36. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 10. Juli 2013
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3502
Eilantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3503
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3436
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3512
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3521
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3522
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2880
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3459
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3518
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3524
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Namentliche
Abstimmung
siehe Anlage 1
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3427 – Neudruck
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3528
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3448
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3447
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3452
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3513
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3441
Unterrichtung
durch die
Präsidentin des Landtags
Drucksache 16/3511
des
Abgeordneten
Christof Rasche (FDP)
Vom
Fragesteller
zurückgezogen
der
Abgeordneten
Ingola Schmitz (FDP)
des
Abgeordneten
Dietmar Schulz (PIRATEN)
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
des
Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)
Beantwortung
in der
nächsten Fragestunde
9 Auszubildenden den Zugang zur Arbeitnehmerweiterbildung ermöglichen
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3431
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE)
10 Rechte minderjähriger Kinder inhaftierter Elternteile einheitlich in NRW gewährleisten
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3453
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 2)
11 Größere Wertschätzung der Fankultur – Fanprojekte nachhaltig fördern!
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3433
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3514
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3443
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/3461
Reden zu
Protokoll
(Siehe Anlage 3)
14 Gesetz zur Änderung sparkassenrechtlicher Vorschriften
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2652
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3523
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3462 – Neudruck
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3525
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
15 Gesetz über die Errichtung des Landesamtes für Finanzen und zur Änderung weiterer Gesetze
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2556
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3463
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3456
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
16 Neuntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2897
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/3464
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3469
17 Gesetz zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2722
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/3465
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3532
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3432
19 Sicherstellung der Ausbildung von Pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und Assistenten (PTA)
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3445
20 Arbeitsschutz effizient gestalten
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3446
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3455
22 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 10
gemäß § 79 Abs. 2 GeschO
Antrag
des Finanzministeriums
gem. § 64 Abs. 2 LHO
Vorlage 16/1023
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3515
Namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2880 (TOP 3 – Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen)
Daniela Schneckenburger (GRÜNE)
Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
Entschuldigt waren:
Minister Garrelt Duin
(ab 16:00 Uhr)
Minister
Johannes Remmel
(von 15:45 Uhr bis 17:45 Uhr)
Ministerin Barbara Steffens
Iris Preuß-Buchholz (SPD)
Ina Scharrenbach (CDU)
(ab 16:30 Uhr)
Bernhard Tenhumberg (CDU)
Axel Wirtz (CDU)
Horst Becker (GRÜNE)
Dr. Ingo Wolf (FDP)
Beginn: 10:05 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer heutigen, 36. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich einen ganz besonderen Gast, der auf unserer Zuschauertribüne Platz genommen hat, begrüßen. Es ist der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin. Herzlich willkommen, Ralf Wieland.
(Allgemeiner Beifall)
Verehrter Herr Präsident Wieland! Lieber Kollege Wieland! Wir freuen uns sehr, dass Sie den Landtag von Nordrhein-Westfalen besuchen. Kollege Wieland ist bereits seit gestern hier im Haus und hat sich unseren Landtag, der als Gebäude in diesem Jahr 25 Jahre alt wird, mit großem Interesse angeschaut. Im Namen des Hohen Hauses begrüße ich Sie noch einmal ganz herzlich.
Ihr Besuch, Herr Kollege Wieland, ist Ausdruck der engen freundschaftlichen Beziehungen zu den übrigen Landesparlamenten im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland. Im Januar hatte das Präsidium des Landtags Nordrhein-Westfalen Gelegenheit, Ihr Abgeordnetenhaus kennenzulernen. Seit gestern setzen wir den begonnenen Dialog hier in Nordrhein-Westfalen fort. Ich bin sicher: Das wird nicht der letzte Besuch sein, weder der letzte Besuch des Präsidiums in Berlin noch der letzte Besuch der Kolleginnen und Kollegen in Berlin und sicherlich auch nicht Ihr letzter Besuch. Wir wünschen Ihnen weiterhin einen guten Aufenthalt, interessante Einblicke in eine laufende Plenarsitzung und freuen uns gemeinsam mit Ihnen gleich auf eine spannende Debatte im Rahmen der Aktuellen Stunde. Seien Sie uns herzlich willkommen, und kommen Sie recht bald wieder.
(Allgemeiner Beifall)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich eine weitere Anmerkung zu machen. Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Tagesordnung um einen weiteren Punkt zu ergänzen. Als neuer Tagesordnungspunkt 23 wird eingefügt: „Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen gemäß § 64 Abs. 2 zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB NRW)“ – Vorlage 16/1023. Hierzu liegen mit Drucksache 16/3515 die Beschlussempfehlung und der Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses vor. Eine Debatte ist dazu nicht vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so und haben entsprechend die Tagesordnung ergänzt.
Nach dieser Vorbemerkung können wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung eintreten.
Ich rufe auf:
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3502
Eilantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3503
Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 8. Juli dieses Jahres gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Die Fraktion der FDP hat ebenfalls mit Schreiben vom 8. Juli fristgemäß den Eilantrag eingebracht.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Hovenjürgen das Wort.
Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Freitag, dem 5. Juli 2013, haben die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr als Regionalrat und der Regionalrat Köln zukunftsweisende Entscheidungen für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen getroffen. Sowohl die Antragstellung zu einem Zielabweichungsverfahren zum Standort Datteln 4 als auch die Grundlagen für den Neubau des Kraftwerks BoAPlus in Bergheim-Niederaußem sind in den jeweiligen Gremien mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD gefasst worden. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die SPD in den jeweiligen Gremien die Chancen ergriffen hat, die parlamentarischen Mehrheiten, die auch hier im Landtag vorhanden wären, für eine positive Entscheidung zu nutzen.
Umso weniger nachvollziehbar ist es, dass im vorgelegten Entwurf des Landesentwicklungsplans für konventionelle Kraftwerke ein elektrischer Mindestwirkungsgrad von 58 % vorgesehen ist. Hier ist von den Grünen offensichtlich der Ausstieg aus der Kohleverstromung durchgesetzt worden, was gleichzeitig mit dem Ende des Kraftwerkserneuerungsprogramms gleichzusetzen ist. Die Landesregierung riskiert damit die sichere Energieversorgung unseres Landes und die Zukunft des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen.
Bevor gleich wieder seitens der Vertreter der Koalitionsparteien in Richtung Datteln 4 das Lied vom Murks der Vorgängerregierung gesungen wird
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
– es ist immer schwierig, wenn man auf dem falschen Bein „Hurra“ schreit, liebe Kolleginnen und Kollegen –, darf ich an dieser Stelle feststellen, dass es in einem so aufwendigen Verfahren sicherlich auch zu Fehleinschätzungen kommen kann,
(Marc Herter [SPD]: Gekommen ist!)
dass man dann aber auch den Mut besitzen muss, den Versuch zu unternehmen, diese Fehler zu korrigieren.
(Marc Herter [SPD]: Das machen wir!)
Auf diesen Weg ist man jetzt mit der Entscheidung für ein Zielabweichungsverfahren gegangen. Die Landesregierung hat nun den Auftrag, dieses Verfahren rechtssicher und trotzdem schnellstmöglich durchzuführen – und das abseits des bisher erlebten Koalitionsmurkses in diesen Fragen.
CDU und FDP haben bewiesen, dass sie bereit sind, zugunsten des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen Verantwortung zu übernehmen. Ich gehe davon aus, dass wir dies, wenn es notwendig wäre, auch hier im Landtag tun würden.
Die Regierung hat also die Möglichkeit, die industriepolitischen Entscheidungen hier durch eine große parlamentarische Mehrheit abzusichern. Es liegt an ihr, ob sie diese Chance nutzt.
Allen hier im Hause ist klar, dass das Ziel der Energiewende mit den Maßgaben, die für 2050 avisiert sind, nur mit einer Absicherung der Energieversorgung zu erreichen ist und dass somit die Entscheidung für neue, effiziente Kohlekraftwerke auch ein Beitrag zur CO2-Reduktion in unserem Lande ist. Wenn zum Beispiel Datteln 4 schon am Netz wäre, hätten wir eine erhebliche Menge CO2 einsparen können, weil alte Kraftwerke vom Netz genommen worden wären. Datteln 4 stößt pro erzeugter Kilowattstunde 20 % weniger CO2 als Altkraftwerke aus. Mit anderen Worten: Jeden Monat, den das neue Kraftwerk später ans Netz geht, werden ca. 100.000 t CO2 mehr emittiert. In einem Jahr sind dies sage und schreibe 1,2 Millionen t CO2.
Insofern wissen alle hier im Hause vertretenen Fraktionen, dass wir nur in Kombination mit mutigem Vorangehen beim Ausbau von regenerativen Energien und der Weiterwicklung der Speicherung von Energien sowie der Absicherung der Energieversorgung durch konventionelle Kraftwerke mit hohen Effizienzgraden das gemeinsame Ziel der Energiewende erreichen werden.
Es wäre gut, wenn die koalitionstragenden Fraktionen, hier insbesondere die SPD, aus den Beschlussfassungen des vergangenen Freitags und deren Zustandekommen erkennen könnten, dass es auch hier im Landtag Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit einer politischen Absicherung des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen zur erfolgreichen Bewältigung der Energiewende gibt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch noch ein anderes in der Diskussion stehendes industrielles Großprojekt, nämlich den newPark in Datteln/Waltrop im Kreis Recklinghausen, ansprechen. Erfreulicherweise wird im Entwurf des Landesentwicklungsplans die Fläche newPark ausdrücklich erwähnt. Somit bleibt hier natürlich die Frage nach den Realisierungsmöglichkeiten im Raum, die nur dann gegeben sind, wenn sich die Landesregierung zur Bürgschaft für den Ankauf des Geländes durchringen kann. Diese Entscheidung ist für den Sommer in Aussicht gestellt.
Durch die nicht erfolgte Bürgschaftszusage im letzten Jahr sind allerdings Mehrkosten in Millionenhöhe entstanden, die von den Gesellschaftern, von denen ein großer Teil Städte im Stärkungspakt sind, in ihren Haushalten nicht dargestellt werden können. Eine Schuld an dieser Entwicklung trifft die Städte nicht.
Wer den newPark will, muss wissen – hier wende ich mich an die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen –: Wenn dieses Projekt trotz der Mehrkosten, die von den Gesellschaftern nicht zu verantworten sind, umgesetzt werden soll, ist neben dem Wirtschaftsministerium und dem Finanzministerium insbesondere der Innenminister gefragt. Wir werden sehr genau darauf achten, wie er hier agiert.
Wie gesagt: In diesem Hause gibt es eine breite Mehrheit zur Absicherung des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen. Es liegt an Ihnen, diese zu nutzen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Brockes.
Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zielabweichungsverfahren für Datteln 4 waren bereits Thema der Plenarsitzung im Juni. Damals haben Sie sich, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, einer inhaltlichen Auseinandersetzung verweigert,
(Thomas Eiskirch [SPD]: Quatsch!)
weil beim RVR noch nichts verbindlich beschlossen sei. So haben Sie es auch gesagt, Herr Kollege Eiskirch. Einzig Minister Duin hatte sich im Vorfeld gegen die grüne Ideologie gewandt. Im Plenum – also hier – durfte er nicht sprechen.
Ich zitiere Herrn Minister Duin:
Und deswegen wäre es gut, wenn wir zeitnah Entscheidungen treffen können, die dann die Inbetriebnahme von Datteln 4 auch ermöglichen.
Meine Damen und Herren, recht hat er. Aber davon wollen Sie, gerade die Abgeordneten der SPD, nichts wissen. Vor allem Frau Ministerpräsidentin Kraft wollte bis zum Schluss der letzten Debatte nicht wahrhaben, dass es bei der Stadt Datteln bereits einen Beschluss zur Einleitung eines Zielabweichungsverfahrens gibt. Anstatt sich hinter ihren Minister zu stellen und ihm den Rücken zu stärken, hat sie ihn in den Senkel gestellt.
Meine Damen und Herren, am vergangenen Freitag hat die Verbandsversammlung des RVR beschlossen, ein Zielabweichungsverfahren bei der Planungsbehörde in der Staatskanzlei zu beantragen. Im Juni haben Sie sich der Debatte verweigert, um den Koalitionsfrieden zu wahren. Das hat uns wieder einmal wertvolle Zeit gekostet. Das ist schade. Diese Zeit hätten wir besser anders nutzen können.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Minister Duin hatte eine zeitnahe Entscheidung angemahnt. Herr Minister, wir werden Sie beim Wort nehmen. Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, die Entscheidung weiter auf die lange Bank zu schieben, weil die Koalition aus SPD und Grünen in der Energiepolitik tief zerstritten ist.
Mittlerweile machen Sie daraus auch gar keinen Hehl mehr, wenn man sich nur die Kommentierung der Entscheidung des Regionalrats Köln zu BoAPlus und des RVR zu Datteln 4 anschaut. In der Pressemeldung der Kollegin Brems heißt es: Kohlekraftwerke rentieren sich nicht mehr. – Dagegen lautet die Meldung vom SPD-Kollegen Eiskirch: Ein guter Tag für den Industrie- und Energiestandort Nordrhein-Westfalen, ein guter Tag für die Energiewende.
(Zuruf von der SPD: Das ist so!)
Die eine warnt Investoren vor Investitionen in neue und hochmoderne Kraftwerke, der andere lobt den Ersatz alter Kraftwerke durch wirkungsgradstarke und lastflexible neue Kraftwerke als wichtigen Baustein der Energiewende. Gespaltener kann eine Koalition gar nicht mehr sein.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Das umweltfreundlichste Steinkohlekraftwerk der Welt droht deswegen zur größten Bauruine Europas zu werden. Aber das, meine Damen und Herren, darf nicht zulasten Nordrhein-Westfalens und nicht zulasten der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes geschehen.
(Beifall von der FDP)
Wenn wir hier heute über die Zielabweichungsverfahren sprechen, darf man selbstverständlich die gesamte Vorgeschichte nicht außer Acht lassen. Die Änderung des Regionalplans ist notwendig geworden, weil das OVG Münster in seinem Urteil davon ausging, dass die vierte Regionalplanänderung aus dem Jahre 2006 unwirksam sei. Dieses Verfahren wurde bei der Bezirksregierung noch unter der für Raumordnung zuständigen Ministerin Höhn begonnen. Ich frage mich daher, ob nicht der größte Fehler im Verfahren derjenige gewesen ist, dass man damals im Wirtschaftsministerium blind auf die Vorarbeiten von Frau Ministerin Höhn vertraut hatte.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund ist es natürlich kein Wunder, dass der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin 2010 im Landtagswahlkampf selbstgewiss hinausposaunte: Jeder, der mit den Grünen koalieren will, muss sich darauf einstellen, dass dieses Investment nicht zu Ende gebaut wird. – In Anbetracht dieses Sachverhalts hat das ein besonderes Geschmäckle.
Meine Damen und Herren, aber das ist Vergangenheit. Jetzt muss Rot-Grün Farbe bekennen, wie die Koalition zu Datteln 4 steht, wie sie zur Energie- und Industriepolitik in diesem Lande steht. Die Landesplanungsbehörde in der Staatskanzlei ist nun gefordert. Sie muss in einem rechtssicheren Verfahren und vor allem zügig noch vor der Bundestagswahl über die Anträge entscheiden. Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben ein Anrecht darauf, endlich zu erfahren, welche Position die rot-grüne Landesregierung zu Datteln 4 hat, wie SPD und Grüne auch zukünftig die Versorgungssicherheit in Nordrhein-Westfalen gewährleisten wollen. Aus diesem Grunde haben wir heute diesen Antrag gestellt. Ich lade Sie herzlich ein, ihm zuzustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Eiskirch.
Thomas Eiskirch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist ja schon bezeichnend, dass die CDU – ich weiß nicht zum wievielten Mal – eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hat. Man findet immer wieder einen Aufhänger für eine Aktuelle Stunde. Wenn Sie aber eine Aktuelle Stunde wegen der Dringlichkeit beantragen, dann sagen Sie doch auch einmal etwas Neues und nicht immer das, was Sie uns hier schon 15.000 Mal erzählt haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich konnte aber feststellen, dass in Ihren Reihen augenscheinlich der Ermüdungsfaktor deutlich ausgeprägt ist. Der Kollege Hovenjürgen hat vor einem knappen Drittel seiner Fraktion gesprochen, der Kollege Brockes – mit ein bisschen Zeitverzug – hat immerhin die Hälfte seiner Fraktion dazu bekommen, zu diesem spannenden Thema hier anwesend zu sein.
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie noch einmal sagen, die Menschen hätten das Recht, endlich zu erfahren, wie wir dazu stehen, dann wäre meine Frage: Hören Sie hier nicht zu? Wie oft haben wir gesagt, wie wir dazu stehen, und zwar seit Jahren, mit der klaren Aussage: „Wenn es machbar ist, wird es kommen, und wenn es rechtlich nicht machbar ist, wird es nicht kommen“? Wenn es nicht machbar sein sollte, hätten Sie das durch Ihr Nichtstun und Ihre verfehlte Landesplanungspolitik der Vergangenheit zu verantworten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Um das auch deutlich zu machen – ich hatte mir eigentlich überlegt, was ich Ihnen zu dem Thema sagen will, aber man braucht die Hälfte der Redezeit, um das geradezurücken, was Sie den Menschen an bewussten oder durch Nichtverstehen nicht anders kommunizierbaren Falschinformationen mitgeben; das finde ich langsam problematisch –: Ja, der 5. Juli war ein guter Tag für den Industrie? und Energiestandort Nordrhein-Westfalen und ein guter Tag für die Klimawende – das ist überhaupt keine Frage –,
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] und Hendrik Wüst [CDU])
weil an diesem Tag aus sozialdemokratischer Sicht deutlich gemacht worden ist, dass in Nordrhein-Westfalen nach wie vor Neubauten von Kraftwerken konventioneller Art ermöglicht werden können. Die Kollegin Brems hat aber genauso recht, wenn sie sagt: Im Moment gibt es keine Rahmenbedingungen, unter denen sie wirtschaftlich zu betreiben sind. – Das unterliegt Ihrer Verantwortung in Berlin, weil Sie die Energiewende seit zwei Jahren nicht gebacken kriegen und kein Marktdesignkonzept vorlegen können, meine Damen und Herren! Das ist Ihre Baustelle!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Nächster Punkt: Ich höre, wir würden im neuen Landesentwicklungsplan einen elektrischen Wirkungsgrad von 58 %vorgeben. Das haben wir den Kollegen Wüst und Kufen schon im Ausschuss erklärt. Deswegen weiß ich nicht, ob es Nichtzuhören oder die absichtliche Täuschung der Wählerinnen und Wähler ist, was Sie hier betreiben.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Letzteres!)
Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen: Für zukünftige Kraftwerksvorhaben werden in dem zukünftigen LEP die 58 % als Grundsatz festgelegt. Im Gegensatz zu den Zielen des neuen LEP, die bereits jetzt Ziele in Aufstellung sind, gibt es keine Grundsätze in Aufstellung, meine Damen und Herren. Deswegen gelten sie für beide Verfahren nicht.
(Beifall von der SPD)
Nächster Punkt: Ja, der RVR hat zwei Zielabweichungsverfahren beantragt. Nehmen wir das mal ein bisschen auseinander – ich habe gerade mit dem Kollegen Priggen darüber gesprochen –: Das eine Ziel ist das des Standortes. Das werden wir uns genau ansehen müssen. Das zweite Ziel ist das der heimischen Energieträger. Auch das muss man sich sauber ansehen. Aber wer aufmerksam ist, der hat erkannt, dass es dieses Ziel im neuen LEP – Ziele unterliegen den Zielen in Aufstellung – aus inhaltlichen Gründen, wegen des von Ihnen vorangetriebenen Ausstiegs aus den heimischen Energieträgern, gar nicht mehr gibt. Seien Sie insofern doch ganz entspannt.
Nächster Punkt – da gilt das Wort der Ministerpräsidentin vom letzten Mal –: Es ist ein Unterschied, ob man hier Bekenntnisse ablegt oder ob man in Verantwortung für die Exekutive gucken muss, dass man für ein Rechtsverfahren saubere Prozesse hinbekommt, die am Ende auch halten. Das unterscheidet die Landesregierung von dem landesplanerischen Murks unter Frau Thoben, um es deutlich zu sagen.
In den letzten Tagen habe ich von den Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU zum Zielabweichungsverfahren in Aachen, zum Thema „Wind im Wald“ gehört: Solch einer Vorlage kann man doch nicht zustimmen. Das ist doch keine ordentliche Abwägung. Es wird gar nicht ordentlich erklärt, wie man zu welchen Ergebnissen kommt. – Und dann erwarten Sie, dass man in zwei Zielabweichungsverfahren einfach Bekenntnisse zum Thema „Datteln“ abgibt? Das ist Pharisäertum, was Sie hier an den Tag legen, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Als Letztes will ich noch sagen – all das, was ich mir überlegt hatte, habe ich beiseitegelassen –:
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das ist auch gut so!)
Am 5. Juli wurden die beiden Zielabweichungsverfahren für Datteln 4 im RVR beantragt. Die Frage des Zeitpunkts – die nächste Verbandsversammlung des RVR ist irgendwann Mitte Oktober –, wann die Landesregierung über die Zielabweichungsverfahren entscheidet, ob das im August, im September, Anfang Oktober oder im Juli ist, hat faktisch überhaupt keinen Einfluss auf die nächsten Arbeitsschritte. Insofern halten Sie den Ball ein bisschen flach.
Ich möchte ein anderes Beispiel nennen: In den letzten Tagen hat sich Trianel zum GuD-Kraftwerk in Krefeld geäußert und deutlich gemacht, dass sie von der geplanten Großinvestition vorerst Abstand nehmen müssen. Die Begründung ist eine schwere Klatsche für die Bundesregierung und ihre Energiepolitik.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Wörtlich heißt es von Trianel und Currenta: Auch zwei Jahre nach den energiepolitischen Grundsatzentscheidungen im Sommer 2011 fehlen immer noch die für den Baubeschluss notwendigen sicheren Rahmenbedingungen. – Das ist eine Baustelle, die man schnell angehen sollte, Kolleginnen und Kollegen. – Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass ich angesichts der wiederholten und immer gleichen Versuche von CDU und FDP, Bekenntnisse für Datteln zu fordern oder die Industriefreundlichkeit eines Bundeslandes vom Bau eines einzigen Kraftwerks abhängig zu machen, zunächst ein wenig gelangweilt war. Aber Johann Wolfgang von Goethe hat mich wieder aufgebaut.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
– Ja, Goethe scheint die Debatte um das Kraftwerk Datteln gekannt zu haben. Damit meine ich nicht, dass die FDP mit dem auch heute wieder geäußerten Wunsch eines Datteln-Bekenntnisses anscheinend der Auffassung ist, es handele sich um eine Abwandlung der Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Nein, ich meine folgendes Zitat von Goethe:
„Eine falsche Lehre lässt sich nicht widerlegen, denn sie ruht ja auf der Überzeugung, dass das Falsche wahr sei. Aber das Gegenteil kann, darf und muss man wiederholt aussprechen.“
Also wiederhole ich gerne, worum es bei Datteln geht: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat den Bebauungsplan in Grund und Boden gestampft. CDU und FDP haben aus ihrer Zeit in der Landesregierung ein landesplanerisches Desaster hinterlassen. Bekenntnisse bringen uns hier nicht weiter.
(Beifall von den GRÜNEN)
Beim Kraftwerk Datteln handelt es sich um einen von 100 Kraftwerksblöcken in NRW. Davon hängt nicht die Industriefreundlichkeit Nordrhein-West-falens ab.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie hören es nicht gerne, aber auch heute kann ich Sie nicht mit dem Vergleich mit dem in der Eifel geplanten Pumpspeicherkraftwerk verschonen; denn Sie messen hier, wie so oft, mit zweierlei Maß. Bei beiden Projekten hatte der zukünftige Betreiber nicht entschieden, ob er das Projekt wirklich durchführen will und kann, aber trotzdem um die Vorbereitungen der nächsten Planungsschritte gebeten.
Während das für CDU und FDP bei RWE ganz in Ordnung war, forderte man von Trianel ein Bekenntnis zum Standort. Dabei braucht doch die Energiewende keine unflexiblen, ressourcenverschwendenden Großkraftwerke, sondern flexible, hocheffiziente Kraftwerke mit dezentraler Ausrichtung, Lastmanagement und Speicher.
Sie haben die Energiewende einfach nicht verstanden, Sie setzen die Zukunft des Energiestandortes NRW aufs Spiel – und das zugunsten eines Energiekonzerns. Das ist einfach nur scheinheilig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Unter heutigen Marktbedingungen ist weder Datteln noch BoAPlus wirtschaftlich. Es ist nicht abzusehen, dass sich an diesen Bedingungen etwas ändert. Schauen wir uns die drei wichtigsten Marktbedingungen einmal kurz an:
Erstens. Die Auslastung von Kohlekraftwerken wird durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, den wir ja alle wollen, sinken. Das ist keine gute Voraussetzung für Kohlekraftwerke.
Zweitens. Die Überkapazitäten der fossilen Kraftwerke und die erneuerbaren Energien werden wie in den letzten Jahren weiterhin dafür sorgen, dass die Börsenpreise für Strom niedrig bleiben. Auch das ist kein Anreiz für die Wirtschaftlichkeit neuer Kohlekraftwerke.
Drittens. Die Preise für Emissionszertifikate sind auf historisch niedrigem Stand, sie sind nahezu bei null. Weiter sinken und damit bessere Marktbedingungen für Braunkohlekraftwerke schaffen können Sie damit wohl kaum.
Schauen wir uns zudem noch einmal an, was mit der Kohlegewinnung und -verstromung einhergeht. Werfen wir einen kurzen Blick über die Grenzen von Deutschland hinaus in Länder, aus denen wir Steinkohle importieren. In den USA werden Berge und Landschaften durch die Sprengung der Bergspitzen zerstört. In Kolumbien verliert die Bevölkerung ihre Heimat und ihre Lebensgrundlage. In China und anderswo sterben wegen der Arbeitsbedingungen Jahr für Jahr Menschen.
Es ist ganz klar: Nichts von alledem würden wir alle hier in Deutschland in dieser Form akzeptieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber auch bei uns gibt es im Zuge der auslaufenden Steinkohleförderung Bergschäden und andere Beeinträchtigungen und bei der Braunkohlegewinnung und -verstromung Missstände: die Zerstörung von Landschaften, die mit dem Tagebau einhergeht; Beeinträchtigungen von Anwohnerinnen und Anwohnern beispielsweise durch Feinstäube; feuchte Kohle wird verbrannt; ein Großteil der Energie wird in Form von Wärme nutzlos an die Umgebung abgegeben. Und zu guter Letzt: Braunkohle ist der klimaschädlichste Energieträger.
Diese Technologie zur Verstromung einzusetzen ist ungefähr so innovativ, wie im heutigen Zugverkehr auf Dampflokomotiven zu setzen. Letztendlich aber ist es natürlich eine Entscheidung des entsprechenden Energieversorgers, ob ein Kraftwerk gebaut wird oder nicht – wenn alles nach Recht und Gesetz vor sich geht.
Weil ich ja von Goethe gelernt habe, kann, darf und muss ich mich wiederholen.
Ich sage zum Beispiel den Internetusern unter Ihnen: Auf diese Technologie zur Verstromung zu setzen ist genauso innovativ, wie ein 56K-Modem für das Anschauen von YouTube-Videos oder für die Benutzung des Live-Streams.
Für die Fußballfans unter Ihnen: Diese Technologie ist genauso innovativ, wie heute noch mit Libero zu spielen.
Für die Betonköpfe bei CDU und FDP: Das ist genauso innovativ, wie heute noch Asbest als Baustoff einzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Ihr Antrag und Ihr Anliegen zeigen, dass Sie die Energiewende im Bund zwar mitbeschlossen, aber noch längst nicht verstanden haben. Ich gebe Ihnen aber gerne so lange Nachhilfe und wiederhole gerne alles, bis auch Sie es verstanden haben. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piraten spricht der Kollege Schmalenbach.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Liebe Opposition!
(Christof Rasche [FDP]: Liebe Regierung!)
Datteln 4 – schon wieder! Ich weiß nicht, wie oft wir darüber noch reden wollen. Seit 2010 – kurz nach dem Verwaltungsgerichtsurteil – schlagen hierzu die Anträge von FDP und CDU im System auf. Ich habe das einmal recherchiert; ich weiß gar nicht, wie viele es tatsächlich waren.
Frau Kraft hat im letzten Plenum sehr genau erklärt, was notwendig ist, um Datteln 4 ans Netz zu bringen. Bekenntnisse nützen da schlicht gar nichts.
Herr Brockes, Sie sagten gerade, das sei das umweltfreundlichste Kohlekraftwerk. Das klingt für mich ein bisschen so wie: Das ist der freundlichste Massenvergewaltiger.
(Widerspruch von der CDU und der FDP)
Ich finde es erschreckend, dass wir hier weiter auf Kohletechnologie setzen wollen.
Sie reden an der Stelle von Bürgern. Über welche Bürger reden wir denn an der Stelle? Wie ist es zum Beispiel mit den Abstandsflächen? Wie ist es mit dem Abstandserlass? Wir reden da normalerweise von 1.500 m. Okay, es soll möglich sein, diesen Abstand nach § 50 BImSchG zu reduzieren. Bei einem Drittel dieser Entfernung stelle ich mir aber doch die Frage, wie das möglich sein soll.
Es sind viel zu viele Komponenten im Raum, um jetzt aus der Politik heraus sagen zu können: Wir wollen das Ding haben. – Ich verstehe gar nicht, wie die Politik jetzt überhaupt sagen kann: Wir wollen das. – Ich finde, das ist nicht möglich.
Andersherum wird ein Schuh daraus. Ich denke, die Betreiber E.ON und RWE sind relativ stolz auf die Opposition, auf CDU und FDP. Das ist ja auch ein Verdienst für Sie.
Sie wollen Energieland Nummer eins bleiben. Das ist ein vertretbares Ziel. Sie wollen das aber tatsächlich mit der Technologie von gestern machen. Braunkohle und Steinkohle sind Technologien von gestern.
Frau Brems und Herr Eiskirch haben gerade auf Gaskraftwerke abgestellt. Der LEP sagt im Prinzip: Wir legen als Grundsatz fest, bei der reinen Verstromung einen elektrischen Mindestwirkungsgrad von 58 % zu erreichen oder einen Gesamtwirkungsgrad bei der KWK von 75 %. – Das unterstützen wir erst einmal; allerdings stellen wir die Frage, ob das tatsächlich als Grundsatz definiert werden sollte oder eher als Ziel. Unserer Meinung nach ist das ein Ziel, um der Technologie der Kohleverstromung für die Zukunft einen Riegel vorzuschieben.
Was bringt die Zukunft? Vielleicht müsste man dazu einmal auf die letzte Äußerung von Trianel referenzieren. Trianel hat gestern tastsächlich gesagt, man werde erst 2019 statt 2016 bauen. Für mich ist das ein Schlag ins Gesicht. Leider sieht die Realität so aus, dass Kohlekraftwerke momentan noch günstiger produzieren als Gaskraftwerke. Ich bin mir aber sehr sicher, dass das in Zukunft nicht mehr so sein wird. Dann hätten wir allerdings Blöcke, die nach wie vor Dreck in die Luft schleudern würden, obwohl das nicht notwendig wäre.
Frau Kraft hat beim letzten Mal den Zusammenhang erklärt. Für mich gab es dabei ein von mir auch erbetenes wichtiges Statement: Falls Datteln 4 tatsächlich irgendwann ans Netz geht, dann – liebe Grüne, liebe Grünen-Wähler, liebe Grünen-Mitglieder – hat Remmel Ja gesagt. Es wird also sehr deutlich: Ohne Remmel gibt es kein Datteln 4. – Das wäre die wichtigste Botschaft für mich. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Herr Kollege Schmalenbach, „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ ist ein alter rhetorischer Grundsatz. Diesen Grundsatz kenne ich auch. Ich bitte Sie allerdings, die Bilder in Zukunft ein klein wenig parlamentarischer zu wählen. Vielen Dank.
(Beifall von der CDU, den GRÜNEN und der FDP)
Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Die Fraktion der CDU hat eine Aktuelle Stunde zu den Entscheidungen des Regionalrats Köln und des RVR zu den geplanten Kraftwerksstandorten in der Region beantragt.
Die Fraktion der FDP fordert mit ihrem Antrag positive Grundaussagen für das vom RVR beantragte Zielabweichungsverfahren.
Zu beiden Anträgen ist zusammenfassend festzustellen: Die inhaltliche Verantwortung für die beiden Regionalplanverfahren liegt in der Region. Der Regionalrat hat die Sach- und Verfahrenshoheit in diesen Planverfahren.
Beide Anträge beziehen sich auf Planverfahren, die hier bereits im Rahmen vergleichbarer Anträge diskutiert worden sind; Herr Schmalenbach hat insofern recht. Dennoch wiederhole ich gerne die Hinweise zur Rechtslage in beiden Verfahren.
Die Verbandsversammlung des RVR hat am 5. Juli ein Zielabweichungsverfahren beantragt. Die Landesplanungsbehörde wird diesen Antrag prüfen und im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Ministerien sowie im Benehmen mit dem zuständigen Ausschuss des Landtages entscheiden. Für diese Prüfung gelten keine Fristen. Die Dauer der Prüfung ist abhängig von der Komplexität des zugrundeliegenden Sachverhaltes. Die Prüfung erfolgt nach den Vorgaben des Landesplanungsgesetzes.
Ein Blick in dieses Gesetz zeigt Folgendes:
Gemäß § 16 Landesplanungsgesetz kann von den Zielen der Raumordnung im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist. Dies ist im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Ministerien zu prüfen – in diesem Fall mit den Ministerien des Kollegen Remmel und des Kollegen Duin.
Gemäß § 16 Abs. 3 Landesplanungsgesetz ist anschließend das Benehmen mit dem für Landesplanung zuständigen Landtagsausschuss herzustellen.
Lieber Herr Brockes, noch mal zur Aufklärung in Bezug auf Datteln: Der Rat hat – so mein Kenntnisstand – die Verwaltung aufgefordert, ein Zielabweichungsverfahren zu beantragen. Uns liegt ein solcher Antrag nicht vor; insofern kann ich hier auch nicht Stellung beziehen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regionalplanänderung, die der Regionalrat Köln am 5. Juli aufgestellt hat, wird die Landesplanungsbehörde in meinem Haus der gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsprüfung unterziehen. Wenn keine rechtlichen Einwendungen zu erheben sind, wird diese Regionalplanänderung im Gesetz- und Verordnungsblatt bekanntgemacht und damit rechtskräftig.
Im Antrag der CDU wird auf den Entwurf des Landesentwicklungsplans, den die Landesregierung am 24. Juni vorgelegt hat, verwiesen. Die CDU führt hierzu verkürzt aus, dass der neue LEP – ich zitiere – „für konventionelle Kraftwerke einen elektrischen Mindestwirkungsgrad von 58 %“ vorsieht. – So steht es dort.
Ich nutze die Gelegenheit zur Klarstellung. Der Grundsatz lautet exakt wie folgt – ich zitiere aus dem LEP-Entwurf Grundsatz 10.3-2 „Anforderung an neue, im Regionalplan festzulegende Standorte“ –:
Regionalplanerisch neu festzulegende Standorte sollen einen elektrischen Kraftwerks-Mindest-wirkungsgrad von 58 % oder die hocheffiziente Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) mit einem Gesamtwirkungsgrad von 75 % mit KWK ermöglichen, sollen so auf vorhandene und geplante Strom- und Wärmenetze ausgerichtet werden, dass möglichst wenig Flächen für neue Leitungstrassen und bauliche Anlagen der Leitungsnetze in Anspruch genommen werden und sollen gewährleisten, dass ein geeigneter Netzanschluss vorhanden ist.
So weit zum LEP im Wortlaut!
Zunächst allgemein zur Rechtswirkung: Es handelt sich – das ist bereits angesprochen worden – um einen Grundsatz für regionalplanerische Kraftwerksstandorte. Dieser Grundsatz entfaltet erst nach Rechtskraft des LEP eine Rechtswirkung, hat also keinen Einfluss auf die beiden vorgenannten Verfahren, die zu dieser Debatte geführt haben.
Der LEP hat zudem einen Planungshorizont bis ca. 2030. Der LEP-Entwurf soll dazu beitragen, Nordrhein-Westfalen zu einem zukunftsfähigen Standort für erneuerbare Energien sowie hocheffiziente und flexible Kraftwerke weiterzuentwickeln. Dieser Grundsatz des LEP-Entwurfs ist bewusst als ein Grundsatz der Raumordnung ausgestaltet, der der Abwägung zugänglich ist und – wie bereits gesagt – keinen Einfluss auf die genannten Verfahren hat, über die wir heute diskutieren.
So weit zur Klarstellung. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch mal daran erinnern, dass das Fotografieren im Plenarsaal nicht gestattet ist. Wenn es zudem noch mit Blitzlicht erfolgt, wird die Präsidentin das nicht nur bemerken, sondern darüber hinaus an diese Regel erinnern.
Damit die übrigen Kolleginnen und Kollegen nicht so lange rätseln müssen: Das kam aus dem Kreis der SPD-Fraktion. Ich bitte darum, das künftig zu unterlassen.
Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Wüst das Wort.
Hendrik Wüst (CDU): Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was Frau Ministerpräsidentin gerade in Sachen Datteln vorgetragen hat, passt zu dem, was wir dazu immer gehört haben: Rückzug auf Formalien, wo politisches Handeln gefragt gewesen wäre – nicht mehr und nicht weniger!
(Beifall von der CDU)
Jedenfalls wäre politisches Handeln – wenn man sich schon nicht in der Pflicht sieht – möglich.
Andere Bundesländer, auch die Ministerpräsidenten anderer Bundesländer, positionieren sich ja sehr pointiert, wenn es um die Energiewende geht. Die im Süden, Dunkelschwarze wie Grüne, sagen: Wir haben viel Sonne, und wir wollen dieses Potenzial gerne versilbern. – Die im Norden, überwiegend Rote, sagen: Wir haben viel Wind und wollen dieses Potenzial gerne versilbern.
Nordrhein-Westfalen kann etwas bieten, was vielleicht noch nicht überall angekommen, für die Energiewende aber notwendig ist: Wir können mit unserem Kraftwerkspark und mit den Plänen zum Kraftwerkserneuerungsprogramm Versorgungssicherheit bieten. Es wäre Aufgabe dieser Landesregierung, zu versuchen, dieses Pfund in der Energiewende auch zu versilbern.
(Beifall von der CDU)
Aber Sie sind sich innerhalb der Landesregierung nicht einig und verpassen die Chance, dieses Pfund in die Debatten zur Energiewende einzubringen, im Kleinen wie im Großen. Deswegen besteht das große Risiko, dass gerade die vielen Mieter im Mietwohnungsbau in Nordrhein-Westfalen am Ende die Zeche für fehlendes Kapazitätsmanagement und anderes zahlen müssen.
Zu den beiden Entscheidungen der letzten Woche: Auch ein langer Weg führt am Ende zwingend zur Weggabelung im Kabinett. Sie werden sich also irgendwann bekennen müssen, ob Sie wollen oder nicht.
Sie haben Zeit verloren, Nordrhein-Westfalen hat Zeit verloren, und die Energiewende hat Zeit verloren. Denn beim Regierungswechsel 2010 hätte man durch den Beschluss eines neuen Kapitels Energie im LEP die Grundlage schaffen können, Datteln möglich zu machen. Das wird hier immer vom Tisch gewischt; aber das ist die historische Wahrheit.
Und Sie hatten die Kraft in Ihrer Regierung nicht, Sie hatten die Fähigkeit nicht, sich zu einigen, das zu machen. Sie haben es auf die lange Bank geschoben. Dadurch sind alte Meiler am Ende länger am Netz. Und Datteln 4 ist jetzt dazu verdammt, sehr viel später ans Netz zu gehen. Es war auch kein Beitrag zur Energiewende, den Sie dadurch geleistet haben.
Dann kommen immer die Hinweise: Na ja, Ihr seid vor dem Verfassungsgericht ja gescheitert, ihr habt das mit Datteln ja nicht hingekriegt. – Zugestimmt! Allerdings muss ich ganz ehrlich sagen: Diese Reden haben Sie vielleicht noch vor ein, zwei Jahren halten können, inzwischen haben Sie sich aber so viele Klatschen vom Verfassungsgerichtshof in Sachen Haushalt geholt,
(Beifall von der CDU)
dass Sie nicht mehr geeignet sind, als Lehrmeister im Verfassungsrecht zu fungieren.
Wenn Sie im Verfassungsrecht sattelfest wären, müssten Sie heute nicht 14 Seiten Begründung zur Beamtenbesoldung nachliefern. Wir akzeptieren da keine Nachhilfestunden mehr.
(Beifall von der CDU)
Sie haben bei Datteln auf Zeit gespielt in der Hoffnung, dass Gras darüber wächst, in der Hoffnung, dass das Thema aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwindet. Es ist ein Verdienst der Oppositionsparteien in diesem Haus, dass das nicht passiert ist,
(Beifall von der CDU)
dass eben kein Gras darüber gewachsen ist. Zu groß ist das Investment, das in Datteln zur Debatte steht, und zu groß ist das Thema „Energie“ durch die Energiewende, als dass es Ihnen gelungen wäre, Gras über diese Sache wachsen zu lassen.
Wenn Sie Datteln am Ende passieren lassen, dann passiert das wahrscheinlich in großen Teilen Ihrer Koalition nicht mehr aus Überzeugung, sondern genau deshalb, weil Sie es nicht mehr hören können, und weil Sie das Symbol nicht wollen, weil Sie kein milliardengroßes Beispiel für die innere Zerstrittenheit Ihrer Koalition haben wollen.
Sie versuchen, das jetzt noch zu schieben mit dem Hinweis auf Formalien, damit es vor der Bundestagswahl keinen Ärger bei der grünen Basis gibt. Es glaubt aber eigentlich kaum noch jemand, dass Datteln am Ende nicht kommt. Ungewissheit herrscht nur noch bezüglich des Preises. Da allerdings schießen die Spekulationen ins Kraut. Es wird überlegt, ob es wohl newPark sein könnte, wo Sie ja auch schieben, wo Sie die Möglichkeit ebenfalls nicht nutzen, proaktiv tätig zu werden. Und es wird debattiert über die Auswirkungen des Landesentwicklungsplans.
Kollege Eiskirch, ich danke ganz herzlich für die fortwährenden Belehrungen zu diesem Thema. Ich habe schon Landesplanungsrecht studiert, da wussten Sie noch nicht mal, dass es das gibt.
(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD] – Zurufe von der SPD: Oh!)
Wenn die 58 % elektrischer Wirkungsgrad bezüglich des Kraftwerkserneuerungsprogramms irrelevant sind, warum schreiben Sie ihn dann hinein?
(Beifall von der CDU)
Wird da mit der grünen Basis Scharade gespielt? Werden da irgendwelche Fährten gelegt, die nach der Bundestagswahl doch alle nicht gangbar sind? Schaffen Sie Wahrheit und Klarheit!
Werte Frau Brems, ich finde es immer wieder interessant, wenn Sie sagen: Betonköpfe der Großenergieversorger. – Die Energiewende ist da. Sie fallen immer wieder in die Rhetorik der Zeit vor der Energiewende zurück. Ich bin von den Grünen in dieser Sache ziemlich enttäuscht.
(Beifall von der CDU)
Sie haben 30 Jahre lang gegen die Atomenergie gekämpft. Herzlichen Glückwünsch, Sie haben es geschafft! Dann wäre aber der Moment da gewesen, die Schubladen aufzumachen und ordnerweise Alternativpläne herauszuholen. Was haben Sie eigentlich in den 30 Jahren außer Protest noch gemacht?
(Beifall von der CDU)
Sie haben keine konzeptionellen Vorschläge, wie es gelingen soll, wie man Versorgungssicherheit, Preisstabilität, Energiewende erreichen soll. Das haben Sie alles nicht.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Wenn Sie auf die CDU und die FDP zeigen, haben Sie an einer Stelle recht: Wir sind nach Ihnen gekommen, was den Atomausstieg angeht. Ja! Aber es wäre Ihre Aufgabe gewesen, bei den Folgefragen weiter vorwegzugehen.
Ein letzter Punkt zum Schluss: Wenn Sie den Protest in der Eifel abtun, dann komme ich mir ein bisschen vor wie im falschen Film. Es war doch kein Protest dieser Republik vor Ihrer Unterstützung sicher. Was ist denn mit Ihren Bekenntnissen, Betroffene zu Beteiligten zu machen? Wenn es Ihnen nicht in den Kram passt, dann ist Protest nicht in Ordnung. Sie waren gegen Flughäfen, gegen Bahnstrecken, gegen Autobahnen, gegen alles Mögliche. Und auf einmal, wenn Protest da ist, wenn es Bürgersorgen gibt, heißt es: Das geht jetzt aber wirklich nicht, das ist ein grünes Projekt, das brauchen wir, da darf man nicht gegen sein. – So geht es nicht! Sie wechseln Ihre Kleider, wie es Ihnen passt. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege van den Berg.
Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon beachtlich, dass Herr Wüst uns hier in einem ordentlichen Abwägungsverfahren ernsthaft vorschlagen will, vorab politische Festlegungen zu treffen. Welchen Bärendienst erweisen Sie damit einem solchen Projekt? Das müssen Sie mir an dieser Stelle mal erklären.
Das Einzige, was ich bei Herrn Wüst heute gelernt habe, ist die Tatsache, dass er den Landesentwicklungsplan studiert hat. Umso interessanter ist es daher, sich Ihren Antrag einmal genauer anzuschauen. Sie schreiben in Drucksache 16/3502, der neue LEP „sehe für konventionelle Kraftwerke einen elektrischen Mindestwirkungsgrad von 58 % vor“.
Meine erste Feststellung: Sie verkennen das Regelungsobjekt. Da können Sie sich vielleicht Nachhilfe von Herrn Ellerbrock holen. Ein LEP kann überhaupt keine Wirkungsgrade für Kraftwerke vorschreiben. So etwas ist allenfalls im Bundesimmissionsschutzrecht möglich. Der LEP beschäftigt sich lediglich damit, wie die Standortentscheidungen ausfallen sollen. Auf diese Weise qualifiziert er Standorte und hat dadurch steuernde Wirkung für Regional-, Bauleit- und Fachplanung.
Meine zweite Feststellung, Herr Wüst: Sie verwechseln die Rechtsgrundlage. Der neue LEP entfaltet seine Rechtskraft erst mit der Rechtswirkung. Auch das ist vorhin deutlich dargestellt worden. Hier eine Scheindiskussion um BoAPlus aufzumachen, obwohl wir alle wissen, dass die Abwicklung noch nach dem alten LEP erfolgt, ist schon beachtlich. Der Beschluss des Regionalrates in Köln über eine Flächenausweisung für BoAPlus erfolgt nach geltendem Recht, und das soll auch weiterhin so sein.
Herr Schmalenbach hat vorhin – obwohl ich inhaltlich nicht damit übereinstimme – das Ganze zumindest sauber unterschieden. Er hat deutlich darauf hingewiesen, dass wir zwischen den „Zielen der Raumordnung“, die nach dem nachgeordneten Planungsrecht strikt zu beachten sind, und den „Grundsätzen der Raumordnung“ unterscheiden müssen. Diese Grundsätze bieten den nachgeordneten Planungsebenen in Abwägungsprozessen Rahmen zur Berücksichtigung. Das ist ein Unterschied.
Sicherlich kann man darüber nachdenken, ob der neue, im LEP-Entwurf formulierte Grundsatz Probleme machen könnte. Das hat der Regionalrat in Köln im Übrigen auch getan. Ich verweise Sie in diesem Zusammenhang auf die Regionalratsvorlage und zitiere gerne – mit Genehmigung der Präsidentin –:
„Die 5. Änderung des Regionalplans für den Regierungsbezirk Köln, Teilabschnitt Region Köln – Kraftwerksstandort Bergheim-Niederaußem – ist damit“
– und vorher wurde sehr viel abgewogen –
„mit den in Aufstellung befindlichen Zielvorgaben des Entwurfs eines neuen LEP NRW zu neuen Kraftwerksstandorten im Regionalplan vereinbar.“
Siehe da! Also: Alles nur heiße Luft.
Meine dritte Feststellung: Sie verkennen die Rechtswirkung. Ein Grundsatz der Landesplanung ist der Abwägung mit anderen Zielen und Grundsätzen zugänglich. Er ist nicht als endabgewogenes Ziel formuliert. Das ergibt ja auch Sinn; denn gerade im Braunkohlebereich macht die Nähe von Rohstoff und Verstromung den wahren Wert des Energieträgers aus.
Kraftwerke liegen an den Rändern der Tagebaue. Es soll gerade nicht dazu kommen, dass lange Transportwege für große Massen notwendig werden. Für den theoretischen Fall einer Flächenausweisung nach BoAPlus gibt es keinen ernstzunehmenden Vorschlag, Braunkohlekraftwerke in verdichtete Siedlungsbereiche zu verlegen, nur um dort Wärmesenkung zu erreichen. Das wäre ökologisch wie ökonomisch völliger Unsinn. Beschäftigen wir uns doch einmal mit diesem Fall und prüfen, wie die Abwägungsverfahren wirklich aussehen.
Meine vierte Feststellung: Sie befinden sich offenbar in Unkenntnis über die weiteren Schritte des Kraftwerkserneuerungsprogramms. Wenn BoAPlus genehmigt ist, gibt es überhaupt keine Planungen mehr, neue Standorte im rheinischen Revier für Kraftwerke auszuweisen. Vielmehr soll das umgesetzt werden, was wir fordern, und zwar Zug um Zug, alt für neu. Das Ganze wird an bestehenden Standorten geschehen und soll anlagenbezogen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erfolgen. Hier spielt der LEP überhaupt keine Rolle.
Sie lenken also ab. Sie behaupten, dieser Landesentwicklungsplanentwurf sei – Zitat – „das Ende des Kraftwerkserneuerungsprogramms“. Das ist auch historisch falsch. Denn zwischen 2005 und 2010 war es gerade die damalige Landesregierung, die immer wieder neue Kraftwerkspläne abgelehnt hat, ähnlich wie wir das heute mit den Pumpspeicherkraftwerken erleben. Damals war die CDU in der Verantwortung.
Wir können eigentlich erst mit dem Jahreswechsel 2012/2013 feststellen, dass wir uns wieder in einem ordentlichen Kraftwerkserneuerungsprogramm befinden; denn seitdem wurden 16 150-Megawatt-Blöcke abgeschaltet.
Ihre These ist vor allen Dingen aktuell grotesk. Denn keiner behauptet, dass derzeit Kraftwerke wegen des nordrhein-westfälischen Planungsrechts nicht ans Netz gingen. Selbst Herr Kufen nickt an dieser Stelle. Alle sagen, es liege an den bundespolitischen Rahmenbedingungen.
Ich empfehle Ihnen, Herr Kufen: Lesen Sie hierzu doch die Pressemitteilung von RWE vom 5. Juli 2013. Darin wird darauf verwiesen, dass endlich die „Voraussetzungen für die Wirtschaftlichkeit“ geschaffen werden müssen. Es wird außerdem darauf verwiesen, dass auf Bundesebene „aktuell sehr schwierige Rahmenbedingungen“ herrschen. Das müssen Sie an dieser Stelle anpacken.
Wir stellen fest: Selten hat eine Bundesregierung von Industrie- und Energieversorgern so schlechte Noten bekommen wie die aktuell amtierende.
(Beifall von der SPD)
Erst am letzten Montag konnte man im „Handelsblatt“ nachlesen, dass Siemens und E.ON Warnrufe ausgestoßen und auf die Folgen des Stillstandes auf Bundesebene für Industrie und Wettbewerb hingewiesen haben.
Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, dass sich an dieser Stelle etwas ändert. Sie betreiben hier Wahlkampf und werfen Nebelkerzen. Außerdem legen Sie ein schlechtes Zeugnis über Ihr Studium im Landesplanungsrecht ab, Herr Wüst. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Lindner.
Christian Lindner (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, nachdem ich den nüchternen Vortrag von Hannelore Kraft gehört habe.
Ich will noch mal in Erinnerung rufen, worüber wir hier eigentlich debattieren.
(Dietmar Bell [SPD]: Das ist auch nötig! Wunderbar!)
Datteln 4 hat eine wichtige Rolle im nordrhein-westfälischen Stromnetz. Das hat sich zuletzt bei der Diskussion über die Bahnstromversorgung gezeigt. Es ist im Übrigen eine Milliardeninvestition in einem strukturschwachen Raum und ein Technologieprojekt, dessen Bedeutung über die Landesgrenzen hinausweist.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Deswegen wundern wir uns auch so!)
Dabei geht es auch um Investitionssicherheit in einem großen industriellen Maßstab.
(Beifall von der FDP)
Wir führen hier eine Debatte, bei der sich die Ministerpräsidentin hinstellt und einen Rechtsvermerk nüchtern und leidenschaftslos abliest.
(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD] – Reiner Priggen [GRÜNE]: Das sind alles Krokodilstränen!)
Bei einer Frage dieser Bedeutung schlüpft Hannelore Kraft in die Rolle der Sachbearbeiterin und verkriecht sich zwischen den Aktendeckeln der Staatskanzlei.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Frau Kraft, das Land Nordrhein-Westfalen braucht in dieser Frage keine Sachbearbeiterin in der Staatskanzlei, sondern politische Führung,
(Dietmar Bell [SPD]: Das ist alles Wahlkampfgetöse!)
damit wir das Energieland Nummer eins bleiben können!
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Viele Worte, keine Inhalte!)
Das wäre eigentlich die Anforderung gewesen.
(Beifall von der FDP und der CDU – Minister Ralf Jäger: Wer hat es denn verbockt? – Zuruf von Minister Johannes Remmel)
– Herr Remmel, auf Sie komme ich in dem Zusammenhang gleich noch zu sprechen.
Selbst wenn, Frau Ministerpräsidentin, verwaltungstechnische Zwänge Sie binden: Den Landtag hält nichts ab, für Ihre Abwägungsentscheidung gute industriepolitische Argumente zu beschließen. Er könnte mit der Mehrheit von CDU, FDP und SPD einen Beschluss fassen, der die industriepolitische Bedeutung von Datteln 4 unterstreicht. Der Landtag macht es aber nicht. Er kann es nicht machen, weil die Sozialdemokratie an Bündnis 90/Die Grünen gebunden ist, die in dieser Frage einen ganz anderen Kurs fahren. Das hat die Rede der grünen Kollegin gezeigt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wie steht eigentlich die SPD dazu, dass die energiepolitische Sprecherin der Grünen sagt, das modernste Steinkohlekraftwerk der Welt sei vergleichbar mit einer Dampflokomotive? Wie steht die SPD dazu, wenn es in dieser Weise lächerlich gemacht wird? Wie steht die SPD, Herr Römer, wie stehen Sie als IG BCE-Mann dazu, dass die grüne Energiepolitikerin Datteln 4 allen Ernstes mit Asbest vergleicht?
(Heiterkeit von Wibke Brems [GRÜNE])
Eine der modernsten Kraftwerksinvestitionen, die wir auf der Welt haben, wird in dieser Weise diskreditiert. Damit werden Sie Ihrer industriepolitischen Verantwortung nicht gerecht!
(Beifall von der FDP und der CDU)
In Wahrheit zeigt sich hier doch eine grundlegende Differenz zwischen den beiden Koalitionspartnern in der Frage: Welche Rolle spielt zukünftig die Kohleverstromung? Sprechen wir das doch einmal aus.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Hoi!)
So, wie Sie hier argumentieren, Frau Kraft, versuchen Sie, diesen Konflikt zu camouflieren. Herr Remmel hilft Ihnen bei der Frage, wie Datteln 4 ans Netz gehen kann, kein bisschen. Er hat im Zuge der Klimaschutzplandiskussion eine Arbeitsgruppe 1, die unter Ziffer 3 gegenwärtig als Maßnahme ein Kohleausstiegsgesetz konkretisiert. Während im Umfeld von Herrn Remmel darüber nachgedacht wird …
(Zuruf)
– Doch, in Ihrem Klimaschutzplan als Maßnahme: AG 1 Nr. 3, Kohleausstiegsgesetz.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Das zeigt die Intention von Bündnis 90/Die Grünen. Das ist der Grund, Frau Kraft, warum der Landtag nicht in der Lage ist, Ihre Abwägungsentscheidung durch ein klares industriepolitisches Bekenntnis zu erleichtern. Damit werden Sie als Koalition Ihrer Verantwortung nicht gerecht.
(Beifall von der FDP und der CDU – Dietmar Bell [SPD]: Sie sind Bekenntnistäter, sonst nichts!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne auf ein paar Aspekte aus der Debatte eingehen.
Herr Hovenjürgen hat in seinem ersten Beitrag darauf hingewiesen, dass mit Datteln 4 nun endlich weniger CO2 emittiert und das Ganze klimafreundlicher würde. – Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wie Sie, Herr Hovenjürgen, auf diese Rechnung kommen. Denn wenn man sich das einmal ganz genau anschaut, sieht man, dass Datteln 1 und 3 sowie Shamrock so oder so abgeschaltet werden müssen. Sie stehen eigentlich in keinerlei Zusammenhang mit Datteln 4.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Natürlich stehen die in einem Zusammenhang!)
Sie haben jetzt nur zusätzlich eine Betriebsverlängerung erhalten. Das hängt damit zunächst überhaupt nicht zusammen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Natürlich hängt das damit zusammen!)
Selbst wenn man alle Kraftwerke von E.ON abschalten würde, Herr Hovenjürgen – abgesehen davon, dass es keinerlei Grundlage dafür gibt und dass E.ON selbst vor dem OVG Münster gesagt hat, dass über weitere Abschaltungen der Markt entscheidet und alles andere ein Missverständnis ist –, würde immer noch mehr CO2 emittiert werden, ginge Datteln 4 ans Netz.
Die einzige Rechnung, die man sich noch überlegen kann, ist, dass Sie selbst auch zu der Erkenntnis gelangt sind, dass weniger Betriebsstunden zu weniger CO2-Emissionen führen werden. Denn wenn man sich anschaut, was E.ON selbst in den Antrag geschrieben haben, sieht man das nicht.
Es ist ganz wichtig, sich die OVG-Entscheidung aus dem Jahr 2009 anzusehen. Im Urteil steht:
„Tatsächlich ist jedoch nicht ansatzweise sichergestellt, dass das Kraftwerk, das selbst einen erheblichen Ausstoß von Treibhausgasen verursachen wird, insgesamt zu einer Reduzierung beiträgt.“
So viel aus dem Urteil. Damit ist auch klar, was das für das Thema heißt.
Lieber Herr Wüst, Sie haben uns aufgefordert, endlich politisch zu handeln. Wohin aber politisches Handeln bei Datteln geführt hat, sieht man ganz genau. Man muss hier eben kühl abwägen und nicht hitzig entscheiden, so wie das von der FDP gefordert wird.
(Zuruf von der FDP)
Sie sagen auch, lieber Herr Wüst, wir wären in der Verantwortung. Wir hätten die Konzepte, die Energiewende zu machen. – Genau, Herr Wüst, die haben wir. Wir würden das auch gerne machen, aber ich meine, mich zu erinnern, dass wir aktuell im Bund von Schwarz-Gelb regiert werden;
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Diese Erkenntnis!)
Schwarz-Gelb versucht es zumindest. Aber Altmaier und Rösler tun alles dafür, um die Energiewende wirklich noch vor die Wand zu fahren. Ein Beispiel in diese Richtung haben wir eben schon gehört. Currenta würde in NRW gerne dadurch Arbeitsplätze sichern, dass ein flexibles Gaskraftwerk ans Netz geht. Aber die Gurkentruppe in Berlin sorgt eben dafür, dass genau das nicht möglich ist,
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)
dass nicht die richtigen Rahmenbedingungen dafür gesetzt werden.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Altmaier und Rösler Energiewende nicht können: Man redet als Umweltminister darüber, dass man eine Strompreisbremse will, will aber die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen nachträglich belasten. Das sorgt genauso für Unsicherheit wie die FDP-Forderung nach einem Moratorium. Dadurch sind zudem Arbeitsplätze gefährdet, auch in Nordrhein-Westfalen.
Zu guter Letzt nenne ich die überbordenden Industriebefreiungen bei der EEG- und bei der Netzumlage, die es in den letzten Jahren gegeben hat.
All das sorgt für mehr Belastungen für uns alle und für weniger Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ist genau das, was Sie erreichen wollen, nämlich die Energiewende madig zu machen.
Es wird endlich Zeit, dass in Berlin diejenigen die Energiewende machen, die sie wirklich wollen und es auch können, und nicht mehr, wie jetzt, die Wölfe im Schafspelz.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Rohwedder.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und draußen im Stream! Sowohl diese Aktuelle Stunde, die von der CDU beantragt wurde, als auch der Eilantrag der FDP und die Entscheidungen des RVR und des Regionalrats Köln hätten ehrlicherweise besser unter einem anderen Motto gestanden, nämlich: „Energiewende sabotieren, Klimaschutz verhindern, Fossil-Mafia vor Umweltschutz, Lex E.ON light“. Das ist hier die Devise.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich möchte in meinem Beitrag auf ein paar Aspekte eingehen, die in den anderen Beiträgen etwas vernachlässigt wurden; abgesehen von dem Beitrag von Frau Brems, die darin das Problem der Umweltbelastungen gestreift hat.
Circa 8,5 Millionen t Kohlendioxid, große Mengen Schadstoffe, Schwermetalle, Stickoxide und Feinstaub wird Datteln 4 ausstoßen, und das über Jahrzehnte, wenn es nach den Betreibern und Befürwortern geht. Trotz der abzuschaltenden Altkraftwerke ist das eine massive Erhöhung der Umweltbelastung.
Völlig absurd ist die Behauptung der FDP in ihrem Eilantrag, es handele sich um einen Beitrag zur Energiewende. Das genaue Gegenteil ist richtig.
Herr Lindner hat hier das Datteln-4-Kraftwerk als das modernste Steinkohlekraftwerk Europas gelobt. Wenn Sie einmal ein modernes Steinkohlekraftwerk sehen wollen, fahren Sie nach Kopenhagen und schauen Sie sich Avedøre an. Das hat einen Wirkungsgrad von 92 %. Der erste Block ist in den 90er-Jahren in Betrieb gegangen, der zweite Block vor 10 Jahren. Das Kraftwerk läuft seit 10 Jahren mit 92 % Wirkungsgrad und 1.200 MW thermischer Leistung. Da haben Sie ein modernes Kraftwerk.
(Beifall von den PIRATEN)
Herr Lindner, die neuen Probleme, vor denen wir hier stehen, zum Beispiel was den Klimaschutz angeht, können wir nicht mit dem alten Denken, den alten Methoden und den alten Maßnahmen lösen, die genau die Ursache dieser Probleme sind. Denken Sie bitte einmal darüber nach!
(Beifall von den PIRATEN)
An der Lippe und am Datteln-Hamm-Kanal übersteigen die Quecksilberbelastungen im Lee der Hauptwindrichtung schon lange alle Grenzwerte. Dort stehen die Kohlekraftwerke wie Perlen an einer Schnur aufgereiht. Quecksilber und die anderen Schwermetalle – Kadmium, Blei und Arsen – sowie radioaktive Substanzen reichern sich in der Umgebung der Abluftfahnen bereits seit Jahrzehnten in den Ökosystemen, in den Böden, den Sedimenten und in den Körpern der Bewohner an. Dieser Zustand wird sich, ebenso wie die Feinstaubbelastung, weiter verschlimmern.
Die Stickoxide düngen die Umwelt. Teilweise werden sie dabei auch zu Lachgas umgebaut, das 300-mal so klimawirksam ist wie Kohlendioxid. Die Stickstoffkreisläufe sind dank des Haber-Bosch-Verfahrens sowieso schon weltweit aus dem Ruder gelaufen. Wahrscheinlich bewegen sie sich auf einem irreversibel höheren Niveau als vor der Industrialisierung. Jede weitere Belastung muss vermieden werden.
Noch schlimmer wird es, wenn man, wie ursprünglich geplant, in Datteln Kronocarb und Petrolkoks mitverheizt. Das wäre dann kein Steinkohlekraftwerk, sondern eine illegale Giftmüllverbrennungsanlage. Besonders schäbig an der ganzen Vorgehensweise ist, dass das große kollektive Bürgerrecht der Verbandsklage hier ausgehebelt wird, dass die Verbände nicht mehr gegen diese Entscheidungen klagen können.
Die „BoA“-Projekte – Braunkohle ohne Aussichten: BoA – sind unter Umwelt- und Klimaschutzgesichtspunkten genauso verheerend wie Datteln 4. Das eben Gesagte gilt tendenziell hierfür auch.
Zusätzlich werden durch die Tagebaue in großem Maß Landschaftszerstörungen im Lande begangen. Bei der Steinkohle hat man das erfolgreich ins Ausland outgesourct.
BoA wird seinen Beitrag leisten zur weiteren Zunahme der Zahl der statistisch nachweisbaren signifikanten Todes- und Krankheitsfälle durch Braunkohleverstromung, die sich in Deutschland jetzt schon auf mehrere Tausend jährlich summieren.
Wir fordern von der Landesregierung, jetzt endlich klare Kante zu zeigen und ernst zu machen mit der Energiewende, mit dem Klimaschutz, dem Umweltschutz und dem Schutz der Bevölkerung vor den Auswirkungen der Stromproduktion aus Stein- und Braunkohle. Der Raubbau an Umwelt, Landschaft, Luft und Böden muss ein Ende haben. Herr Remmel, Nachhaltigkeit sieht anders aus. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerpräsidentin Kraft.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Vielen Dank. – Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Lindner, an diesem Tagesordnungspunkt wird noch einmal deutlich, wie unterschiedlich Sie und wir und ich Politik machen. Wir wollen Sachlichkeit in dieser Frage. Ich bin der Auffassung, dass Sachlichkeit hier nottut.
Wenn ich die in dem FDP-Antrag geforderten inhaltlichen Aussagen zu dem vom RVR beantragen Zielabweichungsverfahren lese – das habe ich Ihnen schon in der letzten Debatte während der letzten Plenartage gesagt –, stelle ich fest: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen, und zwar aus fachlichen Gründen, weil die inhaltliche Prüfung erst jetzt beginnt und beginnen kann; und darüber hinaus stehen rechtliche Gründe einer solchen Vorabbindung entgegen. Vorschnelle Aussagen oder Bekenntnisse, wie Sie sie hier populistisch fordern, können rechtssichere Entscheidungen gefährden. Ich finde, Sachlichkeit täte bei Ihnen an dieser Stelle not.
(Beifall von der SPD)
Wenn wir schon bei Sachbearbeitung und Sachlichkeit sind, lohnt sich ein Blick zurück darauf, wie das mit Datteln entstanden ist. Ich kann Ihnen das nicht ersparen.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Fangen Sie ganz von vorne an!)
Das war zu Ihrer Regierungszeit. Bei Datteln sind Planungsfehler gemacht worden; so sind wir in diese Situation geraten.
Ich sage Ihnen: Diese Landesregierung wird alles tun, um ihren Beitrag zu einer rechtssicheren, guten Entscheidung zu leisten. Das ist unser Auftrag, und das werden wir auch machen.
(Beifall von der SPD)
Eines ist hochinteressant: Warum kommen diese Anträge an jedem Plenartag wieder auf den Tisch? Warum eigentlich?
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])
– Nein, das ist nicht der Punkt.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Das ist nicht der Punkt?)
Der Punkt ist, dass Sie von Ihrem realen, energiewirtschaftlich desaströsen Handeln auf der Bundesebene ablenken wollen. Das ist doch das, was Sie hier erreichen wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich habe gehört, dass die CDU gestern oder vorgestern den BDI-Präsidenten, Herrn Grillo, zu Gast hatte. Er wird Ihnen etwas Deutliches zur Energiewende, zu dem Nicht-Management der Energiewende und dazu, warum es in diesem Land Investitionshemmnisse gibt, ins Stammbuch geschrieben haben. Das ist doch klar, gerade wenn sich der BDI-Präsident so deutlich dazu äußert. Ich könnte ihn an vielen Stellen zitieren.
Sie wollen davon ablenken, dass CDU, CSU und FDP auf Bundesebene die Energiewende nicht gebacken bekommen und
(Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])
versuchen, den Schwarzen Peter nach Nordrhein-Westfalen zu legen. Aber das wird Ihnen nicht gelingen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Minister Johannes Remmel)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Kufen.
Thomas Kufen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin, geradezu absurd ist, dass wir uns hier gegenseitig absprechen, dass wir den Erfolg der Energiewende wollten. Wir sind als Bundesregierung angetreten, sie mit unseren Beschlüssen nach vorne zu bringen. Wir haben das auch deutlich gemacht.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Warum tun Sie es dann nicht? – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Und die Forderung aufseiten der Länder lautet doch, dass wir nicht 16 plus eine Energiewende bekommen, sondern eine gemeinsame.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Zwei – einmal Altmaier, einmal Rösler!)
Insofern stellt sich die folgende große Herausforderung: Wie bekommen wir die Interessen der Länder unter einen Hut? Ich fand es sehr beeindruckend, dass man – wie uns berichtet wurde – in den Runden mit den Bundesländern am Ende gar nicht mehr erkennen kann, welches Parteibuch die jeweiligen Vertreter der Bundesländer haben, dafür aber anhand der vertretenen Interessen, aus welcher Region jemand kommt.
Wahrscheinlich ist es egal, welches Parteibuch der Ministerpräsident von Niedersachsen, von Baden-Württemberg oder von Bayern hat, denn es geht um das knallharte eigene Landesinteresse.
(Zuruf von der SPD: Die Bayern haben eigene Interessen!)
Wir als Nordrhein-Westfalen müssen darauf achten, dass am Ende der Zug nicht an uns vorbeifährt, weil sich Nord und Süd die Bälle zuspielen.
Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir uns sehr konzentriert einbringen und zum Gelingen der Energiewende unseren Beitrag auch hier im Landtag leisten müssen.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Zwei der großen Energieversorger sind in Nordrhein-Westfalen zu Hause. Viele Stadtwerke und regionale Energieversorger, die mit Innovation und effizienten Lösungen den Wettbewerb beleben, engagieren sich hier in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig haben wir eine breitgestaffelte Industrie: viele energieintensive Unternehmen, insgesamt 400.000 Beschäftigte in der Stahl- und Aluminiumverarbeitung, im Automobilbau, in der Chemie, in der Papierherstellung.
(Britta Altenkamp [SPD]: Erzählen Sie uns mal was Neues!)
Deshalb, meine Damen und Herren, geht es nicht darum, 16 plus eine Energiewende hinzubekommen, sondern unser Thema heute hier ist, dass wir in Nordrhein-Westfalen es uns nicht leisten können, eine rote und eine grüne Energiewende zu haben.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ihr Ansprechpartner sind Rösler und Altmaier!)
Denn so war das Abstimmungsergebnis im Regionalrat und im RVR.
(Beifall von der CDU)
Danach haben wir zwei unterschiedliche Stellungnahmen. Sie können in wichtigen infrastrukturpolitischen Fragestellungen eben nicht mit einer Stimme sprechen.
Deshalb, meine Damen und Herren, greife ich die Ausführungen des Kollegen Hovenjürgen für die CDU-Fraktion auf. Sie haben sich mit der Regierung der Einladung ganz mausig gemacht. In energie- und industriepolitischen Fragen gibt es sogar eine Opposition der Einladung, um mit Ihnen gemeinsam die wichtigen Fragestellungen nach vorne zu bringen.
(Beifall von der CDU)
Sie wären klug beraten, dem zu entsprechen. Denn es geht um Planbarkeit, um Wettbewerbsfähigkeit und um Arbeitsplätze.
Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam – ich muss aufpassen, damit ich niemanden zu scharf anschaue – nicht nur jedes einzelne Windrad, jede einzelne Biomasseanlage und jede einzelne Fotovoltaikanlage zählen, sondern wir sollten auch jeden einzelnen Arbeitsplatz in diesem Land zählen und insbesondere diejenigen, die wegfallen könnten. Das gehört auch zum Gelingen der Energiewende.
(Beifall von der CDU)
Denn ansonsten können wir keine Akzeptanz für die anstehenden großen Maßnahmen erreichen.
(Zuruf von der SPD: Lassen Sie Herrn Witzel doch mal die Windräder zählen!)
Dann komme ich noch einmal auf die Kohleverstromung zu sprechen. – Man merkt allen Rednern von Bündnis 90/Die Grünen die klammheimliche Freude über die Verfahrensfehler in diesem Zusammenhang an. Diese Freude können Sie fast nicht verbergen, denn für Sie ist die Kohleverstromung nicht nur Ausstiegspolitik, sondern Sie verkünden sogar, untermauert mit entsprechenden Parteitagsbeschlüssen: Das sind die Klimakiller! Tod aus dem Schlot! – Diese Idee bringen Sie nach vorne.
Sie sagen, dass Sie das alles nicht wollen. Deshalb ist Ihnen völlig egal, was Ihnen die Gutachter über Datteln ins Stammbuch schreiben und wie effizient dieses Kraftwerk ist. Es darf nämlich nicht sein, was nicht sein kann – aus Ihrer ideologischen Sicht.
Deshalb – finde ich – haben wir das Recht, auch im Landtag darüber zu diskutieren, wenn bei BoA 2/3 die Ministerpräsidentin mit den Unternehmenschefs von E.ON und RWE Bussi-Bussi macht und die Partei der stellvertretenden Ministerpräsidentin draußen die Mahnwachen anführt. Das ist die Wahrheit in diesem Land!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas, meine Damen und Herren, zu Datteln.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Sie erwecken geradezu den Eindruck, als habe Christa Thoben selbst den Spaten geschwungen und den Fluchtstab zur Vermessung in den Boden gestochen.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Unfähig! – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
– Hören Sie gut zu. – Fakt ist doch: Wenn man sich die Historie der Planungs-, Genehmigungs- und Klageverfahren von Datteln 4 anschaut, stellt man fest, dass die ganze Geschichte 2004 losgeht: Start der konkreten Planung, Abstimmung mit Land, Region und Stadt. 2005/2006: Öffentlichkeitsbeteiligung. 2007: Satzungsbeschluss für Bebauungsplan. 2007: Vorbescheid. 2007: Teilgenehmigung. 2007: Baubeginn. Dann beginnen erst die Klagen.
Zu behaupten, das sei ein Schwarzbau, weil Frau Thoben den Fluchtstab falsch in den Boden gesteckt habe, ist völlig falsch. Hier sind Fehler gemacht worden; die wollen wir korrigieren.
(Norbert Römer [SPD]: Sie wollen sie korrigieren?)
CDU, FDP und auch SPD sind bereit, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass dieses hochmoderne, effiziente und klimafreundliche Kraftwerk gebaut werden kann.
(Zustimmung von Josef Hovenjürgen [CDU])
Deshalb will ich zum Abschluss über die Gaskraftwerke reden. Denn Herr Kollege Eiskirch hat auf die Verschiebung des Bauvorhabens in Krefeld hingewiesen. Es kann uns nicht in Ruhe lassen, wenn wir lesen, dass immer mehr Gaskraftwerke rote Zahlen schreiben. Auch E.ON und die Stadtwerke haben Ärger – so die entsprechende Zeile in der „Rheinischen Post“.
Dazu gab es einen schönen Kommentar, den ich Ihnen mit Genehmigung des Präsidenten kurz vorlese.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Thomas Kufen (CDU): Das ist ein kurzer Kommentar.
„Die Verschiebung des Krefelder Kraftwerk-Projekts macht das Paradoxe der Energiewende deutlich. Die Über-Subvention von grünem Strom führt dazu, dass ausgerechnet der klimafreundlichste unter den ungeförderten Energieträgern (Gas) ins Hintertreffen gerät. Das können auch Grüne nicht wollen, von Ökostrom allein kann die Industrienation noch lange nicht leben.“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die SPD-Landtagsfraktion spricht der Kollege Eiskirch.
Thomas Eiskirch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Drei Punkte noch:
Erstens haben Sie, lieber Kollege Kufen, die Historie noch einmal bemüht. Der Versuch, sie 2004 beginnen zu lassen, ist schon damals bei der Übergabe eines dicken Ordners im Energieausschuss gescheitert. Denn Sie haben gerade den zweiten Schritt sehr richtig beschrieben: 2005 und 2006 haben die Ausgleichstermine stattgefunden. Damals hat man die Sachen zueinander ins Verhältnis gesetzt. Und dann hätte 2006 eine Abwägung getroffen werden müssen. 2007 wurde sie dann veröffentlicht. Das Gericht hat gesagt: Es hat 2006 bei Ihnen unter Frau Thoben einen Abwägungsausfall gegeben, meine Damen und Herren.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: 2006!)
Deswegen tragen Sie die Verantwortung, und zwar ganz allein.
(Beifall von der SPD)
Kommen wir noch zu einer kleinen Richtigstellung. Herr Lindner schießt ja manchmal ganz gerne mal eben aus der Hüfte ohne richtige Quellenangabe. Und dann steht es da.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Hauptsache, die Überschrift stimmt!)
Ich habe gerade noch einmal Rücksprache mit dem Umweltminister gehalten. Das, was Sie gerade unter dem Thema „Kohleausstieg“ oder Ähnliches genannt haben, ist in keiner Weise eine Initiative der Landesregierung. Wenn Sie sich mit den transparenten Darstellungen im Zuge des Klimaschutzplans auseinandersetzen würden, wüssten Sie,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Will er ja nicht!)
dass das getrieben ist von all denen, die wir einbinden, und dass die auch Vorschläge machen, welche Themen in einem solchen Verfahren zu diskutieren sind. Und das machen Unternehmensvertreter, das machen Verbände,
(Heiterkeit und Zurufe von der FDP)
und das machen auch Naturschutzverbände. Aber damit ist es noch lange, lange nicht Meinung der Landesregierung oder der sie tragenden Fraktionen.
Jetzt, lieber Kollege Lindner, kommen wir zu Ihrem Auftritt vorhin. Der hat sich nicht wohltuend von dem unterschieden, was der Kollege Hovenjürgen hier vorgetragen hat. Zumindest haben die Kollegen von der CDU, Herr Kufen und Herr Hovenjürgen, deutlich gemacht, dass die CDU sich ein Stück dafür entschieden hat, mit dem Klamauk aufzuhören. Die CDU hat gesehen, dass wir im RVR die Zielabweichungsverfahren beantragt haben, und hat heute deutlich gemacht: Wenn sie zu einem positiven Ergebnis führen, steht die CDU Gewehr bei Fuß, einen solchen Prozess mitzutragen.
Die FDP hat etwas ganz anderes getan. Die FDP hat heute – wahrscheinlich haben Sie vorher nicht geglaubt, dass wir wirklich dazu kommen – feststellen müssen: Rot und Grün versuchen in einem sehr sachlichen Verfahren, das, was Sie durch die Landesplanung von Schwarz und Gelb eingerissen haben, wieder Stück für Stück auf Füße zu stellen. Wir versuchen, nach Recht und Gesetz zu prüfen, wie die Situation, die wir vor Ort sehen und greifen können, auf eine rechtssichere planerische Grundlage gesetzt werden kann. Und Sie haben begriffen, dass es für Sie der industriepolitische Supergau ist, wenn uns das gelingen sollte, was unter Schwarz-Gelb gescheitert war, sprich: dass nämlich Datteln 4 unter Rot-Grün klappt. Das ist Ihr industriepolitischer Supergau, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall von der SPD)
Herr Lindner, ich finde es fast schäbig – dieser Eindruck muss hier entstehen –, dass Sie durch die Einforderung von Bekenntnissen versuchen, eine ordentliche, rechtssichere Abwägung und Prüfung und das von der Landesregierung angestrebte rechtssichere Ergebnis zu untergraben, um dann deutlich zu machen, dass es eine Vorfestlegung gab, die anschließend vor Gericht dazu führt, dass Ihr industriepolitischer Supergau vielleicht doch nicht eintritt. Es ist schäbig, aus rein parteipolitischen Erwägungen so mit diesem Thema umzugehen. Das macht man nicht,
(Beifall von der SPD)
wenn man wirklich um den Industriestandort Nordrhein-Westfalen besorgt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Der Landtag ist ein anderes Verfassungsorgan als die Landesregierung!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich die Aktuelle Stunde.
Wir kommen zur Abstimmung über den Inhalt des Eilantrages Drucksache 16/3503 der Fraktion der FDP. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der FDP mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Piraten bei Zustimmung der Fraktionen von FDP und CDU abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3436
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3512
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3521
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3522
Die Fraktion der Piraten hat Einzelabstimmung zu den einzelnen Ziffern beantragt. – Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der Piraten Herrn Kollegen Schwerd das Wort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf der Tribüne und an den Glasfaserkabeln. Und allen voran: Liebe Geheimdienstler und Sicherheitspolitiker! O tempora, o mores – wie lange, liebe Geheimdienstler und Sicherheitspolitiker, wollt ihr unsere Geduld noch missbrauchen? Wie lange noch werdet ihr uns mit eurem Wahnsinn, eurer Paranoia und eurem Misstrauen belästigen? Bis zu welchen Punkt wird sich die zügellose Frechheit eurer sogenannten Sicherheitspolitik noch vorwagen?
Seit zwei Wochen sitzt ein US-amerikanischer Bürger ohne gültigen Pass auf einem russischen Flughafen fest. Edward Snowden hat sein bisheriges Leben, seine Familie, seine Freiheit und seine Heimat aufgegeben, um der Weltöffentlichkeit von dem größten Überwachungs- und Spionageskandal unserer Zeit zu berichten.
(Beifall von den PIRATEN)
Dank Edward Snowden wissen wir nun sicher, was vorher nur eine Vermutung von „Alu-Hüten“ war.
US-amerikanische und britische Geheimdienste kopieren jede E-Mail, die wir schreiben, protokollieren jeden Chat, überwachen jedes Internettelefonat und speichern jeden Websiten-Besuch. Die NSA kennt jede Belastung Ihrer Kreditkarte. Sie weiß, was Ihre Kinder im Internet wirklich machen, ganz im Gegensatz zu Ihnen. Und sie ist über die politischen Pläne der Bundesregierung sicherlich besser informiert, als die Lobbyisten im Berliner Regierungsviertel.
Dank Edward Snowden wissen wir auch: Wir müssen nicht mehr vor Orwells „1984“ warnen. Die totale Überwachung findet bereits statt.
(Beifall von den PIRATEN)
Es handelt sich bei der Überwachung durch Prism und Tempora um den größten Eingriff aller Zeiten in die Grundrechte der Bürger der Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall von den PIRATEN)
Die bekannt gewordenen Überwachungsprogramme sind ein massiver und vorsätzlicher Eingriff in unsere Grundrechte als Bürger dieses Landes, die uns ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung garantieren sollen. Diese maßlose, außer Kontrolle geratene Überwachung durch ausländische Geheimdienste ist nichts weniger als ein Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
(Beifall von den PIRATEN)
Vielleicht sagen Sie sich, diese ganze Überwachung sei gar nicht so schlimm. Vielleicht glauben Sie, die Überwachung betrifft Sie nicht – Sie haben ja nichts zu verbergen. Mit dieser Begründung könnte man fordern, in jeder Wohnung in Deutschland eine Kamera zu installieren.
Vor allem aber steht diese Aussage im Widerspruch dazu, wie eine Demokratie funktionieren sollte. In einer Demokratie sollten nicht Geheimdienste entscheiden, was zum Schutz unserer Gesellschaft nötig ist.
(Beifall von den PIRATEN)
In einer Demokratie muss das Gegenteil gelten. Wir müssen öffentlich darüber diskutieren und demokratisch festlegen, wie viel Überwachung wir zulassen wollen. Wir müssen in der Lage sein, die Aktivitäten der Geheimdienste effektiv zu kontrollieren. Nicht alles, was technisch möglich ist, darf gemacht werden. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Demokratie auch im Zeitalter der Digitalisierung vor den Feinden der Freiheit verteidigt wird.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir Piraten haben hier im Landtag eine ganze Reihe von Anträgen vorgelegt, mit denen wir das Problem aus verschiedenen Richtungen angehen wollen. Wir haben detaillierte Vorschläge gemacht, von denen wir glauben, dass sie uns kurzfristig helfen werden. Darüber hinaus brauchen wir aber vor allem eines – ein deutliches Zeichen aller demokratischen Parteien in diesem Land, dass wir eine uferlose totalitäre Überwachung der Menschen in Deutschland nicht hinnehmen werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir fordern, dass die Bundesregierung ihren staatlichen Schutzauftrag endlich ernst nimmt. Wir laden Sie ein, mit uns gemeinsam ein Zeichen gegen paranoide Totalüberwachung, gegen unkontrollierte Geheimdienste, gegen die Aushöhlung der Demokratie im Namen vermeintlicher Sicherheit und für Freiheit, für die Geltung der Grundrechte und für ein Leben in Selbstbestimmung zu setzen. Im Gegensatz zu Edward Snowden haben wir noch eine Wahl. – Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Geyer.
Jens Geyer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeden Tag gibt es etwas Neues. Die Medien sind täglich voll von frischen Meldungen bezüglich Überwachung und Ausspähung. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Zuerst kamen die Vereinigten Staaten, welche mit ihrem Geheimdienst NSA weltweit Daten von mehreren Zettabytes abgreifen und alles damit bisher Bekannte in den Schatten stellen, dann kam der britische Geheimdienst mit seinem Programm Tempora. Massenweise werden Daten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern, staatlichen Institutionen und Unternehmen einfach durch ausländische Geheimdienste abgefangen und für ihre Interessen ausgewertet.
Unsere Freunde sammeln nicht nur Daten potenzieller Terroristen und sehen dies als Legitimation für ihr Handeln an, sondern sie sammeln auch Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger und Daten unserer politischen Institutionen. Von den europäischen Institutionen wissen wir es schon. Doch was ist mit unseren Landes- und Bundesministerien?
Natürlich darf nicht die hochmoderne Geheimdienstmethode des Scannens von Briefen in und durch die USA vergessen werden. Ich frage mich daher: Ist Deutschland noch ein souveräner Staat, wenn andere Geheimdienste auf deutschem Staatsgebiet unbehelligt agieren dürfen? – Sie verletzen vorsätzlich eine Vielzahl unserer verfassungsmäßigen Grundrechte.
(Beifall von den PIRATEN)
Explizit sei hier auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verwiesen, also auf den Schutz der Privatsphäre. Es ist Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützt wird und somit eine wesentliche Komponente der Menschenwürde darstellt. Sie ist nicht ohne Grund an prominenter Stelle des Grundgesetzes verankert. Wer die Debatte zur Internetüberwachung und zum Abhören durch den US-ame-rikanischen Geheimdienst NSA verfolgt, bei dem uns unsere Freunde – das ist ein Begriff, den es intensiver zu diskutieren gilt –
(Zuruf von den PIRATEN: Sogenannte Freunde!)
in einer nie gekannten Dimension systematisch ausspionieren, kann zu dem Schluss kommen, dass wir kein souveräner Staat sind, sondern noch immer ein besetztes Land. Oder arbeitet der Bundesnachrichtendienst Hand in Hand mit der NSA zusammen und stützt sich dabei auf geheime Zusatzabkommen? Wer das Magazin „Der Spiegel“ in dieser Woche gelesen hat oder die letzte Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dem zwingt sich dieser Eindruck förmlich auf. Diesen Sachverhalt gilt es umgehend aufzuklären.
Dies verwundert umso mehr, da die schwarz-gelbe – nennen wir sie mal – Bundesregierung doch immer durch ihre Klientelpolitik auffällt. Doch jetzt setzt sie sich nicht einmal mehr für die Interessen der deutschen Industrie ein und lässt weiter Wirtschaftsspionage zu.
Wir wollen eine umfassende und vollständige Aufklärung der US-amerikanischen geheimdienstlichen Aktivitäten und ihres Umfangs in Deutschland. Das gilt auch für die anderen Geheimdienste. Es kann nicht angehen, dass wir jeden Tag mit neuen Erkenntnissen konfrontiert werden, sei es aus den USA, aus Großbritannien oder Frankreich. Hier muss die Kanzlerin endlich detailliert Auskunft geben: Was weiß das Bundeskabinett und welche Rolle kommt dem Bundesnachrichtendienst zu?
Es geht um das Vertrauen der Bevölkerung und der Wirtschaft in den deutschen Staat, in den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland. Die Bundeskanzlerin und ihr Innenminister versagen an dem Punkt. Sie wiegeln ab, verharmlosen und versuchen, die Thematik herunterzuspielen. Die deutsche Öffentlichkeit verlangt Klarheit und Klartext. Ein Machtwort der Bundeskanzlerin ist notwendig. Gegenüber Freunden dürfen und müssen deutliche Worte fallen, auch in der Öffentlichkeit. Ein Aussitzen ist keine Lösung. Das ist schlichtweg die pure Arroganz der Macht. Frau Bundeskanzlerin, Sie sind gefordert.
Solange Gefahr besteht, dass die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten durch die US-Geheimdienste abgehört werden könnten, sind diese auszusetzen. Zu Recht hat die EU-Justizkommissarin Viviane Reding kürzlich darauf hingewiesen, dass das transatlantische Freihandelsabkommen nicht in einem Klima des gegenseitigen Misstrauens verhandelt werden kann.
Um auf meine anfängliche Frage zurückzukommen: Ja, Deutschland ist ein souveräner Staat.
Nach dem Völkerrecht gehört zur Souveränität der Staaten auch die Territorialhoheit auf dem Staatsgebiet. Ein Abfangen von Daten ist damit nur schwer vereinbar. Daher fordere ich Sie im Interesse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, dem Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Geyer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.
Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufregung, die Teile der Öffentlichkeit umfasst, und auch die Aufregung, die sich textlich in Ihren Entschließungsanträgen darstellt, kann ich durchaus verstehen. Die teilen wir teilweise auch.
Wer hier allerdings die Reden hört, sollte zu der Erkenntnis kommen, dass manche Themen in Berlin besser aufgehoben sind; denn da werden sie deutlich differenzierter und verständnisvoller behandelt.
(Zuruf und Lachen von Volker Münchow [SPD])
– Nach dem Motto: Wer schreit … – Wir wissen doch alle schon lange: Wer schreit, hat nicht recht. Von daher sollten Sie vielleicht in die Sachargumentation und den Austausch von Informationen eintreten.
(Zurufe von der SPD)
– Wir haben Ihnen allen zugehört. Vielleicht hilft es ein bisschen, die Position etwas weniger deutlich zu vertreten. Wir haben heute zwei Vorredner gehört, die massiv Tatsachen schilderten, von denen keiner weiß, wie sie wirklich sind. Wir haben Fragen zu stellen, und diese Fragen sind sicher richtig.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Sie wollen doch die Aufklärung nicht einmal haben!)
– Die erste und wichtigste auch für Sie, Herr Kollege, muss lauten: Was ist an diesen Presseberichten dran? – Wir haben nämlich bisher nur Meldungen aus der Presse, die rauf und runter diskutiert wurden. Und wir haben erste Stellungnahmen, die deutlich machen: So kann es nicht sein. – Wir haben Fragen gestellt. Die Bundesregierung hat Fragen gestellt. Die Fragen sind von den Internetunternehmen beantwortet worden. Sie sagen klipp und klar: Wir haben nicht flächendeckend Daten zur Verfügung gestellt.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das müssen sie doch gar nicht!)
Das ist das Gegenteil von dem, was in der Presse steht. Auch die Zuständigen in Washington haben erklärt: Das, was dort steht, ist nicht zutreffend. Wir halten uns an Recht und Gesetz.
(Lachen von den PIRATEN)
Und so schlecht …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Biesenbach, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Herrmann von der Fraktion der Piraten zulassen?
Peter Biesenbach (CDU): Nein.
So schlecht, wie Sie meinen, können die Gespräche gar nicht gewesen sein. Ich zitiere einmal Herrn Steinbrück, der ja nicht im Verdacht steht, auf unserer Seite zu diskutieren. Über ihn wird am 19. Juni berichtet: Bei dem in Deutschland kritisierten Spähprogramm Prism habe Obama sehr beeindruckend dargelegt, welche Spannungsbogen von nationaler Sicherheit und vollständiger Privatheit er sehe, sagte Steinbrück.
Wir haben heute noch nicht die Antworten. Aber Sie tun so, als ob sie da seien, und werfen der Regierung vor, sie müsse endlich handeln. Dabei hat die Bundesregierung längst zu handeln begonnen. Morgen wird der Bundesinnenminister nach Washington fliegen, um ganz persönlich Gespräche zu führen, bei denen es darum geht, Informationen zu bekommen.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Da bin ich aber gespannt!)
Der Bundesinnenminister hat weiter den Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes eingebracht, der im Bundestag debattiert wird. Das Europaparlament hat einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, der auch daran arbeitet, das, was behauptet wird, zu klären. Danach können wir debattieren, welche Folgerungen nötig sind. Denn, meine Damen und Herren, eines sollten Sie auch nicht vergessen: Wir wollen Freiheit. Aber es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit.
(Widerspruch von Marc Olejak [PIRATEN])
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Kollege Biesenbach, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwerd von den Piraten zulassen?
Peter Biesenbach (CDU): Ich lasse, Herr Präsident, nur sachliche Fragen zu. Aufgrund der Reden kann ich mir nicht vorstellen, dass die zu erwartenden Fragen sachlich sind.
(Lachen und Zurufe von den PIRATEN)
All das, was man der NSA unterstellt, ist offensichtlich technisch möglich. Und alles, was technisch möglich ist, ist auch durch die organisierte Kriminalität und durch Terroristen nutzbar. Darum geht es: hier einen Weg zu finden, der einerseits alle Interessen schützt und auf der anderen Seite aber auch die notwendige Sicherheit gibt. Denn es kann eines nicht sein: Es kann nicht sein, dass überzogene Vorschriften dazu führen, dass wir beispielsweise keine Kinderpornografie mehr verfolgen können.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Oh ja, das ist das Argument bei der Terrorismusbekämpfung!)
– Das mögen Sie ja vielleicht wollen, sonst würden Sie nicht so schreien. Wir wollen das nicht. Wir wollen ebenfalls nicht, dass Kriminalität im Seniorenbereich immer mehr zunimmt, weil wir keine Chancen mehr haben. – Wenn Sie Interesse an einer wirklich sachlichen Lösung haben, dann warten Sie mit uns gemeinsam ab, bis wir Klarheit haben und wissen, worüber wir reden. Dann können wir hingehen und fragen: Was ist denn notwendig, um die persönliche Freiheit zu schützen, aber auch – umgekehrt – das Internet nicht zu einem rechts- oder auch strafverfolgungsfreien Raum zu machen?
(Lachen von den PIRATEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Tut das weh!)
Das ist der Weg, den wir Ihnen anbieten. Wir sollten aber nicht heute jemanden vorverurteilen, ohne zu wissen, worum es wirklich geht.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Biesenbach, ich bitte Sie, am Rednerpult zu bleiben. Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Herrmann von der Fraktion der Piraten gemeldet. Bitte schön.
Frank Herrmann (PIRATEN): Danke schön. – Ich möchte es kurz und sachlich machen. Sie haben ausgeführt, dass so viele Fragen offen seien. Es sind sehr viele Fragen aufgeworfen worden. Es gab und gibt eigentlich noch die Chance, denjenigen, der mit verursacht hat, dass diese Fragen jetzt gestellt werden, nach Deutschland einzuladen und zu befragen. Warum tut die Bundesregierung das nicht? Ihr Innenminister könnte das veranlassen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Biesenbach.
Peter Biesenbach (CDU): Die Antwort ist wieder ganz simpel: Wir stehen am Anfang der Gespräche mit den Amerikanern. Wenn der Bundesinnenminister nach Washington fliegt, hat er die Chance, dort nicht nur einen zu befragen. Er hat die Chance, viele Gespräche zu führen, die notwendig sind. Was macht es für einen Sinn, jemanden aus Amerika wie einen Angeklagten nach hierhin zu zitieren?
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Der ist nicht Angeklagter! Sie haben es nicht verstanden!)
Das ist ja eine völlig andere Situation der Gespräche. Lassen Sie den Bundesinnenminister doch erst einmal in Washington arbeiten. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie alles schon wüssten! Wir reden immer davon, dass wir Dinge klären wollen. Dazu ist es erforderlich, den Sachverhalt zu kennen. Wenn Sie juristisch arbeiten würden, wüssten Sie: Wir klären erst einmal die Fakten. Danach kommen die Folgen. Und dann unterhalten wir uns über den Rest. – Das gilt auch für Herrn von Grünberg.
Wir haben die Geduld, abzuwarten. Wir sehen die Situation. Denn was wir hier besprechen, ist doch nichts anderes als eine medial angelegte Situation, die ich doch auch so machen würde. Jeder, der Informationen streuen möchte, macht es scheibchenweise; das ist doch völlig klar. Wir werden, nehme ich an, auch weiterhin Informationen bekommen, die aber nicht gleich als richtig unterstellt werden dürfen. Lassen Sie uns klären, was dran ist, und dann gemeinsam überlegen, wie wir damit umgehen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Abgeordnete Bolte das Wort.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesenbach, Sie haben gesagt, wir hätten noch nicht die Antworten. Genau das ist das Problem – weil nämlich die Bundesregierung nicht bereit ist, diese Antworten einzufordern.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Wir sind uns, meine Damen und Herren, weitgehend einig – das habe ich aus den Debatten der letzten Wochen mitgenommen –, dass die Programme Prism und Tempora massive und unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte der Bevölkerung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen darstellen. Es wäre gut, wenn die breite Empörung, die sich angesichts dieser massenhaften und anlasslosen Ausforschungen in der Bevölkerung breit macht, auch hier in diesem Haus breit getragen würde. Herr Biesenbach, da habe ich nach Ihrer Rede gewisse Zweifel, was Sie tatsächlich für ein Interesse an Aufklärung in diesem Bereich haben.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Liebe Kollegen und Kollegen, es wird gefühlt wirklich jeden Tag schlimmer. Meine Vorredner haben schon einiges genannt. Es hat mit Prism angefangen. Dann haben wir uns mit Tempora beschäftigen müssen, dann kam das Programm des französischen Geheimdienstes. Die schlechten Nachrichten, wer alles auf bisweilen zweifelhafter Grundlage unsere informationelle Selbstbestimmung missachtet, nehmen kein Ende. Das muss man sich klar machen, wenn wir hier und heute debattieren. Ich fürchte, die Spitze des Eisbergs ist da noch lange nicht erreicht.
In einer solchen Situation ist es notwendig, klar zu sagen: Die Vorwürfe und Vorgänge, die hier im Raum stehen – Herr Biesenbach, Sie haben nicht unrecht –, sind teilweise Dinge, bei denen es noch Klärungsbedarf gibt, völlig klar. Da würde ich auch nicht widersprechen. Nur: Man muss eben die Bereitschaft mitbringen, diese Aufklärung herbeizuführen. Denn diese Vorgänge sind unter Freunden, unter Partnern, wie es die Bundesrepublik, wie es die Vereinigten Staaten und auch Großbritannien sind, völlig inakzeptabel, falls sich die Vorwürfe bewahrheiten. Es ist gut, wenn der Landtag des größten deutschen Bundeslandes heute in aller Deutlichkeit eine Botschaft in dieser Hinsicht sendet.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Diese Deutlichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, vermisse ich bei denjenigen, die sie eigentlich äußern müssten. Wir erleben hier in vielerlei Hinsicht einen großen Angriff auf unsere Grundrechte, auf das Fundament unserer Freiheit. Und die Bundesregierung bewegt sich einfach nicht. Mein Eindruck ist: Der Bundesinnenminister, der für unsere verfassungsmäßigen Rechte einstehen müsste, ist schlicht und ergreifend überfordert und deshalb untätig. Und die Kanzlerin? Von ihr hört man seit ihrer Flucht nach „Neuland“ kein Wort mehr – kein Wort zum Datenaustausch, kein Wort zum BND. Ich weiß nicht, ob die Bundeskanzlerin überhaupt bereit ist, in dieser Affäre zur Aufklärung beizutragen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Es ist nichts Schlimmes, unter Freunden und unter Partnern schwierige Dinge anzusprechen – im Gegenteil. In einer guten Partnerschaft – die transatlantische Partnerschaft ist eine Partnerschaft, die sich in vielen Jahrzehnten und auch schon in schwierigen Situationen bewährt hat, zu der wir auch stehen – muss es möglich sein, in aller Offenheit die Fragen zu klären, die sich jetzt stellen. Dazu braucht es Mut und Willen, und bei der Bundesregierung fehlt beides.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen, auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Das ist auch im ursprünglich zugrundeliegenden Antrag angesprochen. Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ergibt sich nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Zusätzlich haben wir Regelungen in der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Ich will auch erwähnen, dass diese Rechte nicht irgendwo herkommen, sondern sie kommen daher, dass es Menschen gab, die sie eingefordert haben. Ich finde, wir hier in Deutschland mit dem hohen Datenschutzbewusstsein – das gilt auch in vielen anderen Staaten Europas – können tatsächlich stolz auf das sein, was in den letzten 30, 40 Jahren erreicht wurde. Ich bin auch stolz darauf, dass meine Partei – Stichwort „Volkszählungsproteste“; viele von Ihnen werden sich daran erinnern – intensiv daran beteiligt war.
Ich glaube, das, was großes Befremden in der Bevölkerung ausgelöst hat, war die Tatsache, dass alles das, was wir hier an Überwachungsaktionen im Rahmen von Prism und Tempora erleben, von einem Geheimgericht, jeder demokratischen Öffentlichkeit entzogen, angeordnet worden ist. Und das geht einfach nicht.
Es gibt natürlich ein legitimes Sicherheitsinteresse für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn dabei aber in Grundrechte eingegriffen wird, dann muss das – und das ist der springende Punkt – auf einer klaren gesetzlichen Grundlage geschehen. Und diese klare gesetzliche Grundlage ist die Garantie dafür, dass es ein parlamentarisches und ein öffentliches Verfahren gibt. Und das ist tatsächlich entscheidend.
Es darf nicht unverhältnismäßig sein, es darf keine anlasslose und uferlose Überwachung geben. Es darf nicht alles gespeichert, getauscht und weitergegeben werden. Der Grundsatz für Nachrichtendienste darf niemals lauten: Der Zweck heiligt die Mittel, der Zweck heiligt jede Sammlung von Informationen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.
Matthi Bolte (GRÜNE): Das alles muss angepackt werden. Ich hoffe, wir können heute ein starkes Signal dafür setzen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prism beschäftigt uns in diesen Tagen immer wieder. Ich möchte allerdings das Thema in einen anderen Kontext setzen. Im Prinzip beschäftigen uns dieser Tage zwei große Datenschutzthemen. Das ist zum einen das Thema „Prism“ mit den Spähprogrammen Tempora und diesen unglaublichen Dingen, die geschehen sind, die uns fassungslos werden lassen, die zeigen, wozu eine anlasslose Überwachung führen kann.
Es ist aber auf der anderen Seite auch das Thema „Vorratsdatenspeicherung“ auf EU-Ebene. In Luxemburg wird ein Verfahren geführt. Beides hat sehr eng miteinander zu tun, meine Damen und Herren. Denn wir können nicht auf der einen Seite hergehen und den Amerikanern sagen: „Das ist unlauter, was ihr da tut“, wenn wir auf der anderen Seite ohne Skrupel die Daten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland oder in der EU einfach auf Vorrat speichern, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Dazu hätte ich gerne auch von Rot-Grün etwas gehört. Es wurde hier mehrfach gesagt, die Bundesregierung tue beim Thema „Prism“ nichts. Ich kann Ihnen sagen: Die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat dafür gesorgt, dass es keine Vorratsdatenspeicherung mehr in Deutschland gibt, dass sie nicht wieder eingeführt wurde. Und ihr sozialdemokratischer Innenminister hat dies mehrfach vor dem Parlament und in den Ausschüssen beklagt, meine Damen und Herren. Was ist das denn für ein zwiespältiges Datenschutzverständnis? Was ist das denn für ein zwiespältiges Verständnis: „Die Einen dürfen das nicht, aber die anderen sollen es dürfen“? So können Sie keine seriöse Politik machen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Wenn Sie dann vielleicht Ihr eigenes Verfassungsschutzgesetz noch einmal zur Hand nehmen. Wir haben fraktionsintern einmal die Regelungen geprüft, die Sie hier vor 14 Tagen verabschiedet haben.
§ 5 Abs. 2 Nr. 10 VSG: In unseren Augen fehlt es da an der Bestimmtheit beim Abhören von Telekommunikation und Telemedien.
§ 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG: Nach unserem Verständnis ist er unverhältnismäßig bei der Erhebung von Zugangssicherungsdaten.
§ 5 Abs. 2 Nr. 15 VSG, Erhebung von Bestandsdaten: Nach unserem Verständnis ist diese Regelung unverhältnismäßig im engeren Sinne.
§ 5a Abs. 2 VSG, Unterbrechung der Aufzeichnung bei Kernbereichsinhalten: Hier ist in unseren Augen der Kernbereichsschutz verletzt.
Man könnte hier noch viele weitere Punkte nennen.
Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, dass die Debatte um Prism auch dazu führt, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen mehr Sensibilität beim Erheben von Daten von Bürgerinnen und Bürgern an den Tag legt.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Dr. Orth, es gibt eine Wortmeldung von Herrn Kollegen Herrmann von der Fraktion der Piraten.
Dr. Robert Orth (FDP): Ja, gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Frank Herrmann (PIRATEN): Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Dr. Orth. – Ist Ihnen bekannt, dass die FDP-Bundestagsfraktion dem Gesetz zur Bestandsdatenauskunft zugestimmt hat?
(Beifall von den PIRATEN)
Dr. Robert Orth (FDP): Wir haben jedenfalls keiner Regelung zugestimmt, die verfassungswidrig ist, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP – Lachen von den PIRATEN)
Ich möchte hier noch einmal an die Situation bei der Beratung des Verfassungsschutzgesetzes NRW erinnern. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung zu der Datenbank getroffen, und Rot-Grün sagt: Wir wissen, dass das alles bei dem, was wir hier verabschieden, nicht in Ordnung ist; wir haben aber keine Zeit mehr, das einzuarbeiten. – Meine Damen und Herren, so etwas hätten wir niemals gemacht. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Rumeiern!)
Ich würde mir auch wünschen, dass wir europaweit dazu kommen, Standards auf einem hohen Schutzniveau zu definieren, und damit letztendlich Vorreiter und Vorbild für andere in der Welt sind. Zumindest wir als Liberale würden so etwas, wie es in Amerika geschehen ist, niemals machen. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland versuchen, es besser vorzuleben. Da gibt es auch noch einiges zu tun. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Glückwunsch an die Piratenfraktion für dieses wunderbare Zitat – O tempora, o mores: Was für Zeiten, was für Sitten – aus der ersten Rede Ciceros vor dem römischen Senat!
(Marc Olejak [PIRATEN]: Gegen wen? – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Jetzt stellt sich heraus, wer aufgepasst hat!)
– Gegen Catilina im Jahre 63 vor Christus. – Darauf werde ich gleich gerne noch einmal zurückkommen.
(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])
– Man muss schon das Latinum haben, Herr Hegemann, oder ein gutes Zitate-Lexikon.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorwürfe, dass amerikanische und britische Nachrichtendienste in unzulässiger Weise die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union verletzt haben könnten, nimmt diese Landesregierung sehr ernst. Wir wollen erfahren, ob diese Vorwürfe, die in einzelnen Medien veröffentlicht worden sind, zutreffend sind und ob es flächendeckende, unkontrollierte und unverhältnismäßige Eingriffe in die Kommunikation von EU-Bürgern gegeben hat.
Wir wissen von offizieller Seite, von der Bundesregierung, dazu noch nichts, meine Damen und Herren. So gut wie alles, was in der Diskussion stattfindet, findet auf der Grundlage von Medienberichterstattungen statt. Es ist ein Problem, wenn man einen solchen Sachverhalt zu hundert Prozent aufklären will, vonseiten der politisch Verantwortlichen dazu bisher keinerlei Information erhalten zu haben.
Herr Biesenbach, es reicht eben nicht, wenn der Bundesinnenminister im Rahmen einer ohnehin schon lange geplanten Amerikareise mit der zweiten oder dritten Linie der US-Administration bei einer Tasse Kaffee mal die Auswirkungen dieses Vorgangs diskutiert. Wir erwarten von dieser Bundesregierung, dass sie auch auf befreundete Staaten aktiv zugeht und auf Erklärung und Aufklärung dessen dringt, was dort geschehen ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es darf nicht sein, dass ganz offensichtlich millionenfach Telekommunikationsinhalte – nicht die Verbindungen, sondern die Inhalte – durch Tempora und andere Maßnahmen wie Prism abgehört und gelesen werden konnten.
Herr Dr. Orth, Ihre Flucht – anders kann man es nicht mehr bezeichnen – hin dazu, Gesetzesgrundlagen, die in Nordrhein-Westfalen diskutiert werden oder jetzt gelten, als eine Soße mit Prism und Tempora zu verrühren, um vom Versagen Ihrer eigenen Bundesregierung abzulenken, ist schon eine Unverschämtheit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das Verfassungsschutzgesetz NRW, das den tiefen Eingriff des Abhörens rechtsstaatlich regelt, mit Tempora und Prism zu vergleichen, ist wirklich eine Argumentation, die man auch anders bezeichnen könnte als nur als schlecht, Herr Dr. Orth.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: In der Tat!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme noch einmal zu dem von den Piraten grandios gewählten Zitat aus der ersten Rede Ciceros zurück. Wir werden uns in den nächsten drei Tagen insgesamt vier oder fünf Mal mit dieser Thematik beschäftigen. Die Empörung, die alle Fraktionen heute in unterschiedlicher Intensität hier vorgetragen haben, gilt es zu Recht zu diskutieren. Ob das in den kommenden drei Tagen allerdings wirklich vier oder fünf Mal geschehen muss, weiß ich nicht.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ja!)
– Das weiß ich nicht. Man kann Dinge auch überdrehen.
Deshalb würde ich gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, wenn Sie schon ein Zitat aus dieser ersten Rede nehmen – O tempora, o mores –, auch den Beginn dieser Rede zitieren.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie …
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Gerne, Herr Präsident. Ich möchte vorher nur noch ganz kurz fortfahren. – Dieses Zitat ist nämlich mindestens genauso wichtig. Es lautet: Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? Das heißt: Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld missbrauchen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Herrmann zulassen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Minister. – Sie haben eben ausgeführt, dass in den USA die Telefoninhaltsdaten gespeichert würden. So etwas ist bisher noch nicht bekannt gewesen, glaube ich. Das würde das Ganze ja noch verrückter machen. Hauptsächlich werden Verbindungsdaten gespeichert.
Meine Frage lautet: Stehen Sie nach wie vor dazu, dass auch in Europa Verbindungsdaten gespeichert werden sollen? Befürworten Sie also nach wie vor die Vorratsdatenspeicherung?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Herrmann, Sie machen jetzt das Gleiche, was Herr Dr. Orth versucht hat. Ich glaube, in einer solchen Diskussion ist es nicht redlich, das zu tun
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Positionieren Sie sich!)
und die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen mit dem Missbrauch – und das ist ein Missbrauch, finde ich –, der mangelnden Rechtsgrundlage und dem Vorgehen der USA miteinander zu verrühren.
Wir sagen ganz deutlich: Deutschland braucht eine rechtsstaatliche Regelung dafür, dass in bestimmten Fällen der Strafverfolgung Verbindungsdaten den Ermittlungsbehörden unter ganz strengen Auflagen bekannt gemacht werden können. – Das hat nichts damit zu tun – da sind wir hoffentlich einer Meinung –, dass anlasslos alle Verbindungsdaten und möglicherweise sogar die Inhalte durch befreundete Nachrichtendienste in Europa abgehört worden sind. Das ist ein großer qualitativer Unterschied, Herr Herrmann. Das sollte man nicht in einen Topf werfen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Wir haben noch eine Wortmeldung von der Fraktion der Piraten. Die Kollegen haben noch 27 Sekunden. Herr Kollege Schwerd, Sie haben noch einmal das Wort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Wir haben gesehen, dass alle Fraktionen noch Entschließungsanträge nachgereicht haben. Ich habe den Reden nicht entnehmen können, warum man das getan hat und warum diese Entschließungsanträge besser sein sollen als unser Antrag. Bei SPD und Grünen habe ich das Gefühl, dass diese die Hälfte unserer Themen übernommen haben. Ich fände es sehr schade, wenn Sie aus diesem Grunde unserem Antrag nicht zustimmen könnten. Wir beantragen deswegen Einzelabstimmung, damit Sie sich die Teile herauspicken können, die Sie befürworten.
Dem FDP-Antrag kann man im Grunde zustimmen. Aber wir sehen nur das, was auf Bundesebene von Frau Leutheusser-Schnarrenberger gekommen ist.
Der CDU muss ich hinsichtlich ihres Antrages leider zurufen: Sie haben es immer noch nicht verstanden.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den Grünen)
Ich fände es peinlich, wenn Sie heute nicht über Ihren Schatten springen könnten. Bitte stimmen Sie trotzdem unserem Antrag zu, soweit Ihnen das möglich ist. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung.
Wir kommen nun zu einer Vielzahl von Abstimmungen zum Antrag Drucksache 16/3436. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung und gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung Einzelabstimmung zu den Nummern 1 bis 6 des Beschlussteils III beantragt. Da die Antragstellerin Einzelabstimmung beantragt hat, ist diese gemäß § 41 Abs. 2 der Geschäftsordnung durchzuführen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Abschnitt III Ziffer 1. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann ihr nicht zustimmen? – Wer enthält sich? –
(Anhaltende Unruhe – Das Präsidium berät sich.)
Diese Ziffer ist mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der Piraten bei Stimmenthaltung der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP abgelehnt.
Wir stimmen dann ab über Abschnitt III Ziffer 2. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann ihr nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Das ist das gleiche Ergebnis. Diese Ziffer ist mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der Piraten bei Stimmenthaltung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP abgelehnt.
(Anhaltende Unruhe)
– Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen um Aufmerksamkeit.
Wir kommen zur Abstimmung über Abschnitt III Ziffer 3. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann ihr nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Auch bei dieser Ziffer haben wir das gleiche Ergebnis. Sie ist mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der Piraten bei Stimmenthaltung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Abschnitt III Ziffer 4. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann ihr nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Ziffer mit den Stimmen von CDU gegen die Stimmen der Piraten bei Stimmenthaltung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Abschnitt III Ziffer 5. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann ihr nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Ziffer mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der Piraten bei Stimmenthaltung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Abschnitt III Ziffer 6. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann ihr nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Ziffer mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU bei Enthaltung der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Piraten abgelehnt.
Wir kommen damit zur Gesamtabstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/3436. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Fraktion der Piraten. Wer kann dem Antrag nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piraten bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der Piraten abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Drucksache 16/3512 der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Mehrzahl der Fraktion der Piraten bei zwei Enthaltungen der Piraten sowie bei Ablehnung der CDU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Drucksache 16/3521 der Fraktion der CDU. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten bei Zustimmung der CDU-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Drucksache 16/3522 der Fraktion der FDP. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der CDU-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion der FDP, der Mehrzahl der Fraktion der Piraten und bei zwei Enthaltungen der Piraten abgelehnt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir zu:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2880
Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3459
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3518
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3524
Ich weise darauf hin, dass die Fraktionen der CDU und der FDP zum Gesetzentwurf Drucksache 16/2880 eine namentliche Abstimmung beantragt haben. Alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass diese Abstimmung im unmittelbaren Anschluss an die Aussprache unabhängig von der abstimmungsfreien Mittagszeit stattfindet.
Ich eröffne die Beratung und erteile als Erstem dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Römer, das Wort.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Mit der zweiten Lesung des Besoldungsanpassungsgesetzes kommen wir heute zur Entscheidung über das viel diskutierte Gesetz. Es gibt Proteste von betroffenen Beamtinnen und Beamten und ihren Interessenverbänden, auch heute. Es gibt verständliche und auch überzogene Proteste. Es gibt in der Öffentlichkeit aber auch Verständnis für den Gesetzentwurf. Ich erfahre viel Zustimmung zu unserem Vorhaben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)
Deshalb stelle ich gleich zu Beginn der Debatte fest: Die heutige Entscheidung über eine sozial gestaffelte Besoldungsanpassung für die Jahre 2013/2014 hat nichts mit geringer Wertschätzung der Arbeit der beamteten Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu tun.
(Unruhe von der CDU und der FDP)
Dass wir die Arbeit wertschätzen, haben wir mehrfach bewiesen, meine Damen und Herren: erstens mit einem neuen Landespersonalvertretungsrecht, das den Beschäftigten und ihren Personalvertretungen wieder ein effektives Mitspracherecht sichert, gegen den erbitterten Widerstand von CDU und FDP,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
zweitens mit dem Verzicht auf den von Schwarz-Gelb verordneten 1,5%igen Stellenabbau nach dem Prinzip „Rasenmäher“, gegen die lautstarken Proteste von CDU und FDP,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
drittens mit dem Abbau der Leiharbeit beim Bau? und Liegenschaftsbetrieb und der Umwandlung dauerhaft befristeter Arbeitsverhältnisse in unbefristete im Bereich der Justiz, womit wir Altlasten der abgewählten schwarz-gelben Regierung beseitigt haben,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
viertens mit der Eins-zu-eins-Übertragung der Tarifsteigerung aus dem Jahre 2011 für alle Beamtinnen und Beamten.
Meine Damen und Herren, bei der Entscheidung zur Besoldungsanpassung geht es ausschließlich darum, ob und dass mit dem Gesetz eine Alimentation gewährt wird, die im Sinne von Art. 33 Abs. 5 unseres Grundgesetzes amtsangemessen ist, und zwar für jedes Amt, für das niedrige genauso wie für das höhere. Nur darum geht es.
Wir werden heute selbstverständlich ein verfassungskonformes Gesetz verabschieden.
(Lachen von der CDU)
Mit unserem Entschließungsantrag machen wir deutlich, dass und wie wir uns mit den vorgelegten Argumenten der Landesregierung intensiv auseinandergesetzt haben, wie wir Abwägungen vorgenommen haben.
(Dr. Wilhelm Droste [CDU]: Darin haben Sie Übung!)
Wir sind jedenfalls zu der klaren Feststellung gekommen: Die gestaffelte Übernahme des Tarifergebnisses ist verfassungskonform und – das ist uns ganz wichtig, meine Damen und Herren – eine sozial vertretbare, faire und gerechte Entscheidung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, ich gebe es gerne zu: Die Entscheidung hat sich kein Mitglied der regierungstragenden Fraktionen leicht gemacht. Wir haben sorgfältig abgewogen und bewertet, auch weil die Personalausgaben mit rund 43 % neben all den anderen gesetzlichen Aufgaben ein gewaltiger Teil des Haushalts sind. Bewusst haben wir uns gegen einen massiven Stellenabbau entschieden, wie er ansonsten im Umfang von mindestens 14.000 Stellen notwendig wäre.
(Zuruf von der CDU: Das ist falsch!)
Wir haben uns gegen einen Stellenabbau entschieden, wie er von CDU und FDP immer wieder gefordert wird, heute Morgen noch von dem Kollegen Lindner.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Warum, meine Damen und Herren? – Bei der derzeitigen Verteilung des Personals über alle Einzelpläne würde dieser Stellenabbau konkret bedeuten: 7.538 Lehrerinnen und Lehrer weniger, 2.224 Polizistinnen und Polizisten weniger, umgerechnet also beispielsweise der Verzicht auf fast zwei Aus-bildungsjahrgänge, 1.564 Justizbeamtinnen und ?beamte weniger, 1.187 Finanzbeamte weniger und 1.487 Beamtinnen und Beamte in den Ministerien sowie den weiteren Landesbehörden weniger. – Stattdessen, meine Damen und Herren, setzen wir auf Beschäftigungssicherung. Das ist der entscheidende Unterschied zu Ihnen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich gebe es gerne zu: Ich wundere mich schon, dass diese Beschäftigungssicherung von den Protestierenden – vor allem von den Verbänden und den Gewerkschaften – offensichtlich nur geringgeschätzt wird. Darüber wundere ich mich schon angesichts der Situation auch in vielen Bereichen der privaten Wirtschaft, in vielen Unternehmen und in vielen Betrieben.
Die geforderte uneingeschränkte Übernahme des Tarifabschlusses, meine Damen und Herren, für den gesamten öffentlichen Dienst würde 1,31 Milliarden € für nur zwei Jahre kosten und strukturell die Personalkosen deutlich weiter steigern. Der Gesetzentwurf mit der sozial gestaffelten Übernahme des Tarifergebnisses sieht dagegen eine Ausgabensteigerung von gut 600 Millionen € vor. Immer noch 600 Millionen €, aber keine 1.310 Millionen €, meine Damen und Herren. Das ist der Unterschied.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben nach reiflicher Abwägung eine ausgewogene Entscheidung getroffen, und zwar auf der Grundlage der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Februar 2012. Dort heißt es – ich zitiere –:
„Bei der Konkretisierung der aus Art. 33 Abs. 5 GG resultierenden Pflicht zur amtsangemessenen Alimentierung besitzt der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum. Das gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der Höhe der Besoldung. Diese ist der Verfassung nicht unmittelbar als fester und exakt bezifferter bzw. bezifferbarer Betrag zu entnehmen. Insofern stellt die in Art. 33 Abs. 5 GG enthaltene Garantie eines amtsangemessenen Unterhalts lediglich eine den Besoldungsgesetzgeber in die Pflicht nehmende verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive dar. Innerhalb seines weiten Spielraums politischen Ermessens darf der Gesetzgeber das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anpassen.“
Im Ergebnis beschränkt sich also die materielle Prüfung auf die Frage, ob die den Beamten gewährten Bezüge evident – also augenscheinlich – unzureichend sind. Das darauf zu beschränken, ist ja auch konsequent, weil die Judikative nach unserer Verfassungsordnung, meine Damen und Herren, nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten kann und darf.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die die Regierung tragenden Fraktionen haben sich sowohl im Unterausschuss „Personal“ als auch im Haushalts- und Finanzausschuss, im Rechtsausschuss, im Innenausschuss und auch in den beiden Fraktionen ganz intensiv mit dem Gesetzentwurf, der Vorlage der Landesregierung und den vielen Argumenten aus den eingegangenen Briefen und Mails sowie den Ergebnissen der Anhörung auseinandergesetzt. Von einem Durchziehen, Durchwinken oder gar Durchpeitschen kann überhaupt keine Rede sein. Ihr Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von CDU und FDP, hingegen ist – um im Sprachgebrauch des Kollegen Lindner zu bleiben – „dünne Suppe“.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es ist für uns selbstverständlich, Besoldungsfragen sowohl in ihrer einfachgesetzlichen als auch in der verfassungsrechtlichen Tragweite zu prüfen und zu berücksichtigen. Was ist die Basis für unsere Vergleichsberechnungen? – Selbstverständlich ist die Amtsangemessenheit der A-Besoldung zum 31. Dezember 2012 die Basis. Davon müssen wir ausgehen; denn sonst hätte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. Februar 2012 beim Vergleich der W-Besoldung mit den Ämtern A13 bis A15 Zweifel daran äußern müssen. Das hat es nicht getan.
Da die Besoldung in Nordrhein-Westfalen im Betrachtungszeitraum sogar noch über die Werte der hessischen A-Besoldung, die im Verfahren Vergleichsgegenstand zur W-Besoldung war, angestiegen ist, ist eindeutig klar: Die Basis für die weitere Prüfung ist eine angemessene Alimentation am 31. Dezember 2012, und die W-Besoldung, meine Damen und Herren, ist inzwischen entsprechend amtsangemessen angepasst.
Wir haben – mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Vergleiche herangezogen: Dabei geht es erstens um Vergleichsgruppen innerhalb des Besoldungs- und Tarifsystems, zweitens um Vergleiche mit der Lohnentwicklung der Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes und drittens um Ergänzung durch den Gehaltsvergleich mit der Privatwirtschaft. Diese Vergleichsrechnungen, meine Damen und Herren, ergeben aus unserer Sicht: Die Amtsangemessenheit der Besoldung ist bei den Besoldungsgruppen bis einschließlich A10, bei A11 und A12 sowie auch ab A13 vorgesehen und vorgegeben. Das Abstandsgebot ist nicht verletzt. Es gibt keinen Verstoß gegen Beamten- oder gar Gleichheitsrecht. – Das ist das Ergebnis unserer Prüfung, meine Damen und Herren.
In den zurückliegenden Wochen – das nehme ich noch einmal auf – war oft der Vorwurf zu hören, dass die soziale Staffelung zu einem Sonderopfer – besonders von A13 und höher – führen würde. Der Vorwurf ist falsch. Es gibt weder ein Sonderopfer der gesamten Beamtenschaft noch einer Gruppe innerhalb der Beamtenschaft, weil die notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen der Landesregierung und des Landtags am Landeshaushalt eben nicht allein die beamteten Beschäftigten treffen. Es gibt noch nicht einmal eine totale Nullrunde; denn wenn wir die Tarifübertragung auf die Zulagen miteinrechnen, hat zum Beispiel auch ein Lehrer in A13 ein Mehreinkommen von 0,6 % in 2014. Und das Land übernimmt selbstverständlich zusätzlich die 0,2%ige Zuführung an den Versorgungsfonds.
Dass es nicht nur Sparmaßnahmen bei den Beamtinnen und Beamten gibt, zeigt ein Blick in die Entscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben. Die Abgeordneten verzichten in 2013 und 2014 auf die anstehenden Erhöhungen. Das haben wir gemeinsam beschlossen. Mit dem Haushalt 2013 hat es insgesamt Einsparungen in der Größenordnung von 970 Millionen € – globale Minderausgaben und strukturelle Kürzungen von Förderprogrammen – gegeben. Wir haben gegen Ihre Proteste unter anderem bei Kunst, Kultur, Sport, Straßenbaumaßnahmen, Landeszentralen, dem Kleingartenwesen, den Rennvereinen und der Denkmalpflege gespart. Dagegen haben Sie protestiert und wollen jetzt eine Eins-zu-eins-Übertragung. Das ist doch pharisäerhaft, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, wir haben in unserem Entschließungsantrag sehr ausführlich und nachlesbar für alle dokumentiert, dass und wie wir abgewogen haben, was und wie wir geprüft haben. Selbstverständlich haben wir auch festgehalten, zu welchen Ergebnissen wir gekommen sind. Ich sage es Ihnen mit aller Klarheit: Das von Ihnen angedrohte Klageverfahren sehen wir mit aller Gelassenheit auf uns zukommen.
(Dr. Wilhelm Droste [CDU]: Das haben Sie immer getan! Das ist auch gut so!)
– Schauen Sie einmal in Ihren Entschließungsantrag hinein, Herr Kollege Droste. Sie haben nicht ein einziges Mal und an keiner einzigen Stelle ein Arbeitsergebnis Ihrer Prüfungen vorgelegt. Sie leben von Ihren Vorbehalten und Vorurteilen, Sie leben von einer populistischen Empörungsmaschinerie, die der Kollege Lindner beispielhaft in Gang setzt. Deshalb werden Sie damit auch scheitern, meine Damen und Herren!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Armin Laschet [CDU]: Andere Anhörung!)
Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Wenn wir die Personalkosten weiter ungebremst steigen ließen, müssten wir schon vor 2020 einen ganz massiven Personalabbau vornehmen.
(Armin Laschet [CDU]: Ja!)
– Ich weiß, dass Sie den wollen, Herr Kollege Laschet. Sagen Sie das einmal den demonstrierenden Leuten!
(Zuruf von der CDU: Haben wir!)
Um nicht missverstanden zu werden, meine Damen und Herren: Selbstverständlich wird es auch Personalanpassungen geben, beispielsweise wenn Aufgaben wegfallen oder wenn beispielsweise aufgrund der demographischen Entwicklung weniger Aufgaben zu bewerkstelligen sein werden. Dann wird es das geben; aber nicht mit dem Rasenmäher, unkontrolliert und ohne Augenmaß. Das machen wir nicht mit, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich fasse also zusammen: Wir kommen – das beweist unser Entschließungsantrag – zu überzeugenden Begründungen dafür, dass eine sozial gestaffelte Übernahme des Tarifabschlusses auf die beamteten Beschäftigten und die Richterschaft für die nächsten beiden Jahre sozial vernünftig, fair, gerecht und verfassungskonform ist.
Meine Damen und Herren, diese Besoldungsanpassung ist amtsangemessen. Ich wiederhole es gerne für uns, Herr Kollege Lindner: Sie ist fair und sozial gerecht! – Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir unserem Entschließungsantrag und selbstverständlich auch dem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank fürs Zuhören!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Nun spricht für die CDU-Fraktion deren Fraktionsvorsitzender Herr Laumann.
Karl-Josef Laumann (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder hat – mit Zustimmung des Landes Nordrhein-Westfalen – am 9. März einen Tarifabschluss verabschiedet. Der lautet für 2013 2,65 %, für 2014 2,95 %. Ich sage es noch einmal: mit Zustimmung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Mein erster Punkt der Kritik: Frau Kraft, seitdem Sie hier Ministerpräsidentin sind, beteiligt sich das Land Nordrhein-Westfalen nicht mehr in der Tarifkommission der Tarifgemeinschaft deutscher Länder. Das größte deutsche Bundesland muss auch dort Verantwortung übernehmen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Sie haben einen Kabinettbeschluss gefasst: Die Beamten bis einschließlich A10 bekommen das vereinbarte Geld, Beamte von A11 bis A12 bekommen 1 %. Bei A11 reden wir von Menschen, die ein Eingangsgehalt von 2.700 € und ein Endstufengehalt von 3.600 € haben. Sie haben entschieden: Ab A13 gibt es für zwei Jahre nichts. Es geht um Menschen, die ein Eingangsgehalt von 3.200 € bzw. ein Endstufengehalt von 4.400 € haben.
Wissen Sie, was ich nicht verstehe: Ich verstehe nicht, dass man einem Tarifvertrag zustimmt, den man anschließend nicht umsetzen kann.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Außerdem verstehe ich überhaupt nicht, dass Sie einen solchen Kabinettsbeschluss fassen, ohne mit den Vertretungen der Beamten in Nordrhein-Westfalen darüber zu reden. Das verstehe ich nun überhaupt nicht.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wahrheit ist doch: Wenn das Kabinett einen Basta-Beschluss fasst, ohne mit den Vertretungen der Betroffenen zu reden, dann ist das genau das, was wir alle gemeinsam von den Unternehmern in der Privatwirtschaft nicht sehen wollen. Herr Römer, das sollten Sie mit Ihrer beruflichen Vergangenheit, die ehrenwert ist, Ihre Partei und Sie, Frau Ministerpräsidentin, wissen, die Sie immer durch das Land laufen und von guter Arbeit und davon reden, dass man die Tarifvertragsparteien achten muss.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Jeder von uns, der schon ein paar Tage auf der Welt ist und ein bisschen Erfahrung gesammelt hat, weiß: Wenn man schwere Aufgaben vor sich hat – wir haben im Bund, in Nordrhein-Westfalen und in den Kommunen mit der Einhaltung der Schuldenbremse eine schwere Aufgabe vor uns –, dann kann man das Ziel nur erreichen, wenn man das mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemeinschaftlich angeht.
Nach Gesprächen mit den Beamtenvertretungen in Nordrhein-Westfalen weiß ich, dass es Ihre Pflicht und Schuldigkeit gewesen wäre, mit den Verbänden, den Betroffenen und Mitarbeitern unseres Landes ein Konzept zu erarbeiten, wie wir einen leistungsfähigen und effizienten öffentlichen Dienst auf den Weg bringen, der unter dem Gesichtspunkt der Schuldenbremse und den finanziellen Möglichkeiten des Landes Nordrhein-Westfalen angemessen bezahlt wird. Genau das haben Sie nicht gemacht.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Frau Ministerpräsidentin, ich kann mich erinnern: Als Sie ins Amt gekommen sind, haben Sie von der „Koalition der Einladung“ gesprochen. Davon ist ja sowieso nichts übrig geblieben. Ich habe Ihnen damals sogar abgenommen, dass Sie einen anderen Regierungsstil pflegen. Dass Sie mittlerweile mit Ihrer Mehrheit hier im Landtag die Koalition der Einladung nicht mehr machen – geschenkt. Aber dass Sie als Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, die Sie ja auch noch sind, nicht einmal mehr mit der Arbeitnehmervertretung über Löhne sprechen, das macht deutlich, dass die Arroganz der Macht Sie erreicht hat!
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)
Ich bin im Übrigen, Herr Römer und Mitglieder der Landesregierung, fest davon überzeugt, dass wir die Schuldenbremse in Nordrhein-Westfalen wirklich nur erreichen, wenn wir Strukturreformen machen, auch im Verwaltungsaufbau unseres Landes.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Wo denn?)
Der Landesrechnungshof hat Ihnen auch gesagt, dass es notwendig ist. Heute ist der Haushalt 2014 vorgestellt worden: Da geht es ja auch um Einsparungen beim Personal. Dann haben Sie zumindest das eingespart, was Sie in der Zeit der Minderheitsregierung draufgelegt haben.
(Beifall von der CDU)
Was ich jetzt aber gar nicht verstehe, Herr Römer, ist, dass die Landesregierung, die sagt, wir dürfen keinen Personalabbau machen, wir dürfen an diese etwa 43 % der Ausgaben nicht heran, zugleich von jeder Stärkungspaktkommune erwartet, dass die bis zu 20 % ihres Personals einspart. Messen Sie hier eigentlich mit zwei Ellen?
(Lebhafter Beifall von der CDU – Zuruf von Marc Herter [SPD])
Wir haben am 18. Juni im Unterausschuss „Personal“ eine Anhörung über diesen Gesetzentwurf gehabt. Das Anhörungsergebnis ist eindeutig: Von 21 gehörten Institutionen haben 20 gesagt, dass das, was da jetzt gemacht wird, gar nicht geht, sich mit der Verfassung nicht vereinbaren lässt.
Wissen Sie, wenn man eine Anhörung gemacht hat – und dafür machen wir die ja im Parlament –, dann muss man sich auch mit dem Ergebnis auseinandersetzen.
(Norbert Römer [SPD]: Das haben wir gemacht!)
– Ja, wir auch. Natürlich haben wir Expertisen von Staatsrechtlern, von Verfassungsrechtlern eingeholt, wie das einzustufen ist. Und wir kommen zu dem Ergebnis – ich sage Ihnen das ganz klar –: Sie laufen sehenden Auges in einen weiteren Verfassungsbruch. Selbst der Entschließungsantrag, der heute Morgen vorgelegt wurde, ändert – nach einer ersten Untersuchung – überhaupt nichts an dieser Tatsache.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich weiß ja auch, was hier vorgeht. Ich bin 22 Jahre lang Abgeordneter, ich habe ja auch schon verschiedene Rollen gehabt. Was hier passiert, ist, dass sich eine Landesregierung jetzt ganz bewusst durchsetzen will und damit in Kauf nimmt, die Abgeordneten, die sie tragen, in einen Loyalitätskonflikt mit Regierung und Verfassung zu bringen. Das ist ein schlechter Regierungsstil.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dann habe ich mich gefragt: Wie denkt eigentlich angesichts dieser Tatsache eine Lehrerin, die vor einer Schulklasse steht und den Kindern im Politikunterricht vermittelt …
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Angestellte Lehrerin oder verbeamtet?)
– Verbeamtet! Also: Eine Lehrerin – verbeamtet wie die meisten – steht vor einer Schulklasse und soll den Kindern beibringen, dass man Achtung vor demokratisch zustandegekommenen Gesetzen haben muss, selbst dann, wenn man die Gesetze nicht gut findet. Die Lehrerin soll den Kindern beibringen, dass man unsere Verfassung im Land achten und verteidigen soll, weil sie die Grundlage unserer Demokratie ist. Was denkt diese Lehrerin, wenn sie weiß, dass sich die Schulministerin am offenen Verfassungsbruch beteiligt?
(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Die angestellte Lehrerin muss bei Ihnen um den Arbeitsplatz bangen!)
Und was mögen heute ein junger Polizist, eine junge Polizistin denken, die eingesetzt werden bei gewaltvollen Demonstrationen, um das Recht der Versammlungsfreiheit unserer Verfassung zu verteidigen, wenn sie wissen, dass die Landesregierung jetzt offenen Auges ein Gesetz durchpeitscht, das mit der Verfassung nicht vereinbar ist?
(Beifall von der CDU und der FDP)
Meine Sorge ist – das lassen Sie mich zum Schluss sagen –, dass das, was hier heute im Landtag stattfindet, keine gute Stunde für den Landtag wird.
(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Wohl wahr!)
Deswegen werden wir eine namentliche Abstimmung beantragen: damit klar ist, wie man sich hier entschieden hat.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Gebhard?
Karl-Josef Laumann (CDU): Nein, zurzeit nicht. – Wir haben uns das mit der Verfassungsklage nicht leicht gemacht. Es hätte für mich auch großen Charme gehabt, dass Zehntausende von Beamten ihren Arbeitgeber auf gerechten Lohn verklagen. Wir sind diesen Weg dennoch gegangen, weil wir diese Woche in allen Ausschüssen feststellen mussten, dass Sie nicht einmal mehr neuen Argumenten zugänglich sind. Und dann ist es Aufgabe der Opposition, dafür zu sorgen, dass die Regierung die Verfassung unseres Landes einhält. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Laumann. – Ich darf Sie an das Pult zurückbitten; aber das hält ja jung und frisch. Wir haben eine Kurzintervention von Frau Gebhard, angemeldet durch die parlamentarische Geschäftsführung der SPD-Fraktion. Sie haben dann Gelegenheit, in 90 Sekunden zu antworten. – Zunächst aber hat Frau Gebhard 90 Sekunden Zeit für ihre Kurzintervention. Bitte schön.
Heike Gebhard (SPD): Danke schön, Herr Präsident. – Herr Kollege Laumann, Sie haben sich in Ihrem Beitrag zwar auf die Anhörung bezogen, aber in keiner Weise, an keiner Stelle selbst deutlich gemacht, wo Sie als Fraktionsvorsitzender eine Verfassungswidrigkeit sehen, und sind auf kein einziges Argument, das wir in den verschiedenen Ausschüssen in den Beratungen angeführt haben, eingegangen.
Sie haben als Arbeitsminister bis 2010 die Amtsangemessenheit der Besoldung festgestellt und sicherlich zur Kenntnis genommen, dass für 2011 bereits eine Eins-zu-eins-Anpassung erfolgt ist. Woraus schließen Sie denn jetzt, dass im Jahr 2013 auf einmal eine evidente Unteralimentation bei A13 vorliegt? Wie kann die so plötzlich eingetreten sein? Dazu haben Sie nichts gesagt, zumal Sie sicherlich wissen, dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass genau dies zu untersuchen ist. Zugleich hat es festgestellt, dass nicht die prozentuale Steigerung außerhalb des öffentlichen Dienstes Grundlage der Entscheidung ist, sondern dass die Nettolöhne zu betrachten sind.
Karl-Josef Laumann (CDU): Frau Gebhard, für die CDU-Fraktion wird zur Frage der juristischen Beurteilung noch unser Justiziar Dr. Droste Stellung nehmen, der im Übrigen auch die Klage für uns organisieren wird.
Ich sage Ihnen aber: Man hätte so verfahren können, wie Sie jetzt verfahren, – das hat Ihnen auch der Landesrechnungshof ins Zeugnis geschrieben –, wenn es in diesem Land ein Gesamtkonzept zur Konsolidierung geben würde. Aber selbst der Landesrechnungshof sagt, dass ein solches Konzept nicht zu erkennen sei.
Wir können dieses Konzept auch nicht erkennen. Alle Vorschläge, die wir zur Konsolidierung und zur Einhaltung der Schuldenbremse gemacht haben, sind verworfen worden.
Eine Landesregierung, die beim Schuldenmachen gleich dreimal die Verfassung bricht und jetzt schon wieder, kann man nur als merkwürdig bezeichnen.
(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank. – Nun spricht als nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Fraktionsvorsitzende Herr Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Kollegin Frau Gebhard, keine Antwort ist auch eine Antwort.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich hatte heute Morgen auf der Fahrt in den Landtag schon das Vergnügen, Herrn Lindner im Radio zu hören. Jetzt habe ich Herrn Laumann gehört. Und ich muss Ihnen sagen: Für die Krokodilstränen, die Sie hier eben vergossen haben, müsste Minister Remmel die Deiche am Niederrhein ab morgen höher bauen.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Kollege Laumann, Sie haben eben etwas zur Beteiligung der Arbeitnehmer gesagt. Sie haben ja manchmal ein kurzes Gedächtnis, darum möchte ich Sie gerne an Folgendes erinnern: Sie haben das Landespersonalvertretungsgesetz geändert; Sie haben PEM eingeführt; Sie haben Personalabbau betrieben. Wie hat es denn da mit den Arbeitnehmerrechten bei Ihnen ausgesehen?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Sie zeigen auf andere, wissen aber sehr genau, was Sie selbst damals gemacht haben. Ihr Verhalten heute fällt daher eindeutig unter die Rubrik „Krokodilstränen“.
Sie haben vorhin gesagt: Wir wissen, dass die Haushaltslage schwierig ist. – Das ist richtig. Alle betonen immer die Notwendigkeit, dass gespart werden muss. Aber bei jeder konkreten Maßnahme, die wir vorschlagen – egal ob größer oder kleiner –, machen sich CDU oder FDP einen schlanken Fuß. Sie beschäftigen sich mit den Sparnotwendigkeiten allgemein, aber leider nicht konkret in der Sache.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt fordern Sie eine vollständige Umsetzung des Tarifvertrages.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Hören Sie doch mal genau zu! – Weitere Zurufe von der CDU)
Statt dort Abstriche hinzunehmen, wollen Sie das Personal reduzieren.
(Zurufe von der CDU)
– Sie haben Zahlen genannt; darauf komme ich gleich noch zu sprechen. – Glaubt denn irgendjemand hier im Saal, dass die Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition hinter uns stünden und uns unterstützen würden, wenn wir ein umfangreiches Personalabbauprogramm zwecks Einsparungen durchziehen würden?
(Zuruf von der CDU: Ja!)
Das glaubt doch niemand! Sie wären sofort weg und würden uns von der anderen Seite angreifen.
(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])
– Lieber Kollege Lienenkämper, die CDU hat eine ganz besonders originelle Art von Personaleinsparvorschlägen. Sie sagen in der Regel – darauf hatte ich nur gewartet –, es müsse gespart werden, aber nicht bei den Hochschulen. Zur Erinnerung: Wir finanzieren über Landesmittel 116.000 Stellen an den Hochschulen. Das müssen wir machen, vor allem angesichts des doppelten Abiturjahrgangs. Da möchte ich die CDU erleben, wenn wir ankündigen würden, dort jetzt ein paar Tausend Stellen zu streichen.
Sie sagen, bei der Bildung dürfe nicht gespart werden. Wir haben das Schulgesetz gemeinsam beschlossen.
(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])
Es wurde vereinbart, dass die Regelungen zehn Jahre lang nicht angetastet und dass Klassenstärken reduziert werden. Wir sind vertragstreu. Sie aber wollen gleichzeitig, dass dort gespart wird.
Das heißt: Wenn es nach Ihnen geht, darf bei den Hochschulen nicht gespart werden, auch bei der Bildung darf nicht gespart werden. Bei der Polizei darf auf gar keinen Fall gespart werden. – Herr Kollege Laschet, Sie gucken mich an. Sie sagen doch immer so freundlich zu mir, ich sei ein Sicherheitsrisiko, und das nur deshalb, weil ich es gewagt habe, darüber nachzudenken, ob in Düsseldorf ebenso verfahren werden könne wie im Polizeipräsidium Aachen. – Bei der Justiz kommt Ihrer Meinung nach Sparen auch nicht infrage, ebenso wenig bei den Finanzen. Das heißt für Sie: Personaleinsparungen ja, aber nur bei den Ministerien – 4.000 Stellen –, vielleicht noch bei den Regierungspräsidien.
Und dann werden Sie ganz originell. Sie wollen, dass wir mindestens 10 % der Beschäftigten einsparen, so wie im Saarland. Das hieße: 40.000 Stellen, die finanziert werden müssten. Eben hat der Kollege Laumann davon gesprochen, dass von den Kommunen eine Personaleinsparung von 20 % verlangt wird. Ich gehe davon aus, dass dies eine analoge Zahl ist.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])
– Sie haben ja nur gesagt: 20 %. Das wäre das Äquivalent von 80.000 Stellen. – Diese merkwürdige CDU-Mathematik, wie im Saarland mindestens 40.000 Stellenäquivalente zu sparen, würde bedeuten, 4.000 Beschäftigte in den Ministerien einzusparen.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Das führt aber zu schwarzen Zahlen!)
Das ist negative Mathematik. Das können auch nur Sie!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es ist richtig, dass dem Landeshaushalt eine Reihe von Risiken drohen. Das wissen wir ganz genau. Glauben Sie mir, dass wir deswegen manches Mal schlaflose Nächte haben.
Sie kommen immer wieder mit dem Thema „WestLB“. Das lesen wir auch in vielen Zuschriften von Menschen, die das Ganze offensichtlich ebenfalls nicht verstehen. Ich will es noch mal ganz klar sagen: Es gibt Risiken im Zusammenhang mit der WestLB, und da müssen wir Vorsorge betreiben.
Die CDU hat überhaupt keinen Grund, sich hier einen schlanken Fuß zu machen. Sie waren doch immer an allem beteiligt. Was auch immer wieder vergessen wird: Mehrheitseigner der WestLB waren die Sparkassenverbände, und zwar immer unter Federführung der Christdemokraten. Jetzt wollen Sie der SPD alle Altlasten anhängen.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])
– Herr Kollege Laumann, das ist einfach nicht redlich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben Risiken, was die Zinsentwicklung angeht; das wissen wir auch. Genau das treibt uns dazu, die Haushaltspolitik sorgfältig anzugehen.
(Lachen von der CDU)
– Sie haben keinen Anlass zu lachen. – Das größte Risiko für uns und unseren Haushalt ist diese Bundesregierung, um auch das ganz klar zu sagen.
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Lachen von der CDU)
Doch! Es ist so, ganz eindeutig. Sie haben uns in den letzten Jahren mehrere Milliarden Euro geraubt durch Beschlüsse, die Sie in der Bundesregierung gefasst haben. Erst mit dem mutigen Schritt in die Minderheitsregierung haben wir Ihre Bundesratsmehrheit gestoppt und diesen Raubzügen vorerst ein Ende gesetzt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt kommen Sie allen Ernstes damit, dass Ihre Vorsitzende, die Bundeskanzlerin, zur Bundestagswahl 28 Milliarden € zusätzlich verspricht.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Jawoll!)
Mir sagt meine Erfahrung: Wir sind mit 10 % dabei. Das Risiko beträgt 2,8 Milliarden € pro Jahr für NRW. Allein die Kindergeld- und Kinderfreibetragsoperation, die Sie vorhaben,
(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])
macht 8 Milliarden € im Volumen aus und bedeutet für uns fast 800 Millionen € pro Jahr. Das ist das größte Risiko. Wie man dazu Ja sagen, die Kanzlerin in Bad Salzuflen feiern und das dann uns hier vorwerfen kann, das kriege ich nicht übereinander. Das kann man nur, wenn man aronal & elmex heißt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Lassen Sie mich sagen: Ich kann jeden Satz, den der Kollege Römer eben zu den Abwägungsprozessen und den Bewertungen gesagt hat, unterschreiben. Ich muss sie nicht noch mal alle nennen. Ich kann mich nur bei den Kollegen aus dem Haushalts- und Finanzausschuss und aus dem Rechtsausschuss bedanken, die in langen Sitzungen, in vielen Stunden sehr sorgfältig alles das, was es an Diskussionen gab – wir haben viele Mails mit Einwendungen bekommen –, abgewogen, darüber diskutiert und uns einen Entschließungsantrag erarbeitet haben, mit dem wir heute sehr gut die Abwägungsprozesse, wie sie in den Fraktionen gelaufen sind, zusammenfassen.
Es ist sicherlich nicht schön – um auch das klar zu sagen –, wenn man so vor Beschäftigte treten und das sagen muss. Denn eigentlich erwartet jeder – das kenne ich auch aus der Firma, in der ich früher gearbeitet habe –: Wenn das Betriebsjahr richtig gut ist, wenn das Ergebnis richtig gut ist, dann gibt man auch frohen Herzens. – Es ist viel härter, an der Stelle zu sagen: Wir machen es sozial gestaffelt. Wir wägen ab. – Aber wir können angesichts dieser Haushaltslage nicht das machen, was wir gerne machen würden.
Wir machen es auch nicht nur bei euch. Hier sind einstimmig zwei Nullrunden für die Abgeordneten beschlossen worden. Das sind die dritte und vierte. Das ist unser Beitrag, mit dem wir der schwierigen Haushaltssituation Rechnung tragen. Wir müssen es an der Stelle in einem solchen Abwägungsprozess machen.
Sie können sich leichtfertig darüber hinwegsetzen, weil Sie in der Lage sind, hier zu reden, ohne in der Verantwortung zu sein. Wir können das nicht.
Deswegen kann ich nur Danke sagen. Wir werden dem Gesetzentwurf so, wie er vorgelegt worden ist, und auch dem Entschließungsantrag zustimmen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Priggen. – Nun spricht für die FDP-Fraktion der Fraktionsvorsitzende, Herr Lindner.
(Zuruf von der SPD: Showtime!)
Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Deutschland ist in einer exzellenten wirtschaftlichen Verfassung, und das auch dank der richtigen Weichenstellungen der schwarz-gelben Bundesregierung.
(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von der SPD und den GRÜNEN – Dietmar Bell [SPD]: Das ist Autosuggestion!)
– Wie es in Deutschland unter Ihnen zuging, das können wir ja in Frankreich beobachten,
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
wo genau die Vorschläge, die Sie haben, umgesetzt werden.
In Deutschland aber fahren wir einen Kurs der sozialen Marktwirtschaft,
(Jochen Ott [SPD]: Seit wann?)
von dem jetzt auch die Beschäftigten profitieren. Die IG Metall hat einen Tarifabschluss von 5,6 % erzielt. Nach den Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung steigen die Löhne und Gehälter in Deutschland im Durchschnitt um 2,8 %. Im öffentlichen Dienst hatte die letzte Tarifrunde das Ergebnis: 5,6 %. Tarifanpassung bei den Landesbeamtinnen und Landesbeamten ab A13: Null! Zero! Niente! Aber die haben auch ihren fairen Anteil am Aufschwung verdient. Sie verweigern das.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Weil hier immer von „guter Arbeit“ seitens SPD und Grünen gesprochen wird: Man mag sich doch nur mal vorstellen, was passieren würde, wenn ein Unternehmen mit Rekordgewinnen sagen würde: Wir beteiligen unsere Beschäftigten daran nicht.
(Beifall von der FDP – Widerspruch von den GRÜNEN)
Aber wenn der Staat Rekordeinnahmen hat, gilt für Sie etwas völlig anderes. Das zeigt: die Schreibtischseite, wo Sozialdemokraten und Grüne sitzen, die Schreibtischseite bestimmt das Bewusstsein und die Werte, die Sie in der Politik verfolgen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Im Übrigen ist es nicht allein eine Frage der Fairness, sondern auch eine Frage des Rechts. Die Landesbeamtinnen und ?beamten haben nicht nur einen fairen Anteil verdient, sondern es ist auch ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, dass die Beschäftigten an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung unserer Gesellschaft teilhaben sollen.
(Zuruf von Andreas Kossiski [SPD])
Ich hatte eben schon auf die Zahl der Hans-Böckler-Stiftung hingewiesen: 2,8 %. Wir haben jetzt aber in Nordrhein-Westfalen viele Zehntausend Beschäftigte im öffentlichen Bereich, die de facto mit einer Minusrunde umgehen müssen, weil Sie denen sogar noch den Inflationsausgleich, die Anpassung an die Preisentwicklung, vorenthalten.
(Andreas Kossiski [SPD]: Was ist denn mit den Mindestlöhnen?)
Das sagen wir nicht aufgrund einiger Vorurteile, wie Sie eben gesagt haben, Herr Römer, sondern weil 20 von 21 Experten in einer Anhörung des Landtags von Nordrhein-Westfalen dargelegt haben: Ihr Gesetz ist nicht nur ungerecht, es ist auch verfassungswidrig. – Deshalb werden wir das ausurteilen lassen, Herr Römer.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Lindner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Christian Lindner (FDP): Nein, am Ende vielleicht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. Bitte schön.
Christian Lindner (FDP): Im Übrigen können Sie in dieser Frage auch nicht mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes argumentieren. Wir lassen uns ja von niemandem übertreffen, wenn es darum geht, die Solidität der Haushaltsführung hier in Nordrhein-Westfalen einzufordern.
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist in Münster ja auch bereits mehrfach gegen Sie durchgesetzt worden. Aber man kann die Schuldenbremse des Grundgesetzes nicht einhalten, wenn man auf der anderen Seite Verfassungsrecht bricht.
Wir wollen, dass Sie die Schuldenbremse einhalten, aber mit verfassungsmäßigen Mitteln, mit Einsparungen im allgemeinen Landeshaushalt, mit der Nutzung der Mehreinnahmen des Landes zur Konsolidierung.
Im Übrigen, Herr Priggen, hat niemand in diesem Zusammenhang gefordert, den Tarifabschluss eins zu eins zu übertragen. Bitte keine Legendenbildung!
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Aha!)
Nein, wir wollen eine angemessene Übertragung auf die Landesbeamtinnen und Landesbeamten.
(Zurufe von den GRÜNEN: Aha!)
Das ist genau der Unterschied.
Schauen wir uns doch die anderen Länder und den Bund an: Die wenigsten übertragen eins zu eins. Aber kaum welche folgen Ihrer Linie, überhaupt nichts zu machen. Im Ergebnis wird es so sein, dass im Jahr 2015, am Ende dieser Tarifrunde, der öffentliche Dienst in Nordrhein-Westfalen – die Lehrer und die Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen – mit am schlechtesten bezahlt sein wird in der ganzen Bundesrepublik. In Bremen ist es vielleicht noch schlechter. Was ist das für ein Signal, auch angesichts eines Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst, der sich in den nächsten Jahren andeutet! Das haben Sie zu verantworten.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wenn Guntram Schneider allen Ernstes öffentlich sagt: „Na ja, die Landesbeamten werden nicht in Armut fallen“, und wenn Kraft und Walter-Borjans in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung ihres Besoldungsanpassungsgesetzes schreiben, starke Schultern könnten mehr tragen, wollen wir den Damen und Herren auf der Tribüne, dem staunenden Publikum, sagen: Wir reden über Beschäftigte, die, wenn sie vollzeitbeschäftigt sind, ein Einkommen ab 3.230 € brutto haben. Noch darunter liegt es, wenn es Teilzeitbeschäftigte sind. Das sind mit Sicherheit keine Geringverdiener. Aber wir reden hier von Menschen, die in ihre Ausbildung investiert haben, die zum Teil Staatsexamina gemacht haben, die Verantwortung in unserem Land übernehmen und auf deren Leistungsfähigkeit wir bauen müssen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Reden Sie so auch zum Mindestlohn?)
Die haben die Solidarität ihres Arbeitgebers mehr als verdient. Zumindest haben sie nicht diese Diffamierungsversuche verdient.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zu der politischen Alternative.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Sie nicht sind!)
Ich zitiere:
„Die geplante Nullrunde … finde ich nicht in Ordnung. … Ich glaube, dass die Einsparpotenziale in der Landesverwaltung noch nicht ausgereizt sind.“
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Was wollen Sie denn?)
Das ist ein Zitat von Frank Baranowski, SPD-Oberbürgermeister, ehemals einer Ihrer Stellvertreter im Parteivorsitz, Frau Kraft.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Stellvertretender Fraktionsvorsitzender war er!)
Sie haben es also nicht nur nicht geschafft, die Landesbeamtinnen und ?beamten von Ihrem Konsolidierungskurs zu überzeugen; selbst aus Ihren eigenen Reihen, von denen, die präzise Kenntnisse haben, bekommen Sie Widerspruch. Das sind nicht nur, wie Sie es öffentlich immer verniedlichend sagen, „immer dieselben Gesichter beim Protest“. Das, was Sie hier machen, ist in der Mitte der Gesellschaft und auch in Ihren Reihen angekommen, nämlich eine unverantwortliche Art, mit den Beschäftigten im Land Nordrhein-Westfalen umzugehen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Herr Baranowski spricht davon, in der Landesverwaltung seien noch nicht alle Einsparpotenziale ausgeschöpft. Das teilen wir. Sie haben dagegen in der eben schon angesprochenen Pressemitteilung ausgeführt, Aufgabenkritik und Effizienzsteigerungen bei einzelnen Behörden seien nicht ausgeschlossen.
Genau da liegt der Unterschied. Sie wollen keine Verwaltungsreform und keine Modernisierung in der Verwaltung, und dafür werden die Beschäftigten schlecht bezahlt. Wir wollen einen starken, leistungsfähigen, modernen, schlanken öffentlichen Dienst, dafür dann aber auch mit angemessen, leistungsorientiert bezahlten Beamtinnen und Beamten. Das ist der Unterschied.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Lindner. Es ist eine zweite Kurzintervention angemeldet worden. Insofern können Sie die Gelegenheit nutzen, ans Pult zurückzukommen. Die Kurzintervention ist von der Grünen-Fraktion beantragt. Die Kurzintervention erfolgt durch Herrn Mostofizadeh. Sie haben 90 Sekunden Zeit. Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Lindner, da Sie keine Zwischenfragen zulassen, nun die Form der Kurzintervention.
Erstens würde ich von Ihnen gerne wissen, was Rekordgewinne sind, wenn man 2,5 Milliarden € Neuverschuldung hat. Das Gleiche hat die Bundesregierung. Wie definieren Sie Rekordgewinn?
Zweitens haben Sie vorgeschlagen, keine Eins-zu-eins-Übertragung zu machen. Mir fehlt nur der Änderungsantrag der FDP zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf. Was ist denn Ihr Vorschlag? Den würde ich gern mal kennenlernen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In Richtung von Herrn Kollegen Laumann: Das Stärkungspaktgesetz hat die FDP-Fraktion mitgetragen. Also können Sie zumindest nicht mit dem Argument kommen, dass die Landesregierung den Kommunen überbordende Leistungen abverlangt. Das ist auch nicht der Fall. Herr Kollege Laumann, machen Sie sich an der Stelle mal sachkundig.
(Zurufe von der CDU)
Ich fasse zusammen: Kollege Lindner hat vorgetragen, dass es Rekordgewinne gebe, die jetzt umzusetzen seien, und dass eine Eins-zu-eins-Übertragung von der FDP anders gemacht worden wäre. Nur ist er jede Begründung schuldig geblieben.
Christian Lindner (FDP): Herr Mostofizadeh, erstens habe ich von Rekordeinnahmen beim Staat gesprochen.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Nein, nein!)
– Moment! Nein, nein! Liebe Freunde, das können wir ja im Protokoll nachlesen. Ich habe davon gesprochen, dass ein Unternehmen, das Rekordgewinne macht und seine Beschäftigten nicht daran beteiligt, mit einem Staat vergleichbar ist, der Rekordeinnahmen und Niedrigzinsen hat und seinen Beschäftigten kein Gehaltsplus zugesteht. Das habe ich gesagt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Herr Mostofizadeh, Ihre Kurzintervention eben war doch ein klassisches Eigentor. Sie haben zu mir gesagt: Sie reden von Rekordgewinnen, und dabei haben wir 2,5 Milliarden € neue Schulden zu machen. – Das ist doch das Problem Ihrer Finanzpolitik: Trotz Rekordeinnahmen und Niedrigzinsen machen Sie noch Rekordschulden!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Zweiter Punkt: Was würden wir jetzt konkret vorschlagen? – Ich sage Ihnen, was wir vorschlagen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja, endlich!)
Unser Vorschlag macht sich nicht an einer Ziffer fest.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Aha!)
Nein, der macht sich an einem Verfahren fest. Sprechen Sie mit den Leuten! Sprechen Sie mit den Betroffenen! Machen Sie einen runden Tisch! Laden Sie sie in die Staatskanzlei ein! Sprechen Sie nicht schlecht über die Landesbeamtinnen und -beamten!
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist eine Politposse!)
Hören Sie auf damit, sie zu diffamieren! Hören Sie auf damit, sie als „Vielverdiener“, als „starke Schultern“ zu diffamieren, wenn das Leute sind, die ein Durchschnittseinkommen haben.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Lindner, die 90 Sekunden sind rum. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Christian Lindner (FDP): Wer die A13er als „Vielverdiener“ bezeichnet, der hat sich vollständig von der Lebenswirklichkeit der Mittelschicht verabschiedet. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön. – Als nächster Redner spricht für die Fraktion der Piraten der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauer auf der Tribüne und daheim! Lieber Herr Minister Walter-Borjans, Sie legen uns einen Gesetzentwurf vor, der behauptet, alternativlos zu sein. Sie brechen das Wort, das die Landesregierung im letzten Jahr erst gegeben hat.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Damals sagten Sie und die Ministerpräsidentin, die Beamtinnen und Beamten hätten bereits in hohem Maße ihren Beitrag zur Sanierung des Haushalts in Nordrhein-Westfalen geleistet.
In der Tat tun sie das bis heute jährlich mit 2,4 Milliarden €. Der Beamtenbund spricht sogar von 2,8 Milliarden €. Jetzt sollen sie sich zusätzlich mit 700 Millionen € jährlich beteiligen. Das ist unlauter.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Wenn jedoch die Fraktionen von CDU und FDP heute „verfehlte Politik“, „Bankrotterklärung“ und dergleichen schreien, wenn sie plötzlich den Wert der Beamtinnen und Beamten für Nordrhein-Westfalen für sich entdecken und wenn FDP und CDU gar eine Verfassungsklage erwägen, ist das wohl nur für Menschen mit akuter Gedächtnisschwäche irgendwie glaubwürdig.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich muss an dieser Stelle nicht noch einmal auf die ausgesetzten Besoldungsanpassungen zurückkommen, die vor allem in die Zeit der schwarz-gelben Landesregierung fallen.
(Jochen Ott [SPD]: Aha!)
2005, 2006 und 2007 wurde die Beamtenbesoldung faktisch gar nicht angehoben. Es gab also drei Nullrunden. Sonderzahlungen wurden ausgesetzt.
(Zustimmung von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Das stimmt nicht! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Weitere Zurufe)
Sie machen sich mit Ihrer bigotten Aufregung lächerlich. Lassen Sie es sein. Das glaubt Ihnen niemand mehr.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
So nutzen Sie jede Gelegenheit, der Landesregierung eine unseriöse und nicht nachhaltige Haushaltspolitik vorzuwerfen. Sie klagen den Schuldenabbau ein – Schulden, die nicht zuletzt Sie überhaupt erst verursacht haben.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Sie verlangen die Reduzierung von Ausgaben und tabuisieren gleichzeitig jede Debatte über Einnahmen!
(Beifall von den PIRATEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!)
Sie wehren sich gegen höhere Spitzensteuersätze, gegen eine Erbschaftsteuer, die leistungsloses Vermögen in die gesellschaftliche Verantwortung nimmt, und Sie wehren sich gegen eine internationale Finanzmarkt- oder Spekulationssteuer – egal, wie sie aussieht – und gegen eine vernünftige Unternehmens- bzw. Kapitalsteuer.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Aber es sind CDU und FDP, die das Sozialticket, das mit bescheidenen 30 Millionen € zu Buche schlägt, als „Wohlfühlpolitik“ diffamieren und ersatzlos streichen wollen.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Sie sind es, die gegen das Tariftreue- und Vergabegesetz opponieren, also gegen eine einigermaßen auskömmliche Bezahlung bei einigermaßen geregelten Beschäftigungsverhältnissen vieler Menschen draußen im Land.
(Zurufe von der CDU)
Wer ist denn gegen den Mindestlohn? Wer ist gegen vernünftig geregelte und faire Beschäftigungsverhältnisse?
(Zurufe von der CDU)
Wer hat die Studiengebühren eingerichtet, die vor allem die Beamtenfamilien treffen, weil dort der Anteil der studierenden Kinder am größten ist?
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Wer hat denn das sogenannte Kinderbildungsgesetz 2008 verabschiedet,
(Armin Laschet [CDU] zeigt auf.)
das nichts weiter war als Haushaltssanierung auf Kosten der vor allem weiblichen Beschäftigten und der Eltern?
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
– Haben Sie Schmerzen? Ich weiß: Es tut weh. – Ich erinnere mich nicht daran, dass CDU oder FDP besonders solidarisch mit den Forderungen der Erzieherinnen und Erzieher waren oder sich mit anderen besonders belasteten Beschäftigtengruppen solidarisiert hätten.
(Zurufe von der CDU, der FDP und Michele Marsching [PIRATEN])
Ich weiß: Das tut weh. Ich habe Verständnis für Sie.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Diese Liste – das wissen Sie, Herr Laschet, und meine Damen und Herren von der CDU und der FDP sehr genau – ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Es gab gute Gründe für Ihr Wahldesaster 2010 und 2012.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Diese Gründe verschwinden nicht einfach, wenn Sie sich hier zum Wächter der Fairness machen und doch nur Foul spielen. So kommen wir nicht weiter.
(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Aber wir können die Landesregierung nicht aus der Verantwortung entlassen.
(Armin Laschet [CDU]: Au! – Weitere Zurufe)
Ihre Parteien und Fraktionen haben es versäumt, auf Bundesebene Finanztransaktionssteuer, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer wieder einzuführen. Eine Abschöpfung dieser Gelder hätte die Probleme der Besoldungsfinanzierung auf einen Schlag gelöst und dafür gesorgt, dass Regelungen wie der vorliegende Gesetzentwurf nicht nötig wären.
(Beifall von den PIRATEN)
Im Gegenteil haben Sie in Ihrer Regierungszeit genau die Weichen dafür gestellt, die uns heute Fesseln anlegen. Wir sind heute – das muss man so deutlich sagen – im Grunde mit den Ergebnissen einer seit 1990 verfehlten Politik konfrontiert. Allein aufgrund einer unsäglichen Steuersenkungspolitik des Bundes seit 1998 fehlen in Nordrhein-Westfalen heute 55 Milliarden €. Dieses Geld könnten wir gut brauchen, und es würde diese heutige Debatte überflüssig machen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wittke zulassen?
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Nein, vielleicht ein anderes Mal.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Der Gesetzentwurf ist schlecht; er ist mit heißer Nadel gestrickt. Vor allem zeugt die unglaublich oberflächliche Begründung, die diesen Namen nicht verdient, von einer Missachtung der ordentlichen Beratungsabläufe des Parlaments.
Wer auf diese Weise einen eklatanten Mangel an demokratischem Grundverständnis zum Ausdruck bringt, muss dafür abgestraft werden. Vom Gegenstand des Gesetzentwurfs ist dabei noch gar nicht die Rede.
Die Gerichte werden darauf ihre Antwort geben. Es gibt gute Gründe, das Scheitern des Entwurfs aufgrund seiner vermutlichen Verfassungswidrigkeit anzunehmen. Wenn es wirklich dazu kommt, hat sich die Landesregierung das ganz allein zuzuschreiben. Wer sich gegen gute demokratische Verfahrensweisen immunisiert, muss sich hinterher nicht wundern, wenn ihm seine handwerklich, inhaltlich und politisch missratenen Entwürfe um die Ohren fliegen.
(Beifall von den PIRATEN)
Die vielbeschworene Politik der ausgestreckten Hand entpuppt sich mit solchem Vorgehen als eine Farce. Wo ist denn das Selbstverständnis von „Verhandeln statt verordnen“ geblieben? Und wo die Bereitschaft, gemeinsam mit den Menschen im Land nach Antworten auf drängende Fragen zu suchen? Wir wollen gern weiterhin an die Ernsthaftigkeit Ihrer ausgestreckten Hand glauben, weil es eben nicht um Parteien und Fraktionen, sondern um die Zukunft unseres Landes geht.
(Beifall von den PIRATEN)
Aber inzwischen verhalten Sie sich, liebe rot-grüne Landesregierung, so, wie Sie es der schwarz-gelben Landesregierung vorgeworfen haben: reichlich machtorientiert, ja fast arrogant. Sie drücken Ihre halb oder gar nicht begründeten Sachen einfach durch. Sie verzichten auf jeden Versuch, gemeinsam an den Herausforderungen des Landes zu arbeiten. Sie gehen nur dann auf die Oppositionsfraktionen zu, wenn es Ihnen und Ihrem parteipolitischen Kalkül dient.
Faire und lösungsorientierte Politik sieht anders aus. Ändern Sie das! Kommen Sie zurück zu Ihrer versprochenen neuen politischen Kultur, die nicht auf Konfrontation und Macht, sondern auf Kooperation und echte Demokratie setzt. Solange Sie das nicht tun, haben Sie die Folgen zu tragen – zum Schaden aller.
Deshalb: Wir verlangen eine Besoldungsregelung, die sachgerecht sowie angemessen ist und den Beamtinnen und Beamten in Nordrhein-Westfalen eine Perspektive eröffnet. Herr Minister, dieser Gesetzentwurf ist schlecht. Wir Piraten lehnen ihn ab. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich dem Finanzminister, Herrn Dr. Walter-Borjans, das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Unser Vorschlag macht sich nicht an einer Ziffer fest“ – das ist ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Herr Lindner, weil Sie von „Sachbearbeitern“ reden, rate ich Ihnen, dass Sie sich einmal mehr der Sachbearbeitung widmen sollten, anstatt den schlechten Mimen in einer Daily Soap zu spielen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
In Ihren Reden wird von einem zum anderen Mal immer deutlicher, dass Sie eine Kiste mit Stehsätzen haben, die allesamt so inhaltsleer sind wie dieser erste Satz, dass Ihr Vorschlag sich nicht an einer Ziffer festmacht. Jedes Mal wird neu geschüttelt und dann vorgetragen. Insofern ist es kein Wunder, dass Sie nicht nach einem Amt streben, sondern sich auf dem Sonnendeck der Opposition ausruhen wollen. Das ist auch besser so. Denn wer den Unterschied zwischen Einnahmen und Gewinnen nicht kennt, muss hin und wieder ins Lehrbuch gucken, um noch ein bisschen dazuzulernen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Die Landesregierung hat ihren Gesetzentwurf zur Anpassung der Beamtenbesoldung lange und intensiv beraten. Wir haben ihn, bevor wir ihn in die parlamentarische Beratung gegeben haben, eingehend entsprechend dem im Grundgesetz vorgegebenen Rahmen abgewogen, und zwar zwischen einer amtsangemessenen Alimentierung der Beamten und hinsichtlich der Einhaltung der Schuldenbremse. Wer heute sagt, dass erst später begründet worden sei – das ist dieser Stehsatz der nachgereichten Begründung –, hat die Begründungen vorher offenbar nicht zur Kenntnis genommen, sondern sich erst den geschriebenen Text, den wir noch einmal auf Wunsch dem Unterausschuss „Personal“ und dem Haushalts- und Finanzausschuss vorgelegt haben, angeguckt,
(Lachen von Christian Möbius [CDU])
indem diese Gründe in der Tat noch einmal beschrieben worden sind.
Die darin noch einmal ausführlich beschriebene Abwägung und die Entscheidung, den Abschluss für die Tarifbeschäftigten der Ländergesamtheit nur gestaffelt auf die Beamten zu übertragen, haben wir uns alles andere als leicht gemacht.
Und, Herr Laumann, Nordrhein-Westfalen ist Teil der Tarifgemeinschaft der Länder. Es gibt ein Land, das daran nicht teilnimmt, und das ist Hessen.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Die Tarifkommission! – Armin Laschet [CDU]: Da sind Sie nicht mehr drin!)
Und wir haben einen Kompromiss erzielt. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob ein Kompromiss unter 15 Ländern erzielt wird oder ob die Diskussionen und Entscheidungen über eine Besoldung auf jedes einzelne Land übertragen werden. Genau Letzteres ist mit dem Beschluss der Föderalismuskommission gewollt gewesen.
Am liebsten – das ist überhaupt keine Frage – hätte jeder und jede in dieser Regierung und in den Regierungsfraktionen allen mehr gegeben – nicht nur denen, die mit einem kleinen Prozentsatz von unter eins bedient werden, nämlich denen ab A13, die nicht mit Null abgespeist werden.
Angesichts der Vorgaben des Grundgesetzes zu dieser amtsangemessen Alimentation, aber auch angesichts der Verpflichtung, bis 2020 die Schuldenbremse einzuhalten, muss man sich doch überlegen, wie man es macht, dass man auf Dauer die nordrhein-westfälischen Beamten angemessen bezahlt, und wie man vor allen Dingen zu einem gerechten Verhältnis der Besoldungsgruppen zueinander und zwischen den Besoldungsgruppen für die Beamten und den Entgeltstufen für die Tarifbeschäftigten kommt. Das haben wir mit diesem Gesetzentwurf geschafft.
Die Besoldung ist nicht allein der Haushaltslage geschuldet und aus der Haushaltslage abgeleitet worden. Aber selbstverständlich hat sich der Entwurf für eine angemessene, gerecht gestaffelte und auch auf eine auf Dauer bezahlbare Besoldung an der Haushaltsrealität zu orientieren. Das ist doch wohl klar.
Seit 2006 – ich habe das gesagt – liegt die Entscheidung über die Beamtenbesoldung nicht ohne Grund wieder in der Hoheit der einzelnen Bundesländer. Mit dieser uns übertragenen Zuständigkeit gehen wir verantwortungsbewusst um. Angesichts der von der Verfassung gebotenen Schuldenbremse wäre die vollständige Übertragung nicht finanzierbar. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Sie würde außerdem den in den oberen Gehaltsstufen immer größer werdenden Abstand im Nettoeinkommen zwischen Beamten und Tarifbeschäftigten zementieren. Das ist im gegenwärtigen System eine Gerechtigkeitslücke. Und die wollen wir ein Stück schließen.
Unser Entwurf sichert den unteren Besoldungsgruppen den Zuwachs wie für die Tarifbeschäftigten, und er sorgt auch in den oberen Bereichen für eine weiterhin angemessene Vergütung.
Vor der Anpassung – um das noch einmal deutlich zu machen – liegt das Nettoeinkommen für einen verheirateten Beamten oder eine verheiratete Beamtin mit zwei Kindern in der Besoldungsgruppe A10 um 0,8 % über dem Nettoeinkommen einer Tarifangestellten in der entsprechenden Entgeltgruppe. A10, das bedeutet im beschriebenen Fall – Herr Laumann hat schon einmal darauf hingewiesen – netto rund 2.700 € im Monat. Und diese Beamtengruppe wird 2013 und 2014 an der Entwicklung der Tarife teilhaben bei im Übrigen dann auch für alle geltenden 30 Tagen Urlaub. Ich habe von 0,8 % Unterschied zwischen dem Beamten und dem Tarifangestellten gesprochen.
Bei A13, also bei Studienrat/Studienrätin oder Regierungsrat/Regierungsrätin ist der Abstand zur entsprechenden Entgeltgruppe im Tarifbereich 15,5 %. Da wollen wir nach unseren Plänen die Zahlungen für zwei Jahre nicht erhöhen. Bei einem Regierungsdirektor A15 beträgt der Unterschied zwischen dem Beamten und dem Tarifangestellten 22 %.
Das, was wir jetzt machen, wird zur Folge haben, dass künftig im unteren Sektor bei A10 weiterhin ein Abstand von ungefähr 1 % besteht, dass er für A13 aber nicht mehr 15,5 %, sondern 9,7 % und für A15 nicht mehr 22 %, sondern 15,6 % beträgt. Wir schaffen damit in einem zugegebenermaßen engen Finanzrahmen weiterhin ein attraktives und gerechtes Vergütungssystem für den öffentlichen Dienst insgesamt.
Die Präsidentin des Landesrechnungshofs hat vor wenigen Tagen gesagt: Auch wenn es Widerstand hervorruft – ohne Einsparungen beim Personal ist die Schuldenbremse nicht zu schaffen. Dass die Betroffenen diese Entscheidung nicht bejubeln, ist doch wohl verständlich. Dass sie demonstrieren, gehört zu einer demokratischen Gesellschaft.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Redet doch mit ihnen!)
Ich habe mit vielen Demonstranten bei vielen Veranstaltungen
viele gute Gespräche geführt. Aber die politische Entscheidung ist am Ende Sache des Parlaments. Sie ist auch nicht Sache eines Gerichts. Der Verfassungsgerichtshof hätte im Fall der von der Opposition angedrohten Normenkontrollklage zu prüfen, ob der Kern der amtsangemessenen Besoldung verletzt wird. Bei der Prüfung dieser behaupteten Unteralimentierung muss sich die Prüfung auf die sogenannte Evidenzkontrolle beschränken. Der Politik wird bewusst ein weiter Entscheidungsspielraum zugestanden.
Sie von der Opposition mögen mit dem zur Debatte stehenden Abwägungsergebnis nicht einverstanden sein. Das ist Ihr gutes Recht.
Es ist aber auch ein mindestens ebenso gutes Recht der Betroffenen, zu klagen. Das respektieren wir nicht nur, sondern wir haben auch schon Gespräche angeboten, um dort, wo das hilfreich ist, gemeinsam zu überlegen, wie man etwa eine Musterklage unterstützen kann.
(Dr. Wilhelm Droste [CDU]: Ist ja irre! Macht doch einen Prozesskostenzuschuss!)
– Das ist völlig in Ordnung. Darüber, was irre ist, können wir gleich noch einmal sprechen.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir von der Rechtmäßigkeit dieses Anpassungsgesetzes überzeugt sind und es für den richtigen Weg halten, um den Beamtenstatus dauerhaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer akzeptabel und für den Arbeitgeber Land finanzierbar zu halten.
Ihnen von der CDU und der FDP geht es doch mit der Klageandrohung nicht wirklich um das Wohl der Beamten. Das wäre nach Ihrer Regierungszeit und Ihren gebetsmühlenhaft vorgetragenen Sparvorschlägen im Personalbereich aber auch wirklich die Neuigkeit des Tages: Lindner für den starken Staat!
(Beifall von den GRÜNEN)
Lindner für höhere Beamtenbesoldung! – Das wäre eine Nachricht, die auf Aufmerksamkeit stoßen würde. Aber das passt auch in das Schauspiel, das Sie auf der Berliner Bühne bringen. Dort geht es immer um Klientelpolitik, der aber ein Etikett angepappt wird. Andere sollen dadurch glauben, dass Sie etwas für sie täten. Dafür gibt es eine Menge Beispiele. Darüber könnte ich stundenlang reden.
(Beifall von den GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Der Widerspruch hält sich in Grenzen!)
Sagen Sie den Beamten mit Kindern dann aber bitte auch, was Sie ihnen direkt über Kindergartenbeiträge und Studiengebühren wieder aus der Tasche ziehen wollen, Herr Lindner.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Die Beamten sollen nur den Eindruck haben, sie hätten am Ende mehr. Sie werden am Ende weniger haben.
Sie brauchen auch nicht mit der Idee zu kommen, dass der Landesrechnungshof künftig den Haushalt aufstellen soll. Was dessen Präsidentin gesagt hat, habe ich vorgetragen.
Diese Landesregierung hat im Vorfeld des vorliegenden Gesetzentwurfs viele Alternativen gegeneinander abgewogen. Wir haben nie davon gesprochen, es sei alternativlos. Das ist der Sprachstil einer Kanzlerin in Berlin. Wir haben gesagt, es gibt Alternativen.
Wir haben übrigens auch Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes einbezogen. Die stellvertretende Vorsitzende Ingrid Sehrbrock hat am 28. Mai 2013 an die thüringische Ministerpräsidentin geschrieben und eine Statistik geschickt. Danach liegt die Besoldungshöhe bei A9 im Bund und in 14 Ländern über der Höhe in NRW. Seit 2002 ist die Besoldung in Nordrhein-Westfalen in dieser Gruppe um 8,47 % gestiegen. Bei A13 sieht das ganz anders aus. Da liegen lediglich der Bund und vier Länder über dem Betrag in NRW. In der Gruppe A13 stiegen die Einkommen in NRW seit 2002 um 11,2 %.
Unser Ziel bleibt es, unsere Beamten angemessen, sozial ausgewogen, aber eben auch finanzierbar zu bezahlen. Deswegen haben wir Alternativen wie den massenhaften Personalabbau, die Streichung des Weihnachtsgeldes, noch längere Arbeitszeiten oder die Absenkung der Versorgung verworfen.
Wir wollen vor allem eines sicherstellen, nämlich dass der öffentliche Dienst in seiner Leistungsfähigkeit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erhalten bleibt und nicht durch den massenhaften Abbau von 14.000 Stellen oder mehr, wie Sie ihn vorschlagen, empfindlich geschwächt wird. Das wollen CDU und FDP offenbar nicht nur in Kauf nehmen, sondern das wollen sie offenbar sogar erreichen.
Heute ist in der „Westfalenpost“ zu lesen: CDU will Stellenabbau statt Nullrunde. – Wenn das Ihr Ziel ist, dann sagen Sie doch hier und jetzt, wo Sie diesen Stellenabbau wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es darf nicht wieder so eine Geschichte geben, wie wir sie eben gehört haben, wonach sich Ihr Vorschlag nicht an einer Ziffer oder möglicherweise auch nicht an einer Stelle festmacht, wo eingespart werden soll. So funktioniert nicht einmal einfache Oppositionsarbeit.
Die Beamten hätten es verdient, die Keule zu sehen, die Sie hinter Ihrem Rücken versteckt halten, während Sie sich vor sie hinstellen und als deren Interessenvertreter feiern lassen wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Bernd Krückel [CDU]: Lächerlich!)
So sieht es doch aus.
Mittlerweile ist durch diese Debatte und durch das, was in den letzten Tagen zu diesem Thema von Ihnen vorgetragen ist, eines hinreichend klar geworden: Opposition für die Menschen im Land erfordert schon noch etwas anderes als immer nur zu sagen, wir schauen, woher der Wind weht, und drehen dann die Fahne dahin. Das kennen wir auch aus Berlin.
(Christian Lindner [FDP]: Das sagt die Steinbrück-Partei! – Zurufe von der CDU)
Es passieren Kehrtwenden, wann immer Sie glauben, dass sich der Wind gedreht hat. Etikettenschwindel und Klientelpolitik: Das ist Ihre Machart.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
An der werden wir uns nicht beteiligen. Wir haben eine Vorlage eingebracht, von der wir überzeugt sind. Alles Weitere wird sich in dieser parlamentarischen Beratung zeigen und möglicherweise auch danach. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Droste das Wort.
Dr. Wilhelm Droste (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehren Damen und Herren! Wenn ich jetzt etwas bedaure, dann ist es die Tatsache, dass mir nur drei Minuten und 40 Sekunden bleiben.
Herr Minister Walter-Borjans, Ihre Rede war zugegebenermaßen in der Ruhe und Sachlichkeit angenehm zu vernehmen. Inhaltlich war sie trotzdem schwierig.
Einen Punkt will ich aufgreifen. Die Idee, den Beamten jetzt eine Musterklage an die Hand zu geben oder diese zumindest zu begleiten – so ähnlich war es zu verstehen –, ist schon abenteuerlich.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dass der Gesetzgeber Gesetze auf den Weg bringt und dann sagt, pass auf, wir lassen diese parallel richterlich prüfen: Dafür hatten wir eine Anhörung von Experten.
(Nadja Lüders [SPD]: Die Landesregierung ist nicht der Gesetzgeber!)
Wenn 20 von 21 Experten sagen, das Ding ist verfassungswidrig, und Herr Römer und Minister Walter-Borjans eine solche Chuzpe haben, muss man sich fragen, woher sie das nehmen. Uns geht es hier nicht nur, sondern auch um das Wohl der Beamten. In erster Linie geht es uns um die Einhaltung der Landesverfassung.
(Beifall von der CDU)
Die schert Sie nicht. Das ist das Problem!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Frau Kollegin Gebhard hat eben gefragt, wo die Verstöße liegen. – Ganz kurz aufgezeigt:
Der erste Verstoß ist der Verstoß gegen das Alimentationsprinzip. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, seinen Beamten angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Dieser muss sich an der allgemeinen Einkommensentwicklung orientieren. – Die Gehälter sind in den letzten zwei Jahren um 3 % gestiegen. Das steht im Widerspruch zu dem, was jetzt vorbereitet wird.
(Beifall von der CDU – Marc Herter [SPD]: Sie müssen zumindest richtig zitieren!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Dr. Wilhelm Droste (CDU): Nein.
Zweiter und dritter Verstoß: Abstandsgebot und Leistungsgrundsatz. Die Verfassung verlangt eine klare Differenzierung der Bezüge entsprechend der Ämterhierarchie. Dies wird verletzt, wenn Beamte aus dem gehobenen Dienst aufgrund der Altersstufen Vorgesetzten aus dem höheren Dienst finanziell und in der Wertschätzung vorgezogen werden. So schafft man soziales Ungleichgewicht, so schafft man Unfrieden unter der Beamtenschaft.
(Beifall von der CDU)
Speziell die Trennung mitten in einer Laufbahn zwischen den Besoldungsgruppen A10 und A11 ist grotesk. So bekommt zum Beispiel derjenige, der in der Besoldungsgruppe A10 im Endgehalt ist, die volle Übertragung, der junge Kollege in A11, der sich mit einem niedrigeren Bruttoentgelt monatlich bescheiden muss, lediglich die reduzierte Erhöhung. – Die Ausgestaltung ist nicht nur unsinnig, sondern sie liegt im Übrigen auch nicht im Gestaltungsspielraum der Regierung.
(Beifall von der CDU)
Vierter Verstoß – und das erscheint mir im Übrigen der gewichtigste –: die fehlende Begründung. Da knüpfen Sie, Herr Minister Walter-Borjans, wirklich an Ihre unsagbaren Erfolge vor dem Verfassungsgericht an. Wenn Sie so vorgehen, wie Sie das mit Ihrem Gesetz wollen, muss die Begründung – das sieht das Verfassungsgericht so vor – Folgendes enthalten:
Erstens muss ein schlüssiges Konzept zur Haushaltskonsolidierung vorliegen. Zweitens dürfen nicht nur die Beamten von den Einsparungen betroffen sein. Drittens darf die Maßnahme nicht von Dauer sein.
(Nadja Lüders [SPD]: Wo haben Sie das denn gelesen?)
Nicht eine einzige dieser Voraussetzungen liegt vor.
Sie begründen Ihr Vorhaben – das haben Sie gerade eben noch einmal getan – mit der bedrohlichen Haushaltslage des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Hinweis auf die Haushaltslage als hinreichender Grund für die Kürzung der Besoldung trägt Ihr Gesetz nicht. Er könnte nur dann tragen – ich habe es eben gesagt –, wenn die Beamten bei diesen Einsparungen nicht ausschließlich betroffen wären, sondern wenn Sie insgesamt ein Konzept zur Konsolidierung des Landeshaushaltes vorlegen würden. Es ist und bleibt nach wie vor ein Sonderopfer der Beamten; da können Sie reden, wie Sie wollen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Achten Sie bitte auf die Redezeit, Herr Kollege.
Dr. Wilhelm Droste (CDU): Dieses Konzept haben Sie nicht. Sie haben hinlänglich bewiesen, dass Sie nicht sparen wollen. Frau Ministerpräsidentin, bei aller Anerkennung Ihrer Person kann ich mich dem wirklich nicht verschließen: Es ist und bleibt das Stigma Ihrer Regierungsverantwortung, dass man nicht bereit ist, flächendeckend und auf breiter Ebene zu sparen. So wie Sie heute beim Sparen vorgehen, ist es illegal, ist es Verfassungsbruch.
Daran werden wir uns als Opposition nicht beteiligen, sondern wir werden im Gegenteil mit allen Mitteln dagegen vorgehen. – Herzlichen Dank!
(Lebhafter Beifall von der CDU – Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Droste. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Körfges das Wort.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Jetzt kommt der Beste!)
Hans-Willi Körfges (SPD): Freuen Sie sich nicht zu früh, Herr Kollege Laumann. Ich habe ja noch gar nicht angefangen. – Ich weiß nicht, was der verehrte Kollege Droste liest. Er kann auf jeden Fall die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2012 nicht gelesen haben. Oder, zu Ihren Gunsten: Vielleicht haben Sie sie gelesen, aber nicht verstanden, lieber Herr Kollege.
(Beifall von der SPD – Lachen von der CDU)
Von daher will ich hier einmal ganz kurz etwas zu den unterschiedlichen Rollen sagen. Die Regierung bringt einen Gesetzesvorschlag ein. Unsere Pflicht im Parlament ist – und dieser Pflicht haben Sie sich nicht nur nicht gestellt, sondern diese Pflicht, Herr Kollege Droste, verletzten Sie hier vorsätzlich und nachhaltig –, sauber abzuwägen und uns zu überlegen, was amtsangemessen ist. Dieser Überlegung haben Sie sich nicht nur nicht gestellt; Sie haben auch bei der Frage nach Alternativen jegliche Auskunft verweigert.
Bis auf einen kleinen Ansatz, lieber Herr Kollege Laumann: Das ist die Frage, wie Sie bitte gedenken, die Mehraufwendungen für die von Ihnen nicht bezifferte gewollte Möglichkeit, die Beamtenbesoldung mehr anzupassen, als wir es vorhaben, zu finanzieren.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Körfges, entschuldigen Sie. Herr Kollege Börschel möchte gerne eine Frage stellen. Ich ahne, dass Sie sie zulassen werden.
Hans-Willi Körfges (SPD): Ich werde sie zulassen. Ich möchte nur den Satz noch zu Ende bringen.
Ihr Finanzierungsvorschlag ist: Wir stellen Schulassistenten und Polizeiverwaltungsassistenten ein. Kleine Denksportaufgabe: Das kostet erst einmal mehr Geld. Wie, bitte, wollen Sie daraus dann die Mehraufwendungen, die Sie offensichtlich wollen, bestreiten, lieber Herr Kollege?
Ich warte auf die Zwischenfrage.
Martin Börschel (SPD): Herzlichen Dank, Herr Kollege Körfges, für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Ich wollte Sie bitten, mir zu sagen, ob Sie meine Einschätzung teilen, und zwar dahin gehend, dass Herr Kollege Laumann vorhin in seiner Rede alle juristischen Argumentationspunkte, die Herr Kollege Droste versucht hat zusammenzufassen, abgeräumt hat durch den Satz – ich zitiere – „Man hätte das vermutlich machen können, was Sie machen, wenn man ein Gesamtkonzept hätte“,
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Ja! Sie haben doch kein Gesamtkonzept!)
und sich insofern alleine auf die Frage beschränkt hat: Gibt es ein Sonderopfer, ja oder nein? – Die Frage lautet daher: Wenn man weiß, dass der Einspareffekt durch die gestaffelte Übertragung des Tarifergebnisses etwa 300 Millionen € im Haushaltsjahr 2013 beträgt, die Gesamteinsparungen, die die Regierung vorgeschlagen und das Parlament beschlossen hat,
(Zurufe von der CDU und der FDP: Fragen!)
allerdings 970 Millionen € ausmachen, liegt ja der Beitrag der Beamtinnen und Beamten bei etwa 27 %, …
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Denken Sie daran: Das ist eine Frage, Herr Kollege. Stellen Sie sie bitte!
Martin Börschel (SPD): … obwohl die Gesamtpersonalkosten 43 % ausmachen. Stimmen Sie mir da zu?
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Hat Ihnen der Fraktionsvorstand keine Redezeit gegeben, oder was?)
Hans-Willi Körfges (SPD): Ich stimme Ihnen da vollumfänglich zu. Die Frage danach, liebe Kolleginnen und Kollegen – jetzt können Sie sicherlich noch ein bisschen lernen –, in welchem Umfang die Personalkosten zu den Gesamteinsparungen beitragen, ist eindeutig geklärt und schließt die Argumentation und Sprachfigur des Sonderopfers ganz ausdrücklich aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie hier vorgetragen haben, ist ohne Argumente gewesen, ist ohne Abwägung erfolgt und ist Ausweis der Tatsache, dass es Ihnen hier nicht um amtsangemessene Alimentation geht. Ihnen geht es noch nicht einmal um vernünftige Opposition; Ihnen geht es an der Stelle darum, das, was Sie hier mit uns gemeinsam zu tragen hätten, nämlich die Verantwortung für das Land Nordrhein-Westfalen, weit von sich zu weisen.
(Christian Möbius [CDU]: Aber Verfassungsbruch zulassen!?)
Meine Damen und Herren, davon wollen wir Sie nicht erlösen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Körfges, würden Sie noch eine Zwischenfrage vom Kollegen Dr. Optendrenk zulassen?
Hans-Willi Körfges (SPD): Ja, sicher.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, bitte.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Körfges, Sie haben eben etwas von den Summen her bestätigt, was der Kollege Börschel in den Raum gestellt hat. Stimmen Sie mit mir überein, dass von den 970 Millionen €, die Sie eben genannt und bestätigt haben, 818 Millionen € rechnerisch globale Minderausgaben sind und damit keine Haushaltseinsparung, also keine Konsolidierungsvorschläge sind, sondern Notwendigkeiten zur Erreichung eines ausgeglichenen Haushaltes darstellen und dass damit ein struktureller Ausgleich des Haushaltes nicht möglich ist, es sei denn im Haushaltsvollzug? Sind Sie mit mir einig, dass das keine Haushaltssanierung ist, sondern Trickserei?
(Beifall von der CDU)
Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Dr. Optendrenk, da ich genau weiß, was Sie in Ihrer beruflichen Vergangenheit gemacht haben, und da ich weiß, in welchem Umfang die Vorgängerregierung von den Mitteln der globalen Minderausgaben Gebrauch gemacht hat, kann ich Ihnen nur sagen: Auch das sind Beträge, die unterm Strich von uns allen gemeinsam einzusparen sind. Insoweit trägt genau deshalb die Argumentation mit dem Sonderopfer nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das mit Ihnen und der Finanzpolitik ist so wie mit dem Hauptmann von Köpenick: Dem Wilhelm Voigt hat man den Hauptmann abgenommen, Ihnen nimmt man die Finanzpolitik nicht ab. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Hans-Willi Körfges [SPD] hat das Rednerpult verlassen.)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Körfges, wenn Sie so nett wären, wieder zurückzukehren. Es gibt eine angemeldete Kurzintervention der CDU, und zwar von Herrn Kollegen Lohn.
Herr Kollege Lohn, ich erteile Ihnen das Wort für 90 Sekunden.
Werner Lohn (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Körfges, für die Gelegenheit zur Intervention.
Es ist schon erstaunlich – wenn man die Diskussion hier verfolgt –, wie sich die SPD-Abgeordneten, auch die grünen Abgeordneten bei so einem schlechten und verfassungswidrigen Gesetz zu Claqueuren für die Landesregierung degradieren lassen.
(Beifall von der CDU)
Gerade die SPD, die sich gerne als Partei der sozialen Gerechtigkeit feiern und darstellen lässt, hat schon bei Einbringung des Gesetzentwurfs versucht, diese Staffelung als soziale Staffelung darzustellen. Von „sozial“ ist da nichts. Der Kollege Dr. Droste hat es eben schon gesagt: Es ist nicht sozial, wenn ein Beamter in der Endstufe A 10 mehr Geld verdient, eine Gehaltserhöhung bekommt, und ein Beamter mit dem Eingangsamt A11 die Gehaltserhöhung nicht bekommt.
Noch deutlicher wird das Ganze, wenn ich frage: Was ist denn sozial daran, wenn ein Angestellter des Landes mit einem Bruttogehalt von 5.000 € oder mehr eine 5,6%ige Gehaltserhöhung bekommt, aber ein Beamter des Landes mit 3.000 € brutto auf 1 % Gehaltserhöhung zurückgestuft wird? Nichts ist sozial, was Sie mit dem Gesetzentwurf machen.
(Beifall von der CDU)
Betrachten wir Ihre Personalpolitik: Sie haben von 2011 bis 2012 exakt 3.786 Beamtinnen und Beamte mehr eingestellt als noch ein Jahr zuvor. Sie stellen Beamte ein, stimmen Tarifverträgen zu und haben nicht das Geld, die Leute vernünftig zu bezahlen. Das ist unsozial, das ist unprofessionell. Nicht Sie, aber der Minister Walter-Borjans ist im Prinzip die Verkörperung der politischen Insolvenz und Inkompetenz. Das sollte hier deutlich werden. Vor Gericht werden Sie …
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Lohn, die 90 Sekunden sind um. – Herr Kollege Körfges hat 90 Sekunden zur Erwiderung.
Hans-Willi Körfges (SPD): Versprochen: Ich habe das nicht bestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Das gibt mir an der Stelle die Gelegenheit, noch einmal ganz deutlich auf den Abstand zwischen angestellten Lehrerinnen und Lehrern und beamteten Lehrerinnen und Lehrern hinzuweisen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben für alle Lehrerinnen und Lehrer, die für unsere Kinder zur Verfügung stehen, eine soziale Verantwortung. Ich bekomme kalte Gänsehaut, wenn ich sehe, wie die Interessen der angestellten Lehrerinnen und Lehrer auf dieser Seite des Hauses offensichtlich überhaupt keine Rolle spielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch etwas zum angeblichen Personalzuwachs sagen. Hätten Sie nicht durch die Verwaltungsstrukturreform Kosten auf die Kommunen abgewälzt,
(Beifall von Norbert Römer [SPD])
hätten Sie nicht die unsägliche Verwaltungsstrukturreform in Form von Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung und Umweltverwaltung gemacht, dann wäre sowohl dem Land Nordrhein-Westfalen als auch den Beschäftigten sowohl materiell als auch bezogen auf die amtsangemessene Bezahlung einiges erspart geblieben. Insofern haben wir es nicht nötig, uns an der Stelle irgendwelche Belehrungen anzuhören.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. Mehr geht auch nicht. – Jetzt hat Herr Kollege Witzel für die FDP-Fraktion das Wort.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, Sie haben eben wieder sehr elegant etwas zur Seite geschoben, nämlich den Umstand, dass wir in der Tat momentan beste Bedingungen in unserem Land haben. Wir hatten eine gute konjunkturelle Entwicklung, wir haben den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren, und Sie melden regelmäßig Rekordeinnahmen für Ihren Haushalt.
Was sagen Sie den Beamten dieses Landes, wie denn deren Besoldung in Jahren aussehen soll, in denen sich diese Rahmenbedingungen einmal nicht so positiv darstellen wie momentan?
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, Herr Kollege Börschel würde auch Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ralf Witzel (FDP): Immer gerne.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Börschel.
Martin Börschel (SPD): Herr Kollege Witzel, ich habe nur eine Frage. Ihr Vorsitzender Lindner hat eben ausgeführt – Zitat: Es hat niemand gefordert, den Tarifabschluss 1:1 zu übertragen, sondern angemessen. Darf ich Sie fragen, was das ganz konkret aus Sicht der FDP für dieses Gesetz bedeutet?
Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Börschel, uns geht es hier um eine ehrliche Debatte auch in diesem Haus.
(Lebhafte Zurufe und Heiterkeit von der SPD)
– Ihnen anscheinend nicht, wie die Reaktion zeigt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Deshalb haben wir dort, wo wir in den letzten Wochen mit Betroffenen gesprochen haben – nicht immer waren Vertreter der SPD da so wie bei der Deutschen Steuergewerkschaft; da haben Sie als einzige Fraktion gefehlt, sonst hätten Sie es gewusst –, nicht gesagt: „Wir garantieren jedem, dass es die nächsten zehn Jahre mit uns eine Übertragung von eins zu eins geben wird“, sondern deutlich gemacht: Wir erwarten eine amtsangemessene Alimentierung. Da kann man sich durchaus …
(Nadja Lüders [SPD]: Was heißt das? – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
– Das heißt ganz konkret, Frau Kollegin: Andere Bundesländer haben nicht zwingend eins zu eins umgesetzt. Sie haben gesagt: Dann tritt das eben etwas später in Kraft, zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Gesetz beschlossen wird.
(Nadja Lüders [SPD]: Reden Sie nicht von anderen Bundesländern!)
Vielleicht haben Sie auch eine kleine Komponente einbehalten und nur die Inflationsrate entsprechend gewährt. Das bleibt den Beamten aber als Baustein für weitere 20, 30, 40 Beschäftigungsjahre erhalten.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was wollen Sie machen?)
Sie nehmen ab A13 vollständig diesen Block heraus.
(Nadja Lüders [SPD]: Was sagen Sie?)
Für die Entwicklung über die nächsten Jahrzehnte heißt das, dass die Betroffenen einen sechsstelligen Betrag weniger als Lebensarbeitsverdienst haben. Das sollten Sie hier einmal ehrlich sagen.
(Beifall von der FDP und der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Was wollen Sie machen?)
Meine Damen und Herren, Sie haben hier eben viel über das LPVG geredet. Ihnen geht es immer um die Vorteile für ein paar wenige. Uns geht es um die Attraktivität des öffentlichen Dienstes insgesamt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Witzel, noch deutlich rechtzeitig vor Ende Ihrer Rede hat Herr Kollege Mostofizadeh den Wunsch geäußert, Ihnen eine Frage stellen zu dürfen. – Dass Sie jetzt ans Rednerpult zurückkehren, interpretiere ich so, dass sie sie zulassen wollen.
Ralf Witzel (FDP): Aber natürlich, selbstverständlich.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, Herr Kollege Witzel. – Ich hatte den Eindruck, dass der Kollege Börschel sehr präzise gefragt hat. Ich tue es noch einmal: Haben Sie einen konkreten Vorschlag der FDP-Fraktion Nordrhein-Westfalen im Landtag Nordrhein-Westfalen vorzulegen, wie Sie den Gesetzentwurf der Landesregierung abändern wollen?
(Christian Lindner [FDP]: Mit den Leuten sprechen, heißt der Vorschlag! – Gegenrufe von der SPD)
Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege, ich habe zwei ganz konkrete Vorschläge für Sie. Das beantwortet auch die Frage des Kollegen Börschel noch einmal.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Warum „noch einmal“?)
So ist unsere Aussage auch klar zu verstehen.
Wenn Sie sich im Vergleich der Bundesländer anschauen, was Sie vorhaben und was Sie heute hier zur Abstimmung vorgelegt haben, werden Sie feststellen, dass Sie bei der Berücksichtigung der Interessen der Beamten ganz unten am Ende der Skala sind
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind gefragt, Herr Witzel! Sie! – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
– Herr Kollege Schmeltzer, Frau Lüders – und dass auch andere Bundesländer
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Noch einmal die Frage!)
– Herr Schmeltzer – mit rot-grüner Regierung,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: NRW!)
die sich auf den Weg begeben hatten, den Sie hier gehen wollen, beispielsweise Schleswig-Holstein und Niedersachsen, umgekehrt sind. Die haben diesen Kurs geändert und nachgebessert.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Geben Sie hier doch eine Antwort für NRW!)
Das erwarten wir von Ihnen heute auch.
Nun komme ich zu den Vorschlägen, Herr Kollege. Wie Sie auch vom Landesrechnungshof erst gestern und vorgestern wieder ausführlich gehört haben, müssen Sie zu struktureller Konsolidierung bereit sein.
(Martin Börschel [SPD]: Wir wollen etwas von Ihnen hören! Was ist denn Ihr Vorschlag?)
Wir wollen Leistungsträger für den öffentlichen Dienst gewinnen. Das setzt auch eine leistungsadäquate Besoldung voraus.
(Jochen Ott [SPD]: Da weigern Sie sich!)
Wenn man sich von Aufgaben in diesem Land trennt, weil der Staat nicht mehr jedes Detail des privaten Lebens regeln will, braucht man, auch ohne eine Arbeitsverdichtung zu veranlassen, weniger Personal.
Wenn man sich um seine Landesbeteiligungen kümmert, beispielsweise um eine ordentliche Abwicklung der Portigon AG,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wovon wollen Sie sich trennen? – Jochen Ott [SPD]: Antworten!)
von der die Gewerkschaften sagen, dass mindestens ein Viertel der dort Beschäftigten nicht ausgelastet ist, und man diese Beschäftigten für Tätigkeiten im Land rekrutiert,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sagen Sie doch, wovon Sie sich trennen wollen! – Jochen Ott [SPD]: Sie haben immer noch nicht geantwortet!)
dann kann man das alles haushalterisch verantwortbar machen.
(Lebhafter Beifall von der FDP – Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun noch einmal Herrn Kollegen Schulz das Wort – verbunden mit der Bitte, auf die nur noch kärglich vorhandene Redezeit zu achten. Rechnen Sie mit einer Minute, Herr Kollege. Da ist schon Bonus eingerechnet. Bitte schön.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Das war eine wunderbare Vorstellung. Man kann nur eines sagen: Die Vorschläge, die Herr Kollege Witzel gerade angedeutet hat, hatte ich im Haushalts- und Finanzausschuss vonseiten der Piratenfraktion etwas konkretisiert. Das Gesetz kostet das Land Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr 166 Millionen €, im nächsten Jahr 340 Millionen € und danach insgesamt 410 Millionen € pro Jahr – bezogen auf die Gruppen, die hier bedacht werden, also bis A12.
Sie hängen A13 und die höheren Gruppen komplett ab. Das wird Ihnen beim Verfassungsgericht um die Ohren fliegen.
(Beifall von den PIRATEN und Prof. Dr. Tho-mas Sternberg [CDU])
Das haben die Sachverständigen auch gesagt. Sie haben nicht gesagt, dass wir den Tarifabschluss eins zu eins übernehmen müssen, um gerecht zu sein.
Frau Ministerpräsidentin, Herr Finanzminister, Sie haben noch wenige Minuten Zeit, als Landesregierung diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Tun Sie dieses nicht, werden Sie sich ab heute Nachmittag den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass die Sozialdemokratie Soziales und Gerechtigkeit ab der Besoldungsgruppe A13 nicht mehr sieht.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Das wird Ihnen sicherlich als Dankeschön von deutlich über 150.000 Beamtinnen und Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen sowie deren Familien und Angehörigen massiv um die Ohren fliegen – und garantiert nicht nur beim Verfassungsgericht. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung hat noch einmal Finanzminister Dr. Walter-Borjans ums Wort gebeten. Das erhält er natürlich auch.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur einige kurze Anmerkungen machen. – Erstens. Herr Droste, Ihnen ist offenbar das Thema „Musterklage“ vorher nie begegnet. Es geht nicht darum, dass die Landesregierung jemandem eine Klage aufschreibt, die er dann einreichen kann, sondern darum, dass die Gewerkschaften auf uns zugekommen sind und gesagt haben, dass sie bündeln möchten, um damit für die Betroffenen selber, aber auch für die Landesverwaltung entsprechende Möglichkeiten zu schaffen. Dass wir bereit sind, darüber zu reden, ist doch wohl klar.
(Beifall von der SPD – Dr. Wilhelm Droste [CDU]: Zahlen Sie auch einen Prozesskostenvorschuss?)
Zweitens. Heute ist wieder ganz oft über die Verfassung gesprochen worden. Herr Wüst hat Sigmund Freud auf den Punkt gebracht, als er gesagt hat: Wir verlören ja ständig vor dem Bundesverfassungsgericht. – Ich glaube, da war die Angst Vater des Gedankens; denn die letzten Male, bei denen ich mich mit Verfassungsbrüchen auseinandersetzen musste,
(Lachen von der CDU)
betrafen die entsprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Sie. Zuletzt war das vergangene Woche im Bundesrat der Fall, als es um die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ging. Sie haben auch beim Wahlrecht eine Klatsche bekommen. Jedes Mal ging es um Gesetze, bei denen vorher klar war, dass sie definitiv keinen Bestand haben werden. Die teuersten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen für unseren Haushalt betrafen das KiföG und die Einheitslastenabrechnung. Raten Sie einmal, gegen wen da geklagt worden ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das war gegen Schwarz-Gelb. – Herr Schulz, wenn man diese Debatte mitbekommen hat, weiß man eines: Hier besteht keine Notwendigkeit, einen Gesetzentwurf zurückzuziehen. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das wäre angesichts der von allen Fraktionen praktizierten Überziehung der Redezeit auch nicht mehr möglich.
Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2880. Der Haushalts-und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/3459, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wie wir bereits zu Beginn der Beratung angekündigt haben, ist von den Fraktionen von CDU und FDP zur Abstimmung über diesen Gesetzentwurf Drucksache 16/2880 eine namentliche Abstimmung beantragt worden.
In diese namentliche Abstimmung treten wir jetzt auch ein. Ich bitte die Schriftführerinnen, die Namen der Abgeordneten aufzurufen.
(Der Namensaufruf erfolgt. [Abstimmungsliste siehe Anlage 1])
Meine Damen und Herren, ich darf fragen, ob es Abgeordnete gibt, die noch nicht abgestimmt haben. Herrn Kollegen Fricke habe ich gesehen, er ist etwas später gekommen. – Herr Fricke hat mit Nein votiert.
Gibt es weitere Abgeordnete, die sich an der Abstimmung noch nicht haben beteiligen können? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich darf die Schriftführer bitten, die Auszählung vorzunehmen.
(Die Auszählung erfolgt.)
Meine Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt vor. Ich darf Sie bitten, möglichst Platz zu nehmen, zumal wir gleich noch zwei weitere Abstimmungen durchzuführen haben.
Ihre Stimme abgegeben haben 231 Abgeordnete. Mit Ja stimmten 126 Abgeordnete, mit Nein 105 Abgeordnete. Es gab keine Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/2880 mit der festgestellten Mehrheit angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich lasse zum Zweiten abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/3518. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer votiert dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag Drucksache 16/3518 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piraten mehrheitlich angenommen worden ist.
Ich lasse drittens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 16/3524. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der überwiegenden Mehrheit der Piraten gegen die Stimmen von CDU und FDP bei Enthaltung von zwei Abgeordnetenkollegen der Piratenfraktion mehrheitlich abgelehnt worden ist.
Ich schließe hiermit die Beratung und die Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 3.
Wir treten ein in Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3427 – Neudruck
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3528
Ich eröffne die Beratung und darf für die erste der beiden antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Garbrecht das Wort erteilen – verbunden mit der herzlichen Bitte, meine Damen und Herren, dass Sie, so Sie denn jetzt den Saal verlassen, das möglichst geräuscharm tun, damit wir sehr schnell konzentriert in die Beratung des nächsten Tagesordnungspunktes eintreten können. – Herr Kollege Garbrecht, das Rednerpult ist Ihres. Bitte sehr.
(Einige Abgeordnete verlassen den Saal.)
Günter Garbrecht (SPD): Ich warte noch ein bisschen, bis sich diejenigen Abgeordneten, die der Debatte folgen wollen, wieder gesetzt haben, und die anderen den Raum verlassen haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Karl-Josef Laumann hat auf dem letzten CDU-Landesparteitag in Bad Salzuflen die Sozialdemokraten als griesgrämig und pessimistisch bezeichnet. Sie würden von der Ungerechtigkeit der Welt gebeugt ihr Tagwerk verrichten.
Meine Damen und Herren, dem will ich an dieser Stelle einmal entgegensetzen: Wir Sozialdemokraten kämpfen seit über 150 Jahren für Gerechtigkeit und Solidarität sowie für soziale Sicherung in diesem Land – und das mit vollem Optimismus, mit Zuversicht und Sonne im Herzen, aber nicht mit Griesgrämigkeit und gebeugt von der Ungerechtigkeit dieser Welt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Ungerechtigkeit dieser Welt ist uns aber Ansporn. Darauf sind wir stolz. Wir sind stolz darauf, dass es nämlich Demokratie und soziale Gerechtigkeit in diesem Land immer nur mit uns und mit den deutschen Gewerkschaften gegeben hat. Die konservative Seite, meine Damen und Herren, hat meistens auf der Gegenseite gestanden.
Wir wollen für alle Menschen die Zuversicht und auch die Lebensfreude für die Zukunft sichern. Deswegen haben wir im Land eine Politik begonnen, die unter dem Motto steht: „Kein Kind zurücklassen“. Ich ergänze: Wir wollen auch keinen Arbeitslosen in diesem Land zurücklassen.
Zu einer solchen Politik gehört natürlich zunächst einmal Wahrhaftigkeit. An dieser Wahrhaftigkeit fehlt es leider bei der Union und bei der FDP; denn zur Wahrhaftigkeit gehört, die Realität so zu nehmen, wie sie ist, und sich die Realität nicht rosig zu malen und sich hinzubiegen. Es ist eben so, dass gerade auf der Bundesebene die Realität diesen Maßstäben untergeordnet wird. Sie biegen sich die Realität so hin, wie Sie sie gerade brauchen. Man darf Sie auch ungestraft „Fälscher“ nennen.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
„Fälscher“ – so titelte der „Spiegel“ und meinte damit Herrn Schäuble und auch Frau Schröder, die die wissenschaftliche Expertise zu den geringen Wirkungen der familienpolitischen Leistungen umzudeuten wussten. Das Schmierentheater zum Armuts- und Reichtumsbericht ist allen noch in Erinnerung. Dieser dreiste Versuch der Trendumkehr, der schamlosen Fälschung und Verfälschung hat auch tief bis ins konservative Lager Entrüstung hervorgerufen.
Als knallharten Statistikbetrug kommentiert nun der „Spiegel“ in der vorletzten Woche die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit im Zusammenhang mit dem Bericht des Bundesrechnungshofs. Es ist von Betrug und Täuschung die Rede. Auch in dieser Woche bestätigt der „Spiegel“ noch einmal, was die Innenrevision angeht, im Prinzip Gleiches. Der Zentralvorwurf ist die Vernachlässigung von Langzeitarbeitslosen und die Fokussierung auf die sogenannte Betreuung marktnaher Kunden.
Es ist ja nicht so, als stehe diese Kritik alleine da. Selbst im „Handelsblatt“ und im „Westfälischen Anzeiger“ war zu lesen, dass der Vertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat der Agentur für Arbeit in Nürnberg, Herr Clever, gesagt hat, die Bundesagentur sei für Krisen nicht gerüstet.
Es gibt neben der Verantwortlichkeit der BA natürlich eine politische Verantwortlichkeit für alle diese Vorgänge, die eine Adresse hat, nämlich die schwarz-gelbe Bundesregierung. Wir wissen: Wer den Spielraum für aktive Arbeitsmarktpolitik immer wieder einschränkt und schlussendlich immer weniger Mittel zur Verfügung stellt, die Latte des Erfolgs aber immer höher legt, der muss kreativ gestalten, der zwingt sozusagen zur kreativen Gestaltung. Die Mitarbeiter – so in der letzten Ausgabe des „Spiegel“ zu lesen – durchlaufen sozusagen eine Metamorphose, sehen sich vom Sozialarbeiter zum Statistikfälscher degradiert.
Meine Damen und Herren, es ist klar: Die politische Vorgabe kommt aus Berlin. Wer mehr fordert, aber nicht mehr fördert, der setzt eine solche Entwicklung in Gang. Hinweise dazu hat es schon viel früher gegeben, und zwar 2009 durch den Hauptpersonalratsvorsitzenden der BA. Bei allen Veränderungen, die Sie bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten vorgenommen haben, ist Ihnen in den Anhörungen im Prinzip eine solche Entwicklung prophezeit worden.
Diese Vorgänge werden insgesamt nicht nur politisch gedeckt und legitimiert, sondern im Prinzip durch die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung geradezu hervorgerufen. Sie ignorieren nicht nur prekäre Beschäftigung, sondern Sie fördern insbesondere Leiharbeit, Hire and Fire. Raus aus der Arbeitslosigkeit in Leiharbeit, raus aus der Leiharbeit wieder in Arbeitslosigkeit, das ist Ihre Richtung.
Wir haben deshalb in unserem Forderungskatalog eine Trendumkehr gefordert, insbesondere, sich bei Vermittlung an der tariflichen und ortsüblichen Bezahlung zu orientieren. Wer das nicht angehen will, meine Damen und Herren, der gestaltet weiterhin die Dinge so, wie sie …
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Günter Garbrecht (SPD): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Dieser Punkt würde eigentlich eine intensivere Debatte erfordern.
Abschließend will ich nur sagen: Der Entschließungsantrag der CDU ist im Prinzip ein Dokument der Unfähigkeit. Ich weiß nicht, wer ihn geschrieben hat – ob er ähnlich wie der Ärzteantrag vom Hausärzteverband geschrieben worden ist. Nach dem Motto „Weiter so“ geht es nicht.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Garbrecht, Ihre Redezeit.
Günter Garbrecht (SPD): Es geht darum, den Menschen in diesem Land eine existenzsichernde Beschäftigung anzubieten. Das ist Kernanliegen unseres Antrags. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und Martina Maaßen [GRÜNE])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht nun Frau Kollegin Maaßen.
Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Prüfmitteilung des Bundesrechnungshofes an die Bundesagentur für Arbeit hat in den letzten Tagen für erheblichen Wirbel gesorgt. Um die Vermittlungsstatistik und die interne Zielerreichung zu verbessern, wurden Arbeitslose mit weniger guten Vermittlungsperspektiven vernachlässigt. Es wurden vermeintliche Arbeitslose künstlich akquiriert. Auszubildende mit Übernahmezusage wurden aufgefordert, sich dennoch arbeitslos zu melden. Sie wurden anschließend als „Vermittlungserfolge“ registriert. Mehr als ein Drittel der vermittelten Stellen waren Zeitarbeitsjobs, oft mit einer Beschäftigung von weniger als drei Monaten.
Die Vorwürfe des Bundesrechnungshofes wiegen schwer: „nicht zielführend“, „nicht sachgerecht“, „nicht kundenfreundlich“, „nicht dem gesetzlichen Auftrag entsprechend“. – Sie reichen hin bis zu „bewusste Täuschung“ und „Manipulation“. Was schon lange klar war, haben wir nun von entscheidender Stelle schwarz auf weiß: Die Arbeitsagenturen konzentrieren Zeit und Geld auf leicht in den Arbeitsmarkt zu vermittelnde Arbeitslose. Arbeitslose, die nur mit größerer Anstrengung wieder in Arbeit gebracht werden können, werden systematisch links liegen gelassen.
Meine Damen und Herren, es gehört nicht nur zum Auftrag der BA, dem Entstehen von Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken und Arbeitslosigkeit zu verkürzen, sondern es ist auch zentrale Aufgabe, Langzeitarbeitslosigkeit durch die Verbesserung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit zu vermeiden. Jedoch hat das Steuerungssystem der BA offensichtlich dazu geführt, dass zentrale soziale und arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen einer systematischen Bestenauslese zum Opfer gefallen sind. Es wurden erhebliche Ressourcen dazu verwandt, nichtunterstützungsbedürftige Arbeitslose, sogenannte marktfähige Kundinnen und Kunden, für die Erfolgsbilanz der Arbeitsagenturen zu verbuchen.
Es stellt sich die Frage: Wie gut ist ein Steuerungssystem, das Ressourcen dorthin lenkt, wo sie nicht gebraucht werden, und dort wegnimmt, wo am meisten Bedarf besteht? – Die Antwort ist eindeutig, meine Damen und Herren: Die Überprüfung des Steuerungssystem der Bundesagentur durch den Bundesrechnungshof muss Konsequenzen haben, denn die Ergebnisse sind vollkommen inakzeptabel. Das Steuerungssystem darf nicht den Zweck haben, darstellbare Ergebnisse zu erzielen, um den Bestand der BA zu sichern.
Zu Konsequenzen muss der Bericht des Rechnungshofes aber nicht nur bei der BA, sondern auch beim Bundesministerium für Arbeit führen. Die Jobcenter mussten seit Antritt der schwarz-gelben Bundesregierung eine Kürzung ihrer Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik von 6,6 auf 3,9 Milliarden € hinnehmen. Das sind mehr als 40 %. Aber auch die Bundesagentur für Arbeit wurde von der Bundesregierung in den letzten Jahren schwer geschröpft. Alleine 2013 verliert die BA rund 2 Milliarden € durch die Finanzrochaden der Bundesregierung.
Entsprechend enger sind die Spielräume für die aktive Arbeitsmarktpolitik geworden. Politisch verordnet wurde der BA, den Mangel zu verwalten. Gerade Arbeitslose, die besonders intensiv unterstützt werden müssen, fallen durch das Betreuungs- und Vermittlungsraster. Vor den Folgen des Kurses der Bundesregierung haben wir Grünen schon seit langem gewarnt. Doch Schwarz-Gelb hat die Pflicht zur Rechtsaufsicht über die BA nicht ernst genommen.
Meine Damen und Herren, die Probleme sind hausgemacht: Finanzdruck bei der BA, drastische Kürzungen der Eingliederungstitel bei den Jobcentern, mehr Rankingpunkte bei der Bewertung von Arbeitsagenturen bei der Job-to-Job-Vermittlung, weniger Punkte bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen!
Und über allem schwebend: die Königin des Schönredens und Wegschauens, Frau von der Leyen, die Königin des Schönredens der Vermittlungserfolge, des Schönredens der Arbeitslosenstatistik, des Wegschauens bei der Ausuferung prekärer Beschäftigung. Frau von der Leyen schöpft mittels Creaming die Sahnehaube ab, den abgestanden Kaffeesatz lässt sie aber zurück. Über sieben Millionen Minijobs ohne Klebeeffekt, von denen besonders Frauen betroffen sind, hohe Vermittlungszahlen in Leiharbeit ohne Brückenfunktion. Das, meine Damen und Herren, ist ihre wahre Erfolgsbilanz.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Die einseitige Ausrichtung auf Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt ist für uns Grüne der falsche Weg. Dies fördert meistens eine männliche Bestenauslese und hängt belastete Menschen ab, und sie führt insbesondere Frauen nicht selten aufs berufliche Abstellgleis.
Meine Damen und Herren, wir wollen ein Umsteuern. – Ich komme zum Ende. – Wir wollen eine Eingliederung langzeitarbeitsloser Menschen, und das muss bei den Arbeitsagenturen höhere Punkte bekommen.
Noch eine Anmerkung zum Entschließungsantrag der CDU: Sie erwähnen dort positiv den sozialen Arbeitsmarkt, leider nur im Blick auf die BA. Aber das Programm „Perspektivbetriebe“ der BA will nur 50 Personen in ganz Deutschland mit Mitteln des sozialen Arbeitsmarkts eingliedern. Das ist ein Tropfen, der bereits verdampft, bevor er den heißen Stein erreicht hat.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Maaßen, Ihre Redezeit.
Martina Maaßen (GRÜNE): Ich komme zum Ende.
Ich würde mir wünschen, dass gerade die CDA-Mitglieder in der CDU-Landtagsfraktion uns stärker im Bemühen des sozialen Arbeitsmarktes unterstützen. Das haben Sie bisher verweigert. Sie haben auch dieses Jahr wieder die Chance dazu. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Maaßen. – Von den Vertretern hören wir jetzt einen. Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Walter Kern.
Walter Kern (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber Günter Garbrecht, liebe Frau Maaßen, beim vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen habe ich mich gefragt: Rot-Grün wurde 2005 abgewählt. Warum eigentlich? Damals hatten wir – daran möchte ich erinnern – 5 Millionen Arbeitslose, davon alleine 1 Millionen in Nordrhein-Westfalen. Wie wirklichkeitsfremd muss Rot-Grün sein, die Erfolge der Merkel-Regierungszeit zu übersehen? Diese Erfolge zu übersehen, ist böswillig.
(Beifall von der CDU)
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Antrag nur gestellt wurde, um von der Nullleistung des Spitzenkandidaten Steinbrück abzulenken. Ich muss daran erinnern, dass er 2005 abgewählt wurde, weil er Nordrhein-Westfalen heruntergewirtschaftet hatte.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Zur Sache selbst: Es ist die objektive Wahrheit, dass wir mit fast 42 Millionen Menschen die höchste Beschäftigung seit der Wiedervereinigung haben, dass wir mit unserer Unterstützung 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze neu zu verzeichnen haben.
Zweitens. Diese gute Entwicklung hat vielen Menschen Geld ins Portemonnaie gebracht. Es ist Fakt, dass wir heute weniger Hartz-IV-Empfänger denn je haben. Die Arbeitslosigkeit ist in der Bundesrepublik in den letzten sieben Jahren in jedem Jahr gesunken. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in der Republik seit 20 Jahren.
(Beifall von der CDU)
Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Darüber werden wir am Freitag ja noch einmal sprechen. Im Land Nordrhein-Westfalen gibt es durchaus auch Landesteile, in denen noch einiges zu tun ist, zum Beispiel in meinem Heimatkreis Lippe. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass durch jeden neuen Beschäftigten die Beitragszahlungen für unsere sozialen Sicherungssysteme steigen. Das ist gut so. Und was machen Sie? – Schaut man in Ihre Wahlprogramme, sind Zweifel angebracht, dass diese Entwicklung anhält. Es bleibt eine herausragende politische Aufgabe, dass wir weiterhin daran arbeiten, dass jeder Mensch seinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann.
Es geht darüber hinaus darum, dass wir jeden Menschen schützen und unterstützen, der dies aus eigener Kraft nicht sicherstellen kann. Der soziale Arbeitsmarkt bleibt ein Thema, das wir weiterhin mit großer Aufmerksamkeit unterstützen werden. Es gehört zur Bilanz der Bundesregierung, dass der Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit erheblich sinkt. Gerade die Jobcenter und die gute Arbeit der Arbeitsagenturen haben in der Umsetzung nachhaltig gewirkt.
Der Anteil an Langzeitarbeitslosen in Nordrhein-Westfalen ist von 58 % im Juni 2007 auf aktuell 42,5 % im Juni 2013 gesunken. Das bedeutet einen Rückgang von 450.100 Langzeitarbeitslosen seit Juni 2007 auf aktuell 310.800. Auch da müssen wir uns darangeben, dass wir auch dort weiterhelfen.
Diese Entwicklung muss so weitergehen und unmissverständlich unterstützt werden. Gute Arbeit muss gestärkt werden. Deshalb gilt: Wir brauchen starke Gewerkschaften und starke Arbeitgeberverbände. Die Stärkung der Tarifvertragsparteien muss auch in Zukunft ein übergeordnetes Ziel bleiben. Ein Mindestlohn, der tariflich abgesichert ist, bleibt daher ein wesentliches Ziel der CDU.
(Beifall von der CDU)
Die Stärken und Erfordernisse der einzelnen Branchen, auch regional, zu berücksichtigen, ist Grundvoraussetzung für eine weitere wirtschaftliche Entwicklung.
Meine Damen und Herren, durch die wirtschaftsfeindliche Politik der Landesregierung NRW – auch der neue Landesentwicklungsplan wird dies beweisen –, durch die geplante Bestrafung der Leistungsträger unserer Sicherungssysteme durch Erhöhung der Steuern steht ohne Zweifel im Herbst eine Richtungswahl an. Es geht um die Entscheidung, weiterhin eine gute wirtschaftliche Entwicklung zum Wohle der Menschen zu generieren oder die Belastbarkeit der Wirtschaft auszutesten.
Es wird Sie nicht verwundern, dass wir Ihrem unausgereiften Antrag heute nicht zustimmen werden. Das unter anderem auch deshalb, weil Ihr Antrag die gute Arbeit der Agentur für Arbeit diskreditiert und Sie böswillig die objektiven Erfolge der Bundesregierung verschweigen.
(Beifall von der CDU)
Abschließend will ich festhalten: Unser Entschließungsantrag verweist auf die gute Entwicklung des Arbeitsmarkts. Das wurde trotz schwierigster Situation durch die Finanz- und Wirtschaftskrise erreicht. Ich darf Sie alle daran erinnern: Der Arbeitsmarkt ist deutlich besser als in allen anderen europäischen Ländern.
Unser Antrag stellt begründet fest, dass die Bundesagentur für Arbeit ihren Aufgaben sorgfältig nachkommt und bedankt sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre Arbeit. Wir fordern die Landesregierung auf, regionale Schwerpunkte zu setzen und an dem guten und bewährten System der Arbeitslosenversicherung weiterhin festzuhalten. Es gibt keinen Grund, davon abzurücken.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich möchte zum Schluss ein Zitat des BA-Chefs Weise zu dem „Spiegel“-Bericht mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen:
„Dem Eindruck, in den Arbeitsagenturen seien Manipulationen an der Tagesordnung, trete ich entgegen. Dies hat auch der Rechnungshof nicht behauptet. Die große Mehrzahle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet engagiert und korrekt. Das ist auch die Haltung, die der Vorstand als Geschäftspolitik vorgibt: Aus guter Arbeit mit den Menschen folgen auch gute Zahlen.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die FDP-Fraktion ist der nächste Redner Herr Kollege Alda.
Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise bin ich ja eher ruhig und möchte die Dinge sachlich angehen; aber beim Lesen Ihres Antrages habe ich gedacht: Die „Grünossen“ schaffen es, ein Lamm wild zu machen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
So weit wird es aber nicht kommen, ich kriege das auch anders hin.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang die Kennzeichen Ihres Antrags aufzählen. Erstens: Wahlkampf. Zweitens: Ablenkungswahlkampf. Drittens: Verzweiflungswahlkampf. Etwas anderes kommt dabei nicht herum.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Ich komme nun zu meiner Stellungnahme. Arbeitsmarktpolitik ist für die FDP ein wichtiges politisches Anliegen. Arbeitsmarktpolitik ist Chancenpolitik, die mehr Menschen den Einstieg in die Arbeit ermöglicht. Hierzu haben wir die Arbeitsmarktinstrumente flexibilisiert und übersichtlicher gestaltet. Dies kann bei den Jobcentern und den Arbeitsagenturen vor Ort inspiziert werden.
Die schwarz-gelbe Regierung kann auf diesem Gebiet Erfolge verzeichnen: Die Arbeitslosigkeit ist massiv gesunken. Die BA konnte eine finanzielle Rücklage aufbauen, die auch zur Abfederung der Wirtschaftskrise diente. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung konnten gesenkt werden. Die BA hat damit die Beitragszahler pro Jahr um rund 30 Millionen € entlastet. Die intensive Betreuung von jungen Menschen hat dazu geführt, dass bei den Jobcentern die Zahl der Sanktionen wegen Meldeversäumnissen stark gesunken ist. Den Rest hat Kollege Kern schon erklärt; das will ich nicht alles wiederholen.
Bei diesen Erfolgen jedoch eine Neujustierung der Arbeitslosenversicherung zu fordern, entbehrt jeglicher Grundlage, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Bei dem in der Zeitschrift „Der Spiegel“ erschienenen Bericht handelt es sich – anders als in Ihrem Antrag indiziert – nicht um einen abschließenden Bericht, sondern um einen Zwischenbericht aus dem November 2012. Es ist richtig, Herr Kollege Garbrecht, dass der genannte Prüfbericht Fehlanreize im Steuerungssystem und einzelne Manipulationen bemängelt. Aber – und das verschweigt der „Spiegel“, der ja ein bisschen Ihre Hauspostille ist –
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nur kein Neid!)
er bestätigt das System des Führens über Ziele und stellt fest, dass sich das Steuerungssystem der BA bewährt hat und anerkannt ist.
Nach Bekanntwerden des „Spiegel“-Berichtes hat die Regionaldirektion hier in NRW – direkt in der Nachbarschaft – alle Fraktionen im Landtag angeschrieben und sich für Rückfragen zur Verfügung gestellt. Die Piraten und wir sind dort gewesen; die anderen haben das Angebot nicht angenommen, zumindest nicht die Regierungsfraktionen.
Ich lasse es an diesem Punkt – auch aus persönlicher Erfahrung in der Zusammenarbeit mit dieser Agentur – auch nicht zu, dass die Bundesagentur von Ihnen per Antrag diffamiert wird.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Weiterhin richten Sie sich in Ihrem Antrag gegen die Zeitarbeit und sprechen dieser die Nachhaltigkeit des Eingliederungserfolges ab. Hier wende ich mich besonders an die geschätzten Gewerkschafter unter uns. Es tut mir leid, Herr Minister, dass Sie jetzt alleine hier sitzen; ich wollte mit Herrn Römer darüber reden und mit den Kollegen Bischoff oder Schmeltzer; aber keiner ist hier. Bei Ihnen interessiert sich kein Mensch für Ihren Antrag, gerade aus der Gewerkschaftsbewegung. Das ist ja wirklich erschreckend, das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sie als geschätzte Gewerkschafter wissen, dass unsere Regierung in Berlin die Zeitarbeitsbranche in einen sehr guten Tarifvertrag mit dem DGB gezwungen hat, und zwar straight in Richtung Equal Pay und Übernahme. Spätestens nach zwei Jahren muss ein entsprechendes Angebot gemacht werden. Das wissen Sie. Warum behaupten Sie hier das Gegenteil? – Diesen Weg gilt es fortzusetzen. Wir sprechen uns entschieden gegen eine stärkere Regulierung der Zeitarbeit aus.
Aber nicht nur bei diesem Thema, sondern auch für das gesamte Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber schreit Ihr Antrag nach Regulierung, noch mehr Regulierung und totaler Regulierung – vulgo: Wechsel des Systems. Ihr gerade ertrinkender Freund Hollande aus Frankreich lässt grüßen.
Resümee: Deutschland hatte noch nie so viele Menschen in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Gleichzeitig haben noch viele Menschen die Möglichkeit, sich mit einem 450-€-Job etwas Geld hinzuverdienen.
Ernstzunehmende Studien – nachzulesen zum Beispiel vor drei Wochen in der „Wirtschaftswoche“ – sagen ganz klar, dass die Mittelschicht nicht schrumpft und dass Ihre Fakten jeglicher Grundlage entbehren. Von „Verarmung der Gesellschaft“, die Sie hier flammschriftartig ständig an die Wand malen, kann in Deutschland keine Rede sein.
Zwei Kennzeichen markieren Ihren Gesamtweg, immer wieder und gebetsmühlenartig. Das ist zum einen der inflationäre Gebrauch des Wortes „gut“ – als ob hier alles schlecht wäre –, und zum anderen die ständige Wiederholung des Begriffes „Mindestlohn“ als Allheilmittel: gegen die Aufstockung, gegen die Altersarmut, gegen die Benachteiligung von Frauen, gegen Nichtwertschätzung von Niedriglöhnen, gegen Wohngeldansprüche, gegen Überschuldung etc. etc.
Ich frage mich, warum die Republik jahrzehntelang ohne Mindestlohn ausgekommen ist und sie heute – auch nach der zweiten Superkrise in den letzten fünf Jahren – besser dasteht als alle Staaten mit Mindestlohn.
(Zuruf: Weil wir gute Maßnahmen haben!)
– Eben, weil wir gute Maßnahmen haben, die nur angewendet werden müssen. Sie heißen: Allgemeinverbindlichkeit, Mindestarbeitsbedingungengesetz und Entsendegesetz. Diese Instrumente werden wir modifizieren müssen, das ist richtig, aber nur im Einvernehmen mit den Tarifpartnern.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, aber wir werden diesem Antrag trotzdem nicht zustimmen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Alda, ich darf Sie bitten, am Rednerpult zu bleiben. Der Kollege Garbrecht hat eine Kurzintervention angemeldet und hat dazu jetzt 90 Sekunden Zeit. Die Zeit läuft, Herr Kollege Garbrecht.
Günter Garbrecht (SPD): Herr Kollege Alda, ich habe zwei Fragen, die ich gerne an Sie richten möchte. Zunächst einmal: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass es im ersten Halbjahr 2013 580.000 Eintritte in die Leiharbeit und 540.000 Austritte aus der Leiharbeit gegeben hat? Sehen Sie aufgrund dieser Zahlen eine Nachhaltigkeit bei der Leiharbeit gegeben, die Sie ja so hochhalten?
Dann interessiert mich: Was spricht eigentlich aus Ihrer Sicht oder aus Sicht der FDP dagegen, die Vermittlung in Arbeit an tarifliche oder ortsübliche Bezahlung zu koppeln?
Ulrich Alda (FDP): Ich komme zunächst zu Ihrer ersten Frage. Ich kann die nackten Zahlen, die Sie hier gegenüberstellen, nicht vergleichen. Lassen Sie mich aber grundsätzlich eines sagen: Unter den 540.000 Austritten wird es mit Sicherheit etliche Arbeitnehmer geben, die übernommen worden sind, zumal der vorhin genannte Zwang eine Rolle spielt.
Zu Ihrem zweiten Punkt: was gegen eine Koppelung spricht. Die Antwort ist ganz einfach: Ihre Regulierung. Sie wollen doch noch ein zweites Tariftreuegesetz bringen. Was für Bandagen wollen Sie der Wirtschaft eigentlich noch anlegen?
(Martina Maaßen [GRÜNE]: Wir wollen den Menschen helfen!)
– Ach, den Menschen helfen. Frau Kollegin Maaßen, das wollen wir doch alle zusammen.
(Martina Maaßen [GRÜNE]: Das weiß ich nicht!)
Der Unterschied im Ansatz besteht nur darin, dass Sie alles regulieren und in gewisse Bahnen lenken wollen. Wir hingegen sagen: Lasst den Menschen doch einfach ihre Freiheit. Das hat bislang doch gut funktioniert. Ich sehe nicht die Schreckgespenster, die Sie immer heraufbeschwören.
Wir sind uns darüber einig, dass wir helfen müssen, aber doch nicht mit immer mehr Bandagen, die den Menschen in der Wirtschaft und dann auch noch in den Tarifverträgen angelegt werden.
(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])
– Ich danke Ihnen trotzdem für die Kurzintervention.
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Jetzt kommt der Sommer: Torsten Sommer für die Piratenfraktion.
Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und natürlich auch im Livestream! Auch wenn draußen die Wolken ein bisschen aufziehen, habe ich es trotzdem geschafft, in den letzten Tagen meinem Namen alle Ehre zu machen, hoffe ich.
Leider sieht es nicht ganz so sonnig aus, was die BA und ihr Steuerungssystem angeht. Das hat der Zwischenbericht – ich möchte deutlich darauf hinweisen: Es ist ein Zwischenbericht vom November 2012 – des Bundesrechnungshofes gezeigt und vor allen Dingen, wie manipulierbar dieses Steuerungssystem und wie leicht es zu missbrauchen ist. Das ist eine ganz schlimme Geschichte. Es muss dagegen gearbeitet werden.
Zu den Details; Beispiele sind teilweise gerade schon genannt worden. Junge Menschen, die noch vor einem Schulabschluss stehen, werden von Berufsberatern im System VerBIS registriert, wenn die Berufsberater die Schulen besuchen. Bis dahin ist das nichts Schlimmes. Ab diesem Moment gelten sie als ratsuchend – bei Eltern, die allerdings schon im SGB-II-Bezug stehen, direkt als arbeitssuchend. Finden die Jugendlichen einen Job oder eine Lehrstelle ohne die Vermittlung der Agentur, zählt das System der Agentur das Ganze trotzdem als erfolgreiche Vermittlung. Das ist definitiv ein richtiger Fehlanreiz – übrigens mit acht Punkten im System viel zu hoch angesetzt für zwei Klicks im Endeffekt. Das geht gar nicht.
Anders sieht es bei Langzeitarbeitslosen aus. Hier wird ein sogenanntes – ich darf zitieren – Creaming betrieben. Wenn ich mir anschaue, wie wenige Abgeordnete leider nur noch hier sind, gehe ich davon aus, dass diejenigen, die hier sind, sich darunter wahrscheinlich etwas vorstellen können. Ich finde es in bisschen schade. Wir sollten vielleicht zu einer etwas anderen Mittagszeitregelung kommen. Das wird dem Thema hier nicht gerecht.
(Beifall von den PIRATEN – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist richtig! Wir werden es auch ändern! Das ist auch mein Ansinnen!)
– Das wäre schön, gerne gemeinsam.
„Creaming“ bedeutet, dass sogenannte marktferne Langzeitarbeitslose durch erheblich weniger Vermittlungsanstrengungen betreut werden als leichter oder marktnahe zu vermittelnde Arbeitslose. Erschwerend kommt hinzu, dass bei den marktfernen Arbeitslosen keine Protokollierung erfolgt, falls ein Suchlauf durch die Systeme stattfindet, der nicht erfolgreich ist, also keine Stelle auswirft. Das wird nicht protokolliert. Das macht das System an der Stelle noch weniger aussagekräftig. Danke für den Hinweis, Herr Alda. Darauf haben wir im Gespräch mit der Agentur hingewiesen. Man sicherte uns zu, dass man das ändern möchte. Wir sind sehr gespannt.
Insbesondere Arbeitssuchende mit sogenannten multiplen Hemmnissen fallen einfach durch das Raster. Dieses Steuerungssystem gibt die absolut falschen Anreize. Wir müssen auf eine großartige Änderung dieses Systems hinwirken. Wir erwarten von der Bundesagentur, dass sie die Änderungen dieses Systems sehr transparent und sehr offensiv kommuniziert. Ändert sich daran und im Kommunikationsverhalten der Agentur nichts – das Zitat von Herrn Weise ist eine ordentliche Nebelkerze und leider nicht mehr …
(Widerspruch von Walter Kern [CDU])
– Ich finde schon, dass es viel sinnvoller wäre, offensiv zu kommunizieren. Das mit richtigen Zahlen unterlegt hat wesentlich mehr Sinn. Wenn einmal ein Fehler passiert, ist das nicht schlimm. Dann erläutern, nachbessern – schön.
Allerdings enthält der Bericht des Bundesrechnungshofes auch Hinweise darauf, dass die Gesamtsystematik des SGB-III-Bezuges dringend verbesserungsbedürftig ist. Über das katastrophale SGB-II-System wollen wir an der Stelle gar nicht reden, sondern uns nur auf die Fehler des SGB III beziehen. Hier muss es eine Selbstverständlichkeit sein, Menschen in Arbeit zu bringen. Alter, Erkrankungen oder eine nicht vorhandene Ausbildung dürfen hier auf keinen Fall ein Hindernisgrund sein. Die schon genannten Hemmnisse müssen für die Agentur erst recht ein Ansporn sein, alle Menschen in Arbeit zu bringen.
Hilfestellung, Orientierung und Weiterbildungsmaßnahmen können dauerhaft nur ohne Sanktionen funktionieren. Menschen, die nur durch Sanktionen in Beschäftigungsverhältnisse gepresst werden, wird so nicht geholfen. Hier wird der gesamten Gesellschaft ein Bärendienst erwiesen. Es ist keine Seltenheit, dass die so vermittelten Erwerbslosen innerhalb von sechs Monaten – Herr Garbrecht referierte gerade dazu – bei drei oder mehr Zeitarbeitsunternehmen kurzfristig beschäftigt sind. Diese kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse helfen niemandem und beschädigen die Betroffenen. Damit ist übrigens auch den Zeitarbeitsfirmen selbst nicht geholfen. Hier müssten deutlich mehr individuelle Maßnahmen zur persönlichen Förderung her. Statt auf Quantität sollte hier auf Qualität gesetzt werden.
Aufstockung, Ausweitung von Minijobs und das Unterlaufen von Lohnuntergrenzen durch Werkverträge wie gerade erst im fleischverarbeitendem Gewerbe missbraucht sind sozialer Sprengstoff und gehören grundsätzlich auf den Prüfstand und wahrscheinlich sogar abgeschafft.
An dieser Stelle muss auch der Gedanke über ein Grundeinkommen zugelassen sein. Wir werden das in nächster Zeit noch weiter ausführen.
Ein letzter Satz zum Entschließungsantrag der CDU: Er geht komplett an der aktuellen Problematik vorbei. Mich würde auch interessieren, wer ihn geschrieben hat. Er ist in sich widersprüchlich. Dementsprechend werden wir den Entschließungsantrag auch ablehnen.
Ich bin übrigens sehr gespannt auf Ihre Lösung zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung, Herr Alda. Wenn Sie einen vernünftigen Vorschlag haben, arbeite ich gerne mit Ihnen zusammen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung hören wir jetzt Herrn Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Alda, zunächst eine Vorbemerkung: Auch wenn in den letzten Minuten viele Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion ins Plenum gekommen sind, wage ich zu behaupten, dass alle Mitglied einer Gewerkschaft sind.
(Walter Kern [CDU]: Oh, das ist schön!)
Das ist auch gut so. Deshalb haben Sie es, wenn Sie mit Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diskutieren, auch immer mit Gewerkschaftern zu tun.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister Schneider, bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Kollege Alda möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Bitte schön.
Ulrich Alda (FDP): Danke, Herr Präsident. Schönen Dank auch, Herr Minister. Können Sie mir sagen, an welcher Stelle ich gesagt habe, dass alle Mitglieder in der Gewerkschaft sind? Das habe ich nicht gesagt. Ich habe konkrete Namen von Abgeordneten genannt, die nicht da waren.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Einige waren nicht da. Daraus haben Sie geschlossen, einige sind eben nicht gewerkschaftlich organisiert. Ich wollte Sie nur darüber informieren, dass dem nicht so ist. Das ist doch in Ordnung.
Die Landesregierung freut sich über jeden zusätzlichen Arbeitsplatz, der aufgrund eines durchaus nennenswerten Wirtschaftswachstums anderer Faktoren zustande gekommen ist. Schaut man allerdings näher hin, muss man feststellen, dass vieles auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt in Unordnung geraten ist.
Die Bundesrepublik ist zwischenzeitlich ein Land des Niedriglohnsektors geworden.
Ich erinnere an die schon angesprochene Leiharbeit, die sprunghaft zunimmt, ähnlich wie das System der Werkverträge.
Ich erinnere daran, dass in vielen Unternehmen das Aufstocken zu einem Geschäftsmodell geworden ist. Im letzten Jahr mussten die Kommunen in Deutschland etwa 11 Milliarden € bereitstellen, um aufzustocken.
Ich erinnere daran, dass jüngere Menschen fast nur noch befristete Arbeitsverträge erhalten.
Ich denke daran, dass wir zwischenzeitlich 7 Millionen Minijobberinnen und Minijobber haben, die zum Teil aus dieser Beschäftigungsform heraus ihren Lebensunterhalt gänzlich bestreiten müssen.
Ich denke aber auch an nicht immer freiwillig geleistete Teilzeitarbeit, die auch zu Teileinkommen und letztendlich zu Teilrenten führt.
Ökonomisch betrachtet können wir nicht darüber hinwegsehen, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland trotz der Zunahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung kaum gestiegen ist. Hier gibt es also eine volkswirtschaftliche Problematik, die man nicht aus den Augen verlieren darf.
Ich sage Ihnen: Prekäre Beschäftigung ist kein Mittel, um gute Arbeit herbeizuführen. Dies sollte die Richtschnur für uns alle sein.
Über den Bericht des Bundesrechnungshofs, der auch von der Innenrevision der Bundesagentur weitgehend bestätigt worden ist, wurde zwischenzeitlich noch einmal etwas bekannt, was für die Insider als Geschäftsmodell der BA seit Langem offenkundig ist: Die BA favorisiert in ihrer Geschäftspolitik die Vermittlung von leicht Vermittelbaren, um auch statistisch vieles vorweisen zu können.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir brauchen nicht mehr Statistiken, sondern mehr Arbeitsplätze und die Eingliederung von Arbeitslosen in diese Arbeitsplätze. Ganz Beschäftigtengruppen wie Menschen mit Behinderungen und Ältere sind von den positiven Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht oder nur ganz selten und ganz wenig berührt. Auch dies sollte uns zu denken geben.
Natürlich möchte die BA im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die mit dem Begriff der sogenannten Instrumentenreform umschrieben worden ist, weiter Gelder einsparen. Ich erinnere daran: Von 2012 bis 2015 geht es hier um etwa 7 Milliarden €. Dieses Geld geht uns verloren, obwohl wir einen sozialen Arbeitsmarkt – er ist eben schon angesprochen worden – dringend benötigen, um Beschäftigung für die zu mobilisieren, die aufgrund mancher Handicaps, auch aufgrund einer nicht hochentwickelten Qualifikation, kaum eine Chance haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen.
Ich denke, das Prinzip des Forderns und Förderns ist richtig. Es muss aber wieder mehr gefördert werden, um den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen. Ich glaube, wir müssen alle daran arbeiten, dass es zu neuen Strukturen auf dem Arbeitsmarkt kommt. Der Arbeitsmarkt muss wieder in Ordnung gebracht werden. Dazu lade ich alle ein.
Natürlich bedanken wir uns auch bei den Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit, auch in Nordrhein-Westfalen. Hier wird gute Arbeit geleistet. Ich sage Ihnen: Das Problem liegt nicht in erster Linie in Nürnberg, sondern das Problem liegt in Berlin.
(Beifall von der SPD)
Dort ist die Regierung tätig, die die Fachaufsicht über die BA hat. Die BA ist keine Organisation, die selbständig agieren kann; sie hängt auch finanziell am Tropf der Bundesregierung. Hier werden die Vorgaben gemacht, die dann in den einzelnen Einrichtungen umgesetzt werden.
(Zuruf von der CDU: Sie haben die Fachaufsicht!)
Dies müssen wir dringend ändern. Dabei – da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Kern und Herr Alda – spielt der 22. September dieses Jahres eine sehr wichtige Rolle. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Ich teile dem Hohen Hause mit, dass die Landesregierung die Redezeit um knapp zwei Minuten überzogen hat. Gibt es noch Wortmeldungen aus den Reihen der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind wir am Schluss der Beratung und kommen zur Abstimmung.
Die antragstellenden Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben eine direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen damit über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/3427 – Neudruck – ab. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Das sind die Fraktionen der Piraten, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer lehnt den Antrag ab? – Die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Gibt es Enthaltungen? – Eine Enthaltung in der Piratenfraktion. Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten angenommen.
Wir stimmen dann ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3528. Wer kann dem Entschließungsantrag folgen? – Das ist die Fraktion der CDU. Wer lehnt den Antrag ab? – Die Piraten, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion enthält sich. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunktes und kommen zu:
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3448
Ich eröffne die Beratung. Für die antragstellende Fraktion spricht Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schule muss ihren Beitrag zur Vermittlung von Wirtschaftskompetenz leisten. In diesem Zusammenhang fordert die FDP die verbindliche Einführung eines Faches Wirtschaft an Realschulen und im Realschulbildungsgang an Sekundarschulen. Nach drei Jahren wollen wir prüfen, inwieweit eine Übertragung eines solchen eigenständigen Schulfaches auf andere Schulformen sinnvoll ist.
Was ist die Ausgangslage für diesen Antrag? Das möchte ich Ihnen anhand von drei Punkten erklären. Auf den Modellversuch des Faches Wirtschaft, der mittlerweile seit drei Jahren an 70 Realschulen in Nordrhein-Westfalen läuft, gab und gibt es enorm positive Rückmeldungen seitens der Beteiligten: seitens der Lehrer, der Eltern, aber auch seitens der Schüler. Diesen Rückenwind wollen wir für eine feste Etablierung dieses Schulfachs an den Realschulen nutzen.
Wenn wir nahtlos an den besagten Modellversuch anknüpfen wollen, heißt das, heute zu handeln. Denn nächstes Jahr läuft dieser Modellversuch aus. Es gilt, das kommende Schuljahr zu nutzen, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen wie zum Beispiel Zielvereinbarungen mit den Universitäten für eine entsprechende Lehrerausbildung.
Zu guter Letzt: In den vergangenen Monaten haben Wissenschaft und Wirtschaft unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass im Bereich der ökonomischen Bildung an unseren Schulen dringend etwas passieren muss.
(Beifall von der FDP und Petra Vogt [CDU])
Renommierte Sozialwissenschaftler wie zum Beispiel Prof. Klaus Hurrelmann sprechen gar von einem – ich darf zitieren – finanziellen Analphabetentum unserer Jugend. Namhafte Professoren der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung und Mitglieder im Beirat zur Begleitung dieses Modellversuchs sprechen sich ebenfalls uneingeschränkt für die dauerhafte Verankerung eines eigenständigen Faches Wirtschaft an Realschulen aus. Auch unternehmer.nrw sowie direkt Betroffene wie der Lehrerverband der Realschulen in NRW unterstützen diese Forderung ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, wirtschaftliches Verständnis ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Zu diesem wirtschaftlichen Verständnis gehört, jungen Menschen im Rahmen der Verbraucherbildung notwendige Kenntnisse zu vermitteln wie zum Beispiel das Führen eines Kontos oder das Abschließen von Verträgen. Das allein reicht aber bei Weitem nicht aus.
Unter „wirtschaftlichem Verständnis“ ist zwingend auch zu verstehen, dass Jugendliche in die Lage versetzt werden müssen, systemische Zusammenhänge zu erkennen, sie zu verstehen und sie auf andere Sachthemen zu übertragen. Beide Aspekte zusammen, systemisches Verständnis von Wirtschaft und Verbraucherbildung, schaffen notwendige ökonomische Kompetenzen zum Führen eines selbstbestimmten Lebens.
(Beifall von der FDP)
Diese Vielzahl von wichtigen theoretischen und praktischen Bausteinen kann nur ausreichend im Rahmen eines eigenständigen Faches Wirtschaft von entsprechenden Fachlehrern auf Dauer vermittelt werden.
Ich danke Ihnen an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Spanier-Oppermann.
Ina Spanier-Oppermann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, ich möchte gern auf Ihren Antrag stellvertretend für die SPD-Fraktion antworten.
Sie sprechen ein wichtiges Thema an, jedoch zum falschen Zeitpunkt. Gerade wurde der Modellversuch um ein weiteres Jahr verlängert, und heute liegt uns Ihr Antrag vor. Was ist die Erwartungshaltung von Ihrer Seite? Soll das Ministerium den Modellversuch abbrechen und ohne eine abschließende Evaluation Entscheidungen treffen, die Schule, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler nachhaltig betreffen? Das scheint mir nicht der richtige Weg zu sein.
Durch den Modellversuch sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob die ökonomischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler durch ein eigenständiges Fach Wirtschaft verbessert werden können. Den Jugendlichen müssen Wege aufgezeigt werden, wie sie die wechselseitigen Bezüge zwischen den Disziplinen Politik, Geschichte, Recht, Sozialwissenschaft und Wirtschaft effektiver verstehen lernen.
Gerade im Hinblick auf die finanzwirtschaftlichen Krisenereignisse der vergangenen Jahre ist es immens wichtig zu beachten, dass Wirtschaft ein gesamtgesellschaftlicher Teilaspekt ist und dass dieser Bereich nicht von anderen wichtigen Bereichen abgekoppelt werden darf. Weiterhin ist es gesamtgesellschaftliche Aufgabe – und damit nicht nur Aufgabe der Eltern und der Schule –, Jugendliche an Finanz- und Wirtschaftskompetenzen heranzuführen. Das ist wohl auch herrschende Meinung.
Es gilt bei diesem Modellversuch, eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen. In vielen Gesprächen auch mit den Verbänden wurde deutlich, dass es durchaus noch erhebliche Unterschiede in einer endgültigen Bewertung des Modellversuchs gibt. Unter anderem geht es darum, ob die Stärkung der ökonomischen Kompetenzen durch ein Pflicht-, ein Wahlpflichtfacht oder durch ein integriertes Fach erfolgen soll. Daher war die Verlängerung der Laufzeit die richtige Entscheidung.
An dieser Stelle hebe ich das große Engagement und die hoch einzuschätzende Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer der beteiligten Schulen hervor. Auch der Aspekt der Profilbildung der Realschulen wird zum Ende des Modellversuchs zu erörtern sein. Demnach wird dies keineswegs, wie im Antrag unterstellt, seitens der Politik und des Schulministeriums ignoriert. In Zusammenarbeit der Beteiligten und des eingerichteten Beirats werden abschließend die Erfahrungen ausgewertet.
Ziel unserer Schulpolitik ist es, langfristig die ökonomischen Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler an allen Schulformen zu stärken, und zwar im Rahmen einer verantwortungsvollen Verbraucherbildung im Unterricht aller Schulformen unter Berücksichtigung der, wie ich eben schon sagte, gesamtgesellschaftlichen Aspekte.
Im Interesse der Schulen, der Lehrerinnen und Lehrer, aber besonders unserer Schülerinnen und Schüler sollten wir von voreiligen Anträgen wie dem vorliegenden absehen und uns doch darauf konzentrieren, die verbleibende Zeit zu nutzen, Erkenntnisse zu sammeln und daraus dann hoffentlich gemeinsam die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine kleinen Volkswirte oder Betriebswirte, wir brauchen junge Menschen, die Wirtschafts- und Finanzkompetenzen erlernen und in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext einordnen können. Auch das ist eine Form der Prävention, der präventiven Politik. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Vogt.
Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mir, als ich das Thema dieses Antrages erstmalig gesehen habe, überlegt, ob ich am heutigen Tage anstelle einer Rede eine kurze Einführung in das Fach Wirtschaft gebe. Bei Grundlagen der Volkswirtschaftslehre und Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre würde das vielleicht allgemein noch Freude hervorrufen. Bei einer Einführung in das Rechnungswesen, sagt meine Erfahrung, könnte es schon schwieriger werden. Und wir wollen ja am heutigen Tag diesen Antrag vonseiten der CDU-Fraktion positiv begleiten. Also lasse ich es dabei bewenden und mache keine Einführung in das Fach, sondern beschränke mich auf andere Dinge, die ganz wichtig sind, um entscheiden zu können, ob wir ein solches Fach in der Schule wollen oder nicht.
Aufgabe der Wirtschaft ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen unbegrenzten Bedürfnissen und den knappen Gütern, die zur Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehen. Wirtschaften als Tätigkeit ist folglich die Bereitstellung und Verwendung knapper Güter mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Die Menschen sind dabei gezwungen zu haushalten, das heißt, sie müssen stets von neuem entscheiden, welche Bedürfnisse den Vorrang haben sollen. Diese kurze Definition zeigt, wie vielfältig das Fach Wirtschaft ist und wie vielfältig die Entscheidungen sind, die jeder Mensch in seinem Leben tagtäglich treffen muss.
Dazu ist es aus Sicht der CDU-Fraktion unerlässlich, ein wirtschaftliches Grundwissen zu haben; denn nur wenn ich über Rahmenbedingungen, über Grundkenntnisse verfüge, kann ich diese Entscheidungen auch verantwortungsvoll treffen. Wenn man diese Grundlagen nicht hat, gerät man gerade als junger Mensch häufig in Fallen. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt, wie problematisch das werden kann.
Wir hatten eine ganze Schülergeneration, die sich aufgrund von Mobilfunkverträgen verschuldet hat und die hinterher nicht mehr wusste, wie sie aus diesen Verträgen herauskommen soll. Aber auch Zahlungsformen bereiten Schwierigkeiten. So kann man beispielsweise den Ratenkauf nennen, der häufig junge Menschen dazu verleitet, finanzielle Entscheidungen zu treffen, die eigentlich gar nicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegen.
Frühzeitig solche Gefahren aufzuzeigen und auch Möglichkeiten des Handelns den jungen Menschen an die Hand zu geben, ist aus unserer Sicht sehr wichtig. Wir freuen uns daher, genauso wie die FDP-Fraktion, dass das Fach Wirtschaft an den Realschulen einen so guten Anklang gefunden hat.
Es gibt aber auch noch einen weiteren Punkt, der besonders wichtig für das Fach Wirtschaft ist. Viele junge Menschen, die die Realschule verlassen, nehmen hinterher eine kaufmännische Ausbildung auf. Im Rahmen dieser kaufmännischen Ausbildung werden sie dann zum ersten Mal tatsächlich mit den Inhalten dieses Faches konfrontiert: Ich weiß nicht, ob hier jeder im Raum weiß, dass eben all diese verschiedenen Aspekte dazuzählen: Volkswirtschaftslehre, Rechnungswesen, Betriebswirtschaftslehre, teilweise spezielle Betriebswirtschaftslehre. Die jungen Menschen, die noch nie etwas davon gehört haben, gehen teilweise in Berufe, um dann nach zwei, drei, vier oder fünf Monaten festzustellen, dass diese kaufmännischen Inhalte gar keine Dinge sind, die ihnen liegen und mit denen sie später auch ihr Leben gestalten möchten. Gerade die Realschule mit ihrem besonderen Profil der Berufsvorbereitung hat ja eine wichtige Aufgabe, den jungen Menschen auch schon frühzeitig aufzuzeigen, wo ihre Interessen und Schwerpunkte liegen. So kommt es später nicht zu den entsprechenden Enttäuschungen.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Wichtig wäre uns aber auch, dass es dann, wenn dieses Fach dauerhaft etabliert wird, eine Abstimmung mit den anderen Schulformen gibt; denn wir haben bei uns am Berufsschulkolleg beispielsweise die Höhere Handelsschule, die sich zwei Jahre lang sehr intensiv mit allen Fächern aus dem Bereich der Wirtschaft beschäftigt, oder – ebenfalls am Berufskolleg – das Wirtschaftsgymnasium, das in drei Jahren zum Abitur führt und wo eben alle Inhalte, auch die Inhalte der allgemeinbildenden Fächer, klar wirtschaftlich ausgerichtet sind.
Von daher müsste man schauen, wenn man einen Lehrplan entwickelt, wie man diesen in Kombination mit unseren anderen Schulformen gestalten kann, damit man Überschneidungen vermeidet oder teilweise bei Dingen, die bei einigen Schülern als Grundlage da sind und bei anderen Schülern nicht, nicht in eine solche Falle gerät, um dann hinterher festzustellen, dass die einen Schüler sich im Unterricht langweilen, während die anderen völlig überfordert sind, weil sie eben nicht die Möglichkeit hatten, in diesem Fach schon jahrelang unterrichtet worden zu sein.
Abschließend kann ich sagen: Aus den genannten Gründen begrüßen wir sehr den Antrag der FDP-Fraktion. Wir freuen uns, dass dieser Modellversuch so erfolgreich gelaufen ist, und wir hoffen darauf – auch im Sinne von Prävention –, dass den jungen Menschen, wenn sie dann wirtschaftliche Grundkenntnisse haben, viele Dinge, die ihnen heute passieren, später in ihrem Leben nicht mehr passieren werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Gebauer – meine Kollegin Spanier-Oppermann hat es schon einmal gesagt –, das ist ein Antrag zum verfehlten Zeitpunkt. Zurzeit läuft nämlich der Modellversuch noch, und ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass bei Übernahme der rot-grünen Regierung eben dieser Modellversuch weiterlaufen konnte, dass er sogar verlängert worden ist. Das ist ein etwas anderes Umgehen mit Initiativen gewesen, als wir das zum Beispiel mit dem naturwissenschaftlichen integrierten Unterricht unter Schwarz-Gelb erlebt haben, der bei der damaligen Regierungsübernahme von Schwarz-Gelb einfach so aus der Landschaft gefegt wurde. Nun läuft dieser Modellversuch ein Jahr länger. Und ich bitte sehr darum, dass wir zuerst einmal den Bericht abwarten und ihn dann miteinander im Ausschuss diskutieren.
Frau Gebauer, wir haben ja bereits eine Anhörung zum Thema „Lebensgestaltungskompetenzen“ in den Bereichen Gesundheit, Verbraucherbildung und Nachhaltigkeit vereinbart, um soziale und ökologische und ökonomische Dimensionen des Lernens auch in der Schule zu diskutieren. Packen Sie Ihren Antrag doch mit dazu, damit wir das gemeinsam besprechen können. Dann können wir den Fragen, die ich gleich formulieren werde, gemeinsam nachgehen.
Ich kenne diese Diskussion um ein eigenständiges Fach Wirtschaft schon seit Jahren. Das ist gar nicht neu. Herr Kaminski geht damit wohl schon 15 Jahre durch die Landschaft. Ich finde es ganz interessant, dass die Wirtschaftsdidaktiker und Wirtschaftswissenschaftlerinnen insgesamt ihre Lehrstühle damit ganz gern noch weiter aufbauen wollen. Das hat durchaus ein Eigeninteresse. Die Argumentationslinien sind immer die gleichen, die füttern sich gegenseitig an. Das würde ich gerne mal hinterfragen; denn die Konzepte sind nicht viel anders geworden. Dass der Ansatz, Dinge rein nach Rationalitäts- und Effizienzgesichtspunkten zu untersuchen, noch State of the Art ist, möchte ich ganz klar infrage stellen.
Ich möchte auch die Praxis infrage stellen, die in den Realschulen nach den Rückmeldungen, die ich erhalten habe, gang und gäbe ist. Danach nämlich geht das Fach Wirtschaft zulasten der politischen Bildung, vorrangig der Ergänzungsstunden. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Das geht überhaupt nicht.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben unter Schwarz-Gelb ja erlebt, dass das Thema „Politikunterricht“ einen sehr starken wirtschaftslastigen Einschlag bekommen hat. Und wir haben hier im Landtag auch schon gemeinsam festgestellt, dass wir politische Bildung stärken müssen und nicht schwächen dürfen. Da müssen wir, glaube ich, noch mal sehr genau hingucken. Insgesamt nimmt es Stundenanteile aus dem sozialwissenschaftlichen und dem gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht heraus, und das mit einem sehr einseitigen Blick auf Gesellschaft. Wir müssen darüber reden, ob dies miteinander verträglich ist.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich betone: Ja, ökonomische Bildung und ökonomische Kompetenzen sind ganz wichtig, aber sie müssen sozialwissenschaftlich in einen gesellschaftlichen Diskurs eingebettet werden,
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
der dann auch entsprechend dargestellt wird – multiperspektivisch und nicht eindimensional.
Das zeigt sich leider auch bei den Papieren, die die Lehrstühle zur Unterstützung dieses Modellvorhabens vorgestellt haben. Gleiches gilt für das, was wir seit Jahren aus der einschlägigen Literatur vorgestellt bekommen.
Wir müssen uns auch verantwortlich Gedanken darüber machen, ob wir eine weitere Atomisierung der Sekundarstufe I mit immer mehr Fächern wollen. Warum soll es dann gerade das Fach Wirtschaft sein, warum nicht das Fach Gesundheit, warum nicht ein eigenständiges Fach Verbraucherbildung? Das ist miteinander zu diskutieren. Da gibt es keine höhere Wertigkeit des Fachs Wirtschaft innerhalb der Sekundarstufe I.
(Dietmar Brockes [FDP]: Doch!)
– Herr Brockes, Sie haben da vielleicht Nachholbedarf.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Man kann es multiperspektivisch anders anlegen und die Grundkompetenzen fördern. Herr Brockes, wir wollen eben kein FDP-Fach. Das können wir mit diesem Wirtschaftsverständnis nicht gebrauchen. Es muss breiter aufgestellt sein.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Von daher sind viele Fragen an die Konstruktion, an die Rückmeldungen und an das Curriculum zu stellen, das zugrunde gelegen hat. Auch die einschlägigen Eigeninteressen aus dem Bereich Wirtschaft bzw. Wirtschaftswissenschaften sind zu prüfen. Welche Interessen bestehen bei der Beförderung dieses Fachs? Wenn damit allein das Bild der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft transportiert würde, würde mir das nicht ausreichen.
Aber das würde ich ganz gerne noch untersuchen. Deswegen hätte dieser Antrag einen guten Platz im Rahmen einer Anhörung. Dann können wir das miteinander diskutieren. Ich bin ganz gespannt auf den Bericht und die Auswertung. Diese möchte ich dann gerne sehr genau untersuchen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Piraten spricht jetzt Kollegin Rydlewski.
Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Lehrerin an einem Berufskolleg mit allen Wirtschaftsfächern darf ich sagen, dass ich den vorliegenden Antrag der FDP durchaus mit freudiger Überraschung zur Kenntnis nehme. Bereits dem einleitenden Satz kann ich zustimmen, was bei Anträgen der Kolleginnen und Kollegen der FDP nicht so oft vorkommt.
Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis:
„Untersuchungen belegen immer wieder, dass die ökonomischen Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern oftmals sehr begrenzt sind.“
Ich darf ergänzen: Nicht nur aus Untersuchungen, sondern auch aus eigener Erfahrung kann ich diesen Satz bestätigen.
Schülerinnen wechseln mit ca. 16 Jahren ans Berufskolleg und bringen – übrigens egal, von welcher Schulform sie kommen – erschreckend wenige Grundlagenkenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge mit.
Dabei geht es oft um Wirtschaftsvorgänge, die Schülerinnen unmittelbar betreffen, also der einfachsten Art: Darf ich mit 17 Jahren einen MP3-Player kaufen? Was mache ich, wenn dieses Gerät nach sechs Wochen nicht mehr funktioniert, welche Rechte habe ich dann? – Das fängt beim Girokonto an, führt über Handyverträge bis hin zum Kauf des ersten eigenen Autos.
In vielen Bereichen sind junge Menschen nicht darauf vorbereitet, verantwortliches wirtschaftliches Handeln zu zeigen. Wie Sie schon erwähnt haben, sind die finanziellen Folgen oftmals sehr unangenehm.
Diese mangelnde ökonomische Bildung vieler junger Menschen hat aber oft nicht nur desaströse Folgen für ihre persönliche finanzielle Situation, sie hat auch gravierende politische Auswirkungen. Wie soll ein junger Mensch, der schon im privaten Umfeld Probleme mit dem Bereich Wirtschaft hat, als Bürger ein solch komplexes System wie unser Wirtschaftssystem verstehen oder gar kritisch hinterfragen können? Wie soll er als Wähler wirtschaftspolitisch denken und handeln können? Wie soll er als Käufer auch nur ansatzweise die von ihm so oft geforderte global verantwortliche und ethische Kaufentscheidung treffen, und sei es nur bei vergleichsweise einfachen Entscheidungen wie dem Kauf des Frühstückseies oder der Jeans?
Dies gilt natürlich nicht nur für junge Menschen. Auch Erwachsene verstehen die Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge oft nicht. Wir Politikerinnen und Politiker sollten uns selbst hinterfragen, ob wir immer in der Lage sind, komplexe wirtschafts- und finanzpolitische Zusammenhänge nachzuvollziehen. – Es gab von der ARD im Rahmen der Abstimmung über den Eurorettungsfonds dazu eine ziemlich erschreckende Analyse.
Wie bei so vielen anderen Problemen in unserer Gesellschaft ist das Schlimme auch hier, dass die Tatsache, dass diese Missstände bekannt sind, bisher eigentlich keine große Veränderung erbracht hat.
Daraus ergibt sich eine sehr unschöne Folgeproblematik: Zwar gibt es durchaus gute und verlässliche Unterrichtsmaterialien, oft aber erschließen sich diese nur den Lehrerinnen, die sich bereits in ihrer Ausbildung mit dem Fach Wirtschaft befasst haben. Alle anderen, die versuchen, im Rahmen des Unterrichts in anderen Fächern ihren Schülern diesbezüglich Wissen zu vermitteln, sind oft einer Flut von Materialien ausgeliefert, die ihnen vonseiten interessierter Lobbyverbände angeboten werden und die oft zwar didaktisch gut aufgebreitet, aus unserer Sicht aber inhaltlich fragwürdig sind.
All dies sind gute Gründe dafür, ein Fach Wirtschaft mit einem entsprechenden Kernlehrplan einzuführen.
Aus diesem Grund finden wir den vorliegenden Antrag der FDP grundsätzlich unterstützenswert.
So richtig wir das finden, würden wir uns allerdings wünschen, dass erst die Evaluation zu dem noch laufenden Modellversuch erfolgt. Es wäre vielleicht möglich, eine Zwischenevaluation zu fordern, sodass diese Ergebnisse mit in die Umsetzung eines Faches Wirtschaft einfließen könnten.
Ich unterstütze auch Frau Vogts Anmerkung zu den Lehrplänen des Berufskollegs. Es ist tatsächlich auch jetzt schon so, dass am Berufskolleg viele Schülerinnen und Schüler bestimmte Fachgebiete mehrfach durchlaufen und sich dann irgendwann langweilen. Sie lernen in der Handelsschule die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, dann erlernen sie einen kaufmännischen Beruf und fangen dort wieder an mit den Grundlagen der Volkswirtschaftslehre. Auch das könnte man einmal kritisch hinterfragen.
Ich teile nicht Frau Beers Einschätzung, dass es an der Stelle nur um Effizienz geht. Es kann sein, dass es der FDP nur um Effizienz geht. Ich jedoch wünsche mir ein Fach Wirtschaft,
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
das genau diese Themen kritisch hinterfragt. Wenn man sich die Kernlehrpläne des Berufskollegs anguckt, dann sieht man, dass das auch der Fall ist.
Ich freue mich auf jeden Fall auf eine entsprechende Diskussion im Ausschuss und danke Ihnen.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Menschen im Land, wahrscheinlich insbesondere die Abgeordneten Ihrer Fraktion, Herr Stamp, glauben ja, dass die FDP ihrer Zeit immer voraus ist. Heute stimmt das, zumindest an diesem Punkt.
Gerade erst wurde der Modellversuch „Wirtschaft an Realschulen“ um ein Jahr bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 verlängert, ein Arbeitsentwurf des Abschlussberichts wird zurzeit in verschiedenen Gremien diskutiert – und schon fordert Ihre Fraktion Konsequenzen. Das ist fast wie eine Siegerehrung, bevor die letzte Runde und der Endlauf stattgefunden haben.
Wir sind uns in einem einig: Für nachhaltige Bildung ist es wichtig, ökonomische Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken, und zwar unabhängig von der Schulform. Hierzu gehören sowohl ökonomische Kenntnisse im engeren Sinne, aber auch soziale und ökologische Fragen. Es gehört auch der gesamte Bereich der Verbraucherbildung dazu.
Meine Damen und Herren, es gibt schon neue Kernlehrpläne, die dies berücksichtigen. Auch die Realschulen haben in den Fächern Erdkunde, Geschichte und Politik einen geeigneten Handlungsrahmen für die Entwicklung dieser Kompetenzen.
So befasst sich der Kernlehrplan Politik unter anderem mit dem Inhaltsfeld – ich zitiere – „Grundlagen des Wirtschaftens und Wirtschaftsgeschehens“ und erfüllt schon jetzt wesentliche Forderungen des FDP-Antrages, zum Beispiel zur sozialen Marktwirtschaft, zu Angebot und Nachfrage, zu Verträgen, zur Verschuldung und explizit auch zur Verbraucherbildung.
Übrigens: Konsequenzen für die Lehrerausbildung ergeben sich nicht, da die Lehrkräfte für das Fach Sozialwissenschaften verbindlich volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Studieninhalte erwerben müssen, die sich aus den bundesweit verbindlichen Fachstandards der Kultusministerkonferenz ergeben.
Meine Damen und Herren, auch wenn das Ziel klar ist, müssen wir unter Berücksichtigung des Modellversuchs mit Bedacht schauen, welcher Weg am besten zu diesem Ziel führt. Bei Ihnen von der FDP steht schon jetzt fest: Ein neues Fach Wirtschaft muss her. – Diese Auffassung hatten Sie übrigens auch schon vor dem Schulversuch. Sie wiederholen sie einfach nur, noch bevor dieser Schulversuch abschließend ausgewertet ist. Ein bisschen mehr Sachkunde und sachorientiertes Herangehen täten Not.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zu fordern, das ist Ihr gutes Recht. Aber das ist, so finde ich, für das gesamte Haus und auch für die Landesregierung keine Grundlage für eine Entscheidung. Wenn es schon einen Schulversuch gibt, der während der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung begonnen wurde, dann sollten wir auch die Ergebnisse dieses Schulversuchs abwarten und berücksichtigen.
Leider hat ihre Koalition uns ein nicht ganz unproblematisches Erbe hinterlassen. Die Ministerin Ihrer Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, hat den Modellversuch an 70 Realschulen des Landes genehmigt, ohne dafür die notwendigen Mittel bereitzustellen. An dieser mangelnden Finanzausstattung durch Sie haftet nun der Vorwurf mancher Universitäten, dass die auch von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, zitierten Rückmeldungen aus den Realschulen, die mittels Fragebögen erhoben wurden, lediglich die Stimmung der betroffenen Realschulen darstellen. Dass diese Stimmung sehr positiv ist, freut mich. Sie allein ist aber keine valide Grundlage, um die Einführung eines Faches Wirtschaft zu beschließen.
Welche Konsequenzen wir daher letztlich aus dem Modellversuch ziehen, um ökonomische Grundkenntnisse und Kompetenzen für alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen, ob wir den Weg über ein Pflichtfach und/oder Wahlpflichtfach und/oder über integrierte Modelle wählen, das sollte wir debattieren, wenn der Bericht vorliegt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die FDP-Fraktion spricht noch einmal Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, dass es auch kritische Stimmen gegeben hat, auf die ich an dieser Stelle gerne eingehen möchte.
Ich glaube sehr wohl, dass wir mit dem Zeitpunkt dieses Antrages richtig liegen. Wir haben nämlich den Flurfunk wahrgenommen, wonach es Rückmeldungen aus dem Beirat gibt, dass dort der Verdacht gehegt wird, dieses Modell solle eingeschläfert werden.
Frau Beer, Sie haben das Rennen mit Ihrem Antrag zur Verbraucherbildung im vergangenen Plenum eröffnet.
(Beifall von der FDP)
Sie haben auch nicht den Bericht hierzu abgewartet, sondern Sie gehen mit diesem Antrag in die Diskussion und sprechen in diesem Zusammenhang von sozialwissenschaftlich eingebetteter ökonomischer Bildung. Und das ist für uns an der Stelle die falsche Richtung. Deswegen haben wir gesagt: Wir möchten hier andere Wege gehen.
Zu der Kritik, die Sie hier vorgebracht haben, muss ich sagen: Sie haben meiner Rede nicht zugehört. Ich habe genau angeführt, was alles zum Thema „Wirtschaft“ dazugehört. Das ist letztendlich auch von Ihnen allen wiedergegeben worden, allerdings indem das herunterdeklariert wurde auf den Satz, wir wollten kleine Verbraucher – oder was haben Sie gesagt? –
(Ina Spanier-Oppermann [SPD]: Volkswirte!)
kleine Volkswirte. Darum geht es nicht.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Gebauer, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch von Frau Kollegin Beer nach einer Zwischenfrage. Möchten Sie sie zulassen?
Yvonne Gebauer (FDP): Natürlich.
Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Kollegin. Ich weiß nicht, ob Ihnen zugetragen worden ist – Sie waren damals noch nicht im Parlament –, dass schon in der 14. Legislaturperiode alle Fraktionen hier gemeinsam einen Antrag verabschiedet haben, der darauf abzielte, das Fach Hauswirtschaft im Hinblick auf Verbraucherbildung, also Konsumbildung, zu innovieren, auch was die Anteile Ernährung und Gesundheit angeht. Das haben wir hier miteinander gemacht. Und das ist genau die Umsetzung unseres Antrags. Ist Ihnen das bekannt?
Yvonne Gebauer (FDP): Frau Beer, das ist mir bekannt. Aber dass Ihr rot-grüner Antrag die Umsetzung dieses gemeinsam verabschiedeten Antrags sein soll, das wage ich an dieser Stelle doch zu bezweifeln.
(Beifall von der FDP)
Ich kann hier nur noch einmal sagen: Sie haben das Rennen eröffnet. Sie haben ebenfalls den Bericht nicht abgewartet, sondern den Antrag zur Verbraucherbildung im vergangenen Plenum eingebracht. Dieser Antrag geht eindeutig in eine komplett andere Richtung und hat mit der Behandlung des Themas „Wirtschaft“ an den Schulen, gerade an den Realschulen, wie wir sie uns vorstellen, und mit dem Modellversuch herzlich wenig zu tun. – Danke schön.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist doch etwas anderes!)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich hiermit die Beratung zu Tagesordnungspunkt 5.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3448 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung, der die Federführung erhalten soll, und den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, der mitberatend tätig werden soll. Die abschließende Beratung und Abstimmung werden dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag so überwiesen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3447
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3452
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3513
Ich eröffne die Beratung und freue mich, dass Herr Kollege Wüst schon am Rednerpult steht und so lange gewartet hat.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Getrunken hat er!)
Sie haben jetzt das Wort.
Hendrik Wüst (CDU): Frau Präsidentin, ich wollte Sie mit meinem vorzeitigen Erscheinen nicht nervös machen. Aber ich wusste natürlich, dass ich bald dran bin.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Wüst, ich darf Sie unterbrechen: Sie können mich gar nicht nervös machen.
(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich freue mich ja, dass Sie schon da sind.
Hendrik Wüst (CDU): Darauf könnte ich jetzt erwidern. Aber das ginge alles von meiner Zeit ab.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Vielen Dank für die Gelegenheit, nun zum Antrag zu sprechen. – Wir haben von McKinsey, ohne dafür bezahlen zu müssen, eine Studie präsentiert bekommen, die der Wirtschaftspolitik der letzten 30 Jahre in Nordrhein-Westfalen den Spiegel vorhält und den einen oder anderen Hinweis auf neue Potenziale gibt.
Ich bin dankbar für dieses Engagement von McKinsey. Wir haben mit diesem Antrag genauso wie die Kollegen der FDP die Gelegenheit genutzt, dieses Thema auf die plenare Ebene zu ziehen.
Nordrhein-Westfalen ist in einzelnen Sektoren unterdurchschnittlich produktiv, schöpft seine Potenziale nicht aus – und das, wie gesagt, seit über 30 Jahren. Wir liegen heute 3 % unter dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Im Rheinland haben wir eine Wirtschaftskraft pro Person von rund 33.200 €, im Ruhrgebiet von 28.400 € und in Westfalen von 29.400 €. Zum Vergleich: In Bayern sind es fast 37.000 €. Das macht die Dimension, von der wir hier sprechen, für jeden einzelnen Bürger in unserem Land deutlich.
McKinsey versucht sich in einer Analyse den Gründen zu nähern. Wir haben eine geringere Produktivität beispielsweise im Vergleich zu Bayern in Höhe von minus 7 % im verarbeitenden Gewerbe und von minus 16 % im Bereich Finanzsektor, Versicherungswesen, Dienstleistung etc. Die Gründe liegen laut McKinsey in einer deutlich unterdurchschnittlichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in Nordrhein-Westfalen und in einer zu niedrigen Neuanlagenquote.
Die Potenziale – da hält uns McKinsey eine ausreichend fette Möhre vor die Nase, die wir nicht ignorieren sollten – liegen bei 27 Milliarden € zusätzlicher Wirtschaftskraft, 300.000 Arbeitsplätzen, einem um 1.400 € höheren Pro-Kopf-Einkommen und zusätzlichen Steuereinnahmen für Kommunen und Land in Höhe von 3,2 Milliarden €. Deswegen lohnt es sich, sich mit diesem Thema nicht nur heute, sondern auch in der Ausschussberatung zu befassen.
Es werden Potenziale in der Recyclingwirtschaft beschrieben. Voraussetzung dafür ist beispielsweise, dass man mal einen Sammeltag veranstaltet. Man sollte also nicht nur einen Blitzmarathon machen, bei dem der Landesinnenminister für das anständige Verhalten im Straßenverkehr wirbt, sondern auch einen Sammelmarathon, bei dem wir alle unsere alten Handys und das, was wir sonst noch in den Ecken liegen haben, zusammenlegen.
Eine weitere Voraussetzung, die für den Bereich Recycling beschrieben wird, ist die Notwendigkeit, neue Flächen auszuweisen. Ich bin nicht sicher, ob der LEP das ausreichend berücksichtigt.
Urbane Mobilität ist ein spannendes Thema. Man muss sich nur einmal anschauen, welche Fahrzeuge vormittags auf zweispurigen innerstädtischen Erschließungsstraßen stehen. Die Fahrer von DHL und UPS liefern dann Sendungen von Amazon usw. aus. Ob das beim Flächenbedarf wiederum mit den Zahlen aus dem Gutachten von Herrn Prof. Dr. Vallée zusammenpasst, ist eine weitere Frage. Die will ich hier gar nicht politisch hochziehen. Das muss man aber einmal miteinander besprechen.
Der neue Handel hat, weil wir in Nordrhein-Westfalen Standort der großen Mobilfunkunternehmen genauso wie der großen Handelsketten sind, hier sicherlich auch Potenzial. McKinsey beschreibt, dass da gerade eine Blockade stattfindet. Vielleicht kann man als Landespolitik diese Blockade zwischen den großen Händlern und den großen Telekommunikationsunternehmen mit einer Pilotregion, einem Pilotprojekt oder Ähnlichem auflösen.
Mobile Health mit Umsatzpotenzialen bis 2020 in Höhe von 45 Milliarden € allein in unserem Heimatland darf man sicherlich auch nicht ignorieren.
Ich will hier gar nicht weiter auf die Details eingehen, weil die Redezeit dafür nicht reicht.
Was kann Politik tun? Wenn eine der Ursachen eine zu geringe Investitionstätigkeit ist, dann besteht eine der Lösungen sicherlich darin, Lust auf Investitionen zu schaffen. Das schafft man nicht mit Wiedereinführung der Vermögensteuer, Erhöhung der Erbschaftsteuer, Anhebung des Spitzensteuersatzes und solchen Orgien, wie sie jetzt bundesweit von Rot und Grün im Wahlkampf propagiert werden. Man schafft das sicherlich auch nicht mit dem, was hier durch Regierungshandeln schon passiert ist. Damit meine ich zum Beispiel das Tariftreue- und Vergabegesetz, das Klimaschutzgesetz und das Verbandsklagerecht.
Bei der Förderpolitik hält uns McKinsey vor, wir hätten über viele Jahrzehnte falsch gefördert. Gerade jetzt ist das operationelle Programm in der Pipeline. Wir sprechen am Freitag hier im Plenum darüber. Es ist eine Aufgabe aller in der Politik, egal wer gerade regiert, dann eine Fokussierung auf Forschung und Entwicklung, auf den Mittelstand vorzunehmen und den Begehrlichkeiten anderer Ressorts zu widersprechen. Denn da hat es jeder schwer, der das mit den Kabinettskollegen verhandeln will.
McKinsey kommt zu dem Schluss, eine Bildungsoffensive müsse sein, Bürokratieabbau müsse sein. Das Lob der nordrhein-westfälischen Wirtschaft für die bisherigen Aktivitäten der Landesregierung auf diesen beiden Themenfeldern muss mir entgangen sein.
Strich drunter: McKinsey beschreibt einige wunde Stellen, aber auch eine Menge Potenziale. Lassen Sie uns darüber in den nächsten Wochen und Monaten engagiert diskutieren und das Beste im Sinne unseres Landes heraussuchen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Wüst. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.
Ralph Bombis (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen, geehrte Herren! Egal, wie wir es interpretieren, umdeuten, gewichten, verklausulieren oder politisch übersetzen, es bleibt eine Tatsache: Wir in NRW waren schon mal besser.
NRW fällt zurück. Das heißt nicht, dass wir nicht immer noch stark wären. Wir sind für uns genommen noch immer auf Platz 17 der stärksten Volkswirtschaften der Welt. Aber wir waren schon mal auf Platz 14. Wir haben noch immer eine starke Infrastruktur, eine starke Wirtschaft, viele leistungsstarke Menschen. Aber unser Bruttoinlandsprodukt ist im Bundesvergleich anders als früher in der Regel nur noch unterdurchschnittlich. Wir hinken hinterher.
Und das hat Gründe. Die vorliegende McKinsey-Studie zeigt einige davon auf. Sie liegen nicht in dem zugegebenermaßen lange vor uns hergeschobenen Strukturwandel. Ich erwähne nur kurz, dass wir noch heute die Steinkohlesubventionen mit 400 Millionen € jährlich alimentieren. Das sind 400 Millionen €, die wir besser in Bildung, in Forschung, in Infrastruktur und damit in Zukunft investieren würden.
(Beifall von der FDP)
Aber dieses Strukturargument reicht nicht mehr aus, um sich dahinter zu verstecken. Auch das zeigt die vorliegende Studie.
Die Gründe für den langsamen Abstieg des Landes liegen, wie die Studie zeigt, bei Schwachstellen und Problemen in anderen Bereichen: in Forschung und Entwicklung und bei Investitionen in Neuanlagen sind andere Länder besser. Bei der Produktivität in der Wirtschaft ist Luft nach oben. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist ausbaufähig. Im Ergebnis sind die Wachstumstreiber Arbeit, Investitionen und Innovationen eben nicht schlagkräftig, man kann sogar sagen, dass sie in erheblichem Umfang behindert werden.
Dabei gibt es gemeinsame Ziele, zu denen wir uns bekennen – der Wirtschaftsminister hat das zu verschiedenen Punkten immer wieder gesagt –: Wachstum, Beschäftigung, Industrie, wirtschaftliche Dynamik.
Die Bilanz ist etwas ernüchternder. Wir haben ein Mittelstandsgesetz, das bisher nicht wirklich zur Anwendung gekommen ist. Wir haben beim Ladenschluss und beim Rauchverbot eher eine Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit als das Gegenteil. Im Zusammenhang mit Fracking zeigt die Landesregierung, wie man ein Thema politisch in erster Linie an Risiken messen kann und nicht an den Chancen, die damit in Verbindung stehen. Und auch bei der Energiepolitik bleibt die Landesregierung bisher ein Konzept schuldig, das sie dem Parlament eigentlich zuleiten wollte. Von daher verstehen wir auch nicht, warum die Landesregierung sich bisher sogar der Abmilderung der Strompreiserhöhung widersetzt.
Mit Verlaub: Mit dieser Bilanz kann man die immerhin noch siebzehntgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht auf einen Wachstumspfad zurückführen.
(Beifall von der FDP)
Ein Wirtschaftsminister muss sich auch immer daran messen lassen, was er tatsächlich dazu beiträgt, dass wirtschaftliches Wachstum in einem Land entsteht. Aus unserer Sicht ist das momentan zu wenig.
Ich sage es noch einmal: In den beschriebenen Zielen sind wir uns weitestgehend einig. Deswegen ist dieser Antrag, den wir gestellt haben, auch ein Angebot an die Landesregierung und an die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün. Diese können dieses Angebot im Moment nicht persönlich vernehmen. Ich hoffe aber, dass man es ihnen zuträgt, Herr Schmeltzer.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ich bin da!)
Die Autoren der McKinsey-Studie – darauf ist der Kollege Wüst eingegangen – zeigen exemplarisch auf, in welchen Bereichen wir Verbesserungspotenziale haben.
Leider, meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün, zeigt Ihr eingebrachter Entschließungsantrag in dieser Richtung wenig. Sie sprechen von Handwerk und Mittelstand. Sie loben ein diesbezüglich bisher wenig wirksames Mittelstandsgesetz. Bei den Belastungen durch das TVgG, das Tariftreue- und Vergabegesetz, bleiben Sie dagegen tatenlos und sprachlos.
Forschung und Entwicklung: Sie geben Verweise auf die ideologische Überfrachtung in diesem Bereich, statt Perspektiven für die freie Entfaltung von Kreativkräften zu eröffnen, zum Beispiel indem Sie das Hochschulfreiheitsgesetz belassen, wie es ist.
Und bei der Industrie sprechen Sie in Ihrem Entschließungsantrag von angeblich verlässlichen Rahmenbedingungen. Mit dem Klimaschutzgesetz oder auch der Debatte um andere Großprojekte am heutigen Morgen zeigen Sie nur eine Verlässlichkeit: Die einzige Verlässlichkeit durch die Landesregierung ist Unsicherheit in diesem Bereich.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Stattdessen rufen Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, permanent und gebetsmühlenartig nach Hilfen aus Berlin. Das kann nicht die Lösung sein. Damit versuchen Sie nur, Ihre eigene Handlungsunfähigkeit zu überdecken.
Es muss doch Aufgabe nordrhein-westfälischer Wirtschaftspolitik sein, zukunftsträchtige und nachhaltige Wachstumspotenziale zu identifizieren und diese dann in Partnerschaft mit Wirtschaft, Unternehmen, Wissenschaft, Verbänden, Kammern, Kommunen und Bürgern zu initiieren.
Die Voraussetzung dafür ist, sich zu Wachstumszielen zu bekennen und ideologische Sackgassen zu vermeiden. Die Voraussetzung ist, Potenziale zu nutzen und Fehlsteuerungen zu verhindern.
Damit wir – um mit den Worten aus dem Jahresbericht von unternehmer.nrw zu schließen – nicht den Weg fortsetzen in immer mehr Kontrolle, mehr Regulierung, mehr finanzielle Belastung und damit mehr Staat, fordern wir Sie auf: Die nordrhein-westfälische Wirtschaft wartet auf Ihre Starterlaubnis, sie steht bereit – blockieren Sie nicht länger die Startbahn, geben Sie die Starterlaubnis! – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. Bleiben Sie bitte am Redepult. Herr Dr. Paul von den Piraten hat sich nämlich zu einer Kurzintervention gemeldet. – Bitte schön, Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Lieber Kollege Bombis, bei Ihnen ist mir schon zum zweiten Mal – ebenso bei dem Kollegen Wüst – ein fast verabsolutierendes Hinnehmen der Studie von McKinsey aufgefallen. Ich selber habe sie überfliegen dürfen. Mir erscheint sie mehr als eine Art Folienentzündung, als eine aufgeblasene PowerPointitis.
Würde es einer konstruktiven Oppositionspolitik nicht besser anstehen, diverse Studien zurate zu ziehen, anstatt sich nur auf diese zu verlassen?
Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass dort relativ einseitig der klassische Wachstumsbegriff verwendet und in der Kennzahlensystematik auf das BIP abgehoben wird. In der internationalen Volkswirtschaft, in den Wissenschaften ist man da schon weiter. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die beiden Fraktionen so auf McKinsey abfahren? – Danke.
Ralph Bombis (FDP): Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Paul, Sie haben mir an der Stelle offenbar nicht zugehört. Ich habe die Studie von McKinsey in keinster Weise verabsolutiert. Nach meinem Empfinden hat das auch der Kollege Wüst nicht getan.
Wir haben sie zum Anlass, als äußere Anregung genommen – übrigens als unpolitische Anregung –,
(Lachen von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
um über die Möglichkeiten für Wachstumspotenziale in Nordrhein-Westfalen zu sprechen. Ich sage für meine Fraktion ausdrücklich: Wir sehen das nicht abschließend. Wir nehmen sie nicht unkritisch hin, sondern wollen in den Ausschüssen und hier im Plenum über die Möglichkeiten, die durch die Studie angeregt werden, diskutieren. Vor dem Hintergrund wollen wir dann gemeinsam zu einer Vereinbarung kommen, wie wir unser Land weiter nach vorne bringen können. Denn dass es in den letzten Jahren zurückgefallen ist, kann uns allen nicht gefallen. Es gibt Möglichkeiten, den Weg zu ändern und weiter nach vorne zu kommen. Das werden wir aber nicht durch mehr Regulierung, mehr Vorschriften und mehr Bevormundung schaffen. Wir müssen uns verabreden, wie wir das besser organisieren können. Dafür bietet die Studie den äußeren Anstoß. Die inhaltliche Debatte werden wir hier zu führen haben.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eingangs zwei Bemerkungen zu meinen beiden Vorrednern:
Erstens. Ich weiß, dass der Kollege Wüst immer erschreckt, wenn ich ihm zustimme. Auch diesmal stimme ich ihm gerne zu, wenn es darum geht, dass die Redezeit deutlich zu kurz ist. Ich appelliere an diejenigen, die die Tagesordnung vorbereiten, für ein solch wichtiges Thema mehr Redezeit vorzuhalten.
Zweitens widerspreche ich dem Kollegen Bombis ausdrücklich. Ich will nur einen Punkt aus seiner Rede aufgreifen; alles andere machen wir im Ausschuss – nicht in „Ausschüssen“, Herr Kollege Bombis. Wenn Sie Fracking als Beispiel anführen und der Landesregierung vorwerfen, sie würde sich mehr an Risiken festhalten und nicht die Chancen der Wirtschaft sehen, dann sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Das Vorgehen der Landesregierung in Sachen Fracking ist richtig. Mir ist es tausendmal lieber, die Gesundheit der Menschen steht im Vordergrund als der unternehmerische Erfolg derer, die Fracking durchführen wollen. Wir sehen den Menschen im Vordergrund.
(Beifall von der SPD)
Als ich die McKinsey-Studie vor einigen Tagen gelesen habe, habe ich mich über die sehr differenzierte Analyse sehr gefreut; denn die Autoren zeigen nicht nur – wie im Übrigen viele Studien zuvor – die bekannten Probleme auf, sie setzen auch auf neue Akzente.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schmeltzer, Entschuldigung, dass ich auch Sie unterbreche. Der Kollege Bombis würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Rainer Schmeltzer (SPD): Immer gerne.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch wir vonseiten der FDP-Fraktion bei der Diskussion um das Thema „Fracking“ jederzeit die gesundheitliche Unbedenklichkeit für die Bürger an die erste Stelle gerückt haben, dass wir in der Diskussion aber auch die Chancen gerade für die Bevölkerung, die auch mit der Thematik zusammenhängen, betonen und dass wir uns dagegen wenden, mit Angstszenarien zu arbeiten, die aus Teilen der Landesregierung leider immer wieder beschworen werden?
(Beifall von der FDP)
Rainer Schmeltzer (SPD): Ich glaube, es sind keine Angstszenarien, wenn man in die Staaten blickt und feststellt, dass das Grundwasser an verschiedenen Stellen nachgewiesenermaßen verseucht wurde. Es sind keine Angstszenarien, wenn ich sehe, wie in den Staaten der Wasserhahn aufgedreht wird und dort Flammen herausschießen.
Hier wird vorsorgende Politik betrieben, indem all das erforscht wird.
Ich gebe Ihnen recht, dass Sie die Bürger beteiligen wollen; das äußern Sie zumindest immer. Allerdings lassen Sie die Unterstützung in Berlin zu den Änderungen des Bergrechts weiterhin vermissen. Daher sehe ich in erster Linie, wie die FDP in der Vergangenheit, als sie noch in Niedersachsen zuständig war, damit umgegangen ist, nämlich fahrlässig im Sinne der Menschen. Das hat sich Gott sei Dank auch in Niedersachsen deutlich geändert.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Wo denn?)
– Wo denn? Ich glaube, Sie haben leichte Lücken bezüglich dessen, was in Niedersachsen gewesen ist. Sie sollten Ihren ehemaligen Wirtschaftsminister einmal genauer befragen,
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ich frage aber Sie!)
wo in Niedersachsen gefrackt worden ist, und zwar zulasten der Menschen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Wo denn?)
Wir sind aber immer noch bei McKinsey. Zum Fracking können wir das Fass gerne noch einmal aufmachen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nicht rausreden!)
– Das hat nichts mit Rausreden zu tun. Sie haben in Niedersachsen den Wirtschaftsminister gestellt, der das zu verantworten hatte.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Natürlich! Sie können kein Beispiel nennen! Setzen, sechs!)
Ich habe mich über die wesentlichen Aussagen zur Wirtschaftspolitik der Landesregierung in der Studie gefreut. So heißt es dort im Fazit: Die Landesregierung tut sehr gut daran, die Interessen des Mittelstands bei ihren politischen Entscheidungen explizit zu berücksichtigen. – Ich bin mir relativ sicher: Bei dieser Formulierung werden die Autoren das Mittelstandsgesetz vor Augen gehabt haben, das den Mittelstand so frühzeitig wie in keinem anderen Bundesland in die Gesetzgebung einbezieht – guter Stoff für eine wirtschaftspolitische Diskussion im Land und im Landtag.
Was Sie dagegen mit Ihren Anträgen versuchen, ist, in einer sehr plumpen und sehr armseligen Art und Weise das Land schlechtzureden. Das machen wir definitiv nicht mit. So schreibt die CDU unter anderem: „Nordrhein-Westfalen verliert seit 1980 kontinuierlich an Wirtschaftskraft.“
Richtig ist, dass in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 mit 582,1 Milliarden € 22 % des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wurden. Im Jahre 1980 waren es 390 Milliarden €. Das ist eine Steigerung von mehr als 50 %. Auch das müssen wir uns in der Diskussion immer vor Augen halten. Mit Verlaub, wer von einem kontinuierlichen Verlust an Wirtschaftskraft spricht, hat keine Ahnung.
Wer den FDP-Antrag liest und gleichzeitig die Fakten kennt – das fällt der FDP immer schwer –, der weiß, warum die FDP in ihrem Antrag mehr als 30 Jahre in die Vergangenheit des letzten Jahrtausends zurückgeht. Zwischen 1970 und dem Jahre 2000 wuchs das nordrhein-westfälische Bruttoinlandsprodukt tatsächlich noch um mehr als ein halbes Prozent langsamer als das BIP in den alten Bundesländern. Bei diesem Wachstumsrückstand konnte Nordrhein-Westfalen seit Ende der 90er-Jahre deutlich aufholen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden es nicht zulassen, dass Sie mal wieder für billige Überschriften das Land temporär schlechtreden. Fakt ist: Nordrhein-Westfalen ist ein starker, moderner Industrie- und Wirtschaftsstandort.
(Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])
– Melden Sie sich doch ordentlich, Herr Dr. Orth. Eigentlich steht es Ihnen doch zu, so etwas zu machen. – Im Vergleich mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union liegt NRW an siebter Stelle. International wird Nordrhein-Westfalen …
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schmeltzer, Entschuldigung; aber Ihre Aufforderung, sich zu melden, hat Früchte getragen.
Rainer Schmeltzer (SPD): Na ja, wenigstens da hört man auf mich.
Präsidentin Carina Gödecke: Allerdings nicht bei der FDP, sondern bei Herrn Kollegen Dr. Berger von der CDU. Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?
Rainer Schmeltzer (SPD): Auch von Herrn Dr. Berger gerne.
Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich nehme Ihre Aufforderung gerne zum Anlass, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. In dem Antrag der CDU – der nebenbei das Land keineswegs nur schlechtredet, sondern auch Potenziale aufzeigt – ist unter anderem von der Hochschulfreiheit die Rede. Meine Frage lautet: Glauben Sie – wenn wir über Innovationspotenziale und Fortschritt reden –, dass Rot-Grün, wenn das Hochschulfreiheitsgesetz abgebaut werden soll, hinsichtlich Innovationsfähigkeit einen richtigen Schritt unternimmt?
Rainer Schmeltzer (SPD): Ich glaube, dass wir mit dem Hochschulfreiheitsgesetz – so wie wir es vorhaben – deutlich auf einem richtigen Weg sind. Das, was früher mit dem Hochschulfreiheitsgesetz gemacht wurde, widerspricht dem. Zu Forschung und Entwicklung möchte ich aber auch auf die McKinsey-Studie hinweisen. Da wird einiges kritisiert. In erster Linie wird aber in Bezug auf die Privatwirtschaft kritisiert, dass da in großem Umfang Investitionen fehlen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Hochschulpolitik mit der Wirtschaft bzw. mit der Industrie viel, viel enger verzahnt werden muss. Da gibt es gute Beispiele. Schauen Sie einmal in meine Nachbarstadt, nach Dortmund: Wir liefern da hervorragende Grundlagen dafür, wie so etwas funktionieren kann.
(Zuruf von der FDP)
– Sie haben es nicht verstanden, Sie werden es auch nicht verstehen. Es bleibt dabei.
Die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigten ist seit dem Jahr 2010 um 300.000 gestiegen. Das heißt nicht, dass es nicht eine ganze Reihe von weiteren Herausforderungen gibt, die noch zu bewältigen sind. Die sind hier auch aufgeführt. Denen werden wir uns in der Diskussion auch stellen. Ich freue mich auch schon auf die Diskussion im Ausschuss.
Ich will Ihnen gar nicht vorenthalten, was unternehmer.nrw – auch Herr Bombis hat daraus zitiert – in seinem jüngst veröffentlichten Jahresbericht – ich zitiere – gesagt hat:
„Im neuen Mittelstandsförderungsgesetz hat sich Rot-Grün zu vielen dieser“
von unternehmer.nrw genannten
„Punkte ausdrücklich bekannt und sie als Leitlinien der Wirtschaftspolitik gesetzlich verankert. Der richtige Kompass ist also vorhanden.“
Ich bin der festen Überzeugung: unternehmer.nrw hat das, was Wirtschaftsminister Duin in den letzten zwölf Monaten auf den Weg gebracht hat, somit ordentlich gewürdigt. Wenn Sie damals einen solchen Bericht und die Würdigung einer solch guten Wirtschaftspolitik bei Frau Thoben gehabt hätten, hätten Sie sich gefreut. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schmeltzer, vielen Dank. – Bleiben auch Sie bitte gleich am Rednerpult. Herr Dr. Stamp hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Kollege Schmeltzer, Sie haben eben mit großen Worten ausgeführt, die FDP in Niedersachsen hätte den Menschen mit Fracking geschadet. Ich habe Ihnen da zugerufen: Ich möchte gerne ein Beispiel hören. – Sie haben sich gedrückt. Deswegen möchte ich Ihnen hier noch einmal die Gelegenheit geben, Ross und Reiter zu nennen. Nennen Sie uns bitte ein konkretes Beispiel, wo wir den Menschen in Niedersachsen mit Fracking geschadet haben.
Rainer Schmeltzer (SPD): Ab dem Moment, Herr Kollege, wo Sie Fracking in Niedersachsen – ausdrücklich mit Genehmigung Ihres damaligen Wirtschaftsministers von der FDP – zugelassen haben, haben Sie die Gesundheit der Menschen gefährdet. Die Genehmigung wurde erteilt, obwohl überall bekannt ist – es war auch seinerzeit bekannt –, dass unter Hinzuziehung von Chemikalien eine Grundwassergefährdung vorhanden ist.
(Zuruf von der FDP: Wo? – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nennen Sie ein Beispiel!)
– Genau! – Schauen Sie nach Niedersachsen, und sehen Sie sich genau an, wie der damalige Wirtschaftsminister reagiert hat, als es auch darum ging, eine Bergrechtsänderung auf den Weg zu bringen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie können kein Beispiel nennen! Das ist Verleumdung!)
– Dann machen Sie eben entsprechend etwas. – Herr Kollege Stamp, in Niedersachsen hat man sich Fracking nicht verwehrt. Dort hat man ganz deutlich gehandelt, indem man sagte: Wir werden das nicht ändern. Solange nichts passiert, werden wir an Fracking festhalten. – Das waren die Fakten, und dem können Sie sich nicht verschließen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie haben kein einziges Beispiel genannt! Ganz schwach!)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Für die Piraten spricht der Kollege Schwerd.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Zweifellos stehen wir in Nordrhein-Westfalen vor wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Das hat die in den Anträgen zitierte Studie einer Unternehmensberatung erneut aufgezeigt. Vergleichsregionen wie Bayern oder die Niederlande konnten uns in den letzten 20 Jahren wirtschaftlich überholen.
Das Ganze ist keine neue Information. Die Frage ist allerdings: Ist sie inzwischen bei der Landesregierung angekommen? Ich habe meine Zweifel, wenn ich mir die Antworten des Wirtschaftsministers zu der besagten Studie in der „Rheinischen Post“ anschaue.
Er relativiert den unbequemen Vergleich mit den angrenzenden Niederlanden oder mit Bayern, das einen ähnlichen Branchenmix aufweist wie NRW. Er beklagt, in NRW gäbe es keine Unternehmen wie Microsoft oder SAP. Als positives Wirken der Landesregierung führt er an, dass sie eine externe Kommunikationsfirma beauftragt hätte, um den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes die eigene Industriepolitik zu verkaufen.
Die Studie, aus der hier zitiert wird, ist keine Auftragsstudie. Die Unternehmensberatung, die diese Studie verfasst hat, verfolgt damit natürlich eigene Zwecke. Sie möchte sich offensichtlich als Impulsgeber der Wirtschaftspolitik profilieren; und das klappt ja auch.
CDU und FDP jedenfalls haben sich den Forderungen völlig unkritisch angeschlossen. Während aber die CDU wenigstens eigene Vorschläge macht – so rückwärtsgewandt wie diese auch sind –, hat die FDP nicht einmal das geschafft.
(Beifall von den PIRATEN)
Liebe FDP, Ihr Antrag ist ein wirtschaftspolitisches Armutszeugnis. Da steht nichts drin. Gut, Sie wollen keine Steuererhöhungen. Das kennen wir ja bereits; aber ansonsten legen Sie keinen einzigen konkreten Vorschlag vor, was man besser machen kann. Schmückten Sie sich nicht einst mit angeblicher Wirtschaftskompetenz? Also gegen diesen Antrag ist das Programm der Piraten die reinste Wirtschaftsbibel.
(Beifall von den PIRATEN)
Zum Antrag von SPD und Grünen kann man sagen: Schön, dass sie den Koalitionsvertrag einhalten wollen. Das allein reicht allerdings nicht aus. Ich möchte trotzdem gerne auf einige Punkte eingehen, die auch in dieser Studie erwähnt werden. Nur weil die Studie von McKinsey kommt, muss sie nicht völlig falsch sein.
Erstens sollte uns allen langsam dämmern, dass die wirtschaftlichen Herausforderungen NRWs nicht mehr alleine vom Strukturwandel dominiert sind. Wir brauchen neue Konzepte und Lösungsstrategien, weil wir es mit neuen Problemen zu tun haben, die nur noch bedingt etwas mit dem Strukturwandel zu tun haben.
Und zweitens – hier liegt die Studie völlig richtig – wird in NRW viel zu wenig in Neuanlagen, Forschung und Entwicklung investiert. Dieser Investitionsstau ist maßgeblich für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich.
(Beifall von den PIRATEN)
Drittens – auch das wissen wir nicht erst seit der erwähnten Studie – müssen wir die Infrastruktur in unserem Land modernisieren. Dazu haben wir Piraten uns bereits klar positioniert. Zum einen haben wir ein zukunftsweisendes Konzept zur Neuausrichtung des öffentlichen Personennahverkehrs vorgelegt. Zum anderen fordern wir mehr Investitionen in den Ausbau des Breitbandnetzes. An der Stelle versagt die Landesregierung bisher. Es ist paradox, Innovation in Kreativwirtschaft fördern zu wollen, lieber Herr Wirtschaftsminister, aber eine Netzpolitik aus dem vergangenen Jahrhundert zu betreiben. Ohne eine echte Netzneutralität und ohne zeitgemäßen Breitbandausbau haben aufstrebende Start-ups der Internetwirtschaft keine Chance.
(Beifall von den PIRATEN)
Viertens brauchen wir dringend eine Evaluierung und gegebenenfalls Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung. Die Landesregierung betreibt die Förderung über 16 Cluster, sodass nahezu 40 % der Erwerbstätigen in Unternehmen arbeiten, die sich in einem Cluster befinden. Fast die Hälfte der Wirtschaft gilt damit als Schwerpunktbranche. Ich sehe hier zu viel Wirtschaftsförderung nach dem Gießkannenprinzip, aber zu wenig Mut zur Fokussierung auf Zukunftsthemen. In dem Zusammenhang möchte ich Herrn Minister Duin noch einmal dazu auffordern, die zu den Wirtschaftsclustern erstellten Gutachten herauszugeben.
Eine Sache kommt mir in der Debatte und auch in der Studie viel zu kurz: Wohlstand bedeutet mehr als nur ein Anwachsen des BIPs. Eine Studie, die den Titel „NRW 2020 – Unser Land, unsere Zukunft“ trägt, hätte aus meiner Sicht einen umfassenderen Wohlstandsbegriff wählen müssen. Dazu hätten Indikatoren wie „Einkommensverteilung“, „Lebenszufriedenheit“ …
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schwerd!
Daniel Schwerd (PIRATEN): … und der Natur- und Ressourcenverbrauch gezählt.
Präsidentin Carina Gödecke: Auch Sie muss ich leider unterbrechen, weil der Wunsch nach einer Zwischenfrage an Sie besteht, dieses Mal von Herrn Kollegen Geyer.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Ja, gerne! Wo ist er?
Präsidentin Carina Gödecke: Er hat sich weggedrückt! War das ein Versehen, Herr Kollege?
(Zuruf)
– Dann entschuldige ich mich dafür, dass ich Sie unterbrochen habe. Aber das konnte ich von hier aus leider nicht erkennen.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Ich werde es überstehen. Danke schön.
Wir Piraten setzen uns dafür ein, dass die Debatte zur Wirtschaftspolitik mit Konzepten geführt wird, die auf der Höhe der Zeit sind. Die Beratungen im Wirtschaftsausschuss werden sicher unterhaltsam. Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Hätte ich gewusst, dass Sie so bald zum Ende kommen, hätte ich Sie natürlich noch weniger unterbrochen. Aber auch das konnte ich nicht absehen.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Dr. Beisheim das Wort.
Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegenden Anträge der Opposition stellen zum x-ten Mal den Versuch dar, der rot-grünen Landesregierung mangelnde Wirtschaftskompetenz nachzuweisen, ohne aber eigene konstruktive Vorschläge zu machen.
Es ist sicherlich richtig und wichtig, die Hinweise, die sich aus Studien von Beratungsfirmen wie McKinsey ergeben, ernst zu nehmen und in die Diskussionen und eigenen Überlegungen einzuspeisen. Doch zur ernsthaften Auseinandersetzung gehört auch, dass man analysiert, welche der Potenziale schon auf den Weg gebracht worden sind.
An der Stelle will ich mich dem Kollegen Schwerd anschließen. Denn: Eine Studie unreflektiert in Anträge zu gießen, bringt uns nicht weiter.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Sondern was bringt uns dann weiter?)
Als ersten Punkt möchte ich näher betrachten, dass nachhaltiges Wirtschaften unbestritten bedeutet, dass Unternehmen durch ressourcen- und energiesparende Produktion bis zu einem Viertel ihrer Gesamtkosten einsparen zu können. Dort liegt speziell für kleine und mittelständische Unternehmen ein enormes Potenzial. Deshalb unterstützt die Landesregierung unter anderem durch die Arbeit der Effizienzagentur NRW, die in den letzten Jahren 1.500 Projekte im Bereich Ressourceneffizienz vollzogen hat, Unternehmen dabei, Einsparungsmöglichkeiten und -potenziale zu heben.
(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Ressourcen- und energieschonende Produktion bietet enorme Chancen für Unternehmen der Umwelt- und Energietechnik.
Nach allen Debatten über Frauen im Beruf und Frauen in mehr Beschäftigung muss es eigentlich nicht mehr betont werden: Auch wir wollen, dass Frauen noch stärker als bisher eine wichtige Rolle im Erwerbsleben spielen. Doch Frauen sind nicht Arbeitnehmer zweiter Klasse. Ihre Verdienste – im Vergleich zu denen von Männern mit gleicher Tätigkeit – können stark abweichen. Die Zahl der Frauen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, ist immer noch signifikant höher als bei Männern.
Natürlich spielt das Thema „Kinderbetreuung“ eine wichtige Rolle. Völlig zu Recht fällt die Passage in der von Ihnen ins Feld geführten McKinsey-Studie zum Ausbau der Kinderbetreuung in NRW lobend aus. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, darf ich zitieren: Am Thema „Kinderbetreuung“ arbeitet das Land NRW mit Nachdruck. – Das kann ich nur voll und ganz unterstützen.
Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass auch Unternehmen bei diesem Thema eine Verantwortung haben. – Auch an dieser Stelle stimme ich voll zu.
Die vom Land initiierten regionalen Kompetenzzentren „Frau und Beruf“ sollen genau hierfür Hilfestellungen bieten und den Dialog mit den Unternehmen fördern.
Dagegen ist das Betreuungsgeld Ihrer Bundesregierung der Anti-Entwurf zur Förderung von mehr Beschäftigung von Frauen.
Ihre Anträge reden darüber hinaus den Standort NRW schlecht. Nordrhein-Westfalen ist kein Entwicklungsland. Diesen Eindruck kann man aber bekommen, wenn man Ihre Anträge liest.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dieses Land braucht keine Pessimisten. Dieses Land braucht auch keine Nörgler. NRW kann mit Selbstbewusstsein – das sage ich gerade als Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet – auf seine Stärken schauen. Dazu gehört speziell die großartige Leistung, trotz eines beispiellosen Strukturwandels in den vergangenen Jahrzehnten eine stabile Wirtschaftsstruktur mit engagierten und innovativen Unternehmen aufweisen zu können.
(Beifall von Stefan Zimkeit [SPD])
Das können Sie durch Ihre Schwarzmalerei nicht kaputtreden.
Ich freue mich geradezu auch über den Punkt, mehr Geld für den Erhalt der Infrastruktur vorzusehen. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben es erkannt. Lassen Sie uns gemeinsam nach Berlin gehen und dort dafür kämpfen.
Auch die Diskussion über die innovativen Verkehrskonzepte ist richtig und wichtig und längst in vollem Gang. Denn ein Leitgedanke der Industrie- und Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen ist selbstverständlich, zukunftsfähige Leitmärkte zu prägen und Leitanbieter zu werden. Genau über solche Fragen lohnt es sich zu streiten und zu diskutieren.
Deshalb bin ich auf die Diskussionen im Ausschuss nach der Sommerpause gespannt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Wüst hat seinen CDU-Kuli hier liegen lassen. Den brauche ich nicht.
(Hendrik Wüst [CDU]: Kann nicht schaden!)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank für diese Debatte. In der Tat – Herr Schmeltzer hat es vorhin schon gesagt – freuen wir uns auf die Debatte im Ausschuss, da man sicherlich mehr Zeit benötigt als jeweils nur fünf Minuten, um das Ganze, was unter der Überschrift McKinsey-Studie gewesen ist, bewerten und einordnen zu können.
Ich will Ihnen zu Beginn einen anderen Satz, der nicht in der Studie steht, zitieren. Dieser Satz lautet:
„Wer nach Lösungen für die Welt von morgen sucht, schaut nach Nordrhein-Westfalen.“
Das ist kein Satz aus der Werbebroschüre des NRW-Wirtschaftsministeriums oder irgendetwas, sondern es war in der gleichen Zeitung, in der die NRW-McKinsey-Studie veröffentlich worden ist, in der „Rheinischen Post“ am vergangenen Samstag, eine Beilage der Firma Siemens, die mit diesem Satz „Wer nach Lösungen für die Welt von morgen sucht, schaut nach Nordrhein-Westfalen.“ beginnt.
(Kai Abruszat [FDP]: Der Spruch ist vier Jahre alt!)
– Das war am vergangenen Samstag. – Andere sprechen von Pionierland. Man kann viele andere weitere Zitate bringen.
Herr Lindner hat heute Morgen hier gestanden und gesagt, dass wir noch nie eine so gute wirtschaftliche Situation in ganz Deutschland hatten. – Wenn Sie Ihre Anträge durchlesen, die Sie zwei Tagesordnungspunkte vorher hier eingebracht haben, als es um Arbeitsmarktpolitik ging, haben Sie das jeweils auch aufgeschrieben. Und jetzt soll Ihnen nun einer glauben, ganz Deutschland geht es super, aber in Nordrhein-Westfalen ist alles schlecht? Das passt doch nicht zusammen, und das glaubt Ihnen auch niemand.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir müssen vielmehr sehr konzentriert und nüchtern prüfen, was McKinsey dort vorgeschlagen hat. Auf welcher Basis haben sie das analysiert? – Dann kann man das in eine gesamtwirtschaftspolitische Debatte über die Zukunft des Landes Nordrhein-Westfalen mit einbauen. Es ist in der Tat nichts, was einen Alleinvertretungsanspruch geltend machen könnte.
Ich denke nur, dass es in der Tat wichtig wäre, auch aufseiten der Opposition eine eigene Strategie zu entwerfen, nicht nur auf McKinsey zu schauen und im Übrigen festzustellen, dass McKinsey eines eben nicht gemacht hat, Herr Bombis und Herr Wüst: McKinsey hat nicht lamentiert über das Klimaschutzgesetz, über das Nichtraucherschutzgesetz, über das Tariftreuegesetz, über das Ladenschlussgesetz
(Beifall von der SPD)
und all die Dinge, die wir hier auf den Weg gebracht haben. Das haben sie nicht gemacht. Die machen sich so viel Mühe, auf eigene Kappe eine solche Studie herauszugeben, und Sie finden in der ganzen Studie kein einziges Argument, das von Ihnen hier seit einem Jahr vorgetragen wird.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Duin, ich muss auch Sie unterbrechen. Herr Kollege Wüst möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Gern.
Hendrik Wüst (CDU): Stimmen Sie mir denn zu, verehrter Herr Minister Duin, dass auf Seite 66 – Fazit und Ausblick – das Thema „Bürokratieabbau“ auf einigen Zeilen abgerissen worden ist und das Tariftreue- und Vergabegesetz beispielsweise sicher kein Beitrag zum Bürokratieabbau ist?
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Wüst, es liegt mir zwar hier nicht vor, aber ich kann mich ungefähr optisch daran erinnern. Dieser Miniabsatz zum Bürokratieabbau besteht vielleicht aus zehn Zeilen, wenn man das ins Verhältnis zu der gesamten Studie setzt. Und dieses Beispiel wurde eben nicht genannt.
Ich weise darauf hin, dass kein anderes Bundesland mit Blick auf die künftige Förderperiode – und da geht es ja darum, Schwerpunkte bei Forschung und Entwicklung und Schwerpunkte für die Entwicklung von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu setzen – einen so radikalen Bürokratieabbau bei der Umsetzung europäischer Förderprogramme vornimmt wie Nordrhein-Westfalen und mein Haus.
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie ein realistisches Bild der wirtschaftlichen Situation und der Investitionstätigkeit zeichnen wollen, dann ist es natürlich nicht korrekt – das mag man den Autoren der Studie nachsehen –, sich jetzt ausgerechnet das Jahr 1980 herauszusuchen. Selbst in den Statistiken, die dort abgebildet sind, wird sehr schnell deutlich, dass man, nähme man als Referenzpunkt beispielsweise das Jahr 2000, zu ganz anderen Ergebnissen kommen würde.
Gleichwohl – wir wollen das gar nicht in Abrede stellen –: Es gibt auch noch eine ganze Reihe von Herausforderungen.
Ich bin in den letzten Tagen durch das Land gereist und berichte nur exemplarisch über die letzten beiden Tage. Am Montag war ich in Rheine bei der DEOS AG. Dieses hochmoderne Unternehmen mit im letzten Jahr einem Wachstum von 40 % in der Sparte Gebäudeautomation, Energieeffizienz entscheidet sich, obwohl es weltweit tätig, die nächste Investition – dort wurde ein Richtfest für ein Schulungszentrum und für eine Produktionsstätte gefeiert – hier in Nordrhein-Westfalen vorzunehmen. Warum machen die das?
Am Tag danach habe ich das Automotive Center Südwestfalen, die Kombination aus mittelständischen Unternehmen, die im Bereich der Automobilindustrie unterwegs sind, mit den Hochschulen und den Kommunen in der Region, besucht. Dieses Center ist ein Paradebeispiel dafür, dass Innovation und neue Technologien mit Blick auf den Leichtbau in der Automobilindustrie hier in Nordrhein-Westfalen stattfinden und nicht irgendwo anders.
Montagabend: NRW.INVEST Award. Dort wurden drei Unternehmen ausgezeichnet. Eines davon kommt aus China und sucht sich in Europa Nordrhein-Westfalen als Standort aus, um hier ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aufzubauen. Das zweite Unternehmen kommt aus der Türkei. Es hat überlegt, wo es sich in Europa niederlässt, und ist zu dem Ergebnis gekommen: Wir gehen nach Nordrhein-Westfalen. Der dritte Preisträger war ein Unternehmen aus Bayern, das entschieden hat: Für unsere weitere Entwicklung ist es wichtig, nach Nordrhein-Westfalen zu gehen. – Das sind alles Beispiele dafür, dass Nordrhein-Westfalen ein hervorragender, attraktiver Standort für wirtschaftliche Entwicklung ist, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deswegen ist unsere Leitmarktstrategie, unsere Clusterstrategie richtig. Ich habe gerade mit Blick auf die europäischen Programme schon genannt, dass wir dort eine Konzentration auf das Thema „kleine und mittlere Unternehmen“ und auf das Thema „F+E-Projekte“ vornehmen werden. Mehr als 60 % der Mittel des kommenden Budgets werden in genau diese Themenbereiche hineinfließen.
Wir bzw. die Unternehmen vermissen jedoch eines – das ist übrigens kein rein nordrhein-westfälisches Problem –, nämlich die steuerliche Forschungsförderung. Darum hat sich Schwarz-Gelb in Berlin vier Jahre lang nicht gekümmert, obwohl dies in der Koalitionsvereinbarung stand. Diese Art der Förderung hätte nicht nur dem Innovationsstandort Deutschland, sondern gerade auch Nordrhein-Westfalen sehr gut getan.
Wir haben viele gute Ideen, die wir zusammenbringen wollen. Es gilt das, was zum Beispiel der neue Landessprecher des BITKOM, Bernd Schmidt, im Zusammenhang mit einem der Zukunftsthemen gesagt hat:
„NRW ist ein Hightech-Land. Es gibt erstklassige Hochschulen und viele innovative Unternehmen … NRW ist die Mobilfunkregion Nummer eins.“
Er hat dort noch vieles andere gesagt.
Wir müssen bei der politischen Auseinandersetzung in unser Selbstverständnis einfließen lassen, dass wir enorm viel können. Wir sind vielleicht nicht überall die Nummer eins, aber Champions League sind wir in Nordrhein-Westfalen immer. In den Bereichen, in denen wir noch besser werden können, müssen wir die Ansätze finden, wo die Förderung auf den Punkt gebracht werden kann.
In der kommenden EU-Förderperiode werden wir entsprechend verfahren, und das auch noch unbürokratisch. Insofern werden wir diesen Forderungen gerecht. Die Anträge, die die Opposition zu diesem Punkt gestellt hat, gehen ins Leere. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Herr Minister Duin hat die Redezeit um ungefähr 1 Minute 43 Sekunden überzogen. Wenn die Fraktionen möchten, können sie die entsprechende Redezeit bekommen. – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich hiermit die Beratung zum Tagesordnungspunkt 6 und gehe davon aus, dass ich Ihr Einverständnis habe, dass wir über die beiden Anträge gemeinsam im Sinne der Überweisung abstimmen. – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Anträge mit den Drucksachen 16/3447 und 16/3452 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/3513 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Dort soll dann auch die abschließende Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. – Niemand stimmt dagegen. – Niemand enthält sich. Dann haben wir so verfahren.
Ich rufe auf:
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3441
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Kern das Wort.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Der Auftrag der Stasi im Unrechtsstaat DDR war simpel: alles zu wissen – die Totalüberwachung aller gesellschaftlichen und politischen Abläufe.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Dabei wähnte man sich natürlich im Recht. Ich zitiere: „Wir haben versucht, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen einwandfrei zu arbeiten.“ Das sagte einst Stasi-Chef Erich Mielke über die Arbeit seines Ministeriums.
Was wir bislang nur befürchteten und wofür wir belächelt wurden, ist nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden nun bittere Gewissheit: Die Totalüberwachung und Kontrolle des öffentlichen und privaten Lebens ist kein vergangenes Horrorszenario aus „Das Leben der Anderen“; es ist tagtägliche Realität, auch hier bei uns.
Auch heute behauptet man, nach Recht und Gesetz und nur zum Schutze der Bevölkerung zu handeln. Dabei sind die Kontrollmechanismen im digitalen Zeitalter noch viel perfider. In effizienter Arbeitsteilung unterstützen sich die nationalen Geheimdienste gegenseitig. Amerikaner und Briten überwachen großflächig, die Deutschen nutzen munter die dabei anfallenden Daten zur Bespitzelung der eigenen Bevölkerung.
Das Ganze wird so organisiert, dass nie ein politischer Entscheidungsträger jemals für die massive Missachtung der Grundrechte Verantwortung übernehmen muss. Das ist nichts anderes als globaler Kontrollterrorismus.
(Beifall von den PIRATEN)
Der größte Datenstaubsauger findet sich gleich nebenan: das Programm des britischen Geheimdienstes GCHQ namens Tempora. Durch das Anzapfen von Internetknotenpunkten und Glasfaserkabeln kann Tempora den weltweiten Telekommunikations- und Internetdatenverkehr überwachen.
Nicht nur die Verbindungsdaten, nein, auch der komplette Inhalt von E-Mails und Telefonaten wird gespeichert, allein bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen täglich. Auch Tempora basiert selbstverständlich auf geltendem britischem Recht. Mielke wäre stolz gewesen.
Im Gegensatz zu Prism und den USA, die sich seither erfolgreich der internationalen Gerichtsbarkeit entziehen, handelt es sich bei Tempora um das EU-Mitglied Großbritannien. Ganz offensichtlich hat Großbritannien mit den Überwachungsaktivitäten gegen geltendes EU-Recht sowie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.
Im Sinne der europäischen Grundrechte müssen ein solch eklatanter Verstoß geahndet und alle Sanktionsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu zählt auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission.
(Beifall von den PIRATEN)
Denen, die behaupten, die Geheimdienste unterlägen nicht den Regelungen des Unionsrechts, muss man einfach entgegenhalten: Die Aushebelung der europäischen Grundwerte und die Installierung eines Kontrollstaates sind unserer Ansicht nach jedenfalls nicht mit der europäischen Rechtsordnung vereinbar.
(Beifall von den PIRATEN)
Was hier geschieht, geht ganz klar über die Grenzen geheimdienstlicher Tätigkeiten hinaus. Wer das nicht einsieht, ist auf einer Linie mit Erich Mielke.
Millionen von Euro gibt die Europäische Union jährlich für große Hochglanz-Imagekampagnen aus, in der vagen Hoffnung, so die Menschen in Europa von gemeinsamen Werten und Idealen überzeugen zu können. Doch Sie können noch so viel buntes Papier bedrucken – wenn die Einhaltung der eigenen Grundrechte nicht endlich durchgesetzt wird, sind alle Bekenntnisse zu einer wertebasierten EU zynisch und verlogen. Ich kann die Menschen verstehen, die von einem wertelosen Europa nichts mehr wissen wollen.
Ich komme zum Schluss. – Wir Piraten bleiben dabei: Die Entwicklung der Geheimdienste hin zu einer internationalen Stasi mit Fernbedienung bekämpfen wir aufs Schärfste. Denn Überwachung ist wie Radioaktivität: Man merkt nichts – erst mal. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die SPD-Fraktion spricht der Herr Kollege Münchow.
Volker Münchow (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rede vor Ihnen live. Mich kann jeder sehen: Die Kollegen können mich sehen, die Besucher auf der Tribüne können mich sehen, man kann mich im Livestream sehen und eventuell morgen im Fernsehen. Vielleicht kann man es auch in der Zeitung nachlesen. Auch kann man es wahrscheinlich in sozialen Netzwerken nachlesen, wenn ich hinterher schreibe, dass ich heute am Rednerpult gestanden habe und was ich heute gesagt habe.
Aber was ich mit Kolleginnen und Kollegen untereinander bespreche, wenn ich mit Verbänden telefoniere oder mich mit einem Unternehmen per E-Mail austausche: Dieser Inhalt muss geheim bleiben. Das geht keinen etwas an. Das gilt nicht nur für Abgeordnete, das gilt für Journalisten, das gilt für Pfarrer, aber ist auch in vielen anderen Fällen für die Menschen von deutlicher und zentraler Bedeutung im Umgang miteinander und für das Vertrauen, das Menschen ihren Gesprächspartnern entgegenbringen.
Aber wie stehen wir heute da? China hört uns ab, Russland wahrscheinlich auch, vielleicht noch andere Staaten. Das haben wir immer geahnt. Ich denke, die Bundesregierung hat das auch gewusst. Aber dass unsere Freunde und Verbündeten wie die USA – ich will mich aber auf Großbritannien konzentrieren – das tun, überschreitet eine Linie deutlich.
Welchen Zweck verfolgen die Briten? Sicherlich ist die Abwehr von Terror ein Grund, aber wohl kaum die Sammlung und Analyse in dem Ausmaß, das uns von Edward Snowden vor Augen geführt wird. Formell muss man den Tatbestand wohl Spionage nennen; zumindest heißt das so im allgemeinen Sprachgebrauch. Ob es aber nun Wirtschaftsspionage ist, die unseren Unternehmen schadet, egal ob Freund oder Feind unsere Technologie ausspäht oder ob es sich um andere Gründe handelt: Es ist schlicht nicht zu tolerieren.
Nun müssen wir prüfen, was an den Behauptungen dran ist, die aufgestellt worden sind. Hier komme ich zum Antrag der Piratenfraktion. Zuerst gilt es, einmal zu prüfen, was wirklich passiert ist und wie groß der Umfang der Bespitzelung ist. Wir brauchen eine vernünftige Recherche. Dabei habe ich gegenüber dem Landesinnenministerium ein sehr großes Vertrauen. Ich hoffe, Herr Friedrich in Berlin kann das Vertrauen auch bestätigen. Da habe ich ein bisschen mehr Skepsis.
Wenn sich aber nach der Prüfung herausstellt, dass Großbritannien gegen geltendes Recht verstoßen hat, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, dann kann es nicht nur, nein, dann muss es ein Vertragsverletzungsverfahren geben. Das muss gegen Großbritannien als Mitglied der Europäischen Union eingeleitet werden.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Ich halte es da mit Wolfgang Bosbach, der vor einigen Tagen gesagt hat: „Wir werden den Rechtsstaat nicht verteidigen, indem wir seine Prinzipien außer Kraft setzen.“ Daran sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, sich vielleicht ein Beispiel nehmen.
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenber-ger hat das auch bestätigt. Sie sagt:
„Die Kontrollfunktion von Parlament und Justiz zeichnet einen freien und demokratischen Staat aus. Sie kann aber nicht ihre Wirkung entfalten, wenn Regierungen bestimmte Maßnahmen in Schweigen hüllen“.
Gerade vor etwa fünf Minuten habe ich aktuell im „Spiegel“ gelesen, dass eine Tickermeldung gekommen ist, dass Angela Merkel das ganz anders sieht. Sie hat sich heute zum ersten Mal geäußert und findet es ganz normal, dass deutsche Bürger, dass Abgeordnete usw. abgehört werden. – Ich habe es nicht im Detail lesen können, weil es einfach zu kurzfristig kam.
(Lothar Hegemann [CDU]: Aber schon einmal gesagt!)
– Ich habe es erst kurz gelesen, weil es gerade erst durch den Ticker kam. Man kann das noch einmal nachrecherchieren. Sie können sicherlich gleich in Ihren Stellungnahmen darauf eingehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich komme zum Schluss und möchte feststellen, dass die Totalüberwachung von EU-Bürgern mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar ist.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Ich möchte nicht in einem Europa leben, wie George Orwell in seinem Buch „1984“ oder Aldous Huxley in „Brave New World“ das schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts beschrieben haben. Gerade im Zeitalter der Stärkung des europäischen Gedankens und der Aufgabe von nationalen Souveränitätsrechten können wir es Mitgliedern der Union nicht gestatten, die Grundrechte einer halben Milliarde Bürgerinnen und Bürger zu vernachlässigen.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Aus unserer Geschichte sollte man eine Erfahrung mitnehmen: Nach Nationalsozialismus und SED-Regime muss sich Deutschland für ein Europa einsetzen, in dem bürgerliche Freiheiten nicht verhandelbar sind – auch gegenüber Großbritannien und den USA, die einen Freiheitsbegriff haben, der sich von seinen Wurzeln weit entfernt hat.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Ich freue mich darüber, mit Ihnen im Ausschuss das Thema weiter zu beraten. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Münchow. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Hegemann.
Lothar Hegemann (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf den Redner der Piraten antworten. Wenn er permanent wie einen roten Faden durch seine Rede den Vergleich mit der Stasi zieht, ist das eine Frechheit.
(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von Nicolaus Kern [PIRATEN])
Die Stasi hat Killerkommandos und Gefängnisse unterhalten. Dort wurden Todesurteile ohne Gerichtsverhandlung vollstreckt. Die Stasi-Mitarbeiter haben einen Prozess bekommen, nicht weil sie gegen das Recht der BRD verstoßen haben, sondern weil sie gegen DDR-Recht verstoßen haben. Und Sie vergleichen die? Eine Unverschämtheit!
(Widerspruch von Nicolaus Kern [PIRATEN])
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Hegemann, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Paul zulassen?
Lothar Hegemann (CDU): Das ist nicht Herr Paul.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.
Marc Olejak (PIRATEN): Verzeihung und vielen Dank für die Zulassung der Frage. – Ist Ihnen die Größeneinheit „Yottabyte“ bekannt bzw. die Tatsache, dass die Datenbestände alleine aus den Metadaten, die die US-Amerikaner in diesem Fall vorhalten, 250 Milliarden Mal größer ist als jegliche Form von Daten, die die Stasi jemals besaß?
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Lothar Hegemann (CDU): Mir ist die Dateneinheit „Yottabyte“ bekannt. Aber was wollen Sie mir damit sagen?
(Zuruf)
– Das ist doch dummes Zeug, ein Unrechtsorgan wie die Stasi zu vergleichen mit westlichen Geheimdiensten. Jeder hier im Saal in allen Fraktionen hat ein Unwohlsein, wenn er darüber nachdenkt, wie Daten abgesaugt werden und wie viel man über persönliche Informationen an Staatsorgane gibt. Aber nun hören Sie doch auf, sich darüber zu echauffieren, als sei das erstens ganz neu und als hätte das zweitens irgendeine Partei veranlasst.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Wissen Sie mehr? – Marc Olejak [PIRATEN]: Sie haben es gewusst?)
Es gibt einen im Raum, der kann Ihnen alles erklären. Der kann Ihnen sogar die Fragen erklären, die er selbst stellt. Das ist der Innenminister. Der macht aber natürlich einen krummen Rücken und nennt Angela Merkel und Herrn Friedrich. Er weiß doch selbst alles als Innenminister.
(Beifall von der CDU)
Sie können ihn in der Fraktionssitzung fragen, wenn Sie ihn nicht hier fragen wollen. Meinen Sie, als die Informationen über die Sauerlandbomber gekommen sind, hat seine Abteilung gefragt: Haben Sie die Daten auch rechtsstaatlich ermittelt?
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist Ihnen egal?)
Die waren froh, dass sie die Information bekommen haben. Eins fehlt in Ihrer ganzen verlo … Eins fehlt in Ihrer ganzen unwahren Diskussion:
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Wollten Sie „verlogen“ sagen?)
– Ich habe mich sofort korrigiert.
Der Schutz deutscher Interessen, der Schutz deutscher Menschen. Jetzt sage ich Ihnen: Nachdem in uneingeschränkter Solidarität Joschka Fischer und Gerhard Schröder nach Pakistan marschiert waren, sind wir im Visier internationaler Terroristen. Dass sich dieser Rechtsstaat dies nicht gefallen lässt, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen.
(Beifall von der CDU)
Jetzt sage ich Ihnen eines: Sie stellen Forderungen zu Dingen, die Sie nicht kennen. Nun können Sie sagen: Was der erzählt, interessiert mich nicht.
Es gibt einen Mann mit einem sehr hohen Ansehen in Deutschland, der ein unglaubliches Wissen hat, weil er eine riesengroße Behörde hinter sich hat. Das ist der Bundespräsident. Er ist sehr wissend, allerdings keine starke politische Größe, was die Exekutive betrifft. Das wissen wir. Der wurde in Lettland gefragt: Ist denn der Dissident Snowden für Sie ein Held, oder was ist er? – Da sagte der Bundespräsident: Ich weiß noch nicht einmal, ob er ein Dissident ist. Ich kann Ihnen dazu gar nichts sagen, ich muss dazu viele Fragen stellen.
Die Einzigen, die schon bei der Fragestellung alle Antworten kennen, sind Sie. Kein Mensch sonst weiß dies. Lasst uns am Ende der Diskussion darüber reden!
Ich sage Ihnen auch: Nach der Sommerpause und nach der Bundestagswahl wird vieles kühler gegessen, als es jetzt gekocht wird. Ich habe viele große Staatsereignisse gesehen, bei denen Mord und Brand geschrien wurde und sich nach sechs Wochen niemand mehr dafür interessierte.
Über die Fragen muss diskutiert werden, insbesondere mit Großbritannien. Aber noch wissen wir es nicht. Da jede Story von Herrn Snowden mit Geld bezahlt wird, wird natürlich auch jede Zeitung eine anständige Story daraus machen. Aber mehr als eine Zeitungsstory habe ich noch nicht gelesen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte fast gesagt: Auf ein Neues! – Wir haben uns hier heute Morgen schon über diesen Sinnzusammenhang ausgetauscht.
Ich möchte, auch weil sich jetzt einige Argumente wiederholt haben, auf das eingehen, was Kollege Münchow eben angesprochen hat und was im Vergleich zu heute Morgen tatsächlich neu ist, nämlich die Vorabmeldung in der Online-Ausgabe der „Zeit“ über ein morgen erscheinendes Interview mit der Bundeskanzlerin, in dem sie zu dem ganzen Themenkomplex Tempora und Prism Stellung bezieht und das sehr eindeutig verteidigt.
Sie hat zum Beispiel sehr eindeutig festgehalten, dass aus ihrer Sicht diese Programme der Sicherheit der Bevölkerung dienen. Damit hat sie auch die unverhältnismäßigen Eingriffe in die Grundrechte gerechtfertigt. Wir werden uns morgen sicherlich gemeinsam ausführlich ansehen können, was die Bundeskanzlerin gesagt hat. Aber das, was wir heute lesen, ist nicht das eindeutige Bekenntnis in der Sache, das wir uns gewünscht hätten.
Die Kurzfassung lautet ungefähr: Man sollte vielleicht ein bisschen aufklären. Aber eigentlich ist das alles ganz okay; denn es dient der Sicherheit. – Das Schönste an der Vorausmeldung fand ich, dass die Kanzlerin gesagt hat: Ach ja, verantwortlich für die Geheimdienste ist der Kanzleramtsminister, nicht die Bundeskanzlerin. – Heute Morgen habe ich gesagt, das sei die Flucht nach „Neuland“. Offensichtlich handelt es sich um die Flucht nach „Schloss Koalitionsstein“.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Piratenfraktion dreht sich um die Frage, ob Tempora das Unionsrecht verletzt. Ich glaube, das kann man tatsächlich abprüfen. Man sollte es auch.
Ich finde, das ist eine richtige und wichtige Debatte, eben weil es in ganz Europa große Irritationen in der Bevölkerung sowie Verärgerung und Besorgnis gibt. Ich glaube, das haben wir heute Morgen schon angesprochen.
Herr Kollege Kern, ob es am Ende zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt, entscheidet nicht der Landtag von Nordrhein-Westfalen, sondern das entscheidet am Ende der Europäische Gerichtshof bzw. die Europäische Kommission. Das sind die Abläufe. Das ist keine rein politische Frage.
Aber es gibt durchaus gewisse Tendenzen, auf deren Basis man annehmen kann, dass es durch diese Programme Verletzungen des Unionsrechts und auch Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention gibt. Wir müssen sehen, es handelt sich tatsächlich um eine neue Problemdimension, um ein wirklich neues Maß des Grundrechtseingriffs.
Vor diesem Hintergrund – ich glaube, das ist tatsächlich etwas, was wir aus dieser Debatte mitnehmen müssen – muss es aus meiner Sicht ganz dringend eine sehr breite und sehr intensiv geführte Debatte darüber geben, wie wir den Datenschutz im digitalen Zeitalter aufstellen wollen. Es geht nicht allein um die Frage, ob das, was da passiert, das Unionsrecht verletzt oder nicht, sondern es geht um viele weitere Fragestellungen und auch um weitere Abkommen.
Wir haben zum Beispiel eine Entschließung des Europäischen Parlaments aus der letzten Woche vorliegen, in der genau diese Fragestellungen aufgegriffen werden. Wir haben im Zusammenhang mit Tempora und Prism schon über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA diskutiert: Welche Konsequenzen hat das möglicherweise für dieses Freihandelsabkommen?
Das Europäische Parlament hat zu Recht erklärt: Vor dem Hintergrund, dass es offenbar Verletzungen des Rechtsrahmens, der in Europa gilt, gibt, ist es notwendig, über das Safe-Harbor-Abkommen und auch über den Passagierdaten- und Bankdatenaustausch zu sprechen: wie diese ganzen Datenaustauschprozesse ablaufen. Ich finde, es ist notwendig, dass wir das jetzt nach vorne bringen.
Ich finde, das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung in der letzten Woche tatsächlich sehr wichtige und richtige Punkte benannt. Es hat vor allem auch klar gemacht, dass sich die Staaten Europas völlig zu Recht einem starken Datenschutzregime unterworfen haben, dass sie dieses Datenschutzregime weiterentwickeln wollen und dass wir da auf einem guten Weg in Europa sind.
Aber diese Abkommen und der Rechtsrahmen, den wir haben, stellen auch einen Auftrag dar. Wer sich diesen Abkommen unterwirft, hat zugleich den Auftrag, dafür zu sorgen, dass in Europa das Wertefundament, nämlich das Fundament des freien und demokratischen Rechtsstaats, wie wir es aus den letzten Jahrzehnten kennen, erhalten bleibt und dass die Staaten dafür eintreten, statt es zu unterwandern und zu untergraben.
Ich glaube – meine Redezeit ist schon vorbei –, das ist ein sehr umfangreiches Programm. Insofern wird das sicherlich eine ganz interessante Debatte im Ausschuss werden. Auf die freue ich mich. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bereits von meinem Vorredner gesagt wurde, haben wir heute Morgen schon sehr intensiv über das Thema „Prism“ und Ähnliches gesprochen. Insofern möchte ich mich auf wenige Punkte beschränken.
So kritisch wir dem gegenüberstehen, was in der Berichterstattung offenbar wurde – wenn das wahr wäre, wäre das für uns unglaublich; das habe ich heute Morgen schon gesagt –, so schwer tue ich mich mit Ihrem konkreten Antrag. Denn Sie unterstellen, dass die Dinge, die in der Presse veröffentlicht sind, wahr sind. Sie maßen sich an, eine Art Richter zu spielen, indem Sie mit uns zusammen beschließen wollen, dass sich die Briten unionsrechtswidrig verhalten haben.
Damit tue ich mich schwer. Diese Frage sollen diejenigen entscheiden, die dazu berufen sind. Ich bin sehr dafür, aber ich entscheide nicht, ob ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wird. Dafür gibt es Kolleginnen und Kollegen auf europäischer Ebene, die das zu tun haben. Der Kollege Bolte hat eben darauf hingewiesen, dass im Europäischen Parlament und auf EU-Ebene einiges angefangen wurde. Das ist der richtige Ort.
Hier ist nicht der richtige Ort, sondern wir können allenfalls sagen, dass wir ein solches Verhalten nicht wünschen und dass wir als Liberale sowie wir alle zusammen als Parlamentarier und Demokraten das kritisieren. Aber wir sind nicht die Richter über das Verhalten der Briten.
Ich habe mich auch über den DDR-Vergleich geärgert ähnlich wie der Kollege Hegemann. Denn ich finde, dass man bei aller Empörung über das, was da mutmaßlich passiert ist, schon einen qualitativen Unterschied sehen muss.
Ich muss sagen: Wer einmal in der DDR gewesen ist und wer dieses Unrechtsregime erlebt hat … Ich bin als 19-Jähriger mit den Jungliberalen auf offizielle Einladung dorthin gefahren. Da öffnen sich Ihnen die Türen. Kaum sind Sie wieder raus und wollen einreisen, sind Sie unerwünscht. Die Leute sind auf die Straßen gerannt, um mit uns zu sprechen. Sie haben sich nicht getraut, im Geschäft mit uns zu reden, weil sie dort verwanzt waren. Das sind ganz andere Dimensionen der Art des Umgangs miteinander. Ich finde, es gehört sich nicht, das in diesen Kontext zu stellen.
Insofern sind wir in der Sache in vielen Punkten sehr nahe bei Ihnen, aber bei diesem Antrag in den konkreten Formulierungen leider nicht. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Präsident! Herr Hegemann, ich widerspreche Ihnen sehr häufig, weil ich dies wegen unserer unterschiedlichen politischen Ausrichtung und Inhalte tun muss.
Aber ich gebe Ihnen heute in einem Punkt ausdrücklich recht. Es hat im letzten Jahrhundert zwei Diktaturen auf deutschem Boden gegeben. Beide waren für die Menschen in unserem Land und in der jeweiligen Zeit unsäglich. Deshalb ist jeder Vergleich mit einer solchen Diktatur immer historisch falsch und sollte nie genutzt werden.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Daher würde ich den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Piraten empfehlen, mit solchen Vergleichen sehr viel sensibler umzugehen.
Ich habe es heute Morgen schon einmal gesagt: Diese Landesregierung ist daran interessiert, dass es eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge rund um Prism und Tempora gibt. Das ist kein Wunsch, sondern eine klare Forderung dieser Landesregierung. Diese Forderung haben wir sehr klar an die Bundesregierung gerichtet. Sie vor allem ist jetzt am Zug, alles dafür zu tun, klare Verhältnisse zu schaffen. Die Wahrheit muss ans Licht.
Herr Hegemann, solange diese Wahrheit nicht ans Licht kommt, ist die Schraube der Skandalisierung dieses Vorgangs nach oben offen. Deshalb sollten wir alle und zuvorderst die Bundesregierung ein Interesse daran haben, dass die gemachten Vorwürfe in den Medien entweder entkräftet, klargestellt oder bestätigt werden, damit man daraus entsprechendes Handeln entwickeln kann. Abzutauchen und nichts zu sagen darf keine Strategie sein.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulz von den Piraten zulassen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Mit der habe ich fast gerechnet.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Heißt das ja?)
– Selbstverständlich.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Danke, Herr Minister, dass Sie damit gerechnet haben und dass Sie die Frage zulassen.
Würden Sie mit mir übereinstimmen, dass der Unrechtsstaat der DDR und die Diktatur, wie Sie sie nennen, schlicht und ergreifend nur die Grundlage dessen war, was Sie als Vergleichsmöglichkeit zurückweisen,
(Zuruf von den GRÜNEN: Frage!)
nämlich die Stasi-Methoden? In „Staatssicherheit“ kommt auch das Wort „Sicherheit“ vor. Darüber ist mittlerweile allseits in Geschichtsbüchern zu lesen. Inzwischen kann das auch sehr beeindruckend, wenn nicht sogar bedrückend auf der Normannenstraße in Berlin besichtigt werden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Es ist ein unterschiedliches Empfinden, wie man damit umgeht. Sie selbst haben das schon einmal getan. Ich bin der Auffassung, dass Diktaturen und deren Handlanger wie die Stasi immer ein System darstellen, auf das sich Demokratien und Rechtsstaaten nie beziehen dürfen.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Auch in diesem Fall finde ich es falsch, sich auf eine Diktatur zu beziehen. Das ist meine Haltung dazu; sie mag bei Ihnen anders sein. Ich empfehle Ihnen einfach nur einen etwas sensibleren historischen Umgang mit solchen Vergleichen.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ansatz, sowohl die Europäische Kommission als auch das Europäische Parlament einzubinden, ist im Prinzip richtig. Gerade beim britischen Gesetz muss deutlich geklärt werden: Ist dieses Gesetz, unter dem eine solche Maßnahme durchgeführt wurde, unter Umständen unionsrechtswidrig, oder ist es unionsrechtskonform und wurde ohne Rechtsgrundlage angewendet?
Wenn diese Frage beantwortet ist, ergibt sich daraus meines Erachtens, dass wir viel Helles ins Dunkle bekommen. Das haben die Fraktionen im Europäischen Parlament in breiter Mehrheit in einem Entschließungsantrag so anerkannt. Sie fordern darin, was wir auch fordern, nämlich eine umfassende Aufklärung und Überprüfung dieser Vorgänge.
Ich glaube, dass wir am Ende entscheiden müssen, wenn uns die Tatsachen vorliegen: Können wir beurteilen, ob tatsächlich ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren auf europäischer Ebene eingeleitet werden soll oder vielleicht sogar muss? Oder sollte es fallengelassen werden?
Aber bis dahin, meine Damen und Herren, ist es sinnvoll, Fakten zusammenzutragen und sich von denen berichten zu lassen, die zuvorderst in der Verantwortung stehen, für Aufklärung zu sorgen. Das ist nun einmal die Bundesregierung. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die Fraktion der Piraten spricht nun Herr Kollege Kern.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Danke schön. – Ich möchte doch noch einmal auf ein paar Dinge eingehen. Zunächst einmal ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass es hier nicht darum geht, dass ein Urteil gefällt wird, sondern darum, dass wir einen ganz klaren Anfangsverdacht haben. Und damit diesem Anfangsverdacht nachgegangen wird, ist es wichtig, dass das Vertragsverletzungsverfahren überhaupt erst mal eingeleitet wird. Darum geht es hier. Es ist auch wichtig, dass wir hier darüber diskutieren. Natürlich geht es uns an, es geht NRW an, weil im Zweifel – sogar ziemlich sicher – Millionen von NRW-Bürgern betroffen sind. Sich dieser Verantwortung hier zu entziehen, hielte ich für ziemlich falsch.
(Beifall von den PIRATEN)
Mir wäre es auch lieber, wenn sich hier über Vergleiche aufgeregt wird …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, ich möchte trotzdem auf Ihre Redezeit hinweisen.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident.
„Wehret den Anfängen“ ist auch eine Einstellung, die einem gut zu Gesicht steht. Mir wäre es auch lieber, wenn solche Geheimdienstmethoden, die angewandt werden, nicht zu diesen Vergleichen einladen würden. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind am Schluss der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/3441 an den Ausschuss für Europa und Eine Welt. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Drucksache 16/3460
Unterrichtung
durch die
Präsidentin des Landtags
Drucksache 16/3511
Ich möchte darauf hinweisen, dass Ihnen mit der Drucksache die Mündliche Anfrage 23 aus den Fragestunden vom 15. Mai 2013 und 19. Juni 2013, die Mündliche Anfrage 24 aus der Fragestunde vom 19. Juni 2013 sowie die Mündliche Anfrage 26 vorliegt.
Die
des Herrn Abgeordneten Christof Rasche von der Fraktion der FDP – Thema: „Solidarische Hilfe für in Not geratene Partnerstadt Aken verweigert – Rechtliche Grundlage für Ausrückverbot für Erwitter Feuerwehr“ – ist inzwischen mit Drucksache 16/3511 vom Fragesteller zurückgezogen worden und wird deshalb heute nicht aufgerufen.
Ich rufe nun auf die
aus den beiden letzten Fragestunden der Abgeordneten Ingola Schmitz von der Fraktion der FDP:
Am 27. März 2013 wurde den Bezirksregierungen vom Ministerium für Schule und Weiterbildung ein Erlass übersandt, mit dem Schulministerin Löhrmann 25 der rund 50 Millionen € der im Haushalt 2013 verabschiedeten Flexiblen Mittel für längerfristigen Vertretungsunterricht gesperrt hat. Aus diesen Mitteln soll die Globale Minderausgabe von rund 60 Millionen € im Einzelplan 05 bedient werden. Somit hat die Landesregierung einen Einzelplan verabschieden lassen, ohne die Abgeordneten auf die drohende Sperrung der Mittel hinzuweisen. Hierüber kann auch die Aussage der Schulministerin nicht hinwegtäuschen, dass sie die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen im Personalbereich angekündigt habe.
In einem von der FDP-Landtagsfraktion beantragten Bericht äußerte sich die Ministerin nun zu den absehbaren Folgen ihres Handelns (Vorlage 16/845). So erklärte sie nonchalant, dass die Schulen anfallenden Vertretungsbedarf stärker als bisher mit dem vorhandenen Personal bewältigen müssten. Schulministerin Löhrmann nennt hierbei zum Beispiel die Anordnung von Mehrarbeit, auch müssten demnach zusätzliche Angebote an Schulen gestrichen werden. Darüber hinaus räumt sie ein, dass temporärer Unterrichtsausfall nicht ausgeschlossen werden könne.
Bereits seit einigen Monaten häufen sich die Rückmeldungen aus dem ganzen Land, in denen Unterrichtsausfall an den Schulen beklagt wird. Eine der Maßnahmen, auf die vonseiten der Schulverwaltung hierbei oftmals als Antwort verwiesen wird, stellen die Flexiblen Mittel für Vertretungsunterricht dar. So hat zum Beispiel das Ministerium für Schule und Weiterbildung noch unmittelbar vor der anteiligen Sperrung von Mitteln für den Flexiblen Vertretungsunterricht an Eltern, die Unterrichtsausfall an ihren Schulen beklagten, den Hinweis übersandt, dass die Schulen eben diese zur Vermeidung von Unterrichtsausfall nutzen könnten.
Wie will die Schulministerin verhindern, dass ihr Vorgehen bei den Flexiblen Mitteln gegen Unterrichtsausfall die von vielen Eltern und Lehrern bereits jetzt beklagte Situation des vermehrten Unterrichtsausfalls an vielen Schulen verschärft?
Ich bitte Frau Ministerin Löhrmann um Beantwortung.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Schmitz, aller guten Dinge sind drei, kann man fast sagen, weil es aufgrund der intensiven Befragung des Finanzministers so lange gedauert hat, bis diese Frage jetzt im Plenum angekommen ist.
Die FDP-Fraktion hat außerdem für die Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung am 8. Mai 2013 einen Bericht zum Thema „Flexible Mittel für Vertretungsunterricht“ erbeten, und dieser Bericht wurde dem Ausschuss auch vorgelegt. Darin wurde erläutert, welche Gründe es gegeben hat, 25 Millionen € bei den flexiblen Mitteln für den Vertretungsunterricht vorläufig zu sperren. Um eine Relation bezüglich dieser – natürlich hohen – Summe zu bekommen, muss man wissen, dass der Etat meines Hauses insgesamt 15,1 Milliarden € umfasst.
Mit Blick auf die Ausgabenstruktur des Einzelplans 05 kann die Erwirtschaftung von globalen Minderausgaben in Höhe von 60 Millionen € ohne Eingriff in die Personalausgaben nicht gelingen. Im Einzelplan 05 sind rund 13,15 Milliarden € Personalausgaben veranschlagt. Dies entspricht rund 87 % der Gesamtausgaben des Einzelplans. Von den Personalausgaben sind rund 66 % Aktivenbezüge. Davon entfallen 99,1 % auf den Schulbereich und lediglich 0,9 % auf den Verwaltungsbereich. Es wäre von daher realitätsfremd zu erwarten, dass 25 Millionen € allein durch Einsparungen bei den Personalausgaben erzielt werden können, ohne den Schulbereich einzubeziehen.
Bei Ihnen schwingt der Vorwurf mit, die Abgeordneten wären bei den Haushaltseinbringungen nicht in ausreichendem Maße davon in Kenntnis gesetzt worden, welche konkreten Personalmaßnahmen zur Erwirtschaftung der Minderausgaben beitragen sollen. In der Sitzung des Ausschusses am 16. Januar 2013 hatte die Landesregierung unter Hinweis auf die Ausgabenstruktur des Einzelplans 05 darauf hingewiesen, dass bei der Bewirtschaftung der Minderausgaben auch die Personalausgaben in den Blick genommen werden müssen. Diese können nur durch Stellensperrungen bzw. durch Sperrung von Ausgabemitteln realisiert werden.
Im Übrigen sind globale Minderausgaben ein Instrument, das die Legislative der Exekutive an die Hand gegeben hat, um möglichst flexible Einsparerfordernisse zu erfüllen. Die Besonderheit der globalen Minderausgabe besteht also darin, dass der Haushaltsgesetzgeber zwar die Höhe der Minderausgaben bestimmt, die Umsetzung aber der jeweiligen Regierung überlässt.
In der Mündlichen Anfrage wird behauptet, dass sich bereits seit einigen Monaten die Rückmeldungen aus dem ganzen Land häufen, in denen Unterrichtsausfall an den Schulen beklagt wird. Diese pauschale Behauptung teile ich so ausdrücklich nicht. Dem Ministerium für Schule und Weiterbildung liegen jedenfalls keine Erkenntnisse vor, dass es in den letzten Monaten gegenüber der Vergangenheit vermehrt zu Unterrichtsausfallen gekommen ist.
Die Landesregierung weist noch einmal darauf hin, dass jede freie und besetzbare Lehrerstelle auch für die befristete Beschäftigung von Vertretungslehrkräften genutzt werden kann. Den Schulen stehen zudem unverändert 4.000 Stellen gegen Unterrichtsausfall und besondere Förderbedarfe und den Grundschulen darüber hinaus weitere 900 Stellen aus der Vertretungsreserve zur Verfügung.
50 Millionen € an flexiblen Mitteln entsprechen rechnerisch 1.000 Jahres-Stellen. Damit betrifft die Kürzung rechnerisch 500 von 5.900 Vertretungsstellen. Das sind 8,5 % aller Vertretungsmittel bzw. 0,3 % des gesamten Stellenbestandes in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus stehen den Gymnasien aufgrund des doppelten Abiturjahrgangs im kommenden Schuljahr 1.000 Lehrerstellen über Bedarf zur Verfügung. Bei der Mittelzuweisung an die Bezirksregierungen hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung darauf hingewiesen, dass es sich um eine vorläufige Maßnahme handelt.
In dem Maße, in dem sich im Laufe des Haushaltsjahres finanzielle Spielräume ergeben, kann gegebenenfalls bei den flexiblen Mitteln nachgesteuert werden. Nach dem Stand vom 5. Juli 2013 sind derzeit 18,5 Millionen € verausgabt beziehungsweise verplant. Somit stehen zum derzeitigen Stand noch 6,3 Millionen € auch aus der flexiblen Vertretungsmittelreserve zur Verfügung.
Die Landesregierung geht jedenfalls nicht von einer Verschärfung der Unterrichtssituation aus, wie es in der Mündlichen Anfrage behauptet wird. Dies haben dem Ministerium für Schule und Weiterbildung die Bezirksregierungen in einer Abfrage am 14. Juni und am 8. Juli bestätigt. So schmerzhaft und bedauerlich die Entscheidung dieser Mittelkürzung auch ist – sie kann keinen massiven flächendeckenden Unterrichtsausfall verursachen. Insofern bittet die Landesregierung, bei den Auswirkungen der schwierigen Maßnahme doch auch bei der Kommunikation nach außen auf Panikmache zu verzichten. – Herzlichen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es gibt eine Frage des Herrn Kollegen Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Danke. – Frau Ministerin, Ihrem Bericht ist dem letzten Absatz auf Seite 3 zu entnehmen, dass die Schulen mit vorübergehender Streichung von zusätzlichen Angeboten rechnen müssen. Welche zusätzlichen Angebote meinen Sie, die Sie streichen wollen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Ellerbrock, viele Schulen haben zum Beispiel AG-Maßnahmen, die nicht zum Pflichtangebot der zu erteilenden Unterrichtsstunden zählen. Natürlich hat die Unterrichtserteilung des Pflichtangebots einer Schule Vorrang etwa vor einer freiwilligen Arbeitsgemeinschaft.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Nun gibt es eine Frage der Fragestellerin, der Frau Kollegin Schmitz. Bitte schön
Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, für das Wort, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin Löhrmann, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Ich habe folgende Nachfrage: In Ihrem Bericht zur Sperrung der flexiblen Mittel steht, dass die Schulen die fehlenden Mittel durch Ad-hoc-Mehrarbeit auffangen könnten. Hiervon sollte laut Erlass vorrangig Gebrauch gemacht werden. Könnten Sie die Folgen dieser Mehrarbeit für die Pädagogen und die Schulen näher erläutern?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Abgeordnete Schmitz, es ist unabhängig von dieser jetzt ergriffenen Maßnahme grundsätzlich so, dass verschiedene Instrumente für den Vertretungsunterricht zur Verfügung stehen.
Für kurzfristigen Unterrichtsausfall, der entsteht, wenn jemand ad hoc krank wird, was somit nicht geplant werden kann, kann man sowieso nicht auf Neueinstellungen oder Vertretungseinstellungen zurückgreifen. Das fängt in der Regel das Kollegium auf. Das war schon zu meiner Lehrerinnenzeit so. Das bedeutet natürlich, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr arbeiten müssen, als sie nach dem Stundendeputat eigentlich leisten müssten. Deswegen wird in den Schulen unter Beteiligung der Lehrerräte in der Regel ein Vertretungskonzept ausgearbeitet, so dass die zusätzlich entstehende Belastung möglichst gleichmäßig verteilt wird. Aber es ist eine Mehrbelastung für die Person, die dann den Vertretungsunterricht erteilen muss, ja.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Nun hat sich Herr Kollege Witzel gemeldet. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir Gelegenheit zu einer Nachfrage geben. – Frau Ministerin Löhrmann, nach meinem Kenntnisstand ist es so, dass der Erlass zur Sperrung der Haushaltsmittel unmittelbar nach dem Beschluss des Haushalts versandt worden ist. Mir sind die Entscheidungsprozesse in Ihrem Hause noch nicht ganz klar. Deshalb möchte ich Sie danach fragen und bitten, darzulegen, wann im Schulministerium die Entscheidung zur Sperrung der Mittel durch wen getroffen worden ist.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Abgeordneter Witzel, wir konnten natürlich erst eine konkrete Maßnahme ergreifen, nachdem der Haushalt verabschiedet war. Erst dann wusste ich die Summe der durch den Haushaltsgesetzgeber abschließend festgelegten globalen Minderausgabe.
In Kenntnis des Haushaltsentwurfs haben wir verschiedene Maßnahmen abgewogen. Klar ist, dass wir diese Summe nicht ohne Eingriffe in den Personalhaushalt erwirtschaften könnten. Das habe ich eben noch einmal ausgeführt. Wir wollten so lange wie möglich abwarten, wie die Stellenbesetzungssituation ist. Es gab die Hoffnung, die Summe ohne zusätzliche Eingriffe zu erwirtschaften, wenn bestimmte Stellen nicht besetzt sind.
Wir haben aber eine sehr gute Stellenbesetzung – was für die Grundversorgung der Schulen gut ist – und mussten dann abwägen, ob wir bestimmte Stellen sperren. Das hätte bedeutet, diese Stellen können nicht von konkreten Personen besetzt werden. Die Schulen können die Stellen ja auch unterjährig besetzen, wenn sie geeignete Personen finden. Insofern haben wir diese Maßnahme so spät wie möglich abschließend entschieden.
Ich habe über diese Maßnahme persönlich mit entschieden, und zwar nach Vorbereitung meiner Haushalts- und meiner Schulabteilung. Dies geschah aber erst ganz kurz, bevor dieser Erlass geschrieben und dann veröffentlicht worden ist.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nun hat sich Herr Kollege Wedel gemeldet. Bitte schön.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Ministerin, uns erreichen immer mehr Rückmeldungen, wonach an auslaufenden Schulen die Unterrichtserteilung nicht mehr gewährleistet ist – zum Beispiel an einer Realschule in Langenfeld.
In einer Pressekonferenz wurde Ihrerseits einmal gesagt, dass es dort verstärkt zu Unterrichtsausfall kommen könne. Die dort beschulten Kinder haben aber auch Rechte. Wie wird sichergestellt, dass an auslaufenden Schulen die Kinder den ihnen zustehenden Unterricht erhalten?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Abgeordneter Wedel, seitens der Administration des Schulministeriums gibt es keinen Unterschied beim Verfahren hinsichtlich der Schulformen oder in Abhängigkeit von ihrem Status, ob es eine neu eingerichtete Schule oder eine auslaufende Schule ist. Das ist mir ausdrücklich sehr sehr wichtig.
Sie haben jetzt eine bestimmte Schule angesprochen. Dazu haben Sie auch am 27.06. eine Kleine Anfrage gestellt. Um Ihre Kleine Anfrage ordnungsgemäß beantworten zu können, haben wir auch einen Bericht der Bezirksregierung angefordert. Der wird ausgewertet. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich an dieser Stelle noch nicht abschließend im Detail auf die Situation an der Schule eingehen kann.
Nach einer ersten Einschätzung ist die Johann-Gutenberg-Realschule insgesamt auskömmlich mit Personal ausgestattet. So übersteigt die Personalausstattung den Stellenbedarf sogar um fast fünf Stellen. Es ist aber im aktuellen Schuljahr zeitgleich zu langfristigen Erkrankungen von sechs Lehrkräften gekommen. Da sich darunter fünf Lehrkräfte mit der Lehrbefähigung für das Fach Deutsch befanden, war der Deutschunterricht überproportional betroffen. Aufgrund der guten Personalausstattung konnten die krankheitsbedingten Ausfälle im Fach Deutsch vom Kollegium aufgefangen werden.
Die Schulleitung hat bei der Bezirksregierung Düsseldorf keinen Antrag auf Zuteilung von flexiblen Mitteln gestellt. Das heißt, der Zusammenhang, den Sie versuchen herzustellen, Unterrichtsausfall entstehe durch die bedauerliche – ich will das nicht schönreden – vorläufige Sperrung der Mittel, kann nicht durch das hinterlegt werden, was mir fachlich vorliegt. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen dem Unterrichtsausfall und der vorläufigen Sperrung der flexiblen Mittel.
Unser Begehren ist es, die Schulen bei den notwendigen Verfahren gleichmäßig zu berücksichtigen und nicht etwa die Schulformen unterschiedlich zu behandeln.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Nun gibt es eine Frage der Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Frau Ministerin Löhrmann, es geht noch einmal um den doppelten Abiturjahrgang und die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes. In diesem Zusammenhang besteht besonders bei den Referendaren, die ans Gymnasium streben, die Problematik der mangelnden Stellen. Vielfach wird statt eines Abwanderns in andere Bundesländer die Möglichkeit einer temporären Vertretung als Alternative genannt.
Ich würde Sie bitten, die Frage zu beantworten, ob es zutreffend ist, dass durch die Sperrung der Mittel die Chancen dieser Referendare in Nordrhein-Westfalen weiter verschlechtert werden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Kollegin Gebauer, es ist so, dass die Bezirksregierungen, bei denen wir Abfragen vorgenommen haben, darauf aufmerksam gemacht haben, dass aufgrund der gekürzten Mittel Anschlussbeschäftigungen von Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern für Vertretungsunterricht beeinträchtigt sind. Das ist so. Das bedaure ich.
Allerdings hätte die Alternative geheißen, für die Erwirtschaftung der globalen Minderausgaben Stellen zu sperren und damit das Angebot an Dauerbeschäftigungsverhältnissen zu beschränken. Eine solche Entscheidung hätte die Berufsperspektiven dieser jungen Menschen in besonderer Weise getroffen. Die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter können sich so auf die ungekürzte Zahl von Stellenausschreibungen bewerben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. Nun liegt eine Frage der Kollege Freimuth vor. Sie ist offensichtlich nicht mehr da.
(Dr. Joachim Stamp [FDP] meldet sich zu der Zusatzfrage.)
– Herr Kollege Stamp, Entschuldigung. Weil Frau Kollegin Freimuth da eben saß, habe ich gedacht, sie hätte die Frage gestellt. Ich darf einmal für das Präsidium sagen – Herr Dr. Stamp, wir hatten das Problem schon öfter –, dass es für das Präsidium bei 237 Abgeordneten immer schwierig ist, wenn Namen aufleuchten, das entsprechend zuzuweisen, wenn jemand nicht auf dem richtigen Platz sitzt. – Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Bitte schön, Herr Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident, ich danke umgekehrt für Ihr Verständnis. Ich glaube, das hat auch nur zu einer kleinen Zeitverzögerung jetzt geführt.
Frau Ministerin, aus dem Erlass des Schulministeriums geht hervor, dass grundsätzlich Mittel aus nicht besetzten Stellen für die befristete Einstellung von Vertretungslehrkräften zur Verfügung stehen. Können Sie uns da eine absolute Zahl nicht besetzter Stellen nennen, in welchen Größenordnungen wir uns hier bewegen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Eine ganz aktuelle Zahl haben wir jetzt nicht. Wir hatten zu Beginn des Schulhalbjahres – ich sage das mit einem Vorbehalt – etwa 300 Stellen nicht besetzt. Aber es gibt auch immer wieder eine Fluktuation, sodass es sein kann, dass eine Stelle frei ist und die Schule bis dato noch keine Person gefunden hat, die sie dafür nehmen will, weil die Schulen schulscharf ausschreiben und auch schulscharf eigenständig besetzen.
Insofern gibt es – davon haben uns die Bezirksregierungen auch berichtet – sehr wohl noch einmal eine Nachsteuerung, bei der die Bezirksregierungen und die Schulen prüfen, ob sie, ehe sie auf flexible Mittel zurückgreifen, die anderen Instrumentarien zur Vermeidung des Unterrichtsausfalls nutzen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer Zusatzfrage hat sich Frau Kollegin Schmitz gemeldet.
Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, uns erreichen Meldungen aus der Praxis, dass an Grundschulen aus Notsituationen heraus Lehrerstunden, die eigentlich für den Bereich der OGS zur Verfügung stehen, für Vertretungsaufgaben herangezogen werden. Wie bewerten Sie dies?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Abgeordnete Schmitz, diese Hinweise haben uns bisher in dieser Form nicht erreicht. Ich hätte die Bitte, dass Sie das gerne an mich weiterreichen. Wir gehen dieser Information dann gerne nach. Ich habe eben gesagt, es gibt 4.000 Stellen für Unterrichtsausfall für alle Schulformen, und es gibt noch einmal 900 Stellen für die Grundschulen speziell, und es gibt die Summe von 25 Millionen € der flexiblen Mittel.
Dass jetzt OGS-Mittel für Vertretungsunterricht genutzt werden, ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Dem würden wir dann nachgehen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Es gibt eine Frage der Frau Kollegin Pieper von der Fraktion der Piraten. Bitte schön, Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Herzlichen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Sperrung der Mittel eher zu einer Verschlechterung der Vertretungssituation führen wird als zu einer Verbesserung. Ich hätte gerne gewusst, wie Sie sicherstellen wollen, dass die Sonderpädagogen, die in der Inklusion arbeiten, nicht vorrangig zu Vertretungsunterricht herangezogen werden, sondern tatsächlich ihrer Aufgabe der Doppelbesetzung in der inklusiven Klasse nachkommen können.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Abgeordnete Pieper, dieser Zusammenhang ist uns in den Rückmeldungen, die wir eingeholt haben, in dieser Form auch nicht als Problem vorgetragen worden.
Wir müssen ja berücksichtigen: Wir haben insgesamt noch 25 Millionen € zur Verfügung. Davon sind, wie eben gesagt, etwa 75 % der Mittel für sieben Monate gebunden. Das Schuljahr ist jetzt ja fast zu Ende. Dann kommen noch vier Monate, die im Laufe des Haushaltsjahres 2013 zu bewältigen sind. Dafür steht noch die genannte Summe von 6,3 Millionen € zur Verfügung.
Natürlich werden wir im Verlaufe der Sommerferien noch einmal ein Update vornehmen, um zu sehen, ob im Rahmen der sonstigen Bewirtschaftungsmaßnahmen weitere Mittel erwirtschaftet werden können, sodass wir dann möglicherweise noch einmal eine Summe flexibler Mittel nachschießen können. Deswegen haben wir dieses Instrument auch gewählt; denn es ist die flexibelste Möglichkeit, noch weitere Mittel für die Schulen freizugeben, um die Engpässe und die möglichen Unterrichtsausfälle auch durch die Nutzung der flexiblen Mittel zu vermindern. Diese Option habe ich im Laufe des weiteren Haushaltsjahres 2013 ja noch.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer Frage hat sich Herr Kollege Bombis gemeldet.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ich beziehe mich noch einmal auf die Mehrarbeit, die laut Ihren Erklärungen die fehlenden Mittel kompensieren soll. Können Sie mir bitte einmal erläutern, mit welchen Folgen diese Mehrarbeit aus Ihrer Sicht für das Land verbunden ist – zum Beispiel: entsprechende Kosten oder organisatorische Fragen in den Schulen –, die sich dann auch in die Zukunft hinein erstrecken? – Danke.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Abgeordneter, wenn Mehrarbeit von Kolleginnen und Kollegen geleistet wird – ob das für zusätzliche Aufgaben in mündlichen Abiturprüfungen ist, ob das für Vertretungsstunden an der einen oder anderen Stelle ist –, ist das für die beteiligte Lehrkraft natürlich immer eine zusätzliche Belastung. Aber unabhängig von der Sperrung der flexiblen Mittel gibt es dieses Instrument der Mehrarbeit zur Vermeidung von Unterrichtsausfall, wenn kurzfristig der Bedarf der Vertretung einsetzt. Das können Sie nicht immer durch Besetzung von Stellen und auch nicht immer durch die Nutzung von flexiblen Mitteln regeln. Darum gibt es ja mehrere Instrumentarien, um Unterrichtsausfall zu vermeiden. Das steht natürlich an erster Stelle.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Wedel gemeldet.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Ministerin, warum wird die Verweigerung von flexiblen Mitteln für den Vertretungsunterricht an Gymnasien in dem Erlass erwähnt, in dem Bericht an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung aber nicht?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Das hat keinen besonderen Hintergrund. Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, dass es natürlich ein Unterschied ist, ob wir zusätzliche Stellen im System haben oder nicht. Und es ist nun einmal so, dass wir im Schuljahr 2013/14, um zu verhindern, dass den Gymnasien kurzfristig Stellen abgezogen werden, 1.000 Stellen über Bedarf an den Gymnasien belassen haben. Diese Überhangstellen entsprechen einem Finanzvolumen von jährlich 50 Millionen €.
Dann ist es natürlich auch angemessen, ehe weitere Mittel angefordert werden, die andere Schulformen brauchen, diese zusätzlichen Stellen auch zur Vermeidung von Unterrichtsausfall zu nutzen, wenn es erforderlich ist. Das heißt: Wir haben die Gymnasien hier begünstigt. Deswegen ist es auch legitim und gerecht, dann einen gewissen Ausgleich vorzunehmen, wenn er sich herstellen lässt, und zur Abmilderung von Vertretungsnotwendigkeiten anderer Schulformen diese Stellen auch zu nutzen und darauf hinzuweisen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zu einer zweiten Frage hat sich Herr Dr. Stamp gemeldet.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, in dem Bericht wird ausgeführt, dass zur Abfederung schulformübergreifend Stellenüberhänge genutzt werden sollen. Die Gymnasien sind von den verbleibenden Vertretungsmitteln ausgeschlossen. Bedeutet dies, dass die Schulverwaltung darüber hinaus auch Stellen für Vertretungsunterricht an andere Schulformen bzw. Schulen abzieht?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Die Stellen werden bedarfsbezogen zugewiesen. Ich habe gerade ausgeführt, dass den Gymnasien 1.000 Stellen über Bedarf zusätzlich zur Verfügung stehen. Gleichwohl haben alle Schulformen auch auf flexible Mittel zur Vermeidung von Unterrichtsausfall zurückgegriffen. Ich habe eben die Gesamtzahl genannt, die schon verbraucht ist. Ich kann Ihnen gerne mit Stand 5. Juli 2013 den aktuellen Verbrauch prozentual über die verschiedenen Schulformen hinweg nennen, damit Sie erkennen, dass das Gymnasium hier durchaus nach wie vor beteiligt ist.
Die Grundschulen haben zu 27,02 % davon Gebrauch gemacht, die Hauptschulen zu 9,63 %, die Realschulen zu 12,61 %, die Gymnasien zu 18,79 %, die Sekundarschulen zu 0,19 %, die Weiterbildungskollegs zu 0,71 %, die Gesamtschulen zu 10,02 %, die Förderschulen zu 11,42 % und die Berufskollegs zu 9,61 %.
Diese Mittel verteilen sich je nach Bedarf, weil die Nutzung von flexiblen Mitteln auch immer davon abhängt, ob eine längerfristige Erkrankung, die man ja nicht absehen kann, berücksichtigt werden muss. Wir gehen hier sachbezogen vor. Die Bezirksregierungen haben unabhängig von der Kürzung immer die Möglichkeit, mit den Stellen und Mitteln, die ihnen zugewiesen worden sind, auch flexibel umzugehen. Weil sie Kenntnis von der Situation der einzelnen Schulen haben, können sie die Nöte und Härten der Schulen beurteilen und dann entsprechend handeln.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer zweiten Frage hat sich Herr Kollege Witzel gemeldet.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Mich interessiert der Aspekt der Teilabordnungen. Deshalb möchte ich Sie fragen, Frau Ministerin Löhrmann: In Ihrem Erlass wird ausgeführt, dass zur Erteilung des Vertretungsunterrichts auch die Möglichkeit der Teilabordnung genutzt werden soll. Weil mir dazu die Modalitäten nicht ganz klar sind, meine Frage an Sie: Können Sie bitte dem Parlament erläutern, nach welchen Kriterien für die betroffenen Schulen solche Teilabordnungen beschlossen werden?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Abgeordneter Witzel, das ist eine sehr sinnvolle Frage, weil es ja so ist, dass wir zum Teil an Schulen auch Stellenüberhänge haben. Manchmal haben Schulen mehr, aus welchen Gründen auch immer. Das sagt aber noch nicht einmal zwingend aus, dass an dieser Schule alles in Ordnung ist, wie wir eben an dem bedauerlichen Beispiel schon gehört haben, weil ja bei einer Überzahl an Stellen auch Personen überverhältnismäßig erkranken können.
Wenn es aber so ist, dass eine Schule eine gute Besetzung hat und mehr Stellen aufweist, als eigentlich erforderlich sind, und möglicherweise sonstige Zusatzangebote macht, aber eine andere Schule in der Nähe Vertretungsbedarf hat, weil eine Person längerfristig erkrankt ist, dann kann die Schulaufsicht entscheiden, ob eine Teilabordnung vorgenommen wird, damit die Schule, die mehr Lehrer hat, der Schule aushelfen kann, die zu wenig Lehrer hat, um das oberste Ziel, nämlich möglichst Unterrichtsausfall zu vermeiden, erreichen zu können.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer zweiten Zusatzfrage hat der Kollege Bombis das Wort.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für die Beantwortung meiner ersten Frage. Ich habe mich offenbar in der Fragestellung nicht ganz klar ausgedrückt. Deswegen möchte ich gern noch einmal nachfragen.
Bezüglich der Mehrarbeit, die Sie vorrangig angeordnet haben oder die vorrangig genutzt werden soll, um die fehlenden Mittel zu kompensieren, stellt sich für mich eine Frage, weil die mehr entstehende Arbeit ja potenziell Folgekosten für das Land auslösen wird. Haben Sie zu diesen Folgekosten genauere Angaben? Können Sie darüber hinaus eventuell sagen, welche sonstigen organisatorischen Folgen daraus für die Schulen erwachsen? Es ist mir vollkommen klar, dass Mehrarbeit als solche herangezogen werden muss, um auch andere Situationen abzudecken. – Vielen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben keine genauen Erkenntnisse dazu. Ich bin Ihnen aber dankbar, dass Sie noch einmal danach fragen. Aber nicht ich habe Mehrarbeit angeordnet, sondern wir haben in dem Erlass die verschiedenen Möglichkeiten zur Vermeidung von Unterrichtsausfall aufgeführt und angeführt. Ich sage die Zahlen noch einmal: 4.000 Stellen stehen allen Schulformen zur Verfügung, 900 Stellen stehen zusätzlich für die Grundschulen bereit, und es gibt die verbleibenden 25 Millionen € an flexiblen Mitteln, die wir möglicherweise noch einmal aufstocken können, wenn sich dafür Spielräume ergeben. Dann kommt als weiteres Mittel die konkret in der Schule angeordnete Mehrarbeit infrage, die ich nicht ausgeschlossen habe. Das ist etwas anderes, als wenn ich munter von oben Mehrarbeit anordnen würde.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Es gibt eine Frage des Kollegen Jung von der CDU-Fraktion.
Volker Jung (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Ministerin, bei mir im Wahlkreis habe ich von zwei auslaufenden Schulen die Aussage bekommen – das sind die Realschulen in Bad Lippspringe und in Salzkotten –, sie hätten den Eindruck, dass sie als auslaufende Schulen besonders betroffen wären von dem Wegfall der Vertretungslehrer. Ist Ihnen das bekannt? Haben Sie auch davon gehört?
Zweite Frage: Ist Ihnen bekannt, ob es möglicherweise weitere auslaufende Schulen gibt, die Ähnliches berichten?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich habe von den konkreten Beispielen keine Kenntnis. Sie können mir das gerne zukommen lassen. Wir gehen dem dann nach.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Ich will noch einmal bekräftigen: Es gibt von meiner Seite keine wie auch immer geartete Anordnung, nach der auslaufende Schulen anders zu behandeln wären als aufwachsende Schulen. Das entspricht nicht meinem Selbstverständnis, dass wir mit den Schulen gleichgeordnet vorgehen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Es gibt keine weiteren Fragen mehr. Damit sind wir am Ende der Beantwortung der Mündlichen Anfrage 23.
Ich rufe auf die
des Herrn Abgeordneten Dietmar Schulz von der Fraktion der Piraten:
In der letzten Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 13.06.2013 hat sich das Finanzministerium zu den Fragen der Piraten geäußert. Dabei sind bereits im Vorfeld durch die laufende Presseberichterstattung mehrere fragwürdige Aussagen der Landesregierung aufgefallen. Es war zu bemerken, mit welcher Salamitaktik das Landesamt für Besoldung und Versorgung als auch die Landesregierung gearbeitet haben. Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang mit dem Abrechnungsverfahren am LBV blieb dabei unbeantwortet. Die Unstimmigkeiten in Bezug auf die Planbarkeit und den Umgang mit der aktuellen Problematik konnten nicht geklärt werden. Wir Piraten fordern eine Überweisung aller Gehälter oder zumindest Abschläge in der Höhe des eigentlichen Gehalts bis zum Ende der Plenartage und damit verbunden direkt auch die Überweisung der Verzugszinsen auf die ausstehenden Gehälter.
Darüber hinaus wurde bisher zu keinem Zeitpunkt die Frage beantwortet, inwiefern diese unhaltbaren Zustände hätten vermieden werden können. Auf der Website des LBV sind mittlerweile sogenannte Frequently Asked Questions (FAQ) veröffentlicht. Darin wird beschrieben, dass man aus Kostengründen sich dazu veranlasst gesehen hat, den Umstellungsprozess in die heiße Phase des LBVs zu legen. Die Piraten fordern daher eine lückenlose Aufarbeitung, da der Verdacht im Raum steht, dass man bewusst in Kauf genommen hat, dass studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte nicht fristgerecht ihre Gehälter erhalten werden.
Wie beabsichtigt das Finanzministerium seiner aufsichtsrechtlichen und gegebenenfalls dienstrechtlichen Verantwortung in Bezug auf das Landesamt für Besoldung und Versorgung und konkret in Zusammenhang mit den bisher nicht korrekten und nicht fristgerechten Zahlungen eines Großteils der Gehälter der studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte nachzukommen?
Ich bitte den für Finanzen zuständigen Minister Dr. Walter-Borjans um Beantwortung. – Bitte schön, Herr Minister. Sie haben das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schulz, wir haben darüber verschiedentlich auch im Haushalts- und Finanzausschuss gesprochen. Es ist in diesem Jahr bedauerlicherweise zu Verzögerungen bei der Aufnahme der Zahlung der neu und wieder eingestellten studentischen wissenschaftlichen Hilfskräfte und der Lehrbeauftragten im Hochschulbereich gekommen. Die festangestellten Beschäftigten sind nicht betroffen.
Inzwischen konnten aber die entstandenen Rückstände bis auf Einzelfälle für die Monate April und Mai und noch einmal rund 100 Fälle für den Monat Juni abgearbeitet werden. Wir haben also seit dem letzten Mal, als wir über dieses Thema gesprochen haben, mit Hochdruck viele der Fälle bearbeiten können. An der Erledigung der verbleibenden Fälle wird weiterhin gearbeitet. Abschläge werden unaufgefordert gezahlt.
Mir liegt dazu auch eine Statistik vor, die zeigt, dass von den insgesamt 22.000 Fällen die Hälfte von vornherein keine Probleme hatte. Der andere Teil hat aber über Verzögerungen geklagt. Im April sind 2.988 Neueinstellungen vorgenommen worden. Davon ist kein Fall mehr offen. Im April gab es 13.011 Wiedereinstellungen. Davon sind zwei noch unerledigt. Im Mai waren es 1.352 Neueinstellungen. Davon sind alle erledigt. Es gab 2.559 Wiedereinstellungen. Hier sind noch neun Fälle zu bearbeiten. Im Juni gab es 763 Neueinstellungen. Das sind die, von denen ich eben gesprochen habe. Davon sind noch rund 100 Fälle in der Bearbeitung; sie bekommen unaufgefordert Abschläge. Es gab 1.650 Wiedereinstellungen. Davon sind bisher sieben unbearbeitet.
Somit haben wir jetzt 5.103 Neueinstellungen mit 100 noch offenen Fällen und 17.220 Wiedereinstellungen mit 18 Betroffenen, deren Fälle noch nicht endgültig abgearbeitet, aber durch Abschläge zumindest gemildert worden sind.
Das Landesamt für Besoldung und Versorgung hat im Rahmen der mehrjährigen Einführung eines neuen Bezügesystems zum Abrechnungsmonat April 2013 mit 85.000 Gehaltsempfängern der Hochschulen und der Universitäten den letzten Teil der Daten in das neue System migriert. Dabei kam es zu mehrtägigen Unterbrechungen. Das Landesamt hat die Hochschulen frühzeitig, im Juli 2012 und weiterhin im Februar 2013, über diesen Schritt und mit einem weiteren Schreiben Anfang Mai und Juni 2013 über die durch die Gesamtsituation inzwischen besonders enge Arbeitssituation informiert.
Erschwerend kam hinzu, dass in diesem Jahr im Hochschulbereich erheblich mehr Einstellungszahlen zu bewältigen waren. Normalerweise werden zum Semesterbeginn 12.000 bis 13.000 studentische oder wissenschaftliche Hilfskräfte eingestellt oder wiederbeschäftigt. In diesem Jahr sind zum Einstellungstermin April bereits 19.000 und zum Monat Mai noch einmal 4.000 wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt worden. Durch eine projektbedingte Verzögerung fiel die zu einem früheren Zeitpunkt geplante Verfahrensumstellung mit dem sprunghaften Anstieg der Fallzahl um annähernd 100 % zusammen. Bei durchschnittlichen Wieder? und Neueinstellungszahlen wäre ein nahezu reibungsloser Ablauf gewährleistet gewesen.
Es war natürlich geplant, dass die Umstellung auf SAP abgeschlossen ist, bevor es zu der Welle kommt. Hier war allerdings die technische Verzögerung ausschlaggebend dafür, dass die geplante Umstellung und die Welle der Neueinstellungen oder Wiedereinstellungen zusammengetroffen sind.
Für die Hochschulen und das Landesamt ist das saisonale Massengeschäft zum Semesterbeginn immer eine große Herausforderung, also auch dann, wenn die Zahlen nicht so hoch sind wie in diesem Jahr. Die zusätzlich ungünstige Konstellation durch die Umstellung auf das neue Bezügeverfahren und die erhöhten Einstellungszahlen haben in der ersten Jahreshälfte zu den beklagten Rückständen bei der Zahlungsaufnahme geführt. Diese Aufgaben hätten wegen der Komplexität der Materie auch nicht in ausreichendem Umfang durch vorübergehende personelle Umschichtungen ausgeglichen werden können, weil man dafür vertiefte Systemkenntnisse und eine umfassendere Schulung benötigt. Überdies hätte eine Umschichtung in größerem Umfang dann Engpässe in anderen Bereichen zur Folge gehabt.
Die ungünstige Konstellation des Zusammentreffens von Verfahrensumstellung und gleichzeitigem Semesterwechsel kann sich so nicht wiederholen. Die Umstellung auf das neue Bezügeverfahren ist mittlerweile abgeschlossen. Wir gehen davon aus, dass deshalb vergleichbare Situationen nicht mehr zu erwarten sind. Im Hochschulbereich ist allerdings auch zu Beginn der nächsten Semester mit hohen Einstellungszahlen zu rechnen. Alle Beteiligten werden alle Anstrengungen unternehmen, um künftig wieder möglichst zeitnah – auch im saisonalen Massengeschäft – Gehaltszahlungen für neu eingestellte Beschäftigte im Hochschulbereich zu gewährleisten.
Das Finanzministerium hat seine aufsichtsrechtliche Verantwortung wahrgenommen. Die eingetretene Sachlage war, wie ich es dargestellt habe, nicht absehbar. Das, was absehbar war, ist im Vorhinein kommuniziert worden.
Wir haben gegenüber dem Landesamt für Besoldung und Versorgung allerdings deutlich gemacht, dass die Hilfestellung bei der Beseitigung des Stellenengpasses durch Zurverfügungstellung neuer Stellen davon abhängig gemacht wird, dass dem Finanzministerium ein Optimierungskonzept vorgelegt wird. Wir wollen uns schon vergewissern, dass verschiedene kritische Anmerkungen und die dafür durchaus vorhandene Grundlage zum Anlass genommen werden, das Ganze wirklich anzugehen und nicht einfach nur etwas draufzuschichten, um dadurch das Ergebnis zu verbessern. Es geht darum, das systematisch weiterzuverfolgen, was wir schon vor etwa zweieinhalb Jahren begonnen haben, nämlich strukturelle Verbesserungen im LBV hinzubekommen, die dann auch den Wechsel zu SAP zur Folge haben,.
Das ist das, was ich Ihnen im Augenblick sagen kann. Im Ergebnis sind die Fälle, die zu den Diskussionen der letzten Tage und Wochen geführt haben, weitestgehend abgearbeitet worden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Es gibt bisher drei Fragen. Die erste hat Kollege Stein von den Piraten. Bitte schön, Herr Stein.
Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich würde gerne von Ihnen hören, wie der ursprüngliche Zeitplan für den Umstellungsprozess auf SAP aussah, der jetzt nicht planungskonform eingehalten werden konnte. Können Sie den bitte einmal darstellen? – Danke sehr.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ursprünglich war geplant, schon in der Mitte des letzten Jahres zu Ergebnissen zu kommen. Es sind dann stufenweise Verzögerungen eingetreten. Das LBV ist auch in der Verzögerung immer noch davon ausgegangen, dass die Umstellung vor dem Frühjahr des Jahres 2013 abgeschlossen werden kann, was dann, wie wir alle bemerkt haben, so nicht realisiert worden ist.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Herr Kollege Schulz. Bitte schön, Herr Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Minister, für die Hilfskräfte. Es ist eine erfreuliche Mitteilung, dass der Bearbeitungsprozess so weit fortgeschritten ist. Wie Sie ausführen, ist seitens des LBV alles im Griff. Gleichwohl droht gemäß Ihrer aktuellen Vorlage für den HFA vom 8. Juli in Bezug auf die Dienstrechtsanpassungen bei den Professoren schon das nächste Ungemach. Erst waren es die studentischen Hilfskräfte, jetzt werden es die Professoren sein. Die warten auch auf das Geld. Es werden erste Maßnahmen in Aussicht gestellt, wie sie schon im Vorfeld beruhigt werden können. Von daher geht es einerseits um die Ursachenforschung, wie aber auch andererseits um die Verantwortlichkeiten beim LBV.
Bei der Vorbereitung der Frage war der auf der Website des Landesamtes für Besoldung und Versorgung dargestellte Sachverhalt bezüglich der Vorgänge bei der Umstellung dieser Software die Grundlage. Dieser Sachverhalt, an den sich meine Frage anschließt, stellt sich danach wie folgt dar:
„Das Projekt Einführung einer neuen Bezügesoftware im Landesamt für Besoldung und Versorgung wurde – nach mehrfachen Verzögerungen, daraus folgenden Projektumstellungen und zusätzlichen finanziellen Mitteln – offiziell am 31.12.2012 mit der Abnahme der letzten Funktionsblöcke beendet. Die zusätzlich vereinbarte Projektnachlaufzeit, innerhalb derer noch Leistungen von der Firma SAP erbracht werden mussten, endete am 31. März 2013. Die Einführung im Bereich der Beschäftigten an den Hochschulen zum 01.04.2013 stellte den letzten Einführungsschritt dar. Eine Verschiebung dieses Termins auf einen späteren Zeitpunkt hätte – nicht vorhandene – erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel erfordert. Ferner hätten die Beschäftigten des Landesamtes bei einer Terminverschiebung – z. B. auf den 1. Juni 2013 – nach der Migration Bezüge relevante Änderungen für den Zeitraum 1. April 2013 bis 31. Mai 2013 in jeweils 2 Systemen (Altverfahren und Neuverfahren) vornehmen müssen. Bei der nun erfolgten Umstellung zum 1. April 2013 (Beginn/Fortführung/Änderung vieler Arbeitsverhältnisse aus diesem Bereich) entfällt dieser Mehraufwand.“
Daraus abgeleitet, frage ich Sie, Herr Minister: Hat das LBV als von Ihnen beaufsichtigte Behörde wissentlich in Kauf genommen, dass studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte aufgrund interner Arbeitserleichterung – wie oben beschrieben – mehrere Monate kein Gehalt erhalten werden?
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich beginne mit Ihrer ersten Anmerkung zu den Professoren bzw. den Veränderungen in der Besoldung der Professoren. Da ist es, soweit mir bekannt ist, nicht zu einem technischen Ausfall gekommen, sondern es geht da schlicht und ergreifend um die Tatsache, dass zum einen die neuen Rechtsgrundlagen eingepflegt werden müssen. Zum anderen konnten die nicht mit einem Vorlauf eingepflegt werden, weil dazu in der Verabschiedung immer noch Änderungen vorgenommen worden sind. Das heißt, das LBV konnte sich nicht schon im Vorhinein darauf vorbereiten, sondern musste abwarten, wie die konkrete Regelung am Ende aussehen würde. Von daher war klar, dass das auch und gerade in diesen komplexen technischen Systemen nicht von einem Tag auf den anderen zu machen war.
Deswegen war es wichtig, dass das LBV den Betroffenen zumindest frühzeitig eine Mitteilung machte, dass auch hier sozusagen Abfederungsmöglichkeiten geboten werden. Hier muss man allerdings auch sehen, dass es sich um Empfänger von Bezügen handelt, bei denen lediglich der sich jetzt durch die neue gesetzliche Lage zusätzlich ergebende Anspruch möglicherweise verspätet realisiert bzw. nachgezahlt wird. Insofern ändert sich da zunächst einmal nichts gegenüber der bisherigen Situation. Dafür gibt es anschließend eine Art Nachschlag, wenn das nicht aufgrund besonderer Fälle schon im Vorhinein erfolgt ist.
Hierzu muss man ganz klar sagen: Das werden wir immer wieder haben. Wir können da weder mit mehr Personal noch mit anderen Techniken etwas machen. Wenn sich Rechtsgrundlagen verändern und diese Veränderungen, was ihr Ergebnis anbelangt, nicht konkret mit einem langen Vorlauf feststehen, sondern sehr kurzfristig erfolgen und dann anschließend sofort gelten, wird Umstellungszeit erforderlich. Dann werden sich solche Fälle ergeben. Man muss dann allerdings – das ist mein Anspruch – die Betroffenen auch informieren. Das muss schon allein aus ökonomischen Überlegungen heraus erfolgen, weil natürlich sofort danach auch Nachfragen kommen, die man dann wiederum nur mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand bewältigen kann.
Ich komme noch einmal rückblickend auf die Angelegenheit der Umstellung des Bezügeverfahrens für die wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Hilfskräfte zu sprechen. Dazu habe ich eben schon gesagt: Unter normalen Umständen – wenn es also nicht in einem derartigen Ausmaß zu einer Explosion der Zahl gekommen wäre – wäre selbst dieses Zusammentreffen der Migration mit einem anderen System mit der leicht erhöhten Zahl zu bewältigen gewesen. Hier sind wirklich zwei Dinge zusammengekommen, die in dieser Weise so nicht absehbar waren.
Niemand hat die Auffassung vertreten: Wir nehmen in Kauf, dass die Bezüge nicht bezahlt werden. Vielmehr hat man gesagt: Es wird mehr Fälle geben; die sind aber auch zu bewältigen. Wenn wir sie aber nicht gleichzeitig bewältigen und die Einführung verschieben wollten, hätte das allerdings hinterher auch schwer vertretbare Folgen, dass man nämlich über eine viel längere bzw. lange Zeit zwei Verfahren pflegen muss.
Durch die Verzögerungen hätte man dann auch hohe Zusatzkosten in Kauf nehmen müssen. Ich glaube, wenn man das gemacht hätte und die Zahl wäre dann nicht in dem Maße gewachsen, hätte man sich wiederum genau der Kritik ausgesetzt gesehen, dass hier Steuermittel zur dreifachen Absicherung eingesetzt worden seien, die nicht nötig gewesen wären.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Die nächste Frage hat Herr Kollege Witzel. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer Nachfrage geben. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, ich hatte zu einem früheren Termin bei einer Erörterung im Personalausschuss des Landtags eine Frage gestellt, die seinerzeit nach Datenlage noch nicht zu beantworten war. In Bezug auf die Struktur der Betroffenen interessiert mich, ob Sie dazu mittlerweile Näheres ausführen können. Mich interessierte die Antwort auf die Frage der Schwerpunkte der Betroffenheit: Gibt es bestimmte Gruppen von Fallzahlen, die in besonderer Weise Leidtragende dieser Entwicklung waren? Das soll heißen: Ist das ein Phänomen gewesen, das bei Universitäten stärker als bei Fachhochschulen vorlag? Gab es in Bezug auf Beschäftigtengruppen wie auch auf regionale Schwerpunkte besondere Häufungen, die von den EDV-Problemen ausdrücklich negativ tangiert waren?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die Frage kann ich Ihnen auch heute noch nicht beantworten, weil wir Wert darauf gelegt haben, dass sich jedwede Kraft, die vor Ort vorhanden war, dafür einsetzt, dass wir diese Fälle abarbeiten und nicht gleichzeitig Statistiken auswertet, an welcher Stelle das der Fall war. Ich kann nur sagen: Im Nachhinein können wir noch einmal nachsehen, ob vielleicht darzustellen ist, wo sich das konzentriert hat. Im Augenblick kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Fricke von der Piratenfraktion hat eine Frage. Bitte schön.
Stefan Fricke (PIRATEN): Staatssekretär Dr. Messal hat in einer der letzten Sitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses ausgeführt, dass die Umstellung auf SAP on-the-fly erfolgt sei, also ohne größeren Schulungs- und Testzeitraum vor der Einführung. War diese Variante die von den SAP-Beratern vorgeschlagene Variante, die im LBV tätig gewesen sind?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir mit dem seit ungefähr zwei Jahren im Amt befindlichen Leiter des Landesamtes für Besoldung und Versorgung dieses Thema der Umstellung auf SAP für NRW insgesamt und auf andere Verfahren sehr frühzeitig besprochen haben. Mir ist immer wieder berichtet worden, dass das auch wiederum ein Grund dafür ist, warum es schon über eine ganze Zeit hinweg während der letzten beiden Jahre immer wieder an verschiedenen Stellen entweder zu Kommunikationsschwierigkeiten oder zu Verzögerungen gekommen ist. Der Grund dafür ist, dass ein erheblicher Teil der Beschäftigten für die Umstellung auf SAP zunächst einmal geschult und anschließend eingesetzt worden ist.
Insofern hat es immer eine sehr enge Begleitung durch SAP selbst, aber auch in Kombination mit Kräften aus dem LBV gegeben, die aber nicht sozusagen spontan hinzugezogen worden sind, sondern die das gesamte Verfahren im Prozess verändern mussten.
Ich habe es bereits im Haushalts- und Finanzausschuss dargestellt. Das Problem, das wir jetzt zum Teil zu bewältigen haben, ist ein Stück weit der Fluch des frühen Fortschritts. Das haben wir an mehreren Stellen gehabt, beispielsweise beim heutigen IT.NRW, dem früheren Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, und beim LBV. Nordrhein-Westfalen hatte schon sehr früh rechnergestützte Programme, und zwar bereits zu Zeiten, als anderswo noch mit Papier gearbeitet wurde.
Das hat dazu geführt, dass, als Firmen wie SAP auf den Plan traten und Standardisierung angesagt war, Nordrhein-Westfalen seine eigenen Modelle und Software hatte, die weiterentwickelt worden sind. Zunächst bestand auch kein Bedarf, alles aufzugeben und zu einem anderen System zu wechseln mit allen Gefahren für Friktionen, die es gegeben hätte.
Man kann sich vorstellen, dass die Entwicklung immer weiter auseinandergeht. Sie haben einerseits die Weiterentwicklung von SAP und andererseits die Weiterentwicklung des eigenen Modells. Irgendwann wird nicht nur der Spagat zwischen dem einen und dem anderen immer breiter, wenn man wechseln will, sondern Sie haben auch Probleme damit, noch ausreichend qualifizierte und qualifikationsmotivierte Menschen zu finden, die ein altes, auslaufendes System lernen und weiterentwickeln wollen. Das war ein Problem, das lange Zeit aufgeschoben worden ist. Wir haben es angepackt, und zwar – das muss man sagen – schon zu einem Zeitpunkt, als der Sprung von dem irgendwann auch nicht mehr sehr viel weiterentwicklungsfähigen alten NRW-Modell zum SAP-Modell relativ groß war.
Das ist der Punkt, der schon im Verfahren erfolgt ist, aber natürlich mit den Problemen, die allerdings noch größer geworden wären, wenn man es jetzt nicht angepackt hätte.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Stein hat eine zweite und für diese Fragestunde letzte Frage zu diesem Punkt. – Bitte schön, Herr Stein.
Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ein Student hat am 12. Juni 2013 im „Kölner Stadtanzeiger“ berichtet, dass es bereits im Februar Probleme bei der Gehaltsabrechnung gegeben hat. Ich stelle mir deshalb die, wie ich finde, berechtigte Frage: Wusste das LBV bereits zu diesem Zeitpunkt, dass es ein erhebliches und weitreichenderes Problem gab?
Noch einmal zur Klarstellung: Wann ist es überhaupt erstmals zu diesen erkennbaren Verzögerungen seitens des LBV gekommen? Wann wurden Sie bzw. das Finanzministerium darüber informiert?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die Hochschulen sind nach meinen Unterlagen erstmalig mit Informationsschreiben im Juli 2012 und dann noch einmal im Februar 2013 auf die bevorstehende Einführung im Bereich Entgelte aufmerksam gemacht worden. Das heißt: Dass diese Umstellung kommt, war natürlich bekannt. Dass diese Umstellung für die Hochschulen eine wichtige Information ist, war auch bekannt, und zwar deshalb, weil man weiß, dass es sich – ich hatte es eben beschrieben – bei der Größe dieses Wechsels, der mittlerweile erforderlich war, um eine erhebliche Umstellung handelt.
Dass man besondere Probleme in der Arbeitssituation und der zu bewältigenden Menge sah, ist nach den Unterlagen, die ich habe, erst im Frühjahr dieses Jahres so deutlich geworden, sodass es Anfang Mai und Anfang Juni zu Informationsschreiben zur Zahlungsaufnahme von Gehältern im Hochschulbereich gekommen ist.
Die Beteiligten waren und sind in Kontakt. An der Stelle fängt das an, was man – das ist überhaupt keine Frage – verhindern muss. Aber wenn Sie in eine Situation kommen, die Sie vorher nicht erwartet haben, dann ist möglicherweise eine Ursache dafür, dass bestimmte Abstimmungen nicht so funktionieren, wie man sie sich vorstellt. Ich habe im Ausschuss bereits gesagt: Die studentischen, wissenschaftlichen, nichtwissenschaftlichen Hilfskräfte wenden sich dann normalerweise an ihre Universitäten. Dann gab es aber auch bei den Universitäten die eine oder andere Ursache. Bei der einen ist es einfacher gehandhabt worden; sie hat sofort eine Übergangszahlung veranlasst. Bei der anderen war es schwieriger.
Dadurch kam es zu den Erfahrungen, die die Betroffenen auf sehr unterschiedliche Weise gemacht haben. Die einen haben ihr Geld schnell bekommen, die anderen nicht.
Es gab allerdings auch viele, die sich gar nicht gemeldet, sondern gesagt haben: Irgendwann wird das schon kommen. – Die sind also nicht sofort auf den Plan getreten. Und da hatten wir ein Problem. Denn diejenigen, die nicht auf ihre Situation aufmerksam gemacht haben – ich will nicht sagen, dass dies automatisch Menschen waren, die dieses Geld gar nicht nötig haben; es mag auch diejenigen geben, die sich erst einmal zurückhalten –, sind in den normalen Abarbeitungsverkehr gekommen. Das ist immer ein Problem. Dagegen haben diejenigen, die sich entweder bei der Uni oder beim LBV gemeldet haben, die Möglichkeit bekommen, dass ihr Fall bevorzugt bearbeitet wird. Das alles hat zu sehr unterschiedlichen Reaktionen auf der Seite der Betroffenen geführt.
Es ist überhaupt keine Frage, dass das, was hier zusammengekommen ist, niemand haben möchte: weder die Betroffenen noch das LBV, noch das zuständige Ministerium. Es geht einfach darum, dass man dann, wenn ein solcher Fall eintritt, alles dafür tut, dass er schnell abgearbeitet wird. Ich glaube, das haben wir getan.
Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund gucken wir uns jetzt an, wie wir weiter verfahren, zum Beispiel bei den W2-, W3-Professuren, aber auch bei anderen Umstellungsfragen. Wir wollen also mit diesen Erfahrungen neue Formen der Abarbeitung finden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt noch genau 51 Sekunden. Die verquatsche ich jetzt, indem ich frage, ob wir die weiteren sechs Fragen auch noch so konstant beantworten wollen. Hintergrund ist, dass die Zeit der Fragestunde im Prinzip abgelaufen ist und wir insgesamt schon Eineinviertelstunde im Verzug sind. Wenn ich das richtig überschlage und die Antworten von Herrn Minister richtig einschätze, wären wir wohl noch eine gute halbe Stunde zugange. Wenn Wert darauf gelegt wird, führen wir die Fragestunde fort. Ich möchte dann aber darum bitten, dass wir keine weiteren Fragen mehr aufrufen, und nur noch die sechs, die eingedrückt sind, bearbeiten. Vielleicht fassen sich alle auch ein bisschen kürzer. Das wäre auch noch ein Appell. Ich könnte nach der Geschäftsordnung jetzt auch einfach den Gong schlagen – das tue ich aber ungern.
Deswegen mein Appell: Kurz und knackig gefragt, noch kürzer und knackiger geantwortet! Dann haben wir den Fluch der späten Stunde möglicherweise nicht vollends zu ertragen. Um 21:47 Uhr geht in Düsseldorf die Sonne unter. Deshalb gibt es hier heute Abend ein Fastenbrechen. Auch das soll bedacht sein.
Ich rufe die nächste Frage auf. Herr Wegner von den Piraten hat sich gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Wegner.
Olaf Wegner (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich habe eine ganz kurze Frage. Welche Probleme ergaben sich während der bzw. durch die Umstellung auf SAP genau? Ich meine nicht die Auswirkungen, sondern die ursächlichen Probleme. Welche hat es da gegeben? Könnten Sie die aufzählen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das kann ich ganz kurz beantworten, denn das kann ich Ihnen jetzt gar nicht sagen. Wir müssten Ihnen das nachliefern, da ich nicht Fachmann genug bin, um Ihnen zu sagen, was genau passiert ist.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Marsching hat eine Frage. Bitte schön, Herr Marsching.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass sich die Menschen melden mussten, dass sich manche nicht gemeldet haben, dass es auch Verzögerungen gab, die durch diejenigen „verschuldet“ waren, die sich nicht gemeldet haben, die nicht unbedingt darauf angewiesen waren.
In den bisherigen Ausschusssitzungen gab es keine Auskunft von ministerialer Seite zu klaren Zahlen oder Vorgängen. Sie haben auch gerade ausgeführt, Genaues könnten Sie nicht sagen.
Vonseiten des LBV wurde gesagt: Es gab 5.500 Fälle im April und 4.000 Fälle im Mai.
Meine Frage wäre: Warum konnte das LBV nicht einfach automatisch Abschläge zahlen, wenn es doch die Zahl der betroffenen Studierenden kennt und demnach auch einzelne Fälle?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Auch das kann ich nicht mit hinreichender Detailkenntnis beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass mir berichtet worden ist, dass wir insgesamt 85.000 Fälle bei den Hochschulen des Landes haben und dass diese Fälle praktisch erst mit dem Routineabwicklungsverkehr nach und nach aufgetreten wären. Man war also darauf angewiesen, Hinweise zu bekommen, weil es ganz offenbar entweder nicht erkannt worden ist oder nicht erkannt werden konnte. Dem werden wir nachgehen.
Jedenfalls ist nicht von vornherein klar gewesen, dass man aufgrund der ersten Fälle nach einer bestimmten Selektionsweise hätte herausfinden können, ob es noch andere Fälle gibt oder nicht. Allerdings ist das ja sehr bald durch die ersten Fälle bekannt geworden, und die hat man mit mehr Personal und konzentrierterem Zugriff sehr schnell abgearbeitet.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Schulz hat eine zweite Frage.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben vorhin bei der Einleitung der Antwort auf die von mir gestellte Frage, bei der ich auf die W2- und die W3-Be-soldungsproblematik hinwies, gesagt, das sei eine Frage der technischen Umsetzung des Gesetzes gewesen, weil es da noch Änderungen in Berechnungen bzw. Nachträge in Verordnungen gegeben habe.
Fakt ist aber, dass nicht der Gesetzgeber die Problematik der technischen Umsetzung des Dienstrechtsanpassungsgesetzes beim LBV aufgeworfen hat. In Ihrer eigenen Vorlage ist vielmehr von umfangreichen Programmänderungen im Bezügeverfahren des Landesamts für Besoldung und Versorgung die Rede, die im Laufe des parlamentarischen Beratungsverfahrens Änderungen am Dienstrechtsanpassungsgesetz notwendig gemacht hätten.
Fakt ist auch, dass das Dienstrechtsanpassungsgesetz am 16. Mai dieses Jahres verabschiedet wurde. Im Beratungsverfahren – das hieße, schon während die Problematiken im Zusammenhang mit der Vergütung der Studentischen Hilfskräfte auftauchten – müssen also Programmänderungen im Rahmen der Migration wie auch im Vorgriff auf das anstehende Dienstrechtsänderungsgesetz insgesamt von der Anwendungsseite und von der Bezügesoftwareseite geplant und in Angriff genommen worden sein.
Deshalb meine Frage: Ist aufseiten des LBV überhaupt etwas mit der Zielsetzung geplant worden, zu bestimmten Stichtagen, beispielsweise zu Beginn eines Semesters oder bei der Verabschiedung eines Gesetzes, in der Lage zu sein, Bezügeverfahren so durchzuführen, dass diejenigen, denen das Geld zusteht, es auch tatsächlich pünktlich bekommen? Ich möchte noch eine weitere Frage anfügen: Wann werden denn dann die Professoren mit der Bezahlung rechnen können?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe es vorhin bereits gesagt: Wenn zwischen einer Entscheidung und der entsprechenden Umsetzung ausreichend Zeit besteht, eine Programmierung vorzunehmen, dann läuft das Ganze reibungslos.
In dem konkreten Fall – ich erinnere mich sehr gut daran – war es so, dass es noch bis zum Schluss sehr intensive Diskussionen auch mit dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung darüber gab, wie denn das Grundgehalt und die Zulagen be- und verrechnet werden sollten. Das war der Grund, dass es zu Programmierungsfriktionen gekommen ist. Was das LBV da beschrieben hat, hing damit zusammen, dass es noch Änderungen in der Regel gab, wie dem gerichtlichen Auftrag entsprochen werden muss.
Wenn ich mich an die Unterlagen, die ich dazu gelesen habe, richtig erinnere, sollen die Zahlungen – hierzu muss ich eine kurze Nachfrage stellen –
(Der Minister bespricht sich mit einem Mitarbeiter.)
im September oder Oktober erfolgen. Bis dahin soll alles abgewickelt sein.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine zweite und letzte Frage.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, ich habe eine Reihe von Betroffenen erlebt, die sich in den letzten Tagen und Wochen an unsere Landtagsfraktion gewandt haben. Dabei konnte ich feststellen, dass die Handhabung für unbürokratische Lösungen an den einzelnen Standorten unterschiedlich war.
Es gab Hochschulen, die sofort gehandelt haben und mit hochschuleigenen Mitteln in Form einer Zwischenfinanzierung für eine Überbrückung bei den jungen Menschen gesorgt haben. Andere Hochschulen haben für sich keine haushaltsrechtlichen oder – hinsichtlich der Liquidität – faktischen Möglichkeiten gesehen, eine solche Zwischenfinanzierung zu übernehmen; sie meinten, dies sei auch nicht ihre Aufgabe.
Deshalb meine Frage an Sie: Wie kann es sein, dass die unbürokratische Hilfe, die Sie als Finanzminister im Fachausschuss auch empfohlen haben – nämlich über die Hochschulen eine Zwischenfinanzierung hinzubekommen und die Detailabrechnung nachgelagert mit dem LBV vorzunehmen –, von Standort zu Standort, von Hochschule zu Hochschule derart unterschiedlich gehandhabt worden ist?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das kann ich nur mit der dezentralen Entscheidungshoheit erklären. Sie weisen zu Recht darauf hin: Das habe ich im Ausschuss so empfohlen. Ich habe die Hochschulen dazu aufgerufen, unkompliziert, unbürokratisch und schnell einzuspringen.
Es ging letztlich nicht um die Frage, ob jemand sein Geld bekommt oder nicht, sondern die Frage war, wie der Zeitraum bis zur Auszahlung überbrückt werden sollte. Das haben die Hochschulen offenbar völlig unterschiedlich gehandhabt.
Ich hatte jedoch keinen Zugriff, hier eine einheitliche Regelung für alle Hochschulen zu treffen. Vielmehr war das ein Appell. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass einige Hochschulen diesen Appell offenbar aufgegriffen und sehr schnell umgesetzt haben.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Schatz hat eine Frage. Bitte schön.
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe nur eine kurze Frage: Wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung für die Verspätungen im Umstellungsprozess?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es gibt, wie immer bei solchen Angelegenheiten, unterschiedliche Verantwortlichkeiten; das hatte ich vorhin schon gesagt. Man kann natürlich darüber nachdenken, warum die Einführung von SAP länger gedauert hat als gedacht: Lag das bei dem Dienstleistungsunternehmen? Lag das an der internen Umsetzung im LBV?
Die Einführung allein hätte ja noch nicht einmal zu einem Problem geführt. Hinzu kam eine Tatsache, die man nicht beeinflussen konnte, nämlich die hohe Zahl an Zugängen oder Wiedereinstellungen. Es gibt sicherlich eine Reihe von Fragen im Umfeld des LBV. Das LBV ist – ich habe es schon mehrfach gesagt – das größte Lohnbüro Deutschlands mit extrem vielen Fällen, die es sonst in dieser Größenordnung überhaupt nicht gibt. Hier muss vieles weiterentwickelt werden, das Ganze muss noch stringenter werden. Zu diesem Zweck werde ich mit dem Leiter des LBV auch selbst Gespräche führen und mir anhören, was als Nächstes geplant ist; denn wir wollen an dieser Stelle noch weiterkommen.
Wir werden die Situation beobachten und begleiten, mit der Möglichkeit einer personellen Verstärkung. Dafür muss es aber ein Konzept geben, das deutlich macht, dass eine solche personelle Verstärkung auch zu einer veränderten Qualität der Dienstleistung führt.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Fricke, zweite und letzte Frage.
Stefan Fricke (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe eine direkte Nachfrage zu meiner vorhin gestellten Frage: Warum hat die Leitung des LBV in Erwägung gezogen, von einer sicheren Einführung mit einem entsprechenden Schulungszeitraum und einer gesicherten Übertragungsphase Abstand zu nehmen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann jetzt nicht nachvollziehen, was genau Sie meinen. Vielleicht meinen Sie das, was vorhin schon mal angesprochen worden ist: Man hätte direkt auf den Juni gehen und das Ganze in einen Zeitraum verschieben können, der nach der Welle der Neueinstellungen liegt und daher sicherer hätte eingehalten werden können.
Das waren die Gründe, die ich vorhin genannt habe: Man hat geglaubt, auf der sicheren Seite zu sein, vor der Neueinstellungswelle mit der Umstellung fertig zu sein. Und man ging davon aus, dass man erhebliche Mehrkosten produziert hätte, wenn man zu diesem Zeitpunkt aus reinen Sicherheitserwägungen einen anderen Zeitraum gewählt hätte.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Wegner hat noch eine Frage. Bitte schön.
Olaf Wegner (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, was hat das Landesamt für Besoldung und Versorgung unternommen, um den auftretenden Problemen entgegenzuwirken? Sind finanzielle Mittel hierfür vom LBV beim Finanzministerium angefordert worden?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein, das sind sie nicht, weil an dieser Stelle ganz offenbar das Problem bei der Umstellung nicht finanzieller, sondern technischer Art war. Es bestand ein Vertrag mit SAP, die Einführung sicherzustellen. Dann ist wohl zwischen dem Finanzministerium und dem LBV überlegt worden, wie man am besten sicherstellt, dass jetzt, nachdem ein Problem eingetreten war, diese Fälle schnell abgearbeitet werden können. Das ist am Ende aber eine interne Organisationsfrage des LBV, weil dort am besten entschieden werden kann, auf welche Tätigkeiten man übergangsweise verzichten oder welche Tätigkeiten man verschieben kann, um den Berg an einer anderen Stelle schneller bewältigen zu können.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister.
Mir liegt noch die
vor. Herr Kollege Witzel, wenn Sie mir kurz ein Signal geben würden, wie wir damit verfahren sollen: schieben auf das nächste Plenum oder schriftliche Beantwortung?
(Ralf Witzel [FDP]: Nächstes Mal!)
– Nächstes Plenum, also mündliche Beantwortung. Gut. Dann werden wir das vorterminieren. Die Mündliche Anfrage 26 wird auf die nächste Plenarsitzung – nach der Sommerpause – verschoben.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Danke schön, Herr Minister, Kolleginnen und Kollegen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
9 Auszubildenden den Zugang zur Arbeitnehmerweiterbildung ermöglichen
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3431
Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Kollegin Stotz für die SPD-Fraktion das Wort.
Marlies Stotz (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider gibt es immer wieder Anlässe, Entwicklungen und Vorfälle, bei denen sicher nicht nur ich mit Sorge an unsere Demokratie denke: wenn wieder einmal die sinkende Wahlbeteiligung gemeldet wird, wenn wir von geringem Interesse an Politik und manchmal auch von geringem Wissen über Politik und Gesellschaft lesen und wir es ja auch oft genug selbst erfahren.
Wir haben schon oft fraktions- und parteiübergreifend darüber gesprochen, wie man denn das Interesse an politischen Prozessen wieder stärken und wie man Beteiligung und Engagement fördern könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Fragestellung befasst sich unser Antrag. Nicht zuletzt durch die Gewerkschaften und deren Jugendvertretungen sind wir auf ein Problem aufmerksam geworden, welches angesichts der gerade geschilderten Entwicklungen nach unserem Dafürhalten schnellstens abgestellt werden sollte.
Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz regelt gut und zuverlässig, wie ich finde, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der politischen Weiterbildung teilhaben können. Allerdings sind davon gerade diejenigen ausgenommen, für die diese politische Weiterbildung nach unserer Überzeugung besonders wichtig ist: die Auszubildenden im dualen System, also in aller Regel junge Erwachsene. Damit gehört Nordrhein-Westfalen mit einigen wenigen anderen Bundesländern zu denjenigen, in denen Auszubildende bislang keinen Anspruch auf Bildungsurlaub gemäß Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz haben.
Jugendliche, die an schulischem oder beruflichem Vollzeitunterricht teilnehmen, erhalten dort ein Angebot zur politischen Bildung. Ausgerechnet den Auszubildenden aber wird dieses Angebot vorenthalten, sofern sie nicht bereits als Jugend- oder Auszubildendenvertreter und ?vertreterinnen tätig sind.
Mit anderen Worten: Den bereits in festen Strukturen engagierten jungen Menschen werden weitere Möglichkeiten gegeben, denjenigen, die dazu noch motiviert werden müssten, fehlen diese Möglichkeiten.
Das ist ein in meinen Augen höchst unbefriedigender Zustand, den wir dringend ändern sollten. Folgerichtig haben wir in unserem Koalitionsvertrag formuliert – ich erlaube mir zu zitieren –:
„Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz wollen wir auch für die Bildung von jungen Menschen nutzen. Deshalb wollen wir die Auszubildenden als Anspruchsberechtigte in das Gesetz aufnehmen.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie muss immer wieder neu gelernt werden – gerade von jungen Menschen; da stimmen Sie mir sicher alle zu. „Politische Weiterbildung“ – so formulieren wir es denn auch in unserem Antrag – „als Identitätsfindungs- und -entwicklungsprozess von Werten ist gerade für junge Menschen sehr wichtig.“ Wir wollen, dass junge Menschen daran teilhaben können: durch politische Workshops, eine Fahrt nach Auschwitz, den Besuch eines Parlaments wie des Deutschen Bundetages. Viele andere Veranstaltungen sind denkbar.
Jungen Menschen dauerhaft die Chance auf Bildung und Informationsgewinnung für demokratische Prozesse zu ermöglichen bedeutet, so finde ich, einen Gewinn für unsere Demokratie, für unsere Gesellschaft und für unser gemeinsames Miteinander.
Erfreulicherweise ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz stets von Einvernehmlichkeit geprägt. Wir wollen aus diesem gemeinschaftlichen Prozess nicht aussteigen, sondern hoffen vielmehr, dass in einem gemeinsamen Diskurs eine Regelung gefunden werden kann, die auch in dieser Frage von allen Seiten getragen wird.
Wir bitten deshalb die Landesregierung, mit allen Beteiligten das Gespräch zu suchen und dann einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, um diese Lücke, die sich im Gesetz auftut, zu schließen.
Ich fände es ausgesprochen gut, wenn auch die Oppositionsfraktionen im Hause sich unserer Zielsetzung anschließen und uns unterstützen würden. Das wäre sicherlich ein gutes Signal. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Zentis.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Wir thematisieren in diversen Gremien und Foren den Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit und haben fast alle erkannt, dass lebenslanges Lernen erforderlich ist zur Sicherung des Lebensunterhaltes, zum Bestehen auf dem Arbeitsmarkt und damit für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und letztendlich für mehr Lebensqualität und Selbstverwirklichung.
Die Möglichkeit, zum Beispiel durch Weiterbildung demokratische Grundregeln zu vertiefen, sich politisch in jedweder Disziplin weiterzubilden, kommt letztendlich auch den Betrieben zugute. Längst wurde doch erkannt, dass umfassendes Wissen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dem Erfolg von Unternehmen nicht nur gut steht, sondern diesen auch sehr nützlich ist.
Aber was machen wir zurzeit? Wir qualifizieren unsere Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen und streben einen guten, gehobenen Bildungsabschluss für unsere Kinder an. Entsprechend ihren Befähigungen, Neigungen und auch Begabungen erwerben sie Abschlüsse und beginnen eine Ausbildung, um auf Dauer wirtschaftliche Selbständigkeit zu erreichen.
Ist die Ausbildung beendet und ist man im Berufsleben angekommen, so besteht für alle Beschäftigten ein Anspruch auf Bildungsurlaub. Der wird zwar, wie wir alle wissen, nicht so wahrgenommen und beansprucht, wie wir es gerne hätten, aber das ist kein Grund, Auszubildende davon auszuschließen. Denn gerade die Auszubildenden haben keinen Anspruch darauf, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen.
In unserem Antrag beschränken wir uns auf die politische Weiterbildung. Wie wir wissen, haben viele Auszubildende in anderen Bundesländern diesen Anspruch. Unsere Auszubildenden in NRW haben diesen Anspruch leider nicht. Die Chance, sich Wissen anzueignen, welches nicht zwingend mit dem Ausbildungsberuf zu tun hat, haben Auszubildende auf diesem Wege leider nicht.
Das finden wir nicht gerecht. Wir finden, das muss sich ändern. Deshalb fordern wir in unserem heutigen Antrag die Landesregierung auf, mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, die den vielfachen Wunsch nach einem gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung auch für Auszubildende geäußert haben – eindeutig hörbar war das auch in der Weiterbildungskonferenz –, und diesen Wunsch auch umzusetzen.
Ich sage heute aber ganz klar und deutlich: Dies kann nur einvernehmlich mit allen beteiligten Interessengruppen geschehen. Wir halten den bisher stets gefundenen Weg des Konsenses aller Weiterbildungspartner für wichtig und richtig.
Wir halten eine solche Regelung für unser Bundesland für wünschenswert und für eigentlich längst überfällig. Wir setzen auf die Weitsicht der Vertreter aus Industrie und Handwerk und auf das Geschick unserer Landesregierung, damit wir alsbald eine ähnliche gesetzliche Regelung haben wie Berlin, Hamburg oder Schleswig-Holstein – um nur einige zu nennen.
(Beifall von der SPD)
Wir setzen auf Ihre Zustimmung zu unseren Antrag, und wir erwarten einen Gesetzentwurf, der einvernehmlich von allen Beteiligten getragen wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Zentis. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Kollege Kerkhoff.
Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist so, dass in Anträgen vielfach Sätze stehen, die jeder unterschreiben kann, weil sie in ihrer bestechenden Wahrheit zum Grundkonsens dieses Landes gehören. Der Satz „Politische Weiterbildung ist sehr wichtig“ gehört ohne Zweifel dazu.
(Beifall von der CDU)
Uns eint, dass wir das Interesse von Jugendlichen an Politik und gesellschaftlichen Zusammenhängen fördern wollen. Wir wollen sie befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden und Dinge kritisch zu hinterfragen, statt Rattenfängern und Extremisten von Rechts und Links hinterherzulaufen.
Uns eint, dass wir es für wichtig halten, die deutsche Geschichte mit all ihren Licht- und Schattenseiten zu verstehen und auch zu begreifen, dass jede Demokratie Menschen braucht, die mutig für sie eintreten.
Uns alle, die wie hier im Parlament als frei gewählte Abgeordnete sitzen, eint auch, dass wir ein besonders hohes Interesse an Politik und gesellschaftlichen Zusammenhängen haben. Viele von uns sind sicherlich schon seit ihrer Jugend politisch interessiert und engagiert.
Aber, meine Damen und Herren – das unterscheidet uns dann schon –, wir brauchen, um Engagement und Interesse zu fördern, keine Gesetze und keine Regelungen, keine technokratische Herangehensweise und keine Formulare mit drei Durchschlägen, mit denen Bildungsurlaub nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz beantragt wird, sondern wir brauchen Vorbilder
(Beifall von der CDU)
im Betrieb, in der Schule und zu Hause, die den jungen Leuten klarmachen: Es ist eben nicht egal; die da oben tun eben nicht nur das, was sie wollen, sondern jeder kann und sollte sich in einer Demokratie engagieren.
In den Orts- und Stadtverbänden unserer Partei – bei den Piraten möglicherweise eher virtuell – sind Tausende ehrenamtlich unterwegs und opfern Freizeit und Wochenende, um sich politisch zu engagieren.
Deshalb ist die Aufnahme von Auszubildenden in das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz nicht überfällig, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, sondern überflüssig. Sie entfachen mit Normen und Gesetzen nämlich kein politisches Feuer.
(Beifall von der CDU)
Wer brennt und wer sich interessiert, der opfert auch Freizeit. Auf den, der sagt, er sei nur dann bereit, sich mit deutscher Geschichte zu befassen, wenn er dafür zusätzliche bezahlte freie Tage bekommt, können wir, glaube ich, ohnehin nicht zählen.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, Politik –, Sozialwissenschafts- und Geschichtsunterricht sind Teil des Lehrplans und finden in der Schule statt, auch in der Berufsschule. Auf die ganze Ausbildungszeit gesehen sind das ungefähr 120 Stunden. Deshalb ist Ihre Argumentation, dass Auszubildende gegenüber Vollzeitschülern benachteiligt seien, falsch und in der Sache nicht nachzuvollziehen. Das ist schlicht und einfach ein anderer Sachverhalt. Mit ähnlicher Logik könnte man übrigens auch eine Ausbildungsvergütung für Vollzeitschüler fordern.
Die duale Ausbildung sieht zwei Lernorte vor: die Schule und den Betrieb. An beiden Stellen sind die Auszubildenden mit komplexen Aufgaben konfrontiert. Gerade wenn Ausbildungsinhalte breit gefächert sind und die technische Entwicklung voranschreitet, braucht es Zeit im Betrieb und in der Schule, um sie zu erlernen. Zusätzliche Freistellungsansprüche führen daher im Ergebnis zum Verlust von Lern- und Praxiszeiten und damit von Qualität in der Ausbildung.
Meine Damen und Herren, jetzt leben wir zum Glück in einer Zeit, in der es wirtschaftlich gut läuft und die Betriebe viel ausbilden. Wir sollten diese große Ausbildungsbereitschaft, egal in welcher Branche, weiter fördern und alles unterlassen, was dazu beitragen könnte, sie zu dämpfen.
(Beifall von der CDU)
Es kommen möglicherweise auch wieder andere Zeiten. Auch Sie kennen sicherlich die Klagen kleiner und größerer Betriebe, die zum Beispiel lauten: Warum ist mein Auszubildender eigentlich so selten in der Firma? Immer wenn hier viel zu tun ist, ist Berufsschule. – Ich will das jetzt nicht inhaltlich beurteilen, aber ich sage Ihnen: Weiter draufzusatteln und noch einen Anspruch für dieses und jenes einzuführen, halten wir für falsch. Es fällt hinterher genau denen auf die Füße, die auf eine gute betriebliche Ausbildung angewiesen sind.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, wir sind gut beraten, es nicht zu übertreiben und keine Hürden – egal, wie hoch sie auch sein mögen – aufzubauen.
Auch mit Blick auf das europäische Ausland – wir diskutieren in dieser Plenarwoche noch die Situation in den Krisenländern – muss uns doch klar werden, dass wir hier eine Diskussion führen, die niemand braucht. Während dort die Jugend händeringend nach Chancen, Ausbildung und Arbeit sucht,
(Beifall von Walter Kern [CDU])
gönnen wir uns den Luxus, uns zu überlegen, wie wir junge Menschen, die in Ausbildung sind, von dieser Ausbildung freistellen, um sich weiterbilden zu lassen. Ich sage Ihnen: Die Probleme, die wir diskutieren, hätten andere gern.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab – auch, weil wir wissen, dass nach Abschluss der Ausbildung für die meisten mehr als 40 Jahre Berufstätigkeit folgen. Das ist eine Menge Zeit für Weiterbildung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und Dr. Joachim Stamp [FDP])
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kerkhoff. – Für die Piratenfraktion spricht nun Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Im Gegensatz zur CDU begrüßen wir den Antrag der Koalitionsfraktionen sehr.
(Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Denn er ist nur die logische Schlussfolgerung aus der Empfehlung der Weiterbildungskonferenz.
Der Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung ist auch für Auszubildende von großer bzw. ganz besonders großer Bedeutung. Gerade Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich während der Ausbildung in einer wesentlichen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Durch den verbesserten Zugang zur politischen Weiterbildung kann Interesse an gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen geweckt und erweitert werden.
Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zusammenhängen und die Information darüber sind Voraussetzungen für aktive gesellschaftliche Teilhabe, die wir alle von unseren mündigen Bürgern fordern.
Die Vorbehalte der Arbeitgeber hingegen finde ich haltlos. Gerade sie profitieren doch von aufgeschlossenen Jugendlichen, die sich interessieren und mit diesem Interesse Mitverantwortung für unsere Demokratie übernehmen. Beispielhaft möchte ich hier die Möglichkeit von Veranstaltungen zu interkulturellen Fragestellungen nennen, die erheblich zu einem besseren Verständnis füreinander und dadurch zu einem entspannten Arbeitsklima in den Betrieben beitragen können.
Ich finde, dass fünf Tage während der gesamten Ausbildungszeit gut investierte Zeit sind.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Herr Kerkhoff, wie bei diesen fünf Tagen die Qualität leidet, weiß ich wirklich nicht.
Man muss aber auch die Schüler besser im Auge behalten. Das Fach Politik fristet an vielen Schulen ein Nischendasein. Das muss sich ändern. Schulen müssen mehr in die Pflicht genommen werden, Politik für die Schüler erfahrbar zu machen.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Gerade im Alter von 14 bis 15 Jahren entwickeln junge Menschen die Reflexionsfähigkeit für komplexe politische Sachverhalte. Auch eine eigene Meinung und die Willensbildung entwickeln sich.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Die hierin liegenden Chancen zu vernachlässigen, ist mehr als fahrlässig. Wir beklagen alle das mangelnde Interesse von Jugendlichen an Politik und gesellschaftlichen Fragen. Die politische Bildung und Weiterbildung von Schülern und Auszubildenden ist ein kleiner Mosaikstein, dieser Gleichgültigkeit entgegenzuwirken.
Wir wünschen uns eine breite Diskussion über die politische Bildung. Nur wer gelebte Demokratie erlernt, kann diese auch später leben und sich aktiv in gesellschaftliche und politische Prozesse einbringen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und Reiner Priggen [GRÜNE])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Schmitz das Wort.
Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir teilen die Auffassung, dass die politische Bildung für alle Bürgerinnen und Bürger einen zentralen Stellenwert haben muss.
Allerdings halten wir den Weg, den Sie hier beschreiten wollen, nicht für sinnvoll. Im Rahmen der dualen Ausbildung befinden sich junge Menschen in der Schule. Auch bei der Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung ist der berufsübergreifende Lernbereich „Politik/Gesellschaftslehre“ verankert. Auszubildenden neben diesem Schulunterricht eine Freistellung zur Weiterbildung zu eröffnen, muss man sehr kritisch hinterfragen.
Sie sollten sich lieber darauf konzentrieren, die Versorgung mit Lehrern an Berufskollegs zu verbessern,
(Beifall von der FDP und Thorsten Schick [CDU])
damit gerade dieser Unterricht nicht ständig dem Lehrermangel zum Opfer fällt. Das wäre ein sinnvoller Schritt, um die politische Bildung von Auszubildenden zu stärken.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass für Auszubildende eine verkürzte Anspruchszeit angesetzt werden und dann im Rahmen ihrer gesamten Ausbildung zusammenhängend zum Beispiel eine Woche Bildungsurlaub möglich sein soll. – Das klingt zunächst einmal moderat. Aber diese Weiterbildungszeit, meine Damen und Herren, würde zulasten der Betriebe umgesetzt werden und letztlich auch bedeuten, dass die ausbildenden Betriebe diesen Bildungsurlaub finanzierten.
Die Einschätzung ausbildender Betriebe wird in einer Stellungnahme von unternehmer.nrw deutlich, die ich ausführlich mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren möchte:
„Geradezu absurd mutet allerdings das Vorhaben an, Auszubildende als Anspruchsberechtigte in das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz aufzunehmen. Hier besteht keinerlei Regelungsbedarf: Ein zentrales Merkmal der dualen Berufsausbildung ist, dass Auszubildende für den Besuch der Berufsschule freigestellt werden und dort auch überfachliche Kompetenzen erwerben. Zusätzliche Freistellungsansprüche für Auszubildende, die sich in einer mehrjährigen Lernphase befinden, sind also unnötig, führen zum Verlust von Lern- und Praxiszeit im Betrieb und gefährden die Qualität der eigentlichen Ausbildung.“
(Beifall von der FDP)
Diese kritische Einschätzung aufseiten der ausbildenden Betriebe ist Ihnen bekannt. Bereits in der Weiterbildungskonferenz ist die Ablehnung Ihrer Regelung unmissverständlich mitgeteilt worden.
Nun schreiben Sie, dass mit den nach AWbG Beteiligten ein Diskurs aufgenommen werden solle. Gleichzeitig steht das Ergebnis aber schon fest. Wie definieren Sie eigentlich „Diskurs“?
(Beifall von der FDP)
Offensichtlich besteht Ihrerseits nur noch wenig Interesse an einer fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit in der Weiterbildung. Das zeigt auch Ihr Ansinnen, den Antrag direkt abstimmen zu lassen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So ist das!)
Auch langjährige Partner beim AWbG stoßen Sie vor den Kopf. Sie mögen mit diesem Antrag Ihren Koalitionsvertrag abarbeiten; der Gemeinsamkeit in der Weiterbildung und der dualen Ausbildung leisten Sie einen Bärendienst.
Anstatt dass die antragstellenden Fraktionen lobende Worte für die Leistungen der ausbildenden Betriebe und Unternehmen finden, überlegen Sie sich für diese nun wieder eine zusätzliche Belastung. Solche Maßnahmen werden nicht zu mehr Ausbildungsplätzen führen. Wir werden den Antrag deshalb ablehnen. – Ich bedanke für mich Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratie braucht mündige Bürgerinnen und Bürger, die sich aktiv engagieren. Denn Zukunft kann es für eine Gemeinschaft in Freiheit und Demokratie nur geben, wenn es Menschen gibt, die sich auch in politischen Zusammenhängen auskennen und selbstbestimmt handelnd an demokratischen Prozessen mitwirken. Dazu beizutragen ist Auftrag von Schule, Ausbildung und Weiterbildung.
Die Freistellung von Auszubildenden für Zwecke der Weiterbildung ist in den Ländern unterschiedlich geregelt. In Nordrhein-Westfalen haben Auszubildende bisher keinen Anspruch auf Freistellung für Zwecke der beruflichen und der politischen Weiterbildung bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nimmt die Freistellung Auszubildender für Zwecke der politischen Weiterbildung in den Blick und empfiehlt, dafür Auszubildenden im Rahmen ihrer Ausbildungszeit einen verkürzten Freistellungsanspruch zu gewähren.
Der Antrag knüpft an eine Vereinbarung der Koalition an. Dort heißt es – ich zitiere –, „ … das Arbeitnehmer-Weiterbildungsgesetz für die Bildung junger Menschen zu nutzen … und Auszubildende als Anspruchsberechtigte in das Gesetz aufzunehmen.“
Die Landesregierung begrüßt diesen Antrag der Koalitionsfraktionen und unterstützt ihn einschließlich seiner Begründungen. Politische Bildung ist ein zentraler Baustein für die nachhaltige Bildung junger Menschen.
An die Adresse von CDU und FDP möchte ich folgenden Hinweis richten: Eine alte Polarität besteht zwischen dem, was junge Menschen außerhalb ihrer klassischen Ausbildungszeiten tun, und dem, was sie darin tun. Aber am besten sind doch die Bildungsprozesse, die ganzheitlich angelegt sind. Deswegen wirkt sich das, was junge Menschen in solchen Maßnahmen lernen werden, natürlich positiv rückwirkend auf das aus, was sie in ihrer Ausbildung lernen. Stellen Sie die Dinge doch nicht gegeneinander, sondern sehen Sie diese als ein Miteinander!
Wie gewünscht und im Kabinett auch besprochen, werde ich dann Gespräche mit den Beteiligten laut Arbeitnehmer-Weiterbildungsgesetz führen und anschließend dem Kabinett und dem Landtag einen Vorschlag für das weitere Verfahren vorlegen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind deshalb am Schluss der Beratung angelangt und kommen zur Abstimmung.
Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/3431. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten gegen die Stimmen von CDU und FDP mehrheitlich angenommen.
Wir treten ein in Tagesordnungspunkt
10 Rechte minderjähriger Kinder inhaftierter Elternteile einheitlich in NRW gewährleisten
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3453
Vor Eröffnung der Beratung erhalte ich gerade die Information, dass sich alle Fraktionen darauf verständigt haben, die Reden zu Protokoll (siehe Anlage 2) zu geben.
(Vereinzelt allgemeiner Beifall)
Ich darf mit diesem Hinweis die Beratung gleich wieder schließen und zur Abstimmung überleiten. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/3453 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
11 Größere Wertschätzung der Fankultur – Fanprojekte nachhaltig fördern!
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3433
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3514
Zu diesem Punkt gibt es keine Vereinbarung der Fraktionen, die Reden zu Protokoll zu geben. Ich darf also die Beratung eröffnen und für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Düngel das Wort erteilen. Bitte, Herr Kollege.
Daniel Düngel (PIRATEN): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Fußballfans! Ich warte eigentlich noch auf die bengalischen Feuer, die oben auf der Tribüne entzündet werden sollten, aber das hat offenbar nicht geklappt. Egal!
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Da sind wir aber alle sehr froh, Herr Kollege!
Daniel Düngel (PIRATEN): Ja, ich auch!
(Heiterkeit)
Wir können uns ja noch steigern. Vielleicht kommt im Ausschuss später noch was.
Wir haben heute irgendwie den Tag der Entschließungsanträge. Zu fast jedem Tagesordnungspunkt gibt es irgendwelche Entschließungsanträge. Ich finde das schön. Ich bin den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sehr dankbar, dass der Entschließungsantrag zu diesem Tagesordnungspunkt bereits gestern eingereicht wurde. Das hat mir die Gelegenheit gegeben, mich damit ein bisschen intensiver zu befassen.
Ich habe ihn durchgelesen, erneut durchgelesen und noch einmal durchgelesen. Dann habe ich versucht, Gemeinsamkeiten herauszufinden. Das war relativ einfach. Dann habe ich versucht, Unterschiede herauszufinden. Das war – sagen wir mal – ein bisschen schwieriger; denn allzu unterschiedlich sind der Entschließungsantrag und unser Antrag nicht. Das freut mich eigentlich. Damit habe ich ehrlich gesagt auch gerechnet.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten schon einiges im Landtag erleben dürfen. Wir als Piratenfraktion haben mehrere Hearings mit Fans durchgeführt. Im Rahmen eines FDP-Antrages wurde eine Anhörung durchgeführt, die sehr interessante Ergebnisse geliefert hat. Als wir unseren Antrag geschrieben haben, hatte ich insofern schon die Hoffnung, dass wir auf einen breiten Konsens treffen können. Aus dem Entschließungsantrag lese ich dies durchaus auch heraus.
Ich habe gerade von den Fan-Hearings gesprochen. Wir hatten die Anhörung. Wir hatten diverse Kleine Anfragen zu dieser gesamten Thematik. Diese haben letzten Endes dazu geführt, dass wir als Piratenfraktion für diese Plenarwoche zwei Anträge eingereicht haben. Zu dem zweiten Antrag werden wir morgen den Kollegen Herrmann hören, der dazu etwas erzählen wird.
Ich gehe kurz auf unseren Antrag ein. Der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball-Liga möchten ihren Anteil an Prävention, an Förderung von Fanprojekten erhöhen. Das ist schön, das begrüßen wir selbstverständlich. Unser Antrag soll gewährleisten, dass auch die Förderung durch die öffentliche Hand in mindestens gleichem Maße beibehalten wird.
Bislang ist es so, dass DFB/DFL im Endeffekt ein Drittel der Gelder zahlen. Land und Kommunen zahlen die beiden anderen Drittel. Künftig wird es so sein, dass DFB/DFL letzten Endes die Hälfte zahlen, während Land und Kommunen dementsprechend die andere Hälfte aufbringen.
Wichtig ist, dass die Landesregierung in dem Bereich schon eine Menge tut. Das will ich gar nicht schmälern. Das erkennen wir an. Das ist auch richtig so. Frau Ministerin Schäfer wird uns das gleich sicherlich noch einmal aufzählen. Wir möchten natürlich, dass dieser Standard mindestens beibehalten wird.
In dem Antrag lesen wir an der einen oder anderen Stelle allerdings durchaus etwas über Probleme. 1993 wurde ein Stellenschlüssel entwickelt. Er besagt, dass Fanprojekte mit drei Vollzeitstellen und einer Verwaltungskraft ausgestattet werden sollen. Das ist interessante Theorie; Theorie schon allein insofern, als wir 1993 in der Bundesliga einen Zuschauerschnitt von etwa 26.000 hatten. Mittlerweile hat sich das erfreulich entwickelt. Wir sind jetzt irgendwo bei fast der doppelten Höhe, nämlich bei etwa 43.000. Ich frage mich, ob der seinerzeit festgelegte Stellenschlüssel überhaupt noch ausreicht. Wir sollten Diskussionen darüber anstoßen.
Das eigentlich Schlimmere ist: Die derzeit existierenden Fanprojekte in Nordrhein-Westfalen erfüllen allesamt nicht diesen Standard von drei Stellen. In Dortmund und einem weiteren Fall, der mir gerade nicht einfällt, gibt es zwar mindestens drei. In Dortmund sind es, glaube ich, vier – aber nur deswegen, weil dort noch eine externe Finanzierung läuft, die außerhalb der Thematik anzusiedeln ist, über die wir momentan reden.
Unser Antrag geht auch darauf ein, ob wirklich alle Fußballvereine mit entsprechenden Fanprojekten ausgestattet sind. Das ist fraglich. Wie weit sollte das heruntergebrochen werden? Sprechen wir über die erste, zweite, dritte, vierte Liga? Das ist momentan eigentlich der Stand. Haben wir auch noch in den Oberligen den einen oder anderen Verein, bei dem es entsprechende Zuschauerzahlen gibt, um die wir uns kümmern sollten? Das möchten wir gerne angehen.
Als Piratenfraktion wissen wir natürlich, dass Fanprojekte nicht alle Probleme lösen, die wir in der Fanthematik haben. Wir legen aber großen Wert auf Prävention. Und dafür sind Fanprojekte ein ganz großer Baustein.
Ich freue mich auf die weitere Beratung. Ich hoffe, dass wir aus den beiden vorliegenden Anträgen einen wirklich guten gemeinsamen Antrag hinbekommen. Möglicherweise können wir auch die Fraktionen von CDU und FDP davon überzeugen, uns dabei zu unterstützen. – Insofern ganz herzlichen Dank. Ich freue mich auf die Ausschussberatung. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Weske das Wort. Bitte.
Markus Herbert Weske (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Da es sich um einen Antrag der Piraten handelt, möchte ich noch einen herzlichen Willkommensgruß anschließen, wie ihn der sozialdemokratische Landtagspräsident Uli Schmidt bereits am 5. September 2001 in diesem Hohen Hause formulierte: Einen herzlichen Willkommensgruß an die Zuschauerinnen und Zuschauer im Internet.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schicke vorweg: Unserer Meinung nach hätten die Fanprojekte in unserem Land statt diesem Schnellschuss einen umfassenden Antrag verdient, der ihre vielen verschiedenen Probleme aufgreift.
Einen kleinen Ausschnitt dessen, was in diesem Zusammenhang alles zu tun ist, haben wir in unseren rot-grünen Entschließungsantrag aufgenommen, den meine Koalitionskollegin Josefine Paul gleich begründen wird. Angesichts von fünf Minuten Redezeit konzentriere ich mich auf den Antrag der Piratenfraktion.
Herr Düngel, Sie haben gefragt, wo die Unterschiede zwischen den Anträgen zu sehen sind. – Ich komme zunächst zu dem analytischen Teil Ihres Antrages, wenn man ihn denn so bezeichnen darf; denn 80 % Ihres Antrags sind eine Kumulierung von pseudosoziologischem Unsinn.
Sie behaupten zum Beispiel, dass es keine Gesellschaft ohne Gewalt gibt und – da der Fußball und seine Fans Teile der Gesellschaft sind – auch keinen Fußball ohne Gewalt. Der Beleg dafür soll wohl die Randale rund um die Fußballspiele sein. Das erinnert mich an Ionescos Werk „Die Nashörner“. Darin sagt der Logiker: Alle Katzen sind sterblich. Sokrates ist gestorben, also war Sokrates eine Katze. – Den Beweis dafür liefert dann ein älterer Herr, der dem Logiker gegenübersitzt und sagt: Richtig, ich habe eine Katze, die heißt Sokrates.
Mit einem genau solchen Syllogismus begründen Sie die Gewalt rund um den Fußball. Mit Verlaub, aber Ihr Antrag gehört ebenso wie die Nashörner selbst zur Gattung „Absurdes Theater“.
Solche Rückschlüsse über das Verhältnis von Gewalt, Gesellschaft und Fanprojekten sind nicht nur falsch. Sie spielen in der Praxis übrigens auch nur eine untergeordnete Rolle; denn die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in unseren 14 nordrhein-westfälischen Fanprojekten sind hart arbeitende Streetworker, die den jungen Menschen in ihrer täglichen Arbeit dabei helfen, ihre konkreten Probleme zu lösen – oft auch jenseits eines Fußballspiels und jenseits von Aggressionen.
(Beifall von der SPD)
Dafür gilt ihnen unsere Wertschätzung. Dafür gilt ihnen unser besonderer Dank.
Nun stellt sich die Frage, was Ihr Ausflug in das absurde Theater eigentlich soll. Anlass ist offensichtlich das Schreiben des DFB-Sicherheits-beauftragten und des DFL-Leiters Fanangelegenheiten vom 26. Juni 2013 an alle Fanprojekte, mit der die beiden die Einigung mit der Innenministerkonferenz umsetzen, die Fanprojekte zukünftig mit 50 % ihres jeweiligen Gesamtvolumens zu bezuschussen.
Die Piratenfraktion schreibt in ihrem Antrag, dass diese Einigung nicht zu einer Reduzierung der Landeszuschüsse führen dürfe. Das hat aber erstens keiner vor, zweitens keiner angekündigt und ist drittens ausgeschlossen. Denn das Gegenteil ist Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung. Es geht darum – so steht es auch in dem Schreiben von DFB und DFL –, dass durch ihre Zuschusserhöhung die Personalsituation in den Fanprojekten verbessert wird und nicht die öffentlichen Haushalte entlastet werden.
Das mag jetzt wie ein Syllogismus klingen, ist es aber nicht. Der Zuschuss der öffentlichen Hand sinkt zwar anteilig – Prozent –, die Zuschusshöhe der öffentlichen Hand bleibt aber mindestens konstant – Euro. Also machen Sie bitte nicht mit solchen Anträgen die Szene kirre. Hier sind qualifizierte Beschäftigte am Werk, die zwar auch ein dickes Fell haben müssen, aber eben keine Nashörner.
Ich weise gerne darauf hin, dass aktuell bezüglich der Fanprojekte gemeinsam mit der Landesregierung konstruktiv beraten wird, wie die Finanzierung von drei Vollzeitstellen sicherstellt werden kann, und zwar flächendeckend. Denn wir wissen, dass eine Kofinanzierung durch die jeweilige Kommune nicht überall im Land einfach ist.
Im Weiteren fordern Sie die Finanzierung einer Verwaltungskraft. Hier zeigt sich ganz besonders, wie lückenhaft Ihr Antrag ist. Ein Problem der Fanprojekte ist, dass die Zuschüsse der öffentlichen Hand für ein Kalenderjahr, also zum 1. Januar, beantragt werden müssen, der Zuschuss von DFL und DFB aber für die jeweilige Saison zum 1. August.
Bevor weiterhin der bürokratische Vorgang doppelt gemacht werden muss und deswegen die Verwaltung aufgeplustert werden soll, muss die Forderung sein, dass die jeweiligen Förderungszeiträume synchronisiert werden. Ein Fanprojekt gehört auf die Straße, in das Fancafé und in das Stadion, aber nicht hinter den Schreibtisch. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Milz das Wort.
Andrea Milz (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Piraten, ich finde Ihren Antrag nicht unsinnig. Mit uns können Sie durchaus darüber reden.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir hatten nämlich auch ein Werkstattgespräch zu dem Thema „Gewalt im Fußball“. Da sind uns ähnliche Sachen mit auf den Weg gegeben worden. Ich glaube, Fußball begeistert die Deutschen mehr als jeder andere Sport. Das ist quasi schon ein modernes Kulturgut. Deswegen lohnt es sich auch, darüber hier im Landtag zu reden.
(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Die unvergleichliche Atmosphäre in den Stadien, all das ist etwas, was die meisten von uns alle selbst schon einmal erlebt haben oder auch regelmäßig, zumindest am Fernsehen, verfolgen.
Dabei ist der weitaus größte Teil der Anhängerschaft auch friedlich. Die Fans haben sich selber schon einmal als das Salz der Suppe des Fußballs bezeichnet. Ich glaube, das stimmt. Ohne Fans, ohne die Millionen in den Stadien wäre der Fußball auch gar nicht das, was er heute ist.
Und diese Fans sind klar zu unterscheiden von einer Minderheit von Chaoten, die durch Gewalt und Randale leider immer wieder auch die mediale Öffentlichkeit auf sich ziehen und auch die Schlagzeilen füllen. Es ist unakzeptabel, wenn friedliche Fußballfans, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche, die mit ihren Vätern auf den Platz gehen, permanent dem Risiko von Übergriffen ausgesetzt sind. Gefährliche Ausschreitungen am Rande von Fußballspielen oder sogar während des Spiels können nicht als naturgegeben hingenommen werden.
Gewalt beim Fußball ist aber auch immer im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu sehen. Insofern zieht natürlich der Fußball als Massenveranstaltung gewaltbereite Täter an, die zum Teil dem Fußball noch nicht einmal besonders nahe stehen und die gerade deshalb auch nicht als Fans bezeichnet werden können.
Ein Patentrezept gegen diese Gewalt kann es aber im Fußball genauso wenig geben wie in allen anderen Lebensbereichen. Vielmehr muss es den Verantwortlichen darum gehen, Handlungsoptionen zu entwickeln, die für alle Beteiligten tragbar sind. Ein nachhaltiger Erfolg kann sich nur einstellen, wenn die Vereine gemeinsam mit ihren Fans an Lösungsstrategien arbeiten.
Wir haben uns in Deutschland auf einen guten Weg gemacht. Es wurde von den Fanprojekten berichtet, die es gibt: alleine 14 in Nordrhein-Westfalen. Grundlage der sozialpädagogisch orientierten Fanarbeit ist dabei das Bewusstsein, dass dem gewalttätigen Verhalten jugendlicher Fußballfans nicht alleine mit Strafe begegnet werden kann. Vielmehr soll der junge Mensch schon früh in seinem Umfeld und in seiner Lebenswelt abgeholt werden. Demgemäß findet die eigentliche Arbeit eben nicht nur im Stadion statt, sondern auch während der Fahrt zu einem Auswärtsspiel oder bei den Fantreffs zu Hause.
Die Projekte fördern kreative Fankultur. Den jungen Fans werden alternative Freizeit- und Bildungsangebote angeboten. Dabei ist natürlich auch die Vernetzung dieser Fanprojekte mit weiteren pädagogischen Einrichtungen und Akteuren außerhalb des Fußballs vor Ort förderlich, aber auch der internationale Austausch.
Auch in den Kommunen leisten die Fanprojekte wertvolle Arbeit, denn die Menschen, die dort unterwegs sind, treffen die Jugendlichen, die sie mit der klassischen Jugendarbeit zum Teil gar nicht erreichen würden. Nur setzen natürlich die verfügbaren Ressourcen den Erwartungen und Möglichkeiten vor Ort auch Grenzen.
Über die Innenministerkonferenz haben wir schon gesprochen. Den Zielen schließen wir uns als CDU an. Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben zu überlegen, was wir gemeinsam machen können. Der SPD-Antrag, in dem wieder nur auf den Bund verwiesen wird, ist typisch. Das kann ich gut verstehen. Die Wahl ist ja bald. Danach können wir sicherlich sachlich darüber reden.
Ich freue mich jedenfalls darauf. Wir sind für Gespräche offen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Paul das Wort.
Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut und richtig, dass wir über dieses Thema auch schon mehrfach innerhalb des Parlaments beraten haben, die Debatte dabei differenzierter geworden ist, weniger darauf zugespitzt ist, was man gegen die Chaoten tun kann, sondern darauf hinausläuft: Was können wir tun, um die Fußballkultur, die wir, glaube ich, alle sehr schätzen, weiterzuentwickeln und zu bewahren.
Frau Milz, wenn Sie sagen, der Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD ziele mal wieder nur auf den Bund, dann sagen wir: Ja, an einer Stelle schon, da, wo es darum geht, dass wir mehr Mittel für die Koordinierungsstelle der Fanprojekte, die KOS, brauchen, da, wo wir im Sinne von Controlling und Weiterentwicklung der Fanprojekte im Rahmen des NKSS weitere Mittel brauchen. Ja, da ist auch der Bund in der Verpflichtung, das ernster zu nehmen und die Mittel aufzustocken.
Wenn Sie aber auch die anderen Beschlusspunkte gelesen hätten, wären Sie darauf gestoßen, dass wir selbstverständlich die Forderung aufgenommen haben, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Kinder- und Jugendförderplans zu prüfen: Was kann das Land für die Mittelaufstockung bei den Fanprojekten tun? Wo brauchen wir beispielsweise – im Anschluss an Herrn Düngel – eventuell noch weitere Fanprojekte?
Klar ist – das machen auch die Diskussionsbeiträge hier sehr deutlich –, dass die Massen fußballbegeistert sind und die Politik sich dem annimmt. Wir haben alleine im aktiven Bereich 80.000 Spiele pro Woche in ganz Deutschland. 20 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer gehen in die Stadien. Das bedeutet, dass Fußball kein ganz kleiner Teil der Gesellschaft ist. Daraus entsteht logischerweise auch eine gesellschaftliche Verantwortung.
Die Vereine und Verbände stehen natürlich in der gesellschaftlichen Verantwortung. Ich will aber auch betonen, dass die Fans selber durch ihre Arbeit in den Stadien und um die Stadien einen großen Teil dazu beitragen, diese gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen; denn sie sind es auch zu großen Teilen gewesen, die manches Thema überhaupt erst in den Stadien problematisiert haben und in die Stadien getragen haben: engagierter Kampf gegen Rechtsextremismus, engagierter Kampf gegen Rassismus und auch engagierter Kampf gegen Dinge, die sonst eher marginalisiert werden, wie Homophobie oder Sexismus.
Wie wichtig es ist, auch beim Sport immer wieder auf das Sexismus-Problem hinzuweisen, können wir gerade wieder in den medialen Debatten darum verfolgen, ob denn die aktuelle Wimbledon-Siegerin überhaupt hübsch genug ist, um dieses Turnier zu gewinnen. Oder denken Sie an den aktuellen Werbespot des ZDF für die heute beginnende Fußball-Europameisterschaft der Frauen, in dem auf eine Waschmaschine geschossen wird. Oder erinnern Sie sich daran, dass die FIFA noch 2011 für die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen mit dem Slogan „2011 von seiner schönsten Seite“ geworben hat.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Und Männer trinken nur Bier!)
Ich bin den Fans sehr dankbar dafür, dass sie diese Themen immer wieder in die Stadien tragen und dort immer wieder darauf aufmerksam machen.
(Holger Müller [CDU]: Sie wissen auch, wie Männer häufig dargestellt werden! Das ist auch eine sehr gesellschaftsfördernde Werbung!)
Die Fanprojekte haben in diesem Zusammenhang eine ganz wichtige Funktion; denn sie sind Anlaufstelle für Jugendliche. Sie sind sozialpädagogische Anlaufstelle, sie sind sozialräumliche Anlaufstelle, und sie sind präventive Anlaufstelle. Sie sind auch Mittler zwischen allen Beteiligten im Fußball.
Außerdem haben sie eine wichtige Funktion als Partner von außerschulischen politischen Bildungsaktivitäten. So haben wir beispielsweise mit „Soccer meets learning“ in Bochum, „Stadionschule Bielefeld“, „BVB-Lernzentrum“ und „Schalke macht Schule“ vier Projekte zum Lernort Stadion. Das heißt, dass dort sehr wichtige – auch politische – Bildungsarbeit geleistet wird.
Lassen Sie mich auch noch etwas zum Thema „Drittelfinanzierung“ sagen, weil durch den Antrag der Piraten die Befürchtung geistert, dass bei einer selbstverständlich zu begrüßenden Aufstockung des Mittelanteils von DFB und DFL – das haben Sie dankenswerterweise noch einmal sehr deutlich gemacht, Herr Kollege – unter Umständen die Finanzierungsanteile von Land und Kommunen ein bisschen hinten herunterfallen. Wir werden schauen müssen, wie wir bei der teilweise sehr kritischen finanziellen Lage der Kommunen sicherstellen können, dass sie in ihrer Verantwortung bleiben. Auf Landesseite werden wir mit Sicherheit weiterhin unsere Verantwortung in diesem Bereich tragen. Das haben wir in dem Entschließungsantrag auch deutlich gemacht.
Frau Milz, es freut mich sehr, dass wir, wie Sie gesagt haben, auch auf die CDU zählen können, wenn wir versuchen wollen, unsere Anträge zu einem gemeinsamen Antrag zusammenzufügen. Dazu müssten Sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle Ihre Wahlkampfrhetorik noch ein bisschen herunterfahren. Hier erinnere ich nur an den letzten Punkt, den Sie gerade genannt haben. Ich finde das aber sehr erfreulich und bin sehr gespannt auf die Beratungen in den Ausschüssen. Dort werden wir sehen, ob wir zusammenkommen können, was diese Anträge und das wichtige Thema „Fankultur, Fußballkultur“ angeht.
Lassen Sie mich einmal zusammenfassen, was uns wohl alle eint. Fankultur ist ein wichtiger Teil von Fußballkultur und auch ein wichtiger Teil von Jugendkultur. Diese Faninteressen und diese Jugendinteressen ernst zu nehmen und einzubeziehen, eint uns hier alle, glaube ich.
Wir wollen den Dialog aller Beteiligten zum Besseren für den Fußball stärken.
Wir wollen die sozialpädagogische Fanarbeit stärken und damit einen Beitrag leisten, um auch die repressiven Maßnahmen zurückfahren zu können und die Chaoten, die Sie zu Recht genannt haben, aus den Stadien drängen zu können.
Wir wollen gemeinsam auch ein klares Zeichen setzen, dass Gewalt inakzeptabel ist – in der Gesellschaft allgemein, aber natürlich auch in den Fußballstadien und auf den Fußballplätzen im Speziellen. Gewalttäterinnen und Gewalttäter werden auch weiterhin nicht akzeptiert werden und müssen mit strafrechtlichen Konsequenzen für dieses Handeln rechnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Lürbke das Wort.
Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Fußball ist unbestritten Deutschlands beliebteste Sportart. Das gilt insbesondere in Nordrhein-Westfalen. Daher ist es erst einmal richtig, dass wir uns hier auch weiter über die nordrhein-westfälische Fankultur unterhalten.
Fanprojekte sind sicher ein Baustein, um eine positive Fankultur zu fördern. Sie sind ein sinnvolles Mittel der Prävention, wenn es zum Beispiel um Gewaltvermeidung im Umfeld von Fußball geht. Das klang gerade auch schon in den Wortbeiträgen an. Da sind wir uns weitestgehend einig.
Wir haben die Diskussion zuletzt auch angestoßen. Ich denke, dass wir hier weiterhin auf einen Dreiklang bauen müssen, der die richtige Mischung aus Prävention, Kommunikation, aber auch Sanktion enthält.
Erstens brauchen wir also Kommunikation. Der Austausch ist notwendig. Wir brauchen den Dialog zwischen Fans, Vereinen, Verbänden, Polizei, aber auch Politik, damit wir dann auch Veränderungen in den Köpfen bewirken können.
Herr Düngel, im Übrigen waren es nicht nur die Piraten, die ein Hearing durchgeführt haben. Vielmehr haben – das möchte ich betonen; das haben wir im Sportausschuss auch festgestellt – alle Fraktionen dieses Hauses Gespräche aufgenommen und sich sehr umfassend mit diesem Thema beschäftigt.
Zweitens brauchen wir aber auch Sanktionen. Das haben wir in unserem eben schon angesprochenen Antrag „Gegen Randalierer im Zusammenhang mit Fußballspielen konsequent vorgehen“ auch ganz deutlich gemacht. Diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, die meinen, über die Stränge schlagen zu müssen, die zu Gewalt greifen und die randalieren, müssen dann eben auch mit der Gelb-Roten Karte als Konsequenz rechnen.
(Beifall von Ulrich Alda [FDP])
Drittens brauchen wir ganz klar die Prävention. Da sind wir uns auch einig. Prävention erfolgt unter anderem durch die Fanprojekte, um die es in Ihrem Antrag geht. Ziel ist es, dass Gewalt bereits im Keim erstickt werden kann.
Das ist erst einmal das Gesamtpaket, über das wir uns unterhalten.
Meine Damen und Herren von der Piratenfraktion, was mich bei Ihrem Antrag jedoch sehr stört – das klang eben auch schon an –, ist die Behauptung, dass es keinen gewaltfreien Fußball geben könne. Ich glaube, dass Sie sich mit diesem Passus keinen großen Gefallen getan haben. Zur Fankultur zähle ich nämlich alle diejenigen, die ihre Mannschaft – ob organisiert oder unorganisiert – begeistert, aber friedlich unterstützen. Fans – ganz egal, ob nur gelegentlich im Stadion, mit Dauerkarte oder als Ultra – fiebern mit ihrer Mannschaft mit und versuchen, ihren Verein bestmöglich für einen Sieg zu motivieren. Der Sport und nicht Gewaltübergriffe müssen im Vordergrund stehen.
Die in Ihrem Antrag vorgenommene Verknüpfung von Gewalt als Gesellschaftsphänomen, womit die uns allen bekannten Gewaltexzesse tendenziell normalisiert und bagatellisiert werden sollen, befremdet mich. Wir dürfen nicht versuchen, mit pseudo-gesellschaftskritischen Erklärungsversuchen denjenigen, die zu Gewaltexzessen innerhalb welcher Gruppierung auch immer neigen, Rechtfertigungsgründe an die Hand zu geben. Das regt auch nicht zum Umdenken an. Das würde die Arbeit der Fanprojekte in gewisser Weise sabotieren.
Die Hauptaufgabe der Fanprojekte ist doch, eine positive Fankultur zu fördern. Das heißt, dass das friedliche Miteinander verschiedener Jugendkulturen und somit eine größere interkulturelle Toleranz gefördert werden sollen. Wenn ich aber davon ausgehe, dass Gewalt zur Gesellschaft gehört, dann brauche ich das gar nicht. Denn dann ist das doch ganz normal. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Piraten, das ist unseren Augen eben nicht normal. Gewalttaten und Randale – nicht nur bei Freizeitereignissen wie dem Fußball – sind absolut inakzeptabel und in keinster Weise zu tolerieren.
(Beifall von der FDP)
Das haben wir zuletzt auch in unserem Antrag deutlich betont. Das wurde auch bei der sehr sach- und fachgerechten Anhörung in diesem Hause bestätigt. Unser Antrag wurde letzten Monat dennoch abgelehnt, und zwar übrigens auch mit Hilfe Ihrer Stimmen. Das gibt einem dann hinsichtlich Ihres Antrages heute schon etwas zu denken.
Ebenfalls ist mir etwas zu kurz gesprungen, nur die Jugendlichen der Ultragruppierungen in den Fokus zu nehmen. Diesbezüglich ist der Entschließungsantrag von Rot-Grün zumindest breiter aufgestellt.
Meine Damen und Herren, es ist sicherlich auch richtig, dass wir uns in der Tat Gedanken über eine angemessene finanzielle Förderung der Fanprojekte durch das Land machen müssen. Das sollte meiner Meinung nach bei den Haushaltsberatungen für das Jahr 2014 erfolgen. Wir dürfen die Kommunen nicht vergessen, die auch immer an der öffentlichen Förderung beteiligt sind. Dazu sollte aber aus meiner Sicht eine belastbare Bedarfsanalyse über die erforderliche Förderung von Stellen in den Fanprojekten vorausgehen. Insoweit muss noch einiges evaluiert werden. Evaluiert werden muss übrigens auch, ob Fanprojekte nur im Fußball sinnvoll und erforderlich sind. Ich denke, in diesem Zusammenhang gibt es noch einigen Diskussionsbedarf. Darüber können wir uns dann in den Ausschüssen unterhalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Schäfer das Wort.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Danke, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man kann bei beiden Anträgen – sowohl beim Antrag der Piraten als auch beim Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – sagen, dass sie die jugendpolitische und gesellschaftspolitische Dimension der Fanprojekte in den Vordergrund stellen. Das begrüße ich aus Sicht der Landesregierung ausdrücklich.
Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Nordrhein-Westfalen in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon eine Menge getan hat, um diese Fanprojekte zu unterstützen.
Erinnern wir uns kurz an die Entstehung derselben. Der eine oder andere kann sich noch an die Hooligandebatte erinnern, die wir vor 20 Jahren hatten. Das war der Ursprung für diese Fanprojekte. Das heißt, im Grunde genommen lag tatsächlich der Ansatz darin, wie man verhindern kann, dass Gewalt in Stadien aufkommt, und wie man dazu präventiv tätig werden kann. Ich glaube, auf diesem Gebiet haben wir in den letzten 20 Jahren wirklich etwas geschafft.
Ich habe die Diskussion um die Ultras in der letzten Zeit zum Anlass genommen, noch einmal ganz intensive Gespräche zu führen. Ich habe mich mit allen 14 Vertretern der Fanprojekte zusammengesetzt und mir noch einmal ihre Einschätzung der gegenwärtigen Lage angehört. Ich habe ein langes Gespräch mit einer Ultragruppe eines Bundesligavereins geführt. Das war hochinteressant. Man kann sagen, dass in beiden Gesprächen durchaus zum Ausdruck gekommen ist, wie verantwortlich die Beteiligten dieser Gespräche mit ihrer Aufgabe umgehen.
Ich will auch darauf hinweisen, dass Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Bayern einen Antrag an die Jugend- und Familienministerkonferenz gestellt hat, noch mehr Geld von den Medieneinnahmen der DFL und des DFB für die Fanprojekte zu bekommen. Das hat schon eine Konsequenz gehabt. Man konnte in den Medien nachlesen, dass DFL und DFB mehr Geld für die Fanprojekte zur Verfügung stellen wollen. Allerdings wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht konkret, wo sich das festmachen wird, weil es die Richtlinien für diese Unterstützung noch nicht gibt.
Uns als Land lag aber besonders am Herzen, dass unsere Fanprojekte in ihrer Arbeit unabhängig bleiben. Ursprünglich war geplant, dass die Fanprojekte der ersten und der zweiten Liga nur durch den DFB und die DFL unterstützt werden sollten und das Land in der dritten und vierten Liga tätig werden sollte. Das ist Gott sei Dank verhindert worden. Wir brauchen – das kommt im Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen besonders zum Ausdruck – diese Mischfinanzierung, weil sie die Unabhängigkeit der Fanprojekte gewährleistet.
Eine weitere Konsequenz: Wir haben auch den Kinder- und Jugendförderplan für die Jahre 2013 bis 2017 so vorbereitet und aufgestockt, dass wir diese Arbeit noch etwas stärker unterstützen können. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir kürzlich das 14. Fanprojekt in Paderborn eingerichtet haben. Das ist gemeinsam mit der Kommune, mit der DFL und mit dem DFB entstanden. Wir haben somit die Möglichkeit, noch mehr zu tun.
Es ist von großer Bedeutung, dass wir sowohl als Landtag als auch als Landesregierung – als Landesregierung machen wir das –, diesen Dialog mit den Fanprojekten aufrechterhalten, diese Projekte in ihrer Arbeit begleiten und unterstützen und damit – das möchte ich ganz deutlich sagen – wertschätzen.
Wir wertschätzen ihre Arbeit schon seit 20 Jahren. Dazu bedarf es eigentlich keines Landtagsbeschlusses. Aber natürlich berichten wir gerne über unsere weitere Arbeit. Wir freuen uns auch auf die gemeinsame Debatte, die im Ausschuss erfolgen soll.
Diese Arbeit verdient all unsere Anerkennung. Wo wir diese Arbeit unterstützen können, da tun wir das. Aber wir erwarten auch, dass DFB und DFL ihrer Verantwortung in dem Bereich noch stärker nachkommen. Das ist aber auf einem guten Weg. Insofern bin ich da sehr optimistisch.
Gleichwohl wird das Problem der Gewalt mit Sicherheit eines bleiben, was wir in den Fußballstadien immer wieder erleben werden. Abschließend sei noch einmal gefragt: Was ist eigentlich das besondere Anliegen der Ultras? Sie wenden sich gegen diese starke Kommerzialisierung, die es im Fußball inzwischen gibt. Das ist ein ureigenes Anliegen, das sie immer wieder deutlich machen. Insoweit hat sich die Fankultur verändert. Auch darauf müssen wir reagieren. Das werden wir auch tun. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/3433 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/3514 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – sowie an den Sportausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer der Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen und/oder Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir treten ein in Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3443
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Jostmeier das Wort.
Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns jetzt mit der Wertschätzung für eine Gruppe von Menschen ganz besonderer Art, die in unserem Land wohnen; vorhin haben wir über die Wertschätzung der Fankultur gesprochen.
Das Land Nordrhein-Westfalen war 1946 noch nicht einmal gegründet, da strebten schon – seit Ende 1944/Anfang 1945 – Zehntausende von Menschen in die Region Rhein/Ruhr und nach Westfalen. Im Jahre 1949 war jeder neunte Bergmann an Rhein und Ruhr ein Flüchtling. Nordrhein-Westfalen wurde bis spät in die 60er-Jahre hinein das Flüchtlingsland genannt. 1945 hatten wir 14,2 Millionen Einwohner, von denen 12,1 % Flüchtlinge waren. 1961 hatte das Land Nordrhein-Westfalen 15,9 Millionen Einwohner, und der Anteil der Vertriebenen und Flüchtlinge war bereits auf 14,2 % gestiegen. Heute können und müssen wir feststellen und uns häufig mal vergegenwärtigen, dass jeder fünfte Bürger Nordrhein-Westfalens ein Nachfahre von Flüchtlingen oder Vertriebenen ist. Insgesamt hat Nordrhein-Westfalen 2,4 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.
Die Menschen, die damals oder auch 1989 nach der Wende kamen, hatten teilweise ein sehr schweres Schicksal hinter sich. Sie hatten nicht nur Haus und Hof verloren, sondern sie hatten ihre Heimat zurückgelassen. Sie hatten den Krieg unmittelbar erlebt und mit den Kriegsfolgen zu kämpfen. Als sie dann in den Westen kamen, wurden sie auch bei uns weiß Gott nicht immer willkommen geheißen und mit offenen Armen empfangen.
Es gibt einen Spruch, liebe Kolleginnen und Kollegen, der bei uns im ländlichen Raum diskutiert wurde und grassierte: Wir werden zwei Plagen nicht wieder los; die eine Plage sind die Kartoffelkäfer, die andere Plage sind die Flüchtlinge. – Ich kann mich gut entsinnen, dass das auf dem Land in vielen Gebieten – nicht nur bei uns – so gesagt wurde. Vor dem Hintergrund ist es wichtig und notwendig, einmal festzustellen, dass das Wirtschaftswunder in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland insgesamt, von dem die Welt redet, ohne die Aufbauarbeit der Flüchtlinge und Vertriebenen gar nicht denkbar gewesen wäre.
(Beifall von der CDU, der FDP und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Meine Damen und Herren, nach der Wende 1989 kamen insgesamt noch etwa 650.000 Spätaussiedler nach Nordrhein-Westfalen. Grundlage für die Integration und ihre Leistungen hier sind neben dem Bundesvertriebenen? und Flüchtlingsgesetz auch das Lastenausgleichsgesetz von 1952. Wir können feststellen: Die Integration der vielen Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen ist gerade in Nordrhein-Westfalen eine große Erfolgsgeschichte gewesen.
Vor wenigen Wochen, am 22. Juni, haben wir den 50. Jahrestag des Gerhart-Hauptmann-Hauses gefeiert. Ich will bei dieser Gelegenheit sagen – deswegen haben wir den Antrag so betitelt –: Das, was das Gerhart-Hauptmann-Haus, damals noch Haus des Deutschen Ostens, an Friedens? und Versöhnungsarbeit geleistet hat, zur Erinnerungskultur beigetragen hat – es hat auch als Begegnungsstätte gedient –, verdient hohen Respekt und hohe Anerkennung.
(Beifall von der CDU)
Ich darf Ihnen mitteilen, dass der geschäftsführende Direktor des Gerhart-Hauptmann-Hauses und einige Kolleginnen und Kollegen aus der Vertriebenenarbeit auf der Tribüne zuhören. – Dr. Halder, seien Sie uns ganz herzlich willkommen bei diesem Thema.
(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang habe ich viele Bitten – ich darf mich bei den Parlamentarischen Geschäftsführern sämtlicher Fraktionen bedanken, wir werden das Thema in vier Fachausschüssen behandeln, nachdem wir es überwiesen haben –, von denen ich einige vortragen möchte:
An jeden von uns habe ich erstens die Bitte, dass wir die Flüchtlinge und Vertriebenen, die aus den deutschen Ostgebieten kommen, nicht mit anderen gleichsetzen und sie vor allen Dingen nicht als Migranten bezeichnen. Sie sind Deutsche im Sinne von Art. 116 Grundgesetz und wollen auch als Deutsche behandelt werden, weil sie unter anderem unter Stalin sehr schwere Schicksale erlitten haben, nur weil sie Deutsche waren.
(Beifall von der CDU)
Ich habe eine zweite Bitte an die Regierung: Meine Damen und Herren, seit Mai 1957 hat der Landtag die Patenschaft für die Siebenbürger Sachsen. Wenn man schon eine Patenschaft übernimmt, dann finde ich es nicht richtig und nicht gut, dass der Vorsitzende des Landesverbandes der Siebenbürger Sachsen seit zweieinhalb Jahren keinen Termin bei der Regierungschefin des Landes NRW bekommt. Da müsste man mal etwas tun.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit. Die ist schon deutlich überschritten.
Werner Jostmeier (CDU): Dafür vielen Dank, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss. – Es gibt einiges, was man noch verbessern könnte. Die Deutschlehrerversorgung in Rumänien – im Banat und bei den Siebenbürger Sachsen – sowie in Oberschlesien lässt zu wünschen übrig.
Die nächste Bitte ist, dass Regierungsmitglieder bei Reisen in die Herkunftsländer der Flüchtlinge und Vertriebenen deren Vertreter mitnehmen, wie es andere Bundesländer tun, zum Beispiel Thüringen, Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg.
Zum Schluss: Das Gerhart-Hauptmann-Haus darf bei seiner Arbeit nicht durch fehlendes Geld geknebelt werden. Wenn Jahrzehnte bestehende Kontakte zu Museen und Partnerschaftshäusern in den Herkunftsländern – in Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Brandenburg – gekappt werden müssen, weil das Geld nicht reicht, meine Damen und Herren, müssen wir uns darüber unterhalten, ob das so weitergehen darf.
Ich bedanke mich fürs Zuhören und freue mich auf eine bestimmt sehr fruchtbare und sehr erfolgreiche Diskussion in den Fachausschüssen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Warden das Wort.
Marion Warden (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Zuschauertribüne – insbesondere auch die vom Gerhart-Hauptmann-Haus! Unser Grundgesetz regelt in Kapitel XI unter den sogenannten Übergangs- und Schlussbestimmungen – genauer in Art. 116 – etwas sehr Grundlegendes für die Außen- und Innenpolitik der Bundesrepublik. Art. 116 definiert, wer Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist. Danach ist Deutscher, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
Diese Regelung hatte weitreichende Folgen für die Entwicklung der Bundesrepublik – und das bis zum heutigen Tag. Am 10. Oktober 1945 brachte die „NRZ“ auf der ersten Seite als Schlagzeile die offizielle Nachricht:
„4,5 Millionen Deutsche werden umgesiedelt – Beginn der Rückführung 15. Oktober 1945.“
Das war also fünf Tage später. – Was dies für die Menschen und unser Land bedeutete, lässt sich am ehesten aus einem Schreiben vom 10. Oktober 1945 entnehmen, das der damalige Landrat mit dem Zusatz „Sofort“ an die Bürgermeister der Städte im Kreis Mettmann richtete. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich:
„Betrifft: Unterbringung von Flüchtlingen. Es ist damit zu rechnen, dass in Kürze etwa 15.000 Flüchtlinge im hiesigen Kreis untergebracht werden müssen. Zu diesem Zweck sind alle verfügbaren Räume – wie Wirtschaftssäle, geeignete unbenutzte Fabrikräume, leerstehende historische Bauten, Baracken und sonstige Unterkünfte – für die Unterbringung heranzuziehen. Es müssen alle Vorbereitungen getroffen werden, um die sofortige Durchführung der Maßnahmen zu ermöglichen.“
Dieses Zitat gibt einen Eindruck von den enormen Anstrengungen, aber auch von den Schwierigkeiten, die auf den verschiedenen Ebenen bundesweit existierten, um Vertriebenen und Flüchtlingen nicht nur eine Unterkunft, sondern auch wieder eine Heimat zu geben; denn dass es mit der Beschaffung einer Unterkunft allein nicht getan war, muss ich hier an dieser Stelle nicht weiter vertiefen.
In diesem Jahr blicken wir auf 60 Jahre Bundesvertriebenengesetz zurück – 60 Jahre, in denen wir in einem gemeinsamen, gesellschaftlich getragenen Kraftakt die Integration von Vertriebenen, Aussiedlern und Flüchtlingen erfolgreich auf den Weg gebracht haben. Das ist auch der Punkt, an dem wir den Ausführungen Ihres Antrags folgen können.
Ich selbst habe nicht erfahren müssen, was es heißt, Heimatvertriebene zu sein und alles, was mir lieb und teuer ist, zurücklassen zu müssen. Diese Gefühle von Hunger und Not, Angst und Unsicherheit habe nicht nur ich nicht kennengelernt, sondern auch viele meiner Generation nicht mehr. Wenn ich mir aber diese Situation übertragen auf mein Leben vorstelle – nämlich mit meinen Kindern unter unsäglichen und elenden Verhältnissen meine vertraute Umgebung verlassen zu müssen –, dann spüre und weiß ich, dass wir alles daransetzen müssen, einen Ausgleich zu schaffen und nachwachsenden Generationen dieses Schicksal zu ersparen. Hier sind wir auch als Gesetzgeber auf allen Ebenen gefordert.
Das Bundesvertriebenengesetz hat vor 60 Jahren die Grundlage für die aktive Beteiligung der deutschen Vertriebenen und ihrer Verbände am Wiederaufbau der Bundesrepublik geschaffen. Es gab Antwort auf drängende Fragen, half bei der Verteilung auf die Bundesländer und linderte die Wohnungsnot. Dabei – das wird auch aus Ihrem Antrag deutlich – hatte NRW immer eine entscheidende Führungsrolle. Dieser Verantwortung sind wir uns nach wie vor bei unserem politischen Handeln bewusst.
Heute aber, 60 Jahre später, sind auch neue Fragen zu beantworten. Erinnerungskultur lebt maßgeblich von den Erinnerungen derjenigen, die sich noch erinnern können, die eigene Bilder und Erfahrungen haben. Aber was wird aus der Erinnerungskultur, wenn sich niemand mehr aus eigenem Leben und eigener Erfahrung zurückerinnern kann? Das Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf als Deutsch-Osteuropäisches Forum leistet hier seit mehr als 50 Jahren eine hervorragende Arbeit, die in ihrer Bedeutung nicht hoch genug geschätzt werden kann. Die sie tragende Stiftung wurde seinerzeit unter SPD-Ministerpräsident Fritz Steinhoff im April 1957 gegründet. Sie trug zunächst den Namen „Haus des Deutschen Ostens“, der aber 1992 mit Billigung der von Johannes Rau geführten Landesregierung nach dem in Schlesien geborenen Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann umbenannt wurde.
Im Zeichen der Osterweiterung der Europäischen Union stellen sich nun neue Fragen und Herausforderungen hinsichtlich der Bewahrung und Pflege des gemeinsamen historischen und kulturellen Erbes. Und was wird, wenn die Einigung Europas weiter fortschreiten wird? Hier wie auch an anderer Stelle greift Ihr Antrag aus unserer Sicht zu kurz. Ich freue mich aber auf die Beratung und den Dialog in den Fachausschüssen. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich gerne zu.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Stamp das Wort.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal sage ich flapsig: Ich habe einen schlesischen Migrationshintergrund. – Eigentlich will ich aber zum Ausdruck bringen, dass ich selber in meiner Familie erlebt habe, dass meine Großeltern, aber auch meine Mutter und ihre Geschwister von den Kindheitserinnerungen, von Flucht und Vertreibung geprägt gewesen sind. Ich glaube, dass es wirklich wichtig ist, das Unrecht von Flucht und Vertreibung in Erinnerung zu halten. In dieser Hinsicht begrüßen wir als FDP auch den Antrag.
Ich will aber hinzufügen: Flucht und Vertreibung sind auch heute ein Unrecht, das weltweit Millionen Menschen erleiden. Ich hätte mich gefreut, wenn auch dieser Aspekt in diesem Antrag eine stärkere Resonanz gefunden hätte. Sie haben in der Argumentation darauf verwiesen, dass es einen ähnlichen Antrag von CDU und FDP im Bundestag gegeben hat. In ihm wurde diese Perspektive stärker herausgearbeitet.
Hier geht es jetzt in erster Linie um die Vertriebenenverbände – und hier in Nordrhein-Westfalen um das Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf. Ich möchte sagen, dass ich dankbar bin, dass die Vertriebenenverbände heute vor allem die europäische Aussöhnung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Wir haben neulich die Ausstellung zu bedeutenden Persönlichkeiten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gehabt. Wir haben – wie ich fand – eine sehr schöne Veranstaltung erlebt, bei der in den Redebeiträgen die Dimension der europäischen Versöhnung und Aussöhnung in den Mittelpunkt gestellt worden ist. Ich glaube, dass wir das pflegen müssen.
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir andere Phasen gehabt haben, als in den Vertriebenenverbänden noch Ende der 80er-Jahre Gebietsansprüche jenseits von Oder und Neiße gestellt worden sind, was bis heute bei einigen unserer osteuropäischen Nachbarn nachhaltig für Verunsicherung gesorgt hat. Das ist ein Punkt, mit dem wir sensibel umgehen müssen. Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob die sehr plakative Forderung, die Sie in Ihrem Antrag gestellt haben, dass bei jeder Reise der Landesregierung die Vertriebenenverbände mitreisen sollen, wenn es nach Osteuropa geht, wirklich der richtige Ansatz ist oder ob man nicht mit der notwendigen Sensibilität von Mal zu Mal entscheiden muss, was angemessen und richtig ist.
Ich gebe Ihnen dennoch völlig recht: Wir dürfen nicht vergessen, was die Vertriebenenverbände auch an Integrationsarbeit geleistet haben. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass meine Familienmitglieder mütterlicherseits einen gewissen Migrationshintergrund gehabt haben und hier Migranten gewesen sind. Sie haben viele der Schicksale, die wir von anderen Flüchtlingen kennen, selber vor Ort durchlebt, angefangen bei Diskriminierung in der Schulklasse als Flüchtlingskind, in der Ortsgemeinschaft, wo zunächst einmal sehr schräg geguckt wurde – das ist eben angesprochen worden – und man sich fragte: Wohin mit all diesen Flüchtlingen? Müssen jetzt, wo wir doch Wiederaufbauarbeit im Nachkriegsdeutschland zu leisten haben, auch noch diese Flüchtlinge kommen? – Das sind Diskussionen, die wir in sozial schwachen Gebieten mit anderen Flüchtlingen heute auch haben.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Insofern haben die Vertriebenenverbände bei dieser Integration einen wichtigen Beitrag geleistet, den wir weiter aufrechterhalten sollten. Wir sollten darüber hinaus an der Arbeit des Gerhart-Hauptmann-Hauses festhalten, wobei ich dazusagen möchte, dass der eine oder andere Modernisierungsschub sicherlich nicht verkehrt wäre.
Gerne würden wir auch wissen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wie genau Sie die Patenschaft mit den Siebenbürger Sachsen, die Sie ansprechen, die Nordrhein-Westfalen übernommen hat, mit Leben füllen wollen und wie Sie das konkret meinen. Das ist sicherlich eine interessante Diskussion, die man im Ausschuss führen kann. Insofern freuen wir uns auf die Beratung und danken herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Vizepräsident Daniel Düngel: Ich danke herzlich dem Kollegen Dr. Stamp. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Keymis. Bitte sehr.
Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Werner Jostmeier, wir haben den Antrag mit Interesse gelesen und werden der Überweisung zustimmen. Als jemand, der dem Kuratorium des Gerhart-Hauptmann-Hauses seit vielen Jahren angehört, weiß ich, wie wichtig die Arbeit dieses Hauses ist, insbesondere dadurch, dass sie heute sehr stark die europäischen Zusammenhänge betont und Wert darauf legt, dass wir alle versuchen, in einem gemeinsamen Europa friedlich miteinander zu leben.
Dabei ist natürlich auch wichtig, dass die Erinnerungen und die Traditionen im Blick behalten werden. Beides gehört zusammen, denn ohne Erinnerung und ohne ein Traditionsverständnis, mit dem man zugleich modern, zukunftsgewandt und vernünftig orientiert auftritt, ist die gemeinsame europäische Zukunft letztlich nicht gestaltbar. Das passiert dort, in, wie ich finde, in teils wirklich ausgezeichneter Weise. Deshalb sind 50 Jahre Gerhart-Hauptmann-Haus für meine Begriffe schon ein Grund zu feiern.
Diese Feier fand am 22. Juni statt und war erfolgreich. Es war eine würdige Veranstaltung. Ich selber konnte leider nicht dabei sein, habe mir aber sagen lassen, dass sowohl in den Reden als auch in den Gesprächen deutlich geworden ist, dass das Gerhart-Hauptmann-Haus schon ein Haus ist, das sich, Kollege Dr. Stamp, auf moderne Zeiten einstellt. Das ist nicht ganz einfach, vergegenwärtigt man sich, wie die Generation, die all das, was im Antrag beschrieben ist, erlebt hat, nach und nach ausstirbt.
Insofern ist das Thema interessant. Wir Grünen möchten noch einmal deutlich machen: Es kommt schon darauf an, dass man vor der Frage, wie enorm diese Leistungen waren, betrachtet, welche Leistungen wir heute eigentlich gesellschaftlich erbringen, wenn es um das Thema Einwanderung geht, um die Frage, wie wir Menschen integrieren, die als Flüchtlinge, als Notleidende zu uns kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir manchmal ein bisschen offener und toleranter miteinander diskutieren würden und entsprechende Lösungen fänden.
(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE] und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Ich erinnere beispielhaft an die immer wieder auftauchende Frage der Winterabschiebung von Flüchtlingen aus dem Balkan. Das sind alles Themen, bei denen man sich fragt, warum wir uns so schwer tun, während demgegenüber völlig zu Recht vom Kollegen Jostmeier betont wird, welche enorme Leistungen im 100.000er-Bereich an Integrationsarbeit in den Jahren geleistet wurde.
Um es deutlich zu sagen: Natürlich hatten diese Menschen, die von dort kamen, eine Art Migrationshintergrund. Mein Großvater fluchte auf Polnisch – er sprach Ostpreußisch, fluchte aber auf Polnisch. Meine Urgroßmutter – mütterlicherseits, um das hier aufzuklären – sprach fast mehr Polnisch als Deutsch, zumindest in ihrem Dorf.
Insofern ist das ein Punkt, über den man sich klar sein muss: Für diese Menschen war dies, als sie kamen, eine Fremde. Es ist durch die vielfältigen Bemühungen gelungen, aus der Fremde eine Heimat zu machen. Wenn uns das heute und aktuell mit den Menschen auch gelingt, die zu uns kommen, und wir das bei der Diskussion über diesen Antrag mit in das Portfolio einschweißen, kommen wir, glaube ich, einen ganz erheblichen Schritt weiter. Dafür werbe ich für uns gemeinsam. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Kollege Keymis. – Für die Fraktion der Piraten spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Herr Jostmeier, damit Sie mich wirklich nicht falsch verstehen, möchte ich Folgendes vorwegschicken: Vor Ihnen steht ein Beute-Rheinländer, ein ethnischer Mix aus Ober- und Niederschlesien, dessen Eltern – der Vater von 1909 und die Mutter von 1914 – das volle Programm mitgemacht haben: Weltkrieg I in der Kindheit und Weltkrieg II als Beteiligte, er als Unteroffizier bei der Artillerie im Afrikakorps und anschließend als amerikanischer und französischer Kriegsgefangener, sie als Krankenschwester in einem Kriegslazarett, beide als Heimatvertriebene, die sich nach dem Krieg in Köln kennengelernt haben. Köln hat sehr viele Schlesier aufgenommen.
Weiteres finden Sie auch im Grußwort unserer Fraktion zum Jubiläum des Gerhart-Hauptmann-Hauses.
Vor 60 Jahren wurde das Bundesvertriebenengesetz verabschiedet. Nachdem es in beiden Teilen Deutschlands gelungen ist, Vertriebene und Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren, ist es aber auch an der Zeit, das abzuwickeln und weltweite Solidarität mit Flüchtlingen und Heimatvertriebenen zu praktizieren. Wer es ernst mit der Universalität der Menschenrechte meint, muss sich von der Privilegierung deutschstämmiger Zuwanderer verabschieden. Heute ist Solidarität mit Vertriebenen und Flüchtlingen weltweit angesagt.
(Beifall von den PIRATEN)
Um in diesem Zusammenhang nur auf ein Detail einzugehen: Das Bundesvertriebenengesetz privilegiert Vertriebene deutscher Abstammung gegenüber anderen Einwanderern. Es kann unserer Ansicht nach nicht angehen, dass in Sachen Einbürgerung und Anerkennung von Berufsqualifikationen russische Spätaussiedler von Gesetzes wegen gegenüber Einwanderern aus demselben Land bevorzugt werden. Gleiches gilt übrigens auch bei den Rentenansprüchen. Diese diskriminierende Unterscheidung läuft unserem Verständnis einer offenen Einwanderungspolitik zuwider.
Mit der jüngst verabschiedeten Änderung des Vertriebenengesetzes will die Bundesregierung immerhin den Nachzug von Familienangehörigen von Spätaussiedlern mit Hilfe einer Härtefallregelung erleichtern. Das wurde auch nötig, weil die zuvor eingeführten Sprachvoraussetzungen viele Familienzusammenführungen schlicht verhindert haben. Doch von teils jahrelanger Trennung sind nicht nur Aussiedlerfamilien betroffen, ebenso müssen die Regelungen für alle anderen Zuwanderer gelockert werden. Aus unserer Sicht bedarf es dafür zwingend der Aufhebung des Sprachnachweises für Zuwanderer. Deutsch lernt man am besten in Deutschland.
Denn wir Piraten unterscheiden nicht zwischen Deutschstämmigen und Nichtdeutschstämmigen. Uns geht es allein um Menschen, die aus den verschiedensten Gründen bei uns leben wollen.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir wollen keine Ungleichbehandlungen aufgrund der Herkunft, sondern eine humane und liberale Einwanderungspolitik, die den reellen Lebensumständen der Menschen Rechnung trägt. Hier – und das sage ich ganz ohne Unterton – haben wir ein anderes Verständnis von Herkunftsstaatsangehörigkeit und der Ausrichtung eines modernen Einwanderungssystems als die CDU und mittlerweile auch Teile der FDP.
Es ist daher höchste Zeit, endlich die Integration des Bundesvertriebenengesetzes in das Aufenthaltsgesetz auf den Weg zu bringen und das alte Gesetz damit aufzuheben, im positiven Sinne.
Eine Bemerkung, liebe CDU, kann ich Ihnen leider auch nicht ersparen. Während Ihr Innenminister Friedrich auf dem Rücken der Roma aus Südosteuropa politischen Wahlkampfaktionismus betreibt, fällt es mir schwer, bei dem im Antrag geforderten Eintreten für die Belange der Vertriebenen nicht gleichzeitig besondere Sensibilität gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen wie den Roma einzufordern.
(Beifall von den PIRATEN)
Ebenso muss Schluss sein mit staatlichem Sponsoring für geschichtsrevisionistische Organisationen und Initiativen. Wer es wirklich mit dem europäischen Einigungsprozess ernst meint, muss auch hier den Vorrang auswärtiger Kulturpolitik sehen. Das Erinnern an Unrecht, das Menschen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg widerfahren ist, darf nicht dazu führen, historische Verantwortlichkeiten zu verwischen und die Schuld Nazideutschlands am Weltkrieg und seinen Folgen zu relativieren.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP] – Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht!)
Vor allem den Vertretern des Parteichristentums sei ein Blick nach Lampedusa und die Lektüre der Rede von Papst Franziskus empfohlen. Seine Botschaft: Verantwortung für das menschliche Drama der Migration tragen nicht nur die Politik oder die sozioökonomische Weltlage. Verantwortlich für die vielen Toten sind wir alle. Und diese Verantwortung können wir nicht weiter ignorieren. Die Anästhesie der Herzen, wie er die Gleichgültigkeit der Wohlstandsgesellschaft anprangerte, hindere uns Mitgefühl für Menschen in Not zu empfinden, weil jeder nur seinen Wohlstand, die bedeutungslose Seifenblase, in der wir alle lebten, verteidige.
Der vorliegende Antrag der CDU steht nach unserer Auffassung für eine ethnozentrische und deutschtümelnde Politik, die eigentlich schon längst aus der Zeit gefallen ist, und den Verdacht nährt, in Zeiten asymmetrischer Wählermobilisierung eine politisch vorgestrig orientierte Wählerklientel zu bedienen.
(Werner Jostmeier [CDU]: Jetzt liegen Sie aber völlig daneben!)
Wer wirklich Wert auf ethnische Zusammenhänge legt, dem sei gesagt, dass jüngste paläontologische Forschungen ergeben haben, dass wir Europäer noch vor 6.000 bis 8.000 Jahren dunkelhäutig waren. Wir sind nur mit der Zeit etwas blass geworden. Im Grunde sind wir alle Afrikaner. – Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuss zu. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Dr. Paul, wenn Sie bitte noch kurz zurückkommen. – Das ist nett. Der Kollege Dr. Stamp hat eine Kurzintervention angemeldet und hat dafür jetzt 90 Sekunden Zeit.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Herr Kollege Paul, ich muss sagen, dass ich es unredlich finde,
(Beifall von der FDP und der CDU)
was Sie dem Kollegen Jostmeier unterstellen. Ich habe in meiner Rede explizit darauf hingewiesen, dass mir die Stoßrichtung auch nicht ganz gefällt und dass wir bei der Beratung im Ausschuss die Dinge anders verabredet haben möchten. Aber dass Sie dem Kollegen Jostmeier eine Nähe zur Rechtsradikalität unterstellen, was Sie gerade mit den Wählergruppen angedeutet haben, gehört hier nicht hin. Das gibt dieser Antrag nicht her. Deswegen möchte ich ganz bewusst aus einer Partei, die mir der CDU im Wettbewerb steht, ihn hier in Schutz nehmen. Das ist wirklich nicht in Ordnung.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Herr Dr. Stamp, vielen Dank für Ihren Einwand. Sollte das bei Ihnen und bei Herrn Jostmeier so angekommen sein, seien Sie versichert: Es ist nicht so gemeint. Aber wir sind momentan ein wenig erregt über die Einlassungen Ihres Innenministers Friedrich. – Vielen Dank.
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende CDU-Antrag soll gleich an die Ausschüsse des Landtags überwiesen werden. Dies ist auch gut so, weil die Frage der Bewältigung von Flucht und Vertreibung infolge des Zweiten Weltkriegs eine differenzierte und ausführliche Beratung verdient.
Es ist sehr wohltuend zu lesen, dass die Antragsteller keinen Zweifel daran lassen, dass das Schicksal der Vertriebenen eine Folge der Politik des nationalsozialistischen Deutschlands war. Ich will gerne anerkennen, dass Deutschland auch auf Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes eine ganz erhebliche Integrationsleistung bewerkstelligt hat. Und wir sind uns hier im Landtag alle einig, dass das Gerhart-Hauptmann-Haus wertvolle Beiträge zur Aussöhnung mit unseren osteuropäischen und zentraleuropäischen Nachbarn geleistet hat.
Wenn man sich aber anschaut, welche Wellen auch das diesjährige Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover oder besser die revanchistische Rede des aus NRW stammenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft wieder geschlagen hat, dann darf man unterstellen, dass es auch in Zukunft noch viel Arbeit für das Gerhart-Hauptmann-Haus gibt.
Sie werden mir den Hinweis gestatten, dass Willy Brandt mit seinem Kniefall in Warschau am 7. Dezember 1970 insgesamt mehr für die Aussöhnung mit Polen und den Ländern Osteuropas getan hat, als er selbst damals hoffen konnte.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Landesregierung der Auffassung, dass sie Ihrem Antrag in weiten Teilen beipflichten kann. Dies gilt grundsätzlich für die Aussagen in den Abschnitten 1 und 2. Da Sie sich zum Glück nicht den gesamten Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Bundestagsfraktionen zu diesem Thema zu eigen machten, gilt dies auch für die konkreten Aussagen in Abschnitt 3 Ihres Antrages. Über einzelne Formulierungen kann man natürlich trefflich streiten.
Zu dem Forderungsteil kann ich für die Landesregierung sagen, dass die Punkte 1 bis 3 schon jetzt Grundlage für das Handeln der Landesregierung sind. So erhalten die bestehenden Landsmannschaften vor dem Hintergrund der Patenschaften des Landes NRW für die Landsmannschaft der Oberschlesier und für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Personalkostenzuschüsse des Landes. Am 18. Mai 2013 hat unsere Staatssekretärin für Integration Frau Zülfiye Kaykin auf dem diesjährigen Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl mit einem Bekenntnis zu unserer Partnerschaft die Herzen der Anwesenden erobert.
NRW nimmt die Verantwortung und die damit verbundenen Pflichten für die Kulturpflege der Vertriebenen sehr ernst. Mit der Neukonzeption der Erinnerungskultur für NRW sollen auch die Themen Flucht und Vertreibung verstärkt in einen Zusammenhang mit anderen zeithistorischen Phänomenen und in einen gesamteuropäischen Zusammenhang gestellt werden.
Bei der vierten Forderung haben wir jedoch erhebliche Vorbehalte. Die Entscheidung über die Zusammensetzung einer Delegation bei Auslandsreisen trifft jedes Mitglied der Landesregierung im Rahmen seiner Organisationshoheit selbst. Eine generelle Regelung ist hier aus unserer Sicht nicht angezeigt.
Erlauben Sie mir aber den Hinweis, dass unsere Zurückhaltung auch politische Gründe hat. Sie wissen, dass einzelne Funktionäre des Bundes der Vertriebenen auch noch in jüngster Vergangenheit mit ihren immer offensiv vertretenen Ansprüchen zu außenpolitischen Irritationen beigetragen haben. Das sind Konstellationen, die mir bei einer Delegationsreise dieser Landesregierung kaum vorstellbar sind. Ich sage Ihnen auch persönlich: Ich möchte Frau Steinbach nicht in einer Delegation für eine Reise nach Polen sehen.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Diese und andere Aspekte verdienen eine vertiefte Betrachtung in den Ausschüssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Ich teile Ihnen mit, dass die Landesregierung die Redezeit um 47 Sekunden überschritten hat. Theoretisch könnte noch einmal jemand reden, wenn noch jemand wollte. – Das ist allerdings nicht der Fall. Damit schließe ich die Beratungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3443 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Eine Welt und nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen auch noch an den Ausschuss für Kultur und Medien und an den Integrationsausschuss. Die abschließende Beratung und die Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dem so Folge leisten? – Jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Mir ist mitgeteilt worden, dass die Fraktionen sich zwischenzeitlich darauf verständigt haben, zu diesem Tagesordnungspunkt heute ihre Reden zu Protokoll (siehe Anlage 3) zu geben.
Wir kommen somit direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/3461, die mit Vorlage 16/958 beantragte Zustimmung zu geben. Wer möchte dem so Folge leisten? – Das sind die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die CDU-Fraktion. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Die Piraten und die FDP-Fraktion enthalten sich. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU-Fraktion angenommen und die Zustimmung zum Landesentwicklungsplan in der Vorlage 16/958 erteilt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
14 Gesetz zur Änderung sparkassenrechtlicher Vorschriften
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2652
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3523
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3462 –
Neudruck
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3525
Ich eröffne die Beratung und erteile der SPD-Fraktion in Form von Herrn Kollegen Börschel das Wort. Bitte sehr.
Martin Börschel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten, wie schon gehört, heute in zweiter Lesung das Gesetz zur Änderung sparkassenrechtlicher Vorschriften. Ich glaube, an dieser Stelle ist es in Ordnung, wenn man sich nur noch auf ein paar wesentliche Eckpunkte bezieht.
Im Dezember 2012 hatten wir – basierend auf einem Antrag von SPD und Grünen – eine lange Debatte zu diesem Thema. Wir hatten auch im Haushalts- und Finanzausschuss Debatten zu diesem Thema, und natürlich gab es eine umfangreiche Sachverständigenanhörung. Wir begrüßen den Gesetzentwurf der Landesregierung, der im Wesentlichen drei Kernpunkte enthält.
Erstens. Zum einen soll die Pflichtfusion der beiden Sparkassen- und Giroverbände in Nordrhein-Westfalen nicht zwangsweise exekutiert werden.
Zweitens. Die Lebensarbeitszeit bei Vorständen in Sparkassen soll an das normale Lebensarbeitszeitmodell im öffentlichen Dienst und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in anderen Arbeitsverhältnissen von 67 Jahren angepasst werden.
Drittens. Die Unterrepräsentanz von Frauen in Leitungsfunktionen soll mit nachhaltigen Maßnahmen reduziert werden.
Infolge der Sachverständigenanhörung hat sich eine Reihe weiterer kleinerer Änderungen ergeben, die wir mit einem Änderungsantrag aufgegriffen haben. Dazu ist im Haushalts- und Finanzausschuss das Notwendige gesagt worden. Die mit Mehrheit angenommene Beschlussempfehlung des Ausschusses legen wir Ihnen heute vor.
Da es sich in der Debatte angedeutet hat, möchte ich mich allerdings zumindest mit dem Entschließungsantrag der CDU noch ein wenig auseinandersetzen, weil das – mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen – doch schon an eine gewisse Schizophrenie grenzt.
Ich will zum einen noch einmal auf die Zwangsfusion der Sparkassen- und Giroverbände eingehen. Wenn man tatsächlich wie Sie der Auffassung ist, dass es jetzt keinen ausreichenden Grund gibt, sondern im Gegenteil die Situation sogar schlecht wäre, jetzt von den Sparkassen- und Giroverbänden zu verlangen, zwangsweise zu fusionieren, dann gehen Sie doch diese eigene Erkenntnis konsequent zu Ende und verzichten auf die Zwangsfusion! Sie sind doch diejenigen, die der Regierung immer vorwerfen, sie würde Zwangsbeglückung betreiben.
(Ralf Witzel [FDP]: Bei Privaten!)
An dieser Stelle tun Sie das – übrigens insbesondere die Kollege der FDP, die sagen: Wir wollen von oben etwas verordnen, was gegen den Willen der eigentlichen Träger der Sparkassen- und Giroverbände ist.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Herr Kollege Lindner, das ist ganz korrekt. Die Sparkassen sind nämlich keine landesunmittelbaren Anstalten, sondern gehören den Kommunen. Die Kommunen sind die Träger. Das wissen Sie vielleicht nicht ganz genau.
(Christian Lindner [FDP]: Ich rede zwar nicht so viel von den Sparkassen wie Sie, aber das weiß ich doch ganz genau!)
An dieser Stelle fragen wir uns ganz ernsthaft: Warum wollen wir denen eigentlich vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben? Da folgen wir voll dem Grundsatz der Subsidiarität. Es ist eigentlich traurig und schade, Herr Kollege Lindner, dass Sie das nicht so sehen.
Ich wollte mich aber der CDU widmen, die in seltener Inkonsequenz und Schizophrenie jetzt sagt: Ihr altes Gesetz war falsch, von den Sparkassen eine Fusion zum jetzigen Zeitpunkt zu verlangen. Aber anstatt das konsequent zu Ende zu denken, sagen Sie: Geben wir Ihnen einfach mehr Zeit und verlängern die Frist. – Mit Verlaub: Das können wir intellektuell nicht verarbeiten
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das glaube ich Ihnen!)
und können deswegen Ihren Entschließungsantrag nicht mittragen. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie gerne möchten – jedenfalls nicht so eine halbgare Angelegenheit.
Die Gründe, derentwegen man die Zwangsfusion jetzt nicht exekutiert, sind vielfach diskutiert worden. Ich will trotzdem die drei tragenden Elemente noch einmal schildern, weil das durchaus ein streitiger Teil in der Debatte ist.
Erstens. Es geht um den Grundsatz der Subsidiarität.
Zweitens. Es geht auch um das spezifische Gewicht der nordrhein-westfälischen Sparkassen auf Bundesebene. Es hat einfach keinen Sinn, uns vom Gewicht her noch hinter das Saarland zu katapultieren. Das würde aber passieren, wenn man dem folgt, was CDU, FDP und Piraten heute verlangen. Das kann keinen Sinn haben. Deswegen sind wir auch dagegen.
Drittens geht es auch darum, den nordrhein-westfälischen Steuerzahler über die Trägerkommunen dergestalt zu schaden, dass wir zugunsten aller anderen 15 Bundesländer den Haftungsverbund der Sparkassen antasten, um den uns Europa übrigens beneidet. Denn im Zuge der Debatten der Fiskalunion wird gerade erwartet, dass die einzelnen Säulen des Kreditgewerbes sich ein eigenes Sicherungssystem geben; die Sparkassen brauchen gar kein neues, weil sie es längst haben. Deswegen müssen wir für den Fall der Fälle dafür sorgen
(Ralf Witzel [FDP]: Wie viele Stützungsfälle gibt es denn?)
– Herr Kollege Witzel, dafür sind solche Sicherungssystem da –, dass unsere nordrhein-westfälischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler möglichst geschont und nicht zugunsten der anderen 15 Bundesländer belastet werden.
Der langen Rede kurzer Sinn: Wenn die CDU in ihrem Entschließungsantrag nun auch noch verlangt, dass wir den Public-Corporate-Governance-Kodex des Landes anwenden, haben Sie leider noch einmal bewiesen, dass Sie von der Trägerstruktur der Sparkassen nichts, aber auch wirklich gar nichts verstanden haben.
Wir wollen die Sparkassen-Frauen durch wirkliche Gleichstellungs- und Entwicklungspläne fördern. Aber den Corporate-Governance-Kodex des Landes anzuwenden, ist doch genau die falsche Geisteshaltung, die Sie wie auch die FDP immer wieder zum Tragen bringen. Die Sparkassen und auch die Sparkassen- und Giroverbände gehören nicht dem Land Nordrhein-Westfalen. Träger sind die Kommunen. Deswegen wäre es falsch, einen nicht anwendbaren Kodex hier überzustülpen. Einmal mehr zeigen Sie, dass Sie ein völlig anderes Sparkassensystem im Blick haben. Das wollen wir nicht. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Börschel. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Güler.
Serap Güler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sparkassen leben vom Vertrauen ihrer Kunden, aber auch von einem soliden ordnungspolitischen Umfeld. Deshalb gilt auch jetzt, was schon im Dezember 2012 gesagt wurde: Das geltende Sparkassengesetz, das die CDU-geführte Landesregierung 2008 in Kraft gesetzt hat, ist ein gutes Gesetz.
(Beifall von der CDU)
Das von CDU und FDP seinerzeit novellierte Gesetz erhielt ein Bekenntnis zum Drei-Säulen-System der deutschen Bankenlandschaft. Das war und ist richtig.
(Beifall von der CDU)
Unter anderem war hier vorgesehen, dass die beiden nordrhein-westfälischen Sparkassenverbände ihre mehrfach bekundete Absicht, zusammengehen zu wollen, durch eine öffentliche und unwiderrufliche Erklärung über das Verfahren untermauern. Die mit dem Zusammenschluss zu regelnden Modalitäten sollten den Verbänden selbst vorbehalten bleiben und wurden nicht vom Gesetzgeber vorgegeben.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf sieht inhaltlich vor, auf eine Fusion komplett zu verzichten und damit die Rechtslage von 1994 wiederherzustellen. Beide Sparkassenverbände haben sich gegen eine Vollfusion zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgesprochen. Gleichzeitig haben sie sich vertraglich dazu verpflichtet, künftig stärker zusammenzuarbeiten und zu kooperieren. Damit soll dem gesetzgeberischen Willen zur Effizienzsteigerung Rechnung getragen werden, und gleichzeitig sollen Nachteile, die durch eine Vollfusion entstehen können, vermieden werden.
Vor dem Hintergrund deutlicher veränderter Rahmenbedingungen für die Arbeit von Kreditinstituten, regulatorischer Unwägbarkeiten beim Zusammenschluss der Verbände sowie möglicherweise eintretender Nachteile für den Haftungsverbund in der Sparkassengruppe schlagen wir Ihnen vor, an der grundsätzlichen Vereinbarung zur Fusion der beiden Verbände festzuhalten. Allerdings wollen wir vor dem gerade skizzierten Hintergrund keine starre Frist zum Zusammenschluss mehr vorgeben.
Darüber hinaus soll durch den Gesetzentwurf die Förderung von Frauen gestärkt werden. Es ist unstrittig, dass Frauen in den Führungs- und Aufsichtsgremien der Sparkassen in Nordrhein-Westfalen nicht adäquat vertreten sind, obwohl Frauen im nordrhein-westfälischen Finanzsektor die Mitarbeiterschaft dominieren. Deshalb ist es das politische Ziel, den Anteil von Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen zu erhöhen. Dabei müssen Bund, Länder und Kommunen bei der Besetzung von Führungspositionen mit gutem Beispiel vorangehen.
Allerdings ist der von der Landesregierung im Gesetzentwurf vorgenommene Verweis auf das Landesgleichstellungsgesetz nicht zielführend. Schon heute finden verschiedene Paragrafen des LGG Anwendung auf die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen. Die Sparkassen haben bisher bereits durch eigene, ihren Aufgaben Rechnung tragende Regelungen zu gewährleisten, dass das Ziel der Gleichstellung von Frau und Mann in gleicher oder besserer Weise verwirklicht werden kann. Somit besteht bereits heute für die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen die Verpflichtung, die Vorgaben des LGG zu erfüllen bzw. zur Erfüllung eigene Regelungen vorzutragen.
Deshalb möchten wir, die CDU-Fraktion, an dieser Stelle noch einmal dafür plädieren, dass sie sich nicht an dem LGG orientieren, sondern dass sie sich an den von ihnen selbst vorgegebenen Public Corporate Governance Codex halten – worunter auch die Sparkassen fallen –, der vorschreibt, dass bis 2016 30 % der Führungsgremien mit Frauen besetzt werden. Das würde noch einmal verdeutlichen, dass sie ihre eigenen Vorhaben ernst nehmen. – Danke.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Güler. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt der Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inhaltlich kann ich Frau Güler eigentlich in vielen Punkten zustimmen. Nur, die Konsequenz, die die CDU-Fraktion in diesem Beratungsverfahren zieht, ist nicht ganz durchschaubar, um es vorsichtig auszudrücken.
Ursprünglich haben Sie einen Antrag vorgelegt, in dem stand, die Fusion solle verschoben werden – sie solle also nicht jetzt, sondern vielleicht etwas später stattfinden; das schreiben Sie auch heute wieder –, um dann im Haushaltsausschuss vorzutragen, man brauche das Gesetz gar nicht zu ändern, denn das sei alles schon richtig.
Die FDP-Fraktion argumentiert an der Stelle aus meiner Sicht richtig. Wir haben den Zustand, dass ein bestehendes Gesetz vorschreibt, dass es zu einer Fusion kommt. Deswegen verstehe ich nicht ganz, welche Logik hinter dieser Ziffer des CDU-Antrags steht. Wenn man die Fusion verschieben will, muss man auch das Gesetz ändern; also ist auch ein Gesetzgebungsverfahren erforderlich. Wir wollen uns aber an der Stelle nicht an Formalitäten aufhalten.
Ich möchte mich dem anschließen, was der Kollege Börschel gesagt hat. Ich möchte das nicht wiederholen, sondern auf zwei Aspekte eingehen. Die FDP tritt vehement für eine Fusion ein. Angesichts der Trägerstruktur muss man sich schon fragen, warum das Land die Kommunen da zwangsbeglücken muss. Sie werfen uns immer vor, wir würden allen vorschreiben, was sie zu tun haben.
Jetzt ist der Ritter Witzel derjenige, der den Kommunen erklärt, wie man Konsolidierung macht und wie eine Fusion funktioniert. Die Belehrung wird an Ihnen abprallen, und es wird genauso ausgehen wie mit den Aussagen Ihrer Sachverständigen in der Anhörung: Frau Bergermann musste auf Nachfrage erklären, sie habe von Herrn Gerlach einmal gehört, dass bei den Sparkassenverbänden 20 Millionen € einsparbar seien. Aber nachprüfen konnte sie es selbst nicht, und deswegen hat sie es einfach so wiedergegeben.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, wenn ich ganz kurz unterbrechen darf: Der Kollege Schittges von der CDU-Fraktion würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie die zulassen?
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Bitte schön, aber es ist schon spät, Kollegen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das.
Winfried Schittges (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh, dass Sie mir die Möglichkeit geben, eine Zwischenfrage zu stellen. Die Ministerpräsidentin hat vor einigen Monaten den Wunsch geäußert, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Versicherungen, die Provinzial Rheinland und die Westfälische, fusionieren.
Die Sparkassen sind sofort auf dem Plan erschienen und eifrig hinterher, diese Fusion zu betreiben. Aussage der „Rheinischen Post“: Da sind erhebliche Synergieeffekte zu erzielen, aber auch bei einer Fusion der Sparkassenverbände. – Können Sie diese Auffassung teilen?
(Zuruf von der SPD: Wie ist denn die Alternative bei der Provinzial?)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Schittges, weil wir im Ausschuss darüber diskutiert haben, vielleicht noch einmal dazu: Fusion ist nicht gleich Fusion. Das wird selbst Kollege Witzel zugeben.
Beispielsweise ergibt es einen Sinn – ich habe das Beispiel wortgleich im Ausschuss vorgetragen –, dass die beiden winzigen Fußballvereine DJK Borussia Byfang in Essen – kleiner Stadtteil mit 2.000 Einwohnern – und der SV Kupferdreh im Nachbarstadtteil fusioniert haben, denn sie sind sonst nicht mehr spielfähig. Aber aus dieser Fusion mit positiven Auswirkungen zu schließen, dass Bayern München und Borussia Dortmund in der Bundesliga fusionieren sollten, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar.
(Zurufe von den GRÜNEN und von der CDU)
Beides sind Fusionsvorgänge, aber der eine ist sinnvoll, und der andere ist – auf gut Deutsch gesagt – Schwachsinn. Herr Kollege Schittges, insofern sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
– Ja, ich weiß, Schwarz-Weiß Essen ist so klein; ich will aber nicht meinem Heimatverein irgendetwas ins Wort reden.
Aber zurück zum Thema. Was mir sehr wichtig ist: Die Kollegin Güler hat das Thema „Frauenförderung“ angesprochen. Dass künftig 30 % der Führungskräfte weiblichen Geschlechts sind, ist ein hervorragendes Ziel. Dem wollen wir uns gar nicht verschließen.
Aber uns geht es noch um etwas anderes, was sehr wichtig ist: Um auf diesem Weg voranzukommen, müssen die Sparkassen und die Sparkassenverbände – das haben sie zugesichert – bei Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, also in der Aufstiegsphase, wenn sich Frauen oftmals eine Familienzeit nehmen, dafür sorgen, dass sie die notwendigen formalen Voraussetzungen erwerben können. Frau Kollegin Güler hat nämlich zutreffend darauf hingewiesen, dass es nicht an der Intelligenz und auch nicht an der speziellen Masse innerhalb dieses Sektors liegt, dass Frauen unterrepräsentiert sind, sondern an strukturellen Mängeln innerhalb der Sparkassenlandschaft und innerhalb der Verbände, was von denen nicht einmal ansatzweise bestritten wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Insofern danke ich der Landesregierung, dass wir den Gesetzentwurf in dieser Form vorliegen haben. Ich will auch zugeben, das wird einer der schwierigsten Punkte bei der Umsetzung sein, weil wir sehr genau und unterjährig nachhalten müssen, ob die Sparkassenverbände und die Sparkassen ihre Versprechen auch einhalten.
Aber eine Möglichkeit haben die Parteien selbst an der Stelle: Gehen Sie doch mit gutem Beispiel voran, und schicken Sie in die Verwaltungsräte, die politisch besetzt werden – da könnten Sie eine gewisse Grußadresse an die kommunalen Vertreterinnen machen –, qualifizierte Frauen. Grüne und Sozialdemokratinnen machen das mittlerweile vor. Die Christdemokraten haben da einen erheblichen Nachholbedarf, wie ich feststelle, wenn ich mir die Gremienbesetzung der Verwaltungsräte der jeweiligen Sparkassen anschaue.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die grüne Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich bin jetzt nicht ganz gespannt, weil ich mir schon vorstellen kann, was kommen wird. Ich bin mir über die Zwangsbeglückungsrede von Herrn Witzel im Klaren. Sie wird uns aber nicht davon abhalten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann hören wir uns jetzt einmal an, was Kollege Witzel für die FDP-Fraktion zu erzählen hat. Bitte schön, Sie sind der nächste Redner.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sparkassen sind eine wichtige Säule unseres Finanzwesens und sollen deshalb auch weiterhin stabil bleiben.
(Martin Börschel [SPD]: Wenn Sie das sagen, kriegen sie Angst! Das aus Ihrem Munde!)
Die FDP-Landtagsfraktion steht bei Banken und Versicherungen zum Dreisäulensystem aus privaten, genossenschaftlichen und öffentlichen Anbietern. Das ist die Marktvielfalt, die wir für die Kunden wollen. Gerade auch die Sparkassen haben in der zurückliegenden Finanzmarktkrise einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung geleistet, der ausdrücklich anerkannt werden soll. Wir stellen ihn jedenfalls nicht infrage.
(Martin Börschel [SPD]: Mensch, was ist denn mit Ihnen los?)
Die Sparkassen sind wichtig für Mittelstandsfinanzierung und auch für die Versorgung in der ländlichen Fläche mit vielen Angeboten nahe beim Kunden. Deshalb müssen wir die Sparkassen stärken.
Was Rot-Grün vorgelegt hat, ist kein Gesetzentwurf zur Stärkung der Sparkassenlandschaft, sondern ein Sparkassenschwächungsgesetz.
(Martin Börschel [SPD]: Das sehen wir aber anders!)
Sie sorgen dafür, dass die ökonomisch sinnvolle Fusion nicht stattfindet. Sie zwingen den Sparkassen eine Frauenquote auf, und Sie sorgen zugleich mit den Änderungen bei der Besetzung von Verwaltungsräten dafür, dass dort neue Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Das ist kein moderner Gesetzentwurf; das ist die Rhetorik der Frauenquote der 80er-Jahre, die aus diesem Entwurf klingt.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Meine Güte! Meine Fresse! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Dann schauen Sie sich die Historie an. Johannes Rau hat schon 1994 versucht, eine Fusion zu erreichen. Deshalb haben Sie damals das Gesetz mit diesem Punkt geändert. Passiert ist nichts, weil es 20 Jahre lang keine klaren Vorgaben gab.
Der westfälische Sparkassenpräsident Gerlach wollte 2003 selbst Chef eines nordrhein-westfälischen fusionierten Verbandes werden. 2005 – Herr Kollege, das ist kein Gutachten der FDP, sondern von McKinsey, das der westfälische Sparkassenpräsident öffentlich vorgestellt hat – sollten 20 Millionen € gespart werden.
Im Jahr 2009 haben die rheinischen und die westfälischen Sparkassen eine unwiderrufliche öffentlich-rechtliche Vereinbarung abgeschlossen, dass diese Fusion bis zum Jahr 2012 erfolgt. Bis zum 31. Dezember 2012 passierte nichts.
Bei diesem Vollzugsdefizit haben wir eine Landesregierung und einen Finanzminister, die in dieser Situation und bis zum Termin, an dem er hätte tätig werden müssen, nichts machen. Sie wissen: Sie hatten kein Auswahlermessen, ob Sie tätig werden oder nicht. Insofern ist das ein ganz bemerkenswerter rechtsstaatlicher Vorgang, ein vorhandenes Gesetz, das Handlungsvornahmen von Ihnen vorsieht und verlangt, nicht zu vollziehen.
Dabei hatten Sie eine historische Chance, etwas für die Konsolidierung des öffentlich-rechtlichen Finanzwesens zu tun. Kollegen haben schon auf den Punkt hingewiesen: Mehrere Prozesse laufen bei uns parallel. Wir diskutieren nicht nur über die Sparkassen, sondern auch über Fusionen bei der LBS und bei der Provinzial. Das alles erleichtert, gute gemeinsame Lösungen zu finden und Standortfragen gemeinsam zu entscheiden. Denn jeder bekommt bei einem großen Paket an Gesprächen etwas ab. Diese Chance haben Sie vertan, Herr Finanzminister. Sie bestand darin, den Prozess zu moderieren, die Sparkassen quasi mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass die bedenklichen Punkte, die wir in der Diskussion ernstnehmen, so ausgeräumt werden, dass es auch hier eine breite Mehrheit für Schritte gibt, die Sie immer als sinnvoll benannt haben.
Wir haben in der Anhörung vernommen, wie die Genossenschaften ihre Verbandsfusion organisiert haben: Westfalen und Rheinprovinz – das umfasst mehr als nur Gebiete innerhalb der Landesgrenzen Nordrhein-Westfalens. Es hat dort gut geklappt und die Synergien gebracht. Wir haben das in Baden-Württemberg mit den früher selbstständigen Verbänden Baden und Württemberg gesehen. Auch das hat die erwarteten Effekte erbracht.
Deshalb, Herr Finanzminister, hätten Sie gemeinsam mit der Sparkassenfamilie und der S-Finanzgruppe einen Überzeugungsbeitrag für ein Klima „Ein Land, ein Verband – Stärkung des Finanzplatzes Nordrhein-Westfalen“ mit den Vorteilen leisten können, die sich daraus ergeben. Diese bundesweit einmalige Situation sollten wir in Nordrhein-Westfalen auflösen.
Wir wollen das Beste für die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen, sind davon überzeugt, dass die gesetzlichen Grundlagen, die FDP und CDU dafür 2008 geschaffen hatten, die beste Alternative darstellten, weil wir zu unseren Sparkassen stehen und auch in einem schwieriger werdenden Marktumfeld glauben: Alles, was die Sparkassen stärkt und das öffentliche Finanzwesen stabilisiert, ist von Vorteil, und es ist sinnvoll, dass man das macht. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige Zuschauer im Saal und natürlich zu Hause am Stream! Wir haben mehr oder weniger die klassische Situation der Ohnmacht der Opposition. Es ist egal, welche Argumente sie anbringt vor den Bestrebungen der von den regierungstragenden Fraktionen.
2005 bis 2010 hat die schwarz-gelbe Landesregierung eine Änderung des Sparkassengesetzes durchgeführt bzw. durchgezogen – damals allerdings mit einer unwiderruflichen Einverständniserklärung derjenigen Sparkassenverbände, von denen wir heute reden.
Heute haben wir die Situation, dass es unter der rot-grünen Landesregierung heißt: Kommando zurück! Dafür führt sie gute Gründe an, die von einer Sachverständigenanhörung in diesem Landtag getragen werden, die ich beim besten Willen angesichts der Argumentation in sui generis so nicht erwartet hätte. Denn immerhin 95 % der Sachverständigen waren Vertreter von Sparkassen und deren Verbänden, über die wir heute reden und deren Fusion vermieden werden soll. Von Expertise kann man da sicherlich reden, wenn man davon ausgehen darf, dass diese Sachverständigen selbstverständlich nur für ihre eigenen Interessen gesprochen haben. Von Objektivität keine Spur, definitiv nicht!
(Zuruf von Martin Börschel [SPD])
Jetzt könnte man natürlich sagen: Das macht aber nichts; denn es sind ja die Betroffenen. Der Kollege Börschel hat eben selbst in genau diesem Zusammenhang von Betroffenen gesprochen. Da möchte ich die nächsten Anhörungen sehen, in denen nicht mehr Sachverständige sitzen, sondern Betroffene. Und das mag sich dann durch alle sozialen …
(Martin Börschel [SPD]: Schließt sich das denn aus, Herr Kollege?)
– Ja, es ist so. Dann möchte ich Anhörungen sehen, in denen nur noch Betroffene sitzen; denn die sind – um es ganz klar zu sagen – garantiert die besten Experten für ihre eigenen Probleme und ihre eigenen Interessen.
(Beifall von den PIRATEN)
Dabei ist es egal, ob dies im Bereich Schule ist, egal, in welchem sozial- oder gesellschaftspolitischen Bereich sich das abspielt: Hier wird am heutigen Tag ganz klar das durchgeführt, was gerne die Regierungsparteien anderen Parteien, insbesondere den Oppositionsparteien, ganz besonders aber auch der FDP vorwerfen, nämlich Klientelpolitik.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Genau das ist es: Es ist Klientelpolitik zugunsten der Sparkassen. Nun sind wir als Piratenfraktion wahrscheinlich die Einzigen, die diesbezüglich unverdächtig sein können; denn als ich das letzte Mal in der letzten oder vorletzten HFA-Sitzung, als wir abschließend darüber beraten hatten, genau mit dem Argument kam, dass in diesem Landtag immerhin jeder fünfte Abgeordnete in einem Verwaltungsrat oder Aufsichtsrat der Sparkassen sitzt, Herr Mostofizadeh, gingen SPD- und Grünen-Abgeordnete quasi unter die Decke, und CDU- und FDP-Abgeordnete blieben völlig entspannt sitzen. Das hat mich doch sehr gewundert. Es fragt sich also: Kommen sie von dieser Klientelpolitik weg oder nicht? Führen sie nur Argumente an, um das zu begründen, was Ihre Politik in Richtung auf Ihre Interessenvertreter in den Sparkassen befördern soll? Und soll nicht möglicherweise die Verhinderung der Fusion selbstverständlich auch dafür sorgen, dass die zwei Verbände mit zwei Präsidenten oder Vorsitzenden bestehen bleiben? Soll nicht überhaupt dafür gesorgt werden, dass hier Pfründe gesichert werden? Da muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Gegen die Pfründesicherung und gegen derartige Politik treten wir als Piratenfraktion definitiv ein.
Was unseren eigenen Änderungsantrag angeht, ist im Prinzip vieles gesagt bzw. schon in den bisherigen Sitzungen hier im Plenum ausgeführt worden. Ich weise dabei ausdrücklich darauf hin, dass es uns hier um eine ganz klare Transparenzoffensive auch in diesem Bereich geht, nämlich der Offenlegung sämtlicher Bezüge von Vorständen und leitenden …
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das steht im Internet!)
– Ja, Herr Mostofizadeh, Sie hatten letztens auch schon hineingequatscht, und dann mussten Sie bzw. Herr Zimkeit letzten Endes vom Herrn Minister hinsichtlich des Vorwurfes der Ahnungslosigkeit korrigiert werden. Heute haben Sie der CDU Ahnungslosigkeit vorgeworfen. Es sind also alle ahnungslos. Was wir wissen: Es gibt Verflechtungen zwischen der Politik, wie sie auch hier im Saal vertreten ist, und Sparkassen in einem Maße, das vor dem Hintergrund von bezahlter Interessenvertretung durchaus Transparenz erfordert.
Wir möchten im Rahmen von barrierefreier Veröffentlichung ganz einfach wissen und die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes es wissen lassen, wo diese Verflechtungen sitzen, wie sie gestaltet sind, was es dafür – um es klar zu sagen – an Kohle gibt, damit die Bürgerinnen und Bürger auch wissen, wohin ihre Spargroschen fließen.
(Zuruf von der SPD)
Hinsichtlich des Antrags der CDU müssen wir leider sagen, dass wir uns enthalten werden.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schulz, die Redezeit.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Danke schön für den Hinweis. – Wir möchten nicht so unterschwellig an die Sache herangehen und diese Fusion erst nach Auflösung etwaiger oder angedachter politischer oder finanzmarktpolitischer Probleme sehen; denn das könnte am Sankt-Nimmerleins-Tag sein. Wir sind schon der Auffassung, dass das bestehende Gesetz umgesetzt werden sollte und keiner Änderung bedarf. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung erteile ich nun dem Finanzminister, Herrn Dr. Walter-Borjans, das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man nicht den Eindruck hätte, dass jedes Thema, egal, wie es gelagert ist, dazu benutzt wird, den politischen Klamauk zu suchen, dann könnte man um 19:49 Uhr durchaus auch einmal ein paar versöhnlichere Töne anschlagen und sagen: Am Anfang haben sowohl die, die das bisherige Sparkassengesetz verabschiedet haben, als auch die, die jetzt die Änderungen wollen, das Gleiche beabsichtigt. Es geht darum, Synergieeffekte zu heben. Es geht darum, Kosten zu sparen.
(Beifall von Ralf Witzel [FDP])
Die Frage ist am Ende nur: Ist der Weg, der seinerzeit gewählt worden ist, der richtige.
Ich glaube, wenn Sie in sich gehen und selbst anschauen, wie Sie nach Verabschiedung dieses Gesetzes verfahren sind, dann stellen Sie fest: Sie haben gezögert, und Sie sind auch jetzt an dem Punkt, dass im Augenblick nicht der richtige Zeitpunkt für eine Sparkassenfusion ist. Deswegen könnte man durchaus sagen: Wenn man doch gemeinsam weiß, dass man das richtige Ziel vor Augen hat und dass es natürlich darum geht, Synergien zu heben, dann sollte man sich jetzt überlegen, ob man nicht den Weg ändert. Warum unterstellen wir den Sparkassen eigentlich, dass sie mit aller Gewalt ineffizient sein wollen? Sie in der CDU haben doch gute Kontakte zum Präsidenten des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, der Ihnen sagen wird, wie die Situation ist.
Ich bin schon immer jemand gewesen, der gerne alles dazu beigetragen hat, den Bindestrich zwischen Nordrhein und Westfalen zu überbrücken. Wenn man sich aber die beiden Sparkassenverbände ansieht, erkennt man, dass eine Fusion nicht nur eine taktische Frage ist, weil man die Haftungsfrage damit verändert, sondern es ist auch eine Frage der Größe der Verbände.
Ich habe mir eben noch einmal die Bilanzsummen notiert. Sie haben davon gesprochen, dass schließlich in Baden-Württemberg auch eine Fusion stattgefunden hat. Die hat dazu geführt, dass die dort eine Bilanzsumme von gut 175 Milliarden € haben. Sie haben davon gesprochen, dass Hessen und Thüringen fusioniert haben; die haben jetzt 115 Milliarden € Bilanzsumme. Wenn man sich aber anguckt, wie es beim Rheinischen Sparkassen- und Giroverband aussieht, dann hat dieser Verband alleine 156 Milliarden € Bilanzsumme. Beim Sparkassenverband Westfalen-Lippe sind es 120 Milliarden €.
Sie wollen mit aller Gewalt einen Riesenmoloch in einem Umfang von 276 Milliarden € aufbauen, von dem wir wissen, dass er aus zwei Teilen besteht, die extrem unterschiedliche Strukturen aufweisen. Es gibt im Rheinland ganz andere Sparkassengrößen. Es gibt im Rheinland wirklich eine andere Sparkassenkultur als in Westfalen. Dieser Glaube, man fasst etwas zusammen, dann hat man Synergieeffekte und alles wird billiger, ist an dieser Stelle schlicht und ergreifend unbegründet.
Wenn sich zeigen sollte, dass aus wirtschaftlichen Erwägungen eine Fusion besser wäre, dann verbietet dieses Sparkassengesetz diese Fusion nicht. Es erzwingt sie nur nicht. Das ist der Unterschied.
Herr Schittges, Sie sprachen die Provinzial an. Es ging uns gar nicht darum, dass wir entscheiden, ob fusioniert werden muss oder nicht. Es ging nur um eines: Wenn in diesem Fall nicht fusioniert wird, drohte das, was jetzt von der FDP besonders hochgehalten wird, nämlich dass ein öffentlich-rechtlicher Teil des Finanzsektors gefährdet worden wäre.
(Unruhe)
Es geht darum, wie man sicherstellen kann, dass auch die Provinzial in Zukunft in öffentlich-rechtlicher Hand ist.
Herr Witzel, was das Auswahlermessen anging, so kann ich nur sagen, wir haben nicht am Ende des Jahres 2012 auf einmal die Idee gehabt, dass die Sparkassenverbände besser nicht fusionieren oder nicht zwangsfusionieren sollten. Das ganze Jahr 2012 über ist es auch mit den Verbänden diskutiert worden.
(Unruhe)
Es hat sich als besser erwiesen, darauf zu verzichten. Wir haben am Ende des Jahres gesagt, es wäre völliger Unsinn, jetzt eine Rechtsverordnung zu erlassen, wenn die Absicht des Gesetzgebers klar ist, dass das Gesetz geändert wird und die Verordnung anschließend wieder zurückholen muss. Dann auf eine Verordnung zu verzichten, ist auch nicht widerrechtlich.
(Unruhe)
Zu den anderen Punkten, die hier geregelt werden, etwa die Frauenquote: Herr Witzel, Sie haben schon im Haushalts- und Finanzausschuss für Aufsehen gesorgt, als Sie sagten, wenn es um so große Zahlen und so schwerwiegenden Entscheidungen geht, dann kann man nicht einfach sagen, wie viele Frauen in einem solchen Gremium sein sollten. Das würde ich mir wirklich noch einmal überlegen. Ich glaube, es gibt eine ganze Reihe von Beispielen dafür, dass der von Ihnen gehegte Zweifel widerlegt worden ist.
(Unruhe)
Ich glaube, wir haben eine gute Grundlage, auf der die Ziele erreicht werden können, die Sie selbst immer postuliert haben. Auf dieser Grundlage sollten wir weitermachen. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Walter-Borjans. – Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Beratung, und wir kommen zur Abstimmung.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/3523 ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Das ist die Piratenfraktion.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Eine Minderheit! – Weitere Zurufe von der SPD)
– Nein, es sind Teile der Piratenfraktion.
(Zurufe)
Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Teile der CDU.
(Unruhe und Zurufe)
Wer möchte sich enthalten? – Das sind Teile der Piratenfraktion und die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag, so wie gerade besprochen und festgestellt, abgelehnt.
(Unruhe)
Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/2652 ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/3462 – Neudruck –, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Die SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Teile der Piratenfraktion enthalten sich. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/2652 in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir stimmen schlussendlich über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/3525 ab. Wer stimmt dem Entschließungsantrag zu? –
(Zuruf von der SPD: Acht Mann!)
Die CDU-Fraktion stimmt zu. Wer stimmt gegen den Entschließungsantrag? – Die FDP-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die SPD und die Piraten. Enthält sich jemand? – Es gibt eine Enthaltung bei den Piraten. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
(Unruhe)
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
15 Gesetz über die Errichtung des Landesamtes für Finanzen und zur Änderung weiterer Gesetze
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2556
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3463
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3456
Für die SPD-Fraktion spricht zuerst Herr Kollege Hahnen.
Uli Hahnen (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will es wie vereinbart kurz machen. Wir haben mit dem neuen Landesamt für Finanzen eine Bündelung der Aufgaben des bisherigen Landesamtes für Personaleinsatzmanagement der Landeskasse in Düsseldorf und den Bereich des EPOS Kompetenz Centers. Die intensiven Diskussionen sind in den drei Ausschüssen geführt worden und müssen heute nicht unbedingt noch einmal wiederholt werden, zumal insbesondere die Fraktion der CDU nur recht spärlich vertreten ist.
(Zuruf von der CDU)
Auch die FDP ist nicht wirklich anwesend. Insofern will ich nur darauf hinweisen, dass die Anzahl der Landesoberbehörden unterm Strich gleich bleibt. Die Stellenzahl im Landeshaushalt erhöht sich nicht.
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen, die etwas verwirrend für mich, aber auch für die Kollegen meiner Fraktion war. Das ist das Abstimmungsverhalten bei den drei Runden. Ich muss zunächst den Piraten das Kompliment machen, Sie sind in allen drei Ausschüssen konsequent bei Ihrer Enthaltung geblieben.
Im Unterausschuss „Personal“ hat die FDP noch mit Nein votiert, die CDU hat sich enthalten. Im mitberatenden Innenausschuss hat sich die CDU dann teilweise enthalten und teilweise dagegen gestimmt. Die FDP ist zu einer Enthaltung umgeschwenkt. In der abschließenden Beratung des Haushalts- und Finanzausschusses haben dann CDU und FDP mit Nein gestimmt. Ich gehe davon aus, dass Sie in der Konsequenz heute zustimmen werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hahnen. – Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Jung das Wort.
Volker Jung (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es passt ins Bild dieser Landesregierung: Als das Statistische Landesamt vor wenigen Tagen die Beschäftigtenzahlen im öffentlichen Dienst bekannt gab, erhöhte sich die Beschäftigtenzahl des Landes NRW auf wundersame Weise um 1 %, obwohl diese Regierung immer wieder betont, im Haushalt gebe es keine strukturellen Spielräume, um die Beamten an der Gehaltsentwicklung teilhaben zu lassen.
Wie zynisch muss das für die vielen Beamten klingen, die jetzt mit einer Nullrunde leben müssen und die auch heute wieder draußen demonstriert haben.
(Zurufe von der SPD)
Statt die Personalausgaben strukturell zu verändern, flicken Sie einseitig zulasten einer bestimmten Personengruppe.
Auch mit Blick darauf wird klar: Ihr vorgelegter Gesetzentwurf zur Errichtung eines Landesamtes für Finanzen ist bloßes Flickwerk. Sicher: Im Vordergrund steht die Zusammenführung der ursprünglich fünf Landeskassen zu einer Landeskasse unter der Dienst- und Fachaufsicht des Finanzministeriums. Dagegen ist sicherlich nichts einzuwenden. Da stimmen wir Ihnen auch zu. Der Weg dahin, nämlich über die Auflösung des Landesamtes für Personaleinsatzmanagement, ist aus unserer Sicht aber falsch.
Meine Damen und Herren, das Personaleinsatzmanagement ist vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen wichtig, in allererster Linie für die Beschäftigten. Ein Arbeitgeber mit über 330.000 Beschäftigten und zusätzlich 114.000 Beschäftigen an den Hochschulen kann auf dieses Instrument nicht verzichten.
Es war richtig und wichtig, dass wir 2007 das Landesamt für Personaleinsatzmanagement gegründet haben. Nur dadurch konnte zum Beispiel das Projekt Schulverwaltungsassistenz angestoßen werden. Die Beschäftigten haben das sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig konnten Strukturen positiv verändert werden.
Es war ein Fehler der jetzigen Landesregierung, das Landesamt für Personaleinsatzmanagement aufzulösen. Es ist aber auch ein Fehler, sich den notwendigen Strukturveränderungen zu verweigern. Stattdessen schaffen Sie zusätzlich 2.000 Stellen im Landeshaushalt ohne Gegenfinanzierung.
(Beifall von Christian Möbius [CDU])
Dadurch kann die Landesregierung ihre Beamtinnen und Beamten nicht mehr angemessen bezahlen und begeht Wortbruch. Das vorhandene Personal muss angemessen bezahlt werden, und Strukturen müssen verändert werden. Daran führt aus unserer Sicht kein Weg vorbei.
Wir haben im Zuge der Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge gemacht. Dazu sind entsprechende Fachanträge in die parlamentarische Beratung eingespeist worden: Verwaltungsassistenten an Schulen und bei der Polizei, Veränderungen beim Arbeitsschutz, Einführung einer Demografiequote, Strukturveränderungen bei Portigon. Aber Sie verweigern sich nachhaltig.
Wie wichtig ein NRW-weites Personaleinsatzmanagement ist, zeigen auch die Probleme des Landesamtes für Besoldung und Versorgung. Wochenlang haben Tausende studentische und wissenschaftliche Mitarbeiter an den Universitäten auf ihr Gehalt gewartet. Aktuell sind es leider immer noch 1.500 Uni-Mitarbeiter. Ein flexibles Personaleinsatzmanagement hätte geholfen, Spitzen abzufangen und die Gehälter zügig auszuzahlen.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Zugleich werde ich in meinem Wahlkreis von vielen Pensionären angesprochen, die monatelang auf ihren Beihilfebescheid warten. Auch dieses Beispiel zeigt: Es gibt noch viel organisatorischen Handlungsbedarf.
Bevor Sie sich nicht unmissverständlich zu einem zentralen Personaleinsatzmanagement bekennen, können wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Unsere Positionen haben wir in dem Entschließungsantrag dargelegt.
Abschließend wage ich allerdings schon heute eine Prognose: Sie kommen früher oder später nicht um Strukturveränderungen beim Personal herum. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Jung, Sie haben jetzt zu einem Thema gesprochen, das vielleicht mit dem Landtag zu tun haben könnte, aber nicht mit dem Landesamt für Finanzen.
Ich will es an dieser Stelle relativ kurz machen. Wir werden dem Gesetzentwurf der Landesregierung zustimmen.
Alles, was Sie über PEM erzählt haben, ist unzutreffend. Sie haben PEM damals eingerichtet, um Stellen abzubauen. Unter anderem in der Finanzverwaltung haben Sie qualifizierte Leute für teures Geld nach Hause geschickt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt müssen wir die Probleme an der Stelle lösen.
Wir sind selbstverständlich – das hat der Minister im Ausschuss auch vorgetragen – an einer Weiterqualifizierung von Personal, um es auch an anderen Stellen einsetzen zu können, interessiert. Das hat aber alles nichts mit dem Thema zu tun, das hier auf dem Tisch liegt; das ist schlicht falsch.
Lieber Kollege Jung, wir werden das Thema sicherlich aufgreifen, wenn es nötig ist. Und wir werden dem Gesetzentwurf heute so zustimmen und die Entschließungsanträge, die vorgelegt wurden, ablehnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um den Spannungsbogen bei Herrn Hahnen und anderen nicht allzu sehr zu überdehnen: Wir werden das LaFin heute im Hohen Hause ablehnen. Es hat zwar einzelne vernünftige Ansätze, aber eben nicht nur. Viele wichtige Fragestellungen werden nicht in befriedigender Art und Weise geregelt.
Richtig ist – deshalb ist von uns auch nie kritisiert worden, dass an diesem Gesetz alles falsch sei –, dass man Landeskassen besser in einem Landesamt ansiedelt als in einer Bezirksregierung. Das ist für uns nachvollziehbar.
Ob man die Aufgabenstellungen von EPOS von einem LaFin wahrnehmen lassen muss, ist Geschmackssache. Das kann man auch anders organisieren. Es ist auch in den letzten Jahren anders organisiert worden. Wir müssen sowieso gucken, wie sich der Prozess EPOS, den ja alle Fraktionen mal angestoßen haben, weiterentwickelt. Wir wissen – bei ehrlicher Betrachtung – alle, dass es Umsetzungsprobleme gibt; die werden aus der Praxis gemeldet.
Wir müssen – deshalb haben wir im Parlament Arbeitsgruppen dafür eingerichtet – den Prozess also ohnehin weiter begleiten und gucken, welche Vor- und Nachteile es für den Haushaltsgesetzgeber mit sich bringt, wenn man immer stärker in Produkthaushalte einsteigt. Ob man dafür die Strukturen eines LaFin braucht, ist allerdings die Frage.
Herr Finanzminister, der wichtigste Punkt ist aber, dass Sie leider nicht konsequent das machen, was Ihnen der Landesrechnungshof vor zwei Tagen empfohlen hat, nämlich eine Strategie zu entwickeln, wie Sie die Personalausgaben in den Griff bekommen. Dann müssen Sie sich natürlich auch über die Strukturen Gedanken machen. Genau das wäre hier notwendig gewesen.
Wenn Sie noch Ergänzungswünsche zur Aufgabenstellung des Personaleinsatzmanagements gehabt hätten, hätten Sie das PEM ja gerne auch in Ihrem Sinne weiterentwickeln können. Dass Sie hier aber ohne Not die gesetzlichen Grundlagen auslaufen lassen – das Gesetz ist nun mal befristet gewesen, wie es bei Gesetzen üblich ist – und die Struktur nicht in der Form des Personaleinsatzmanagements – PEM – fortführen, das halten wir allerdings für falsch, gerade nach den dringenden Warnungen, die der Landesrechnungshof gegeben hat. Wir müssen die Personalkosten in den Griff bekommen. Das geht nur mit Strukturreformen, wenn man die Beschäftigten nicht überfordern will.
Genau dafür – es ist hier eben in Teilen falsch dargestellt worden – sind diese Modelle praktiziert worden, mit vielen positiven Begleiterscheinungen. Sie können in diesem Land viele dankbare Schulleiter antreffen, die sagen: Wenn sich das Land von bestimmten administrativen Aufgaben trennt oder sie zurückführt und dann Personal als Schulverwaltungsassistenten zur Verfügung stellt, damit gut ausgebildete, qualifizierte Lehrer nicht für einen Teil ihrer Stelle eine Schulbibliothek verwalten oder die Turnhalle in Schuss halten müssen, sondern voll ihrer pädagogischen Arbeit nachgehen können, dann ist das auch eine Frage von Effizienz, von sinnvollem Personaleinsatz und von qualifikationsadäquater Verwendung von Menschen, die entsprechend ausgebildet und im öffentlichen Dienst des Landes tätig sind.
Diese Strukturen des Personaleinsatzmanagements gefährden Sie völlig unnötig.
Der Auftrag des PEM hat auch ganz unterschiedliche Facetten umfasst, nicht nur sehr einseitig einzelne Aspekte, die die Koalitionsfraktionen eben genannt haben. Das PEM hatte selbstverständlich einen strukturkonsolidierenden Auftrag, diente aber sehr wohl auch der Weiter- und Nachqualifizierung. Diese Frage ist brandaktuell. Deshalb müssten wir das PEM stärken, anstatt es unterzuordnen. Als ein Zweig im LaFin umfasst es ja voraussichtlich weniger Kompetenz und Aufgabenbreite, als dies früher der Fall war.
Einer meiner Vorredner hat schon den aktuellen Fall der Portigon AG mit 2.600 Stellen angesprochen. Diese Gesellschaft hat in ihren eigenen operativen Festlegungen klare, radikale Abbaupfade zur Zurückführung des Personals verabredet. Das Land ist als 100%iger Eigentümer der Portigon AG trotzdem in der Verantwortung, für Kosten für Landesbankbeamte aufzukommen. Deshalb muss es sich frühzeitig einbringen und einmal überlegen: Welche Alternativen gibt es? Kann man nicht an anderer Stelle Neueinstellungen unterlassen, indem man dort Personal einsetzt, das ohnehin vorhanden ist und letzten Endes vom Land bezahlt wird? – Das sind auch zukünftig sinnvolle Aufgaben für ein Personaleinsatzmanagement.
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Ralf Witzel (FDP): Wir halten diese neue strukturelle Aufstellung deshalb für falsch.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piraten spricht der Kollege Stein.
Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich kurz fassen. Wichtig ist, dass wir ein internes Personaleinsatzmanagement haben. Ob es nun PEM heißt oder Landesamt für Finanzen, ist zweitrangig. Vielleicht sind wir auch noch nicht lange genug dabei, um diese historische Debatte hier abschließend bewerten zu können.
(Marc Herter [SPD]: Das ist aber eine richtige Bemerkung! Historische Debatte!)
– Genau! – Daher gebe ich die Empfehlung ab, dass wir uns hier erst mal enthalten, weil es eigentlich keine Rolle spielt, wie das Ganze heißt. Wichtig ist, dass es gemacht wird. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Walter-Borjans.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Witzel, Sie hätten es kurz machen und sagen können – auch nach dem, was Sie im Haushalts- und Finanzausschuss schon ausgeführt haben –: Das, was hier auf die Beine gestellt wird, ist eigentlich ganz vernünftig. – Man kann, wenn man Opposition ist, im Moment aber offenbar nicht zustimmen. Deswegen entscheiden Sie sich so, wie Sie sich entschieden haben.
Ich glaube, wir haben alle Gründe, warum aus dem LPEM das LaFin wird, aufgezeigt. Wir haben gesagt, dass vernünftige Dinge, die im LPEM enthalten waren, übernommen werden. Wir haben sogar in den Haushaltsverhandlungen für „Vorfahrt für Weiterbeschäftigung“ 20 zusätzliche Plätze geschaffen, mit denen wir sicherstellen können, dass Dienstunfähigkeit eben nicht in eine vorzeitige Pensionierung mündet, sondern eine neue Beschäftigung gefunden werden kann. Die guten Elemente sind enthalten. Die anderen Elemente, die nicht in eine oberste Landesverwaltung gehören, werden mit einbezogen.
Damit haben wir ein rundes Paket. Dem könnte man zustimmen. Wenn man das aus anderen Gründen nicht kann, muss man sich eben anders entscheiden. Ansonsten wäre ich dankbar, wenn Sie zustimmen würden. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Erstens stimmen wir über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2556 ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 16/3463, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer möchte dem zustimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die wenigen anwesenden Mitglieder von CDU und FDP.
(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Möbius [CDU]: Zählen Sie doch mal bei der SPD nach!)
Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis die Beschlussempfehlung angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Zweitens kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3456. Wer stimmt dem zu? – Sechs Vertreter der CDU.
(Christian Möbius [CDU]: Parteiische Präsidentin!)
Wer stimmt dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – FDP und Piraten. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag abgelehnt.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 15.
(Walter Kern [CDU]: Unverschämtheit!)
– Wenn es Beschwerden gibt, können Sie gerne gleich zu mir kommen.
(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!)
– Ich habe ja gesagt, dass Sie sich gerne bei mir persönlich beschweren können. Dann brauchen Sie Ihre Stimme nicht so anzustrengen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
16 Neuntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3469
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Müller-Witt das Wort.
Elisabeth Müller-Witt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es relativ kurz machen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Piraten ist eine durchaus nachvollziehbare Reaktion auf die in anderen Bundesländern lang geübte Praxis der Beschäftigung von Familienangehörigen durch Abgeordnete. So nicht in NRW.
Das ist aber nicht der Grund, weshalb wir heute dem Antrag der Piraten nicht zustimmen können und ihm auch im Hauptausschuss nicht zustimmen konnten. Vielmehr sind auch wir der Überzeugung, dass das Abgeordnetengesetz überarbeitet werden sollte, allerdings nicht nur im Hinblick auf die Verwendung der Mitarbeiterpauschale, sondern auch, um eine transparente und saubere Lösung für bezahlte Nebentätigkeiten von Abgeordneten zu normieren.
Deswegen haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen sowie mit den Fraktionen von CDU und FDP zur heutigen Beratung einen Entschließungsantrag vorgelegt. Mit diesem Entschließungsantrag soll der schon zwischen Hauptausschuss und Ältestenrat vereinbarte Beratungsprozess in puncto Nebentätigkeiten um die Verwendung der Mitarbeiterpauschale erweitert werden. Dabei sollen die Ergebnisse aus der im Januar dieses Jahres stattgefundenen Anhörung zum Nebentätigkeitsrecht neben dem in anderen Bundesländern bei der Beschäftigung von Familienangehörigen ausgelösten öffentlichen Diskurs in einen Gesetzentwurf einbezogen werden. Ziel ist es, ein Gesetz zu erhalten, welches für die notwendige Schärfung möglicher Ungenauigkeiten im bestehenden Gesetz sorgt.
In diesem Sinne wäre es zu begrüßen, wenn die Fraktion der Piraten sich diesem Entschließungsantrag anschließen würde, sodass ein Beschluss aller Fraktionen über alle Fraktionsgrenzen hinweg zustande käme. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Jostmeier.
Werner Jostmeier (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann den Ausführungen der Kollegin der SPD fast vollkommen zustimmen. Das, was die Piraten hier vorgelegt haben, ist in weiten Teilen wirklichkeitsfremd und praxisfremd. Sie fordern, bis zur vierten Generation nachzuschauen und die Tätigkeit solcher Familienangehörigen zu verbieten. Das ist nicht nachvollziehbar, solche Verwandtschaftsgrade sind kaum mehr festzustellen.
Wir stimmen dem gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU, SPD, Grünen und FDP zu und lehnen den Antrag der Piraten ab – in der Hoffnung, dass die Piraten ihren Antrag noch zurückziehen.
Ansonsten werden wir uns mit der Gesamtthematik hier wieder nach der Sommerpause gemeinsam beschäftigen. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir gewünscht, liebe Kolleginnen von der Piratenfraktion, dass der Gesetzentwurf zurückgezogen worden wäre. Dann müssten wir ihn heute nicht ablehnen.
In der Tat haben wir gesagt, wir gehen in einen gemeinsamen Prozess zu den Transparenzregeln und auch zu den Regeln der Beschäftigung der Mitarbeiterinnen. Sie haben dieses Parlament mit diesem Gesetzentwurf allerdings in ein falsches Licht gebracht, bei allen konstruktiven Debatten, die wir sonst darüber führen. Deswegen wäre es besser gewesen, Sie hätten Ihren Antrag zurückgezogen, vor allen Dingen auch deswegen, weil wir an anderer Stelle viel differenzierter über mögliche Regelungen reden wollen. Das werden wir dann abschließend bei der Neuregelung des Abgeordnetengesetzes tun. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion Herr Kollege Rasche.
Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Piraten haben versucht, mit ihrer Initiative ein Problem aus Bayern nach Nordrhein-Westfalen zu übertragen, das es hier überhaupt nicht gibt.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)
Okay, das ist Ihre Entscheidung.
Die anderen vier Fraktionen haben sich entschlossen, die Diskussionen um das Abgeordnetengesetz in Ruhe fortzuführen – bis in den September oder Oktober. Natürlich lassen wir in die Diskussionen auch die Ideen der Piraten einfließen. Wir werden dann in Ruhe entscheiden, was machbar ist und was nicht. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piraten Herr Kollege Marsching.
Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren – zu Hause, hier ist ja niemand mehr!
(Unruhe)
Eigentlich wollte ich noch etwas zu unserem Antrag sagen und verteidigend darlegen, warum unser Vorschlag richtig und wichtig ist. Ich rede aber doch lieber kurz über den Entschließungsantrag.
Ich schicke vorweg, dass ich meiner Fraktion empfehle, diesem Antrag zuzustimmen. Ich gehe nämlich davon aus, dass Sie unseren Gesetzentwurf ablehnen werden. Von daher machen wir das mit Pragmatismus. Wir wollen einer weiteren Ausarbeitung natürlich nicht im Wege stehen.
Sie schreiben in Ihrem Antrag:
„Die Fraktionen im … Landtag haben … einvernehmlich festgestellt, dass es einer Überarbeitung des Abgeordnetengesetzes in diesen beiden Punkten bedarf.“
Damit sind die Nebentätigkeiten und die Vetternwirtschaft gemeint.
Beim letzten Mal haben Sie hier größtenteils gesagt, es bestünde kein Handlungsbedarf, das alles treffe auf NRW nicht zu, die Regelungen oder Gesetze in NRW bereits weit genug. Deutschlandweit seien wir sogar vorbildlich. – Das bestreite ich auch gar nicht.
Jetzt aber wollen Sie beide Themen in einem großen Wurf abhandeln. Nur: Um zu werfen, muss man auch ausholen. Und genau das passiert nicht.
Im Januar war das Hearing zu den Nebeneinkünften, Anfang März haben wir uns getroffen und beschlossen, das Thema auf Referentenebene vorbereiten zu lassen. Am 15. April kam ein Fragenkatalog bei unserem Referenten an. Seitdem keine weitere Entwicklung!
Beim letzten Mal, Frau Beer, haben Sie gesagt: Wir reden schon längst über alle Dinge.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ganz genau!)
Aber bis zu unserem Gesetzentwurf war in dieser Runde überhaupt nicht die Rede von Beschäftigungsverhältnissen mit Verwandten. Daher freue ich mich umso mehr, zu hören, dass wir jetzt auch die Vetternwirtschaft in den Fokus nehmen. Unser Gesetzentwurf scheint das ja auf die Tagesordnung gebracht zu haben.
Aber ist das wirklich Thema in der Arbeitsgruppe? Zumindest bei unserem Referenten ist dazu noch nichts angekommen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wenn das alles so wichtig ist, dann hätten wir unseren Gesetzentwurf als Grundlage nehmen, weiter ausarbeiten und darüber diskutieren können, hätten also quasi mit dem Entwurf später den großen Wurf machen können.
Jetzt werden Sie sagen: Ihr habt doch darauf bestanden, dass das Thema nicht weiter im Ausschuss behandelt werden soll. Ihr habt doch auf Abstimmung gepocht. – Das stimmt auch. Wir wollten es abgestimmt haben.
(Marc Herter [SPD]: Ist es ja auch!)
Denn bei so wenigen Signalen, diesen Gesetzentwurf mit Ihnen gemeinsam weiterentwickeln zu können, und so wenig Bereitschaft zum Kompromiss wussten wir uns leider nicht anders zu helfen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wissen Sie nicht, was die Parlamentarische Geschäftsführerin Ihrer Fraktion tut?)
– Ich wüsste nicht, dass wir zu dem Thema auf Referentenebene, so wie es abgesprochen war, weitergearbeitet hätten, Frau Beer.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist falsch!)
Sie sagen in Ihrem Antrag: Lasst uns das nach der Sommerpause machen. – Soll heißen: nach der Bundestagswahl. Schade, dass immer alles auf diesen Termin hinauslaufen muss!
(Marc Herter [SPD]: So ein Quatsch!)
– Dann ist es Quatsch. Okay. Das soll jeder für sich selber beurteilen.
Ich freue mich auf jeden Fall auf die Beratungen in der Arbeitsgruppe und empfehle meiner Fraktion, wie gesagt, sowohl dem Gesetzentwurf als auch dem Antrag zuzustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. Herr Kollege Marsching, wenn Sie das Abgeordnetengesetz und den Bereich Amtsausstattung und Mitarbeiterbeschäftigung meinen, dann bitte ich Sie ganz herzlich, nicht von Vetternwirtschaft zu reden. Die kennt unser Abgeordnetengesetz nämlich nicht.
(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, traditionsgemäß und guten Gepflogenheiten folgend, äußert sich die Landesregierung nie zu Angelegenheiten des Abgeordnetengesetzes.
(Minister Ralf Jäger: Ich würde es aber gern tun!)
Deshalb ist die Redeliste an dieser Stelle erschöpft. Das bleibt auch so. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/3464, den Gesetzentwurf Drucksache 16/2897 abzulehnen. Wer möchte sich dieser Beschlussempfehlung anschließen? – Das sind die Fraktionen FDP, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen und der Gesetzentwurf abgelehnt.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/3469. Wer möchte dem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die antragstellenden Fraktionen von FDP, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und, wie im Redebeitrag angekündigt, die Piraten. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag einstimmig angenommen.
Ich schließe Tagesordnungspunkt 16 und rufe auf den Tagesordnungspunkt
17 Gesetz zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2722
Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/3465
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3532
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD Herrn Kollegen Körfges das Wort.
Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte es ebenso wie bei den vorangegangenen Tagesordnungspunkten gerne etwas kürzer gehalten, allerdings hält mich ein zwischenzeitlich vorgelegter Entschließungsantrag davon ab, mich auf die wesentlichen Fakten zu beschränken.
Bei dem Entschließungsantrag, der uns auf den Tisch geflattert ist, will ich an die altsprachliche Kompetenz des Innenministers von heute Morgen anschließen, der hier „Sallust: De coniuratione Catilinae“ bemüht hat, und kurz „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“ in den Saal werfen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde des großen Latinums insbesondere in den Oppositionsfraktionen: „Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen.“
Wenn man sich die wundersame Wandlung der CDU beim Thema „Stärkungspakt“ anschaut, dann kann einem angesichts dessen, was Sie heute als Entschließungsantrag vorgelegt haben, beinahe die Spucke wegbleiben. Wenn ich mich recht erinnere, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir im Zusammenhang mit dem Stärkungspakt, obwohl im Himmel bekanntlich mehr Freude über einen reuigen Sünder herrscht als über 99 Gerechte, Ihre tätige Mithilfe bis jetzt noch nicht erleben dürfen, geschweige denn tätige Reue über das, was Sie den Kommunen in der Vergangenheit zugemutet haben. Wer uns darüber belehren will, wie man mit den Folgen der Neuberechnung, die leider notwendig geworden ist, umzugehen hat, bis dato aber jede Form von konstruktiver Mitarbeit zum Thema „Stärkungspakt“ verweigert hat, der kann nicht allen Ernstes von uns verlangen, dass wir den Ansatz für erheblich erachten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich darf ganz ausdrücklich sagen: Ich finde es konstruktiv, dass die FDP beim Thema „Stärkungspakt“ intensiv mitgearbeitet hat – obwohl wir, was die Details angeht, an der einen oder anderen Stelle durchaus noch unterschiedliche Ansichten haben.
Ich will darauf hinweisen, dass wir als SPD-Fraktion hier in keiner Weise irgendeine Schuldzuweisung für die Neuberechnung vornehmen wollen. Das, was passiert ist, ist auch dem Verfahren geschuldet, das seinerzeit darauf basierte, allen anspruchsberechtigten Kommunen so schnell wie möglich Hilfe leisten zu wollen. An der Stelle ist es dann zu rechnerischen Fehlern in der Frage gekommen, wie groß das strukturelle Defizit tatsächlich ist. Aber egal, wer sie verursacht hat, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Menschen vor Ort haben Anspruch auf Gleichbehandlung. Deshalb stehen wir zu dem, was im Augenblick als Änderungsgesetz zum Stärkungspaktgesetz vor uns liegt.
Lassen Sie mich dazu eine Anmerkung machen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt von uns zu verlangen, hinzugehen und einfach pauschal alle Fristen zur Haushaltskonsolidierung zu verlängern, zeigt – ich sage Ihnen das einmal ganz deutlich – eines: Die CDU hat den Vorgang nicht verstanden.
Wir stehen insbesondere bei den Kommunen im Wort, die durch die Neuberechnung verloren haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben an der Stelle sicherlich einige Probleme, die Haushaltssanierungspläne anzupassen. Wir sind bei den betroffenen Kommunen im Wort, uns jeden einzelnen Fall genau anzusehen. Das Ministerium ist – Minister Jäger hat das mehrfach ausgeführt – allen Beteiligten gegenüber hinsichtlich der gleichen Behandlung aller Kommunen in unserem Lande – das gilt also auch gegenüber den Stärkungspaktkommunen – im Wort.
Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Papier nicht wert, auf dem er ausgedruckt ist. Wir haben da keinerlei Belehrungen nötig. Das Stärkungspaktgesetz ist gut; es wird durch die Änderung noch besser und gerechter. Insoweit bedanken wir uns bei allen, die uns dabei geholfen haben. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kuper.
André Kuper (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was haben Max Schautzer und die Landesregierung, was den Stärkungspakt angeht, gemeinsam? – Max Schautzer moderierte und konzipierte bis 2003 die Fernsehsendung „Pleiten, Pech und Pannen“. Braucht es noch mehr Erläuterungen? Schade, diese Sendung gibt es leider nicht mehr. Ansonsten wäre ich mir sicher, Herr Minister Jäger, dass Ihnen die Fernsehzuschauer mit diesem „Pleiten-Pech-und-Pannen-Stärkungspaktge-setz“ den schwarzen bzw. goldenen Raben für das größte Missgeschick verleihen würden. Bitte beachten Sie hier: Der schwarze Rabe mit der roten Socke auf grünem Grund.
(Beifall von der CDU)
Der Vorteil bestünde darin, dass Sie das Preisgeld gewinnen würden. Damit könnten Sie dem Finanzminister bzw. den Kommunen eine Freude machen.
Meine Damen und Herren, wer letzte Woche die Anhörung miterlebt hat, hat die deutlichen Worte der Sachverständigen dort gehört. Bereits vor Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 2011 machten die Opposition und die Kommunen darauf aufmerksam: Es gibt massive Fehler. Das wurde nicht beachtet. Direkt danach gab es wiederum Proteste und Schreiben. Die Reaktionen ließen lange auf sich warten. Die Hilfen für 2011 und 2012 wurden ausgezahlt.
Es wurden auf dieser Basis Haushaltssanierungspläne beraten und beschlossen. Zu Bürgern, Vereinen und der Wirtschaft wurde Vertrauen aufgebaut.
Erst im letzten Dezember haben Sie dann die neuen Zahlen veröffentlicht – und heute, ein halbes Jahr später, das Änderungsgesetz. Ein Desaster!
Mit dem Änderungsgesetz verlieren 26 Kommunen 67 Millionen €. 35 Kommunen haben zwei Jahre zu wenig Geld erhalten. Sie haben, wie wir gehört haben, teilweise die Steuern zu hoch angesetzt. Sie können sie heute nicht mehr senken. Alle Städte, die entsprechend betroffen sind, werden für Bürger und Wirtschaft unattraktiver.
Die Haushaltssanierungspläne dieser Kommunen sind Makulatur. Ratspolitik und Verwaltung verlieren damit ihre Glaubwürdigkeit. Deshalb brauchen die betroffenen Städte mehr Zeit.
Gerade vor dem Hintergrund, dass wir auch in der Anhörung den Hinweis bekommen haben, dass Kommunalaufsicht derzeit im Bereich der Haushaltssicherungskommunen und der Stärkungspaktkommunen mit unterschiedlichen Maßstäben arbeitet, brauchen wir eine entsprechende einheitliche landesweite Regelung.
Von daher sage ich ganz ehrlich: Diese Pannenserie ist peinlich. Wir sind sehr verwundert, welch geringen Qualitätsanspruch Sie jetzt im Gesetz dokumentieren. Sie sollten zumindest da die Panne zugeben und in der in diesem Änderungsgesetz enthaltenen Problembeschreibung nicht allein den Kommunen die Schuld zuschieben. Das ist definitiv nicht so; denn bei 14 Kommunen gibt es zahlenmäßig keine Änderungen. Neun werden trotzdem betroffen sein und weniger Geld bekommen.
Spätestens in der Anhörung ist Ihnen deutlich gesagt worden: Nicht nur die Kommunen haben Fehler gemacht, sondern auch das Land hat Fehler gemacht. Ich denke, diese Fehler sollten Sie einfach einmal zugeben.
(Beifall von der CDU)
Deshalb haben wir auch in Punkt 1 unseres Entschließungsantrages noch einmal betont: Es sollte nicht von der eigenen Verantwortung abgelenkt werden, indem man allein die Kommunen als die Schuldigen darstellt, sondern auch das Land sollte die Verantwortung übernehmen.
Unsere generellen Aussagen zu diesem Stärkungspakt kennen Sie. Ich will dazu zum Schluss nur noch drei bis vier Aspekte nennen: Wirkt nicht; fragwürdige Haushaltssicherungspläne, fehlender Ausgleich der natürlichen Wirkung des Gemeindefinanzierungsgesetzes im Stärkungspaktgesetz; Steuererhöhungen führen zu unattraktiven Städten in Nordrhein-Westfalen; der „Schwächungspakt“ – als solcher wirkt er für Empfängerkommunen – wird auch ein Schwächungspakt für die Zahlerkommunen werden. Von daher werden wir uns die Frage stellen, ob dieses, nämlich die Abundanzumlagenregelung, vielleicht die nächste verfassungswidrige Regelung dieser Landesregierung wird. Wir warten es ab, wir sind gespannt. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.
Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Kuper, Ihrer netten Aufzählung hätten Sie noch ein Weiteres beifügen sollen, und zwar das, was Sie alles in Ihrer Regierungsverantwortung unter Schwarz-Gelb den Kommunen in NRW zugemutet haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann würde auch deutlich werden, inwieweit Sie Anwalt der Kommunen gewesen sind oder inwieweit Sie die kommunalen Kassen genutzt haben, um in Ihrer Regierungszeit den Landeshaushalt zu sanieren.
Dass wir eine Korrektur am Stärkungspaktgesetz vornehmen, ist ärgerlich. Da spreche ich für alle Beteiligten. Dass diese Korrektur angesichts der gravierenden Fehler bei der Ermittlung der sogenannten strukturellen Lücke unumgänglich war, wissen wir.
Wir sind uns auch mit den kommunalen Spitzenverbänden einig, dass eine Hauptursache die damalige Einführung des NKF war. Zum Zweiten haben wir die hieraus von den Kommunen gemeldeten Daten zu sehen, und zum Drittens haben wir die Umrechnung zu berücksichtigen, die IT.NRW im Zusammenhang mit der Umsetzung auf die kameralen Zahlen vorgenommen hat. Es hat Buchungsfehler gegeben. Aufwendungen und Erträge wurden falsch zugeordnet, und zwar von beiden Seiten.
Herr Kuper, Sie waren in der Anhörung zumindest mental anwesend. Dort ist das von uns auch so vorgetragen worden. Wir haben in der Anhörung auch deutlich gemacht, dass die in der Problembeschreibung zum Gesetzesentwurf vorgenommene einseitige Schuldzuweisung insofern unzutreffend ist. Beide Seiten haben ihre Fehler gemacht!
Warum das so ist, Herr Kuper, blenden Sie völlig aus: weil der Landesgesetzgeber 2011 – gemeinsam mit der FDP – kurzfristig das Stärkungspaktgesetz auf den Weg bringen wollte. Selbstverständlich hätte man noch warten können, bis alle Zahlen belastbar sind. Dann wäre man aber nicht zu einem Gesetzgebungsverfahren im Jahre 2011 gekommen, sondern dann hätte man erst im Jahr 2012 verabschieden können. Und Sie wissen auch, was 2012 passiert ist: die Auflösung des Landtags. Möglicherweise hätten wir 2013 ein belastbares Gesetz mit einer entsprechenden Ermittlung der strukturellen Lücke gehabt. Aber das hätte den Kommunen nicht geholfen.
Dass die Änderungen gravierend sind, möchte ich an zwei Beispielen aufzeigen:
Beispiel 1, Wuppertal. – Wuppertal wird 10,9 Millionen € verlieren. Das entspricht einem Minus von 15 %.
Zweites Beispiel, ein positives Beispiel, Öhr-Erkenschwick.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Oer-Erken-schwick!)
– Sehen Sie es mir nach: Oer-Erkenschwick!
Statt 790.000 € erhalten sie dort nunmehr 3,7 Millionen €, was einem Plus von 370 % entspricht. Dass das Ergebnis für die negativ betroffenen Kommunen erheblich ist, will ich gar nicht bestreiten. Das wird sich ganz besonders bei der Entwicklung und Fortschreibung der Haushaltssanierungspläne zeigen.
Zu Ihrem netten Entschließungsantrag, Herr Kuper! Ich habe ihn gelesen. Mein erster Eindruck war: Der ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Minister Ralf Jäger: Jawohl!)
Wissen Sie, Herr Kuper, Sie machen Stimmung gegen die Stärkungspaktkommunen, erzählen, die könnten mit Geld nicht umgehen, leisteten sich teure Prestigeobjekte. Je nachdem, wo Sie gerade auftreten – zum Beispiel bei den sparsamen Westfalen – verkünden Sie, die sollten das jetzt bezahlen. – Das ist die Stimmung, die Sie verbreiten.
Sie haben deutlich gemacht, dass aus dem Landeshaushalt eigentlich gar kein Geld zur Finanzierung des Stärkungspakts bereitgestellt werden kann. So noch Ihr Fraktionsvorsitzender Laumann anlässlich der Vorstellung der Haushaltsanträge zum Haushalt 2013 Anfang dieses Jahres.
Nun soll der Konsolidierungszeitraum für die negativ betroffenen Gemeinden um zwei Jahre verlängert werden, und zwar für alle, ohne Ausnahme.
Herr Kuper, diesen Freibrief wollen wir ihnen nicht ausstellen. Ich will auch gerne ausführen, warum: Wenn der Konsolidierungszeitraum um zwei Jahre verlängert wird, bedeutet das auch, dass damit einhergehende Zahlungen notwendig sind, und zwar zulasten des Landeshaushaltes. Außerdem haben wir eine längere Befrachtung im Gemeindefinanzierungsgesetz und – Herr Kuper, das sollten Sie Ihren abundanten Gemeinden auch sagen – wir haben dann eine größere Einbeziehung zum Nachteil der abundanten Gemeinden durch Bereitstellung von Geldern im Zuge der Solidarumlage.
Das wollen wir nicht. Herr Kuper, Sie wissen genau, dass die Kommunalaufsicht nach dem Stärkungspaktgesetz die Möglichkeiten hat, im Einzelfall andere Regelungen zum Konsolidierungszeitraum zu treffen. Und, Herr Kuper, an dieser Einzelfallregelung werden wir festhalten, und zwar im Interesse aller NRW-Kommunen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Abruszat.
Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Stärkungspaktgesetz war und ist für die Freien Demokraten das Herzstück eines Neustarts bei der Kommunalfinanzierung der 400 Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Wir haben uns 2011 in der Zeit der Minderheitsregierung in diesem Hause ganz bewusst dieses Themas angenommen.
Der Geist des Stärkungspaktgesetzes ist nach wie vor richtig! Denn der Sinn und Zweck, warum wir das 2011 gemacht haben, war doch der, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass es zu dem Zeitpunkt erstmals Kommunen gab, die fürchten mussten, bestimmte Darlehen nicht mehr prolongiert zu bekommen.
Wir mussten ein Zeichen aus diesem Haus heraus setzen und unsere Verantwortung für die Zukunft der kommunalen Finanzen wahrnehmen. Das ist gemäß unserer Landesverfassung Aufgabe des Landes Nordrhein-Westfalen. Dieser Aufgabe sind wir als Freie Demokraten gemeinsam mit der Regierungskoalition in der letzten Wahlperiode gerecht geworden. Dazu steht die FDP-Fraktion auch heute noch, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Das, was wir hier und heute debattieren, ist etwas, was unter dem Begriff des sogenannten Zahlensalates die Runde gemacht hat. In der Tat – Herr Kollege Krüger hat es eben deutlich gemacht – ist es ein großes Ärgernis, dass es jetzt einige Kommunen gibt, die weniger Konsolidierungshilfe bekommen, als sie eigentlich erwartet haben. 26 von 61 Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die am Stärkungspakt teilnehmen, verlieren insgesamt 68 Millionen €. Das ist keine Petitesse.
Ich sage aber auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Für die FDP-Fraktion stellt sich nicht die Frage der Schuld: Waren es Zahlen der Kommunen? Waren es Zahlen von IT.NRW? Hat die Ministerialverwaltung oder haben die Kommunen selbst bestimmte Zahlen nicht richtig zusammengetragen? – Es ist müßig, das zu diskutieren. Das ist so, als würde ich ein Zebra fragen, ob es entweder ein weißes Tier mit schwarzen oder ein schwarzes mit weißen Streifen ist.
(Beifall von Christian Lindner [FDP])
Für uns steht der Geist dieses Stärkungspakts im Vordergrund. Wir haben es uns in der Vorbereitung dieser heutigen Plenardebatte, die zu diesem Thema leider erst abends um Viertel vor neun stattfindet, in der Fraktion nicht leicht gemacht. Wir werden uns als FDP-Fraktion bei der Abstimmung gleich enthalten, weil wir nach wie vor vom grundsätzlichen Geist dieses Stärkungspakts überzeugt sind, aber auch Bedenken haben – das möchte ich an dieser Stelle begründen –, dass die Zielrichtung des Stärkungspakts, die wir ausdrücklich für richtig halten, in Einzelfällen zu Verwerfungen führt, die in ihrer Konsequenz bei den Städten und Gemeinden die Haushaltskonsolidierung nicht nur erschweren, sondern vielleicht sogar unmöglich machen.
Da der geschätzte Kollege Krüger das Beispiel Wuppertal angesprochen hat, will ich das Beispiel auch noch einmal nennen. Ich denke, es gibt kaum eine Stadt von den Stärkungspaktkommunen, die so ambitioniert war wie die Stadt Wuppertal, die so aus dem Tal der Tränen gekommen und in den Stärkungspakt hineingegangen ist, die sich auf einen sehr schweren Weg der Konsolidierung gemacht hat. Wenn eine solche Kommune jetzt fast 11 Millionen € und damit über 15 % der Zuweisungen verliert, dann konterkariert das natürlich die Sparanstrengungen vor Ort, insbesondere die der ehrenamtlichen kommunalen Mandatsträger, meine Damen und Herren.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Deswegen wäre es ein Gebot der Klugheit gewesen, wenn die Landesregierung im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens einen Vorschlag gemacht hätte mit einer Abmilderungshilfe, um gerade diesen besonders betroffenen Kommunen gerecht zu werden. Da dies nicht der Fall ist, werden wir uns heute enthalten.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir werden das Thema „Stärkungspakt“ vermutlich, Herr Minister, in der kommenden Woche in der Öffentlichkeit noch breit diskutieren, möglicherweise ausgelöst durch etwaige Kabinettsentscheidungen, die Sie vorbereiten. Wir werden es auf jeden Fall – so denke ich – im September im Plenum haben und intensiv die Belange der kommunalen Finanzen im Blick nehmen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Stein.
Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer – ich sehe noch drei Menschen auf der Tribüne – zuhause im Stream, falls da noch jemand zuschaut. Wir haben es gehört, die Daten sind fehlerhaft. Im Nachhinein können wir das nicht mehr ändern. Das ist in der Tat sehr ärgerlich, wie Herr Krüger gesagt hat.
Wir haben vor einiger Zeit die Zahlen im Rahmen des NKF vonseiten des Innenministeriums zugespielt bekommen. Wir haben sie veröffentlicht und haben – zumindest von der Stadt Hamm – Feedback bekommen, und zwar dass die Zahlen massiv falsch sind. Teilweise sind in den Bilanzen dort Abweichungen von über 100 % an der Tagesordnung. – Also: Irgendetwas läuft da grundsätzlich nicht korrekt. Da sollten wir dringend am Qualitätsmanagement arbeiten.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Ich denke, wir sind alle einer Meinung, dass es sinnvoll ist, dass die Daten, die in irgendeiner Form zugespielt werden, korrekt sind. Deshalb muss da irgendetwas geschehen. Es ist nicht gut, wenn falsche Daten auftauchen.
Teilweise sind die Kommunen – weil Sie es gerade dazwischen gerufen haben, Herr Mostofizadeh – nicht selbst dafür verantwortlich. Sie melden teilweise die korrekten Daten, und dennoch schleichen sich Fehler ein.
Jetzt sind durch die Änderungen Kommunen negativ betroffen. Insofern sollte man sich die Frage stellen, ob man nicht den Konsolidierungszeitraum für diese betroffenen Kommunen verlängern sollte. Das wäre meiner Meinung nach nur fair, und in dem Sinne halte ich auch den CDU-Antrag für zustimmungsfähig. Wir haben im Ausschuss für Kommunalpolitik erwähnt, dass wir derselben Ansicht sind. In der Sache ist das richtig, auch unabhängig davon, welche Vergangenheit da eine Rolle spielt und wer verantwortlich für die kommunale Misere ist.
Wir leben ja schließlich im Jetzt und müssen schauen, welchen Stand wir jetzt haben, und wir müssen den Kommunen jetzt helfen.
Meine abschließende Empfehlung ist, dem CDU-Antrag in dem Sinne zuzustimmen. Beim Gesetzesänderungsentwurf empfehle ich Enthaltung, weil er für die negativ betroffenen Kommunen keine Streckung des Konsolidierungszeitraums vorsieht. – Vielen Dank.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kuper, Ihre Haltung in dieser Frage ist an Opportunismus nicht mehr zu überbieten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es war die schwarz-gelbe Landesregierung, die den kommunalen Kassen in nur fünf Jahren mit klebrigen Fingern über 3 Milliarden € entzogen hat. Sie war es, die es übrigens geschafft hat, in nur fünf Jahren dafür zu sorgen, dass sich die Kassenkredite der Kommunen in Nordrhein-Westfalen zwischen 2005 und 2010 von 10 auf 20 Milliarden € verdoppelt haben. Herr Kuper, das ist Ihr Werk!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Und sich heute hier hinzustellen und den Robin Hood, den Rächer der Enterbten, Witwen und Waisen und der Kommunen zu geben, das, Herr Kuper, ist Heuchelei; das ist bigott, um es deutlich zu sagen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Um noch etwas deutlich zu sagen: Max Schautzer hat nicht nur „Pleiten, Pech und Pannen“ moderiert, sondern meines Erachtens auch „Wunschkonzert“. Es ist ein Wunschkonzert, zu glauben, man könnte mal eben so eine Abmilderungshilfe leisten, die – grob geschätzt – über 60 Millionen € betragen würde. Herr Kuper, wo ist da eigentlich Ihr Finanzierungsvorschlag? Können wir den in den Haushaltsberatungen demnächst erwarten? An diesem Punkt werden wir Sie nageln. Da werden Sie Ihre Gegenfinanzierung offenlegen müssen.
Was ist die Ursache dieser Neuberechnung? – Zu Ihrer Erklärung – nach drei-, viermaliger Diskussion, nach mehreren Debatten –, Herr Kuper, fällt mir nur ein Satz ein, und der lautet: Herr, lass Hirn regnen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Da das nicht passieren wird und irgendwo die Geduld erschöpft ist, um das wiederum zu erklären, gilt, Herr Körfges: Acta argere, was soviel heißt wie „leeres Stroh dreschen“. – Einen schönen Abend noch.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Gleichwohl will ich Sie darauf hinweisen: Verunglimpfungen von Abgeordneten finde ich nicht passabel in diesem Haus.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Wir sind am Ende der Beratungen. Wird weiterhin das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratungen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2722. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 16/3465, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer möchte dem zustimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die CDU-Fraktion. Wer enthält sich? – Das sind die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis die Beschlussempfehlung angenommen und damit der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/3532. Wer stimmt dem zu? – Das ist die CDU. – Wer stimmt dagegen?
(Zuruf von den PIRATEN)
– Entschuldigung. Haben die Piraten auch zugestimmt? – Ich frage noch einmal die Zustimmung ab; ich habe in der Tat nur in die andere Richtung geschaut.
Wer stimmt dem Entschließungsantrag der CDU-Fraktion zu? – Das sind die CDU und Teile der Piraten. Wer stimmt dagegen? – FDP, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, andere Teile der Piraten. Wer enthält sich? – Der Rest der Piraten. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag Drucksache 16/3532 abgelehnt, und wir sind am Ende des Tagesordnungspunktes 17.
Wir kommen zu:
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3432
Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Inhalt des Antrages Drucksache 16/3432 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die im Hause vertretenen Fraktionen. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
19 Sicherstellung der Ausbildung von Pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und Assistenten (PTA)
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3445
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen auch hier zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3445 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die Beratung und Beschlussfassung soll dann nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses hier im Plenum erfolgen. Möchte sich jemand enthalten oder dagegen stimmen? – Beides nicht der Fall. Dann haben wir so beschlossen und überwiesen.
Ich rufe auf:
20 Arbeitsschutz effizient gestalten
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3446
Eine Debatte ist auch hier nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Antrages Drucksache 16/3446 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Federführung und mitberatend an den Haushalts- und Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk sowie an den Innenausschuss. Auch hier soll die Beratung und Beschlussfassung dann nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses hier im Plenum erfolgen. Jemand dagegen oder Enthaltungen? – Beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3455
Auch hier ist eine Beratung nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/3455. Wer möchte zustimmen? – FDP, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Piraten. Stimmt jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Ebenfalls nicht. Dann ist der Antrag einstimmig angenommen.
Wir kommen zu:
22 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 10
gemäß § 79 Abs. 2 GeschO
Sie haben vor sich liegen die Übersicht 10 gemäß § 79 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung Drucksache 16/3466. Die Übersicht 10 enthält acht Anträge, die vom Plenum nach § 79 Abs. 2 Buchstabe c an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht 10 abstimmen. Möchte jemand dagegen stimmen oder sich enthalten? – Beides nicht der Fall. Dann haben wir so verfahren. Die Abstimmungsergebnisse in der Übersicht 10 Drucksache 16/3466 sind einstimmig bestätigt worden.
Ich rufe auf:
Antrag
des Finanzministeriums
gem. § 64 Abs. 2 LHO
Vorlage 16/1023
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/3515
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen daher zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/3515, der beantragten Veräußerung zuzustimmen und darin einzuwilligen. Möchte sich jemand enthalten oder dagegen stimmen? – Enthaltungen bei der FDP und den Piraten. Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Wer stimmt zu? – Das sind CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die SPD. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis bei Enthaltung von FDP und Piraten sowie Zustimmung durch SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU haben wir der Beschlussempfehlung zugestimmt.
Ich rufe auf:
Mit der genannten Vorlage liegen Ihnen die Beschlüsse zu Petitionen vor. Wird das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 91 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass damit die Beschlüsse zu Petitionen in der Übersicht 16/12 bestätigt sind.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende der heutigen Sitzung.
Ich schließe die Sitzung und berufe das Plenum wieder für morgen, Donnerstag, den 11. Juli 2013, 10 Uhr, ein.
Ich wünsche noch einen angenehmen Abend, verweise auf das Fastenbrechen, das um 21:30 Uhr beginnt, und wünsche all denjenigen, die nicht daran teilnehmen, ansonsten einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 20:58 Uhr
_______________________________________
*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.
Namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2880 (TOP 3 – Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen)
|
|
|
Abstimmung |
||
|
|
Stimm- |
|||
1 |
Herr Abel |
GRÜNE |
X |
|
|
2 |
Herr Abruszat |
FDP |
|
X |
|
3 |
Herr Dr. Adelmann |
SPD |
X |
|
|
4 |
Herr Alda |
FDP |
|
X |
|
5 |
Frau Altenkamp |
SPD |
X |
|
|
6 |
Frau Andres |
SPD |
X |
|
|
7 |
Frau Asch |
GRÜNE |
X |
|
|
8 |
Herr Bas |
GRÜNE |
X |
|
|
9 |
Herr Bayer |
PIRATEN |
|
X |
|
10 |
Herr Becker, Andreas |
SPD |
X |
|
|
11 |
Herr Becker, Horst |
GRÜNE |
entschuldigt |
||
12 |
Frau Beer |
GRÜNE |
X |
|
|
13 |
Frau Dr. Beisheim |
GRÜNE |
X |
|
|
14 |
Herr Bell |
SPD |
X |
|
|
15 |
Frau Benninghaus |
SPD |
X |
|
|
16 |
Herr van den Berg |
SPD |
X |
|
|
17 |
Herr Dr. Berger |
CDU |
|
X |
|
18 |
Herr Berghahn |
SPD |
X |
|
|
19 |
Herr Dr. Bergmann |
CDU |
|
X |
|
20 |
Herr Beu |
GRÜNE |
X |
|
|
21 |
Herr Bialas |
SPD |
X |
|
|
22 |
Herr Biesenbach |
CDU |
|
X |
|
23 |
Frau Birkhahn |
CDU |
|
X |
|
24 |
Herr Bischoff |
SPD |
X |
|
|
25 |
Frau Blask |
SPD |
X |
|
|
26 |
Herr Börner |
SPD |
X |
|
|
27 |
Herr Börschel |
SPD |
X |
|
|
28 |
Freifrau von Boeselager |
CDU |
|
X |
|
29 |
Herr Bolte |
GRÜNE |
X |
|
|
30 |
Herr Bombis |
FDP |
|
X |
|
31 |
Herr Prof. Dr. Bovermann |
SPD |
X |
|
|
32 |
Frau Brand |
PIRATEN |
|
X |
|
33 |
Frau Brems |
GRÜNE |
X |
|
|
34 |
Herr Breuer |
SPD |
X |
|
|
35 |
Herr Brockes |
FDP |
|
X |
|
36 |
Frau Dr. Bunse |
CDU |
|
X |
|
37 |
Herr Burkert |
CDU |
|
X |
|
38 |
Herr Busen |
FDP |
|
X |
|
39 |
Herr Dahm |
SPD |
X |
|
|
40 |
Herr Deppe |
CDU |
|
X |
|
41 |
Frau van Dinther |
CDU |
|
X |
|
42 |
Frau Dmoch-Schweren |
SPD |
X |
|
|
43 |
Frau Doppmeier |
CDU |
|
X |
|
44 |
Herr Dr. Droste |
CDU |
|
X |
|
45 |
Herr Dudas |
SPD |
X |
|
|
46 |
Frau Düker |
GRÜNE |
X |
|
|
47 |
Herr Düngel |
PIRATEN |
|
X |
|
48 |
Herr Eiskirch |
SPD |
X |
|
|
49 |
Herr Ellerbrock |
FDP |
|
X |
|
50 |
Herr Engstfeld |
GRÜNE |
X |
|
|
51 |
Frau Fasse |
CDU |
|
X |
|
52 |
Herr Fehring |
CDU |
|
X |
|
53 |
Herr Feuß |
SPD |
X |
|
|
54 |
Herr Fortmeier |
SPD |
X |
|
|
55 |
Frau Freimuth |
FDP |
|
X |
|
56 |
Herr Fricke |
PIRATEN |
|
X |
|
57 |
Herr Ganzke |
SPD |
X |
|
|
58 |
Herr Garbrecht |
SPD |
X |
|
|
59 |
Herr Gatter |
SPD |
X |
|
|
60 |
Frau Gebauer |
FDP |
|
X |
|
61 |
Frau Gebhard |
SPD |
X |
|
|
62 |
Herr Geyer |
SPD |
X |
|
|
63 |
Frau Gödecke |
SPD |
X |
|
|
64 |
Herr Goldmann |
GRÜNE |
X |
|
|
65 |
Herr Golland |
CDU |
|
X |
|
66 |
Frau Grochowiak-Schmieding |
GRÜNE |
X |
|
|
67 |
Herr Große Brömer |
SPD |
X |
|
|
68 |
Herr von Grünberg |
SPD |
X |
|
|
69 |
Herr Grunendahl |
CDU |
|
X |
|
70 |
Frau Güler |
CDU |
|
X |
|
71 |
Herr Haardt |
CDU |
|
X |
|
72 |
Herr Dr. Hachen |
CDU |
|
X |
|
73 |
Frau Hack |
SPD |
X |
|
|
74 |
Herr Hafke |
FDP |
|
X |
|
75 |
Herr Hahnen |
SPD |
X |
|
|
76 |
Frau Hammelrath, Gabriele |
SPD |
X |
|
|
77 |
Frau Hammelrath, Helene |
SPD |
X |
|
|
78 |
Frau Hanses |
GRÜNE |
X |
|
|
79 |
Herr Hausmann |
CDU |
|
X |
|
80 |
Herr Hegemann |
CDU |
|
X |
|
81 |
Herr Heinrichs |
SPD |
X |
|
|
82 |
Frau Hendricks |
SPD |
X |
|
|
83 |
Herr Herrmann |
PIRATEN |
|
X |
|
84 |
Herr Herter |
SPD |
X |
|
|
85 |
Herr Hilser |
SPD |
X |
|
|
86 |
Herr Höne |
FDP |
|
X |
|
87 |
Herr Hovenjürgen |
CDU |
|
X |
|
88 |
Frau Howe |
SPD |
X |
|
|
89 |
Herr Hübner |
SPD |
X |
|
|
90 |
Herr Jäger |
SPD |
X |
|
|
91 |
Herr Jahl |
SPD |
X |
|
|
92 |
Frau Jansen |
SPD |
X |
|
|
93 |
Herr Jörg |
SPD |
X |
|
|
94 |
Herr Jostmeier |
CDU |
|
X |
|
95 |
Herr Jung |
CDU |
|
X |
|
96 |
Herr Kämmerling |
SPD |
X |
|
|
97 |
Herr Kaiser |
CDU |
|
X |
|
98 |
Herr Kamieth |
CDU |
|
X |
|
99 |
Herr Kerkhoff |
CDU |
|
X |
|
100 |
Herr Kern, Nicolaus |
PIRATEN |
|
X |
|
101 |
Herr Kern, Walter |
CDU |
|
X |
|
102 |
Herr Keymis |
GRÜNE |
X |
|
|
103 |
Frau Kieninger |
SPD |
X |
|
|
104 |
Herr Klocke |
GRÜNE |
X |
|
|
105 |
Frau Klöpper |
CDU |
|
X |
|
106 |
Herr Körfges |
SPD |
X |
|
|
107 |
Frau Kopp-Herr |
SPD |
X |
|
|
108 |
Frau Korte |
CDU |
|
X |
|
109 |
Herr Kossiski |
SPD |
X |
|
|
110 |
Frau Kraft |
SPD |
X |
|
|
111 |
Herr Kramer |
SPD |
X |
|
|
112 |
Herr Krick |
SPD |
X |
|
|
113 |
Herr Krückel |
CDU |
|
X |
|
114 |
Herr Krüger |
GRÜNE |
X |
|
|
115 |
Herr Kruse |
CDU |
|
X |
|
116 |
Herr Kufen |
CDU |
|
X |
|
117 |
Herr Kuper |
CDU |
|
X |
|
118 |
Herr Kutschaty |
SPD |
X |
|
|
119 |
Herr Lamla |
PIRATEN |
|
X |
|
120 |
Herr Laschet |
CDU |
|
X |
|
121 |
Herr Laumann |
CDU |
|
X |
|
122 |
Herr Lienenkämper |
CDU |
|
X |
|
123 |
Herr Lindner |
FDP |
|
X |
|
124 |
Herr Löcker |
SPD |
X |
|
|
125 |
Herr Lohn |
CDU |
|
X |
|
126 |
Frau Lück |
SPD |
X |
|
|
127 |
Frau Lüders |
SPD |
X |
|
|
128 |
Herr Lürbke |
FDP |
|
X |
|
129 |
Frau Lux |
SPD |
X |
|
|
130 |
Frau Maaßen |
GRÜNE |
X |
|
|
131 |
Herr Maelzer |
SPD |
X |
|
|
132 |
Herr Markert |
GRÜNE |
X |
|
|
133 |
Herr Marquardt |
SPD |
X |
|
|
134 |
Herr Marsching |
PIRATEN |
|
X |
|
135 |
Herr Meesters |
SPD |
X |
|
|
136 |
Frau Middendorf |
CDU |
|
X |
|
137 |
Frau Milz |
CDU |
|
X |
|
138 |
Herr Möbius |
CDU |
|
X |
|
139 |
Herr Moritz |
CDU |
|
X |
|
140 |
Herr Mostofizadeh |
GRÜNE |
X |
|
|
141 |
Herr Müller, Hans-Peter |
SPD |
X |
|
|
142 |
Herr Müller, Holger |
CDU |
|
X |
|
143 |
Frau Müller-Witt |
SPD |
X |
|
|
144 |
Herr Münchow |
SPD |
X |
|
|
145 |
Herr Münstermann |
SPD |
X |
|
|
146 |
Herr Nettelstroth |
CDU |
|
X |
|
147 |
Herr Neumann |
SPD |
X |
|
|
148 |
Herr Nückel |
FDP |
|
X |
|
149 |
Herr Olejak |
PIRATEN |
|
X |
|
150 |
Herr Dr. Optendrenk |
CDU |
|
X |
|
151 |
Herr Ortgies |
CDU |
|
X |
|
152 |
Herr Dr. Orth |
FDP |
|
X |
|
153 |
Herr Ott |
SPD |
X |
|
|
154 |
Herr Dr. Papke |
FDP |
|
X |
|
155 |
Herr Dr. Paul, Joachim |
PIRATEN |
|
X |
|
156 |
Frau Paul, Josefine |
GRÜNE |
X |
|
|
157 |
Frau Philipp |
SPD |
X |
|
|
158 |
Frau Pieper |
PIRATEN |
|
X |
|
159 |
Herr Post |
CDU |
|
X |
|
160 |
Herr Preuß |
CDU |
|
X |
|
161 |
Frau Preuß-Buchholz |
SPD |
entschuldigt |
||
162 |
Herr Priggen |
GRÜNE |
X |
|
|
163 |
Herr Rahe |
SPD |
X |
|
|
164 |
Herr Rasche |
FDP |
|
X |
|
165 |
Herr Rehbaum |
CDU |
|
X |
|
166 |
Herr Römer |
SPD |
X |
|
|
167 |
Herr Rohwedder |
PIRATEN |
|
X |
|
168 |
Herr Rüße |
GRÜNE |
X |
|
|
169 |
Frau Ruhkemper |
SPD |
X |
|
|
170 |
Frau Rydlewski |
PIRATEN |
|
X |
|
171 |
Frau Schäfer, Ute |
SPD |
X |
|
|
172 |
Frau Schäffer, Verena |
GRÜNE |
X |
|
|
173 |
Frau Scharrenbach |
CDU |
|
X |
|
174 |
Herr Schatz |
PIRATEN |
|
X |
|
175 |
Herr Scheffler |
SPD |
X |
|
|
176 |
Herr Schemmer |
CDU |
|
X |
|
177 |
Herr Schick |
CDU |
|
X |
|
178 |
Herr Schittges |
CDU |
|
X |
|
179 |
Herr Schlömer |
SPD |
X |
|
|
180 |
Herr Schmalenbach |
PIRATEN |
|
X |
|
181 |
Herr Schmeltzer |
SPD |
X |
|
|
182 |
Herr Schmitz, Hendrik |
CDU |
|
X |
|
183 |
Frau Schmitz, Ingola Stefanie |
FDP |
|
X |
|
184 |
Frau Schneckenburger |
GRÜNE |
X |
|
|
185 |
Herr Schneider, Guntram |
SPD |
X |
|
|
186 |
Herr Schneider, René |
SPD |
X |
|
|
187 |
Frau Schneider, Susanne |
FDP |
|
X |
|
188 |
Herr Schultheis |
SPD |
X |
|
|
189 |
Herr Schulz |
PIRATEN |
|
X |
|
190 |
Frau Schulze |
SPD |
X |
|
|
191 |
Frau Schulze Föcking |
CDU |
|
X |
|
192 |
Herr Schwerd |
PIRATEN |
|
X |
|
193 |
Herr Seel |
CDU |
|
X |
|
194 |
Frau Dr. Seidl |
GRÜNE |
X |
|
|
195 |
Herr Sieveke |
CDU |
|
X |
|
196 |
Herr Sommer |
PIRATEN |
|
X |
|
197 |
Frau Spanier-Oppermann |
SPD |
X |
|
|
198 |
Herr Spiecker |
CDU |
|
X |
|
199 |
Herr Dr. Stamp |
FDP |
|
X |
|
200 |
Herr Stein |
PIRATEN |
|
X |
|
201 |
Frau Steininger-Bludau |
SPD |
X |
|
|
202 |
Frau Steinmann |
SPD |
X |
|
|
203 |
Herr Prof. Dr.Dr. Sternberg |
CDU |
|
X |
|
204 |
Herr Stotko |
SPD |
X |
|
|
205 |
Frau Stotz |
SPD |
X |
|
|
206 |
Herr Sundermann |
SPD |
X |
|
|
207 |
Herr Tenhumberg |
CDU |
entschuldigt |
||
208 |
Herr Thiel |
SPD |
X |
|
|
209 |
Herr Töns |
SPD |
X |
|
|
210 |
Herr Tüttenberg |
SPD |
X |
|
|
211 |
Herr Ünal |
GRÜNE |
X |
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212 |
Herr Uhlenberg |
CDU |
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X |
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213 |
Frau Velte |
GRÜNE |
X |
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214 |
Herr Vogt, Alexander |
SPD |
X |
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215 |
Frau Vogt, Petra |
CDU |
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X |
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216 |
Frau Voigt-Küppers |
SPD |
X |
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217 |
Frau Voßeler |
CDU |
abwesend |
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218 |
Herr Voussem |
CDU |
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X |
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219 |
Frau Wagener |
SPD |
X |
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220 |
Frau Warden |
SPD |
X |
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221 |
Frau Watermann-Krass |
SPD |
X |
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222 |
Herr Weckmann |
SPD |
X |
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223 |
Herr Wedel |
FDP |
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X |
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224 |
Herr Wegner |
PIRATEN |
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X |
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225 |
Herr Weiß |
SPD |
X |
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226 |
Herr Weske |
SPD |
X |
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227 |
Herr Wirtz, Axel |
CDU |
entschuldigt |
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228 |
Herr Wirtz, Josef |
CDU |
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X |
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229 |
Herr Wittke |
CDU |
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X |
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230 |
Herr Witzel |
FDP |
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X |
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231 |
Herr Dr. Wolf, Ingo |
FDP |
entschuldigt |
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232 |
Herr Wolf, Sven |
SPD |
X |
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233 |
Herr Wüst |
CDU |
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X |
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234 |
Herr Yetim |
SPD |
X |
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235 |
Herr Yüksel |
SPD |
X |
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236 |
Frau Zentis |
GRÜNE |
X |
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237 |
Herr Zimkeit |
SPD |
X |
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Ergebnis |
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126 |
105 |
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100.000 Kinder müssen deutschlandweit nach Schätzungen von Experten damit leben, dass ein Elternteil inhaftiert ist. 100.000 junge Menschen, die oft faktisch zu mitbestraften Dritten werden. Sie müssen nicht nur mit dem Trennungsschmerz leben, sondern stehen vor der Gefahr, ausgegrenzt zu werden und soziale Bindungen zu verlieren. Für die Familien bedeutet dies eine besondere Stresssituation, die nicht selten dazu führt, dass Beziehungen und damit Familien zerrütten. Das EU-finanzierte Forschungsprojekt COPING stellte fest, dass 25 % solcher Kinder auffällig psychisch belastet sind.
Wieso diese Statistik? Sie zeigt, dass Handlungsbedarf besteht und wir uns fraktionsübergreifend gemeinsam der Verantwortung stellen müssen. Mit der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag sind wir uns darin einig, dass wir in einem ersten Schritt verlässliche Zahlen brauchen. Unverständlich ist insoweit, dass die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion erklärt hat, solche Daten brauche man nicht.
Dabei sind die Angebote für Kinder inhaftierter Elternteile in NRW evident unzureichend. Fakt ist: Nur in rund einem Viertel der 37 nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten existieren spezielle Projekte bzw. besondere Besuchskontingente. Oftmals durch einzelne Mitarbeiter oder externe Akteure initiiert. Hinzu kommen weitere zwei Angebote des Familienministeriums.
Bei rund 19.000 Haftplätzen und jährlich über 48.000 durchlaufenden Gefangenen viel zu wenig. Das müsste eigentlich jeder erkennen.
Hat diese Landesregierung ein Herz für Kinder nur in Regierungserklärungen oder auch im Regierungshandeln? Eine Landesregierung, die sich an dem Leitsatz „Kein Kind zurücklassen“ messen lassen will und muss.
Ich hoffe ja, und wir können am Ende alle hier im Parlament interfraktionelle Einigkeit darüber erzielen, dass diese Kinder landesweit die notwendige Unterstützung bei der Verwirklichung ihrer Rechte erhalten sollen. Dafür möchte ich die folgenden drei Punkte anführen:
Erstens. Es gilt, die in der UN-Kinderrechtskon-vention verbrieften Rechte in NRW wirksam umzusetzen. Welche wichtigen Impulse von solchen im Rang eines Bundesgesetzes stehenden völkerrechtlichen Verträgen ausgehen, zeigt die aktuelle Debatte um die Inklusion. Hier geht es um das Recht eines Kindes, mit seinen Eltern Umgang zu haben und den Schutz vor Diskriminierung. Artikel 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention definiert klar, dass das Kindeswohl grundsätzlich vorrangig zu berücksichtigen ist.
Zweitens. Wir reden hier und heute nicht über die Täter. Wir reden von Opfern. Kindern, die mit den Folgen leben müssen, dass ein Elternteil zum Täter wurde. Wie so oft hatte der Elternteil die Wahl. Die Kinder nicht! Sie müssen mit ausbaden, was ein Elternteil – zumeist die Väter – allein verursacht haben.
Und zuletzt ist die Stärkung der Rechte von Kindern Inhaftierter für alle Beteiligten ein Gewinn: für die Kinder, um soziale und psychische Stabilität wieder zu gewinnen, aber auch für die inhaftierten Elternteile, die im Sinne einer erfolgreichen Resozialisierung nach der Haft eine Perspektive, Kontakte und einen Rückkehrraum vermittelt erhalten.
Wir haben es in der Hand, dass diese Kinder nicht nur Rechte haben, sondern auch ihr Recht bekommen. Die Wahrung der Rechte der Kinder inhaftierter Elternteile darf künftig nicht mehr davon abhängig sein, in welcher Justizvollzugsanstalt das Elternteil untergebracht ist. Ziel muss ein landesweit vergleichbares Niveau sein. Wir brauchen einheitliche Standards bei Art und Umfang von Angeboten unter Berücksichtigung der jeweiligen Vollzugsform. Wir sollten gemeinsam an einer tragfähigen Lösung in NRW arbeiten. Dazu sind wir als FDP-Fraktion bereit und hoffen, dass Sie unser Angebot annehmen.
„Rechte minderjähriger Kinder inhaftierter Elternteile einheitlich in NRW gewährleisten“ – Das ist der Antrag, den Sie uns heute vorgelegt haben. Und trotz aller Wichtigkeit des Themas habe ich mich gefragt, ob hierfür heute eine Notwendigkeit besteht. Ich sage Ihnen auch warum: Die Landesregierung bereitet die Neuordnung des Strafvollzuges vor. Dabei wird es auch um Kinder von Häftlingen gehen. Ihr Wohl liegt uns am Herzen. Aber: Wir wollen eine Neuordnung des Strafvollzuges aus einem Guss. Sie betreiben dagegen nur Effekthascherei.
Für eine Pressemitteilung wärmen Sie Ihre Kleine Anfrage nach vier Monaten noch einmal auf. Dadurch wird sie aber nicht besser. Zielgerichtete parlamentarische Arbeit sieht aus meiner Sicht jedenfalls anders aus.
Dabei sind die Ausführungen im Antrag in großen Teilen gar nicht falsch. Wenn Vater oder Mutter ins Gefängnis müssen, ist das eine Last für deren Kinder. Das ist etwas, was man wahrscheinlich nur schwer nachfühlen kann. Diese Kinder werden gewissermaßen auch Opfer von Kriminalität. Wir müssen uns dieser Kinder im besonderen Maße annehmen, das ist völlig richtig.
Nur: Das steht doch überhaupt nicht infrage! In NRW gibt es bereits eine Vielzahl wirklich guter Projekte. Das geht auch aus der Antwort des Justizministeriums auf Ihre Kleine Anfrage hervor: In Bochum gibt es zum Beispiel das Projekt „Kinder in Familien mit Straffälligkeit“. Wir haben auch die Mutter-Kind-Einrichtung in Fröndenberg, die vom Familienministerium gefördert wird. Auch das Vater-Kind-Projekt in Bielefeld ist ein gutes Beispiel. Das Justizministerium hat 37 Projekte und Maßnahmen aufgelistet, die überall in NRW stattfinden und umgesetzt werden.
Und es gibt weitere Beispiele: In vielen Justizvollzugsanstalten gibt es besondere Räume für den Besuch von Kindern. Es besteht in bestimmten Fällen auch die Möglichkeit zu überwachungsfreien Langzeitbesuchen. Und die Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen, wird – unter bestimmten Voraussetzungen – nicht auf die Gesamtbesuchszeit angerechnet. Das ist alles bereits Realität. Das passiert schon in NRW!
Diese Projekte sind erfolgreich, weil sie am Bedarf ausgerichtet sind. Das kann man vor Ort am besten entscheiden – und nicht in Düsseldorf.
Es ist schon verwunderlich, dass die FDP-Fraktion hier fordert, was sie sonst anderen vorwirft: Gleichmacherei!
Sicher ist: Im Zentrum muss das Kindeswohl stehen, weil jedes Kind seine eigene Würde hat. Kinder sind keine bloße Verlängerung ihrer Eltern, sondern eigenständige Persönlichkeiten. Dem Rechnung zu tragen, ist keine Frage von flächendeckenden Regelungen.
Wenn Eltern inhaftiert werden, leiden Kinder nicht nur unter der Trennung von Vater oder Mutter. Hinzu kommt oftmals eine gesellschaftliche Stigmatisierung, mit all ihren negativen Folgen.
Welche Maßnahmen auch immer man ergreift: Das Leid, das ein Kind dadurch erfährt, wird man bestenfalls mildern können. Verhindern kann man es nicht. Schon gar nicht mit Ihrem Antrag. Entscheidend ist doch: Was hilft den Jungen und Mädchen, mit ihrer Situation zurechtzukommen? Die laufenden Initiativen und Projekte sind gut, weil sie genau diesen Ansatz verfolgen. Wir sollten sie nicht diskreditieren und so tun, als hätten wir Probleme bei der Einhaltung von Artikel 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention. Im Gegenteil: Wer sie liest und die Lage kennt, stellt fest: Da ist nichts offen!
Wir wollen den Strafvollzug in Gänze neu ordnen. Wir wollen nicht Stückwerk schaffen. Und wir wollen schon gar keine Anträge aufwärmen, nur um eine Pressemitteilung verschicken zu können. Wenn das Ihre Vorstellung von seriöser Oppositionsarbeit ist, machen Sie so weiter.
Wie auch immer: Effekthascherei hilft uns nicht weiter, wenn wir etwas für die betroffenen Kinder tun wollen.
Lassen Sie uns das Thema ernsthaft diskutieren – und zwar hoffentlich auf höherem Niveau, als dieser Antrag es tut.
Wir stimmen der Überweisung in den Ausschuss deshalb zu und freuen uns auf die Debatte.
Wie in vielen anderen Lebenssituationen sind die Kinder Leidtragende, wenn ein Elternteil inhaftiert wird. Es gilt, das Leben mit dem Rest der Familie weiterzuleben. Eindrücke wie die Festnahme, den Gerichtsprozess und die Verurteilung zu realisieren und zu verarbeiten. Die Auswirkungen auf das Leben des Kindes sind in der Regel gravierend.
Ein weiterer belastender Faktor ist die Verfassung der Eltern. Sowohl des inhaftierten Teils als auch desjenigen Elternteils, der nun auf sich alleine gestellt ist und sich neben den alltäglichen Pflichten auch noch starker emotionaler Belastung stellen muss. Nicht selten kommen wirtschaftliche Probleme hinzu, sodass die Kinder mit ihren Sorgen und Nöten keinen belastbaren Ansprechpartner haben. Faktisch werden sie zu mitbestraften Dritten.
Leicht ist solch eine Situation für alle Beteiligten nicht. Das Wohl minderjähriger Kinder liegt eindeutig im toten Winkel der Aufmerksamkeit, auch vonseiten der Politik. Nun sagt die FDP in ihrem Antrag, den wir heute beraten, dass Artikel 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention – Pflege regelmäßiger persönlicher Beziehungen und unmittelbarer Kontakt zu beiden Elternteilen – auch im Justizvollzug gilt. Einschränken muss man jedoch: sofern dieser Kontakt dem Kindswohl dient.
Wenn diese Grundvoraussetzung erfüllt ist, sehe ich nicht nur für die Kinder Vorteile, sondern auch für den inhaftierten Elternteil. Wer eine stabile Familienstruktur pflegt oder dieses erlernen kann, hat nach der Haftentlassung eine wesentlich bessere Chance auf Resozialisierung. Es gibt ein Zuhause, an das man zurückkehren kann, das man nicht aus den Augen verloren hat.
In diesem Zusammenhang sollten wir darüber nachdenken, wie sich die monatliche Mindestbesuchsdauer um ein Kontingent für Besuche minderjähriger Kinder erweitern lässt.
Der Antwort auf eine Kleine Anfrage vom März dieses Jahres war zu entnehmen, dass es derzeit an elf nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten Besuchsprogramme inner- und außerhalb des Vollzugs gibt, zum Teil in externer Trägerschaft.
Besonders erwähnen möchte ich das Projekt „Freiräume“, eine Vater-Kind-Gruppe im Strafvollzug in der geschlossenen JVA Bielefeld. Der Evangelische Gemeindedienst e. V. hat diese Initiative 2007 ins Leben gerufen. Einmal im Monat treffen sich dort Kinder zwischen fünf und 18 Jahren mit ihren Vätern zum gemeinsamen Spielen, Basteln, Kochen oder Geburtstagfeiern. In einer Fragebogenaktion gaben alle Kinder an, dass sie durch diese Gruppe besser mit der Inhaftierung des Vaters klarkamen, und die Mütter bestätigten das.
So weit, so gut. Leider ist Bielefeld nicht überall. Aber daran können wir arbeiten. Der Ruf der FDP nach vergleichbarem Niveau landesweit macht Sinn. Es ist eine Struktur vorhanden, aber sie sollte ausgebaut werden.
Es gibt viele kleine, einfache Dinge, die die Situation vereinfachen: der Ort der Haft sollte möglichst nahe am Wohnort des Kindes liegen – Besuche sollten regelmäßig stattfinden können in einer für Kinder und Jugendliche angemessenen Umgebung – mit passenden Besucherräumen. Schulische Belange dürfen nicht unter den Besuchen leiden.
Es gibt eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, die betroffenen Kinder zu schützen in einer Situation, in die sie unverschuldet hineingeraten sind. Das sollte uns – unabhängig von der UN-Kinderrechtskonvention – klar sein.
Ich hoffe im Sinne der Kinder, dass wir uns im Rechtsausschuss – federführend – sowie im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend auf einen Weg der Umsetzung verständigen können.
Inhaftierung und Strafvollzug stellen einen massiven Einschnitt in das Familienleben der Betroffenen dar. Wir alle wissen, Familien sind das Rückgrat der Gesellschaft und stellen für jeden einzelnen persönlichen Rückhalt dar. Und wenn wir Grüne von Familie sprechen, dann meinen wir den modernen Familienbegriff inklusive Patchwork- und Regenbogen-Familien sowie Wahlverwandtschaften. Da, wo generationsübergreifend Verantwortung füreinander übernommen wird, ist Familie. Und wenn Familie eines bedeutet, dann ist es, trotz aller Widrigkeiten an das Beste in jedem Menschen zu glauben. Diese Lebenssituation wird durch Inhaftierung und Strafvollzug jäh unterbrochen. Doch Kinder haben ein Recht auf Umgang mit ihren Eltern, sie möchten sich auf sie verlassen können und stolz auf ihre Eltern sein. Eltern möchten ein Vorbild sein, ihre Kinder auf dem Weg zur Selbstständigkeit begleiten und für ihre Kinder da sein. Dies ist unter den Bedingungen von Strafvollzug und Inhaftierung eine besondere Herausforderung. Wir in NRW sind auf einem guten Weg, damit dies zunehmend besser gelingen kann. Die Beschäftigten der Justiz engagieren sich täglich und sind motiviert.
Zahlreiche Projekte und spezialisierte Einrichtungen leisten einen wichtigen und wertvollen Beitrag. Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist NRW Modell und Vorbild. Sie gehen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus und reichen von speziell eingerichteten Besuchsräumen über Gruppenangebote bis hin zu Mutter-Kind-Einrichtungen in Fröndenberg. Seit fast 30 Jahren beschäftigen sich Politik, Wissenschaft und Gesellschaft mit Gender-Mainstreaming. Der Blick aus Geschlechterrollen auf die Dinge hat uns geprägt. Nun ist es an der Zeit, ein Family-Mainstreaming in der politischen und gesellschaftlichen Debatte zu etablieren.
Dieser Querschnittsgedanke des Family-Mainstreamings unterstützt das wichtigste Ziel des Strafvollzugs: die Resozialisierung der Inhaftierten und Strafgefangenen.
Die Motivation für die Kinder, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen, wächst dadurch zunehmend. Und auch die Kinder profitieren von diesem Gedanken, denn sie leiden besonders unter der Trennung von ihren Eltern, sie erleben Stigmatisierung und Scham und dürfen nicht zu mitbestraften Dritten werden.
Wenn wir diese Ziele gemeinsam tragen, ist es völlig unverständlich, dass die FDP im Bundestag den Antrag der grünen Fraktion zur Situation von Kindern, deren Eltern in Haft sind, gemeinsam mit der CDU abgelehnt hat. Die Begründung für die Ablehnung ist die schlechteste Ausrede, die ich seit Langem gehört habe. Allein die Länderzuständigkeit für den Strafvollzug finden wir sehr konstruiert. Sie wissen doch, dass sieben Bundesländer noch kein eigenes Strafvollzugsgesetz haben und deshalb das Bundesstrafvollzugsgesetz dort weiterhin allumfänglich gültig ist. Wir in NRW gehören zu diesen Bundesländern, und das nun ausgerechnet hier reinzubringen, ist doch unfassbar.
Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden ein hervorragendes Strafvollzugsgesetz bekommen, dessen Schwerpunkte ja bereits in den Leitlinien Strafvollzug verankert sind. Ein weiterer Grund, warum die Ablehnung der FDP-Bundestagsfraktion darüber hinaus auch noch eine schlechte Ausrede ist, ist, dass Kinderrechte, die in der UN-Kinderrechtskonvention verankert sind, von der Bundesregierung ratifiziert wurden und das hohe Gut „Wohl des Kindes“ im Sozialgesetzbuch VIII dort seine wichtigste Grundlage hat. Dass der Bund sich nicht mehr für Bildung zuständig erklärt hat, wissen wir, doch das Wohl des Kindes ist eine Aufgabe aller. Herausreden gilt nicht! Selbstverständlich stimmen wird der Überweisung zu!
Die Piratenfraktion unterstützt das von der Fraktion der FDP mit diesem Antrag eingebrachte Anliegen grundsätzlich.
Der kindgerechte Umgang mit beiden Elternteilen als für die persönliche und damit gesellschaftliche Grundausrichtung der Kinder elementare Grundlage. Dies sieht auch die UN-Kinderrechtskonvention. NRW tut gut daran, alles erdenklich Richtige und Wichtige unter gleichzeitiger Beachtung des Strafanspruchs des Staates zu tun.
Wir werden in den Beratungen im Ausschuss eine Konkretisierung unserer Vorstellungen einbringen und freuen uns auf konstruktive Beratungen.
Thomas Kutschaty, Justizminister:
Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, um mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der FDP dafür zu bedanken, dass sie in ihrem Antrag die Schwierigkeiten der Rechte minderjähriger Kinder von Inhaftierten dem Grunde nach so treffend beschrieben haben. Das zeigt, dass wir heute über ein sehr komplexes Thema sprechen. Kinder von Inhaftierten sind häufig die weiteren Leidtragenden der Straftaten ihrer Eltern. Und allein die Tatsache, dass wir das heute thematisieren, zeigt, dass wir versuchen, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Es ist im Verlauf dieser Debatte schon viel darüber gesprochen worden, was wir bereits unternehmen, um den Kindern und Familien zu helfen und diese zu unterstützen. Dies zeigt, dass es gerade nicht nur das individuelle Engagement Einzelner, sondern eine von der Landesregierung getragene bewusste Richtungsentscheidung ist, die jeweils in den 37 Justizvollzugsanstalten mit Leben gefüllt wird. Hier, meine Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, muss ich Ihnen klar in der These und der Schlussfolgerung widersprechen: Es sind nicht nur Einzelne, die sich engagieren, und es hängt nicht davon ab, in welcher Anstalt der Inhaftierte untergebracht ist, ob die Rechte der minderjährigen Kinder gewahrt werden.
Hier schießen Sie leider über das Ziel hinaus, und das wird auch ganz deutlich, wenn man Ihre Begründung durchliest. Denn Sie begründen Ihre These, dass die Angebote nur vom Angebot Einzelner abhängen, nicht einmal selbst. Wie auch? Zum Glück stimmt die These einfach nicht.
Bereits im Jugendstrafvollzugsgesetz ist in § 30 Abs. 2 festgelegt, dass wir den Kontakt zwischen inhaftiertem Elternteil und Kind besonders fördern wollen. Diese Besuche werden auch nicht auf die Regelbesuchszeit angerechnet, was für alle Beteiligten eine zusätzliche Motivation sein soll, den Kontakt zu halten. Im ebenfalls kürzlich verabschiedeten Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz haben wir in § 21 Abs. 1 festgelegt, dass Sicherungsverwahrten unbeaufsichtigte Langzeitbesuche zur Förderung der familiären Kontakte ermöglicht werden sollen.
Deswegen freue ich mich, dass Sie in Ihrem Antrag ausdrücklich das Angebot unterbreitet haben, am nunmehr anstehenden Strafvollzugsgesetz aktiv mitzuarbeiten. Dieses Angebot nehme ich gerne an. Ich will Ihnen an dieser Stelle kurz schildern, wie ich mir eine Neuregelung vorstellen könnte: Der Kontakt zu den minderjährigen Kindern sollte nicht auf das Besuchskontingent der oder des Inhaftierten angerechnet werden. Denkbar wäre zum Beispiel ein spezielles Besuchskontingent für die Kinder.
Daneben sollten wir allerdings unser Augenmerk auch auf die kindgerechte Ausgestaltung des Besuchs richten. Eine gesetzliche Regelung zur besonderen Förderung der Besuche von minderjährigen Kindern wird dazu beitragen, einer drohenden Entfremdung entgegenzuwirken und den Bedürfnissen der Kinder Rechnung zu tragen.
Bereits heute bieten viele Anstalten einen gesonderten Raum mit Spielmöglichkeiten für die Kinder an. Spielzeug gibt es ohnehin in allen Anstalten. In den geeigneten Fällen bieten wir auch unüberwachte Langzeitbesuche mit den Kindern und anderen Angehörigen an. Die Kolleginnen und Kollegen des Sozialdienstes und des psychologischen Dienstes bereiten bereits heute die Besuche in den erforderlichen Fällen vor und begleiten diese. Daneben binden sie, wenn nötig, die Jugendämter mit ein.
Dabei möchte ich in aller Deutlichkeit sagen, dass wir jetzt natürlich nicht die Hände in den Schoß legen und unsere Anstrengungen reduzieren dürfen. Wir werden an dieser Stelle immer weiterarbeiten und unsere Angebote anpassen müssen.
Ich freue mich, wenn Sie bei der Neuregelung des Strafvollzugsgesetzes aktiv mitwirken. Darin sind auch weitere, grundlegende und wichtige Fragen zu regeln.
Es besteht aber kein Bedarf für die gesonderten Erhebungen zur Anzahl und Lebenssituation der Kinder und ihrer inhaftierten Elternteile. Wir müssen vielmehr jedes Kind individuell unterstützen. Statistiken helfen hier nicht weiter. Hierfür haben wir eine verlässliche Grundstruktur geschaffen, die wir noch weiter ausbauen werden. Es sind
aber eben nicht nur Einzelne im Justizvollzug, die sich engagieren, und es hängt nicht davon ab, in welcher Anstalt der Inhaftierte untergebracht ist, ob die Rechte der minderjährigen Kinder gewahrt werden. Insofern liegt Ihr Antrag neben der Sache, aber immerhin zeigt er in die richtige Richtung. Lassen Sie uns in der Sache weiter im Gespräch bleiben, damit wir im Sinne der Kinder eine vernünftige Regelung schaffen. Denn gerade hier dürfen wir kein Kind zurücklassen!
In der heutigen Debatte geht es um die Zustimmung des Landtags zu einem Teilplan des Landesentwicklungsplans. Dieser Teilplan wurde im April 2012 herausgelöst und als Entwurf einer Rechtsverordnung von der Landesregierung zunächst in die öffentliche Anhörung und nun in aufgrund der Anhörung überarbeiteter Form ins Parlament eingebracht.
Was wird mit dem Teilplan „Großflächiger Einzelhandel“ erreicht? – Mit dem heute dem Landtag zur Zustimmung als Rechtsverordnung vorliegenden Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen (LEP NRW) – Sachlicher Teilplan „Großflächiger Einzelhandel“ – wird eine Rechtslücke in Nordrhein-Westfalen geschlossen, die seit dem Urteil des OVG Münster vom August 2009 über das Factory-Outlet-Center in Ochtrup besteht. Das OVG hatte den damaligen § 24 LEPro für nichtig erklärt und die Rechtswidrigkeit der von der schwarz-gelben Landesregierung erteilten Genehmigung festgestellt. Ende des Jahres 2011 lief der LEPro dann auch aus. Mit der heutigen Entscheidung wird also repariert, was unter schwarz-gelber Verantwortung kaputt gemacht wurde.
Die Zielrichtung des Landesentwicklungsplans ist klar: Es sollen die Innenstädte und örtlichen Zentren gestärkt werden.
Große Einzelhandelsvorhaben sollen zukünftig nur noch in zentralen Versorgungsbereichen – also in Innenstädten, Stadt- und Ortsteilzentren – ansiedeln.
Ausnahmen „auf der grünen Wiese“ dürfen in Nordrhein-Westfalen künftig nur noch unter strikten Auflagen genehmigt werden. Dazu gehört insbesondere eine Höchstgrenze von 10 % und maximal 2.500 m² Fläche für zentrenrelevante Sortimente.
Der Teilplan wird großflächigen Einzelhandel mit zentrenrelevanten Sortimenten oder Factory-Outlet-Center nicht verhindern. Im Gegenteil, er wird sie ermöglichen, aber eben in zentralen Versorgungsbereichen, die verkehrsmäßig angebunden sind und für die Versorgung der Bevölkerung eine zentrale Funktion haben.
Was wird mit dem Teilplan „Großflächiger Einzelhandel“ nicht angestrebt? – Der Teilplan verfolgt dagegen nicht das Ziel, im Einzelhandelssektor politisch zu steuern oder auch nur in den Wandel oder den Wettbewerb in der Einzelhandelsbranche einzugreifen. Dies ist übrigens auch nicht die Aufgabe der Landesplanung. Die Aufgabe ist eine raumordnerische, eine planerische, keine wettbewerbliche.
Es wird nicht in den Wettbewerb zwischen stationärem Einzelhandel und anderen Handelsformen, wie zum Beispiel dem Online-Handel, eingegriffen.
Es wird nicht in den Wettbewerb mit anderen Bundesländern oder dem benachbarten Ausland wie den Niederlanden oder Belgien eingegriffen.
Es wird nicht in den Wettbewerb zwischen dem stationären Handel in den Zentren und in den Stadtbezirken beziehungsweise an den Stadträndern eingegriffen.
Der neue Sachliche Teilplan Großflächiger Einzelhandel ist weder ein Verhinderungsplan noch ein „Marktzutrittsverhinderer“. Es geht ausschließlich um die wettbewerbsneutrale Verfolgung von Zielen der Stadtplanung.
Der LEP-Teilplan schafft also verbindliche Bedingungen für ihre Genehmigung und schafft damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Wer mit großflächigem Einzelhandel nicht in diese zentralen Versorgungsbereiche will, hat mit dem LEP-Teilplan nun Klarheit darüber, welche Bedingungen zu erfüllen sind, damit Standorte raumplanerisch dargestellt und festgesetzt werden können.
Eine pauschale Aussage zur Zulässigkeit einzelner Projekte ist mit dem neuen Teilplan nicht möglich. In jedem Einzelfall wird auch zukünftig in den dafür vorgesehenen Verfahren die Raumverträglichkeit zu überprüfen sein. Es geht dabei immer um die Beurteilung eines konkreten Projektes an einem konkreten Standort.
Dank an die Staatskanzlei und an die mit dem LEP-Teilplan befasste Abteilung für Raumordnung und Landesplanung. Ihr ist es nicht nur gelungen, die Beteiligung der Öffentlichkeit ordentlich zu organisieren, Stellungnahmen auszuwerten und abzuwägen, sondern zugleich auch das Parlament über den federführenden Wirtschaftsausschuss regelmäßig zu informieren und zu beteiligen. So konnte es gelingen, im Ausschuss eine übergreifende Unterstützung für eine zügige Behandlung des Teilplans zu gewinnen. Der Ausschuss hat den Teilplan mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU bei Enthaltung von Piraten und FDP zur heutigen Beschlussfassung an das Plenum geleitet.
Wenn auch der Landtag heute zustimmt – und für die SPD-Fraktion kann ich dies hiermit ankündigen –, kann der Teilplan veröffentlicht werden und in Kraft treten. Allen daran Beteiligten in der Staatskanzlei und im Ausschuss vielen herzlichen Dank.
Eigentlich müsste ich ja so beginnen: Endlich kommen wir dazu, über Inhalte der Landesentwicklungsplanung – zumindest schon mal über den Teilplan Großflächiger Einzelhandel, also den früheren § 24a LEPro als dessen Bestandteil – hier im Hohen Hause zu diskutieren.
Nach vielen Verzögerungen bei der Vorlage des LEP-Entwurfs und der neunmonatigen Auswertung des Teilplans durch die Landesregierung hat jetzt wahrscheinlich auch Rot-Grün gemerkt, wie zeitaufwändig Themen der Landesplanung sein können. Die oft vorgetragenen Zeitvorwürfe an die frühere schwarz-gelbe Landesregierung relativieren sich damit inzwischen sicher auch innerhalb der Regierungsfraktionen.
Um es aber gleich vorwegzuschicken: Meine Fraktion wird diesem Teilplan zustimmen, da wir der festen Überzeugung sind, dass wir eine aktualisierte Regelbasis benötigen und nicht noch länger damit warten dürfen, den Kommunen und Regionalräten sowie dem Handel den notwendigen Rahmen zu geben. Erschwerend kommt hinzu, dass am 31.12.2011 das LEPro ausgelaufen und eine Neuregelung daher dringend notwendig ist. Schließlich wissen wir alle seit dem Urteil des OVG Münster aus dem Jahre 2009, was es bedeutet, wenn Regelungen zur Steuerung des Großeinzelhandels die Kommunen bei der Bauleitplanung nicht verbindlich binden. Dabei sind Ziele und nicht nur Grundsätze gefragt.
Wir beenden also mit dem Teilplan eine Phase der Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die landesplanerische Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsvorhaben und auf die Einzelhandelsentwicklung außerhalb von zentralen Versorgungsbereichen.
Ich muss hier nicht sonderlich hervorheben, dass zeitgemäße Landesplanung in allen Segmenten die Lebensgrundlagen der Menschen in allen Bereichen unseres Landes betrifft sowie Planungs- und Investitionssicherheit schafft. Auf der Landesplanung setzen wiederum die Regional- und schließlich die kommunalen Bauleitplanungen auf.
Darüber besteht hier vermutlich ebenso breiter Konsens wie etwa über Themenkomplexe wie zentrenrelevante Kernsortimente, zentrale Versorgungsbereiche und Sortimentslisten; auch das Beeinträchtigungsverbot ist nicht umstritten. Selbst beim Verbot von Einzelhandelsagglomerationen werden wir keinen Streit bekommen.
Obwohl wir natürlich die späte Vorlage und die dadurch kurze Beratungsdauer kritisieren und es für problematisch halten, sich in so kurzer Zeit ein abschließendes Bild bei einem so wichtigen Thema machen zu müssen, sehen wir die Notwendigkeiten für Kommunen, Regionalräte und Handel, endlich zu Regelungen zu kommen, weshalb wir uns der schnellen Beratung und Beschlussfassung nicht verweigern werden. Dies, obwohl wir damit rechnen müssen, dass trotz der ausführlichen Begründungen der Ziele – bekanntlich wesentlicher Unterschied zu § 24a LEPro – mit Klagen zu rechnen ist.
Für die CDU-Fraktion entscheidend bei der Zustimmung zum Teilplan ist jedoch, dass Innenstädte und örtliche Zentren gestärkt werden und dass „zentrenschädliches Bauen auf der grünen Wiese“ nicht geht. Schließlich möchten wir unseren Beitrag dazu leisten, dass gewachsene Zentren in ihrer Entwicklung unter sich rasant ändernden Parametern gestärkt werden. Auch wenn wir eben nicht konkrete Projekte an einem konkreten Standort beurteilen, sondern Vorgaben für nachgelagerte Planungen auf regionaler und kommunaler Ebene machen, ist die grundsätzliche Aussage richtig und wichtig.
Leider kommen einzelne Fragen zum Entwurf zu kurz. Hier nur ein Beispiel: Die EU-Kommission hat in ihren Empfehlungen zum Nationalen Reformprogramm Deutschlands 2013 klar formuliert: „Im Einzelhandel werden Marktzutritte durch Planungsvorschriften erheblich behindert“. Die Kommission empfiehlt, dass Deutschland „Planungsbeschränkungen beseitigt, die Marktzutritte im Einzelhandel in unangemessener Weise einschränken“ und wird im sogenannten commission staff working document zu den Empfehlungen noch konkreter und fordert gar wettbewerbsneutrale Planungsvorgaben. Ob diese Vorgabe – die sich ja nah am Problemfeld wettbewerbspolitische Argumentation bewegt – zu Genüge erfüllt wird, konnten wir nicht abschließend prüfen.
Kurzum: Die CDU-Fraktion wird dem Teilplan Großflächiger Einzelhandel zustimmen und ist gespannt auf die weiteren Diskussionen zum LEP.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE):
Zurzeit werden in NRW großflächige Einzelhandelsvorhaben in einer Größenordnung von ca. 18 ha geplant. Dies entspricht der Größe der innerstädtischen Verkaufsfläche von Dortmund beziehungsweise der Hälfte der Verkaufsfläche der Kölner Innenstadt. Sie sehen: Es tut sich einiges. Und diese Projekte würden, wenn sie ohne eine Planung und Steuerung durch das Land quasi „wild wuchern“ könnten, die Rolle der Innenstädte und somit das Bild unserer Städte insgesamt nachhaltig verändern.
Es bedarf also einer Regelung. Damit ist nicht gemeint, dass alle Vorhaben verhindert werden sollen. Es müssen aber klare Kriterien aufgestellt werden, nach denen diese Projekte und ihre Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Zentren bewertet werden können. Nach dem Urteil des OVG Münster zu Ochtrup haben wir uns lange mit der Frage beschäftigt, wie einerseits wirksame und andererseits rechtssichere Vorgaben aussehen könnten.
Das Ergebnis liegt nun auf dem Tisch. Die Landesregierung hat mit dem nun vorliegenden Entwurf eines Sachlichen Teilplans Großflächiger Einzelhandel ihre Hausaufgaben erledigt und klare Regeln vorgegeben, die den Kommunen zukünftig wieder mehr Klarheit verschaffen sollen. Wir nehmen ihnen nicht die kommunale Handlungsfreiheit, zeigen aber auch den großen Rahmen auf, in dem sich die Städte und Gemeinden bewegen. Wer plant, muss berücksichtigen, dass er sich nicht auf einer Insel befindet, sondern sich mit seinen Planungen auch an den Vorgaben des Landesgesetzgebers, der für das „große Ganze“ verantwortlich ist, zu orientieren hat.
Konkret heißt das also: „Zentrenrelevantes Kernsortiment“ darf zukünftig nur noch an Standorten in bestehenden zentralen Versorgungsbereichen und bei neu geplanten zentralen Versorgungsbereichen nur in städtebaulich integrierten Lagen ausgewiesen werden, die „aufgrund ihrer räumlichen Zuordnung sowie verkehrsmäßigen Anbindung für die Versorgung der Bevölkerung zentrale Funktionen des kurz-, mittel- oder langfristigen Bedarfs erfüllen sollen.“ Zentrale Versorgungsbereiche von Gemeinden dürfen nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Hierfür werden als Begrenzung des zentrenrelevanten Sortimentes 10 % als Ziel der Planung und 2.500 m² Verkaufsfläche als absoluter Wert und Grundsatz der Planung genannt.
Damit haben die Kommunen nun Planungssicherheit bei der Beurteilung von Ansiedlungsvorhaben und damit wird das landesplanerische Ziel, die Funktionalität der Innenstädte nicht durch konkurrierende Ansiedlungen außerhalb von Zentren zu gefährden, umgesetzt. Darum ging es uns vor allem.
Zu den konkreten Auswirkungen auf bereits in der Planung befindliche Projekte ließe sich jetzt viel spekulieren und mutmaßen. Tatsache ist, dass einige dieser Vorhaben nun mit Nachdruck vorangetrieben werden können, weil durch den Teilplan die Verträglichkeit mit der Landesplanung nachgewiesen werden kann, andere müssen genau auf ihre Zentrenverträglichkeit entlang dieser Kriterien geprüft werden und sind gegebenenfalls auch landesplanerisch nicht genehmigungsfähig.
Insgesamt ist klar: Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass wir in den Regionen Nordrhein-Westfalens funktionierende Innenstädte haben, in denen die Menschen das erhalten, was Sie brauchen. Es geht also um den Schutz der Funktionsfähigkeit der Städte. Für diese Funktionsfähigkeit geben wir als Land NRW Städtebaufördermittel mit dem Ziel der Stärkung der Innenstädte. Eine ungesteuerte Entwicklung ist also überhaupt nicht in unserem Sinne, wir wollen die Städte stärken!
Ich freue mich sehr darüber, dass es im Wirtschaftsausschuss eine so breite Mehrheit für dieses Vorhaben gab und sich auch hier im Plenum ein solches Abstimmungsergebnis abzeichnet. Wir freuen uns natürlich auch, wenn die Diskussionen dann auch vor Ort von allen politischen Akteuren mit dem gleichen Verantwortungsbewusstsein für den Vorrang der Innenstadtentwicklung vor der Ausweisung neuer Flächen auf der grünen Wiese geführt wird.
Nach erheblichen Zeitverzögerungen hat der Landesentwicklungsplan „Großflächiger Einzelhandel“ nun endlich doch noch vor der Sommerpause das Licht der Welt erblickt. Grund für die Vorlage ist, dass § 24a Landesentwicklungsprogrammgesetz seit dem 31.12.2011 außer Kraft gesetzt ist. Die Kommunen wollen aber Regelungen für großflächigen Einzelhandel, Factory-Outlet-Center, Möbelgroßmärkte und so weiter möglichst zeitnah mit dem Ziel, ihre Innenstädte zu schützen, möglichst zu stärken. Dieses Problem ist ausgesprochen sensibel zu handhaben, es gibt immer Spannungsfelder zwischen den Standortgemeinden und den Nachbargemeinden, die Kaufkraftabfluss fürchten.
In einem umfangreichen Beteiligungsverfahren hat die Landesplanungsbehörde als Moderator fungiert, letztlich aber für die Landesplanung atypische Detailregulierungen im Kleinen vorgenommen. Es stellen sich die Fragen nach 5, 6, 7 oder 8 %, kern- oder zentrenrelevanten Sortimenten, Flächengrößen von 2.500, 2.600 oder 3.000 m². Alles Fragestellungen, die letztlich auf die Planungsebene Bauleitplanung oder sogar Baugenehmigung abzielen.
Hier stelle ich für die FDP die Frage, warum man nicht bei dem landesplanerischen Maßstab geblieben ist und „Spielregeln für Inhalt und Verfahren“ aufgestellt wurden, die für die nachfolgende Planungsebene, die Regionalplanung, bindend sind. Warum hat man sich nicht auf den Erhalt der „Europäischen Stadt“, warum nicht auf das Ziel „Kaufkraft halten“ und „Versorgung sichern“ konzentriert?
Hier hätte die regionale Ebene dann den Konsens vor Ort suchen können und auch suchen müssen. In den 80er-Jahren stellte in NRW die Entsorgung der Wirtschaft ein ganz wesentliches landespolitisches Problem dar. Die Regionalräte haben dieses Problem für das Land letztlich in den Regionalplänen gesichert, indem dort entsprechende Standorte für die Verwirklichung solcher Entsorgungsanlagen gefunden und auch dargestellt wurden. Die Regionalräte haben sich auch dabei bewährt und die Frage nach regionalen Entsorgungsstandorten lösen können. Sie können es also! Wer die Frage nach dem „Müllklo der Region“ beantworten kann, der kann auch die Frage nach dem Möbelmarkt beantworten.
Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, mit dem in Nordrhein-Westfalen bewährten „Goldenen Zügel“ zu agieren: Wer gegen den Rat der Landesregierung großflächigen Einzelhandel und so weiter verwirklicht, hat gegebenenfalls für die Sanierung oder Revitalisierung der eigenen Innenstadt später keinen Anspruch auf Städtebauförderung oder Quartierssanierung. Entscheidungsfreiheit hat auch Entscheidungsverantwortung zur Folge. Das wäre und ist kommunale Planungshoheit in Praxis!
Das Problem der Ansiedlung großflächiger Möbelmärkte mit entsprechenden Randsortimenten, wie sie zum Beispiel bei Ikea unstrittig von der Bevölkerung in besonderem Maße angenommen werden, wird durch diesen LEP „Großflächiger Einzelhandel“ nicht gelöst. Die Möbelmärkte inserieren zwar mit „Mitnahmemöbeln“, doch solche Möbel transportiert man eben nicht mit Bus oder S-Bahn, sondern mit dem Auto. Und diese Parkplatzsituation ist in den Innenstädten eben eine unüberwindbare oder zumindest fast unüberwindbare Hürde für solche Märkte. Diese Probleme werden mit diesem LEP nicht gelöst.
Dennoch wollen gerade die Kommunen die Entscheidung, zumindest die Entscheidungshilfe durch die Landesregierung. Es zeigt sich nach einem umfangreichen Beteiligungsverfahren, dass hier die Landesplanung als Moderator recht erfolgreich agiert hat. Die Stellungnahmen der Beteiligten zeigen weitgehende Akzeptanz, manche sogar Zustimmung.
Auch wenn meines Erachtens der Maßstab der Ziele, die Detailregulierung, nicht zwingend geboten ist, so haben wir keine zusätzliche Anhörung gefordert, denn wir wollten keine weitere Zeitverzögerung, die ohnehin schon durch saumseliges Verhalten der Landesregierung entstanden ist.
Hier ist insgesamt viel Arbeit geleistet worden, der Maßstab stimmt aber nicht. Wir wollen den Kommunen helfen und verweigern uns hier nicht. Zusammenfassend sage ich deshalb für die FDP unter Zurückstellung auch oben angeführter Bedenken, dass wir uns bei der Abstimmung enthalten werden. Wir wollen im Sinne der Kommunen keine weiteren Verzögerungen.
Ich empfehle meinen Kollegen ebenfalls die Enthaltung. Auch wir halten den Sachlichen Teilplan Großflächiger Einzelhandel zwar nicht für perfekt, aber wir sehen die Notwendigkeit des zeitnahen Handelns. Der vorliegende Teilplan ist allemal besser als nichts.
Die derzeitige Regelungslücke darf nicht dazu führen, dass Kommunen gegeneinander ausgespielt werden, dass sehenden Auges längst bekannte Fehler hinsichtlich Innenstadtentwicklung und Zersiedlung gemacht werden.
Mit dem Blick auf anstehende größere Projekte ist es wichtig, Fakten zu schaffen. Einige Projekte wurden hier bereits genannt: die Factory- oder Designer-Outlet-Center in Werl, Remscheid und Duisburg, die Ikea-Filialen, vor allem der Homepark in Wuppertal sowie weitere Möbelcenter, zum Beispiel hier in und um Düsseldorf herum.
Dennoch darf nicht ausgeschlossen sein, dass der Teilplan nach Inkrafttreten noch Änderungen erfährt. Auch wenn dies mit einem neuen Beteiligungsverfahren verbunden ist: Wenn wir jetzt bei der Verabschiedung den Kommunen zuliebe ein bisschen schneller sind, darf der vermeintlich hohe Aufwand nachher kein Grund sein, keine Verbesserungen mehr vorzunehmen.
Was ist eigentlich mit den vorhandenen Bausünden? – Die Zentren auf der grünen Wiese oder in der neuen Mitte genießen ja Bestandsschutz, bringen aber dieselben Probleme wie Neubauten. Was kann man da verbessern? – Das Abwandern der Kaufkraft ist eine Sache. Was ist mit den allgemeinen Nachteilen von Zersiedlung und der Zweckentfremdung von Gewerbe- und Industriegebieten? – Zumindest im Sinne von Teilhabe und unter Berücksichtigung der ökologischen und demografischen Entwicklung könnte man solche Standorte verpflichten, sich an einer Erschließung durch den ÖPNV zu beteiligen, inklusive Transportlösung für die Waren.
Ich weiß: Einige der Einkaufszentren, wie das CentrO, sind gut erschlossen, und manchmal zahlt Ikea etwas Geld für Buslinien. Aber dass die meisten Einkaufszentren nicht ohne Auto erreichbar sind, ist einer der Hauptgründe für das eigene Auto und für unsere Verkehrsprobleme. Das gilt auch für neue Projekte: Ein Landesentwicklungsplan verhindert ja nicht zwangsläufig großflächigen Einzelhandel außerhalb der Stadt- oder Stadtteilzentren.
Nur 10 %, 2.500 m² Randsortimente, neue allgemeine Siedlungsbereiche (ASB), neue zentrale Versorgungsbereiche: Es gibt Möglichkeiten.
Übrigens: Dass ein Markt sich in der Innenstadt nicht ansiedeln könne, weil man da ja nicht genug kostenlose Parkplätze schaffen könne, ist nur in einer reinen Pkw-Welt logisch. Wohlgemerkt: Es gibt Parkhäuser in der City, nur keine gigantischen Parkflächen. Dafür schließt man Fußgänger, Fahrradfahrer, Bus- und Bahnfahrer nicht aus.
Die Idee, an den Landesgrenzen Factory-Outlet-Center zu erlauben, erinnert mich ein wenig an Gorleben und Morsleben. Lasst uns doch lieber Niederländer, Belgier, die Rheinland-Pfälzer, Hessen und Niedersachsen in unsere Städte kommen. Sie sollen in unseren Innenstädten verweilen und diese genießen – nicht unsere Autobahnkreuze und angeschlossenen Parkplätze. Lasst uns hier Standortpolitik machen, nicht Wettbewerbspolitik.
Das gilt auch beim Thema Online-Handel: Der Online-Handel ist kein Schreckensgespenst, das als Vorwand für unvernünftige Entscheidungen dienen sollte. Ein Online-Handel hat fast immer auch einen Standort. Dieser Standort liegt für deutsche Käufer zumeist auch in Deutschland. Es gibt da die Großen, ja. Vielleicht sollten wir uns angewöhnen, die Ansiedlungen großer Logistikzentren dieser Onlinehändler wie Zalando nicht gleich als Logistik-Cluster zu bezeichnen und zu bejubeln, während wir hier um die Innenstädte kämpfen.
Dann gibt es aber auch die vielen kleinen und mittelgroßen Online-Händler. Dabei handelt es sich oft um genau die Geschäfte, die wir schützen wollen: Läden, die ihren Umsatz im Ladenlokal vor Ort durch einen Versandhandel ergänzen und so ihr Überleben sichern. Dazu kommen Neuansiedlungen in Zentren mit hohem Leerstand, wo nach dem Mobilfunkladen der Laden mit den Internetwetten kam und später der Goldankauf, der nun wohl auch keine Zukunft mehr hat.
In diesen Zentren entdeckt man mehr und mehr Nischenläden. Sie verkaufen E-Zigaretten, Wikingerausrüstungen und Holzspielzeug. Auf den ersten Blick fragt man sich, ob die Kundschaft im Viertel für das Betreiben dieser Läden ausreicht, auf den zweiten entdeckt man die Webadresse oder den Schriftzug „Offline-Shop“. Solche Läden fördern unsere Zentren.
Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien:
Der demografische Wandel wird in den kommenden Jahren zu wesentlichen Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur führen: Die Gesamtbevölkerungszahl wird schrumpfen und gleichzeitig werden die Menschen in unserem Land – glücklicherweise – länger leben und älter werden. Diese gesellschaftliche Veränderung erfordert mittelfristig erhebliche Infrastrukturanpassungen auf vielen Gebieten.
Hierzu gehört nicht zuletzt eine wohnortnahe Grundversorgung, die für alle Haushalte und Bevölkerungsgruppen gleichermaßen gewährleistet sein muss. Es gilt, das öffentliche und private Angebot an Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen räumlich zu konzentrieren.
Unser politisches Ziel ist es deshalb, die Innenstädte attraktiver zu machen und „zentrenschädliches Bauen auf der grünen Wiese“ zu verhindern.
Dies tun wir auf unterschiedliche Art und Weise: durch die finanzielle Förderung der Entwicklung der Innenstädte, aber auch durch die Vorgabe landesweit einheitlicher Rahmenbedingungen zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels.
Letzteres betrifft diesen Tagesordnungspunkt. Da die bisherigen landesplanerischen Vorgaben zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels im Landesentwicklungsprogramm NRW Ende 2011 ausgelaufen waren, hatte die Landesregierung bereits im April letzten Jahres per Kabinettsbeschluss den Entwurf des „Landesentwicklungsplan NRW – Sachlicher Teilplan Großflächiger Einzelhandel“ auf den Weg gebracht.
Wir nehmen Beteiligung ernst: Das zeigt sich zum einen in der viermonatigen Frist, die öffentliche Stellen und Bürgerinnen und Bürger Zeit hatten, sich zu dem Entwurf zu äußern. Es zeigt sich aber auch darin, dass wir die in diesem Beteiligungsverfahren von Juni bis Oktober letzten Jahres eingegangenen Stellungnahmen gründlich und sorgfältig ausgewertet und geprüft haben. Wie wir dabei mit den daraus resultierenden Anregungen im Einzelnen umgegangen sind und zu welchen Änderung dies geführt hat, ist den Ihnen vorliegenden Unterlagen zu entnehmen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir hier eine gute und faire Lösung gefunden haben: Den Forderungen nach in einzelnen Fällen restriktiveren landesplanerischen Regelungen standen regelmäßig Forderungen nach weniger Restriktionen gegenüber. Der nun dem Landtag vorgelegte Plan stellt aus meiner Sicht einen ausgewogenen Kompromiss dar.
Mit den Zielen und Grundsätzen sollen die Innenstädte und örtlichen Zentren gestärkt werden. Sie sollen vor allem erreichen, dass sich die Errichtung oder Erweiterung von sämtlichen Einzelhandelsgroßprojekten auf regionalplanerisch festgelegte „Allgemeine Siedlungsbereiche“ konzentrieren. Die für die Zentren wichtigen Einzelhandelsgroßprojekte dürfen auch nur noch dort
angesiedelt werden. Bei Baumärkten oder Möbelhäusern außerhalb der Innenstädte und Stadtteilzentren haben wir immer die Frage von innenstadtrelevanten Randsortimenten zu klären. Diese sollen auf einen Anteil von maximal 10 % der Verkaufsfläche begrenzt bleiben.
Nach § 17 Landesplanungsgesetz kann die Rechtsverordnung nur nach Zustimmung des Landtages beschlossen werden. Nach dieser Zustimmung kann die Rechtsverordnung dann einen Tag nach Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen in Kraft treten.
Ihre heutige Zustimmung würde bedeuten, dass wir den Kommunen und auch den Investoren kurzfristig wieder ein Stück mehr an Planungssicherheit an die Hand geben können – und unserer gemeinsamen Zielvorstellung von starken und lebendigen Innenstädten wieder ein Stück näher gekommen sind.