26. Sitzung
Düsseldorf, Freitag, 22. März 2013
Zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933
1 Ursachen und Erscheinungen des verfassungsfeindlichen Salafismus in NRW konsequent bekämpfen
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2332
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2119
Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2148
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2285
Dirk
Schatz (PIRATEN)
(gem. § 30 GeschO)
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2272
Daniela Schneckenburger (GRÜNE)
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2282
6 Abschaffung der Störerhaftung
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2284
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2277
8 Bezahlbares Wohnen und wohnungspolitische Innovationen brauchen bezahlbares Bauland
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2278
Daniela Schneckenburger (GRÜNE)
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Entschuldigt waren:
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Minister
Garrelt Duin
(ab 13:30 Uhr)
Minister Michael Groschek
Minister Thomas Kutschaty
Minister Johannes Remmel
Ministerin Svenja Schulze
Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Roland Adelmann (SPD)
Günter Garbrecht (SPD)
Wilfried Grunendahl (CDU)
Volker Jung (CDU)
Bernd Krückel (CDU)
Theo Kruse (CDU)
Ralf Nettelstroth (CDU)
Norbert Post (CDU)
Rolf Seel (CDU)
Bernhard Tenhumberg (CDU)
Axel Wirtz (CDU)
Ali Bas (GRÜNE)
Horst
Becker (GRÜNE)
(ab 12:00 Uhr)
Robert Stein (PIRATEN)
Beginn: 10:05 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 26. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Am heutigen Tag feiern zwei Kolleginnen ihren Geburtstag, nämlich Frau Kollegin Heike Gebhard und Frau Ute Schäfer aus der Fraktion der SPD. Beiden Kolleginnen gilt unser ganz besonderer Glückwunsch. Alles Gute für das neue Lebensjahr, Gesundheit, Glück und Erfolg!
(Allgemeiner Beifall – Präsidentin Carina Gödecke begibt sich an das Rednerpult.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir vor Eintritt in die Tagesordnung einige Worte zum historischen Datum des 23. März 1933, das sich morgen zum 80. Mal jährt.
Mit dem Jahr 1933 ist der Beginn des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte verbunden – die Terrorherrschaft durch die Nationalsozialisten, die in der Geschichte beispiellos ist. Meilensteine auf dem Weg dorthin waren die Machtergreifung vom 30. Januar, dann die sogenannte Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar, mit der die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung aufgehoben wurden, und schließlich das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933.
Dieses Ermächtigungsgesetz bedeutete den formalen Schritt zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Der Historiker Karl Dietrich Bracher spricht zu Recht von der „pseudoparlamentarischen Legitimierung der Diktatur“. Während die Schlägertrupps der SA in den Straßen bereits hemmungslos und gesetzlos wüteten, war es Hitler als Reichskanzler dennoch wichtig, zumindest den äußeren Anschein der Legalität zu bewahren.
Der 23. März 1933 ist der Tag, an dem die Demokratie ihren Feinden endgültig das Feld überließ bzw. überlassen musste. Rund 100 Abgeordnete waren kurz zuvor in Haft genommen und konnten an der Abstimmung gar nicht mehr teilnehmen. Die Debatte um das Ermächtigungsgesetz in der Kroll-Oper geschah unter der massiven Drohgebärde der Braunhemden vor und im Sitzungssaal selbst.
Die furchtlose Rede des Sozialdemokraten Otto Wels, der an die Grundsätze des Rechtsstaates erinnerte, an Demokratie und Freiheit, war die letzte freie Rede im Reichstag und endete mit dem eindringlichen Appell:
„Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ... unzerstörbar sind, zu vernichten.“
Mit 444 gegen 94 votierte das Parlament schließlich für seine Entmachtung. Dieses Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, wie es zynisch hieß, beendete in drei Lesungen die erste deutsche Demokratie und öffnete der Nazibarbarei Tür und Tor.
Was 1933 in nur sieben Wochen zwischen Machtergreifung und Ermächtigungsgesetz geschah – die Zerstörung der Demokratie und die Aushebelung von Recht und Gesetz –, das hatte entsetzliche Folgen: Exzesse des Hasses und Rassenwahns, den Genozid an 6 Millionen Juden und einen Vernichtungskrieg mit unzähligen Toten und traumatisierten Opfern, die bis heute darunter leiden.
Heute wissen wir: Die Weimarer Republik ist nicht daran gescheitert, weil sie zu starke Feinde hatte, vielmehr ist sie gescheitert, weil sie von zu wenigen Demokraten verteidigt worden ist. Dabei hätte zumindest die politische Klasse wissen können, was Goebbels schon im April 1928 in der NSDAP-Kampfschrift „Der Angriff“ angekündigt hat:
„Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. (…) Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafsherde einbricht, so kommen wir!“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, 80 Jahre danach leben wir in einer gefestigten parlamentarischen Demokratie, die für die meisten, gerade die Jüngeren, der Normalfall ist.
Deshalb ist es unsere gemeinsame Aufgabe, gerade an Tagen wie heute an ihre Zerbrechlichkeit zu erinnern. Es ist unsere Aufgabe, dem Rechtsextremismus frühzeitig entgegenzutreten, damit es nie wieder zur Schwächung von demokratisch legitimierten Parlamenten und zur Einschränkung von Rechtsstaatlichkeit kommen kann.
Erich Kästner hat das bildlich so ausgedrückt – und damit will ich schließen –:
„Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, achten wir deshalb gemeinsam behutsam, aufmerksam, mutig und wehrhaft auf unsere parlamentarische Demokratie. – Ich danke Ihnen.
(Langanhaltender allgemeiner Beifall)
– Vielen Dank.
Damit treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
Ich rufe auf:
1 Ursachen und Erscheinungen des verfassungsfeindlichen Salafismus in NRW konsequent bekämpfen
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2332
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 18. März dieses Jahres gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der erwähnten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Kollegen Yetim von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Ibrahim Yetim (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich will Ihnen zunächst ganz herzlich für Ihre eindringlichen, aber auch mahnenden Worte danken, die wir als Plenum als Auftrag für unser weiteres Handeln in den nächsten Jahren auffassen sollten. Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in den vergangenen Monaten und Jahren intensiv mit dem Thema des Rechtsextremismus befasst. Wir haben die braune Gefahr als ein ernstes Thema für uns aufgenommen und, wie ich glaube, sehr eindringlich diskutiert.
Mit der „braunen Gefahr“ meine ich nicht nur den Rechtsextremismus der NSU, sondern auch deren parlamentarischen Arm, die NPD, und nicht zuletzt die Partei Pro NRW oder Die Rechte.
Was uns genauso umtreibt und was genauso gefährlich ist, ist der verfassungsfeindliche Salafismus in unserem Land. Deswegen ist die heute von SPD und Grünen beantragte Aktuelle Stunde genau richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Morddrohungen ausstößt und einen Anschlag auf das Leben anderer Menschen plant, ist ein Verbrecher. Wer Hetzschriften verteilt und unseren Rechtsstaat aushebeln will, ist Gegner unserer freiheitlich-demo-kratischen Grundordnung und ein Verfassungsfeind.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der FDP und den PIRATEN)
Die Salafisten planen die gewaltsame Umgestaltung unseres Staats hin zu einem Gottesstaat. Sie nutzen den islamischen Glauben als Deckmantel für eine menschenfeindliche Ideologie. Staat und Gesellschaft sollen sich ihren Lehren unterwerfen.
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Freiheit, eine Religion auszuüben oder Atheist zu sein, die Freiheit, sein Leben individuell selbst zu bestimmen – all das wird von den Salafisten abgelehnt und bekämpft.
Salafisten sind frauenfeindlich, sie sind schwulenfeindlich und sie sind demokratiefeindlich. Sie sind Gegner von Menschen anderen Glaubens, auch Gegner der überwältigenden Mehrheit der Muslime in unserem Land, die sich zum Grundgesetz bekennen und die in einem toleranten Deutschland leben wollen. Sie sind ganz offen Gegner unseres Grundgesetzes.
Vor allem aber bieten sie mit ihrer Ideologie den Nährboden für gewaltbereiten Islamismus und Terrorismus. Die vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz vereitelten Attentate zeigen als jüngstes Beispiel ganz deutlich, dass die Salafisten gewaltbereit sind und aktiv unseren Staat unterlaufen wollen. Möglicherweise steckten auch Salafisten hinter dem geplanten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof.
Hier zeigt sich, wie ich finde, ganz deutlich, welche Gefahr von den Salafisten ausgeht. Es zeigt aber auch, wie gut es ist, dass unsere Landesregierung so energisch gegen die salafistische Gefahr vorgeht, salafistische Vereine verbietet, und dass potenzielle Attentäter festgenommen werden.
Ich will an dieser Stelle unserem Innenminister ganz besonders danken, der hart und entschlossen gegen die Salafisten durchgreift.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Ereignisse in Bonn haben aber auch deutlich gemacht, dass NRW ein sicheres Land ist, dass genau darauf geachtet wird, dass das Zusammenspiel zwischen Polizei und Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen funktioniert. Das ist gut so. Dadurch konnten die Anschläge verhindert werden. Für uns ist klar: Gegen Extremismus – ob mit rechtsextremem, islamistischem oder einem anderen Hintergrund – wird in Nordrhein-Westfalen entschieden und konsequent vorgegangen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass Salafisten nicht „die Muslime“ sind. Die große Mehrheit der hier lebenden Muslime ist demokratisch gesinnt und will friedlich in unserem Land leben. Darum möchte ich die große Gruppe der Muslime und insbesondere deren Verbände darum bitten, sich sehr klar und deutlich von den Salafisten, von gewaltbereiten, intoleranten Verfassungsfeinden abzugrenzen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn die muslimischen Verbände hier ein klares Wort sprechen und deutlich sagen würden, dass die Salafisten eine Minderheit sind und dass sie sie genauso hart bekämpfen, wie wir das tun. Vielleicht führt ein Weg auch über den islamischen Religionsunterricht – wir hatten den muslimischen Verbänden dabei die Hand gereicht –, um hier deutlich aufzuzeigen, welche Ideologie hinter den Salafisten steckt.
Wichtig ist aber auch, dass wir die Gruppierungen der Salafisten identifizieren und uns mit deren menschenfeindlicher Ideologie auseinandersetzen, dass wir Aufklärungsarbeit leisten, dass Lehrerinnen und Lehrer, Betreuerinnen und Betreuer sowie Familienangehörige rechtzeitig erkennen, wodurch sich Salafisten auszeichnen oder wenn jemand Gefahr läuft – insbesondere ein junger Mensch –, von dieser Ideologie gefangen genommen zu werden.
Das Innenministerium hat dazu eine Präventionsinitiative gestartet, die mit verschiedensten zivilgesellschaftlichen und sozialen Einrichtungen ein Angebot erarbeitet, um dieser Ideologie frühzeitig zu begegnen. Darüber hinaus sollten wir – wie immer, wenn es um Extremismus geht – weiter nach den Ursachen suchen und diese angehen.
Ich bin mir sicher, dass das, was wir hier in Nordrhein-Westfalen tun – beste Bildung und Aufklärung, Betreuung –, dafür sorgt, dass wir eine weltoffene, demokratische Gesellschaft bleiben und uns erfolgreich gegen diese salafistischen Tendenzen zur Wehr setzen können. Beste Bildung und gute Berufschancen sind immer noch die besten Mittel gegen Extremismus, gleich welcher Art.
Deswegen wäre ich Ihnen sehr dankbar, liebe Kolleginnen und Kollegen auch von der Opposition, wenn Sie unseren Innenminister und diese Landesregierung dabei unterstützen würden, den Salafismus zu bekämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung zum Thema „NPD-Verbot“. Ich glaube, bei einem genauen Blick auf die Salafisten erkennt man, welche Ideologie dahinter steckt. Man erkennt, dass sie – genau wie die NPD – unseren Staat bekämpfen, dass sie das bekämpfen, wofür unser Staat steht, dass sie unser Wertesystem bekämpfen, dass sie einen anderen Staat wollen, als den, den wir haben. Man erkennt, dass die Unterschiede zwischen der NPD und den Salafisten nicht allzu groß sind.
Deswegen verstehe ich nicht, warum die FDP sich gegen ein NPD-Verbotsverfahren ausgesprochen hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben es in Ihrem Programm auch die „Freiheit des Individuums“ genannt. Die Freiheit des Menschen ist bei Ihnen hoch angesiedelt. Die NPD will diese verbieten.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Ibrahim Yetim (SPD): Sie will dagegen kämpfen. Die Salafisten sehen das genauso. Als die salafistischen Vereine verboten worden sind, habe ich von der FDP nichts gehört.
Jetzt kann man natürlich eine Partei und einen Verein nicht miteinander vergleichen. Aber es ist dieselbe Ideologie, und deswegen wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie darüber noch einmal nachdenken würden, welche Gefahren von den Salafisten oder von der NPD für uns ausgehen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Mittwoch hat der Bundesinnenminister drei salafistische Vereine in Hessen und in Nordrhein-Westfalen verboten. Außerdem wurden die Anschlagspläne von vier nordrhein-westfälischen Salafisten vereitelt.
Ich denke, dass diese Ereignisse in der letzten Woche uns allen deutlich gemacht haben, welche Gefahren von salafistischen Bestrebungen für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft ausgehen. Die Fragen nach Ursachen und nach Bekämpfungsstrategien des gewaltorientierten und verfassungsfeindlichen Salafismus beschäftigen uns schon länger.
Wir wissen, dass der Salafismus eine der schnell wachsenden Strömungen ist, die sich im letzten Jahr auf 1.000 Personen in Nordrhein-Westfalen verdoppelt hat, von denen etwa 100 gewaltbereite Dschihadisten sind. Dieser politische, gewaltorientierte Salafismus richtet sich gegen die parlamentarische Demokratie und gegen ein pluralistisches Gesellschaftsmodell. Damit ist er antidemokratisch, er ist verfassungsfeindlich und durch seine Gewaltbereitschaft eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Deshalb ist es richtig, dass die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen diese verfassungsfeindlichen salafistischen Gruppen beobachten. Darum muss sich auch die Politik mit diesem Thema beschäftigen. Aber nur dann, wenn wir wirklich differenziert an diese Problematik herangehen, werden wir den verfassungsfeindlichen und gewaltorientierten Salafismus wirksam bekämpfen.
(Beifall von der SPD)
Für diese Differenzierung möchte ich hier werben.
Da hilft es aus meiner Sicht überhaupt nicht weiter, wenn in der Regel konservative Politikerinnen und Politiker, allen voran der Bundesinnenminister Friedrich, eine Vereinfachung bei der Ausweisung von gewaltbereiten Fundamentalisten fordern. Denn die größte Zahl – das muss man sich einfach einmal ansehen – der Salafisten sind Deutsche, darunter sowohl Konvertiten ohne Migrationshintergrund als auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund.
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Insofern betreibt der Bundesinnenminister, der sich wahrscheinlich ein paar Monate vor der Bundestagswahl als Hardliner präsentieren will, eine reine Schaumschlägerei, ohne irgendwelche Lösungsansätze parat zu haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch und Zurufe von der CDU und der FDP)
Zweifelsohne ist die dynamische Zunahme der salafistischen Bestrebungen erschreckend. Natürlich müssen wir uns als Demokratinnen und Demokraten fragen …
(Zuruf von Holger Müller [CDU])
– Ja, Herr Müller, Sie können schreien, wie Sie wollen. Ich verstehe Sie hier sowieso nicht, hören Sie mir einfach einmal zu! Auch Sie müssen sich die Fragen stellen: Warum gibt es denn diese Zunahme bei den salafistischen Bestrebungen? Wie kann es sein, dass junge Menschen, meistens junge Männer, sich von der demokratischen Gesellschaft abwenden, dass sie sich hier nicht geborgen fühlen? Wie kann es sein, dass wir ihnen nicht das bieten, was sie suchen, sodass sie Anerkennung und Gemeinschaftsgefühl in diesen Bestrebungen suchen?
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Auch wenn ich die Durchführung von Vereinsverboten politisch richtig finde – wobei man auch hier darüber diskutieren muss, wie wirksam die Repression in diesem Bereich ist, man bräuchte meines Erachtens noch viel mehr Begleitforschung, um es wirklich evaluieren zu können –, die Bekämpfung des Salafismus ist nicht nur eine sicherheitspolitische Frage, sondern sie ist auch eine Frage von gesellschaftlicher Teilhabe und von Anerkennung.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Nur wenn wir es schaffen, diesen jungen Männern eine Alternative in der demokratischen Gesellschaft zu geben, werden wir diesen fundamentalistischen Bestrebungen, die auf die Abschaffung unserer freiheitlichen Grundordnung aus sind, auch die Anziehungskraft nehmen. Deshalb sprechen wir hier von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die alle Politikbereiche, das heißt uns alle hier im Parlament, betrifft.
Wir reden hier zum Beispiel über die demokratische Jugendarbeit, wir reden hier über politische Bildungsarbeit, wir reden aber auch über Bereiche wie zum Beispiel die Justiz. Denn gerade in der Haft – das wissen wir – können Radikalisierungsprozesse stattfinden.
Wichtig ist uns aber auch die Zusammenarbeit mit den Moscheegemeinden, mit den muslimischen Verbänden, die für unsere Anliegen auch wichtige Verbündete sind. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal ganz deutlich sagen, dass die Salafisten mit dem Islam und der Großzahl der Musliminnen und Muslime in unserer Gesellschaft, die hier friedlich leben und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen, nicht in einen Topf geworfen werden dürfen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Personen und Gruppen, die mit Hinweis auf den gewaltorientieren, verfassungsfeindlichen Salafismus versuchen, Ressentiments gegen Musliminnen und Muslime zu schüren, müssen wir als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam klar entgegenstehen. Deshalb dürfen wir es Pro NRW auch nicht durchgehen lassen, dass sie jetzt versuchen, sich als Opfer einer salafistischen Kampagne darzustellen, ohne dabei das geplante Mordattentat verharmlosen zu wollen.
Aber Pro NRW provoziert immer wieder ganz gezielt in der Gesellschaft und trägt auch mit dazu bei, dass sich Anhänger von Pro NRW und dem salafistischen Spektrum gegenseitig hochschaukeln. Dabei ist Pro NRW eine eindeutig menschenverachtende, eine rassistische, eine verfassungsfeindliche Partei, die immer wieder rassistische Hetze gegen Musliminnen und Muslime und momentan ganz aktuell mit ihrer Kampagne gegen Flüchtlinge betreibt.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Deshalb bin ich froh – ich will es hier noch einmal deutlich sagen –, dass es so viele Menschen gibt, die in diesen Tagen gegen Pro NRW auf die Straße gehen. Denn das ist ein wichtiges Zeichen für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft, die wir sowohl gegen rassistische Hetze von Pro NRW und anderen Nazis als auch gegen die antidemokratischen Pläne der Salafisten verteidigen müssen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.
Daniel Sieveke (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen der SPD und der Grünen haben die heutige Aktuelle Stunde damit begründet, dass angesichts der jüngsten Ereignisse der Landtag Nordrhein-Westfalen eindeutig Stellung gegen den verfassungsfeindlichen Salafismus Stellung beziehen müsse. Dem ist voll umfänglich zuzustimmen, auch wenn der letzte Wortbeitrag mich schon sehr verärgert hat, weil er in meinen Augen genau in die falsche Richtung zielte.
(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])
Was wir uns aber sparen können, meine Damen und Herren, ist die Differenzierung in verfassungsfeindliche und vermeintlich nicht verfassungsfeindliche Salafisten. Herr Yetim, Sie haben eben in meinen Augen ausdrücklich und eindrucksvoll vorgestellt, dass man diese Unterscheidung nicht vornehmen sollte.
Ihr Appell, dass wir den Innenminister unterstützen sollen, ist natürlich richtig. Wir haben immer schon gesagt: Jeder Extremist ist Mist, und man sollte auf keinem Augen blind sein. Wenn man das dann vorantreibt, werden wir das auch weiterhin unterstützen.
Aber Ihr Redebeitrag, Frau Schäffer, ging genau nicht in diese Richtung.
(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])
Salafismus, wenn schon der Name so viel bedeutet wie die Altvorderen, sich also auf eine veraltete Form des Islam bezieht, die so vermeintlich von den ersten Generationen von Muslimen gelebt und praktiziert worden sein soll, dann haben wir es hier mit einem ganz bewussten, gänzlich absichtlichen Rückwärtsgewandtsein zu tun. Und das steht in einem fundamentalen Widerspruch zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Denn die ist mit gesellschaftlichen Wertevorstellungen von vor 1.400 Jahren mit keiner Religion und keiner Region der Welt vereinbar.
Lassen Sie uns unterscheiden zwischen Salafisten und Islamisten auf der einen Seite und zwischen modernen und weltoffenen deutschen Staatsbürgern und hier lebenden Mitmenschen muslimischen Glaubens auf der anderen Seite.
(Beifall von der CDU)
Seien wir bitte so ehrlich zu uns selbst und unterscheiden wir nicht länger zwischen guten und schlechten Salafisten, zwischen vermeintlich nicht verfassungsfeindlichen und verfassungsfeindlichen Salafisten. Denn das Bundesamt für Verfassungsschutz formuliert es wie folgt:
„Die Mehrzahl der Salafisten in Deutschland sind keine Terroristen, sondern politische Salafisten. Andererseits sind fast alle in Deutschland bisher identifizierten terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt bzw. haben sich im salafistischen Milieu entwickelt.“
Frau Schäffer, wenn wir Politiker auch sonst immer aus guten Gründen differenzieren, Unterscheidungen machen, immer wieder nachfragen und versuchen, Sachverhalte so genau wie möglich zu ergründen und zu untersuchen, was den Salafismus in Deutschland angeht, wird es nicht besser. Wir müssen erkennen und einsehen, dass wir in der Realität keine guten Salafisten vorfinden.
(Beifall von der CDU)
Wir erkennen nur immer weiterläufigere und stärker werdende Strukturen, die sich mittlerweile selbst schon als so stark empfinden, dass sie unseren Staat und unsere Art, in einem friedlichen, demokratischen und freiheitlichen Miteinander zu leben, nicht länger nur im Verborgenen bekämpfen wollen, sondern ganz öffentlich, sogar unter möglichst großer Einbeziehung medialer Aufmerksamkeit.
Daher haben SPD und Grüne in ihrem Antrag völlig recht: Wir brauchen eine eindeutige Stellungnahme zum Salafismus auch aus diesem Hohen Hause heraus. Und die lautet – ich hoffe, wir alle haben gemeinsam den Mut dazu, diese Wahrheit auszusprechen –: Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder Salafist ist ein Feind unserer Verfassung, unserer Demokratie
(Beifall von der CDU)
und des friedlichen Zusammenlebens von Menschen aller Religionen in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik Deutschland. Denn wir sind in Deutschland – und unter dem Strich auch in Nordrhein-Westfalen – bei aller Kritik und bei allen Aufgaben, die noch vor uns liegen, auf einem guten und modernen Weg, was die vielseitigen Integrationsbemühungen aller Ebenen und den Dialog zwischen den Religionen anbelangt.
Wenn wir also erfahren, das ein in Nordrhein-Westfalen als extremistischer Salafist Verdächtiger festgenommen worden ist, der in Bremen beinahe als Polizist eingestellt worden wäre, dann müssen wir uns nicht länger fragen, ob das noch verwirrte junge Menschen sind oder ob sich da – Frau Schäffer, verzeihen Sie mir bitte die Deutlichkeit – irgendjemand von der freiheitlichen Gesellschaft überfordert fühlt, sondern dann müssen wir davon ausgehen, dass bereits eine gezielte und organisierte Unterwanderung durch die Salafisten in unserem Land im Gange ist.
(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was ist denn die Konsequenz daraus, Herr Kollege? – Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])
Sie wollen schon wieder nach Gutmenschen differenzieren, aber eine klare Vorgehensweise gegen die Salafisten ist erforderlich. Ich glaube, dass der Bundesinnenminister, aber auch der Landesinnenminister mit ihren Maßnahmen ganz klar dagegen vorgehen.
(Beifall von der CDU und Karlheinz Busen [FDP])
Solche Menschen und das Netzwerk der Salafisten unterlaufen und gefährden die Bemühungen aller guten Aktivitäten in den Bereichen Integration und interreligiöser Dialog. Davon muss sich die Politik mit Entschlossenheit und Geschlossenheit abgrenzen.
Liebe Frau Schäffer, im Gegensatz zu Ihnen sage ich: Wir dürfen nicht länger aus einem Gutmenschenverständnis heraus verfassungsfeindliches Denken und Handeln als Defizit, als Schuld unserer Gesellschaft diagnostizieren.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Wir dürfen nicht länger 4.000 Salafisten erlauben, das Zusammenleben und die Zusammenarbeit mit 4 Millionen Muslimen in Deutschland zu stören. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir uns in dieser Frage eigentlich parteiübergreifend einig sind,
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
denn SPD und Grüne haben in ihrer Begründung exakt festgestellt:
„Ziel der Salafisten ist die gewaltsame Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und der individueller Lebensgestaltung jedes einzelnen Menschen nach vermeintlich ‚gottgewollten‘ Regeln.“
Daher gehe ich davon aus, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen, gar keine Unterscheidung zwischen verfassungsfeindlichen und nicht verfassungsfeindlichen Salafisten machen wollten, sondern dass Sie in Ihrer Formulierung lediglich das stilistische Mittel des Pleonasmus angewandt haben. Denn „verfassungsfeindlicher Salafist“ ist wie „weißer Schimmel“.
(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)
Salafismus ist verfassungsfeindlich. Das stellen wir hier und heute sehr gerne und mit hoher Dringlichkeit gemeinsam mit Ihnen nachdrücklich und klar fest. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal auf etwas eingehen, was uns, glaube ich, alle eint, nämlich auf den Umstand, dass unter den 1,3 Millionen bis 1,5 Millionen Muslimen in NRW sehr viele sind, die auf dem Boden der Verfassung stehen und die unser Land bereichern – auch in ihrer Religiosität.
(Beifall von Ulrich Alda [FDP] – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Insofern ist es sehr bedauerlich, dass hier versucht wird, einen Keil in religiöse Überzeugungen und Ähnliches zu treiben.
Das ist aber auch schon fast alles, glaube ich, was uns heute hier einen kann.
Als ich das Thema dieser Aktuellen Stunde gesehen habe, habe ich mir gesagt: Was ist heute eigentlich der Anlass dafür? Und letztlich haben Sie meine Befürchtungen bestätigt: Sie wollen hier einfach nur abfeiern, dass wir eine Festnahme hatten.
(Serdar Yüksel [SPD]: Da gibt es nichts abzufeiern! – Ibrahim Yetim [SPD]: Eine Frechheit! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Sie tun so, als sei das ein herausragendes Ereignis und als sei die Lage in diesem Land nun viel besser und sicherer.
Das ist mitnichten der Fall.
(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)
Wenn wir in unserer Regierungszeit nach jeder Festnahme eine Aktuelle Stunde beantragt hätten, dann wäre für vieles andere im politischen Raum kein Platz mehr gewesen, meine Damen und Herren.
(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von Thomas Stotko [SPD] und Ibrahim Yetim [SPD])
Herr Yetim, Sie stellen auf das NPD-Verbotsverfahren ab. Dazu kann ich Ihnen als Liberaler ganz klar sagen: Ich setze mich mit diesen Menschen auseinander – egal, ob sie einer Partei angehören oder nicht.
(Zuruf von der SPD: Das sind doch nur dumme Menschen, sagt Ihr Vorsitzender, Herr Rösler!)
Sie werden ihre Ideologie nicht deswegen aufgeben, weil sie verboten ist. Deswegen nützt das nichts. Deswegen nützen auch die Verbote im salafistischen Bereich nichts. Wir haben doch gesehen: Immer wieder wird etwas verboten, aber trotzdem ist in den Köpfen der Menschen weiter dieses falsche, demokratiefeindliche, gewalttätige Potenzial enthalten.
(Thomas Stotko [SPD]: Dumm! – Dietmar Bell [SPD]: 20 Millionen € aus Staatsmitteln! – Zuruf von Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN] – Weitere Zurufe)
Ich möchte mich mit den Ursachen auseinandersetzen, ich möchte mich mit der Bekämpfung auseinandersetzen, aber nicht mit Placebos, meine Damen und Herren.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Die Überschrift des Antrags dieser Aktuellen Stunde lautet ja: „Ursachen und Erscheinungen des verfassungsfeindlichen Salafismus in NRW konsequent bekämpfen“. Ich habe mich gefragt: Was heißt das denn aus Ihrer Sicht? Darauf sind die beiden Redner von Rot und Grün Antworten schuldig geblieben.
(Beifall von Ulrich Alda [FDP])
Frau Schäffer sagte zum Beispiel: Wir brauchen Bildungsarbeit. – Warum haben Sie dann in den letzten drei Jahren nicht die nötige Bildungsarbeit gemacht, meine Damen und Herren?
(Beifall von der FDP)
Sie sagen: Justiz muss sich ändern. – Ja, Justiz muss sich auch ändern. Aber warum haben Sie denn in den letzten drei Jahren nicht Entsprechendes auf den Weg gebracht?
Während Ihrer Regierungszeit ist die salafistische Szene explodiert, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Das ist bedrohlich und bedenklich.
(Zurufe von Thomas Stotko [SPD] und Dietmar Bell [SPD])
Ob Oberhausen, Gladbeck, Solingen, Wuppertal, Düsseldorf oder Bonn – überall ist die salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen quasi explodiert.
Da erwarte ich vom Innenminister, dass er die nötigen Schwerpunkte setzt. Was macht der Innenminister aber? – Er bindet seine Polizeikräfte in Blitzmarathons und ähnlichen Aktionen.
(Beifall von der FDP und Peter Biesenbach [CDU])
Was macht die Landesregierung? – Sie demotiviert die Polizistinnen und Polizisten noch, indem sie ihnen noch nicht mal eine Gehaltserhöhung zubilligt, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)
Das sind doch die Fakten in Nordrhein-Westfalen. Und dann erwarten Sie, dass sich die Beamtinnen und Beamten mit vollem Engagement einsetzen. So geht das nicht.
Wenn Sie davon sprechen, was ja richtig ist, dass auch Integrationsthemen erforderlich sind, dann frage ich mich – wenn ich mich hier umschaue –, warum das Kabinett hier heute nur sehr bescheiden vertreten ist.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Es ist heute Bundesrat, Herr Kollege!)
– Das mag ja sein, dass Bundesrat ist. Aber hier sind nur der Innenminister und Frau Löhrmann, die bei den Damen und Herren der Regierung vielleicht noch ein bisschen für die Bildung mitverantwortlich ist.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Ein bisschen!)
Das war es auch schon. Wo ist denn hier jemand, der sich für die religiösen Fragen einsetzt, für die Integration, für all diese anderen Themen einsetzt?
(Beifall von der FDP)
Wir diskutieren hier, weil sich Rot-Grün eine schöne Schlagzeile machen will. In der Realität interessiert es nicht mal die eigene Regierung.
Meine Damen und Herren, wir erwarten von der Landesregierung, dass sie tatsächlich einen Schwerpunkt in der Bekämpfung des Salafismus setzt, dass sie sich nicht ausruht auf einem einmaligen Erfolg, einer Festnahme, dass sie alles daransetzt, die Taten aufzuklären. Ich erinnere nur an den Anschlag in Bonn – da haben wir bis heute keine Lösungen.
Ich denke, wir müssen auch bei der Bekämpfung der Hetze im Internet Schwerpunkte setzen. Dazu habe ich von der Landesregierung noch gar nichts gehört. Und wir müssen auch bei den JVAs etwas tun. Aber wenn es schon so ist, dass in Hamburg ein normaler Krimineller nach 20 Jahren im Knast drogensüchtig durch die Lande zieht
(Dietmar Bell [SPD]: Ist das miserabel!)
und dabei wahrscheinlich andere Menschen verletzt hat, dann habe ich kein besonderes Vertrauen in den Strafvollzug in NRW.
(Beifall von der FDP)
Wir brauchen ein Konzept gegen Unterwanderung von NRW-Institutionen. Wir haben gehört, einmal war es ein Polizist. In Essen gab es schon ein ähnliches Thema. Dann hatten wir einen Berufsschullehrer in NRW, der wahrscheinlich mit viel Geld vom Land NRW in einen Arbeitsschutzprozess gegangen ist. Auch da, meine Damen und Herren, fehlen Ihnen die Konzepte.
(Thomas Stotko [SPD]: Zum Thema fällt Ihnen nichts ein!)
Ich resümiere: Wir sollten hier zu einer Feierstunde zusammenkommen. Es gibt aber keinerlei Anlass zum Feiern, ganz im Gegenteil. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP – Dietmar Bell [SPD]: Miserabel! – Serdar Yüksel [SPD]: Das war ganz peinlich, keine Argumente!)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die Piraten spricht der Kollege Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Das Verbot der drei salafistischen Organisationen durch Herrn Bundesminister Friedrich und die Festnahme von vier Personen in Nordrhein-Westfalen, die mutmaßlich einen Mordanschlag verüben wollten, sind schon ausreichend erwähnt worden. Diese beiden Ereignisse zeugen von der hervorragenden Arbeit der Ermittlungsbehörden, auch unserer Polizei. Sie zeigen zudem, dass unsere Demokratie gut geschützt ist.
Meine Damen und Herren, religiöse Fanatiker sind ein Problem. Sie verteilen beispielsweise Ratgeberbroschüren, in denen sie sich für Körperstrafen, also Züchtigungen, aussprechen. Sie trennen nicht zwischen Politik und Religion. Sie nehmen für sich in Anspruch, als Einzige den wahren Weg zum Glauben an Gott gefunden zu haben. Die Ehe ist für sie die einzig legitime Form des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau. Den Frauen gestehen sie lediglich eine Rolle im Haus und in der Kindererziehung zu. Sie legen ihre Heilige Schrift wörtlich und fundamentalistisch aus und versuchen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Sie vertreten damit ein unserem Grundgesetz entgegenstehendes Weltbild.
Ich sollte erwähnen, dass ich mit diesen Worten die Evangelikalen beschrieben habe, die in einigen Gruppen in Deutschland einen solchen christlichen Fundamentalismus praktizieren. Auch die Evangelikalen gewinnen in Deutschland – wie weltweit – immer mehr Anhänger und wollen Einfluss auf die Politik nehmen.
Mit eben genannten Kriterien wird auch – nach Angaben des Innenministeriums – die Beobachtung der Salafisten gerechtfertigt. Sollte das also nicht auf alle religiösen Fanatiker angewandt werden, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören?
Die politische Auseinandersetzung mit religiösem Fundamentalismus ist wichtig und richtig. Aber man muss dabei sehr vorsichtig sein, nicht in Pauschalismen abzugleiten. Zu schnell benutzen Populisten die Argumente, um die ganze Glaubensrichtung verächtlich zu machen. Das ist dann besonders ärgerlich, wenn die Medien noch dabei mithelfen. Es war nur schwer erträglich, wie der Chef der rechtsextremistischen Pro NRW den Verdacht eines Anschlags auf ihn ausnutzte, um sich in den Medien zu profilieren und sich als „Retter“ einer angeblich drohenden Islamisierung aufzuspielen.
In Deutschland leben rund 4 Millionen Muslime. Etwa 1 Promille davon – 4.500 nach den neusten Zahlen – wird zu der Gruppe der Salafisten gerechnet. In Nordrhein-Westfalen leben davon etwa 1.000.
Das Innenministerium räumt dazu auf seiner Webseite ein – und das steht im Widerspruch zu Ihren Angaben, Herr Sieveke –, dass nicht alle politisch tätig sind und der weit überwiegende Teil friedlich ist. Der Anteil der gewaltbereiten Salafisten in Nordrhein-Westfalen wird auf ca. 100 Personen geschätzt, 20 davon besonders aktiv.
Zum Vergleich: Herr Minister Jäger geht gleichzeitig von 400 bis 600 gewaltbereiten Rechtsextremisten in NRW aus. Damit möchte ich das Problem nicht kleinreden, aber in Relation setzen.
In Ihrem Antrag zu dieser Aktuellen Stunde schreiben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, dass der Landtag NRW eindeutig gegen den verfassungsfeindlichen Salafismus Stellung beziehen muss.
Zwar würden wir von den Piraten uns wünschen, dass der Landtag generell gegen jede Art von religiösem Fundamentalismus Stellung bezieht, aber selbstverständlich gehen wir bei dieser Formulierung mit.
Was mir aber Sorgen macht, ist der Teilsatz, ich zitiere:
„Die dauerhafte Bekämpfung des Salafismus ist daher gleichermaßen angewiesen auf das entschiedene Vorgehen der Sicherheitsbehörden …“
Wir sehen die Rolle der Sicherheitsbehörden in der Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und nicht so sehr in der Bekämpfung einer fundamentalistischen Ideologie. Insofern sehe ich diese Formulierung sehr skeptisch. Wir wollen nicht, dass am Ende neue Überwachungsmaßnahmen stehen, die mit der vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahr des Salafismus begründet werden. Davor kann ich nur warnen.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir werden uns erweiterten Überwachungsmaßnahmen und der Einschränkung von Bürgerrechten entschieden entgegenstellen.
Wie Frau Schäffer schon erwähnt hat, will Bundesinnenminister Friedrich bei der Innenministerkonferenz im Mai einen Gesetzentwurf vorlegen, der schnelle Abschiebungen erlaubt. Wir fordern die Landesregierung hiermit auf, einen solchen Gesetzesentwurf entschieden abzulehnen.
(Beifall von den PIRATEN)
So sehr fundamentalistisch-religiöse Ideologien auch abzulehnen sind, so ist die Abschiebung der Personen, die sie vertreten, doch keine Lösung des Problems – ganz abgesehen davon, dass, wie schon erwähnt, Deutsche, die eine zentrale Rolle in der salafistischen Szene spielen, schlecht abgeschoben werden können.
Nein, restriktive Gesetze, Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte können nicht die Antwort einer freiheitlichen Demokratie auf Bedrohung durch Fundamentalismus sein. In einer freiheitlichen Demokratie setzen wir auf Ursachenforschung, Aufklärung und Bildung.
Dazu gehört unserer Meinung nach auch ein qualifiziertes Aussteigerprogramm, wie es zum Beispiel von EXIT für ausstiegswillige Rechtsextremisten angeboten wird. Die sichere und langfristige Finanzierung solcher preisgekrönten und renommierten Projekte halte ich für extrem wichtig.
(Beifall von den PIRATEN)
Ein Aussteigerprogramm, das vom Verfassungsschutz organisiert wird, ist an der Stelle falsch, schon allein deswegen, weil es dabei zu Interessenkonflikten kommen muss. Ein wirkungsvolles Aussteigerprogramm kann nur unabhängig von Behörden agieren.
Wie kommt es, dass der Salafismus überhaupt Zulauf – gerade von jungen Menschen – erhält? Der Extremismusforscher Dr. Straßner erklärt den Zulauf mit der Suche nach Orientierung. Der Verein Sekten-Info Nordrhein-Westfalen gibt zu bedenken, dass – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – Jugendliche mit Ausgrenzungserfahrungen sich von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen und Halt suchen.
Der Verweis auf diese Ausgrenzungserfahrungen zeigt, dass auch die Integrationspolitik ein großes Stück Mitverantwortung trägt. Vieles wurde in der Vergangenheit falsch gemacht. Es hat sich in den letzten Jahren zwar einiges gebessert, es gibt Programme – aber es gibt im Bereich der Integration und der Inklusion von Migranten noch immer viel zu tun. Ein Beispiel ist das Wahlrecht für Migrantinnen und Migranten. Ein anderes Beispiel ist die unselige Optionspflicht, die endlich abgeschafft gehört.
(Beifall von den PIRATEN)
Wenn wir es schaffen, dass sich junge Menschen aufgrund ihrer ethnischen und/oder sozialen Herkunft nicht mehr ausgegrenzt fühlen, dann ist das ein viel größerer Erfolg gegenüber verfassungsfeindlichen Ideologien, als es restriktive Gesetze und repressive Maßnahmen je sein können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Jäger das Wort.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil Vorredner auf das NPD-Verbotsverfahren Bezug genommen haben und aufgrund der einleitenden Worte der Landtagspräsidentin zu den historischen Bezügen des heutigen Datums würde ich gerne etwas zu diesem Verbotsverfahren sagen wollen.
Ich finde, die Landtagspräsidentin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass schon einmal eine Demokratie auf deutschem Boden zerstört wurde, weil politischer Extremismus unterschätzt wurde – schlimmer noch: weil bürgerliche Parteien glaubten, sich zur Machterhaltung politischen Extremismus zunutze machen zu können.
Ich bin in meiner Haltung zum NPD-Verbotsver-fahren durch zwei Dinge geprägt:
Erstens durch Besuche anlässlich von Landtagswahlkämpfen in Ostdeutschland. Ich habe gesehen, dass die NPD dort inzwischen das Straßenbild dominiert, wie sehr sie in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen versucht. Versetzt man sich dann mal in die Lage von Menschen in diesen Bundesländern, die möglicherweise anders denken oder anders aussehen, dann kann man eine Vorstellung davon gewinnen, wie sehr die Hetze der NPD diese Menschen bereits jetzt einschüchtert.
Der zweite Umstand, der meine Haltung zum NPD-Verbotsverfahren geprägt hat, ist die Tatsache, dass wir als Demokraten inzwischen seit elf Jahren darüber diskutieren, ein Jahr sehr intensiv Material zusammengetragen haben – davon übrigens die Hälfte von Bundesbehörden geliefert – und in der Beurteilung dieses Materials der Bundesinnenminister und alle Landesinnenminister einhellig zu der Auffassung gekommen sind, dass dieses mehr Chancen als Risiken für ein Verbotsverfahren mit sich bringt.
Insofern sollten wir im Respekt vor Menschen wie Otto Wels, die die Landtagspräsidentin vorhin zitiert hat, die sich selbst gegen politischen Extremismus gestellt haben, dabei Risiken für sich selbst oder ihre Familien in Kauf genommen haben, das Mittel der deutschen Verfassung auch nutzen, verfassungsfeindliche, aggressiv-kämpferische Parteien zu verbieten.
(Beifall von der SPD)
Ich sagen Ihnen, Herr Dr. Orth, und den Kolleginnen und Kollegen der CDU ganz deutlich: Ich finde es erbärmlich, dass eine Bundesregierung ein Jahr lang nur herumlaviert und herumeiert, statt in dieser Frage eine klare Position zu beziehen, dabei die Chance außer Acht lässt, als ein Verfassungsorgan dieses Verbotsverfahren zu unterstützen, und zwar nicht deshalb, weil es dadurch möglicherweise erfolgreicher wird, sondern deshalb, weil uns das unsere Demokratie nach meiner Auffassung eigentlich wert sein sollte.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Dr. Orth, eines muss in diesem Zusammenhang auch klar sein: Dass der Bundesvorsitzende der Freien Demokratischen Partei, selbst ein Mensch mit Migrationshintergrund, zu einer Entgleisung kommt wie der, politischen Extremismus/Rechtsextremismus als Dummheit zu verniedlichen, ist, wie ich finde, in diesem Land nicht zu tolerieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Da sollten Sie auch nicht rumschwurbeln, dass man Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft bekämpfen muss. Ich bin zwar auch dieser Auffassung; aber diesem Verfahren nicht beizutreten, das ist für einen Demokraten eigentlich ein großer Fehler.
(Christian Lindner [FDP]: Sagen Sie das doch mal der grünen Bundestagsfraktion!)
– Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde jetzt gerne zum Thema dieser Aktuellen Stunde kommen.
Sie wissen, dass die Polizei am letzten Mittwoch vier Salafisten …
(Lebhafter Widerspruch von Christian Lindner [FDP])
– Herr Lindner, beruhigen Sie sich einfach! Am Ende wird alles gut, Herr Lindner. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die Polizei hat am Mittwoch der letzten Woche vier Salafisten festgenommen, die einen Anschlag auf Mitglieder der rechtsextremistischen Bürgerbewegung Pro NRW geplant hatten. Wenn es gewünscht wird, kann ich in der zweiten Runde zur Aktuellen Stunde gern auf Einzelheiten dieser Festnahme eingehen. Das möchte ich Ihnen ausdrücklich anbieten. An dieser Stelle möchte ich nur deutlich sagen, dass unsere Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen mit diesen Festnahmen ganz erheblich dazu beigetragen haben, schwere Straftaten in diesem Land zu verhindern. Das gilt sowohl für die Ermittlungen im Vorfeld als auch für die Festnahmen selbst.
Ich sage im Plenum und in den Ausschüssen immer, dass wir in Nordrhein-Westfalen im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus gut aufgestellt sind. Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, haben die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang – davon bin ich überzeugt – außerordentlich erfolgreiche und sehr gute Ermittlungsarbeit geleistet. Dafür sollten wir den Sicherheitsbehörden auch gemeinsam danken.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich würde gern noch etwas zum Salafismus sagen, was in der Diskussion hier zwar angeklungen ist, aber, wie ich finde, nicht deutlich genug herausgearbeitet worden ist. Wir leben in diesem Land mit 4 Millionen Muslimen friedlich zusammen. Der Islam ist eine friedliche Religion. Politischer Extremismus unter Muslimen in Deutschland stellt eine absolute Minderheit dar.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Wir müssen dies zu jeder Zeit deutlich machen, damit nicht in diese Gesellschaft, den Zusammenhalt dieser Gesellschaft ein Keil hineingetrieben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in Nordrhein-Westfalen vieles begonnen, um dem Salafismus tatsächlich die Stirn zu bieten. Es handelt sich dabei um eine sehr dynamisch wachsende Bewegung, der im Übrigen sehr viele bislang wenig religiöse Menschen angehören. Darunter sind sehr viele deutsche Konvertiten. Die Mehrzahl der salafistischen Szene besteht aus Menschen, die Deutsche sind – um es deutlich zu sagen. Sie hängen einer Ideologie nach, die für komplizierte Lebensverhältnisse scheinbar alle Antworten gibt – einfach, aber radikal.
Der von mir geschätzte WDR-Redakteur Paul Elmar Jöris hat es in einer Podiumsdiskussion, an der ich teilnehmen durfte, etwas scherzhaft, aber meines Erachtens zutreffend auf den Punkt gebracht: Begegnet ein Jugendlicher in einer Lebenskrise mit nicht vollständigen Wertevorstellungen einem Rechtsextremisten, wird er Rechtsextremist. Begegnet er einem Linksextremisten, wird er Linksextremist. Begegnet er einem Salafisten, hängt er der salafistischen Ideologie an. Weiter hat Paul Elmar Jöris gesagt – Zitat –: Und begegnet er Horst Hrubesch, spielt er mit Begeisterung Fußball.
Das macht wohl deutlich, worum es hier eigentlich geht und wo die Ursache des politischen Salafismus und des gewaltorientierten Salafismus liegt. Er ist deshalb so attraktiv, weil er mit seiner Ideologie auf Menschen wirkt, die sich in Lebenskrisen befinden, die sich noch nicht gefunden haben.
Deshalb ist es wichtig, dass wir dem Salafismus sowohl mit Repression als auch Angeboten im Bereich Bildung und Prävention begegnen.
Das ist auch der Leitfaden für unsere Arbeit. Deshalb haben wir in Nordrhein-Westfalen jetzt begonnen, ein Ausstiegsprogramm für Salafisten auf den Weg zu bringen, das Ratgeber für Menschen im Umfeld von Salafisten sein soll – ganz oft wenden sich Eltern an die Sicherheitsbehörden –, aber auch für die Ausstiegswilligen selbst.
Wir wollen jetzt beginnen, an drei Orten Anlaufpunkte zu schaffen, an denen wir gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und gemeinsam mit dem Fachverstand von Jugendämtern, Schulen und Familienberatungsstellen, aber auch dem religiösen Sachverstand von Moscheevereinen vor Ort wirken wollen, um junge Menschen über die Gefahren des Salafismus aufzuklären und diesen Gefahren entgegenzutreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde gerne mit einem Zitat von Wilhelm Busch enden: „Toleranz ist gut. Aber nicht gegenüber Intoleranten.“
Ich glaube, dass der Weg, dem Salafismus mit Repression konsequent entgegenzutreten, aber durch präventive Angebote zugleich die Brücke heraus zu bauen, der richtige Gedanke, der richtige Leitfaden ist. Ich appelliere an dieses Hohe Haus, die Landesregierung auf diesem Weg zu unterstützen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Der Minister hat die Redezeit in der ersten Runde um zwei Minuten überzogen. Wir werden in der zweiten Runde bei den Fraktionen entsprechend großzügig sein. – Der nächste Redner für die CDU-Fraktion ist Herr Kollege Biesenbach.
Peter Biesenbach*) (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Kollege Yetim hier ans Mikrofon trat und sprach, war mir klar: Dem können wir in weiten Teilen zustimmen. – Herr Yetim, Sie haben sich auch in den letzten Monaten – wir haben ja gemeinsam manches Thema besprochen – sachkundig gezeigt und auch deutlich gemacht, dass der Weg, den der Minister am Ende angedeutet hat, nämlich Repression und Angebot, der richtige ist.
Dann kamen allerdings zwei Redner, bei denen ich sagen muss: Da hat es mich geschüttelt.
(Thomas Stotko [SPD]: Herr Dr. Orth?)
Frau Schäffer, das war bei Ihnen und auch bei Herrn Herrmann der Fall. Wer davon ausgeht, dass diese Problematik mit einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung erledigt werden könne, oder meint, wir dürften keine Repression anwenden, kann eigentlich nicht in Deutschland leben.
Im September 2012 wird ein Salafist dafür verurteilt, dass er zwei Polizeibeamte mit Messern angreift, keinerlei Einsicht zeigt und sagt: Das mache ich wieder; denn sie wollen etwas anderes als ich.
Im Dezember 2012 drohen Salafisten Geiselnahmen an, um ihn freizupressen.
Im März 2013 – das hat der Innenminister gerade gesagt – werden Menschen festgenommen, die Sprengstoffattentate vorbereiten – auf wen auch immer –, die Verbrechen vorbereiten.
Das ist nicht der Kreis, von dem wir glauben, dass wir gesellschaftlich mit ihm umgehen können. Das ist auch nicht der Kreis, bei dem wir keine restriktive Überwachung oder repressive Maßnahmen bräuchten. Ich hätte mir gewünscht, wir alle würden deutlich machen, dass der Weg, der unter der Überschrift „Repression und Angebot“ läuft, hier der richtige ist.
Herr Jäger, auch Sie haben mich aber mit Ihrer Rede enttäuscht. Wer in einer Aktuellen Stunde über den Salafismus minutenlang das NPD-Verbot plump dazu gebraucht, parteipolitische Auseinandersetzung zu führen, hat auch das Thema verfehlt und die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dem Verfahren nicht beizutreten, ist keine Frage von pro oder kontra NPD, sondern eine Frage des Sinns. Sie zwingen auch mich, noch 30 Sekunden darüber zu sprechen. Die Bundesregierung hat schlicht Bedenken, ob es überhaupt zu einem Verbot kommen kann. Damit werden Sie denjenigen, die Sie hochbringen, eine Bühne bieten, die wir alle nicht wollen. Dann können wir darüber reden, wer der Klügere ist und wer nicht.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Genauso dumm ist es, permanent Feindbilder zu schaffen, wie den Bundesinnenminister, Frau Schäffer. Wenn alle so klare Vorstellungen hätten, wie das geregelt werden könnte, dann ginge es uns in Deutschland deutlich besser, und wir hätten nicht Diskussionen, bei denen sich zumindest in den Reihen der CDU – ich glaube, auch in anderen Reihen – manche Miene verzog, weil man nur sagen kann: Das ist weltfremd.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Worüber reden wir denn? – Wir reden doch nicht über ein paar verirrte Menschen, die draußen stehen und bitten, man möge ihnen helfen. Wir reden von hochaggressiven Personen, die jederzeit bereit sind, zuzuschlagen.
(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])
Ich zitiere – auch für Sie, Herr Herrmann, beschäftigen Sie sich doch mal mit den Fakten! – Herrn Freier, der nicht im Verdacht steht, uns zuzuarbeiten, aus der „Neuen Westfälischen“:
Selbst mit einer Nachahmung der schrecklichen Mordserie, die durch das Zwickauer Terrortrio des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) in Deutschland verübt wurde, „müssen wir rechnen“.
Das ist die Truppe, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Wir haben „neue Aktionsformen“ mit hochaggressiven Menschen, „denen keinerlei Planung mehr vorausgeht.“ Propagiert wird im Internet – Sie sollten mal reingucken – „der spontane, unberechenbare Widerstand. Er habe nur zum Ziel, Anschläge zu verüben und die demokratische Gesellschaft zu destabilisieren.“ Das ist die Situation.
Wir erleben eine völlig andere Art von Rekrutierung, so der Verfassungsschutz. Ich zitiere wieder die „Neue Westfälische“:
Im Internet lasse sich „ohne Ende Propaganda“ finden, aber man müsse „dreimal hinschauen“, um die wahren Hintergründe und Absichten zu erkennen. Salafisten würden in ihrer Werbung „immer moderner“. Ihre Filme und YouTube-Auftritte seien „jugendaffin, interaktiv und erlebnisorientiert“. Geschickt werde das Bedürfnis junger Menschen zur Rebellion aufgegriffen, um sie für den Jihad zu gewinnen.
Das ist die Situation.
Ich zitiere ein letztes Mal den Leiter des Verfassungsschutzes:
In der salafistischen Szene gebe es „gewaltbereite Kleinstgruppen“, die sich effektiv tarnen und verstecken, sagte Freier. Einzelne Personen würden sich „binnen weniger Monate“ in Chatrooms und Internetforen radikalisieren.
Zu welchem Ergebnis kommen Polizeibeamte? Sie sagen ganz simpel: Wir verlieren die Kontrolle über die Extremisten, weil wir sie ob ihrer Menge gar nicht verfolgen können.
Der Leiter unseres Verfassungsschutzes musste im September im Innenausschuss erneut zugestehen: Die 500, die noch im Verfassungsschutzbericht standen, reichen nicht mehr aus, es sind bereits mindestens 1.000 in Nordrhein-Westfalen. Jetzt kommt der entscheidende Satz: Und je mehr wir hinschauen, umso mehr werden es.
Das ist die alarmierende Situation, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Neben allen Angeboten, neben allen Zuwendungen ist es erforderlich, den Staat zu schützen. Dabei sind – das muss ich nach den Reden feststellen – sowohl die Piraten als auch die Grünen Totalausfälle.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn wir ein Stückchen weitergehen wollen, was die Erfolge angeht, Herr Jäger, dann müssen wir nach den eigenen Angaben Ihres Ministeriums damit rechnen, dass etwa 50 Salafisten in Nordrhein-Westfalen leben, die aus den Ausbildungslagern in Waziristan oder der Nachbarschaft zurückgekommen sind und heute jederzeit in der Lage sein dürften, kriminelle, terroristische Aktionen vorzubereiten.
In dem Augenblick, als Sie ihre Vereine verboten haben, sind etwa 30 aus Deutschland nach Pakistan, in den Irak oder auch nach Afghanistan geflogen, wie ich höre, um dort zu kämpfen. Glauben Sie, die kommen wieder, um hier mit Frau Schäffer eine Diskussion über gesellschaftspolitische Zustände zu führen?
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn die wieder nach Deutschland kommen, haben sie ganz andere Ziele, Frau Düker. Wenn Sie jetzt den Kopf schütteln, haben Sie die Zeichen der Zeit auch nicht erkannt. Es gilt ganz simpel, hieran zu arbeiten.
(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist Demagogie, was Sie hier machen!)
Herr Yetim wird in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ mit der Sorge zitiert, die Ruhr-Universität Bochum würde unterwandert.
(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was für ein Scheiß!)
Das ist die Situation, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Ich habe kein einziges Wort dazu gehört, was Sie wirklich tun wollen.
Dazu, dass wir rund 100 gewaltbereite, jederzeit handlungsfähige Salafisten in Nordrhein-Westfalen haben, kommt kein Wort von Ihnen. Der Innenminister kann sie gar nicht alle überwachen, so viel Personal hat er nicht. Wenn es stimmt, Herr Jäger, dass Sie da nichts geändert haben, dann haben wir vier Gefährdergruppen bei den Salafisten. Die ersten beiden werden teilweise nachrichtendienstlich beobachtet, der Rest überhaupt nicht.
Daher bekommen Sie nicht mit, dass Salafisten plötzlich Lehrer sind. Das hat nicht der Verfassungsschutz herausgefunden – er konnte das aus Personalmangel gar nicht –, sondern das musste die Polizei feststellen. – Sie haben nicht festgestellt, dass Murat K. monatelang Religionsunterricht gab, dass er hier gehegt und gepflegt wurde. Das sind Situationen, bei denen wir sagen: Hier muss etwas getan werden.
Dann sind wir bei Ihnen und sagen: Repression und Angebot. Wir helfen gerne bei dem Aussteigerprogramm. Wir unterstützen Sie auch dabei, Angebote für die Gutwilligen zu unterbreiten. Nur erwarten wir hinsichtlich derjenigen, die nicht gutwillig sind, dass die Landesregierung deutlich zeigt, dass Sie handeln will und handeln kann. Ich glaube Ihnen sogar, dass Sie es wollen. Aber dass Sie es können, müssen Sie noch unter Beweis stellen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Heinrichs.
Falk Heinrichs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Wohnung in Netphen durchsucht – Bundesanwalt vermutet einen Gotteskrieger“ lautete gestern Morgen eine Überschrift in der „Siegener Zeitung“. Es besteht der Verdacht, dass der Wohnungsinhaber Mitglied oder Unterstützer einer salafistisch-terroristischen Vereinigung ist.
Ein Zusammenhang zu den jüngsten Festnahmen im Rheinland soll nicht bestehen. Dennoch wird an dem Beispiel aus meinem ländlich geprägten Wahlkreis deutlich, dass es in ganz Nordrhein-Westfalen islamistische Umtriebe gibt, denen wir im Rahmen unserer rechtsstaatlichen Möglichkeiten konsequent Einhalt gebieten müssen.
Die spektakulären Ereignisse und Ermittlungserfolge der vergangenen Tage haben leider deutlich gemacht, dass die terroristischen Gefahren durch gewaltbereite und extremistische Salafisten nicht unterschätzt werden dürfen.
An dieser Stelle möchte ich unserem Innenminister Ralf Jäger und natürlich auch den beteiligten Sicherheitsbehörden ebenfalls danken für die hervorragende Ermittlungsarbeit
(Beifall von der SPD)
und die erfolgreichen Zugriffe in Bonn, Leverkusen und Essen.
Durch die gute Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz ist es gelungen, einen terroristischen Anschlag zu verhindern. Dass dieser Anschlag dem Vorsitzenden der rechtsradikalen Gruppierung Pro NRW gegolten hätte, schmälert das Unrecht und die kriminelle Energie derjenigen nicht, die diesen Anschlag geplant haben. Wir alle wissen, dass Pro NRW Muslime regelmäßig auf unsägliche Weise provoziert und den öffentlichen Frieden so gefährdet. Terroristische Antworten darauf sind jedoch in keinster Weise akzeptabel. Gewalt darf niemals zu einem Mittel der politischen Auseinandersetzung in unserem Land werden.
(Beifall von der SPD und der CDU)
Meine Damen und Herren, nach dem bundesweiten Verbot der salafistischen Vereinigung Millatu Ibrahim im Jahr 2012 wurde jetzt auch deren als harmloser Spendensammler getarnter Ableger, der in Gladbeck ansässige Verein An-Nussrah verboten. Das war auch richtig so.
Wir müssen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um extremistischen Umtrieben dieser Art rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Leider handelt es sich im salafistischen Milieu aber nicht selten um lockere Zusammenschlüsse von Personen, also um Gruppierungen jenseits des Vereinsrechts, was ein entschlossenes rechtsstaatliches Vorgehen gegen sie natürlich erschwert.
Nach heutigen Erkenntnissen – das ist eben auch schon öfter angesprochen worden – gibt es in Nordrhein-Westfalen rund 1.000 Salafisten, die als extremistisch einzustufen sind, von denen ca. 100 dem besonders extremen dschihadistischen Salafismus zuzurechnen sind, Tendenz extrem steigend. Dieser bekennt sich offen dazu, unsere verfassungsrechtliche Ordnung gewaltsam zu zerstören.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir nicht zulassen.
Den extremistischen Salafisten und sonstigen gewaltbereiten Islamisten stehen Millionen gesetzestreue Muslime gegenüber, die bei uns leben und mit den fundamentalistischen Fanatikern nichts im Sinn haben. Wir sollten uns daher hüten, diese überwältigende Mehrheit friedliebender Muslime für islamistische Exzesse mitverantwortlich zu machen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir müssen vielmehr alles vermeiden, was insbesondere junge Muslime in die Arme der Extremisten treiben könnte. Wir müssen an die Ursachen heran. Das hat Frau Schäffer eben in ihrer Rede ganz deutlich gesagt. Die Ursachen müssen in der Bekämpfung ganz deutlich nach vorne gestellt werden.
Ganz entscheidend für die Bekämpfung jeder Art ist eine optimale Kooperation und Vernetzung unserer Sicherheitsbehörden, auch über die Ländergrenzen hinweg.
Meine Damen und Herren, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz muss sich vor allem auf den sogenannten politischen Salafismus konzentrieren, der ein wichtiges Rekrutierungsbecken für die besonders radikalen, gewaltorientierten Zellen ist. Besonders im Fokus müssen die Internetaktivitäten der verschiedenen Gruppierungen stehen. Diese sind primär auf junge Menschen zugeschnitten, die angesprochen und radikalisiert werden sollen.
Als ehemaliger Soldat weiß ich, dass die Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nach innen wie auch nach außen eine wehrhafte Demokratie voraussetzt. Der Innenminister hat bereits im Januar zu Recht darauf hingewiesen, dass wir bei der Bekämpfung der verfassungsfeindlichen Salafisten gleichermaßen auf Repression und Prävention setzen müssen.
Die repressiven Möglichkeiten, die das Straf-, Polizei- und Ausländerrecht bieten, sind konsequent auszuschöpfen. Nicht weniger wichtig ist der präventive Ansatz. Die Präventionsinitiative des MIK zielt in die richtige Richtung.
Unbedingt unterstützt werden müssen staatliche und zivilgesellschaftliche Initiativen, die darauf gerichtet sind, das Abdriften junger Menschen in die salafistische Szene zu verhindern. Ebenso notwendig sind Ausstiegshilfen für Personen, die bereits in der Szene verstrickt sind.
Nur wenn wir das Problem an der Wurzel bekämpfen, haben wir hoffentlich eine Chance, den Salafismus dauerhaft einzudämmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Recht wird immer darauf hingewiesen, dass es letztlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, Extremismus, in welcher Form auch immer, Einhalt zu gebieten. Dass unsere nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden ihren Beitrag weiterhin gewissenhaft und erfolgreich leisten werden, davon bin ich überzeugt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Heinrichs, insbesondere auch vielen Dank für Ihre Jungfernrede.
(Allgemeiner Beifall)
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Herr Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass das ein wichtiges und sehr komplexes Thema ist, mit dem wir uns hier heute Vormittag beschäftigen.
Frau Kollegin Schäffer, Sie haben es sich zu einfach gemacht, wenn Sie in der Conclusio Ihrer Rede die überwiegende Schuld am Thema Salafismus bei der Bundesregierung abladen. Das ist einfach zu verkürzt, und dafür ist das Thema zu komplex.
(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])
– Sie protestieren. Aber ich möchte an der Stelle sagen:
(Zuruf von den GRÜNEN)
Es ist einfach sehr störend, dass die Grünen permanent den Anspruch erheben, selbst alles in Gut und Böse einteilen zu können.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das erinnert stark an das Freund-Feind-Denken von Carl Schmitt. Und das war nun wirklich nicht der Wegbereiter der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.
Meine Damen und Herren, Muslime sind Teil der Gesellschaft. Darum gehören sie auch in die Mitte der Gesellschaft. Darum gehören auch ihre Gebetshäuser integriert. Darum wollen wir offene, transparente und auch repräsentative Moscheen und nicht Hinterhofmoscheen. Dafür arbeiten wir vor Ort in den Kommunen genauso wie Sie. Da müssen Sie nicht glauben, dass Sie uns etwas voraus haben.
Ich sage Ihnen aber auch dazu, Frau Schäffer: Sie sind da an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch ein Stück weit zu naiv. Denn wir werden von vielen säkularen Muslimen angesprochen oder auch von gläubigen Muslimen, die ihre Religion privat leben. Die sind nicht damit einverstanden, dass es Moscheegemeinden gibt, die die Abgrenzung eben nicht vollziehen. Ich kann Ihnen das aus Bonn berichten. Kommen Sie uns einmal besuchen. Gucken Sie sich das einmal an. Wir sind leider auch Hochburg des Salafismus. Wir erleben, dass es in einzelnen Gemeinden eben keine entsprechende Abgrenzung gibt.
Deswegen möchte ich, dass wir hier im Landtag klar bekennen: Egal, ob katholisch, fundamentalistisch, evangelikal oder islamistisch, das spielt überhaupt keine Rolle – niemand darf seinen Glauben über unsere Verfassung stellen. Das muss für alle gelten. Da muss es einen klaren Strich geben.
(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Minister Jäger, obwohl wir hier eigentlich das Thema Salafismus debattieren wollten, habe Sie das NPD-Verbotsverfahren eben noch einmal breit diskutiert. Ich möchte deswegen darauf eingehen und darauf aufmerksam machen, dass die FDP im gesamten Diskussionsprozess um das NPD-Verbot klargemacht hat, dass wir das Prozessrisiko als viel zu hoch einschätzen und der NPD nachher mit einem verlorenen Prozess nicht die Bühne bereiten wollen.
(Beifall von der FDP)
Das haben wir von Anfang an bekannt. Das hat der Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn im Bundesrat für die FDP erklärt. An dieser Stelle möchte ich auch einmal deutlich sagen: Auch die Bundestagsfraktion der Grünen teilt unsere Auffassung.
(Beifall von der FDP)
Deswegen ist es vollkommen unangemessen, hier Empörung als Wahlkampfschlager zu intonieren. Herr Minister, ich sage Ihnen, der Vergleich zu Otto Wels und der Bezug auf die bewegende und ausgezeichnete Rede unserer Landtagspräsidentin heute Morgen ist ahistorisch. Sie werden damit der Leistung und dem Mut von Herrn Wels in der damaligen Debatte überhaupt nicht gerecht.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, ich hatte mir zu diesem Thema eine sachliche Debatte erhofft und gedacht, dass man über diese Facetten miteinander diskutieren und Dinge erörtern könnte. So, wie Sie die Debatte intoniert und Schuldige für den Salafismus in unseren Reihen gesucht haben, stärkt man am Ende nur die politischen Extremisten. Das kann nicht das Interesse dieses Hauses sein. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Abgeordnete Velte.
Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte gerne an das anknüpfen, was Herr Dr. Stamp zum Schluss gesagt hat. Genau das hätte ich mir auch gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in diesem Hause eine sachliche Diskussion führen können, eine Diskussion, die nach vorne führt, eine Diskussion, die genau diese Facetten beleuchtet, die im Rahmen der Redebeiträge herausgearbeitet worden sind, nämlich die Frage der Prävention auf der einen Seite und der Repression auf der anderen Seite.
Was erlebe ich? Ich erlebe Diffamierungen. Ich erlebe rückwärtsgewandte Polemik. Herr Biesenbach richtet sich auf und erzählt, Prävention sei wichtig. Er erzählt aber die ganze Zeit etwas über Repression, Repression, Repression. In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage von Frau Schäffer zu werten. Sie sagte: Innenminister Friedrich spricht von ausweisen, ausweisen, ausweisen. Damit werden wir doch dem Problem, über das wir heute sprechen, an keiner Stelle gerecht.
(Zurufe von der FDP)
Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der größte Teil des Personenkreises, über den wir heute sprechen, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Es ist also kein Problem von irgendwelchen auswärtigen Ländern, in die wir diejenigen ausweisen könnten. Es ist ein Problem, was in Solingen, in Bonn und in den anderen Städten existiert. Dessen müssen wir uns annehmen. Es geht doch nicht an, dass Sie mit diffamierenden Äußerungen gegenüber Frau Schäffer versuchen, dieses Problem politisch zu instrumentalisieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dieses Problem geht uns alle gleichermaßen an, weil es ein gesellschaftspolitisches Problem ist. Dazu gehört selbstverständlich das, was Sie alle gesagt haben. Es gehören die Netzpolitik, die Jugendarbeit, die Moscheegemeinden und die Politik dazu. Es gehört aber doch nicht dazu, mit ewig gestrigen, rein repressiven Vorstellungen aufeinander einzuhacken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Dr. Stamp, ich weiß, dass Sie sich mit gutem Gewissen auf kommunaler Ebene einsetzen. Ich kann Sie nur alle auffordern, dass wir uns an den Stellen, an denen wir in den Kommunen tätig sind, dafür einsetzen, die demokratische Grundordnung zu verteidigen, genauso wie es der Verfassungsschutz macht. Genauso haben wir es jetzt erlebt. Natürlich brauchen wir diese Verteidigungsbereitschaft der Demokratie.
Lassen Sie mich noch einmal ein Wort zur CDU sagen. Von Ihnen habe ich nichts über Pro NRW gehört. Pro NRW hat sich erdreistet, in den letzten beiden Wochen vor Flüchtlingsheimen mit fragwürdigen Parolen zu demonstrieren. Da zeigt sich die deutsche Zivilgesellschaft, die Sie anscheinend noch nicht erkannt haben, meine Herren.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Da sind Menschen jedweden Glaubensbekenntnisses, jedweder Hautfarbe und jedweder Herkunft auf die Straße gegangen und haben gesagt: Nein, das wollen wir nicht, wir leben in guter Nachbarschaft.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Im Rahmen dieser guten Nachbarschaft fordere ich Sie auf, bei aller Abgrenzung zu jeder extremistischen Auslegung von Religion diese Sache hier gemeinsam zu behandeln und sich nicht in irgendwelchen Diffamierungen zu ergehen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
– Es ist schön, dass Sie sich aufregen. Dann merke ich, dass ich Sie erwischt habe.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Ich möchte meine Redezeit damit beenden, wie meine Vorredner eine Lanze für die vielen Millionen Musliminnen und Muslime zu brechen, die in diesem Land leben und die man nicht für das verhaften sollte, was andere tun. Auch das sage ich an die Adresse von Herrn Yetim. Genauso wie wir uns von jeder Art fundamentalistischer Religionsausübung abgrenzen, müssen wir das als Demokraten tun. Ich möchte nicht für Auswüchse meiner Religionsgemeinschaft verhaftet werden. Das sollte man an anderen Stellen auch nicht tun.
In diesem Sinne wünsche ich uns demnächst gute Beratungen und eine aufrechte demokratische Kultur in diesem Hause. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Ich bin ein bisschen entsetzt, insbesondere von der CDU und von der FDP. Herr Minister Jäger, Ihre Rede hat mir heute sehr gut gefallen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind und auch häufig aneinanderstoßen.
(Daniel Sieveke [CDU]: Oh, oh!)
Das war schon in Ordnung.
Sie reden hier viel über Muslime, viel über Islam. Sie reden hier viel über Salafisten. Aber ganz ehrlich: Ich habe in diesem Bereich eher den Eindruck, dass Sie wie Blinde von der Farbe reden. Sie haben überhaupt keine Ahnung, wovon Sie reden. Wie viele Muslime kennen Sie eigentlich persönlich?
Herr Stamp, mal eine Moschee anschauen, das reicht nicht. Sie müssen solche Erlebnisse, die Muslime hier in Deutschland haben, einfach einmal persönlich erfahren.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Wie Sie!)
Ich sage es einmal so: Die Leute sind gefährlich. Das stimmt. Sie sind auch radikal, und sie müssen bestraft werden. Keine Frage! Aber wir müssen uns schon die Frage stellen: Warum sind sie so geworden? Und wie können wir verhindern, dass sie so werden?
Viele von Ihnen wissen es vielleicht, viele auch nicht: Ich gehe damit nicht unbedingt hausieren, aber ich bin einer dieser berühmten Konvertiten, über die wir hier auch reden. Ich bin nicht salafistisch, und ich bin auch nicht radikal. Ich bin da sehr gemäßigt, und ich bin eigentlich auch christlich erzogen worden. Meine Frau ist gebürtige Marokkanerin. Meine gesamte Schwiegerfamilie kommt dementsprechend natürlich auch aus diesem Land. Meine Schwiegermutter trägt Kopftuch. Gehen Sie einmal mit meiner Schwiegermutter, die ein Kopftuch trägt, und meinem Schwiegervater durch die Innenstadt einkaufen! Die Blicke, die Sie erhaschen, sind echt ein Witz!
Gehen Sie einmal an den Bahnhof, wo sich mein Schwiegervater, der 40 Jahre hier hart gearbeitet hat und jetzt in Rente ist, von dem Bodensatz dieser Gesellschaft anpöbeln lassen muss, er solle gefälligst nach Hause gehen. Dann wundern Sie sich, dass sich diese Menschen radikalisieren? Das ist nun echt ein Witz.
Mein Schwager, ein junger, intelligenter Mensch, hat Abitur und studiert jetzt. Er hat versucht, vor seinem Studium einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das ist verdammt schwer gewesen. Versuchen Sie einmal, als Frau mit Kopftuch irgendwo einen Garten zu bekommen. Das können Sie vergessen. Das ist Ausgrenzung in Reinformat.
(Daniel Sieveke [CDU]: Quatsch!)
– Das ist einfach so! – Natürlich radikalisiert sich deswegen nicht jeder. Das ist nicht die Frage. Aber die Tendenz geht in die Richtung.
Herr Jäger hat es eben sehr gut dargestellt: Das ist derselbe Effekt wie bei den Rechten: Da sind junge, verwirrte Menschen, die können in die eine oder in die andere Richtung gehen – je nachdem, wer gerade zuerst kommt. Das ist genau dieser Effekt.
Nur in diesem Fall ist es das Problem, dass es auch – nicht hauptsächlich, aber auch – auf der verfehlten Integrationspolitik von CDU und FDP basiert.
(Daniel Sieveke [CDU] [einen Vogel zeigend]: Weil es auch deutsche Konvertiten sind, die dabei sind!)
– Ja, nicht nur. Aber es geht um die Radikalisierung. Und es ist Ihre Stimmungsmache, die schon seit Jahrzehnten und auch heute wieder dazu beiträgt.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir müssen dazu beitragen, dass es in der Gesellschaft einfach besser wird. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Körfges.
Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte heute Morgen, als die Präsidentin mahnende und auch wichtige Worte an uns gerichtet hatte, eigentlich den Eindruck, das sei der richtige Beginn einer Debatte über religiös und politisch motivierten Extremismus und über die Art und Weise, wie man dagegen vorgehen kann. Leider ist in Teilen diese Debatte an ein paar Stellen – das ist jetzt keine Schuldzuweisung, sondern vielleicht am Ende einer Aussprache der Versuch, die Dinge wieder zusammenzubringen – in eine Richtung abgeglitten, die ich nicht für richtig halte.
Zum Beispiel auf die Regierungsbank zu schauen und zu fragen, wer bei diesem wichtigen Thema fehlt, ist angesichts der Tatsache, dass wir alle wissen, dass heute eine Bundesratssitzung ist, niveaulos, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Darüber hinaus ist auch der Versuch, sich wechselweise entweder fehlende Konsequenz beim Einsatz repressiver Mittel oder aber fehlendes Verständnis für die Notwendigkeit von Prävention in dem Bereich zu unterstellen, eine ziemlich schwierige Veranstaltung. Wenn Sie unseren Text genau gelesen hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten Sie davon ausgehen müssen, dass wir beides meinen. Das haben sowohl Frau Schäffer als auch andere Vertreterinnen und Vertreter der Koalition hier deutlich gemacht.
Natürlich dürfen wir Salafismus nicht verharmlosen. Uns ist allen klar, dass dieser Salafismus eine religiöse Extremismusform ist, die menschenverachtend, frauenfeindlich, demokratiefeindlich, ja insgesamt zu verurteilen ist. Und dort, wo sie gegen geltendes Recht verstößt und unser demokratisches Gemeinwesen gefährdet, ist sie natürlich auch mit repressiven Mitteln zu bekämpfen.
(Zustimmung von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Insofern sind wir sehr froh darüber, dass unser Innenminister das vernünftig macht.
Aber – das geht jetzt in die andere Richtung – diejenigen, die so werden, die zum Teil als deutsche Konvertiten so werden und dann irgendwo auffällig werden als Menschen und die eine solche Gesinnung nach außen tragen, fallen nicht vom Himmel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die werden zum Teil hier geboren, und an irgendeiner Stelle entscheiden sie sich dafür, sich politisch radikalisieren.
Ich glaube, dann ist es zu kurz gegriffen, dass wir an der Stelle nur über Repression reden. Wir müssen überlegen, warum es unserer Gesellschaft nicht gelungen ist, solche jungen Menschen, insbesondere junge Männer, zu integrieren, aufzunehmen und davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, für die demokratischen Werte unserer Gemeinschaft einzustehen. Das ist eine der Kernfragen.
Wir haben in unserem Anliegen beide Dinge miteinander vereinigen wollen. Wir halten es für gut und richtig, dass beide Aspekte betont werden. Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir die heutige Aktuelle Stunde dazu nutzen, um die Gemeinsamkeiten in dieser Frage nach vorne zu tragen, uns unterhaken und gemeinsam dann für die Rechte in unserem demokratischen Gemeinwesen eintreten
(Daniel Sieveke [CDU]: Gerne!)
und uns abgrenzen von jeder Form von religiös motiviertem Extremismus.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Dazu gehört dann auch – damit will ich gerne schließen – der Blick darauf, was sich am rechten Rand unserer Gesellschaft abspielt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war jetzt bei einer Demonstration gegen eine Pro-NRW-Veranstaltung. Klammer auf: Mit großem Bedauern habe ich feststellen müssen, dass da offensichtlich auch Symbole der Kolleginnen und Kollegen der Piraten missbraucht worden sind.
(Zurufe von den PIRATEN: Wir bedauern das auch!)
Ich gehe nicht davon aus, dass Sie damit etwas am Hut haben. Aber auch das ist eine Form von – ich sage mal – Anbiederung dieser pseudodemokratischen Strukturen, gegen die man sich intensiv zur Wehr setzen muss. Ich gehe davon aus und hoffe, dass Sie darauf die richtigen Antworten haben.
Meine Damen und Herren, diese Pro-NRW-Leute schaukeln sich und damit auch den religiösen Fundamentalismus wechselseitig hoch. Da werden gegenseitig Vorurteile munitioniert, und das führt dazu, dass wir an den Rändern unserer Gesellschaft eine ganz böse, integrationsfeindliche und ausländerfeindliche Stimmung bekommen. An der Stelle müssen wir dann auch dem rechten Rand in unserer Gesellschaft die Stirn bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein kleiner Ausflug zum Thema „NPD-Verbot“. Ich glaube, wir müssen den Rechtsschein, der von einer Verfasstheit einer Partei ausgeht, diesen Gruppierungen entziehen. Wir müssen denen die materielle Basis entziehen. Das gilt sowohl im Bereich des Vereinsrechts für salafistische Vereine als auch gerade und insbesondere für Parteien im rechten Spektrum. Die gehören verboten und in kein Parlament.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will versuchen, ein paar Fäden wieder zusammenzubinden.
Herr Stamp, das Thema „NPD“ ist ein aktuelles. Es hat in dieser Debatte eine Bedeutung gehabt. Ich möchte dazu gern noch zwei Sätze sagen.
Die letzte Rechtsprechung zu Parteienverboten in Deutschland ist 60 Jahre alt.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Die Verfassung gibt uns eine Möglichkeit, ein solches Verbotsverfahren anzustreben. Ich glaube, es ist auf Grundlage von sehr vernünftigem Material an der Zeit, dass eine wehrhafte Demokratie, ein Rechtsstaat prüft, ob ein solches Verbot von einem Verfassungsgericht bestätigt wird oder nicht.
Was mir ganz wichtig ist, Herr Stamp – da kann man jetzt unterschiedlicher taktischer Auffassung sein –: Ich glaube nicht, dass der Schaden bei einem Scheitern größer wäre als das Jubeln der NPD jetzt schon, dass die Bundesregierung sich nicht traut, einen solchen Antrag zu stellen. Aber was wir hier festlegen, ist eine menschenverachtende Ideologie der NPD. Sie bereitet den Nährboden für gewaltbereiten Extremismus, und sie ist nicht nur eine Dummheit. Darum ging es mir, Herr Stamp.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Ja, das glaube ich auch.
Das Zweite, was uns einen sollte …
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Herr Stamp, ich laufe nicht Gefahr, Sie missverstanden zu haben. Ich will jedoch einen Akzent Ihres Redebeitrags vielleicht in eine andere Richtung schieben.
Ja, ich glaube, es gibt Moscheevereine, die keine klare Abgrenzung zum Salafismus in der Deutlichkeit, wie wir sie vielleicht erwarten würden, haben. Aber das ist die absolute Minderheit.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ja natürlich! Das ist die absolute Minderheit!)
Im Übrigen organisieren sich Salafisten nahezu gar nicht über Moscheevereine, sondern über ihr eigenes Netzwerk, über die sozialen Medien, über das Internet. Dort findet übrigens auch die Radikalisierung statt. Deshalb brauchen wir die Moscheevereine im Boot, um junge Menschen über die Gefahr dieser Ideologie aufklären zu können. Wenn wir sie im Boot halten wollen, sollten wir nicht auf die wenigen zeigen, die vielleicht nicht die Abgrenzung haben, die wir erwarten, sondern wir sollten auf die zeigen, die klar sagen: In unserem Moscheeverein hat Salafismus nichts zu suchen. – Mit denen sollten wir Kooperationen eingehen und dagegen arbeiten.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Ich wollte das nur noch einmal klarstellen, Herr Stamp. Ich habe nur versucht, das Ganze in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Der vorletzte Punkt ist das Thema „Ausweisung“. Wir werden politischem Extremismus, religiösem Extremismus nicht dadurch begegnen können, dass wir ihn durch Ausweisung exportieren – um es deutlich zu sagen. Wir gehen hin und verlagern Probleme des Nationalstaats Deutschland in andere Staaten.
Im Übrigen – ich habe versucht, das deutlich zu machen – ist Ausweisung ein völlig stumpfes Schwert, weil die Mehrzahl der Salafisten Deutsche und ganz viele unter ihnen übrigens deutsche Konvertiten sind und von daher genauso wie andere deutsche Extremisten nicht ausgewiesen werden können. Aufgrund unserer Verfassung ist dies in diesem Fall auch nicht möglich.
Letzter Punkt. Ich finde, wir sollten die Debatte in die Richtung führen, dass wir den Sicherheitsbehörden alles, was es an Instrumentarien zur Bekämpfung des Extremismus gibt, auch an die Hand geben, rechtlich wie materiell, aber der eigentliche Widerstand gegen Extremismus durch Charakter, durch Haltung und Vermittlung von Werten immer aus der Mitte der Gesellschaft kommen muss. Hierbei sollten wir alle ein gutes Beispiel sein. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt eine Wortmeldung des Kollegen Schittges.
Winfried Schittges (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer bei allen Beiträgen aufmerksam zugehört hat, der kann nur sagen, dass es bei diesem Thema mehr an Gemeinsamkeiten gibt, als man es erwarten konnte. Herr Kollege Körfges, ich danke Ihnen ausdrücklich, dass Sie noch einmal das Wort zu diesem Thema ergriffen haben.
Die Menschen erwarten auch, dass wir im Parlament Gemeinsamkeiten herausarbeiten, unabhängig von der Frage, ob eine 27-Jährige mit dem gefühlten Lebensverständnis einer 50-Jährigen hier auftritt
(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])
und Bekundungen zu diesem Thema abgibt, die ich – ich sage es ganz offen – nicht verkraftet bekomme.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Sie können doch nicht so tun, als ob Gemeinsamkeiten …)
Frau Kollegin Velte, Sie haben mir gutgetan mit Ihrer Ansprache. Das will ich Ihnen offen sagen. Man merkt, auch aus Ihrer Fraktion gibt es Ansätze von Gemeinsamkeiten, die wir gut verarbeitet bekommen und die die Menschen verstehen.
Aber mit Blick auf das Thema „NPD-Verbot“ darf ich Ihnen Folgendes sagen: Ich bin engagiert dagegen; bin es immer gewesen. Ich habe damals die SRP-Verbotskartei mitbekommen. Ich habe das „Erwachsenwerden“ der NPD in den 1969er-Jahren mitbekommen. Ein schlimmer Vorgang!
Was die Demokratie beim Extremismus abgearbeitet hat, das macht mich stolz mit Blick auf die Ordnung, die wir haben. Ich habe das gestern Abend noch auf einer Veranstaltung gesagt.
Meine Damen und Herren, ich war dabei, als die NPD in Krefeld auftrat und die Medien Sorge hatten, dass sie die Fünfprozenthürde bei der Bundestagswahl 1969 überschreiten würde. Ich war selbst in dem Saal in der Königsburg und bin rausgeschmissen worden, nachdem ich eine Frage gestellt habe. Ich habe mit Stolz gesehen, dass die NPD dann bei der Landtagswahl 1970 richtig verloren hat. Aber ein Verbot kam schon damals für mich nicht infrage, weil ich der Auffassung war: Das bekommt diese Ordnung hin.
Sie werden immer wieder feststellen, dass es ein Aufflackern von Extremismus gibt, rechts oder links. Den abzuarbeiten, das hat die Gesellschaft verstanden, und das ist die Demokratie nach meinem Verständnis wert.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Ich sage Ihnen: Klar, das Thema lässt sich nicht ausweisen. Das ist überhaupt keine Frage. Vier Fünftel der extremistischen Salafisten sind mit einem deutschen Pass ausgestattet, sodass sich das nicht abschieben lässt.
Es ist ein – wenn Sie so wollen – importiertes Phänomen, das wir ausreichend diskutieren müssen. Wir müssen ein waches Auge bei diesem Thema haben. Herr Minister, vermittelnd waren Sie dabei, wenn auch diese erste politische Auseinandersetzung zu diesem Thema hier im Parlament den einen oder anderen in seiner Ansprache etwas überborden lässt. Gemeinsamkeiten gibt es genug. Ich kann nur empfehlen, das nach außen zu tragen. Das müssen die Menschen hören.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Das müssen die Menschen vermittelt bekommen. Deshalb sage ich Ihnen ein Dankeschön für alle Ansätze, die vermittelnden Charakter haben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schittges. – Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2119
Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2148
Ich eröffne die Beratung und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Kollegen Dr. Orth das Wort.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen ja heute eine verbundene Debatte zu unserem Antrag und dem Gesetzentwurf der Landesregierung.
Wir bringen unseren Antrag in das Parlament ein, weil wir Sorge hatten, dass die Debatte zwischen Rot und Grün über ein neues Verfassungsschutzgesetz eine Never-ending-Story wird. Schon mehrfach mussten wir die Laufzeiten von verschiedenen Normen des Verfassungsschutzgesetzes verlängern, weil Sie sich nicht einigen konnten. So haben wir gesagt, dass wir jetzt zeigen müssen, wie es weitergehen müsste.
Wir sind froh, dass Sie jetzt diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, allerdings glauben wir, dass Sie in vielen Punkten nicht die richtigen Schwerpunkte setzen. Wenn Sie sich unseren Antrag ansehen, der eine neue Leitlinie für ein neues Verfassungsschutzgesetz sein könnte, dann stellen Sie fest, dass einige Punkte fundamental anders gesehen werden:
Erstens. Wir sind der Ansicht, dass man bei Extremismus nicht differenzieren darf, nicht nach links, nicht nach rechts, nicht nach gewalttätig, gewaltbereit, vielleicht gewaltbereit oder nur Schreibtischtäter, sondern – das zeigte auch eben die Debatte über den Salafismus – man muss von Anfang an verfassungsfeindliche Tendenzen auch vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Es kann doch nicht sein, dass der Verfassungsschutz erst dann auf den Plan tritt, wenn man bereits aus der Zeitung erfahren hat, dass die Jungs und Mädels gewalttätig sind. Hätte man beim Salafismus früher hingeschaut, dann, glaube ich, wäre die eine oder andere Radikalisierung vermieden worden.
Der zweite Unterschied ist, dass wir glauben, dass die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums, so wie Sie sie sich zukünftig vorstellen, nicht der richtige Weg ist. Sie machen eine Art Pseudoöffentlichkeit, wollen, dass das Kontrollgremium demnächst öffentlich tagt. Wir sagen: Das Kontrollgremium ist dafür da, um die Arbeit des Verfassungsschutzes zu kontrollieren. – Das hat nichts damit zu tun, dass wir politische Auseinandersetzungen führen, sondern wir prüfen, ob nach Recht und Gesetz gehandelt wird. Die politische Auseinandersetzung über die Arbeit des Verfassungsschutzes möchten wir Liberale im Parlament oder in den zuständigen Ausschüssen führen. Wir glauben, dass, wenn man Ihren Weg geht, das Parlamentarische Kontrollgremium entwertet wird, weil nur noch über politische Leitlinien debattiert wird und die eigentliche Arbeit zu kurz kommt.
Auch wir möchten, dass die Arbeit des Kontrollgremiums durch Personal unterstützt wird. Sie haben vorgeschlagen, dass dies durch einen Mitarbeiter der Landtagsverwaltung geschehen soll. Wir sind der Ansicht, dass, da die Abgeordneten unterstützt werden sollen, diese Mitarbeit aus den Fraktionen heraus erfolgen soll. Ich persönlich möchte mir meine Mitarbeiter aussuchen, mit denen zusammen ich dieser Kontrolltätigkeit nachgehe, und nicht von der Landtagsverwaltung eine Person für alle gestellt bekommen.
(Beifall von der FDP)
Wir sind der Auffassung, dass der Landesdatenschutzbeauftragte mit in die Beratungen einbezogen werden sollte. Denn viele Dinge, die im PKG besprochen werden, sind von datenschutzrechtlicher Relevanz. Insofern wünschen wir uns, dass seine Expertise immer mit eingebunden ist.
Bezüglich des Datenschutzes hat Ihr Gesetzentwurf große Schwächen. Es wird immer noch nicht geregelt, wie wir mit den Daten umgehen, dass sie tatsächlich auch einmal gelöscht werden, dass tatsächlich benachrichtigt wird und dass nicht irgendwo Sachakten geführt werden, mit denen nach 30 Jahren rekonstruiert werden kann, ob ich vielleicht irgendwann einmal neben einer Laterne gestanden habe. Ich bin der Meinung, es muss eine effektive Löschung von Daten geben, auch auf die Gefahr hin, dass wir irgendwann nicht mehr auf die Daten zurückgreifen können. Der Verfassungsschutz ist kein rechtshistorisches Institut, sondern der Verfassungsschutz muss aktuelle Entwicklungen aufgreifen und die Verfassung schützen.
Weil noch ganz viele Punkte eine Rolle spielen, die aber in so kurzer Zeit nicht abgearbeitet werden können, werden wir sicher hierüber im Ausschuss noch diskutieren. Wir Liberale werden eine Anhörung zum Gesetzentwurf und zu unseren Vorstellungen in den entsprechenden Gremien beantragen, damit klargestellt wird, was geht und was nicht geht, welche Ihrer Vorstellungen gut sind und welche nicht. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat handelt es sich um eine verknüpfte Debatte. Deshalb will ich, Herr Dr. Orth, zunächst auf Ihren Antrag eingehen.
Ich bin der Meinung, dass Sie in einem völlig falschen Zug sitzen. Der Landesbeauftragte für Datenschutz hat nach Gesetz eine ganz bestimmte Funktion, die mit der Kontrolle des Verfassungsschutzes überhaupt nichts zu tun hat. Den noch als Bürgeranwalt zu bezeichnen, ist insofern – ich sage es diplomatisch – niedlich, als sich doch die Frage stellt, wer denn der bessere Bürgeranwalt sein sollte, wenn nicht die freigewählten Abgeordneten dieses Hauses.
(Beifall von der SPD)
Von daher verstehe ich Ihren Duktus überhaupt nicht.
Übrigens: Wir haben den Vorschlag gemacht, dass Sie mit eigenen Mitarbeitern im Parlamentarischen Kontrollgremium unterstützt werden, weil ich beide Seiten kennengelernt habe, und zwar zum einen als Mitglied des Landtags und zum anderen als derjenige, der für die Sicherheitsbehörden im PKG vertreten ist. Aber Sie sollten immer daran denken, dass Sie nicht als Fraktionsmitglied der FDP im PKG sitzen, sondern dort zur Person gewählt sind.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Deshalb sollte die Anbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in den Fraktionen erfolgen. Sie sollten natürlich durch das Parlament gestellt werden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das von uns vorgelegte Gesetz hat viele Facetten. Es gibt eine rote Linie für den Verfassungsschutz in diesem Gesetz, die lautet: Transparenz, Klarheit, Kontrolle, Leistungsfähigkeit und – was mir besonders wichtig ist – Vertrauen.
Wir wollen mit diesem Verfassungsschutzgesetz klar machen, dass der Verfassungsschutz in der Mitte unserer Gesellschaft verankert ist. Er dient dem Schutz unserer Demokratie. Aber dieses Gesetz soll auch klarmachen, dass wir dringend – notwendigerweise nach der Entdeckung der NSU-Zelle – Vertrauen für den Verfassungsschutz bei den Bürgerinnen und Bürgern zurückgewinnen wollen und, wie ich glaube, auch zurückgewinnen werden. Der Verfassungsschutz schützt die Werte unserer Demokratie. Das zu formulieren, ist in diesem Gesetzentwurf gelungen.
Bei begrenzter Redezeit kann ich leider nicht auf alle Details eingehen, die wichtig sind. Lassen Sie mich aber einige wenige ansprechen. Es gibt kein Verfassungsschutzgesetz in Deutschland, das eine so umfassende Kontrolle des Verfassungsschutzes durch das Parlament vorsieht wie dieser Gesetzentwurf. Ich glaube, es muss klar sein: Nur ein Verfassungsschutz, der umfassend kontrolliert wird, kann im Gegenzug Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern erwarten.
Darüber hinaus ist in diesem Gesetzentwurf klar geregelt, wie mit menschlichen Quellen, die wir dringend brauchen, umzugehen ist. Von einem Verfassungsschutz, dem man dieses Instrument nicht zubilligt, kann man nicht erwarten, dass er seinem Verfassungsauftrag, was die Aufklärung und die Information angeht, nachkommen kann.
Wir brauchen die menschlichen Quellen. Aber in diesem Gesetzentwurf ist klar geregelt, was sie dürfen und was sie nicht dürfen, welche Befugnisse der Verfassungsschutz hat und welche er eben nicht hat. Das gilt insbesondere für den Umgang mit den Vertrauenspersonen. Es ist klar geregelt: Wer von ihnen erhebliche Straftaten begeht, ist nicht mehr einzusetzen. Die Vertrauensperson darf keinen maßgeblichen Einfluss auf die zu beobachtende Bestrebung haben. Geldzuwendungen dürfen nicht der alleinige Lebensunterhalt sein. Mindestens genauso wichtig ist, dass über eine Verpflichtung zukünftig immer die Leitung des Verfassungsschutzes entscheidet.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf nimmt die Diskussionen um den Nationalsozialistischen Untergrund und die Schwächen und Stärken der Sicherheitsbehörden, die dabei offenbart worden sind, auf und setzt sie um. Wir sind mit diesem Gesetzentwurf in einer Vorreiterrolle in Deutschland. Weder der Bund noch die Bundesländer haben einen so modernen Gesetzentwurf für den Verfassungsschutz, was Kontrolle, Führen und Aufgabenstellungen angeht, vorgelegt. Das tun wir in Nordrhein-Westfalen. Wir sind ein Stück weit stolz darauf, dass wir so frühzeitig und so gut auf die Entwicklungen reagiert haben.
Ich glaube, dass das Gesetz, wenn es von Ihnen beschlossen wird, das Vertrauen in den Verfassungsschutz wieder stärken wird. Vor allem hoffe ich auf eine große Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf aus Ihren Reihen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.
Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Ich bin sehr froh darüber, dass wir heute in verbundener Debatte über den Antrag der FDP und den vorgelegten Entwurf der Regierung für ein Verfassungsschutzänderungsgesetz diskutieren können.
Ich verhehle nicht, dass ich immer ein wenig Schwierigkeiten mit dem Begriff der wehrhaften Demokratie habe, wenn es darum geht, an solchen Stellen wie heute zu begründen, warum wir Organisationen und Institutionen brauchen, die uns dabei helfen, unsere Demokratie zu verteidigen. Das ist gut und richtig so; insoweit kann ich zu dem Begriff stehen. Aber es gehört immer noch eine andere Seite hinzu, nämlich die gelebte Demokratie und die funktionierende demokratische Gesellschaft, die vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen insgesamt den besten Schutz bieten.
Dennoch ist es unabweislich, dass man die Gesellschaft auch durch Einrichtungen, Institutionen und Behörden vor demokratiefeindlichen Bestrebungen schützen muss. Herr Minister Jäger ist schon darauf eingegangen: Das Vertrauen in einen Teil dieser Sicherheitsarchitektur ist nicht zuletzt wegen der grauenhaften Mordserie der NSU und der Erkenntnisse, die bei der Aufarbeitung dieser Mordserie zum Teil zutage getreten sind, erheblich erschüttert worden.
Wir müssen alles dafür tun, dass an dieser Stelle tatsächlich wieder Vertrauen hergestellt wird. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Verfassungsschutzbehörden ein Eigenleben führen und parlamentarische und öffentliche Kontrolle nicht funktioniert.
Insoweit bin ich froh darüber, dass es in wesentlichen Punkten übereinstimmende Ansätze in Ihrem Antrag, unseren Vorstellungen und dem Gesetzentwurf gibt. Herr Dr. Orth, Sie haben sich gerade darum bemüht, auch Gegensätze herauszuarbeiten, aber im Wesentlichen sind wir uns im Klaren darüber, dass es darum geht, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, Kontrolle wirksam auszuüben und darüber hinaus mehr Sicherheit für die Allgemeinheit zu vermitteln. Das betrifft das, was wir als Kontrolleure zu tun haben, nämlich mehr Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament.
Lassen Sie mich an der Stelle zum Beispiel auf die Art und Weise eingehen, wie das Parlamentarische Kontrollgremium arbeitet. Wir haben überhaupt keinen Streit darüber, dass die politische Auseinandersetzung nicht in ein Kontrollgremium gehört. Wir stimmen völlig darin überein, dass wir über Grundsätze der Bekämpfung des Extremismus im Innenausschuss debattieren müssen. Aber Kontrolle und Öffentlichkeit haben insbesondere vor dem Hintergrund des Vertrauensverlustes, von dem ich gesprochen habe, sehr intensiv miteinander zu tun. Es kann nicht darum gehen, jeden Punkt, den das Parlamentarische Kontrollgremium zu beurteilen hat, im Lichte der Öffentlichkeit zu spiegeln. Das würde sich schon von der Materie her verbieten und die Arbeit des Verfassungsschutzes an einigen Stellen ad absurdum führen.
Meine Damen und Herren, wenn es um Transparenz, Akzeptanz und um die Darstellung von Entwicklungen im Bereich verfassungsfeindlicher Bestrebungen geht, können wir uns durchaus vorstellen, dass es mehr als Sinn macht, die Öffentlichkeit an teilweise öffentlichen Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums teilhaben zu lassen. Meine politische Arbeit hat mich gelehrt, dass keine Kontrolle so wirksam ist wie die Kontrolle, die in der Öffentlichkeit und unter Begleitung der Medien stattfindet.
Wir begrüßen auch ganz ausdrücklich, dass jetzt die Mittel des Verfassungsschutzes abschließend aufgezählt sind. Das ist ein Quantensprung, wenn es darum geht, rechtsstaatliches Handeln abzusichern. Der Verfassungsschutz darf all das machen, was im Gesetz im Einzelnen geregelt ist, und er darf nichts machen, was im Gesetz nicht geregelt ist. Ich glaube, hier werden sehr vernünftige Maßstäbe zum Gegenstand des Handelns unserer Verfassungsbehörde. Bei den V-Leuten zum Beispiel kann man sehr deutlich erkennen – und das ist besonders wichtig –, wo ihr Einsatz beginnt, wer ihn organisiert, wie er kontrolliert wird und welche Einschränkungen vorgenommen werden sollen.
Ich möchte dann auch zum Abschluss kommen, darf aber noch darauf hinweisen, dass sich im Gesetzentwurf all das wiederfindet, was die höchstrichterliche Rechtsprechung – zum Beispiel im Kernbereich – von uns verlangt. Ich darf allerdings auch darauf hinweisen, dass es sicherlich noch eine Reihe von Ergänzungen geben wird.
Ich freue mich darüber, dass wir einig darin sind, diesen gesamten Gesetzgebungsvorgang noch einmal in einer Sachverständigenanhörung zu spiegeln. Das ist selbstverständlich. Wir sind sicherlich gut beraten, wenn wir Experten zu Rate ziehen. Ich denke aber auch, dass wir uns an dieser Stelle sehen lassen können.
Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich noch ein großes Dankeschön loswerden, zunächst beim Haus, beim Ministerium. Ich glaube, wir schreiben ein Stück Geschichte, was unsere Sicherheitsorgane in der Bundesrepublik Deutschland angeht. Denn dieser Gesetzentwurf hat keinen Vorläufer; das ist das Modernste und Beste, was es an Verfassungsschutzgesetzgebung im Augenblick in Deutschland gibt.
Darüber hinaus will ich sehr deutlich machen, dass ich mich auch bei unserer Landesbehörde, bei unserem Verfassungsschutz, ganz ausdrücklich für die Offenheit im Umgang mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium und mit der Öffentlichkeit bedanke. Denn ein Teil der Arbeit ist – das finde ich gut und richtig so – nach außen im Bereich der Prävention zu verankern.
Insoweit wünsche ich uns weiterhin gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und gute Beratungen beim weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herzlichen Dank, Herr Körfges. – Herr Biesenbach hat das Wort für die CDU-Fraktion. Bitte schön.
Peter Biesenbach*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte es fast befürchtet, Herr Minister und auch Herr Kollege Körfges, dass Sie heute die große Feier anstimmen, nach dem Motto „das modernste und beste Gesetz – das es ja werden soll –, das wir im Bereich des Verfassungsschutzes haben.“
(Minister Ralf Jäger: Was wahr ist, muss man einmal sagen!)
– Was wahr ist, Herr Jäger, werde ich gleich sagen. – Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie zumindest das umfangreichste Gesetz vorlegen. Es erweckt auch den Eindruck, als ob man alles wisse, was der Verfassungsschutz demnächst tun soll und tun darf.
Sie erfüllen auch die Erwartungen, indem Sie sagen: Wir stellen klar, wie wir verlorenes Vertrauen wiederherstellen wollen. – Wenn man sich den Entwurf einmal kritisch ansieht, dann stellt man fest, dass den Verfassern sicherlich Lob gebührt: Lob für eine gute handwerkliche Arbeit, die aber nichts anderes beschreibt, Herr Kollege Körfges, als den gegenwärtigen Sachverhalt.
In dem Entwurf ist die Rede davon, dass die Normenklarheit geregelt werden soll. Der Text hat den Charme des Entwaffnenden. Er beschreibt jedoch nur die gegenwärtige Praxis. Das können wir im Ausschuss noch intensiv besprechen. Alles, was in dem Entwurf steht, beschreibt die gegenwärtige Praxis, die bereits geregelt war. Sie fassen diese Regelungen jetzt lediglich in den Text eines Gesetzes.
Ob dies wirklich so modern ist – ich weiß nicht; denn es lässt keine Entwicklungsmöglichkeiten offen.
(Zuruf von den GRÜNEN)
Sie haben diesen Entwurf gerade gefeiert. Jedoch: Man weiß immer genau, welche Mittel der Verfassungsschutz anwenden darf. Damit machen Sie ihn zugleich statisch. An keiner einzigen Stelle gibt es eine Generalklausel, die dem Verfassungsschutz ermöglicht …
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD]
– Ich weiß. Es entspricht doch – gar nicht einmal bei den Sozialdemokraten – dem tiefen Misstrauen der Grünen, dass es den Verfassungsschutz überhaupt gibt. Ich bin allerdings erstaunt, Herr Jäger, dass man diesen Entwurf in der Art überhaupt zugestanden hat. Wir wollen einmal sehen, was übrig bleibt.
Ich habe gesehen: An einer einzigen Stelle gibt es einen kleinen Fortschritt für die V-Leute, indem Sie diese nämlich straflos stellen, wenn sie verbotenen Organisationen angehören. Auch hier bin ich sehr gespannt, ob es dabei bleibt.
Der Kollege Dr. Orth hat bereits die Frage aufgeworfen, ob das PKG in diesem Gesetzentwurf nicht ein bisschen lebensfremd konstruiert ist. Das werden wir abwarten. Damit können wir sicherlich leben. Die Evaluation, die Sie aufgenommen haben, ist auch modern, grundrechtsschonend und nicht weiter tragisch.
(Lachen von der SPD)
– Langsam, freuen Sie sich doch nicht zu früh. – Eine andere Schwäche, die Sie gerade versuchen mit schönen Worten zu überdecken, findet sich zum Beispiel in den Bereichen Datenschutz, Datenspeicherung, Datenlöschung. Hier übernehmen Sie nur die Wortlautpassagen aus den Karlsruher Urteilen. Genau darin liegt eine Schwäche.
Wir alle haben uns gefragt: Was lässt Karlsruhe denn noch offen? Was darf der Verfassungsschutz denn? Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt? Hier drückt sich der Entwurf darum herum. Herr Körfges, Sie haben gerade so nett gesagt: Da werden wir noch nacharbeiten müssen. – Das sind doch genau die spannenden Fragen. Die lassen Sie jedoch offen.
Der Entwurf enthält ganz viele neue Wörter, die die Wirklichkeit beschreiben – aber auch nicht mehr. Er beschreibt das, was heute in Nordrhein-Westfalen und in den übrigen Bundesländern bereits geschieht. Was den Informationsaustausch anbelangt, beschreiben Sie genau das, was sich die 17 Innenminister gegenseitig zugesagt haben.
Modern ist der Entwurf allenfalls darin, dass wir die ersten sind, die das Ganze als Gesetz niederschreiben. Ob es dem Verfassungsschutz hilft, werden wir erst noch sehen. Wenn Sie sagen: „Wir wollen keine Generalklausel“, dann heißt das, Sie verpflichten den Verfassungsschutz, mit einem Gesetz zu arbeiten, bei dem es erst einmal keine Fortsetzung gibt. Wenn, dann müsste jedes Mittel erneut hier beschlossen und ins Gesetz gepackt werden.
(Zuruf von Minister Ralf Jäger)
– Ja, klar. Sie wissen, das dauert Monate. Und – Entschuldigung! – meine Skepsis angesichts der Bereitschaft der Grünen, hier die Mittel einzusetzen, ist richtig groß.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Sie lassen aber auch zwei andere Ecken offen – eine Ecke wäre auch spannend gewesen. Ich weiß, dass wir die Frage der Wohnraumüberwachung sehr kontrovers diskutieren. Nur dadurch, dass Sie sie hier ausschließen, machen Sie für diejenigen, die diszipliniert genug sind, die Wohnungen zu den Plätzen, in denen konspirativ, völlig unkontrolliert, gearbeitet werden kann.
Wir haben bisher immer gefragt: Welche Möglichkeiten müssen da sein, dass es nicht mehr geht? Jetzt machen Sie Wohnräume zu den Ecken, in denen völlig unkontrolliert gesprochen werden kann.
Wir können ja durchaus sagen: Das wollen wir.
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Herr Körfges, es wäre schön – nicht aufregen, nur zuhören!, dann können wir es später machen –, wenn Sie sagen: Wir wollen das mit Mehrheit. Das ist doch okay. Nur müssen wir einmal darüber sprechen. Sie geben ebenfalls keine Antwort auf die Herausforderung, die wir angesichts der nachrichtendienstlichen Mittel haben, auch bei den elektronischen, die die Feinde unseres Staates anwenden können. Sie haben keine Antwort darauf gegeben: Wie schaffen wir es, an Informationen zu kommen, bevor sie kryptiert werden Denn dann sind 70 % des Ausgetauschten heute schon nicht mehr lesbar. Bald werden es 100 % sein.
Zur Netzknotenüberwachung, zu all den Fragen, die uns ermöglichen, Verkehre festzustellen: kein Wort, aber unterboten. Es wird hier nicht zugestanden.
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
Wir werden – meine Redezeit ist leider zu Ende – im Ausschuss, hoffe ich, Gelegenheit haben, über all diese Themen zu sprechen. Ich bin gespannt, ob wir vielleicht dann mit den Ergebnissen der Anhörungen vielleicht doch noch ein modernes Gesetz daraus machen können.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Biesenbach. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Kollegin Schäffer das Wort.
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass die Sicherheitsbehörden im Falle der menschenverachtenden Mord- und Anschlagsserie des NSU eklatant versagt haben. Gerade die Angehörigen der Ermordeten haben ihr Vertrauen in unseren Rechtsstaat verloren, auch weil sie lange Zeit von den Behörden selbst verdächtigt wurden.
Der Verfassungsschutz steht in der Diskussion, die wir über die Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden führen, im Fokus, wobei ich auch noch einmal betonen will, dass wir die Debatte nicht nur auf den Verfassungsschutz begrenzen dürfen.
Die katastrophalen Fehler haben unbestreitbar zu einem massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt, befeuert unter anderem noch durch das Schreddern von Akten, das Zurückhalten von Informationen gegenüber den Untersuchungsausschüssen. Deshalb ist es aber unsere Aufgabe, als Politikerinnen und Politiker, als Abgeordnete die Arbeit der Sicherheitsbehörden wirklich zu hinterfragen und zu diskutieren, was sich ändern muss.
Mein Fazit bei dieser Debatte ist, dass wir mehr Kontrolle brauchen, dass wir aber auch mehr Transparenz brauchen, um dieses verloren gegangene Vertrauen wiederzuerlangen.
Die Debatte eben zum Thema Salafismus hat eines gezeigt: Wir brauchen ein Frühwarnsystem, um die gefährlichen, gewaltorientierten Bestrebungen und Personen, die sich klar gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten, bereits im Vorfeld zu beobachten und damit auch Straftaten verhindern zu können. Diese Gefahr – das wird Sie nicht wundern – sehe ich derzeit vor allen Dingen im rechtsextremistischen und im islamistischen Bereich. Da geht es mir nicht darum zu sagen, wir machen das linke Auge zu, sondern wir müssen dorthin blicken, wo tatsächlich eine Gefahr für unsere freiheitliche Gesellschaft droht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deshalb ist dieser Gesetzentwurf an dieser Stelle auch richtig. Er sagt nämlich, dass die Kapazitäten des Verfassungsschutzes und der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln zukünftig genau auf die Bereiche konzentriert werden müssen, in denen eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft durch gewaltorientierte Gruppierungen droht.
Derzeit ist es so, dass das Parlamentarische Kontrollgremium nicht öffentlich tagt. Das heißt im Klartext, dass Herr Körfges, Herr Kruse, Herr Orth und ich und die weiteren Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums Ihnen nicht sagen dürfen, wann wir tagen, wie lange wir tagen, wo wir uns treffen, welche inhaltlichen Schwerpunkte wir setzen und so weiter und so fort. Diese Geheimniskrämerei trägt aus meiner Sicht nicht wirklich zur Vertrauensbildung bei, sondern verschärft im Gegenteil das Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz.
Natürlich werden wir auch in Zukunft die Öffentlichkeit dann ausschließen müssen, wenn Geheimhaltungsgründe das erfordern. Dennoch glaube ich, dass wir mit den Mitteln dieses neuen Gesetzes, wonach wir die Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums öffentlich durchführen können, einen wichtigen Schritt gehen, und zwar einen Schritt hin zu mehr Transparenz, um Vertrauen wiederzugewinnen, aber auch zu mehr Kontrolle, denn Öffentlichkeit schafft auch Kontrolle.
Herr Biesenbach, Sie haben gerade gesagt, dieses Gesetz sei schön sortiert, es schaffe Klarheit. Das ist gut. Ich finde aber, diese Klarheit an sich hat auch einen Wert. Denn diese Klarheit bedeutet Transparenz. Natürlich haben wir hier keine Generalklausel eingebaut, denn gerade beim Verfassungsschutz bewegen wir uns in einem Bereich, der weit ins Vorfeld rückt. Wir bewegen uns in einem Bereich, in dem es noch keine Straftaten gibt. Es ist ein sehr sensibler Bereich für einen demokratischen Rechtsstaat.
Dass wir hier keine Generalklausel haben, sondern sehr genau überlegen, welche Befugnisse wir dem Verfassungsschutz geben wollen, welche nachrichtendienstlichen Mittel wir ihm zur Verfügung stellen wollen, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Es ist auch selbstverständlich, dass diese klar definiert sein und immer wieder diskutiert werden müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Gerade im Bereich des Einsatzes von V-Leuten werden wir gesetzliches Neuland betreten und damit aus meiner Sicht eine Vorreiterrolle insgesamt auch für andere Bundesländer einnehmen. Gerade der Einsatz von V-Leuten ist eine sehr sensible Maßnahme. Der demokratische Rechtsstaat bewegt sich immer auf einem sehr schmalen Grat, wenn er sich der Maßnahme des Einsatzes von V-Leuten bedient. Denn der Staat arbeitet mit Verfassungsfeinden zusammen und bezahlt sie für Informationen, die zum Schutze unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung beitragen sollen. Aber es sind Verfassungsfeinde, von denen wir die Informationen bekommen.
Nichtsdestotrotz halte ich diese Informationen für zu relevant, als dass wir auf sie verzichten können. Aber umso wichtiger ist es, dass wir hier eindeutige Kontrollmechanismen und klare Kriterien zur Verhältnismäßigkeit beim Einsatz von V-Leuten schaffen.
Die gesetzlichen Regelungen haben neben der Klarheit und der Verbindlichkeit auch noch einen weiteren Vorteil. Bisher sind Regelungen in Geheimakten festgehalten worden. Das heißt, dass die Öffentlichkeit, aber dass auch die Abgeordneten, also Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Prinzip nicht wirklich darüber diskutieren können, welchen Freiraum wir dem Verfassungsschutz beim Einsatz von V-Leuten genehmigen wollen.
Das jetzt öffentlich zu machen und eine öffentliche Auseinandersetzung darüber zu führen, was wir eigentlich wollen und welche Kriterien wir anlegen wollen, wenn wir uns der V-Leute bedienen, halte ich für einen sehr wichtigen Schritt in Richtung Transparenz und um verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen zu können.
Ich sage noch einmal: Geheimniskrämerei trägt nicht zum Vertrauen bei, sondern schafft eher Legendenbildung. Das kann aus meiner Sicht nicht in unserem Interesse sein, sondern wir müssen hierbei für Transparenz sorgen, damit das Vertrauen in die Arbeit des Verfassungsschutzes – denn es gibt diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen – wieder gestärkt wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Schäffer. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauer! Der Minister hat einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe leider nur fünf Minuten Redezeit. Es gibt natürlich einige Kritikpunkte in der ersten Lesung; das ist völlig normal. Meine fünf Minuten werden nicht ausreichen, um sie hier komplett aufzuzählen.
Deswegen will ich versuchen, vereinzelt darzulegen, worum es uns geht. In § 1 erweitern Sie die Aufgaben des Verfassungsschutzes dahingehend, dass auch die Öffentlichkeitsarbeit ausdrücklich als Aufgabe definiert ist. Das macht unter Umständen Sinn, aber das ist im Entwurf zu weit gefasst. Zwar sagen Sie in der Begründung, dass es nicht in einen allgemeinen Bildungsauftrag ausarten solle, aber mit dieser Formulierung können Sie das nicht verhindern, zumal es wohl auch schon Veranstaltungen gegeben haben soll, bei denen Referenten des Verfassungsschutzes waren
(Zustimmung von der SPD)
und die sich an Lehrer und Multiplikatoren richteten,
(Zustimmung von Nadja Lüders [SPD])
wenn man den Medienberichten Glauben schenken darf.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Das Problem ist: Damit haben sie eine Art Definitionshoheit über bestimmte Begriff, die sie nicht haben sollten. Das ist gar nicht ihre Aufgabe. Sie schreiben den Christen auch nicht vor, wie sie ihre Zehn Gebote auszulegen haben.
(Nadja Lüders [SPD] fasst sich an den Kopf.)
Genauso wenig sollten sie Definitionshoheit über irgendwelche anderen Begriffe haben. Das können sie intern für sich definieren, aber nicht in die Öffentlichkeit tragen.
Der nächste Punkt betrifft die V-Leute. Sie sagen, dass bei Straftaten von erheblicher Bedeutung die Zusammenarbeit zu beenden sei. Das ist keine Frage. Aber was ist mit den übrigen Straftaten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind? Da ist die getroffene Regelung meiner Meinung nach nicht klar genug – abgesehen davon, dass Sie das selbst bei den Straftaten von erheblicher Bedeutung im nächsten Satz sofort wieder komplett einschränken. Die Frage ist, was in der Praxis letztlich davon übrig bleibt. Das wird sich dann zeigen.
(Zuruf von Minister Ralf Jäger)
– Natürlich ist klar, dass man nicht sofort bei jeder Beleidigung oder jeder kleinen Straftat einen V-Mann aufdecken kann; das ist keine Frage. Aber Sie haben ursprünglich von szenetypischen Straftaten gesprochen. Das kommt im Entwurf jetzt nicht mehr so zum Tragen. Da müssen wir schauen, wie man das ändert.
Sie sagen, die parlamentarische Kontrolle sei umfassend erweitert worden. Sie haben noch einmal den Begriff „revolutionär“ in den Mund genommen. Ich sage dazu: Der Verfassungsschutz arbeitet ohne jegliche richterliche Kontrolle; sie findet eigentlich nicht statt, höchstens, wenn man Glück hat, ein bisschen im Nachhinein. Das ist aber in folgendem Bereich der Fall – das hat Frau Schäffer gerade dargestellt –: Es hat noch keine Straftat stattgefunden. Es findet noch nicht einmal eine Gefährdung statt. Noch nichts hat stattgefunden. – Eigentlich sind das erst einmal Menschen, die sich über krude Gedanken unterhalten, die dann natürlich in Gefahren enden können; das ist keine Frage.
Aber in einem so sensiblen Bereich ohne jegliche Kontrolle zu arbeiten … Die parlamentarische Kontrolle ist, wie es hier geregelt ist, meiner Meinung nach nicht ausreichend. Sind wir ehrlich: Ihre „revolutionären Neuerungen“ beschränken sich im Prinzip auf erweiterte Berichtspflichten. Mehr ist das eigentlich nicht. Eine Berichtspflicht ist aus meiner Sicht keine Kontrolle; das muss man ganz deutlich sagen.
(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])
Jeder Verdächtige im Strafverfahren hat mehr Rechte als die Menschen, die aus strafrechtlicher und aus gefahrenabwehrrechtlicher Sicht noch gar nichts getan haben.
Schließlich: Wir müssen natürlich auf jeden Fall einmal über die Erweiterung der G10-Kommission von vier auf fünf Mitglieder reden. Darüber hatten wir auch schon einmal gesprochen. Die G10-Kommission macht aus meiner Sicht eine verdammt wichtige Arbeit; das ist keine Frage. Ich sehe sie quasi als verlängerten Arm des Kontrollgremiums, weil sie viele Dinge macht, die wir schon aus Zeitgründen gar nicht im Detail kontrollieren könnten; auch das ist keine Frage. Deshalb spielt natürlich Vertrauen dort eine ganz große Rolle.
Es ist kein Geheimnis, dass die Wahl der Leute durch das Kontrollgremium in die Kommission wahrscheinlich eine Konsensentscheidung ist. Wenn wir vier Fraktionen bzw. jetzt fünf Fraktionen im Kontrollgremium haben, aber nur vier Mitglieder in der G10-Kommission, sehe ich mit dem Konsens ein paar Probleme, die das Vertrauen eventuell zumindest aus meiner Sicht nicht ganz rechtfertigen.
Einige andere Punkte hat auch schon Herr Orth angesprochen, wie die Rechtschutzgarantie bzw. die nachträgliche Berichtigung. Eine Rechtschutzgarantie muss nach Art. 19 Abs. 4 GG gewahrt sein. Dafür haben alle Gesetze, zum Beispiel auch das Polizeigesetz, die eine geheime Beobachtung vorsehen, Benachrichtigungspflichten normiert. Das ist hier auch der Fall. Aber sie sind zu kurz gefasst. Zum einen sind sie sehr eingeschränkt. Zum anderen sind sie so ausgelegt, dass der Verfassungsschutz sagen kann, ohne dass hinterher jemand darüber schaut: Wir benachrichtigen denjenigen niemals. – Das ist aus meiner Sicht so nicht haltbar.
Bei den Dauerbeobachtungen frage ich mich: Wie lange darf man jemanden beobachten? Bis irgendwann festgestellt ist, dass er gar nicht verfassungsfeindlich ist? Oder anders: Wie lange darf man beobachten, wenn man feststellt, dass jemand zwar noch verfassungsfeindlich, aber überhaupt keine Bedrohung mehr für uns ist? Warum muss dann noch beobachtet werden?
Das ist nur ein kleiner Teil unserer Kritikpunkte. Die Zeit reicht nicht für mehr. Ich freue mich auf die Ausschusssitzungen und vor allem natürlich auf die Anhörung, die mit Sicherheit kommen wird. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz.
Nun stimmen wir ab. Erstens. Für den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/2119 empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Hauptausschuss – federführend –, den Innenausschuss und den Rechtsausschuss. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Enthaltungen? – Gegenstimmen womöglich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag einstimmig überwiesen.
Zweitens stimmen wir ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2148. Auch hier wird Überweisung an den Hauptausschuss – federführend –, den Innenausschuss und den Rechtsausschuss empfohlen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig überwiesen. In den Ausschüssen wird wie beschlossen weitergearbeitet.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2285
Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Gebauer das Wort.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle mit einem Zitat beginnen, aber nicht mit dem Zitat von Frau Löhrmann, das Klassenwiederholungen als verschwendete Lebenszeit ansieht.
Das ist ein Zitat eines französischen Schriftstellers aus dem 17. Jahrhundert mit dem, finde ich, wunderschönen Namen Francois de La Rochefoucauld, der gesagt hat, ich möchte an dieser Stelle gerne zitieren, Herr Präsident:
„Es gibt Leistung ohne Erfolg, aber keinen Erfolg ohne Leistung.“
(Beifall von der FDP und der CDU)
Meine Damen und Herren, wir leben und arbeiten in einer Leistungsgesellschaft und einer Gesellschaft, in der Menschen durch ihre ganz persönliche Leistung, durch ihre Leistungsbereitschaft inmitten von einer Leistungsgerechtigkeit, für die die Politik an dieser Stelle auch zu sorgen hat, Erfolge erzielen. Gäbe es das Prinzip der Leistung, der Leistungsbereitschaft und der Leistungsgerechtigkeit nicht, gäbe es zum Beispiel keine Olympischen Spiele. Es gäbe auch keine Nobelpreisträger, und – wenn es das Prinzip nicht gäbe – es würde auch keine Bestenehrungen unserer Schülerinnen und Schüler geben, die hier in Düsseldorf durch die Ministerin im vergangenen Jahr durchgeführt worden sind. Gerade diese jungen Menschen werden ausgezeichnet für ihre besondere Leistung, für ihre Leistungsbereitschaft im Rahmen eines schulischen Leistungsanspruchs. Diese jungen Menschen wollen keine leistungslose Schule.
Auch eine repräsentative Umfrage von „Forsa“ zeigt deutlich, dass drei Viertel aller Bürger das Abschaffen des Sitzenbleibens ablehnen, und zwei Drittel sind der Meinung, dass durch die Abschaffung des Sitzenbleibens die Wirkung auf die Leistungsbereitschaft negativ wäre und sich die Gefahr des Scheiterns von Schülern in Abschlussprüfungen erhöht. Gerade die 18- bis 29-jährigen lehnen zu fast 90 % diese Überlegungen ab.
Vielleicht wird sich gleich herausstellen, dass es hier ein Sturm im Wasserglas ist und dass die Ministerin keine Abschaffung der Klassenwiederholungen möchte, das mag sein oder auch nicht, das kann ich noch nicht sagen, aber diese Aussage der Ministerin ist symptomatisch. Denn schrittweise, ein bisschen gemäß der Salamitaktik, werden schleichend Maßnahmen zur leistungslosen Schule von Rot-Grün umgesetzt: Begonnen mit der Abschaffung der Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens durch Ziffernnoten, weiter über den Einstieg zur Abschaffung der Benotung an Grundschulen bis hin zur Möglichkeit der Abschaffung der Differenzierung nach Leistung an Gesamtschulen, die sogenannten E- und G-Kurse.
Alle diese Maßnahmen greifen Stück für Stück ineinander, bis hin zu einer leistungslosen Schule. Statt die Kinder und Jugendlichen zu fordern und ihre Fertigkeiten zu stärken, senken Sie gezielt die Qualitätsstandards. Sie schaffen schrittweise eine Schule der Vollkaskomentalität. Begabungen und individuelle Anstrengungen sollen auf einem möglichst niedrigen Niveau angeglichen werden.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, somit werden Bildungsabschlüsse hier in Nordrhein-Westfalen entwertet.
Das Verständnis für und das Beibehalten von Leistungsgerechtigkeit und Leistungsanspruch im schulischen Alltag ist der Inhalt unseres FDP-Antrages. Wir sind uns alle einig, dass eine Klassenwiederholung durch individuelle Förderung möglichst vermieden werden soll.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Aha!)
Aber ein Versetzen um jeden Preis, auch zum Wohle der Statistik, wird es mit der FDP nicht geben.
(Beifall von der FDP)
Kinder und Jugendliche wollen Herausforderungen, um an ihnen zu wachsen. Sie wollen – wie auch später im Erwachsenendasein – Erfolge. Erfolge, die durch Leistung, durch Leistungsanforderungen und entsprechende Anerkennung entstehen. Eine leistungslose Schule aber, wird unseren Kindern, besonders in Bezug auf ihre berufliche Zukunft, in keiner Weise gerecht. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Und nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Kaiser.
Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, die FDP hat mit ihrem Antrag schon ein wichtiges Thema angesprochen. Es war meines Erachtens nicht hilfreich, was an Überschriften von der neuen rot-grünen Koalition aus Niedersachsen zu uns herübergeschwappt ist. Denn es entsteht der Eindruck, als könnten wir im Schulbereich vom Leistungsprinzip heruntergehen. Da macht es einfach Sinn, sich zu verdeutlichen, warum es so wichtig ist, dass wir uns im schulischen Bereich über das Leistungsprinzip klar werden. Weil es das einzige ist, wie wir demokratisch dafür sorgen können, dass Bildungsgerechtigkeit stattfindet.
Wie, wenn nicht über Leistung, können wir von Staats wegen dafür sorgen, dass Chancen verteilt werden: Es darf nicht die Herkunft sein, es darf nicht die Nationalität sein, es dürfen eben nicht andere Kriterien sein, sondern wir müssen dafür sorgen, dass wir ein staatliches Bildungssystem organisieren, in dem jeder die Chance hat, alles zu werden. Es ist meiner Meinung nach ganz wichtig, dass man diesen Grundsatz hat. Das geht aber nur über Leistung.
Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Leistungsprinzip hinterher gesellschaftlich auch zum Erfolg führt. Wenn heute zum Beispiel nach Überschriften in der „Westfälischen Rundschau“ die Schülerinnen und Schüler, die jetzt zum doppelten Abiturjahrgang gehören, die jetzt vor den Abiturprüfungen stehen, Sorgen haben, dass sie Studienplätze bekommen, dann muss sich diese Landesregierung die Frage gefallen lassen: Hat man wirklich alles getan, um genügend Studienplätze für diese Jahrgänge bereitzustellen?
Man kann Bildungsgerechtigkeit nicht dadurch erreichen, dass man Ärzte-Kinder von Studiengebühren befreit. Das führt auch nicht zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns das im Rahmen dieser „Sitzenbleiber-Diskussion“ klarmachen. Wir müssen uns auch klar machen, dass jeder Einzelne zunächst für sich verantwortlich ist. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder Einzelne auch diese Leistung bringen kann. Das müssen wir im Schulsystem machen, dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, als könnte das Schulsystem für jeden Misserfolg, für jede misslungene Leistung herhalten.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Daher ist es richtig, dass wir Sitzenbleiben als Option weiterhin möglich machen. Deshalb ist es richtig gewesen, dass wir unter Schwarz-Gelb begonnen haben zu sagen: Wir wollen die Zahl der Sitzenbleiber möglichst reduzieren, möglichst weit herunterfahren.
Wir sind mit dem Programm „Komm Mit!“, was ja eines der erfolgreichsten war, wo es ja erfreulich ist, dass es Frau Ministerin Löhrmann nicht abgeschafft hat, in einer Kontinuitätslinie auf dem richtigen Weg. Darin sind wir uns doch einig.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Und selbstständige Schule!)
– Zur selbstständigen Schule können wir hinterher vielleicht auch noch einmal eine Diskussion führen, Frau Ministerin Löhrmann.
Deshalb ist es richtig, dass wir mit einer Strategie nach vorne gehen und sagen: Sitzenbleiben wird überflüssig, weil vorher Leistung entsprechend induziert worden ist.
Aus diesem Grunde ist es auch wichtig, dass es eine pädagogische Möglichkeit sein kann und ein Lehrer entscheidet: Dem Kind wird besser geholfen, es wird besser gefördert, wenn es ein Jahr wiederholt!
Sitzenbleiben darf keine Bestrafung sein, sondern Sitzenbleiben muss Teil einer entsprechenden Förderung sein. Das ist ganz wichtig. Darüber müssen wir diskutieren.
In Rede steht, das bürokratisch abzuschaffen. Das aber öffnet der Leistungsnivellierung Tür und Tor. Für uns ist es eben entscheidendes Prinzip – das müssen wir auch weiter nach vorne treiben –, dass wir die Leistung des einzelnen Schülers einfordern. Der einzelne Schüler will Leistung zeigen. Auf dem Wege müssen wir gute Chancen vergeben.
Wir freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kaiser. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Feuß.
Hans Feuß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer! Der FDP-Antrag hat die Überschrift „Bildungschancen verbessern und Leistungsgerechtigkeit gewährleisten – schleichende Entwicklung zur leistungslosen Schule stoppen!“ – Bis zum Gedankenstrich sind wir mit der Überschrift einverstanden.
(Zuruf von der FDP: Immerhin!)
„Bildungschancen verbessern und Leistungsgerechtigkeit gewährleisten“, das wollen wir nicht nur, sondern das machen wir auch.
(Beifall von der SPD – Sigrid Beer [GRÜNE]: Jawohl!)
Nach dem Spiegelstrich hört es mit den Übereinstimmungen allerdings auf. Dort hat die FDP in Bezug auf Schule eine spezielle Wahrnehmung mit Alleinstellungsmerkmal.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Wir haben uns in unserem Koalitionsvertrag zu dieser Thematik ganz klar positioniert. Ich zitiere: Wir wollen ein sozial gerechtes und leistungsförderliches Schulsystem schaffen, das alle Talente nutzt, Verschiedenheit schätzt, kein Kind zurücklässt und eine Kultur des Behaltens für die aufgenommenen Schülerinnen und Schüler stärkt und pflegt. – Das setzen wir um.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich werde jetzt noch etwas zum „Sitzenbleiben“ und zu den „Ziffernnoten“ sagen.
Zum Sitzenbleiben: § 50 des Schulgesetzes besagt – ich zitiere –:
„Die Schule hat ihren Unterricht so zu gestalten und die Schülerinnen und Schüler so zu fördern, dass die Versetzung der Regelfall ist.“
Wo eine Regel ist, da gibt es auch Ausnahmen. Wenn die Leistungen eines Schülers oder einer Schülerin in mehreren Fächern den Anforderungen trotz gezielter Förderung nicht mehr entsprechen, dann kann eine Wiederholung der Klasse sinnvoll und notwendig sein. Das Sitzenbleiben wird also nicht abgeschafft, sondern durch gezielte Diagnostik und Förderung weitestgehend überflüssig gemacht.
Nun zu den Ziffernnoten: „Schule ohne Noten“ ist für die FDP anscheinend unmöglich. Aber es geht, und zwar in einer Stadt, die es nicht gibt, in Bielefeld. Mit der Bielefelder Laborschule haben wir ein sehr gutes Beispiel: Bis zur 9. Klasse keine Noten, keine Hausaufgaben und kein Sitzenbleiben! – Trotzdem erzielt diese Schule bei PISA-Untersuchungen in allen Bereichen Spitzenergebnisse.
(Zuruf von der FDP)
– Seien Sie erst einmal ruhig und hören zu! – Deshalb wird der Schulausschuss diese Schule im Oktober besuchen. Vor Ort können sich die Mitglieder der FDP ein Bild machen und ihrer Fraktion berichten, wie gut „Schule ohne Noten“ funktionieren kann.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Stamp?
Hans Feuß (SPD): Nein, ich möchte erst zu Ende vortragen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.
Hans Feuß (SPD): Das kennt die FDP doch noch von früher: Wenn der Lehrer vorne spricht, dann hört man zu. Am Ende werden die Fragen gestellt.
(Beifall und Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
Zum Schluss eine Geschichte zum Thema „Ziffernnoten“, eine Geschichte von gestern, die von daher zur Schulpolitik der FDP passt. Die Geschichte stammt aus dem Jahre 1989 und zeigt, wie die Ziffernnotenpraxis sogar bis ins Privatleben hinein wirksam werden kann. Ich zitiere aus der Zeitschrift „Humane Schule“ vom Mai 1989:
Ich machte mich vor langer Zeit daran, meiner Frau Ziffernnoten zu geben. Früher hatte ich sie in höchsten Tönen beim Mittagessen gelobt. Etwa: „Da hast du heute Mittag aber wieder liebevoll gekocht.“ Oder „Die Gewürze waren fein aufeinander abgestimmt.“ Oder: „Das war reichlich und ich bin richtig satt geworden.“
Heute sage ich ihr knapp und bündig: „Für das heutige Essen bekommst du eine Eins.“ Natürlich habe ich auch weitere Beurteilungsfelder gefunden, zum Beispiel die liebevolle Zuwendung, den sparsamen Umgang mit dem zugeteilten Haushaltsgeld. Das sind alles Hauptfächer. Blumenpflege und Silberputzen sind Nebenfächer.
Um nicht Gefahr zu laufen, meine Frau wegen meiner Liebe und Zuneigung zu milde zu beurteilen, habe ich meine Beurteilungskriterien objektiviert. Ich tat es, indem ich zum Vergleich die Leistungen der Frauen aus der Nachbarschaft und die Leistungen meiner Mutter heranzog. Zwischen meiner Mutter und meiner Frau ist es deshalb seit einiger Zeit zu einigen Spannungen gekommen.
Morgen bekommt meine Frau ihr Zeugnis. Ihre Durchschnittsnote ist Zwei, sodass sie von diesem Leistungsstand her mein Haus nicht verlassen muss. –
Zitat Ende. – Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss!
(Beifall und Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Feuß. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Damit es keine Verwirrung gibt, möchte ich hier zuerst einmal für die Grünen ein Bekenntnis zur Leistung ablegen.
(Lachen von der FDP)
– Das ist ganz wichtig, ja. Ich bin für Leistung und dafür, dass Erfolge auf ehrlicher Leistung beruhen müssen.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– Genau, Herr Dr. Stamp. – Frau Gebauer, zum Beispiel für den Wahlerfolg der FDP in Niedersachsen kann ich das leider nicht konstatieren. Das kann ich noch nicht mal für den Wahlerfolg der FDP hier in NRW konstatieren.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nur kein Neid!)
Ich bin auch – das will ich auch ganz deutlich sagen – gegen leistungsloses Einkommen von Europaabgeordneten sowie gegen leistungslose Doktortitel.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt will ich aber dem Kollegen Kaiser ausdrücklich eine Freude machen. Deswegen habe ich mir ein Zitat herausgesucht, das ich hier entsprechend vortragen möchte.
„Die Zahl der Sitzenbleiber ist viel zu hoch. Das ist eine Verschwendung von Potenzial. Gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung können wir uns das gesellschaftlich nicht mehr leisten, da wir diese jungen Leute dringend benötigen. Außerdem ist das Sitzenbleiben häufig eine pädagogisch kaum weiterführende Maßnahme. Es ist für mich nicht einsehbar, warum eine Schülerin oder ein Schüler, die beziehungsweise der vielleicht in ein, zwei Fächern nicht mehr ausreichende Leistungen erbringt, ein ganzes Schuljahr in allen Fächern wiederholen soll. Die Wiederholung einer Klasse hat auch nicht immer dazu geführt, dass ein Schüler nächstes Jahr tatsächlich bessere Leistungen erbringt. Ganz zu schweigen davon, dass man seine Klasse verlassen muss, dass man sich als Außenseiter fühlt und vieles mehr, was einen jungen Menschen psychisch belastet kann. Und noch etwas kommt dazu: Die Maßnahme ist finanziell sehr fragwürdig. Experten haben berechnet, dass jeder Sitzenbleiber den Staat rund 15.000 Euro kostet – an zusätzlichen Lehrerstellen sowie an ausbleibenden Steuerzahlungen.“
Ich weiß, dass der Kollege Kaiser weiß, wen ich zitiert habe: Barbara Sommer in der Zeitschrift der GEW, Ausgabe 3/4 im Jahr 2009. Wie erfrischend klar ist diese Aussage einer ehemaligen Ministerin einer schwarz-gelben Landesregierung!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In diesem Ansatz haben wir sie auch unterstützt, als die Initiative „Komm mit!“ mit den Lehrerverbänden ins Leben gerufen worden ist. Sie hat gewusst, wovon sie redet. Gerade als Grundschullehrerin wusste sie, wie es geht und dass es geht.
Allerdings hat die Ministerin bei der FDP offensichtlich keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das muss man auch konstatieren.
Liebe Kollegen und Kolleginnen von der FDP, ich kann mir vorstellen, wie es Ihnen beim Schreiben dieses Antrags gegangen ist: Ihnen sind die heiligen liberalen Schauer über den Rücken gelaufen angesichts der rot-grünen Bildungspolitik, die Sie hier auszuhalten haben und die Ihnen offensichtlich Ängste bereitet.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Mit Unterstützung der CDU!)
Ich habe mich aber auch gefragt, welche Vorstellungen vom Lernen Sie eigentlich haben und was bei Ihnen „nachhaltige Leistungsentwicklung“ heißt. Wir wissen aus der Neurobiologie doch ganz genau:
„Das Gehirn lernt immer. Dafür ist es geschaffen. Das kann es am besten und würde es am liebsten andauernd tun. Käme ihm die Angst nicht allzu oft in die Quere.“
Das sagt Manfred Spitzer. – Gerald Hüther führt aus:
„Kinder, die ihre ursprüngliche Lernlust schon verloren haben, kann man kurzfristig dazu bringen, sich bestimmtes Wissen anzueignen – durch Androhung von Strafe oder die Ankündigung einer Belohnung. Langfristig haben diese Dressurmethoden allerdings ungewollte Folgen, denn bestenfalls können wir unsere Kinder damit zu braven Pflichterfüllern machen. Inzwischen haben wir es aber noch weiter getrieben: Der Druck wird nicht nur von außen erzeugt, sondern wir erziehen unsere Kinder so, dass sie sich den Stress freiwillig selbst bereiten.“
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Was bedeutet es eigentlich für Ihr Weltbild, dass es Schulen gibt, die Schülerinnen und Schüler viele Jahre zu Spitzenleistungen führen und dabei ohne Ziffernnoten auskommen? Das muss Sie doch total erschüttern.
Nehmen Sie doch mal wahr, welche Schulen für den Deutschen Schulpreis nicht nur nominiert werden, sondern mit diesem Preis auch ausgezeichnet werden! Wie zum Beispiel Reinhard Kahl im Jahr 2011 ausgeführt hat, steht in Erhebungen eine Schule mit Spitzenleistungen an der Spitze im Land Niedersachsen – vor allen anderen Gymnasien bis auf eines –, die genau diese Lernkultur entwickelt hat und berücksichtigt, dass Leistung Freude macht, dass sie nachhaltig verankert ist und dann wirklich über das Leben weiter mitgetragen wird.
Deswegen ist dieser Antrag – ich sage das mal ganz hart – bildungspolitischer Blödsinn, weil sich hier niemand von Leistung distanziert. Vielmehr geht es um Folgendes: Leistung muss Freude machen. Leistung muss angstfrei erbracht werden können. Diese Lernkultur wollen wir hier in Nordrhein-Westfalen stiften.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Überlegen Sie sich deswegen bitte, wie Sie in Ihren Ausführungen weiter damit umgehen; denn Sie tun den Schulen, die so erfolgreich arbeiten, und den Schülerinnen und Schülern bitter unrecht.
Sie haben in diesem Antrag eine ideologische Überhöhung vorgenommen. Das Ganze fällt in die Schublade „Ideologie“. Diese Schublade haben Sie aufgemacht und gefüllt. Das führt nicht weiter. So werden Sie – die Kollegen haben es gesagt – ein negatives Alleinstellungsmerkmal beibehalten. Das ist für Ihre Arbeit auch nicht leistungsfördernd.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Beer. – Nun spricht für die Piratenfraktion Frau Kollegin Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Liebe Frau Gebauer, nach den beiden Anträgen „Stärkungspakt für Gymnasien“ kommt nun die Warnung vor der leistungslosen Schule. Es droht der Untergang des Abendlandes. Das hat ein bisschen was von „Schule muss sich wieder lohnen“.
Was ist eigentlich Leistung? Rein physikalisch ist Leistung Energie pro Zeit.
Wir sind uns wohl alle einig: Alle Kinder wollen, wenn sie in das erste Schuljahr kommen, Leistung erbringen. Sie möchten lernen, sind ganz wild darauf. Der erste Schultag wird bei uns in Deutschland als Beginn eines neuen Lebensabschnitts gefeiert. Diesen Tag begehen alle sehr motiviert.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Jedes Kind versucht, sein Bestes zu geben. Wenn das dann irgendwann während der Schulzeit verloren geht, liegt irgendwo ein Fehler im System.
Dieser Fehler wird aber nicht durch Ziffernnoten behoben. Ziffernnoten und Angst vor dem Sitzenbleiben sind Ausdruck von extrinsischer Motivation, also Motivation aus Angst vor dem Versagen.
Wir aber wollen intrinsische Motivation fördern und aufrechterhalten. Deshalb müssen wir die individuelle Förderung noch viel mehr ausbauen. Da stecken wir noch in den Kinderschuhen.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD, den GRÜNEN und Klaus Kaiser [CDU])
Individuelle Förderung heißt: Jedes Kind und jeder Jugendliche hat seine eigenen Lernziele und Leistungsanforderungen. Es wird unter Umständen zieldifferent gearbeitet. Individuelle Förderpläne mit individuell zu erreichenden Kompetenzstufen für jeden Schüler werden an die Stelle von starren Curricula treten müssen, und zwar für alle Schüler.
Frau Gebauer, ich weiß, dass Ihnen besonders die leistungsstarken Schüler am Herzen liegen. Ich gebe Ihnen durchaus recht, dass diese häufig unter „ferner liefen“ bedacht werden. Schule orientiert sich immer noch zu sehr am Mittelmaß. Das kann und muss sich durch den Ausbau individueller Förderung ändern. Aber Ziffernnoten sind kein Mittel der Förderung, sondern – im schlimmsten Fall – ein Mittel der Ausgrenzung.
Auch und besonders für leistungsstarke Schüler sehe ich Chancen durch eine bessere individuelle Förderung. In einem zunehmend heterogenen und inklusiven Schulsystem werden Ziffernnoten keinen Platz haben können. Denn Noten sind darauf aus, die Leistungen einer Gruppe von Schülern miteinander zu vergleichen, sie dokumentieren nicht den individuellen Leistungsfortschritt, den ein Schüler erreicht hat. Schlimm fände ich es, wenn in zunehmend heterogenen Klassen diejenigen, die eher eine praktische Begabung haben, immer die Fünfer-Kandidaten wären. Da schwindet die Motivation dann tatsächlich.
In NRW von individueller Förderung zu sprechen, finde ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings mehr als gewagt. Die vorhandenen Ressourcen reichen für eine wirkliche Förderung bei Weitem nicht aus. Dafür muss das Schulsystem völlig auf den Kopf gestellt werden, Schule muss sich komplett verändern. Das wird noch viele Jahre dauern.
Zum Thema „Kopfnoten“: Auch hier sagt eine bloße Ziffer nichts aus. Die meisten Schulen haben es sich leicht gemacht und den Schülern ein Befriedigend gegeben. Was heißt das? – Negativ aufgefallene Schüler haben ein Mangelhaft bekommen, ohne dass beschrieben wurde, wo das Problem lag geschweige denn die Ursache.
Frau Gebauer, ich bin kein Gegner von Kopfnoten, gerade aus meiner Sicht als Sonderpädagogin nicht. Für viele meiner Schüler war die Beschreibung eines guten Arbeits? und Sozialverhaltens die Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Die Beschreibung von vorhandenen Schlüsselkompetenzen gelingt jedoch nicht durch eine Ziffer, sondern nur durch die klare Ausformulierung der Kompetenzen, die ein Schüler erreicht hat.
Zum Sitzenbleiben: Vor dem Hintergrund der individuellen Förderung kann das Wiederholen einer Klasse bei Verfehlen des Klassenziels nicht mehr als Automatismus erfolgen; denn in der inklusiven Schule wird es kein allgemeines Klassenziel mehr geben. Das Wiederholen einer ganzen Klasse ist eine pädagogische Maßnahme für Einzelfälle. Bei mangelhaften Leistungen in einzelnen Fächern sollte zunächst versucht werden, die Defizite durch Fördermaßnahmen anzugehen.
Dennoch wird es immer wieder Gründe geben, bei denen eine Klassenwiederholung Sinn macht. Ich finde es falsch, Klassenwiederholungen zu verteufeln. Lange Krankheit oder eine Phase der Schulverweigerung können Gründe für eine Wiederholung sein, wenn man dadurch zum Beispiel einen besseren Bildungsabschluss erlangen kann.
(Beifall von den PIRATEN und Klaus Kaiser [CDU])
Eine solche Entscheidung sollte einvernehmlich mit den Schülern und Eltern getroffen werden. Es ist eine pädagogische Entscheidung und keine Strafe für mangelnde Leistung.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf unsere Idee der fließenden Schullaufbahn hinweisen, die von einem Kurssystem ausgeht, welches aufeinander aufbaut; das kann man durchaus innerhalb eines Klassenverbandes umsetzen. Das Erreichen einzelner Kursziele durch die dort erworbenen Kompetenzen führt dann zu unterschiedlichen Abschlüssen. Gelingt es einem Schüler nicht, einzelne Kurse erfolgreich abzuschließen, auch nicht durch intensive Förderung, dann kann bei Aussicht auf Erfolg der Kurs, aber es muss nicht das ganze Jahr wiederholt werden.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das wäre Lebenszeitverschwendung!)
– Wenn ich einen Kurs wiederhole, ist das keine Lebenszeitverschwendung. Das ist der Fall, wenn ich das ganze Jahr wiederhole.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Nein, sie meint die Klasse!)
Als Betroffene sage ich Ihnen: In Fremdsprachen hatte ich Probleme, war aber in Mathe und Deutsch immer prima. Warum muss man dann alles noch mal machen? Dafür gibt es keinen Grund.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich unterstütze das! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Man versteht sich nicht!)
Insofern sage ich: Wenn man einen Kurs wiederholt, dann kann man da die Defizite aufarbeiten, man muss aber nicht das ganze Jahr wiederholen.
Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung hat nun Frau Schulministerin Löhrmann das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz zu den beiden zentralen Zielen der Landesregierung in der Bildungspolitik: Auf der einen Seite wollen wir, dass alle Kinder einen gerechten Zugang zu Bildung bekommen, wir wollen die Gerechtigkeit im Bildungssystem verbessern. Auf der anderen Seite wollen wir die Leistungsfähigkeit, die Leistungen in unserem Schulsystem insgesamt verbessern. In beiden Punkten besteht Handlungsbedarf.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte, dass Schülerinnen und Schüler angstfrei in die Schule gehen, dass sie herausgefordert und gefördert werden. Sie sollen motiviert werden zu lernen. Sie müssen motiviert werden, ihr Leben lang weiterzulernen, weil sie mit dem reinen Wissen, das sie nach der Schule haben, nicht erfolgreich durch das Leben kommen werden, auch nicht durch das Wirtschaftsleben.
Ich habe auch einen Franzosen im Angebot, Frau Gebauer, mit dem Motto: Kinder sind nicht Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entfacht werden sollen. – Das hat Rabelais im 16. Jahrhundert gesagt.
Ja, meine Damen und Herren, wir gehen verantwortlich mit der Lebenszeit junger Menschen um.
Das ist auch ein Auftrag der Bildungskonferenz in Nordrhein-Westfalen, an der alle wichtigen Akteure des Bildungssystems teilgenommen haben, der sich die FDP leider verweigert hat. Dort haben wir gemeinschaftlich formuliert und festgehalten, dass die Schulen Verantwortung für die aufgenommenen Schülerinnen und Schüler entwickeln und eine Kultur des Behaltens aufbauen.
Jetzt mache ich mal Werbung für Herrn Silbernagel vom Philologen-Verband und Herrn Kaiser von der CDU: Wir haben gestern Abend im „Funkhausgespräch“ von WDR 5 gemeinsam diskutiert. Da gab es nur eine Enttäuschte, das war Frau Schulte-Loh, die dachte, sie bekäme richtig Zoff in die Sendung. Sie hat aber ein kultiviertes Gespräch zwischen vier Menschen erlebt, die alle diesem Grundgedanken folgen.
Wir sind uns also einig: Fördern statt Sitzenbleiben! Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass möglichst viele Kinder motiviert zu guten Leistungen kommen und dann keine ganze Klasse wiederholen müssen, was in Einzelfällen jedoch durchaus gerechtfertigt ist. Nichts anderes ist die Politik der Landesregierung, meine Damen und Herren.
Weil sich die FDP als Retter einzelner Schulformen versteht, möchte ich ein Beispiel nennen: Eine der „Komm mit!“-Schulen hat an sich gearbeitet. Ich trage vor:
„Keine Sitzenbleiber an der Israhel-van-Meckenem-Realschule. Bocholt – Vom Sitzenbleiben hält Hans-Karl Eder nicht viel. Der Schulleiter der Israhel-van-Meckenem-Realschule findet: ‚Für Kinder ist das keine empfehlenswerte Erfahrung.‘ Von seinen Schülern musste in den letzten vier Jahren keiner diese Erfahrung machen. ‚Zum vierten Mal in Folge ist bei uns niemand sitzen geblieben‘, freut sich Eder. Doch von nichts kommt nichts. ‚Bei uns hat keiner einen Freibrief‘, betont Eder. ‚Die Schüler müssen auch bereit sein, sich anzustrengen.‘ Gleichzeitig biete die Schule eine Förderung für schwächere Schüler an. Es gibt ein Lernbüro, das jeweils in der siebten und achten Stunde geöffnet ist. Wenn ein Kind ein Problem hat, weil es zum Beispiel die binomischen Formeln nicht verstanden hat, kann es hierher kommen und sich Hilfe suchen. Wichtig sei, dass die Motivation von den Schülern kommen könne. ‚Schule muss es schaffen, dass es cool ist, sich helfen zu lassen‘, betont Eder.“
Also: Es gibt gute Beispiele.
Ich frage Sie, Frau Gebauer: Ist das jetzt eine leistungslose Schule? Das ist doch der neue Begriff, den Sie hier etablieren wollen, um unsere Schulpolitik zu diffamieren. Sie diffamieren aber ganz viele Schulen in Nordrhein-Westfalen,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
die sich auf den Weg gemacht haben, dass Kinder Freude am Lernen haben und zu guten Ergebnissen kommen.
Herr Stamp, ich habe ja gehofft, Ihr Fraktionsvorsitzender wäre hier; denn ich wollte ihm ein bisschen Osterlektüre mitgeben. Ich habe nämlich mal die Schulpreisnominierten bzw. Schulpreisgewinner der letzten Jahre aus Nordrhein-Westfalen zusammenstellen lassen. In all diesen Schulen wird genau das vorgelebt, zum Teil seit langen Jahren: gutes Lernen und gute Leistungen.
Ein wunderbares Beispiel ist die Wartburgschule, die ohne Ziffernnoten Kinder zu wunderbaren Ergebnissen führt. Das war peinlich für die Vorgängerregierung. Weil man „Noten, Noten, Noten“ als leistungsfördernd ausgegeben hat, musste dann ganz schnell für drei Schulen ein Schulversuch etabliert werden, damit diese Schule, die von Bundespräsident Köhler prämiert war, nicht ihr pädagogisches Programm gezwungenermaßen ändern musste. Das war peinlich. Die CDU hat sich weiterentwickelt. Sie sind genau an dieser Stelle stehen geblieben,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
weil Sie einen alten Konflikt aufmachen: Leistung gegen lernförderliche, kindgerechte Schule. Da ist die Gesellschaft längst weiter.
Ich wünschte mir, Herr Lindner würde das studieren, Frau Gebauer natürlich und andere auch, damit wir hier nicht Scheindebatten führen, die uns von einer guten, innovativen Schulentwicklung wegführen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Stamp?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Aber gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Kollege Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Ministerin, vielen Dank für die Möglichkeit der Zwischenfrage.
Vielleicht darf ich den einen Satz ergänzen: Wenn Sie in die Bank Ihrer Fraktion gucken, sollten Sie nicht auf unseren Fraktionsvorsitzenden schimpfen.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Das war freundlich gemeint. Das war überhaupt kein Vorwurf. Ich wollte ihm das geben. Ich gebe ihm das auch noch. Er kommt ja sicher wieder.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Bevor Herr Zimkeit jetzt ruft, ich solle endlich die Frage stellen, will ich Sie fragen. Sie sprechen hier von positiven Ergebnissen von Realschulen und Gymnasien. Warum stellen dann immer wieder Kolleginnen von Ihnen die Schulformen Gymnasium und Realschule perspektivisch infrage? Geben Sie hier ein Bekenntnis für die Weiterexistenz von Gymnasien und Realschulen ab?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ach Gott! Herr Stamp, die Landesregierung und die CDU haben einen Schulkonsens erarbeitet, haben ihn in der Verfassung und im Schulgesetz verankert. Darin stehen die Schulformen, die bis zum Jahr 2023 in Nordrhein-Westfalen Bestand haben. Dazu gehören selbstverständlich auch die Gymnasien und die Realschulen.
Es gibt aber eine Einschränkung: Schulen müssen vor Ort von den Kommunen gewollt sein, und Schulen müssen vor Ort von den Eltern akzeptiert sein und gewählt werden. Der Elternwille und der Bedarf bestimmen vor Ort in Nordrhein-Westfalen, welche Schulen es gibt. So einfach ist das, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
So einfach ist das, Herr Stamp.
Ich habe ja heute Morgen die Ergebnisse der Schulentwicklung für das kommende Schuljahr in Nordrhein-Westfalen vorgestellt, noch vor Ostern, weil das Anmeldeverfahren überwiegend abgeschlossen ist. 39 Sekundarschulen gehen neu an den Start, 28 Gesamtschulen gehen neu an den Start – oft vor Ort mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP beschlossen und gewollt.
Sie hier im Land haben sich abgekoppelt von dieser innovativen pragmatischen Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen. Kehren Sie um! Die „Leistungslose Schule“ will kein Mensch. Das kann es auch gar nicht geben, eine leistungslose Schule. Tun Sie das wieder weg! Sonst beschämen Sie die Schulen, die in Nordrhein-Westfalen auf dem Weg in die Zukunft sind, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich freue mich, dass Herr Lindner jetzt noch gekommen ist.
(Christian Lindner [FDP]: Extra für Sie!)
Ich wollte das gar nicht kritisieren. Das haben Sie eben gemacht, obwohl die Leute alle korrekt entschuldigt sind. Herr Dr. Orth meinte, hier vorführen zu müssen, wer nicht anwesend ist, obwohl es für die Abwesenheiten gute Gründe gibt, zum Beispiel weil der Bundesrat tagt. Ein Kollege ist bei einer Beerdigung; das kann ich bei der Gelegenheit auch noch sagen.
(Christian Lindner [FDP]: Ich bin nur für Sie gekommen!)
– Das finde ich entzückend, Herr Lindner. Ich wollte Ihnen einfach schöne Urlaubslektüre mitgeben zum Thema „Mit Freude lernen und gute Leistungen bringen“. Daran könnten wir gemeinsam Freude haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Na dann frohe Ostern, Herr Lindner!
(Heiterkeit)
Wir haben eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung, bevor wir zur Abstimmung kommen. Die möchte der Kollege Schatz gerne vortragen. Bitte schön, Herr Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich. Ich mache es auch ganz kurz. Es geht nur um eine Sache. Ich bin gerade darauf hingewiesen worden, dass ich in meiner Rede zum Tagesordnungspunkt 1 eine Aussage getätigt habe, die man durchaus falsch verstehen kann. Die möchte ich gerne richtigstellen.
Ich habe gesagt, man dürfe sich nicht wundern, wenn sich diese Menschen radikalisieren. Mir wurde gesagt, das kann man durchaus falsch verstehen. Mir liegt es fern, Salafisten in Schutz zu nehmen oder gar ihr Handeln zu rechtfertigen. Gewaltbereite Salafisten sind natürlich eine fundamentale Gruppe, der mit allen verfügbaren rechtsstaatlichen Mitteln entgegengetreten werden muss.
Mit meiner Aussage wollte ich lediglich auf eine Tatsache hinweisen und keinesfalls andeuten, dass ich dafür auch nur ansatzweise Verständnis hätte. Uns muss aber klar sein, dass Ausgrenzung Radikalisierung fördert. – Ich bedanke mich.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Schatz.
Nun kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2285 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig überwiesen, was zu erwarten war.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2272
Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Spiecker für die CDU-Fraktion das Wort.
Rainer Spiecker (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die „Welt am Sonntag“ titelte diese Woche: „Mittelstand beginnt zu murren“. In diesem Artikel heißt es, dass laut einer Studie von Ernst & Young die Unzufriedenheit des Mittelstandes mit der rot-grünen Landesregierung wächst.
Die „Bild“ titelte kürzlich: Duin – der schrumpfende Ostfriese. – Interessant. Dort heißt es: Er spricht gerne und viel. Rhetorische Begabung erklärt Garrelt Duin selbst zu seiner Kernkompetenz.
(Zuruf von der SPD: Wiederholung langweilt!)
– Wieso? – Das Problem: Der Ostfriese hat fast nichts zu sagen. Ich möchte aber gerne etwas anderes anfügen. NRW-Arbeitgeberpräsident Maier-Hunke …
(Dietmar Bell [SPD]: Er wurde gestern schon zitiert!)
– Genau. Aber es ist wirklich interessant. – Laut unserem Arbeitgeberpräsidenten wird unser Bundesland einzigartig regiert, nämlich einzigartig schlecht. Das sollte man doch wirklich sagen.
Das kommt davon, wenn man ein wirtschaftsfeindliches Gesetz nach dem anderen auf den Weg bringt. Die Landesregierung verantwortet ein Klimaschutzgesetz, das in Verbindung mit dem Klimaschutzplan und der Landesplanung ein Deindustrialisierungsgesetz ist und gerade den industrialisierten Mittelstand treffen wird. Die Landesregierung verantwortet ein Nichtraucherschutzgesetz, das vielen kleinen gastronomischen Betrieben das Überleben erschwert. Diese Landesregierung verantwortet ein Gemeindefinanzierungsgesetz, das zu einer flächendeckenden Erhöhung der Gewerbesteuer führt und dem Mittelstand erheblich zusetzt.
(Zuruf von der SPD: Aus Wuppertaler Sicht!)
– Genau! Aus Wuppertaler Sicht. – Diese Landesregierung belastet mit ihrem Wasserentnahmeentgelt unnötig insbesondere die mittelständische Wirtschaft, zum Beispiel die Sand- und Erdenunternehmer und die Brauwirtschaft. Wenn Sie Ihr Mittelstandsgesetz schon wie eine Monstranz vor sich hertragen, dann fangen Sie doch auch endlich an, es ernst zu nehmen.
Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich einige Stellungnahmen aus der Anhörung zur Kenntnis geben.
Erstens aus der Stellungnahme des Bauindustrieverbandes NRW e. V.:
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
„Bereits in unserer schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW sowie in der Anhörung am 18.10.2011 hatten wir darauf hingewiesen, dass das Gesetz eine unzumutbare Belastung für die ausführende Wirtschaft mit sich bringen werde. Der vorliegende Entwurf der Rechtsverordnung bestätigt – bedauerlicherweise – in profunder Form unsere Befürchtungen.“
Zweitens aus der Stellungnahme von „unternehmer nrw“:
„Dem erklärten Ziel der Landesregierung, durch eine Rechtsverordnung den bürokratischen Aufwand des TVgG-NRW nun auf ein Minimum zu reduzieren und Rechtsunsicherheit zu beseitigen, wird der vorliegende Entwurf nicht gerecht.“
Ich könnte noch andere Stellungnahmen aufführen, möchte zum Abschluss aber nur noch eine nennen. Es geht um eine Stellungnahme des Gebäudereinigerhandwerks. Sie ist sehr interessant, kurz und bündig: Die Handhabung des TVgG wird durch den Entwurf der Verordnung nicht erleichtert.
Herr Minister, unser Land braucht keine 64-seitige Ausführungsverordnung zu diesem unsinnigen Gesetz. Unser Land braucht keine zwei Handbücher, um den Anwesenden dieses unsinnige Gesetz zu erklären. Unser Land braucht einen Wirtschaftsminister, der sich dafür einsetzt, dass dieses unsinnige Gesetz abgeschafft wird.
Nehmen Sie den Grundgedanken des Gesetzes ernst. Danach werden Vorhaben der Landesregierung, die eine Mittelstandsrelevanz aufweisen, der Clearingstelle Mittelstand zur Prüfung vorgelegt. Lösen Sie sich von Ihrer formaljuristischen Sicht, wonach so etwas laut Gesetz vor Kabinettsbefassung in die Clearingstelle gegeben wird und die Rechtsverordnung schon im Kabinett war.
Wenn Sie und die Ministerpräsidentin das wollen, dann können Sie der Clearingstelle den Verordnungsentwurf immer noch vorlegen. Andernfalls machen Sie nur einmal mehr deutlich, welchen geringen Stellenwert Mittelstand und Mittelstandsgesetz für diese Landesregierung haben.
Das Mittelstandsgesetz ist ein reines Placebo, nicht mehr als weiße Salbe. Alle mittelstandsrelevanten Gesetze – vom Tariftreue- und Vergabegesetz über das Nichtraucherschutzgesetz, das Klimaschutzgesetz und das GFG bis hin zum LÖG und zum Wasserentnahmeentgeltgesetz – haben Sie bewusst vor der Einrichtung der Clearingstelle Mittelstand durch das Parlament geprügelt.
Herr Minister, wer den Mittelstand so aufs Eis führt, muss sich nicht wundern, wenn die Unzufriedenheit wächst. Unser Land braucht einen Wirtschaftsminister und keinen Rhetorikminister. Das haben Sie aber schon häufiger gehört.
(Dietmar Bell [SPD]: Das war jetzt rhetorisch aber auch klasse!)
– Herr Bell, ich freue mich, dass Sie Spaß haben.
Herr Minister, niemand erwartet von Ihnen, dass Sie zum blinden Erfüllungsgehilfen von Arbeitgeberverbänden werden, wie Sie hier im Februar befürchtet haben.
(Dietmar Bell [SPD]: Das haben wir auch schon gehört!)
– Genau, aber es ist interessant!
Herr Minister, wir und die Menschen in diesem Land erwarten von Ihnen, dass Sie etwas für die Wirtschaft, die Arbeitsplätze und den Wohlstand in diesem Land tun. Springen Sie über Ihren Schatten! Lassen Sie die Clearingstelle Mittelstand über Ihren Verordnungsentwurf schauen! Dann brauchen Sie – das werden Sie wahrscheinlich auch schon gehört haben – auch keinen teuren Imageberater mehr, der Ihr Gesicht in der Öffentlichkeit aufpoliert.
(Dietmar Bell [SPD]: Das stimmt! Das haben wir wirklich schon gehört!)
– Deswegen habe ich Ihnen ja geholfen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Spiecker. Ich erlaube mir den Hinweis, dass durch dieses Parlament keine Gesetzentwürfe „geprügelt“ werden. Allerdings findet hier vieles auch gerne kontrovers statt.
Herr Schmeltzer hat das Wort für die SPD-Fraktion. Bitte schön.
Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich oft, ob ich nach 13 Jahren in diesem Parlament schon alles erlebt habe. Aber ich werde immer eines Besseren belehrt. Bei der gestrigen Rede des Kollegen Wüst habe ich in unseren Reihen nachgefragt, ob wir schon über den Tagesordnungspunkt mit der Clearingstelle und der Rechtsverordnung debattieren. Heute stelle ich mir die Frage, ob er seine Rede gestern deshalb falsch gehalten hat, damit der Kollege Spiecker heute die gleiche Rede noch mal halten kann.
Herr Kollege Eiskirch war so liebenswürdig und hat mir schnell – bevor er sie an den Stenografischen Dienst weitergibt – seine Rede von gestern gegeben. Vielleicht sollte ich jetzt parallel diese Rede von gestern halten.
(Beifall von der SPD)
Das war schon eine peinliche Nummer, Herr Kollege Spiecker. Aber das zeigt nichts anderes, als dass Sie jetzt tatsächlich in der Opposition angekommen sind. Sie haben keine Inhalte. Das haben wir auch bei der Haushaltsplanberatung gemerkt. Alles das, was Sie immer wieder neu aufbrühen – wie das mit der Clearingstelle – ist nicht nur falsch, sondern auch populistisch aufgewärmt. – Herr Wüst und Herr Brockes sind heute beide nicht anwesend, ich vermute, sie sind entschuldigt. Auf beide werde ich aber gerne noch einmal zurückkommen.
Sie haben den Antrag für eine Clearingstelle zum Klimaschutzgesetz gestellt, aber überhaupt nicht zur Clearingstelle geredet.
Vor drei Wochen haben Sie den Antrag zum Ladenöffnungsgesetz gestellt, aber überhaupt nicht über die Clearingstelle geredet. Vor drei Wochen habe ich leider mit Fieber im Bett gelegen. Meine Frau hat mit mir geschimpft, weil ich mir trotzdem die Debatte angehört habe. Ich kann Ihnen sagen: Insbesondere die Rede des Kollegen Wüst hat nicht zur Genesung beigetragen. Eher das Gegenteil war der Fall, es hat ein bisschen länger gedauert.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Die Kollegin Müller-Witt hat Ihnen schon vor drei Wochen sehr deutlich gemacht, wie es um die Clearingstelle steht. Sie hat Ihnen gesagt, dass Sie Sand im Getriebe haben. Als ich gesehen habe, dass heute nicht der Kollege Wüst spricht, sondern der Kollege Spiecker, habe ich gedacht: Sie sind auf dem Weg der Besserung, Sie tauschen das Getriebe aus. – Ja, Sie haben das Getriebe ausgetauscht. Aber leider haben Sie wieder ein altes genommen, in dem nach wie vor Sand ist.
Sie waren seinerzeit gegen das Mittelstandsgesetz. Ich will an dieser Stelle noch mal gerne daran erinnern, dass es die schwarz-gelbe Landesregierung während Ihres kurzen parlamentarischen Schauspiels war, die ein Mittelstandsgesetz abgeschafft hat – immer wieder, über fünf Jahre hinweg, mit den wohlgeformten Worten: Wir werden ein mittelstandsfreundliches Mittelstandsgesetz auf den Weg bringen.
Und was war? Nichts! Luftblasen, die dem Land fünf Jahre geschadet haben, waren Ihre Politik. Dafür haben Sie ja auch die Quittung bekommen.
Jetzt sind wir in der Situation – der Minister hat es in beiden vorherigen Debatten zu Klimaschutz und Ladenöffnung schon gesagt –: Am 11. März 2013 ist eine gute Vereinbarung über die Clearingstelle unterzeichnet worden. Im Übrigen waren bei den Unterzeichnern dabei: Prof. Schulhoff, Herr Maier-Hunke, der gerne immer von Herrn Wüst als Kronzeuge dafür genannt wird, wie schlecht doch dieses Landesregierung ist, und auch der Präsident der Industrie- und Handelskammern Nordrhein-Westfalen, Herr Bauwens-Adenauer.
Gestern wurde in der Debatte auch die Veröffentlichung von unternehmer nrw erwähnt, zu der Kollege Eiskirch die Zwischenfrage gestellt hat, ob Sie diese zur Kenntnis genommen haben, worauf Herr Wüst oberlehrerhaft gesagt hat: Lesen Sie auch, was er im zweiten Absatz noch gesagt hat! – Sie werden lachen, ich habe mir die Mühe gemacht und sogar den dritten und vierten Absatz gelesen.
Ich zitiere jetzt aus der Pressemitteilung von unternehmer nrw Prof. Wolfgang Schulhoff, Präsident des NRW-Handwerkstages:
„Das ist etwas substanziell Neues. Wir sind“
– achten Sie auf den Wortlaut –
„zukünftig am Gesetzgebungsverfahren bereits vor der Vorstellung des Entwurfs im Landtag beteiligt. Das eröffnet uns als Handwerks- und damit als Mittelstandsvertreter Gestaltungsspielräume.“
„Zukünftig am Verfahren beteiligt“!
Oder Herr Maier-Hunke, der immer wieder herhalten muss, dass er uns kritisiert, sagt in dieser Veröffentlichung:
„Der Präsident von unternehmer nrw, Horst-Werner Maier-Hunke, sieht in dem in dieser Form bundesweit bisher einmaligen Clearingverfahren die Chance, Gesetzes- und Verordnungsvorhaben der Landesregierung schon bei ihrer Erarbeitung“
– also nicht in dem Stadium, in dem wir jetzt sind –
„auf ihre Mittelstandsverträglichkeit zu überprüfen.“
Gut die Aussage!
Oder IHK-Präsident Bauwens-Adenauer:
„Wir freuen uns, dass wir als Mittelstand in NRW nun bereits im Vorfeld politischer Entscheidungen aktiv eingebunden sind, um die Landesregierung bei der Herbeiführung effizienter Regelungen zu unterstützen.“
Bessere Zeugen dafür, dass Ihre Anträge ins Leere laufen, kann man gar nicht haben als die, die Sie sonst immer anführen.
Die Clearingstelle ist definitiv personell noch nicht besetzt. Sie hat sich noch nicht konstituiert. Die Personen werden in absehbarer Zukunft – der Minister wird sicherlich Deutlicheres dazu sagen – ihre Arbeit aufnehmen. Natürlich ist der DGB dabei. Herr Brockes hat sich ja disqualifiziert, indem er es in der Debatte am 27. Februar in Abrede gestellt hat, dass die da etwas zu suchen hätten. Das Rückgrat des Mittelstandes in Nordrhein-Westfalen sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen ist es gut, dass der DGB dabei ist.
Der Antrag läuft ins Leere, und es gibt nichts anderes zu tun, als ihn deutlich abzulehnen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Schmeltzer. – Und nun spricht für die grüne Fraktion Frau Schneckenburger.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Spiecker, ich glaube, bei Ihnen in der CDU-Fraktion ist irgendetwas in der Aktenablage schiefgegangen. Sie recyceln nicht nur die Redebausteine, wie man hier sehen konnte, sondern Sie recyceln auch Ihre eigenen Anträge. Das ist heute der dritte Antrag zu einem leicht modifizierten Thema, in dem Sie sich mit der Clearingstelle auseinandersetzen.
Ich hätte es mir genauso leicht wie die CDU-Fraktion machen und einfach eine alte Rede aus dem Schrank ziehen können. Aber, ehrlich gesagt, diese Leistung muss man schon noch ein bisschen würdigen.
Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren, seit der Landtagswahl 2010, bereits eine Vielzahl von politischen Weichenstellungen vorgenommen. „unternehmer nrw“ hat das gerade beim Mittelstandsgesetz auch noch einmal gelobt. Kollege Schmeltzer hat das zitiert.
Das hat keinen Beifall bei der CDU gefunden. Aber, ehrlich gesagt – das gebe ich unumwunden zu –, das ist ja auch nicht ganz so dramatisch; denn wir sind ja nicht angetreten, um CDU und FDP zu gefallen, sondern um dieses Land auch wirtschaftspolitisch voranzubringen. Wir sind gewählt worden, weil die Menschen in Nordrhein-Westfalen eine andere Politik haben wollten, eine andere Politik für die Unternehmen, aber auch für die Menschen in Nordrhein-Westfalen.
Da geht es auch um Beteiligung. Es geht gerade um die Beteiligung des Mittelstandes, und deswegen ist das Mittelstandsgesetz ein wichtiges Instrument und ein wichtiger Schritt, um diese Unternehmen bei der immer schwierigeren Aufgabe, das Land wirtschaftlich voranzubringen, mitzunehmen. Dabei sind sie natürlich ein ganz wesentlicher Teil.
Was uns an der Stelle bewegt, ist aber vor allen Dingen die Inhaltslosigkeit und Einfallslosigkeit, mit der die CDU ihren Job erfüllt. Nicht nur, dass Sie selber den Eindruck vermitteln, als hätten Sie überhaupt kein ernsthaftes Interesse oder keine Lust an einer inhaltlichen parlamentarischen Arbeit, ich finde es auch dramatisch, dass Sie sich Ihrer Aufgabe als Opposition verweigern und keine eigenen konstruktiven Vorschläge einbringen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Stattdessen arbeiten Sie die ganze Zeit und gerade bei dem Mittelstandsgesetz nach dem Copy-and-Paste-Prinzip und kupfern Ihre eigenen Anträge ab. Das gilt auch in diesem Fall. Zuerst haben Sie das Klimaschutzgesetz und dann das Ladenöffnungsgesetz aussetzen wollen mit Verweis auf das Mittelstandsgesetz. Jetzt tun Sie es auch noch mit Blick auf die Verordnung zum Tariftreue- und Vergabegesetz.
Dabei – das muss man sich noch einmal klarmachen – haben wir zum Gesetz und zur Rechtsverordnung bereits zwei Anhörungen durchgeführt. Wir haben ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen. Darum wäre aus unserer Sicht selbst dann eine Befassung der Clearingstelle nicht mehr nötig, wenn sie schon ihre Arbeit aufgenommen hätte; denn sie soll ja gerade dieses Anhörungsverfahren gewährleisten.
Die Clearingstelle soll ermöglichen, dass sich Unternehmen, Unternehmer und Unternehmerinnen frühzeitig zu Gesetzesvorhaben der Landesregierung verhalten können. Das ist das Novum und der entscheidende Schritt in Nordrhein-Westfalen, dass sie bereits vorher einbezogen werden. Darum hat Herr Schulhoff auch gesagt – das wurde eben zitiert –: Danke schön, das ist wirklich etwas Neues in Nordrhein-Westfalen. Wir fühlen uns nicht nur ernst genommen, sondern auch einbezogen. – Und das ist auch Sinn und Zweck dieses Gesetzes.
Darum soll die Clearingstelle Initiativen der Landesregierung prüfen, bevor sie im Kabinett beschlossen werden.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Eine Clearingstelle ist kein Instrument der Opposition, um der Regierung das Leben schwerzumachen. Es ist ein Beratungsinstrument. Aber es ersetzt auch keine Entscheidung des Parlamentes am Ende. Das ist auch richtig.
Wir haben über das Tariftreue- und Vergabegesetz, über die Rechtsverordnung und über das Mittelstandsgesetz erschöpfend diskutiert. Ich kann jetzt keinerlei neue Argumente erkennen. Was unter dem Strich bleibt, ist die Erkenntnis, dass Sie, finde ich, wirtschaftspolitisch auch drei Jahre nach Ihrer Abwahl inhaltlich leer und erschöpft erscheinen.
Opposition ist kein Mist. Sie soll Alternativen aufzeigen. Sie soll auch Alternativen zur Regierungspolitik aufzeigen. Aber ich finde, was Sie mit diesem Antrag vorlegen, ist schlichte Verweigerung dieser Oppositionsarbeit. Eigene Konzepte – Fehlanzeige. So, meine Damen und Herren von der CDU, werden Sie jedenfalls kein Land gewinnen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Abgeordneter Bombis.
Ralph Bombis (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Liebe Frau Schneckenburger, lieber Herr Schmeltzer, ich muss an der Stelle eines klarstellen: Wir haben versucht, das Mittelstandsgesetz konstruktiv zu begleiten. Wir haben es nicht kritisiert, weil es dieses Mittel der Clearingstelle vorsieht, sondern wir haben es kritisiert, weil es nicht ausreichend für mittelstandsfeindliche Gesetzesvorhaben aus der Vergangenheit anwendbar ist. Das ist ein entscheidender Unterschied.
(Beifall von der FDP)
Dass Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken, als würden wir das Mittelstandsgesetz als solches und das Instrument der Clearingstelle kritisieren, ist unrichtig. Darum geht es in dieser Debatte nicht.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So ist das!)
Es ist doch erstaunlich, welche zeitlichen Zufälle sich bei der Ausfertigung des Mittelstandsgesetzes und bei der Einbringung der Rechtsverordnung zum Tariftreue- und Vergabegesetz aneinanderreihten.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie bitte. Frau Kollegin Schneckenburger möchte Ihnen eine Frage stellen.
Ralph Bombis (FDP): Mit dem größten Vergnügen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Frau Schneckenburger.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Danke schön für die Gelegenheit. – Kollege Bombis, Sie haben eben darauf Bezug genommen, dass die Clearingstelle Mittelstand Gesetzesvorhaben rückwirkend prüfen solle und das Ihre Forderung gewesen sei.
Haben Sie zur Kenntnis genommen – und wie bewerten Sie es, wenn Sie es zur Kenntnis genommen haben –, dass die Unternehmerverbände in der Anhörung zum Mittelstandsgesetz gesagt haben, dass sie ein Interesse daran haben, mit dieser Arbeit zu beginnen, die Arbeit der Clearingstelle zur Mittelstandsverträglichkeitsprüfung aber für überfrachtet hielten, wenn Gesetzesvorhaben rückwirkend geprüft würden?
Ralph Bombis (FDP): Liebe Frau Kollegin, ich war auch in der Anhörung. Es hat eine vereinzelte Stimme gegeben, die gesagt hat, wir sollten jetzt erst einmal starten; das ist vollkommen richtig. Es haben aber auch viele Vertreter in der Anhörung formuliert, wir sollten die Option ins Gesetz aufnehmen, dass in der Zukunft durchaus ein erweiterter Auftrag möglich sein soll. Diese Anregung hat es gegeben, und das hätte man bereits jetzt in das Gesetz aufnehmen können.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
Ich rekapituliere noch einmal den zeitlichen Ablauf. In der letzten Plenarwoche im vergangenen Jahr wurde das Mittelstandsgesetz abschließend beraten und – ich habe es noch einmal herausgesucht – am 18. Dezember 2012 zur Ausfertigung beschlossen, damit es noch rechtzeitig vor dem Jahreswechsel in Kraft treten konnte.
Die Ministerpräsidentin war vor Weihnachten sehr geschäftig. Denn am 18. Dezember – welch ein Zufall – unterzeichnete sie ebenfalls die Einbringung der Verordnung zum Tariftreuegesetz. Diese Verordnung musste noch schnell vor Inkrafttreten des Mittelstandsgesetzes ins Parlament, und zwar so schnell, dass sich in dem Anschreiben sogar ein paar Flüchtigkeitsfehler angesammelt hatten.
Man könnte fast meinen, dass die Landesregierung die Zeitpunkte absichtlich so gewählt hat, damit die Rechtsverordnung nicht unter die Mittelstandsprüfung fällt.
Dabei sind Sie doch so mittelstandsfreundlich. Man kann doch wohl davon ausgehen, dass die Tariftreueverordnung mittelstandsrelevant ist. Ich denke, daran sollten wir nach der Anhörung alle keinen Zweifel mehr haben. Der Hauptkritikpunkt in dieser Anhörung lässt sich auch relativ kurz zusammenfassen: Bürokratie, Überregulierung, Wettbewerbsverzerrung.
Besonders interessant fand ich die Prognose eines Vergabefachmanns, der im Hinblick auf die öffentlichen Vergaben künftig vier Gruppen von Unternehmen ausmacht.
Das sind einmal die Unternehmen, die sich aufgrund der guten Konjunktur erst gar nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen werden. Die Folgen werden weniger Angebotsabgaben und ein höherer Preis sein.
Es gibt zum Zweiten die Gruppe, die alles genau lesen und unterschreiben wird. Aufgrund dieser Arbeit wird sich auch der Angebotspreis erhöhen müssen.
Es gibt drittens die Gruppe, die alles unterschreiben wird, ohne es genau zu lesen, und damit einen Rechtsbruch riskiert.
Schließlich gibt es die Unternehmen, die über eine entsprechende Größe verfügen, um wie bisher am Ausschreibungsverfahren teilnehmen zu können.
Meine Damen und Herren, diese Szenarien können doch nicht ernsthaft von einer verantwortungsvollen wirtschaftsfreundlichen und vor allen Dingen mittelstandsfreundlichen Politik gewollt sein!
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, es gibt vonseiten des Kollegen Schmeltzer den Bedarf, Ihnen eine weitere Zwischenfrage zu stellen. Würden Sie die zulassen?
Ralph Bombis (FDP): Ich lasse auch die gern zu.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wunderbar. – Herr Kollege Schmeltzer, bitte.
Rainer Schmeltzer (SPD): Ich bedanke mich recht herzlich, Herr Kollege Bombis, nachdem ich gestern mit meinen Zwischenfragen oft abgeschmettert wurde.
(Ralph Bombis [FDP]: Aber nicht von mir!)
– Nein, natürlich nicht. – Herr Kollege Bombis, Sie haben gerade ein Szenario aufgemacht, was alles bei der Verabschiedung dieser Rechtsverordnung passiert. Meines Wissens hatten wir eine sehr intensive Anhörung, aus der durchaus sehr brauchbare und nützliche Hinweise gekommen sind. Wir werden im Ausschuss die Rechtsverordnung voraussichtlich noch im April abschließend beraten. Und wie ich meine Fraktion kenne, die Anhörungen ernst nimmt, werden wir auch Änderungsanträge einbringen.
Kennen Sie schon die Beschlusslage dessen, was wir bei der Rechtsverordnung beschließen bzw. vorlegen werden, weil Sie schon ein solches Szenario aufgelegt haben?
Ralph Bombis (FDP): Lieber Herr Kollege Schmeltzer, ich muss Ihnen leider sagen, dass Sie offenbar nicht genau zugehört haben. Denn ich habe lediglich zitiert, was ein Vergabefachmann in dieser Anhörung für ein mögliches Szenario aufgemacht hat.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Unterstrichen!)
Es ist doch der entscheidende Punkt, dass die Gefahr besteht, dass diese Rechtsverordnung die entsprechenden Folgen zeitigt. Und deswegen gibt es eine Mittelstandsrelevanz bei dieser Verordnung.
(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Deswegen machen wir Anhörungen!)
Meine Damen und Herren, es ist eben genau keine mittelstandsfreundliche Politik, die durch eine solche Rechtsverordnung deutlich wird. Deswegen muss ich Ihnen sagen: Entweder ist die Landesregierung mittelstandsfreundlich – dann würde sie eine solche Rechtsverordnung nicht in Kraft setzen – oder sie ist es eben nicht. Das ist doch ganz einfach.
(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])
Es kann doch nicht richtig sein, dass Unternehmen abgeschreckt werden, an Ausschreibungen teilzunehmen. Aber die Angst davor ist eindeutig nachvollziehbar. Unternehmer werden mit diesem Regelwerk überfordert. Dafür spricht auch, dass es zu diesem Gesetz bereits einen Kurzkommentar gibt. Dieser „Kurz“kommentar hat 300 Seiten. Insofern ist es nur verständlich, dass das Ministerium jetzt noch zwei weitere Erläuterungsbände für Unternehmen und Kommunen erstellen und herausgeben möchte.
Herr Minister, es wäre wert, einmal darüber nachzudenken, diese Erläuterungsbände der Clearingstelle vorzulegen. Aber das werden Sie wahrscheinlich auch in Abrede stellen.
Es kann auch nicht sein, dass Unternehmen wegen ihrer Größe politisch gesteuert ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile gegenüber kleineren Unternehmen bekommen. Es kann genauso wenig sein, dass Unternehmer praktisch gezwungen werden, das Risiko einzugehen, sich rechtswidrig zu verhalten. All das ist keine Mittelstandsfreundlichkeit, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Aus diesem Grunde fordern auch wir Sie nachdrücklich auf, diese Rechtsverordnung der Clearingstelle vorzulegen. Ich habe allerdings noch einen Alternativvorschlag: Wenn Sie das partout nicht wollen, wenn Sie diese Rechtsverordnung partout nicht auf ihre Mittelstandsfreundlichkeit überprüfen lassen wollen, dann heben Sie das Tariftreuegesetz auf, heben Sie diese Rechtsverordnung auf!
(Beifall von der FDP)
Das wäre der bisher mittelstandsfreundlichste Akt dieser Regierung. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schwerd das Wort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dies ist inzwischen der dritte Antrag der CDU, mit dem sie erreichen will, dass ein Gesetz bzw. eine Verordnung von der Clearingstelle Mittelstand überprüft wird. Diesmal soll die neue Verordnung zum Tariftreue- und Vergabegesetz durch die Lobbytruppe der Clearingstelle geprüft werden.
Inhaltlich sind diese CDU-Anträge fast gleich. Ich weise Sie freundlich darauf hin, dass man solche Schriftstücke im anderen Zusammenhang als „Spam“ bezeichnet.
(Beifall von den PIRATEN und Daniela Schneckenburger [GRÜNE])
Leider sind die Filter der Landtags-IT noch nicht so ausgereift, dass sie uns vor diesen Anträgen der CDU bewahren. Ich hoffe, dass wir jetzt nicht in jedem Plenum solch einen geklonten Antrag behandeln müssen.
Aber zur Sache: Inhaltlich teilen wir sogar einige Kritikpunkte der CDU an der vorgelegten Verordnung zum Tariftreue- und Vergabegesetz. Der Aufwand der Verfahrensanforderungen, die in dieser Verordnung festgelegt werden, ist sowohl für die öffentlichen Auftraggeber als auch für die Unternehmen enorm. Auf Praktikabilität, Verständlichkeit oder Klarheit scheint bei der Formulierung der 46-seitigen Verordnung kein sonderlich großer Wert gelegt worden zu sein. Auch wenn wir als Piraten das Tariftreue- und Vergabegesetz begrüßen, halten wir die zugehörige Verordnung für sehr wenig gelungen.
Für noch weniger gelungen halten wir allerdings den vorliegenden Antrag der CDU. Denn anstatt Vorschläge zu machen, wie man die Verordnung verbessern könnte, besteht die Lösung aus Sicht der CDU einzig darin, die Verordnung von der Clearingstelle Mittelstand überprüfen zu lassen. Bei dieser Clearingstelle Mittelstand handelt es sich jedoch um nichts anderes als ein geheim tagendes Lobbygremium. Auch wenn in diesem Fall die Verordnung schon vorliegt, möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf die generelle Arbeitsweise dieses Gremiums aufmerksam machen:
Einmalig in Deutschland erhalten durch diese Clearingstelle bezahlte Interessenvertreter der Wirtschaft per Gesetz die Erlaubnis, an neuen Gesetzen der Landesregierung mitzuarbeiten – und das normalerweise lange bevor die demokratisch gewählten Abgeordneten im Landtag die Entwürfe zu Gesicht bekommen. Das ist ein Unding!
(Lothar Hegemann [CDU]: Das ist doch üblich!)
Wir haben immer kritisiert, dass die Clearingstelle Mittelstand ein Einfallstor für Lobbyismus sein wird. Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Die Landesregierung hat es geschafft, mit der Clearingstelle Mittelstand den Lobbyismus im Gesetzgebungsprozess zu institutionalisieren und das Parlament weiter zu schwächen. Dass ein solches Gremium auf die heiße Gegenliebe der CDU stößt, wundert mich nicht. Aber es ist nach wie vor der Abgeordnete, der Gesetze gestalten, über sie beraten und sie entscheiden soll, und nicht eine Lobbyinstanz.
(Beifall von den PIRATEN)
Ihren Antrag lehnen wir genauso ab wie die fast wortgleichen Anträge von Ihnen zuvor.
Das Gleiche gilt für die Clearingstelle Mittelstand. Geheim tagende Lobbygremien sind mit dem Demokratieverständnis der Piraten nicht vereinbar.
(Beifall von den PIRATEN)
Damit scheinen wir hier im Parlament leider ziemlich alleine zu sein. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Duin das Wort.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Spiecker, schöne Grüße an Herrn Wüst!
(Heiterkeit und Beifall von Rainer Schmeltzer [SPD] und Nadja Lüders [SPD])
Ich persönlich – das ist mir vielleicht zugestanden – fand die letzten Reden von Herrn Wüst eher langweilig, weil immer die gleichen Sätze wiederholt wurden. Aber dadurch, dass Sie heute die Rede von Herrn Wüst von gestern, von vor drei Wochen und von Dezember wortwörtlich noch einmal vorgetragen haben, wird es wirklich nicht spannender. Es ist schon ein bisschen dünn, lediglich eins zu eins zu kopieren.
(Beifall von der SPD und Reiner Priggen [GRÜNE])
Es geht CDU und FDP gar nicht darum, irgendetwas in die Clearingstelle einbringen zu wollen. Zum Schluss seiner Rede hat Herr Bombis deutlich gesagt – ich bin ja dankbar für diese Klarheit –, worum es Ihnen im Kern geht. Sie haben gesagt, Sie wollen das Tariftreue- und Vergabegesetz abgeschafft sehen.
(Beifall von der FDP)
Diese Forderung ist legitim, aber dann kommen Sie nicht im Deckmantel der Clearingstelle daher, sondern sagen Sie, dass für Sie Tariftreue, ökologische Standards, soziale Standards bei öffentlichen Aufträgen keine Rolle spielen sollen. Dann sagen Sie das!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das glauben Sie doch selber nicht!)
Wenn Sie das zu Ende denken, was Sie gefordert haben, dann müssten Sie ja Ihren Vorschlag erst einmal der Clearingstelle vorlegen und dazu eine Bewertung von denen abholen. Die brauchen Sie aber offensichtlich nicht, weil Sie inhaltlich schon vollkommen festgelegt sind. Also tun Sie nicht so, als ob die Clearingstelle irgendetwas daran ändern würde.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des von Ihnen bereits angesprochenen Kollegen Bombis zu?
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Unbedingt.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Bombis.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass für die FDP-Fraktion die von Ihnen genannten sozialen, ökologischen und anderen Standards auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sehr wohl einen hohen Stellenwert haben, dass wir aber der Auffassung sind, dass es nicht richtig ist, den kleinen Handwerkern die Verantwortung für die Einhaltung solcher Standards etwa im Ausland zuzuschieben?
(Beifall von der FDP)
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Bombis, ich nehme Ihnen persönlich ab, dass die sozialen und ökologischen Standards wie auch das Thema „ordentliche Bezahlung“ einen – wie Sie gerade wörtlich gesagt haben – hohen Stellenwert haben.
Die entscheidende Frage ist doch – und das hat diese Landesregierung für sich entschieden und hat dafür im Übrigen noch ein Votum der Wählerinnen und Wähler erhalten; es war kein unwichtiges Thema in der Auseinandersetzung –, dass das Ganze nicht nur einen emotional hohen Stellenwert haben muss, sondern dass man es nach Recht und Gesetz regeln muss, damit sich auch alle daran halten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Die Verlässlichkeit ist der Unterschied.
Inhaltlich ist in der Debatte bereits alles aufgerufen worden. Das Mittelstandsförderungsgesetz ist am 29. Dezember 2012 in Kraft getreten, also acht Monate nach dem Ursprungsgesetz, nämlich dem Tariftreue- und Vergabegesetz. In dem ganzen Ablauf – Sie haben selbst auf die Daten hingewiesen – gibt es keinen Ansatzpunkt, der diese Rechtsverordnung für die Clearingstelle zur Diskussion bereithält.
Herr Schwerd, es geht in der Tat darum, dass wir die Clearingstelle unabhängig halten. Es ist nirgendwo auch nur ansatzweise erkennbar, dass hier Rechte des Parlaments beschnitten werden, sondern es geht darum, Ernst zu machen mit einem intensiven Dialog mit der Wirtschaft.
Es war auch in der Vergangenheit selbstverständlich – das ist sogar gerade von Zwischenrufen aus der Opposition noch einmal deutlich gemacht worden –, dass sich schon einzelne Organisationen zu Gesetzentwürfen, zu Referentenentwürfen geäußert haben. Unsere qualitative Neuerung besteht darin, dass in der Clearingstelle alle zusammen an einem Tisch sitzen und es dann eine gemeinsame Stellungnahme gibt, die vor die Beschlussfassung geschaltet ist.
Qualitativ gibt es etwas Ähnliches in der gesamten Bundesrepublik nicht. Hier hat Nordrhein-Westfalen eine wunderbare Vorreiterrolle eingenommen. Das sollten wir nicht kleinreden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Abschließend will ich noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Die Clearingstelle ist der Sachwalter der Interessen des Mittelstandes und der dort Beschäftigten, nicht der Interessen der Politik, nicht der Interessen der Mehrheit und nicht der Interessen der Minderheit.
Die Clearingstelle soll Sachverstand der mittelständischen Wirtschaft und der freien Berufe bei der Erarbeitung von Gesetzen sichern. Sie ist aber nicht der Stichwortgeber für die politische Auseinandersetzung. Die Clearingstelle braucht für ihre Arbeit Distanz, sie braucht aber auch Anerkennung. Was sie überhaupt nicht braucht, ist Vereinnahmung – auch nicht durch die Opposition in diesem Hause. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt.
(Zurufe von der SPD)
Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/2272. Wer dem genannten Antrag der CDU-Fraktion zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir treten ein in den Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2282
Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Abgeordneten Kern das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Danke. – Verehrter Herr Präsident!
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie bitte, Herr Abgeordneter. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zum einen die Bitte, dass diejenigen, die meinen, jetzt den Saal verlassen zu müssen, dies bitte leise tun. Zum anderen habe ich die Bitte, dass im Innenraum jetzt keine Gespräche geführt werden, sondern dass wir allen Abgeordneten die Gelegenheit geben, dem Redner wirklich zuzuhören. Danke sehr.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Nochmals danke, Herr Präsident. Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Der Abzug der NATO-Truppen Ende 2014 ist der Endpunkt des mehr als zehnjährigen NATO-geführten Militäreinsatzes in Afghanistan. Mit dem Satz „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“ sollte damals der Bevölkerung der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr außerhalb von Europa verkauft werden.
Was auch immer am Hindukusch verteidigt werden sollte – deutsche Sicherheitsinteressen waren es jedenfalls nicht. Wir Piraten lehnen die spätestens mit der Beteiligung am Afghanistan-Krieg übernommene US-amerikanische Doktrin der Präventivkriege entschieden ab.
(Beifall von den PIRATEN)
Für uns ist die Bundeswehr kein beliebig verwendbares Instrument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Doch bei aller Kritik und Ablehnung des Einsatzes: 2014 muss auch der Startpunkt eines Neuanfangs, einer möglichen Trendwende in Afghanistan sein. Jetzt gilt es nämlich, der afghanischen Bevölkerung eine echte Zukunftsperspektive aufzuzeigen. Deutschland und Nordrhein-Westfalen tragen eine besondere moralische und politische Verantwortung, sich ohne Wenn und Aber für eine friedliche Zukunft Afghanistans einzusetzen.
(Beifall von den PIRATEN)
Daran darf auch hier in diesem Hohen Hause kein Zweifel bestehen.
Dabei spreche ich auch Frau Ministerin Schwall-Düren ganz persönlich an, auch wenn sie heute leider nicht da sein kann. Sie hat im Bundestag den falschen Afghanistan-Einsatz stets unterstützt und ihm als Abgeordnete ihre Stimme gegeben. Sie hat sich damals für die uneingeschränkte Solidarität mit den USA entschieden.
Sie muss sich aber jetzt für die uneingeschränkte Solidarität mit der afghanischen Bevölkerung aussprechen.
(Beifall von den PIRATEN)
Denn es gibt bisher keinen ganzheitlichen Plan für das Danach. Eine starke zivile Präsenz der internationalen Gemeinschaft muss es auch nach 2014 geben. NRW muss ebenfalls seinen Beitrag leisten. Das ist nach eigener Aussage auch im Sinne der Landesregierung. Welche wohlklingenden Worte durften wir für uns vor nicht einmal zwei Wochen im Ausschuss für Europa und Eine Welt von Frau Ministerin Schwall-Düren anhören. Die Landesregierung setze im Rahmen der neuen Eine-Welt-Strategie auf die Rolle NRWs als Vermittler von Know-how im Rahmen von Zukunftspartnerschaften, hieß es. Wirklich schön!
Bei der Vorstellung hat die Ministerin die große Verantwortung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der internationalen Entwicklungszusammenarbeit betont. Wir fühlen uns verantwortlich. Das waren ihre Worte. Bisher sind es aber eben nur vollmundige Worte. Wir Piraten wollen nicht, dass es bei Lippenbekenntnissen bleibt.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir fordern eine konkrete Zukunftsperspektive für die afghanische Bevölkerung. Wir wollen ganz im Sinne der Eine-Welt-Strategie einen zivilgesellschaftlichen Kooperationsrahmen mit der afghanischen Provinz Herat.
Warum nun Herat? Herat wird den von der Landesregierung selber gestellten Ansprüchen an eine Zukunftspartnerschaft in geradezu idealerweise gerecht. Ich nenne drei Punkte:
Erstens. Herat ist vergleichsweise stabil und hat beste Voraussetzungen für eine positive Entwicklung.
Zweitens. Herat würde aufgrund des vergleichsweise hohen Ausgangsniveaus in besonderem Maße vom Aufbau und von der Stärkung der zivilen Infrastruktur profitieren, insbesondere der Bildungsinfrastruktur.
Drittens. Über den UN-Standort Bonn bestehen beste Kontakte und Netzwerke in die Region.
Um eines klarzustellen: Die Zukunftspartnerstadt bildet lediglich den Rahmen einer Zusammenarbeit. Die Ausgestaltung der Projekte und Programme muss den beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteuren in NRW und Herat vorbehalten bleiben. Zusätzliche Haushaltsmittel benötigt dieses Vorhaben nicht. Es geht um einen effizienten Rahmen der Zusammenarbeit in den Bereichen Zivilgesellschaft, Bildung und Verwaltung.
Meine Damen und Herren, liebe Landesregierung, ich komme zum Schluss. Wir Piraten bleiben dabei: Internationale Solidarität bedeutet für uns Solidarität mit den Menschen.
(Beifall von den PIRATEN)
Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen! Lassen Sie uns gemeinsam eine Zukunftspartnerschaft mit Herat in die Wege leiten und damit NRW zum Vorreiter und Vorbild unter den deutschen Bundesländern machen. Wir freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Hendricks.
Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vorgelegten Antrag der Piraten -Herr Kern, das wissen Sie ganz genau –, gehen Sie über die von der Landesregierung auf den Weg gebrachte Eine-Welt-Strategie bei Weitem hinaus.
Denn in der Eine-Welt-Strategie der Landesregierung gibt es – Sie sind Vorsitzender dieses Ausschusses, in dem das unlängst beraten worden ist – eine Begrenzung auf die bereits bestehenden Partnerschaften. Es kommt nämlich nicht darauf an, wie viele Partnerschaften man hat, sondern es kommt darauf an, wie man die Partnerschaften mit Leben füllt.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Und diejenigen, die gerade mit uns in Mpumalanga gewesen sind, oder diejenigen, die vorher nach Ghana gefahren sind, wissen, dass es um deutlich mehr geht als um eine Erklärung der Partnerschaft. Man muss es auch vom Land Nordrhein-Westfalen aus begleiten können, und man braucht die zivilgesellschaftliche Unterstützung.
An dem Punkt gibt es ein klares Bekenntnis in der Eine-Welt-Strategie, dass es keine zusätzlichen Partnerschaften gibt. Das ist die erste Absage, die ich Ihnen erteile.
Das Zweite – das möchte ich gerne ausführen – ist, dass die Absicht, die Sie haben, löblich ist. Aber, lieber Herr Kern, auch Deutschland hat eine besondere Verantwortung in Afghanistan, wenn im nächsten Jahr die Truppen abgezogen werden. Das ist zunächst einmal eine Verantwortung – das haben Sie freundlicherweise in Ihrer Rede dargestellt – der Bundesregierung. Nordrhein-Westfalen wird, da es Teil der Bundesrepublik ist, dies sicherlich unterstützen. Aber das ist keine Frage der Partnerschaft.
Die Frage des Wiederaufbaus und der Zukunftssicherung Afghanistans ist zunächst einmal etwas, was im Rahmen der Bundesregierung und der Bundeswehr aktiv unterstützt wird. Hinzu kommt, dass auch zurzeit zahlreiche staatliche und nicht staatliche Akteure im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit den Wiederaufbau von Afghanistan tatkräftig unterstützen.
Die Bundesrepublik Deutschland nimmt die Verantwortung für Afghanistan wahr. Projektpartnerschaften wären auch grundsätzlich geeignet. Aber – jetzt komme ich auf die Provinz Herat zu sprechen – Herat ist für Nordrhein-Westfalen nun gänzlich ungeeignet. Die Beziehungen zu Afghanistan liegen zurzeit im Norden, nicht im Westen. Afghanistan gehört zudem nicht zu den Schwerpunktländern der internationalen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen.
Lieber Herr Kern, meine lieben Damen und Herren von den Piraten, es wäre auch ein hohes Maß an Aufwand notwendig, um diese Strukturen bei uns herzustellen. Schließlich konzentriert sich die Wiederaufbauhilfe in der Tat auf den Norden von Afghanistan und nicht auf die Provinz Herat.
Auch aus diesen Gesichtspunkten scheint mir die Begründung einer Partnerschaft ungeeignet zu sein. Die Provinzen in Afghanistan sind in ihrer Struktur mit deutschen Bundesländern in keiner Weise vergleichbar.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Frau Abgeordnete. Herr Abgeordneter Kern würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Renate Hendricks (SPD): Die kann er mir gleich stellen. Ich möchte das jetzt erst mal zu Ende bringen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Also nein.
Renate Hendricks (SPD): Die Provinzen Afghanistans sind in ihrer Struktur mit deutschen Bundesländern in keiner Weise vergleichbar. Afghanistan ist anders als die Bundesrepublik Deutschland ein Zentralstaat. Folglich gibt es auch keine Provinzen mit eigenen Regierungen und eigenen Aufgaben. Auch dies würde eine Partnerschaft erschweren.
Meines Wissens – das haben Sie gerade auch noch einmal bestätigt – gibt es zurzeit kein einziges Bundesland, das eine Partnerschaft unterhält. Das hat auch etwas mit Sicherheitsfragen zu tun, die sich in Afghanistan auch für unsere eigenen Leute stellen.
Ich möchte schließen, indem ich die Absicht der Fraktion, den Wiederaufbau und die Zusammenarbeit in Afghanistan in seinen Provinzen zu fördern, grundsätzlich teile. Aber dazu gibt es auch zivilgesellschaftliches Engagement. Und genau dieses zivilgesellschaftliche Engagement haben Sie mit dem Verweis auf die UN-Stadt Bonn im Auge gehabt. Es bleibt Ihnen als Piraten, aber auch als Einzelnen unbenommen, dieses zivilgesellschaftliche Engagement aufzubringen.
Aber es ist nicht Aufgabe des Landes Nordrhein-Westfalen, dafür eine Partnerschaft zu begründen. – Ich bedanke mich.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die CDU-Fraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Jostmeier das Wort.
Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann bei diesem Sachantrag der Piraten nahtlos an die Diskussion anknüpfen, die wir heute vor zwei Wochen, Herr Kern, im Fachausschuss über das Strategiepapier hatten.
Damals habe ich gesagt: Wir von der CDU begleiten dieses Strategiepapier der Regierung kritisch, positiv und auch konstruktiv. Zu dem Antrag, den Sie heute stellen, könnte man auf den ersten Blick sagen: Was soll das? Was hat Nordrhein-Westfalen damit zu tun? Und -wir haben es gerade gehört –: Haben wir nicht schon genug Partnerschaften, die wir nur zum Teil sachlich und personell füllen können?
Wir könnten ferner daran denken, ob das eine Präzedenzwirkung hat und ob es nicht viele andere Regionen in der Welt gibt, in denen wir ebenso gemeinsam mit genauso guten Gründen aktiv werden könnten.
In diesem Punkt, meine Damen und Herren, möchte ich für die CDU sagen: Wir sind bereit, über diesen Antrag der Piraten nachzudenken und konstruktiv darüber zu reden. Das will ich begründen.
Sie haben völlig zu Recht auf den Bundeswehr-Einsatz verwiesen. Ich möchte zwei Schritte zurückgehen. Deutschland hat seit mehr als hundert Jahren mit Afghanistan und dem afghanischen Volk sehr gute historische Kontakte.
(Beifall von Nicolaus Kern [PIRATEN])
Das hat sich nicht zuletzt vor mehr als zehn Jahren nach dem Krieg gegen die Taliban, die das Land ins Mittelalter zurückgebombt haben, daran gezeigt, dass man gerade auf Deutschland sehr große Hoffnungen setzte.
Ich darf darauf hinweisen, dass die Verhandlungen zum Friedensprozess bei uns in Deutschland stattgefunden haben, Stichwort: Petersberger Abkommen. Vor dem historischen Hintergrund des Verhältnisses Deutschlands zu Afghanistan, den wir zurzeit auch mit dem Bundeswehr-Einsatz haben – die gemeinsamen Bundeswehr-Einsätze mit den Alliierten haben nicht nur positive Nachwirkungen bei den Menschen dort gehabt –, sage ich: Deutschland hat eine historische Verantwortung. Man könnte durchaus darüber nachdenken, ob sich das Land Nordrhein-Westfalen dort engagiert.
Ich weiß, sehr verehrte Kollegin Hendricks, dass natürlich die Außenpolitik nicht die Sache Nordrhein-Westfalens ist. Aber wie wollen Sie zum Beispiel die Aktivitäten und Hilfen begründen, die von Nordrhein-Westfalen dankenswerterweise in einer Provinz in Südafrika geleistet werden, die zu einem Industrieland wie Nordrhein-Westfalen nur sehr bedingt passt? Aber zu einem anderen Teil der Welt, zu dem wir historisch sehr viel mehr Verbindungen und wo wir sehr viel mehr Verantwortung haben, sagen wir Nein? Diese Frage muss man sich stellen.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Ich bin gern bereit, für die CDU zu sagen: Wir denken darüber nach. – Ob das nun gerade Herat sein muss – da hat Frau Hendricks vielleicht recht –, nur weil sich dort viele historische Denkmäler und Weltkulturerbestätten befinden? Könnte es nicht sinnvoller sein, über verschiedene Teile im Norden Afghanistans nachzudenken, wo die Bundeswehr aktiv ist?
Ich komme kurz und gut zu folgendem Ergebnis und wiederhole meine Ausführungen von vor zwei Wochen: Ich habe bei den Projekten und beim Strategiepapier von Rot-Grün nach wie vor die Sorge, dass zu viel an Bildung, Workshops, Netzwerken, Bildungsbewusstsein, Stimulierung, Sensibilisierung und Dialog stattfindet.
(Zurufe von Renate Hendricks [SPD] und Andrea Asch [GRÜNE])
– Liebe Renate Hendricks, das mag alles richtig sein. Ich persönlich bedaure sehr, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Gelder für die vielen konkreten Projekte, die wir in der Vergangenheit finanziert haben – in den drei baltischen Staaten, die Berufsschule in Ungarn oder Ghana beispielsweise, wo fast gar nichts mehr stattfindet –, zugunsten von fast nur Bildungspolitik zurückgefahren hat.
Ich glaube – da teile ich Ihre Ansicht nicht –: Es ist nicht eine Frage des Wissens um das, was man tun muss – auch nicht in der breiten Bevölkerung. Sie können an den vielen kirchlichen Aktionen wie Misereor, Adveniat usw. sehen, dass die Menschen in Deutschland durchaus für Hilfsaktionen sensibilisiert sind. Vielmehr meine ich: Wir sollten auch die konkreten Hilfsprojekte nicht völlig auf null zurückfahren.
Mir scheint Afghanistan ein Punkt zu sein, bei dem Nordrhein-Westfalen trotz aller Aktivitäten, die die Bundesregierung natürlich dort ergreift, darüber nachdenken sollte, uns dort in gewisser Weise zu engagieren. – Ich bedanke mich.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch*) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal habe ich mich über einen Antrag gefreut, dessen Überschrift mit „Eine-Welt-Strategie mit Leben füllen“ beginnt. Genau das wollen wir tun. Herr Kern, wir haben intensiv in der letzten Ausschusssitzung darüber diskutiert, dass wir uns alle über die neue Strategie freuen.
Sie ist ein Meilenstein, mit dem sich Nordrhein-Westfalen zu seiner globalen Verantwortung und mit dem sich Nordrhein-Westfalen zur Solidarität in der einen Welt und mit anderen, vor allem armen Ländern bekennt. Innerhalb dieser Eine-Welt-Strategie spielen natürlich die Partnerschaften eine große Rolle. Wir haben uns als Grüne sehr gefreut, dass die Ministerin sehr deutlich erklärt hat, dass sie die Partnerschaft mit Mpumalanga weiterführen will. Sie besteht seit 1995 und ist in den schwarz-gelben Regierungsjahren nicht sehr aktiv weitergeführt worden.
(Zuruf von der FDP: Das muss sie auch nicht!)
Jetzt wollen wir mit Rot-Grün das wieder neu aufleben lassen. Wie wichtig das ist, lieber Werner Jostmeier, haben wir bei unserer Reise gesehen. Leider konnten die Piraten nicht dabei sein, sonst hätten sie auch erlebt, dass eine solche Partnerschaft natürlich nicht nur von dem Austausch von diplomatischen Noten lebt, sondern sie lebt vom Engagement sehr vieler, auch zivilgesellschaftlicher Akteure. Aber sie lebt auch davon, dass dort natürlich über Entwicklungsprojekte hinaus, die wir dort mitfinanzieren und anstoßen, Ressourcen eingesetzt werden. Insoweit kann ich leider, Herr Kern, nicht bestätigen, dass man eine Partnerschaft so etabliert, ohne sie mit Ressourcen zu unterlegen. Ich denke, das zeigen alle Erfahrungen, dass das nicht zielführend ist.
Der andere Punkt ist, dass wir neben der Partnerschaft mit Ghana, die auch zu erwähnen ist und sich derzeit im Aufbau befindet, bereits eine zweite Partnerschaft haben. Wir sehen natürlich, dass Afghanistan eines der zehn ärmsten Länder ist, es kommt direkt nach den ärmsten neun Ländern aus Subsahara. Wir sehen natürlich, dass das auch Folge der jahrelangen Kriegseinsätze ist, weil die gesamte Infrastruktur zum Erliegen gekommen ist, und dass natürlich die internationale Gemeinschaft und natürlich auch Deutschland dort eine spezifische Verantwortung haben. Werner Jostmeier, das bestreitet hier niemand.
Aber wir müssen auch sehen, wo die Arbeitsteilung zwischen dem Bund und den Ländern liegt. Der Bund hat ganz klar Afghanistan, und in diesem Fall den Norden Afghanistans, zu einem Schwerpunktland seiner Entwicklungszusammenarbeit erklärt. Es gibt kein anderes Nehmerland, das so viel Geld, nämlich 430 Millionen € jährlich, bekommt wie Afghanistan. Das ist gut und wichtig. Was uns als Grüne zum Teil noch fehlt, ist tatsächlich eine Strategie, eine Agenda, wie dieser Aufbau in Afghanistan geordnet und planvoll vonstattengehen kann. Aber es ist das Schwerpunktthema des Bundes und der Bundesregierung.
Ich finde es auch wichtig, dass eine solche Partnerschaft nicht einfach nur durch Beschluss eines Parlamentes aufgesetzt wird, sondern dass – wie das in Mpumalanga und in Ghana der Fall ist – die Zivilgesellschaft das mitträgt, es eine Vielzahl von Kontakten auf allen Ebenen gibt, auch mit ehrenamtlichen Akteuren, mit Initiativen, mit den Kirchen – wie wir das in Mpumalanga gesehen haben –, die so eine Partnerschaft mit Leben füllen. So etwas gibt es im Moment in Afghanistan noch nicht. Das wird es auch wahrscheinlich im Süden nicht geben, weil der Schwerpunkt der deutschen Hilfe im Norden angesiedelt ist.
Wir sind daher der Meinung, dass das eine Idee ist, die sehr theoretisch begründet ist. Wir brauchen meines Erachtens eine sinnvolle Aufteilung und Arbeitsteilung mit der Bundesregierung. In dem Fall ist die Bundesregierung dort aktiv. Das ist auch weiter zu unterstützen. Aber wir sollten uns hier als Land nicht einklinken. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die FDP-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Dr. Wolf.
Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Piratenfraktion möchte die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Landesregierung mit Leben füllen. Das ist sicherlich aller Ehren wert. Allerdings haben wir starke Zweifel, ob die Auswahl einer neuen Partnerschaft, gerade jetzt auch in Afghanistan, das richtige Ziel ist.
Es ist zu Recht angemahnt worden, die Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern zu beachten. Afghanistan ist richtigerweise im Fokus der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere bei den Schwerpunkten gute Regierungsführung, Energie, Trinkwasser, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sowie der Grund- und Berufsausbildung. Ich denke, dass das eine ganz wichtige Maßnahme ist, die gut dotiert ist, in die viel Geld fließt und bei der wir auch Verantwortung zeigen. Meines Erachtens ist das in Zukunft sicherlich weiter so zu vertiefen, gerade wenn es auch um die Frage Good Governance geht, die Frage der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte.
Ich finde, dass sich Nordrhein-Westfalen an der Stelle – und da gebe ich Frau Hendricks durchaus recht – dann auch übernimmt, wenn wir noch eine weitere Partnerschaft begründen wollen. Ich habe zu konstatieren, auch nach den Erkenntnissen der Reise nach Mpumalanga und Namibia, dass wir schon Schwierigkeiten haben, die bestehenden Partnerschaften mit Leben zu erfüllen.
Im Übrigen, wer kommunalpolitisch tätig ist, der weiß, dass dies häufig auch schon bei den kommunalen Zusammenarbeiten, selbst im europäischen Ausland, Schwierigkeiten macht, diesen ständigen Kontakt zu suchen, auch über die Besuche der Oberbürgermeister hinaus, eine Verbindung herzustellen. Deswegen ist es ganz wichtig, sich hier zu konzentrieren.
(Beifall von der FDP und Reiner Priggen [GRÜNE])
Wenn man sieht, dass Mpumalanga und Ghana so weit entfernt sind und es ganz schwierig ist, diese entsprechende Zusammenarbeit zu leben, dann haben wir alle Hände voll zu tun. Daher ist es meines Erachtens auch wichtig, dort unser Engagement weiter zu vertiefen.
Wir wollen die Projektförderung sicherlich stärken. Insofern gebe ich Herrn Jostmeier recht, dass die Zusammenarbeit konkret und fassbar sein soll. Wir haben ja auch bei unserem Besuch gesehen, dass dort ganz bestimmte Maßnahmen mit gar nicht viel Geld Großes bewirken können und dass man diese Vorhaben vorantreiben und sich nicht nur auf Bildungsarbeit konzentrieren sollte. So wichtig es ist, das Verständnis für die Dritte Welt oder für die Eine Welt – wie es heute genannt wird – zu erweitern, sollten wir versuchen, insbesondere konkret Fassbares zu machen.
Bei aller Begeisterung für neue Projekte, die hier aufgeworfen werden, halte ich es für wichtig, sich vernünftig selbst zu beschränken, nicht nur wegen der knappen Finanzmittel, sondern auch wegen der personellen Ressourcen. Wir haben mit Mpumalanga und Ghana zwei Projekte, die es mit weiterem Leben zu erfüllen gilt. Von daher wird es trotz aller Beratungen im Ausschuss nicht sachgerecht sein, hier noch eine weitere Provinz in Afghanistan mit ins Blickfeld zu nehmen.
An dieser Stelle werden wir dennoch der Überweisung in den Ausschuss zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und Reiner Priggen [GRÜNE])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich nun in Vertretung für Frau Ministerin Schwall-Düren Frau Ministerin Schäfer das Wort.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich für die Landesregierung meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass sich die Piratenpartei in so hohem Maße für die neue Eine-Welt-Strategie der Landesregierung und hier im Besonderen für die entwicklungspolitischen Partnerländer interessiert.
Wir sind uns einig – das haben alle Vorredner auch so ausgeführt –, dass es auf dieser Welt leider immer noch zu viele Länder und Regionen gibt, in denen entwicklungspolitische Unterstützung notwendig ist. Die Landesregierung ist sich ihrer Verantwortung als Entwicklungspartner bewusst und pflegt daher seit vielen Jahren eine Partnerschaft mit der Provinz Mpumalanga in Südafrika. Diese Partnerschaft stammt aus der Ära von Johannes Rau.
2007 ist in der Zeit von Jürgen Rüttgers mit Ghana ein weiteres Partnerland in Westafrika hinzugekommen. Beide Partnerschaften – auch das ist betont worden – sollen weiter mit Leben gefüllt werden. Diese Partnerschaften haben sich bewährt und sollen in enger Abstimmung konsequent weiterentwickelt werden. Das hat in der Vergangenheit einen nicht unbeträchtlichen Teil der Eine-Welt-Mittel gebunden und wird das auch in Zukunft tun:
Allein für das Haushaltsjahr 2013 sind insgesamt rund 5,8 Millionen € für internationale Angelegenheiten und Eine Welt vorgesehen. Dies zeigt den hohen Stellenwert, den die Landesregierung der Einen Welt beimisst. Es zeigt aber eben auch die Grenzen für eine Ausweitung auf weitere Partnerländer.
Afghanistan gehört nicht zu den Schwerpunktländern und -regionen der internationalen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, auf die wir als Bundesland unsere Ressourcen konzentrieren können und wollen. Frau Hendricks, Frau Asch und Herr Dr. Wolf haben ebenfalls deutlich gemacht – auch das möchte ich betonen –, dass das eher in das Aufgabenspektrum des Bundes gehört.
Wir in Nordrhein-Westfalen wollen unsere Ressourcen so einsetzen, dass wir in unseren Partnerschaften nachhaltige Effekte erzielen können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung, und wir kommen zur Abstimmung:
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2282 an den Ausschuss für Europa und Eine Welt. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir treten ein in die Behandlung des Tagesordnungspunktes
6 Abschaffung der Störerhaftung
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2284
Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Abgeordneten Schwerd das Wort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Opfer der Abmahnindustrie! Heute werde ich Ihr Gerechtigkeitsempfinden strapazieren. Ich entführe Sie in die Niederungen der deutschen Rechtsprechung, der sogenannten Störerhaftung. Da man komplexe, trockene Dinge am besten in bekannten Bildern erklärt, erzähle ich Ihnen dazu eine kleine Geschichte:
Stellen Sie sich vor: An Ihrer Tür klingelt ein Passant und fragt Sie, ob er Ihr Telefon benutzen dürfe. Da Sie eine Deutschlandflatrate haben, ist das kein Problem. Und weil Sie wohlerzogen sind, hören Sie dem fremden Telefongespräch nicht zu.
Einige Wochen später erhalten Sie den Brief eines Anwalts mit einer vierstelligen Rechnung. Es stellt sich heraus, dass sich der Mensch einen Maserati bestellt hat, aber nicht bezahlen kann. Weil er das von Ihrem Telefon aus gemacht hat, werden Sie als Mitverursacher haftbar gemacht.
Klingt bizarr! Warten Sie ab, es geht noch bizarrer:
Am nächsten Tag – es ist schönes Wetter – gehen Sie spazieren und lassen Ihr Fenster zu Hause geöffnet. Auch das rächt sich: Ein paar Wochen später finden Sie wieder Post von einem Rechtsanwalt. Ein Passant hat nämlich durch Ihr Fenster gegriffen, sich Ihr Telefon geangelt und einen Lamborghini bestellt, den er nicht bezahlen kann.
Und wieder sind Sie als Mitverursacher haftbar, weil Sie nämlich Ihr Telefon nicht ausreichend vor unberechtigter Benutzung gesichert haben.
Das finden Sie ungerecht? – Seien Sie gewiss: Wir auch!
(Beifall von den PIRATEN)
Leider ist genau das geltende Rechtsprechung: Wenn jemand Ihren Internetanschluss benutzt und damit einen Urheberrechtsverstoß begeht, werden Sie als Mitstörer auf Unterlassung haftbar gemacht, unabhängig davon, ob Sie von dem Verstoß wussten oder nicht, auch dann, wenn Sie nicht einmal explizit erlaubt haben, dass Ihr Anschluss benutzt wird, jedenfalls dann, wenn Sie Ihren Anschluss nicht verschlüsseln.
Dieses Risiko betrifft keineswegs nur Privatleute. Auch wenn Hotels oder Cafés ihren Internetanschluss für ihre Gäste freigeben, haften sie als Mitstörer für die Verstöße ihrer Besucher. Das ist so, als würden Kneipiers für Verbrechen mithaften, zu denen sich ein Gast am Münztelefon im Gang verabredet hat.
Um Ihr Gerechtigkeitsempfinden noch ein wenig weiter zu belasten: Es gibt eine Industrie, die von dieser Haftung ausdrücklich ausgeschlossen ist. Das sind nämlich diejenigen, deren Geschäftszweck im Vermieten von Internetzugängen besteht. Die haften nicht für Verstöße ihrer Kunden.
Der Bundesgerichtshof nannte in einem Urteil am 24. Januar 2013 die Versorgung mit Internet ein Grundrecht.
(Beifall von den PIRATEN)
Es ist Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass alle Menschen Zugang dazu haben, auch solche mit wenig Geld. Gleichzeitig machen sich viele Kommunen Gedanken darüber, wie sie für ihre Besucher kostenlose WLAN-Zugänge bereitstellen können. Dabei gibt es eine einfache Lösung, die weder den Staat noch die Kommunen oder die Bürger einen Cent kosten würde: Die Inhaber eines Internetanschlusses könnten die nicht genutzte Bandbreite ihrer Flatrate für die Allgemeinheit freigeben. Die Vertraulichkeit der Internetkommunikation und ?daten sowie die benötigte Bandbreite des Nutzers blieben dabei gewahrt.
Natürlich sind nur wenige Menschen unter diesem schwebenden Haftungsrisiko bereit, ihre Internetanschlüsse zu teilen. Die aktuelle Rechtslage nutzt nur einer Abmahnindustrie, die durch die restriktive Auslegung der Haftungsfrage ihre Abmahnungen mit Einnahmegarantie versenden kann.
(Beifall von den PIRATEN)
Die zehn größten Kanzleien in diesem Sektor machen 80 % des gesamten Abmahnvolumens von Urheberrechtsverstößen aus. Die Summe dieser Kostennoten liegt seit Jahren im dreistelligen Millionenbereich jährlich. Die größte Kanzlei hat in diesen Sachen allein im Jahr 2010 Rechnungen von zusammengenommen 80 Millionen € verschickt.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme für den Bundesrat vom 26. Februar keinen Handlungsbedarf gesehen. Sie setzt darauf, dass sich die Rechtsprechung schon in die richtige Richtung entwickeln werde.
Das hilft den 110.420 Menschen, die im vergangenen Jahr eine Abmahnung bekommen haben, nicht weiter. Wir fordern Sie auf, sich für die Abschaffung dieser Rechtsunsicherheit einzusetzen und das beschriebene Teilen von Internetzugängen zu ermöglichen, damit noch mehr Menschen einen Zugang zur vielfältigen Teilhabe an Kultur, Wissen, Unterhaltung, Bildung und Arbeit im Internet bekommen können. – Vielen Dank!
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Schneider das Wort.
René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Piratenfraktion, ich habe jetzt keine Geschichte mitgebracht, dafür aber eine gute und eine schlechte Nachricht.
Ich fange mit der guten Nachricht an: Ihr Antrag ist von seiner Zielsetzung her so gut, dass er von uns sein könnte.
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)
Der Gedanke, die Störerhaftung zu verändern, findet sich nämlich schon im rot-grünen Koalitionsvertrag.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ich weiß, dass die rechte Seite des Hauses diesen Vertrag nicht gelesen hat. Deswegen zitiere ich einmal aus dem Koalitionsvertrag von Rot-Grün:
„Wir bereiten eine Bundesratsinitiative vor mit dem Ziel, eine Haftungsprivilegierung von Betreiberinnen und Betreibern öffentlicher WLAN-Zugänge zu erreichen.“
Genau vor diesem Hintergrund unterstützt Nordrhein-Westfalen die Initiative der SPD-geführten Länder Berlin und Hamburg aus dem September vergangenen Jahres. Flankiert wird dieser Antrag von einem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Oktober vergangenen Jahres. Wie Sie sehen, beschäftigt man sich also schon etwas länger mit diesem Thema; denn die SPD als Kommunalpartei kennt die Situation und will Abhilfe schaffen.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Ich will jetzt gar keine Beispiele anführen, die ins Reich der Märchen gehören, sondern möchte Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Kamp-Lintfort nennen. Dort wollte die Bücherei schon vor einiger Zeit einen Hotspot einrichten – unter anderem für die vielen Schülerinnen und Schüler, die mittlerweile nachmittags mit ihren Laptops kommen und dort ihre Hausaufgaben und Referate erledigen wollen. Da ist ein Anschluss ans Internet nicht das Allerschlechteste.
So einfach ist das aber nicht; da haben Sie recht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten. Nach langem Hin und Her wurde ein Hotspotbetreiber gefunden, der nun ein kostenpflichtiges Ticketingsystem anbietet, das umständlich einen Haftungsausschluss der Bücherei und damit der Kommune garantieren muss. Wie schön wäre es dagegen gewesen, wenn die Nutzer der Bibliothek einfach so ins Internet gedurft hätten!
Übrigens ist das auch soziale Frage; denn der freie Zugang zum Internet ist Teilhabe an der digitalen Gesellschaft, an Wissen und am Austausch mit anderen. Das ist ein weiteres Argument für eine saubere gesetzliche Regelung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Genau deshalb setzt sich die SPD schon länger auf Bundesebene genau dafür ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen eine gute und eine schlechte Nachricht versprochen. Die schlechte Nachricht folgt nun. Sie lautet: Leider haben wir eine Bundesregierung, die all das geflissentlich übersieht.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Nun ist es nicht so, dass sie niemand darauf hingewiesen hätte. Dann könnte man ja so tun, als habe man von nichts gewusst. Ich nehme aber nur mal die Justizministerkonferenz.
(Zurufe von der CDU)
– Hören Sie mal zu! – Die Justizministerkonferenz hat schon im Juni vergangenen Jahres beschlossen, dass die sogenannte Störerhaftung einer Überprüfung unterzogen werden muss. Ich zitiere aus dem Beschluss der Justizministerkonferenz:
„Ziel muss es sein, verlässliche und berechenbare rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es erlauben, das erhebliche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Potenzial des mobilen Internets auszuschöpfen.“
Der Bundesrat bläst in das gleiche Horn und hat, wie ich eingangs erwähnte, die Bundesregierung aufgefordert, das Haftungsrisiko zu beschränken, um Inhaber von WLAN-Netzen zu ermuntern, ihre Bandbreite risikolos der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Denn mal ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen – jetzt komme ich auch mit einem Bild –: Wer käme auf die Idee, dass nicht derjenige bestraft gehört, der einen Stein aus dem Vorgarten nimmt und damit die Fensterscheibe des Nachbarn einwirft, sondern der Besitzer des Vorgartens zu haften hat, weil es doch sein Stein ist? Auf diese Idee käme hier im Hause sicherlich niemand.
Die Internetnutzerinnen und ?nutzer im ganzen Land können dem auch nur beipflichten.
Sie alle fragen sich: Was tut die Bundesregierung denn jetzt? Ich will es Ihnen sagen: Sie tut nichts. Oder nein, halt! Sie wartet ab, nämlich auf den Zeitpunkt – das hat sie expressis verbis gesagt –, dass ein Gericht entscheidet, was mit einem WLAN-Betreiber geschieht, dessen offenes Netz missbräuchlich genutzt wird. Dieses passive Verhalten kommt mir seltsam bekannt vor. Ich will es aber gar nicht weiter kommentieren. Die Menschen draußen werden schon ihre Rückschlüsse ziehen.
Ich persönlich finde es aber schlimm, dass keine Gesetzesinitiative ergriffen wird; denn – das muss man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen – man wartet auf der einen Seite auf einen Gerichtsbeschluss, während es auf der anderen Seite noch nicht mal ein Verfahren gibt. Die Bundesregierung wartet also auf den Präzedenzfall, in dem jemand das gesamte Prozesskostenrisiko tragen müsste, um die Störerhaftung für die Bundesregierung ein für alle Mal juristisch durchzudeklinieren. Eine durchdachte und zukunftsorientierte Netzpolitik sieht aus unserer Sicht ganz anders aus, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist bei dieser Bundesregierung natürlich nicht ausgeschlossen, dass sie diese Position noch einmal verändert. Ob sie es aufgrund eines neuerlichen Antrags aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen tut, mag man allerdings bezweifeln.
Dass wir im Ausschuss noch mal intensiv über dieses Thema sprechen, ist der Sache jedoch sicherlich nicht abträglich. Insofern wünsche ich den weiteren Beratungen einen guten Verlauf. Die SPD-Fraktion wird für die Überweisung in den Fachausschuss stimmen. – Danke schön.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Gehe ich recht in der Annahme, dass das gerade Ihre Jungfernrede war?
(René Schneider [SPD]: Ja!)
– Dann darf ich Ihnen im Namen des Hohen Hauses herzlich dazu gratulieren.
(Allgemeiner Beifall)
Nun hören wir für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Hegemann.
Lothar Hegemann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf die Diskussion im Ausschuss freue. Wie so viele Anträge der Piraten wird auch dieser Antrag hier am falschen Ort gestellt. Ich kann ja auch nichts daran ändern, dass Sie wahrscheinlich nicht in den Bundestag kommen. Sie müssen aber doch alle Überlegungen, die Sie da abladen wollen, jetzt nicht hier ins nordrhein-westfälische Parlament bringen.
Das ist zum wiederholten Male ein Antrag in einer Bundesangelegenheit, der leider auch sehr wohlwollend von der SPD aufgenommen wird, indem man sagt: Ja, okay, wir beraten ihn; vielleicht ist auch nicht alles falsch, was darin steht.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Nein, es ist alles richtig!)
– Nein, es ist nicht alles richtig.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Olejak zulassen?
Lothar Hegemann (CDU): Ich habe ja noch gar nicht richtig angefangen. Aber auf geht’s!
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das so. – Herr Kollege Olejak hat das Wort.
Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben. – Ist Ihnen bewusst, dass sich in Berlin die CDU ebenfalls für diesen Antrag ausgesprochen hat?
Lothar Hegemann (CDU): Ja. Es hat sich auch nicht nur die CDU für den Antrag ausgesprochen. Der Kollege der SPD hat eben mit einer Halbwahrheit angefangen, als er gesagt hat, es gebe eine Bundesratsinitiative. Die Bundesratsinitiative ist abgeschlossen. Vor der Niedersachsen-Wahl, als Ihre Seite noch keine Mehrheit im Bundesrat hatte, hat der Bundesrat genau dieses Petitum beschlossen. Jetzt wollen Sie eine Bundesratsinitiative von Nordrhein-Westfalen. Sie rennen Scheunentore ein, die weit geöffnet sind.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Da muss ich sagen: Eigentlich ist das Parlament zu schade dafür, dass Sie sich an solchen Dingen abarbeiten können.
Zur Sache! Ich möchte den Lamborghini? oder Maserati-Händler sehen, der eine telefonische Bestellung annimmt.
(Heiterkeit von der CDU)
Bei Ihnen mag das klappen, mir würden sie wahrscheinlich kein Auto liefern, wenn ich da anrufen würde. Aber das Beispiel, das Sie angeführt haben, mag gar nicht aus der Luft gegriffen sein.
Es gibt kein Risiko für WLAN-Betreiber. Es gibt ein BGH-Urteil. Sie können auf Unterlassung, auf Zurverfügungstellung eines WLAN verklagt werden, aber nicht auf Schäden, die aus seinem Missbrauch entstehen. Was wollen Sie also? Sie haften heute nicht.
Es gibt allerdings eine alte Formel, die ich immer – auch schon, als die Jusos noch eine andere Meinung hatten – vertreten habe: Eigentum verpflichtet. – Wer heute ein WLAN betreibt, der sollte sich auch darum gefälligst darum kümmern, wer darin surft. Sie können ja mal versuchen, bei der Präsidentin des Landtags den Antrag zu stellen, das WLAN 5 km um den Landtag herum für frei erklären zu lassen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Abgeordneter, bitte entschuldigen Sie. Es gibt zwei weitere Zwischenfragen aus der Piratenfraktion, und zwar von den Kollegen Marsching und Schwerd. Würden Sie die ebenfalls zulassen?
Lothar Hegemann (CDU): Ja. Ich weiß ja, dass das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
(Karlheinz Busen [FDP]: Das ist doch albern! Das muss doch nicht sein!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann zuerst der Kollege Marsching.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann, dass Sie die Frage zulassen. Sie haben gerade gesagt, man könne für das, was da passiert, gar nicht haftbar gemacht werden, es gebe dazu ein BGH-Urteil. Als Betroffener frage ich Sie ganz konkret, warum ich eine Kostennote von über 1.000 € für die Nutzung meines WLAN bezahlen musste, wenn ich dafür angeblich nicht haftbar gemacht, sondern nur auf Unterlassung verklagt werden kann.
Lothar Hegemann (CDU): Missbräuchliche Nutzung! Ich weiß nicht, ob Ihr Sohn ein Klavier über das Netz bestellt hat.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Einen Maserati!)
Dann sind Sie natürlich haftbar.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Mein Sohn ist zwei! Der bestellt überhaupt nichts über das Netz!)
– Ich kann Ihnen gleich das BGH-Urteil geben. Regen Sie sich ab! Das ist eindeutig.
Jetzt die zweite Frage.
Vizepräsident Daniel Düngel: Die zweite Frage kommt von dem Kollegen Schwerd. Bitte.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Vielen Dank für das Zulassen der Frage, die sich auf den Punkt „Störerhaftung versus Schadenersatz“ bezieht. Ist Ihnen der Unterschied zwischen Störerhaftung einerseits und Schadenersatz andererseits bekannt? Bei einer Störerhaftung können Rechtsanwaltskosten auf Sie zukommen, die sich an einem Streitwert in einem fünf? bis sechsstelligen Bereich bemessen. Ist Ihnen bekannt, dass Sie dann trotzdem bezahlen müssen und dass das im Endeffekt zu Kosten führt, die im vierstelligen Bereich liegen?
Lothar Hegemann (CDU): Das ist bekannt. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass jeder für das haften soll, was mit seinem WLAN geschieht.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Auch die Telekom!)
Auch in Hotels, wo Sie kostenlos ein WLAN nutzen können, müssen Sie Ihre Identität preisgeben. Sie brauchen einen Zugangscode, damit jeder weiß, wer das WLAN – auch kostenlos – nutzt.
Was wäre denn die Alternative? Sie sprechen von gesellschaftlicher Teilhabe für Arbeitsuchende. Ich möchte mal wissen, wie viele Arbeitsverträge nicht zustande gekommen sind, nur weil kein kostenloser WLAN-Anschluss zur Verfügung stand. Die Leute haben Hardware, haben ein iPad, wollen dann aber kostenlos ins WLAN.
(Zuruf von den PIRATEN)
– Ist ja in Ordnung. – Ich kann nur sagen: Die Begründung ist hanebüchen.
Dass hier etwas geschehen muss, darüber war sich der Bundesrat einig.
Herr Paul, es mag hilfreich sein, dass Sie sich vor den Kopf schlagen. Das muss Gründe haben. Genau da liegt Ihr Fehler. Sie haben die Stelle schon richtig erkannt.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ich bin entsetzt! Ich habe gerade versucht, mich in Sie hineinzuversetzen!)
– Sie haben das schon haarscharf erkannt.
Ich stelle fest: Es handelt sich um ein Gesetz, für das wir keine Zuständigkeit haben, mit einer Aufforderung, die längst umgesetzt ist, und um einen Sachverhalt, der so, wie Sie ihn dargestellt haben, nicht stimmt.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Bolte das Wort.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass ich nun auch noch drankomme.
(Allgemeine Heiterkeit)
Ich danke der Piratenfraktion ausdrücklich, dass sie das Thema „Störerhaftung bei WLAN“ aufgemacht hat. Der Antrag ist – das haben wir gehört – in Ordnung. Deswegen unterstützt Nordrhein-Westfalen auch die schon mehrfach angesprochene Bundesratsinitiative aus Hamburg. In der Tat – das ist völlig klar und richtig festgestellt worden – ist an dieser Stelle der Bund am Zug. Ich habe auch gestern schon, als es um den Breitbandausbau ging, ganz deutlich gesagt: Die Bundesregierung verschläft es, den digitalen Wandel zu gestalten.
(Zuruf von der SPD: Herr Hegemann, hören Sie zu!)
Da gibt es nichts zu beschönigen.
Wir stehen im Moment an einem historischen Punkt, weil wir einsehen müssen, dass die Digitalisierung unsere Gesellschaft tiefgreifend verändern wird. Was heute gilt, das wird nach meiner festen Überzeugung in den nächsten Jahrzehnten in einem noch weit größeren Ausmaß gelten. Durch das Internet kommunizieren wir anders, wir wirtschaften anders, wir stellen unsere Demokratie anders auf. Wir haben andere gesellschaftliche Mechanismen und andere Formen von gesellschaftlicher Öffentlichkeit.
Und da wir hier jetzt schon einige Bilder hatten, möchte ich auch noch eines hinzufügen: Ich vergleiche den digitalen Wandel, wie wir ihn heute erleben, immer gerne mit den Folgen und der historischen Dimension der Erfindungen von Buchdruck und Dampfmaschine. Das waren technische Innovationen, die ihre Gesellschaft und ihr Zeitalter dramatisch verändert haben.
Wir sehen es schon heute: Die Welt sortiert sich im Zuge der Digitalisierung neu. Gerade Deutschland, aber auch viele andere westeuropäische Staaten drohen den Anschluss zu verpassen.
Wenn Sie sich fragen – es ist Freitagnachmittag –: „Geht es nicht vielleicht eine Stufe kleiner?“, dann sage ich eindeutig: Nein. Wir müssen endlich anfangen, die Hürden für digitale Teilhabe abzubauen. Dabei geht es – das haben wir gestern besprochen – zum Beispiel um technische Zugänge. Deshalb ist es richtig, dass wir häufig über Breitbandausbau diskutieren, nicht nur hier im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen. Deshalb sind die Vorschläge, die wir Ihnen gestern mit Bezug auf den Koalitionsvertrag vorgestellt haben, so notwendig. Deshalb ist es richtig, dass wir da aktiv sind.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es geht um die Dimension der sozialen Teilhabe: Bildung, Medienkompetenz, die vielen neuen Herausforderungen, die es in diesem Bereich gibt. Im neuen digitalen Zeitalter sind ganz neue Kompetenzen erforderlich, Stichwort „Informationskompetenz“. Wir brauchen ganz neue Konzepte, ganz andere Herangehensweisen als im analogen Zeitalter.
Wir brauchen auch – das ist der Gegenstand des heutigen Antrags – Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer. Sie müssen wissen, was sie dürfen und was nicht. Wir müssen verhindern, dass durch unseriöse Praktiken Rechtsunsicherheiten entstehen, die dann in einer unseriösen Weise genutzt werden. Deshalb ist es gut, dass Nordrhein-Westfalen vor drei Wochen eine Bundesratsinitiative unternommen hat, um das Unwesen mit den Abmahnungen endlich in den Griff zu bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann sind wir doch wieder bei der Störerhaftung angekommen. Was sagt die Bundesregierung dazu? Das Zitat aus der Stellungnahme der Bundesregierung zur Entschließung des Bundesrates war ja ganz interessant – Zitat –:
„Die Frage der Störerhaftung beim Betrieb … öffentlicher WLAN ist … noch nicht abschließend höchstrichterlich entschieden …“
Aber den Umgang der Bundesregierung damit kennt sie schon! Die Bundesregierung hält eine – wieder Zitat – „gesetzliche Regelung zur Beschränkung des Haftungsrisikos für WLAN-Betreiber weder für geeignet noch für erforderlich.“ – Das ist ja mal ‘ne Ansage.
Ich hoffe vor diesem Hintergrund einfach, dass die Kanzlerin und ihr Wirtschaftsminister sich in der nächsten Zeit – in der Zeit, die ihnen bis zur Bundestagswahl noch bleibt – auf einer ihrer Auslandsreisen mal an eine Straßenecke in Tallinn oder in eine U-Bahn in Kopenhagen setzen und sich wundern, weshalb man dort ganz einfach ins Internet kommt. Denn dort – und nicht nur dort – halten Regierungen die Gestaltung des digitalen Wandels für geeignet und für erforderlich.
So etwas brauchen wir endlich auch in Deutschland. Deshalb brauchen wir auch auf der Bundesebene endlich einen Politikwechsel. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Piraten macht in ihrem Antrag deutlich, dass ein Internetzugang heutzutage als gesellschaftliche Teilhabemöglichkeit nicht mehr wegzudenken ist. Das ist in der Tat richtig. Das hat nicht nur die FDP immer wieder betont, hierüber besteht wohl im ganzen Haus Einigkeit.
(Zuruf von den PIRATEN: Außer bei der CDU!)
Die entsprechende Förderung steht auf einem anderen Papier. Darüber kann man trefflich streiten.
Auch befindet der Antrag, dass das Teilen von Internetzugängen die Versorgung in Gebieten verbessern kann, in denen kein flächendeckendes Breitbandnetz zur Verfügung steht. – Ich gebe zu: Das hat einen gewissen Charme, jedoch nur auf den ersten Blick. Bei der Bereitstellung von Breitbandanschlüssen geht es darum, schnelle Datenübertragung zu gewährleisten. Das kann gerade in den angesprochenen Gebieten, in denen ein entsprechendes Netz fehlt, auch nicht durch die Teilung von Internetzugängen erfolgen. Aus einer Ente wird kein Ferrari, nur weil der Nachbar mitfahren darf.
Der gezielte Ausbau des Breitbandnetzes ist entscheidend. So bewertet dies im Übrigen auch die EU-Kommission, die bereits in ihrer Mitteilung an Parlament und Rat vom 11. Januar 2012 betont hat, die Mitgliedstaaten müssten Investitionen in die Breitbandnetze ins Zentrum ihrer Wachstumsstrategien stellen.
Der vorliegende Antrag will indes nur die Symptome bekämpfen und gibt überdies auch die geltende Rechtslage nur unzureichend wieder. Die Piratenfraktion suggeriert ja gerade, dass derjenige, der nicht Access-Provider im Sinne von § 8 Telemediengesetz ist, quasi unbeschränkt als Störer für den Missbrauch seines Internetzugangs, etwa zum illegalen Download urheberrechtlich geschützter Werke durch Dritte, haftet.
So verhält die Rechtslage jedoch nicht. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ im Jahr 2010 klargestellt, dass eine Haftung des Anschlussinhabers nur dann Platz greift, wenn dieser es unterlässt, die zum Kaufzeitpunkt des WLAN-Routers marktüblichen Sicherungen ihrem Zweck entsprechend anzuwenden, also zum Beispiel eine Signalverschlüsselung nach WPA2-Standard einzurichten. Zudem ist diese Haftung nur auf Unterlassung, nicht aber auf Schadenersatz gerichtet. Darüber ist gerade schon gesprochen worden.
Zuzustimmen ist dem Antrag der Piratenfraktion insoweit aber darin, dass in diesem Fall kein freies, also unbeschränkt jedermann zugängliches WLAN-Netz eingerichtet werden kann, sondern eben nur ein solches, bei dem der Anschlussinhaber den Zugang individuell kontrolliert.
Haftungsfrei möglich ist das Teilen von WLAN-Zugängen damit aber bereits heute.
Das gilt auch für den gewerblichen Anbieter eines Netzwerkzugangs – etwas Hotel oder Gaststätte –, zumal dieser Schadenersatzansprüche wegen der Privilegierung des § 8 Telemediengesetz nicht zu befürchten hat und ihm jedenfalls die instanzgerichtliche Rechtsprechung auch lediglich Hinweispflichten an die Nutzer, nicht aber Prüfpflichten der über sein Netzwerk versandten Daten, das heißt der Inhalte, auferlegt hat.
Entscheidend ist aber, dass der Bundesrat schon am 12. Oktober 2012 beschlossen hat, die Bundesregierung möge prüfen, wie das Potenzial vorhandener WLAN-Netze stärker nutzbar gemacht werden kann, das Haftungsrisiko für WLAN-Betreiber beschränkt werden kann sowie die Schutzmaßnahmen vor unbefugten Dritten ergriffen werden können, damit sich solche Netze ohne Haftungs- und Abmahnrisiken betreiben lassen.
Zum Bundesratsbeschluss hat die Bundesregierung am 26. Februar Stellung genommen. Sie sieht in nachvollziehbarer Weise durch die nachgerade erwähnte Rechtsprechung eine hinreichende Begrenzung der Störerhaftung gegeben und erblickt darin auch keinen Hinderungsgrund für das Zurverfügungstellen des eigenen WLAN-Zugangs an Dritte.
Meine Damen und Herren von der Piratenfraktion, Ihr Antrag dürfte sich danach zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlicht als überflüssig erweisen.
Außerdem würdigt Ihr Antrag mit keinem Wort das Urheberrecht, für dessen Schutz ja ebenfalls gesorgt werden muss. Eine vollständige Haftungsfreistellung sämtlicher privater WLAN-Anschluss-inhaber könnte die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen im Internet erheblich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.
(Zuruf von den PIRATEN: Das ist der Grund!)
Aus diesem Grunde sind Ihnen Bundesratsantrag und Unterrichtung der Bundesregierung auch in der Sache voraus; denn beide weisen darauf hin, dass bei der Ausgestaltung der Drittnutzung von WLAN-Funknetzen gerade auch eine Berücksichtigung der Rechte von Urhebern erforderlich ist.
Meine Damen und Herren, der Antrag greift das Thema leider nicht differenziert und unter Abwägung sämtlicher betroffenen Rechtspositionen auf. Auf halbem Wege stehenzubleiben löst unserer Auffassung nach die bestehenden Probleme nicht. Inhaltlich lehnen wir Ihren Antrag daher heute ab. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Danke schön, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Schäfer das Wort.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kollegen! Eine in der Tat komplizierte Materie! Ich möchte aber ausdrücklich sagen, dass die Landesregierung das Ziel der Fraktion der Piraten teilt, private und gewerbliche WLAN-Anbieter, wenn sie für die Öffentlichkeit einen WLAN-Zugang anbieten, vom Haftungsrisiko bei einem Missbrauch anderer Nutzer freizustellen.
Die Bundesratsinitiative vom letzten Jahr, an der die Landesregierung sich beteiligt hat, ist hier schon erwähnt worden. Ich möchte noch mal die drei Punkte benennen, die im Mittelpunkt dieser Bundesratsinitiative standen.
Der Bundesrat hatte die Bundesregierung gebeten, zu prüfen, ob und wie durch die Änderung der bisherigen Gesetzeslage erstens das Potenzial vorhandener WLAN-Netze stärker nutzbar gemacht werden kann, zweitens das Haftungsrisiko für WLAN-Betreiber beschränkt werden kann, zum Beispiel indem Haftungsbeschränkungen gemäß § 8 Telemediengesetz überprüft werden, und drittens Schutzmaßnahmen notwendig sind, die die Betreiber von WLAN-Netzen zur Vermeidung ihrer Verantwortlichkeit für unbefugte Nutzung durch Dritte zu ergreifen haben, um die Rechtssicherheit zu verbessern. Dies dient vor allem den privaten Betreibern von WLAN-Netzen, um Haftungs- und Abmahnrisiken auszuschließen.
Ausdrücklich unterstützt wurde in diesem Zusammenhang auch der Beschluss der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und -minister vom 13. und 14. Juni 2012 mit der an das Bundesjustizministerium gerichteten Bitte, sich dieser Problematik anzunehmen und die sogenannte Störerhaftung für Inhaber von WLAN-Internetanschlüssen und mobilen Internetzugängen einer Überprüfung zu unterziehen.
Meine Damen und Herren, es ist nicht nachvollziehbar, dass die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 26. Februar 2013 zum Entschließungsantrag des Bundesrates ein gesetzgeberisches Tätigwerden nicht für notwendig erachtet. Angesichts des nahenden Endes der Legislaturperiode des Bundestages bietet es sich jedoch auch nicht an, die Thematik zum jetzigen Zeitpunkt erneut anzugehen. Vielmehr wird sich diese Landesregierung zu gegebener Zeit dafür einsetzen, dass die Thematik weiterverfolgt und einer adäquaten Lösung zugeführt wird. Dafür bietet sich ein Zeitraum nach September 2013 an. Das möchte ich an dieser Stelle noch mal unterstreichen.
Also: Inhaltlich ist dem Antrag der Piraten also zuzustimmen. Zurzeit sehen wir allerdings aus den von mir genannten Gründen keinen Handlungsbedarf. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Ministerin, vielen Dank. – Würden Sie noch eine Zwischenfrage zulassen, die just in diesem Moment vom Kollegen Schwerd eingegangen ist?
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich weiß nicht, ob ich die fachkundig beantworten kann. Versuchen wir es mal, Herr Schwerd. Eventuell würde ich die Frage dann an das Ministerium weiterleiten, und Sie bekämen dann eine schriftliche Antwort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Das ist sehr lieb von Ihnen, vielen Dank. – Es ist ein bisschen schade, dass Herr Minister Duin nicht da ist, weil es insbesondere um die Störerhaftung geht, die Gewerbetreibende wie Cafés und Restaurants betrifft.
Wie bewertet die Landesregierung folgenden Umstand: Wir konnten gestern und heute der Presse entnehmen, dass sich die Landesregierung NRW im Bundesrat in Bezug auf das Leistungsschutzrecht enthalten hat und diesbezüglich auch nicht den Vermittlungsausschuss anrufen will. Wir wissen – das wurde in den entsprechenden Ausschüssen bestätigt –, dass das Leistungsschutzrecht unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Diese Unsicherheit führt gerade für kleine und mittelständische Unternehmen zu weiterer Abmahngefahr, insbesondere für kleine Internetunternehmer, die da besonders innovativ sind.
Wie bewertet die Regierung die Entscheidung, dieses Gesetz nicht aufzuhalten? Stimmen Sie mit mir überein, dass das Abmahnrisiko durch das Leistungsschutzrecht für kleine und mittlere Unternehmen eine Katastrophe und ein Innovationshemmnis ist?
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schwerd, ich bitte Sie, das auf eine Frage zu reduzieren.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich darf vielleicht einfach mal dazwischengehen.
Herr Schwerd, ich bin in der Tat nicht in der Lage, hierzu jetzt eine Auskunft zu erteilen, weil ich das nicht mit dem Kollegen Duin absprechen konnte. Insofern bitte ich Sie, ihn anzuschreiben. Sie bekommen dann die Antwort unmittelbar von ihm persönlich. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. Wir sind damit am Schluss der Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zur Abstimmung. Entgegen dem Ausdruck in der heutigen Tagesordnung haben sich die Fraktionen darauf verständigt, den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/2284 nicht nur an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Kultur und Medien, an den Innenausschuss sowie an den Hauptausschuss, sondern auch an den Rechtsausschuss zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen diese Überweisungsempfehlung? – Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag wie gerade besprochen überwiesen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2277
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD Frau Kollegin Kopp-Herr das Wort. – Ist die Kollegin nicht da? – Dann ziehen wir Frau Kollegin Paul von der Fraktion der Grünen vor. – Sie haben das Wort, Frau Kollegin.
Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Unverhofft kommt oft. Jetzt kann ich auch mal zuerst sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der März ist ein wichtiger Monat im Frauenkalender. Am 8. März haben wir den Internationalen Frauentag gefeiert. Gerade gestern haben wir mit dem Equal-Pay-Day einmal mehr darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen in diesem Land immer noch nicht so viel verdienen wie Männer.
(Zuruf von der FDP: Wahnsinn!)
Wir durften in diesem Monat aber auch einmal mehr feststellen, dass die Frauen in diesem Land eines ganz bestimmt nicht verdient haben: Und das sind diese Bundesregierung und diese Frauenministerin.
(Beifall von den GRÜNEN)
Denn diese Bundesregierung hat den Internationalen Frauentag in diesem Jahr offensichtlich unter ein ganz besonderes Motto gestellt, das lautet: „Stoppt die Frauenquote!“. So durften wir in den vergangenen Tagen lesen, dass die Bundesregierung die Ständige Vertretung in Brüssel angewiesen hat, eine Sperrminorität gegen die Quote zu organisieren. Das hat aus ihrer Sicht sicherlich einen gewissen Sinn; denn eine gesellschaftliche Mehrheit hat diese Bundesregierung für ihre politische Irrfahrt in Sachen Gleichstellung und Emanzipation schon lange nicht mehr.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dieses neuerliche Husarenstück reiht sich ein in eine bizarre Abfolge aus einem Altherrensexismus à la Brüderle, der absurden Homophobie der CSU und dem scheinbar immer frischen Frauenbild „Kinder, Küche, Kirche“. Das letzte Ringen um einen eigenen konservativ-liberalen Markenkern dieser Bundesregierung drückt sich in einer Politik gegen Gleichstellung und gegen Frauen aus. Herzlichen Glückwunsch zum Internationalen Frauentag!
Was Frauen von dieser Bundesregierung noch zu erwarten haben, zeigt sich in einigen Äußerungen schwarz-gelber Kabinettsmitglieder nur allzu deutlich. Passen Sie auf! Die FDP als Stopp-Fraktion der Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit hat in Person von Guido Westerwelle das gleichstellungspolitische Programm seiner Partei in einem Satz zusammengefasst:
„Es ist nicht Aufgabe von Brüssel, den Mitgliedstaaten vorzuschreiben, wie private Unternehmen ihre Führungsgremien zu besetzen haben.“
(Beifall von der FDP)
Das heißt im Klartext: Privat vor Geschlechtergerechtigkeit.
Auch Frauenministerin Kristina Schröder hat einmal mehr eindrucksvoll bewiesen, warum sie eigentlich eine Anti-Frauenministerin ist, wenn sie sagt:
„Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, die Zuständigkeit für gesetzliche Maßnahmen zugunsten von mehr Frauen in Führungspositionen weiterhin bei den Mitgliedstaaten zu behalten.“
Ich will Ihnen das kurz übersetzen. Das heißt eigentlich nichts anderes als: Frau Schröder ist zuversichtlich, weiterhin nichts für Geschlechtergerechtigkeit zu tun und sich dabei auch von niemandem reinreden zu lassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was denkt sich diese Frauenministerin wohl, wenn sie in der Frauen-Union einmal herumfragt, wie sie es mit der Frauenquote halten? Da hat sie mit ihrer Haltung auch schon lange keine Mehrheit mehr. Und wenn Sie in den Bunderatsmehrheit hineinschaut, in dem es nämlich eine Mehrheit für die Quote gibt, unter anderem auch auf der Basis CDU-geführter Länder? Ich schätze, wahrscheinlich wird sie sich denken: Ach Gott, alles Geisterfahrerinnen auf meinem eigenen Abstellgleis Richtung Flexi-Quote.
Um dem totalen politischen Chaos noch die Krone aufzusetzen, lässt sich die ehemalige Frauenministerin und heutige Arbeitsministerin, Ursula von der Leyen, öffentlich wie folgt zitieren:
„Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Frauenquoten brauchen. An meiner Haltung hat sich nichts geändert.“
Ich, meine Damen und Herren, bin der festen Überzeugung, dass die Frauen in diesem Land eine andere Politik und eine andere Bundesregierung brauchen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sehe in den Reihen der FDP doch immer noch eine gewisse Skepsis. Und in den Reihen der CDU sehe ich – ehrlich gesagt – mehrheitlich gar keine Abgeordnete.
Aber ich will Ihnen, weil ich da noch Skepsis sehe, noch ein paar Zahlen mit auf den Weg geben, die vielleicht unterstreichen, warum die Zeit von freiwilligen Selbstverpflichtungen und Flexi-Quoten endgültig abgelaufen ist.
Der Verein FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte – kommt zu folgender ernüchternde Bilanz:
„11 Jahre nach der Selbstverpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, und 3 Jahre nach der Aufnahme der Forderung nach mehr Vielfalt in den Deutschen Corporate Governance Kodex liegt der kumulierte Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen bei 9,7 Prozent.“
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Paul, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stamp zulassen?
Josefine Paul (GRÜNE): Ja, sehr gerne.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Kollegin Paul, habe ich Tomaten auf den Augen, oder sehe ich in Ihrer Fraktion auch nicht mehr Anwesende als bei der CDU?
Josefine Paul (GRÜNE): Das ist eine interessante Zwischenfrage, die mit dem Thema eher weniger zu tun hat. Wenn man dann allerdings auf den Anteil schaut, dass wir im Grunde genommen weniger leere Stühle haben als CDU-Fraktion in toto hat, sind wir immer noch besser in der Quote. Deshalb sind wir die Quotenpartei und Sie eben nicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Noch mal zu den Zahlen: Es liegt also
„der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen bei 9,7 Prozent. Bei einem Zuwachs von 3,2 Prozentpunkten zum Vorjahr nur eine marginale Verbesserung.“
Wir haben gestern gehört und gelesen, dass Frauen in diesem Land noch mehr als 50 Jahre auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit warten müssten, wenn sich politisch weiterhin nichts ändert. Aber mit dieser Bundesregierung gibt es kein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, also keine Quote. Es wird kein Entgeltgleichheitsgesetz für mehr Lohngerechtigkeit geben. Ja, mit dieser Bundesregierung gibt es nicht einmal einen gesetzlichen Mindestlohn, von dem vor allem Frauen im Niedriglohnsektor profitieren würden.
Das heißt zusammengefasst: Diese Bundesregierung schickt Frauen vom Niedriglohnsektor direkt in die Altersarmut. – Auch hier wiederum: Alles Gute zum Internationalen Frauentag!
(Beifall von den GRÜNEN)
Auf Bundesebene zeigt sich deutlich, dass eine Kanzlerin noch lange keinen frauenpolitischen Frühling macht. NRW zeigt, dass es auch anders geht – und das werden auch im Bund hoffentlich bald anders haben –: Hier regieren zwei Frauen, die das Thema Gleichstellung zur Chefinnensache gemacht haben, und im Gegensatz zum Bund haben wir eine Emanzipationsministerin, die die Frage der Geschlechtergerechtigkeit als das begreift, was sie ist: eine zentrale Frage sozialer Gerechtigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU: Wirken Sie doch in Ihren Parteien darauf hin, dass die Bundesregierung diese peinliche Posse in Brüssel beendet und dass sie die restliche, ihr noch verbleibende Regierungszeit darauf verwendet, vielleicht auch irgendetwas für die weibliche Hälfte der Bevölkerung zu machen! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Paul, bevor Sie auf Ihren Platz wieder verschwinden, möchte ich Sie fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Bayer zulassen, der sich zwischenzeitlich eingeloggt hat.
Josefine Paul (GRÜNE): Ja, bitte.
Vizepräsident Daniel Düngel: Sie lassen sie zu. – Der Kollege Bayer hat das Wort.
Oliver Bayer (PIRATEN): Es tut mir leid, dass ich mich so spät mit einer Zwischenfrage gemeldet habe. Ich hatte gehofft, dass noch kommt, warum ich diesem Antrag zustimmen soll.
Ich habe jetzt gehört, dass Frau Bundesministerin Schröder alles schlecht macht und CDU und FDP auch. Aber das ist ja jetzt ein Antrag, eine europäische Frauenquote zu übernehmen, die den Ländern, wenn ich das richtig verstanden habe, vorschreibt, in den entsprechenden Führungsebenen eine bestimmte Frauenquote zu erreichen. Meine Frage: Ist das als eine Art Messlatte zu sehen, dass die Nationen vor Ort dafür sorgen müssen, dass die Quote erreicht wird, egal wie? Oder ist direkt vorgeschrieben, dass eine Quote einfach eingeführt wird, ohne entsprechende Maßnahmen? Ich hätte gerne mehr zu diesen Maßnahmen gewusst.
Josefine Paul (GRÜNE): Wenn Sie sich einen der Beschlusspunkte anschauen, werden Sie finden, warum wir sagen: Wir brauchen diese Quote. – Wenn man diese Quote wirklich umsetzen will, braucht man natürlich die flankierenden Maßnahmen, um Frauen von unten bis ganz nach oben zu unterstützen und zu begleiten.
Allerdings bleibt das Problem bestehen: Wenn sich diese Bundesregierung dem sinnvollen Vorschlag der Kommissarin Reding verweigert, wird sich in diesem Land überhaupt nichts tun – egal, wie viele freiwillige Förderpläne hin oder her und wie viele Flexi-Quoten diese Bundesregierung noch einfordern wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die SPD-Fraktion nun Frau Kollegin Kopp-Herr, die zwischenzeitlich die Pool-Position verloren hat. Aber bitte sehr, Sie haben das Wort.
Regina Kopp-Herr (SPD): Danke, Herr Präsident, damit kann ich leben. Es tut mir leid, dass ich etwas später komme. Ich dachte, wir hängen. Aber jetzt waren alle schneller.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Petra Jenner hat es geschafft. Sie hat die gläserne Decke durchbrochen. Seit 2012 ist die gelernte Betriebswirtin und Wirtschaftsinformatikerin Leiterin der Microsoft-Zentrale in der Schweiz mit 550 Mitarbeitern. Verantwortlich ist sie dort für alle Bereiche ihres Unternehmens von Personal, Finanzen über Marketing bis hin zur technischen Beratung.
Petra Jenner muss sich jedoch in ihrer Position sehr einsam fühlen. Sie wird nicht viele Frauen in ihren Reihen finden. Und das verwundert; denn wir haben aktuell die bestausgebildetste Generation von Frauen, die durchweg höhere und bessere Bildungs- und Berufsabschlüsse erzielen als Männer. Dennoch spiegelt sich dieser Bildungs- und Berufserfolg kaum in den Karrieren der Frauen wider.
Angesichts des demografischen Wandels, des viel diskutierten Fach- und Führungskräftemangels, der Sicherung und Wahrung des Wohlstands, aber auch weil Frauen ein Recht auf berufliche Fortentwicklung und Erfolg haben, ist es nicht hinnehmbar, die Talente, die Fähigkeiten, das berufliche Know-how von Frauen brachliegen zu lassen.
(Beifall von der SPD)
Die EU hat dieses Problem erkannt. Viviane Reding, EU-Justizkommissarin, hat 2010 festgestellt, dass die bisherige Bilanz einer besseren Gleichstellung von Frauen ernüchternd ist. Sie sagte:
„Ich habe in den vergangenen Jahren leider feststellen müssen, dass die Mitwirkung von Frauen in Führungspositionen kaum Fortschritte gemacht hat.“
Sie hat 2010 einen eindringlichen Appell an europäische Unternehmen gerichtet, hier Veränderungen herbeizuführen. Dieser Appell ist förmlich im Nirwana verschwunden. Er hat wenig genützt. Es gibt so gut wie keine Veränderungen.
In der Konsequenz daraus hat die Europäische Kommission am 14. November 2012 einen Richtlinienvorschlag gemacht mit dem Ziel, 2020 in den Aufsichtsräten börsennotierter europäischer Unternehmen eine Quote für das unterrepräsentierte Geschlecht – so heißt es dort; das sind in der Regel die Frauen – von mindestens 40 % zu realisieren.
Für die Kommission war dieses Handeln notwendig, da ihre Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet unterschiedlichste Regelungen oder Nichttätigkeit aufweisen. Wir finden, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber ausgerechnet im März, unmittelbar vor dem internationalen Frauentag, forderte die Bundesregierung die Ständige Vertretung Deutschlands bei der EU auf, dafür Sorge zu tragen, dass diese geplante EU-Richtlinie keine Mehrheit bekommt. Die Bundesregierung sagte, sie habe Subsidiaritätsbedenken.
Zu bemerken ist hier: Weder aus dem Bundestag noch aus dem Bundesrat ist der Rahmen der achtwöchigen Frist genutzt worden, um mittels sogenannter begründeter Stellungnahme die Subsidiarität zu rügen.
Ich finde, das ist alles schon sehr erstaunlich. Ich zitiere hier Ursula von der Leyen, die auch bei meiner Kollegin schon eine Rolle gespielt hat:
„In den Großkonzernen hat sich fast nichts getan. Dort sind die meisten Vorstände immer noch frauenfreie Zonen mit blamablen drei Prozent Frauenanteil im Schnitt. Nach zehn Jahren fruchtloser Lippenbekenntnisse brauchen wir echte Ziele und Zeitleisten.“
Es ist klar, Frau von der Leyen spricht sich für die Quote aus. Sie hat wie wir erkannt – übrigens auch wie CDU-geführte Länder im Bundesrat, die für diese EU-Richtlinie gestimmt haben –, dass einzig eine Quote zu einer Veränderung zugunsten einer geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten führt.
Die Einzelmeinung von Frau von der Leyen spielt in der Bundesregierung anscheinend keine große Rolle. Sonst hätte sie wie die vorhin schon erwähnten CDU-geführten Bundesländer im Bundesrat dieser EU-Richtlinie zugestimmt. Damit hat die Bundesregierung die Chance vertan, für Frauenförderung auf europäischer Ebene ihre starke Stimme in die Waagschale zu werfen, für Frauenförderung bei anderen Mitgliedstaaten zu werben und dafür Sorge zu tragen, dass diese auch umgesetzt wird. Eine solche Blockadehaltung lässt keinen anderen Schluss zu: Frauenförderung ist für die Bundesregierung allenfalls eine Nebensache.
Wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, lassen hier nicht locker. Wir laden Sie, gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, der FDP und der Piraten, ein: Stimmen Sie diesem Antrag zu und sorgen Sie mit Ihrer Zustimmung dafür, dass wir zwar hier eine tolle gläserne Decke haben, selbige jedoch für mehr Frauen in Aufsichtsräten hochdotierter Unternehmen und in weiteren hohen Führungspositionen durchbrechen!
Wir haben sie nämlich, diese hochqualifizierten Frauen, die das können und vor allen Dingen auch wollen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die CDU-Fraktion hat nun die Kollegin Scharrenbach das Wort.
Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag, liebe Kolleginnen der SPD und Grünen, „Gegen die gläserne Decke kämpfen: Bundesregierung muss Verantwortung für Realisierung einer Europäischen Frauenquote übernehmen“ gehört in die Kategorie „Anträge, die der Landtag von Nordrhein-Westfalen nicht braucht“.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Hätten Sie Ihren Antrag überschrieben mit „Landesregierung übernimmt Verantwortung für die Realisierung einer Frauenquote in Nordrhein-Westfalen“, sähe die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema anders aus.
Statt Ihre eigenen Kompetenzen wahrzunehmen, statt selbst mit gutem Beispiel bei der Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten, bei denen das Land Nordrhein-Westfalen die Besetzungsrechte hat, voranzugehen, versuchen Sie hier einmal mehr, Bundespolitik in den Landtag zu bringen.
(Beifall von der CDU)
In 2009 betrug der Frauenanteil in den Vorständen der DAX-30-Unternehmen nur 0,5 %, in 2011 lag dieser Anteil bei 3,7 %, und zum Jahresende 2012 ist dieser auf 7,8 % angestiegen. Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Ich denke, das wird parteiübergreifend so gesehen.
Aber im März 2011 haben die DAX-30-Unternehmen erstmals die Festlegung individueller Selbstverpflichtungen zur Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen zugesagt. Diese Ziele betreffen die Führungsebenen unterhalb des Vorstands. Nach Berechnungen des IGES Instituts werden davon in den nächsten Jahren 5.400 Frauen in Deutschland profitieren.
Darüber hinaus haben sich die meisten DAX-30-Unternehmen für ihren Aufsichtsrat individuelle Ziele für eine Steigerung des Frauenanteils gegeben. 21 Unternehmen streben einen Frauenanteil von 20 % und mehr an, sieben Unternehmen einen Anteil von 30 % und mehr.
Damit unterscheidet sich diese freiwillige Selbstverpflichtung der größten deutschen börsennotierten Unternehmen erheblich von der unter der rot-grünen Bundesregierung geschlossenen Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern aus dem Jahr 2001.
(Beifall von Karlheinz Busen [FDP])
Denn in 2011 haben sich die Unternehmen zu konkreten individuellen Zielen verpflichtet. Sie sind auch bereit, hierüber regelmäßig Bericht zu erstatten.
Aber bei aller Flexibilität wird ein Maß an Verbindlichkeit benötigt. Diese Verbindlichkeit kann in der Tat nur ein Gesetz herstellen. Nur ein Gesetz kann sicherstellen, dass Unternehmen, die sich nicht freiwillig zur Veränderung bei der Chancengleichheit von Frauen und Männern bereit erklären, durch Sanktionen entsprechenden Druck spüren.
Genau an dieser Stelle kommt übrigens die Flexi-Quote ins Spiel. Die Flexi-Quote ermöglicht den Unternehmen die unternehmerische Freiheit trotz einer gesetzlichen Verbindlichkeit. Unternehmen sollen verpflichtet werden, Ziele zur Beteiligung von Frauen an der Unternehmensführung zu nennen, und sie erhalten dabei den notwendigen Entscheidungs- und Handlungsspielraum, um die unternehmerischen Besonderheiten zu berücksichtigen.
Denn mit der Einführung einer starren Quote für Aufsichtsräte – wie Sie sie hier fordern – könnte die Frage gesetzlicher Regelungen für Frauen in Führungspositionen in der politischen Diskussion schnell und bequem abgehakt werden. Unternehmen können dann auf einige wenige Frauen im Aufsichtsrat verweisen und das Thema „Frauenförderung“ damit für erledigt erklären. Das Sonnendeck wäre optisch weiblicher – ohne Frage –, aber im Maschinenraum hätten viele Frauen weiterhin das Nachsehen.
Denn die starre Quote für Aufsichtsräte ändert im Alltag des Großteils der Frauen überhaupt nichts. Das zeigen auch die Ergebnisse aus Norwegen, das eine 40-%-Quote für Aufsichtsräte eingeführt hat.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Scharrenbach, entschuldigen Sie die Störung. Die Kollegin Paul würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Ina Scharrenbach (CDU): Bitte.
Josefine Paul (GRÜNE): Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen. Nur für mein Verständnis der Flexi-Quote: Wenn ich mir als Unternehmen vornehme, ich möchte 2 % Frauen in Führungsgremien haben, und ich erreiche das, ist das dann schon ausreichend für die Erfüllung der Flexi-Quote? Und was passiert, wenn ich noch nicht einmal das schaffe? Ist das dann auch sanktionsbewehrt oder eher nicht?
Ina Scharrenbach (CDU): Frau Paul, vielen Dank für diese Zwischenfrage. Sie wissen, dass es sich bei der Flexi-Quote um eine freiwillige Selbstverpflichtung gerade der größten deutschen börsennotierten Unternehmen handelt. Wenn Sie sich die Selbstverpflichtung ansehen, die diese Unternehmen abgegeben haben, dann sprechen wir konkret nicht über die Werte, die Sie hier nennen, sondern über ein Vielfaches mehr.
(Beifall von der CDU)
Wenn Sie dann noch den ersten Jahresbericht, den die Unternehmen abgegeben haben, heranziehen und sich die Entwicklung, die sie genommen haben, vergegenwärtigen, immer unter Berücksichtigung der Branche, in der sie sich befinden, dann werden Sie feststellen, dass das, was Sie vorgeben, nicht eintritt. Wenn wir das Gesetz bekommen, dann wird es sanktionsbewehrt sein, was die Flexi-Quote anbetrifft.
(Beifall von der CDU)
Ich komme zurück zu Norwegen. Es hat sich gezeigt, dass Frauen in Aufsichtsräten nach denselben Prinzipien arbeiten wie Männer. Das heißt, im Unternehmen hat sich nichts geändert. Die Rechnung „Mehr Frauen im Aufsichtsrat gleich mehr Frauen in allen Führungspositionen“ ist offenkundig eine Milchmädchenrechnung, die Sie hier aufmachen.
Um faire Chancen für alle Frauen zu erreichen, brauchen wir Lösungen, die bei den Ursachen für die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen ansetzen. Der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung formuliert es an dieser Stelle deutlich:
„Die Ausgestaltung von Führungspositionen ist an männlichen Lebenswelten orientiert und in der Regel an eine spezifische Anforderungsstruktur und -kultur geknüpft, die potenziell nur Arbeitskräfte erfüllen können, die von familiären Pflichten frei sind.“
Insofern lässt sich auch dieser Wandel der Unternehmenskultur, den wir benötigen, nicht von oben verordnen.
Der Grundgedanke der Flexi-Quote – und das haben Sie in Ihrem Antrag nicht geschrieben – findet sich auch in den Richtlinienvorschlägen der EU-Kommission wieder, nämlich konkret für die Vorschläge von Besetzung von Vorständen. Denn hier soll keine Einheitsquote vorgegeben werden, sondern als ergänzende Maßnahme schlägt die EU-Kommission eine Flexi-Quote vor. Ehrlichkeitshalber hätten Sie das hier anführen können. Das haben Sie aber nicht getan. Eine starre Quote, so wie Sie sie fordern, mag nur auf den ersten Blick Gerechtigkeit bringen. In der Realität wird Ungerechtigkeit gegen eine andere Ungerechtigkeit ausgetauscht.
Abschließend: Ihr Antrag wird aus Sicht der CDU-Fraktion den Anforderungen an eine moderne Personalpolitik weder im unternehmerischen Sinne noch im politischen Sinne gerecht. Ihr Antrag wird auch Ihren eigenen Zuständigkeiten im Land Nordrhein-Westfalen nicht gerecht. Sie haben die Möglichkeit, hier eigene Standards zu setzen, und tun es nicht. Insofern können wir Ihren Antrag nur ablehnen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Schneider das Wort.
Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Antrag hat sich die Koalition wahrlich ein Denkmal gesetzt. Da argumentieren Sie doch tatsächlich, dass eine EU-Quote in Aufsichtsräten eine Maßnahme gegen den Fachkräftemangel sei.
Auf der Ebene der Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen existiert kein Fachkräftemangel, zumindest nicht in dem Sinne, wie Sie ihn hier anführen. Mit einer Quote im Aufsichtsrat können Sie nicht den Mangel an Fachkräften im operativen Geschäft ausgleichen. Die Top-Frauen gehen dem Arbeitsmarkt schon viel früher verloren. Ich hoffe, dass es sich bei Ihrer Argumentation in diesem Zusammenhang lediglich um eine unglückliche Formulierung handelt. Denn wer so argumentiert, der demonstriert nur, dass er keine Ahnung von Großunternehmen hat, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Aber das haben Sie ja schon bewiesen, als Sie unseren Antrag zur Förderung von Frauen bis ins operative Management abgelehnt haben. Da ist es gerade darum gegangen, Frauen von der Pieke an über das operative Management bis in die Aufsichtsräte zu unterstützen.
(Beifall von der FDP)
Ihre Argumentation geht insoweit in die falsche Richtung.
Die von Ihnen geäußerte Kritik an Bundesaußenminister Guido Westerwelle teilen wir selbstverständlich nicht. Mit der Auffassung, es gäbe keine ausreichende rechtliche Grundlage für politisches Handeln der EU, steht er keineswegs alleine da. Nach unseren Informationen haben sich auch Großbritannien, die Niederlande, Tschechien, Ungarn, Schweden, Dänemark, die Slowakei, Estland und Lettland gegen eine EU-weite Quote ausgesprochen.
(Beifall von der FDP)
Besonders interessant ist doch, dass hierunter gerade auch die skandinavischen Länder sind, die selbst Quoten eingeführt haben. Im Gegensatz zu Ihnen scheinen die aber verstanden zu haben, dass diese Kompetenz in der Hand der nationalen Parlamente liegt.
Vergegenwärtigen Sie sich doch einmal Ihre eigene Lage! Wenn nämlich die EU im Rahmen paralleler Kompetenzen ein Rechtsgebiet regelt, verlieren die Mitgliedstaaten faktisch ihre Regelungsbefugnis. Selbst wenn man der EU in diesem Fall eine Regelungskompetenz zusprechen könnte, dürfte sie sie nicht im Sinne einer verbindlichen Frauenquote ausüben. Denn hier greift der Subsidiaritätsgrundsatz: Es kann auf nationaler Ebene ausreichend verwirklicht werden. Sonst bräuchten Sie doch nicht laufend mit Ihren Frauenquotenanträgen in den Parlamenten aufzuschlagen. Oder etwa nicht? Mit dem vorliegenden Antrag diskreditieren Sie quasi Ihre eigene Arbeit.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wenn sich Rot-Grün einmal angeschaut hätte, was die EU in Sachen Frauenquote vorhat, könnten Sie überhaupt nicht für deren Regelungskompetenz sein. Schließlich wäre immer noch folgendes Szenario denkbar: Die EU gibt eine schwächere Regelung vor, als Rot-Grün sie beschließen würde. Beides wollen wir uns jetzt nicht wirklich vorstellen. Aber was machen Sie denn dann? – Ihre Gesetzgebungskompetenz wäre futsch. Wäre Ihnen dann immer noch zum Jubeln? – Wohl eher nicht.
In der Tat hat der Deutsche Bundestag das Recht, eine Subsidiaritätsrüge oder -klage zu erheben. Was Sie in Ihrem Antrag nicht erwähnen, ist, dass die FDP vorgeschlagen hat, dies zu tun. Leider wollte die Union hier nicht mitziehen.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, die FDP war und ist gegen eine Frauenquote. Sie ist der falsche Weg, das Problem der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen zu lösen.
(Beifall von der FDP)
Frauenquoten doktern lediglich an den Symptomen herum, beseitigen aber nicht die Ursachen. Und da sind wir wieder beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Aber das wollen Sie nicht sehen, das ist Ihnen unangenehm, weil Sie hierfür, wie wir schon an dem schleppenden U3-Ausbau sehen können, kein Händchen und auch kein Konzept haben. Und dass Menschen, die tagtäglich in Unternehmen arbeiten, mit Betreuungsangeboten bis 16 Uhr nicht auskommen, das wollen Sie nicht hören.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Im „DGB-Frauenreport“, den Sie doch so gerne zur Stützung Ihrer Argumente anführen, können Sie lesen, dass es auch weiterhin ein rollentypisches Berufswahlverhalten gibt. Da hätten wir einen weiteren Ansatz: Die Frauen müssen ermutigt werden, in die besser bezahlten Berufe des MINT-Bereiches vorzudringen. – Dazu hören wir wenig von Ihnen. Keine Idee, kein Konzept! Und wenn ich mir den vorliegenden Antrag anschaue, muss ich auch noch sagen: Keine Ahnung. Aber beschließen Sie diesen Antrag heute ruhig. Sie torpedieren damit letztlich nur Ihre eigene Position.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit Blick auf die generelle Fehlerhaftigkeit einer Frauenquote, ob EU-weit, national oder regional, lehnt die FDP-Landtagsfraktion diesen Antrag ab. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Olejak.
Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, liebes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren, hier und zu Hause! Ich stehe hier sehr gerne, um mit Ihnen über eine Frauenquote für börsennotierte Unternehmen zu reden.
Viele Gründe sprechen sogar dafür. Denken Sie an die Bereicherung, die eine abwechslungsreiche Gestaltung von Führungsetagen mit verschiedenen Geschlechtern hätte. Homogene Führungsgruppen in Unternehmen verfallen in eingefahrene Denk- und Handlungsstrukturen. Möglichkeiten für Innovationen und nötige Neuerungen werden damit vermieden.
Zudem bleiben die Potenziale hochqualifizierter Frauen momentan oft ungenutzt. Wenn Europa im internationalen Wettbewerb weiterhin bestehen will, müssen alle Ressourcen genutzt werden. Auch könnte ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis auf allen Ebenen zu einem nachhaltigen Beschäftigungsverhältnis in der EU sowie zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen.
Doch die Unternehmen lassen dieses Potenzial momentan lieber ungenutzt. Die berufliche Gleichstellung der Geschlechter ist noch keine Realität innerhalb der EU. Die Verfahren vor Einstellungen und Beförderungen sind eingefahren. Vorteile bestehen gegenüber hochqualifizierten Frauen nach wie vor, die für Führungspositionen infrage kommen. Genau dieses Phänomen bezeichnet man ja als die „gläserne Decke“, die Frauen am beruflichen Aufstieg hindert.
Das Unternehmen McKinsey, das nun wirklich nicht dafür bekannt ist, sich für Gleichstellung einzusetzen
(Zuruf von der FDP: Wer ist McKinsey?)
– ein Wirtschaftsberatungsunternehmen in diesem Falle –, hat 2012 eine sehr interessante Studie herausgebracht, in der es heißt, dass 66 % aller innereuropäisch befragten Unternehmen der Meinung sind, selber noch nicht genug für die Gleichstellung der Geschlechter getan zu haben. Das verwundert mich schon ein wenig.
Es gibt, wie gesagt, Gründe, die für eine solche Quote sprechen, aber ich möchte auch kritische Aspekte anbringen, die dagegen sprechen könnten. Norwegen wurde bereits erwähnt. 2003 hat Norwegen dieses Gesetz verabschiedet. Ich möchte einmal kurz den norwegischen Christdemokraten und den norwegischen Freiheitlich-Liberalen für den Ideenansatz danken, dass „konservativ“ nicht „gegen Gleichstellung“ bedeuten muss.
Die aktuellen Zahlen vom Januar 2013 zeigen ganz eindeutig, dass es sehr wohl doch funktioniert; denn die konstant gehaltene Quote von 40 % ist Fakt für Aktiengesellschaften. Hingegen sind viele kleinere Aktiengesellschaften hingegangen und haben sich rückverwandelt in GmbHs, um dieser Pflicht zu entkommen. Zudem hat der Aktienmarkt dort die Aktiengesellschaften pauschal abgestraft; alle Aktien sind um 4 % gefallen. Das Geld sucht sich in dieser Hinsicht selber seinen Weg gegen eine Gleichstellung in der Gesellschaft.
Letztlich ist die kompetenzrechtliche Situation immer noch umstritten. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird definitiv nicht klar dargestellt, wie das auf innereuropäischer Ebene geregelt werden kann. Wenn man eine Frauenquote top-down installiert, werden sich die Mitgliedstaaten definitiv sehr schwer tun mit einer Umsetzung.
Eine europäische Frauenquote ändert eben noch nichts an den gesamten Rahmenbedingungen. Vielleicht sind es ja auch nicht nur Frauen, die gerne in Teilzeit in Führungsetagen arbeiten möchten und Mentoring-Programme zu ihrem Führungsstil gebrauchen könnten.
(Zuruf von den GRÜNEN: Sind Sie jetzt dafür oder dagegen?)
Zum Beispiel solche Maßnahmen wären zur Steigerung der Frauenquote sinnvoll.
Ich selber bin mir noch nicht sicher, ob eine europäische Frauenquote das Mittel der Wahl ist. Der Start eines innereuropäischen Diskurses hingegen für die Einführung einer deutschen Quote wäre doch auch einmal etwas Schönes.
(Zuruf von den GRÜNEN: Welche Position nehmen Sie denn jetzt ein?)
Vielleicht sind Sie sich ja in Wirklichkeit auch selbst nicht sicher und entscheiden nach Fraktionszwang. Die Piraten entscheiden nach ihrem freien Mandat. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Olejak. – Für die Landesregierung Frau Ministerin Steffens. Sie haben das Wort.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf zwei meiner Vorrednerinnen eingehen, zunächst auf Frau Scharrenbach.
Sie haben gesagt, die Landesregierung solle ihre Verantwortung doch selber wahrnehmen. Vonseiten der SPD und der Grünen wird gefordert, auf europäischer Ebene zu einer Frauenquote in Aufsichtsräten zu kommen. Man kann sich zum Vergleich anschauen, was wir in der nordrhein-westfälischen Landesregierung an Veränderungen vorzuweisen haben.
Gut, Sie waren wahrscheinlich in der letzten Legislaturperiode nicht so nah dran und haben das nicht verfolgt. Aber zu Ihren Zeiten, in der Regierung Rüttgers, gab es insgesamt drei Frauen am Kabinettstisch. In der jetzigen Regierung ist eine Frau Ministerpräsidentin, und es gibt fünf weitere Ministerinnen. Das nennt man Vorbildfunktion.
(Beifall von den GRÜNEN)
Hier hat die Landesregierung ein Zeichen gesetzt, das Sie nicht einfach wegreden können. Hieran erkennt man deutlich, wie ernst die Landesregierung die Frauenquote nimmt und wie wichtig sie ihr ist.
Das gilt auch für weitere Bereiche. Sie wissen, dass wir dabei sind, das Landesgleichstellungsgesetz zu reformieren, um auf allen Ebenen die Instrumente auszuweiten, die hier bestehen, um Frauen die Chancen und entsprechende Möglichkeiten zu geben.
In Richtung der Vorrednerin vonseiten der FDP-Fraktion, Frau Schneider: Ich habe eben extra noch einmal nachgeschaut, weil ich in Erinnerung hatte, dass es doch die eine oder andere FDP-Frau in Führungspositionen gibt, die das anders sieht.
Es wäre vielleicht auch spannend, wenn innerhalb der FDP die Frauen einmal miteinander diskutieren würden. Es gibt ein interessantes Interview mit Frau Koch-Mehrin, die ganz deutlich die ablehnende Haltung der Bundesregierung scharf kritisiert und sagt, dass ihre eigene Partei zudem am besten zeige, wie man dauerhaft Frauen vergraulen kann.
Ich zitiere ungern aus den Reihen der Frauen Ihrer Fraktion, aber Frau Koch-Mehrin hatte auf europäischer Ebene schon an der einen oder anderen Stelle einen Einblick, der vielleicht auch für Sie in der Argumentation ganz wichtig wäre. Dem sollten Sie sich öffnen. Denn Frauenquoten zeigen an vielen Stellen, wie wichtig sie sind.
Dass Sie davon noch nicht viel verstanden haben, zeigte ganz deutlich Ihre Anmerkung …
(Unruhe)
Vizepräsident Daniel Düngel: Meine Damen und Herren, ich darf um ein wenig Ruhe bitten, auch beim Hereinkommen in den Saal, damit wir der Ministerin richtig zuhören können.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Das ist sonst ein wenig anstrengend. Sicherlich ist es für Sie schwer, wenn Sie keine Frauenquoten wollen. Dass das für Sie besonders schwer ist, kann ich verstehen. Es wäre aber vielleicht doch ganz gut.
Frau Schneider, Sie haben angemerkt, es könne sich nur um ein Missverständnis handeln, dass in dem Antrag genannt wird, Frauenquoten in Aufsichtsräten würden gegen Fachkräftemangel helfen. Das zeigt, dass Sie sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt haben. Wir wissen, dass sich Frauen in der Berufswahl für Berufe entscheiden, die meist die klassischen Frauenberufe sind.
Wir wissen auch, dass Frauen in Aufsichtsräten Vorbild für junge Frauen sind, ihre Ausbildung in anderen Berufsbereichen zu suchen, in bestimmte Berufsbereiche einzutreten. Dazu gibt es viele Studien, Untersuchungen. Vielleicht könnte Ihnen auch das Frau Koch-Mehrin auf europäischer Ebene nahelegen.
Wir wissen, dass die gläserne Decke nach wie vor besteht. Wir wissen, dass die Anteile der Frauen in Vorständen und in Aufsichtsräten sowohl in Top-200-Unternehmen wie auch in den DAX-30-Unternehmen nach wie vor in Deutschland gering sind und dass es dringend notwendig ist, zu einer anderen Quote, zu einem anderen Anteil von Frauen in Aufsichtsräten zu kommen.
Im europäischen Vergleich ist der Durchschnitt der Frauenquoten zwar auch nicht das Erstrebenswerte, aber wir wissen, dass der Spitzenreiter Norwegen einen Frauenanteil von 44 % hat. Wir wissen, dass andere Länder, die Quoten haben, diese Anteile auch erreichen. Immerhin haben elf Mitgliedstaaten gesetzliche Quotenregelungen. Das sollte für uns Ansporn sein, dies gemeinsam mit anderen europäischen Ländern umzusetzen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Ministerin Steffens, bitte entschuldigen Sie die Störung. Kollegin Scharrenbach würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Aber gerne.
Ina Scharrenbach (CDU): Vielen Dank. – Frau Ministerin, könnten Sie uns vielleicht sagen, wie hoch der Frauenanteil in den Gesellschaften ist, bei denen das Land Nordrhein-Westfalen die Besetzungsrechte in Bezug auf die Vorstände und Aufsichtsräte hat?
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Da das Land Nordrhein-Westfalen in vielen Gremien Besetzungs- und Vorschlagsrechte hat, kann ich Ihnen das jetzt nicht einmal eben am Stehpult sagen.
(Zuruf von der CDU: Oh!)
Wir können das gerne nachreichen. Sie können dazu eine Anfrage stellen. Das ist überhaupt kein Problem.
(Britta Altenkamp [SPD]: Das haben sie schon gemacht!)
Vor allen Dingen kann man dann auch sehen, wie die Veränderungen im Vergleich zur schwarz-gelben Regierung bei der rot-grünen Regierung ausfallen, welche Nachbesetzungen stattgefunden haben, welche Besetzungen zu Ihrer Regierungszeit stattgefunden haben, wie viele Posten und Positionen geschlechtergerecht besetzt worden sind.
Diesen Vergleich können wir gerne gemeinsam diskutieren. Dann werden Sie deutlich sehen, dass das, was Sie hier gerade versuchen zu thematisieren, zu Ihrer Regierungszeit an vielen Stellen nicht einmal angedacht worden ist – nicht nur nicht im Kabinett, sondern auch nicht auf anderen Ebenen.
Ich möchte zum Schluss kommen. Ich wünsche mir – bei der FDP kann man nach dem Redebeitrag weiß Gott nicht davon ausgehen –, dass von den innovativen Kräften in der CDU die Landesminister und ?ministerinnen, die auch eine Quote unterstützen, aus Nordrhein-Westfalen ein Zeichen bekämen und wenn Sie einem solchen Antrag gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen zustimmen würden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Wir sind am Schluss der Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt und kommen zur Abstimmung.
Die antragstellenden Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen damit direkt über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/2277 ab. Wer ist für diesen Antrag? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Teile der Piraten. Wer ist gegen diesen Antrag? – CDU, FDP, Teile der Piraten. Wer enthält sich bei diesem Antrag? – Das ist spannend. Das sind Teile der Piraten. Der Antrag ist damit angenommen.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Meinungsfreiheit ist uns viel wert!)
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
8 Bezahlbares Wohnen und wohnungspolitische Innovationen brauchen bezahlbares Bauland
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2278
Herr Ott hat das Wort. Bitte sehr.
Jochen Ott*) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern darüber gesprochen, dass die Wohnungspolitik ein dickes Brett ist, das es zu bohren gilt. Wir haben mit der Veränderung der Wohnraumförderbedingungen deutliche Akzente gesetzt, die mit Sicherheit zu einer Verbesserung führen werden. Wir haben gestern mit dem Abschlussbericht der Enquetekommission den Ball ins Spielfeld gelegt und jetzt die einzelnen Rechtskreise beleuchtet, die wir bearbeiten wollen.
Ich bin stolz und froh darüber, dass wir heute mit dem vorliegenden Antrag und den am Mittwoch verabschiedeten Änderungen des Haushaltsgesetzes dazu beitragen können, dass wir auch im Bereich der Flächenpolitik als Land Nordrhein-Westfalen vorbildhaft vorangehen.
Warum Flächenpolitik? Wir müssen die Flächen, die der öffentlichen Hand zur Verfügung stehen, mit einsetzen, um im Bereich der Stadtentwicklung Akzente setzen zu können, der Spaltung der Städte, der fortschreitenden Segregation in den Städten entgegenzusteuern und insbesondere da, wo besonderer Druck auf dem Wohnungsmarkt ist, zu versuchen, diesen Druck vom Wohnungsmarkt abzufedern.
Was wollen wir ganz konkret? Wir wollen, dass Kommunen und kommunale Gesellschaften zum einen für kommunale Zwecke und zur Errichtung von gefördertem Wohnungsbau und zum anderen Studentenwerke ebenfalls zur Errichtung von gefördertem Wohnungsbau und für ihre satzungsmäßigen Zwecke zum vollen Wert vom Land Flächen erwerben können. Das ist ein ganz bedeutender Schritt, weil wir damit an vielen Stellen Projekte gerade auch für das studentische Wohnen möglich machen, die bisher nicht möglich gewesen sind.
Es gibt einen zweiten Weg. Gerade bei größeren Flächen wollen wir dafür sorgen, dass Bewerbungen, dass Bieterverfahren unter bestimmten Bedingungen stattfinden können, nämlich 30 % geförderter Wohnungsbau werden bei solchen größeren Flächen mit in die Ausschreibung hineingenommen, sodass wir dafür sorgen können, dass hier ein deutliches Signal gesetzt wird. Das ist ein Fortschritt, weil wir jetzt als Land mit gutem Beispiel für die Kommunen und für den Bund vorangehen.
(Beifall von Martin Börschel [SPD])
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einige Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die versuchen, sich ebenfalls auf dem Weg einer neuen Flächenpolitik zu begeben. Das ist die Stadt Köln mit dem kooperativen Baulandmodell. Selbst die Stadt Düsseldorf ist dabei, solche Überlegungen anzustellen. Uns geht es von Landesseite darum – wir wissen, dass wir als Land nicht unzählige Flächen im Land vorhalten können –, ein Symbol zu setzen, ein Zeichen zu geben, um deutlich zu machen: Nicht nur die Kämmerer und Finanzminister sollten in der Frage der Stadtentwicklung in den Blick genommen werden, sondern auch die wohnungspolitischen Interessen, weil Wohnungspolitik für die Menschen in den Städten und für die Entwicklung der Städte von besonderer Bedeutung ist.
Ich möchte zum Schluss zu meinem Kollegen Markus Weske aus Düsseldorf sagen, dass wir uns besonders freuen, es mit diesem Beschluss möglich machen zu können, in diesem Jahr bei der Ulmer Höh‘ der Stadt Düsseldorf einen kleinen Anreiz zu geben, mehr geförderten Wohnungsbau in Düsseldorf zu verwirklichen. Denn wir wollen, dass Düsseldorf noch liebenswerter wird. Darum kümmern wir uns. Wir helfen, wenn diese Stadt das allein nicht hinbekommt.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Als Unterstützung für alle, die in der Kommunalpolitik für eine soziale und gerechte Politik in den Städten eintreten, haben wir mit unserem vorliegenden Antrag einen Akzent gesetzt. Wir hoffen, dass viele Studentenwerke und viele Kommunen jetzt auf uns zukommen, um gemeinsam überlegen zu können, was die besten Wege sind.
Wir hoffen, dass der Bund – so geht es nun in Münster ganz aktuell um große Flächen, aber auch andere Teile des Landes brauchen unser Augenmerk – und auch die Kommunen damit anfangen, Flächenpolitik im Sinne einer guten Wohnungspolitik zu betreiben. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Schneckenburger.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP hat zum Erstaunen des Parlaments in diesen Tagen nach einem Entfesselungsimpuls gerufen.
(Beifall von Matthi Bolte [GRÜNE])
Sie wollten einen Entfesselungsimpuls, hier haben Sie einen, und zwar einen Entfesselungsimpuls für den geförderten Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Mit dem Antrag, der dem Plenum jetzt zur Entscheidung vorliegt, fügen wir einen wichtigen Baustein zur sozialen Wohnungspolitik des Landes hinzu. Die Lage ist bekannt: Es gibt steigende Mieten, insbesondere an der Rheinschiene, aber auch in Münster. Die derzeitige Zinslage lässt es Investoren nicht mehr besonders attraktiv erscheinen, auf Förderprogramme zuzugreifen. Sie macht es schwieriger, mit Förderprogrammen die Investoren zu erreichen.
Darüber hinaus gibt es eine Situation, in der wir nur noch sage und schreibe 10 % geförderter Wohnungen haben, die in den 70er-Jahren in Nordrhein-Westfalen noch vorhanden waren. Es sind also viele Wohnungen aus der sozialen Bindung gefallen.
Mit dieser Gesamtlage muss man umgehen. Das Land hat rechtzeitig darauf reagiert. Wir haben zum einen die Zinskonditionen im Programm des Landes für die soziale Wohnraumförderung nach unten an die Marktlage angepasst, um die Förderdarlehen attraktiver zu machen.
Das Ministerium hat die Bewilligungsmiete in den fraglichen Regionen insbesondere entlang der Rheinschiene, die ich vorhin angesprochen habe, erhöht. Sie liegt nun im oberen Segment. Damit wurde es für Investoren attraktiver, in den geförderten Wohnungsbau zu investieren.
Jetzt fügen wir dem noch einen weiteren wichtigen Baustein hinzu. Wir ermöglichen nämlich, dass Liegenschaften des Landes zum Verkehrswert verkauft werden, aber nicht in einem Ausschreibungsverfahren mit einem maximalen Preis, und dass Investoren damit auch in die Verfügung der Fläche kommen können, um zusammen mit den anderen Bausteinen ein Investitionspaket zu schnüren, das sich für beide Seiten rechnet: für die Investoren genauso wie für die Mieterinnen und Mieter im Land. Auf die kommt es uns an. Denn der Neubau von geförderten Wohnungen führt dazu, dass eine Preisdämpfung in diesen Marktsegmenten eintritt.
Also: Das Land tut seinen Teil. Es erfüllt damit auch die Forderungen, die aus der Wohnungswirtschaft an uns herangetragen worden sind, ebenso wie Forderungen der Architektenkammer. Es schließt sich den Vorbildern Hamburgs und Münchens, die schon länger mit steigenden Mieten zu kämpfen haben, an und bringt ein gutes Modell auf den Weg, das hoffentlich auch ein Anreiz für die Kommunen ist.
Dann sind wir an dem Punkt angekommen, an dem der Oberbürgermeister von Düsseldorf auch seine Pflicht tun kann, indem er nämlich in seiner kommunalen Liegenschaftspolitik dem Beispiel des Landes folgt
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und dafür sorgt, dass auf kommunalen Grundstücken Bebauungspläne verwirklicht werden, die auch ein Drittel geförderter Wohnungen vorsehen. Das ist nämlich dann die Aufgabe der Kommunen. Das gilt für Düsseldorf genauso wie für andere Kommunen. Aber das richtet sich insbesondere an Städte mit einem Wohnungsmarkt, in dem der Bedarf wächst und damit auch die Mieten steigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, das ist ein guter Baustein der Wohnungspolitik des Landes. Sicherlich wird es einen ersten Zugriff auf nicht sehr viele Grundstücke geben können. Man wird sicherlich nach und nach Grundstücke in dieser Weise entwickeln können. Letztlich liegt das Entscheidungsrecht immer noch beim Landtag Nordrhein-Westfalen.
Aber das ist ein wichtiger Baustein in der gesamten Wohnungsbauförderpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen, die dazu dient, den ungebremsten Anstieg der Mieten in wachsenden Regionen Nordrhein-Westfalens zu bekämpfen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schneckenburger. – Für die CDU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist jetzt das Ablenkungsmanöver von der desolaten Wohnraumförderung dieser Landesregierung.
(Dietmar Bell [SPD]: Schemmer entfesselt!)
Während wir im Jahr 2009 noch 1,1 Milliarden € der sozialen Wohnraumförderung zur Verfügung gestellt haben,
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
sind Sie im Jahr 2012 gerade noch auf 50 % für die soziale Wohnraumförderung gekommen. Das liegt daran – das ist hinlänglich bekannt –, dass die rot-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht besonders gut mit Geld umgehen können.
(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das müssen Sie gerade sagen! – Weitere Zurufe)
Darüber hinaus machen wir im Moment Folgendes: Wir verschwenden hier wieder mal Zeit. Warum? Es ist eine Zumutung für dieses Parlament, dass wir jetzt über einen Antrag diskutieren, der inhaltlich bereits beschlossene Sache ist. Der Inhalt – ich kann Ihnen den Antrag zeigen – wurde nämlich im Haushalts- und Finanzausschuss bereits diskutiert und ist Bestandteil des Haushalts 2013. Was wir jetzt diskutieren, ist also nichts Neues.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schemmer, bitte entschuldigen Sie. Der Kollege Ellerbrock würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie die zulassen?
Bernhard Schemmer (CDU): Bei Herrn Ellerbrock lasse ich immer eine Zwischenfrage zu. Bitte schön.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Bitte.
Holger Ellerbrock (FDP): Schönen Dank, Herr Kollege. – Wenn das doch im Haushalts- und Finanzausschuss schon beschlossen worden ist, durch dieses Parlament gegangen ist, dann ist das Gesetz. Dann ist der Antrag doch völlig obsolet. Teilen Sie diese Auffassung?
Bernhard Schemmer (CDU): Ich teile diese Auffassung. Ich habe das von Anfang an nicht so ganz verstanden,
(Jochen Ott [SPD]: Sie verstehen einiges nicht, Herr Schemmer! Das ist das Problem!)
warum man jetzt am Freitag um 15 Uhr noch etwas diskutieren muss, was man am Mittwoch inhaltlich bereits beschlossen hat.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich denke aber, die Herangehensweise, die in dem Antrag zum Ausdruck kommt, ist darüber hinaus auch noch inhaltlich bedenklich, Grundstücke ohne ein öffentliches Ausschreibungsverfahren zu veräußern. Das führt nämlich dazu, dass Tür und Tor geöffnet sind, um unter der Hand oder im Hinterzimmer zu solchen Veräußerungen von Grundstücken zu kommen und das dann anschließend im Haushalts- und Finanzausschuss durch Rot-Grün absegnen zu lassen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schemmer, ich möchte Sie noch einmal unterbrechen. Aus der SPD-Fraktion gibt es vom Kollegen Tüttenberg den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen.
(Regina Kopp-Herr [SPD]: Entschuldigung, ich habe mich vertan!)
– Nein, das war nur ein Versehen. Okay. Dann ist quasi nichts passiert. Sie dürfen dann fortfahren.
Bernhard Schemmer (CDU): Das Versehen des Herrn Tüttenberg ist so ähnlich wie der ganze Antrag. Der scheint mir auch so eine Art Versehen gewesen zu sein.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Im Übrigen wird durch diesen Antrag der Eindruck erweckt, als verfüge das Land bei seinen Immobilien über ein Riesenpotenzial für den Wohnungsbau. Unter uns gesagt: Wer sich da ein bisschen auskennt, der weiß, das ist schlicht Grimms Märchenstunde, das ist Show statt Realpolitik.
Wie ginge es denn anders? Das Land hat doch bereits heute – und hätte es sogar vor diesem Haushaltsbeschluss – die Möglichkeit, beispielsweise 30 % von Wohnbauflächen für den öffentlich-geförderten sozialen Wohnungsbau auszuschreiben. Öffentliche Ausschreibung von Wohnbauflächen führt zu Transparenz.
(Jochen Ott [SPD]: Sie haben keine Ahnung, Herr Schemmer! Die haben Sie immer noch nicht!)
Dann sage ich das noch einmal, Herr Ott: Transparenz ist besser als rot-grüne Kungelei.
Wir hatten gerade über die Frage gesprochen – jetzt komme ich noch einmal zurück auf Herrn Ellerbrock –, wie wir mit der Zeit umgehen. Und da zitiere ich Benjamin Franklin, der gesagt hat:
„Ist die Zeit das Kostbarste unter allem, so ist Zeitverschwendung die allergrößte Verschwendung.“
Wo er recht hat, hat er recht.
(Beifall von der CDU)
Deshalb kann ich nur noch einmal sagen, wir sollten nicht länger über diesen sinnlosen Antrag reden und weiterhin Zeit verschwenden. Denn mit der Verabschiedung des Haushaltes vorgestern war bereits alles beschlossen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schemmer, manchmal ist sachliche Aufklärung nur schwer zu vermitteln. Das kann ich verstehen.
Halten wir doch erst einmal fest, was der Kollege Schemmer gesagt hat: Wir reden über etwas, was schon längst Gesetz ist.
(Dietmar Bell [SPD]: Gut, dass Sie gefragt haben!)
Damit ist eine inhaltliche Auseinandersetzung doch eigentlich überflüssig.
(Beifall von der FDP)
Als zweiten Punkt möchte ich darauf zu sprechen kommen: Meinen wir denn inhaltlich wirklich, dass wir als öffentliche Hand noch so viele Liegenschaften haben, sodass wir eine wesentliche Wirkung auf das Quartier hinsichtlich des sozialen Wohnungsbaus durchsetzen können?
(Jochen Ott [SPD]: Ja!)
Die Konversionsflächen sind weg.
Sie bejahen das, Herr Ott. Ich glaube Ihnen gerne, dass das in Köln so sein mag. Wenn man den Antrag liest, könnte man ja, wenn man Ihnen eigensüchtiges Verhalten in Funktion Ihres Hauptberufes unterstellen würde, vermuten, dass hier, gerade aus Ihrer Sicht, in besonderer Weise Maßnahmen ergriffen werden sollen, bei denen unter Ausschaltung des Wettbewerbs gerade dem Unternehmen, dem Sie in besonderem Maße verbunden sind, spezielle Vorteile eingeräumt werden würden.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Das müsste man sich auch einmal überlegen, Kollege Ott. Und Ihr leichtes Lächeln zeigt: So ganz falsch liege ich nicht. Schönen Dank.
(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Sie haben die Demokratie und die kommunale Verwaltung immer noch nicht begriffen!)
Meine Damen und Herren, das zeigt also, getroffener Hund bellt. Je lauter er wird, umso getroffener ist er. Also habe ich recht gehabt. Schönen Dank für diese direkte Bestätigung.
Der nächste Punkt ist, dass wir ja eigentlich, ohne den Inhalt groß zu diskutieren – und Sie merken es an der besonderen Diskussionsbereitschaft des Kollegen Ott – den Antrag in direkter Abstimmung jetzt einmal so eben durchwinken sollen. Es ist eine Zumutung der hier die Regierung tragenden Fraktionen.
(Zuruf von der SPD: Nicht mal so eben!)
Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Das kann nicht richtig sein.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Der nächste Punkt ist: Herr Finanzminister, wir sollen also ohne Ausschreibung die Flächen veräußern. Frau Schneckenburger hat hierbei im besonderen Maße betont, dass das Land auch noch ein Wertgutachten erstellen soll. Wenn ich das so richtig mitbekommen habe, ich es doch so, dass das Wertgutachten des Landes einen Verkehrswert ermittelt und die Preise, die dann in einem Bieterverfahren erzielt werden, wesentlich höher liegen als die in einem Wertgutachten ermittelten Preise.
Herr Minister Walter-Borjans, können wir es uns als insolventes Land eigentlich leisten zu sagen: Wir wollen die sozialen Wohltaten, die ohnehin nur mit Ausnahmen im Kölner Raum bei diesen Unternehmen ausschütten, auch wenn sie landesweit bezogen nur geringe Auswirkungen haben? – Das stelle ich dann doch sehr infrage.
(Jochen Ott [SPD]: Es wird nicht besser, wenn Sie es wiederholen!)
Jetzt komme ich zum letzten Punkt. Liebe Kollegen, ich habe es gestern schon gesagt, wie wir miteinander umgehen. In der Enquetekommission lief das gut, das sage ich noch einmal deutlich. Die Auswirkung, dass Sie daraus Anträge machen, ohne irgendwie Rücksprache zu halten, was wir gemeinsam machen können und sollten, gilt für diesen Antrag ganz genauso. Darüber hätten wir auch vorher reden sollen. Vielleicht hätte man inhaltlich Positionen finden können, bei denen wir eine moderate Vorgehensweise hätten vereinbaren können.
Diese Art und Weise nenne ich Arroganz der Macht.
(Beifall von Dr. Stefan Berger [CDU])
Das können Sie machen, völlig klar. Ich halte es aber für bemerkenswert, in dieser Art und Weise hier keinen Konsens zu suchen. Ich bedauere das ausdrücklich. – Schönen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Ellerbrock, ich wollte Sie kurz vor Schluss nicht unterbrechen. Frau Beer würde Ihnen noch gerne eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie die noch zulassen?
Holger Ellerbrock (FDP): Normalerweise ist ja Frau Beer durch Zwischenrufe bekannt. Da sie sich jetzt den demokratischen Spielregeln versucht etwas anzunähern, will ich das natürlich gerne zugestehen.
(Zurufe)
Vizepräsident Daniel Düngel: Das ist nett. – Frau Beer, Sie haben das Wort.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. Herzlichen Dank, Herr Ellerbrock.
(Zurufe von Ralf Witzel [FDP]:)
Wir können uns verständigen, wenn Herr Witzel nicht mehr dazwischenruft. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie meine Frage zulassen:
Ist es richtig, dass Sie auch Frau Schneckenburger bezüglich des Antrags von gestern angesprochen hat, sich ins Benehmen zu setzen, und dass es einen Diskurs gegeben hat, ob man diesen Antrag nicht gemeinsam stellen kann?
Holger Ellerbrock (FDP): Nein, das ist nicht richtig. Zu mir ist niemand gekommen. Der Antrag lag am Tag der Fraktionssitzung um 9:30 Uhr in meinem Fach, sodass eine ordnungsgemäße Bearbeitung nicht möglich war. Wer anderes behauptet, behauptet das wider besseres Wissen.
Der Unterschied zwischen Ihren Zwischenrufen und den sachlich fundierten Meinungsäußerungen des Kollegen Witzel
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
ist offensichtlich.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Wegner.
Olaf Wegner*) (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Wir haben gestern von dieser Stelle aus über die Enquetekommission zum wohnungswirtschaftlichen Wandel gesprochen und gehört, dass es durchaus möglich ist, parteiübergreifend und weitgehend konsensual an einem so wichtigen Thema wie der Wohnraumversorgung der Bevölkerung zu arbeiten.
Haben wir nicht auch vielfach vernommen, dass die Regierungsfraktionen eine Politik der ausgestreckten Hand betreiben wollen? Dieser Antrag ist das genaue Gegenteil einer offenen, gesprächsbereiten Politik. Uns wird ein Antrag zur direkten Abstimmung vorgelegt, dessen Inhalt höchst diskussionswürdig ist, gerade auch deshalb, weil das Thema so wichtig und aktuell ist.
Hinzu kommt, dass der Antrag neben einigen richtigen Feststellungen in seiner Ausgangslage nicht einmal die aktuelle rechtliche Situation skizziert.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Wegner, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ellerbrock zulassen?
(Minister Guntram Schneider: Fundiert!)
Olaf Wegner*) (PIRATEN): Ja, natürlich.
Holger Ellerbrock (FDP): Schönen Dank. – Herr Kollege Wegner, ist Ihnen bekannt oder haben Sie wahrgenommen, dass die Behauptung von Frau Beer zutrifft, Frau Schneckenburger habe auch bei diesem Antrag einen Konsens oder das Gespräch mit Ihnen gesucht? Oder habe ich das übersehen?
(Jochen Ott [SPD]: Das hat sie nicht gesagt! – Stefan Zimkeit [SPD]: Bei der Wahrheit bleiben!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie noch ein klein wenig um Ruhe bitten. Wir müssen uns noch zehn Minuten konzentrieren. Dann haben wir es geschafft. – Herr Wegner, Sie haben das Wort.
Olaf Wegner*) (PIRATEN): Nein, zu dem Antrag ist bei uns keine Anfrage eingegangen.
(Bernhard Schemmer [CDU]: Aha! – Jochen Ott [SPD]: Das hat auch niemand behauptet! – Holger Ellerbrock [FDP]: Danke schön! Soviel zum Begriff „Wahrheit“!)
Worum geht es Ihnen eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen? Was wollen Sie an der derzeitigen Gesetzeslage konkret ändern?
(Jochen Ott [SPD]: Steht ja darin!)
Die Landeshaushaltsordnung? Oder geht es um den Runderlass des Finanzministeriums aus dem Jahre 1975, der Anordnungen über den Grundstücksverkehr des Landes regelt? Oder brauchen Sie gar keine gesetzlichen Änderungen für Ihr Vorhaben? Oder handelt es sich bei Ihrem Antrag nur um eine Willensbekundung? Das sind Fragen über Fragen, die wir gerne im Ausschuss geklärt hätten.
Ihr Antrag ist ein nebeliger Antrag, der mehr Fragen aufwirft als er klärt.
(Jochen Ott [SPD]: Sie haben es einfach nicht verstanden!)
Das nenne ich bestenfalls intransparent, wenn nicht sogar bewusste Täuschung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte es noch einmal betonen: Das Thema des Antrags ist von großer Bedeutung für die Menschen in diesem Land. Deshalb müssen wir darüber reden können.
Um es zu verdeutlichen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass in den Wachstumsregionen in NRW – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – etwa die Hälfte der Haushalte Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung habe. In Zahlen: 50 %.
Wie lautet Ihre Schlussfolgerung? – Landeseigene Grundstücke sollen mit der Auflage verkauft werden, darauf 30 % geförderten Wohnraum zu errichten. Passen diese Zahlen zusammen? Darüber muss man doch einmal sprechen können.
Nächster Punkt: Sie wollen die Grundstücke verkaufen. Auch das ist höchst diskussionswürdig. Ist es wirklich sinnvoll, die Grundstücke zu verkaufen? Verkaufen kann man nur einmal. Mietpreisbindungen laufen aus, und danach gibt es keine Steuerungsmöglichkeiten mehr durch das Land. Also warum nicht über Erbpachtregelungen nachdenken? Was wären Alternativen zum Verkauf? – Das sind ebenfalls spannende Fragen, die man im Ausschuss beraten könnte.
(Beifall von den PIRATEN)
Es ist doch offenkundig, dass hier Gesprächsbedarf besteht.
Ich möchte unterstreichen: Der Antrag behandelt ein wichtiges Thema. Die Piraten sind bereit – ich nehme es auch von den anderen Oppositionsparteien an –, darüber ins Gespräch einzutreten und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Aber Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, bringen bereits eine Woche vor der Abstimmung dieses Antrags eine Pressemitteilung heraus, die so tut, als sei alles schon gelaufen.
Ich zitiere abermals mit Erlaubnis des Präsidenten:
Mit den heute von den Regierungsfraktionen beschlossenen Antragsentwürfen zum Haushalt und „Bezahlbares Wohnen und wohnungspolitische Innovationen brauchen bezahlbares Bauland“, – jetzt kommt es – nutzt das Land die Möglichkeit, bezahlbares Bauland für den Bau von geförderten Wohnungen, Studierendenwohnungen oder für Baugruppen zu schaffen.
(Holger Ellerbrock [FDP]: Hört, hört!)
Das ist schon ein Ding! Wenn Sie schon nicht mit uns reden wollen, dann lassen Sie uns doch wenigstens über den Antrag abstimmen, bevor Sie das Ergebnis verkünden.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Unter diesen Umständen und vor allem aufgrund der ungeklärten inhaltlichen Fragen können wir dem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. Sie opfern einen breiten Konsens für Ihre Außendarstellung. Das finden wir mehr als schade. – Vielen Dank!
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mittlerweile schwer erträglich, dass man bei jedem Antrag und bei jeder sachlichen, zielführenden Maßnahme, die hier vorgeschlagen wird, in alte Muster verfällt und immer wieder mit demselben Thema kommt.
(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
An dieser Stelle möchte ich Herrn Ellerbrock wiederholen, damit es im Protokoll sehr deutlich wird: Sie stellen sich hierhin und sagen öffentlich, dass Sie das Land für insolvent halten.
(Holger Ellerbrock [FDP]: Richtig!)
Das ist in Ordnung. Dann sollten Sie aber auch wissen, welches Signal Sie damit in das Land und auch darüber hinaus schicken. Das entbehrt doch jeder Grundlage.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Schemmer, bei Ihnen scheint immer wieder eine Klientelpolitik durch, die im Schlafrock daherkommt. Jetzt heißt es, von dieser Regierung sei die Förderung des sozialen Wohnungsbaus heruntergefahren worden. Wir haben uns angeguckt, wie die Wohnungsbauförderung der NRW.BANK aussah, als wir die Regierung übernommen haben. Da haben Sie die Förderung des Einfamilienhäuschens für Bessergestellte als sozialen Wohnungsbau verkauft. Damit haben Sie die Statistik aufgeblasen und gleichzeitig noch Ihre Klientel bedient.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Was haben Sie denn gemacht?)
Ich will die ganze Litanei, was Sie im Jahressteuergesetz, mit Ihrer Hotelsteuer und bei ganz vielen anderen Dingen machen, gar nicht wiederholen. Sie reden hier in schöner Verpackung. Sie bezeichnen es als Bürokratieabbau, wenn Sie Steuerunterlagen frühzeitig vernichten lassen. Sie nennen es Wachstumsförderung, wenn Sie Hoteliers den reduzierten Umsatzsteuersatz gewähren. Hinter jedem dieser schönen Etiketten steckt doch eine Klientel. Man muss nicht lange suchen; schon hat man sie gefunden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schemmer zulassen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein. Ich möchte gerne erst zu Ende reden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Das ist bezeichnend!)
– Ja, klar. Sie wissen ganz genau, dass ich so gut wie nie eine Zwischenfrage ablehne. Jetzt trage ich das aber zuerst zu Ende vor.
Ich will Ihnen hier nur mal etwas zu den Punkten sagen, die Sie gerade angesprochen haben.
Ja, es stimmt, es gibt Bieterverfahren, bei denen der geschätzte Verkehrswert übertroffen wird. Es gibt aber auch Bieterverfahren, bei denen er unterschritten wird. Das muss man auch wissen.
Außerdem argumentieren Sie, es gebe doch überhaupt keine Grundstücke. Die Bürgermeisterin von Grevenbroich, Frau Kwasny, spricht mich – was ich gut verstehen kann – bei jeder Gelegenheit, bei der ich sie treffe, an. Ich habe gerade noch mal nachgeguckt und sogar eine Quelle gefunden. In der „Neuss-Grevenbroicher Zeitung“ vom 28. Dezember 2012 steht:
„Was das alte Finanzamt … betrifft, ist Kwasny positiv gestimmt: ,Ein Grevenbroicher Architekt hat seine Pläne beim Land eingereicht. Er möchte auf dem Terrain ein großes Wohnhaus bauen.‘„
Das gibt es nicht nur einmal. Es gibt eine Reihe solcher Vorschläge. Die örtlichen Bürgermeister kommen immer wieder auf mich zu und bekunden ihr Interesse an bestimmten Grundstücken.
Bei dem Immobilienboom, den wir gerade erleben, wird immer wieder deutlich: Es gibt vor allem im hochpreisigen Segment enorm viele Neubauten. Man nennt das Gentrifizierung: Für diejenigen mit kleinen Einkommen wird es immer schwieriger, sich eine Wohnung in einem Stadtteil zu leisten, in das immer mehr von denen ziehen, die große Einkommen haben.
Ich finde es richtig, dass wir uns Gedanken darüber machen und versuchen – das ist ja auch noch einmal deutlich gemacht worden –, unter Beachtung haushaltswirtschaftlicher Interessen das fiskalisch Richtige mit dem sozial Richtigen in Verbindung zu bringen.
(Beifall von der SPD)
Deswegen begrüßt die Landesregierung diesen Antrag der beiden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben damit die Möglichkeit, auch bei Grundstücksverkäufen durch den BLB eine Balance von fiskalischen Interessen und sozialer Verantwortung zu schaffen. Wir ermöglichen es den Studentenwerken, Kommunen und kommunalen Eigengesellschaften, im Rahmen ihrer öffentlichen Zweckverfolgung den Zugang zu innerstädtischen Grundstücken auch aus dem Landesbesitz wahrzunehmen.
Der Antrag gibt außerdem vor, dass zukünftig für den Wohnungsbau geeignete Grundstücke auf angespannten Wohnungsmärkten mit der Maßgabe verkauft werden können, dass dort mindestens 30 % öffentlich geförderter Wohnraum entsteht.
Ich finde, es ist ein wichtiges Signal, wenn dieses Parlament das hier – über eine Ausschussentscheidung hinaus – noch mal unterstreicht; denn ich glaube, dass das vielen Menschen im Augenblick Sorgen macht und dass wir uns damit Möglichkeiten schaffen, wirklich wirksam Politik zu machen. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Wir sind am Schluss der Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/2278 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag ist. – Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen diesen Antrag? – Die CDU, die FDP und Teile der Piratenfraktion. Enthält sich jemand? – Teile der Piratenfraktion enthalten sich. Damit ist der Antrag angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.
Die nächste Sitzung des Plenums findet statt am Mittwoch, den 24. April 2013, 10 Uhr.
Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Nachmittag, ein schönes Wochenende und eine erholsame Osterpause.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 15:35 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.