17. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 12. Dezember 2012
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1400
Finanzplanung 2012 bis 2016 mit Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1402
Gesetz zur Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1286
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Gemeindefinanzierungsgesetz 2013
Hans Christian Markert (GRÜNE)
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
2 Schaden vom Land abwenden: Staatssekretärin muss entlassen werden!
Eilantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1666
3 Gelebtes Open Government: Öffentliche Debatte zum Landeshaushalt!
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1623
4 EU-Datenschutzreform: Hohe Datenschutzstandards sicherstellen!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1626
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1674
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1630 – Neudruck
Hans Christian Markert (GRÜNE)
6 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1182
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1644
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 1)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1184
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1638
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 2)
8 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1185
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1639
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 3)
9 Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1049
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/1542
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 4)
10 Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1186
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft
und Forschung
Drucksache 16/1527
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 5)
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/1633
VerfGH 17/12
Vorlage 16/278
Vorlage 16/340
Vorlage 16/364
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1641
VerfGH 20/12
Vorlage 16/339
Vorlage 16/427
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1659
VerfGH 15/12
Vorlage 16/238
Vorlage 16/439
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1660
16 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 3
gem. § 79 Abs. 2 GeschO
Zu TOP 8 – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter – zu Protokoll gegebene Reden
Zu TOP 9 – Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes – zu Protokoll gegebene Reden
Entschuldigt waren:
Minister Johannes Remmel
Minister Dr. Angelica Schwall-Düren
Ministerin
Barbara Steffens
(ab 13:00 Uhr)
Minister
Dr. Norbert Walter-Borjans
(ab 15:45 Uhr)
Dr. Stefan Berger (CDU)
(bis 13:00 Uhr)
Marie-Luise Fasse (CDU)
Wilhelm
Hausmann (CDU)
(ab 13:00 Uhr)
Thomas
Kufen (CDU)
(ab 13:00 Uhr)
Claudia Middendorf (CDU)
Daniel Sieveke (CDU)
Rainer Spiecker (CDU)
Sigrid Beer (GRÜNE)
(ab 17:00 Uhr)
Josefine
Paul (GRÜNE)
(ab 13:00 Uhr)
Dr. Joachim Stamp (FDP)
Yvonne
Gebauer (FDP)
(bis 12:00 Uhr)
Nicolaus Kern (PIRATEN)
Beginn: 10:05 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer heutigen, 17. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt den Besucherinnen und Besuchern auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Dass die Reihen noch etwas gelichtet sind, mag daran liegen, dass die Straßenverhältnisse heute nicht ganz einfach sind. Wer eine längere Anreise zu bewerkstelligen hat, kommt vielleicht etwas mühseliger hierher. Trotzdem wollen wir mit unserer Plenarsitzung beginnen.
Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wie immer in das Protokoll aufgenommen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch auf eine Änderung hinweisen: Die Tagesordnung für die heutige Sitzung sieht noch den Tagesordnungspunkt 15 mit einer Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags von Nordrhein-Westfalen zur Kenntnisnahme Drucksache 16/1642 vor. Der Ausschuss für Europa und Eine Welt hat in seiner Sitzung am 7. Dezember 2012 keinen Beschluss in einem dringenden Fall – es handelt sich hierbei um das Thema „Frühwarndokumente nach § 50 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung“ – gefasst, sodass entsprechend auch keine Unterrichtung durch die Präsidentin vorgenommen werden kann. Der Tagesordnungspunkt ist deshalb abzusetzen. – Ich sehe dagegen keinen Widerspruch.
Damit verfahren wir entsprechend und treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1400
Finanzplanung 2012 bis 2016 mit Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1402
Gesetz zur Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1286
Zur Vorstellung des Haushaltsgesetzes und der mittelfristigen Finanzplanung erteile ich für die Landesregierung Herrn Finanzminister Dr. Walter-Borjans das Wort. Herr Finanzminister, das Redepult gehört Ihnen.
(Heiterkeit – Zurufe von der CDU)
– Nicht zum Mitnehmen, nur für die nächsten Minuten!
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das muss mit Weihnachten zusammenhängen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2013 lege ich Ihnen heute erneut ein Zahlenwerk vor, das unseren Willen unterstreicht, die Finanzen des Landes nachhaltig zu konsolidieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von der CDU)
„Nachhaltig“ bedeutet, Einnahmen und Ausgaben dauerhaft in Übereinstimmung zu bringen, und zwar ohne unsere Verantwortung für die Aufgabenerfüllung im Land zu vernachlässigen. Zu unseren Aufgaben gehören vor allem Investitionen in Bildung, in Betreuung und in die Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit unserer Kommunen.
Eines der wichtigsten Ergebnisse in diesem Haushaltsentwurf ist die weitere Reduzierung der Nettoneuverschuldung auf 3,5 Milliarden € nach „3,6 plus 1“ für die WestLB im Entwurf 2012, nach 4,8 im Entwurf 2011 und nach 6,6 Milliarden bei der Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahr 2010.
In den abgeschlossenen Haushalten der Jahre 2010 und 2011 ist es uns außerdem gelungen, am Ende deutlich unter den jeweiligen Plandaten zu bleiben. Das werden wir auch 2012 schaffen, und das bleibt unser Ziel, bis wir 2020 mit Plan- und Ist-Wert bei der Null angekommen sein werden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will mancher versuchten Legendenbildung in diesem Zusammenhang zum Trotz gleich vorwegschicken, unter welchen Maßgaben dieser Haushaltsentwurf aufgestellt wurde.
Erstens. Die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, gilt, und zwar allen Legenden, wie sie die Opposition verbreitet, zum Trotz – hin oder her.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Die Nachricht des Tages! dpa-Eilmeldung!)
– Wenn das nicht die Nachricht des Tages ist, frage ich mich, warum Sie das die ganze Zeit infrage stellen. Denn das wird seit knapp drei Jahren ständig gesagt.
Zweitens. Wir werden die Schuldenbremse – das ist auch eine Nachricht des Tages –, wie vom Grundgesetz verlangt, bis 2020 schaffen. Das zeigt der Weg, den wir schon gegangen sind, und das zeigt die mittelfristige Finanzplanung, wie wir sie jetzt vorlegen – Legendenbildung hin oder her.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Drittens. Die Schuldenbremse zu schaffen, ist das eine. Wenn wir das erreichen wollen, ohne das Land kaputtzusparen, dann müssen starke Schultern einen größeren Beitrag leisten, und auch das gegen die Legende vom alleinigen Konsolidieren durch Kürzen und Streichen – hin oder her.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Viertens. Die Weigerung des Bundes, Weichen für zusätzliche Einnahmen zu stellen, bedroht die Funktionsfähigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden. Sie ist trotzdem kein Freibrief für die Verletzung der grundgesetzlichen Schuldenregel, aber sie würde ohne einen Kurswechsel in Berlin auch bei uns zu empfindlichen Einschnitten führen, deren Verursacher wir dann aber auch klar beim Namen nennen.
Und zuletzt erwähne ich die Vereinbarung von grundgesetzlichem Auftrag zum Stopp der Neuverschuldung einerseits und grundgesetzlichem Auftrag des Staates, seine Aufgaben zum Wohl der Menschen zu erledigen. Das geht nach allem, was wir in den letzten Jahren gesehen haben, nur mit einer anderen Bundesregierung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir stellen uns offen und ehrlich der Herausforderung, Ausgaben und Einnahmen dauerhaft in Übereinstimmung zu bringen, ohne Lasten einfach nur auf andere zu verschieben und ohne die Menschen mit dem alleinzulassen, was sie zu Recht von ihrem Gemeinwesen, vom Staat, erwarten: Bildung, Infrastruktur, öffentliche Sicherheit, sozialer Zusammenhalt. Das sind Grundlagen, ohne die die wenigsten derer, die heute in Wohlstand leben, diesen Wohlstand erreicht hätten, und das sind Grundlagen, die alle brauchen, damit sie einen bescheidenen Wohlstand auch erreichen können.
Die Krokodilstränen der Opposition gegen die Forderung nach Mehreinnahmen sind erstaunlich. Fordern Sie nicht selber die Wiedereinführung von Studiengebühren? Ist das Ihrer Auffassung nach eine Ausgabenkürzung? Oder ist das nicht vielmehr eine Einnahmensteigerung auf andere Art? Wir sollten es einfach beim Namen nennen: Wir wollen die starken Schultern stärker an der Finanzierung der Aufgaben des Staates beteiligen. Sie wollen die Studierenden und ihre Eltern bezahlen lassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dieser Haushalt, den wir jetzt vorlegen, hat nach dem Entwurf der Landesregierung ein Volumen von 60 Milliarden €. Das sind rund 2,1 Milliarden € oder 3,7 % mehr als im Vorjahr, die WestLB-Milliarde herausgerechnet. Darin sind alleine 4,2 Milliarden € vollständig durch den Landeshaushalt laufende Mittel, die vom Bund auf der einen Seite hineinkommen und auf der anderen Seite wieder hinausgehen. Und es sind noch einmal 5,1 Milliarden € vom Bund und 0,5 Milliarden € von der Europäischen Union, die hineinkommen und dann zusammen mit Kofinanzierungsmitteln des Landes wieder hinausgehen. Das heißt, ein auf diese Weise festgelegter Betrag von rund 10 Milliarden € befindet sich in diesem Haushalt, der sich eigentlich jeder Einflussnahme entzieht.
Der Aufwuchs bei den Ausgaben ist zu einem ganz überwiegenden Teil durch gesetzliche Vorgaben begründet. Wir haben die Personalausgaben. Vor allem bei Versorgung und Beihilfe stehen wir auch bei einem gleichen Personalbestand einem wachsenden Kostenblock gegenüber. Dabei ist allerdings auch Vorsorge für laufende Tarif- und Besoldungserhöhungen getroffen worden. Dieser Ansatz wächst im Haushaltsentwurf für 2013 um 860 Millionen €. Der Personalblock ist mit 22,9 Millionen € oder 38,4 % der gesamten Haushaltsmittel insgesamt der größte Ausgabenblock. Die Mittel für das Personal der Hochschulen sind darin nicht einmal enthalten.
Es gibt im Haushaltsentwurf 2013 im Saldo gegenüber dem Vorjahr keinen Zuwachs an Stellen. Was die Kommunen angeht – dazu wird der Kollege Ralf Jäger nachher mehr sagen –, ist zu sagen, dass jeder dritte Euro der Gesamtausgaben des Landes in die Kommunen geht, 8,6 Milliarden € über das Finanzierungsgesetz und noch einmal 8,75 Milliarden € an Zuweisungen aus dem Landeshaushalt mit einer Reihe von Zuwächsen in diesem Haushalt 2013.
Dann sind wir bei den Bildungsausgaben: Die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Ausbildung der Kinder und Jugendlichen in unserem Land behalten ihren großen Stellenwert. Deshalb stellen wir für die frühkindliche Bildung 112 Millionen € an zusätzlichen Mitteln zur Verfügung. Wir stellen insgesamt 1,9 Milliarden € mehr als 2012 zur Verfügung. Darin sind Mittel für 144.000 U3-Plätze enthalten, um den ab dem 1. August 2013 geltenden Rechtsanspruch abzusichern. Wir tragen auch Sorge dafür, dass im Kindergartenjahr 2013/2014 noch 100 zusätzliche Familienzentren in sozialen Brennpunkten geschaffen werden. Damit setzen wir ein klares Signal.
Die schulische Bildung bindet auch im Jahr 2013 die meisten Ressourcen im Landeshaushalt. Mit 15,1 Milliarden € ist das der ausgabenintensivste Block im Bereich der Bildung. Die Zusicherung, dass Demografiegewinne bis 2015 im Bildungssystem bleiben, gilt natürlich auch für das, was wir in diesen Haushalt 2013 hineingeschrieben haben.
Durch gesetzliche Verpflichtungen steigen darüber hinaus die Zuschüsse an die Hochschulen um 109 Millionen € und die Aufwendungen im Rahmen des BAföG. Insgesamt sind es 175 Millionen €. Außerdem erhalten die Hochschulen zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze 530 Millionen € mehr als im Jahr 2012. Von diesem Betrag bezahlt der Bund die Hälfte.
Das ehrgeizige Ziel einer schrittweisen und nachhaltigen Konsolidierung der Landesfinanzen lässt sich vor dem Hintergrund vieler unbeeinflussbarer Ausgabenpositionen nur erreichen, wenn die Ressorts ihre Expertise und ihre Erfahrungen aus dem Haushaltsvollzug jedes Jahres mit in die Entwicklung einbringen. Das stellt der Entwurf wie in den vergangenen Jahren dadurch sicher, dass die Ministerien eine globale Minderausgabe von 270 Millionen € zu erwirtschaften haben. Wir haben weiter eine globale Minderausgabe von 550 Millionen € im Einzelplan 20, die wir wie in den vergangenen Jahren auch im Haushaltsvollzug des laufenden Jahres 2013 erwirtschaften wollen.
Auch wenn wir alle Möglichkeiten nutzen, die Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerledigung zu steigern, und auch dann, wenn wir eine maßvolle Mehrbelastung starker Schultern auf den Weg bringen, wird trotzdem – das muss ich an dieser Stelle allen sagen – nicht alles, was von Fachkreisen für unabdingbar und unbedingt notwendig gehalten wird, von den verfügbaren Einnahmen gedeckt werden können. Das heißt im Klartext: Wir werden nicht nur auf vieles Wünschenswerte in den kommenden Jahren verzichten müssen, wenn wir den Haushalt ausgeglichen gestalten wollen. Wir können uns nicht einmal alles Notwendige leisten, und das umso weniger, als uns auf der Bundesebene Einnahmeverbesserungen verweigert werden.
Die Steuereinnahmen, die das Land aus den gegebenen Steuergesetzen uns aus der Gestaltung der Steuergesetze erhält, sind im Oktober erneut geschätzt worden. Auf dieser Grundlage planen wir für 2013 Steuereinnahmen von 44,8 Milliarden €. Das ist gemessen an den konjunkturellen Erwartungen ein vorsichtiger Ansatz. Wenn das Jahr 2012 plangemäß mit Steuereinnahmen von 43,1 Milliarden € abschließt – nichts deutet darauf hin, dass wir darunter bleiben –, dann ist das eine Steigerung von 4,9 % gegenüber dem Jahr 2011. Vor dem Hintergrund dieser Folie zeigt sich, dass die Planung für das Jahr 2013 mit einem Plus von 4 % natürlich darunter bleibt, weil wir damit rechnen müssen, dass sich die Konjunktur ein wenig abkühlt.
Auch wenn diese Abschwächung zur erwarten ist, sind wir doch zuversichtlich, diesen Ansatz erwirtschaften zu können, weil der private Konsum und vor allem ein stabiler Arbeitsmarkt die Steuereinnahmenbasis stabil halten. Wenn auch gebremst, so wird es einen Zuwachs geben. Man muss hinzufügen: Das ist im Sprachgebrauch der Opposition und mancher, die darüber berichten, dann wieder einmal eine Rekordsteuereinnahme, mit der wir rechnen. Das ist richtig. Aber man muss auch sagen, dass das normal ist. In einer wachsenden Wirtschaft bei einem wachsenden Bruttoinlandsprodukt sind wachsende Steuereinnahmen normal, und es muss auch wegen der ebenfalls steigenden Preise und Kosten wachsende Steuereinnahmen geben. Alles andere würde nämlich zu einer Erweiterung des Abstandes zwischen Ausgaben und Einnahmen führen. Das ist in einem Staat nicht anders als in den Haushalten kleiner oder großer Unternehmen. Auch die müssen bei steigenden Preisen mehr Umsatz erwirtschaften, wenn Sie ihre Rentabilität halten wollen.
(Christian Lindner [FDP]: Beste Argumente für die Abschaffung der kalten Progression!)
– Dazu komme ich noch.
Meine Damen und Herren, unsere mittelfristige Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2016 macht deutlich, dass sowohl der aktuelle Haushaltsentwurf als auch die verabredeten Einsparungen zusammen mit den geplanten Investitionen Bausteine zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalts im Jahre 2020 sind. Ich verschweige dabei nicht, dass in dieser Planung noch erhebliche Globalpositionen stecken, die wir auflösen müssen. Dass sie aufzulösen sind, ist eine gesetzte Entscheidung. So vorzugehen, halte ich jedenfalls für einen viel ehrlicheren Weg als das, was die Bundesregierung macht, die das, was eigentlich Globalpositionen sind, mit schönen Titeln belegt, zum Beispiel mit Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, die schon seit Jahren darin enthalten sind, als es noch nicht einmal eine Gruppe von Staaten in der EU gegeben hat, die sich überhaupt darauf verständigt hätte, sie einzuführen.
Ein solches Vorgehen wähle ich nicht. Ich sage vielmehr ganz klar, welcher Teil im Haushalt in den nächsten Jahren noch zu erwirtschaften ist, um die Schuldenbremse einzuhalten, und der nach und nach mit realistischen Ansätzen und realistischen Entscheidungen zu belegen ist.
Wir haben mit der mittelfristigen Finanzplanung von 2014 bis 2016 beschlossen, die strukturelle Neuverschuldung weiter schrittweise abzubauen. Wenn ich es mache wie der Bund und von der strukturellen Neuverschuldung rede, gehört dazu, dass ich das, was ich an Altlasten von der WestLB bei Phoenix und bei der EAA übernommen habe – dazu kann ich auch noch eine Kleinigkeit sagen –, erst einmal herauslasse.
Dann wird erst deutlich, dass wir im Jahr 2014 auf eine Neuverschuldung von 2,4 Milliarden € kommen werden. Wir werden im Jahr 2015 1,9 Milliarden € erreichen und im Jahr 2016 auf 1,6 Milliarden € kommen. Das ist ein Abbaupfad, der den konsequenten Weg zur Null im Jahr 2020 deutlich erkennen lässt –
(Lachen von Lutz Lienenkämper [CDU])
auch wenn der Haushalt zwischen den Jahren 2014 und 2016 eben noch mit drei Tranchen aus der Abdeckung der Phoenix-Garantie belastet werden muss, nämlich mit 900 Millionen € im Jahr 2014, 705 Millionen € im Jahr 2015 und noch einmal 850 Millionen € im Jahr 2016.
Das ist keine Überraschung, wie von der Opposition gerne vorgespielt wird, sondern die Folge der Vereinbarungen, die die schwarz-gelbe Vorgängerregierung mit den Sparkassen getroffen hat – und zwar mit einer gewollt deutlich höheren Mehrbelastung des Landes gegenüber den Sparkassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung des Vorjahres gibt es auf diese Art, wenn man sich die Zahlen anschaut, noch einmal erhebliche Fortschritte. Dazu tragen Ideen und Beiträge bei, die das Effizienzteam erarbeitet hat. Deshalb wird das Effizienzteam die Landesregierung weiterhin mit konkreten Optimierungs- und Einsparvorschlägen unterstützen. Wir wollen nicht mit dem Rasenmäher sparen. Wir werden Effizienzgewinne durch Aufgabenkritik und durch Aufgabenanalyse erschließen.
Dazu gehört auch die kritische Überprüfung von Förderprogrammen. Sie werden unter Beteiligung der NRW.BANK daraufhin überprüft, ob Umstellung auf Darlehensvergabe möglich und sinnvoll ist und wo man auf diese Art Zuschüsse im Landeshaushalt einsparen und damit einen anderen Reiz zum ökonomischeren Umgang mit diesen Fördermitteln geben kann, der gleichzeitig den Landeshaushalt entlastet, die Ziele aber trotzdem erreichbar sein lässt.
Auf Basis von Empfehlungen des Effizienzteams sieht der Haushaltsentwurf 2013 schon vor, dass in diesem Bereich Einsparungen
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Strukturell!)
– strukturelle Einsparungen – von 152 Millionen € realisiert werden, die sich durchtragen und dann Jahr für Jahr schon eine Entlastung der kommenden Haushalte sind. Zwei Drittel dieser Einsparungen werden durch eine Kürzung des Ausgabenvolumens von Zuschüssen realisiert, ein Drittel wird durch die Umstellung auf die Darlehensgewährung im Rahmen der Förderprogramme der NRW.BANK realisiert.
Diese Prüfung, die das Effizienzteam unternimmt, erfasst auch den gesamten Bereich der EU-Förderung. Auch hier haben wir das Ziel, dass die zuschussbasierte Förderung auf eine Darlehensgewährung umgestellt wird. Soweit es zweckmäßig und möglich ist, sollen revolvierende Finanzierungsinstrumente dafür eingesetzt werden.
Bei der sozialen Wohnraumförderung unter Berücksichtigung auch der Auswirkungen, die sich durch den demografischen Wandel ergeben, wird die Zweckbestimmung erweitert und die Förderung unter Einbindung institutioneller und privater Eigentümer stärker auf der Basis der kommunalen Handlungskonzepte erfolgen.
Die Aufgabenkritik wird alle Aufgabenbereiche der Landesverwaltung erfassen. Wir werden sämtliche Maßnahmen und alle vorhandenen Strukturen der Landesverwaltung, aber auch bei den Sondervermögen und bei den Landesbetrieben auf Effizienzreserven überprüfen. Wir haben das Ziel, Personal- und Sachkosten sowie Mietkosten für Nutzflächen zu senken und Effizienzpotenzial zu heben, wo es gegeben ist. Einen ersten Schritt in diese Richtung werden wir zum Beispiel mit der Zusammenlegung der Oberfinanzdirektionen vollziehen.
Mit diesem Haushalt, meine Damen und Herren, setzen wir weiter auf die richtigen Schwerpunkte. Wir sparen,
(Henning Rehbaum [CDU]: Wo denn?)
aber wir sparen nicht kaputt. Das geht auch, wenn Sie sich anhören, was der Bundesfinanzminister bei der Einbringung zu seinen Haushalten gesagt hat, in die Richtung, dass man mit dem, was man an Einsparungen vornimmt, auch darauf zu achten hat, wie weit das in einer labilen Konjunktursituation Probleme verschärft oder Probleme zu lösen hilft.
Wir erdrosseln auch nicht die stabile wirtschaftliche Grundlage unseres Landes. Sie ist Voraussetzung für einen leistungsfähigen Staat, wie auch ein leistungsfähiger Staat Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen selbstbestimmt zu einer guten Bildung, aber auch zu Wohlstand kommen können. Die Aufgabe des Staates ist es, Chancen für alle zu produzieren. Das macht man nicht, indem man Mittel kürzt, die den Aufstieg ermöglichen, sondern man muss effizient investieren und dafür sorgen, dass Menschen, die sonst in die Transferempfängergruppe gedrückt zu werden drohen, zu Steuerzahlern werden. Das hilft selbst denen, die sich über den Länderfinanzausgleich beklagen und dagegen klagen wollen.
Diese Investitionen unternehmen wir. Aber das alles geht eben nicht gegen eine Bundesregierung, die offenbar ganz andere Zielgruppen im Auge hat. Dazu kann ich nur sagen: Ich werde heute Nachmittag an der Sitzung des Vermittlungsausschusses teilnehmen. Je mehr ich mich im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss mit den Details der Arbeit dieser Bundesregierung beschäftige, desto mehr stoße ich auf zahllose Fälle von glattem Etikettenschwindel.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von Christian Möbius [CDU])
Hier geißelt eine schwarz-gelbe Opposition fehlende Einschnitte für die einfachen Bürgerinnen und Bürger, drückt sich aber ein ums andere Mal um konkrete Vorschläge.
(Christian Lindner [FDP]: Das ist doch Wahlkampfrhetorik!)
Da heißt es: Ihr müsst wieder 1,5 % beim Personal kürzen. – Sie verschweigen dabei, dass Sie in Ihrer Regierungszeit 90 % des Personals ausgenommen und die 1,5 % nur noch auf 10 % angewendet und dort Spuren hinterlassen haben, an denen wir heute an allen Ecken und Enden kranken.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
In Berlin dagegen bedienen Sie klammheimlich eine wohlhabende Wählerklientel und nennen das Wachstumsbeschleunigung,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Bürokratieabbau oder – jetzt kommt‘s – Minderung der kalten Progression. Bezahlen müssen am Ende immer auch der nordrhein-westfälische Steuerzahler und die nordrhein-westfälische Steuerzahlerin mit ihren Anteilen am Bundeshaushalt, aber eben auch an diesem Landeshaushalt und vor allen Dingen an den Haushalten der Kommunen.
Statt ihnen zu sagen, dass es die ganz normalen Steuerzahler sind, die Ihre konsequente Umverteilung von unten nach oben bezahlen müssen, gaukeln Sie immer wieder vor, Sie würden Politik für die kleinen Leute machen. Sie entlasten Hoteliers – das ist ein alter Hut, aber es ist einer, der jedes Jahr wieder auftaucht,
(Widerspruch von der CDU)
weil er jedes Jahr alleine 100 Millionen € Steuerausfall allein im nordrhein-westfälischen Landeshaushalt verursacht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie wollen heute im Vermittlungsausschuss Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen verkürzen. Da sagt selbst die Bundesregierung: Das macht Mindereinnahmen von 1 Milliarde € – 100 Millionen € für den nordrhein-westfälischen Landeshaushalt – aus, weil Beweismittel vernichtet werden können, die zur Einholung der Steuern führen würden, die nach Gesetz zu zahlen wären.
Sie haben im Rahmen des Jahressteuergesetzes vor, dass Verluste in zwei EU-Staaten doppelt in Anspruch genommen werden können. Niemandem leuchtet ein, dass es eine Regelung gibt, bei der im Ausland jenseits der EU eine doppelte Verlustnutzung nicht möglich ist, während wir im EU-Binnenmarkt die Möglichkeit schaffen, an mehreren Stellen gleichzeitig denselben Verlust geltend zu machen und von der Steuer abzusetzen. Das nennen Sie Bürokratieabbau.
Was Sie Abbau der kalten Progression nennen – das ist schon angesprochen worden –, führt zu Einnahmeausfällen im Landeshaushalt von mindestens 100 Millionen € im Jahr, wenn ich die verfassungsrechtlich gebotene Erhöhung des Grundfreibetrages schon herausrechne und selbst wenn ich herausrechne, dass der Bund 2 Milliarden € an diesem Geschäft selber tragen will. Es sind noch einmal 2 Milliarden €, an denen auch nordrhein-westfälische Steuerzahler beteiligt sind. Das wird durch Einsparungen und durch Kürzungen erwirtschaftet, die am Ende diese Gruppe von Steuerzahlern auch treffen werden.
Selbst wenn der Bund 2 Milliarden € Steuerausfall selbst übernimmt, dann muss man sich einmal angucken, wie das mit dem Grundfreibetrag ist. Der kostet 2 Milliarden € Steuermindereinnahmen. Davon kommen gerade 10 % denen zugute, für die der Grundfreibetrag erhöht worden ist. 20 % – 400 bis 500 Millionen € – werden denen zugutekommen, die ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 50.000 € haben.
Hier so zu tun, als ob die 2 Milliarden € Mindereinnahmen etwas für die kleinen Leute seien und dass man jetzt noch weiter vorgehen müsse, um im Mittelbereich Steuern abzubauen, das ist wirklich ein Etikettenschwindel sondergleichen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn man sich dann noch anguckt, dass sich der Finanzminister in Berlin auch an Einnahmensteigerungen bedient – aber nicht dadurch, dass starke Schultern in Anspruch genommen werden, sondern mit einem Griff in die Kassen von Sozialversicherungen und KfW, was am Ende wiederum auch Programme und Menschen in Nordrhein-Westfalen trifft –, dass er nicht bereit ist, zu sagen, dass er den Beitrag von Großeinkommensbeziehern und Großvermögenden braucht, und er dazu auch noch fordert, dass wir im Land auf die Versäumnisse alleine mit Ausgabensenkungen reagieren, dann raten Sie mal, wen das trifft! Es trifft immer wieder die Kleinen, für die dann die Ausgaben gekürzt werden, und es trifft nicht die Großen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Besonders perfide finde ich, dass Sie die oberen Einkommen immer wieder mit diesen kaum spürbaren kleinen Elementen in Jahressteuergesetzen, in Formulierungen von Gesetzen entlasten – immer mit der Begründung, es gehe um Bürokratieabbau, man müsse es vereinfachen, und immer mit der Begründung, man tue etwas für das Wachstum. Und dann lässt man sich von denen feiern, denen man dabei in die Tasche greift.
Es ist kein Wunder, dass Sie bei so viel versuchter Verdummung glauben, eine weitere Legende nachschieben zu müssen. Das ist die von den Steuermilliarden – sie wird gleich wieder kommen –, mit der man den Haushalt von einem auf den anderen Tag sanieren kann, wenn man das Abkommen mit der Schweiz unterschreibt, ihm zustimmt. Dazu ist im Prinzip alles gesagt. Es ist ein unmoralisches Angebot an Steuerhinterzieher.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Das werden wir ablehnen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir sind nicht der Meinung, dass man Steuerhinterzieher, die das über Jahrzehnte betrieben haben, mit Sonderrabatten davonkommen lässt. Wir sind auch nicht der Meinung, dass ein solches Gesetz in einen Deal gepackt werden kann, bei dem uns der Bundesfinanzminister Geld von ehrlichen Steuerzahlern dafür anbietet, dass wir die unehrlichen Steuerzahler laufen lassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deswegen werden wir das heute als A-Länder, als Länder, die rot-grüne oder grün-rote Landesregierungen haben, geschlossen ablehnen.
Ich will mir noch einen Hinweis erlauben, damit nicht immer die alte Geschichte von der Taube auf dem Dach und dem Spatz in der Hand übrig bleibt. Ich erlaube mir den Hinweis, dass dem von Ihnen behaupteten Milliardenverzicht auf Steuernachzahlungen im Ergebnis nicht nur mehr Steuergerechtigkeit gegenübersteht, sondern ihm steht auch ein satter Gewinn für das Gemeinwesen gegenüber, weil wir nicht die Hand dafür heben, dass künftig wieder unversteuerte Millionen-Einnahmen sorglos in die Schweiz gebracht werden können und an dieser Stelle viel mehr Ausfall entsteht
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
als das, was vorher mit überhöhten Zahlen angeboten wird.
Unser Weg ist ein gänzlich anderer. Wir werden in diesem Punkt der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, europäisch und international abgestimmt, für eine wirksame Durchsetzung einer angemessenen Steuerpflicht für alle sorgen, die die Leistungen unseres Allgemeinwesens in Anspruch nehmen. Und wir werden im Bundesrat und spätestens mit einer anderen Bundesregierung die Grundlagen dafür schaffen, dass Konsolidierung, dass Sparen, dass Investieren und Einnahmenerzielung in ein anständiges Gleichgewicht kommen.
Wenn Sie sich einfach einmal ansehen, dass nach Schätzungen unterschiedlichster Institutionen Jahr für Jahr rund 30 Milliarden € durch Steuerhinterziehungen am Fiskus vorbeigehen, dann können Sie sich ausrechnen – die Hälfte davon ist für den Bund –, dass das die Kreditaufnahme des Bundes erheblich decken würde. Wenn ein Zehntel, wie es üblich ist, für das Land Nordrhein-Westfalen wäre, dann wären es 3 Milliarden €, die unsere Finanzplanung erheblich verändern würden. Dass das nicht erreicht wird, dafür zahlen die Ehrlichen. Deswegen geht es darum, dass wir an dieser Stelle alles unternehmen, um diese Lücken zu schließen.
Wenn man das Land Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang immer wieder als ein Land hinstellt, das im Länderfinanzausgleich zu den Bittstellern gehört, dann bin ich einmal gespannt, wie auf dem Weg zur Erreichung der Schuldenbremse im Jahre 2020 die Diskussion vonstattengeht, was wirklich von einem in ein anderes Land fließt.
Wenn am Ende des Jahrzehnts die Rechnungen aufgemacht werden müssen, nachdem alle Verträge, die wir eingegangen sind, auch einzuhalten sind, wird sich deutlich zeigen, an wie vielen Stellen das Land jetzt mit seiner Wirtschaftskraft dazu beiträgt, dass sich andere entwickeln können – andere, die sich zum Teil heute hinstellen und sagen: Guckt mal, wie viel wir schon in der Haushaltskonsolidierung erreicht haben! Das haben sie mit Mitteln erreicht, zu denen auch wir beigetragen haben! – Es geht darum, den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland ins Gleichgewicht zu bringen. Daran werden wir uns beteiligen.
Dieser Haushalt ist gemessen an den derzeitigen Rahmenbedingungen ein großer Schritt in die richtige Richtung. Darüber sollten wir in den nächsten Monaten heftig, sachlich, aber auch ergebnisorientiert debattieren. – Herzlichen Dank.
(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister, für die Einbringung. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile für die CDU Herrn Fraktionsvorsitzendem Laumann das Wort.
Karl-Josef Laumann (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Meine Damen und Herren! Ich war auf diesen Haushaltsentwurf 2013 sehr gespannt – und zwar deswegen, weil es Ihr erster Haushaltsentwurf ist, den Sie im Kabinett und in den Ministerien mit der sicheren Gewissheit aufstellen konnten, für diesen Haushalt eine eigenständige Mehrheit zu haben.
(Zuruf von den GRÜNEN: Ja!)
Sie brauchten bei der Erstellung des Haushalts nicht ganz weit nach links zu schauen – zu einer Fraktion, die es jetzt im Landtag nicht mehr gibt.
(Zuruf von der SPD: Wir brauchen aber auch nicht nach rechts zu schauen! – Weitere Zurufe von der SPD)
Sie brauchten auch nicht darauf zu hoffen, dass die FDP zustimmt, sondern Sie konnten vorschlagen, was Sie wollten. Deswegen müssen Sie sich sagen lassen, dass dieser, von ihnen vorgeschlagene Haushalt eins zu eins Ihr haushaltspolitisches Gesicht darstellt.
(Beifall von der CDU)
Es zeigt, wie Sie mit Blick auf die nächste Generation die Gegenwart gestalten wollen.
Ich muss Ihnen leider sagen: Bei der Lektüre des Haushalts wurde ich immer enttäuschter.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
Ich bin mit Blick auf die Zukunftschancen der nächsten Generation entsetzt,
(Beifall von der CDU)
und ich bin, was Ihre Treue zu unserer Verfassung angeht, ratlos.
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Schließlich, Frau Kraft, haben unsere beiden Parteien 2009 die Schuldenbremse im Deutschen Bundestag beschlossen. Wir beide gehörten damals schon den jeweiligen Gremien unserer Bundespartei an. Solide Politik hat auch damit zu tun, dass man dann, wenn man regiert, zu dem steht, was damals abgemacht wurde.
Dieser Haushalt erinnert mich an eine kleine Episode im vergangenen Landtagswahlkampf. Da gab es ein Plakat mit einem Slogan: „Currywurst ist SPD“. Ich kann nur sagen: Zu diesem Haushalt passt: „Durchwursteln ist Ihr Programm“.
(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD)
Wie Sie Ihren Haushaltsentwurf einbringen, werden Sie die Zukunftschancen der jungen Generation verspielen und die Schuldenbremse niemals erreichen.
Jetzt zu den Fakten:
(Zuruf von der SPD: Was war das denn bisher?)
2011, im ersten Jahr Ihrer Regierung, hat dieses Land 3 Milliarden € neue Schulden gemacht. 2012 sind es 3,3 Milliarden €.
(Zuruf von der SPD: Und davor?)
2013 werden es 3,5 Milliarden € sein.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Sagen Sie doch mal, wie viele Schulden es 2010 waren!)
Wie wollen Sie denn mit einer steigenden Linie der Neuverschuldung jemals die Schuldenbremse einhalten? Wie wollen Sie mit einer steigenden Linie der Neuverschuldung die Interessen der jungen Generation wahren?
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Die Zahlen in Ihrem Haushaltsentwurf beruhen auf Hoffnungswerten. Immerhin weisen Sie 160 Millionen € globale Mehreinnahmen und 800 Millionen € globale Minderausgaben aus. Das heißt: Bei einer Milliarde, die in diesem Haushalt steckt, kann man dem Haushalt nicht entnehmen, woher sie kommen soll oder wo sie eingespart werden soll.
Was das für das Parlament und für die Seriosität der Haushaltsberatungen heißt, darüber will ich jetzt gar nicht reden. Wenn Sie einen Haushaltsplan vorlegen, in dem eine Milliarde steht, von der man nicht weiß, wo sie eingespart werden soll oder woher sie kommt, sage ich: Das kann kein solider Haushalt sein. Und wenn es diese Milliarde nicht gäbe, hätten Sie eine Neuverschuldung von 4,5 Milliarden € in diesem Haushaltsentwurf stehen!
(Beifall von der CDU und der FDP – Martin Börschel [SPD]: „Hätte“, „wäre“, „wenn“ und „aber“! – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie das gemacht haben: Die Investitionsgrenze dieses Haushalts liegt bei 4,3 Milliarden €. Damit liegt auch die Verfassungsgrenze bei 4,3 Milliarden €. Das heißt: Sie halten die Verfassungsgrenze unseres Landes nur, weil Sie letztlich mit globalen Mehreinnahmen und globalen Minderausgaben tricksen.
(Beifall von der CDU)
Wenn das weitsichtige Politik und die Weitsicht, Frau Kraft, Ihres Kabinetts ist, dann waren, würde ich sagen, die Menschen im Tal der Ahnungslosen sehr weitsichtige Menschen.
Ein Vorteil, den unsere föderale Grundordnung hat, besteht darin, dass man im Föderalismus Vergleiche machen kann. In diesem Jahr schreiben sechs Länder bei den gleichen bundespolitischen Bedingungen eine schwarze Null:
(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern
(Zuruf von den GRÜNEN: Wie viel bekommen die denn von uns?)
und Baden-Württemberg. Und auch andere Länder haben einen konkreten Plan und abfallende Schuldenlinien, um das Ziel 2020 zu erreichen. Nur bei uns in Nordrhein-Westfalen gibt es eine steigende Schuldenlinie. Vor wenigen Tagen fand ich auf einem Kalender einen schönen Spruch, der heißt:
„Der Willige sucht Wege, um das Unmögliche zu erreichen. Der Unwillige sucht Gründe, um das Mögliche zu verhindern.“
SPD und Grüne können sich aussuchen, zu wem sie gehören.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Trotz der vielen Schulden und höchster Steuereinnahmen werden im kommenden Jahr gerade unsere Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen zu Tausenden im Stich gelassen.
Nach dem, was wir heute wissen – Sie wissen es genauso gut wie ich –, fehlen für den doppelten Abiturjahrgang rund 18.000 Studienplätze. Um ein Beispiel zu nennen: alleine in Köln 1.000. Es fehlen gute Rahmenbedingungen für diesen doppelten Abiturjahrgang und für ein gutes Studium. Ich sage nur: Wenn Sie die Studienbeiträge nicht abgeschafft hätten, hätten die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen rund 50 Millionen € mehr zur Verfügung.
(Beifall von der CDU und der FDP – Hans-Willi Körfges [SPD]: Röttgen!)
Ich möchte einen weiteren Punkt nennen. Mit Stand heute fehlen uns in Nordrhein-Westfalen mindestens 27.000 U3-Plätze, um im August die 32 % zu erreichen. Sie wissen ganz genau, dass der Bedarf vielerorts höher liegt. Es ist doch schon jetzt klar, dass unter Ihnen der weitere Ausbau und das Ziel nur zu erreichen sind, wenn Sie schlicht und ergreifend die Gruppen vergrößern und damit die Qualität vermindern.
(Beifall von der CDU und Christian Lindner [FDP])
Ihr Fehler war: Baustopp nach der Regierungsübernahme. Aber Ihr Fehler war auch: Sie haben das Vorziehen der Einschulung wieder rückgängig gemacht und hierbei nicht für ausreichend Erzieherinnen und Plätze gesorgt.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Derzeit gibt es eine Debatte, die viele Menschen in unseren Schulen, viele Eltern und viele Kommunalpolitiker beunruhigt, nämlich die Debatte über die Pläne zur Inklusion. Bislang kann niemand den genauen Weg erkennen, wie die Unterstützung der besonders förderbedürftigen Kinder im Regelschulwerk verlässlich gestaltet wird.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Mit diesem Thema sollten wir alle sehr vorsichtig umgehen. Ich möchte die Inklusion. Aber sie muss auch gelingen.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Deswegen rate ich, dass wir in kleineren Schritten vorangehen sollten
(Zuruf von der SPD: Wie bei G8?)
und dass wir Inklusion aufbauend begreifen sollten. Wir machen heute schon eine Menge in unseren Kindergärten. Da können wir noch mehr machen. Wir sollten es dann in den Grundschulen fortsetzen und anschließend sehen, was im Regelschulsystem geht. Aber das jetzt mit der Brechstange durchzuziehen,
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Wer macht das denn?)
da habe ich große Bedenken. Die ganze Landschaft ist deswegen in tiefer Sorge.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn ich diese Situation bei unseren jungen Menschen, von den U3-Plätzen über die Studienplätze bis hin zur Inklusion, betrachte, dann finde ich, dass Rot-Grün das Gerede von präventiver Politik sein lassen sollte. Sie haben höchste Steuereinnahmen, machen die höchste Neuverschuldung und haben trotzdem für unsere jungen Leute keine optimalen Voraussetzungen in Nordrhein-Westfalen geschaffen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Wenn ich auf unseren Haushalt blicke, dann bewegt mich eine zweite Frage sehr: Was bedeutet eigentlich die Demografie für die Entwicklung unserer Haushalte und die Fähigkeit der nachfolgenden Generation, unsere Schulden abzubezahlen und gleichzeitig ihre Gegenwart zu gestalten?
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen alle, dass die Anzahl der Menschen, die in Deutschland und Nordrhein-Westfalen leben und zwischen 50 und 60 Jahre alt sind, doppelt so groß ist wie die Anzahl unserer Kinder zwischen fünf und 15 Jahren. Das heißt, dass die Anzahl der Erwerbspersonen und damit auch die Anzahl der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abnehmen wird, denn 80 % der Menschen, die in Ruhestand gehen, erhalten ihre Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, und diese Menschen sind aufgrund der Rentenhöhe und der Besteuerung der Renten in der Regel keine Steuerzahler mehr.
Es werden mehr Menschen als heute für die Gesundheitsversorgung, für Pflegedienstleistungen und für haushaltsnahe Dienstleistungen gebraucht. Ganz viele, auch konservative Wissenschaftler sagen, dass das jährliche Wachstum kleiner sein wird als in den vergangenen Jahrzehnten. Um es ganz einfach zu sagen: Die Gefahr ist groß, dass aufgrund der Demografie die nachfolgende Generation nicht mit den Wachstumsraten rechnen kann wie unsere Generation.
Das heißt doch auf der anderen Seite, dass wir die Schulden, die wir heute machen, um unsere Gegenwart zu finanzieren, und deren Zurückzahlung wir in die Zukunft verlegen, einer Generation zumuten, die vielleicht nicht einmal die Wachstumsraten unserer Generation hat. Die Wachstumsraten der nachfolgenden Generation werden wahrscheinlich nicht ausreichen, um die aufgrund dieser unsoliden Finanzpolitik gemachten Schulden zurückzuzahlen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Meine Damen und Herren, es tut mir leid, dass ich es so ausdrücken muss. Ich empfinde das als eine Politik mit einem gestörten Verhältnis zur Verantwortung.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn man in Ihrer Finanzplanung liest und blättert, findet man eine interessante Passage, die ich zitieren möchte:
„Die Rückführung des Defizits bis zum Jahr 2020 lässt sich nicht nur durch Einsparungen auf der Ausgabenseite erreichen. Große Ausgabenpositionen wie die Personalausgaben, die mit rund 40 % den größten Ausgabenblock auf der Ausgabenseite darstellen, sind bereits festgelegt und stehen damit kurzfristig nicht zur Disposition.
Für eine Haushaltskonsolidierung, die ohne Lastenverschiebung auf Dritte auskommen soll, ist es daher auch notwendig, die Einnahmebasis des Landes zu stabilisieren und strukturell zu stärken.“
So weit das Zitat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenig später sagen Sie, dass Sie auf Bundesebene den Spitzensteuersatz erhöhen, die Vermögensteuer einführen und die Erbschaftsteuer reformieren wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich fasse diese Auffassung von Politik einmal folgendermaßen zusammen:
Konsolidieren geht nur, wenn sie ohne Lastenverschiebung auf Dritte auskommt. Auf der Ausgabenseite ist in Nordrhein-Westfalen so gut wie nichts mehr zu machen, vor allen Dingen nicht beim Personal. Die Schuldenbremse lässt sich in Nordrhein-Westfalen also nur durch Einnahmeverbesserungen erreichen. Und das ist nicht die Sache des Landes, sondern ausschließlich Sache des Bundes.
Meine Damen und Herren, man könnte sagen, das ist Politik nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“
(Beifall von der CDU)
Noch viel schlimmer ist aber die Aussage, dass Sie haushaltspolitisch in Nordrhein-Westfalen nichts unternehmen und alles auf den Bund schieben wollen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wir sollten einmal eine Debatte ohne ideologische Scheuklappen führen, uns in allen Fraktionen folgende Fragen stellen und in dieser Haushaltsberatung ehrliche Antworten darauf finden:
Wollen Sie den Studenten einen sozial ausgewogenen Beitrag zur Verbesserung der Studienbedingungen zumuten, ja oder nein? Sie haben anscheinend Nein gesagt. Glauben Sie nicht, dass es diesen Beitrag des Landes geben könnte, um zum Beispiel eine Schuldenbremse zu erreichen? – Meine Fraktion wird diese Frage in den Haushaltsberatungen beantworten und dementsprechende Anträge stellen.
(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Wollen Sie von den Eltern einen sozial ausgewogenen Beitrag zu den Kindergärten? Jeder weiß, dass Sie bei der Abschaffung des Kindergartenbeitrages die höchsten Einkommen am meisten entlastet haben.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wollen Sie Demografiegewinne? Unsere Bevölkerung wird aufgrund der demografischen Entwicklung kleiner. Wollen Sie die Verwaltung unseres Landes an diese kleinere Bevölkerung anpassen?
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wollen Sie darüber hinaus Stellen abbauen und entsprechende kw-Vermerke ausbringen? Wollen Sie Förderprogramme kürzen? Denken Sie überhaupt noch über Effizienzgewinne bei den Landesbehörden und Landeseinrichtungen nach?
Ich habe Ihren Parteitag zum Teil in den Medien verfolgt. Wenn ich diese Aussagen und Ihre Reden im Landtag höre, gibt es für Sie eine Gruppe, die Sie einfach als die „Reichen“ bezeichnen. Die sollen für Mehreinnahmen des Staates sorgen, damit alles gut geht.
Ich muss Ihnen jetzt aber einfach diese Frage stellen: Wo fängt für Sie der Reiche an, um das alles zu erreichen? Fängt er bei Steinbrück an oder weit vorher? Wo müssen Sie die Einkommensgrenzen des Reichen ansetzen, wenn Sie alle Ihre Haushalte dadurch sanieren wollen?
Wie wollen Sie mit den Familienunternehmen umgehen? Wie wollen Sie mit Betriebsvermögen umgehen? Wie wollen Sie eine Vermögensteuer in Deutschland einführen, die vor der Verfassung standhält, wenn man alle Probleme kennt, die mit Stichworten wie Einheitswert und Verkehrswert zusammenhängen? Mit welcher Behörde wollen Sie das machen?
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch mit der Grundsteuer und mit der Erbschaftsteuer genauso!)
Ich bin auf eine Bundesratsinitiative von Ihnen gespannt, die in all diesen Fragen Aufklärung bringt. Sie haben sie schon oft angekündigt, aber sie ist ja bis heute nicht da.
Die SPD hat auf ihrem vorletzten Parteitag unter Federführung der nordrhein-westfälischen SPD, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ein Rentenreformprogramm beschlossen. Da hört sich für viele Menschen vielleicht gut an.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das ist gut!)
Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums kostet das fast 70 Milliarden €. Dann sagen Sie bitte auch, woher dieses Geld kommen soll und wo für Sie der Reiche anfangen muss, um das alles zu finanzieren!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich will Ihnen sagen, wo das endet. Am Ende sind Sie mit Abgaben und Steuererhöhungen im Bereich unserer Angestellten und Facharbeiter angelangt, um das alles zu finanzieren. Dann kann ich meinen Kolleginnen und Kollegen nur zurufen: Jungs, haltet euer Portemonnaie fest! Frau Kraft ist politisch zu teuer für unsere Schicht!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Was mich in dieser Auseinandersetzung traurig macht, Herr Kollege Priggen, ist, dass Sie und Ihre Fraktion diese Politik verteidigen und mitmachen. Bei den Grünen war mir der Gedanke der Nachhaltigkeit immer ein sympathischer Ansatz.
(Zurufe: Och! Oh!)
Früher hat man das auch einmal Sparsamkeit genannt. Ich komme eher aus einem Milieu, in dem man das Sparsamkeit nannte.
Noch 2006 hat Ihre Fraktion ein mutiges Papier zur Haushaltskonsolidierung vorgelegt und wollte 1,7 Milliarden € einsparen, Stellen abbauen. Was ist nur daraus geworden? Aber vielleicht haben Sie all dies aufgegeben, weil auch die Häuser, die von Ihren Parteifreunden geleitet werden, in den letzten Jahren einen teilweise drastischen Personalaufbau bekommen haben.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Diese Haushaltsberatung im nordrhein-westfälischen Landtag findet in einer Situation statt, in der uns schlechte Nachrichten aus unserer Industrie erreichen. Wir hoffen sicherlich alle, dass möglichst viel Opel in Bochum bleibt. Aber ob da noch Autos gebaut werden? Zurzeit sieht es so aus, dass Rüsselsheim, Kaiserslautern, Eisenach die Nase vorn haben und vor uns liegen. Man könnte auch sagen: Wir haben verloren.
Ich will das gar nicht personalisieren – das hätten Sie wahrscheinlich gemacht, wenn Sie noch in der Opposition wären –, aber das macht wieder einmal deutlich, dass wir alle guten Arbeitsplätze, die wir in der nordrhein-westfälischen Industrie haben, täglich neu verteidigen müssen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Gestern haben wir in den Nachrichten von den Verlusten bei Thyssen gehört. Ich will auch nicht darüber reden, dass der Weltökonom Steinbrück im Aufsichtsrat von Thyssen sitzt.
(Zuruf von der SPD: Oh!)
– Auf jeden Fall sind die Verluste entstanden, als er da war.
(Lachen von der SPD)
Auch das macht deutlich, dass wir allen Grund zur Sorge haben und unsere industriellen Arbeitsplätze im Auge behalten müssen, obwohl wir stark sind.
Ich will die Arbeitsplätze in verschiedenen Branchen nicht gegeneinander ausspielen.
(Zuruf von der SPD: Aber?)
Aber für uns Arbeitnehmer sind industrielle Arbeitsplätze auch deswegen gute Arbeitsplätze, weil es gute Löhne gibt, die Wertschöpfung hoch ist und die Arbeitsbedingungen in der Regel sehr gut sind.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Unser Land Nordrhein-Westfalen hat seine Stärke durch seine industriellen Arbeitsplätze erlangt. Deswegen müssen wir doch eigentlich als Land alles tun, damit die Stimmung und die Situation für die Industrie in Nordrhein-Westfalen gut sind.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich glaube auch, dass uns das über das unterschiedliche politische Spektrum im Landtag hinweg einen könnte. Dann muss man aber auch dafür stehen, dass die Rahmenbedingungen nicht zu unterschiedlich sind. Deshalb: Klimaschutzpolitik muss man weltweit machen. Man kann sie zwar auch europäisch machen und vielleicht auf Bundesebene den einen oder anderen Akzent setzen, um Vorreiter zu sein. Aber Klimaschutzpolitik auf Bundesländer herunterzubrechen mit der Folge, dass unsere Industrie dann schlechtere Voraussetzungen hat als die in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder Hessen, ist keine Industriepolitik, sondern schlechte Politik, wenn Sie an industrielle Arbeitsplätze denken.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Deshalb, Frau Kraft, wäre es gut, wenn Sie in dieser Frage Herrn Remmel stoppen könnten. Ich schlage Ihnen vor, der Mann soll sich einfach mal darum kümmern, dass Weihnachten die Weihnachtsbäume grün sind. Da hat er Erfolg,
(Zuruf von der SPD: Oh!)
und dann kann er sich nach Weihnachten mit deren thermischer Verwertung beschäftigen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Er soll jedoch unbedingt unsere Industrie in Ruhe lassen. Ich möchte nicht, dass unsere Industrie schlechtere Rahmenbedingungen hat als die in anderen Bundesländern.
Noch einmal: Bochum und die Zahlen von Thyssen machen deutlich, wie wichtig es ist, diese Frage ständig im Blick zu haben.
Als zweitletzte Bemerkung möchte ich gerne einen weiteren Punkt ansprechen. Wir haben hier im Landtag in der letzten Sitzungswoche den Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung debattiert. In den Medien wurde der aus Berlin diskutiert. Diese Berichte zeigen, dass es in unserem Land sehr viel Licht, sehr viel Gutes gibt, aber sie zeigen auch, dass es Schatten gibt. Da darf Politik nicht wegsehen.
Zu Ihrer Haushaltspolitik. – Mit dem demografischen Wandel vor Augen, der jetzt einfach da ist, mit der Veränderung, dass wir niedrigere Wachstumsraten bekommen, sage ich Ihnen: Wenn wir nicht die Kraft besitzen, diese Politik in den nächsten Jahren zu durchbrechen, werden die Armutsberichte der Zukunft wesentlich mehr Schatten als Licht aufweisen. Dafür tragen die die Verantwortung, die jetzt Schulden machen, obwohl es uns wirtschaftlich verdammt gut geht.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich fasse zusammen: Die Neuverschuldung steigt von 3,3 Milliarden in 2012 auf 3,5 Milliarden in 2013. Bis Ende 2016 steigt der Schuldenstand in Nordrhein-Westfalen auf über 146 Milliarden €. Nennenswerte Einsparungen sind in Ihrem Haushalt nicht erkennbar, insbesondere keine Einsparungen beim Personal. Der Stellenbestand sinkt in der Summe um ganze zehn Stellen.
(Zuruf von der CDU: Oi!)
Das sind 0,03 Promille. Das entspricht etwa der Auswirkung des Essens einer Mon-Chéri-Praline auf meinen Körper.
(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von der CDU und der FDP)
Ihr Haushalt enthält Hoffnungswerte von knapp 1 Milliarde €. Ich kann Ihnen heute schon sagen, dass dieses Haushaltswerk ein Haushaltswerk ist, das seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Die Haushaltsberatungen werden vielleicht dadurch spannend, dass man Vorschläge macht, die nicht immer populär sein werden,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wann kommen die denn, Herr Laumann?)
wie man Schritt für Schritt etwas tun kann – auch als Land Nordrhein-Westfalen und nicht, indem man immer nur auf den Bund schielt –, mit dieser Situation fertig zu werden. – Schönen Dank.
(Anhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laumann. – Für die SPD-Landtagsfraktion spricht Herr Kollege Römer.
Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Laumann, ich war wirklich gespannt auf Ihre erste Haushaltsrede als wiedergewählter Oppositionsführer nach der grandiosen Wahlniederlage Ihrer Partei, und ich habe auch sehr genau zugehört. Ich war vor allem deshalb gespannt, Herr Kollege Laumann, weil das heute Ihre fünfte Haushaltsrede in der Opposition gewesen ist, und bin trotz aller Ankündigungen, die Sie vorher gemacht haben, wiederum enttäuscht worden: Kein einziger Vorschlag, wo in diesem Haushalt, wo in der Landespolitik tatsächlich eingespart werden sollte!
(Beifall von der SPD)
Sie bleiben Ankündigungsoppositionsführer; nichts kommt von Ihnen.
(Zuruf von der SPD: Nur Mon-Chérie-Pralinen!)
Weil Sie, Herr Kollege Laumann, darauf hingewiesen haben, dass Konsolidieren nur geht, wenn sie ohne Lastenverschiebung auf andere auskommt, will ich Ihnen sagen: Ja, genau das machen wir. Wir haben, nachdem wir die Landesregierung im Jahr 2010 übernommen haben, aufgehört, eine Lastenverschiebung zulasten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen vorzunehmen, wie Sie es gemacht haben. Das passiert auch in Zukunft nicht mehr.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will Ihnen noch einen Hinweis geben. Weil Sie meinen, wir würden alles auf den Bund schieben und darauf warten wollen, dass der Bund dafür sorgt, dass es notwendige strukturelle Einnahmeverbesserungen auf allen Ebenen staatlichen Handelns gibt, sage ich Ihnen mit aller Ruhe dazu: 2013 ist das Ende von Schwarz-Gelb in Berlin, und dann sehen wir weiter. Dann wird es vernünftig weitergehen, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will mich auf den Haushalt konzentrieren und das aufnehmen, was der Finanzminister zu Recht herausgestellt hat: Dieser Haushalt 2013 ist eine wichtige Weichenstellung, ein Meilenstein auf dem Weg, 2020 die schwarze Null bei der Nettoneuverschuldung zu erreichen. Wir haben uns auf diesem Weg viel vorgenommen. Wir werden das hier noch miteinander zu bereden haben.
Herr Kollege Laumann, die Auswirkungen einer gezielten, mit Augenmaß vorgenommenen Sparpolitik sind auch in diesen Tagen schon sichtbar und hörbar geworden. Wir werden es noch erleben, wenn es darum geht, dass wir auf dem Weg zu einer Nettoneuverschuldung null im Jahr 2020 auch in dieser Legislaturperiode bereits strukturelle Ausgabenminderungen in der Größenordnung von aufwachsend 1 Milliarde € vornehmen wollen. Das bleibt unser Ziel.
Da werden wir folgendermaßen vorgehen, Herr Kollege Laumann, und zwar ganz anders, als Sie das beispielsweise mit Blick auf das Personal vorgeschlagen haben:
Wir werden das gezielt tun. Wir schauen uns die Aufgaben genau an. Wir werden darüber zu reden haben: Welche Aufgaben können effizienter gestaltet werden? Von welchen Aufgaben können wir uns möglicherweise als Land lösen? Das werden wir hier bereden.
Sie sind mit dem Rasenmäher über die Personalkosten hinweggefahren, haben jedoch verschwiegen, dass die 1,5 % Personalkostenreduktion, die Sie vorgenommen haben, nur auf einen kleinen Teil der Beschäftigten konzentriert war, nämlich auf 10 % der Landesbeschäftigten. Damit waren das nur 0,15 %, die Sie eingespart haben, Herr Kollege Laumann, und das mit dem Ergebnis, dass wir in den Bezirksregierungen Personalmangel an wichtigen Stellen hatten. Denken Sie an Envio, denken Sie an die Lebensmittelkontrolle.
Das mussten wir korrigieren, und das tun wir vernünftig, weil wir einen vernünftigen zukunftsfesten öffentlichen Dienst brauchen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, es geht nicht ohne Sparen, aber Sparen ist kein Selbstzweck. Das muss sogar diese Bundesregierung, das muss sogar diese Kanzlerin mit Blick auf Griechenland inzwischen zur Kenntnis nehmen und sich selbst korrigieren.
Meine Damen und Herren, deshalb bleibt es bei unserer Linie: Wir sorgen vor, um zu sparen, und wir sparen, um vorzusorgen. Das ist die Linie, die wir in Nordrhein-Westfalen fahren, und die ist verantwortungsbewusst.
Deshalb verlangt ein solcher Weg der weiteren Haushaltskonsolidierung, bei der Verteilung von Haushaltsmitteln auch klare Prioritäten zu setzen, weil wir die noch knapper werdenden finanziellen Mittel auf die wichtigsten Zukunftsinvestitionen konzentrieren wollen und konzentrieren werden: auf die Zukunftsinvestitionen in die frühkindliche, die schulische und die wissenschaftliche Bildung, in Ausbildung und Qualifizierung, in Förderung von Kindern vor der Schule, in der Schule und nach der Schule. Das ist die wichtigste Zukunftsinvestition in diesem Land. Darauf bauen wir auch zukünftig Wohlstand, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dazu gehört auch, sich ehrlich zu machen. Ja, immer noch gibt es in Nordrhein-Westfalen zu viele Kinder, die ohne Abschluss die Schule verlassen. Im Jahre 2011 waren das immer noch gut 11.000 Kinder, die ohne Hauptschulabschluss aus den Schulen kamen. Deshalb ist doch unser gemeinsames Ziel, dafür zu sorgen, dass kein Kind in Nordrhein-Westfalen zukünftig ohne Abschluss bleibt und dass es für jeden Abschluss auch einen Anschluss gibt.
Eine vernünftige Zielsetzung, meine Damen und Herren, für die es lohnt, Herr Kollege Laumann, auch das nötige Geld in die Hand zu nehmen, für die es lohnt, diese wichtige Zukunftsinvestition zu machen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir brauchen vor allen Dingen an den Schnittstellen, an den Übergängen einzelner Lebensabschnitte eine vernünftige Investition. Wir brauchen sie in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, auch in die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Infrastruktur und in die Unterstützung unserer Städte und Gemeinden.
Herr Kollege Laumann, weil Sie das gerade noch einmal mit Blick auf den notwendigen Klimaschutz gesagt haben und immer noch nicht kapiert haben,
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Ach!)
sage ich es Ihnen noch einmal: Der Klimaschutz und die damit verbundenen Herausforderungen sind auch nach Meinung der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen ein wichtiger Antrieb, ein Fortschrittsmotor und kein Hemmnis auf dem Weg in wirtschaftliche Modernisierung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU]: Was sagt die IG BCE dazu?)
Ich habe ja mit Interesse vernommen, Herr Kollege Laumann, dass Ihre andere Spitze in der CDU – er ist gerade nicht da, der Kollege Laschet – inzwischen Lehren daraus ziehen will, dass die CDU in Nordrhein-Westfalen nach Einschätzung der Bürger in der Wirtschaftskompetenz dramatisch nach unten gegangen ist.
Ich sage Ihnen mit viel Stolz auf unsere eigenen hart erarbeiteten Leistungen in dieser Frage: Dass die Sozialdemokratie in Nordrhein-Westfalen nach der Meinung der Mehrheit der Menschen in der Wirtschaftskompetenz klar vor der CDU liegt, das haben wir uns erarbeitet. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden nicht nachlassen, Industrie, Handwerk, Handel und Mittelstand hier in Nordrhein-Westfalen mit unseren Möglichkeiten fit zu machen für die Zukunft.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dazu gehört auch ein vernünftiger, mit denen zusammen erarbeiteter Klimaschutzplan, Herr Kollege Laumann.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, mit der Ministerpräsidentin, mit dieser Landesregierung wird aufs Engste verbunden: Kein Kind zurücklassen! – Das ist der entscheidende Punkt in Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Laumann, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht. Wir schönen keine Armutsberichte, wie das in Berlin der Fall ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir sagen, was Sache ist. Und wir setzen da an.
Dass das funktionieren kann, zeigen viele gute Beispiele in Nordrhein-Westfalen. Gehen Sie einmal nach Monheim. Reden Sie dort mit der Arbeiterwohlfahrt, die dort ein inzwischen zehn Jahre laufendes Programm „Monheim für Kinder“ angestoßen hat. Das Ergebnis heißt: Es ist nicht nur eine Frage von Finanzen, sondern von Umorganisation auch in vielen Strukturen. Das Ergebnis dort heißt: Es muss weniger ausgegeben werden an Geld für Reparaturen, weil viel mehr in die frühe Förderung gesteckt worden ist. – Das ist entscheidend, Herr Kollege Laumann. Das ist vorsorgende Politik!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn wir uns auf die Priorisierung unserer politischen Inhalte konzentrieren, dann ist neben der Förderung von Kindern, neben der frühkindlichen Bildung, neben der schulischen Bildung auch und besonders wichtig, die kommunalen Finanzen wieder zu stabilisieren. Wir sind in Nordrhein-Westfalen auf dem Weg, alles zu tun, was das Land verantwortbar machen kann.
In dem Zusammenhang will ich Ihnen zwei Zahlen nennen. Sie haben in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung – Sie müssen sich das wieder anhören – die kommunalen Kassen um mehr als 3 Milliarden € beraubt. Wir haben seit 2010 zusätzlich zu dem, was den Kommunen zusteht, 2,5 Milliarden € draufgesetzt für die Kommunen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Weil Sie betreffend den Bund einige Hinweise gegeben haben, Herr Kollege Laumann, die ein bisschen dasjenige schönen, was Sie eigentlich denken, will ich Ihnen auch noch einmal in Erinnerung rufen – ich hätte mir gewünscht, Sie hätten das heute hier auch in diesem Hohen Hause gesagt –, dass Sie doch selbst mit Blick auf die Bilanz dieser Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen sind – ich zitiere Sie aus einem Interview mit dem „Pfalz-Express“ vom 6. Oktober 2012, Originalton Karl-Josef Laumann –: „Es ist bitter, aber wahr: Diese Wahlperiode war sozialpolitisch eine verlorene Wahlperiode.“
(Beifall von der SPD)
Sie haben völlig recht: Das, was in Berlin sozialpolitisch zu verantworten ist, spottet jeder Beschreibung
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
einer sozialpolitischen Kompetenz, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen.
Und das belastet uns doch auch in Nordrhein-Westfalen, in den Ländern insgesamt. Anstatt dafür zu sorgen, Herr Kollege Laumann, dass es jedem Kind – inzwischen wird jedes zweite Kind in Armut hineingeboren –, gelingt, aus der Armutsspirale herauszukommen, macht der Bundesfinanzminister genau das Gegenteil. Er greift, um seinen eigenen Haushalt schönzurechnen, in Töpfe, die ihn normalerweise nichts angingen: bei der Bundesanstalt für Arbeit, bei sozialpolitischen Taten. Das ist doch die Bilanz. Sie haben doch völlig recht: Sozialpolitische Kompetenz gibt es in dieser Bundesregierung nicht, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, Sparen ist ein Baustein im Rahmen einer verantwortungsvollen Haushalts- und Finanzpolitik, ein Baustein, meine Damen und Herren, weil wir – das hat der Finanzminister vorhin noch einmal herausgestellt – auf den Dreiklang von Sparen, von effektiven Zukunftsinvestitionen und von Einnahmeverbesserungen setzen.
In diesem Sinne will ich mit Blick auf den Haushalt darauf hinweisen, Herr Kollege Laumann, dass man Zahlen und damit verbundene Entwicklungen zur Kenntnis nehmen sollte. Man muss das aussprechen, was ist. Es geht um wichtige Kennzahlen des Haushalts 2013.
Gesamtausgaben für Kinder? und Jugendhilfe, Herr Kollege Laumann: 2,227 Milliarden €. Das sind 638,89 Millionen € und damit 40 % mehr als 2010, als Sie die Verantwortung abgeben mussten. Das ist gut angelegtes Geld für die Förderung von Kindern, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir bauen den Ganztag immer weiter aus. Offene Ganztagsschule im Primarbereich: jetzt 334,11 Millionen €, also 40,4 Millionen € mehr als 2010. Das ist eine Steigerung um 14 % und gut angelegtes Geld für die Förderung von Kindern in der Schule. Sie sollten es wenigstens zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege Laumann, loben müssen Sie uns dafür nicht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herrn Laschet sehe ich immer noch nicht.
(Christian Lindner [FDP]: Wen sehen wir denn alles nicht? Wo ist denn das Kabinett? – Weitere Zurufe von der CDU)
Weil er die Verantwortung als Integrationsminister hatte, will ich ihn darauf hinweisen, dass für die gesellschaftliche Teilhabe und Integration Zugewanderter 27,3 Millionen € im Haushalt 2013 stehen. Das sind mit 8,4 Millionen € 45 % mehr als 2010.
Anhand dieser Eckdaten aus dem Haushalt 2013 wird deutlich: Wir machen vernünftige Zukunftsinvestitionen. Wir legen das Geld gut an. Es wird auch Rendite bringen, meine Damen und Herren. Diese Investitionen sind gut angelegt für Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Für die Kommunen – die dritte Priorität, die wir uns gesetzt haben – gilt selbstverständlich, dass wir sie weiterhin unterstützen. Rund 30 % der bereinigten Gesamtausgaben des Landes, also fast jeder dritte Euro der staatlichen Ausgaben, kommt inzwischen den Kommunen zugute. Nachdem bereits – darüber wird gleich noch zu reden sein, meine Damen und Herren – das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 mit rund 8,4 Milliarden € die historisch höchste Summe aufwies, unterstützt das Land die Kommunen 2013 mit rund 8,7 Milliarden €.
Ich wiederhole noch einmal das, was ich vorhin schon angedeutet habe: Seit Bildung der rot-grünen Landesregierung 2010 werden die Kommunen wieder voll an den Steuermehreinnahmen des Landes beteiligt. Das Land, Herr Kollege Laumann, hat den Kommunen in Nordrhein-Westfalen in nur drei Jahren rund 2,5 Milliarden € zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung gestellt – versprochen, gehalten, Markenzeichen der Koalition. Auch das hat mit dem vernünftigen Wahlergebnis im Mai dieses Jahres zu tun, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, wir wissen um das strukturelle Defizit im Landeshaushalt, das ein Kernproblem ist und bleibt. Welche Schlüsse ziehen wir daraus? – Wir haben immer herausgestellt – das will ich deutlich sagen –, dass wir bei der Haushaltskonsolidierung einen anderen Weg gehen werden als Schwarz-Gelb: kein Verschweigen, kein Verstecken von Schulden, nicht Augen zu beim Abwälzen konnexitätsrelevanter Aufgaben – das Verfassungsgericht lässt grüßen, meine Damen und Herren von CDU und FDP –, kein milliardenschwerer Raubbau bei den Kommunen zur Haushaltskonsolidierung. Wir machen es anders, das zeigen die von mir vorhin genannten Investitionen. Wir setzen Prioritäten, wir wollen eine nachhaltige Haushalts? und Finanzpolitik für unser Land.
Ich gebe gerne zu: Wir investieren in die Zukunft der Menschen und gehen dabei bis an die Grenze dessen, was wir verantworten können, bis an die Grenze der staatlichen Leistungsfähigkeit.
(Zurufe von der CDU)
Allein im Bereich der frühkindlichen Bildung setzen wir 2013 gut 1,4 Milliarden € ein. Zur Erinnerung: 2008, in Ihrer Verantwortungszeit, waren es noch 880 Millionen €. Ich erinnere mich im Übrigen auch noch gut, Stichwort „U3-Betreuung“, an die Debatten hier im Landtag, als der Kollege Laschet – ich muss den Namen wieder nennen, es tut mir leid –
(Christian Lindner [FDP]: Wie viel Bundesmittel gibt es für das beitragsfreie Kindergartenjahr?)
die Chuzpe hatte, zu erklären, im Rahmen seiner Verantwortung kein Landesgeld in die Hand genommen zu haben. Das macht es doch deutlich – Sie haben es immer noch nicht verstanden –: Nur wer am Anfang mit Mitteleinsatz auch langfristige Prozesse steuert, kann am Ende erfolgreich sein. Wir merken heute, was wir in dem Punkt nachzuholen haben, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Nicht ersparen will ich Ihnen, da Sie im Bund immer noch Verantwortung tragen, auch wenn der Kollege Lindner versucht hat, sich davon ein bisschen zu distanzieren: Das unsägliche Betreuungsgeld
(Zuruf von der CDU: Och ja!)
ist doch ein Beweis dafür, dass Ihnen jeder Funke an sozialpolitischer Kompetenz fehlt. Sonst würden Sie so etwas nicht machen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Weil wir in dem Zusammenhang auch über die Frage des Familienbildes diskutiert haben, füge ich hinzu: Die Kombination von Betreuungsgeld und Putzhilfenbonus macht deutlich, dass die CDU nicht auf der Höhe der Zeit ist.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Mit Blick auf die Zukunft werden wir selbstverständlich dafür sorgen müssen, Herr Kollege Laumann – dazu lade ich Sie ein –, dass es keine Lastenschiebung beispielsweise hin zu den Kommunen gibt, wenn es um die Einhaltung der Schuldenbremse geht. Sie haben alle Chancen. Die Verfassungskommission will einen Weg aufzeigen, wie wir das in die Landesverfassung schreiben, damit die Kommunen sicher sind, dass sie nicht Ausfallbürge für andere werden. Machen Sie mit, Herr Kollege Laumann. Das ist ein guter Weg, um Ihre Kommunalfreundlichkeit zu beweisen.
(Beifall von der SPD und Reiner Priggen [GRÜNE])
Wir werden uns selbstverständlich auch für nachhaltige Einnahmeverbesserungen einsetzen. Das ist in unserer Partei entschieden.
(Christian Lindner [FDP]: Selbstverständlich!)
Herr Kollege Lindner, Sie werden mit Ihrer Partei keine Chance mehr haben, in Berlin auch nur einen Funken daran zu ändern; denn Sie werden nicht mehr in Regierungsverantwortung sein.
(Christian Lindner [FDP]: Warten wir doch einfach einmal das Wählervotum ab!)
Alles, was wir wissen, macht doch deutlich: Die Regierungszeit der Regierung Merkel/Rösler ist beendet – ein für alle Mal.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Möglicherweise trennen Sie sich vorher von Ihrem Parteivorsitzenden. Das kann ja noch sein.
Ja, wir gehen einen schweren Weg. Wir gehen einen Weg der Haushaltskonsolidierung, der noch viel Schweiß kosten wird. Er wird viele Gespräche erforderlich machen und auch viel Überzeugungskraft von uns abverlangen, um mit den Betroffenen darüber zu reden, wenn wir Wünschenswertes, manchmal auch Notwendiges, nicht finanzieren oder nicht sofort finanzieren können. Wir werden diesen Weg gehen – in engen Gesprächen mit denen, die betroffen sind.
Mein Hinweis an uns lautet: Es ist ganz ehrgeizig, bis 2017 die Nettoneuverschuldung unter 2 Milliarden € zu drücken. Meine Damen und Herren, das geht nicht – das muss auch die Öffentlichkeit wissen –, ohne dass es zu einer gerechteren Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden kommt; denn mit strukturellen Einsparungen allein im Landeshaushalt kommen wir dabei nicht aus. Wir müssen in Nordrhein-Westfalen und in den anderen Ländern wieder stärker auf den Bund zugehen.
Wir haben einiges geschafft. Lassen Sie mich ein Stichwort nennen. Bei der Grundsicherung muss der Bund sich demnächst bewegen. Herr Kollege Laumann, wir waren uns doch einig – auch bei einer Sondersitzung hier im Landtag –, dass der Bund endlich mindestens 50 % der Soziallasten, die die Kommunen ansonsten erdrücken, übernehmen muss.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Mit aller Klarheit halte ich fest – da unterscheiden wir uns möglicherweise –: Ja, wir wollen und wir brauchen einen leistungsstarken, einen leistungsfähigen Staat. Da muss man den Menschen auch sagen: Wenn der Staat seine Aufgaben erfüllen will – wenn er für Bildung, für Chancengerechtigkeit, für eine vernünftige Infrastruktur, für Zukunftschancen sorgen soll –, geht das nicht, wenn der Staat nicht auch in der Lage ist, aus den Einnahmen solche Aufgaben zu finanzieren.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Deshalb sage ich in aller Offenheit: Ja, wir werden auch öffentlich dafür werben, dass diejenigen, die stärker sind, auch stärker belastet werden, damit wir mit mehr Steuereinnahmen, die wir daraus erzielen wollen – über die Vermögensteuer, über die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, über diejenigen, die viel erben –, dann solche Leistungen erbringen können. Die sind doch bereit, das zu machen, meine Damen und Herren. Deshalb werden wir sie an diesem entscheidenden Punkt auch ansprechen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Schritt für Schritt den Weg der Haushaltskonsolidierung weiterzugehen – das ist die Botschaft, die der Finanzminister heute hier auch an das Hohe Haus gegeben hat. Wir werden ihn dabei tatkräftig unterstützen.
Selbstverständlich werden wir im Rahmen der Haushaltsberatungen – dieses Recht wird sich meine Fraktion auch herausnehmen – noch genau schauen, wo es zu Veränderungen kommen muss. Wir werden alles genau prüfen. Wir werden viele Gespräche zu führen haben.
An einem Punkt sind und bleiben wir aber eindeutig. Dieser Haushalt ist deshalb der erste Meilenstein, Herr Kollege Laumann, weil er beispielsweise im Bereich der Förderprogramme 120 Millionen € direkt einspart. Das wird gemerkt werden. Die Menschen spüren das, weil Sparen nicht so funktioniert, wie der nicht gewählte Spitzenkandidat der CDU das suggerieren wollte. Sparen tue nicht weh, hat Herr Röttgen gesagt. Nein, dummes Zeug! Natürlich tut Sparen weh. Deshalb werden die 120 Millionen € auch bemerkt werden, meine Damen und Herren. Da werden noch viele Gespräche zu führen sein, um für einen solchen wichtigen Prozess auch Akzeptanz herbeizuführen.
Wir werden diesen Weg gehen, meine Damen und Herren – auch konsequent weiter. Deshalb ziehe ich in dieser ersten wichtigen Haushaltsdebatte einen Strich darunter. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben nach gut 20 Monaten Regierungszeit unter der Führung von Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann gemerkt und gespürt, dass es in Nordrhein-Westfalen nach fünf Jahren schwarz-gelbem Mehltau wieder aufwärts geht. Wir haben dafür auch die Unterstützung der Mehrheit der Menschen bekommen. Die Menschen können sich deshalb darauf verlassen: Für diese Koalition gilt „versprochen – gehalten“, auch in der Haushalts- und Finanzpolitik. – Vielen Dank fürs Zuhören.
(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD – Anhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Landtagsfraktion spricht der Abgeordnete Lindner.
Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Herr Finanzminister, seit einigen Tagen begleitet mich Ihre Finanzplanung für 2012 bis 2016 mit dem Finanzbericht.
(Der Redner hält eine Broschüre hoch.)
Sie liegt auf meinem Schreibtisch. Ich habe jetzt immer wieder draufgeschaut.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Haben Sie auch mal reingeguckt?)
Deshalb ist mir natürlich auch besonders das Titelbild aufgefallen, für das Sie sich entschieden haben.
(Zurufe von der SPD: Ah! – Martin Börschel [SPD]: Entscheidend ist die Mitte!)
Sie haben sich für zwei Kinder entschieden, die ganz niedlich ihre Sparschweine mit einer Münze und mit einem Schein füllen.
(Ingrid Hack [SPD]: Aber drinnen geht es weiter!)
Herr Finanzminister, Sigmund Freud hätte an Ihrer Entscheidung für diese Bildmetapher seine helle Freude gehabt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das sagt nämlich etwas darüber aus, wie Sie Ihre Finanzpolitik hier anlegen.
Ich sage Ihnen: An dieser Metapher ist alles daneben. Es geht nicht um ein paar Sparschweine. Vielmehr ist es, wie Peer Steinbrück gesagt hat, eine Aufgabe von historischer Dimension, die Schuldenbremse einzuhalten. Wir reden nicht darüber, dass hier etwa Rücklagen gebildet werden müssten, sondern darüber, dass die verantwortungslose Politik auf Pump beendet werden muss.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vor allen Dingen gilt, Herr Finanzminister: Es sind nicht die Kinder, die für Sie sparen sollen, sondern Sie müssen für die Kinder sparen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Diese Metapher ist also daneben.
Im Übrigen kann in diesem Landeshaushalt von Sparen auch nicht die Rede sein. Landläufig bedeutet „Sparen“ ja, weniger Geld auszugeben. Dieses Jahr wird der Landesetat aber erstmals die Marke von 60 Milliarden € passieren. Bis zum Jahr 2016 legen Sie in jedem Jahr noch einen oben drauf. Sie haben es hier als eine Normalität der Finanzpolitik beschrieben, dass es jedes Jahr mehr gibt und die Etats immer weiter wachsen.
Der Bund formuliert eine andere Politik: Der Bundeshaushalt wird am Ende der Legislaturperiode kleiner als zu Beginn sein. Das ist Konsolidierungspolitik im Unterschied zu dem, was Sie hier machen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sie planen für das nächste Jahr mit 3,5 Milliarden € Schulden. In diesem Jahr waren es übrigens nur 3,2 Milliarden €, wenn man die Sonderbelastung der WestLB einmal einklammert.
(Zuruf von Martin Börschel [SPD])
Bis zum Jahr 2016 werden Sie die Neuverschuldung nur auf 2,5 Milliarden € reduzieren. Wie und mit welchen Einschnitten wollen Sie denn in den dann noch verbleibenden drei Jahren die Schuldenbremse bis 2020 erreichen?
Der Bund geht anders vor und wird bereits im Jahr 2014 den strukturellen Haushaltsausgleich schaffen. Wenn Sie vor diesem Hintergrund ihre rot-grüne Politik als Vorbild für den Bund empfehlen, kann ich das nur als eine Drohung verstehen, Herr Finanzminister,
(Beifall von der FDP und der CDU)
zumal uns mittlerweile andere Länder wieder überholen: Bayern tilgt Schulden. Sachsen tilgt Schulden. Sachsen-Anhalt tilgt Schulden. Thüringen tilgt Schulden. Mecklenburg-Vorpommern erreicht immerhin eine schwarze Null. Brandenburg strebt das für 2014 an, Berlin – Berlin! – für 2015, Hamburg für 2019, Baden-Württemberg – leider verzögert durch Grün-Rot – immerhin für 2020!
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
Nur Nordrhein-Westfalen fehlt in dieser Liste. Wissen Sie, das markiert einen kulturellen Unterschied! Diesen kulturellen Unterschied hat Ihr Genosse, der Bürgermeister von Hamburg beschrieben. Olaf Scholz hat gesagt: „Wir müssen lernen, mit dem Geld auszukommen, das uns zur Verfügung steht.“ – Diese Lektion steht Ihnen noch bevor, Herr Finanzminister.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Auch durch Zurufe der Koalitionsfraktionen veranlasst, haben Sie in dieser Debatte wieder über den Länderfinanzausgleich gesprochen. Herr Mostofizadeh sagt: Ja, wissen Sie – so hat er Herrn Laumann zugerufen –, wie viel Geld wir an diese oder jene Länder geben? – Herr Finanzminister, Sie haben auch dieses rhetorische Stilmittel, dass Sie in den Debatten immer auf den Länderfinanzausgleich zu sprechen kommen, bei dem Nordrhein-Westfalen so viel abgeben würde.
Was für ein Argument für einen Sozialdemokraten ist es eigentlich, mit der Aufkündigung der Solidarität zwischen den Bundesländern zu spielen?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Im Übrigen: Selbst wenn Sie 1 bis 2 Milliarden € aus dem Umsatzsteuervorwegausgleich in Ihrem Etat hätten, könnten wir dann sicher sein, dass dieser Betrag in die Konsolidierung fließt? Die 6 Milliarden € Mehreinnahmen bis 2016 nutzen Sie auch nicht überwiegend zur Konsolidierung. Ich sage Ihnen: Selbst wenn es einen anderen Länderfinanzausgleich gäbe, der Ihnen mehr Geld in die Landeskasse spülen würde, gäbe es vielleicht ein weiteres beitragsfreies Kindergartenjahr, aber mit Sicherheit nicht einen Euro weniger Staatsverschuldung. In Wahrheit ist es nämlich nicht Ihre Absicht, den Haushalt zu konsolidieren.
(Beifall von der FDP – Widerspruch von der SPD)
Immerhin erklären Sie in aller Offenheit, dass Sie ohne Einnahmeverbesserungen nicht in der Lage sein werden, den Landesetat zu konsolidieren. Das schreiben Sie in Ihrem Finanzbericht.
Ich empfinde es allerdings als ein politisches Armutszeugnis, wenn Sie in der zentralen Frage der Landespolitik nur auf den Bund und den Steuerzahler verweisen können. Gerade weil andere Bundesländer – auch die mit schlechteren Ausgangsbedingungen – bessere Ergebnisse erzielen, entziehen Sie sich damit in dramatischer Weise Ihrer politischen Verantwortung, Herr Finanzminister.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Im Grunde haben Sie gar nicht den Willen zur Konsolidierung. Im Landeshaushalt finden sich bemerkenswerte Entscheidungen mit Blick auf das Personal:
Mal eben so werden 442 kw-Stellen abgesetzt! Mal eben so!
Mal eben so werden 76 neue Stellen im Bereich der Ressorts quotal verteilt. – Wir haben’s ja!
Sie nutzen also nicht die Möglichkeiten im Bereich des Personalhaushalts zur Konsolidierung, sondern Sie bauen Personal – Stellen und Planstellen – auf.
Demgegenüber sagen Sie: Wir müssen natürlich auch ein Konsolidierungssignal senden. Deshalb müssen die Ressorts eine globale Minderausgabe erbringen. Sie sehen also im Sachhaushalt offensichtlich noch Spielraum.
Herr Finanzminister, richtig wäre es gewesen, die kw-Vermerke zu streichen und beispielsweise auf die 76 Stellen für die Ressorts zu verzichten und bei den Sachausgaben trotzdem zu sparen. Das würde der Dramatik der Haushaltssituation gerecht. Sie aber verzichten darauf.
(Beifall von der FDP)
Der Gewinner dieser Haushaltsberatungen ist einmal mehr Johannes Remmel: 145 Millionen € höhere Ausgaben in seinem Ressort über die letzten drei Jahre. 214 Stellen mehr! – Jetzt erhält er noch das Wasserentnahmeentgelt, damit er noch mehr Mittel in seine Kasse bekommt, die er für seine Projekte verwenden kann, obwohl damit auch – Herr Duin, hören Sie genau zu – Unternehmen belastet werden, die ökologisch verantwortbar wirtschaften.
Man kann nur sagen: Chapeau, Herr Remmel ist der Gewinner dieser Haushaltsberatungen! Er zeigt, wie man mit grüner Tinte rote Zahlen schreibt. Darin ist er unübertroffen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Diese Linie setzt sich auch in der Energiepolitik durch, indem Herr Remmel zusammen mit seiner Fraktion die entscheidenden Fragen diktiert. Minister Duin darf bundesweit einen Masterplan für die Energiewende ankündigen und einfordern. Die Grünen beschließen auf ihrem Landesparteitag eben mal wieder einen Alleingang für Nordrhein-Westfalen.
Das wesentliche Gesetz für unseren Wirtschaftsstandort ist in dieser Legislaturperiode das Klimaschutzgesetz. Es ist ökologisch unwirksam, weil aufgrund des europäischen Emissionshandels jede Tonne zusätzlich eingespartes CO2 in Nordrhein-Westfalen andernorts verbraucht werden kann. Aber es kommt trotzdem, damit der grüne Umweltminister seine Aversion gegen konventionelle Landwirtschaft und Industrie ausleben kann. Und zu all dem schweigt der Wirtschaftsminister Duin.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das bestätigt meine Hypothese aus der Erwiderung zur Regierungserklärung: In dieser Landesregierung hat selbst in wirtschaftspolitischen Fragen der Umweltminister mehr zu sagen als der Wirtschaftsminister. Das macht eine fatale Schieflage aus, weil Sie damit die wesentlichen Chancen, die in unserem Industrieland Nordrhein-Westfalen liegen, ausschlagen.
Sie schauen bei Ihrer Politik nur auf die Steuerschraube, um Einnahmeverbesserungen zu erzielen. Wir würden uns wünschen, dass sich der Wirtschaftsminister darum bemühen würde, die Investitionsbedingungen zu verbessern. Man kann die Einnahmesituation eines Landes nämlich auch durch wirtschaftliches Wachstums verbessern, aber das ist Ihnen offensichtlich noch nicht in den Sinn gekommen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Die Prioritäten im Haushalt verschieben sich also – hin zu Johannes Remmel und weg von den Bereichen Wirtschaft und Verkehr. Auch im Landeshaushalt 2013 setzt sich das fort: minus 88 Stellen bei Groschek, plus 77 Stellen bei Remmel. Tja, kann man dazu nur sagen, der SPD-Generalsekretär Michael Groschek hat im Wahlkampf – Herr Laumann hat daran erinnert – von seiner Currywurst geträumt, und jetzt, Herr Groschek, setzen die Grünen Sie als Minister auf Diät.
(Heiterkeit von der FDP und der CDU)
Die Stellen, die Sie abgeben müssen, werden nämlich von Herrn Remmel gebraucht.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Diese politische Prioritätensetzung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen, die wir über den Zustand unserer öffentlichen Infrastruktur führen, bemerkenswert. Herr Groschek hat völlig recht, wenn er sagt, dass wir in der öffentlichen Infrastruktur einen Investitionsbedarf von 3,5 Milliarden € haben; dies gilt gerade auch für den Bereich der Bundesstraßen und Bundesautobahnen. Es ist immerhin ein Signal, dass der Bund jetzt zusätzliche 96 Millionen € bereitstellt, aber das ist sicherlich noch nicht ausreichend, um das jahrzehntelange, historisch gewachsene strukturelle Investitionsdefizit in die nordrhein-westfälische Infrastruktur zu beheben.
In freimütiger Offenheit hat sich allerdings ein Spitzen-Grüner in der „Rheinischen Post“ vom 5. Dezember auch zur Mitverantwortung des Landes bekannt. Dieser wird mit dem Hinweis zitiert: Ja, es sei in den vergangenen Jahren und auch zur Zeit der alten Koalition bis 2005 eben leichter gewesen, bei den Straßen als etwa bei Schule und Polizei zu sparen. Deshalb würden jetzt die Ingenieure fehlen – so führt dieser Spitzen-Grüne aus –, um beispielsweise die Bauvorhaben zu kontrollieren und um zu planen, wie Brücken instand gesetzt werden.
Das setzt sich in Ihrem eigenen Verantwortungsbereich fort, Herr Groschek. Schließlich sind Sie für das Landesstraßennetz mit immerhin 4.000 Brücken zuständig. Für diesen Bereich standen in diesem Jahr noch 162 Millionen € für Investitionen zur Verfügung. Da wird jetzt um 20 Millionen € gekürzt. Gleichzeitig gibt es in Ihrem Etat noch 30 Millionen € für das Sozialticket. Herr Römer hat eben von dem Wünschbaren und Notwendigen gesprochen. An Ihrem Etat sieht man: Bei dieser Koalition siegt gerade im Bereich der öffentlichen Infrastruktur zu oft das Wünschbare über das Notwendige, Herr Groschek.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das bestätigen Sie sogar. Sie nicken. Dann tun Sie doch bitte etwas.
Zum Wünschbaren und Notwendigen. Beispiel „Bildung“: Die zentrale bildungspolitische Herausforderung dieser Legislaturperiode wird die Einbeziehung von Kindern mit Behinderung in den Schulunterricht, also die sogenannte Inklusion, sein. Dies ist eine große Aufgabe, die die volle Aufmerksamkeit der Schulministerin erfordert. Wovon habe ich gerade gesprochen?
(Heiterkeit)
– Von wichtigen Dingen. Gut.
Also, die zentrale bildungspolitische Aufgabe der Koalition ist die Realisierung der Inklusion. Da stelle ich mir die Frage – um mit Ihrem Kanzlerkandidaten Steinbrück zu sprechen –: Wie verhält es sich da mit „gut gewollt“ und „gut gemacht“? Wo ist das klare Konzept? Wo sind die Qualitätsvorgaben? Und vor allen Dingen, Frau Löhrmann: Wie gehen Sie in der Frage mit den Kommunen um?
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Besser als Sie!)
In dieser Frage müssen Sie doch die Sorgen erreichen. Da stehen Millionenbeträge für Investitionen in Barrierefreiheit im Raum. Ich weiß, dass Sie mit dem Gedanken, das einfach als nicht konnexitätsrelevant zurückzuweisen und die Kommune bei dieser entscheidenden Frage allein zu lassen, Probleme haben werden.
Sie, Frau Ministerpräsidentin, haben gesagt,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die kommunalfreundliche FDP! Das ist ja legendär!)
Sie wollten niemanden zurücklassen. Gerade bei der Inklusion sieht man, dass Sie in der Frage die Schwächsten zurücklassen, nämlich die Kommunen und damit die Kinder und Jugendlichen mit Handicap.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Den Kurs werden Sie nicht durchhalten können, die Kommunen bei der Frage allein zu lassen. Das werden die Kommunen sonst auf dem Rechtsweg erstreiten. Denn offensichtlich ist die Frage der Inklusion eklatant konnexitätsrelevant.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Stichwort „Kommunen“. Stichwort „Wünschenswertes und Notwendiges“.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die FDP muss uns nicht erzählen, was kommunalfreundlich ist!)
Eine der wichtigsten politischen Frage nicht nur heute, sondern auch der nächsten Jahre wird sein, die Handlungsfähigkeit der kommunalen Ebene wiederherzustellen. Dafür tragen wir alle Verantwortung.
(Zuruf von Minister Ralf Jäger)
– Herr Jäger, wir haben beispielsweise als Koalition im Bund 1 Milliarde € allein für das Land Nordrhein-Westfalen zur Übernahme der Leistungen aus der Grundsicherung bereitgestellt. Das ist ein Teil Korrektur dessen, was Sie seinerzeit bei Hartz IV zu verantworten hatten.
(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will das auf dieser Ebene aber gar nicht konfrontativ mit Ihnen diskutieren.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist der Sozialkasper der FDP!)
Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen – SPD, Grüne und FDP gemeinsam – in Kenntnis dieser Herausforderung einen Stärkungspakt für die Kommunen verabredet haben. Zu diesem Stärkungspakt und seinen Zielen bekennt sich meine Fraktion auch in der neuen Legislaturperiode, wenn die Geschäftsgrundlage erhalten bleibt.
Jetzt haben wir aber erfahren, dass es aufgrund von Koordinationsproblemen im Innenministerium Mittel in einer Größenordnung von 68 Millionen € gibt, die den Kommunen entzogen werden, und zwar mitten in die Haushaltsberatungen und in die Aufstellung der Sanierungspläne hinein. Da müssen sich ehrenamtliche Mandatsträger, die Beteiligen vor Ort und die Kommunalverwaltungen auf einen ganz schwierigen Kurs begeben. Dabei verlangen sie Berechenbarkeit vom Land. Die bis zum Jahr 2021 versprochene Planungssicherheit hält dann aber noch nicht einmal bis zur Aufstellung der Sanierungspläne vor Ort. So kann man auch Vertrauen und die Bereitschaft zur Veränderung vor Ort verspielen.
(Beifall von der FDP)
Dazu sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Römer: Ja, das Problem sei erkannt, es sei auch tatsächlich relevant, und schlägt als Lösung vor, der Zeitpunkt für den pflichtigen Ausgleich könne auf später verschoben werden. Damit, Herr Römer, nehmen Sie dem Ganzen auch noch die innere Legitimation.
(Beifall von der FDP)
Wir sind bereit – ich will das hier ganz konstruktiv sagen –, weil wir die Schwierigkeiten im Landeshaushalt kennen und weil wir auch die Lage vor Ort im Blick haben, mit Ihnen in Gespräche einzutreten, wie man diese schwierige Situation für die Kommunen durch Handlungsalternativen überbrücken kann. Dazu sind wir bereit. Eines müssen Sie aber wissen: Wenn Sie die Kommunen in dieser Frage jetzt allein lassen oder wenn Sie das Stabilisierungsziel aufweichen, dann ist für uns die Geschäftsgrundlage entzogen, dann sind wir nicht mehr mit dabei.
Wenn Sie zum Stärkungspakt stehen, wenn Sie den Kommunen die Hand zu einer fairen Chance reichen, wenn Sie verlässlich sind und wenn Sie das Ziel der schwarzen Null in den kommunalen Haushalten mit uns weiter im Blick behalten wollen, dann sind wir dabei; sonst müssen Sie das alleine machen.
(Beifall von der FDP)
Dann passiert im Übrigen auch das, was die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat: Wenn Sie den Kurs der Verlässlichkeit und der Haushaltskonsolidierung auf kommunaler Ebene gleichermaßen verlassen, dann wird aus dem Stärkungspakt für die Kommunen, so die „WAZ“, der Schwächungspakt für Rot-Grün. Sie haben den Anfang dazu gemacht.
Meine Damen und Herren, die Ministerpräsidentin hat gesagt, Kultur ist kein Luxus. Sie hat recht damit. Kultur gehört zur Selbstvergewisserung unserer Gesellschaft, Kultur stiftet auch Zusammenhalt. Wir müssen das kulturelle Erbe unserer Gesellschaft bewahren. Deshalb ist die Kulturpolitik eine der wichtigen und zentralen Aufgaben des Landes. Auf dem Gebiet der Kultur ist in den vergangenen Jahren in unserer damaligen Verantwortungszeit bis 2010 und auch danach viel erreicht worden. Es gibt einen beachtlichen Konsens zwischen den Kulturpolitikern dieses Hauses auch mit den Akteuren der freien Szene und anderen Kulturprotagonisten.
Sie haben, weil Kultur kein Luxus ist, in Ihrer Koalitionsvereinbarung beschrieben, dass Sie das Niveau der Kulturförderung erhalten und, wo geboten, ausbauen wollen. Jetzt schauen wir in den Etat und stellen fest, es werden 12 Millionen € gekürzt. Diese Zusage hatte also eine Halbwertszeit von einem halben Jahr. Wenn Sie so anfangen, Herr Finanzminister, dann können Sie mit dem Sparen gleich weitermachen und sich im Grunde das Kulturförderungsgesetz, das jetzt im Gespräch ist, auch sparen. Das ist mit diesem Einstieg nämlich bereits heute vor der Verabschiedung Makulatur.
Meine Damen und Herren, ich will einen dritten und letzten Punkt ansprechen. Nachdem ich über die große Lage des Landeshaushaltes und über einzelne Prioritätensetzungen gesprochen habe, komme ich jetzt zu dem Bereich Ihrer eigentlichen Konsolidierungspolitik, der Teuerpolitik, also zu Ihren Vorstellungen zur Verbesserung der Einnahmen durch eine Reihe von Gesetzgebungsvorhaben. Die Frage ist, ob mit dieser Anlage von Politik die Richtung auf Einhaltung der Schuldenbremse stimmt.
Mit Sicherheit ist es kein einfaches Unterfangen, bis 2020 die Nettoneuverschuldung auf null zu drücken. Durch jedes Jahr, das wir dabei verlieren, werden die Schwierigkeiten später noch größer. Die eigentliche Frage ist also, ob die Entscheidungen, die Sie heute treffen und die Sie in den vergangenen zwei Jahren getroffen haben, dabei helfen, bis 2020 aus den Schulden herauszukommen oder nicht.
Herr Finanzminister, Sie sagen in Ihrem Nachhaltigkeitsbericht, den Sie vorgelegt haben, etwas Bemerkenswertes. Sie schreiben darin nämlich, was ich zitiere:
„Im Vergleich zur zweiten Fortschreibung des Nachhaltigkeitsberichts aus dem Jahr 2010 hat sich der Konsolidierungsbedarf bis zum Jahr 2020 nochmals erhöht.“
Die Richtung stimmt also nicht. Selbst nach dem von Ihnen selbst vorgelegten Nachhaltigkeitsbericht wird der Konsolidierungsbedarf durch Ihre Politik noch größer. Umso schlimmer werden die Einschnitte sein, die nach 2017 erforderlich sind. Der Eisberg ist gewissermaßen schon auf dem Radarschirm zu sehen. Der Steuermann Norbert Walter-Borjans hält aber volle Kraft voraus drauf zu, soll doch der Bund den Berg wegziehen. Währenddessen ist die Kapitänin Hannelore Kraft unten im Casino und gibt eine Saalrunde nach der anderen, um sich beliebt zu machen. So setzt man ein Schiff auf Grund.
(Heiterkeit und Beifall von der FDP und der CDU)
Wenn Sie die Schuldenbremse ernst nähmen – Konjunktiv! –, dann würden sie jetzt auf alle zusätzlichen staatlichen Leistungen und Ausgaben verzichten. Wenn Sie die Schuldenbremse ernst nähmen, dann würden Sie präzise alle landesgesetzlichen Standards prüfen und am Maßstab der effizienter wirtschaftenden Länder orientieren. Wenn Sie die Schuldenbremse ernst nähmen, dann würden Sie die Beteiligungen des Landes und die Landesbetriebe genau in den Blick nehmen. Wenn Sie die Schuldenbremse ernst nähmen, dann würden Sie eine Politik zur Entfesselung der wirtschaftlichen Dynamik in Nordrhein-Westfalen machen und nicht für neue bürokratische Fesseln von Herrn Remmel.
Da Sie all das nicht machen, gibt es nur einen Schluss: Sie nehmen die Schuldenbremse in Wahrheit nicht ernst. Sie wollen nicht ernsthaft den Haushaltsausgleich bis 2020. Sie setzen darauf, dass der Bund Ihnen die Kastanien aus dem Feuer holt. Das ist verantwortungslos.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Im Grunde, Herr Finanzminister, ist das eine Art spekulative Finanzpolitik. Sie spekulieren darauf, dass das Zinsniveau so bleibt, wie es heute ist, obwohl die Risiken von Ihnen in Ihren Papieren selbst beschrieben werden. Sie setzen darauf, dass die Konjunktur so bleibt, wie sie ist, obwohl sie auf Ihren Parteitagen alles beschließen, damit sie sich abkühlt.
(Lachen von der FDP)
Sie setzten darauf, dass es Steuererhöhungen in Berlin gibt. Das ist eine spekulative Finanzpolitik. Sie sind von der Mentalität her, Herr Finanzminister, verwandt mit den Finanzjongleuren im Kasino, die Sie sonst immer kritisieren.
(Beifall von der FDP)
Die wetten nämlich auf sinkende Kurse. Sie wetten auf steigende Steuern. Wenn die Wette nicht aufgeht, sind wir hier im Land angeschmiert.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das ist spekulative Finanzpolitik und keine seriöse Finanzplanung, wie wir sie für unser Land Nordrhein-Westfalen brauchen.
Kommen Sie jetzt nicht mit Ihrem Effizienzteam. Das belegt gerade die These. Denn wenn Sie eine Gruppe einsetzen, die ihre Ergebnisse erst nach der Bundestagswahl vorlegt, deren wesentliche Entscheidungen erst nach der Bundestagswahl bekannt werden, kann ich nur sagen: Nachtigall, ich hör dir trapsen. Du kommst mit Elefantenfüßen daher. – Die Intention ist doch offensichtlich eine Verzögerungstaktik.
Stichwort: Finanzspekulantentum. Damit bin ich bei den Steuer-CDs. Das Steuerabkommen mit der Schweiz wird scheitern; das haben Sie schon gesagt. Wissen Sie, man kann über solche Fragen immer unterschiedlicher Meinung sein. Man kann, wie Sie das tun, kritisieren. Man kann auf der anderen Seite sagen, dass der Bundesfinanzminister das, was möglich war, erarbeitet hat.
(Martin Börschel [SPD]: Sie haben doch selbst Nachbesserungen gefordert!)
Wir wollen mal sehen, ob es einen neuen Anlauf in absehbarer Zeit für ein neues Steuerabkommen mit der Schweiz gibt.
Aber, Herr Finanzminister, die Konsequenz ist, dass Sie auch bei der Frage weiter ein Lotteriespiel betreiben, was Sie aus Steuer-CDs, die Ihnen von Hehlern angeboten werden, fiskalisch herausholen können.
(Serdar Yüksel [SPD]: Das sagt auch das Verfassungsgericht!)
Diesen spielerischen Zugang können Sie weiterhin wählen. Aber ich würde mir wünschen, dass Sie ein bisschen bei der moralischen Rigorosität abrüsten, mit der Sie auftreten. Für mich ist irgendwann die Grenze des guten Geschmacks berührt,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das denke ich die ganze Zeit bei Ihrer Rede! Das stimmt!)
wenn Sie Steuerhinterziehung auf eine Stufe mit Mord setzen, also mit Blick auf die Verjährung zu einem Kapitalverbrechen machen wollen. Dabei sind die Grenzen berührt.
Insbesondere stört mich Ihr moralischer Rigorismus, mit dem Sie gegen Steuerflucht vorgehen, weil in Ihrem eigenen Landeskabinett eine Staatssekretärin sitzt, gegen die der Staatsanwalt wegen Sozialbetrugs ermittelt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sie messen mit zweierlei Maß. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen mit Ihrem moralischen Rigorismus mit Blick auf Steuerhinterziehung, muss diese Staatssekretärin bis zur vollständigen Aufklärung der Vorwürfe suspendiert werden. Sonst entlarvt sich das, was Sie hier tun, als Wahlkampfrhetorik.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Meine Damen und Herren, mit der Politik für Steuererhöhungen beginnen Sie bereits am heutigen Abend. Das ist die Einführung für das, was uns in der nächsten Zeit erwartet. Sie beginnen damit, weil die Beseitigung der kalten Progression – Sie haben das eben angekündigt – an den A-Ländern scheitern wird. Die Konsequenz sind automatische Steuererhöhungen. Denn auch diejenigen, die einen ordentlichen Tarifabschluss erhalten haben, der gerade einmal die Preissteigerungen der letzten Jahre auffängt …
(Norbert Römer [SPD] schüttelt mit dem Kopf.)
– Sie schütteln mit dem Kopf, Herr Römer, aber gerade die Beschäftigten bei der IG BCE sind betroffen.
(Norbert Römer [SPD]: Bei Ihrer gesamten Rede schüttele ich mit dem Kopf!)
Diesen Leuten wird ihr fairer Anteil am Aufschwung genommen.
(Dietmar Brockes [FDP]: Das ist ein Skandal!)
Sie sind dagegen. Sie sind insoweit dagegen, dass Sie noch nicht einmal – das könnte ich aus der Perspektive eines Landesfinanzministers, der Opposition im Bund ist, verstehen – sagen: Wir brauchen eine finanzielle Kompensation. – Sie sind aus Prinzip dagegen. Sie sind aus Prinzip dagegen, dass die Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die den Aufschwung miterarbeitet haben, einen fairen Anteil an dem erhalten, was unser Land an Fortschritten erzielt hat.
(Zuruf von Norbert Römer [SPD])
Sie sind deshalb dagegen, weil Sie wie Herr Mostofizadeh in einer der letzten Debatten sagen: Dann bekommen nicht alle gleich viel. Es gibt einige, die bekommen etwas mehr. – Es ist der Basiseffekt der Prozentrechnung, Herr Mostofizadeh,
(Lebhafter Beifall von der FDP)
dass es unterschiedliche Beträge gibt, mit denen der einzelne profitiert. Dass Sie das aber so vortragen, ist dennoch erstaunlich. Sie sagen: Den Geringverdienern würden wir es gönnen, aber dem Durchschnittsverdiener gönnen wir es schon nicht mehr. – Das ist beachtlich, weil Sie in Nordrhein-Westfalen mit 150 Millionen € im Jahr – die Grünen waren dabei – auf die Elternbeiträge für die Kindertageseinrichtungen verzichten. Hartz-IV-Empfänger, Geringverdiener, haben den nie bezahlt.
(Beifall von Walter Kern [CDU] – Widerspruch von den GRÜNEN)
Das waren immer die Gutverdiener. Die haben Sie entlastet. Dann hören Sie jetzt mit diesen klassenkämpferischen Parolen auf. Die nimmt Ihnen bei der Frage nämlich keiner ab.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Im Übrigen beneide ich Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, nicht um die Aufgabe, vor den Werkstoren den Beschäftigten in der Industrie zu erklären,
(Zuruf von der SPD: Damit kennen Sie sich ja aus!)
was hier für eine Blockadepolitik im Bundesrat gemacht wird.
Das zweite große Thema, das auf der Tagesordnung steht, von dem Sie sich viel versprechen, ist die Erhebung einer Vermögensteuer. In der Frage sind wir nicht orthodox. Sie können gerne mit uns über das Für und Wider sprechen. Sie müssen dann aber bitte Fragen beantworten. – Sie sind überrascht, Frau Kraft, aber ich komme noch zum Punkt.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Sie müssen Fragen beantworten. Sie müssen die Frage beantworten, wie Sie Betriebs- und Privatvermögen trennen – insbesondere nach dem Urteil zur Erbschaftsteuer. Sie müssen uns erklären, wie Sie die Deutsche Steuer-Gewerkschaft beruhigen, die ein bürokratisches Gesetzgebungsmonstrum fürchtet.
(Zuruf)
Sie müssen uns erklären, Herr Priggen, wie Sie mit der Vermögensteuer 10 Milliarden € im Jahr erzielen wollen – so Ihr Parteitagsbeschluss –, ohne dass das Auswirkungen auf Mittelstand und Konjunktur haben soll. Sie müssen uns erklären, Herr Priggen, wie Sie mit diesen 10 Milliarden € die Haushalte konsolidieren und die Bildung verbessern wollen, wenn von den 10 Milliarden € schon 7,4 Milliarden € jedes Jahr für die Erhöhung von Hartz IV auf 420 € gebraucht werden.
Sprechen Sie über diese Fragen eigentlich auch mit dem Mittelstand, Frau Kraft? Ihre Regierung wird in dieser Woche ja ein Mittelstandsgesetz vorlegen. Werden die Steuerpläne in dem Gremium, das Sie da einrichten, der Clearingstelle, auch vorgetragen? Wird das ein Gegenstand der Beratungen mit dem Mittelstand sein? Falls ja, dann haben Sie einen Vorgeschmack in der Anhörung zu diesem Thema bekommen, die wir im Landtag von Nordrhein-Westfalen hatten: unisono Bedenken und Warnungen!
(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist falsch!)
Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gesagt, Sie hätten ein offenes Ohr für die Sorgen des Mittelstandes. Ich glaube, Sie waren zu bescheiden. Sie haben zwei offene Ohren, nämlich da rein, da raus.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Und wenn Sie, Frau Ministerpräsidentin, mir, der Opposition nicht glauben, welche verheerenden Auswirkungen eine Politik der Verstaatlichung, der Erhöhung der Steuern, der massiven Umverteilung hat, welche nachteilige Wirkung auf Deutschland und Nordrhein-Westfalen die Politik, die Sie auch in diesem Bericht hier niedergelegt haben – das ist nicht Bundespolitik, sondern es ist das zentrale Element Ihrer Haushaltspolitik –, auf diese Gesellschaft, auf die Mitte, die unser Land ausmacht, hat, dann schauen Sie doch einmal über die Grenze nach Frankreich.
In Frankreich wird genau die Politik gemacht, die Sie auch in Ihren Programmen haben, die Sie in Ihrem Finanzbericht für Nordrhein-Westfalen vorschlagen. Genau das, was Sie fordern, macht Françoise Hollandes. Deshalb haben Sie die Wahl von Herrn Hollandes auch seinerzeit mit frenetischem Beifall aufgenommen.
Jetzt sehen wir in Frankreich die Folgen: Die Wirtschaft ist auf Talfahrt, die Zustimmungswerte zu Herrn Hollandes genauso.
Französische Leitartikler schreiben jetzt: „Mach‘s wie Schröder!“ – Und was machen Sie? Leider allzu oft wie Lafontaine!
(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist immer ein Vergnügen, Herrn Lindner zuzuhören und auch nach ihm zu reden. Ich habe das auch am Wochenende gemacht, habe mir Ihre Parteitagsrede angehört: Sie sind „der Messias der FDP“.
Aber das ist ein neues Geschäftsmodell – das kann auch nur die FDP machen: ein Messias mit beschränkter Haftung!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich gehe gleich noch auf ein paar konkrete Punkte ein. Ich finde es schon faszinierend. Wir beide sind im Jahre 2000 in den Landtag gekommen. Sie waren bis 2009 hier, davon vier Jahre in Regierungsverantwortung, stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Da hatten Sie Verantwortung. 2009 sind Sie nach Berlin in den Bundestag gegangen, sind wenige Monate später Generalsekretär geworden und haben das Amt zwei Jahre später aufgegeben.
Über die Umstände, unter denen Sie das gemacht haben – à la bonne heure! – habe ich im Fernsehen auch etwas gesehen. Sie werden Ihre Gründe gehabt haben. Aber Sie sind da rausgegangen. Dann sind Sie hierhin zurückgekommen und haben einen spektakulären Wahlkampf gemacht, die Fraktion in den Landtag gebracht.
Immer wenn Sie hier reden, wenn Sie hier auftreten, tun Sie so, als ob Sie für das, was Sie gemacht haben, nicht verantwortlich sind. Sie waren in führender Position dabei, Sie sind der starke Mann der FDP, auch wenn Sie nur – „nur“ in Anführungsstrichen – bei uns in der Landesliga sind. Niemand wird demnächst Bundesvorsitzender ohne, dass Sie ja sagen. Also haben Sie Verantwortung, Sie hatten sie auch in der Vergangenheit.
Das meine ich mit „Messias mit beschränkter Haftung“. Die Verantwortung – das ist die Haftung – ist nie da. Ich werde Ihnen ein paar Beispiele, die Sie eben aufgezählt haben, nennen. Es ist immer herausfordernd, nach Ihnen zu reden. Es waren einfach zu viele zu schöne Sachen.
Sie haben gesagt, 1 Milliarde € Grundsicherung stellen Sie jetzt im Bund zur Verfügung als Konsequenz aus Fehlern bei Hartz IV. Ich kann mich dunkel daran erinnern: Wir haben mit der Minderheitsregierung angefangen. Wir haben den Schritt gemacht. Dadurch war die Bundesratsmehrheit für CDU und FDP nicht mehr vorhanden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann mussten Sie tatsächlich Kompromisse eingehen. Zu der Art, das hier als generöses Geschenk darzustellen: Den Teufel hätten Sie getan, wenn wir das nicht gemacht hätten und im Bundesrat die Mehrheit geknackt hätten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Lassen Sie mich Folgendes noch sagen: Es war eine tolle Rede eben. Zum Schluss waren Sie bei Hollande und sind in Europa gelandet. Es hätte nur noch die Reise über den Teich gefehlt. Aber es war nicht ein konkreter Vorschlag dabei, wie das, was uns beschäftigt, im Landeshaushalt gemacht werden soll.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Sigrid Beer [GRÜNE]: Lindner for President!)
Das war die ganz große Tour.
Dann haben Sie die Frage der Stellen bei Minister Remmel angesprochen. Das ist – das war auch in Ihrer Parteitagsrede so – ein Dauerbrenner. Kollege Laumann hat es auch angesprochen. Ich habe hier – das vergessen Sie immer gerne, weil Sie da noch in Verantwortung waren – zwei Schriftstücke, die ich Ihnen im Sinne der Transparenz – die Kollegen der Piraten waren nicht dabei – gerne zur Verfügung stelle. Wenn sie jemand haben möchte, möge er sich melden, er bekommt sie. Es sind interne Briefe, Schriftwechsel aus der Regierung Rüttgers/Pinkwart damals gewesen.
Das eine war ein Brandbrief des damaligen Regierungspräsidenten in Arnsberg an Umweltminister Uhlenberg, datiert vom 9. Juli 2010, in dem er sich bitterlich darüber beklagt, dass er in der Umweltverwaltung nicht mehr das technische Personal hat, um die notwendigen Untersuchungen, die Überprüfungen laufender wichtiger industrieller Betriebe machen zu können – 9. Juli 2010.
(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Dann gibt es einen Brief des damaligen Umweltministers Uhlenberg an den Innenminister Ingo Wolf vom Dezember 2009, in dem er sich der Umweltminister beim Innenminister darüber beklagt, dass er nicht das Personal hat, um existenzielle Sicherungsaufgaben durchzuführen, und dass er darin die Risiken sieht.
Auf insgesamt 23 Seiten wird im Detail erläutert, wo Stellen in Bezirksregierungen notwendig sind, technische Stellen – man braucht Ingenieure –, es kommt eine Auflistung der Firmen, um die es geht, u. a. Envio in Dortmund, wobei wir hinterher erlebt haben, dass Beschäftigte mit ihrer Gesundheit dafür bezahlen, dass das technische Personal da nicht zur Verfügung stand.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das sind genau die Stellen, um die es geht. Beide Dokumente stelle ich Ihnen gerne zur Verfügung – so viel zu der Legende: Remmel ist der Gewinner. Remmel wird hier beschenkt. Die Grünen tanzen den Sozialdemokraten auf der Nase herum und Ähnliches. Das ist alles Quatsch.
Der Arbeitsstil hier ist ein anderer. Das, was Ihre eigenen Bettelbriefe – Ihre Bittbriefe, Entschuldigung – belegen …
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Entschuldigung, ich gucke Herrn Uhlenberg an. Ich nehme das zurück. Das ist ein Brief des Umweltministers an den Innenminister, der heute auch noch Mitglied des Parlaments ist, in dem er in deutlicher Einmütigkeit schildert, dass er diese Stellen braucht. Das ist kein Bettelbrief, sondern er schildert es sehr sachlich. Das haben wir genau umgesetzt. Das ist eine ganz andere Situation, die Herr Lindner, der damals noch hier war und es wissen müsste, eigentlich selbst beurteilen könnte.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Noch einige Worte – das ist eine neue Nummer, die Sie immer auflegen – zum angeblichen Konflikt Remmel/Duin:
(Heiterkeit von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – Christian Lindner [FDP]: Da gibt es keinen Konflikt!)
Zu dieser Darstellung kann man nur kommen, wenn man Rösler und Altmaier vor Augen hat – und vorher Röttgen und Rösler.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt entschuldige ich mich präventiv bei Herrn Altmaier und bei Herrn Rösler. Meine Oma hat immer gesagt: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“
(Heiterkeit von den GRÜNEN)
Das würde ich zu beiden Kollegen nicht sagen. Die folgende Nummer wird in Berlin gegeben: Herr Altmaier macht den im Kern sinnvollen Vorschlag, Bürger mit Einlagen an der Erstellung der Stromnetze zu beteiligen. Dieser Vorschlag ist gut, aber zuständig ist Rösler. Rösler dementiert ungefähr 30 Sekunden später. Damit ist der Vorschlag im Orkus gelandet. – Dieses Politikmuster ist hier nicht der Fall.
(Zustimmung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Diese beiden Kollegen – das haben wir mehrfach erlebt – arbeiten vernünftig miteinander.
(Christian Lindner [FDP]: Duin ist harmloser als Rösler!)
Sie werden an dieser Stelle ganz bestimmt nicht den Keil hineintreiben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann haben Sie und der Kollege Laumann angesprochen, dass es eine Reihe von Bundesländern gebe, die jetzt zum Glück tilgungs- oder schuldenfrei sind. Ich nehme an, dass das so stimmt; das unterstelle ich einfach. Sie haben Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg angeführt.
Ich sage Ihnen: Wir in Aachen bezahlen das mit 16 Millionen € pro Jahr über den Soli Ost. Mir hat ein brandenburgischer Fraktionskollege gesagt: „Wir überlegen, wie wir Festgeld anlegen können.“ Ich sage Ihnen: Sie in der Bundesregierung – dort haben Sie Verantwortung – müssen doch irgendwann erkennen, dass man, auch wenn man Verträge einhält, an anderen Stellen nachjustieren und ausgleichen muss, aber stattdessen bezahlen wir das aus einer solchen Situation heraus.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich sage noch einmal ganz klar, dass der Soli Ost notwendig war. Denn nach 1989 war es notwendig, im Osten aufzubauen. Aber wenn ich jetzt zu Parteitagen nach Dresden, Leipzig, Erfurt oder Rostock fahre und mir demgegenüber den Kampf um die Wiedereinführung einer Straßenbahn bei uns in Aachen anschaue, kann ich nur staunen und bewundern, dass da etwas Hervorragendes geschaffen wurde. Wenn ich mir manche Städte im Ruhrgebiet dagegen ansehe, halte ich es für an der Zeit, auszutarieren. Da sind Sie in der Verantwortung.
Wenn man akzeptiert, dass Verträge einzuhalten sind, ist das nicht das Einzige. Wir haben zeitgleich eine Verteilung zwischen den Ländern, die strukturell in ganz wichtigen Bereichen seit Jahrzehnten zum Nachteil von Nordrhein-Westfalen ist. Da haben wir keine Unterstützung bei Ihnen. Das ist zum Beispiel im Verkehrsbereich der Fall. Wir haben nachgerechnet: Über den Daumen fehlen Nordrhein-Westfalen, wenn wir den Königsteiner Schlüssel anlegen, also die Verteilung auf die Länder nach Einwohnerzahl, etwa 500 Millionen € pro Jahr für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur.
(Zuruf von Christof Rasche [FDP])
An dieser Stelle haben Verkehrsminister aus Süddeutschland immer und ohne jede Hemmung Gelder für Bayern oder für Baden-Württemberg organisiert. Für Nordrhein-Westfalen war das nicht der Fall.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Monika Pieper [PIRATEN])
Ich akzeptiere den Nachholbedarf in den fünf neuen Ländern völlig. Aber wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir wirklich sagen können: Da muss anders justiert werden.
Ähnlich ist es im Hochschulbereich. Gemessen an der Zahl der Studierenden und der Zahl der Hochschulen gibt es Ungleichgewichte, die man korrigieren müsste.
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Das Tollste für mich war, dass bei den Kosten der Unterbringung Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einen höheren Anteil als Nordrhein-Westfalen bekommen. Diese Punkte sind nachzujustieren, weil gar nicht einzusehen ist, dass bei uns die Kommunen weniger bekommen.
Dazu hören wir von Ihnen nichts, obwohl Sie Einfluss und Verantwortung haben. Auch Herr Laumann hält sich an dieser Stelle heraus.
Herr Lindner, das war insgesamt eine Fortsetzung dessen, was Sie auf dem Parteitag gemacht haben. Da haben Sie gejammert, man hätte Ihnen Currywurst versprochen, und jetzt bekämen Sie Tofu.
(Zustimmung von Christian Lindner [FDP] – Zurufe von der SPD)
Ich sage Ihnen in Ihrer Sprache: Wenn man daran gewöhnt ist, dass Mövenpick der Partei die Kanapees auf den Tisch stellt, sind natürlich Currywurst oder Tofu etwas ganz Hartes.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Oh!)
– Das ist Ihr billiges Muster.
(Christian Lindner [FDP]: Stumpfe Waffen!)
Sie haben die SPD wegen der Beteiligung an einem Kreuzfahrtschiff kritisiert, das – so habe ich es verstanden – zum Partydampfer umgebaut worden wäre. Mir ist egal, was die SPD mit ihrem Eigentum macht. Aber dass Sie die wirtschaftliche Betätigung der SPD kritisieren,
(Christian Lindner [FDP]: Nö!)
während Sie gleichzeitig in der FDP diese hochgradig dubiosen Druckereigeschäfte mit Gauselmann haben, bei denen man nicht weiß, was da ist, und von denen ich finde, dass auf Bundesebene untersucht werden sollte, ob das illegale Parteienfinanzierung ist oder nicht …
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Schon erledigt! Schon entschieden! – Weitere Zurufe von der FDP)
– Ganz ruhig! – Es gibt einen uralten Spruch von Guido Westerwelle:
„Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt …“
(Zuruf von Kai Abruszat [FDP])
Ich wäre mit allen Vergleichen aus der Seefahrt vorsichtig.
Dann haben Sie gesagt: Die NRW-FDP sei der Stabilitätsanker der Bundes-FDP. Aber ich entgegne Ihnen: Bei der Titanic hat der Anker auch nichts genützt.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit von den PIRATEN – Christian Lindner [FDP]: Trara! Trara! Trara!)
– Sehen Sie: Er hat es verstanden; das ist angekommen. Mehr sollte es nicht sein. Kollege Lindner, guter Reflex!
(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Richtig ist: Wir haben unterschiedliche Auffassungen. Wir haben registriert, dass Sie in der Fraktion Veränderungen vorgenommen haben, bei denen man gedacht hat: Da kann man miteinander reden.
Für mich als Grüner, der lange dabei ist, war nicht gut nachzuvollziehen, dass man zwar mit den Kollegen der CDU gut in den Diskurs kommen kann, ebenso mit den Kollegen von der SPD – auch mit den Linken konnte man reden –, es aber länger als zehn Jahre eine Eiseskälte zur FDP gab. Das war in der Entstehungsgeschichte der Fraktion begründet. Der Herr Möllemann hat sie da sehr klar aufgestellt.
Ich dachte: Das sind ein paar Signale, die das aufbrechen. – Aber irgendwie taumeln Sie. Es ist nicht ganz klar, was Sie wollen. Wollen Sie jetzt mit einem neuen Aufbruch in Richtung sozial-liberal oder Ampel? Oder wollen Sie von Frau Merkel noch schnell 3 % abzocken, um in Berlin zu überleben und dann irgendwann den Wechsel zu machen?
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ihr Vorgehen ist nicht klar. Das müssten Sie irgendwann einmal austarieren.
Lassen Sie mich zum Kollegen Laumann kommen. Denn bei beiden Vorsitzenden der Oppositionsfraktionen war die deutliche Erleichterung zu merken, dass andere jetzt die Mehrheit haben und die Arbeit machen müssen.
(Widerspruch von der CDU und der FDP)
Da habe ich mich gewundert. Aber das ist in Ordnung, das kann man so machen.
Herr Kollege Laumann, Sie haben eine Rede gehalten. Ich weiß, dass Sie Probleme mit der Doppelspitze haben.
(Karl-Josef Laumann [CDU] winkt ab.)
Ich will auf die Bilder gar nicht eingehen. Ich sage es Ihnen nett: Wir alle haben Weihnachtsbäume vor den Fraktionsbüros im Landtag. Die einzige Fraktion, die einen Weihnachtsbaum mit Doppelspitze hat, ist die CDU.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich habe es mir gestern noch einmal angeschaut. Also, das muss ein Geschenk der Partei sein. Der Laschet ist an dieser Stelle wirklich raffiniert.
(Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Kollege Laumann, wir als Sozialdemokraten und Grüne haben in diesem Jahr drei Haushalte eingebracht und behandelt. In den letzten zweieinhalb Jahren haben wir hier über insgesamt fünf Haushalte debattiert. Sie haben jedes Mal konkrete Einsparvorschläge angekündigt. Heute Morgen habe ich in der Zeitung gelesen, Mitte Januar machten Sie eine Klausur und dann kämen die konkreten Einsparvorschläge. Anschließend war wieder von den 200 Stellen von Remmel die Rede. Ich habe Ihnen das schon eben gesagt. Über die Stellen können wir gerne weiter diskutieren. Ich bin wirklich auf Ihre konkreten Einsparvorschläge gespannt.
Man muss doch ehrlich sagen: Es gibt jetzt einen Haushalt, der in einer klaren Linie ist. Wir haben die Neuverschuldung 2010 mit 6,5 Milliarden €, 2011 mit 4,8 Milliarden €, 2012 mit 3,6 Milliarden € plus 1 Milliarde € WestLB und jetzt 3,5 Milliarden € etatisiert. Darin gibt es noch einmal 1 Milliarde € Einsparungen, 150 Millionen € davon titelscharf. Vorhin haben wir ja bereits Rückmeldungen bekommen: Herr Lindner akzeptiert einen Einsparvorschlag im Kulturbereich nicht. Prof. Sternberg und andere haben sich ähnlich geäußert. Es gibt aber auch andere Rückmeldungen. Wir wissen ganz genau, es müssen zusätzlich 350 Millionen € über die Ressorts und 500 Millionen € ausgebracht werden. Das wird 1 Milliarde € sein. Dies wird auch nicht ohne Auswirkungen bleiben.
Die Strecke der Einsparungen ist nicht zu Ende. Sie wird in den nächsten Jahren weitergehen müssen. Der Haushalt ist ehrlich. Er beinhaltet keine aufgesetzten Zahlen, wie das in der Vergangenheit oft der Fall war. Und er ist solide ausgearbeitet. Die Kollegen haben drei Haushalte in einem Jahr bearbeitet. Aber, es ist nicht schön, einen Haushalt vorstellen zu müssen, in dem drei 3,5 Milliarden € Schulden aufgenommen werden. Das will ich ganz klar sagen. Insofern werden die Anstrengungen an der Stelle weitergehen. Ich möchte Ihnen aber einmal die Planzahlen für die Schuldenaufnahme von Finanzminister Linssen für diese Jahre nennen:
(Christian Lindner [FDP]: Welches Jahr?)
2010 6,7 Milliarden €, 2011 6,7 Milliarden €, 2012 6,6 Milliarden €, 2013 6,5 Milliarden €.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Lassen Sie mich doch ausreden! Ich bin ja noch gar nicht fertig! – Ich gestehe ja zu, dass die Einnahmesituation heute besser ist.
(Christof Rasche [FDP]: Aha!)
Ich sage Ihnen aber, was bei Linssen immer geschönt war: Die zu erwartenden Kosten hat er nicht sauber eingestellt. Die Dimension war jedoch deutlich höher als heute.
Ich möchte noch Einiges zum Haushalt sagen. Es stellt sich natürlich die Frage, wenn die Einnahmesituation besser ist, woher die Aufwüchse, die Mehrausgaben kommen. An dieser Stelle können wir drei große Bereiche festmachen:
Der erste Bereich ist das, was wir zusätzlich aufwenden müssen für Versorgung, für Beihilfe, für Tariferhöhungen. Das sind ungefähr 860 Millionen €. Ich möchte sehen, wie Sie da herauskämen. Ich warte auf die Vorschläge der CDU Mitte Januar, ob an dem Block etwas geändert wird.
Der zweite große Block sind Zuweisungen an Kommunen, Einheitslastenausgleich und Stärkungspakt Stadtfinanzen, in toto 413 Millionen €. Da kann man wirklich bilanzieren: Sie haben unter Federführung der FDP in Ihrer Koalition den Kommunen Milliardenbeträge weggenommen. Und wir zahlen doch jetzt alleine aufgrund der zwei Verfassungsklagen, die gegen die Regierung Rüttgers eingereicht und zu der Zeit unserer Minderheitsregierung abgeschlossen wurden, 270 Millionen €, Einheitslastenausgleichsgesetz und KiföG. Das sind Rechnungen, die wir für Sachen bezahlen, die Sie angerichtet haben, weil Sie den Kommunen etwas weggenommen haben.
Der dritte große Bereich betrifft Bildung und Hochschulen. Wir haben im Vergleich zu 2012 175 Millionen € Mehraufwendungen für die Hochschulen aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen, davon allein BAföG 66 Millionen €, und 530 Millionen € für zusätzliche Studienplätze. Davon kommen – fairerweise gesagt – 50 % vom Bund. In toto sind es 2013 705 Millionen € mehr für die Hochschulen als 2012. Dies ist auch eine Reaktion auf die steigenden Studierendenzahlen. Das ist eine Leistung.
Wenn ich alles zusammen nehme, also mit den Mitteln in Höhe von 112 Millionen € für die frühkindliche Bildung bei U3, dann komme ich für die Blöcke Personal, Kommunen, Bildung auf 2,1 Milliarden € Mehrausgaben. Im Prinzip ist alles gesetzlich vorgeschrieben, gesetzlich notwendig, in Teilen vom Bund refinanziert. Was werfen Sie uns vor? Was wollen Sie an der Stelle einsparen?
Ich habe bisher keine Einsparvorschläge von Ihnen gehört. Ich bin wirklich gespannt darauf. Wir werden die weiteren Beratungen ja in den einzelnen Ausschüssen fortsetzen. Den Haushalt 2014 werden wir fast parallel vorbereiten müssen.
Aber die Bilanz dieser Debatte ist für mich: Zwei Fraktionen sind im Prinzip froh, dass andere die Arbeit machen, da sie aus unterschiedlichsten Gründen aus der Diskussion aus steigen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zu den Piraten sage ich mit Nachsicht, um auch fair zu bleiben: Sie sind gerade in den Landtag gekommen. Es ist immer spannend, Ihre Debattenbeiträge zu erleben. Sie müssen eine Partei neu aufbauen. Von daher gebe ich Ihnen – das ist nicht gönnerhaft – ein Jahr. Das ist für mich normal. Ich weiß, wie es ist, eine Partei aufzubauen. Sie haben zwei Ratsmitglieder. Ihnen fehlt der ganze Unterbau. Sie müssen die Programmatik diskutieren. Das haben die anderen in Jahrzehnten erarbeitet. Da ist mein Anspruch nicht, dass Sie uns sagen, wo im Haushalt gespart werden muss. Wenn etwas kommt, dann ist es gut. Aber das ist nicht mein Anspruch. Aber die anderen beiden Fraktionen, die hier Verantwortung hatten und in Berlin Verantwortung tragen, die zum Teil das Desaster mitverursachen, dass den Kommunen und dem Land immer wieder das Geld weggenommen wird, die müssen die Verantwortung wahrnehmen. Und das haben sie erkennbar nicht gemacht. – Danke schön.
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort. Bitte schön.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürger auf der Tribüne und zu Hause! Meine Damen und Herren von der Landesregierung, sehr geehrter Herr Finanzminister, machen wir uns nichts vor: Die Regierungen sind zu Getriebenen der Finanzmärkte geworden. Das formulierte völlig unumwunden als Mahnung der ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, beim 3. Weltwirtschaftsforum im Februar 1996 in Davos an die versammelten Staatschefs der Erde Folgendermaßen – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –: „Von nun an stehen Sie unter der Kontrolle der Finanzmärkte.“
Die weltweite Krise der Finanzmärkte hat die Europäische Währungsunion an den Rand des Abgrunds geführt. Als Retter in der Not musste die Staatengemeinschaft milliardenschwere kreditfinanzierte Staatsausgaben tätigen und Bürgschaften für Banken übernehmen bzw. Rettungsschirme aufspannen, ja sogar Banken verstaatlichen.
Dass die Gesellschaft in der heutigen Zeit von ihren Märkten und deren immer schneller abgewickelten Börsengeschäften, Bonitätsrankings, Terminhandel etc. abhängig ist, registrieren noch viele Menschen. Das Verstehen dieser Abhängigkeiten aber fällt den meisten schwer. Das wiederum ist verständlich; denn die globalen und komplexen Zusammenhänge des Marktes sind für den einzelnen Menschen nicht greifbar. Die Zusammenhänge und die Auswirkungen auf das alltägliche Leben stellen sich wenig transparent und reichlich undurchsichtig dar.
Ich verrate sicher kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass Nordrhein-Westfalen und seine Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen der Finanzmarktkrise ganz bitter leiden müssen. Ich erspare Ihnen dazu nähere Ausführungen.
Herr Finanzminister, Sie sprechen sehr gern davon, dass die öffentlichen Haushalte nicht nur ein Ausgabenproblem, sondern auch ein Einnahmenproblem haben. Da sind wir als Piratenfraktion im Großen und Ganzen auf Ihrer Seite. Sie müssen aber dann auch einmal ein glaubwürdiges und realistisches Konzept auf den Tisch legen, wie Sie die notwendigen Investitionen in die Zukunft unserer Bürger, in die Zukunft unserer Kinder und in die Zukunft unserer Infrastruktur finanzieren wollen.
(Beifall von den PIRATEN)
„Es ist einfach, darüber zu reden, wie man eine bessere Welt schafft, aber es ist schwieriger, das umzusetzen.“ – Mit Verlaub, Herr Präsident, ein Zitat von Noam Chomsky.
Haushaltsberatungen sind für die Landesregierung eine zentrale Möglichkeit, sich mit eigenen Initiativen politisch zu präsentieren und zu profilieren. Bienenfleißig hat die Landesregierung ein umfangreiches Zahlenwerk vorgelegt. Das soll hier auch durchaus gewürdigt werden.
Herr Finanzminister, der vorgelegte Haushaltsplan 2013 ist zwar etwas mehr als eine schlichte saldenmechanische Anstrengung, aber leider auch weniger als ein gelungener finanzpolitischer Wurf. Sie können keine systematischen Lösungswege für die Bewältigung der enormen Probleme in unserem schönen Land aufzeigen.
Ohne politische Ambitionen verwaltet die Landesregierung den Status quo. Für echte Reformen und die gewaltigen politischen Herausforderungen sehen Sie auf Sicht offensichtlich keinen finanziellen Handlungsspielraum. Ratlosigkeit und Hilflosigkeit greifen angesichts der im Grunde nicht mehr vorhandenen politischen Handlungsmöglichkeiten auf Landesebene um sich.
Statt sich weiter zur Förderung von Sozialem und Kultur zu bekennen, kürzen Sie kleinmütig die Zuschüsse für die Wohlfahrtsverbände um 64 %. Mit solchen kurzsichtigen Kürzungsmaßnahmen erschüttern Sie das Vertrauen der Bürger und der Zuwendungsempfänger von Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonie, die, wie Sie alle wissen, eine hervorragende soziale Arbeit in unserem Lande leisten.
(Beifall von den PIRATEN)
Auch der ohnehin schon kleine Kulturhaushalt wird geschröpft.
Es bestehen umfangreiche und zum Teil über Jahre aufgelaufene Investitionsbedarfe im öffentlichen Personennahverkehr und im Bereich zahlreicher Verkehrsinfrastrukturen. Wirft man einen Blick in den Einzelplan 09 – Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr –, so besteht ein wesentlicher Teil des dortigen Haushalts aus der Durchleitung von Bundesmitteln.
Es besteht dringender Bedarf in der Innovations- und Qualifizierungsförderung der kleinen und mittleren Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel im Rahmen der durch den Europäischen Strukturfonds bereitgestellten EFRE-Mittel. Nordrhein-Westfalen ist das Land des Mittelstandes. Sie kürzen stattdessen die landesseitigen Fördermittel um 9,8 Millionen €. Vielleicht haben Sie gedacht, dieser Tatbestand würde uns im Gedränge nicht so auffallen.
Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ stellen Sie gerade einmal 27 Millionen € an komplementären Landesmitteln bereit. Das ist angesichts der strukturpolitischen Herausforderungen in NRW geradezu die Verkündung der öffentlichen Armut.
(Beifall von den PIRATEN)
Wenn wir den Staat, die Landesregierung und das Parlament, als aktiv handelnden Teil im Gesamtgefüge einer Wirtschafts- und Finanzpolitik verstehen wollen, müssen wir auch die mittelfristigen und nachhaltigen Wirkungen nicht nur der Ausgabenseite, sondern der Einnahmenseite in den Fokus nehmen. Die Länder müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit ausreichender Finanzkraft ausgestattet werden.
Herr Finanzminister Walter-Borjans, Sie sagten in der 8. Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
„Die öffentlichen Haushalte sind unterfinanziert angesichts dessen, was sie zu leisten haben, um Bildung und Wachstum, öffentliche Sicherheit, Nachhaltigkeit, Zusammenhalt und Chancenentfaltung für jede und jeden Einzelnen zu gewährleisten.“
Vollmundig haben Sie uns noch vor ein paar Wochen von den immensen Demografiegewinnen erzählt, die Sie zur Konsolidierung des Haushaltes einsetzen wollen. Mittlerweile haben Sie auf unseren Druck das Gutachten von PricewaterhouseCoopers veröffentlicht. Die utopische Zahl von 1,4 Milliarden € taucht in der Tat in diesem Dokument auf. In der Zusammenfassung am Ende heißt es aber – ich zitiere wieder mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –:
„Insgesamt können hier Einsparpotentiale aufgrund der demografischen Entwicklung von 620 Millionen € ausgewiesen werden. Dem stehen jedoch 196 Millionen € Mehrausgaben im Bereich der Vormundschaften, Pflegschaften und Betreuungen gegenüber.“
Also sind es nur noch 424 Millionen €. Die Kosten für den U3-Ausbau sind noch gar nicht hineingerechnet. – Weiterhin kann man dort lesen:
„Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die prognostizierten demografischen Konsolidierungspotentiale auch tatsächlich realisiert werden können und welche Konsequenzen dies für die Haushaltsplanung hätte.“
Der Deutsche Beamtenbund hält das in seiner Stellungnahme für nicht machbar. Stellenpläne über die Demografie zu steuern würde seiner Ansicht nach bedeuten, eine Personalpolitik fortzusetzen, die wie in der Vergangenheit bei pauschalen Stellenkürzungen das Gießkannenprinzip realisiert. Wie soll – laut Beamtenbund – zum Beispiel Personal aus demografischen Gründen abgebaut werden, das für den Straßenbau und die Pflege von Straßen zuständig ist, wenn gleichzeitig der Verkehr ständig zunimmt?
(Beifall von den PIRATEN)
Die Anzahl der Betriebe hat bisher von Jahr zu Jahr zugenommen. Das ist eine positive Entwicklung. Diese müssen jedoch steuerlich geprüft werden. Der Rückgang der Bevölkerung kann doch noch nicht zu einem Personalabbau in der Betriebsprüfung führen!
Gleiches gilt für den Bereich der Justiz. Die Anzahl der Verfahren steigt ständig. Beim Beratungsbedarf speziell älterer Mitbürger ist das ebenso der Fall. Hier sorgt die Demografie nicht für weniger Mittelbedarf, sondern für mehr Mittelbedarf im Personalhaushalt.
(Beifall von den PIRATEN)
Stattdessen bekräftigt der Deutsche Beamtenbund Nordrhein-Westfalen seine Forderung nach einer Politik der ehrlichen Aufgabenkritik. Das ist immer gut. Hierzu gehören bei jeder Gesetzesvorlage eindeutige Aussagen zur Arbeitsbelastung der betroffenen öffentlichen Dienste. Nur so kann der Landtag Personalentwicklung und -bedarfe – gleich welcher Richtung – präventiv erkennen.
Zur Umsetzung Ihrer Haushaltspolitik schweigt das Gutachten. Warum wohl? In diesem Zusammenhang muss ich an ein Zitat des US-amerikanischen Politikers Maurice Stans denken: „Das Aufstellen eines Budgets ist die Kunst, Enttäuschungen gleichmäßig zu verteilen.“ – Demnach können Sie mit diesem Haushalt noch nicht einmal richtig enttäuschen.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie geben leider nicht an, welche Aufgaben Sie mit Ihren Kürzungen zurückführen wollen. Tatsächlich aber haben Sie die globale Minderausgabe weiter erhöht, und zwar auf über 789 Millionen €. So wird verhindert, dass das Parlament und die Öffentlichkeit genau feststellen können, an welchen Stellen Sie weiter kürzen wollen. Herr Finanzminister, mit der Ausbringung einer globalen Minderausgabe von einer dreiviertel Milliarde Euro beschreiten Sie erneut einen reichlich intransparenten Weg, um Einsparungen im Haushalt 2013 vorzunehmen. Bei allem Respekt, das können wir als Piratenfraktion nicht gutheißen. Das ist mit unseren Transparenzgrundsätzen nicht vereinbar.
(Beifall von den PIRATEN)
In diversen Anhörungen von Sachverständigen und in den Ausschusssitzungen sind die Haushaltsprobleme des Landes explizit benannt worden, so zum Beispiel
1. die sich immer weiter erhöhenden Überstunden und der hohe Krankenstand bei Lehrkräften und Polizisten,
2. der Sanierungsstau PCB-belasteter öffentlicher Gebäude,
3. das strukturelle Defizit bei den Kommunen und
4. die soziale Schieflage beim Wohnen.
Aus einer Antwort der Landesregierung geht hervor, dass allein in den vergangenen acht Jahren bei der Polizei Mehrarbeit im Umfang von mehr als 1,4 Millionen Stunden geleistet wurde, die weder in Freizeit ausgeglichen noch vergütet wurden.
Gleichzeitig liegt laut des Gutachtens von PwC, das die Landesregierung in Auftrag gegeben hat, die Aufklärungsquote von Gewalt- und Sexualverbrechen in Nordrhein-Westfalen um mehr als 10 % unter dem Durchschnitt der anderen Flächenländer Westdeutschlands.
Das zeigt, wie wichtig die Polizeiarbeit und wie hoch die Belastung der Polizei in unserem Land ist. Aufgrund der ständig hohen Belastungen können Überstunden nicht abgebaut werden. Immer mehr Polizeikräfte werden durch den Stress krank. Hier liegen Gefahren für diesen, vor allem aber auch für künftige Haushalte.
PCB ist ein schlimmes Thema in Deutschland und vor allem in Nordrhein-Westfalen. Trotz langer Bekanntheit des Problems liegen immer noch keine verlässlichen Zahlen und Fakten auf dem Tisch, wie viele von den infrage kommenden Gebäuden tatsächlich belastet sind. Egal ob Rot-Grün, Schwarz-Gelb, oder meinetwegen Lila-Blassblau, wie so oft fehlt einfach der Mut zum Handeln. Die Landesregierungen schieben das Thema vor sich her wie ein Schneemobil die Schneemassen bei plötzlichen Wintereinbrüchen. Nur leider werden die Schneemassen dadurch nicht kleiner, sondern der Berg wird immer größer, ebenso wie der Berg an Folgekosten, die auf das Gesundheitswesen zukommen.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Beratung im Fachausschuss muss dazu erneut geführt werden. Wir haben die Initiative ergriffen und fordern eine flächendeckende Überprüfung und Feststellung von PCB-belasteten öffentlichen Gebäuden, insbesondere von Schulen und Kitagebäuden.
Ein weiteres Problem ist das strukturelle Defizit der Kommunen des Landes. Das Gutachten von Junkernheinrich und Lenk hat ergeben: Viele Kommunen in unserem Land leiden eben nicht nur an selbstverschuldeten Haushaltsproblemen. Vielmehr haben insbesondere Ruhrgebietsstädte strukturelle Haushaltsprobleme, die aus den schlechten Einkommensverhältnissen der Menschen in diesen Städten resultieren. Der Stärkungspakt bestraft nun die Menschen in diesen Kommunen zusätzlich. Die Kommunen müssen die Grundsteuer B erhöhen, die auf die Mieter umgelegt wird.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir stehen für eine Finanzierung der Kommunen, sodass nicht die Menschen in den reichen Kommunen geringe Steuern und die in den armen Kommunen hohe Steuern zahlen müssen. Regierungshandeln darf nicht zu solchen kommunalen Kollateralschäden führen.
(Beifall von den PIRATEN)
Da hilft es auch nicht, Herr Römer, dass Sie den Kommunen, denen Sie Geld aus dem Stärkungspakt versprochen haben, lediglich mehr Zeit geben wollen. Sie brauchen weiterhin stärkere finanzielle Unterstützung.
An dieser Stelle verweise ich auf unsere Forderung zum Haushalt 2012, die Verbundquote, also die Zuweisungen des Landes an die Kommunen, zu erhöhen. Sämtliche Medienberichte nach der Verabschiedung des GFG zeigen eindeutig, dass die Landesregierung jetzt handeln muss. Nachzulesen ist dies explizit auch in der Studie von Ernst & Young. Darin wird noch einmal darauf hingewiesen, dass die finanzielle Situation der NRW-Kommunen im bundesweiten Vergleich miserabel ist.
Die finanziellen Handlungsspielräume sind auch durch den hier im Land zu verantworteten Schuldenaufbau in den vergangenen Legislaturperioden enger geworden. Das Suchen nach den Schuldigen ist nicht so der Bringer. Aus Sicht der Piratenfraktion geht es schlicht darum, wie man es langfristig besser machen und wie man vor allem systematisch und nachhaltig die Zukunft für die Menschen in unserem Land verbessern kann.
(Beifall von den PIRATEN)
Warum liegt der Bund bei einer Gesamtverschuldungsquote von etwa 80 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt? Aus Verschwendungssucht? Wer hat diese Schulden verursacht? Ist deren Höhe im Verhältnis zur jährlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich überhaupt vertretbar? Viele Politiker, die heute vehement und in der ersten Reihe den Abbau der Schulden fordern, haben in der Vergangenheit oft in Abstimmungen immer wieder für eine Kreditfinanzierung der Länder- und Bundeshaushalte gestimmt – auch hier in Nordrhein-Westfalen. Haben diese Politiker das leichtfertig und ohne triftigen Grund gemacht? Nein, sicher nicht. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht.
Bevor ich gleich zu den Schwerpunkten unserer Haushaltspolitik komme, möchte ich noch einige wichtige Aspekte unserer Politik insgesamt beleuchten:
Kreditklemme für kleine Unternehmen, Geldflut auf den Finanzmärkten, zweistellige Strafzinsen für Verbraucher bei Kontoüberziehung, astronomische Zinsen für Staatsanleihen, ständig neue Ratings für ganze Staaten – der normale Mensch und ebenso wir Politiker sind ohne Zweifel Getriebene der Märkte. Nie ist genug Zeit da, um zu verstehen und zu entscheiden. Nie ist genug Transparenz vorhanden, um Einblick zu bekommen. Verstehen benötigt nämlich Zeit, und das ist nicht gewollt. Die Finanzmärkte kennen keine Geduld; denn die kostet Geld. Es drohen Kursverluste. Intransparente Entscheidungszirkel und schnelles Handeln sichern Gewinn. Sogar jede Dopingkontrolle ist wirksamer als unsere Finanzregeln.
Wir als Piraten wollen die etablierten und in weiten Teilen gescheiterten Mechanismen der klassischen Entscheidungsträger im etablierten Wirtschaftssystem überwinden. Gerne greife ich auf die zentrale Kritik der sogenannten Freiburger Schule zurück, zu der ordoliberale Ökonomen wie Müller-Armack, Eucken, Rüstow, Miksch und Röpke gehörten. Sie alle warnten vor einer freien, unkontrollierten marktwirtschaftlichen Ordnung.
In einem von Eucken im Jahre 1946 verfassten Gutachten, dass erst 1999 veröffentlicht wurde, warnte er vor einer vermeintlich freien Marktwirtschaft. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident:
„Woran krankte die ‚Freie Wirtschaft‘?
Die sogenannte Freie Wirtschaft war eine vermachtete Wirtschaft. … Die Bildung zahlreicher Monopole, Teilmonopole und Oligopole war die Folge der Freien Wirtschaft. …
Und als die Wirtschaft immer mehr von solchen Machtgebilden durchsetzt wurde, musste sie krisenanfällig und unstabil werden; Arbeitslosigkeit musste entstehen und soziale Kämpfe brachen aus.“
Auch Wilhelm Röpke schrieb 1958 im Hinblick auf eine freie marktwirtschaftliche Ordnung:
Die Gesellschaft als Ganzes kann nicht auf dem Gesetz von Angebot und Nachfrage aufgebaut werden. Mit anderen Worten, fuhr er fort: Die Marktwirtschaft ist nicht alles.
Ebenso stellte Alfred Müller-Armack, der geistige Vater der sozialen Marktwirtschaft, unmissverständlich klar:
„Das Zutrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft hat sich den Wirtschaftskrisen gegenüber nicht behaupten lassen. … Die Fehler und Unterlassungen der liberalen Marktwirtschaft liegen so letztlich in der Enge der ökonomischen Weltanschauung beschlossen, die der Liberalismus vertrat.“
Ganz schlicht zusammengefasst ist die ökonomische Botschaft dieser Aussagen: Marktwirtschaft braucht ein übergeordnetes Regulativ. Dies kann aber nur ein aktiver und vor allem ein präventiv handelnder Staat sein. Müller-Armack sah dabei die Rolle des Staates in einem Ausgleich zwischen ökonomischem Wettbewerb und sozialen Ansprüchen.
Die Piratenfraktion ist mit ihrer kritischen Haltung also in ziemlich guter Gesellschaft. Wir halten nichts von den marktwirtschaftlichen Glücksphilosophen nach dem Motto: Der Markt ist gut, und der Staat ist schlecht. – Das ist uns schlicht zu eindimensional. Die Moral und Ethik der Märkte beginnt bei uns selbst und in unserem sozialen Handeln. Das ist die Position der Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den PIRATEN)
„I Have a Dream“, sagte einst Martin Luther King und führte dann aus, was er damit meinte: Hoffnung auf solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft ohne Diskriminierung nach Hautfarbe, Einkommen und Bildung – und natürlich religiöser Überzeugung.
Seit Wochen wird in der Presse der Umstand debattiert, dass das Wohnen in unseren Städten immer teurer und für einen wachsenden Teil der Bevölkerung zunehmend unbezahlbar ist. Der Deutsche Mieterbund geht davon aus, dass einkommensschwache Familien, von denen es immer mehr gibt, mehr als 45 % ihres Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufbringen müssen.
Das überfordert nicht nur die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Menschen, sondern ist auch Gift für eine sozial nachhaltige Stadtentwicklung. Segregation ist die Folge. Denn hohe und steigende Mieten führen zu fortschreitender Ghettoisierung, zu einem Auseinanderfallen der Stadtgesellschaft. Gerade für das städtische Nordrhein-Westfalen ist das eine echte Bedrohung, eine Bedrohung für uns als Solidargemeinschaft insgesamt. Schon jetzt fehlen Hunderttausende Wohnungen bundesweit, Zehntausende in Nordrhein-Westfalen, und der Fehlbestand wird angesichts unzureichender Neubauaktivitäten weiter wachsen.
Daraus ergibt sich aufgrund der vom Angebot nicht bedienten Nachfrage die evidente Gefahr einer weiteren Preisspirale zulasten all derjenigen, die zur Miete wohnen.
Der Haushalt trägt diesem doppelten Problem, dass es nicht genügend viele und nicht genügend bezahlbare Wohnungen gibt, nur unzureichend Rechnung. Das Wohngeld für einkommensschwache Haushalte verharrt bei 330 Millionen €; die Hälfte davon kommt vom Bund. Gegenüber dem Haushaltsansatz 2010 bedeutet dies einen Rückgang um über 86 Millionen €, also um über 20 %. Vor dem Hintergrund der skizzierten dramatischen Situation ist das schlicht nicht nachvollziehbar.
Die Landesregierung ist über diese Entwicklung sehr gut informiert. Sie selbst erwartet in ihrem aktuellen Sozialbericht 2012 eine Verschlechterung der Chancen wohnberechtigter Haushalte auf eine Sozialmietwohnung. Angesichts des laufend zurückgehenden Bestands solcher Wohnungen und des faktisch nicht mehr stattfindenden Neubaus in diesem Bereich ist das keine besonders gewagte Aussage.
Doch was folgert man daraus? Außer frommen Aufrufen, die nichts kosten, und gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht besonders viel. Seit 1990 ist dieser Bestand an Wohnraum mit Mietpreis- bzw. Belegungsbindung um über 50 % auf aktuell unter 600.000 Wohnungen zurückgegangen. Nur noch jede zwölfte Wohnung ist öffentlich gefördert.
Insgesamt werden so 800 Millionen € im Jahr 2013 für die Förderung des sozialen Wohnraums zur Verfügung gestellt, fürwahr eine gewaltige Summe. Allerdings sind es schon bei allgemeiner Betrachtung 50 Millionen weniger als im Haushaltsjahr 2012. Und immerhin 170 Millionen € sollen gar nicht für den Kernbereich der sozialen Wohnraumförderung ausgegeben werden, sondern für quartiersbezogene Maßnahmen und die Förderung studentischen Wohnraums. Das heißt, dass binnen Jahresfrist das Budget für die soziale Wohnraumförderung um 220 Millionen € gekürzt werden soll, also ein Minus von über einem Viertel.
Obwohl wir sehr wohl einsehen, dass studentisches Wohnen und stabile Quartiere unbedingt förderungswürdig sind und dafür auch Geld bereitzustellen ist, kann es doch nicht sein, dass dieses Geld gerade dort eingespart werden soll, wo es am dringlichsten gebraucht wird, nämlich bei der Förderung von Wohnraum für die Menschen, die sonst kaum eine Chance haben, sich am Markt adäquat mit Wohnraum zu versorgen.
(Beifall von den PIRATEN)
Natürlich wollen wir funktionierende Quartiere, natürlich wollen wir bezahlbaren studentischen Wohnraum. Beide Aspekte tragen zudem zur Stabilisierung städtischen Zusammenlebens bei, machen unsere Städte attraktiv. Aber wenn das Geld, das die Landesregierung dafür bereitstellt, bei denen weggenommen wird, die auf Unterstützung angewiesen sind, dann wird der Name „Soziale Wohnraumförderung“ geradezu auf den Kopf gestellt. Wohnen ist ein Grundrecht, keine Ware.
(Beifall von den PIRATEN)
Kommen wir nun in den Bereich der haushalterischen Teilchenphysik. Der Kulturetat ist das Elementarteilchen des Landeshaushalts. Dieses ist denkbar klein, gleichwohl hält es uns zusammen. Jedoch wollen einige dieses Bindeglied der Gesellschaft nur noch weiter schrumpfen, bis es so winzig ist, dass es selbst am CERN nicht mehr gefunden werden kann. Das ist jedenfalls unser Eindruck.
Lassen Sie bitte die Finger von der Kulturförderung!
(Zuruf von Martin Börschel [SPD])
Lassen Sie die Finger von den Musikschulen, den Künstlern, die sich für das Landesprogramm „Kultur und Schule“ zu oft zu erbärmlichen Löhnen mit Herzblut engagieren! Lassen Sie bitte die Finger von den Museen, Opern und Theatern, den Archiven und Bibliotheken! Und geben Sie den Bereichen, in denen Neues oder Andersartiges entsteht, entsprechend Raum zur Entwicklung!
(Zuruf von Martin Börschel [SPD])
– Nur so können wir, vielleicht auch rückblickend, feststellen, dass es uns gar nicht so schlecht geht, Herr Körfges.
(Heiterkeit von Hans-Willi Körfges [SPD] und Martin Börschel [SPD])
Ich appelliere an alle hier, dieses hohe Gut der Kultur in die Zukunft mitzunehmen. Wir brauchen sie jetzt und werden sie in Zukunft noch viel, viel nötiger haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Leider ist Nordrhein-Westfalen, was nachhaltige Landwirtschaft betrifft, kein gutes Vorbild. Deutschlandweit belegen wir einen der hinteren Plätze in Sachen ökologische Landwirtschaft.
In unserem Bundesprogramm haben wir Piraten uns ganz deutlich zu einer nachhaltigen umwelt- und ressourcenschonenden Landwirtschaft bekannt. Die von uns geforderte Studie zum Medikamenteneinsatz in der industriellen Landwirtschaft ist daher nur als kleiner Anfang zu sehen. Da es in diesem Punkt offensichtlich Missverständnisse gab, sage ich es noch einmal ganz klar und deutlich: Antibiotika sind da bei Weitem nicht das einzige Problem.
Dass es zu der großen Palette weiterer Medikamente in der Tieraufzucht keine Daten gibt, ist für uns ein untragbarer Zustand. Hier ist es unvermeidlich, dass die Landesregierung zu ihrem Wort steht und die hundert versprochenen Stellen in der Umweltüberwachung auch wirklich schafft. Wir werden Sie da in den nächsten Jahren kritisch begleiten und auch immer wieder nachhaken. Nur wenn die diesbezüglichen schwarzen Schafe wirklich auffliegen, können sich die Bürger unseres Landes darauf verlassen, dass sie sichere und gesunde Lebensmittel bekommen.
Allerdings kann es bei der Umweltüberwachung allein nicht bleiben. Was ist mit der Hygiene- und Lebensmittelkontrolle? Die jüngsten Geschehnisse mit kontaminierten Früchten aus China zeigen, dass wir hier mit unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen. Das eigentliche Ziel aber muss es sein, in Nordrhein-Westfalen den Weg weg von der industriellen Intensivtierhaltung hin zu einer ökologischen und damit auch ethisch vertretbaren Landwirtschaft zu schaffen.
(Beifall von den PIRATEN)
Verbunden mit einer umfassenden Verbraucherbildung und mündigen informierten Bürgern kann der schwierige Weg zu gesunder und vernünftiger Ernährung gelingen. Davon sind wir fest überzeugt.
Wir selbst wollen für 2013 folgende Schwerpunkte setzen: Bus und Bahn/ÖPNV, Bildung, Hochschulpolitik und freier Zugang zu Wissen, Kommunen und Open Government. Das erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Schließlich muss der Haushaltsplan erst noch beraten werden.
Mobilität ist nicht nur teuer, sie wird immer noch teurer – für sich gesehen und im Vergleich zu den sonstigen Kosten des Lebens. Das heißt, dass die Gefahr besteht, dass ein zunehmender Teil der Menschen in unserem Land von der Mobilität ausgeschlossen wird, schlicht weil sie es sich nicht mehr leisten können. Aber Mobilität in einer modernen Gesellschaft muss ein Grundrecht sein. Nicht mobil zu sein, bedeutet, schnell von den gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen zu sein.
Gesellschaftliche Aktivitäten sind mitnichten nur Freizeitunternehmungen. Ganz im Gegenteil sind Erwerbstätigkeit und Konsum zentral an Mobilität gebunden. Die Zahl der Pendler ist gerade im vernetzten Nordrhein-Westfalen besonders hoch. Es sieht auch nicht so aus, als ob sie absehbar sinken könnte. Das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Auch künftig ist ein großer und wachsender Teil der Menschen in diesem Land auf eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur angewiesen.
Investitionen in diese Infrastruktur sind Investitionen auch in die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wer hier spart, spart falsch, weil er langfristig Kosten produziert, die mit Sicherheit weit höher liegen. Deshalb ist auch die Kürzung der Investitionsmittel im ÖPNV im novellierten ÖPNV-Gesetz von 150 Millionen auf 120 Millionen € falsch und kurzsichtig.
(Beifall von den PIRATEN)
Wenn aber CDU und FDP fordern, den Betrag bei 150 Millionen € zu belassen und dafür das Sozialticket, das genau mit dem Fehlbetrag im Haushalt steht, wieder abzuschaffen, dann ist das schlicht zynisch. Wir wollen beides: einen ticketlosen ÖPNV, der zudem zuverlässig und leistungsstark ist, wofür die bestandserhaltenden Investitionen eher noch erhöht werden müssten. Der ÖPNV muss das zentrale Rückgrat einer leistungsfähigen und zeitgemäßen Mobilität sein. Dafür ist Geld im Haushalt vorzusehen, auch wenn es schwerfällt, dieses Geld zu mobilisieren. Wir stehen zu der Aussage, dass ein zukunftsfähiges NRW ohne einen leistungsstarken ÖPNV nicht möglich ist.
Die Kosten des motorisierten Individualverkehrs hingegen werden nicht im Ansatz in den monetären Bilanzen abgebildet. Wenn Minister Groschek die Kosten eines ticketlosen ÖPNV mit 7,5 Milliarden € pro Jahr für die Bundesrepublik Deutschland annimmt und mit dieser überschlägigen Kalkulation ziemlich genau den Wert trifft, den wir selber kommunizieren, dann zeigt das, dass wir es zwar mit einem teuren, aber nicht unbezahlbaren Vorhaben zu tun haben.
Aber diese Zahl ist sowieso alt und muss dringend neu begründet werden. Daher haben wir schon im Haushalt 2012 einen Posten für die Beauftragung eines Gutachtens zur Finanzierung von Bussen und Bahnen in Nordrhein-Westfalen gefordert.
Zum Etat des Ministeriums für Schule und Weiterbildung! An dieser Stelle möchte ich – anders, als das sonst üblich ist – von der Opposition aus die Regierung einmal loben. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die rot-grüne Koalition beabsichtigt, angesichts des doppelten Abiturjahrgangs die Ausgaben für die Hochschulen um 600 Millionen € gegenüber 2012 zu erhöhen. Natürlich darf aber nicht verschwiegen werden, dass dies zur Hälfte die Gelder für das Jahr 2014 sind. Verantwortungsvolle Politik sähe da auch ein wenig anders aus.
Der Etat des Ministeriums für Schule und Weiterbildung beträgt erstmals mehr als 15 Milliarden €, eine beeindruckende Summe. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis wird wieder etwas günstiger. Es liegt zurzeit bei etwa 15,53. Wir erkennen dies an als einen Schritt in die richtige Richtung. Ob hier noch mehr zu tun ist, muss geprüft werden.
Allerdings ist mitnichten alles rosig. Auch im Bildungsbereich gibt es unangenehme Wahrheiten, die gesagt werden müssen. Die Landesregierung verweist immer wieder auf sogenannte Demografiegewinne, also auf Minderkosten infolge der schrumpfenden Schülerschaft. Weniger Schüler brauchen weniger Lehrer. So weit, so gut.
Aber den Demografiegewinnen steht eine gewaltige demografische Hypothek entgegen. Die stärksten Jahrgänge in der Lehrerschaft erreichen das Pensionsalter. Schaut man sich die aktuelle Altersverteilung der Lehrkräfte an den verschiedenen Schulformen an, kann einem leicht schwindelig werden. In den nächsten fünf Jahren werden in manchen Schulformen mehr als 20 % der Lehrer in den wohlverdienten Ruhestand wechseln. Jetzt schon ist die Versorgung der Lehrer der öffentlichen Schulen sowie ihrer Hinterbliebenen mit über 4 Milliarden € das Kapitel im Haushalt mit den höchsten Ausgaben. Gegenüber dem Vorjahr wird hier ein Plus von über 200 Millionen € veranschlagt. Während die Gesamtsumme für den Einzelplan um gerade einmal um 1,3 % steigt, werden bei den Versorgungsleistungen rund 5 % mehr eingeplant.
Wie will die Landesregierung mit dieser Demografiehypothek umgehen? Wie will sie dabei Gestaltungsspielräume für qualitative Verbesserungen in der Bildung erhalten? Wir meinen, in dieser Situation muss als Erstes das unselige Kooperationsverbot abgeschafft werden. Wir werden uns ja noch darüber unterhalten.
Im Haushaltsplan des Ministeriums für Schule und Weiterbildung sehen wir aber auch Posten, bei denen mit zeitgemäßen Lösungen viel Geld gespart werden kann. Für Schulbücher wird pro Schüler mit 36 bis 78 € pro Schuljahr geplant. Bei rund 2,7 Millionen Schülern kommt da einiges zusammen. Die öffentliche Hand übernimmt zwei Drittel der Kosten. Mit Lernmitteln unter freien Lizenzen könnte man ein Gutteil dieser Ausgaben vermeiden. In anderen Ländern wie Polen und Kalifornien gibt es dazu bereits erfolgreich umgesetzte Projekte.
Auf unseren Antrag hin beschäftigt sich jetzt auch unser Landtag mit diesem zukunftsweisenden Thema. Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen beim Einsatz freier Lernmaterialien eine Vorreiterrolle in Deutschland übernimmt.
(Beifall von den PIRATEN)
In anderen Bereichen sehen wir Einsparungen, die wir weder gutheißen noch nachvollziehen können. Im Bereich der Schulentwicklungsprojekte etwa und der Medienberatung wird der Rotstift angesetzt. Es geht dabei um nicht einmal ein Promille des Landesetats. Doch gerade in diesem Bereich wäre das Geld sehr, sehr gut angelegt.
Hier kann mit vergleichsweise wenig monetärem Einsatz sehr viel erreicht werden. Denn die Kommunen allein werden nicht in der Lage sein, mehr Mittel dafür aufzubringen. So nähern wir uns der paradoxen Situation, dass zum Beispiel mit den Medienportalen learn:line und Edmond NRW eine vorbildliche und kosteneffiziente Infrastruktur für die Nutzung und Verbreitung didaktischer Medien aufgebaut wurde. Den Content allerdings gilt es auszubauen. Dabei dürfen wir die Kommunen nicht allein lassen.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Aus Demografiegewinnen alleine werden die Herausforderungen im Bildungsbereich nicht bewältigt werden können. Die Landesregierung muss hier Antworten finden, wie mit der Demografiehypothek umgegangen werden kann. Das werden wir einfordern und sie gegebenenfalls dabei unterstützen.
Zeitgemäße Lösungen bergen auch Einsparpotenziale. Diese werden wir aufzeigen.
Schaut man sich die Finanzierung der nordrhein-westfälischen Hochschulen an, so ist es erfreulich, dass erneut ein Rekordeinzelplan vorgelegt wird. Dass die Mittel aus dem Hochschulpakt II, die vorgezogen wurden, uns in den nächsten Jahren eventuell auf die Füße fallen werden, müssen wir in den Haushaltsberatungen sicherlich prüfen. Hier muss die Landesregierung auch berechtigte Kritik ertragen.
Dass allerdings der Bund in der Bildungsfinanzierung wieder ins sprichwörtliche Boot genommen werden muss, steht für uns fest. Sie haben ja auch morgen die Gelegenheit, die Forderung nach Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern zu bekräftigen. Wir finden, das sollte im Interesse aller Fraktionen sein.
Wer staatliche Bildungsangebote nicht gebührenfrei anbietet und Zugang zu Bildung immer noch vom sozialen Status abhängig sein lässt, der versündigt sich an ganzen Generationen.
(Beifall von den PIRATEN)
Bei aller Freude über die vielen Mittel, die an die hiesigen Hochschulen fließen: Wie die Mittel verausgabt werden, ist in großem Umfang unbekannt. Die Hochschulen haben auch gemäß aktueller Gesetzgebung keine Auskunftspflicht dem größten Finanzier gegenüber. Bei der Vorstellung der Eckpunkte zum neuen Hochschulgesetz hat sich Frau Wissenschaftsministerin Schulze für mehr Transparenz ausgesprochen. Das ist löblich, aber wir sind gespannt.
Was allerdings zu einer großen Intransparenz führt, sind die Globalhaushalte der Universitäten. Da wird ein Sack Geld an die Hochschule gebracht, und ab dann verliert sich die Spur hinter den Mauern derselben. – Das kann und darf nicht sein. Das hat nichts mehr mit modernem Management und verantwortlichem Regieren zu tun.
(Beifall von den PIRATEN)
Das Land trägt die Verantwortung für die Hochschulen und muss zumindest verlässliche Rahmen für sie setzen. Es fehlt gänzlich die Infragestellung der sogenannten leistungsorientierten Mittelvergabe aus der Grundfinanzierung heraus. Würden die Mittel on top zu 100 % Grundfinanzierung bereitgestellt, wäre der Wettbewerbslogik unter den Hochschulen immer noch Rechnung getragen.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Die allgemeine Daseinsvorsorge ist eine zentrale Stelle der Haushaltspolitik des Landes, aber vor allem der Kommunen. Die Bürger leiden unter dem Sparzwang jener Kommunen, die nun am Stärkungspakt teilnehmen, um ihre Haushalte zu konsolidieren.
Aber was heißt „konsolidieren“? – Investitionen in die Zukunft abbauen? Grundsteuer B erhöhen und das Wohnen so teuer wie nie zuvor machen? Unsere Sicht der Probleme beim Wohnraum wurde bereits differenziert ausgeführt.
Das Entgegenkommen von Minister Jäger in Bezug auf die Veröffentlichung von Bilanzdaten der Kommunen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bürger momentan keinen Überblick über die wirkliche finanzielle Lage der Kommunen erhalten geschweige denn durch Vergleiche feststellen kann, ob in der eigenen Kommune Geld verschwendet wird.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir Piraten wollen eine Lösung für die Kommunen, die wieder Handlungsspielraum zur Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung schafft. Alle Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände sprechen eine deutliche Sprache, aber noch viel einhelliger geht die Begründung der Forderung aus einem Gutachten hervor, das die Landesregierung selbst in Auftrag gegeben hat. Die Professoren Junkernheinrich und Lenk haben das sehr eindrucksvoll zu Papier gebracht. Da spielt es auch keine Rolle, wer welche Daten falsch geliefert oder eventuell falsch berechnet hat.
Die Verteilungskämpfe zwischen den Kommunen nähmen zudem ab. Damit würden wir dem im Ländervergleich höchsten Grad der Kommunalisierung Rechnung tragen und eine Konnexität gewährleisten, die es unseren Kommunen endlich wieder ermöglicht, ihr verfassungsmäßiges Recht auf kommunale Selbstverwaltung frei auszugestalten.
(Beifall von den PIRATEN)
Eine höhere Besteuerung derjenigen, die sich finanziell keine großen Sorgen machen müssen, ist nicht nur vertretbar, sondern auch aus Gerechtigkeitsgründen geboten. Für uns als Piratenfraktion geht es deshalb auch darum, die Ungleichheit in unserem Land aktiv zu bekämpfen. Das hätte vor allem steuerrechtliche Konsequenzen, denn über das Steuersystem wurde die Ungleichheit am gröbsten verschärft.
Veränderungen müssen bei der Wiedereinführung der Vermögensteuer ansetzen, einer deutlich höheren Erbschaftsteuer, und natürlich muss endlich eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Konjunkturell wären diese Veränderungen bei der Besteuerung in keinem Fall schädlich. Auch der Spitzensteuersatz sollte wieder etwas angehoben werden.
Die Finanz? und Wirtschaftspolitik in Deutschland ist, ganz generell gesprochen, nicht auf der Höhe der Zeit. Sie läuft den Krisenentwicklungen hoffnungslos hinterher. Die ethische Grundposition der deutschen Wirtschaftspolitik ist: Man muss hart zu den Menschen sein. Wirtschaftlich vernünftig ist, wer hart zu den Leuten ist.
Das ist eine Herangehensweise, die unserem, dem Piraten-Verständnis von Politik völlig zuwiderläuft. Wir sind ganz ausdrücklich dafür, dass man finanzpolitisch vernünftig agiert. Es geht nicht darum, dass der Staat möglichst viel Geld aus dem Fenster wirft. Wir wären im Gegenteil wesentlich härter, was Steuersenkungen anbelangt, als es die Wirtschaftspolitik der letzten zehn, 15 Jahre war. Wir sind auch gegen unspezifische Ausgabenprogramme.
Die Piratenfraktion ist vor allem dafür, dass die Wirtschaftspolitik endlich eines erkennt: Das Wirtschaftssystem ist aus sich heraus instabil. Es bedarf eines gemeinwohlorientierten politischen Gegenparts, um das System insgesamt stabil halten zu können. Wenn dieser Gegenpart nicht in hinreichender Stärke da ist, dann bleibt es bei den krisenhaften Entwicklungen, wie wir sie heute in Europa und in Nordrhein-Westfalen vorfinden.
Zur Vermögensteuer gab es letzte Woche eine Anhörung von Sachverständigen im Haushalts? und Finanzausschuss. Sie hat uns gezeigt, dass es entgegen der vorgefertigten Meinung mancher hier im Parlament vertretenen Parteien mit relativ geringem Aufwand möglich ist, sie zu erheben.
Herr Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, sagte: In Nordrhein-Westfalen wären zur Erhebung der Vermögensteuer 600 neue Finanzbeamte notwendig. – Das entspricht Ausgaben von weniger als 30 Millionen €. Dem stehen Einnahmen für Nordrhein-Westfalen in Höhe von 3 bis 4 Milliarden € gegenüber, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin errechnet hat. Damit betragen die Verwaltungskosten etwa 1 % des Steueraufkommens. Auch das DIW bestätigt diese Zahlen. Sie sind damit um Größenordnungen kleiner, als von der Industrie? und Handelskammer behauptet, die ohne Beleg von 40 % Verwaltungskosten ausgeht.
Nach Auskunft der Deutschen Steuer-Gewerkschaft in NRW können Mehreinnahmen für Stadt, Land und Bund in Milliardenhöhe erzielt werden, wenn entsprechende Stellen bei den Finanzämtern, insbesondere zu Betriebsprüfungen, geschaffen würden. Leider ist es kurzfristig nicht möglich, entsprechende Experten einzustellen; sie müssen ja erst ausgebildet werden. Die Ausbildung dauert normalerweise Jahre.
Daher fordern wir, dass nicht zulasten der Zukunft an der Ausbildung neuer Finanzbeamter gespart wird, sondern sie im Gegenteil zur Sicherung der finanziellen Basis des Staates ausgebaut wird. Wir als Piraten stehen für den Rechtsstaat. Das bedeutet auch, dass Steuergesetze durchgesetzt werden.
Das durch die Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen geforderte Transparenzgesetz leistet einen entscheidenden Beitrag zur Bereitstellung und Nutzung von Informationen für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes. Unsere beiden Anträge „NRW braucht ein Transparenzgesetz!“ und „Gelebtes Open Government: Öffentliche Debatte zum Landeshaushalt!“ sind ein erster Schritt in Richtung einer umfassenden Strategie des Open Governments.
Die Piratenfraktion beabsichtigt, weitere Initiativen auf den Weg zu bringen, die zu einer Erneuerung der demokratischen Willensbildungs? und Entscheidungsprozesse führen sollen. Auf diesem Weg soll die repräsentative Demokratie durch systematische Verfahren der direkten Demokratie ergänzt werden. Dabei ist es unser Ziel, die Anwendung basisdemokratischer Prinzipien bei allen Beteiligungs? und Entscheidungsprozessen auf der lokalen und regionalen bzw. Landesebene in überschaubarer Form sicherzustellen.
Wenn Partizipation eine gesellschaftliche Wirkung entfalten soll, sind qualifiziertes Personal, Sachmittel und Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Umsetzung solch komplexer Verfahren und die Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger macht nur Sinn, wenn eine wirkungsvolle Beteiligung prozessrelevant ist und an den zentralen Fragen der Haushaltspolitik ansetzt. Die Haushalte auf Bundes?, Landes? und Kommunalebene sind die wichtigsten Instrumente für die politischen Richtungsentscheidungen.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Open-Government-Strategie führt zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft und erstreckt sich in ihren Beteiligungs? und Kommunikationsstrukturen auf alle Politikfelder, um auf diese Weise eine Verbesserung der öffentlichen Leistungen und der Lebensqualität zu erreichen. Gleichzeitig werden Lobbyismus und Korruption zurückgedrängt.
Es geht hier keineswegs nur um Informationsveranstaltungen oder konsultative Maßnahmen. Wir als Piratenfraktion stehen für mitbestimmende und eigenständige Bürgerbeteiligung. Die öffentlichen Finanzressourcen als zentraler Gestaltungsansatz stehen dabei im Mittelpunkt der Betrachtungen. Der Open-Government-Anspruch ist nur einlösbar durch eine ganzheitliche Beteiligung an allen Entscheidungsprozessen, die die Verteilung, Aufbringung und Verwendung der finanziellen Ressourcen betreffen.
(Beifall von den PIRATEN)
Gegenstand der Beteiligung sind zum Beispiel die Investitionspolitik, der öffentliche Nahverkehr, infrastrukturelle Maßnahmen sowie die inhaltliche Ausrichtung der Wohn?, Bildungs- und Umweltpolitik. Die Bürgerinnen und Bürger sollen deshalb an der Erarbeitung, Entscheidung und Kontrolle der Haushalte in den Gemeinden, Städten und Landkreisen sowie auf Landesebene beteiligt werden.
Es soll schrittweise eine demokratische Einflussnahme ermöglicht werden, die sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmeseite der Haushaltspolitik einschließt. Das geht nicht von heute auf morgen; das ist uns klar.
(Beifall von den PIRATEN)
Auf unserer Homepage www.piratenfraktion-nrw.de kann ab sofort jeder Bürger direkt seine Fragen zu einzelnen Haushaltsposten stellen.
(Marc Herter [SPD]: Werden die auch beantwortet? – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
– Abwarten! Ich bin noch nicht fertig, Herr Körfges. – Wir werden diese Fragen sammeln und an die Landesregierung weitergeben.
(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der SPD)
Ein ähnliches Angebot hat übrigens in Schleswig-Holstein dazu geführt, dass sich innerhalb von zwei Wochen mehrere Hundert Bürger bei den Piraten gemeldet haben. Das ist ein Anfang; aber immerhin! Das Interesse in der Bevölkerung scheint also da zu sein. Wir wollen hier wirklich Zeichen setzen und Bürgernähe nicht nur als Phrase in unsere Reden einbauen, sondern aktiv auf die Bevölkerung des Landes zugehen und sie anregen, sich am politischen Prozess aktiv zu beteiligen. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Nun spricht für die Landesregierung die Ministerpräsidentin unseres Landes, Hannelore Kraft. Bitte schön.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten eine lange Debatte über die Einbringung des Haushalts 2013. Ich habe mir erlaubt, mir an einigen Stellen Notizen zu machen, um auf den einen oder anderen Punkt noch einmal eingehen zu können.
Ich würde gerne mit Ihnen beginnen, Herr Dr. Paul. Sie haben in vielen Teilen eine Analyse geliefert. Aus meiner ganz persönlichen Perspektive haben Sie an manchen Stellen auch die richtigen Fragen gestellt. Sie haben Ihre Grundlage deutlich gemacht. Ich habe mir den Satz notiert: „Die Moral und Ethik der Märkte beginnt bei uns selbst ...“ Sie haben sozusagen einen Parcours-Ritt durch die einzelnen Haushaltspositionen unternommen.
Mich würde – insbesondere nach dem letzten Beitrag – einmal Ihr Selbstverständnis als Fraktion in diesem Landtag interessieren. Das meine ich ganz ernst. Ich finde es gut, dass Sie die Bürgerinnen und Bürger dazu ermuntern, Fragen zu stellen. Mein Verständnis als Abgeordnete in diesem Landtag ist aber, dass ich zumindest einen Teil dieser Fragen auch selbst beantworten kann
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Sie wissen, dass wir das tun!)
und als Abgeordneter nicht nur Postbote spiele.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich habe schon in vielen Rollen hier am Rednerpult gestanden. Mein Verständnis als Abgeordnete war es auch immer, dass ich mit daran arbeite, eigene Ideen und Vorschläge zu entwickeln, dass ich also nicht nur Fragen stelle und nicht nur analysiere, sondern auch eigene Lösungsvorschläge einbringe. Davon gab es bei Ihnen in meinen Augen, ehrlich gesagt, ein bisschen zu wenig.
Was die von Ihnen vorgenommenen Analysen angeht, muss man auch noch einige Dinge geraderücken. Ich nehme nur ein paar Punkte heraus.
Sie haben auf der einen Seite das Verschuldungsproblem angesprochen und auf der anderen Seite gesagt, wir würden an vielen Stellen zu wenig Geld ausgeben.
Außerdem haben Sie zum Beispiel erklärt, bei PCB fehle der Landesregierung der Mut zum Handeln. – Ich habe nicht keinen Mut zum Handeln. Sie haben aber in diesem Zusammenhang zum einen über Schulen und Kitas geredet, und die sind in der Verantwortung der Kommunen – und wenn dort jemand gehandelt hat, dann war es diese Landesregierung, um die Kommunen wieder handlungsfähig zu machen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Was andere öffentliche Gebäude angeht, fehlt an manchen Stellen schlicht und einfach das Geld. Es geht nur Schritt für Schritt. Auch wir können zugegebenermaßen nicht hexen.
(Zuruf von den PIRATEN: Wann fangen Sie an?)
– Wir haben schon mit den Konjunkturpaketen I und II angefangen. Auch dafür haben wir die Verantwortung getragen. Wir haben Gutes damit umgesetzt. Das darf man an dieser Stelle auch einmal erwähnen, damit es hier nicht immer verloren geht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Dr. Paul, Sie haben zu dem sogenannten Demografie-Gutachten Stellung genommen. – Mein Verständnis ist, dass eine Landesregierung Gutachten in Auftrag gibt, um sich beraten zu lassen. Ich erwarte von Gutachtern nicht, dass sie uns unsere Politik aufschreiben. Das ist dann eine Frage der politischen Bewertung. Diese Aufgabe übernehmen wir.
An dieser Stelle sagen wir vor dem Hintergrund der Herausforderungen, vor denen wir stehen, und vor dem Hintergrund unserer Politik der Vorbeugung sehr deutlich, dass wir bis 2015 alle Stellen im Schulsystem belassen und die Demografierendite nicht aus dem System ziehen. Das ist eine glasklare Politik der Prioritätensetzung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Eine eindeutige Prioritätensetzung kann ich bei Ihnen übrigens nicht erkennen. Ich warte auf die Vorschläge, die zu diesem Haushaltsentwurf aus Ihrer Fraktion kommen werden. Darauf bin ich sehr gespannt.
Sie haben dann – das haben die anderen Kollegen auch getan – zum Thema „globale Minderausgaben/globale Mehreinnahmen“ Stellung bezogen. Dabei handelt es sich um ein Instrument, das die Bundesregierung nutzt und das alle Regierungen vor uns benutzt haben. Es ist kein wirklich neues Instrument.
Weil immer der Eindruck entsteht, eine globale Minderausgabe sei dann einfach weg, sage ich dazu: Natürlich wird die globale Minderausgabe in den Einzelplänen umgesetzt und konkretisiert. Das ist ein sinnvoller Schritt. Wir werden Ihnen nicht die Antwort schuldig bleiben, an welchen Stellen wir kürzen.
Ich wäre diesem Parlament aber sehr verbunden, wenn man nicht nur gegen jede noch so kleine Kürzung – ob im Kulturbereich, bei den Straßen, wo auch immer –, aufbegehren, sondern auch einmal sagen würde, woher denn das Geld kommen soll, um das alles zu finanzieren. Das wäre einmal eine sinnvolle Ansage.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das werden Sie sehen!)
Damit bin ich bei Herrn Laumann. Herr Laumann, zur Schuldenbremse hat der Finanzminister das gesagt, was erforderlich ist. Sie versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken, wir wollten die Schuldenbremse nicht einhalten. – Das ist falsch. Unsere mittelfristige Finanzplanung weist auch eindeutig den Weg.
Das hindert uns aber nicht daran, auch weiterhin vehement darauf zu bestehen, dass eine gute Finanzpolitik für die Zukunft unserer Kinder aus einem Dreiklang bestehen muss, nämlich nicht nur einzusparen, sondern auch in Vorbeugung, Kinder und Kommunen zu investieren – das ist eine gute Politik – sowie die Einnahmen zu erhöhen. Das ist der Dreiklang, den wir brauchen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Laumann, meine herzliche Bitte an Sie ist, doch die Trickserei sein zu lassen. Wenn Sie hier wie am Anfang Ihres Vortrags Zahlenreihen aufbauen, dann bleiben Sie bitte entweder bei den Planzahlen, oder nehmen Sie die Ist-Zahlen. Aber eine Mischung von Plan- und Ist-Zahlen ist unseriös. Wir haben es hier im Hause nicht nötig, uns mit unseriösen Zahlen zu beschäftigen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Werter Kollege Laumann, Sie haben auf das verwiesen, was die anderen Bundesländer tun. Auch der Kollege Lindner hat das getan. – Ich muss das ein bisschen ins rechte Licht rücken: Nordrhein-Westfalen hat in den Jahren 2011 und 2012 folgende Pro-Kopf-Ausgaben getätigt: 3.139 € beziehungsweise 3.287 € pro Einwohner. Damit geben wir weniger Geld aus als der Durchschnitt aller Länder.
Jetzt könnten Sie mit allem Recht fragen, mit wem wir uns vergleichen. – Deswegen liefere ich Ihnen auch noch die Tatsache nach, dass das weniger als der Durchschnitt in den westlichen Flächenländern ist. Das bedeutet: So katastrophal kann unsere Finanzpolitik doch gar nicht sein, wenn wir uns in diesem Konzert mit anderen vergleichen. Wir haben ja auch sehr viel mehr Bürgerinnen und Bürger als manch anderes Land. Deshalb muss man sich seriöserweise auf die die Pro-Kopf-Verschuldung und die Pro-Kopf-Ausgaben beziehen. Das gehört zur Seriosität einer solchen Debatte dazu, werte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lebhafter Widerspruch von Karl-Josef Laumann [CDU])
Dazu gehört auch, dass man sich anschaut, wie die entsprechenden Kerndaten lauten: In unserer Landesverwaltung sind mit nur 16,08 Stellen pro 1.000 Einwohner prozentual weniger Menschen beschäftigt als in allen westlichen Flächenländern. Unsere Neuverschuldung pro Kopf war 2011 niedriger als die in Bremen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Berlin, Niedersachen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Hessen und niedriger als die des Bundes.
2012 sind wir besser als Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Schleswig-Holstein, Berlin und Bremen gewesen. 2013 sind wir besser als Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Bremen.
Da es sich dabei um Zahlen handelt, die man durch den Raum wirft, machen wir es noch in bisschen konkreter: Ich bin vor einigen Wochen auf eine dpa-Meldung aufmerksam geworden, in der stand, dass Sachsen-Anhalt Anfang November angekündigt hat, in den nächsten Jahren jede fünfte Stelle einsparen zu wollen. – Sie fordern ja personelle Maßnahmen.
Von jetzt 50.000 Stellen sollen nur noch 40.000 Stellen übrig bleiben, um so eine Quote von 18 Stellen pro 1.000 Einwohner zu erreichen. In Sachsen-Anhalt geht es um einen Prozess, der über mehrere Jahre läuft und bei dem am Ende das Ergebnis von 18 Stellen pro 1.000 Einwohner stehen wird. Wir sind heute mit 16,08 schon besser. Das ist gelebte Realität in Deutschland, werter Kollege Laumann.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lebhafter Widerspruch von Karl-Josef Laumann [CDU])
Dann haben Sie noch erwähnt, wir wären mit unserer Politik für Kinder unglaubwürdig, dass wir kein Kind mehr zurücklassen wollen.
(Lebhafter Widerspruch von Karl-Josef Laumann [CDU])
– Bitte? Herr Kollege Laumann, Sie haben gleich noch einmal die Gelegenheit.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Sie können doch nicht Länder, die keine Landschaftsverbände haben, mit Ländern vergleichen, die Landschaftsverbände haben!)
– Entschuldigung, aber Sachsen-Anhalt hat auch nicht die Größe, dass man dort eine Zwischenebene bräuchte. Bei Nordrhein-Westfalen ist das sehr wohl so. Eigentlich müssten wir dann teurer sein, werter Herr Kollege. Das, was Sie hier einwerfen, entbehrt jeder Logik. Ein großes Flächenland braucht Zwischeninstitutionen, die ein kleineres Land nun wahrlich nicht braucht.
(Lebhafter Widerspruch von Karl-Josef Laumann [CDU])
Sie können ja gleich noch einmal reingehen.
Wir sind beim Thema „Kinder“! Herr Kollege Laumann, Sie haben Ihre Auffassung deutlich gemacht, unsere Politik sei in diesem Feld nicht glaubwürdig. – Sie kennen die Zahlen: Wir haben mehr als 1 Milliarde € in Vorbeugung investiert, als wir 2010 ins Amt gekommen sind. Wir finanzieren das durch.
Ich habe gerade darauf hingewiesen: Wir haben klare Beschlüsse, dass wir die Demografiegewinne bei der Schule im System lassen. Dazu stehen wir. Ich mache den Rücken gegen alle Kritik, die von Ihnen kommt, breit, damit diese Stellen im System verbleiben, weil wir Qualität brauchen und Inklusion und vieles andere mehr umsetzen müssen.
Sie führen die U3-Betreuung an. – Lieber Herr Kollege Laumann, meine Oma hat immer gesagt: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU]: Deswegen sollten Sie gar nichts sagen!)
Weil auf der Tribüne und im Netz immer wieder auch andere zuschauen, die das nicht jedes Mal verfolgen: 2007 gab es den sogenannten Krippengipfel, auf dem sich Bund, Länder und Kommunen darauf geeinigt haben, den Kita-Ausbau voranzubringen. Nordrhein-Westfalen hat damals unter der CDU/FDP-Regierung Rüttgers kein eigenes Programm aufgelegt, sondern lediglich das Bundesgeld durchgeleitet. Das ist der Grund, warum wir in der U3-Betreuung so stark hinterherhinken.
Es kommt noch etwas hinzu: Sie haben darüber hinaus keinerlei Absicherung in Sachen „Konnexität“ und den anstehenden Klagen der Kommunen vorgesehen. Wir mussten das hinterher drauflegen! Wir haben uns in diesen Positionen ehrlich gemacht! Das ist die Wahrheit der Politik Ihrer Landesregierung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn nicht schon das ein Grund wäre, dieses Thema in einer solchen Generaldebatte besser auszuklammern, so gilt das zumindest für das Thema „Betreuungsgeld“. Ab 2015 geht es um 1,2 Milliarden €. In Nordrhein-Westfalen könnten wir damit für das, was Sie in Berlin an Schwachsinn auf den Weg gebracht haben, 27.000 Plätze finanzieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Beim Thema „Betreuungsgeld“ habe ich ganz laut aufgelacht, als uns die Kollegen von der FDP erklärt haben, wie sie dort für den Bundeshaushalt gespart haben. Die Argumentationskette war wie folgt: Wir haben dafür gesorgt, dass das Betreuungsgeld erst ein paar Monate später kommt. Dieses Geld haben wir eingespart!
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
So spart diese Landesregierung in diesem Land nicht, meine Damen und Herren von der FDP. So sparen wir nicht!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Laumann, Sie von der CDU haben gesagt, es kämen dieses Mal – entgegen allen Erfahrungen – konkrete Einsparvorschläge. Meine Kollegin Sylvia Löhrmann und ich haben kurz resümiert: Sie haben von fünf Vorschlägen gesprochen. Wir kommen auf vier:
Erstens wollen Sie die Studiengebühren wieder einführen. – Im Wahlkampf haben Sie sich noch anders positioniert. Die Wende von der Wende kennen wir schon von der Energiewende.
Das Zweite ist das kostenfreie Kita-Jahr. Dafür werden Ihnen die Eltern ein Dankeschön sagen.
Das Dritte sind Förderprogramme und das Vierte ist das Personal.
Ich sage Ihnen jetzt schon voraus: Sie werden in beiden Bereichen auch dieses Mal wieder nicht konkret angeben, wo und wie Sie sparen würden. Das ist eine unredliche Oppositionspolitik, die Sie hier betreiben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Und wirklich offen blieb – wir haben ein bisschen hin und her überlegt – der fünfte Punkt. Auf den sind wir noch nicht gekommen.
(Christian Lindner [FDP]: Sozialticket!)
Also ist in dem Prozess durchaus noch ein bisschen Spannung drin.
Insgesamt bezogen sich die Debattenbeiträge weniger auf den Haushalt Nordrhein-Westfalen. Vielmehr ging es bei Herrn Laumann und auch bei Herrn Lindner relativ schnell um Bundespolitik.
(Christian Lindner [FDP]: Das stimmt nicht!)
– Doch, Sie haben über den Bundesrat gesprochen. Ich nehme gleich Stellung dazu. Keine Bange!
Herr Laumann hat einen relativ langen Exkurs in die Bundespolitik gemacht. Ich glaube, Nordrhein-Westfalen bietet beim Haushalt zu wenige Angriffsflächen.
Dann hat er direkt die Frage gestellt: Was ist eine gerechte Steuerpolitik? – Sie versuchen, dazu die nächste Kampagne zu starten, nachdem wir für Sie schon diejenigen sind, die den Müttern die Kinder abnehmen wollen, um sie zwangsweise in die Kita zu stecken, und diejenigen, die die Schuldenbremse nicht einhalten wollen; Sie malen immer Bilder, die mit der Realität gar nichts zu tun haben.
Nun kommt Ihre neue Nummer: Sie behaupten, wir würden Angestellte und Arbeitnehmer – insbesondere Facharbeiter – schröpfen, und stellen in der von Ihnen angezettelten steuerpolitischen Diskussion dann die Frage: Wo fängt Reichtum an?
(Zuruf von der CDU: Bei Steinbrück!)
Daraufhin habe ich Kollegin Löhrmann angeguckt und gesagt: Ich gehöre dazu. Herr Laumann gehört dazu. Aber mit Sicherheit gehört auch Herr Hegemann dazu.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Rainer Deppe [CDU]: Herr Steinbrück!)
Zur Abkürzung der Debatte empfehle ich einen Blick auf unsere Beschlüsse, die wir, das heißt jeweils Rot und Grün, auf Bundesebene gefällt haben. Wir sagen klar, dass und ab wann und in welcher Größenordnung wir den Spitzensteuersatz erhöhen würden.
Wir sagen auch glasklar – Herr Lindner, Sie bringen immer diesen Punkt –, dass wir eine Vermögensteuer wollen; das haben wir auch schon im Landtagswahlkampf deutlich gemacht. Wir sagen in unseren Beschlüssen allerdings auch sehr genau, dass wir das nicht in Form der Substanzbesteuerung von kleinen und mittleren Unternehmen machen werden, weil …
(Christian Lindner [FDP]: Aber wie Sie das machen, das sagen Sie nicht!)
– Das werden wir. Das bereiten wir vor. Wir werden die Konzepte vorstellen. Es gibt verschiedene Varianten, die wir im Augenblick im Kreise …
(Christian Lindner [FDP]: Wir sind da sehr gespannt!)
– Na ja, im Moment können wir das noch nicht umsetzen. Als Bundesregierung werden wir das schnellstmöglich umsetzen. Sie lassen das unter den Tisch fallen, obwohl das Einnahmen für den Landesetat wären, die wir gut gebrauchen könnten, werter Herr Kollege Lindner! Die könnten wir wirklich gut gebrauchen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich war bei Herrn Laumann stecken geblieben. Er ging noch auf die Rente ein und kam mit der Schreckenszahl; das würde 70 Milliarden € kosten. – Das ist alles Unsinn.
Aber, Herr Kollege Laumann, ich muss, zumal Sie der Sprecher der Sozialen sind, die es in der CDU auch noch gibt, deutlich sagen: Wir sind immerhin die einzige Partei, die ein komplettes Rentenkonzept durchgerechnet auf den Tisch gelegt hat. Sie hingegen machen eine angebliche Lebensleistungsrente, die 10 € mehr bringt als die Grundsicherung.
Das ist keine gute Politik gegen Altersarmut in diesem Land! Das ist Augenwischerei, was Sie beim Thema „Rente“ betreiben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der nächste Punkt, den Sie aufgegriffen haben, betrifft die Frage des Industriestandorts. Da bin ich in vielen Teilen bei Ihnen. Bei Opel allerdings ein Fass in Richtung „Jetzt hat Bochum gegenüber Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach verloren“ aufzumachen, ist unredlich. Wir haben es immer so gehalten, dass wir eng beieinander blieben, was die Opel-Standorte anbelangte, und dass wir es auch nicht zuließen, dass die einzelnen Standorte aufgrund von Fördermaßnahmen gegeneinander ausgespielt wurden. Insofern ist es unredlich, in dieser Debatte einen solchen Punkt zu bringen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ganz verstiegen haben Sie sich – Sie versuchen, sich so auf den Bundestagswahlkampf vorzubereiten, und man merkt, wie viel Angst Sie vor Peer Steinbrück haben – mit Ihrer
(Lachen von der CDU)
– ja, ja – Einlassung zu ThyssenKrupp. – Man könnte an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt eine Menge zu ThyssenKrupp sagen – übrigens auch in Richtung FDP, die immer verlautbart, die Wirtschaft mache alles besser und der Staat könne alles nur sehr viel schlechter regeln. Das lasse ich jetzt aber beiseite. Sie ziehen eine Verbindung zwischen den Milliardenverlusten von ThyssenKrupp und der Tatsache, dass Peer Steinbrück im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp sitzt. Dabei wissen Sie doch ganz genau, Herr Laumann, – dafür sind Sie lange genug im Geschäft –, dass
(Zuruf von der CDU)
– lassen Sie mich doch einmal ausreden – solche Investitionsentscheidungen vor vielen Jahren getroffen wurden. Sie wissen auch ganz genau, dass sich Ihr ehemaliger Ministerpräsident – er wurde dabei von vielen Fotografen und Journalisten begleitet – den Stahlwerksbau von ThyssenKrupp Steel in Brasilien angesehen und bejubelt hat, wie Sie so schön gesagt haben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Einig sind wir uns aber, was die Risiken, aber auch die Chancen für den Industriestandort angeht. Insofern möchte ich das, was der Kollege Römer gesagt hat, unterschreiben: Wenn wir über Klimaschutz sprechen, reden wir nicht nur über Risiken und über Bedrohungen, werter Kollege Lindner, sondern auch über riesige Chancen gerade für den Standort Nordrhein-Westfalen. Wir werden diese Chancen nutzen. Darauf können Sie sich verlassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
17.000 neue industrielle Arbeitsplätze im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen sprechen eine deutliche Sprache, und darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Natürlich gibt es aber auch Risiken. Natürlich machen wir uns Sorgen, und eine der größten Bedrohungen für die Zukunft dieses Standortes ist der zu verzeichnende Investitionsattentismus. Das ist so. Dann müssen wir aber auch einmal auf die Ursachen schauen. Wer einen Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg generiert, kein Management rechtzeitig in Gang setzt und glaubt, mit der Verabschiedung von Gesetzen sei die Energiewende vollzogen, der sorgt dafür, dass Unternehmen keine Planungssicherheit haben und der Standort gefährdet wird. Das ist die Politik der Bundesregierung von CDU/CSU und FDP in Berlin.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn Sie – das ist jetzt ganz aktuell – den Industriestandort Nordrhein-Westfalen in eine sichere Zukunft führen wollen, dann kann ich Ihnen nur raten, für die nächsten Sitzungen Ihrer Gremien in Berlin ein Thema mitzunehmen, das eine große Bedrohung ist: Gerade läuft in Brüssel der Generalangriff auf das EEG mit dem Argument „Beihilfen“. Gelingt dieser Angriff, werden unsere energieintensiven Unternehmen die Befreiung vom EEG verlieren, und was das für die Wettbewerbsfähigkeit am Standort und auch für die sich daran anschließenden Wertschöpfungsketten bedeutet, kann ich Ihnen gerne noch einmal im Detail erläutern. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass es nicht zu diesem Wahnsinn kommt, meine Damen und Herren!
(Zuruf von der CDU: Immer die anderen!)
Der Kollege Lindner hat zum wiederholten Male versucht …
(Zuruf von der CDU: Immer die anderen!)
Kollege Lindner …
– Entschuldigung, aber bei Herrn Almunia ist die Bundesregierung am Zuge. Ich war dort. Ich habe die Gespräche mit ihm geführt.
(Christian Lindner [FDP]: Ich habe keinen Zwischenruf gemacht!)
– Da kam gerade ein Zwischenruf.
(Christian Lindner [FDP]: Aber nicht von mir!)
– Ich habe nicht mit Ihnen geredet. Vielleicht schiele ich, aber ich habe den Kollegen angesprochen, der den Zwischenruf getätigt hat.
Aber bleiben wir beim Thema „Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr“. Kollege Lindner hat zum wiederholten Male versucht, den Spaltpilz zwischen Wirtschaft und Umwelt und womöglich noch Verkehr in der Landesregierung zu setzen. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Ich möchte gern etwas aufgreifen, weil das vielleicht im Protokoll auftaucht. Ich fand Ihren Zwischenruf wirklich bemerkenswert, als Sie der Kollege Priggen darauf aufmerksam gemacht hatte, worauf Sie dann gesagt haben, der Duin sei ja auch harmloser als der Rösler. Ich meine, das spricht auch Bände über die FDP.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Das wollte ich nur zum Besten geben.
Bei der Infrastruktur haben Sie sich, Herr Lindner, darüber gefreut, dass wir 96 Millionen € mehr bekommen. Ja, aber ehrlich gesagt hat das mit dem Königsteiner Schlüssel – das ist der Wert, mit dem wir sonst solche Mittel in Deutschland verteilen – aber auch gar nichts zu tun. Das heißt, wir sind wieder einmal unterproportional beteiligt.
Entschuldigen Sie, dass ich dazu wieder die Bundesregierung bemühe. Aber sie gibt gerade das Geld und verteilt es. Ich würde mich freuen, wenn Sie einmal Ihren Kolleginnen und Kollegen in Berlin die Frage stellten, warum das jedes Mal so ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diese Frage können Sie doch einmal in den Gremiensitzungen zum Besten geben.
Dann stellen Sie die Kürzungen im Straßenbau gegen die 30 Millionen € für das Sozialticket. Dass für Sie das Sozialticket politisch eine Maßnahme ist, die Sie für wenig sinnvoll halten, das ist bekannt. Aber dass Sie sich dann gleichzeitig in eine Position begeben, bei der Sie sagen, bei der Inklusion gehe es nicht sozial genug zu, das passt nicht zusammen. Die Aussage, wir ließen die Kommunen beim Thema „Inklusion“ allein,
(Zuruf von der CDU: Richtig!)
ist an sich schon eine merkwürdige Wahrnehmung, wenn man einmal überlegt, wer denn die UN-Konvention unterschrieben hat. Das war die Bundesrepublik Deutschland. Damit ist es eine gemeinsame Aufgabe aller, die in diesem Staat Verantwortung tragen. Wir werden unsere Verantwortung wahrnehmen.
Wir haben alles getan, um die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, nachdem Sie ihnen 3 Milliarden € in den Jahren von 2005 bis 2010 abgenommen haben, wieder handlungsfähig zu machen. Uns jetzt aber so hinzustellen, als wären wir die bösen Buben, die die armen Kommunen bei der Inklusion alleine ließen, das passt nicht zusammen, Herr Kollege Lindner.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der Kollege Jäger wird bei der Behandlung des GFG auf den Stärkungspakt eingehen. Ich sage an dieser Stelle nur: Es handelt sich nicht um einen Rechenfehler des Innenministeriums,
(Zuruf von der CDU: Immer die anderen!)
sondern wir haben das Problem, dass die Kommunen offensichtlich nur schwer in der Lage sind, gesicherte Daten zu liefern und diese dann sozusagen testiert und mit einiger Wahrscheinlichkeit versehen dem Innenministerium mitzuteilen. Das hat sehr lange gedauert, und es hat viele Korrekturen gegeben. Niemand bedauert das mehr als wir. Aber das Gesamtkonstrukt des Stärkungspaktes lassen wir uns darüber nicht diffamieren. 5,3 Milliarden € in den nächsten Jahren – das ist die Antwort dieser Landesregierung auf das, was Sie an den Kommunen in der Vergangenheit verbrochen haben. Dabei bleibe ich!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dann waren auch Sie bei der Bundespolitik und beim Bundesrat und der kalten Progression. Der Finanzminister muss gleich in den Vermittlungsausschuss, wo zum Jahresende noch wichtige Themen anstehen. In der Tat geht es um die Frage, die die Bundesregierung mit der kalten Progression aufgeworfen hat.
Vorweg: Die SPD-Länder und auch die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung werden den Grundfreibetrag anheben. Alles andere halte ich moralisch auch nicht für vertretbar. Das habe ich auch in allen Kreisen immer deutlich gemacht. Wir haben auch nie darüber nachgedacht, das mit der Anhebung des Spitzensteuersatzes oder sonstigen steuerlichen Maßnahmen zu koppeln. Das war nie unsere Position. Dazu läuft gerade auch eine Legendenbildung, die ich schon interessant finde.
Aber dass wir uns dagegen wehren – auch vor dem Hintergrund des Haushaltes, den wir heute vorgelegt haben –, dass uns über Maßnahmen des Bundes dauernd die Einnahmebasis zerschossen wird, dafür bitte ich einfach um Verständnis. Wir machen keine Blockadepolitik im Bundesrat um der Blockade willen, aber wir können nicht über eine Planung auf gesicherter Grundlage eine Null-Schulden-Grenze erreichen, wenn wir dauernd Hunderte von Millionen an Einnahmen weniger zu verbuchen hätten. Das funktioniert nicht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Bevor Sie sich scheinbar auf die Seite der sogenannten kleinen Leute stellen – die müssen dabei immer vorsichtig sein, aber diese Erfahrung haben sie mit der FDP schon gemacht –, sage ich Ihnen, dass man an diesen Punkten genau hinschauen muss. Wer den Grundfreibetrag anhebt, der sorgt dafür, dass alle, die darüber liegen, davon profitieren. Dadurch wird eine enorme Erleichterung ausgebracht. Ich wäre vielleicht gerne bei Ihnen, die Kurve abzuflachen, damit jemand, der eine Einkommenserhöhung bekommt, mehr davon hat. Aber Sie können sich hier nicht hier hinstellen und sagen, wir müssten Schulden abbauen, aber gleichzeitig in Berlin dafür sorgen, dass unsere Einnahmen wegbrechen. Das funktioniert nicht, und das ist keine vernünftige Politik für Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deshalb sagen wir den Bürgerinnen und Bürgern genau, was wir wollen. Wir sagen auch, warum wir es wollen. Inzwischen haben ja längst viele begriffen, dass sie, wenn es Steuergeschenke von der FDP und von anderen gibt, an anderer Stelle dann umso mehr bezahlen müssen. Wenn nämlich finanzielle Basis bei den Ländern wegbricht und damit dann auch in den Kommunen, dann müssen die wieder ihre Gebühren erhöhen, dann fallen wieder Leistungen weg. Ich bleibe bei dem Kernsatz: Ein Staat, der nicht handlungsfähig ist, den können sich nur die Reichen leisten. Das haben alle anderen inzwischen auch begriffen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zur Vermögensteuer und wie wir damit umgehen werden habe ich schon etwas gesagt.
Ein Wort noch zu Frankreich: Ich empfehle, doch einmal dort hinzufahren und sich auch die Zahlen der letzten Jahre anzuschauen. Ob Francois Hollandes Politik gelingt oder nicht, kann ich im Moment noch nicht beurteilen. Er hat gerade die ersten Maßnahmen auf den Weg gebracht. Eines kann ich Ihnen aber sagen: Die Situation, wie sie dort zurzeit besteht, hat sicher die Vorgängerregierung verursacht.
(Zuruf von der CDU: Ja, immer die anderen!)
Schönen Dank.
(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin Kraft. – Für die Oppositionsfraktion der CDU hat nun Herr Dr. Optendrenk das Wort. Bitte schön.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bei der Rede der Ministerpräsidentin stellt man sich die Frage, warum sie so geredet hat. Die Antwort lautet: Sie hat ihren Fraktionsvorsitzenden gehört und hielt es für erforderlich, die Position der SPD darzustellen.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Bei dem, was Herr Römer am Anfang seiner Rede erzählt hat – das ist nun auch schon zweieinhalb Stunden her –, habe ich gedacht: Am Rednerpult muss ein Plattenspieler aufgestellt sein. Es war nämlich die alte Schallplatte zu hören, die schon vor Jahrzehnten im Landtag tönte,
(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
die Opposition habe wieder keine Sparvorschläge vorgelegt.
(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Herr Römer, Sie haben die falsche Platte aufgelegt.
(Beifall von der CDU)
Heute hat Ihr Finanzminister einen Haushaltsentwurf eingebracht, den wir bis März beraten werden. Gehen Sie davon aus, dass wir Vorschläge machen werden, wie es besser geht, als Sie es verteidigt haben.
(Beifall von der CDU)
Herr Römer, dieses Beratungsverfahren hat schon seinen guten Zweck: Ein Parlament sollte sich mit einem Entwurf ernsthaft befassen. Der Minister hat auch einen Anspruch darauf, dass wir uns ernsthaft damit befassen und nicht direkt in der Erwiderung, ohne dass wir groß darüber nachdenken konnten,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Darüber haben Sie noch nie nachgedacht! Das ist für Sie alles ganz neu!)
herumsalbadern, wie das andere hier manchmal tun.
Frau Ministerpräsidentin, ich muss schon sagen: Ich fand Ihre Prokopfzahlvergleiche sehr interessant. Wenn man sich nämlich die Unterschiede anschaut, stellt man fest, dass wir in Deutschland kein Bundesland haben, das einen höheren Kommunalisierungsgrad hat als Nordrhein-Westfalen. Dass andere Länder in ihren Institutionen auf Landesebene möglicherweise höhere Prokopfaufwendungen beim Personal haben, verwundert nicht, denn wir haben es gerade kommunalisiert. Deshalb haben wir weniger Personal. Äpfel mit Birnen zu vergleichen, ist an dieser Stelle wenig hilfreich.
(Beifall von der CDU)
Es wäre sehr traurig, wenn wir immer nur an Prokopfzahlen festmachen könnten, dass wir das größte Bundesland sind, wenn es die ökonomischen Skaleneffekte gar nicht gäbe. Ich habe einmal gelernt, dass man doch bestimmte Größenvorteile hat, wenn man Aufgaben komprimiert wahrnehmen kann. Das ist jedenfalls in der Betriebswirtschaft so. Ich hatte gedacht, dass das im Land Nordrhein-Westfalen auch so gesehen wird. Also müssen wir eigentlich pro Kopf immer günstiger sein als andere kleinere Bundesländer.
Ich habe wahrgenommen, dass sich die SPD mit ihrem Fraktionsvorsitzenden jetzt auch an der fortgesetzten Mattenflucht des Ministers in die Bundespolitik beteiligt. Eben kam der Vorwurf an die Adresse der Opposition, man habe zu viel über Bundespolitik gesprochen. Ich habe mitverfolgt, dass sich der Finanzminister bei seiner Einbringungsrede zum Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen gut die Hälfte der Zeit mit Bundespolitik beschäftigt hat.
Es mag schön sein, dass man sich mit Bundespolitik beschäftigt. Sie beschäftigen sich ja auch gerne mit Dingen in Tokio, in Washington und anderswo. Aber das ist nicht das strukturelle Problem dieses Haushalts. Sie finden nämlich keine Antwort auf die innere Dynamik dieses Haushalts. Sie haben keine Antwort auf die Frage nach den demografischen Herausforderungen für den Landeshaushalt vorgetragen. Sie haben keine Antwort darauf vorgetragen, warum Sie die historisch niedrigen Zinssätze, die gegenüber einer alten mittelfristigen Finanzplanung 400 bis 500 Millionen € an Einsparungen allein in diesem Jahr bringen, nicht zur Absenkung der Nettoneuverschuldung einsetzen können.
Die Antwort ist ganz einfach: Sie müssen Ihre Wahlgeschenke bezahlen. Das heißt, die Zinseinsparungen finanzieren Ihre Wahlgeschenke.
(Beifall von der CDU)
Sie sind damit Profiteur der internationalen Finanzkrise, denn sonst wären die Zinsen nicht so niedrig. Sie sollten deshalb darüber nachdenken, ob Sie immer auf die Kapitalmärkte schimpfen sollen, die Sie anschließend gerne für Ihre verminderten Zinsausgaben in Anspruch nehmen.
(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Krise ist gut?)
– Nein, aber sie ist nicht als Argument geeignet, Herr Kollege Mostofizadeh, um zu sagen, dass das alles nur böse ist.
Wir profitieren genau wie der Bund – das haben wir schon an anderer Stelle diskutiert – von den historisch niedrigen Zinsen. Aber das ist kein dauerhafter Zustand und auch kein Zustand, den wir uns dauerhaft wünschen können, denn niedrige Zinsen sagen etwas über ein gestörtes volkswirtschaftliches Gleichgewicht aus. Sie sagen etwas darüber aus, dass etwas nicht stimmt. Deshalb können wir uns darauf auch in Zukunft nicht verlassen. Wir müssen damit rechnen, dass wir irgendwann für die ganzen Schulden, die wir jetzt aufnehmen, mehr bezahlen müssen.
Herr Priggen hat darauf hingewiesen, dass in der mittelfristigen Finanzplanung des Jahres 2010 des alten Finanzministers eine höhere Nettoneuverschuldung angesetzt war. Er hatte im Gegenzug auch deutlich niedrigere Steuereinnahmen. Es waren mehr als 3 Milliarden € in den Jahren 2011, 2012 und 2013 weniger angesetzt. Entsprechend fällt auch die Neuverschuldung jetzt niedriger aus, weil Sie die Steuermehreinnahmen einfach einbuchen können. Es ist gut, dass es so ist. Aber das sollte man auch sagen. 2011 waren es gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung von damals 3,4 Milliarden €, 2012 waren es 3,2 Milliarden €, und 2013 sind es 3,1 Milliarden €.
Der Unterschied ist nur: Sie haben eine globale Minderausgabe von 820 Millionen € und eine globale nicht spezifizierte Mehrausgabe von 160 Millionen € drin. Diese knappe Milliarde ist die Finanzierung Ihrer Wahlgeschenke, denn sonst wären Sie bei den von unserem Fraktionsvorsitzenden dargestellten 4,5 Milliarden € Nettoneuverschuldung. Die wollten Sie dem Parlament nicht vorlegen, sondern sie lieber ohne parlamentarische Begleitung irgendwo einsparen und kürzen. Das ist eigentlich ein Verstoß gegen das Transparenzgebot.
Wenn man sich diese Milliarde anschaut, ist auch klar: Herr Lindner hat auf dieses Bild hingewiesen.
(Der Redner hält die mittelfristige Finanzplanung 2012 bis 2016 des Landes hoch.)
Herr Minister, ich habe mir die Freude gemacht, mir die alte MFP von 2010 herauszusuchen.
(Der Redner hält die mittelfristige Finanzplanung 2009 bis 2012 des Landes hoch.)
Darin ist ein anderes Foto, nämlich eine Dame, die sagt: Es ist wirklich wichtig, dass wir auf jeden einzelnen Cent achten. Wir müssen nämlich in der Zukunft all das bezahlen, was wir heute mehr ausgeben. – Dieses Bild ist dasjenige, das eigentlich Ihre Philosophie sein sollte. Aber das ist es, wie sie tatsächlich ist. Sie konsumieren auf Kosten der zukünftigen Generationen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Auf der Bundesebene, auf die ich auch noch einmal kommen möchte, weil die Steuerdiskussion hier die ganze Zeit wabert, gibt es eine ganz tolle „Peer“spektive, nämlich folgende: Die SPD wird als Partei der Steuererhöhungen und Schuldenmacherei in den Wahlkampf gehen. Leitbild ist und bleibt der gefräßige Staat. Man nimmt das Geld entweder auf Pump auf, oder man zieht es dem Bürger aus der Tasche, damit man mit gutem Gewissen das Geld auf der anderen Seite wieder ausgeben kann.
Das Ergebnis ist völlig absehbar: weniger Wohlstand, weniger Wachstum, weniger Geld in den Portemonnaies der Menschen, weniger Entfaltungschancen, weniger sozialer Aufstieg, mehr Arbeitslosigkeit, mehr Bevormundung, mehr Schulden und anschließend mehr Steuern, um diese Schulden zu bezahlen. Das ist eine fatale Abwärtsspirale. Für die steht Ihre Politik. Ich bin mir sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger das verstehen werden.
Warum steht Deutschland heute besser da als alle anderen Staaten in Europa? Nicht, weil wir mehr umverteilt haben, sondern weil wir die Rahmenbedingungen geschaffen haben, dass Wachstum und Beschäftigung erfolgreich entstanden sind. Jetzt kommt Ihr Kanzlerkandidat und erklärt: Wir werden die Steuern erhöhen – nicht verzagt, nicht verschämt. – Man könnte auch sagen: Das ist ziemlich unverschämt gegenüber den Lebenschancen der Menschen in Deutschland.
Lernen Sie doch bitte endlich aus der Geschichte! Die beste Garantie für mehr Wohlstand und Beschäftigung ist nicht mehr Bevormundung durch Bürokratie und mehr Staat, sondern es ist ein starker Staat, der in der Lage ist, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Menschen auch gerne arbeiten möchten, dass sie Chancen haben. Und das ist das, was uns unterscheidet.
(Beifall von der CDU)
Uns unterscheidet: Wir wollen nicht mehr Staat und mehr Bevormundung – sonst hätten wir in Deutschland auch nicht zwei Jahrzehnte Aufbau Ost zum Reparieren von mehr Staat und mehr Bevormundung hinter uns. Wenn mehr Staat wirklich ein Erfolgsmodell wäre, dann müssten wir nicht in Europa für Frieden und Freiheit arbeiten, sondern dann müssten wir eigentlich eine strategische Partnerschaft mit Kuba aufbauen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Meine Güte!)
– Ich habe Nordkorea extra nicht genannt.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Sie werden feststellen: Die Menschen wollen Sicherheit und Chancen auf Entfaltung, eben keine Bevormundung.
Wenn ich das Thema „kalte Progression“ noch kurz streifen darf: Dann ist auch das, was die Ministerpräsidentin heute wiederholt hat – es wurde jetzt mehrfach gesagt –, immer noch falsch: Die kalte Progression hat nämlich zur Folge, dass gerade die Menschen mit mittleren Einkommen kaum noch einen Anreiz haben, mehr zu verdienen, mehr zu leisten, weil sie wissen, es bleibt wenig davon in ihrem Portemonnaie übrig.
(Zuruf der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Warum sollen Menschen mehr arbeiten, wenn sie wissen, dass sie das Ergebnis der Mehrarbeit beim Finanzamt abliefern müssen? Was ist denn die Logik dieses Argumentes? Das hat dann auch nichts damit zu tun, dass man Steuermehreinnahmen nicht haben will. Die Frage ist, ob Steuereinnahmen dadurch entstehen, dass wir Wachstumsimpulse setzen, oder ob man ein statisches Verständnis von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft hat. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen uns. Wir glauben, dass man Wachstum stimulieren kann, und zwar indem man den Menschen Anreize gibt.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Wie schließen Sie denn die Einnahmelücke?)
Sie vertreten lieber ein statisches Verständnis, weil Sie meinen, dass ein veredelter Staats-Euro ein besserer Euro ist als der Euro in den Portemonnaies unserer Bürgerinnen und Bürger. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik. Dafür werden Sie auf Dauer keine Zustimmung bekommen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Nun hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Börschel das Wort.
Martin Börschel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Optendrenk, wenn Sie tatsächlich das Staatsverständnis, das Sie heute noch einmal für die CDU deutlich gemacht haben, gegen das der Sozialdemokratie und der rot-grünen Koalition stellen wollen, dann werden Sie in der Tat erleben, dass sie auf Dauer keine Zustimmung ernten.
(Günter Garbrecht [SPD]: Sehr richtig!)
Zu sagen, dass der Staat ein gefräßiges Monster sei, das die Einnahmen nur dazu verwende, um sie irgendwie zu verschlingen und zu verdauen, und sich überhaupt nicht vergegenwärtigen, dass die Einnahmen, die der Staat dringend braucht, dazu dienen, die berechtigten Wünsche von Bürgerinnen und Bürgern an ihren eigenen Staat zu erfüllen: Der Staat ist ja kein Monstrum, das irgendwo herumschwirrt, er hat vielmehr den Bürgerinnen und Bürgern zu dienen und gehört ihnen.
Kindertagesstätten, Schulen, Infrastruktur, Hochschule, Justiz, Polizei und viele Dinge mehr: Dafür braucht unser Staat das Geld und nicht für irgendwelche imaginären Luftschlösser. Wenn Sie das tatsächlich als gefräßiges Monster ansehen, dann habe ich keine Bange vor dieser staatspolitischen Auseinandersetzung. Das will ich einmal zuerst sagen.
(Beifall von der SPD)
Ansonsten möchte ich nur noch auf ein paar Punkte eingehen, die die Opposition eben auf die Replik der Ministerpräsidentin entweder nicht zur Kenntnis nehmen wollte oder nicht zur Kenntnis nehmen konnte.
Herr Kollege Laumann und Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, selbstverständlich haben Sie Plan- und Ist-Daten in dem Vorwurf gegen die Regierung durcheinandergeworfen. Das ist Ihnen möglicherweise entgangen. Aber im Jahre 2011 hatten wir – Ist – eine Nettoneuverschuldung von 3 Milliarden €. Im Jahre 2012 werden Ist und Soll ungefähr gleich liegen, bei diesen 3,3 Milliarden €, bereinigt um den Sondereffekt. Aber 2013 ist es eben ein Planwert. Es dürfte Ihnen nichts Neues sein, dass man in dem Fall über einen Planwert redet. Herr Kollege Laumann hat aber genau dieses Herrn Finanzminister Walter-Borjans vorgeworfen.
Er hat ihm ein Weiteres vorgeworfen: dass er in den beiden Jahren, in denen Minister Walter-Borjans mittlerweile für die Finanzen zuständig ist, im Ist stets besser abgeschnitten hat als im Plan. Ein anderer Finanzminister hat sich dafür extra ein neues Etikett ausgedacht. Ich glaube, ehrbarer Kaufmann oder solider Kaufmann oder so ähnlich hieß diese Selbstverständlichkeit. Norbert Walter-Borjans kalkuliert vorsichtig. Und das ist ausdrücklich richtig und in Ordnung so. Dass Sie ihn dafür kritisieren, kann ich beileibe nicht verstehen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zu Recht haben Sie eingefordert, dass Sie für die eigenen Konsolidierungsvorschläge, die einmal mehr angekündigt worden sind, die Zeit des Haushaltsverfahrens brauchen. So weit, so gut. Es ist selbstverständlich, dass man damit nicht in der ersten Lesung um die Ecke kommt, sondern das bis zur zweiten und dritten Lesung macht.
Aber in der Tat – die Ministerpräsidentin hat es absolut treffend auf den Punkt gebracht –: Was wird von Ihrer Seite denn kommen? Wenn Sie wieder einmal mit den Kindergartengebühren kommen – auch Kollege Lindner hat eben darauf hingewiesen –, dann kommen Sie an einer Botschaft nicht vorbei: Durch Kindergartengebühren am meisten belastet sind, gemessen an ihrem verfügbaren Einkommen, die Eltern mit geringem Einkommen in den ärmsten Städten unseres Landes.
(Widerspruch von Christian Lindner [FDP])
Und die haben wir entlastet. Das ist doch der eindeutige Punkt. Dort, wo man belasten kann, wo man sagen kann: „Starke Schultern sollen mehr tragen“, dafür sind Steuern da. Das ist jedenfalls unser Konzept. Entlastet wurden der Mittelstand und die Armen in dieser Gesellschaft – und das umso mehr, je ärmer die Kommune ist, in der sie leben. Denn da waren die Kindergartengebühren am höchsten.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Ich bin sehr gespannt, ob Sie tatsächlich vor die Wählerinnen und Wähler treten wollen, um die Wiedereinführung der Kindergartengebühren zu vertreten.
Bei den Studiengebühren gilt Ähnliches. Sie sind hier ja wie die letzten Dinosaurier von Schwarz-Gelb im Land Nordrhein-Westfalen. Sonst gibt es in der Republik keinen mehr. In Bayern fliegt fast eine Koalition auseinander, weil sich Schwarz und Gelb heftig darüber streiten, ob Studiengebühren noch das richtige Element sind. Sei‘s drum.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Dann sagen Sie bitte ganz ehrlich, Sie wollen die Studiengebühren wieder einführen
(Christian Lindner [FDP]: Ja!)
und machen die Wende von der Wende. Das müssen Sie den Menschen in Nordrhein-Westfalen aber auch sagen – und nicht auf der einen Seite die Abschaffung begrüßen, wie es Herr Röttgen tat,
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
um jetzt die Wiedereinführung zu fordern. – Endlich Klarheit an dieser Stelle!
Dasselbe gilt fürs Personal. Wenn Sie es nicht machen wollen wie in den Zeiten Ihrer Regierung – Herr Kollege Römer hat Ihnen das ganz sorgfältig vorgerechnet –, nämlich 90 % des Personals erst einmal auszunehmen, um auf die restlichen 10 % diese Kürzungsquote von 1,5 % zu legen, sondern sagen, das gesamte Personal müsse nach den Vorstellungen von CDU und FDP für Kürzungsquoten herangezogen werden, dann geben Sie auf Heller und Pfennig sowie auf Kopf, Schule und Ort bezogen an: Wie viele Lehrerinnen und Lehrer wollen Sie einsparen?
(Zustimmung von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Wie viele Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer wollen Sie einsparen? Wie viele Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wollen Sie einsparen? Wie viele Menschen in den Justizeinrichtungen wollen Sie einsparen? Bei all diesen Punkten müssen Sie ehrlich und wahrhaftig agieren, aber nicht auf der einen Seite mit großem Munde Einsparungen fordern, um auf der anderen Seite dann doch wieder nichts zu liefern.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich bin sehr gespannt, ob Ihnen das am Ende gelingen wird.
Uns ausgerechnet von Ihnen von der CDU und der FDP einen Vortrag über die Kommunalfreundlichkeit unserer Politik halten zu lassen – da kann ich wirklich nur lachen.
(Christian Lindner [FDP]: Wir haben den Stärkungspakt mit beschlossen!)
– Herr Kollege Lindner, Sie haben in Zeiten Ihrer Regierung die Kommunen als Fußabtreter Ihrer Politik missbraucht. Die 3 Milliarden €, die Sie den Kommunen allein in Ihrer Regierungszeit entzogen haben, haben eine deutliche Sprache gesprochen. Insofern haben wir es überhaupt nicht nötig, uns beim Thema „Konnexität“ – Sie haben übrigens eine Klage nach der anderen in Münster verloren – Belehrungen gefallen zu lassen. Wenn Sie uns das vorwerfen, sind Sie wirklich völlig fehl am Platze.
In einem Punkt, Herr Kollege Lindner, hatten Sie in der Tat recht. Sie haben gesagt, man könne die Einnahmen eines Landes auch durch wirtschaftliches Wachstum verbessern. Bei diesem einen Element will ich Ihnen selbstverständlich ganz ausdrücklich zustimmen, denn das Spiegelbild von Wirtschaftswachstum sind entsprechende Steuereinnahmen.
Aber wenn man das schon so propagiert, Herr Kollege Lindner, muss man sich an den eigenen Taten messen lassen. Ich kann nur die Fakten und die offiziellen Statistiken sprechen lassen. Die Finanzkraft des Landes Nordrhein-Westfalen, die auch Grundlage des Länderfinanzausgleichs ist, ist in Ihrer Regierungszeit 2005 bis 2010 von einem überdurchschnittlichen auf einen unterdurchschnittlichen Wert gefallen.
(Beifall von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Wenn Sie sagen, Wirtschaftswachstum sei die Domäne der FDP, entgegne ich: Ganz im Gegenteil, die rot-grüne Regierung dokumentiert jetzt, welche Kompetenz sie auf diesem Feld hat.
(Lachen von Ralf Witzel [FDP])
Sie hatten sie jedenfalls ausweislich der Zahlen nicht. Denn die Finanz- und Wirtschaftskraft des Landes ist gefallen. Die Statistik lügt nicht, denn sie ist nicht von mir. Ich würde zwar auch nicht lügen, aber sicherer ist es jedenfalls, wenn sie von offiziellen Stellen und nicht von mir stammt.
(Heiterkeit)
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin sehr gespannt, was Sie uns noch in den Haushaltsplanberatungen vorlegen werden. Bisher sind es nichts als laue Lüftchen und bloße Ankündigungen. Selbst die richten sich in aller Regel gegen Sie selbst, weil Sie nicht im Ansatz das werden halten können, was Sie jetzt andeuten.
Wir sind allemal darauf gespannt; das haben die Ministerpräsidentin und der Finanzminister gerade noch einmal gesagt. Jeder Vorschlag wird gewogen und nach Prüfung angenommen werden können, sofern er vernünftig ist. Aber gemessen an Ihren heutigen Auftritten werden wir Sie nicht davonkommen lassen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Börschel. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lindner hat gerade den Raum verlassen. Ich möchte ihm zu zwei Punkten, auf die er mich angesprochen hat, antworten.
(Christof Rasche [FDP]: Ich richte es ihm aus!)
– So ist das. Das kann er im Protokoll nachlesen, oder man richtet es ihm aus.
Der erste Punkt bezog sich auf die Steuerpolitik des Bundes. Da hat er erneut nach seiner Selbstinszenierung, die er vorhin betrieben hat, mit einer relativ unfassbaren Arroganz behauptet, ich würde nicht verstehen, wie diese Progression funktioniert, und dass mir der Basiseffekt der Prozentrechnung nicht geläufig sei.
Ich weiß sehr wohl, dass, wenn man eine progressive Linie hat, natürlich diejenigen, die mehr verdienen, mehr zahlen, und dass sie, wenn sie entlastet werden, stärker entlastet werden. Ich habe das nicht bestritten. Darum geht es auch.
Wenn wir jetzt – das hat die Ministerpräsidentin dargestellt – einerseits den Grundfreibetrag anheben und andererseits die Progression verschieben, entlasten wir die Besserverdienenden stärker – und zwar nominell. Das ist einfach so.
Dann muss man sich – das ist die sehr wichtige Frage – entscheiden: Können wir das finanz- und haushaltspolitisch verantworten? Können wir das auch darstellen, insbesondere im Konzert anderer staatspolitischer Maßnahmen, die zu treffen sind? Die Ministerpräsidentin sagte zutreffend, dass wir auf unseren Landeshaushalt achten müssen. Wenn Sie auf der anderen Seite sagen, wir sollten keine Steuergeschenke oder sonstigen Versprechungen auf Pump machen, nehmen wir Sie als Maßstab. Wenn Sie diese Entlastung machen wollen, sagen Sie im Bundeshaushalt, woher die Entlastung für diese Maßnahmen kommt, damit die Länder und Kommunen nicht mehr belastet werden – nicht mehr und nicht weniger.
Zum Punkt „Vermögensteuer“: Herr Laumann hat versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Vermögensteuer nicht verfassungskonform auszugestalten sei und dass es nicht möglich sei, diese zu erheben. Auch dazu hatten wir eine relativ beeindruckende Anhörung. Sie war für meinen Teil insofern beeindruckend, als die Vortragenden im Wesentlichen Ideologiephrasen vorgetragen und sich nicht zur Sache ausgelassen haben.
Das Problem der Vermögensteuer, was die Bewertung von Immobilien betrifft, haben auch die Grundsteuer und die Erbschaftsteuer. Wenn die FDP möchte, dass die Erhebung von Erbschaft- und Grundsteuer heute eingestellt wird, soll sie das sagen und auch mitteilen, woher dann das Geld für die Kommunen und das Land kommt. Das ist nicht unsere Position.
Ein weiterer Punkt liegt mir wirklich sehr schwer im Magen, nämlich die Inklusion. Herr Lindner hat eben versucht, den Eindruck zu erwecken, als wollte die Landesregierung die Kommunen bei der Inklusion im Regen stehen lassen. Ich kann Ihnen an dieser Stelle aber Folgendes nicht ersparen: Herr Kollege Witzel, Sie haben offenkundig im Dezember 2009 ganz persönlich diesen Landtag und insbesondere die schwarz-gelbe Koalition daran gehindert, überhaupt anzuerkennen, dass wir Inklusion als Auftrag haben und dass das Land sie umzusetzen hat. Das ist FDP pur in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Es funktioniert nicht so, wie Sie es sich einfach vorstellen!)
Er hat sich offensichtlich nicht kundig gemacht, da er davon spricht, dass die Barrierefreiheit in den Kommunen Inklusionsaufgabe der Landesregierung sei.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Der Schulministerin!)
– Oder der Schulministerin. – Ich kann vor diesem Hintergrund nur darauf hinweisen: Für die baulichen Aspekte – da müsste man Barrierefreiheit sehr genau definieren – ist zunächst einmal die Kommune zuständig.
Man musste nicht auf das Jahr 2009 warten. Es gibt eine ganze Menge Kommunen, die es bereits vor dem Erlass der UN-Konvention umgesetzt haben. Zu anderen Punkten der Barrierefreiheit – es geht um Computer, um Hörgeschädigte und um andere Fragen –, hat die Landesregierung sehr wohl erklärt, dass sie bei der Prozessausgestaltung im Boot ist. Insofern haben Sie sich in diesem Punkt demaskiert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur noch auf zwei Aspekte hinweisen. Der eine Aspekt bezieht sich auf einen Punkt, der mich wirklich ärgerlich macht und von dem ich dachte, dass in diesem Landtag ein Konsens bestünde. Es geht um die Frage, dass wir nicht bewusst und wider besseren Wissens Landesinstitutionen zum Schaden des Landes schlechtreden.
Herr Kollege Witzel hat mit Billigung des Fraktionsvorsitzenden Lindner mehrfach behauptet, sowohl die Erste Abwicklungsanstalt als auch die WestLB kämen ihren Pflichten zum Schaden des Landes nicht nach. Nach meinem Kenntnisstand ist Ihnen mehrfach nicht nur das Gegenteil dargelegt, sondern auch bewiesen worden, und zwar am 31. August durch die Landesregierung, die Vorstände der EAA und die Vorstände der WestLB-Nachfolgergesellschaft Portigon. Herr Kollege Witzel, Sie betreiben billigen Populismus auf dem Rücken des Landes. Das kann zu Milliardenschäden führen und verhindern, dass die Portigon ein vernünftiges Geschäftsmodell bekommt und die EAA ihre Arbeit erfolgreich betreiben kann, um die darin liegenden Werte vernünftig abzuarbeiten. Das finde ich schäbig. Das gehört sich in diesem Parlament einfach nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Lassen Sie mich einen letzten Punkt zum Stärkungspakt Stadtfinanzen klarstellen, der mir ein persönliches Anliegen ist. Es ist unbestritten sehr ärgerlich, nun diese Neuberechnung vornehmen zu müssen. Klar ist aber auch, alle Fraktionen des Landtages haben diese Neuberechnung gefordert. Wer etwas fordert, muss auch mit den Ergebnissen leben. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist, wenn wir das nicht schon 2011 vollzogen hätten, hätten die Städte und Gemeinden jetzt 760 Millionen € weniger überwiesen bekommen. Das wollten wir ausdrücklich nicht. Wir wollten den Kurs von Schwarz-Gelb beenden und den Kommunen mit dem Stärkungspakt helfen.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Die FDP hat einen Sinneswandel vorgenommen und sich diesem Stärkungspakt angeschlossen. Ich nehme zur Kenntnis, dass Herr Lindner einen Ausweg sucht und gewissermaßen einen Tunnel gräbt, um sich wegzuschleichen.
Herr Kollege Abruszat, es geht darum, wie die Finanzierung der zweiten Stufe im Jahr 2014 im Gesetz formuliert werden kann. Es betrifft die Solidaritätsumlage. Es wundert mich nicht, dass sich die FDP drückt. Die Solidarität steht auf ihrer Skala nicht ganz weit oben. Einen zweiten Punkt finde ich sehr beachtenswert, den Herr Kollege Biesenbach und Herr Kollege Kuper vorgetragen haben. Die CDU fordert allen Ernstes eine Ausstiegsoption für den Stärkungspakt. Glauben Sie, dass die Stadt Essen auf eine Entlastung von 90 Millionen € verzichtet? Insgesamt ist das eine halbe Milliarde Euro. Glauben Sie das ernsthaft? Glauben Sie, dass Oberhausen 60 Millionen € vom Land nicht nimmt, um den Konsolidierungsprozess fortzuführen?
Noch etwas anderes ist wichtig. Sie tun so, als ob diese Städte vor dem Stärkungspakt in einer rosigen Situation gewesen wären. Ich weise nur auf Oberhausen hin. Der Haushalt von Oberhausen wies im Jahr 2010 ein Defizit in Höhe von 145 Millionen € aus. Mit Hilfe des Landes durch den Stärkungspakt und das GFG sowie mit den Entlastungsmaßnahmen des Bundes, wird es gelingen, einen Haushaltsausgleich bis 2016 hinzubekommen. Die Entlastungsmaßnahmen des Bundes sind hart erstritten worden. Sie werden nicht gewährt, weil Schwarz-Gelb es wollte, sondern weil wir sie im Bundesrat letztendlich dazu gezwungen haben. Das sind doch ganz wesentliche Erfolge, die diese Landesregierung zu verantworten hat. Das unterscheidet sich ganz wesentlich von dem, was CDU und FDP machen.
Herr Kollege, zu dieser Wahrheit gehört auch, dass die Kommunen ihre Politik massiv geändert haben und sehr massiv zu diesem Konsolidierungsprozess beitragen. Das steht im Gegensatz zu dem, was Herr Wolf in seiner Amtszeit zu verantworten hatte. Insofern klappt das Zusammenspiel.
Lassen Sie mich einen letzten Aspekt zum Stärkungspakt nennen. Herr Kollege Biesenbach und Herr Kollege Abruszat verschweigen in dieser Debatte immer, dass sie genau den Kommunen, die sie nun retten wollen – Wuppertal, Oberhausen –, über die GFG-Debatte zusätzlich zweistellige Millionenbeträge wegnehmen wollen.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Allein für Essen wären es 30 Millionen €. Für Wuppertal wären es ebenfalls etwa 30 Millionen € und für Oberhausen auch. Sie sind in diesem Zusammenhang so etwas von verlogen, wie es gar nicht anders geht. Ich würde die Füße stillhalten und Fakten auf den Tisch bringen.
(Dr. Marcus Optendrenk [CDU] schüttelt mit dem Kopf.)
– Herr Kollege Optendrenk, Sie brauchen gar nicht mit dem Kopf zu wackeln. Genauso ist es.
Herr Kufen ist ein guter Kollege von mir. Wenn er sich einen schlanken Fuß macht und sagt, der Oberbürgermeister in Essen müsse das retten, dann kann ich nur fragen, ob er auf die 90 Millionen € verzichten und das kompensieren soll. Sie sind doch nicht mehr ernst zu nehmen, was den Stärkungspakt anbetrifft.
Diese Landesregierung wird den Konsolidierungsprozess der Kommunen fortschreiben. Wenn diese Bundesregierung 2013 Geschichte sein wird, wovon ich ganz sicher ausgehe, dann hoffe ich, es wird im Bund zu weiteren Entlastungsmaßnahmen für die Kommunen und Länder kommen. Dann wird auch die Politik, die in Nordrhein-Westfalen mit diesem Haushalt angelegt worden ist, eine vernünftige Entfaltung bringen.
Ich freue mich schon auf die zweite Lesung, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Vorschläge der CDU zum massiven Haushaltkonsolidierungsprozess auf dem Tisch liegen. Ich freue mich darauf, wenn Herr Kollege Sternberg vortragen wird: Ich habe mich geirrt, die Kulturkürzungen sind doch richtig, ich mache keine Oppositionsreflexe mehr. – Ich freue mich darauf, wenn er oder Herr Kollege Lindner sagen, sie arbeiten am Konsolidierungsprozess der Landesregierung mit. Ich habe ein bisschen Hoffnung, aber nicht viel. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Witzel das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hätte erwarten dürfen, dass die Regierung ihren ersten eigentlichen neuen Haushalt in dieser Legislaturperiode mit etwas Gestaltungswillen verbindet. Dieser Haushalt ist insgesamt eine Enttäuschung. Im Westen nichts Neues.
Ebenso ist es bei dem von Ihnen propagierten Dreiklang. Der heißt nämlich: Schulden, mehr Schulden und noch mehr Schulden.
(Zuruf von der SPD: Sie sollen doch etwas aussagen!)
Herr Kollege, Sie reden gern über die Jugend und sagen in diesem Zusammenhang, Sie wollen nichts und niemanden zurücklassen. Was Sie mit Blick auf die Jugend zurücklassen, ist ein gigantischer Schuldenberg, auf den Sie jedes Jahr weitere Beträge anhäufen. Dafür müssen die jungen Menschen die Zinsen und die Zinseszinsen entrichten.
Das ist keine generationengerechte Politik. Eine generationengerechte Politik setzt ausdrücklich darauf, zu Entlastungen zu kommen und so schnell wie möglich den Haushaltsausgleich anzustreben, um perspektivisch irgendwann in Phasen einzutreten, in denen von diesem Schuldenberg wieder etwas abgetragen werden kann. Ein Umsteuern in der Haushaltspolitik ist auch bei diesem neuen rot-grünen Haushalt 2013 nicht erkennbar. Deshalb werden Sie diesen Haushalt gegen die Wand fahren, und die finanzielle Situation des Landes wird sich so schnell nicht verbessern.
Wir sagen ausdrücklich, wir wollen die Schuldenbremse. Die Schuldenbremse ist nicht irgendetwas, was man mit gebückter Haltung sehen muss und wo man sagt: „Es ist schade, dass es sie gibt“ und sie immer als Entschuldigung dafür verwendet, dass man irgendwo mal einsparen muss.
(Martin Börschel [SPD]: Das ist das Erste, was der Finanzminister in seiner Rede gesagt hat!)
Nein, diese Schuldenbremse ist ein Segen, weil sie den Rahmen vorgibt und Druck für die Politik aufbaut, den Haushaltsausgleich endlich mal zu erreichen.
(Beifall von der FDP)
Wenn Sie als Regierung bereit wären, die nächsten fünf Jahre bis zum Ende dieser Legislaturperiode zur Konsolidierung zu nutzen, wüssten Sie alle genau, 2017 wäre der Haushaltsausgleich machbar. Aber Sie haben eine ganze Reihe eigener Projekte auf der Agenda, das, was Sie in Wahlkämpfen als Wahlgeschenke auskehren. Die Ministerpräsidentin hat eben gesagt, das sind ja immer wieder dieselben Themen, und hat auf Studiengebühren, beitragsfreie Kita und Sozialticket verwiesen. Allein diese drei Maßnahmen, die als ein bisschen niedlich hingestellt worden sind, machen immerhin jedes Jahr in diesem Landeshaushalt rund 400 Millionen € aus. Insofern reden wir über gewichtige Größenordnungen. Es wurde mal eben so über dreistellige Millionenbeträge gesprochen, die natürlich relevant sind.
Das kann nicht alles sein, es muss weitere Beiträge geben. Es muss weitergehen mit Landesbetrieben und Landesbeteiligungen. In dem Zusammenhang finde ich es bemerkenswert, was mein grüner Vorredner vorgetragen hat, was die Notwendigkeit angeht, dass die Opposition einen kritischen Blick auf die Dinge wirft. Ich glaube, Herr Kollege, es gibt in ganz Deutschland keinen grünen Abgeordneten, der so wie Sie den Standpunkt vertreten wird, es sei nicht Aufgabe eines Parlaments und insbesondere nicht Aufgabe einer Opposition, kritische Nachfragen zu stellen.
(Beifall von der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie stellen es einfach falsch dar!)
– Nein, Herr Kollege, absolut nicht!
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie wollen es schlechtreden! Sehen Sie die Umfragen! – Zuruf von der FDP: Zuhören, Herr Kollege!)
– Herr Kollege, man kann faktenbasiert zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Es ist Aufgabe der Politik, das zu diskutieren. Aber die Haltung zu sagen: „Weil das vielleicht nicht so gut für den Namen BLB ist, fragen wir lieber erst mal gar nicht nach, was da passiert!“,
(Beifall von der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
ist falsch. Wenn es eine öffentliche Berichterstattung über das Finanzgebaren bei der WestLB gibt und über Lustreisen gesprochen wird, ist es nicht nur das Recht, sondern die Aufgabe einer Opposition – und in einem selbstbewussten Parlament eigentlich auch Ihre – nachzufragen, wie solche Prozesse entstanden sind und was unternommen wird, damit es zukünftig nicht mehr geschieht, Herr Kollege.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Es war schon von den Begrifflichkeiten her interessant, welche Vokabeln verwendet worden sind, wenn wieder von Steuergeschenken gesprochen wird. Nach meiner Vorstellung schenkt nicht der Staat irgendetwas, wenn es um Steuern geht, sondern Steuern sind das, was Menschen erwirtschaften, erarbeiten und letzten Endes beim Staat abgeben müssen.
Der Vergleich der Ministerpräsidentin mit den Ausgabenanteilen der Länder hinkt. Das müssen Sie nicht der FDP glauben. Gucken Sie einfach auf das, was Ihnen der eigene Gutachter der Landesregierung, was Ihnen PwC aufschreibt! PwC stellt dar, Nordrhein-Westfalen hat den mit Abstand höchsten Kommunalisierungsgrad der Vergleichsländer. Deshalb stehen wir in Nordrhein-Westfalen bei den Ausgaben pro Kopf, wenn wir Land und Kommunen sowie Kern- und Nebenhaushalte zusammennehmen, an Stelle zwölf von 13 Flächenländern. Das ist der relevante Vergleichsmaßstab. Darum geht es. Deshalb müssen auch auf der Ausgabenseite Synergien erzielt werden.
Wir warnen ganz ausdrücklich davor, eine Politik gegen Adam Riese zu betreiben. Deshalb behalten wir die Haushaltpolitik, die Ausgaben weiter sehr engagiert im Blick.
Damit Sie uns nicht vorwerfen, wir würden die Dinge nicht transparent ansprechen, die man im Blick haben muss, werden wir in wenigen Minuten bei uns am Fraktionssaal eine Schuldenuhr aufstellen. An ihr können Sie zukünftig jeden Tag ablesen, wie sich der Schuldenstand dieses Landes weiter entwickelt. Sie werden sehen, wie die Zahlen bei Ihrer Finanzplanung in den nächsten Jahren weiter ansteigen werden, und das auch als Warnung und Mahnung verstehen, dass Haushaltskonsolidierung Kernaufgabe dieses Hauses ist: für alle Fraktionen in dieser Legislaturperiode. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Wir sind damit am Schluss der Beratung zu diesem Unterpunkt.
Zur Vorstellung des Gemeindefinanzierungsgesetzes erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Jäger das Wort. Bitte sehr.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor gerade einmal 14 Tagen haben wir das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 nach insgesamt fünf Lesungen verabschiedet und damit einen neuen Meilenstein gesetzt. Wir haben den Kommunen mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 die höchste Finanzausgleichsmasse der Geschichte dieses Landes zur Verfügung gestellt, und wir haben für eine faire und gerechte Verteilung der Mittel gesorgt.
Neben den inhaltlichen Regelungen haben wir mit dem GFG 2012 ein Zeichen gesetzt, nämlich das Zeichen: Wir begegnen den Kommunen auf Augenhöhe. Wir sitzen weder abgeschottet im Elfenbeinturm, noch ziehen wir ihnen hinterrücks das Geld aus der Tasche, um den Landeshaushalt zu sanieren.
Das ist ein richtiger Weg, den wir mit dem Jahr 2012 manifestiert haben und mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2013 konsequent weitergehen. Dort sind wichtige Regelungen enthalten, die die Kommunen auch zukünftig entlasten und für eine gerechte Verteilung der Mittel sorgen.
Das gilt beispielsweise für die Beteiligung am Aufkommen der Grunderwerbsteuer, beim Flächenansatz, Zentralitätsansatz, beim Schüleransatz und nicht zuletzt beim Demografiefaktor. Und es bleibt auch im GFG 2013 dabei: Wir ziehen die Kommunen nicht zur Konsolidierung des Landeshaushalts heran.
Was den Soziallastenansatz angeht, haben wir uns dazu entschieden, den Gewichtungsfaktor wie im Jahr 2012 bei 15,3 zu belassen. Diejenigen, die im Kommunalausschuss tätig sind, wissen, dass für einen fairen Ausgleich über 17 Punkte notwendig wären. Aber hiermit schonen wir insbesondere diejenigen, die von den Veränderungen bei den Soziallasten in besonderer Weise betroffen sind. Das ist ein Teil einer Abmilderungshilfe gerade für kleinere Gemeinden im ländlichen Raum.
Meine Damen und Herren, was mich persönlich freut: Im GFG 2013 erhöhen wir die Finanzausgleichsmasse ein weiteres Mal, und zwar um fast 235 Millionen € auf 8,7 Milliarden €. Rechnet man die 350 Millionen € hinzu, die wir beim Stärkungspakt zur Verfügung stellen, werden erstmalig über 9 Milliarden € als Finanzausgleich untereinander vonseiten des Landes für die Kommunen zur Verfügung gestellt.
Herr Lindner, der leider nicht mehr hier ist, hatte im Rahmen des Stärkungspakts von einem Rechenfehler durch das Innenministerium gesprochen. Ich möchte diese Darstellung mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Das ist nicht zutreffend.
Zutreffend ist, dass alle Fraktionen diese Neuberechnung gefordert haben, und mehr noch, dass wir bei der Erarbeitung dieses Stärkungspaktgesetzes in einem sehr offenen, sehr transparenten Verfahren sowohl gegenüber den Kommunen als auch vor allem zwischen den meisten hier beteiligten Fraktionen dieses Gesetz und im Übrigen auch seine Methodik entwickelt haben. Wir haben gemeinsam gesagt: Diese 350 Millionen € werden nicht durch Handauflegen verteilt, sondern wir wollen denjenigen helfen, denen das Wasser bis zum Hals steht, die schon in der Überschuldung sind. Als Methode für das Heranziehen, wie arm und wie überschuldet eine Stadt wirklich ist – mangels Alternativen, dass wir keine Jahresabschlüsse durch die NKF-Umstellung haben –, haben wir uns gemeinsam auf das Verfahren geeinigt, die amtliche Statistik von 2004 bis 2008 zugrunde zu legen.
Nachdem klar war, dass damit mindestens eine Stadt ein Problem hat, weil nicht mit der gebotenen Sorgfalt diese Statistik geführt wurde, haben wir gemeinsam gesagt, dass wir allen Kommunen gleichermaßen die Chance geben wollen, hier eine Neuberechnung ihrer gemeldeten Daten vorzunehmen. Dass mehr als nur eine Stadt diese Sorgfalt bei der Erstellung der amtlichen Statistik nicht an den Tag gelegt hat, ärgert uns alle, ärgert auch mich. Aber man muss aus solchen Dinge seine Konsequenzen ziehen, und die Konsequenz kann nur heißen: Wir müssen diese Verteilung von 350 Millionen € auf eine gerechte Grundlage stellen.
Man kann ihnen Fehler, die einzelne Kommunen gemacht haben, nicht über die Dauer dieses Gesetzes von insgesamt zehn Jahren ankreiden. Uns geht es darum, dass alle gleich behandelt werden und die gleiche Hilfe des Landes erhalten, wenn sie erforderlich ist. Statistische Verwerfungen, die die Kommunen zu verantworten haben, muss ein Landesgesetzgeber auch aushalten und wieder glattzuziehen für die Kommunen in diesem Land.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, worauf wir auch ein Stück weit stolz sein können, ist, dass die Schlüsselzuweisungen an die Kommunen zu 85 % für die Kommunen frei verfügbar sind. Das ist ein hoher Grad und unterstreicht, dass wir die Handlungsfähigkeit und vor allem die Selbstständigkeit der Kommunen ernst nehmen, dass sie uns am Herzen liegt. Die Investitionspauschale steigt um noch einmal 38 Millionen € auf jetzt fast 600 Millionen €. Meine Damen und Herren, auch das ist eine Rekordsumme.
Fazit ist – das können Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU –: Wir bereichern uns nicht auf Kosten der Kommunen an den steigenden Steuereinnahmen, sondern wir geben diese ungefiltert und uneingeschränkt an die kommunale Familie weiter. Damit bleibt diese Familie leistungsfähig, handlungsfähig, und wir sorgen vor allem für eine gerechte Verteilung der Mittel. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Kuper.
André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Die finanzielle Situation unserer Kommunen und unserer kommunalen Familie ist schwer besorgniserregend.
Wer in die Entwürfe der Haushaltsbücher unserer 396 Kommunen in NRW schaut, der sieht bei den Ergebnissen zu 90 bis 95 % rote Zahlen. Das mag je nach politischer Überzeugung und politischer Farbe für manche eine schöne Farbe sein, ist jedoch für die Städte kein positiver Zustand.
Die Auswirkungen dieses Zustands werden für die Menschen in unserem Land immer mehr sichtbar. Vernachlässigte Bausubstanz, besonders gut spürbar im Straßenverkehr in unseren Städten, wo zunehmend kommunale Brücken mit Tonnagen-Beschränkungen und Lkw-Durchfahrverboten ausgezeichnet werden oder Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgrund großer Straßenlöcher und Schäden bis hin zu Sperrungen erfolgen.
Oder nehmen wir die Gebäudesubstanz der Kommunen, wo Sanierungen immer mehr unterbleiben und bei Regen oder Tauwetter das Wasser in die Gebäude tropft und Bauschäden verursacht. Unterhaltungsarbeiten in den Schulen müssen vielfach unterbleiben. Auch bei den Leistungen der Städte für die Vereine und Verbände gibt es in den Medien täglich Berichte über Kürzungen und Streichungen.
Die Unterstützung der dringend benötigten ehrenamtlichen Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger wird in unseren Städten immer schwieriger bis teilweise unmöglich. Die Kostenbelastungen der Vereine und Verbände bei Nutzung städtischer Einrichtungen werden langsam unerträglich.
So könnte ich meine Situationsbeschreibung sicherlich noch ellenlang fortsetzen. Aber viele von Ihnen hier im Plenum kennen die Situation aus ihrer eigenen Beobachtung.
Das ist also die Rahmensituation, in der Sie von der Landesregierung am 4. Dezember die zweite Modellrechnung und heute den Gesetzentwurf zum GFG 2013 vorgelegt haben.
Mit Spannung hat die kommunale Familie auf das GFG für 2013 gewartet. Im Ergebnis ist viel Spannung, allerdings eher in Form vielfacher Kritik.
Mit 8,7 Milliarden erhalten die Kommunen eine gegenüber 2012 leicht erhöhte Summe an Zuweisungen. Man muss aber auch dazu sagen: Gegenüber der ersten Modellrechnung aus dem August ist das Volumen schon um 63 Millionen € zurückgegangen.
Grund dafür ist – darum geht es mir an dieser Stelle nur – eine Körperschaftsteuererstattung. Diese belegt nämlich gleichzeitig, dass auch die erhöhte Ausstattung im GFG, die Sie ja vorhin angeführt haben, allein aus der Automatik und aus den Steuermehreinnahmen aufgrund der guten Konjunktur resultiert.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das stimmt aber nicht, Herr Kollege!)
Meine Damen und Herren, aber was hören wir hier in Regierungskreisen bezüglich dieses GFGs? Die Regierung selbst lobt sich für höchste Geldausschüttung im GFG.
(Zuruf von der SPD: Weil es so ist!)
Sie spricht von Wohltaten für Städte und Gemeinden, bezeichnet sich als kommunalfreundlich und kritisiert die Vorgängerregierung.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Mit Recht!)
Aber all das bringt keine Verbesserung der Finanzsituation für die Kommunen heute. Es wird sich ellenlang hier in Debatten darüber unterhalten, welche Heldentaten dort sind oder welche Probleme in der Vergangenheit da gewesen sind. Aber das ist aus meiner Sicht alles Vergangenheit. Wir haben das Heute, das Jetzt und das Hier zu bearbeiten.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist aber eine schöne Sichtweise!)
Mit all diesen Punkten loben Sie sich selber. Was von Eigenlob zu halten ist, weiß der Volksmund am besten. Mit Ihrem Selbstlob wollen Sie nur das Ist und Heute kaschieren. Aber das nimmt Ihnen in den Kommunen zumindest keiner mehr ab.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Von daher müssen Sie die Frage stellen: Wie ist die Situation heute? Was ist das Konzept der Landesregierung zur Bekämpfung der kommunalen Armut im Land?
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Da muss man sagen: Die Situation ist so schlimm wie nie. Gehen wir auf das Beispiel Kassenkredite. Allein im ersten Halbjahr sind die Kassenkredite um fast 10 % gestiegen, NRW Höchststand unter allen Bundesländern.
Im GFG ist – das ist zugegebenermaßen ja so, das bestreitet auch niemand – so viel Geld wie nie,
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
aber gleichzeitig die wohl größte Verliererkommunenanzahl in NRW, nämlich 223 der 396 Kommunen, also fast 60 %, verlieren unter dem Strich gegenüber dem Vorjahr. Also müssen wir uns fragen, wo die Verluste entstehen.
Die Verluste entstehen überwiegend im ländlichen Bereich. Aber da wohnen rund 60 % unserer NRW-Bevölkerung. Also bei den kleinen und mittleren Kommunen, den kreisangehörigen Städten und Gemeinden sind die Verluste. Gegenüber dem Vorjahr verlieren die fast 120 Millionen €. Das hängt überwiegend damit zusammen, dass die Abmilderungshilfe entfällt, sowie mit der eben schon zitierten Erhöhung des Soziallastenansatzes.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Die kreisfreien Großstädte hingegen gewinnen hinzu, wobei auch da gesagt werden muss: Sie brauchen das Geld auch.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Aha!)
Paradox wird das GFG-System aber dann, wenn die Ärmsten der Armen durch dieses GFG verlieren würden. Da kann man sich fragen: Ist das so? – Man muss auch da sagen: Ja, 35 unserer Stärkungspaktkommunen verlieren ebenso 150 Millionen €.
Wir erleben also eine Situation, in der die letzten gerade noch über Wasser schwimmenden kommunalen Haushalte auch noch unter Wasser gezogen werden. Die Kommunen, die Räte, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, welche in den letzten Jahren gespart und solide gewirtschaftet haben, werden durch diese Regierungspolitik bestraft.
Wenn man die Finanzsituation der Kommunen in NRW, meine Damen und Herren,
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
einmal in einem Ländervergleich analysiert, dann wird ein viel größeres Ausmaß der kommunalen Not deutlich. Denn beim Vergleich der Kommunalfinanzen zwischen den Bundesländern gibt es folgende Fakten festzustellen: Im Bundesdurchschnitt werden die Kommunen im Jahre 2012 auf Bundesebene wieder positive Zahlen erwirtschaften. In NRW dagegen rechnen wir entgegen dem Bundestrend mit weiterhin tiefroten Zahlen und Verlusten – je nachdem – wahrscheinlich zwischen anderthalb und 2 Milliarden €.
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Diese Zahlen müssen alarmieren. Die NRW-Kommunen haben ein drastisches Minus, obwohl wir bei einem Vergleich der Haushalte in NRW mit Kommunen anderer Bundesländer schon heute bei der Grundsteuer B und der Gewerbesteuer den bundesweiten Höchststand erheben. Die Kommunen in NRW belasten ihre Bürger(innen)- und Unternehmerschaft schon heute deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt der Kommunen in sonstigen Flächenländern. Die Steuersätze der NRW-Kommunen sind überdurchschnittlich. Trotzdem erreichen die Kommunen keine schwarzen Zahlen in den Haushalten.
Schauen wir uns dann noch den Bereich der Investitionen im kommunalen Ländervergleich an. So bescheinigen die Finanzwissenschaftler den NRW-Kommunen leider nur das, was unsere Bürgerinnen und Bürger jeden Tag in ihren Städten bemerken können: Gegenüber dem Bundesdurchschnitt investieren unsere NRW-Kommunen bei den Sachinvestitionen deutlich weniger. – Aber das machen sie ja nicht freiwillig so.
Wenn wir also die Gesamtsituation betrachten, gilt es festzuhalten: Die NRW-Kommunen haben aufgrund der überdurchschnittlich hohen Steuersätze jährliche Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe gegenüber Kommunen in anderen Bundesländern. Die NRW-Kommunen müssen die Erneuerung ihrer Gebäude- und Straßensubstanz vernachlässigen. Sie investieren unterdurchschnittlich. Trotzdem haben die NRW-Kommunen abweichend vom Bundesdurchschnitt noch tiefrote Zahlen, während die Kommunen im Bundesdurchschnitt schwarze Zahlen schreiben.
Ob die beschriebenen Probleme mit diesem GFG gelöst werden, beantwortet sich eigentlich von selbst. Nein! Die Finanzmasse ist angesichts der kommunalen Aufgabenbelastung nicht annähernd ausreichend. Es wird trotz Rekordzuweisungen zu massiven Verlusten der Kommunen kommen. Diese Verluste lassen sich bei realistischer Herangehensweise und unter Beachtung der Finanzlage des Landes nicht allein im GFG lösen.
Von daher stellen wir und auch ich erneut die Frage nach einem Gesamtkonzept dieser Landesregierung. Fehlanzeige bis heute! Ich glaube durchaus, dass Minister Jäger grundsätzlich gewillt ist, den Kommunen zu helfen. Aber dann dürften Sie nicht als Landesregierung in vielen anderen Bereichen diese Bemühungen konterkarieren. Ich nenne da nur ein paar Stichworte, die eine neue deutliche kommunale Finanzbelastung belegen: Da sind Standards zu nennen, die von hier aus auf den Weg gebracht werden. Ich nenne den Bereich ÖPNV, bei dem man von einer Mehrbelastung von 40 Millionen € pro Jahr für die Kommunen ausgeht. Das ist die LPVG-Änderung, die für eine Mehrbelastung durch die stärkere Freistellung sorgt. Das Thema „Inklusion“ diskutieren wir noch; es ist noch gar nicht berechnet. Ich nenne ferner das Tariftreue- und Vergabegesetz mit seinen bürokratischen Belastungen. Hinzu kommt vieles andere mehr.
Es ist endlich an der Zeit, dass Sie ein schlüssiges Gesamtkonzept liefern, anstatt halbgar an den Symptomen herumzudoktern. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Hübner.
Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ein abenteuerlicher Ritt durch die Realitäten, Herr Kollege Kuper, die Sie gerade mit Hier und Jetzt beschrieben und in denen Sie sich wiedergefunden haben.
(Zuruf von Werner Jostmeier [CDU])
Ich werde Ihnen, glaube ich, auch in den nächsten Debatten noch vorhalten, dass Sie nicht erst mit dem Einzug in den Landtag begonnen haben, sich mit der kommunalen Finanzsituation auseinanderzusetzen. Sie waren Sprecher für Finanzpolitik der entsprechenden Arbeitsgruppe des Städte? und Gemeindebundes. Daher kennen Sie aus eigener Erfahrung das, was Ihre schwarz-gelbe Landesregierung zwischen 2005 und 2010 auf den Weg gebracht hat. Ich will es Ihnen anhand von ein paar Zahlen und Eckpunkten noch einmal verdeutlichen:
Sie und die schwarz-gelbe Landesregierung haben dafür gesorgt, dass der kommunale Raubzug in der Größenordnung von 3 Milliarden € begonnen worden ist. Sie haben über das Gemeindefinanzierungsgesetz dafür gesorgt, dass die Kommunen, deren Finanzsituation Sie heute als desaströs beschreiben, eine Hilfe zur Konsolidierung des Landeshaushaltes geleistet haben. Genau das haben wir zurückgenommen und das Gemeindefinanzierungsgesetz 2010 mit 299 Millionen € aufgestockt, wovon rund die Hälfte die Befrachtung zur Konsolidierung des Landeshaushalts betraf. Das ist ehrliche Politik – Sie haben das Gesamtkonzept hinterfragt –, mit der wir im Jahre 2010 begonnen haben.
(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Ihrer Beschreibung der sehr schwierigen Finanzlage in NRW will ich ausdrücklich zustimmen. Ich mache das am Beispiel der kommunalen Kassenkredite deutlich, die zwischen 2005 und 2010 in Nordrhein-Westfalen um 100 % auf über 21,5 Milliarden € gestiegen sind. Auch diese Städte und Gemeinden haben Sie im Städte? und Gemeindebund vertreten.
Ich möchte Sie auf das hinweisen – das habe ich schon in einer der letzten Debatten vollzogen –, was die KPV heute meldet und welche Haltungen auf den Weg gebracht werden. Daraus zitiere ich mit Erlaubnis des Präsidenten:
„Die kommunale Finanzkrise ist überwunden. Die kommunale Finanzmisere ist durch Strukturveränderungen dauerhaft überwunden.“
(Kai Abruszat [FDP]: Wo steht das?)
„Für das laufende Jahr 2012 wird mit einem Haushaltsüberschuss der Städte, Gemeinden und Kreise von bundesweit rund 2,3 Milliarden Euro gerechnet. Das Bundesfinanzministerium rechnet bis 2016 mit bis zu 5,5 Milliarden Euro.“
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Hört, hört!)
Dazu muss ich Ihnen leider sagen: Erstens haben Sie keine Ahnung von der Finanzsituation in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zweitens hat Ihr Bundesfinanzministerium in Berlin überhaupt keine Ahnung, wie es den Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich geht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich glaube, Herr Kollege Abruszat hat gefragt, wo er das finden kann.
(Kai Abruszat [FDP]: Ja!)
Die „kommunalpolitischen blätter“ der KPV können Sie genauso wie wir gerne aus dem Internet herunterladen. Sie können sich jederzeit informieren, welche Forderungen die KPV auf den Weg bringt. Das ist außerordentlich interessant.
Gleich werden Sie mir entgegenhalten: Das ist aber nur in Nordrhein-Westfalen so schwierig, weil seit 2010 keine Verbesserungen auf den Weg gebracht worden sind. Und wo ist das Gesamtkonzept?
Ich will es noch einmal wiederholen, Redundanz hilft ja bei vielen Leuten im Sinne von Lernen. Das kommunalpolitische Gesamtkonzept sieht folgendermaßen aus: Wir haben das GFG bereits im Jahre 2010 mit rund 300 Millionen € aufgestockt. Aufwachsend sind es mittlerweile über 340 Millionen €, die in den 8,7 Milliarden €, die Ralf Jäger eingangs dargestellt hat, enthalten sind. Das passiert jedes Jahr. Allein durch die Entscheidung, die wir im Jahr 2010 getroffen haben, haben wir im Jahre 2010 300 Millionen €, im Jahr 2011 300 Millionen €, im Jahr 2012 300 Millionen € und für das nächste Jahr weitere 340 Millionen € zur Verfügung gestellt.
Wir haben auch eine kolossale Fehlentscheidung zurückgenommen – da möchte ich Ihnen recht geben, da wir leben im Hier und Jetzt –, nämlich dass die Städte und Gemeinden den Haushaltsausgleich bereits nach vier Jahren darstellen müssen. Das führt zu spürbaren Verbesserungen sowohl bei den Stärkungspaktmitgliedern als auch bei den Städten, die ein Haushaltssicherungskonzept über zehn Jahre aufstellen müssen, weil nur das ein realistischer Planungszeitraum ist, um in der kommunalen Familie zu Haushaltsausgleichen zu kommen.
Ich habe Ihnen hier im Plenum schon einmal berichtet, dass im Jahre 2011 noch eine dreistellige Anzahl von Kommunen im Nothaushaltsrecht war. Mittlerweile liegt die Zahl nur noch im niedrigen zweistelligen Bereich. Wir haben eine große Anzahl von Gemeinden aus dem Nothaushaltsrecht herausgebracht; sie können den Haushaltsausgleich zumindest perspektivisch darstellen. Das führt dazu – das haben Sie negiert –, dass die Städte und Gemeinden wieder investieren können. Sie wissen, dass der Leitfaden – als Kommunalpolitiker haben wir uns früher immer gefragt, ob Leitfaden mit „d“ oder mit „t“ geschrieben wird –,
(Heiterkeit von Kai Abruszat [FDP])
in dem geregelt war, dass die Gemeinden nur zwei Drittel der Nettokreditaufnahme für Investitionen tätigen durften, abgeschafft worden ist. Denn es ist sinnvoll, den Städten und Gemeinden die vollen Investitionsmöglichkeiten zurückzugeben. Auch das gehört in das kommunalpolitische Gesamtkonzept, so wie wir es uns vorgestellt haben. Das haben wir ordentlich auf den Weg gebracht.
Das Thema „Erreichen der Grundsicherung“ hat heute Morgen in der Debatte schon häufiger eine Rolle gespielt. Ich will trotzdem noch einmal sagen: Es gab in der letzten Legislaturperiode – da waren Sie persönlich zwar nicht Bord – einen großen Grundkonsens, bei verschiedenen Sozialleistungen nach Möglichkeit zu einer 50%igen Beteiligung des Bundes zu kommen. Das war bei der Grundsicherung im Alter der Fall. Das haben wir uns bei den Gesprächen zum Hartz-IV-Kompromiss erkämpft.
Das haben Sie auch außerordentlich begrüßt. Wir haben hier im Landtag einen gemeinsamen Beschluss mit der CDU auf den Weg gebracht, dass das auch bei weiteren Sozialkosten der Fall sein soll. Daran ist natürlich auch bei den Kosten der Unterkunft zu denken.
Wir benötigen das aber natürlich auch bei dem, was in Berlin aktuell als Bundesteilhabegeld diskutiert wird. Da sind Meldungen Ihrer Kommunalpolitischen Vereinigung, dass das in der kommunalen Finanzkrise alles gar nicht so schlimm sei, äußerst kontraproduktiv, weil sie nicht der Realität entsprechen und bei der Bundespolitik der Eindruck erweckt wird, wir würden Äpfel mit Birnen oder Sonstigem vergleichen.
Darüber hinaus haben wir den Stärkungspakt auf den Weg gebracht. Ich will dem Innen- und Kommunalminister Ralf Jäger da ausdrücklich zustimmen. Wir stellen den Städten und Gemeinden im Haushaltsjahr 2013 damit nicht nur 8,7 Milliarden € zur Verfügung; wir stellen ihnen insgesamt über 9 Milliarden € an direkten Zuweisungen zur Verfügung.
Der Stärkungspakt Stadtfinanzen gehört ebenfalls zum Gesamtkonzept. Ich möchte jetzt nicht auf die Neuberechnung der Datengrundlagen eingehen, aber einen Punkt herausgreifen, der mir in der gerade geführten Debatte ein wenig zu kurz gekommen ist, nämlich die Frage, warum das gemacht werden soll und weshalb es zu einem Ausgleich zwischen den Städten und Gemeinden kommen muss. Wir haben eine bestimmte quotale Beteiligung an der strukturellen Lücke im jetzt geltenden Stärkungspaktgesetz festgelegt. Es muss demnächst auch eine quotale Beteiligung geben. Wenn allerdings alle strukturellen Lücken in der Summe nach oben gehen, steigt sie entsprechend an und führt zu den Ungleichbehandlungen, die hier auch schon beklagt worden sind und mit denen man jetzt sorgsam umgehen muss. Das werden wir tun.
Ich finde es außerordentlich schade, dass die FDP über den Kollegen Lindner heute Morgen quasi den Ausstieg aus der Stärkungspakt-Diskussion angekündigt hat.
(Karlheinz Busen [FDP]: Dann haben Sie nicht richtig zugehört! – Gegenruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Das finde ich außerordentlich schade. Wir von Rot-Grün werden aber natürlich vernünftig weiter darüber diskutieren. Vielleicht kann aber der Kollege Abruszat mit einem stärkeren fachlichen Hintergrund, als ihn der Kollege Lindner in dieser Frage sicherlich hat,
(Kai Abruszat [FDP]: Na, na!)
der ja ein Neueinsteiger in dieser Frage ist, das gleich nach mir noch richtigstellen.
Wir werden das also sehr sorgsam machen, und wir werden natürlich dafür sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Stärkungspakt hilfreich wirkt und dass uns keine Stadt aus dem Boot kippt. So tun wir das bei allen Städten und Gemeinden. Herr Kollege Kuper, im Übrigen haben wir 396 Städte und Gemeinden im Land Nordrhein-Westfalen, und das Gemeindefinanzierungsgesetz benachteiligt nicht alle 396 Städte und Gemeinden. Da hilft aber auch sorgsames Lesen des Gesetzentwurfs und der entsprechenden Verteilungssystematik.
Ich bedanke mich zwei Sekunden vor Ende der Redezeit für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Über das wichtige Thema Gemeindefinanzierung werden wir uns auch noch das eine oder andere Mal austauschen dürfen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. Jetzt waren es acht Sekunden mehr. Das ist aber schon okay. – Der nächste Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Krüger.
Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen, meine Herren! Herr Präsident! Ich möchte gerne an das anknüpfen, was Herr Witzel vorhin formuliert hat. Bezogen auf das Thema der Haushaltsplanung und Finanzplanung für dieses Land hat er gesagt, ein Umsteuern sei nicht erkennbar. Ich weiß nicht, ob er diesen Haushaltsplan tatsächlich gelesen hat. Bei seinem Fraktionsvorsitzenden Lindner habe ich den Eindruck gewonnen, dass er sich nur das Deckblatt angeguckt hat.
(Kai Abruszat [FDP]: Nein, nein!)
Nicht umsteuern werden wir in der Frage: Wie gehen wir mit den Kommunen um? Wie stellen wir uns der Situation der kommunalen Haushalte? Da steuern wir nicht um, sondern halten unseren kommunalfreundlichen Kurs. Daran halten wir fest.
Die Zahlen sind von Herrn Jäger gerade schon genannt worden. Insgesamt werden dem Gemeindefinanzierungsgesetz 8,7 Milliarden € als Verteilmasse zugrunde gelegt. Im Vergleich zu dem, was wir in früheren Jahren gehabt haben, ist das eine Spitzensumme. Die Steigerung gegenüber dem GFG 2012 beträgt 234 Millionen €. Vom Gesamtbetrag sind rund 7,34 Milliarden € nicht zweckgebunden. Das macht deutlich, welchen Stellenwert die Frage der kommunalen Finanzen in der Finanzplanung des Landes besitzt.
Wenn ich Herrn Kuper gerade richtig verstanden habe, versucht er sich als Anwalt der Kommunen zu präsentieren. Ich finde das nett; denn ich würde Ihnen einmal empfehlen, bei Google „Belastung der Kommunen schwarz-gelbe Landesregierung“ einzugeben. Das Erste, was Ihnen auffallen wird, ist ein Papier – leider nicht von der Landtagsfraktion der Grünen, sondern von der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik mit Stand vom 15. Januar 2009 –, das eine schöne Aufstellung darüber enthält, was in der schwarz-gelben Regierungszeit, und zwar in den Jahren 2006, 2007 und 2008, vorgenommen worden ist:
– Wegfall der Grunderwerbsteuer im Rahmen der Verbundmasse in diesen drei Jahren: 540 Millionen €
– Abschlag auf den Verbundsatz von 23 % um 1,17 Prozentpunkte ab 2009: 402 Millionen €
– Kürzung bei der frühkindlichen Bildung von 2005 bis 2007: 141 Millionen €
– Kürzung der Förderung der Betriebs- und Investitionskosten für Kindergärten: 87,5 Millionen €
– Einbehaltung von Bundesmitteln für Betriebskosten der Krippen in diesen drei Jahren: 17 Millionen €
– Kürzung der Sachmittel für die pädagogische Arbeit in den Kindertagesstätten ab 2006: 72 Millionen €
– Kürzung für Kindertagesstätten mit besonderen Angeboten 2006: 18,7 Millionen €
– Unterdeckung im Landesjugendplan seit 2006: 78,7 Millionen €
– Kürzung der Erstattung bei den Schülerbeförderungskosten; das führt zu Mehrausgaben bei den Kommunen in den Jahren 2007 und 2008: 77 Millionen €
(Henning Rehbaum [CDU]: Koch/Steinbrück!)
So geht die Liste weiter. Gekrönt wird das Ganze mit einer Verdoppelung des kommunalen Anteils an den Krankenhausinvestitionen seit 2007, was zu Mehrbelastungen der Kommunen um etwa 330 Millionen € geführt hat.
Das ist die Bilanz für die drei Jahre 2006, 2007 und 2008. Ich gehe davon aus, dass die SGK in diesem Zusammenhang alle Sachverhalte vorgetragen hat. Insofern müsste das eigentlich vollständig sein. – So viel zu der Frage, wie Sie in der Vergangenheit mit den Kommunen umgegangen sind und inwieweit Sie sich in der Vergangenheit als Anwalt der Kommunen präsentiert haben!
Lassen Sie mich mehrere Sätze zum Stärkungspakt Stadtfinanzen sagen: Wohlwissend, dass sich die Kassenkredite im Zeitraum zwischen 2005 und 2010 von 10 Milliarden € auf über 20 Milliarden € mehr als verdoppelt haben, haben Sie es nicht für nötig gehalten, ein entsprechendes Paket auf den Weg zu bringen, das sich der kommunalen Situation stellt. Wir haben das gemacht!
Natürlich kann ich bezogen auf die kommunale Familie und das Thema „Neuberechnung“ nachvollziehen, dass man sich heute darüber beklagt, dass die Mittel nicht mehr 1:1 im Jahr 2013 beziehungsweise in den Folgejahren gewährt werden. Warum? – Weil in diesem Zusammenhang fehlerhafte Daten zur Verfügung gestellt worden sind – mit der Konsequenz, dass, bezogen auf die Frage der Ermittlung der strukturellen Lücke, Fehleinschätzungen beziehungsweise fehlerhafte Angaben bei der Berechnung für 2011 gemacht worden sind.
Wenn eine kreisfreie Stadt im Ruhrgebiet aus eigener Einsicht heraus an 80 Stellen Veränderungen vornimmt, die dazu führen, dass sich die strukturelle Lücke in diesem Fall um rund 9 Millionen € reduziert, muss man sich nicht wundern, dass der Landesgesetzgeber gut beraten ist, das zum Anlass zu nehmen, zu sagen: Wenn sich die Situation derart verändert hat, dann muss das eben neu verteilt werden. Ich glaube, wir wären in diesem Zusammenhang nicht gut beraten, eine Mittelzuweisung festzuschreiben, die auf diese Art ermittelt worden ist bzw. die auf derart fehlerhaften Daten beruht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Noch etwas war auch so schön, nämlich das Plädoyer für den ländlichen Raum. Ich weiß nicht, wo bei Ihnen der ländliche Raum anfängt und wo er aufhört. Sehen Sie sich einmal die Mittelzuweisung für den Kreis Recklinghausen an, der irgendwo auch ländlicher Raum ist, werden Sie Zuwächse bemerken.
(Zuruf von der CDU: Recklinghausen ist nicht ländlicher Kreis!)
– Gehen wir einmal in den Kreis Gütersloh. Da sind wir uns einig, dass das ländlicher Raum ist. Dort können wir feststellen, dass die Gebietskörperschaften im Kreis Gütersloh Mehreinnahmen von etwa 11,7 % erzielt haben. Das sind fast 10 % mehr gegenüber dem, was wir im Landesschnitt gehabt haben. Bezogen auf die Frage der eigenen Mehreinnahmen ist es doch selbstverständlich, dass sich das bei den Schlüsselzuweisungen auswirkt. Das ist völlig selbstverständlich.
Es ist übliche Herangehensweise: Man schaut, wie groß die eigene Einnahmesituation ist, vergleicht die mit der Einnahmesituation im Landesschnitt. Wenn in diesem Zusammenhang Gebietskörperschaften Mehreinnahmen über dem Landesschnitt erzielt haben, führt das zu entsprechenden Reduzierungen, und zwar auch in solchen Gemeinden, die Mitglieder des Stärkungspaktes sind. Das ist die Systematik des Gemeindefinanzierungsgesetzes. Daran wollen wir weiterhin gerne festhalten.
Im Zusammenhang mit der Umverteilung zwischen dem ländlichen Raum und den kreisfreien Städten ist vom Ruhrgebiet die Rede und davon, dass die SPD-Hochburgen entsprechend bedacht werden. Entsprechende Klagen laufen. Wir werden im nächsten Jahr erleben, ob das Gemeindefinanzierungsgesetz auf die richtigen Füße aufgestellt worden ist. Außerdem haben wir – das wissen Sie auch – mit den Spitzenverbänden vereinbart, dass die Stellschrauben im Rahmen einer erneuten Beurteilung noch einmal überprüft werden. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse des Gutachtens.
Darüber hinaus waren wir gut beraten, den Anstieg der Soziallasten, die sich in Nordrhein-Westfalen durchaus unterschiedlich verteilen, wahrzunehmen und entsprechende Handlungsansätze im Gemeindefinanzierungsgesetz einzubauen.
Insofern haben wir keine Umverteilung vom ländlichen Raum gegenüber den kreisfreien Städten, dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land, sondern wir verteilen die Mittel entsprechend den Notwendigkeiten. Die Notwendigkeiten sind gerade in diesen Bereichen sehr ausgeprägt. Insofern war es sinnvoll, so zu verfahren. Das von meiner Seite. – Vielen Dank!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Abruszat.
Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vergangenheitsbewältigung stand im Zentrum der Reden der Kollegen Krüger und Hübner. Meine Damen und Herren, Sie arbeiten sich immer noch an der Wahlperiode 2005 bis 2010 ab.
Seitdem ich im Landtag bin, meine Damen und Herren, habe ich immer gesagt: Lassen Sie uns nicht immer diesen Blick zurück machen. – Wenn Sie das haben möchten, können Sie das gerne bekommen.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Machen wir mal!)
Der ständige Verweis auf strukturelle Verbesserungen im GFG
(Michael Hübner [SPD]: Ist richtig!)
durch die Abschaffung einer Befrachtung, die SPD und Grüne in den 90er-Jahren selbst eingeführt haben, ist schon in der Tat zweifelhaft.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Wer hat sie abgeschafft?)
Ferner war es eine SPD-geführte Landesregierung, die den Verbundsatz im kommunalen Finanzausgleich von 28,5 % auf heute 23 % abgesenkt hat.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, Sie können gerne mit uns eine Vergangenheitsdebatte führen. Das interessiert aber die Kommunen vor Ort nicht.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Währungsreform!)
– So lange ist das noch nicht her, verehrter Herr Kollege Körfges. Aber es bringt doch nichts, solche Vergangenheitsdebatten zu führen.
Lassen Sie in der Frage der Gemeindefinanzierung einen Blick in das GFG 2013 werfen, das uns doch heute beschäftigt. Werfen wir diesen Blick in das Jahr 2013, fällt uns Folgendes auf: Wir haben für das GFG 2012 durch Rot-Grün einen massiven Umverteilungskurs zulasten des ländlichen kreisangehörigen Raumes gehabt. Den Kurs setzen Sie 2013 ungebremst fort.
Die Zahlen sind insbesondere dann beeindruckend, wenn man sie auf die einzelnen Kommunen herunterbricht: Die kreisangehörigen Kommunen im Regierungsbezirk Arnsberg verlieren über 12 %. Im Regierungsbezirk Detmold sind es über 7 %. Auch im Regierungsbezirk Münster muss im kreisangehörigen Raum mit erheblichen Einbußen gerechnet werden. Da gibt es zum Beispiel die Gemeinde Reken im Kreis Borken, die bei den Gesamtzuweisungen schlappe 59 % verliert.
(Minister Ralf Jäger: Weshalb?)
Ich kann Ihnen gerne auch Mittelzentren wie zum Beispiel Lünen, Troisdorf, Gummersbach oder Lüdenscheid nennen. Das bedeutet: erhebliche Einbrüche! – Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass es in den kreisfreien Städten ebenfalls große Verlierer gibt. Warum sage ich das? – Ich sage das deshalb, weil wir im GFG 2013 parallel auch die Situation beim Stärkungspakt Stadtfinanzen und bei der Neuberechnung des Stärkungspaktes mit ins Kalkül und in die Bewertung ziehen müssen, Herr Minister.
Warum? – Es gibt eine ganze Reihe von Kommunen, die beim GFG 2013 und auch bei der Stärkungspaktneuberechnung verlieren. Durch diese Doppelbelastung muss zum Beispiel die Stadt Wuppertal mit finanziellen Einbrüchen von über 25 Millionen € rechnen. Leverkusen und Solingen müssen mit mehr als 20 Millionen € und Hagen und Oberhausen mit mehr als 14,5 Millionen € rechnen. Sie müssen die Zahlen des GFG 2013 mit den neu berechneten Zahlen des Stärkungspakts kumulieren.
Meine Damen und Herren, da Sie immer sagen, Sie seien die kommunalfreundliche Regierungskoalition,
(Michael Hübner [SPD]: Gut erkannt!)
möchte ich Ihnen etwas aus der kommunalen Praxis schildern. Ich greife zwei Kommunen heraus, die unterschiedlicher kaum sein können. Ich nehme eine Kommune im nördlichen Ostwestfalen-Lippe; das ist die Stadt Löhne. Da sagt Anfang dieser Woche in der „Neuen Westfälischen“ – das ist alles andere als eine Haus- und Hofpostille der Freien Demokraten –
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Gibt es so etwas? – Heiterkeit von der SPD)
der SPD-Fraktionschef Wolfgang Böhm aus Löhne zum Thema „Stärkungspakt“ – ich zitiere –:
„,Das ist eine unliebsame Überraschung. Diese Kürzung kann man nicht gutheißen, egal, ob wir nun die Landesregierung stellen oder nicht.‘ Die Kürzungen der Schlüsselzuweisungen um insgesamt nun rund 7 Millionen € werde die SPD juristisch prüfen lassen.“
Herr Minister Jäger, ich stelle fest: Die Sozialdemokraten vor Ort schließen nicht mehr aus, gegen die eigene SPD-geführte Landesregierung mit fliegenden roten Fahnen vor die Gerichte zu ziehen. So weit sind wir gekommen.
(Beifall von der CDU)
Damit nicht genug. Blicken wir einmal in eine andere Stadt, nämlich in die Stadt Oberhausen, die uns hier bei der Frage der Kommunalfinanzierung schon ganz oft beschäftigt hat. Kollege Hübner guckt sich schon um,
(Michael Hübner [SPD]: Ja!)
weil er den Kollegen Große Brömer sucht. Richtig?
(Michael Hübner [SPD]: Sicher!)
– Genau. – Da sagt nämlich der Kollege Große Brömer in der gestrigen Ausgabe der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ – ich zitiere –:
„Wenn es bei den zweistelligen Kürzungsbeträgen bleiben sollte, ist der Stärkungspakt nicht einzuhalten.“
Das ist schon einmal eine bemerkenswerte Aussage. Und dann heißt es dort weiter, er – Kollege Große Brömer – würde einem neuen Gesetz zum Stärkungspakt Stadtfinanzen im Landtag dann nicht zustimmen.
Herr Minister Jäger, ich stelle fest: Sozialdemokratische Landtagsabgeordnete dieses Hauses kündigen Ihnen die Solidarität beim Thema „Stärkungspakt Stadtfinanzen“. Das stimmt mich sehr nachdenklich, zumal ich die Stoßrichtung des Stärkungspakts Stadtfinanzen nach wie vor richtig finde, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Der Kollege Lindner hat – Sie, Herr Minister Jäger, haben ihn genauso angesprochen wie die Kollegen der SPD und der Grünen – in seiner Haushaltsrede heute etwas zum Thema „Stärkungspakt“ und auch zur Frage der Neuberechnung gesagt. Ich habe selber am Ende der letzten Sitzung des Kommunalausschusses – Sie konnten leider nicht anwesend sein – eine klare Berichterstattung der Landesregierung eingefordert. Ich habe gefragt, warum und in welcher Form diese Stärkungspakt-Neuberechnung notwendig ist, wie sie insgesamt veranlasst ist und wer die Veranlassung gegeben hat, dass in welchen Haushalten in welcher Form Zahlen, Daten und Fakten nicht richtig übermittelt bzw. erstellt worden sind.
Deswegen ist es völlig korrekt, wenn die Opposition dieses Hauses – wie heute Morgen mein Fraktionsvorsitzender, so auch ich – das einfordert. Wir wollen einen klaren Bericht: Wie konnte es zu dieser notwendigen und am Ende unangenehmen Stärkungspaktneuberechnung kommen, meine Damen und Herren? Das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt.
Ich will auch mit Blick auf die Zeit noch drei wesentliche Kritikpunkte am GFG 2013 nennen. Es wird Sie nicht überraschen, wenn sich diese drei Punkte auch an den Dingen orientieren, die wir – Minister Jäger hat es schon gesagt – bereits vor einigen Wochen hier im Hause diskutiert haben.
Sie, Herr Minister, meiden die Strukturreform des kommunalen Finanzausgleichs. Im Vorblatt zum GFG-Entwurf 2013 ist zu lesen, dass die Ergebnisse des von der Landesregierung schon vor Monaten in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs frühestens im GFG 2014 Niederschlag finden werden. Wenn ich „frühestens“ richtig interpretiere, dann rechnen wir wahrscheinlich erst 2015 oder 2016 mit einem Fortschritt in dieser Sache. Insofern, meine Damen und Herren, stelle ich fest: Es fehlt Ihnen seitens der Regierungskoalition der klare Mut, den kommunalen Finanzausgleich neu, fair und gerecht zu strukturieren.
Lassen Sie mich neben dem bestehenden Kritikpunkt an der Hauptansatzstaffel auch noch etwas zum Soziallastenansatz sagen. Denn da, Herr Minister, sind wir nicht beieinander, und das werden wir beim GFG 2013 wahrscheinlich auch nicht sein.
Ich möchte an der Stelle noch einen Blick in die Anhörung zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 werfen. Der sozialdemokratische Finanzminister a. D., Herr Deubel, hat ausgeführt: Das Hauptproblem ist der Soziallastenansatz. Die Begründung ist schlicht falsch, wenn man sagt, es ist ein allgemeiner Soziallastenansatz. Denn – so führt er weiter aus – das könne man exakt überprüfen.
Dann sagt er am Ende – und das müssen wir einfach gewichten –: Es werden etwa 7.800 € pro Bedarfsgemeinschaft ausgeschüttet. Die Kosten einschließlich Landschaftsumlage betragen aber nur 4.265 €. – Dann sagt er weiter, das sei schlicht verfassungswidrig.
Also ich finde, bedenken muss man dieses schon, und wir müssen beim GFG auch zu anderen Strukturen kommen. Gleichzeitig, Herr Körfges, gilt das für die einheitlichen fiktiven Hebesätze. Unser Antrag zu den gestaffelten fiktiven Hebesätzen hätte einer intensiven Diskussion vielleicht auch bei Ihnen standgehalten. Denn es ist Tatsache, dass unser Antrag zu mehr Gerechtigkeit bei der kommunalen Finanzierung hätte führen können. Denn die immer weiter getriebene Hebesatzspirale hätte dadurch entschleunigt werden können. Das wollten Sie nicht. Sie nehmen stattdessen Wettbewerbsnachteile in den Grenzregionen Nordrhein-Westfalens zu Rheinland-Pfalz, zu Niedersachsen in Kauf, wo insbesondere die Gewerbesteuerhebesätze ganz andere Größenordnungen haben.
Alles in allem, meine Damen und Herren: Der Entwurf des GFG 2013 ist zunächst ebenso kritisch zu beurteilen wie das aktuelle GFG 2012.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, Sie kommen zum Ende?
Kai Abruszat (FDP): Ich bin gespannt auf die Beratungen im Ausschuss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. – Danke schön.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Wir hören nun den Kollegen Robert Stein für die Piratenfraktion.
Robert Stein (PIRATEN): Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne und natürlich auch liebe Menschen am Stream! Wir befinden uns nun endlich in der ersten Lesung zum Haushalt 2013. In dem Zusammenhang behandeln wir natürlich auch das Gemeindefinanzierungsgesetz 2013. Im Prinzip hat sich gegenüber dem Entwurf für 2012 nicht sehr viel geändert. Über die Gewichtung und Schlüssel werden wir in den Ausschüssen natürlich reden. Probleme wie gerade von Herrn Kuper angesprochen wie der Investitionsstau oder die Kosten der Inklusion bleiben selbstverständlich.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle einige Feststellungen treffen, gerade auch rückblickend zu der von Herrn Minister Jäger erwähnten Diskussion zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2012. Anscheinend sind die von der Piratenfraktion mehrfach geäußerten Finanzierungsvorschläge, um die strukturellen Defizite anzugehen, immer noch nicht richtig angekommen. Das wurde auch wieder in der Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik am 7. Dezember deutlich. Da haben wir uns wiederholt anhören müssen – diesmal von der Fraktion die Grünen –, wir würden für unsere Forderung, die Verbundquote um einen Prozentpunkt erhöhen zu wollen, kein schlüssiges Finanzierungskonzept vorlegen.
Darüber muss ich wirklich staunen. Denn Herr Schulz und ich haben hier mittlerweile des Öfteren gestanden und erklärt, wie wir das Ganze finanzieren wollen. Mich beschleicht in dem Zusammenhang leider das Gefühl, dass hier wirklich klassisches Lagerdenken im Sinne einer Politik 1.0 im Rahmen des aufkeimenden Bundestagswahlkampfes forciert wird. Das ist aber leider wenig konstruktiv und hilft auch unseren Kommunen nicht weiter.
Wenn Umverteilungsmaßnahmen, wie ich das schon des Öfteren erklärt habe, auf Landes- und auf Bundesebene nicht ausreichen und die Einnahmen der Kommunen und des Landes nicht hinreichend sind, um die vielfältigen kommunalen Leistungen adäquat zu finanzieren, dann muss der Bund einspringen. Das haben wir hier heute auch gehört. Herr Römer hat es erwähnt, was mich sehr gefreut hat.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Und das war auch einem Presseartikel der „Rheinischen Post“ vom 7. Dezember zu entnehmen, der sich auf die Finanzplanung 2012 bis 2016 der Regierung bezog. Danach stellt auch die Regierung in der mittelfristigen Finanzplanung fest, dass es ohne den Bund finanziell nicht gehen wird. Kernaussage dieses Zeitungsartikels in der „Rheinischen Post“ mit dem Titel „NRW stellt Schuldenbremse infrage“, war eben logischerweise, dass die Schuldenbremse mit den aktuellen finanziellen Mitteln des Landes gerade auch hinsichtlich der Einnahmenseite nicht einzuhalten ist. – Das sind also die Schlüssel, die wir der mittelfristigen Finanzplanung der Landesregierung entnehmen können.
Das freut mich auch deswegen ein bisschen, weil das im Wesentlichem dem entspricht, was ich zum Beispiel auf unserer Landespressekonferenz am 30. Oktober bereits gesagt habe, als ich unsere Änderungsvorschläge zum eigentlich viel zu spät behandelten Haushaltsentwurf 2012 vorgetragen habe.
In diesem eben erwähnten Zeitungsartikel der „Rheinischen Post“ wird ganz folgerichtig erkannt, was Ihrer mittelfristigen Finanzplanung zu entnehmen ist. Sie, werte Regierung, rufen nach etwas, was ich im Rahmen unseres piratigen ganzheitlichen Ansatzes, den ich immer betont habe, ständig gesagt habe: Sie rufen nach Steuererhöhungen, insbesondere nach der Einführung einer Vermögensteuer.
Es ist schon ein starkes Stück, liebe Regierungskoalition, uns fehlende Finanzierungskonzepte vorzuwerfen, obwohl Sie genau dieselbe Forderung, die Sie mit dieser mittelfristigen Finanzplanung an die Öffentlichkeit kommunizieren, erheben, nämlich zur Einhaltung der Schuldenbremse und Finanzierung der vielfältigen und wichtigen Aufgaben des Landes – gerade auch im Personalbereich – auf Steuererhöhungen und Zuweisungen durch den Bund zugreifen zu wollen. – Das ist also schlichtweg unglaubwürdig.
(Beifall von den PIRATEN)
Uns fehlende Konzepte vorzuwerfen, aber prinzipiell diese Argumentation zu verwenden, wenn es um die Frage geht, wie die Aufgaben des Landes richtig finanziert werden sollen, das finde ich schon ein bisschen merkwürdig.
Aber das ist nicht alles. Wir sind ja beim letzten Haushaltsentwurf nicht ganz ohne Kürzungsvorschläge angetreten. Ich finde es in dieser Hinsicht richtig spannend, dass gerade die Kürzungsvorschläge von uns, die ja eigentlich – ich nehme jetzt einmal Bezug auf ihren alten Koalitionsvertrag – gedeckt sein müssten, komplett abgelehnt worden sind.
Ich möchte beispielhaft hierzu den Reaktor Hamm-Uentrop erwähnen. Wir hatten gefordert, die bereitgestellten Mittel für die Betreibergesellschaft des Reaktors Hamm-Uentrop zu kürzen. Würden wir die kürzen, würde das ausreichen, die nicht korrekte Berechnung im Rahmen des Stärkungspaktes, von der wir hier schon ein paar Mal gehört haben, zu wenigstens zwei Drittel auffangen zu können. Würden wir sie dafür einsetzen, hätten wir auch nicht diese kommunalen Verteilungsprobleme, die permanent diskutiert werden; dann funktionierte es, ohne bei betroffenen Kommunen aufgrund dieser inkorrekten Berechnung – ob die nun fehlerhaft war oder wo sonst die Ursachen liegen, sei dahingestellt – nachträglich übermäßig den Rotstift ansetzen zu müssen.
Ich muss dann noch ein Wort an die Grünen richten: Sie, liebe Grüne, die auch Sie dieser umweltpolitischen Forderung im Zusammenhang mit dem Reaktor Hamm-Uentrop trotz der Verankerung dieses Themas im alten Koalitionsvertrag eine Absage erteilt haben, sind und bleiben damit natürlich auch wenig konstruktiv und glaubwürdig. Aber auch da – das sei hier erwähnt – gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass Sie trotz Ihrer fehlenden Dialogbereitschaft auch bei umweltpolitischen Themen, die wir als Piratenpartei hier einbringen und die natürlich auch die Kommunen betreffen, und trotz Ihres machtpolitischen Agierens, das Sie hier möglicherweise schon mit Blick auf eine schwarz-grüne Bundestagskoalition üben wollen – man weiß es ja noch nicht –, vielleicht wieder auf den Fußboden einer soliden und basisdemokratischen Politik der Vernunft zurückfinden werden. Ich bin mir sicher, Ihre Klientel und Ihre Wählerschaft werden dafür sehr dankbar sein.
Ihre Antworten, liebe Regierung, liebe Regierungskoalition, zur Sanierung des Haushaltes sind unzureichend. Das können wir eindeutig feststellen. Hier wird in meinen Augen mit dieser historisch hohen und intransparenten globale Minderausgabe von sage und schreibe über 798 Millionen € eine diffuse Antwort geliefert. Dabei hatte – das muss ich auch noch einmal ausführen – das Finanzministerium in einer Pressemitteilung vom 30. Oktober dieses Jahres eine deutlich geringere globale Minderausgabe für 2013 angekündigt, die mit über 550 Millionen € auch schon hoch genug war. Da muss sich einiges in den Nachverhandlungen ergeben haben.
Wenn das solide Finanzpolitik sein soll, wenig konkret und diffus rund 230 Millionen € mehr als im Oktober angekündigt noch draufzusetzen und insgesamt über 789 Millionen € in einer globalen Minderausgabe zu veranschlagen, die Sie hier beschwören, dann sehe ich für die Zukunft schwarz.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie, liebe Grüne, bleiben da genauso wie Ihre Kollegen von der SPD klare Antworten schuldig. Mir drängen sich betreffend Ihre Finanzpolitik und Schuldenpolitik – bei Wegfall der Sonderausgabe von 1 Milliarde € für die WestLB, was Sie auch noch als Sparerfolg verkaufen wollen – einige Fragen auf.
Sind Sie nicht in der Lage, klare, konkrete und transparente Kürzungsvorschläge zur Sanierung des Haushalts fernab von der globalen Minderausgabe zu liefern? Wo bleiben die Vorstöße in Richtung Bund, die Sie immer erwähnen, wenn Sie von der Einnahmenseite sprechen? Spielen Sie hier möglicherweise auf Zeit, um im Bundestagswahlkampf punkten zu können? Möglicherweise spielen Sie auf Zeit, um das Ganze auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger auszutragen und nicht nur im Hinblick auf die Bundestagswahl. Wir brauchen heute Antworten. Wir brauchen heute Initiativen und nicht erst morgen.
(Beifall von den PIRATEN)
Diese Fragen können Sie problemlos beantworten, indem Sie entweder glaubwürdig konkrete Sparvorschläge liefern und diese in den Haushaltsberatungen klar kommunizieren oder indem Sie kurzfristig in Richtung Bund schauen – wie Sie es angekündigt haben und wie wir es auch schon seit Längerem kommunizieren. Dann müssen Sie aber bitte mehr als Lippenbekenntnisse liefern und mehr Mittel zur Bewältigung der vielfältigen und wichtigen Aufgaben des Landes und unserer Kommunen fordern. Die Worte von Herrn Römer konnte ich schon einmal als positiven Wink in die Zukunft deuten.
Verluste zu sozialisieren, können Sie schon. Das haben Sie bereits deutlich bewiesen. Jetzt zeigen Sie bitte, dass Sie gegenüber unseren Mitmenschen im Lande Verantwortungsbewusstsein empfinden und die Kommunen mit den Mitteln ausstatten, die sie wirklich benötigen. Ausufernde Kassenkredite – wir haben es gerade schon bei den Vorrednern gehört – und substanzielle Kürzungen des kommunalen Leistungsangebots strapazieren die Leidensfähigkeit der Menschen in unserem eigentlich so schönen Land NRW über alle zu ertragenden Grenzen hinaus.
Abschließend möchte ich sagen, dass wir der Überweisung an den HFA und den Ausschuss für Kommunalpolitik natürlich zustimmen werden. Das ist gar keine Frage. Wir werden Ihnen auch die Hand für konstruktive Gespräche reichen, um die Finanzpolitik für die Menschen in NRW gestalten zu können.
Ich bin gespannt, ob wir nicht gemeinsam oder zumindest so weit wie möglich im Konsens schon im nächsten Jahr erfolgreiche Ergebnisse im Sinne der Menschen in Nordrhein-Westfalen produzieren können. An uns soll das nicht scheitern. – Danke sehr.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will die Minuten, die mir zur Verfügung stehen, nur kurz dazu nutzen, auf das eine oder andere zu erwidern.
Herr Kuper, eigentlich scheinen Sie ein netter Kerl zu sein,
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Die einen sagen so, die anderen sagen so! – Heiterkeit)
wenn Sie nicht immer so pflichtschuldig gegenüber Ihrer Fraktion Dinge weglassen, verdrehen und gelegentlich falsch darstellen würden. Das fordert natürlich heraus und trübt das Bild des eigentlich netten Kerls, dem man jetzt Folgendes vorhalten muss:
Ich glaube, dass die Zustandsbeschreibung, die Sie von den Kommunen gegeben haben, an dem einen oder anderen Punkt durchaus überdreht, aber dem Grunde nach richtig ist. Ich glaube auch, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr genau spüren, dass in unserem Staatsaufbau irgendetwas nicht mehr stimmt, dass sie jeden Monat viele Hundert Euro an Steuern zahlen, aber sichtbar in den Kommunen öffentliche Infrastruktur nicht mehr funktioniert und nicht mehr im ausreichenden Maß vorhanden und vielerorts reparaturbedürftig ist.
Ich glaube, dass das mittel-/langfristig auch ein Problem für unsere Demokratie wird, wenn es nicht gelingt, die Kommunen so zu stärken, dass das Bild des Staates, das vor Ort widergespiegelt wird, dem eines demokratischen Staates entspricht, der für eine ausgleichende Gerechtigkeit bei der Verteilung von Finanzmitteln sorgt.
(Beifall von der SPD)
Jetzt geht es aber um die Frage: Wo liegen denn die Ursachen? – Ich glaube, wir haben doch alle gemeinsam gelernt, dass die Ursache nicht darin liegt, dass die Kommunen mit vollen Händen Geld ausgeben, sondern durch Soziallasten belastet sind. Unsere Verfassungsväter hätten nie daran gedacht, dass Kommunen das einmal alleine zu tragen haben. Ich rede von der Jugendhilfe, von der Grundsicherung, von den Kosten der Unterkunft und vor allem von den Eingliederungskosten für Menschen mit Behinderung. Das alles müssen die Kommunen zurzeit alleine finanzieren. Was Sie dafür an Geld bekommen, reicht nicht.
Es reicht auch deshalb nicht, weil die alte Landesregierung ihnen 3 Milliarden € genommen hat, Herr Kuper. Die neue Landesregierung hat die Kommunen seit 2010 mit über 1 Milliarde € zusätzlich unterstützt.
Mir geht es darum, klar zu sagen, dass wir als Landesregierung, als Landesparlament die finanziellen Probleme der Kommunen ernst nehmen müssen. Wir müssen alles, was im Rahmen unserer Möglichkeiten zur Verfügung steht, tatsächlich leisten. Das tun wir. Trotzdem müssen wir anerkennen und das auch sagen, dass andere, dass Dritte, insbesondere der Bund, dafür verantwortlich sind, wenn es unseren Kommunen finanziell nicht besser geht.
Herr Kuper, ich habe in Ihrer Rede kein einziges Wort über die gemeinsame Beschlussfassung aus dem Jahre 2010 in diesem Landtag gehört,
(Beifall von der SPD)
mit der wir alle zusammen gefordert haben: Der Bund muss für diese Kosten stärker eintreten. – Kein einziges Wort, Herr Kuper. Obwohl Sie ein netter Kerl sind, ist das pharisäerhaft.
Was sagt man Pharisäern immer – Matthäus 23 –:
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die … der Pharisäer, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“
Herr Kuper, das sollte Ihnen zu denken geben.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die einzige weitere Wortmeldung, die mir bislang vorliegt, steht leider keine Redezeit der Fraktion mehr zur Verfügung. Daher ist dieser Teil der Beratung beendet.
Wir kommen zum dritten Teil der verbundenen Debatte, nämlich zur ersten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes.
Ich erteile für die Landesregierung Frau Ministerin Löhrmann in Stellvertretung für Herrn Minister Remmel das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wasserentnahmeentgeltgesetz legt mit seiner Zweckbindungsklausel fest, dass der Aufwand, der aus der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie resultiert, aus dem Aufkommen zu decken ist.
Da die Zielsetzungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie konsequent umzusetzen sind, bedarf es zu dieser Umsetzung der Bewirtschaftungsplanung auch weiterhin einer gesicherten Finanzierung, um damit unseren europäischen Verpflichtungen gerecht zu werden.
Bei der Einführung des Wasserentnahmeentgelts 2004 gab es nur abstrakte gesetzliche Vorgaben für die Bewirtschaftung der Gewässer. Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme sind zwischenzeitlich auf der Grundlage des nationalen Rechts verabschiedet worden. Die Umsetzungsmaßnahmen der Wasserrahmenrichtlinie sind in Nordrhein-Westfalen gut gestartet. Allerdings konnte das im Bewirtschaftungsplan 2009 angestrebte Maßnahmenniveau noch nicht ganz erreicht werden. Dies lag auch daran, dass die finanziellen Mittel noch nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung standen.
Es ist bereits jetzt absehbar, das im Rahmen der anstehenden zweiten Bewirtschaftungsplanung deutlich mehr Maßnahmen auf den Weg gebracht werden müssen, um die verbindlichen Bewirtschaftungsziele zeitgerecht zu erreichen.
Deshalb, meine Damen und Herren, wurde im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen festgelegt, dass die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie unterstützt werden und diese zum nachhaltigen Gewässer- und Grundwasserschutz konsequent umgesetzt werden sollen.
Mit dem Programm „Lebendige Gewässer“, in dem insbesondere Gewässerstruktur- und Gewässerentwicklungsmaßnahmen durchgeführt und vom Land finanziell gefördert werden, wird als Zielerreichung der gute Zustands der Oberflächengewässer angestrebt. Zur Erreichung des guten Zustandes des Grundwassers, der wichtigsten Ressource für die öffentliche Wasserversorgung, wird derzeit mithilfe der Beratung der Landwirtschaft und mithilfe von Maßnahmen zur Reduzierung vor allem des Nitrateintrags in das Grundwasser die Erreichung des Ziels angestrebt.
Eine Evaluation der vorgenannten Beratungsmaßnahmen hat ergeben, dass die derzeit hierfür zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichend bemessen sind. Vielmehr sind zusätzliche Leistungen zur Förderung derartiger Maßnahmen notwendig. In den kommenden Jahren müssen wir unsere Anstrengungen in der Wasserwirtschaft weiter intensivieren.
Deshalb soll mit dem vorgelegten Gesetzentwurf der reguläre Entgeltsatz für die Entnahme von Wasser von 4,5 Cent/m3 auf 5 Cent angehoben werden. Von der Änderung sind die öffentlichen Wasserversorger sowie die privaten, gewerblichen und industriellen Wassernutzer gleichermaßen betroffen.
Meine Damen und Herren, neben der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie stehen auch weitere Aufgaben in der Wasserwirtschaft an. Hierzu zählt zum Beispiel auch die Erarbeitung eines Masterplans Wasser. Die Landesregierung will in diese Projekte investieren, damit die Menschen in unserem Land davon profitieren, damit sie intakte und gute Lebensverhältnisse haben und die Industrie eine gesicherte Grundlage des Wirtschaftens hat.
Auch die Sanierung von Altlasten oder schädlichen Bodenveränderungen sind wichtige Maßnahmen, um die Qualität der betroffenen Gewässer zu verbessern. Derartige Maßnahmen sind in einem Industrieland wie Nordrhein-Westfalen nach wie vor besonders dringlich. Deshalb muss auch eine langfristige aufgabenadäquate Finanzierung für den Altlastensanierungs- und Altlastenaufbereitungsverband gesichert werden. – Dies zum Hintergrund des eingebrachten Gesetzentwurfes. – Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Meesters.
Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Beim Thema „Wasserentnahmeentgelt“ dreht es sich wie bei so vielen anderen Themen auch um das liebe Geld. Daher ist die Verknüpfung mit der Einbringung des Haushaltes für das Jahr 2013 folgerichtig.
Doch nicht allein der monetäre Aspekt ist relevant, denn: Worum geht es da eigentlich im Kern? – Mit dem Wasserentnahmeentgelt, umgangssprachlich auch Wassercent genannt, werden, wie die Ministerin gerade ausgeführt hat, Maßnahmen gefördert, die dem Gewässerschutz und der Wasserqualität zugute kommen – und das ist auch gut so.
Wasser ist unser Lebensmittel Nummer eins. Es ist Lebensraum, Teil unserer Landschaft, dient zur Energiegewinnung, zur Reinigung und wird auch in wirtschaftlichen und industriellen Prozessen genutzt. Dass die verschiedenen Nutzungsarten auch verschiedene Auswirkungen auf unser Wasser bzw. unsere Gewässer haben, ist klar. Einleitungen von verunreinigten Abwässern, begradigte Flussläufe, aber auch die Nutzung des Wassers für andere Zwecke gehen nicht spurlos an der Gewässergüte vorbei.
Um die Auswirkungen der Eingriffe des Menschen zu heilen, wurde mit der Wasserrahmenrichtlinie auf EU-Ebene das Ziel vereinbart, einen guten Zustand des Oberflächen- und des Grundwassers zu erreichen. Viele verschiedene Aktivitäten, darunter beispielsweise Renaturierungsmaßnahmen oder der Rückbau von Klärbauwerken, leisten einen wichtigen Beitrag, um diese Ziele auch tatsächlich zu erfüllen.
Wir stehen in der Verantwortung gegenüber allen Beteiligten, nicht zuletzt auch den Kreisen und Kommunen, die vor Ort die verschiedenen Maßnahmen umsetzen. Wir müssen daher auch sicherstellen, dass diese Maßnahmen auskömmlich finanziert werden. Denn ohne eine seriöse Finanzierung können wir unseren Verpflichtungen nicht nachkommen.
Daher ist es folgerichtig, dass diejenigen, die als Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Nutzung des Wassers ziehen, sich auch an den entstandenen und weiterhin entstehenden Kosten beteiligen. Insofern ist das Wasserentnahmeentgelt die logische Konsequenz.
Wir gehen mit einem Gesamtfinanzbedarf von 2,1 Milliarden € allein für die Renaturierung unserer Gewässer bis zum Jahre 2027 aus. Festgestellt wurde dieser Bedarf von der CDU-geführten Vorgängerregierung. Was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, damals aber versäumt haben, war, eine auskömmliche Finanzierung auf Dauer sicherzustellen.
Die Kollegen von der CDU wussten damals sehr genau, dass die Maßnahmen der Wasserrahmenrichtlinie nur durch das Wasserentnahmeentgelt solide zu finanzieren sind. Aber die Steuersenkungspartei FDP zwang Sie gegen jede Haushaltslogik zu dieser verantwortungslosen Politik. Denn es ist schließlich nicht so, als hätten wir das Geld im Überfluss und könnten es durch einfache Umschichtungen herbeizaubern.
Vergessen wir nicht: Wir haben große Verpflichtungen bei den Investitionen in Bildung, in Infrastruktur, im sozialen Bereich oder im Verbraucherschutz. Daher ist es klar: Wenn wir bis zum Jahr 2020, wie angekündigt, die Schuldenbremse einhalten wollen, können wir nicht einfach auf Einnahmequellen verzichten – schlimm genug, dass auf Bundesebene die finanzpolitische Irrfahrt durch Mövenpickerei und ähnliche krude Ideen betrieben wird.
(Widerspruch von der FDP)
– Auch wenn Sie es nicht gerne hören, Herr Höne, es ist so.
Wir haben jetzt die Aufgabe, die Finanzierung der 2,1 Milliarden € zu gewährleisten. Daher sind wir auf das Wasserentnahmeentgelt angewiesen.
Wir wissen aber auch, dass wir gleichzeitig eine Verantwortung gegenüber Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land haben. Daher ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir dialogorientiert in die weiteren Beratungen gehen werden.
Als SPD-Landtagsfraktion wollen wir natürlich eine offene Diskussion mit allen Beteiligten über den vorliegenden Gesetzentwurf führen. Wie wir alle wissen, gibt es schon Vorschläge von Gewerkschaften, Naturschutzverbänden und Unternehmerverbänden. Hier kommen viele Expertenmeinungen zusammen, die auf fundiertem Fachwissen beruhen. Damit werden wir uns im Rahmen der parlamentarischen Beratungen auch intensiv auseinandersetzen. Ich freue mich daher jetzt schon auf die Diskussion im Ausschuss und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Kollege Josef Wirtz.
Josef Wirtz (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vorletzten Legislaturperiode hat dieser Landtag auf Initiative von CDU und FDP eine Abschaffung des Wasserentnahmeentgelts durch Abschmelzung bis 2018 beschlossen.
Im vergangenen Jahr hat die von SPD und Grünen getragene Minderheitsregierung mit der Unterstützung der Linken diese Sondersteuer gegen besseres Wissen wieder eingeführt. Seinerzeit haben Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, alle geäußerten Bedenken vom Tisch gewischt.
Heute, ein Jahr später, kommen Sie mit dem Gesetzentwurf und wollen diese Abgabe um weitere 10 % erhöhen. Nach einer ganzen Reihe von industrie- und wirtschaftsfeindlichen Gesetzen wie dem Tariftreuegesetz oder dem Klimaschutzgesetz legen Sie damit erneut die Axt an den Industriestandort Nordrhein-Westfalen – diesmal mit der Abgabenschraube.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Von wegen!)
Die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung trifft wasserintensive Branchen wie die Papierindustrie, die chemische Industrie und die Textilindustrie. Gleichermaßen gilt dies für die Gewinnungszweige der Rohstoffe Kies, Sand und Erze. Aber ganz hart belasten Sie auch die heimischen Energieträger Braun- und Steinkohle.
(Beifall von Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN])
Für die Gewinnung dieser Rohstoffe muss bekanntermaßen das Grundwasser gehoben werden. Diese sogenannten Sümpfungswässer werden – das sollte allgemein bekannt sein – ungenutzt wieder abgeleitet. Deshalb sind die Sümpfungswässer früher nie mit dem Wasserentnahmeentgelt belastet worden. Entgegen aller Ratschläge haben Sie im letzten Jahr auch diese Sümpfungswässer mit dem Wasserentnahmeentgelt belastet und somit die heimische Energieerzeugung künstlich verteuert. Sie schaden damit dem gesamten Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der CDU und Henning Höne [FDP])
Meine Damen und Herren, anstatt an der Preisschraube zu drehen, sollten Sie endlich verantwortungsbewusste Wirtschaftspolitik betreiben und unsere heimische Wirtschaft von unnötigen Abgaben befreien.
Ein Zweites kommt hinzu: Sie treffen nicht nur die Unternehmen mit dem Wasserentnahmeentgelt, sondern auch die vielen Verbraucherinnen und Verbraucher, die dadurch mehr Energiekosten zu zahlen haben. Das müssten Sie bitte bedenken. Sie treffen somit die sogenannten kleinen Leute. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
(Beifall von der CDU)
Sie, meine Damen und Herren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, standen einmal für soziale Gerechtigkeit. Heute mutieren Sie immer mehr zu Steuererhöhungsparteien, die mit immer neuen Abgaben und Lasten insbesondere die Geringverdiener, die eben erwähnten kleinen Leute in unserem Land, treffen.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Unser Land wird nicht lebenswerter, indem man die Bürgerinnen und Bürger immer stärker belastet. Arbeitsplätze werden dadurch auch nicht sicherer, wenn man die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen weiter schwächt. Vielleicht setzt sich diese Erkenntnis irgendwann auch bei Ihnen durch – möglicherweise bereits im anstehenden Beratungsverfahren.
Wir stimmen der Überweisung in die Ausschüsse zu und freuen uns auf die weitere Beratung dieses Themas. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Markert.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns erneut mit der Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes. Dazu gab es mindestens eine Anhörung im Landtag in den letzten zwei Jahren.
Wie für den ordentlichen Kaufmann, so gilt auch für den ordentlichen Haushälter das Prinzip der Kostendeckung. Wie bezahle ich eine bestimmte Leistung oder Maßnahme? Das Problem ist, dass diese Frage in der Vergangenheit viel zu selten selbstverständlich gestellt wurde.
Umzusetzen haben wir eine europäische Maßnahme, nämlich die Wasserrahmenrichtlinie. Dort heißt es – ich will das zitieren – in Art. 9 Abs. 1 Unterabsatz 2: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bis 2010 dafür zu sorgen, dass ihre Wasserpreisgestaltung für die Wasserdienstleistungen angemessene Anreize für die Benutzer setzt, Wasserressourcen effizient zu nutzen.
Im Abschlussbericht eines Gutachtens des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2011 führen die Autoren des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung und des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig dazu aus – Zitat mit Genehmigung der Präsidentin –:
„Die Verpflichtung auf einen angemessenen Anreiz meint mehr als nur eine kostendeckende Gebührenpolitik. Sie verlangt zugleich, dass die Politik der ‚Wasserpreise‘ verursachergerecht auszurichten ist, weil nur so der von der WRRL geforderte angemessene Anreiz zu effizienter Ressourcennutzung bereitgestellt werden kann.“
So Prof. Dr. Erik Gawel und andere in Ziffer 3 Seite 1 des Gutachtens.
Die Wasserrahmenrichtlinie sollte – das haben Vorgängerregierungen unterschiedlicher politischer Farben so entschieden – durch das Wasserentnahmeentgelt finanziert werden.
„Durch den BVerfG-Beschluss zu den Wasserentnahmeentgelten aus dem Jahre 1995 ist ein verlässlicher Rechtsrahmen für die Erhebung wassernutzungsbezogener nichtsteuerlicher Abgaben jenseits der etablierten Benutzungsgebühren“
– Lieber Josef Wirtz, es geht also nicht um klassische Steuern! –
„und Beiträge geschaffen worden, der auch heute noch maßgeblich ist.“
Aktuell wissen wir, dass die Einnahmen aus dem Wasserentnahmeentgeltgesetz soeben ausreichend sind, um die nötigen Maßnahmen durchführen zu können. Aber wir wissen auch: Zukünftig kommen neue Aufgaben hinzu, etwa die zweite Runde der Maßnahmenpläne oder die weitere Reduzierung von Nitratbelastungen in unserem Grundwasser.
Nun wird – Herr Lindner hat es heute Morgen getan, Josef Wirtz hat es eben getan – erneut die Idee diskutiert, bestimmte Wasserentnahmen, bei denen es keine Verschmutzung oder keinen Verbrauch gibt, deutlich geringer zu belasten, also mit 10 %; das wären 0,5 Cent pro Kubikmeter. Dadurch würde es allerdings zu Mindereinnahmen von rund 4 Millionen € kommen, soweit wir die Sümpfungswässer nicht einbeziehen würden.
Und auch in der Sache wäre eine solche Absenkung fragwürdig. Ich erinnere erneut an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995. Demnach ist die Ermöglichung der Wassernutzung durch den Staat eine individuell zurechenbare öffentliche Leistung, die angesichts der Knappheit der Ressource einen abschöpfungsfähigen Sondervorteil darstellt. Die Abgabe ist nach dem Wert der Nutzung für den Nutzer zu bemessen und in den Haushalt einzustellen. – Genau dies hat die Landesregierung mit Blick auf den vergangenen und den aktuell zu beratenden Haushalt getan.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Markert, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Ellerbrock würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Beim Kollegen Ellerbrock werde ich immer gerne schwach. – Bitte schön, Herr Kollege.
Holger Ellerbrock (FDP): Stark sein heißt, Schwäche zeigen zu können. Schon in Ordnung.
Herr Kollege, Sie stellen hier ein Bild dar, dass Wasserknappheit oder Wasserproblematik besteht. Können Sie mir sagen, wo in Nordrhein-Westfalen ein quantitatives und/oder qualitatives Problem in der öffentlichen Trinkwasserversorgung besteht?
Hans Christian Markert (GRÜNE): Herr Kollege, wir reden heute nicht über die qualitative oder quantitative Beschaffenheit des Trinkwassers, sondern wir reden über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ist eine von der Europäischen Union auf alle Nationalstaaten übertragene Aufgabe. Verschiedene Vorgängerregierungen und auch wir – ich habe eben versucht, das juristisch und auch historisch herzuleiten – haben sich dafür entschieden, das zu tun, was hier naheliegend ist, nämlich eine entsprechende Gegenfinanzierung über ein sogenanntes Wasserentnahmeentgelt vorzunehmen. Es geht hierbei indirekt sicherlich – da haben Sie recht – auch um den Schutz des höchsten Verbrauchsgutes, das wir haben, nämlich des Trinkwassers, aber es geht vor allen Dingen darum, unsere Flüsse in einer Beschaffenheit zu halten, die es auch nachfolgenden Generationen möglich macht, sie als Flüsse zu erkennen.
Ich komme noch einmal auf den Vorschlag und darauf zurück, was Herr Lindner heute Morgen angesprochen hat und auch was beim Kollegen Josef Wirtz durchklang, nämlich auf die Überlegung, bestimmte Ausnahmen vorzunehmen, also Änderungen vorzunehmen, indem man bestimmten Nutzern entgegenkommt. Wer das tut, wer also bestimmten Nutzern entgegenkommen möchte, der muss als seriöser Kaufmann, von dem ich am Anfang gesprochen habe, zumindest Deckungsvorschläge machen.
Anders ausgedrückt, lieber Josef Wirtz: Wenn Sie bestimmten Nutzern, die den öffentlich-rechtlichen Sondervorteil, von dem das Bundesverfassungsgericht spricht, für sich in Anspruch nehmen, entgegenkommen wollen und auch ehrlicherweise sagen, Sie wollten diese Vorteile sozialisieren, also von der Allgemeinheit tragen lassen, dann gehört zu dieser Aussage auch die Ehrlichkeit, zu sagen, dass Sie das im Zweifel von anderen Wirtschaftsbranchen oder eben, wie Sie das in anderem Zusammenhang getan haben, von den Bürgerinnen und Bürgern zahlen lassen wollen. Wer also Änderungen vornimmt, der muss auch Deckungsvorschläge machen.
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Abschließend: Gesetzt den Fall, die Einnahmen des Wasserentnahmeentgeltes übersteigen tatsächlich die Kosten für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, dann ist es vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage aus unserer Sicht besser, zusätzliche Einnahmen beim Ressourcenverbrauch zu generieren, als Sozialleistungen zu kürzen.
In diesem Sinne sehen wir den Beratungen im Ausschuss mit großer Freude entgegen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die Fraktion der FDP hat Herr Kollege Höne das Wort.
Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist bereits angeklungen: Die finanziellen Mittel aus dem Wasserentnahmeentgelt sollen für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie genutzt werden. Daneben gab es ein, zwei weitere Ideen, wofür man das Geld auch noch nutzen könnte.
Weil es aber um die Wasserrahmenrichtlinie geht, lassen Sie mich einen Punkt vorwegschicken, bei dem ich glaube, dass große Einigkeit besteht. Es geht um die Feststellung, die wir auch bei anderen Gesetzesvorhaben machen, dass Wasser keine Ware wie jede andere, sondern ein besonderes Gut ist, das entsprechend geschützt werden muss.
Heute sprechen wir ganz konkret über das Entnahmeentgelt und im Besonderen darüber, ob die Erhöhung – Kollege Josef Wirtz hat das eben angesprochen – um 10 %, die die Landesregierung vorschlägt, wirklich notwendig ist. Die FDP-Landtagsfraktion ist der Meinung, dass die Erhöhung an dieser Stelle nicht notwendig ist und eine Mehrbelastung von Verbrauchern, eine Mehrbelastung von Unternehmen darum nicht nur besser zu unterlassen wäre, sondern es dringend geboten ist, diese Erhöhung zu unterlassen, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Der Gesamtfinanzbedarf für die Umsetzung der Richtlinie wird – auch das ist eben schon angeklungen – parteiübergreifend auf ca. 2,1 Milliarden € geschätzt. Ich glaube, Herr Kollege Meesters hatte das eben angesprochen. Das bedeutet, dass bis 2027 pro Jahr ca. 80 Millionen € benötigt werden. Um großzügig zu sein – wir haben ja heute mal wieder feststellen dürfen, dass die Landesregierung beim Geld anderer Leute gerne großzügig ist –, lasse ich mich auch auf 80 bis 100 Millionen € im Jahr ein.
Herr Minister Remmel hat diese 80 bis 100 Millionen € in der letzten Debatte zu diesem Thema, am 23. Februar, demonstrativ vorgerechnet, nämlich gegenüber meinem Kollegen Kai Abruszat. Es ging damals um eine Auseinandersetzung um die entsprechenden Zahlen. Da sagte Herr Minister Remmel: Es wäre schön, wenn Sie, also Herr Abruszat, uns im Laufe der parlamentarischen Beratungen erklären könnten, wie Sie diese mathematische Gleichung hinbekommen – mathematische Gleichung in Bezug darauf, wie viel Geld genau benötigt wird.
Ich kann mir bei dem hier vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung nur wünschen, dass Herr Minister Remmel im weiteren Verfahren, dass die Landesregierung im weiteren Verfahren uns den damals selbst geäußerten Wunsch erfüllt. 80 bis 100 Millionen € werden benötigt. Dem Haushaltsplan 2013 ist aber zu entnehmen, dass Sie durch das Entgelt mit Einnahmen in Höhe von 110 Millionen € rechnen, also auf die Schnelle mit 10 % mehr als dem, was Sie selber ursprünglich gefordert haben. Allein der Blick auf die Einnahmeseite zeigt also: Die Erhöhung an dieser Stelle ist nicht notwendig.
Wenn wir auf die Ausgabenseite schauen, dann ändert sich an meiner Einschätzung nichts. Die in der Titelgruppe 70 „Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie“ veranschlagten Mittel betragen lediglich knapp 76 Millionen €. Da muss ich mich doch fragen, wo eigentlich der Rest des Geldes geblieben ist. Schon in den Haushaltsberatungen 2012 habe ich zum Ausdruck gebracht, dass im Einzelplan des Umweltministeriums bei manchen Titelgruppen etwas mehr Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit angebracht wäre. Das trifft leider auch auf diesen Bereich zu.
Im Haushalt 2012 haben Sie Ausgaben für die Wasserrahmenrichtlinie in Höhe von 60,7 Millionen € angegeben. Im Erläuterungsband war von 68 Millionen € die Rede. Wenn wir in den Haushaltsband 2013 schauen, ist für das Vorjahr von 63,2 Millionen € die Rede. Ich möchte im weiteren Verfahren herzlich gerne von Minister Remmel wissen, mit welchen mathematischen Gleichungen solche Abweichungen zustande gekommen sind.
Sehr geehrte Damen und Herren, die FDP-Landtagsfraktion bleibt dabei: Die Erhöhung des Entgelts ist falsch. Die ohne Erhöhung zur Verfügung stehenden Mittel reichen zur Zielerfüllung aus. Eine Mehrbelastung von Verbrauchern und Unternehmen ist, auch wenn sie im Einzelfall gering ausfällt, nicht hinzunehmen.
Wenn Sie schon wie gerade weitere Umweltschutzgründe anführen, um das Gesetz zu ändern, dann machen Sie es bitte auch richtig. Ich frage mich, warum Sie es bislang noch nicht richtig gemacht haben. Der Vorschlag der Umweltverbände für ein differenziertes Entgelt je nach Nutzungsintensität ist von Ihnen nicht aufgegriffen worden. Ich weiß nicht, ob das im Nachhinein kommen soll. Im ersten Entwurf liegt es nicht vor.
Darüber und über viele andere Dinge wird im weiteren Verfahren noch zu reden sein. Ich freue mich auf die weitere Debatte. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Rohwedder.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne und draußen im Stream! Die Wasserentnahmegebühren aus dem Wasserentnahmeentgeltgesetz dienen der Sicherung einer guten und sicheren Wasserversorgung auch durch die Finanzierung von Wasserbewirtschaftungsplänen. Wasser, ganz besonders Trinkwasser, gehört zu den wichtigsten Gütern des Lebens. Wasser ist eine elementare und lebenswichtige Ressource und keine übliche Handelsware. Es ist Gemeingut.
Auch die EU-Wasserrahmenrichtlinie beschreibt Wasser völlig richtig als ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss. Herr Markert hat dazu schon detaillierter Stellung genommen. Deshalb erspare ich es mir, das noch näher auszuführen. Es ist eben keine übliche Handelsware und darf nicht privatisiert werden, wie manche bizarren neoliberalen Sekten das fordern.
Für uns heißt das, die Wasserversorgung gehört zur Daseinsvorsorge, die von der öffentlichen Gemeinschaft gewährleistet werden muss – finanziell wie organisatorisch. Ich bin sicher, die Mehrheit im Haus sieht das genauso und will es auch.
Wir alle brauchen Wasser. Nicht nur die Menschen, auch die Großabnehmer wie Kraftwerke und Chemiefabriken, Gewerbe, Industrie und die Infrastruktur. Der Staat muss es zur Verfügung stellen. Es wird in der Regel mit dem Steueraufkommen finanziert. Es kommen aber auch Entgelte und Gebühren infrage. Selbst das Umweltbundesamt hält eine Erhebung eines Wasserentnahmeentgelts für sinnvoll.
Interessanterweise enthalten die UWA-Tabellen deutlich höhere Sätze als die jetzt von der Landesregierung vorgesehenen, nämlich 10 Cent pro Kubikmeter statt 5 Cent pro Kubikmeter. Da gibt es also durchaus noch Spiel.
Wir sollen jetzt einer Erhöhung des Wasserentnahmeentgeltes um einen halben Cent pro Kubikmeter zustimmen. Das ist eine Gebühr und keine Steuer. Einige Redner von CDU und FDP haben heute den ganzen Tag versucht, durch die Blume den Eindruck zu erwecken, es sei eine Steuer. Es ist aber eine Gebühr.
Diese Anhebung ist nötig, um die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie erfüllen zu können. Das ist auch dem Protokoll der Anhörung zum Wassercent vom 28. Juni 2011 zu entnehmen. Derzeit sind für diese Umsetzung etwa 75 Millionen € pro Jahr vorgesehen. Nach einer Bewertung, die der BUND in Nordrhein-Westfalen aufgestellt hat, ist es allerdings schwer, damit die absolut notwendigen ökologischen Mindestanforderungen zu erfüllen. Die vorgesehenen Ausgaben für die Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie im Haushalt 2013 betragen nur 75,83 Millionen €. Das ist zu wenig. Deshalb soll das Wasserentnahmeentgelt erhöht werden.
Wir denken, das ist hinnehmbar. Wir werden dieser Gesetzesänderung daher zustimmen. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass gemeinschädliche Großverbraucher wie der Braunkohletagebau nicht bevorzugt oder gar ausgenommen werden. Es geschieht auch vor dem Hintergrund, dass die Einnahmen durch Gebühren zweckgebunden wieder ausgegeben werden müssen und durch Gebühren keine Gewinne erzielt werden dürfen. Deshalb meinen wir, die Landesregierung soll dafür sorgen, dass die Wasserwerke diese Gelder für die Modernisierung ihrer Wasserwerke einsetzen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zum Tagesordnungspunkt 1.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben eine Reihe von Abstimmungen vorzunehmen.
Wir stimmen zuerst über den Gesetzentwurf zum Haushaltsgesetz 2013 ab. Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1400 sowie der Finanzplanung 2012 bis 2016 mit dem Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/1401 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an die zuständigen Fachausschüsse mit der Maßgabe erfolgen, dass die Beratung des Personalhaushalts einschließlich aller personalrelevanten Ansätze im Haushalts- und Finanzausschuss unter Beteiligung seines Unterausschusses „Personal“ erfolgt. Stimmt jemand dagegen? – Stimmenthaltungen? – Dann haben wir so überwiesen.
Wir kommen zum Gemeindefinanzierungsgesetz. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1402 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Stimmt jemand gegen diese Überweisung? – Stimmenthaltungen? – Dann ist so überwiesen.
Wir kommen nun zum Gesetzentwurf zur Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/1286 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Stimmt jemand dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit überwiesen.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 1 und rufe auf:
2 Schaden vom Land abwenden: Staatssekretärin muss entlassen werden!
Eilantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/1666
Die Fraktion der CDU hat den Eilantrag mit Schreiben vom 6. Dezember dieses Jahres fristgerecht eingebracht.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Wittke das Wort.
Oliver Wittke (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Seit über einem Jahr beschäftigt nunmehr die Affäre Kaykin die Staatsanwaltschaft, das Amtsgericht Duisburg und die Öffentlichkeit. Dabei ist der Sachverhalt inzwischen weitestgehend geklärt.
Anders als von Minister Schneider am 30. November vergangenen Jahres behauptet, gab es eine schwarze Kasse in der Begegnungsstätte, deren Geschäftsführerin Frau Kaykin war. Das bestätigt nicht nur die damalige Vorsitzende des Trägervereins der Begegnungsstätte, das bestätigen auch die Prüfer der Ditib, Vertreter des Moscheevereins und Ermittler des Finanzamts für Steuerstrafsachen in Essen.
Damit, Herr Kollege Schneider, ist klar, Sie können Ihr Behauptung nicht aufrechterhalten, dass es keine schwarzen Kassen gab. Sie haben heute vor diesem Hohen Hause die Gelegenheit, sich zu korrigieren und Ihre Äußerung vom 30. November vergangenen Jahres zurückzunehmen.
(Beifall von der CDU)
Dass Sie inzwischen kalte Füße bekommen haben, zeigt auch eine Vielzahl unterschiedlicher Kommentare, die Sie abgegeben haben. Erst haben Sie sich voll und ganz hinter Frau Kaykin gestellt; kein Blatt Papier sollte zwischen Frau Kaykin und Sie passen. Wenige Monate später haben Sie erklärt, man wolle die Angelegenheit nach Recht und Gesetz – als sei das für eine Landesregierung etwas Außergewöhnliches – zum Abschluss bringen. In der letzten Sozialausschusssitzung haben Sie nicht einmal mehr die Kraft aufgebracht, sich vor Ihre Staatssekretärin zu stellen.
Das zeigt, dass Sie mittlerweile selbst Zweifel hegen. Diese Selbstzweifel sollten Sie heute offen vortragen, begründen und sagen, was Sie in den letzten Monaten zu Ihrem Sinneswandel bewogen hat.
(Beifall von der CDU)
Neben der juristischen Bewertung kann mittlerweile auf jeden Fall auch eine politische Bewertung vorgenommen werden. Denn neben der schwarzen Kasse ist doch völlig klar, dass Frau Kaykin Sozialabgaben erst dann abgeführt hat, als die Öffentlichkeit auf den Vorgang aufmerksam geworden ist und die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat. Der Anwalt von Frau Kaykin hat inzwischen erklärt, dass Frau Kaykin kurz vor der Landtagswahl – welch Zufall! – Sozialabgaben in Höhe von insgesamt 3.770 € an die AOK abgeführt hat.
Das ist ein Schuldeingeständnis. Damit ist klar, es hat Sozialmissbrauch gegeben. Genauso klar ist, es hat in dieser Angelegenheit nicht nur schwarze Kassen, sondern auch das Vorenthalten von Arbeitgeberanteilen der Sozialversicherung gegeben. Das ist beileibe kein Kavaliersdelikt. Wir wollen Sie da, Herr Minister, an Ihren eigenen Worten messen. Sie haben keine Maikundgebung ausgelassen, um immer wieder dafür zu kämpfen und dafür Sorge zu tragen, dass der Sozialmissbrauch eingeschränkt wird.
(Minister Guntram Schneider: Richtig!)
Das waren starke Worte, denen aber keine Taten gefolgt sind. Sie waren bis zum heutigen Tage noch nicht einmal in der Lage, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, was bei Beamten normal und selbstverständlich ist. Sie messen mit zweierlei Maß.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Bei jedem kleinen Regierungsrat hätten Sie in einer vergleichbaren Situation ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Bei Ihrer Staatssekretärin haben Sie das nicht getan. Was ist das für eine Auffassung von Rechtsstaat, wenn die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen werden?
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Damit ist völlig klar, dieses Disziplinarverfahren müsste eingeleitet werden, wenn die Staatssekretärin nicht vorher entlassen wird. Wir sind der Auffassung, sie muss entlassen werden. Denn eine Sozialstaatssekretärin, die in ihrem Vorleben Sozialversicherungskassen Beiträge vorenthalten hat, ist untragbar. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Republik. Das gibt es in keinem anderen deutschen Bundesland.
(Beifall von der CDU und von Dietmar Brockes [FDP])
Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was los wäre, wenn eine vergleichbare Affäre in der Zeit zwischen 2005 und 2010 im Lande Nordrhein-Westfalen über die Bühne gegangen wäre.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Och! – Zuruf von der SPD: Wer im Glashaus sitzt!)
Nicht nur die Sozialdemokratie, nicht nur die Bündnisgrünen, sondern auch der DGB und alle anderen würden auf die Barrikaden gehen und zu Recht Konsequenzen fordern. Auch wir fordern heute von Ihnen Konsequenzen ein.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Es stellt sich auch die Frage: Was sagt eigentlich die Ministerpräsidentin zu dieser Affäre? Sie war es schließlich, die Frau Kaykin entgegen Warnungen aus Sozialdemokratie und türkischer Community in ihr Schattenkabinett geholt hat; sie war es, die Frau Kaykin zur Staatssekretärin ernannt hat. Daher fordern wir auch von der Ministerpräsidentin eine klare Stellungnahme zu diesen Vorgängen. Da kann man sich nicht ins Gebüsch schlagen. Führungsverantwortung heißt auch, in schwierigen Situationen Farbe zu bekennen. Das fordern wir heute von der Ministerpräsidentin.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Oliver Wittke (CDU): Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Der Fall Kaykin ist ein beispielloser Vorgang. Genauso beispiellos ist der Umgang von Minister und Ministerpräsidentin mit diesem Fall. Es ist Zeit zu handeln. Die Vorgänge liegen offen vor uns; sie sind erkennbar. Sie selbst haben zur Aufklärung nicht beigetragen und Disziplinarverfahren, die notwendig waren, verweigert. Es ist traurig genug, dass das Parlament die Regierung an ihre Pflicht erinnern muss. Das haben wir mit diesem Antrag getan. Wir bitten um Zustimmung. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Wittke. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr von Grünberg.
Bernhard von Grünberg (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Schreien ist doch kein Argument.
(Beifall von der SPD)
Man könnte es eigentlich kurz machen. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen Frau Kaykin ist noch nicht abgeschlossen. Deswegen gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Im vorliegenden Fall geht es darum, dass bei dem Verein, bei dem Frau Kaykin beschäftigt war, möglicherweise Sozialversicherungsbeiträge nicht rechtzeitig gezahlt worden sind. Es ist kein Geheimnis, dass die deutsche Vereinskultur in mancherlei Hinsicht auch eine Unkultur sein kann. Wir alle kennen Beispiele von Vereinen, die so sehr auf die leidenschaftliche Verwirklichung ihrer Aufgabe konzentriert sind, dass sie die angemessene Sorgfalt bei Buchführung und Rechenschaftslegung nicht mehr aufbringen können.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU] – Weitere lebhafte Zurufe von der CDU – Unruhe)
– Hören Sie doch einmal zu.
(Fortgesetzt Unruhe)
In solchen Fällen ist es notwendig, die Dinge transparent zu machen, genau darzulegen und ins Reine zu bringen. Daran besteht kein Zweifel, meine Damen und Herren, selbst wenn Sie sich noch so aufregen. Genau dies wird zurzeit umgesetzt.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Wo denn?)
Was die leidenschaftliche Verwirklichung der Ziele betrifft, so möchte ich doch daran erinnern, dass die konfliktfreie Errichtung der Moschee in Duisburg als „Wunder von Marxloh“ bezeichnet worden ist.
(Zurufe von der CDU)
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jedoch entschieden davor warnen, die notwendige Aufklärung für politische Selbstjustiz zu missbrauchen. Das tun Sie gerade.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es ist für die politische Kultur unseres Landes auch betrüblich, dass die CDU mit Zitaten aus Presseartikeln und bloßen Vermutungen dazu beiträgt, eine Person in der Öffentlichkeit zu diffamieren.
(Zurufe von der CDU)
Das Verhalten der CDU passt gar nicht zu dem Verhalten der Fraktion in anderen politischen Fragen. In der letzten Plenarsitzung ging es zum Beispiel um die Frage, warum sich die Landesregierung nicht mit dem Steuerabkommen mit der Schweiz abfindet, das die Bundesregierung abgeschlossen hatte. Dieses Abkommen sollte Hunderte von Steuerhinterziehern straffrei stellen und ihnen gleichzeitig noch einen Bonus auf ihre Steuerschuld geben.
(Zurufe von der CDU)
Hier haben Sie die Landesregierung vorwurfsvoll gefragt, warum sie denn so pingelig sei und das Abkommen nicht mit unterzeichnen wolle.
Bei Frau Staatssekretärin Kaykin wollen Sie trotz lediglicher Vermutungen den starken Durchgriff, nämlich die Abberufung durch die Landesregierung.
(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])
Alle Fraktionen hatten sich in die Hand versprochen, dass die Frage der Integration politisch gemeinsam gestaltet und aus dem alltäglichen Streit herausgehalten wird.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Deshalb muss die Staatssekretärin entlassen werden!)
Wir wollten damit helfen, meine Kolleginnen und Kollegen, dass Migrantinnen und Migranten auch als Seiteneinsteiger in die Politik kommen und eine faire Chance bekommen.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Schwarzarbeit!)
Seit Monaten wird Frau Kaykin von Ihnen angegriffen und diffamiert, nicht nur durch die offenen Fragen bei ihrem früheren Arbeitgeber, sondern auch durch eine vermeintliche Nähe zu den „Grauen Wölfen“, weil sie in ihrer Moschee in Marxloh an einer Veranstaltung einer den „Grauen Wölfen“ nahestehenden Organisation teilgenommen hat.
Wenn ich die „Welt am Sonntag“ vom vergangenen Wochenende lese, so finde ich einen Artikel über Ihren jetzt hier gestellten Antrag mit einer Fülle von Vermutungen und Verdächtigungen gegenüber Frau Kaykin. In derselben Zeitung lese ich von der Kollegin Güler, dass sie eine Umarmungsstrategie gegenüber den türkischen Rechtsnationalisten pflegt,
(Zuruf von der CDU: Sie sollten sich was schämen!
weil sie zwei Veranstaltungen besuchte und damit aufwertete, bei denen Rechtsnationalisten aus dem Umfeld der „Grauen Wölfe“ öffentlich für sie warben.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege von Grünberg, entschuldigen Sie bitte. Frau Kollegin Güler würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Bernhard von Grünberg (SPD): Ich möchte jetzt aber zu Ende führen. Wir können es nachher machen.
(Zurufe von der CDU)
– Sie wird gleich hören, was ich dazu sage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten fair miteinander umgehen. Ich selbst habe kürzlich auf einer Veranstaltung gesprochen, bei der auch Öcalan-Fahnen zu sehen waren. Ich hoffe, dass Sie mich deswegen nicht der PKK zuordnen.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Sie haben die Redezeit überschritten.
Bernhard von Grünberg (SPD): Ich gehe davon aus, dass wir mit Migrantinnen und Migranten sprechen müssen, und zwar aus allen Richtungen, und dass dies dazu beiträgt, dass wir zuhören und mit den Migrantinnen und Migranten in alle Richtungen in den Dialog kommen können.
Deswegen möchte ich mich vor die beiden Kolleginnen stellen, die hier von verschiedenster Seite diffamiert und in der Öffentlichkeit niedergemacht werden.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege, die Redezeit ist leider beendet.
Bernhard von Grünberg (SPD): Diese beiden Kolleginnen mit Migrationshintergrund haben es geschafft, in der Politik etwas zu werden. Es ist vielleicht nicht schlimm, wenn sie jetzt diesem Sturm ausgesetzt sind. Viel schlimmer ist es jedoch für die vielen Menschen, die sagen: Das sind die beiden Kolleginnen, die es in der Politik geschafft haben.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege von Grünberg.
Bernhard von Grünberg (SPD): Wie gehen die eigentlich mit denen um? Ich habe keine Lust mehr auf die. Die werden nur fertig gemacht.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege von Grünberg, die Redezeit ist wirklich beendet.
Bernhard von Grünberg (SPD): Das sollten Sie sich einmal merken.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.
Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle hätten wir gern diesen Eilantrag eingebracht.
(Die Abgeordnete hält ein Papier hoch.)
Dieser Eilantrag beschäftigte sich mit der Privatisierung der Provinzial, wie sie durch die Gazetten gelaufen ist. Da wäre es um die Sorgen von Tausenden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, um die Versicherten gegangen. Es wäre um die Kommunen gegangen. Es wäre um Milliarden Euro gegangen. Es geht um Sicherheit und Verlässlichkeit des öffentlichen Bankensystems. Da geht es um menschliche Schicksale. Ein wichtiger Antrag, den wir gern zusammen mit der CDU eingebracht hätten, ein Antrag, in dem es tatsächlich darum gegangen wäre, Schaden von diesem Land abzuwenden.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Zum Thema!)
Stattdessen beschäftigen wir uns heute mit einem ganz anderen Antrag, einem Eilantrag der CDU-Fraktion. Worum geht es da? Es geht nicht darum, Schaden vom Land abzuwenden, wie der Titel nahelegen mag. Nein, es geht darum, Schaden zuzufügen. Es geht um die politische Beschädigung einer Person. Es geht nicht um die Sache – denn da hat sich seit der Aussprache im Sozialausschuss überhaupt nichts getan; gar nichts hat sich geändert –, es geht darum, diese Sachlage hochzuspielen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Damit beschädigen Sie nicht nur die Staatssekretärin. Nein, Sie beschädigen auch die Staatssekretärin für Integration.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Die hat sich selbst beschädigt!)
Wie wirkt denn das im Land? Wir alle haben uns auf das Ziel verständigt, diese außerordentlich wichtige Zukunftsaufgabe der Integrationspolitik voranzubringen. Wir wissen, wie wichtig für viele Migrantinnen und Migranten das Gefühl ist, in der Gesellschaft angenommen und aufgenommen zu werden, wie wichtig auch das positive Beispiel von Migrantinnen und Migranten ist, die es geschafft haben, die aufgestiegen sind, die Erfolg haben.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Selbstverständlich stehen die Erfolgreichen, die ja mehr werden, aber noch nicht so viele sind, besonders im Licht der Öffentlichkeit.
Da fällt Ihnen nichts Besseres ein, als ohne erkennbare Not in einem Verfahren, das noch nicht einmal eröffnet ist, hier die große Show zu machen, das Kesseltreiben gegen die Staatssekretärin einzuleiten und diese zu diskreditieren.
Mit diesem unnötigen Antrag beschädigen Sie auch unsere gemeinsame Integrationspolitik.
(Zurufe von der CDU)
Tatsächlich hat sich bei der Umsetzung integrationspolitischer Ziele in Nordrhein-Westfalen in den letzten zweieinhalb Jahren mehr getan als in den fünf Jahren davor. Ich hoffe doch nicht, dass Sie diese Erfolge neiden.
Keine Frage, wer Strafhandlungen begeht, muss die Folgen tragen.
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)
Das würde selbstverständlich auch für den Landrat des Kreises Düren gelten, gegen den ja bereits ein Verfahren eröffnet ist und der seinen Rücktritt verweigert.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dieses Verfahren ist noch nicht eröffnet, und es ist ein guter Brauch, dass man sich als Politik nicht in schwebende Verfahren einmischt. Was Sie auf der großen Bühne inszenieren, ist Vorverurteilung. Das steht diesem Hohen Haus nicht an. Aufgrund von Zeitungsberichten hier ein Kesseltreiben zu veranstalten, nachdem es – wohlgemerkt – eine umfangreiche und klärende Aussprache gegeben hat, finde ich schäbig.
Aber natürlich geht es Ihnen nicht allein um die Staatssekretärin. Sie wollen darüber hinaus den Minister beschädigen.
Wir sind uns sicher: Minister Schneider ist sich seiner Aufgabe sehr wohl bewusst, auch und besonders in seiner Personalverantwortung. Wir haben das vollste Vertrauen in seine Handlungsweise in dieser Sache. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass er die Lage im Blick hat und verantwortungsvoll handeln wird. Entsprechende klare Aussagen hat er gemacht, was Sie auch in Ihrem Antrag nicht bestreiten.
Auch vor diesem Hintergrund gehört dieser Antrag nicht hier hin. Er ist völlig überflüssig.
Wir würden uns wünschen, dass wir in Zukunft wieder ernsthaft um Sachfragen streiten anstatt uns kurz vor Weihnachten in Beschuldigungen, Vorverurteilungen und persönlichen Schuldzuweisungen zu ergehen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Freimuth.
Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schaden vom Land abzuwenden und zum Wohl von Land und Bürgern zu arbeiten, das ist ganz sicher unsere Aufgabe im Parlament. Dazu gehört selbstverständlich auch die Befolgung geltender Gesetze. Das ist auch Ziel und Verpflichtung eines jeden Bürgers und natürlich eines jeden, der in der Politik Verantwortung trägt. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich in Rechten und Pflichten.
Sicher sehen wir uns damit konfrontiert, dass von Politikern, von Abgeordneten, von Ministern, von Staatssekretären und von vielen anderen Persönlichkeiten in unterschiedlichsten Branchen in besonderer Weise eine gewisse Vorbildlichkeit erwartet wird – ob zu Recht oder zu Unrecht, mag dahinstehen.
Unstreitig ist jedenfalls – da stimme ich mit den im Antrag zitierten Aussagen von Herrn Minister Schneider völlig überein –: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. – Und – so wird er ebenfalls zitiert –: Hier ist niemand haltbar, der sich strafrechtlich etwas hat zuschulden kommen lassen.
Die seit über einem Jahr gegen Frau Staatssekretärin Kaykin im Raum stehenden Vorwürfe wiegen schwer. Zu lesen ist von unsauberem Wirtschaften als Geschäftsführerin der Begegnungsstätte in der Duisburger Zentralmoschee, dem Vorwurf der Veruntreuung von Projektgeldern, des Führens schwarzer Kassen, der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und der Verantwortung von Schwarzarbeit.
Sicher stellen diese Vorwürfe nicht nur für Frau Staatssekretärin persönlich, sondern auch für die Landesregierung eine Belastung dar, und das insbesondere, weil sie gerade im Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration tätig ist.
Ich will es auch in aller Deutlichkeit sagen: Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, sind ein Rücktritt bzw. eine Entlassung zwingend.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Natürlich hat der Kollege Wittke auch Recht mit der Frage: Was wäre denn die übliche Vorgehensweise, wenn es nicht die Staatssekretärin, sondern irgendein Mitarbeiter in Ihrem Ministerium wäre, der sich mit solchen Vorwürfen auseinandersetzen müsste?
Es ist und bleibt einfach an der Stelle festzustellen, dass die seit über einem Jahr nicht entkräfteten Vorwürfe die Glaubwürdigkeit der Landesregierung belasten. Das könnte mir ja nun als Oppositionsabgeordnete noch vergleichsweise egal sein. Das muss nicht zwingend meine Sorge sein. Aber auch die Politik dieses Landes allgemein steht in der Glaubwürdigkeit.
(Beifall von der FDP)
So lange das Verfahren nicht abgeschlossen ist und auch die im Raum stehenden Fragen politisch nicht beantwortet werden, bleibt die Situation – sagen wir es einmal ganz gelinde – misslich und unschön.
Ich bitte Frau Staatssekretärin, ihrerseits noch einmal zu bedenken, welche Beiträge sie leisten kann, um diese unsägliche Situation beizulegen.
Herr Minister Schneider, Ihr Schweigen erachte ich persönlich ebenfalls nicht als wirklich hilfreich.
Der Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren ist rechtlich das eine, die Erschütterung politischer Glaubwürdigkeit und politischer Authentizität aber das andere. Hier muss die Landesregierung sich auch sicher kritisch prüfen, ob sie den politischen und ethischen Maßstäben, die sie zum Beispiel als Opposition bei damaligen Ministern und Staatssekretären angelegt hat, heute selber entspricht.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Gleichwohl entfaltet die Unschuldsvermutung als elementarer Bestandteil unserer Rechtsordnung und unseres Rechtsstaates auch Geltung gegenüber jedermann und damit natürlich auch gegenüber Frau Staatssekretärin Kaykin. Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung notwendigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß Gesetz nachgewiesen ist.
Ich möchte Sinn und Zweck dieses Grundsatzes noch einmal in Erinnerung rufen. Die Unschuldsvermutung soll vermeiden helfen, dass Beschuldigte vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, wenn sich ihre Unschuld bis zum Ende des Strafverfahrens herausstellt.
Aus diesem Grundsatz folgend sollen dann auch Interna und Unterlagen des Ermittlungsverfahrens nicht an die Öffentlichkeit gelangen oder den Medien zugespielt werden. Bei tiefer Achtung vor der Pressefreiheit und dem Beitrag der Medien zur transparenten Information und Kontrolle sind hier sicherlich noch einige Fragen zu stellen.
Rechtlich ist Frau Staatssekretärin bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig anzusehen. Wenn wir uns unserer Rechtsordnung besonders verpflichtet fühlen, dann sind wir meines Erachtens auch in besonderer Weise zur Berücksichtigung der Unschuldsvermutung verpflichtet.
Die FDP-Landtagsfraktion hat den Wunsch, dass die rechtlichen Vorwürfe gegen Frau Staatssekretärin schnellstmöglich geklärt und auch die politische Bekämpfung von Schwarzarbeit und Betrug zulasten der Ehrlichen nicht durch derartige Vorwürfe belastet werden. Für die daraus zu ziehenden politischen Schlussfolgerungen möchte ich auf die von der Landesregierung selbst aufgestellten Maßstäbe hinweisen. Frau Staatssekretärin täte sicherlich sich selbst und allen Beteiligten einen Gefallen, wenn sie die Ausübung ihres Amtes bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen ließe.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit.
Angela Freimuth (FDP): Für die FDP gilt – damit komme ich zum Schluss –, dass bei allen ungeklärten und nicht entkräfteten massiven Vorwürfen dennoch die Unschuldsvermutung zu berücksichtigen ist. Aus diesem Grund werden wir uns dem Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Union mit dem Appell an Frau Staatssekretärin, ihr Amt ruhen zu lassen, enthalten.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Sommer.
Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream! Sehr geehrter Herr Wittke, Sie waren mit Ihrer Rede, wie immer, äußerst zügig und auch ein bisschen rücksichtslos unterwegs.
(Zuruf von der SPD: Wie immer! Vor allen Dingen zügig!)
Bei Ihrer versuchten Aufklärungskampagne betreffend Staatssekretärin Kaykin wandeln Sie auf dem sehr schmalen Grat zwischen Datenschutz und Aufklärung, ein Zwiespalt, der sich in unserem Rechtsstaat üblicherweise dadurch löst, dass man das Ergebnis einer Ermittlung, gegebenenfalls auch ein Urteil abwartet.
(Beifall von den PIRATEN)
Das haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, nicht getan. Sie haben sich vom Zeitungsboulevard treiben lassen und sich so an der Vorverurteilung einer einzelnen Person beteiligt, obwohl es dabei recht offensichtlich ist, dass es Ihnen wohl kaum um die Aufklärung in der Sache geht. Seit Mai 2011 haben Sie ein ganzes Dutzend Kleiner Anfragen, Anträge, Eilanträge und Aktueller Viertelstunden zu dieser Angelegenheit inszeniert. Thematisch springen Sie von angeblichen Kontakten zu türkischen Rechtsextremen bis zur Veruntreuung öffentlicher Subventionen. Ich komme Ihnen zwar insofern entgegen, als Minister Schneider alle Fragen zu den Vorwürfen gegen seine Staatssekretärin Kaykin abgeblockt und damit den Spekulationen in der Öffentlichkeit und in der Presse den größtmöglichen Raum eingeräumt hat, trotzdem gilt in unserer Republik bis zum Beweis des Gegenteils immer noch die Unschuldsvermutung.
(Beifall von den PIRATEN)
Sollten die Ermittlungen gegen Staatssekretärin Kaykin inzwischen tatsächlich abgeschlossen sein, erwarte ich von Ihnen, Herr Minister Schneider, als dem politisch Verantwortlichen für Ihre Angestellte eine ausführliche Stellungnahme. Denn klar ist: Schwarzarbeit und Veruntreuung öffentlicher Projektgelder sind keine Kavaliersdelikte. Die Feststellung aber, ob ein solches Delikt überhaupt vorliegt, obliegt immer noch den ermittelnden Behörden und nicht dem Landtag NRW. Je nach Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen müssen die Anschuldigungen an der Stelle aufhören, oder die Landesregierung muss die personellen Konsequenzen aus den Ergebnissen der Ermittlungen ziehen.
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Aha!)
Da das Ermittlungsverfahren allerdings noch nicht abgeschlossen zu sein scheint, empfehle ich meiner Fraktion, den Antrag der CDU abzulehnen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon am vorigen Mittwoch habe ich im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales deutlich gemacht, dass das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Duisburg gegen Frau Staatssekretärin Kaykin andauert und mir nicht bekannt ist, wann die Ermittlungen abgeschlossen sein werden. Ich habe ebenso deutlich gemacht, dass mir auch der derzeitige Stand des Ermittlungsverfahrens nicht bekannt ist und ich deshalb keine Aussagen zu Einzelheiten treffen kann.
(Zuruf von der CDU: Augen zu und durch!)
Wenn Sie, Herr Wittke, einen anderen Informationsstand über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben, sind Sie im Vorteil. Ich würde mich dann aber sehr dafür interessieren, wie Sie zu dem Informationsvorsprung gekommen sind.
Meine Damen und Herren, ich beabsichtige nicht, mich an den Spekulationen in der Presse, die von der Opposition gern aufgegriffen und zu weiteren Spekulationen verwandt werden, zu beteiligen. Das ist nicht der Stil der Landesregierung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Das haben wir erlebt!)
– So ist es. Das ist nicht der Stil der Landesregierung. Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen, sondern wir nehmen Fakten zur Kenntnis, werden sie beurteilen und die notwendigen Konsequenzen ziehen. Darauf können Sie sich verlassen. Ich werde also die abschließende Bewertung der Staatsanwaltschaft Duisburg abwarten.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, einige Bemerkungen über das offensichtliche Rechtsverständnis der CDU-Fraktion in diesem Hohen Hause zu machen. In unserem Rechtsstaat gilt immer noch die Unschuldsvermutung; davon war die Rede.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Laumann in Presseinformationen mit den Worten zitiert wird, dass es in einem Rechtsstaat keine Vorverurteilung geben dürfe, kann ich nur sagen: Richtig so! Bravo! – Wenn allerdings der Fraktionsvorsitzende Laumann im nächsten Satz feststellt, strafrechtlich sei die Angelegenheit entschieden, und Frau Kaykin sei schuldig, dann ist das eben genau diese Vorverurteilung. Das ist rechtsstaatswidrig. Das ist letztlich auch verfassungswidrig
(Zurufe von der CDU: Oh!)
und gehört nicht in diesen Landtag.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: So ähnlich wie bei Christian Wulff!)
Wir orientieren uns – um das noch einmal zu sagen – an Fakten und nicht an Presseberichten.
Schuld wird in dieser Gesellschaft immer noch von Gerichten festgestellt. Auch darüber sollten wir uns einig sein.
Herr Wittke sagte eben, aus seiner Sicht sei der Sachverhalt weitgehend geklärt. Ich kann nur sagen: Aus meiner Sicht ist der Sachverhalt bisher nicht geklärt. Vielleicht hat Herr Wittke da eine Deutungshoheit. Wenn ich richtig informiert bin, ist er aber Geograf. Ich würde mich nicht auf das juristisch sehr dünne Eis begeben.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das sagt der Jurist Schneider!)
Zu meinem Verhältnis zur Frau Staatssekretärin ist alles gesagt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Schemmer zulassen?
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ja, bitte schön. Geht es um Wohnungsbau?
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Bitte, Herr Schemmer.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Abgeordneter Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Bei einem Minister sollte es um Kompetenz gehen und nicht um dumme Sprüche.
(Zurufe von der SPD: Fragen!)
Aber vielleicht lernen Sie das ja auch noch einmal.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Sie sprachen vorhin davon, dass keine Vorverurteilungen stattfinden sollen. Das ist auch richtig. Frage: Wenn jemand erwischt worden ist, nachgezahlt hat und somit den Sozialversicherungsbetrug beglichen hat, liegt dann, wenn man das feststellt, eine Vorverurteilung vor, ja oder nein?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Das ist Ihre politische Wertung. Die nehme ich zur Kenntnis.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Letztendlich wird auch dieser Punkt vor einem ordentlichen Gericht geklärt. Dann werden wir weiter darüber diskutieren.
Herr Schemmer, im Übrigen will ich zu meinem Wissensstand und Ihren Ausführungen dazu gar nichts mehr sagen. Sie kommen aus Velen. Da gibt es ein ausgeprägtes Schulsystem. Ich konnte das dort nicht mitmachen und war auf einer anderen Schule. Ich denke also, dass wir uns solche Dinge hier wirklich ersparen sollten.
Mein Verhältnis zur Frau Staatssekretärin habe ich im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales im letzten Jahr schon deutlich gemacht. Dem habe ich ausdrücklich nichts hinzuzufügen. Lesen Sie nach! Dann wissen Sie, wie das Verhältnis zur Frau Staatssekretärin ist.
Ich verstehe, dass Sie politisches Blut sehen wollen. Wir achten auf Rechtsstaatlichkeit und werden uns zur gegebenen Zeit …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten …
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Wieder von Herrn Schemmer? Bitte schön. Noch eine Zwischenfrage.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: … Lindner zulassen? – Bitte schön, Herr Kollege Lindner.
Christian Lindner (FDP): Herr Minister, ich bitte um Nachsicht; ich war der Fragesteller. – Frau Freimuth hatte die Landesregierung aufgefordert, dass Frau Staatssekretärin ihr Amt ruhen lassen sollte, bis die Vorwürfe geklärt sind. Sind Sie auch der Meinung, dass sie ihr Amt nicht ausüben kann und beispielsweise Schwarzarbeit und Sozialbetrug bekämpfen kann, wenn sie selbst noch in diesem Verdacht steht?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ob die Frau Staatssekretärin ihr Amt ruhen lassen möchte, muss sie selbst entscheiden.
(Lachen von der CDU – Karl-Josef Laumann [CDU]: Das ist doch nicht zu glauben!)
Ich sehe nach meinem Erkenntnisstand keine Veranlassung dazu. – Eine klare Antwort!
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich bitte Sie, auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Dann werden wir auch in diesem Fall weitersehen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Beratungen.
Über den Eilantrag ist direkt abzustimmen. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags der Fraktion der CDU Drucksache 16/1666. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe auf:
3 Gelebtes Open Government: Öffentliche Debatte zum Landeshaushalt!
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1623
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der Piraten Herrn Abgeordneten Schulz das Wort.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
(Unruhe)
– Vielleicht warte ich besser noch, bis alle gegangen sind – was allerdings ein bisschen schade ist; denn es geht gerade um ein wesentliches Thema, das die meisten Fraktionen in diesem Hause mittlerweile als Kernthema der Politik in diesem Lande verstanden wissen wollen.
(Beifall von den PIRATEN)
Es geht nämlich um Open Government, es geht um Bürgerbeteiligung, es geht um Transparenz – auch und insbesondere in Zusammenhang mit der anstehenden Haushaltsdebatte, die wir heute eröffnet hatten. Dabei haben wir Fragestellungen hinsichtlich des Selbstverständnisses der Piraten und der anderen Fraktionen in diesem Hause gehört.
Der hier vorliegende Antrag dokumentiert unser Selbstverständnis bestens. Wir stehen nicht als freie Vollstrecker einmaliger Stimmabgabe an Wahlurnen alle fünf Jahre und sitzen nicht hier, um dann zu warten, ob wir wiedergewählt werden, sondern verstehen unser Selbstverständnis dahin gehend, dass wir Bestandteil eines permanenten politischen Entscheidungsprozesses und einer Meinungsbildung gemeinsam mit den Bürgern und für die Bürger sind.
(Beifall von den PIRATEN)
Kommen wir zu dem Antrag: Der Antrag setzt meines Erachtens ein Zeichen im Hinblick auf eine offene Haushaltsführung in Nordrhein-Westfalen. Nachdem wir in den Ausschüssen moniert hatten, dass uns auf Nachfragen kein maschinenlesbares Material zum Haushalt an die Hand gegeben werden konnte, haben wir zu unserer Verwunderung gehört, dass dies gleichwohl im Landtag ein fraktionenübergreifendes Petitum ist. Dies wurde uns wortwörtlich so ins Gesicht gesagt. Das finden wir zwar grundsätzlich gut; nur müssen wir es umgesetzt wissen. Es nützt insofern nichts, wenn irgendwelche Runden beteuern: Wir werden dies mal machen! Wir wollen dies mal tun!
So schön es ist, dass es in der Staatskanzlei oder bei der Frau Ministerpräsidentin eine Gruppe gibt, die sich um ein Open Government kümmert, wäre es natürlich sehr schön, wen alsbald auch „gemacht würde“, wenn also direkt einmal in die Umsetzung gegangen würde. Das können wir tun, ganz besonders auch mit dem Haushalt. Mit dem Haushalt 2012 haben wir das bereits belegt, den wir wenige Tage nach seiner Veröffentlichung bereits maschinenlesbar umgesetzt und den Mitgliedern unserer Partei sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind die Legislative. Wir können das alles machen. Das, was wir hier fordern und wollen, können wir umsetzen, und zwar sofort. Wir könnten über unseren Antrag theoretisch direkt abstimmen. Zwar wird der Antrag in den Ausschuss überwiesen; aber wir könnten hier und heute sagen: Wir sind alle dafür, den Haushalt sofort zu veröffentlichen, den Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes die Möglichkeit geben, an diesem Haushalt durch Fragestellungen, Mitwirkung oder Anregungen zu partizipieren, das heißt mitzuwirken.
(Beifall von den PIRATEN)
Wie wir heute schon von unserem verehrten Herrn Fraktionsvorsitzenden gehört haben, klappt das auch. Die Piraten in Schleswig-Holstein haben es bereits unter Beweis gestellt. Am wichtigsten erscheint uns dabei, dass wir uns als Gesellschaft mehr mit der Politik in Form des Haushalts beschäftigen müssen. Davon sind wir alle abhängig: Davon ist das Gemeinwohl abhängig. Davon ist die Daseinsvorsorge abhängig. Davon ist alles abhängig, wovon wir hier in diesem hohen Hause ständig reden.
(Beifall von den PIRATEN)
Gleichzeitig setzen wir mit unserem Antrag ein Zeichen und fordern Bildungsangebote für eine über einen DIN-lang-Flyer hinausgehende Beschäftigung und Befassung mit der Haushaltspolitik des Landes. Egal ob in den Projektwochen in den weiterführenden Schulen, Abendveranstaltungen an Volkshochschulen, Kursen für Gasthörer an Universitäten: Jeder Mensch soll Interesse entwickeln und sich informieren sowie an der Gestaltung der Politik in diesem Lande mitwirken können.
Wir verwahren uns dabei gegen die Vorstellung, dass sich lediglich kleine Teile der Regierungsfraktionen in den Hinterzimmern über fiskalische Auswirkungen ihrer Politik Gedanken machen. Vielmehr stehen wir für den Diskurs ein, der breit anzulegen ist und vor allen Dingen öffentlich stattzufinden hat, vor dem Hintergrund veröffentlichter Zahlen des Haushalts, die für jeden zugänglich sind, die vor allen Dingen auch unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten bedeuten, dass wir zumindest im 20. Jahrhundert angekommen sind, wiewohl wir uns bereits im 21. Jahrhundert befinden. Von daher sollte es möglich sein, dass ein Land wie Nordrhein-Westfalen, das Technologiestandort sein möchte, das alsbald umsetzt.
(Beifall von den PIRATEN)
Dazu ist im zweiten Teil unseres Antrags ein weiterer wichtiger Punkt zu finden. Besonders interessant ist es, dass es um die laufenden Haushalte eines laufenden Wirtschaftsjahres geht. Dabei geht es um Bewirtschaftungszahlen. Auch diese Zahlen sind öffentlich zu stellen. Das ist technisch möglich. Das bestätigt uns IT.NRW. Das bestätigten uns Sachverständige in der Anhörung im Innenausschuss in der letzten Woche.
Das gibt es alles. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe „Haushaltsrecht und Haushaltsvollzug“, die schon in der 14. Wahlperiode befürwortete, dass man Informationssysteme, die im Land bereits existieren, für solche Zwecke hervorragend nutzen kann.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich komme zum Ende. Danke, Herr Präsident! – Wir könnten noch viele Beispiele anführen, dass es in anderen Ländern – übrigens auch in Baden-Württemberg – bereits funktioniert und es in anderen Ländern unserer Erde hervorragende Visualisierungen und Darstellungen des Haushaltes gibt. Wir sollten das tun und umsetzen. Wir sollten handeln und nicht nur reden.
Gleichwohl sind wir natürlich erfreut darüber, dass wir das hoffentlich alsbald im Ausschuss umsetzen können. Ich bitte um Ihre freundliche Zustimmung zur Überweisung des Antrags in den Haushalts- und Finanzausschuss.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Kämmerling.
Stefan Kämmerling (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Plenum hat unlängst den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Überschrift „Modernes Regieren im digitalen Zeitalter“ beraten. Lassen Sie mich die Schlagworte des Antrags der Koalitionsfraktionen noch einmal im Schnelldurchlauf skizzieren:
Unterstützung lokaler und regionaler Open-Government-Projekte, Umsetzung der NRW-Strategie möglichst bereits Mitte 2013! Auch Bürgerinnen und Bürger ohne Internetzugang sollen die Möglichkeit größerer Partizipation erhalten. Forum digitale Bürgerbeteiligung, verstärkter Einsatz freier Lizenzen in den Landesverwaltungen, Wettbewerbe, öffentlich bereitgestellte Datenapplikationen, Einbindung von Entwicklern.
Ich wiederhole diese Kernpunkte hier, um dem Haus darzulegen, dass der heutige Antrag der Fraktion der Piraten in weiten Teilen durch die Initiative von SPD und Grünen bereits erledigt ist.
(Monika Pieper [PIRATEN]: Bitte?)
„In weiten Teilen“ heißt aber nicht, dass beide Anträge identisch wären. Gut, der unsere war ganz offensichtlich die Basis für den Ihren. Aber Sie beziehen sich ja zudem konkret darauf, Bürgerinnen und Bürgern den Landeshaushalt zugänglicher zu machen.
Sie wollen dies grafisch unterstützt sehen und die Möglichkeit von Auswertungen. Diesen Ansatz kann man begrüßen. Dieser Antragsteil wäre durchaus zustimmungsfähig. Wäre er, gäbe es nicht eine Sitzung der AG Haushaltsrecht vom Anfang des Jahres 2012. In dieser Arbeitsgruppe haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Forderung nach einer graphischen Aufbereitung des Landeshaushalts sowie eine benutzerfreundliche Darstellung in Baumstrukturen gefordert. Die Zusicherung des Finanzministeriums, dem nachzukommen, ist in dieser Sitzung ebenfalls erfolgt. Das Ministerium will sich dazu einer bewährten Software des Bundes bedienen.
Eine Anmutung dessen erhalten Sie unter bundeshaushalt-info.de. – Auch zu diesem Teil Ihres Antrags darf ich also feststellen: Die Idee ist gut, aber nicht neu sowie zudem durch uns bereits abgearbeitet.
(Lachen von den PIRATEN)
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf zwei Punkte eingehen. Erstens: Sie bemängeln in Ihrem Antrag, dass ein Landeshaushalt Tausende Seiten habe und darum abschreckend wirke. Ja, meine Damen und Herren, ein Landeshaushalt hat viele Seiten, und das werden wir auch nicht durch grafische Darstellungen vollumfänglich aufheben können.
Der Haushalt eines Bundeslandes bedarf intensiver Beschäftigung und ist untrennbar mit großem Zeitaufwand verbunden. Wir müssen deshalb auch von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, erwarten können, dass Sie sich diesem Aufwand stellen.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wie soll das denn gehen?)
Wenn das Teilen Ihrer Fraktion nicht möglich ist, dann ist das sicherlich problematisch. Es scheint mir fast so problematisch wie die Tatsache, dass Sie ausweislich Ihrer eigenen Onlinekommunikation bereits die Dauer einer Plenarsitzung an die Grenzen Ihrer Aufnahmefähigkeit bringt.
(Zuruf von den PIRATEN: Oh!)
Zweitens und abschließend: Der Haushalt ist Ihnen schon jetzt zu unübersichtlich. Darum sollen nach der Logik Ihres Antrags noch weitere Zigtausende Belege digital dazugepackt werden. Sie treten für Datenschutz ein, wollen aber gleichzeitig datenschutzwürdige Haushaltsbelege online stellen.
Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist widersprüchlich. Das passt alles nicht zusammen, und damit ist kein Staat zu machen – weder in NRW noch sonst wo. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schmitz.
Hendrik Schmitz (CDU): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der Piratenfraktion zum Thema „Gelebtes Open Government: Öffentliche Debatte zum Landeshaushalt!“. Darin stellen die Piraten verschiedene Forderungen zur Verbesserung der Transparenz und des Bürgerdialogs auf. Und um es direkt vorweg zu sagen: Einige sind aus unserer Sicht sehr unterstützenswert, und einige sind sicherlich nur sehr schwer umsetzbar.
Wie in diesem Antrag richtigerweise dargelegt wird, spielt insbesondere Transparenz im Zusammenhang mit Haushaltsplanung eine wichtige Rolle, um die Landesfinanzierung langfristig durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens von Regierung, von Parlament, von Institutionen, von Verbänden und vor allem auch von Bürgerinnen und Bürgern tragfähig zu machen. Legt man nun dieses grundsätzliche Verständnis des Open Government zugrunde, so kommt man konsequenterweise zu dem Schluss, dass der von der Landesregierung präsentierte Haushaltsentwurf 2013 mit seinen nebulösen Globalpositionen hiermit rein gar nichts gemein hat. Das hat nichts mit Transparenz in dieser Form gemein.
(Beifall von den PIRATEN)
Denn da findet man rund 160 Millionen € globale Mehreinnahmen und über 800 Millionen € globale Minderausgaben. Das sind Zahlen, verehrte Damen und Herren, unter denen sich wohl kaum jemand jenseits der jeweiligen Ministeriumsmauern etwas vorstellen kann.
(Beifall von der CDU und den PIRATEN)
Im Klartext heißt das: Es wird den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes und auch uns im Parlament, verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Haushaltsgesetzgeber nicht ehrlich gesagt, wo denn nun gespart werden soll. Uns wird mit dem Instrument der globalen Mehr- und Minderausgaben unser haushaltswirtschaftliches Bestimmungs- und Steuerungsrecht aus der Hand geschlagen.
(Beifall von der CDU)
Und dann wird irgendwo im Haushaltsvollzug weniger ausgegeben, als den Menschen hier in NRW zunächst versprochen wurde. Wo es aber letztendlich fehlt oder – besser gesagt – nicht ankommt, wird hier nicht gesagt. Das verschwindet im Nebel der globalen Minderausgaben.
Etwas Entscheidendes kommt noch hinzu, meine Damen und Herren: Ohne diese Globalpositionen würde dieser Haushaltsentwurf auf eine Neuverschuldung von 4,5 Milliarden € kommen, und damit würde er sogar die rechtliche Höchstgrenze der Landesverfassung übersteigen.
Meine Damen und Herren, um es hier deutlich zu sagen und auch Ihnen von der regierungstragenden Koalition ins Stammbuch zu schreiben: Ehrliche, solide und vor allem transparente Haushaltspolitik stelle ich mir anders vor. Das sollten Sie besser können.
(Beifall von der CDU)
Aber das wichtige Thema, das die Piraten mit ihrem Antrag hier ansprechen, ist für uns in NRW nicht einmal neu. Bereits seit über zehn Jahren beraten wir im Parlament das Projekt EPOS, nämlich die Modernisierung des staatlichen Rechnungswesens. EPOS.NRW hat das Ziel, Transparenz über Vermögen und – das ist mir als junger Abgeordneter natürlich sehr wichtig – den Ressourcenverbrauch herzustellen sowie eine outputorientierte Steuerung – das heißt ja letztendlich nichts anderes als eine wirkungsorientierte politische Steuerung – zu ermöglichen.
Hierzu gibt es im Parlament einen breiten Konsens, und daher hat auch die Arbeitsgruppe Haushaltsrecht und Haushaltsvollzug des Haushalts- und Finanzausschusses ihre Arbeit inzwischen wieder aufgenommen. Begrüßen möchte ich an dieser Stelle, dass sich die regierungstragenden Fraktionen in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich für eine Fortsetzung der Umstellung des Rechnungswesens sowie für die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung ausgesprochen haben. Zudem hat die Landesregierung inzwischen die Fortsetzung von EPOS beschlossen.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend ist zu sagen: Möchte man Politik nicht an den Menschen vorbei, sondern mit den Menschen machen, so muss man ihnen auch das nötige Handwerkszeug geben. Hier bieten Open Government und Open Government Data einen guten Ansatz. Wie jedoch ein Partizipationsmodell in diesem Kontext letztlich aussehen könnte und welche Plattformen Chancen, aber – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen – auch Risiken beinhalten, das muss sorgfältig analysiert werden. Die öffentliche Anhörung, die auch im Stream übertragen wurde, hat uns bereits erste Anhaltspunkte geliefert.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Wer wollte das denn, dass das im Stream übertragen wird?)
Frei verfügbare Informationen müssen in einer Umgebung abrufbar sein, die persönliche Daten nicht unbefugten Dritten zugänglich macht. Weder unserem Land noch unseren Bürgern ist mit einem datenschutzrechtlichen Tanz auf Messers Schneide geholfen. Bis ein entsprechendes Gesamtkonzept zum Open Government vorliegt, wünsche ich mir, dass die bereits vorhandenen Möglichkeiten zur Umsetzung von mehr Transparenz auch tatsächlich genutzt werden.
Meine Damen und Herren, wir werden uns als CDU-Fraktion an den anstehenden Beratungen des Antrags konstruktiv beteiligen und stimmen damit natürlich einer Überweisung an den Ausschuss zu. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im September haben – das ist eben schon angesprochen worden – die regierungstragenden Fraktionen den Antrag „Modernes Regieren im digitalen Zeitalter“ eingebracht, und darin haben wir Eckpunkte für eine Open-Government-Strategie des Landes Nordrhein-Westfalen definiert. Am vergangenen Donnerstag fand dazu die eben auch schon angesprochene Anhörung des Innenausschusses statt.
Ich möchte kurz darauf eingehen, dass diese Anhörung auch über einen Stream übertragen wurde. Das war beileibe nicht aus Interesse der CDU-Fraktion. Es war der Ausschussvorsitzende aus der CDU-Fraktion, der das mit einem Verweis auf einen nicht existierenden Ältestenratsbeschluss noch torpedieren wollte.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie sollten sich nicht mit fremden Federn schmücken, Herr Kollege.
Mit unserer Open-Government-Strategie wollen wir für mehr Transparenz sorgen, für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten, letzten Endes für ein neues Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern, Politik und Verwaltung. Dazu muss ich einmal zu den Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion sagen: Diese Ideen und Vorstellungen für dieses neue Verhältnis sind über viele Jahre gewachsen. Sie kommen immer mit einem Impetus, als müssten Sie uns erklären, wie Demokratie funktioniert.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Nordrhein-Westfalen ist kein Schurkenstaat. Wir wissen sehr wohl, was Demokratie ist und was es damit auf sich hat. Wir wissen aber auch – das gestehe ich ohne Weiteres zu –, dass es durchaus Punkte gibt, mit denen wir politische Prozesse verbessern können. Deswegen haben wir Open Government, auch ein Transparenzgesetz, als ganz konkrete und prominente Maßnahmen in Koalitionsvertrag definiert. Ich kann insofern sagen: Das steht im Koalitionsvertrag, und es wird kommen.
Ich möchte aber noch eines ganz klar sagen: Bei jedem Mitbestimmungsprozess, den man anlegt, geht es auch darum, dass die Form des Prozesses zum Gegenstand passt, also dazu passt, worüber es eigentlich Mitbestimmung geben soll. Ich glaube, dass dies nur dann gewährleistet ist, wenn es ein Gesamtkonzept gibt, also eine solche Strategie, wie wir sie von den regierungstragenden Fraktionen vorgeschlagen haben.
Wenn Sie da einzelne Maßnahmen herausgreifen, will ich zumindest die Gefahr benennen, dass wir am Ende eine Situation bekommen, in der wir den Bürgerinnen und Bürgern, die wir als regierungstragende Fraktionen – genauso wie sie und die anderen Fraktionen wohl auch – einbeziehen wollen, statt einer Kiste mit blauen Büchern einen Datensatz in die Hand geben. Damit wäre für Transparenz und Mitbestimmung nichts gewonnen. Deswegen ist für mich ganz zentral, dass wir ein Gesamtpaket für Partizipation schaffen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dabei wird Open Data helfen. Weil Open Data richtig und sinnvoll ist, machen wir das auch. An den Stellen, wo es noch nicht passiert, werden wir es vorantreiben. Wir werden unsere offenen Datenbestände sukzessive ausweiten. Insofern sind – das können Sie für die weiteren Beratungen mitnehmen – einige Ansätze, gerade was offene Datensätze angeht, in Ihrem Antrag durchaus richtig. Das gestehe ich ohne Weiteres zu, auch wenn die Ideen nicht unbedingt neu sind.
Wenn Sie sich über das Tempo beschweren, kann ich dazu sagen: Das ist halt so, das macht die Opposition eben, wenn sie eine Idee von der Regierung gut findet, dass sie dann sagt, dass das Tempo falsch ist. Das ist okay.
Im Rahmen der Open-Government-Strategie müssen und können wir auch beim Haushalt über neue Formen von Mitbestimmung sprechen. Es ist völlig in Ordnung, dass Sie die heutige Debatte angestoßen haben. Darüber können wir dann auch reden. Ich weiß aber nicht, ob das bei einem Haushaltsentwurf, der heute Morgen im Parlament eingebracht wurde, sinnvoll ist. Wir sind Ende 2012, und es geht um den Haushaltsentwurf für 2013. Wir haben eine klare Aufgabenstellung vom Verfassungsgericht bekommen, dass das Haushaltsverfahren zügig abgeschlossen werden muss. Das wird Ihnen gefallen. Sie nehmen ja immer die alten Textbausteine von der Linken und lesen die vor.
Partizipation macht Arbeit und erfordert Engagement und vor allem Zeit. Das ist auch gut so. Wenn ich nämlich einen Partizipationsprozess durchführen will, muss ich das auch seriös machen. Sonst streue ich den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen und suggeriere ihnen Mitbestimmungsmöglichkeiten, die es nicht gibt. Deswegen müssen wir, wenn wir über Partizipation sprechen, das seriös machen und dürfen das nicht einfach nur für die Galerie fordern, sondern müssen das wirklich gemeinsam angehen.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Völlig d‘accord!)
Insofern habe ich wahrgenommen – das habe ich auch aus den Debatten entnommen, die wir bisher schon dazu hatten, weil das Thema Open Government ja so ganz neu nicht ist und uns, wie ich das schon angesprochen habe, mehrfach in der letzten Zeit beschäftigt hat –, dass sich in diesem Hause viele für das Thema interessieren. Deshalb bin ich guter Hoffnung, dass wir diesen Prozess gemeinsam voranbringen. Ich lade jedenfalls alle Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich dazu ein, an diesem wichtigen Thema für uns, für Nordrhein-Westfalen und für unsere Bevölkerung mitzuwirken und es zu einem Erfolg zu machen. Denn ich glaube, unser Land braucht ein solches Projekt. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass sich der Landtag in dieser Wahlperiode bereits mehrfach mit dem Thema Open Government beschäftigt hat. Die FDP hat bei diesen Gelegenheiten jeweils klar Position für mehr Transparenz bezogen und unterstützt nachdrücklich die Forderung, Open Government in Nordrhein-Westfalen zu implementieren.
Wie an dieser Stelle bereits ausgeführt, ist in der digitalen Gesellschaft Transparenz eine besonders wichtige Anforderung an Politik und Verwaltung. Ausreichende Transparenz, gerade die Verfügbarkeit von Informationen, ist eine notwendige Voraussetzung, damit sich Bürger beteiligen, einbringen und ihre Anliegen äußern können. Vor allem wollen die Menschen Klarheit darüber, was mit den öffentlichen Mitteln und damit mit dem Geld der Steuerzahler geschieht.
Der heute zu beratende Antrag der Piratenfraktion kann in dieser Form gleichwohl unsere Unterstützung nicht finden. In einigen Punkten ist der Antrag nicht praktikabel; man würde das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Herstellung größerer Transparenz, insbesondere im Landeshaushalt, ist nicht zum Nulltarif zu haben und wird zwangsläufig zunächst mit einem erhöhten Aufwand verbunden sein.
Alle Transparenzbemühungen dürfen daher das Ziel, den Bürgern mehr Beteiligung zu ermöglichen, nicht aus den Augen verlieren. Eine systematische Veröffentlichung der Haushaltsbelege würde indessen lediglich zu einem riesigen Datenfriedhof führen. Allein der Landtag mit seinen 287 Mitarbeitern und 35 rechnungsbearbeitenden Stellen müsste bei nur 15 Belegen pro Arbeitstag bereits eine sechsstellige Zahl an Haushaltsbelegen im Jahr veröffentlichen. Auf alle Landesbehörden bezogen wird einem bei der Anzahl der Belege geradezu schwindelig. Hier sähe man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Damit ist dem Bürger doch nicht geholfen!
Ein Kommunikationsprozess – Ziffer 4 des Antrags – von mindestens sechs bis acht Wochen würde die Haushaltsberatungen weiter verzögern. In Zusammenschau mit dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 30.10.2012 zum Vorherigkeitsgebot würde damit wohl eine noch einmal deutlich frühere Haushaltsaufstellung und -einbringung erforderlich.
Zudem sei klargestellt, dass aufgrund des Budgetrechts des Parlaments die Entscheidungen über den Haushalt nur durch den Landtag selbst getroffen werden können.
Die eher kryptisch gehaltene Forderung nach einem gesonderten Haushaltsbewirtschaftungsplan in Ziffer 5 des Antrags erschließt sich in keiner Weise. Worin soll denn der Sinn eines weiteren Planungsinstruments neben dem Haushaltsplan liegen? Oder soll damit in etwa so etwas wie das automationsgestützte Informationssystem über die Bewirtschaftung des Haushalts gemäß § 34 Abs. 5 der Landeshaushaltsordnung gemeint sein?
Entscheidend für das Ergebnis ist nämlich letztlich vor allem der Haushaltsvollzug durch die Regierung. Die FDP hat das exemplarisch im Innen- und Rechtsbereich für die Jahre 2010 und 2011 abgefragt. Daraus ergeben sich über Jahre massive Differenzen zwischen dem, was für einzelne Titel veranschlagt wurde, und dem, was von der Regierung tatsächlich dafür verausgabt wurde. Deckungsfähigkeiten machen es möglich.
Gerade hier müssen wir aus meiner Sicht nach dem Grundsatz der Haushaltsklarheit und -wahrheit dringend ansetzen und zu mehr Transparenz kommen. Ein Subventionsbericht – angelehnt an den für den Bundeshaushalt veröffentlichten Bericht – wäre sicherlich ein deutlicher Beitrag zu mehr Transparenz. Die Bürger wären so eher in der Lage, die Verwendung ihrer Steuergelder nachzuvollziehen, und könnten sich dann selbst ein Bild über Sinn und Zweck der Subventionsleistungen machen.
Insgesamt ist für die FDP-Fraktion jedoch zu resümieren, dass der Antrag im Kern eine richtige Zielrichtung hat, in der jetzigen Form aber weder die geeigneten Mittel noch das erforderliche Maß beinhaltet, um das Ziel der Transparenz im Landeshaushalt sinnvoll zu erreichen.
Hier im Hohen Haus habe ich bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die FDP nunmehr die Landesregierung in der Verantwortung sieht. Deshalb fordere ich Sie erneut auf, endlich einmal etwas Substanzielles zum Thema Open Government, etwa den Entwurf eines neuen Transparenzgesetzes, in den Landtag einzubringen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung des Finanzministers Dr. Walter-Borjans Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag der Fraktion der Piraten werden zwei unterschiedliche Sachverhalte angesprochen, zu denen auch unterschiedliche Gesichtspunkte zu beachten sind.
Zunächst einige Bemerkungen zur Bereitstellung von Haushaltsdaten. Die in Drucksache 16/811 beschriebenen Ziele für eine Open-Government-Strategie werden von der Landesregierung auch künftig konsequent weiterverfolgt. Bereits heute stellt die Landesregierung den Haushaltsplan im Internet zur Verfügung. Der Datenbestand steht am Tage der Einbringung jedem Bürger zur Verfügung und kann mit ebenfalls bereitgestellten Programmen ausgewertet werden. Dieses Angebot wird künftig mit dem Ziel erweitert, die Haushaltsdaten mit allgemeinverfügbaren Programmen für jeden Bürger auswertbar zu machen.
Zur Bürgerbeteiligung: Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Fraktion der Piraten einen Kommunikationsprozess mit dem Bürger fordert, liegt der Haushaltsentwurf bereits dem Parlament vor. Veränderungen gegenüber dem Entwurf können nur im Rahmen von Änderungsanträgen durch das Parlament erfolgen. Die Landesregierung ist daher nicht der geeignete Adressat für die angeregten Änderungen im Beratungsverfahren. Während die Beteiligung von Bürgern auf kommunaler Ebene rechtlich zulässig ist, gilt für das Land Nordrhein-Westfalen nach den Vorschriften der Landesverfassung das Prinzip der repräsentativen Demokratie.
Der Landesregierung ist der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern wichtig. Wir gehen hier Schritt für Schritt voran. So haben wir den Haushaltsplan 2011 zur Diskussion auf „NRW.de“ gestellt. In 240 Beiträgen haben sich die Bürgerinnen und Bürger mit Anregungen und Vorschlägen eingebracht. 40.000 Bewertungen wurden abgegeben.
Wir sehen das als ein sehr positives Zeichen, diesen Weg von mehr direkter Kommunikation mit den Menschen weiterzugehen und auszubauen. Wir werden dazu noch in diesem Jahr Vorschläge machen. Außerdem haben wir gerne das Angebot aus der Fraktion der Piraten aufgegriffen, die gemeinsame Diskussion für mehr Transparenz in der nordrhein-westfälischen Politik zu führen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1623 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Hauptausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.
Ich rufe auf:
4 EU-Datenschutzreform: Hohe Datenschutzstandards sicherstellen!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1626
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/1674
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Schlömer das Wort.
Dirk Schlömer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Am 15. Januar dieses Jahres legte die Europäische Kommission einen Entwurf zur Novellierung des europäischen Datenschutzrechts vor. Die bislang geltende 17 Jahre alte Datenschutzrichtlinie soll durch die Datenschutzgrundverordnung abgelöst werden. Ebenfalls soll die Richtlinie für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen den bestehenden Rahmenbeschluss aus dem Jahre 2008 ersetzen.
Wenn man sich die Entwicklung des Internets und die damit verbundenen, immer größer werdenden Mengen persönlicher Daten vor Augen führt, dann ist wohl klar, dass eine solche Neuregelung längst überfällig ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Daten nicht mehr nur lokal oder national genutzt werden, sondern die moderne Datenverarbeitung von Unternehmen, aber auch die Datennutzung im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken und Suchmaschinen, überhaupt keine Grenzen kennt.
Das gilt übrigens nicht nur wörtlich, also im Sinne einer globalen Datenverarbeitung und Nutzung, sondern auch für deren Verwendungs- und Missbrauchsmöglichkeiten. Damit ist auch klar, dass uns nationale Regelungen alleine nicht mehr weiterhelfen. Die Verankerung des Datenschutzes in Primärrecht der Europäischen Union unterstreicht die Wichtigkeit dieses Regelungsbereichs und das damit verbundene Bewusstsein zum Schutz personenbezogener Daten.
Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission zur Verbesserung des europäischen Rechtsrahmens, der den gemeinsamen Standard des Datenschutzes in allen EU-Mitgliedstaaten deutlich stärken soll.
Die vorgelegten Entwürfe müssen allerdings in der jetzigen Fassung kritisch betrachtet werden. Denn nationale Regelungen, die höhere Standards festlegen, dürfen durch die europäischen Neuregelungen nicht ausgehebelt werden. Wir haben in einer der letzten Plenarsitzungen über die Nutzung von Bestandsdaten debattiert. Mit den jetzt vorliegenden Entwürfen würde uns die nationale Entscheidung hierzu ganz einfach aus der Hand genommen.
Aus unserer Sicht muss gewährleistet sein, dass die neuen europäischen Regelungen Mindestnormen verbindlich regeln, aber nationale höhere Normen festgeschrieben bleiben und auch weiterentwickelt werden können. Wir begrüßen, dass die Landesregierung den Diskussionsprozess dazu, auch übrigens über die erfolgte Bundesratsbefassung, konstruktiv begleitet.
Die Landesregierung muss, da der Diskussionsprozess bereits intensiv im Gange ist, weiterhin darauf hinwirken, dass im Rahmen der Neuregelungen Spielräume für die Mitgliedstaaten erhalten bleiben und eine Stärkung des Datenschutzes sowohl im öffentlichen als auch im nichtöffentlichen Bereich in ganz Europa vorangetrieben werden.
Die Kernpunkte aus unserer Sicht sind, dass die nationalen und nordrhein-westfälischen rechtlichen Regelungen nicht durch die neuen EU-Regelungen in ihren Standards abgesenkt werden, wie ich eben bereits sagte, dass die Regelungsmöglichkeiten für künftige nationale und landesbezogene spezialgesetzliche Bereiche weder eingeengt noch abgeschafft werden und dass die uneingeschränkte Unabhängigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörden weiterhin erhalten bleibt.
Ebenfalls muss die Zahl der möglichen delegierbaren Rechtsakte vom Europäischen Parlament an die Kommission verringert werden.
Zur weiteren Beratung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, halten wir es für dringend notwendig, dass sich die entsprechenden Ausschüsse – federführend der Ausschuss für Europa und Eine Welt – mit dieser Thematik noch einmal eingehend beschäftigen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schlömer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1995 waren in Deutschland 250.000 Menschen online, hatten einen Zugang zum Internet, das man damals noch nicht mit Google durchsuchte. Es dauerte damals noch fast zehn Jahre, bis es Facebook geben würde. Es ist also ein paar Tage her. Aber es ist das Jahr, aus dem die Europäische Datenschutzrichtlinie stammt, die jetzt mit der Datenschutzgrundverordnung abgelöst und ins digitale Zeitalter überführt werden soll. Das ist ein wichtiger und ein guter Schritt. Ich möchte das gerne an drei Zielen des Verordnungsentwurfs illustrieren.
Das erste ist das Instrument der Verordnung. Die Verordnung gibt erstmals einen einheitlichen Rechtsrahmen für Europa vor, und sie beendet vor allem den Abwärtstrend bei den Datenschutzstandards in der nationalen Gesetzgebung. Ich glaube – das ist auch in unserem Papier so erwähnt –, dass die Möglichkeit für Nationalstaaten, auch für Regionen erhalten bleiben sollte, im Rahmen der Verordnung eigene Akzente zu setzen – das ist gerade auch schon vom Kollegen Schlömer illustriert worden.
Aber diese eigenen Akzente sollten nur eine Richtung kennen, nämlich nach oben im Sinne des Datenschutzes und im Sinne hoher Datenschutzstandards. Wir stehen da für die Devise: Top-Runner statt Race to the Bottom.
Die Verordnung ermöglicht es Unternehmen, nicht mehr zwischen verschiedenen Staaten zu wechseln und sich jeweils die niedrigsten Datenschutzstandards zu suchen. Das ist eine Entwicklung, die wir leider in den letzten Jahren immer wieder gesehen haben. Der Reformvorschlag sieht stattdessen vor, dass europäisches Datenschutzrecht gilt, sobald Daten von Europäerinnen und Europäern verarbeitet werden – unabhängig vom Sitz des Unternehmens.
Mit der einheitlichen Regelung lassen sich zweitens hohe Standards auch im internationalen Kontext eher durchsetzen, als wenn jeder europäische Staat für sich den Global Playern gegenübertritt und für sich genommen den Kampf um hohe Datenschutzstandards aufnehmen würde. Wenn sich Europa geschlossen aufstellt, dann ist es eher möglich, dass die hohen Datenschutzstandards, die wir befürworten, und die mit der Verordnung kommen sollen, durchschlagskräftig verankert werden. Insofern ist das auch zu begrüßen.
Beim dritten Punkt wird es wirklich spannend, denn die Durchsetzung der Standards erhält einen Rechtsrahmen, der so gestaltet ist, dass er auch wirklich wirksam ist. Ich spiele damit insbesondere auf die Frage der Sanktionen an. Das ist endlich vernünftig ausgestaltet. Wer gegen Datenschutz verstößt, kann nach dem Verordnungsentwurf in einem empfindlichen Maß zur Kasse gebeten werden. Das ist ganz richtig so.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Im Fall Lidl waren am Ende 1,5 Millionen € Strafe fällig. Mit dem Reformvorschlag, der eine Deckelung auf 2 % des Jahresumsatzes vorsieht, wären es bei einem Jahresumsatz von knapp 31 Milliarden € in diesem Fall 600 Millionen € gewesen. Es handelt sich also um eine völlig andere Dimension.
Es gibt auch Punkte, an denen wir uns als Grüne Nachbesserungen vorstellen können. Nutzerinnen und Nutzer sollen detailliert darüber informiert werden – das sieht der Verordnungsentwurf jetzt schon vor –, was mit ihren Daten passiert. Aber es gibt sicherlich noch Möglichkeiten, das etwas transparenter zu gestalten, zum Beispiel durch standardisierte Symbole. Ich glaube, in diesem Haus wird die Erfahrung geteilt, dass nicht jede und jeder die AGB und die Datenschutzbestimmungen in ganzer Fülle liest.
Verbraucherinnen und Verbraucher werden gegenüber den Unternehmen mächtig gemacht. Das ist gut so und ein guter Grundsatz, auch weil der Grundsatz der Datensparsamkeit, den wir aus dem deutschen Datenschutzrecht kennen, sowie der Grundsatz „Privacy by default“ festgeschrieben werden. Dabei handelt es sich also grundsätzlich um datenschutzfreundliche Voreinstellungen und Grundbedingungen.
Es gibt einige weitere kritische Punkte wie die delegierten Rechtsakte oder die Strukturen der Datenschutzaufsicht, die wir in unserem Antrag aufgreifen, aber auch aktuelle Diskussionen wie die Debatte über das Recht auf Vergessen-Werden. Wir sollten diese in der weiteren Befassung aufnehmen.
Zum Vergessen ist auch das Verhalten der Bundesregierung in diesem Punkt. Dass Herr Friedrich nicht unbedingt ein progressiver Bürgerrechtspolitiker ist, wissen wir. Dass der CSU eigentlich alles suspekt ist, was aus Brüssel kommt, wissen wir auch. Aber dass die Bundesregierung bei einem so wichtigen Thema für Europa immer auf der Bremse steht, finde ich wirklich misslich und sehr störend. Da müssen wir dringend ein entschiedenes Zeichen setzen, dass wir als Landtag von Nordrhein-Westfalen für diese Reform sind.
Der Bundesinnenminister wird immer mehr zum Risiko der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger. So sollte Frau Aigner vielleicht einmal anfangen, sich mit ihrem Kollegen zu beschäftigen anstatt mit ihren wirkungslosen und populistischen Kampagnen gegen Facebook.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Appell zum Abschluss: Wir möchten – das beabsichtigen wir auch mit dem breit angelegten Ausschussverfahren –, dass sich viele von Ihnen mit dieser neuen Datenschutzverordnung beschäftigen. Denn ich glaube, dass die Datenschutz-Grundverordnung eines Tages für viele Bürgerinnen und Bürger ein Beispiel sein wird, weshalb sich Europa lohnt und weshalb Europa große Vorteile und Freiheiten bringt. Auch deshalb sollten wir sie gemeinsam zum Erfolg führen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau von Boeselager.
Ilka von Boeselager (CDU): Lieber Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag zur EU-Datenschutzreform greifen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein Thema auf, bei dem die grundsätzlichen Positionen und Positionierungen meinem Eindruck nach gar nicht so verschieden sind.
Die Notwendigkeit, die EU-Datenschutzrichtlinie aus dem Jahre 1995 zu überarbeiten, ist, glaube ich, unbestritten – im Einklang mit dem gesellschaftlichen Wandel, dem europäischen Zusammenwachsen und der Globalisierung. Die beiden Rechtssetzungsvorschläge vom 25. Januar bieten deshalb eine folgerichtige und gute Diskussionsgrundlage.
Aber natürlich gibt es wichtige Punkte, die noch nicht stimmig sind. Für uns in der Bundesrepublik und in Nordrhein-Westfalen ist die Ausgangssituation, dass wir den Datenschutz zum stärksten Datenschutz in Europa weiterentwickelt haben, wie es die zuständige EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft bescheinigt. Dass wir dieses Niveau behalten wollen, ist klar.
Zweitens ist klar, dass bei allen Weiterentwicklungen der einzelne Mensch in den Mittelpunkt gehört – mit seinem Anspruch auf Schutz, mit seiner Souveränität und mit seinen Wünschen.
Drittens ist das Ziel einsichtig, einen ergiebigen Binnenmarkt zu ermöglichen, Bürokratie abzubauen, Rechtssicherheit zu gewährleisten und wirksame Sanktionen gegen Verstöße zu schaffen.
(Beifall von der CDU)
Die Frage nach einem einheitlichen Datenschutz, den wir auf hohem Niveau sichern müssen, steht auch im Zusammenhang mit der Frage, wie wir uns die weitere Entwicklung der Europäischen Union vorstellen. Auf partnerschaftlicher Zusammenarbeit in Europa gründen unser Wohlstand und unser Glück in der globalen Welt.
Unsere Aufgabe ist es grundsätzlich, die gemeinschaftlichen Strukturen dafür solide zu unterbauen. Wenn der Antrag in Punkt 5 des Katalogs den Erhalt der Kontrollzuständigkeit für den nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht fordert, läuft das genau auf diese Frage zu. Denn die Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts ist für uns ein höchstes Gut.
Auf der anderen Seite kann eine Konstellation EU-Verordnung und EuGH-Rechtsprechung aber natürlich zum Ausdruck des europäischen Fortschritts werden, was eine Konsequenz davon ist, dass wir mit Europa substanziell weiterkommen. „Substanziell“ hieße, dass dadurch keine Schutzlücken entstehen dürfen und dass etwas auf europäischer Ebene genauso gut gelöst wird wie auf nationaler Ebene.
Damit bin ich bei Ihrem Antrag, dem Sie die Losung gegeben haben, dass im Zuge eines europäischen Datenschutzpaketes hohe Datenschutzstandards sichergestellt werden. Diese Formel ist richtig. Wir können uns auch darauf verständigen, dass wir es begrüßen, wenn die Landesregierung den Prozess der europäischen Gesetzgebung zur Datenschutzverordnung konstruktiv begleitet und damit eine Stärkung des Datenschutzes sowohl im öffentlichen als auch im nichtöffentlichen Bereich in Europa weiterbringt. Dazu ist natürlich auch eine Landesregierung da. Es ist ihre Aufgabe, konstruktiv im Interesse unseres Landes zu handeln.
Zu den einzelnen Forderungen, die Sie aufstellen:
Den Handlungsbedarf, den Sie in puncto Ausnahmen für die öffentliche Verwaltung identifizieren – Ihre Punkte 2 bis 4 –, sehen wir ähnlich. Die erste Prämisse ist, dass wir in Europa zu gemeinsamen und qualitativ sehr hochwertigen Mindeststandards kommen müssen. Insoweit ist das alles richtig.
An Ihrem Antrag stört mich, dass Sie die Perspektive, die uns eine europäische Harmonisierung des Datenschutzes gibt, gar nicht richtig erfassen. In vier Ihrer sieben Forderungen soll etwas erhalten bleiben. Ein progressiver Standpunkt, der den Willen zeigt, im Verhandlungsprozess auch etwas zu erreichen und besser zu machen, klingt nur in der ersten Forderung an. Mit ihr fordern Sie eine Verbesserung des Datenschutzes möglichst bald und möglichst wirksam. Dafür, dass das erreicht wird, muss man aber auch offensiv handeln. Die Übernahme von Datenschutzbeauftragten in eine europäische Lösung ist ein Beispiel dafür, dass wir den Prozess gut beeinflusst haben und beeinflussen. Viviane Reding hat das Bundesdatenschutzgesetz als wichtigen Anknüpfungspunkt genannt.
Es geht uns um eine haltbare und handwerklich sehr gute Lösung für Europa und für unser Bundesland in einem starken einigen Europa. Die notwendige Diskussion dazu müssen wir in der gesellschaftlichen Mitte engagiert führen. Unser Anspruch ist dabei hoch. Hierüber werden wir sicherlich im Ausschuss noch intensiv diskutieren können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau von Boeselager. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Wolf.
Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion begrüße ich im Grundsatz den Antrag. Einige Punkte können wir mittragen. Allerdings geht er in vielen Bereichen nicht weit genug.
Richtig ist die Kritik an der Verordnung, schon an der Qualität der rechtlichen Ausgestaltung. Es gibt – das wissen Sie – die Institute der Richtlinie und der Verordnung. Auch durch den Vertrag von Lissabon wäre es durchaus möglich gewesen, das Institut einer Richtlinie zu wählen, die in den Nationalstaaten höhere Standards zulässt. Durch die Wahl des Instituts Verordnung ist eine stark vereinheitlichende und nationale Spielräume ausschließende Regelung getroffen worden, die wir natürlich, weil wir sehr gut dastehen, wie Frau von Boeselager gesagt hat, nicht wollen.
Richtig ist auch, dass sich die Kritik fortsetzen muss. Der Bundesrat hat bereits einige Punkte moniert. Da ist zum Beispiel die – wenn ich das etwas salopp formulieren darf – gleichzeitige Behandlung des nichtöffentlichen und öffentlichen Datenschutzes zu nennen. Wir meinen, dass es richtig ist, das zu trennen, denn es ist schon ein Unterschied – Stichwort: Facebook oder Standesamt. Da bedarf es keiner gleichartigen Regelungen, sondern einer vernünftigen Differenzierung.
Eine Vielzahl von Einzelermächtigungen zugunsten der Kommission kritisieren auch wir. Das ist schon angesprochen worden. Das ist nicht gut, weil sich das dann parlamentarischer Kontrolle entzieht.
Darüber hinaus gibt es Anwendungslücken im Hinblick auf die Datennutzung durch Unternehmen ohne Sitz in der EU.
Und wir haben eine Einengung des Begriffs der personenbezogenen Daten, zum Beispiel im Zusammenhang mit Videoüberwachungsmaßnahmen. Die könnten aus der Verordnung ausgenommen werden. Das halte ich persönlich für falsch. Man sieht das ja gerade an der automatischen Überwachung nach dem Grenzübertritt auf niederländischer Seite. Das kann uns natürlich aus deutscher Sicht überhaupt nicht gefallen.
Schließlich ist auch das Thema „mangelnde eigenständige Regelungskompetenzen“ angesprochen worden. Durch eine Richtlinie wäre das Ganze natürlich leichter zu handhaben.
Zusätzlich ist aber auch eine inhaltliche Differenzierung geboten. Der Datenschutz ist letztlich immer daran zu orientieren, welches Gefährdungspotenzial vorliegt und wie dann das jeweilige Schutzniveau ausgestaltet werden muss. Es ist eben ein Unterschied, ob ein Klempner eine Rechnung erstellt oder aber eine App auf einem Smartphone installiert wird mit einer ganz anderen Reichweitenproblematik. Diese schon kraft der Natur der Sache gebotene Unterscheidung ist im Verordnungsentwurf überhaupt nicht berücksichtigt.
Die von Rot und Grün vorgebrachte Kritik müsste in puncto Differenzierung aus meiner Sicht sehr viel weiter reichen, nämlich in Richtung einer Lösung, die die Wesensunterschiede zwischen staatlicher und privater Datenverarbeitung beachtet und nicht alles über einen Kamm schert, was letztendlich eine Differenzierung im Einzelnen unmöglich macht.
Denn Datennutzung ist nicht immer Teufelszeug. Gerade Unternehmen und Verwaltungen sind zum Beispiel für Planungen und Genehmigungen etwa auf Geodaten angewiesen. All das muss handhabbar bleiben. Die Verordnung darf also auch kein bürokratisches Monster sein. Denn wir wollen die mittelständische Wirtschaft ja nicht beinachteiligen. Das heißt, es bedarf einer insgesamt ausgewogenen Betrachtung, die im Moment jedenfalls in dieser Form noch nicht da ist. Und es lohnt sich, das Ganze im Ausschuss weiter zu diskutieren. Wir stimmen der Überweisung selbstverständlich zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Kollege Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürger – es sind sehr wenige im Saal; ich hoffe, zu Hause am Stream sind sehr viel mehr! Seit 2009, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages von Lissabon, ist das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten in der Europäischen Union als Grundrecht verankert. Jeder Bürger hat ein Anrecht auf den effektiven Schutz seiner Daten.
Dabei hängen für uns Datenschutz und die Achtung des privaten Familienlebens eng zusammen. Beides sind Grundpfeiler unserer modernen Gesellschaft im digitalen Zeitalter. Beides wird durch die Grundrechtecharta der EU geschützt.
(Beifall von den PIRATEN)
– Danke für die EU.
Doch der rasche technologische Fortschritt stellt an den Datenschutz erhebliche neue Anforderungen, denen das Datenschutzrecht aus den 90ern bei Weitem nicht gerecht wird. Alle Redner haben darauf hingewiesen. Unser deutsches Datenschutzrecht wird ihnen übrigens auch nicht gerecht.
Mit dem EU-Datenschutzreformpaket hat die Europäische Kommission im Januar dieses Jahres Verordnungs- und Regulierungsvorschläge auf den Tisch gelegt, um den Datenschutz in Europa an die Gegenwart und vor allen Dingen an die Zukunft anzupassen. Zurzeit wird im Europäischen Parlament und in den Ausschüssen darüber beraten und teilweise kontrovers diskutiert. Es gibt viele Eingaben und Änderungswünsche, vor allem aus der Wirtschaft und von den Regierungen der Mitgliedsländer. Für mich ist das im Übrigen ein Zeichen dafür, dass der Entwurf für die Bürger im Moment in die richtige Richtung geht – noch.
Gerade deshalb sehen wir es als eine Selbstverständlichkeit an, dass sich der Landtag in gebührender Tiefe mit der EU-Datenschutzreform befasst. Bei der Auseinandersetzung in der Detailtiefe habe ich mit Blick auf den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen meine Bedenken. Völlig unabhängig von der inhaltlichen Bewertung der Kommissionsvorschläge, bei der wir sicherlich gar nicht so weit auseinanderliegen, haben Sie es in Ihrem Antrag versäumt, die Datenschutzreform in Gänze zu behandeln.
Neben der Grundverordnung schlägt die EU-Kommission eine Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten im Sicherheitsbereich vor. Ich will nur kurz anreißen, was Ihnen anscheinend entgangen ist. Der Richtlinienvorschlag formuliert die datenschutzrechtlichen Vorgaben für Polizei und Justizbehörden derart vage, dass von einem effektiven Schutzniveau nicht die Rede sein kann. Wir können dabei nicht akzeptieren, dass Behörden in Zukunft weitreichende Datenerhebungs- und -übermittlungsbefugnisse haben, nur weil sie angeben, „im öffentlichen Interesse“ zu handeln.
(Beifall von den PIRATEN)
Das öffnet behördlichem Datenmissbrauch Tür und Tor. Hier besteht akuter Nachbesserungsbedarf.
Die EU-Datenschutzreform muss also als Gesamtpaket aus diesen beiden Gesetzesvorschlägen angesehen und so behandelt werden. Sonst setzen wir uns auf der einen Seite für die dringend notwendige Modernisierung des Datenschutzes durch die Grundverordnung ein und machen auf der anderen Seite mit laschen Regelungen für Behörden, die zum Datenmissbrauch einladen, wieder alles zunichte.
Ein zweiter zentraler Aspekt für uns ist die Einbindung der Bevölkerung in den laufenden Reformprozess. Bei einer so wegweisenden Reform, die die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unmittelbar betrifft – und zwar beruflich wie privat –, ist das Einbeziehen der Bürger entscheidende Vorbedingung für den Erfolg des gesamten Reformvorhabens. Hier ist insbesondere die Landesregierung in der Pflicht, über die EU-Datenschutzreform zu informieren und die Bedeutung und den Wert eines europaweit einheitlichen Datenschutzrechts herauszustellen.
Aus diesem Grund haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, um die genannten Lücken im rot-grünen Antrag zu schließen. Wir als Landtag NRW müssen uns gemeinsam für ein modernes und effektives EU-Datenschutzrecht einsetzen, das diesen Namen auch verdient. Sie wissen, wir Piraten stehen im Sinne der Sache immer für den konstruktiven Dialog mit Ihnen allen bereit. Lassen Sie uns gemeinsam in den Ausschüssen die EU-Datenschutzreform breit debattieren und ein kraftvolles Signal aus Nordrhein-Westfalen für höchste Datenschutzstandards – europaweit – nach Brüssel senden. Stimmen Sie der Überweisung der Anträge an die Fachausschüsse zu. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen dort. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, heute hat fast schon eine Fachausschussberatung im Plenum stattgefunden. Deshalb will ich mich auf einige wenige Sätze beschränken und hoffe, dass wir diese Diskussion im Ausschuss fortführen können.
Es ist ein gutes Ziel, die Europäische Datenschutzverordnung auf ein Niveau zu heben, welches in etwa dem nationalen deutschen Niveau entspricht. Das ist überhaupt keine Frage.
Es gibt in diesem Verfahren Chancen und Risiken. Es gibt die Chance, ein höheres Niveau zu erreichen, aber auch das Risiko, dass datenschutzrechtliche Regelungen, auf die wir in Nordrhein-Westfalen stolz sein können, möglicherweise abgeschmolzen werden. Das ist ein Austarieren. Es geht um eine Gratwanderung, die wir begleiten und diskutieren müssen. Mein Vorschlag ist, dies sehr intensiv im Fachausschuss zu tun.
Ich kann Ihnen versichern, dass sich die nordrhein-westfälische Landesregierung in diesem Verfahren schon mehrfach eingebracht hat, um die nordrhein-westfälischen Standards zu erläutern und als solche zu erklären, die erstrebenswert für die gesamte Europäische Union gelten sollten. Das ist in der Tat noch nicht vollständig gelungen. Das Ziel weiterzuverfolgen, lohnt sich aber allemal. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Minister Jäger. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/1626 einschließlich des Änderungsantrags Drucksache 16/1674 an den Ausschuss für Europa und Eine Welt – federführend –, an den Innenausschuss, an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, an den Ausschuss für Kultur und Medien sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Stimmt jemand dagegen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag einstimmig überwiesen.
Ich rufe auf:
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/1630 – Neudruck
Als erster Redner spricht für die Grünen-Fraktion unser Kollege Herr Markert.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen beschäftigt uns die Opel-Krise. Gerade diese bedrückende Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, politische Verantwortung für eine rechtzeitige und zukunftsfeste Weiterentwicklung unseres Industriestandortes zu übernehmen.
„Der Aufbau industrieller Kernkompetenzen dauert mehrere Generationen und mehrere Jahrzehnte. Das bedeutet, was weg ist, ist praktisch für immer weg.“ – Ich habe soeben Dr. Klaus Engel zitiert, den Vorstandsvorsitzenden von Evonik Industries und ehemaligen Präsidenten des Verbandes der Chemischen Industrie in Deutschland.
Die Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben uns in der Tat deutlich vor Augen geführt, dass uns das Vorhandensein starker und gesunder industrieller Kerne insgesamt besser durch die Krise gebracht hat als nahezu alle anderen europäischen Volkswirtschaften. Unsere Volkswirtschaft ist eine der ganz wenigen traditionellen Industriegesellschaften, die überhaupt noch nennenswerte industrielle Kerne aufzuweisen hat.
Auch deswegen wollen wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dieser Legislaturperiode die Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ziel der Enquetekommission ist es, an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und im Konsens mit allen im Landtag vertretenen Fraktionen in zwei Jahren Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die der Schlüsselfunktion der chemischen Industrie als Innovationsmotor für die gesamte Industrie gerecht werden.
Die Fragestellungen der Enquetekommission bewegen sich hierbei entlang fünf großer ökonomischer und ökologischer Herausforderungen unserer Zeit:
1. Alternative Rohstoffe zum Öl
2. Umweltverträgliche Produktionsverfahren und Werkstoffe
3. Neue Speichertechnologien in der Elektrochemie
4. Nachahmung umweltschonender natürlicher Prozesse in der Industrie, die sogenannte Biomimetik
5. Zukunft der Wasserstofftechnologie, allgemein: Power-to-Gas-Technologie
Wir wollen hiermit den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen durch Nachhaltigkeit sichern und zukunftsfest ausbauen. Unsere moderne Industriepolitik denkt nicht mehr in Gegensätzen, sondern versteht sich als Gesamtkonzept, das ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung zusammenführt.
Aber warum eigentlich die chemische Industrie? – Die chemische Industrie mit ihren über 100.000 Beschäftigen in Nordrhein-Westfalen ist wie kaum eine andere Industriebranche eng mit anderen Branchen verknüpft. Rund 70 % aller von der chemischen Industrie hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung. Als zentraler Materiallieferant stößt die chemische Industrie einen hohen Anteil von Innovationen in diesen Wertschöpfungsketten an. Daher kommt der Chemie eine entscheidende Rolle bei der großen ökologischen Zukunftsfrage unserer Zeit zu.
Studien der OECD belegen, dass es trotz aller Effizienzbemühungen ein „Weiter so!“ nicht geben kann. Diese Studien führen uns unsere Verantwortung vor Augen. Die modernen Industriegesellschaften der Nordhalbkugel sind dafür verantwortlich, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts geschätzte 60 % der weltweiten Ökosysteme zerstört, geschädigt oder übernutzt worden sind.
Daher stoßen wir alleine mit Effizienzstrategien, die natürlich nach wie vor zentral bleiben, aber auch mit herkömmlichem nachgelagertem Umweltschutz zunehmend an unsere Grenzen. Die Fragestellungen dieser Enquete zielen daher auf eine politische Ökologie, indem wir rechtzeitig neue Rohstoffbasen, Produktionsverfahren und Produkte erforschen. Damit zielen die Fragen auch auf die Märkte der Zukunft und, wie ich eingangs erwähnte, auf Erhalt und Ausbau unserer industriellen Kerne in der Chemie.
Es ist kein Zufall, dass wir gerade aus dieser Industrie sehr viel Zuspruch für diesen Ansatz erfahren haben. Gefragt sind vorausschauendes Denken, Pioniergeist und Mut zum unternehmerischen Risiko.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, deswegen möchte ich Sie im Namen meiner Fraktion sehr herzlich einladen, gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteuren aus Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft in der Enquetekommission Handlungsoptionen für die nachhaltige Sicherung und den nachhaltigen Ausbau der Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln. Ich lade Sie für die nächsten zwei Jahre sehr herzlich zu einer guten Zusammenarbeit ein. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Markert, die SPD-Fraktion nimmt diese Einladung sehr gerne an, und wir freuen uns darüber, dass gerade ein industriepolitisches Thema die erste Enquetekommission dieser Legislaturperiode prägen wird. Das dokumentiert nicht nur die Bedeutung, die die Industrie für unser Land hat, sondern zeigt auch, dass Industrie – hier: die chemische Industrie – für die nordrhein-westfälische Zukunft unverzichtbar ist.
Nordrhein-Westfalen gehört zu den führenden Industrieregionen der Welt. Industrielle Produktion war und ist eine Grundlage unseres Wohlstands in Nordrhein-Westfalen. Im Zuge der Globalisierung werden industrielle Wertschöpfungsketten weltweit neu strukturiert, fortwährend überprüft und neu gestaltet. Es entstehen neue weltweite Leitmärkte. Dies berührt alle Branchen in unserem Land. Die 16 Landescluster, die wir in NRW haben, zeigen das.
Der Antrag der Grünen fokussiert die Chemieindustrie mit ihren spezifischen Herausforderungen. Investitions- und Innovationszyklen der chemischen Industrie sind langfristig angelegt. Um die für langfristige Investitionen notwendige langfristige Planungssicherheit herzustellen, braucht es einen gesellschaftlichen Konsens über die Zukunft des Industriestandorts Deutschland, insbesondere über die langfristige Sicherstellung einer sicheren und wettbewerbsfähigen Energie- und Rohstoffversorgung.
Die chemische Industrie kann in Nordrhein-Westfalen auf einer breiten Akzeptanz aufbauen. Je präsenter die Unternehmen vor Ort sind, desto größer ist auch die Unterstützung. Dies erfährt jeder, der zum Beispiel in Marl oder Leverkusen, in Dormagen oder Uerdingen, in Gelsenkirchen, in Köln oder bei mir im Kreis Unna in Bergkamen mit den Menschen spricht.
Die chemische Industrie ist in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung:
Erstens. Für die globalen Herausforderungen, auch Megatrends genannt, stellt die Chemie die entscheidenden Lösungsbeiträge bereit. Die zentrale Herausforderung besteht darin, Wohlstand für eine wachsende Weltbevölkerung umweltschonend zu gestalten. Chemie als Problemlöser oder Produktanbieter stellt entscheidende Lösungsbeiträge bereit. Ob es um Gesundheit geht oder um sauberes Wasser, um Ernährung oder Energieversorgung, um Mobilität oder einen geringeren Ressourceneinsatz – wir brauchen Chemie, um all das vernünftig zu organisieren.
Zweitens. Die Innovationsfähigkeit praktisch aller Wertschöpfungsketten hängt an der Chemieindustrie. Die chemische Industrie ist eine Schlüsselbranche für den Standort NRW und die Umwelt. Die Werkstoffe der chemischen Industrie oder der Kunststoffindustrie sind Innovationstreiber für die Industrie insgesamt und sind zentrale Materiallieferanten für die wichtigen industriellen Wertschöpfungsketten.
Drittens. Die Bedeutung der Chemieindustrie – Herr Kollege Markert hat es bereits angesprochen – zeigt sich nicht zuletzt in den Arbeitsplätzen. Mehr als 107.000 Frauen und Männer sind in Nordrhein-Westfalen hier beschäftigt.
Viertens. Auch die Ausbildungsquote dokumentiert deutlich, dass die Chemie auf gute Arbeit setzt. Die Unternehmen der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen halten auch im Jahr 2012 an ihrem hohen Ausbildungsniveau fest.
Die Enquetekommission wird sich in einem Schwerpunkt unter anderem mit der Rohstoffbasis befassen. Es ist zu erwarten, dass mit zunehmender Knappheit von Erdöl und entsprechend steigenden Preisen langfristig die Attraktivität alternativer Rohstoffe wie Erdgas, Kohle oder Biomasse zunimmt. Die Verbreiterung der Rohstoffbasis ist bekanntermaßen ein wichtiges Forschungs- und Entwicklungsziel der chemischen Industrie. Die Rohstoffe, die als Kohlenstoffquelle für die Chemie dienen, sind prinzipiell austauschbar.
In welchem Maße die in Europa heute dominierenden Erdölderivate ergänzt oder ersetzt werden können, wird uns in Nordrhein-Westfalen sehr stark berühren. Zum Ersatz gehört natürlich auch mögliches Recycling.
Die Niederländer haben im Rahmen einer steuerlichen Neuordnung zum Beispiel beim Abfall Ende der 80er-Jahre bereits Recycling-Verfahren entwickelt, die den Abfall von Produkten mit Polypropylen und Polyethylen annähernd zu 100 % aufarbeiten und damit das Müllaufkommen erheblich reduzieren können und somit den Einsatz neuer bzw. zusätzlicher Rohstoffe erheblich verringert. Die Erfolge sehen wir in den Niederlanden nahezu an jeder Straße, in jedem Park und auf jedem Spielplatz. Auch solche Best-Practice-Beispiele können inhaltlich eine Rolle spielen.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen aus vielen Gründen das Interesse, dass die Chemieindustrie die vor ihr liegenden Herausforderungen meistern wird. Dazu braucht die chemische Industrie eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und politische Unterstützung, die wir mit der Enquetekommission auch geben wollen.
Ich bin mir sicher, diese Kommission wird einen guten Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen und zur gesellschaftlichen Akzeptanz leisten können. Deswegen, Herr Markert, wird die Einladung von uns herzlich angenommen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Kerkhoff.
Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag auf Einrichtung einer Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen wird von uns begrüßt.
Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Chemieland. 25 % aller Arbeitsplätze der chemischen Industrie befinden sich in Nordrhein-Westfalen. 29 % des Gesamtumsatzes werden hier erwirtschaftet. Deshalb ist es im Interesse des Landes, einen Beitrag zu leisten, damit dies auch in Zukunft so bleibt, und wenn wir als Landtag durch die systematische Befassung in einer Enquetekommission dazu beitragen können, sollten wir dies tun.
Wer die chemische Industrie dabei unterstützen will, stark zu bleiben, kann zunächst als ersten Schritt etwas ganz Banales tun, nämlich alles unterlassen, was ihr schadet. Damit sind wir mitten in der tagespolitischen Diskussion über das Klimaschutzgesetz, das gerade in diesem Bereich die Gefahr in sich birgt, die Investitionsneigungen zu hemmen. Es ist nicht im Interesse des Landes und nicht im Interesse vieler Arbeitsplätze in der chemischen Industrie und anderswo.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, wenige Tage vor Weihnachten ist auch die Zeit für Wünsche. Ich würde mir wünschen, dass die Arbeit der Enquetekommission einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Chemiestandortes Nordrhein-Westfalen leistet. Dafür muss aber ihr Arbeitsauftrag, ihr Arbeitsprogramm weiter gefasst werden, als es der vorliegende Antrag tut.
Der Antrag erweckt streckenweise den Eindruck, dass Sie sich eine Branche so zurechtschrauben wollen, damit Sie sie akzeptieren können. Wer Ihren Antrag liest, könnte an der einen oder anderen Stelle den Verdacht hegen, dass Sie am Ende der Diskussion in der Enquetekommission die Branche in gute und böse Chemie unterteilen, bestimmte Produktionsverfahren und Produkte stigmatisieren und den Unternehmen der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen vorschreiben wollen, welche Produkte sie zukünftig noch produzieren dürfen und wie diese Produktion auszusehen hat.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn Sie in dem Antrag sagen, dass derzeitige Verfahren zur Produktion von Grundchemikalien ersetzt werden sollen, dann legen wir den Schwerpunkt darauf, dass sie durch andere ergänzt werden sollen. Wir wollen keine Brüche, wir wollen keine Verbote, sondern wir wollen Übergänge zu ressourcenschonenderen Verfahren gestalten.
Der vorliegende Antrag geht aus unserer Sicht nicht weit genug. Damit die Enquetekommission einen Mehrwert für die politische Arbeit leisten kann und der Bedeutung des Standorts gerecht wird, raten wir dringend dazu, den Arbeitsauftrag weiter zu fassen, als derzeit im Antrag geschehen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
So sollten zum Beispiel die Beiträge der chemischen Industrie von der Grundstoff- bis zur Spezialitätschemie für den Wirtschafts- und Innovationsstandort NRW untersucht werden. Ebenso müssen nach unserer Auffassung die Beiträge der chemischen Industrie zu den Wertschöpfungsketten untersucht werden. Auch der Beitrag der Verbundstandorte der chemischen Industrie für nachhaltige Problemlösungen sollte Gegenstand der Beratungen werden. Dies gilt gerade im Hinblick auf die immer noch aktuelle Diskussion um die CO-Pipeline.
Wenn wir über Zukunft reden, gehört ebenfalls dazu, dass wir uns hier auch über das Thema der Fachkräftebasis Gedanken machen. Was nützen die besten Methoden, wenn es in einigen Jahren nicht mehr genügend Fachleute gibt, die diese umsetzen können?
Meine Damen und Herren, wir gehen davon aus, dass die Antragsteller und die Enquetekommission an einer ganzheitlichen Betrachtung interessiert sind und sich diesen sinnvollen Ergänzungen auch nicht verschließen werden. Wir freuen uns auf die gemeinsame Arbeit in der Enquetekommission, damit auch noch morgen und übermorgen die Chemie in Nordrhein-Westfalen stimmt. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kerkhoff. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Brockes.
Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Markert, auch wir nehmen sehr gern das Angebot auf die gute Zusammenarbeit an, und ich hoffe, dass dies nicht allein auf die zwei Jahre der Kommissionsarbeit befristet ist.
(Zuruf von Hans Christian Markert [GRÜNE])
– Es ist kurz vor Weihnachten. Da kann man doch auch einmal gute Wünsche äußern und versuchen, die unterschiedlichen Interessen hier im Hause einmal zusammenzuführen.
Es freut mich, dass wir das gerade bei der Chemie machen. Denn die Chemieindustrie, meine Damen und Herren, ist eine Schlüsselindustrie. Zu Recht wird sie als Fortschrittsmotor bezeichnet. Denn als Querschnittsindustrie kommt ihr eine wesentliche Bedeutung auch für die anderen industriellen Wertschöpfungsketten gerade in Nordrhein-Westfalen zu.
Rund 70 % aller von der chemischen Industrie hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung, wo sie weitere Innovationen anstoßen.
Die chemische Industrie ist auch ein herausragender Wirtschaftsfaktor. Sie repräsentiert in Nordrhein-Westfalen nach der Metallbranche gemessen am Umsatz den zweitgrößten Industriezweig. Fast 100.000 Menschen arbeiten in Nordrhein-Westfalen in der Chemieindustrie. Über 30 % der gesamten Chemieproduktion in Deutschland stammen aus Nordrhein-Westfalen. Damit, meine Damen und Herren, bildet Nordrhein-Westfalen das Rückgrat der chemischen Industrie in Deutschland.
Daher, Herr Kollege Markert, ist es gut und richtig, eine Enquetekommission zur Zukunft des Chemiestandorts Nordrhein-Westfalen einzurichten, gerade auch vor dem Hintergrund der Energiewende, denn die Chemie spielt auch hier eine Schlüsselrolle beim Klimaschutz. Wir brauchen Innovationen bei Klimaschutztechnologien, bei Isolierung und Wärmedämmung für die energetische Gebäudesanierung, für Stromspeicher und vieles mehr.
Eine zukunftsfähige Chemie muss nachhaltig wirtschaften. Auch das steht außer Frage.
Wir Liberalen haben ein umfassendes Nachhaltigkeitsverständnis. Es setzt sich aus drei Komponenten zusammen. Da, meine Damen und Herren von den Grünen, ist eben doch der Unterschied zwischen uns zu sehen. Sie verengen das in Ihrem Antrag leider rein auf die ökologische Nachhaltigkeit. Das wird aus unserer Sicht der Bedeutung der Branche aber nicht gerecht. Zur Nachhaltigkeit gehört mehr, nämlich gleichberechtigt auch die ökonomische und die soziale Nachhaltigkeit auf der Basis unserer sozialen Marktwirtschaft. Hierauf hatten wir auch bereits im Vorfeld hingewiesen.
Deshalb wollen wir dies auch – so wie es der Kollege der CDU formuliert hat – gemeinsam in der Enquete aufgreifen.
Meine Damen und Herren, zum Beispiel setzt sich die Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen bereits aus eigenem Antrieb seit vielen Jahren für eine Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz ein. Sie hat es als energieintensive Industrie bereits geschafft, Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Meine Damen und Herren, von 1999 bis 2009 wurde der Ausstoß von Treibhausgasen um 48 % gesenkt, während die Produktion gleichzeitig um 42 % gestiegen ist.
Ich komme zum Schluss. – Unsere Aufgabe muss es sein, das Ganze in den Blick zu nehmen und dazu beizutragen, die Zukunftsfähigkeit der Chemie hier in Nordrhein-Westfalen zu sichern. Damit sie auch zukünftig international wettbewerbsfähig ist, sollten wir einen Weg erarbeiten, wie die Politik verlässliche Rahmenbedingungen bieten kann. Wir sollten also nicht zu kurz springen bei dieser Enquete. Die Chancen und Herausforderungen für den Standort Nordrhein-Westfalen sollten wir umfassend betrachten. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Brockes. – Nun spricht zum Thema „Chemische Industrie und Enquete“ der Kollege Bayer von den Piraten.
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Zuschauer, natürlich auch vor allem zu Hause! Es geht hier um die Einrichtung einer Enquetekommission, die dafür sorgt, dass sich alle Fraktionen für einen längeren Zeitraum einem bestimmten sehr komplexen Thema widmen können. Dafür werden zusätzliche finanzielle und zeitliche Ressourcen bereitgestellt.
Konkret geht es hier um die Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Also es geht um eine Querschnittsbranche, von der fast alle anderen Branchen des sekundären Sektors abhängen, nicht nur in NRW. Die chemische Industrie ist ein stabiler Innovationskristallisationspunkt für NRW und seine Wirtschaft. Über eine sehr lange Zeit hat er andere Krisen solide überdauert, wie Herr Markert bereits anmerkte.
Ob nun Nanotechnologie oder Biomimetik, die chemische Industrie ist oft Ausgangspunkt dessen, was wir gern mit Ehrfurcht als Schlüsseltechnologie oder Basisinnovation bezeichnen.
Dass wir in Nordrhein-Westfalen gleich mehrere Agglomerationen rund um Großunternehmen und ihre Spin-offs haben, bietet uns Chancen für mehr und schafft Verantwortung. Denn so sehr ich die chemische Industrie auch herzlich lobe, so muss ich sie auch scharf kritisieren. Sie bringt nicht nur Lösungen für unsere Probleme, sondern sie schafft auch durch Lösungen und andere chemische Produkte wieder neue Probleme.
(Beifall von den PIRATEN)
Besonders deutlich wird dies immer wieder bei den chlororganischen Produkten. Zwar werden DDT, FCKW und PVC nicht mehr oder deutlich seltener verwendet, und Herstellungsprozesse sind weniger gefährlich geworden, doch Altlasten bedrohen uns bis heute. Ich verweise nur auf die hohe PCB-Belastung, die aktuell in vielen öffentlichen Gebäuden wie Hochschulen und Schulen festgestellt wird. Solche Katastrophen darf man nicht als Relikt der Vergangenheit abtun. Da hilft wachsam bleiben.
Ein weiteres Problem der chemischen Industrie bietet gleichzeitig eine Reihe großer Chancen, sofern frühzeitig Alternativen aufgegriffen werden. Fossile Rohstoffe sind nicht ubiquitär. Das werden wir immer stärker auch in der chemischen Industrie merken, nicht nur am Preis der Ressourcen. Hinzu kommt der Wunsch zur CO2-Reduzierung. Herr Schmeltzer bemerkte es. Langfristig planen ist da entscheidend.
Die chemische Industrie konkurriert hierbei mit der Energiewirtschaft. Die Energiewende in unterschiedlicher Ausprägung ist immer auch eine Rohstoffwende, die nicht allein die Anwendung der Rohstoffe als Energieträger betrifft.
Wie verhalten sich Energiewende und Entwicklung der chemischen Industrie zueinander? Gute Frage. Der Antrag stellt die Dekarbonisierung und die Fragen dazu in den Mittelpunkt der Enquete. Der Ergebnisfindung wird jedoch nicht viel Raum gegeben. In ganz bestimmter Weise sollen Nachhaltigkeitsaspekte beleuchtet werden. Mir ist da der Blick etwas zu eng und auch die Lösung etwas zu vordefiniert. Eine Enquetekommission ist keine PR-Veranstaltung für bestimmte Technologien oder Anbieter.
(Beifall von den PIRATEN)
Der Antrag setzt auch darauf, dass Wissenschaft und Forschung spezielle Wege gehen sollen. Freie Wissenschaft und bahnbrechende Innovationen erreicht man jedoch nicht durch deutliche Wegweiser, sondern durch den Mut, viele Pfade zu versuchen. Bei der Entwicklung neuer Technologien und deren Anwendung werden neue Wege beschritten, die die Folgeentwicklung mitbestimmen. Das Betreten gänzlich neuer Pfade führt zu Entwicklungsfeldern, die ansonsten nicht hätten beschritten werden können.
Wenn wir das Ziel und die Richtung vorgeben, behindern wir womöglich Innovationen. Suboptimale Wege können nur mit hohem Aufwand verlassen werden. Das betrifft die Entwicklung der chemischen Industrie in NRW genauso wie die Arbeit in der Enquetekommission, eine Arbeit, die sehr fruchtbar sein kann, die aber nur funktioniert, wenn man alle Akteure einbindet. Das sind gerade bei diesem Thema sehr viele. Die Unternehmen, klein wie groß, sind in dem Fall Partner, nicht Gegner oder Problem. Die Beteiligung sollte breit, die Informationsgerechtigkeit gegeben sein. Wir appellieren daher an Sie alle, eine größtmögliche Öffentlichkeit bei der Enquetekommission herzustellen.
Die Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestages hatte am 5. November 2012 eine Sitzung zum Thema „Nachhaltiges Wirtschaften am Beispiel der Chemiebranche“, also zu hundert Prozent unser Thema. Diese öffentliche Anhörung wurde aufgezeichnet, und es ist möglich, sie sich im Nachhinein anzuschauen, sich umfassend zu informieren. Das ist wunderbar, denn sie bietet eine gute Grundlage, um sich anschließend direkt in die Arbeit der hier beantragten Enquetekommission zu stürzen. Das möchten wir gerne tun. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Bayer. – Nun spricht für die Landesregierung in Vertretung des Wirtschaftsministers, Herrn Duin, Frau Wissenschaftsministerin Schulze.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle wissen, die Landesregierung schöpft alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel aus, um einer absehbaren Ressourcen? und Rohstoffverknappung zu begegnen, um die Folgen des Klimawandels zu mindern und um die hohen Umweltstandards im Land zu halten; denn sie nutzen den Menschen.
Bei allen ökologischen Herausforderungen treten wir aber gleichzeitig dafür ein, dass erstens Unternehmen in Nordrhein-Westfalen Rahmenbedingungen vorfinden, mit denen sie auch im internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen können, und dass zweitens langfristig gute und sichere Arbeitsplätze für die Menschen in diesem Land auch und ganz besonders in der Industrie erhalten bleiben und neu geschaffen werden. Kurz: Wir setzen auf eine Strategie der Nachhaltigkeit in drei Dimensionen, nämlich in der sozialen, in der ökologischen und in der ökonomischen Dimension. Wirtschaft ist langfristig nur dann erfolgreich, wenn die richtigen ökologischen, sozialen und ökonomischen Akzente für die Zukunft gesetzt werden.
Unter diesen Maßgaben wollen wir die Weichen für einen ökologischen Strukturwandel stellen, bei dem den Menschen gleichzeitig ein gutes Einkommen und ein Leben in Wohlstand ermöglicht werden. Um den Weg dieser Nachhaltigkeit auf eine solide Basis zu stellen, kommt der chemischen Industrie eine Schlüsselposition zu. Sie ist zentraler Marktlieferant für zahlreiche Branchen. So wirken Innovationen in der Chemie in viele andere Sektoren hinein. Die Chemie hat damit die Chance, Motor der Erneuerung für die gesamte Industrie zu sein.
Nordrhein-Westfalen als Chemieregion Nummer eins in Deutschland und in Europa kommt dabei eine ganz besondere Verantwortung zu. In der Chemie in Nordrhein-Westfalen erfolgreich durchgesetzte Maßnahmen und Handlungsstrategien haben ein großes Gewicht, sogar im globalen Maßstab. Wir wissen, die Chemie hat in der Vergangenheit schon viel für eine ressourcenschonende Erneuerung ihrer Produktion geleistet. Die Chemie hat es geschafft, ihren Energieverbrauch vom Produktionswachstum abzukoppeln. Während die chemische Produktion seit Beginn der 90er-Jahre um 58 % gestiegen ist, konnten die Unternehmen den Energieeinsatz um 20 % senken. Die Kohlenstoffdioxidemissionen reduzierten sich im gleichen Zeitraum sogar um 48 %.
In beachtenswerter Weise hat die Chemie diesen respektablen ökologischen Erfolg erzielt, während sie gleichzeitig nach wie vor auf einer ökonomisch hervorragenden Position im internationalen Wettbewerb steht. Das mag auch daran liegen, dass sich an vielen Stellen ökonomischer Erfolg und ökologisches Engagement wechselseitig befruchten. So betont die Industrie immer wieder selbst, es liege in ihrem ureigenen ökonomischen Interesse, alles Mögliche daranzusetzen, Ressourceneffizienz und ökologisches Wirtschaften voranzutreiben.
Um nur einen Aspekt zu nennen: Weltweit immer knapper verfügbare Rohstoffe verschaffen bei steigenden Energiepreisen alternativen und effizienten Produktionsformen immer größere Wettbewerbsvorteile. Die nordrhein-westfälische chemische Industrie ist in dieser Hinsicht globaler Vorreiter. Es gilt, die momentan gute Position der nordrhein-westfälischen chemischen Industrie zu stärken, weiter auszubauen und dabei auch den eingeschlagenen Weg der ökologischen Erneuerung zu unterstützen. Deswegen ist der von den Grünen vorgeschlagene Weg der Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie ein guter Weg.
Das Arbeitsvorhaben der Kommission ist sehr ambitioniert, aber darüber können wir ganz sicher einen Weg finden, um das Thema der industriellen Erneuerung auf ein breites gesellschaftliches Fundament zu stellen. Denn es ist ein weiteres Ziel der Landesregierung, die Akzeptanz der Industrie in Nordrhein-Westfalen zu stärken.
Wenn wir die Debatte um die Rolle der chemischen Industrie für eine nachhaltige Wirtschaft mit der Enquetekommission weiter vorantreiben und auf eine möglichst breite Basis stellen, stärkt das auch die Akzeptanz der Chemie in der Bevölkerung. So hat die Kommission neben der Erarbeitung der fachlichen Ergebnisse die Chance, einen weiteren wichtigen Aspekt für die Zukunft zu stärken und bei den Menschen zu verankern. Wir müssen die chemische Industrie als Teil der Lösung unserer zukünftigen Herausforderungen betrachten und nicht als Verursacher unserer Schwierigkeiten.
Unter diesen Maßgaben unterstützt die Landesregierung den Antrag der Grünen auf Einrichtung der vorgeschlagenen Enquetekommission. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze.
Damit sind wir am Ende der Beratung zu dem Antrag Drucksache 16/1630 – Neudruck – und kommen zur Abstimmung. Es ist direkte Abstimmung beantragt worden. Wer stimmt dem Antrag so zu? – Die Piratenfraktion, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
6 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1182
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1644
Die Fraktionen und die vorgesehenen Rednerinnen und Redner haben sich darauf verständigt, die Ausführungen zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1)
Damit kommen wir direkt zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1644, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1182 unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist es einstimmig so beschlossen.
Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1184
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1638
Hier soll genauso verfahren werden wie beim vorigen Tagesordnungspunkt, also Reden zu Protokoll. (Siehe Anlage 2)
Daher kommen wir direkt zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1638, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1184 anzunehmen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? Bei Enthaltung von Piratenfraktion und FDP-Fraktion ist diese Empfehlung angenommen und damit der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen zu:
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1639
Auch hier ist vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 3)
Daher kommen wir unmittelbar zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1639, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1185 unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und auch dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Tagesordnungspunkt
9 Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1049
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/1542
Auch hier hat man sich darauf verständigt, die Redebeiträge zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 4)
Damit kommen wir direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1542, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1049 unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch hier die Beschlussempfehlung angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung einstimmig verabschiedet.
Tagesordnungspunkt
10 Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1186
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Innovation, Wissenschaft und Forschung
Drucksache 16/1527
Hier ist zwischen den Fraktionen dasselbe Verfahren wie bei den vorigen Tagesordnungspunkten vereinbart worden, also die Reden zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 5)
Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung. Der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/1527, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1186 unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen im Hohen Hause? – Gibt es Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und auch dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Tagesordnungspunkt
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/1633
Hierzu ist eine Debatte nicht vorgesehen.
Wir kommen daher unmittelbar zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/1633. Wer stimmt diesem Wahlvorschlag zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Bei fünf Enthaltungen ist der Wahlvorschlag mit großer Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt
VerfGH
17/12
Vorlage 16/278
Vorlage 16/340
Vorlage 16/364
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1641
Hierzu ist eine Debatte nicht vorgesehen.
Daher kommen wir sofort zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Drucksache 16/1641, in dem Verfahren eine Stellungnahme nicht abzugeben. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so beschlossen, wie hier vorgeschlagen.
Tagesordnungspunkt
VerfGH
20/12
Vorlage 16/339
Vorlage 16/427
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1659
Hierzu ist keine Debatte vorgesehen.
Daher können wir sofort über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Drucksache 16/1659 abstimmen, in dem Verfahren eine Stellungnahme nicht abzugeben. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch dies einstimmig so beschlossen.
Tagesordnungspunkt
VerfGH
15/12
Vorlage 16/238
Vorlage 16/439
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/1660
Hierzu ist keine Debatte vorgesehen.
Daher können wir sofort über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Drucksache 16/1660 abstimmen, in dem Verfahren eine Stellungnahme nicht abzugeben. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Empfehlung einstimmig zugestimmt.
Tagesordnungspunkt 15 wurde vor Eintritt in die Tagesordnung abgesetzt. Das wollen wir hier nur noch einmal festhalten.
Tagesordnungspunkt
16 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 3
gem. § 79 Abs. 2 GeschO
Die Übersicht 3 enthält drei Anträge, die vom Plenum nach § 79 Abs. 2 Buchstabe c der Geschäftsordnung an die Ausschüsse zur abschließenden Beratung und Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht 3 Drucksache 16/1645 abstimmen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die entsprechenden Abstimmungsergebnisse bestätigt.
Tagesordnungspunkt
Wird dazu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist auch nicht der Fall.
Damit stelle ich gemäß § 91 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass die Beschlüsse zu Petitionen in der Übersicht 16/5 vom Landtag Nordrhein-Westfalen bestätigt sind.
Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung. Es ist 17:59 Uhr. Das war mein Ziel.
(Heiterkeit und Beifall)
Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 13. Dezember 2012, 10 Uhr.
Ich wünsche einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 18:00 Uhr
Mit der heutigen zweiten Lesung wollen wir das Gesetz über die Justiz in NRW an die neuen Gegebenheiten der Zwangsvollstreckung anpassen und die seit 1995 nicht mehr erhöhten Gebühren anpassen.
Die Reform der Zwangsvollstreckung ist im Deutschen Bundestag im Jahr 2009 von einer breiten Mehrheit unterstützt worden. Unsere Kollegen sprachen dort, wie etwa der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Alfred Hartenbach, davon, das Zwangsvollstreckungsverfahren an die Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts anzupassen. Die Sachaufklärung wird die Aufgaben der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher in unserem Land künftig deutlich verändern. Die bereits gute Arbeit der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher in unserem Land soll damit noch effektiver und leistungsfähiger werden. Ich bin mir sicher, dass dies auch ohne eine immer wieder von Einzelnen geforderte Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens gelingen wird.
Die Arbeit der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher wird sich stärker auf die Arbeit am Schreibtisch und die Recherche am Computer verlagern. Neben den Auskünften aus verschiedenen Datenbanken und Verzeichnissen wird ein elektronisches Vollstreckungsportal bei den Vollstreckungsgerichten der Länder gemeinsam hier in NRW erstellt.
Für diese Aufgabe kann nach Verabschiedung der gesetzlichen Grundlage künftig auch hier in Nordrhein-Westfalen eine Gebühr in Rechnung gestellt werden. Die im Entwurf vorgeschlagene Gebühr ist angemessen und im Hinblick auf die verbesserte Leistung nicht zu hoch. Zudem bleiben Eigenauskünfte von Schuldnerinnen und Schuldnern kostenfrei.
Wir hoffen, dass die erwarteten Mehreinnahmen in Höhe von rund 14 Millionen € erzielt werden können und damit einen bescheidenen Beitrag leisten, die bereits hohe Kostendeckung im Justizhaushalt des Landes zu erhöhen.
Die SPD-Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf und wird dem Gesetzentwurf wie bereits im Rechtsausschuss auch hier im Plenum zustimmen.
Die Landesregierung hat das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen eingebracht. Der Gesetzentwurf wurde mittlerweile im federführenden Rechtsausschuss sowie im Haushalts- und Finanzausschuss beraten. Wir haben in beiden Ausschüssen dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt. Auch heute empfehle ich die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.
Wir wollen damit die Erhöhung von zwei Gebührensätzen und die Einführung einer neuen Gebühr beschließen. Diese Gebührenanpassungen sind aus folgenden Gründen gerechtfertigt:
Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2002 ein zentrales Schuldnerverzeichnis für die Bezirke aller Amtsgerichte beim Amtsgericht Hagen. Dort kann jedermann Einsicht in das elektronische Schuldnerverzeichnis nehmen. Bislang wurden für Einzelauskünfte Gebühren nicht erhoben. Die neue Gebühr für die Einsichtnahme in das Schuldnerverzeichnis, die wir mit der Gesetzesänderung einführen wollen, begrüßen wir. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten verbesserte Leistungen; daher sind die Mehrkosten für sie vertretbar. Allein hierdurch erwarten wir Mehreinnahmen in Höhe von rund 14 Millionen € für den Landeshaushalt. Der Kostendeckungsgrad der Justiz wird damit ebenfalls verbessert, denn selbstverständlich kosten Betrieb und Pflege des zentralen Schuldnerverzeichnisses Geld.
Auch die mit der Gesetzesänderung einzuführende Erhöhung der Gebühr für die Bewilligung des laufenden Bezuges von Abdrucken und die Mindestgebühr für die Erteilung von Abdrucken aus dem Schuldnerverzeichnis begrüßen wir aus folgenden Gründen:
1. Die Gebührensätze wurden seit 1995 nicht mehr erhöht, obgleich die Teuerungsrate seitdem fast ein Drittel betrug. Viele Unternehmen, zum Beispiel die Schufa, Wirtschaftsauskunfteien oder andere Unternehmen, haben ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an den Auskünften. Da sie mit ihren Leistungen Geld verdienen, ist es nachvollziehbar, wenn sie an den Kosten, die der Justiz entstehen, angemessen beteiligt werden.
2. Alle Länder haben sich auf die neuen Gebührensätze verständigt, und sie sollen in allen Ländern gleich hoch sein. Deshalb sollte sich Nordrhein-Westfalen dem nicht verschließen.
Auch wenn Mehreinnahmen im Landeshaushalt von zusätzlichen Konsolidierungsanstrengungen begleitet werden sollten – denen sich die rot-grüne Koalition leider verweigert –, stimmen wir als CDU-Fraktion in diesem Fall aus den bereits genannten Gründen dem Gesetz zu.
Nach der derzeitigen Fassung der Zivilprozessordnung führt jedes Vollstreckungsgericht ein sogenanntes Schuldnerverzeichnis, in dem die Personen, die in einem anhängigen Verfahren eine eidesstattliche Versicherung über ihr Vermögen abgegeben haben oder gegen die Haft angeordnet wurde, erfasst werden. Nordrhein-Westfalen hat infolge der erlassenen Verordnung zur Errichtung eines zentralen Schuldnerverzeichnisses vom 17. Juli 2002 für alle 130 Amtsgerichte ein zentrales Schuldnerverzeichnis bei dem Amtsgericht Hagen geschaffen. Aus dem zentralen Schuldnerverzeichnis können in beschränktem Maße Daten automatisiert abgerufen werden. Die entstehenden Kosten für diese Einzelauskünfte, den Betrieb und die Pflege des zentralen Schuldnerverzeichnisses werden mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung derzeit nicht durch Gebühreneinnahmen finanziert. Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen soll eine entsprechende Regelung erfolgen.
Zum 1. Januar 2013 tritt das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung in Kraft. In diesem Gesetz werden einige Änderungen der Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung vorgenommen. Unter anderem wird Personen, die für bestimmte gesetzlich vorgegebene Zwecke Angaben benötigen, die Möglichkeit eingeräumt, unter Wahrung datenschutzrechtlicher Belange Einsicht in das elektronische Schuldnerverzeichnis zu nehmen. In jedem Land wird das elektronische Schuldnerverzeichnis als landesweites Internetregister bei einem zentralen Vollstreckungsgericht geführt. Die Bundesländer werden ab dem 1. Januar 2013 ein gemeinsames Vollstreckungsportal (das von Nordrhein-Westfalen geleitet wird), in dem die Daten aller zentralen Vollstreckungsgerichte der Länder miteinander vernetzt sind, betreiben.
Für Nordrhein-Westfalen ist das Amtsgericht Hagen mit Wirkung zum 1. Januar 2013 zum Zentralen Vollstreckungsgericht für das Land bestimmt worden. Seine Aufgabe wird es sein, nach dem dann geltenden neuen Recht das Schuldnerverzeichnis zu führen, die zentrale Verwaltung der zu hinterlegenden Vermögensverzeichnisse vorzunehmen und Abdrucke zum laufenden Bezug aus dem Schuldnerverzeichnis zu erteilen.
Die Kosten für die Errichtung, den Betrieb und die Pflege des von Nordrhein-Westfalen betriebenen künftigen gemeinsamen Vollstreckungsportals der Länder werden nach einer entsprechenden Dienstleistungsvereinbarung von den Ländern anteilig getragen. Dem Land entstehen dadurch keine Mehrkosten.
Mit dem Gesetzentwurf werden zudem die nach Landesrecht geregelten Schuldnerverzeichnisgebühren (die Gebühren für die Bewilligung des laufenden Bezugs von Abdrucken und die Mindestgebühr für die Erteilung von Abdrucken aus dem Schuldnerverzeichnis), die seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr geändert worden sind, an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst. Für die Länderjustizhaushalte sind die Bereiche der Zwangsvollstreckung bei den Gerichten und das Gerichtsvollzieherwesen insgesamt nicht kostendeckend. Das Gesetz leistet einen Beitrag zur Verbesserung des Kostendeckungsgrads in der Justiz. Über die Gebührentatbestände und die Höhe der einzelnen Gebühren haben sich die Länder verständigt, sodass ein einheitliches Kostenniveau besteht.
Der Deutsche Bundestag hat bereits am 18. Juni 2009 das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung verabschiedet. Künftig kann der Gerichtsvollzieher vom Schuldner eine Vermögensauskunft verlangen, ohne dass ein erfolgloser Versuch einer Sachpfändung vorangegangen ist. Der Gerichtsvollzieher ist insbesondere bei Verweigerung einer solchen Vermögensauskunft künftig befugt, Fremdauskünfte einzuholen. Gleichzeitig wird das Verfahren zur Abgabe der Vermögenserklärung und die Verwaltung der Informationen modernisiert. Die Aufstellung der Vermögensgegenstände des Schuldners, das Vermögensverzeichnis, soll zukünftig in jedem Bundesland von einem zentralen Vollstreckungsgericht landesweit elektronisch verwaltet werden. Künftig besteht damit in jedem Bundesland eine zentrale Auskunftsstelle.
Auch das Schuldnerverzeichnis bei den Amtsgerichten, in dem zahlungsunwillige bzw. zahlungsunfähige Schuldner dokumentiert werden, soll künftig durch ein zentrales Vollstreckungsgericht als landesweites Internet-Register geführt werden.
Mit dem Gesetz waren bzw. sind umfangreiche technische und organisatorische Änderungen bei den Gerichten der Länder verbunden. Die neuen Bestimmungen treten daher nunmehr erst am 1. Januar 2013 in Kraft.
Durch das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, die Schuldnerverzeichnisführungsverordnung, die Vermögensverzeichnisverordnung und die Schuldnerverzeichnisabdruckverordnung, wurden die Grundlagen für die elektronische Führung und Beauskunftung von Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis und von Vermögensverzeichnissen neu geregelt. Im aktuellen Justizministerialblatt sind die neuen Datenübertragungsregeln abgedruckt, durch die die Voraussetzungen für eine sichere und elektronisch weiterverarbeitbare Datenkommunikation der zentralen Vollstreckungsgerichte festgelegt werden sollen.
So die schöne Theorie. Auf den Justizminister wartet nun der Praxistest, inwieweit für die praktische Umsetzung alles technisch bereitsteht, damit ab dem 01.01.2013 sichere elektronische Anfragen, Übermittlungen etc. im Sinne des Gesetzes erfolgen können. Das Justizportal des Bundes und der Länder gibt trotz Stand 03.12.2012 keine abschließende Übersicht zum aktuellen Umsetzungssachstand der Vorbereitungen. Mit der technischen Umsetzung ist demnach der Landesbetrieb IT.NRW als IT-Dienstleister beauftragt worden. Mich interessiert auch, inwieweit Schulungs- und Einführungskonzepte für die Betroffenen im Verlauf des Jahres 2012 stattgefunden haben. Gerade für die Einholung von Drittauskünften scheinen noch Verzögerungen absehbar, wie Gerichtsvollzieher und ein in das Justizportal eingestellter Leitfaden – Stand 04.12.2012 – es darstellen.
Und wie steht die Landesregierung zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs allgemein? Fest steht: Die rot-grüne Landesregierung hat im Bundesrat den von NRW mit erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz weder als Mitantragsteller noch bei der Abstimmung dazu unterstützt. Obwohl er das wesentliche Ziel verfolgt, durch ein Bündel von Maßnahmen den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Aktenführung in der Justiz zu fördern und damit zugleich einen zeitgemäßen weiteren Schritt hin zu mehr Bürgernähe zu vollziehen. Die auf meine Kleine Anfrage dazu in Drs. 16/1413 dargelegten Gründe für das ablehnende Verhalten der Landesregierung sind wenig überzeugend. Da trauen sich andere Länder wesentlich mehr zu. NRW braucht Tempo auf dem Weg hin zum elektronischen Rechtsverkehr – das erwarten wir als FDP bei aller notwendigen Sorgfalt!
Der hier zu beratende Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 16/1182 – sieht vor, die Gebühr für die Bewilligung des laufenden Bezugs von Abdrucken und die Mindestgebühr für die Erteilung von Abdrucken aus dem Schuldnerverzeichnis jeweils angemessen zu erhöhen und auf ein ländereinheitliches Niveau anzupassen. Außerdem soll künftig auch für die Einsicht in das elektronische Schuldnerverzeichnis über die länderübergreifende Plattform „www.vollstreckungsportal.de“ eine ländereinheitliche Gebühr erhoben werden. Deren Höhe ist zwar in den jeweiligen Landesjustizkostengesetzen zu regeln, die jedoch ebenso wie die Gebühren für den laufenden Abdruckbezug künftig für alle Länder zentral über das Vollstreckungsportal eingezogen und an die Länder ausgekehrt werden soll.
Wir werden als FDP dem Gesetzentwurf zustimmen. Die moderate Erhöhung der Gebühren in den Ziffern 2.1 und 2.2 erscheint gerechtfertigt. Dies gilt auch für die neue Gebühr in Nummer 2.3 für die Einsichtnahme in das Schuldnerverzeichnis in Höhe von bundesweit 4,50 € bei künftig unmittelbarer Auskunftserteilung. Für uns als FDP ist wichtig, dass für eine Selbstauskunft, ob eine Eintragung besteht oder nicht besteht, dem Bürger keine Kosten entstehen.
Das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung wird es ermöglichen, am Amtsgericht Hagen ein zentrales Vollstreckungsportal einzurichten. Dadurch werden es Gläubiger zukünftig einfacher haben, im Vollstreckungsverfahren festzustellen, ob Schuldner bereits im Vollstreckungsregister Eintragungen haben.
Auch wenn einige den aktuellen Entwurf hinsichtlich der leichten Gebührensteigerung kritisieren, muss festgestellt werden, dass das zentrale Schuldnerverzeichnis im Ergebnis Kosten für Gläubiger und Behörden senken wird.
Wo bisher kostenpflichtige Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet wurden, obwohl ein Schuldner bereits eine Eidesstattliche Versicherung abgegeben hat und dies dem Gläubiger nicht bekannt war, wird zukünftig vor der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen ein erleichterter Blick ins Register Gläubigern ermöglichen, zu prüfen, ob sich ein Verfahren lohnt bzw. erfolgreich sein könnte oder eine Abstandnahme geboten erscheint.
Der federführende Rechtsausschuss hat dem Gesetzentwurf Drucksache 16/1182 einstimmig zugestimmt. Auch meine Fraktion und ich begrüßen den vorliegenden Entwurf, sodass wir der Beschlussempfehlung zustimmen werden.
Thomas Kutschaty, Justizminister:
Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung ist Ihnen bereits aus seiner ersten Lesung im Plenum am 7. November 2012 bekannt. Der Haushalts- und Finanzausschuss hat dem Gesetzentwurf am 6. Dezember 2012 einstimmig zugestimmt; ebenso einstimmig hat der Rechtsausschuss dem Gesetzentwurf am 7. Dezember 2012 zugestimmt.
Lassen Sie mich in aller Kürze nochmals Folgendes anmerken:
Am 1. Januar 2013 wird das (Bundes-)Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung in Kraft treten. Es enthält umfassende Änderungen der Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung. Unter anderem werden
auch die Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie ausgeschöpft.
Ab dem 1. Januar 2013 wird es jedem, der für bestimmte gesetzlich vorgegebene Zwecke Angaben benötigt (etwa um sich über die Bonität eines möglichen künftigen Vertragspartners zu informieren), möglich sein, Einsicht in das in jedem Bundesland geführte elektronische Schuldnerverzeichnis zu nehmen.
Lassen Sie mich eins ausdrücklich bemerken:
Dies geschieht unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Belange der Bürgerinnen und Bürger.
Das elektronische Schuldnerverzeichnis wird als Internetregister ausgestaltet; die Daten der Länder werden bundesweit miteinander vernetzt. Für die elektronische Einsicht wird mit dem Gesetzentwurf eine Gebühr in Höhe von 4,50 € eingeführt.
Auch die bisher bereits bestehenden Gebührenregelungen sind an die neue Rechtslage anzupassen.
Dabei handelt es sich um die Gebühr für die Bewilligung des laufenden Bezugs von Abdrucken aus dem Schuldnerverzeichnis, die von bestimmten Institutionen und Personenkreisen, wie etwa von der Schufa oder von Wirtschaftsauskunfteien, bezogen werden. Erst nach einer Prüfung durch die Justizverwaltung und einer entsprechenden Bewilligung erhalten diese Institutionen regelmäßig Abdrucke aus dem Schuldnerverzeichnis.
Für die Erteilung der Abdrucke aus dem Schuldnerverzeichnis selbst werden dann ebenfalls Gebühren erhoben.
Die bisherigen Gebühren sind seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr geändert worden und sollen nun an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden. Für die Bezieher von Auskünften, die in der Regel ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an den Informationen haben, steigen die Gebühren angesichts der Preisentwicklung seit dem Jahr 1995 in angemessenem Umfang.
Durch die neue Gebühr für die Einsichtnahme in das Schuldnerverzeichnis in Höhe von bundesweit 4,50 € entstehen zwar Mehrkosten für Bürgerinnen und Bürger und für interessierte Wirtschaftskreise. Jedoch stehen diesen Gebühren wegen der Unmittelbarkeit der Auskunftserteilung deutlich verbesserte Leistungen der Justiz gegenüber.
Für eine Selbstauskunft, ob eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis besteht oder nicht besteht, entstehen keine Kosten.
Die beabsichtigten Gebührenerhöhungen und insbesondere die neue Einsichtsgebühr in das elektronische Schuldnerverzeichnis werden zu Mehreinnahmen für das Land führen, deren Höhe davon abhängt, wie die neuen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Sie dürften sich in der Größenordnung von mehreren Millionen Euro jährlich bewegen.
Ich bitte Sie deshalb um Ihre Stimme für den Gesetzentwurf.
Im Jahr 2011 haben wir mit einer breiten Unterstützung die Besoldung der Wachtmeisterinnen und Wachtmeister der Justiz verbessert. Das Eingangsamt wurde von A3 auf A4 und das Spitzenamt für große Wachtmeistereien auf A7 erhöht.
In der damaligen Debatte hat mein geschätzter Kollege Georg Fortmeier die abstrakte Entscheidung mit konkreten Zahlen ausgemalt und deutlich gemacht, über welche Besoldungshöhen und welches Jahreseinkommen wir hier sprechen. Justizminister Kutschaty sprach daher ganz richtig auch von einem guten Tag für die Justizwachtmeister in NRW.
Mit dieser Entscheidung, ähnlich wie bei der Entfristung der vielen Arbeitsverträge auf den Geschäftsstellen der Gerichte, haben die Landesregierung und besonders der Justizminister sehr deutlich gemacht, an wen wir bei Verbesserungen zuerst denken: die geringbezahlten Beschäftigen in der Justiz. Das war und ist ein wichtiges und klares Zeichen für die Anerkennung der guten Arbeit dieser vielen Menschen in der Justiz. Dafür danke ich namens der SPD-Fraktion ganz herzlich.
Besonders freut es mich, dass diese Änderung in der letzten Wahlperiode mit breiter Zustimmung erfolgte und auch die dauerhafte Geltung dieser Regelung, wie im Rechtsausschuss bereits geschehen, mit Unterstützung von weiten Teilen der Opposition erfolgen wird.
Umso mehr verwundert es mich, dass die FDP diesen Schritt wie bereits bei der ersten Änderung der Eingruppierung wohl auch heute nicht mitgehen wird. In der damaligen Debatte wurden noch Bedenken geäußert, ob die vom Ministerium zugesagte haushaltsneutrale Erwirtschaftung der Steigerung möglich sei. Dies ist aber eindeutig gelungen.
In der letzten Sitzung des Rechtsausschusses begründete die FDP nunmehr ihre Enthaltung mit dem Hinweis darauf, dass es gut sei, Gesetze nur mit einer befristeten Wirkung in Kraft zu setzen, um so immer wieder deren Wirksamkeit zu hinterfragen. Grundsätzlich kann ich diesem Argument etwas abgewinnen.
Die Argumente der FDP gehen in diesem Fall aber ins Leere. Hier geht es um eine dauerhafte Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Wachtmeistereien und – viel wichtiger – um eine dauerhafte Perspektive, um auch künftig junge Menschen für die verantwortungsvolle Arbeit in der Justiz zu gewinnen. In der letztjährigen Debatte wies meine Kollegin Dagmar Hanses hierauf sehr eindrucksvoll hin. Sie schilderte den Schock, den junge Menschen, die sich für eine Ausbildung in der Justiz interessieren, erfahren, wenn sie erkennen, mit welchen geringen Anwärterbezügen der Einstieg erfolgt.
Wir sehen, dass sich die im Jahr 2011 beschlossene Regelung bewährt hat. Eine haushaltsneutrale Darstellung ist gelungen. Die Zufriedenheit in den Gerichten, besonders beim Personal am „Empfang“ in den Gerichtsgebäuden oder den Staatsanwaltschaften, ist gestiegen.
Die gute und verantwortungsvolle Arbeit in den Wachtmeistereien verdient auch weiterhin unseren Respekt und unsere Anerkennung! Respekt und Anerkennung – nicht nur in Grußworten und bei Sonntagsreden, sondern auch auf dem „Lohnzettel“.
Die SPD-Fraktion wird daher gerne dem vorgelegten Gesetzentwurf heute in zweiter Lesung zustimmen.
Wir beraten heute über das Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums. Der Gesetzentwurf wurde von der Landesregierung eingebracht. Konkret geht es um die Abschaffung von Befristungsregelungen in zwei Gesetzen:
1. im Gesetz zur Anhebung des Eingangs- und des Spitzenamtes in der Laufbahn des Justizwachtmeisterdienstes des Landes Nordrhein-Westfalen und
2. im Gesetz zur Anhebung der Beförderungsämter für Bedienstete des allgemeinen Vollzugs- und des Werkdienstes in Justizvollzugsanstalten sowie des Krankenpflegedienstes im Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen in leitenden Funktionen.
Die Geltung des erstgenannten Gesetzes ist bis zum Ende dieses Jahres befristet, das zweite genannte Gesetz bis zum Ende des kommenden Jahres.
Wir halten beide Gesetze für gut. Die Justizwachtmeister bei uns im Land leisten eine wichtige, zugleich aber auch schwierige Arbeit. Die Anforderungen an ihre Tätigkeit haben sich in den vergangenen Jahren stetig verändert und sind anspruchsvoller geworden. Mit dem genannten Gesetz haben wir diesen gestiegenen Anforderungen soweit möglich Rechnung getragen.
Gleiches gilt für die Schaffung eines Spitzenamtes im mittleren Dienst für die Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Werkdienstes in den großen Justizvollzugsanstalten und der Leitung des Krankenpflegedienstes im Justizvollzugskrankenhaus, wie es im zweiten Gesetz geregelt ist. Auch bei diesen Tätigkeiten haben sich die Anforderungen gewandelt. Den Stelleninhabern unterstehen teilweise mehrere hundert Bedienstete. Mit dem Gesetz wurde ein Leistungsanreiz für die Führungskräfte geschaffen.
Wir haben bereits die Verabschiedung dieser Gesetze begrüßt und sind heute auch für die Entfristung, denn beide Gesetze haben sich bewährt.
Kritisch anmerken möchte ich lediglich, dass das zweite genannte Gesetz bereits jetzt entfristet werden soll, obgleich die Frist erst Ende 2013 auslaufen wird. Leider nennt die Landesregierung hierfür keine nachvollziehbare Begründung.
Zudem wäre es unseres Erachtens sinnvoller gewesen, über die Entfristung der beiden Gesetze im Rahmen der anstehenden Dienstrechtsreform zu entscheiden, da es jeweils um Fragen des Laufbahnrechts geht.
Trotzdem werden wir dem Gesetz heute zustimmen. Denn die Betroffenen leisten eine schwierige Arbeit. Ich bin froh, dass wir es mit diesen Gesetzen schaffen, ihnen eine gewisse Anerkennung für ihre Arbeit zu geben.
Mit dem Gesetz zur Änderung der Befristungen besoldungsrechtlicher Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums werden zwei Befristungen, einmal in § 4 des Gesetzes zur Anhebung des Eingangs- und des Spitzenamtes in der Laufbahn des Justizwachtmeisterdienstes des Landes Nordrhein-Westfalen und einmal in § 6 des Gesetzes zur Anhebung der Beförderungsämter für Bedienstete des allgemeinen Vollzugs- und des Werkdienstes in Justizvollzugsanstalten sowie des Krankenpflegedienstes im Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen in leitenden Funktionen, aufgehoben.
Ich begrüße die Aufhebung der Befristungen sehr, denn sie dient nicht nur einer angemesseneren Bezahlung, sondern auch der Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug und Justizwachtmeisterdienst.
Gerade der Strafvollzug steht oft im Zentrum von Diskussionen, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizvollzuges stehen unter ständiger Beobachtung durch die Öffentlichkeit. Es ist wichtig, dass die Bediensteten, die eine sehr sensible und wertvolle Arbeit verrichten – denn ohne motiviertes, qualifiziertes und engagiertes Personal kann das beste Konzept zum effektiven Behandlungsvollzug nicht umgesetzt werden –, nicht nur durch warme Worte, sondern auch tatsächlich und ganz real – hier also durch eine angemessenere Besoldung – unterstützt und wertgeschätzt werden.
In dem Gesetz zur Anhebung des Eingangs- und des Spitzenamtes in der Laufbahn des Justizwachtmeisterdienstes des Landes Nordrhein-Westfalen ist die Schaffung eines neuen Spitzenamtes der Besoldungsgruppe A7 Landesbesoldungsordnung für Leiterinnen und Leiter großer Wachtmeistereien und die Anhebung des Eingangsamtes der Beamtinnen und Beamten des Justizwachtmeisterdienstes von Besoldungsgruppe A3 nach Besoldungsgruppe A4 geregelt.
Durch das Gesetz zur Anhebung der Beförderungsämter für Bedienstete des allgemeinen Vollzugs- und des Werkdienstes in Justizvollzugsanstalten sowie des Krankenpflegedienstes im Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen in leitenden Funktionen wird für Bedienstete in leitenden Funktionen das Erreichen von Beförderungsämtern der Besoldungsgruppen A10 und A11 ermöglicht.
Beide Gesetze haben sich aus unserer Sicht bewährt und können daher – da eine Aufhebung für uns und damit eine Zurückstufung der Beamtinnen und Beamten nicht infrage kommt – entfristet werden.
Der Landtag hat in den Jahren 2004 und 2005 das gesamte Landesrecht unter den grundsätzlichen Vorbehalt der Befristung gestellt. Damit wurde die Grundlage dafür geschaffen, bestehende Gesetze einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen.
Auf die Gesetze zur Anhebung des Eingangs- und des Spitzenamtes in der Laufbahn des Justizwachtmeisterdienstes des Landes Nordrhein-Westfalen sowie zur Anhebung der Beförderungsämter für Bedienstete des allgemeinen Vollzugs- und Werkdienstes in Justizvollzugsanstalten sowie des Krankenpflegedienstes im Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen in leitenden Funktionen, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entfristet werden sollen, möchte ich in diesem Zusammenhang nur am Rande eingehen, da diese beiden Gesetze in ihrem Regelungsgehalt von der FDP nicht infrage gestellt werden.
Zu den Befristungsterminen ist vom Gesetzgeber jeweils die Entscheidung über die Fortexistenz der betroffenen Rechtsnormen zu treffen. Die Befristung von Normen dient dem übergeordneten Ziel der Bürokratievermeidung. Eine regelmäßige entsprechende Evaluierung ermöglicht eine nachträgliche Wirkungsbeobachtung und Erfolgskontrolle durch Regierung und Gesetzgeber, zwingt zur periodischen Neubefassung und Selbstkontrolle und fördert den Qualitätsanstieg sowie Deregulierung mittels ständiger Rechtsbereinigung.
Die Verbreitung von und Erfahrung mit generellen Befristungsregeln in NRW und anderen Bundesländern sind wissenschaftlich untersucht worden. So kommt die Richterin beim Oberlandesgericht Hamm, Dr. Andrea Becker, in Ihrer Analyse zu dem Fazit:
„Die Verknüpfung von ressortübergreifender Normprüfung und Befristungsgesetzgebung hat sich als effektives Mittel zum Bürokratieabbau bewährt, will man die Normenflut eindämmen und zugleich die Normenqualität nachhaltig steigern sowie Bürokratieabbau effektiv und effizient betreiben. Das Bewusstsein, dass es eine Qualitätskontrolle durch eine ressortübergreifende Normprüfung gibt, und die inzwischen über dreijährigen Erfahrungen der Ressorts mit der ressortübergreifenden Normprüfung haben dazu geführt, dass sich die Normsetzungstätigkeit der Ressorts verbessert hat. Die Tätigkeit der Normprüfung wäre aber nur halb so erfolgreich, würde sich die Tätigkeit auf neue Normen beschränken und nicht auch auf Evaluierungsberichte und die Vorlage von Änderungs- und Mantelnormen erstrecken, mit denen Verfallklauseln verlängert werden sollen. Die Befristungsgesetzgebung stellt insoweit eine grundlegende Kulturänderung dar, als die jahrhundertelang vorherrschende Vorstellung des ‚in Stein gemeißelten‘, strukturell ‚für die Ewigkeit‘ erlassenen Gesetzes aufgegeben wurde. Die Erfahrungen mit der Befristungsgesetzgebung sind positiv. Die Erwartungen von Regierung und Fraktionen im Landtag an die Einführung der Befristungsgesetzgebung dürften erfüllt worden sein.“
Umso unverständlicher erscheint es, dass die Landesregierung zwischenzeitlich die Abschaffung der Befristung des Landesrechts eingeleitet hat, indem sie am 20. Dezember 2011 beschlossen hat, dass die zum 1. Januar 2012 in Kraft befindlichen Stammgesetze als zwingend notwendig erscheinen und in zukünftigen Änderungsentwürfen der Landesregierung vorgeschlagen werden soll, die in diesen Stammgesetzen enthaltenen Befristungsregelungen (Verfallklauseln oder Berichtspflichten) zu streichen.
Von den Lobeshymnen des Staatsministers a. D. Dr. Fritz Behrens aus dem Frühjahr 2003 ist nichts mehr zu hören: „Mit dem beschlossenen Anti-Bürokratie-Programm durchbrechen wir den Kreislauf von Überregulierung.“ Und weiter: „Das Festhalten an zeitlich unbegrenzt gültigen Rechtsvorschriften wird den aktuellen Anforderungen von Bürgern, Unternehmen und Kommunen an staatlichen Regelungen nicht mehr gerecht.“ So erklärte er damals auf einer Regierungspressekonferenz in Umsetzung eines Versprechens des damaligen Ministerpräsidenten Steinbrück.
Die FDP-Fraktion hat bereits bei den Beratungen des Fünften Gesetzes zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales sowie des Justizministeriums eine Erklärung zu Protokoll gegeben, dass wir die generelle Abkehr von der Befristung des Landesrechts ablehnen. Denn mit der Entfristung von Rechtsvorschriften wird ein wirksames Instrument abgeschafft, um die regelmäßige Kontrolle der Notwendigkeit und Wirkung der bestehenden Vorschriften sicherzustellen und Regelungen aufgrund fortschreitender Veränderungen anzupassen, zu vereinfachen, zu reduzieren oder aufzuheben.
Wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass sich die Anforderungen von Bürgern, Unternehmen und Kommunen in puncto Bürokratieabbau geändert hätten – ganz im Gegenteil. Dass ein wirksames Instrument zum Bürokratieabbau wie die grundsätzliche Befristung des Landesrechts nunmehr sukzessive über Bord geworfen wird, können wir als FDP nicht mittragen.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird beraten, weil aufgrund des Auslaufens von Fristen Handlungsbedarf besteht. Dabei handelt es sich um Befristungen des Landesrechts aus den Jahren 2004 und 2005. Die fünf betroffenen Gesetze haben sich nachweislich bewährt, sodass ich inhaltlich gar nicht weiter auf diese eingehen möchte.
Der Gesetzentwurf schafft nun die Grundlage, die bisher befristeten Gesetze zu entfristen und ihnen über den 31.12.2012 hinaus Gültigkeit zu verschaffen. Da aus unserer Sicht die komplette Entfristung nicht sachgerecht ist, hätten wir bei einer neuen Befristung der Gesetze im Ausschuss zustimmen können. So können wir uns der Beschlussempfehlung leider nicht anschließen. Um die inhaltlich richtigen Gesetze aber nicht zu behindern, werden wir uns beim vorliegenden Entwurf enthalten.
Thomas Kutschaty, Justizminister:
Im vergangenen Monat habe ich Ihnen den Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem zwei besoldungsrechtliche Gesetze entfristet werden sollen.
Mit diesen zwei Gesetzen wurden – zunächst noch befristet – wichtige Regelungen getroffen: Zum einen wurde das Eingangsamt im Justizwachtmeisterdienst von Besoldungsgruppe A3 nach Besoldungsgruppe A4 und das Spitzenamt von Besoldungsgruppe A6 nach Besoldungsgruppe A7 für die Leiterinnen und Leiter größerer Wachtmeistereien gehoben. Zum anderen wurde eine begrenzte Anzahl von Beförderungsämtern der Besoldungsgruppen A10 und A11 für die Beamten im mittleren Vollzugsdienst im Bereich des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Werkdienstes und des Krankenpflegedienstes eingerichtet.
Mittlerweile haben sowohl der Haushalts- und Finanzausschuss als auch der Rechtsausschuss den Entwurf beraten und – wie ich mit Freude feststellen kann – der Entfristung beider Gesetze mit großer Mehrheit zugestimmt.
Durch die breite Unterstützung des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen ist nochmals deutlich geworden, dass uns allen eine amtsangemessene Besoldung der Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister und der Beamtinnen und Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes angesichts ihrer großen Bedeutung für die Sicherheit in den Gerichten und Staatsanwaltschaften und für das Funktionieren des Strafvollzugs ein Anliegen ist. Als „Visitenkarten“ im ersten Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern sind die Justizwachtmeister maßgeblich für einen positiven Gesamteindruck der Justizinstitutionen verantwortlich. Im Rahmen der Dienstrechtsreform werden wir die Besoldung dieser Laufbahn daher weiter auf den Prüfstand stellen.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung für den Gesetzentwurf.
Zu TOP 8 – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter – zu Protokoll gegebene Reden
Wir beraten hier das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter, dessen Befristung – aus dem Jahr 1890 kommend – am 31.12.2012 ablaufen würde.
Nach wie vor sind Eintragungen in Grundbüchern vorhanden, denen das Gesetz über Rentengüter zugrunde liegt. Es werden also aktuell noch Sachverhalte durch das Gesetz geregelt, sodass eine Verlängerung der Befristung notwendig ist, um eine Regelungslücke und damit Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.
Der Rechtsausschuss als Fachausschuss hat den Gesetzentwurf der Landesregierung einstimmig positiv beschieden.
Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Wir beraten heute über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter. Das Gesetz über die Rentengüter ist bis zum 31. Dezember 2012 befristet. Mit der Gesetzesänderung soll lediglich die befristete Geltung um zehn Jahre verlängert werden.
Das Gesetz über die Rentengüter regelt die Übertragung zu Eigentum eines Grundstücks gegen Übernahme einer festen Geldrente (Rentengut). Nach Angaben der Landesregierung sind derzeit noch zahlreiche Rentengüter bestellt und in die Grundbücher eingetragen. Sollte das Gesetz ohne eine Verlängerung der Befristung bereits zum Ende des Jahres auslaufen, würde dies zu einem Eingriff in bestehende Rechtsgüter führen. Dies würde die Rechtsinhaber in ihren Rechten beeinträchtigen. Dies lehnen wir selbstverständlich ab.
Um einen Überblick über die bestehenden Rechtsinhaber zu erlangen, müssen alle 7 Millionen Grundbücher in unserem Land ausgewertet werden. Dies ist nur mit einem enorm hohen Personalaufwand möglich und daher nicht vertretbar. Wir benötigen eine automatisierte Abfrage der Grundbücher, um Kenntnis über den Umfang der Rentengüter zu erlangen. Dies ist erst mit der Umstellung auf das elektronische Grundbuch möglich.
Wir plädieren daher ebenfalls für eine Verlängerung der Befristung und werden dem Gesetz zustimmen.
Bei dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter handelt es sich um eine Verlängerung der Gesetzesbefristung.
Die Befristung des Gesetzes über Rentengüter, das die Übertragung von Eigentum eines Grundstücks gegen Übernahme einer festen Geldrente (Rentengut) regelt, läuft zum 31. Dezember 2012 ab. Da derzeit noch Grundbucheinträge von Rentengütern in den Abteilungen II der Grundbücher bestehen, könnte es bei Aufhebung des Gesetzes zu Eingriffen in bestehende Rentengüter kommen und damit Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern eine Beeinträchtigung ihrer Rechtspositionen zugefügt werden. Es entstünde also eine Rechtslücke.
Der Umfang dieser auf dem Gesetz über Rentengüter basierenden Grundbucheintragungen in Nordrhein-Westfalen ist nicht bekannt. Die Identifizierung der eventuell noch vorhandenen Grundbucheinträge zu Rentengütern und die daraus entstehenden Rechtsfolgen im Falle eines Verfalls der Regelung kann, da es derzeit ca. 7 Millionen analog geführte Grundbücher in Nordrhein-Westfalen gibt, nur mit einem unvertretbar hohem Personalaufwand geleistet werden. Erst nach der Umstellung auf das elektronische Grundbuch kann eine automatisierte Abfrage der Grundbücher erfolgen. Deshalb soll die Befristung des Gesetzes über Rentengüter so lange verlängert werden, bis über eine automatisierte Abfrage der Grundbücher verlässliche Angaben zu den in den Grundbüchern eingetragenen Rentengütern ermittelt werden können, um auf dieser Basis dann über eine Fortführung oder Aufhebung des Gesetzes zu entscheiden und eine Rechtslücke zu verhindern.
Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu. Das Gesetz über Rentengüter aus dem Jahre 1890, welches die Übertragung von Eigentum eines Grundstücks gegen Übernahme einer festen Geldrente (Rentengut) regelt, ist bis zum 31. Dezember 2012 befristet. Ausweislich der Gesetzesbegründung existieren noch Grundbucheinträge von Rentengütern in derzeit nicht bekanntem Umfang. Durch eine Aufhebung des Gesetzes könnte somit in bestehende Rentengüter eingegriffen werden und damit eine Beeinträchtigung von Rechtspositionen eintreten. Deshalb wird die Befristung des Gesetzes um weitere zehn Jahre verlängert. Inhaltliche Änderungen erfolgen nicht.
Mit dem heute durch das Bundeskabinett beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Datenbankgrundbuchs sollen die Landesregierungen zur Einführung des Daten-
bankgrundbuchs ermächtigt und unter anderem unter strikter Beachtung des Datenschutzgesetzes neue Recherche- und Auskunftsmöglichkeiten zugelassen werden. Grundbuchinhalte werden künftig strukturiert und logisch verknüpft in einer Datenbank gespeichert werden können. Dies wird die Ermittlung der betroffenen Fälle ohne unvertretbaren Personalaufwand über eine automatisierte Auswertung der – bisher analog geführten – 7 Millionen Grundbücher ermöglichen.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird einzig beraten, da aufgrund des Auslaufens von Fristen Handlungsbedarf besteht. Das Gesetz über Rentengüter vom 27. Juni 1890 ist bis zum 31. Dezember 2012 begrenzt. Man höre und staune, ein Gesetz aus der Zeit Kaiser Wilhelms II! Aus dem Jahr in dem der „Eiserne Kanzler“ Bismarck entlassen wurde. Bismarck, der sich als Gründer der Rentenversicherung verdient gemacht hat. Und heute verlängern wir ein Gesetz, dass sich inhaltlich mit Rentengütern beschäftigt.
Der Gesetzentwurf schafft die Grundlage, ein bisher befristetes Gesetz zu entfristen und ihm über den 31.12.2012 hinaus Gültigkeit zu verschaffen. Wir hätten es sinnvoller gefunden, die Befristung nicht bis 2022 zu verlängern, sondern sich einmal intensiver mit dem Gesetz zu beschäftigen. Die Erstellung der automatisierten Abfrage der Grundbücher braucht nicht zehn Jahre Zeit, sondern könnte kurzfristiger erfolgen.
Das jedoch ist nur eine verwaltungstechnische Feinheit; rein inhaltlich bestehen unsererseits keine Bedenken gegen den Gesetzentwurf, sodass wir uns der Beschlussempfehlung anschließen und dem Gesetz zustimmen werden.
Thomas Kutschaty, Justizminister:
Wir beraten heute über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter in zweiter Lesung. Das Gesetz über Rentengüter vom 27. Juni 1890 ist derzeit befristet bis zum 31.12.2012. Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter erfolgt eine Verlängerung dieser Befristung um weitere zehn Jahre bis zum 31.12.2022. Inhaltliche Änderungen erfolgen nicht.
Rentengüter sind Grundstücke, die jemandem gegen die Verpflichtung zur Zahlung einer festen Geldrente zu Eigentum übertragen werden. Die Rente wird in das Grundbuch eingetragen.
Heute werden solche Rentengüter nicht mehr bestellt. Es existieren aber noch Grundbucheinträge von Rentengütern. Dies ist uns aus der beruflichen Tätigkeit der Notare bekannt. Durch eine Aufhebung des Gesetzes könnte deshalb in bestehende Rentengüter eingegriffen und damit Rechtsinhabern eine Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition zugefügt werden.
Der Umfang dieser Grundbucheinträge ist nicht bekannt. Um die Zahl der eingetragenen Rentengüter zu ermitteln, muss eine Auswertung der vorhandenen 7 Millionen Grundbücher erfolgen. Eine automatisierte Abfrage der Grundbücher ist derzeit nicht möglich. Damit lässt sich der Umfang solcher Grundbucheintragungen momentan nur mit unvertretbarem Personalaufwand ermitteln.
Die Befristung des Gesetzes über Rentengüter soll deshalb so lange verlängert werden, bis die Umstellung auf das elektronische Grundbuch abgeschlossen ist und eine automatisierte Abfrage der Grundbücher verlässliche Angaben zu den in den Grundbüchern eingetragenen Rentengütern erlaubt. Erst auf Basis dieser Angaben können die Rechtsfolgen einer Aufhebung des Gesetzes über Rentengüter beurteilt werden. Dies könnte bis Dezember 2022 der Fall sein.
Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Rentengüter ist mit keinen Kosten verbunden. Ich bedanke mich für die Beratung im federführenden Rechtsausschuss und für die Beratung im mitberatenden Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das jeweils einstimmige Abstimmungsergebnis.
Zu TOP 9 – Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes – zu Protokoll gegebene Reden
Das geltende Gesetz über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (RettG NRW) datiert vom 24. November 1992. Mit Inkrafttreten vor zehn Jahren wurde das Gesetz seinerzeit mit einer Verfallsklausel zum 31.12.2012 versehen.
In der zurückliegenden Zeit hat sich gezeigt, dass mit dem Rettungsgesetz NRW die Voraussetzungen zur Sicherstellung eines funktionierenden und in der Praxis bewährten Rettungsdienstes geschaffen wurden. Dies gilt gleichermaßen für die Notfallrettung und den qualifizierten Krankentransport.
Europa- und bundesrechtliche Entwicklungen erfordern nun eine Novellierung des Gesetzes. Aufgrund der vorzeitigen Landtagswahl konnte die Novellierung nicht mehr in der 15. Wahlperiode abgeschlossen werden. Zwischenzeitlich befindet sich der Referentenentwurf in der Kabinettsbefassung vor Einleitung der Verbändeanhörung.
Da das Änderungsgesetz voraussichtlich erst im Frühjahr 2013 in Kraft treten, gleichzeitig aber die Verfallsklausel zum 31.12.2012 greifen wird, muss entweder eine Verlängerung oder eine Aufhebung der Klausel beschlossen werden. Andernfalls würde für die rettungsdienstliche Versorgung in Nordrhein-Westfalen ab Januar 2013 die Rechtsgrundlage entfallen.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass die bestehende Regelung in § 31 Satz 2 des Rettungsgesetzes NRW aufgehoben wird. Das derzeit geltende Gesetz soll damit bis zur Verabschiedung der Gesetzesnovellierung in Kraft bleiben.
Das geltende Rettungsgesetz NRW hat sich mit seinen Vorschriften grundsätzlich bewährt. Die SPD-Fraktion wird daher der vorgeschlagenen ersatzlosen Streichung der Verfallsklausel zustimmen.
Der Neuwahl im Frühjahr ist es geschuldet, dass wir hier nun eine Verlängerung der Anwendung des bestehenden Gesetzes vorzunehmen haben. Den EuGH-Urteilen folgend wären Änderungen vorzunehmen.
Sicher ist das Submissionsmodell dem Vergaberecht zu unterwerfen, da ja private Rettungsdienste, freigemeinnützige Verbände und kommunale Betriebe wie Feuerwehren beteiligt sind.
Bei Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten und der weiteren Übersichtlichkeit für den Träger der Notfallrettung sind Konstruktionen zu wählen, die den gesellschaftlichen, gesamtstaatlichen, aber auch Trägerinteressen entsprechen. Dazu wird es berechtigte Forderungen aus dem Bereich der privaten Rettungsdienste und der freigemeinnützigen Verbände geben.
Deshalb wird uns in der unmittelbar im kommenden Jahr anstehenden Novellierung des Rettungsgesetzes sicher besonders beschäftigen:
1. die Abwägungen in Bezug auf die Vorhaltungen der kommunalen Feuerwehren zur Notfallrettung, zur synergieimmanenten Vorhaltung von Krankentransportdiensten in Verbindung mit dem Krankentransport und allgemeinen Fahrten kranker Patienten durch taxinahe Unternehmen
2. Abwägungen zur Kostenadäquanz zwischen den Anbietern und den zur Vorhaltung Verpflichteten
3. Gleichzeitig hat diese Festlegung aber auch Auswirkungen auf den Katastrophenschutz, auf Ausbildung von Helfern, Rettern und Assistenten.
4. eventuelle Einbeziehung von privaten Rettungsdiensten in einen kommunalen Rettungsplan
5. Analyse der Kosten, die zum Teil den Krankenkassen und damit den Versicherten zufallen
Diese Bemerkungen können das Feld, dessen Beackerung im kommenden Jahr bevorsteht, nur anreißen und darauf hinweisen, dass wir der Verlängerung zustimmen, aber auch erwarten, dass zügig der neue Gesetzentwurf, der überfällig ist, vorgelegt wird.
Für das Rettungsdienstgesetz ist aufgrund von europa- und bundesrechtlicher Entwicklung eine Novellierung notwendig, die – wie wir alle wissen – derzeit erarbeitet wird. Da diese Überarbeitung erst Anfang nächsten Jahres abgeschlossen sein wird, das bestehende Rettungsdienstgesetz aber aufgrund seiner Verfallsklausel bereits zum Ende des Jahres außer Kraft treten würde, muss diese Klausel aus dem bestehenden Rettungsdienstgesetz gestrichen werden.
Dies ist der Gegenstand dieses Gesetzes. Wir stimmen diesem Gesetz natürlich zu.
Das bislang geltende Gesetz über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (Rettungsgesetz NRW – RettG NRW) vom 24. November 1992 beinhaltet eine Verfallsklausel zum 31.12.2012.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht vor, die Verfallsklausel des bestehenden Gesetzes durch ein Aufhebungsgesetz bis zur Verabschiedung der geplanten Gesetzesnovelle zu streichen, damit das bestehende Gesetz bis dahin in Kraft bleiben kann. Dies ist notwendig, damit die rettungsdienstliche Versorgung bis zu diesem Zeitpunkt sichergestellt ist. Hintergrund der anstehenden Novellierung sind insbesondere europarechtliche und bundesrechtliche Entwicklungen.
Die FDP-Landtagsfraktion hat bereits in 2011 im Zusammenhang mit der geplanten Novellierung zwei Kleine Anfragen an die Landesregierung gestellt. Darüber hinaus haben wir in 2012 im zuständigen Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie im Innenausschuss jeweils einen Bericht der Landesregierung zur Klärung des Sachstandes angefordert.
Die Novellierung soll – laut Gesetzentwurf – aller Voraussicht nach im Frühjahr 2013 abgeschlossen sein. Deshalb ist es wichtig, dass der Entwurf der Gesetzesnovelle nunmehr zeitnah in den Landtag eingebracht wird.
Wir werden uns im Rahmen der anstehenden Gesetzesnovellierung dafür einsetzen, die erfolgreiche Arbeit der Feuerwehren, der freiwilligen Hilfsorganisationen und der privaten Unternehmen jeweils für sich zu stärken und den qualitativ hohen Standard der professionellen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger durch den Rettungsdienst in NRW zu gewährleisten.
Laut der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales wird die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfes der Landesregierung empfohlen.
Die FDP-Landtagsfraktion stimmt dieser Empfehlung zu.
Die heute zu beschließende Verlängerung des RettG NRW entbindet uns nicht von der Verpflichtung, durch die anstehende Novellierung ein verbessertes auf den Weg zu bringen.
Wir begrüßen die zahlreichen Vorschläge der Fachverbände zur Verbesserung der Einsatzpraxis. Auf Unverständnis stoßen die Versuche, die EU-Rahmenbedingungen zur freien Ausschreibung von Dienstleistungen durch NRW-eigene Regelungen zu untergraben.
Die Piraten werden bei den anstehenden Beratungen neben der Einführung verpflichtender Qualitätsstandards für den Regelbetrieb und der Aus- und Fortbildung die Einführung einer Qualitätssicherungsstelle nach dem Vorbild Baden-Württembergs und auch die Umsetzung in ganz NRW einheitlich ausgestatteter Rettungsmittel mit in die Diskussion einbringen.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:
Die Notwendigkeit, das Gesetz über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (Rettungsgesetz NRW) zu entfristen, habe ich in meiner Rede zur Einbringung des Gesetzes zur Änderung des Rettungsgesetzes am 7. November 2012 dargestellt. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat dieses Änderungsgesetz am 21. November 2012 beraten und ihm in derselben Sitzung zugestimmt.
Wenn das Gesetz heute nach der zweiten Lesung verabschiedet wird, ist sichergestellt, dass der Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen bis zum Inkrafttreten der aus verschiedenen Gründen erforderlichen Novellierung auf einer stabilen gesetzlichen Grundlage fußt. Für dieses konstruktive Verfahren danke ich dem Landtag und allen Beteiligten herzlich.
Wir beraten heute ein Thema, das man als Nebenwirkung der Schulpolitik der vergangenen Wahlperioden bezeichnen könnte. Die Verkürzung der Schulzeit bis zum Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife, das Wegfallen des Wehrdienstes sowie eine Veränderung beim Einschulungsstichtag hatten das Ziel, junge Menschen schneller in das Studium bzw. in die Berufsausbildung zu führen. Diese Maßnahmen führen aber auch dazu, dass vermehrt Studierende vor Vollendung des 18. Lebensjahres und damit vor Erreichen der Volljährigkeit ein Studium an unseren Hochschulen aufnehmen möchten.
Diese Entwicklung war ausdrücklich gewünscht – hat aber eben auch eine kleine Nebenwirkung, mit der wir uns heute beschäftigen müssen.
Handelte es sich bislang um einige wenige Fälle, die jede Hochschule für sich durch den Erlass eigener Regelungen unproblematisch und für alle Beteiligten – für die Studierenden, deren Erziehungsberechtigte und die Hochschulen selbst – lösen konnte, werden es spätestens im kommenden Jahr – wenn der sogenannte „Doppelte Abiturjahrgang“ an die Hochschulen wechselt – mehrere tausend Studierende sein.
Seit 2010 haben SPD und Grüne zahlreiche Initiativen ergriffen, um die Herausforderungen rund um den doppelten Abiturjahrgang für die angehenden Studierenden wie für die Hochschulen zu meistern. Ich nenne an dieser Stelle unsere Bemühungen zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze an unseren Hochschulen und zur Schaffung zusätzlichen bezahlbaren Wohnraums für Studierende in den Universitätsstädten.
Ich möchte diese eben bezeichneten Maßnahmen als „Hardware“ zur erfolgreichen Bewältigung der erhöhten Studierendenzahlen bezeichnen. Der von uns erstmals im Ausschuss beratene Gesetzentwurf stellt demgegenüber die „Software“ dar und soll an die Stelle von Generaleinwilligungen und sonstiger von den Hochschulen getroffener Regelungen treten.
Wir verfolgen mit diesem Gesetz zwei Ziele:
1. Wir wollen den Hochschulverwaltungen an dieser Stelle zusätzliche Belastungen ersparen.
2. Wir wollen den angehenden jungen Studierenden demütigende Erlebnisse ersparen. Stellen Sie sich dieses Bild vor: Eine 17-Jährige bzw. ein 17-Jähriger betritt die Sprechstunde eines Professors: in der einen Hand hat sie ihr oder er sein Abiturzeugnis – an der anderen Hand ein Elternteil, welches an ihrer bzw. seiner Stelle eine Unterschrift leisten muss.
Ich denke, die von der Landesregierung vorgeschlagene Gesetzesänderung wird den Bedürfnissen aller Beteiligten – der jungen Studierenden, deren Eltern und den Hochschulen – gerecht, und ich hoffe, dass sie bereits zum nächsten Wintersemester greifen wird.
Anhand des vorliegenden Gesetzentwurfs lässt sich beispielhaft verdeutlichen, wie ein sinnvoller Umgang mit dem bestehenden Hochschulfreiheitsgesetz aussehen kann.
Das im Jahr 2006 verabschiedete Gesetz enthielt bisher keine Regelung für minderjährige Studierende. Da aber mit der sich nun auswirkenden Schulzeitverkürzung mit einem Anstieg minderjähriger Studierender zu rechnen ist, ist eine Veränderung in diese Richtung sinnvoll.
Denn wenn wir jungen Menschen zutrauen, die allgemeine Hochschulreife abzulegen, dann sollten wir ihnen auch zutrauen, im Rahmen ihres Studiums Entscheidungen zu treffen, die nicht jedes Mal zuerst mit den Eltern rückgekoppelt werden müssen.
Aus diesem Grund fügen wir dem bestehenden Gesetz einen Satz hinzu, durch den minderjährige Studierende – im Rahmen ihres Studiums – Handlungsfähigkeit im verwaltungsrechtlichen Sinne erhalten.
Das ist gut, und deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf auch zu.
Leider beschränkt sich dieser sinnvolle und pragmatische Umgang der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen mit dem bestehenden Gesetz auf diesen einen Satz.
Wenn Rot-Grün diesen Ansatz weiter verfolgt hätte, dann hätten sich die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen an den § 83 des Gesetzes gehalten und dem Landtag bis Ende 2012 einen wissenschaftlichen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgegangen wäre, an welcher Stelle es Veränderungen dieses erfolgreichen Gesetzes bedarf!
Anhand dieser wissenschaftlichen Ausarbeitung wäre eine Basis gelegt worden, das von allen Seiten gelobte Hochschulfreiheitsgesetz zu erhalten und an einigen wenigen Stellen sinnvolle Ergänzungen einzufügen.
Leider haben Sie diesen Weg nie gewollt. Stattdessen führen Sie seit nunmehr zwei Jahren den sogenannten offenen Dialogprozess. Und nach über zwei Jahren des „Dialogs“ präsentierten Sie uns im November 2012 Eckpunkte und die Aussage, den Dialog noch einmal eineinhalb Jahre fortsetzen zu wollen.
Seien wir doch einmal ehrlich, Frau Ministerin Schulze; Sie führen diesen Dialog doch nur deshalb, weil Sie bis heute keinen ernstzunehmenden Verbündeten in den Hochschulen gefunden haben, der Ihr geplantes Hochschulentmündigungsgesetz mittragen würde!
Denn nicht nur, dass wir (glücklicherweise für die Hochschulen) so lange auf diese Eckpunkte warten mussten – sie sind auch noch eine Mischung aus Verkomplizierung, Bürokratie, Bevormundung und Misstrauen!
Denn was Sie wollen, Frau Ministerin Schulze, ahnten wir bereits, als Sie in der zurückliegenden Legislatur noch beschönigend von „Leitplanken“ sprachen.
Entlarvend ist Ihre Aussage in der „Aachener Zeitung“, als Sie freimütig zu Protokoll gaben: „Es ist die Aufgabe der Landesregierung, die Fächer einzurichten, die wir brauchen.“ Auf gut Deutsch: Sie wollen den Hochschulen diktieren, was Sie für sinnvoll erachten.
Das ist schlicht und einfach das Gegenteil eines ergebnisoffenen Dialogprozesses!
Gänzlich zur Farce wird das alles dann, wenn Sie einen „ideologiefreien Diskurs“ zu Ihren vor Ideologie triefenden Eckpunkten wollen, so wie Sie das in der Pressekonferenz bei der Vorstellung Ihrer Eckpunkte gefordert haben!
Frau Ministerin Schulze, beim heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf haben Sie eine sinnvolle Ergänzung des bestehenden Hochschulfreiheitsgesetzes vorgelegt. Aus diesem Grund erhalten Sie für diesen Entwurf auch unsere Zustimmung.
Diese Vorgehensweise sollten Sie auch bei der Überarbeitung des Hochschulfreiheitsgesetzes einhalten.
Ich fordere Sie auf, dem Gesetzestext nachzukommen und eine wissenschaftliche Evaluation vorzulegen, die einem Wissenschaftsministerium würdig ist. Dann wird die CDU-Fraktion über den erkannten Änderungsbedarf des bestehenden und erfolgreichen Hochschulfreiheitsgesetzes ergebnisoffen und im Dialog mit Ihnen sprechen.
Die von der Landesregierung vorgeschlagene Gesetzesänderung, die wir heute in zweiter Lesung diskutieren, wird der Tatsache gerecht, dass unsere Erstsemester, Studierenden und Hochschulabsolventen immer jünger werden. Insbesondere ab dem Abiturjahrgang 2013 rechnen wir an unseren Hochschulen mit deutlich mehr minderjährigen Studierenden. Vor diesem Hintergrund ist dies auch eine wichtige Maßnahme zur Vorbereitung auf den doppelten Abiturjahrgang.
Bisher benötigen minderjährige Studierende für jede verwaltungsrechtliche Handlung an der Hochschule eine schriftliche Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten. Das betrifft beispielsweise die Prüfungsan- und -abmeldung, den Zugang zu Bibliotheken oder nicht mit einer „Kindersicherung“ versehenen Computern und vieles mehr. Nicht alle Hochschulen haben dazu bisher eigene Regelungen eingeführt. Zudem unterscheiden sich die bestehenden Regelungen von Hochschule zu Hochschule. Auch wenn bereits einige Hochschulen eine schriftliche Generalvollmacht der Erziehungsberechtigten zur Einschreibung ihrer minderjährigen Kinder verlangen, so bergen diese Vollmachten eine rechtliche Unsicherheit, da dies gesetzlich so nicht vorgesehen ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf schafft nun eine rechtssichere Generalvollmacht, mit der die minderjährigen Studierenden eine verwaltungsrechtliche Handlungsfähigkeit erhalten. Während für die Einschreibung selbst weiterhin die Einwilligung der Eltern Voraussetzung ist, können Studierende unter 18 Jahren im Rahmen ihres Studiums ohne die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter handeln.
Wir freuen uns sehr, dass wir in der vergangenen Ausschusssitzung am 21.11. den Vorschlag der Landesregierung zur Erhöhung der Handlungsfähigkeit minderjähriger Studierender einstimmig begrüßt haben. Damit geben wir unseren jungen Studierenden die Autonomie, ihr Studium selbst in die Hand zu nehmen, ohne bei organisatorischen Fragen ständig die Einwilligung der Eltern einholen zu müssen.
Der vorliegende Gesetzentwurf schafft eine Rechtssicherheit für minderjährige Studierende wie auch für die Hochschulen, verhindert unterschiedliche Regelungen an den verschiedenen Hochschulen – schafft also eine Rechtsgleichheit – und verringert den bürokratischen Aufwand für Studierende wie Hochschulen.
Vor diesem Hintergrund stimmen wir dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zu und hoffen auf eine breite Unterstützung.
Noch vor wenigen Jahren waren minderjährige Studierende die Ausnahme. Studenten, die mit 17 oder 16 Jahren an die Hochschule kamen, waren Hochbegabte oder Ausnahmetalente. Durch die verkürzte Schulzeit und den Wegfall der Wehrpflicht werden sie aber immer mehr zur Regel statt zur Ausnahme.
Das ist eine Tatsache und stellt unsere Hochschulen vor neue Herausforderungen. Studierende unter 18 benötigen einen anderen Betreuungsaufwand, brauchen mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche, bei der Orientierung in einer neuen Stadt und insbesondere bei der Organisation des Studiums.
Hinzu kommt ein höherer administrativer Aufwand für die Hochschulen. Denn Studierende unter 18 Jahren sind nur beschränkt geschäftsfähig und benötigen für die Gültigkeit auch studientypischer wesentlicher Rechtsgeschäfte die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter.
Dies bedeutet, dass sie neben dem eigentlichen Akt der Immatrikulation bei allen anderen Vorgängen rund um das Studium – wie etwa beim Bibliotheks- oder Internetzugang, bei Seminarbelegungen oder Prüfungsanmeldungen – grundsätzlich die Zustimmung ihrer Eltern nachweisen müssen.
Dass dies gerade für junge Menschen, die in einer anderen Stadt als ihre Eltern leben und studieren, kaum zu managen ist, liegt auf der Hand. Deshalb befürworten wir Liberale den hier vorliegenden Gesetzentwurf. Er trägt der veränderten Altersstruktur unserer Studienanfänger in einer geeigneten Weise Rechnung.
Die damit im Hochschul- und Kunsthochschulgesetz angestoßene Änderung gewährt minderjährigen Studierenden verwaltungsrechtliche Handlungsfähigkeit, sodass sie künftig im Rahmen ihres Studiums ohne die Zustimmung ihrer Eltern handeln dürfen. Dies bezieht sich auf studienrelevante Handlungen, betrifft aber ausdrücklich nicht die Einschreibung selbst, für die Minderjährige nach wie vor die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter benötigen. Auf diese Weise wird in unseren Augen das gesetzlich vorgesehene Prinzip der grundsätzlich vollumfänglichen Geschäftsfähigkeit ab Vollendung des 18. Lebensjahres hinreichend gewahrt. Gleichzeitig wird damit aber auch dem Interesse der fast volljährigen Studierenden an einer eigenverantwortlichen Gestaltung des Studiums Rechnung getragen.
Darüber hinaus schafft der vorliegende Gesetzentwurf Rechtssicherheit und macht aufwendige verwaltungstechnische Sonderbehandlungen und ein Streiten über den Wirkungsgrad von Generalvollmachten überflüssig.
Einen Mietvertrag über die „Studentenbude“ oder eine Vereinbarung mit einem Strom- oder Telekommunikationsanbieter dürfen die auch nach diesem Gesetz beschränkt geschäftsfähigen Studierenden zwar nicht abschließen, zumindest aber müssen sie nicht mehr ihre gesetzlichen Vertreter um Erlaubnis für die Belegung eines Wahlfachkurses bitten. Diese Erleichterungen des Hochschullebens für alle Beteiligten wollen wir deshalb auch unterstützen.
Die hier vorliegende Hochschulgesetzesänderung wird auch von der Piratenfraktion unterstützt, behebt sie doch eine verwaltungstechnische Lücke im Umgang mit minderjährigen Studierenden und gibt den nordrhein-westfälischen Hochschulen auch Rechtssicherheit.
Eine kleine Bemerkung darf aber bei aller Einigkeit nicht fehlen.
Diese Gesetzesänderung ist ein weiterer Beleg, wie unbedacht die Schulzeitverkürzung von G9 auf das Turbo-Abitur G8 durchgeführt worden ist. Man konnte, ohne in eine Glaskugel zu schauen, vorhersehen, dass es mit dem doppelten Abiturjahrgang bzw. auch mit den doppelten Abiturjahrgängen aus anderen Bundesländern zu solchen rechtlichen Problemen kommen wird.
Grundsätzlich sollte man erwarten können, dass ein solcher Fauxpas nicht vorkommen darf.
Wir wünschen den neuen Studierenden viel Freude und ein erfolgreiches Studium.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung:
Mit der Änderung des Hochschulgesetzes und des Kunsthochschulgesetzes passen wir das Gesetz der Realität an.
Durch die Einführung von G8 und durch ein niedrigeres Einschulungsalter sinkt das Alter der Studierenden im ersten Semester.
Minderjährige Studierende sollen aber ihr Studium eigenverantwortlich organisieren und durchführen können – nach der Einschreibung, zu der sie noch die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter benötigen.
Mit der Anpassung der Hochschulgesetze gibt es mehr Rechtssicherheit und Organisationserleichterungen nicht nur für die Studierenden und ihre Eltern, sondern auch für die Hochschulen. Denn die Universitäten und Fachhochschulen können künftig auf rechtlich zweifelhafte Generalermächtigungen, aufwendige Einzelfallgenehmigungen durch die Eltern und viel bürokratischen Aufwand verzichten.