele der anwesenden Vertreter der einzelnen Institutionen von der Resonanz der anwesenden Abgeordneten doch enttäuscht waren.
Nichtsdestotrotz möchte ich meiner Fraktion empfehlen, Ihrem Antrag und unserem Antrag zuzustimmen. Wir möchten hiermit noch einmal einfordern, die Datenschützer in diesem Land viel stärker zu fördern und deren Entscheidungen nicht erst nach der soundso achtzigsten Konferenz nicht nur zu akzeptieren, sondern auch umzusetzen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt diesen Antrag ausdrücklich, weil es um eine weitere Verbesserung des Datenschutzes und der Datensicherheit in unserem Land geht.
Ich finde es gut, dass sich Landesregierung und Landtag die Stärkung des Datenschutzes schon in der letzten Legislaturperiode gemeinsam selbst zur Aufgabe gemacht haben. Ich erinnere daran, dass wir ein Ziel, nämlich die Unabhängigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten per Gesetz für Nordrhein-Westfalen festzuschreiben, seine Institution darüber hinaus personell zu stärken und mit zusätzlichen Sachmitteln auszustatten, erfolgreich erreicht haben.
Ich erinnere auch daran, dass wir eigentlich auf dem Weg waren, gemeinsam eine Datenschutzkonferenz in Nordrhein-Westfalen zu organisieren. Darum hatte ich den Landesdatenschutzbeauftragten schon in der letzten Legislaturperiode gebeten. Eine Neuwahl kam dazwischen.
Umso wichtiger ist es, diese Idee jetzt noch einmal aufzugreifen und in gute Bahnen zu lenken, weil es auch mir Sorgen macht, dass es immer wieder Datenschutzverstöße im öffentlichen Raum, bei privaten Unternehmen gibt, wo das Private von innen nach außen gekehrt wird, in wichtige Schutzbereiche und Schutzbedürfnisse einzelner massiv eingegriffen wird. Deshalb ist eine solche Datenschutzkonferenz in der Tat wichtig. Es geht nämlich nicht darum, für diese Konferenz schon vorab das Ergebnis festzulegen, sondern es geht darum, miteinander zu erörtern, wie Datenschutz und Datensicherheit in Nordrhein-Westfalen weiter gestärkt werden können.
Meine Damen und Herren, ich finde, das ist ein guter Ansatz, so vorzugehen, und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.
Wir kommen zu zwei Abstimmungen, und zwar zum einen über den Änderungsantrag der Piraten und zum anderen über den Antrag Drucksache 16/1469.
Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/1571 abstimmen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und FDP abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/1469. Die antragstellenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag von SPD, Grünen, FDP und der Fraktion der Piraten bei einer Enthaltung gegen die Stimmen der CDU-Fraktion angenommen.
Wir kommen zu:
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1475
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1554
Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Nettelstroth das Wort.
Ralf Nettelstroth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute haben wir die einmalige Chance, einen Prozess einzuleiten, an dessen Ende eine Medizinische Fakultät Ostwestfalen-Lippe in Bielefeld steht.
Die demografische Entwicklung mit einer alternden Gesellschaft erfordert eine gut ausgebildete Ärzteschaft, und zwar sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Bundesweit wird für das Jahr 2020 ein Defizit von fast 56.000 Ärztinnen und Ärzten erwartet. Für Nordrhein-Westfalen würde sich umgerechnet ein Defizit von jährlich 1.000 Ärztinnen und Ärzten ergeben, wobei unstreitig sein dürfte, dass es vor allem im ländlichen Raum einen erheblichen Bedarf geben wird.
Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass alleine durch die Änderung der Arbeitnehmerschutzrechte heute für eine Vollzeitstelle im Krankenhaus 2,7 Ärzte erforderlich sind und dass die überwiegend weiblichen Mediziner eine familienfreundliche Erwerbsbiografie anstreben.
Für diesen riesigen Bedarf stellen wir in Nordrhein-Westfalen rund 2.000 medizinische Studienplätze pro Jahr zur Verfügung. Auf jeden Studienplatz bewerben sich rund fünf Personen, unter denen derzeit durch einen Numerus clausus von unter 1,0 ausgesiebt wird. Selbst unter Berücksichtigung von Wartezeiten und weiteren hochschuleigenen Kriterien erhalten pro Jahr ca. 8.000 Bewerber keinen Studienplatz, obwohl weitere Mediziner dringend gebraucht werden.
Neben diesem allgemeinen Bedarf haben wir auch eine räumliche Unterversorgung mit medizinischen Studienplätzen, vor allem im ländlichen Bereich, im Nordosten des Landes, nämlich in Ostwestfalen-Lippe, einer Region unseres Landes, in der 2,1 Millionen Menschen leben und in der rund 120.000 Menschen im Gesundheitswesen tätig sind. In dieser Region sind 124 Krankenhäuser und Reha-Kliniken sowie eine Vielzahl von Haus- und Fachärzten beheimatet. Für viele Landarztpraxen ist deren Schließung angesichts altersbedingt ausscheidender Mediziner absehbar, ohne dass sich der erforderliche Nachfolger finden lässt.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Mit der Schließung einer Landarztpraxis geht einher, dass eine Vielzahl von Arbeitsplätzen wegfällt, und zwar direkt die Arbeitsplätze der Arzthelferinnen sowie indirekt die Arbeitsplätze der Apotheker vor Ort nebst Angestellten bis hin zu denen in kleinen Reha-Einrichtungen, die alle auf ortsnahe Verschreibungen angewiesen sind.
Zurück bleiben hilfesuchende Bürger, die beschwerlich lange Wege zu den verbleibenden Praxen suchen müssen, was angesichts erhöhter Alters- und damit einhergehender Mobilitätseinschränkungen immer schwieriger wird.
Aber auch in den Krankenhäusern der Region merken wir bereits, wie schwer es ist, genügend qualifizierte Ärzte zu finden. Vermehrt wird auf Honorarkräfte und ausländische Ärzte zurückgegriffen, wobei Letzteres oft mit Verständigungsproblemen einhergeht.
Die Landesregierung will die Anzahl der Studienplätze jährlich um 10 % steigern, was angesichts des enormen Bedarfs und des doppelten Abiturjahrgangs völlig unzureichend ist. Insbesondere durch das „Bochumer Modell light“ sollen 60 praktische Ausbildungsplätze pro Jahr zusätzlich in Ostwestfalen geschaffen werden. Im Weiteren will man dann prüfen, ob der Klebeeffekt eintritt.
Selbst in Ihrem eigenen rot-grünen Entschließungsantrag wird eine Studie zitiert, wonach sich Mediziner bevorzugt in der Region niederlassen, in der sie studiert haben. Das Studium nach dem Bochumer Modell findet jedoch weiterhin in Bochum statt, und nur die praktische Ausbildung soll sodann in OWL erfolgen. Ein solches Modell wird kaum einen Klebeeffekt mit sich bringen.
Deshalb wird parteiübergreifend in der Region Ostwestfalen-Lippe die Einrichtung einer Medizinischen Fakultät gefordert. Bescheiden wie wir Ostwestfalen nun einmal sind, wollen wir kein Prestigeprojekt, sondern eine Medizinische Fakultät, die in Zusammenarbeit mit den örtlichen Kliniken die medizinische Ausbildung sicherstellt. Der Bau einer Uniklinik ist also nicht erforderlich. Sowohl räumlich als auch konzeptionell kann die neue Medizinische Fakultät auf dem Campus der Uni Bielefeld angesiedelt werden.
Es gilt nunmehr, kurzfristig die Voraussetzungen für die Gründung einer Fakultät zu schaffen, indem ein konkretes Konzept erstellt wird. Im Übrigen ist ein solches Konzept auch Voraussetzung für etwaige Investitionskostenzuschüsse des Bundes. Ein solches Konzept kann zeitnah mit Mitteln des Ministeriums erstellt werden.
Im Rahmen eines präventiven Politikansatzes werden diese Landesregierung sowie die sie tragenden Fraktionen von SPD und Grünen nicht umhinkommen, aus landespolitischer Verantwortung eine Medizinische Fakultät Ostwestfalen-Lippe zu gründen. Auch wortreiche Entschließungsanträge werden daran nichts ändern.
Die CDU-Landtagsfraktion wird diesen Prozess nicht nur anstoßen, sondern auch ständig vorantreiben, um zeitnah nachhaltige Lösungen zu finden.
Nunmehr freue ich mich auf eine intensive Debatte im Fachausschuss sowie auf die nachfolgenden Wortbeiträge vor allem der ostwestfälischen Kollegen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Nettelstroth, und herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede vor dem Plenum.
(Allgemeiner Beifall)
Ich weiß, dass das ein besonderer Moment ist. Wir wissen nicht, wie oft wir das noch sagen können, weil das im nächsten und übernächsten Jahr kompliziert wird. Aber wir werden bis Weihnachten noch fast alle Rednerinnen und Redner an dieses Mikrofon bekommen.
(Heiterkeit)
Als nächster Redner spricht Herr Kollege Maelzer. Bitte schön.
Dennis Maelzer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Nettelstroth, auch von mir herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede. Das wird es Ihnen allerdings nicht ersparen, dass ich mich sehr kritisch mit Ihrem Antrag werde auseinandersetzen müssen.
Wir diskutieren heute über die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum und insbesondere darüber, wie wir die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe stärken können. SPD und Grüne haben sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt: Ostwestfalen-Lippe soll zur Modellregion für die praktische Medizinausbildung werden. – Das war ein wichtiges Signal, und das wurde ausdrücklich vom Regionalrat der Bezirksregierung Detmold begrüßt.
Wir lassen unseren Worten auch Taten folgen. Das zeigen wir schon im Haushalt 2012 mit einer Verpflichtungsermächtigung über 200.000 €. Wir werden dies im Haushalt 2013 mit höheren Summen fortsetzen.
Unsere Ziele haben wir im vorliegenden Entschließungsantrag klar dargelegt. Wir streben ein Kooperationsmodell der Universitäten Bielefeld und Bochum an. Wir setzen darauf, rasch zusätzliche Studierende in die Region zu holen, und verschieben das nicht in die ferne Zukunft.
Deshalb sollen Studierende zeitnah nach dem siebten Semester an Kliniken in Ostwestfalen-Lippe kommen, um dort ihre praktische Ausbildung abzuschließen. Wir wollen langfristig in der Region evaluieren, ob der sogenannte Klebeeffekt nachgewiesen werden kann. Gibt es also einen Zusammenhang zwischen Studienort und der späteren Niederlassung in der Region?
Dieses Argument wird immer wieder angeführt. Aber die Anhörung hat gezeigt, dass es nicht unumstritten ist. Hier wollen wir Licht ins Dunkel bringen, um auf dieser Basis zu entscheiden, ob das Modell angepasst oder ausgeweitet werden muss.
Aber wir bleiben dabei nicht stehen, zusätzliche Medizinstudierende in die Region zu holen. Wir wollen auch die medizinische Forschung gezielt fördern. Darum werden wir an der Universität Bielefeld einen Forschungsfonds OWL auflegen. Damit stärken wir auch die Bielefelder Fakultät für Gesundheitswissenschaften.
Dabei wollen wir einen Schwerpunkt auf Felder legen, die für manche unattraktiv sind, weil sie wenige Drittmittel einbringen, nämlich auf Felder, auf denen die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe bereits einige Kompetenzen erarbeitet hat, beispielsweise bei der Allgemeinmedizin, der Pflege oder der Behindertenmedizin.
Wir wollen OWL zur Modellregion für innovative Versorgung in Pflege und Gesundheit weiterentwickeln – auch durch neue Wege in der Zusammenarbeit von Ärzten, Pflegekräften und medizinischen Assistenzberufen. Wenn wir in diese Bereiche investieren, profitiert nicht nur die Region davon, sondern das gesamte Land.
Ich komme nun zu Ihrem Antrag, Herr Nettelstroth. Dazu kann ich nur sagen: Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass die Medizinische Fakultät nicht mehr als ein Wahlkampfthema von Schwarz-Gelb gewesen ist, hätte ihn dieser Antrag geliefert.
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU)
Jetzt fordern Sie die Landesregierung auf, ein Konzept zu erarbeiten und darzulegen, was das alles kosten würde. Das zeigt: Sie hatten im Wahlkampf 2010 einen Begriff, mit dem Sie in Ostwestfalen-Lippe punkten wollten, Sie hatten aber kein Konzept zur Umsetzung. Dabei hätten Sie die Chance in Ihrer Regierungszeit gehabt. Aber Sie haben keinerlei Vorsorge im Haushalt getroffen, um Ihre Ankündigung zu hinterlegen – keinen Titel, keine Mittel, nicht einmal eine Verpflichtungsermächtigung für Planungskosten war Ihnen die Region Ostwestfalen-Lippe wert. Darum ist das, was Sie heute veranstalten, nicht glaubwürdig.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es ist auch deshalb nicht glaubwürdig, weil Sie erst in der vergangenen Woche als einzige im Haushaltsausschuss gegen zusätzliche Mittel für die Medizinausbildung in OWL gestimmt haben.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Unerhört! – Zurufe von der SPD: Hört, hört! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
In der Region spitzen Sie den Mund, aber wenn Sie hier im Landtag pfeifen müssen, bleiben Sie stumm. Das werden wir den Menschen in der Region sagen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn Sie tatsächlich an den Kosten interessiert wären, wäre es gut gewesen, einen Blick in das Protokoll der Anhörung zu werfen. Dort war die Rede davon, was es kostet. Herr Epp vom Medizinischen Fakultätentag sprach von Kosten der Ersteinrichtung in Höhe von 150 bis 250 Millionen €. Damit haben Sie über Jahre keinen einzigen Absolventen, mit dem Sie dem befürchteten Ärztemangel in der Region entgegentreten könnten.
(Beifall von der SPD)
Deshalb wird die SPD die Landesregierung dabei unterstützen, ein Konzept auf den Weg zu bringen, das zeitnah zusätzliche Mediziner in die Kliniken und Lehrpraxen der Region bringt. Ein Modell, das Innovation und Forschung fördert, das ist das Kooperationsmodell zwischen Bochum und Bielefeld. Das ist gut für das Land Nordrhein-Westfalen und insbesondere für die Region Ostwestfalen-Lippe. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Maelzer. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Dr. Seidl.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Glückwunsch, Herr Nettelstroth, zu Ihrer ersten Rede.
Es ist auch aus unserer Sicht durchaus bemerkenswert, wie sich die ganze Region OWL aufstellt, um die vorhandene Struktur an Gesundheitswirtschaft noch stärker mit Lehre und Forschung zu verbinden. Das ist ein sehr schönes Signal.
Die Universität Bielefeld stellt seit 1994 mit der Fakultät für Gesundheitswissenschaften eine deutschlandweit einmalige Einrichtung mit Lehr- und Forschungserfahrungen, mit mehr als vierzig Kooperationsprojekten und Kooperationsbeziehungen im medizinischen und medizinnahen Bereich. Diese einmalige Infrastruktur gilt es zu stärken.
Wenn es aber um den Ärztemangel in der Region geht, dann ist die Frage, ob eine eigene Medizinische Fakultät in OWL die geeignete Lösung ist. Mit acht Medizinischen Fakultäten nimmt Nordrhein-Westfalen im bundesweiten Vergleich eine Spitzenposition ein. Deshalb verwundert es nicht, dass der Wissenschaftsrat bei der Anhörung im Februar dieses Jahres den Standpunkt vertreten hat, die Schaffung einer neunten Medizinischen Fakultät in Nordrhein-Westfalen könne nicht die alleinige Lösung für die Gesundheitsversorgung in Zeiten des demografischen Wandels sein. Ebenso wenig würden regionale Verteilungsprobleme allein über Ausbildungskapazitäten oder deren zusätzliche Schaffung in Ostwestfalen-Lippe gelöst. Hier bedürfe es übergreifender Überlegungen und Reformen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einrichtung einer neuen Medizinischen Fakultät in Bielefeld stellt sicherlich eine Möglichkeit dar, eine größere Anzahl zusätzlicher Studienplätze zu schaffen, jedoch eine äußerst langwierige, schwerfällige und darüber hinaus sehr kostenintensive. Die Ersteinrichtungskosten sind insbesondere für die vorklinischen und klinisch-theoretischen Fächer sehr hoch und liegen – das wurde eben schon gesagt – im dreistelligen Millionenbereich. Es werden nicht nur entsprechende Hörsäle, Seminarräume und biomedizinische Forschungslabore benötigt, sondern auch größere Praktikumsräume und Sektionsräume für die Lehre in der Anatomie und Pathologie. Hinzu kommen die laufenden Kosten.
Die für das Medizinstudium erforderliche Fächervielfalt macht den Betrieb einer Medizinischen Fakultät sehr aufwendig. Im Schnitt liegt der Zuschuss des Landes für den laufenden Forschungs- und Lehrbetrieb der Medizinischen Fakultäten bei über 400.000 € pro Absolvent, und zwar ohne Investitionskosten.
Für eine neue Medizinische Fakultät in Bielefeld, die eine kritische Größe von mindestens 150 Absolventinnen aufweisen sollte, müsste demnach ein jährlicher Landeszuschuss für den laufenden Betrieb in Höhe von 60 Millionen € bereitgestellt werden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich die Sparkommissare der Oppositionsfraktionen doch gerne einmal fragen, ob dies ihr Vorschlag zur Einhaltung der Schuldenbremse in den kommenden Jahren sein soll.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich bin mir sicher, dass Sie eine solche Forderung hier und heute tunlichst vermeiden würden, wenn Sie an der Regierung wären. Bei allem lobenswerten Engagement vor Ort muss ich leider feststellen: Ihr derzeitiges Krawallschlagen in OWL ist reiner Populismus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch die Behauptung, dass mit einer eigenen Medizinischen Fakultät in OWL die ärztliche Unterversorgung kurzfristig zu kompensieren wäre, geht komplett an den Realitäten vorbei. Der Aufbau einer neuen Fakultät dauert Jahre, unabhängig davon, dass sich frühestens neun Jahre nach Gründung die ersten fertigen Medizinerinnen und Mediziner niederlassen könnten.
Deshalb haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, OWL zur Modellregion für die praktische Medizinerausbildung zu machen, obwohl sich Ihre Leute im Bund, Herr Nettelstroth und Herr Abruszat, immer totstellen, wenn es um eine Finanzierungsbeteiligung geht – also von wegen Mitfinanzierung für eine solche Medizinische Fakultät.
In einem ersten Schritt wollen wir 1.000 zusätzliche Studienanfängerinnen an den verschiedenen Standorten in NRW aufnehmen. Wir haben damit auch bereits begonnen. Das Programm ist schon im vergangenen Wintersemester gestartet worden. Es kostet uns 50 Millionen €.
Wir werden nun die Strukturen und Erfahrungen des Bochumer Modells einer praktischen Medizinerausbildung in kooperierenden Kliniken nutzen, um damit kurzfristig und flexibel möglichst viele junge Ärztinnen und Ärzte in die Region zu holen. Die Ausbildung von Medizinstudierenden an Krankenhäusern in der Region OWL soll so schnell wie möglich beginnen.
Wir haben mit Freude bei der Anhörung im Ausschuss vernommen, dass die Ruhr-Universität Bochum bereit ist, hier Verantwortung zu übernehmen und ihre Ausbildungskapazität im Medizinstudium zu erhöhen.
Die notwendigen Mittel in Höhe von etwa 14 Millionen € werden auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung für die kommenden Jahre bereitstehen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Dr. Seidl. – Für die FDP-Fraktion kommt nun Herr Abruszat ans Mikrofon.
Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen: Ich freue mich, dass wir über dieses Thema sprechen. Wir stehen als FDP-Fraktion in diesem Hause geschlossen hinter dem Ziel, den Ärztemangel wirksam zu bekämpfen und die hausärztliche Versorgung auch in der Fläche sicherzustellen.
Ich füge hinzu: Wir haben als Freie Demokraten diese Erkenntnis schon gehabt, als Sie seitens der Regierungskoalition den drohenden Ärztemangel noch ignoriert haben. Auch das gehört zur Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Lassen Sie mich zu den beiden vorliegenden Anträgen auch noch konkret etwas sagen. Zunächst zum Antrag der CDU-Fraktion. Er hat eine entscheidende Fehlstelle, nämlich die Finanzierung.
(Zuruf: Hört, hört!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als Freie Demokraten verstehen uns eben nicht als Opposition, die nur Nein sagt oder ein Mehr fordert, sondern für uns ist Haushaltskonsolidierung ein wichtiger Markenkern unseres Politikverständnisses. Wenn ich weiß, dass eine Medizinische Fakultät – Herr Kollege Maelzer hat es gesagt – 140 bis 150 Millionen € kostet
(Dr. Ruth Seidl [GRÜNE]: 160 Millionen €!)
– es sind auch schon höhere Summen genannt worden –, ist das natürlich zu berücksichtigen.
Ich habe aber den Antrag der CDU so verstanden, Herr Kollege Nettelstroth, dass ein Konzept erstellt werden soll, um die genauen Kosten zu ermitteln. Dann sind wir an der Stelle schon wieder ein bisschen näher beieinander.
Aber – auch das gehört zur Wahrheit – wenn jährlich Betriebskosten von 40 bis 50 Millionen € zu Buche schlagen, ist das natürlich auch insgesamt gesehen finanziell kein Pappenstiel und muss solide gerechnet und finanziert werden. Da sind wir dann wieder beieinander – Stichwort: Konzept.
Genauso, wie wir die Landesregierung als Freie Demokraten dafür kritisieren, dass sie zum Beispiel einen Nationalpark an der Senne plant, ohne ein entsprechendes Kostenvolumen zu ermitteln,
(Beifall von der FDP und der CDU)
kritisieren wir, dass die Landesregierung an dieser Stelle bisher ebenfalls nicht mit entsprechenden Kostenkonzepten um die Ecke gekommen ist.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wie Herr Pinkwart!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kollege Maelzer hat ausgeführt, es liege jetzt eine Verpflichtungsermächtigung für 2013 über 200.000 € vor. Na Donnerwetter! Was wollen Sie eigentlich damit finanzieren?
(Zurufe von der SPD: 2013, Herr Kollege!)
– 2012 für 2013.
(Zuruf von der SPD: Für 2013 noch 100.000 €!)
– 200.000 € bleiben 200.000 €.
Damit können Sie weder eine Medizinische Fakultät finanzieren noch das Kooperationsmodell mit Bochum.
(Zuruf von der SPD: Das ist eine neue Erkenntnis!)
Die 200.000 €, Herr Kollege Maelzer, sind nichts anderes als eine Indianerhaushaltsstelle und ein Alibi, meine Damen und Herren, damit Sie vor Ort in der Region auftrumpfen können: Wir haben was gemacht.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege.
Kai Abruszat (FDP): Keine Zwischenfragen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfragen. Bitte schön.
Kai Abruszat (FDP): Ich mach das sonst sehr gerne, liebe Frau Kollegin Beer, aber lassen Sie mich bitte vortragen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist 200.000 mal mehr als bei Herrn Pinkwart!)
Fakt ist: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch das Jahr 2013 verstreichen wird, ohne dass substanziell etwas passiert.
Nun, Frau Ministerin Schulze, gerne noch zu Ihnen.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Ich habe bis heute von Ihnen nichts dazu gehört, wie Sie sich eigentlich zur privaten Initiative, die es in Ostwestfalen-Lippe auch geben soll, stellen. Aber eins habe ich dem SPD-Antrag entnommen.
(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])
– Lieber Kollege Garbrecht, weil Sie mich ansprechen, will ich Ihnen gerne noch etwas zum SPD-Antrag sagen. Das hat der SPD-Antrag auch verdient. Dort heißt es nämlich auf Seite 2 unter der Überschrift „Was tun Land und Bund“ – ich zitiere aus diesem Antrag; das können Sie nur gut finden –:
„Der Bund hat sich 2011 geweigert, sich an dem Ausbau der Medizinstudienplätze für den doppelten Abiturjahrgang zu beteiligen.“
Nun zitiere ich Frau Ministerin Schulze, nämlich die offizielle Presseinformation der Landesregierung vom 8. Februar 2011:
„Wie sich die zusätzlichen Studienanfänger auf die Hochschulen im Land verteilen, soll bis zum Sommer mit den Hochschulen vereinbart werden.“
Jetzt kommt der entscheidende Passus:
„Pro Studienanfänger werden die Hochschulen 52.000 Euro erhalten. Die Mittel sind Teil des zwischen Bund und Ländern vereinbarten Hochschulpakts II.“
Ich finde es toll, liebe Frau Ministerin Schulze, dass Sie den Bund dafür loben, dass er die Finanzen auch in Richtung Hochschulen leitet.
(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])
Für die Errichtung einer Fakultät sind allerdings Sie in der Pflicht. Das ist ganz klar. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abruszat. Ich hatte es richtig verstanden: Sie hatten keine Zwischenfrage zugelassen? Nicht, dass ich etwas falsch verstanden hätte.
(Zustimmung von Kai Abruszat [FDP])
Als nächster Redner spricht für die Fraktion der Piraten Herr Kollege Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte fünf Zuschauer hier und überall sonst!
(Heiterkeit)
Ich bin ein Einzelfall. Man soll sich in der Politik nicht an Einzelfällen auslassen, aber ich stehe dem Einzelfall sehr nahe, ich bin es selbst. Deshalb sage ich es: Ich komme aus Bielefeld. Dort habe ich 18 Jahre lang gelebt und bin zum Studieren nach Düsseldorf gekommen und hier irgendwie kleben geblieben. Also scheint das ab und zu mal zu funktionieren.
Die Frage ist natürlich: Klappt das andersherum? Ich sage: Ja, Bielefeld ist eine tolle Stadt. Bielefeld findet man, wenn man dort länger wohnt, auf jeden Fall schön.
(Heiterkeit)
Natürlich gilt das auch für Bad Oeynhausen und die Krankenhäuser, in denen man seine praktische Ausbildung machen kann.
Das ist Bielefeld. Aus Bielefeld kommt man auch als Student manchmal raus. Man fährt ab und zu vielleicht mal nach Herford in die Disko – dort gibt es das GOPARC! und das X. Dort kann man also Herford erleben. Vielleicht fährt man auch mal nach Gütersloh. Wenn man in Bad Oeynhausen ist, geht man vielleicht auch mal nach Minden.
(Zurufe)
Aber die Frage ist – apropos Klebeeffekt –: Kommt man dann auf die Idee, sich in Versmold, Brakel, Barntrup oder Petershagen als Arzt niederzulassen? Das ist nicht so wie im Ruhrgebiet, wo Stadt an Stadt grenzt und man sowieso überall ist, sondern man ist dann in Bielefeld.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Beer?
Oliver Bayer (PIRATEN): Natürlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Bayer, herzlichen Dank für das Ermöglichen einer Zwischenfrage im Gegensatz zu Herrn Abruszat. Ich finde es erst einmal schön, dass Sie sich zu Ihrer Herkunft aus Bielefeld bekennen. OWL ist groß.
(Beifall von den PIRATEN)
Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass im Gegensatz zum Vorvorgänger von Frau Schulze, nämlich Herrn Pinkwart, der das Wort „Medizinfakultät“ immer nur in Überschriften genannt hat, die Landesregierung jetzt schon für den Haushalt 2012 200.000 mal mehr einstellt, als Herr Pinkwart jemals in den Haushalt des Landes eingestellt hat,
(Widerspruch von der FDP)
und zwar für das Begründen einer Medizineinrichtung in OWL, um den Anfang zu machen?
(Zuruf von den PIRATEN: 200.000 mal null ist null!)
Oliver Bayer (PIRATEN): Das ist ja auch schön. Es ist so oder so wichtig, etwas zu tun. Dieser Antrag sagt aber nicht: „Wir wollen eine Medizinfakultät gründen“, sondern: Wir wollen eine Medizinfakultät, um den Ärztemangel im ländlichen Raum wirksam zu bekämpfen. – Der SPD-Antrag folgt dem, nur mit wesentlich weniger Geld und Aufwand. Man möchte also eine kleine Lösung.
(Zurufe von der SPD)
– Okay. – Aber dieser Klebeeffekt ist trotzdem das Argument. Umgekehrt – darauf wollte ich noch kommen – funktioniert der Klebeeffekt eventuell besser. Vorhin wurde schon gesagt, es ist noch nicht bewiesen, ob der überhaupt funktioniert. Wenn ich umgekehrt aus Brakel komme und mich entscheide, Medizin zu studieren, erst mal nach Köln, Aachen oder Münster gehen muss und dort etwa der Liebe wegen kleben bleibe, bin ich für eine eventuelle Niederlassung in Brakel verloren. Wenn ich die Möglichkeit habe, nach Bielefeld oder in die Nähe von Bielefeld zu gehen …
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Im Krankenhaus arbeiten!)
– Man kann natürlich auch sagen: Okay, ich studiere in Bochum und arbeite dann in Oerlinghausen. In Oerlinghausen gibt es zwar auch Krankenhäuser, aber ich meine Bad Oeynhausen oder Paderborn.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Genau!)
Im Krankenhaus kann man eine praktische Ausbildung machen, okay.
Das war heute Morgen in der Haushaltsdebatte schon Thema, und da wurde gesagt: Es kommen Leute von extern und bleiben dann in der Region. Diese Sichtweise ist zumindest für mich nicht Grund genug, dort eine Fakultät einzurichten. Die kleine Lösung ist noch eine andere Sache.
Für eine Fakultät müssen noch viele andere Punkte erfüllt sein. Wenn man Bielefelder fragt, wollen viele gerne eine Medizinische Fakultät haben. Man fühlt sich als medizinischer Schwerpunktstandort: mit Bethel – da haben wir gerade die tolle Ausstellung –, mit der Uni, an der Gesundheitswissenschaften mit Biologie, Sozialmedizin, Pflege, Pädagogik angeboten werden. Eine Clusterbildung ist schön und klingt erst mal gut. Aber um den Ärztemangel im ländlichen Raum wirksam zu bekämpfen, müssen noch einige Voraussetzungen mehr erfüllt sein.
Bielefelder wiegeln auch ab und sagen: Wir distanzieren uns zum einen vom Kirchturmdenken. Zweitens fragen sie: Ist es nicht viel wichtiger, andere Fakultäten, zum Beispiel die Sozialwissenschaften, an der Bielefelder Uni zu stärken? Oder: Bielefeld hat auch viele Schulden; da können sie nicht mit einer Medizinischen Fakultät ankommen.
(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was wollen Sie konkret?)
– Was ich will? Ich bin bei den Diskussionen, die vorausgegangen sind, und bei den Versprechungen von Herrn Pinkwart nicht dabei gewesen. Ich will mir vor allen Dingen einen Überblick verschaffen – ich freue mich auch, dass der Antrag erst in den Ausschuss überwiesen und nicht direkt abgestimmt wird –, um zu sehen: Macht das insgesamt Sinn?
Ich glaube, es gibt viele andere Möglichkeiten, um den Ärztemangel zu beheben. Wir könnten unterschiedliche Anreize schaffen, damit Leute aus Brakel und Versmold Medizin studieren oder praktische Ärzte sich dort niederlassen. Wichtig wäre, die Allgemeinmedizin zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie einen besseren Status, ein besseres Image bekommt und an den Unis einen besseren Stellenwert hat. Es werden schon zusätzliche Lehrstühle für Allgemeinmedizin eingerichtet, damit das Fach einen höheren Stellenwert bekommt. Es gibt aber noch viele andere Ansatzpunkte. Ich will die Kassenärztliche Vereinigung jetzt gar nicht erwähnen; darüber könnten wir mindestens noch mal zehn Minuten reden.
Eine Medizinische Fakultät, um Ärztemangel im ländlichen Raum wirksam bekämpfen zu können, ist zwar erst mal okay, aber ich möchte noch ein paar Argumente mehr haben.
Bis zur Beratung im Ausschuss habe ich für die kleine Lösung sicherlich noch viel mehr Informationen, sodass wir im Ausschuss gut weiterkommen.
Meine Redezeit ist zu Ende. – Vielen Dank, auch für die vielen Anmerkungen von Ihnen. Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Themen, die sich für eine politisch aufgeregte Debatte eignen. Es gibt aber auch Themen, die sich weniger dafür eignen. Ich finde, der Ärztemangel im ländlichen Raum ist ein ernstes Thema, das sich für so eine Debatte überhaupt nicht eignet. Deshalb will ich versuchen, die Sachlage unaufgeregt darzustellen. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit tue ich das in fünf Punkten:
Erstens. Wir sind uns wohl alle einig, dass der Ärztemangel im ländlichen Raum ein wachsendes Problem ist. Die vorliegenden Studien dazu sind eindeutig; das Thema ist nicht umstritten.
Zweitens. Das Land hat mithilfe des Hochschulpakts zusätzliche Studienplätze in der Medizin bereitgestellt: 935. Das sind aber keine dauerhaften Plätze. Der Hochschulpakt ermöglicht keine dauerhafte Finanzierung. Der Anteil des Bundes für so einen Studienplatz reicht bei Weitem nicht aus. Wir haben mit dem Bund darüber diskutiert und gefragt, ob in dieser Situation nicht ein Bund-Länder-Programm für den Ausbau möglich ist. Der Bund, Frau Schavan, hat uns eindeutig gesagt: Nein, es werden keine zusätzlichen Mediziner gebraucht. – Das sehen wir deutlich anders.
Herr Abruszat, ich habe bei Amtsübernahme kein Konzept der FDP vorgefunden, wie sie mit der Medizin in OWL umgehen will.
(Zurufe von der FDP)
Drittens. Wir suchen gemeinsam nach einem Ansatz, wie wir den ländlichen Raum für junge Medizinerinnen und Mediziner attraktiver machen können. Wir nennen das Klebeeffekt. Eben ist eindrücklich vorgeführt worden, wie so etwas funktionieren kann.
Viertens. Jetzt trennt sich der Weg der Fraktionen. Unsere Suche hat unterschiedliche Antworten. Union und FDP fordern den Aufbau einer Medizinischen Fakultät. Ich frage mich, wie wir das in den anderen ländlichen Regionen machen wollen, in denen es auch Probleme gibt. Wollen wir überall Medizinische Fakultäten einrichten? Der Aufbau einer solchen Fakultät – das dürfte unstreitig sein – kostet 140 Millionen €, der Betrieb mindestens 50 Millionen €. Das hat Ruth Seidl eben dargestellt. Wir werden Sie bei den Haushaltsverhandlungen daran erinnern, was Sie in diesem Bereich gefordert haben.
Landesregierung, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gehen da einen anderen Weg. Wir sehen in der Ausweitung des Bochumer Modells hin zu einem Bielefelder Modell, also mit den Kliniken in OWL, einen zielführenden Weg, einen kostengünstigen Weg, wie man dem Ärztemangel im ländlichen Raum begegnen kann. Ein Konzept dafür liegt schon lange auf dem Tisch – zwischen den Beteiligten abgestimmt und mit dem Haushaltsansatz 2013 eingeplant. Stimmt der Landtag diesem Haushaltsansatz zu, können wir sofort starten.
Meine Damen und Herren, damit liegen zwei unterschiedliche Antworten auf ein und dieselbe Frage vor. In der Abwägung, welche Lösung – Fakultät oder Modellversuch – die tragfähigste ist und die größte Übertragbarkeit auf andere Regionen verspricht, fällt meine Antwort allerdings eindeutig aus. Eine Medizinische Fakultät ist mehr und muss mehr sein als nur eine Marketingidee für die ländliche Region.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wäre sie das, stünden übrigens finanzieller Aufwand und vage vermuteter Ertrag in einem krassen Missverhältnis zueinander. Im Übrigen dauerte es viel zu lange. Wenn die ersten Studierenden aus einer neuen Fakultät herauskommen, sind schon zehn Jahre ins Land gegangen.
Nein, meine Damen und Herren, die Universitätslandschaft Nordrhein-Westfalen hat keine fachliche Lücke, die mit einer weiteren Fakultät zu schließen wäre. Im Gegenteil: Wir haben eher einen Bedarf an mehr Abstimmung, an mehr Synergie, an mehr Zusammenarbeit zwischen den bestehenden Fakultäten.
Ich finde es auch nicht ganz fair, so zu tun, als sei Ostwestfalen Ödland im medizinischen Bereich, wie Sie das hier suggerieren. Das ist keinesfalls so. Ostwestfalen-Lippe ist eine sehr gut entwickelte Gesundheitsregion.
(Beifall von Marc Herter [SPD])
Sie hat strukturelle Einbrüche, zum Beispiel im Kurwesen, mehr als ausgeglichen.
Ostwestfalen hat nicht nur auf diesem Gebiet gezeigt, dass es die beste Modellregion des Landes ist.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wir haben dort schon viele Modelle gefahren. Frau Seidl hat noch einmal darauf hingewiesen. Daran wollen wir jetzt anknüpfen.
Deshalb lautet mein fünfter und abschließender Punkt: Wer sich von falschen regionalpatriotischen Gefühlen ebenso löst wie von der Verführung vermeintlicher Prestigeobjekte und sich dieses wichtige Thema jetzt einmal unaufgeregt anguckt, kann eigentlich nur zu folgendem Schluss kommen: Für das Problem des Ärztemangels im ländlichen Raum ist das Modellvorhaben eine zielführende Antwort.
Deswegen sollten wir unsere Kräfte darauf konzentrieren, diese Antwort nach vorne zu bringen. Wir alle hier im Raum wissen doch, dass die Attraktivität des Arztberufs im ländlichen Bereich nicht nur von diesem Modell abhängt, sondern von vielen Dingen: von den Arbeitsbedingungen, von der Familienfreundlichkeit, vom Wohnungsmarkt, von den Aufstiegschancen, von der Vergabe von Arztpraxen im ländlichen Raum durch die Kammer und von den sonstigen Aktivitäten zur Beeinflussung des Fachkräftemangels.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ich komme sofort zum Schluss. – Da ist keineswegs nur das Land gefordert. Regionen, Kommunen und Selbstverwaltungsorgane brauchen wir ebenfalls im Modellvorhaben, um diesen Klebeeffekt zu erzielen. Übrigens: Für OWL …
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, ich habe noch ein Angebot an Sie.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ach, Sie haben noch ein Angebot?
Vizepräsident Oliver Keymis: Ja.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
– Leider nicht an Sie persönlich, Frau Ministerin. So weit sind wir hier noch nicht.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Schade.
Vizepräsident Oliver Keymis: Ich habe aber folgendes Angebot an Sie: Unser Kollege Laumann hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich wollte Sie fragen, ob Sie das Angebot annehmen und diese Zwischenfrage zulassen.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ja, gerne; natürlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Laumann.
Karl-Josef Laumann (CDU): Frau Ministerin, sind Ihnen Untersuchungen darüber bekannt, wie viele Ärztinnen und Ärzte wir in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr ausbilden müssten, um vor dem Hintergrund der Altersstruktur der Ärzte – der durchschnittliche Hausarzt in Nordrhein-Westfalen hat das 50. Lebensjahr überschritten – die ausscheidenden Hausärzte durch neue Mediziner ersetzen zu können? Wenn ich richtig informiert bin, bilden wir in Nordrhein-Westfalen im Jahr knapp 2.000 Ärztinnen und Ärzte aus
(Zuruf von der SPD: Fragen!)
und müssten, um den Ersatz hinzukriegen und in zehn bis 15 Jahren überhaupt noch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu haben, wenigstens 400 bis 500 Ärzte mehr ausbilden, als wir es zurzeit tun.
Es gibt auch Untersuchungen – sind die Ihnen bekannt? –, aus denen hervorgeht, dass die Entscheidung, wo Ärzte sich niederlassen, auch erheblich davon abhängt, in welcher Region sie studiert und in welchen Krankenhäusern sie dann ihre ersten Erfahrungen gesammelt haben.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Laumann, Sie wissen, dass Sie nur eine Frage stellen dürfen.
Karl-Josef Laumann (CDU): Ja. – Und finden Sie es dann gerecht verteilt,
(Heiterkeit und Beifall von der FDP und den PIRATEN)
dass es von Düsseldorf aus gesehen hinter Münster in Nordrhein-Westfalen überhaupt keine Medizinausbildung mehr gibt?
(Beifall von der CDU)
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Laumann, vielen Dank für dieses Koreferat. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mit diesen Erkenntnissen – die hier im Raum nicht umstritten sind, das habe ich am Anfang ja gesagt – einmal auf Frau Schavan zugingen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Das ist alles? – Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU] – Weitere Zurufe)
– Wollen Sie meine Antwort hören? – Wir haben auf der Bundesebene eine intensive Diskussion darüber geführt.
(Zurufe von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU] und Karl-Josef Laumann [CDU] – Weitere lebhafte Zurufe)
– Sie können sich jetzt ruhig aufregen. Herr Laumann, Sie haben mir aber eine Frage gestellt. Wenn Sie gestatten, würde ich auch gerne darauf antworten.
(Unruhe – Glocke)
Vizepräsident Oliver Keymis: Kolleginnen und Kollegen, die Frau Ministerin hat eine Frage gestellt bekommen und möchte gerne eine Antwort geben. – Bitte schön, Frau Ministerin.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Wir haben auf der Bundesebene mit allen Wissenschaftsministerinnen und ?ministern diese Frage intensiv diskutiert. Wir haben um Zahlen der Bundesregierung gebeten, weil ich von meiner Kollegin, der Gesundheitsministerin, gehört hatte, dass in der Gesundheitsministerkonferenz Zahlen darüber vorlagen, wie viele zusätzliche Medizinerinnen und Mediziner wir brauchen. Wir haben darum gebeten, dass innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Zahlen vorgelegt werden, damit wir auch im Wissenschaftsbereich darüber diskutieren können, welche unterschiedlichen Bedarfe denn bestehen.
(Zuruf von der CDU: Sie sollen nicht diskutieren, sondern handeln!)
Daraufhin hat Frau Schavan gesagt: Wir haben keinen zusätzlichen Medizinerbedarf.
Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen trotzdem gehandelt, weil wir nämlich glauben, dass wir zusätzliche Medizinerinnen und Mediziner brauchen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Laumann, lassen Sie mich aber auch noch auf Ihre weiteren Fragen antworten. Worum geht es denn hier? Es geht doch darum, dass wir im ländlichen Raum und vor allen Dingen in Ostwestfalen-Lippe – wir reden ja nicht über den ländlichen Bereich im Münsterland oder am Niederrhein oder in anderen Regionen, sondern über Ostwestfalen-Lippe – jetzt ein Modell starten wollen, um diesen Klebeeffekt auch wirklich nachzuweisen.
Dieses Modell wollen wir als Landesregierung nach vorne bringen. Sie hatten fünf Jahre Zeit, da etwas zu tun. Und Sie haben an dieser Stelle nichts getan – gar nichts. Das muss hier auch einmal deutlich gesagt werden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dieses Modell in Ostwestfalen auf den Weg bringen. Ich bin mir sehr sicher, dass das in Ostwestfalen sehr erfolgreich wird und dass es auch für andere ländliche Regionen in Nordrhein-Westfalen sinnvoll sein kann, dort zu erforschen, wie so etwas funktionieren kann. Wir sind da schon ganze Schritte weiter als Sie hier. Ich sage noch einmal: Das ist kein Thema, mit dem man billig populistisch hier durchs Land ziehen kann. Dafür ist es viel zu ernst.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze. – Wir sind am Schluss der Beratung. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Es gäbe übrigens auch keine Zeit mehr. Alle sind sogar knapp drüber. Nein, eine Sekunde gab es bei der CDU noch, habe ich gesehen. Aber die reicht für nichts.
Deswegen kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1475 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/1554 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen, so wie wir es hier sonst auch halten. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/743
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1555
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1556
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1483
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der SPD Herrn Kollegen Kämmerling das Wort.
Stefan Kämmerling (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe sind bekanntlich aus dem Kreis der Gewährträger der NRW.BANK ausgeschieden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird redaktionell der veränderten Gewährträgerstruktur Rechnung getragen.
Die Arbeit der NRW.BANK wird zudem zukünftig vom Landesrechnungshof begleitet. Fehlende Prüfungsmöglichkeiten sind somit schon bald Vergangenheit. Wir hatten dies im Übrigen bereits in der 14. Wahlperiode aus der Rolle der Opposition heraus gefordert.
Weiterhin wird wertvoller zusätzlicher Sachverstand in den Beirat für Wohnraumförderung geholt. Das geschieht durch Entsendung eines Vertreters/einer Vertreterin der Architektenkammer.
Abhilfe zu schaffen war noch betreffs des allgemeinen staatlichen Ansatzes, Aufsichtskosten den unter Staatsaufsicht stehenden Institutionen in Rechnung zu stellen. Mit dem durch die Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag werden dem zuständigen Ministerium eben diese Kosten zu 90 % von der NRW.BANK erstattet. Das ist nicht nur sinnvoll, sondern auch gängige Praxis anderer Bundesländer sowie auch im Bereich der Bundesaufsicht über Kreditinstitute und Versicherungen üblich.
Nun zum Änderungsantrag der Piratenfraktion bezüglich Berichtspflichten: Wie eben schon ausgeführt, trägt die Landesregierung dem in der Begründung des Antrags der Piratenfraktion zitierten Urteil des Verfassungsgerichtshofs mit dem vorgelegten Gesetz Rechnung. Der Landesrechnungshof erhält die von den Koalitionsfraktionen immer schon geforderten Prüfungsrechte.
Darüber hinaus verfügt die NRW.BANK bereits über eine hohe Kontrolldichte. Bundesbank, BaFin und Verwaltungsrat stellen diese sicher. Letzterer ist zudem auch mit Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtages besetzt. Die Zusammensetzung resultiert natürlich aus den Ergebnissen einer demokratischen Wahl und repräsentiert diese.
Dennoch: Einer Ausweitung von Transparenz, effektiv organisiert und die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der NRW.BANK wahrend, stehen wir aufgeschlossen gegenüber und wollen sie gerne auf den Weg bringen.
Mit unserem Änderungsantrag unterbreiten wir Ihnen und dem Haus darum das Angebot, einen parlamentarischen Beirat zu bilden. Dieser würde mit hoher Aktualität vom Vorstand der NRW.BANK über die Risiko- und Geschäftslage informiert. Die Besetzung soll analog dem bewährten Beirat für Wohnraumförderung nach dem Verhältniswahlsystem erfolgen. Damit ist die sicherlich von allen Seiten gewünschte Transparenz gegeben, und zwar in einem Gremium arbeitseffektiver Größe. Jede Fraktion ist vertreten, und die Mehrheitsverhältnisse des Landtages werden ebenfalls widergespiegelt. Weiterhin bleibt das individuelle Auskunftsrecht jedes Abgeordneten selbstverständlich unberührt.
Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung für eine praktikable Lösung und ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Kämmerling. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.
Daniel Sieveke (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bereits bei der Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfes waren wir uns einig, dass dieser erforderlich ist, um das NRW.BANK-Gesetz und die Landeshaushaltsordnung an die eingetretenen Veränderungen und Umstände anzupassen.
Die wichtigsten Veränderungen ergeben sich aus den Konsequenzen des Urteils des NRW-Verfassungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2011. Mit diesem Urteil hat das Gericht den Umfang des Prüfungsrechtes des Landesrechnungshofs bei der NRW.BANK definiert, und zwar in der Form, dass laut Landesverfassung Nordrhein-Westfalen der Landesrechnungshof außer zur Rechnungsprüfung auch zu einer lückenlosen rechnungsunabhängigen Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes ermächtigt ist.
Da das Land weitreichende Einstandspflichten für die NRW.BANK hat, unterliegt damit auch die Bank einer umfassenden Prüfung durch den Landesrechnungshof. Dieser kann also bei seiner Prüfung sämtliche Auskünfte und Einsicht in alle Unterlagen verlangen, die aus seiner Sicht für die Finanzlage des Landes von Bedeutung sein können.
Die parlamentarischen Beratungen im Ausschuss haben gezeigt, dass wir hinsichtlich des Prüfungsrechts des Landesrechnungshofs bei der NRW.BANK jetzt einig sind.
In zwei Punkten können wir allerdings nicht zustimmen.
Zum einen haben die regierungstragenden Fraktionen von SPD und Grünen in der abschließenden Sitzung des Fachausschusses einen Änderungsantrag vorgelegt und auch beschlossen, der die NRW.BANK verpflichtet – das haben Sie eben erwähnt –, die Kosten der staatlichen Aufsicht dem Land zu 90 % zu erstatten.
Ein zweiter bemerkenswerter Punkt ist die Frage der zukünftigen Kontrollrechte des Landtages in Bezug auf die NRW.BANK. Auch dies hatte ich bei der Einbringung bereits erwähnt. Sie selbst sind eben auf die 14. Wahlperiode eingegangen.
Die regierungstragenden Fraktionen von SPD und Grünen haben im Februar 2010 einen Antrag gestellt, der sich mit der Zukunft der NRW.BANK nach der Integration des Vermögens der Wohnbauförderanstalt in die NRW.BANK beschäftigte und neben den Prüfungsrechten des Landesrechnungshofs auch ganz wesentlich auf die Rolle des Landtags abstellte. Sie haben damals sogar kritisiert, es sei ein Schattenhaushalt geschaffen worden, auf den nur die Landesregierung Zugriff habe, der der Kontrolle des Landtags vollständig entzogen sei. Im Fachausschuss haben die Piraten diese Bedenken nun aufgegriffen und inzwischen einen Änderungsantrag zur Aufnahme einer Berichtspflicht vorgelegt.
Auch die regierungstragenden Fraktionen von SPD und Grünen haben sich gestern an ihre Bedenken aus 2010 erinnert und nun einen eigenen Änderungsantrag eingebracht. Entscheidend dabei ist, dass sie das bei der Einbringung und der Beratung bis gestern nicht aufgegriffen haben. Es wäre aus unserer Sicht sinnvoll gewesen, wenn die Änderungsanträge der Regierungsfraktionen zu beiden Punkten schon zur Expertenanhörung vorgelegen hätten. Dann hätten wir die rechtlichen Fragen, die sich ergeben, klären und die NRW.BANK als Betroffene um Stellungnahme bitten können.
Daher werden wir uns bei der Abstimmung zu den vorliegenden Änderungsanträgen der Regierungskoalition und der Piraten sowie auch zum vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sachverhalt ist eben schon erläutert worden. Es geht um mehr Transparenz bei der NRW.BANK. Mit diesem Gesetzgebungsverfahren wird das Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs konsequent umgesetzt, die entsprechenden Artikel werden eingefügt.
Zwei weitere Fragen haben sich im Gesetzgebungsverfahren ergeben: Erstens geht es um die Kostenpflicht für die staatliche Aufsicht; der Kollege Sieveke hat es eben angesprochen. Ich weiß nicht, was daran rechtlich zu klären ist. Fast alle anderen Bundesländer handhaben das genauso. Man muss sich schlichtweg politisch entscheiden, ob man es will oder nicht. Wir haben uns dafür entschieden, dass die staatliche Aufsicht der NRW.BANK – nicht die wohnungsfachliche Aufsicht – zu vergüten ist, so ähnlich wie in anderen Verfahren auch. Wenn ich mein Auto zum TÜV bringe, muss ich auch Gebühren zahlen. In verschiedenen anderen Fällen ist es nicht anders. Insofern ist die politische Entscheidung ganz einfach zu treffen: Entweder man ist dafür, oder man ist dagegen. Die Koalitionsfraktionen haben sich dafür entschieden und haben das im Haushaltsausschuss beantragt und durchgesetzt.
Zweitens geht es um die Transparenz. Zum einen stellt sich die Frage der generellen Risikoaufsicht gegenüber der NRW.BANK, zum anderen: An wen berichtet der Landesrechnungshof, wenn es sich um vertrauliche Dinge in Prüfungsprozessen handelt? Wir halten es für sachgerecht, einen parlamentarischen Beirat zu gründen, der diese Fragen erörtern kann. Er ist mit zwölf Mitgliedern etwas kleiner zu fassen als der Haushalts? und Finanzausschuss, um die Vertraulichkeit weiter zu begrenzen. Denn wir alle müssen ein Interesse daran haben, dass die NRW.BANK weiterhin in einem geordneten Umfeld arbeiten kann, ohne dass sie Angst haben muss, dass Geschäftsprozesse nach außen dringen.
Insofern schlagen Ihnen die Koalitionsfraktionen den Änderungsantrag vor. Wir denken, das ist ein guter Kompromiss, ein guter Weg, um die Prüfungsrechte gegenüber der NRW.BANK zu erweitern und das Interesse des Landtags ausreichend auszustatten. Da sind wir ganz konsistent im Hinblick auf die 14. Wahlperiode.
Ich bitte um Zustimmung sowohl zur Beschlussempfehlung als auch zum Änderungsantrag.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf enthält unterstützenswerte Dinge, aber auch Punkte, bei denen sich Nachfragen ergeben. Was die Frage der sinnvollen Neuregelungen angeht, ist viel über die uneingeschränkte Prüfungskompetenz des Landesrechnungshofs gesprochen worden. Das ist aus unserer Sicht absolut sinnvoll, eine Verbesserung der Transparenz, und es gibt ohnehin, nachdem die rechtlichen Urteile vorliegen, keine andere Möglichkeit. Es ist auch in der Sache vernünftig und begründet, bei einer Institution, die unser Vertrauen hat, die die Interessen des Steuerzahlers wahren und großen Wert auf die Ordnungsmäßigkeit von finanziellen Vorgängen legen soll, eine gravierende Beteiligung des Landes nicht auszunehmen, sodass Sachverhalte nicht überprüft werden könnten.
Ebenso wünschenswert und unterstützenswert ist die Anreicherung um Fachlichkeit, was Fragen der Wohnraumförderung und die Einbeziehung von Architekten angeht.
Weil alle Fragen in der Politik nicht nur abstrakter Natur sind, sondern auch konkrete Dinge beinhalten, will ich an dieser Stelle – auch wenn es um eine erweiterte Transparenz für Parlament und Landesrechnungshof geht – das nicht verschweigen, was zuletzt Gegenstand der Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk war. Dazu hätte ich gerne die Einschätzung der Landesregierung, wie sie das Ganze sieht, gerade weil über das Thema „Schattenhaushalt“ diskutiert wurde. Egal wie man es nennt: Wir wissen, von der Bilanzsumme her ist ein sehr großes Volumen gebunden, zuletzt in der Größenordnung von 160 Milliarden €. Laut Berichterstattung von „Panorama“ vom 23. August 2012 gibt es zahlreiche Risikopositionen. Dort heißt es – ich gebe das nur wieder, mache mir das nicht zu eigen –, dass bei der NRW.BANK 20,8 Milliarden € auf Credit Default Swaps entfallen, die in ihrer weiteren Entwicklung Risiken beinhalten.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was heißt das?)
Wie bewertet die Landesregierung die tatsächlichen Aufsichtsstrukturen? Laut Berichterstattung von „Panorama“, so die Ergebnisse der journalistischen Untersuchung, führen die 33 Mitgliedschaften, die die Landesregierung in unterschiedlichen Aufsichtsgremien hat, nicht dazu, dass alle Fragen immer nur fachlich bewertet werden. Deshalb ist all das, was wir an mehr Transparenz und mehr Aufsichtsstrukturen organisiert bekommen, sinnvoll. Das gilt nicht nur für den Landesrechnungshof, sondern auch für die Frage parlamentarischer Beteiligung. In der Tat wäre es wünschenswert, wenn die Fraktionen hier noch etwas früher gemeinsam ins Gespräch gekommen wären. Nun gibt es einen Antrag, der ja die Mehrheit zu finden scheint, weil er von den Koalitionsfraktionen auf den Weg gebracht wird. Ich glaube, da ist die Frage, wie man es später in den weiteren Regularien ausgestaltet, aber nicht die Frage, ob so etwas sinnvoll ist, eine stärkere parlamentarische Begleitung und Verankerung herzustellen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Olejak?
Ralf Witzel (FDP): Aber selbstverständlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.
Marc Olejak (PIRATEN): Nur ganz kurz: Würden Sie dem geneigten Zuschauer sagen, was ein Credit Default Swap ist?
Ralf Witzel (FDP): Es ist die Risikoposition, auf die in dem Bericht hingewiesen worden ist, im Bestand der Anlagen der NRW.BANK. Ich mache mir die Argumentation nicht zueigen, dass es sich jedenfalls in der journalistischen Berichterstattung und Analyse dabei um eine klassische Position handelt, die auch durch Marktrisiken Verlustpotenzial birgt. Ich habe dazu gesagt: Wenn die Berichterstattung so ist, macht es Sinn, Transparenz zu verbessern, sei es durch Aktivitäten – das war meine Argumentation – des Landesrechnungshofs als auch von parlamentarischer Seite. Wenn es bei riskanten Finanzprodukten mehr Augen gibt, die auf die Marktentwicklung und die Bewertungsfragen schauen, kann das nur hilfreich sein.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Was ich aber an dieser Stelle ausdrücklich im Rahmen meiner eigentlichen Rede ansprechen wollte, ist der Aspekt der Werthaltigkeitsgarantie des Landes und das Modell für die Restrukturierung der WestLB. Natürlich ist dies, was für die NRW.BANK vollzogen werden soll, im Gesamtkonzept der Restrukturierungsbemühungen auch von Mitte des Jahres zu sehen, die auf der Eckpunktevereinbarung schon ein Jahr früher beruhen.
Wir als FDP-Landtagsfraktion haben das Gesamtkonzept, wie Besitzverhältnisse, Eigentümerstrukturen und Verantwortlichkeiten in der Restrukturierung der WestLB zu sehen sind, als Modell nicht unterstützt. Aus diesem Grunde ist das sicherlich ein von uns kritisch zu sehender Punkt, weil sich natürlich die Frage stellt, was aus den Beteiligungsverhältnissen wird. Das betrifft ausdrücklich die NRW.BANK mit ihrem Anteil bei Portigon nach dem Jahre 2016. Dazu, wie es zukünftig mit den Werthaltigkeiten aussieht, wenn es hier in der geschäftlichen Entwicklung nicht so läuft, wie es wünschenswert wäre, gibt es auch erhebliche Risiken und Fragezeichen.
Wir haben von der EU Vorgaben für das Jahr 2016. Darin liegen Risiken, die in der Rückwirkung auch die NRW.BANK betreffen. Das gilt für all das, was die Verschiebung der Anteile angeht. Weil wir dieses Gesamtkonstrukt kritisch sehen – andere Aspekte in dem Gesetz, die mehrere Gesichtspunkte regeln, finden wir positiv –, werden wir uns in der Gesamtabstimmung über dieses Gesetz enthalten. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Piratenfraktion spricht als Nächster Herr Kollege Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier im Saal und am Stream! Tolle Sache! Ich hatte schon in der letzten Sitzung – es könnte auch die vorletzte gewesen sein – innerhalb einer knappen Minute gesagt: Wunderbare Sache, dem kann man nur zustimmen. Wenn man dem nicht zustimmt, dann müsste man dagegen sein. Das wäre verhängnisvoll. – In der Zwischenzeit ist das passiert, was ich auch schon eben in der Haushaltsrede gesagt habe: Ein Lerneffekt ist eingetreten.
Der Lerneffekt hatte in der Entwicklung durch Besprechungen und Prüfungen hervorgebracht, dass der Änderungsantrag gestellt werden müsse. Denn – das muss man ganz klar sagen – wir haben es hier mit einem Haushalt zu tun, der auch vom Verfassungsgerichtshof – und zwar explizit dessen Urteil – als Schattenhaushalt bezeichnet worden ist und der extrem hohe Risiken birgt, nämlich in Höhe von deutlich über 20 Milliarden € Minimum, allein schon im Bereich der sogenannten CDS, der Credit Default Swaps, was letztendlich nichts anderes bedeutet als Kreditausfallversicherung.
(Marc Olejak [PIRATEN]: Danke!)
Damit dürfte klar sein, was hier gewollt ist. Es ist beabsichtigt, eine budget- und haushaltsrelevante Risikogröße innerhalb der NRW.BANK der Kontrolle des Parlaments zu unterstellen. Es kann nicht gut angehen, dass innerhalb der NRW.BANK Geschäfte getätigt werden, die mehr oder weniger Investmentgeschäfte sind und letztendlich nicht dem Portfolio einer ursprünglichen Förderbank gerecht werden. Die NRW.BANK betreibt Geschäfte, und zwar mit einer klaren Zusage bzw. Aussage des Finanzministeriums, an diesen Geschäften durchaus festhalten zu wollen, nämlich den sogenannten CDS, die dem Königsrecht des Parlaments, der Kontrolle über haushaltsrelevante Geschäfte, unterliegen. Dies zu bewerkstelligen, haben wir dann durch den Änderungsantrag versucht herzustellen, und zwar auf möglichst kostengünstige Weise, indem die NRW.BANK schlicht und ergreifend den relevanten Ausschüssen, nämlich dem Haushalts- und Finanzausschuss sowie dem Haushaltskontrollausschuss, berichten möge.
(Beifall von den PIRATEN)
Es gab innerhalb der letzten Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses rechtliche Bedenken von allen Fraktionen und seitens des Ministeriums. Diese Bedenken konnten in der Zwischenzeit auch dank des Ministeriums – Dank an Sie noch einmal Herr Dr. Messal – ausgeräumt werden mit der Folge, dass wir diesen Antrag für heute erneut eingebracht haben.
Offensichtlich haben die regierungstragenden Fraktionen unseren Stream der Fraktionssitzung, in der das besprochen wurde, mitgeschaut und gesagt: Jetzt holen wir schnell etwas aus der Schublade und schieben es noch rein, damit es so aussieht, als ob wir, die regierungstragenden Fraktionen, Transparenz schaffen würden. – Dazu muss ich sagen: Das ist zu kurz gesprungen. Wenn man bedenkt, dass Sie vor zwei Jahren noch einen Verwaltungsratssitz für alle Fraktionen gefordert haben,
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
dann steht das, was Sie heute mit dem Beirat beantragt haben, deutlich hinter dem zurück, was Sie selbst ursprünglich gefordert haben. Heute sitzen Sie in der Regierung. Dann mögen Sie sagen können: Wir sind ja voll vertreten im Verwaltungsrat, aber mit dem Beirat wird die ganze Sache nur aufgebäht und ein zusätzliches Gremium geschaffen, dessen Satzung und Inhalte und auch dessen Aufgaben nicht klar umrissen worden sind. Deswegen können wir uns leider Gottes hinsichtlich der Gesetzesänderung, auch bezüglich der Beiratsgeschichte, inzwischen nur enthalten, denn wir möchten uns durchaus offenhalten, auch im Sinne der Transparenz daran beteiligt zu sein.
Wir gehen jedoch davon aus, dass die Unterrichtung des Parlaments über die Ausschüsse das wesentlich effektivere und sinnvollere Instrument ist, sodass ich dafür werbe, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. – Vielen herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung spricht nun in Vertretung des Finanzministers Herr Minister Duin.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Unterstützung, die in vielen Wortbeiträgen und auch in der entsprechenden Anhörung zum Ausdruck gekommen ist für das, was die Landesregierung an Änderungen beim NRW.BANK-Gesetz vorschlägt, insbesondere zu dem umfassenden Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs. Das ist auf Zustimmung gestoßen, und dafür möchten wir uns bedanken.
Dann haben wir zwei Änderungsanträge vorliegen, zu denen ich aus Sicht der Landesregierung ganz kurz Stellung beziehen will.
Zum einen haben wir den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Nach dem Antrag soll zukünftig ein parlamentarischer Beirat bei der NRW.BANK gebildet werden. Damit wird – und so sehe ich das auch aus der Kenntnis der Gremien heraus – eine noch engere Verknüpfung zwischen Bank und Landtag erreicht und zusätzliche Transparenz erzielt. Zugleich wird mit Augenmaß dem Interesse der Bank an der Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Rechnung getragen. Somit ist das ein guter und vernünftiger Weg.
In dem Zusammenhang möchte ich in Erinnerung rufen, dass die NRW.BANK als Förderbank des Landes – das ist in der Debatte gar nicht so zum Ausdruck gekommen, aber ich will das hier hervorheben – eine hervorragende Arbeit leistet. Jährlich fördert die Bank mit mehr als 8 Milliarden € Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen. Von der Wohnungsbauförderung über die Mittelstandsförderung bis hin zur Kommunalfinanzierung ist sie überhaupt nicht mehr wegzudenken.
Dann haben wir einen zweiten Antrag, den ich erheblich skeptischer sehe. Es ist nicht nur fälschlicherweise von einem Schattenhaushalt die Rede; es könnte auch der Eindruck entstehen, als würde die NRW.BANK nicht ausreichend kontrolliert, als würde sie in irgendeiner Weise intransparent agieren. Das ist nicht der Fall. Deswegen sollten wir auch gar nicht erst den Eindruck erwecken.
Die Kontrolldichte bei der NRW.BANK ist extrem hoch. Es gibt keine prüfungsfreien Räume. Neben dem umfassenden Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs und der Kontrolle durch die Bundesbank gibt es natürlich auch die Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen. Die gesamte laufende Geschäftstätigkeit wird ebenso durch die Gremien der NRW.BANK begleitet und überwacht.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, entschuldigen Sie bitte. Würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnetenkollegen Schulz von den Piraten zulassen?
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ja, gerne.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Minister, ist Ihnen, da Sie ja hier durchaus für die regierungstragenden Fraktionen mit sprechen, bekannt, dass diese selbst – auch aus Ihrem Hause insoweit bestätigt – im Jahre 2010 zur Begründung des damaligen Antrages auf erweiterte Besetzung des Verwaltungsrates und des Förderausschusses als Hauptargument angeführt haben, dass die NRW.BANK insgesamt einen als solchen zu bezeichnenden „Schattenhaushalt“ darstellt?
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Erstens ist mir diese Vorlage nicht bekannt. Ich kann deswegen also nicht überprüfen, ob das so gewesen ist oder nicht. Aber ich teile diese Auffassung, egal von wem sie geäußert worden ist, nicht, und die gesamte Landesregierung teilt diese Auffassung ausdrücklich nicht, dass es sich bei der NRW.BANK um einen sogenannten Schattenhaushalt handeln würde.
Ich war bei der Kontrolldichte. Neben den Dingen, die ich genannt habe, unterliegt die NRW.BANK auch der Staatsaufsicht durch das Ministerium für Inneres und Kommunales. Es gibt also nicht nur keine prüfungsfreien Räume, es gibt im Übrigen auch keinen parlamentsfreien Raum. Denn jeder und jede Abgeordnete oder jede Fraktion kann jederzeit beantragen, über die Lage der Bank informiert zu werden. Sofern Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse betroffen sind, kann dies in vertraulicher Sitzung erfolgen. Einer gesetzlichen Normierung, so wie in dem Antrag dargestellt, bedarf es nach unserer Auffassung deswegen nicht.
Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass auch in den jetzt schon existierenden Gremien von zwölf Mitgliedern des Verwaltungsrates derzeit vier Parlamentarier sind. Bezogen auf die acht Landesvertreter ist also die Hälfte der vom Land entsandten Mitglieder Parlamentarier.
Insofern kommen wir zu dem Ergebnis, dass der Antrag, einen parlamentarischen Beirat einzurichten, in dem zwei Mal im Jahr durch den Vorstand direkt berichtet werden kann, der richtige Weg ist.
Ich freue mich, dass der eigentliche Anlass, den wir für dieses Gesetz hatten, nämlich das Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs einzuräumen und gesetzlich zu normieren, so viel Zustimmung findet, wenngleich sich einige aus anderen Gründen – nicht aus dem eigentlichen Anlass – nunmehr enthalten wollen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Kollege Schulz zu Wort gemeldet. Für höchstens 59 Sekunden, Herr Kollege, haben Sie das Wort.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lese einmal diejenigen Personen vor, die das mit dem Schattenhaushalt vorgebracht haben: Hannelore Kraft, Carina Gödecke, Gisela Walsken, Norbert Römer, Hans-Willi Körfges und Fraktion.
(Zuruf von der FDP: Hört, hört!)
– Hört, hört! Herr Minister, ich sage Ihnen nur eines. Sie sprachen eben von der staatlichen Kontrolle. Es geht nicht um eine staatliche Kontrolle, es geht um eine parlamentarische Kontrolle. Diese wollen wir, und zwar vollumfänglich und auch quartalsweise und auch dann, wenn Risikogeschäfte gemacht werden. Staatliche Kontrolle hatten wir bei der WestLB schon. Die hat nicht funktioniert. Was daraus geworden ist, wissen wird. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Beratung angelangt sind.
(Zurufe von der SPD)
– Ich darf, meine Damen und Herren, um Ruhe bitten, weil wir jetzt in die Abstimmung eintreten.
Wir stimmen erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/1555 ab. Ich darf fragen, wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte. – Wer ist gegen diesen Änderungsantrag? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von der CDU, der FDP und der Piraten angenommen.
Wir stimmen zweitens ab über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/1556, der gegebenenfalls redaktionell an die soeben geänderte Fassung des Gesetzentwurfes anzupassen wäre. Wer ist für diesen Änderungsantrag der Piraten? – Wer ist gegen diesen Änderungsantrag? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von CDU und FDP gegen die Stimmen der Piraten abgelehnt.
Wir stimmen drittens über den so geänderten Gesetzentwurf ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1483, den Gesetzentwurf Drucksache 16/743 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von CDU, FDP und Piraten angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen direkt zu Tagesordnungspunkt
12 Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/747
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1484
Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1484, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer ist dafür, dieser Empfehlung zu folgen? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist diese Empfehlung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen von CDU und FDP angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/747 in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen zu:
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1495
Eine Debatte hierzu ist nicht vorgesehen.
Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag. Wer dafür ist, diesen Wahlvorschlag anzunehmen, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/1495 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen zwei Stimmen der Piratenfraktion bei mehrheitlicher Enthaltung der Piratenfraktion angenommen.
Wir treten ein in Tagesordnungspunkt
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Faktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/1496
Eine Debatte hierzu ist ebenfalls nicht vorgesehen.
Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/1496. Wer dafür ist, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Wahlvorschlag mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei drei Gegenstimmen aus der Piratenfraktion und mehrheitlicher Enthaltung der Piratenfraktion mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu:
15 Abkommen zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Nationalen Kohorte (NaKo)
Vorlage
des Ministeriums
für Innovation, Wissenschaft
und Forschung
gemäß § 10 Abs. 4 LHO
Vorlage 16/233
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1485
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1485, die Unterrichtung mit der Vorlage 16/233 zur Kenntnis zu nehmen. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung vom Landtag Nordrhein-Westfalen einstimmig angenommen und die Unterrichtung zur Kenntnis genommen.
Wir kommen zu:
16 Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91 a GG
Vorlage
des Ministeriums für
Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz
gemäß Art. 10 Abs. 3 LHO
Vorlage 16/244
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/1486
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die Anmeldung zum Rahmenplan zur Kenntnis zu nehmen. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung Drucksache 16/1486 einstimmig angenommen.
17 Verfassungsbeschwerden der K.
2 BvR
1561/12
2 BvR 1562/12
2 BvR 1563/12
2 BvR 1564/12
Vorlage 16/350
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1487
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse über die Empfehlung des Rechtsausschusses abstimmen, in dem Verfahren keine Stellungnahme abzugeben. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1487 einstimmig angenommen.
18 Verfassungsbeschwerden des Herrn Ludwig Weyhe und anderer
1 BvR
1795/08
1 BvR 2120/10
1 BvR 2146/10
Vorlage 16/321
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1488
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Ich lasse über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses abstimmen, in dem Verfahren keine Stellungnahme abzugeben. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1488 angenommen.
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1489
Eine Debatte ist – das wird Sie nicht überraschen – nicht vorgesehen.
Ich lasse nun über die Empfehlung des Rechtsausschusses abstimmen, in dem Verfahren keine Stellungnahme abzugeben. Wer ist dafür, dieser Beschlussempfehlung zu folgen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1489 ebenfalls einstimmig angenommen.
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1490
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Ich lasse über die Empfehlung des Rechtsausschusses abstimmen, in dem Verfahren keine Stellungnahme abzugeben. Wer dafür ist, dieser Beschlussempfehlung zu folgen, den bitte ich um das Handzeichen. – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1490 einstimmig angenommen.
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1491
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wiederum empfiehlt der Rechtsausschuss, in dem Verfahren keine Stellungnahme abzugeben. Wer möchte dem folgen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/1491 einstimmig angenommen.
22 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 2
gem. § 79 Abs. 2 GeschO
Die Übersicht 2 enthält zwei Anträge, die vom Plenum nach § 79 Abs. 2 Buchstabe c an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht 2 abstimmen, die sicher jeder zur Kenntnis genommen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer das Abstimmungsverhalten der Fraktionen in den Ausschüssen bestätigen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse in der Übersicht 2 Drucksache 16/1492 bestätigt.
Schon sind wir beim letzten Tagesordnungspunkt:
Wird dazu das Wort gewünscht? – Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist nicht der Fall.
Damit stelle ich gemäß § 91 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass die Beschlüsse zu Petitionen in der Übersicht 16/4 vom Landtag Nordrhein-Westfalen bestätigt sind.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.
Ich danke Ihnen sehr und berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 29. November 2012, 10 Uhr.
Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 18:27 Uhr
_______________________________________
*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.