48. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 29. Januar 2014
Verpflichtung
des Abgeordneten
Heiko Hendriks (CDU)
1 Nachwahl von Schriftführern des Landtags Nordrhein-Westfalen
Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4832
Siehe auch
Nachtrag zu dieser
Abstimmung nach der Rede Kufen in TOP 2
2 Energiewende – welche Rolle übernimmt Nordrhein-Westfalen?
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4880
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4822
Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 1
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4807
4 Situation der Polizei und Kriminalitätsbekämpfung in Nordrhein-Westfalen
Große
Anfrage 4
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2248
Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/4253
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4811
6 Gesetz zur Vorlage einer verbindlichen Finanzplanung bis 2020
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4824
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
7 Fußball vor Gewalt schützen – Straftäter endlich wirksam ausschließen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4820
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4896
8 Fair Play bei internationalen Sportgroßveranstaltungen
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4808
9 Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter – Aufruf der Schriftsteller anerkennen
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4814
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4895
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4903
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU)
Siehe auch
Nachtrag zu dieser
Abstimmung nach TOP 11
des
Abgeordneten
Bernhard Schemmer (CDU)
Verbindliche Aussage zur Ortsumgehung Südlohn-Oeding (L558)
des
Abgeordneten
Daniel Schwerd (PIRATEN)
Veröffentlichung von Geheimdokumenten zur NSA-Abteilung Tailored Access Operations (TAO)
des
Abgeordneten
Henning Höne (FDP)
der
Abgeordneten
Yvonne Gebauer (FDP)
Beantwortung in der nächsten Fragestunde
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2885
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/4608 – Neudruck
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE)
Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 9
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4231
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/4833
13 Gesetz zur Entpolitisierung der Polizei
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2336
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/4834
14 Gesetz zur Neuordnung im Bereich der Schul- und Studienfonds
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/3969
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/4604
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4673
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4904
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4819
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4585
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4661
Minister
Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 1)
18 Gesetz über die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse (LBSG)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4774
Minister Dr.
Norbert Walter-Borjans
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)
19 Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes und des Kirchenaustrittsgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4775
Minister Dr.
Norbert Walter-Borjans
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4813
21 Elektromobilität ermöglichen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4827
22 Transparente Veräußerung von Grundstücken sicherstellen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4828
23 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 3. Quartal des Haushaltsjahres 2013
Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2
der Landesverfassung
Vorlage 16/1515
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/4835
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/4836
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/4837
VerfGH 19/13
Vorlage 16/1167
Vorlage 16/1562
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/4838
VerfGH 22/13
Vorlage 16/1245
Information 16/155
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/4839
28 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 15
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/4841
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Entschuldigt waren:
Minister Garrelt Duin
Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
Minister
Dr. Norbert Walter-Borjans
(ab 14 Uhr)
Dr. Roland Adelmann (SPD)
Inge Blask (SPD)
Inge Howe (SPD)
Carsten Löcker (SPD)
Hans-Peter Müller (SPD)
Michael Scheffler (SPD)
Eva Steininger-Bludau (SPD)
Klaus Kaiser (CDU)
Horst Becker
(GRÜNE)
(bis 12 Uhr)
Präsidentin Carina Gödecke: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer heutigen, 48. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Plenarsitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich gerne gemeinsam mit Ihnen die Verpflichtung eines Abgeordneten gemäß § 2 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung durchführen.
Die Landeswahlleiterin hat mir mit Schreiben vom 29. Januar 2014 mitgeteilt, dass für den ausgeschiedenen Abgeordneten Karl-Josef Laumann aus der Fraktion der CDU Herr Heiko Hendriks Mitglied des Landtags geworden ist.
Ich darf Herrn Hendriks zu mir bitten, damit ich die nach § 2 unserer Geschäftsordnung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann.
(Alle Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen.)
Lieber Kollege Hendriks, ich bitte Sie, die folgenden Worte der Verpflichtungserklärung anzuhören und anschließend durch Handschlag zu bekräftigen:
„Die Mitglieder des Landtags von Nordrhein-Westfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Menschen dem Frieden dienen werden.“
Herzlich willkommen! Alles Gute für Ihr neues Amt! Fühlen Sie sich wohl in der Runde. Die Kolleginnen und Kollegen freuen sich auf Sie.
(Allgemeiner Beifall – Heiko Hendriks [CDU] nimmt Glückwünsche von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Ministerin Sylvia Löhrmann entgegen.)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt
1 Nachwahl von Schriftführern des Landtags Nordrhein-Westfalen
Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4832
Eine Aussprache hierzu ist nicht vorgesehen.
Wir kommen somit direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag in der vorgenannten Drucksache. Wer möchte diesem Wahlvorschlag seine Zustimmung geben? – Das sind die Piraten, die SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU und die FDP. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Es gibt eine Enthaltung bei den Piraten. Der fraktionslose Abgeordnete Stein ist nicht im Raum. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/4832 angenommen.
Ich gratuliere den Schriftführern ganz herzlich. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt
2 Energiewende – welche Rolle übernimmt Nordrhein-Westfalen?
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4880
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4822
Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 27. Januar 2014 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der CDU Herrn Kollegen Thomas Kufen das Wort.
Thomas Kufen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grund für die energiepolitische Debatte sind die vorgelegten Eckpunkte für das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Schon die erste Reaktion auf den Vorschlag des neuen SPD-Wirtschaftsministers Gabriel zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zeigte, dass es wie im vergangenen Jahr auch in diesem Jahr in der Energiepolitik bei Rot-Grün zugeht wie bei Hempels unterm Sofa.
(Beifall von der CDU)
Denn bereits am Tag der Veröffentlichung am 20. Januar, an dem die Eckpunkte vermeldet wurden, gab es eine Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion: „Neues EEG ist im Interesse Nordrhein-Westfalens“. Begrüßt wurde in diesem Papier die erkennbare Richtung. Es sei richtig, dass die Bundesregierung die bestehenden Regelungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien ändert. Dies geschehe auf der Basis der Koalitionsvereinbarung, die in diesem Bereich von Ministerpräsidentin Kraft ausgehandelt worden sei.
Fast zeitgleich, meine Damen und Herren, vermeldet der grüne Koalitionspartner, Gabriels Vorschläge gefährdeten Investitionen in Höhe von mindestens 1 Milliarde € in Nordrhein-Westfalen, die von Gabriel vorgelegten Eckpunkte zur EEG-Reform bremse die Energiewende in Nordrhein-Westfalen aus.
Ich kann Ihnen von der CDU nur sagen: Sie haben wieder einmal große Regierungskunst gezeigt, großes Kino, und am Ende passt in der Energiepolitik nichts zusammen.
(Beifall von der CDU)
Man kann auch andersherum sagen, dass die Gemeinsamkeiten bei den Koalitionspartnern in diesem Bereich am kleinsten sind. Dabei erkennen wir als CDU durchaus an, dass die neue Bundesregierung mit ihrer Verabschiedung der Eckpunkte zur Energiewende im Kabinett einen Kraftakt, wie sie selbst sagt, vollbracht hat. Versorgungssicherheit, Preisstabilität sowie Klima- und Umweltfreundlichkeit sind dabei handlungsweisend. Kern der Reform des EEG ist die Festlegung eines verbindlichen Ausbaukorridors für die erneuerbaren Energien und Steigerung des Ausbaus.
Das haben übrigens alle Parteien schon im Bundestagswahlkampf gefordert, dass man einen verlässlicheren Ausbau der Erneuerbaren braucht, um die ausufernden Kosten zu begrenzen. Das geht mit der notwendigen Akzeptanz einher, die wir für die Energiewende brauchen.
Gleichzeitig gilt: Es wird weiterhin in Erneuerbare investiert, der Ausbau geht weiter. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung soll im ersten Schritt bis 2025 auf 40 bis 45 % erhöht werden. Damit bleibt diese Bundesregierung in der Linie, dass im Jahr 2050 mindestens 80 % des produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt werden sollen.
Es geht weiterhin um Konzentration auf kostengünstigere Technologien, Marktintegration, Abbau von Überförderung, alle Stromverbraucher werden angemessen an den Kosten beteiligt, und die stromintensive Industrie muss international wettbewerbsfähig bleiben. Auch das löst das Eckpunktepapier von Minister Gabriel aus unserer Sicht ein.
Gleichzeitig müssen alle Reformen – darauf müssen wir für die heimische Industrie gerade mit Blick auf das Beihilfeverfahren drängen – europakonform ausgestattet und eingebettet sein. Ich sage auch, angesichts von über 4.000 EEG-Vergütungskate-gorien muss das EEG einfacher werden.
Deshalb sage ich für die CDU-Fraktion ganz klar: Sowohl Reformtempo als auch Reformrichtung stimmen. Das Gelingen der Energiepolitik hängt entscheidend von der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger und der Integration in den Markt ab. Die Energiewende darf nicht ein Fass ohne Boden werden. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Bezahlbarkeit. Dabei soll beispielsweise die Vergütung für neue Öko-Energieanlagen von derzeit 17 Cent auf 12 Cent je Kilowattstunde verringert werden.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ausgerechnet!)
Das bevölkerungsreichste Land ist als größtes Industrieland, als größter Stromerzeuger, als größter Stromverbraucher darauf angewiesen, dass die Reformbemühungen Erfolg haben. Hier in Nordrhein-Westfalen müssen wir die Ankündigungen umsetzen, dass Klima- und Energiewende und internationale Wettbewerbsfähigkeit kein Widerspruch sind. Hier gelingt die Energiewende oder sie scheitert.
(Beifall von der CDU)
Deshalb geht es eben nicht nur – den Eindruck haben wir vielfach bei der Regierung – um die Addition von Einzelinteressen. Die einen schauen nur auf Braunkohle und Steinkohle, und die anderen zählen nur Windräder. Am Ende werden bei Rot-Grün Arbeitsplätze gegeneinander aufgerechnet. Ich sage es ganz klar: Wir brauchen am Ende beides. Ich will an dieser Stelle betonen, der Ausbau der Windenergie ist in besonderem Maße auf die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Auch uns sind 3 % Windenergie bei der Stromversorgung zu wenig.
Wenn aber Minister Remmel ankündigt, sein Bundesland könne keinem Konzept zustimmen, das den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiere, so kann das wohl nicht das letzte Wort gewesen sein. Wenn es der alleinige Maßstab für Zustimmung oder Ablehnung des EEG ist, ob wir Windenergie ausbauen – ja oder nein? – und wenn ja, in welchem Maße, oder ob Sie als Regierung Ihre Ziele bis 2020 erreichen, fürchte ich, wir haben uns bereits aus einer Debatte über das neue EEG verabschiedet.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Der grüne Fraktionschef formuliert im „Kölner Stadt-Anzeiger“:
„Wenn Gabriels Pläne so umgesetzt werden, dann können wir unser Düsseldorfer Ziel einpacken.“
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ fragt: „Was erwarten Sie von Hannelore Kraft?“ Herr Priggen antwortet: Das, was jetzt vorliegt, ist von ihr bei den Koalitionsverhandlungen so nicht verhandelt worden. Die Ministerpräsidentin hat uns versichert, dass unsere Ausbauziele in NRW umgesetzt werden.
Weiter heißt es dort:
„Ich gehe daher davon aus, dass sie“
– Kraft –
„in Berlin noch Änderungen durchsetzen wird, damit in NRW auch weiterhin Windräder gebaut werden können.“
Meine Damen und Herren, jetzt wollen wir wissen: Mit welchen Vorstellungen gehen Sie nach Berlin? Welche Ziele wollen Sie nach vorne bringen? Vor allen Dingen, Frau Ministerpräsidentin, ist die große Frage, welche energiepolitische Agenda eigentlich Ihren Vorschlägen am nächsten liegt: das, was Sie hier in Düsseldorf mit Rot-Grün ausgehandelt haben, oder das, was Sie im letzten Jahr im Bund mit CDU und CSU ausgehandelt haben?
(Beifall von der CDU)
Wo ist Ihre energiepolitische Agenda am ehesten widergespiegelt? Bei dem, was der SPD-Bundesvorsitzende jetzt vorträgt?
Wie sieht der Zeitplan aus? Im April 2014 wird das Kabinett den Gesetzentwurf beschließen. Im Mai beginnen die Beratungen im Bundesrat.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Thomas Kufen (CDU): Es ist so angelegt, dass das neue EEG zum 1. August in Kraft treten soll.
Gleichzeitig gilt auch: Kein Gesetz ist bisher so aus dem Parlament herausgekommen, wie es eingebracht wurde.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Thomas Kufen (CDU): Letzter Satz! – Deshalb ist ganz klar: Sie müssen Farbe bekennen, mit welchem Rüstzeug, mit welchen Zielen, mit welchen Maßnahmen Sie in die Verhandlungen für ein neues EEG gehen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen.
Bevor ich Herrn Kollegen Lindner für die FDP-Fraktion das Wort erteile, möchte ich gerne für das Protokoll richtigstellen, dass der fraktionslose Abgeordnete Stein bei der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 1 durchaus im Raum war, sich auch an der Abstimmung beteiligt hat, wir ihn nur leider nicht gesehen haben. Entschuldigen Sie bitte! Das wird nicht wieder vorkommen.
Damit hat Herr Kollege Lindner das Wort.
Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Bundeswirtschaftsminister hat bei einer Konferenz dieser Tage gesagt – ich zitiere ihn aus der „Welt“ –:
„Die Herausforderungen der Energiewende sind von den Verantwortlichen unterschätzt worden. Im Kern ist von uns allen der Fehler gemacht worden, ein zur Technologieentwicklung gemachtes Gesetz, das EEG, linear fortzuschreiben.“ Das EEG ist „das größte Hindernis der Energiewende.“
Verehrte Anwesende, Sigmar Gabriel hat recht. Wenn er aber sagt, von uns allen sei der Fehler gemacht worden, dieses Gesetz fortzuschreiben, dann müssen wir uns hier im Raum in unterschiedlicher Intensität angesprochen fühlen. Denn wir haben bereits im Sommer 2012 Vorschläge in diesen Landtag eingebracht.
(Lachen von den GRÜNEN)
Im vergangenen Jahr hat die schwarz-gelbe Bundesregierung zudem eine Strompreisbremse in die Beratungen von Bund und Ländern eingebracht, die an der Blockade unter anderem der nordrhein-westfälischen Landesregierung gescheitert ist. Dass die Energiepolitik also außer Kontrolle geraten ist, dafür trägt auch die nordrhein-westfälische Landesregierung eine Mitverantwortung.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Der Bundeswirtschaftsminister hat bei der gleichen Gelegenheit vor einer dramatischen Deindustrialisierung gewarnt. Gemessen an dieser zutreffenden Lagebeurteilung sind seine Eckpunkte aber vergleichsweise wenig ambitioniert. Ich nenne beispielhaft vier Punkte.
Erstens. Gabriel hält am Einspeisevorrang fest. Andererseits sehen seine Ausbauziele vor, dass wir auch in den nächsten Jahren erhebliche zusätzliche Kapazitäten an Fotovoltaik und Wind erhalten werden.
Heute sagt der Chef der Deutschen Energie-Agentur in einem bemerkenswerten Gastbeitrag im „Handelsblatt“, dass dadurch Überkapazitäten entstehen, die nicht in das System eingebunden werden.
Das müssen wir den Damen und Herren Zuhörern auf der Tribüne vielleicht erklären. Das bedeutet, es werden Milliarden Subventionen gezahlt von Ihnen, aber der Strom kann nicht genutzt werden. Trotzdem verdient jemand. An dieser Paradoxie ändern die Vorschläge von Sigmar Gabriel nichts.
(Beifall von der FDP)
Zweiter Punkt. Gabriel setzt auf marktwirtschaftliche Instrumente, auf die Ausschreibung von Kapazitäten – allerdings erst im Jahr 2017. Wenn er tatsächlich mehr Wettbewerb und Marktintegration für sinnvoll erachtet, dann muss dieses Instrument doch früher eingesetzt werden und nicht erst in der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages.
Dritter Punkt: die Belastung des Eigenstromverbrauchs. Hierzu hat der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Kufen, gerade nichts gesagt. Vorgesehen ist, dass zukünftig auch diejenigen, die in der Industrie selbst Energie produzieren – übrigens auch im Braunkohletagebau –, einen Anteil EEG-Umlage zahlen müssen. Jetzt ist die Rede von einem Cent. Das wird in den nächsten Jahren aber sehr schnell aufwachsen; das ist bereits absehbar. Damit wird der Vertrauensschutz durchbrochen. Da wird ein Strich durch Investitionsrechnungen gemacht. Ich wundere mich, dass dieser Eingriff in Eigentumsrechte von der Union in Berlin mitgetragen wird, Armin Laschet.
(Armin Laschet [CDU]: Warten wir doch ab!)
Ich wundere mich, warum das im Kabinett einfach en passant durchgegangen ist. Denn die Botschaft ist hier doch ganz klar: Im Prinzip soll niemand der Umverteilungsmaschine EEG entkommen dürfen. Das ist in der Tat genau das, was Gabriel beklagt, nämlich die Gefahr einer dramatischen Deindustrialisierung.
(Beifall von der FDP)
Ich nenne einen vierten Punkt. Gabriel warnt vor der Europäisierung der Energiepolitik. Er warnt vor der Europäisierung der Energiepolitik. Dabei ist die Energieversorgung per se physikalisch schon europäisch zu denken.
(Beifall von der FDP)
Hätte es im Jahr 2012 auch einen europäischen Energiebinnenmarkt gegeben, so hätten die Energieverbraucher 1 Milliarden € sparen können, wenn sie sich den jeweils günstigsten Anbieter hätten suchen können.
Es ist also keine Warnung vor europäischer Energiepolitik angezeigt, sondern eher mehr europäische Energiepolitik, weniger nationale Plan- und mehr europäische Marktwirtschaft.
Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren: Diese Vorschläge von Sigmar Gabriel gehen im Prinzip in die richtige Richtung. Deshalb lieber Gabriels Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Hier in Nordrhein-Westfalen wird sich jetzt erweisen, ob diese Vorschläge Realität werden. Wir haben ein Eigeninteresse daran – Frau Ministerpräsidentin, wie Sie wissen –: als Energieland Nummer eins, sowohl was den Verbrauch als auch was die Erzeugung angeht, und auch deshalb, weil wir beim EEG bislang die Nettoverlierer sind. 3 Milliarden € zahlen wir ins EEG ein, 2 Milliarden € gehen an andere Länder, fließen nicht hierhin zurück.
Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, wie auf die Vorschläge von Sigmar Gabriel reagiert worden ist. Die SPD-Landtagsfraktion hat die Eckpunkte begrüßt, die grüne Landtagsfraktion hat sie abgelehnt. Gewarnt worden ist vor Investitionen in einer Größenordnung von 1 Milliarde €, die nicht realisiert werden können. – Das ist der Wortlaut der Grünen. Sie verschweigen aber, dass diese 1 Milliarde € an Investitionen, die getätigt werden könnte, inklusive der Renditen von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt werden muss, und zwar für Energie, die nicht in den Markt integriert ist.
Johannes Remmel war als Verhandlungsführer der Grünen bei Sigmar Gabriel. Dort hat er für die grünen Landesminister gesprochen. Er hat die Eckpunkte kritisiert. Gabriel will Zubau insbesondere von Windenergie bremsen. Herr Remmel will 50 % Erneuerbare Energie bereits im Jahr 2020. Gabriel will maßvoll EEG-Ausnahmen reduzieren, die Grünen wollen – wir erinnern uns noch an die Wahlkampftöne – den Cut. Gabriel und Kraft halten an der Kohle fest. Die Grünen wollen zeitgleich aus Kohle und Kernkraft aussteigen.
Man muss konstatieren: Der Koalitionsvertrag von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen ist auf der Seite der Grünen, nicht auf der Seite der SPD. Frau Ministerpräsidentin, Sie machen im Sommer immer das Sportabzeichen. Ich hoffe sehr, dass Turnen auf dem Programm steht, denn Sie werden noch öfter Spagat machen müssen in den nächsten Jahren.
(Beifall von der FDP)
Wir sind gespannt – das ist mein letzter Gedanke –, wie Sie das auflösen wollen. Ich erwarte dazu von dieser Debatte auch eine Erhellung für mich. Frau Ministerpräsidentin, ist es zutreffend, dass Johannes Remmel, der bereits öffentlich angekündigt hat, dass sich Nordrhein-Westfalen möglicherweise in der Energiepolitik enthält, für das Land Nordrhein-Westfalen in Berlin an den Gesprächen mit Herrn Gabriel teilnimmt?
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Christian Lindner (FDP): War das nicht einmal Chefinnen-Sache, Frau Ministerpräsidentin? Welche Meinung hat denn die Chefin zu den energiepolitischen Vorschlägen? Sie kommen mit „Methode Merkel“ wie bisher in der Energiepolitik nicht weiter.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Christian Lindner (FDP): Sie müssen nämlich heute über unseren Antrag entscheiden.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Römer.
Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage, die Gestaltung der Energiewende ist für Deutschland, für unser Land Nordrhein-Westfalen ein ganz wichtiges, zentrales Thema. Sie zum Gelingen zu bringen, ist die wichtigste Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche und soziale Entwicklung hier in unserem Land – für unsere Industrie, für die Produktion. Dafür ist das Gelingen dieser Energiewende elementar.
Deshalb gleich zu Beginn: Am 17. Dezember 2013 wurden die neuen Bundesministerinnen und -minis-ter des Bundeskabinetts vereidigt. Am 17. Januar – nach nur 31 Tagen; Weihnachten und Neujahr lagen dazwischen – wurde die erste Entwurfsfassung „Eckpunkte für eine EEG-Reform“ durch den Bundeswirtschafts- und -energieminister Sigmar Gabriel der Öffentlichkeit vorgestellt. Fünf Tage später – am 22. Januar – hat das Bundeskabinett dem Eckpunktepapier zugestimmt.
Herr Kollege Lindner, nur zur Erinnerung, weil Sie unter Gedächtnisverlust leiden: Vier Jahre lang haben CDU/CSU und FDP in Berlin regiert. Sie haben noch nicht einmal eine kabinettsreife Vorlage zustande gebracht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deshalb sollten Sie sich sehr zurückhalten bei dem, was Sie gerade an Geschwindigkeit eingefordert haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will noch einmal daran erinnern: Röttgen gegen Brüderle, Brüderle gegen Röttgen. Später Altmaier gegen Rösler, Rösler gegen Altmaier. Da kam nichts, aber auch gar nichts heraus. Jetzt wollen Sie sich hier hinstellen und sagen: Ihr müsst da Geschwindigkeit hineinbringen. Herr Kollege Lindner, lassen Sie das sein, blasen Sie sich nicht so auf. Das bringt überhaupt nichts.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die Eckpunkte sind vorgelegt worden. Eckpunkte sind Eckpunkte. Die sind nicht in Stein gemeißelt, und sie werden selbstverständlich weiterentwickelt werden. Die Anträge, die Sie heute vorgelegt haben, meine Damen und Herren von der CDU, sind doch ebenso durchsichtig wie kleinkariert. Sie wollen sich an uns abarbeiten, während wir daran arbeiten, dass die Energiewende gelingen wird. Rot und Grün sind hier zusammen. Sie kriegen uns nicht auseinander. Lassen Sie das bleiben!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dann will ich noch einmal an Ihre Regierungszeit hier erinnern. Herr Kollege Lindner, Sie waren nicht in der gesamten Legislaturperiode in der Regierungszeit von Rüttgers und Pinkwart mit dabei, aber am Anfang schon. Zu dem Ersten, was die Regierung Rüttgers einleitete, zitiere ich denjenigen, der schnell spricht und noch schneller fährt, den damaligen Minister Wittke, der mit Blick auf die Windräder sagte: „Das ist das Erste, was wir kaputtmachen werden.“ Die FDP hat doch ihren Feldzug gegen die Windenergie immer mit der Kampfparole „Verspargelung der Landschaft“ eingeleitet; und jetzt stellen Sie sich hierhin und fordern von uns, dass wir gefälligst eine vernünftige Energiepolitik machen sollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie machen sich lächerlich!
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Herr Kollege Lindner, das will ich Ihnen auch noch mit auf den Weg geben, weil Sie uns immer auffordern, wir sollten Ihren marktwirtschaftlichen Vorstellungen folgen; denn dann würden wir eine Entfesselung der Wirtschaft hinbekommen.
Sie blasen sich mit Ihrer prallen Lebenserfahrung richtig auf – vorhin auch wieder.
(Zuruf von der FDP: Peinlich!)
Ihre ökonomischen Entfesselungskünste, Herr Kollege Lindner, reichen allenfalls für eine Nebenrolle im Kinderzirkus. Für die reale Wirtschaft sind sie nicht tauglich.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der FDP)
Ich komme zurück zur energiepolitischen Diskussion. Das, was an Eckpunkten für eine notwendige EEG-Reform vorgelegt worden ist, ist der erste Baustein dafür, in Berlin endlich auch mithilfe der Bundesländer ein energiepolitisches Gesamtkonzept, einen notwendigen Masterplan zu erarbeiten.
Auch das will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Lindner: Der Markt – das müssten Sie eigentlich wissen; Sie lesen doch ab und zu auch – ist blind für energiewirtschaftliche Zusammenhänge. Er ist auch blind für ökologische und klimapolitische Herausforderungen. Der Markt ist auch blind für soziale Probleme. Deshalb kommt es darauf an, eine energiepolitische Gesamtkonzeption hinzubekommen, die dasjenige, was es an Stärken in unserem Land, in den Bundesländern insgesamt, gibt, in einer Gesamtplanung mit klaren Verantwortlichkeiten, Zielsetzungen und Maßnahmen dafür, wie die Ziele erreicht werden können, zusammenführt. Dann können sich die Akteure im Markt vernünftig behaupten, dann können sie miteinander eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung zusammenbringen, meine Damen und Herren. Das unterscheidet uns!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es kommt also sehr darauf an, jetzt darauf zu achten, dass eben nicht der eine gegen den anderen Energieträger ausgespielt wird, nicht Onshore- gegen Offshore-Wind, nicht Biomasse und Solarenergie gegen Windenergie, nicht erneuerbare Energien gegen fossile, nicht Gas gegen Kohle. Es kommt auf einen vernünftigen Mix an, den wir zustande bringen müssen.
Wir in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, haben das allergrößte Interesse daran, dass diese Energiewende gelingt. Wir wollen und werden dafür sorgen, dass wir beim Ausbau der Onshore-Windenergie im Land weiterkommen. Deswegen ist es richtig, darauf hinzuweisen, dass im vorgelegten Eckpunktepapier Hemmnisse enthalten sind, die wir gemeinsam beseitigen werden. Das ist eine Aufgabe dieser rot-grünen Koalition, dieser Landesregierung.
Ich will einen letzten, ganz entscheidenden Punkt nennen: Ja, wir sind uns vollständig einig darin, dass Nordrhein-Westfalen als entscheidendes Energie- und Wirtschaftsland, als entscheidendes Industrieland dafür sorgen wird und muss, dass die Wertschöpfung im eigenen Land und die Rolle unserer industriellen Produktion vor allen Dingen bei den sogenannten Hidden Champions nicht dadurch unterhöhlt wird, dass die in ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschwächt werden. Das wird ein gemeinsames Anliegen sein.
Sie können sicher sein: SPD und Bündnis 90/Die Grünen – der Koalitionsvertrag macht das deutlich – werden in dieser Weise Hand in Hand weiter zusammenarbeiten. Spaltungsversuche werden nicht gelingen, meine Damen und Herren.
Wir jedenfalls werden verlässliche Partner der Bundesregierung beim Zustandebringen der Energiewende sein, die Ministerpräsidentin vorneweg und die Koalition geschlossen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe mich auf die heutige Debatte richtig gefreut. Aber das gerade war wieder einmal original Christian Lindner: Messias mit beschränkter Haftung!
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Er zitiert Gabriel: Die Energiewende ist von den Verantwortlichen unterschätzt worden! – Dann aber kommt: Die FDP wusste es schon 2012 und 2013! – Was für ein albernes Ablenkungsmanöver! Schauen wir ein bisschen in die Vergangenheit: Wer war vier Jahre lang Bundeswirtschaftsminister und Vorgänger von Sigmar Gabriel? –
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Herren hießen Brüderle und Rösler. Und wer hat jedes Mal, wenn von Altmaier ein vernünftiger Vorschlag kam, das Ding eine Stunde später zerschlagen? Wer hat sich wie die Kesselflicker geprügelt und nach dem Fukushima-Atomausstieg nichts mehr hinbekommen, also die Komplexität der Aufgabe vernachlässigt? – Das waren in allererster Linie die Bundeswirtschaftsminister der FDP, die federführend zuständig waren. Das muss man ganz klar feststellen.
Eines muss man anerkennen: Der Bundeswirtschaftsminister hat für die Debatte, die wir jetzt führen und die nur ein ganz kleiner Teil der notwendigen Debatte ist, die Eckpunkte schnell geliefert. Über diese Eckpunkte können wir streiten. Es gibt Details, über die zu streiten ist.
Aber dass sie jetzt auf dem Tisch liegen, während sie vorher jahrelang nicht auf den Tisch gekommen sind und keine Diskussionsgrundlage da gewesen ist, muss man anerkennen, weil die Aufgabe jetzt tatsächlich drängt, weil nämlich von denen, die investieren wollen – ob in konventionelle oder moderne Gaskraftwerke oder in erneuerbare Energien –, jetzt niemand mehr weiß, woran er ist. Sogar diejenigen, die vier oder fünf Jahre lang an einer Investitionen gearbeitet haben und die wir gemeinsam motiviert haben, tätig zu werden, stehen jetzt praktisch vor dem Aus. Sie wissen, dass sie unter Umständen viel Geld umsonst investiert haben. An der Stelle ist Vertrauensschutz notwendig.
Lieber Kollege Kufen, Ihr Redebeitrag war Mickey-Mouse-Kino und nicht im Ansatz das, was notwendig ist und worauf viele Leute warten, die auch Ihnen nahestehen. Sie hätten lieber Herrn Hovenjürgen oder Herrn Fehring reden lassen, die genau wissen, was an dieser Stelle und in solchen Momenten diejenigen umtreibt, die über Jahre geplant haben.
CDU und SPD haben auf Bundesebene eine Vereinbarung getroffen. Die Eckpunkte sind wesentlich detaillierter. Das will ich jetzt aufzeigen und gerne auch Ihnen, Herr Kollege Laschet, sagen.
(Der Abgeordnete hält ein Schriftstück hoch.)
– Das ist – die SPD-Kolleginnen und -Kollegen müssen jetzt tapfer sein – eine Koalitionsvereinbarung, in der steht: „Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN in der Städteregion Aachen“.
(Heiterkeit von der SPD)
Ich war bei der Unterzeichnung dabei. Armin Laschet hat sie ebenfalls unterschrieben. Dort steht: Zwischenziel Städteregion Aachen: Bis 2030 75 % erneuerbare Energien.
Ich habe unseren Thomas Griese gefragt: Wieso setzt ihr euch so ein hohes Ziel? – Daraufhin hat er gesagt: Das war das Wahlprogramm der CDU. Wir als Grüne konnten doch nicht weniger verlangen.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)
Lieber Armin Laschet, ich will ganz konkret werden, weil dann deutlich wird, warum wir an den Eckpunkten arbeiten müssen: Unsere Stadtwerke Aachen haben, nachdem im Land – Minister Wittke ist zitiert worden – 5 Jahre lang eine Blockade geherrscht hat, im Vertrauen auf das, was wir vereinbart haben, angefangen zu investieren. Unsere Stadtwerke Aachen sagen uns jetzt: 240 Millionen €, die dieses Jahr verbaut werden könnten und woran wir vier Jahre lang gearbeitet haben, stehen auf der Kippe, wenn die Eckpunkte umgesetzt werden.
In den Eckpunkten stehen nämlich Sachen, die nicht Gegenstand der Verhandlungen waren. Wer schreibt, am 22. Januar müsse die Genehmigung vorliegen, der weiß eigentlich genau, dass das nicht machbar ist. Wir können gegenüber den Akteuren nicht so kurzfristig handeln. Das, was im Kreis Aachen die 240 Millionen € sind, sind im Kreis Steinfurt rund 400 Millionen €.
Das heißt, wenn man mit denjenigen fair umgeht, die so einen Vorlauf in Kauf nehmen und auch wissen, dass die Vergütungen in Zukunft sinken werden und auch nach unten angepasst werden müssen, dann sage ich als Grüner nicht Nein. Das ist völlig klar. Dann muss man diesen Vertrauensschutz aber auch gewährleisten.
Josef Hovenjürgen weiß das ganz genau, Hubertus Fehring weiß das auch. Hubertus, wir haben euch im Raum Höxter besucht. Ihr macht das genauso. Wir haben alle Kommunen, alle Stadtwerke aufgefordert, tätig zu werden, und mit denen müssen wir sorgfältig umgehen.
Ich will an der Stelle weiter fachlich argumentieren. Man kann mit einem atmenden Deckel die Fotovoltaik eingrenzen.
(Zuruf: Was ist das?)
– Atmender Deckel bedeutet, dass die Neubauleistung, die pro Jahr für den Zubau gewährt wird, limitiert wird. Das kann man bei PV machen. Denn wenn sich jemand entscheidet, eine PV-Anlage zu betreiben, dann bestellt er diese Anlage, und dann wird diese sechs Wochen später auf seinem Dach installiert; wenn es eine größere Anlage ist, dauert es drei Monate.
Bei Windkraftanlagen – das wissen wir alle aus den Kommunen – dauert der Vorlauf aber vier Jahre; beispielsweise müssen über eine Vegetationsperiode Risiken und Schäden für die Natur beobachtet werden. Außerdem sind Planungsvorläufe und kommunale Mehrheiten nötig. Schließlich wollen wir die kommunale Autonomie an der Stelle nicht antasten, und diese entscheidet, ob sie Standorte ausweist. Insofern sind mehrere Jahre Vorlauf nötig, und daher kann man auch nicht mit einem atmenden Deckel operieren. Josef, du weißt das ganz genau, schließlich bist du bei dir in der Gegend tätig.
Also, wenn das Grundziel darin besteht – und dieses Ziel hat die Große Koalition –, die Erneuerbaren weiter auszubauen – jetzt könnte ich als Grüner wieder 5 % mehr fordern –, dann darf man nicht gleichzeitig Bedingungen schaffen, die es handelnden Akteuren unmöglich machen, ihre Pläne umzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Keine landwirtschaftliche Genossenschaft, kein Bürgerwindpark kann über vier Jahre im Vorlauf planen, mehrere Hunderttausend Euro in die Hand nehmen und Fachprüfungen machen, wenn dann mit einem atmenden Deckel argumentiert und gesagt wird, dass nicht sicher ist, was sie in vier Jahren bekommt. Dann findet man auch keine Bank, die sich an einer Finanzierung beteiligt. Insofern sind das ganz konkrete Punkte, die – das akzeptiere ich – nicht Gegenstand der Koalitionsverhandlungen waren, die aber in den Eckpunkten stehen und bei denen wir daher nachbessern und nachverhandeln müssen.
Darüber hinaus wissen wir alle: Ein Koalitionsvertrag ist das eine, die konkrete Ausgestaltung ist das andere. Dass wir bestimmte Punkte etwas anders sehen oder etwas stärker in den Blick nehmen als unser Koalitionspartner, ist völlig nachvollziehbar. Mir wäre es ja lieb, wenn CDU und FDP beide ganz konkret bezüglich der jeweiligen Punkte argumentieren würden. Dann könnten wir darüber streiten. So müssen wir es alleine regeln. Wir haben es in Nordrhein-Westfalen geregelt und die Blockade aufgebrochen.
Ich bin zuversichtlich – jedenfalls noch jetzt; denn ich weiß, dass unsere Ziele im Koalitionsvertrag klar beschrieben sind –, dass wir es auch im Diskurs mit Berlin schaffen werden, dafür zu sorgen, dass die Entwicklung hier in Nordrhein-Westfalen nicht abgebrochen, sondern weitergeführt wird. Das wird unsere Arbeit sein, und wir werden genauso weiterarbeiten wie bisher.
Deshalb kann ich sagen: Die Koalitionsvereinbarung in Berlin ist die Grundlage. Die Eckpunkte sind vorgelegt. Es gibt viel größere Probleme, die vor uns liegen; beispielsweise die Marktgestaltung und den Punkt, Speicher in den Markt zu bringen. Aber nach vier Jahren der Agonie ist das wenigstens ein Schritt nach vorne, über den man diskutieren kann. Der Rest obliegt unserer Arbeit hier in Nordrhein-Westfalen, und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir da noch etwas hinbekommen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Piraten spricht der Kollege Schmalenbach.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lindner, Sie haben gerade gesagt, Nordrhein-Westfalen sei Nettoverlierer beim EEG. Und ich stelle mir die Frage, ob das nicht vielleicht daran liegt, dass die vorletzte, nämlich schwarz-gelbe Regierung in NRW den Ausbau der Erneuerbaren stark vermindert hat. Ich glaube, dass die Rechnung dann aufgeht, wenn wir darin investieren und die Anlagen hier stehen.
Ich würde in dem Zusammenhang gerne über Nordrhein-Westfalen reden. Denn Nordrhein-Westfalen ist Energieland Nummer eins, und das soll aus unserer Sicht auch so bleiben. Historisch ist diese Rolle zweifellos dem Kohlebergbau im Ruhrgebiet und am Niederrhein zu verdanken. Er hat einen wesentlichen Anteil am Aufbau der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Zu Recht konnten die Menschen damals stolz auf diesen Beitrag sein.
Aber wir alle wissen: Der Steinkohlebergbau wird 2018 enden. Was bleibt, ist der Braunkohlebergbau. Ihm und dem damit verbundenen Kraftwerk ist es zu verdanken, dass NRW auch einen anderen Spitzenplatz hält. Denn NRW ist Nummer eins bei den CO2-Emissionen, die allein 2013 mit rund 300 Millionen t Kohlendioxid etwa ein Drittel des gesamten Ausstoßes in Deutschland ausmachen. Wenn das der Preis dafür ist, Energieland Nummer eins zu sein, dann ist er zu hoch – viel zu hoch für unser Klima, viel zu hoch für unserer Zukunft.
(Beifall von den PIRATEN)
Vor diesem Hintergrund muss diese Debatte geführt werden. Anhand der Steinkohle sehen wir, wie schwierig es ist, den Strukturwandel zu gestalten, und dass es richtig ist, ihn aktiv, am besten proaktiv zu begleiten.
Wer fordert, den notwendigen unvermeidlichen Wandel dem Markt zu überlassen, der beweist, dass ihm Menschen, Arbeitsplätze und Klimaschutz gleichgültig sind.
(Beifall von den PIRATEN)
Es ist die Aufgabe der Politik, hier einzugreifen und die Anpassungsprozesse zu gestalten. Zweifellos muss die Regierung hierbei geschlossen handeln. Der Umweltminister darf nicht „hü“ sagen, während der Wirtschaftsminister „hott“ ruft.
Auch wir vermissen eine klare Linie. Diese muss aber vor allem auf den Ausbau der im Land verfügbaren Potenziale von Wind- und Sonnenenergie ausgerichtet sein. Sie darf nicht zulassen, dass von Berlin aus gebremst wird.
Die Regierungschefin ist gefordert; denn sie kann Einfluss auf den Bundesrat und die Ministerpräsidentenkonferenz nehmen. Nur sollte sie nicht den Fehler machen, sich zur Lobbyistin der Braunkohle zu machen. Ebenso wie bei der Steinkohle ist hier ein geregelter Ausstieg weit früher als 2045 notwendig. Wir denken, der beste Weg dazu ist ein Braunkohleausstiegsgesetz, das Klarheit für alle Betroffenen schafft und die Grundlage für aktive Gestaltungen des Prozesses bildet.
Die Industrie- und Wirtschaftskultur unseres Landes unterliegt dem Wandel. Wer sich gegen ihn stellt, der wird keinen Erfolg haben. Die CDU sollte heute begriffen haben, wie falsch es war, den Ausbau der Windkraft im Land während ihrer Zeit in der Regierung aus populistischen Gründen zu behindern. Die SPD sollte heute begreifen, dass die Braunkohle auf Dauer nicht zu halten ist. Und die Grünen sollten sich erinnern, wofür sie in NRW einmal standen.
(Beifall von den PIRATEN)
Ja, die gemeinsame Strategie ist wichtig, aber sie muss in die Zukunft gerichtet sein und darf nicht die Vergangenheit konservieren wollen. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren.
Dezentrale Strukturen müssen auch durch den Netzausbau ermöglicht werden. Auch hier gilt: Es dürfen keine Planungen umgesetzt werden, die heute schon nicht mehr der Realität entsprechen. Hierzu behandeln wir nachher noch einen Antrag im Plenum; ich hoffe, dass Sie diesem zustimmen werden.
Beim Netzausbau und beim Bau von Speichern ist auch das Know-how der Netzbetreiber gefragt. Stadtwerke können wesentliche Anteile an der Energieversorgung der Zukunft zurückgewinnen. So können auch Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden. Zu der Strategie muss auch ein neues Strommarktdesign gehören, das vor allem eine gerechte Verteilung der Kosten gewährleistet.
Wenn sich mittlerweile die energieintensive Indus-trie in Holland bei der eigenen Regierung beklagt, dass der Strom für die Wettbewerber in Deutschland viel günstiger sei, dann sollten zwei Dinge klar sein: Das Marktdesign passt nicht mehr zur veränderten Wirklichkeit, und es gibt keinen Grund für die viel zu weit gehende Befreiung von der EEG-Umlage für Deutschlands Großverbraucher.
(Beifall von den PIRATEN)
Statt an dieser Stelle immer weiter so lange in die falsche Richtung zu steuern, bis die EU die Notbremse zieht, sollte die Landesregierung auch hier endlich zu einer vernünftigen Linie finden, die sie konsequent auf allen Ebenen vertritt. Dann wird auch die Forderung nach einem gleichseitigen Dreieck aus Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Klimaverträglichkeit bei der Energieversorgung glaubwürdig. Und glaubwürdig will unsere Regierung doch sicher sein. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die Landesregierung spricht die Ministerpräsidentin.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob uns die Debatte wirklich weiterbringt. Das ist ein zu wichtiges Thema, als dass wir auf der Ebene verharren, die ich hier insbesondere vonseiten der FDP wahrgenommen habe, nämlich zu schauen, wie man den Spaltpilz zwischen Rot und Grün säen kann. Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass das nicht gelingen wird.
Das Thema ist für Nordrhein-Westfalen enorm wichtig. Ich wurde nach dem Zeitplan gefragt. Er ergibt sich aus dem Gesetzgebungsprozess.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Lieber Herr Lindner, machen Sie sich keine Sorgen: Am 20. Januar waren die Ministerpräsidenten schon im Gespräch mit Herrn Gabriel. Es ist und bleibt Chefsache, auch wenn Ihnen das nicht in den Kram passt.
Denn eines muss man auch sagen: Den Spagat bekomme ich noch hin, Herr Lindner, aber ob Sie mit dem Kopf über die Reckstange kommen, weiß ich noch nicht.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Also, es ist sinnvoll, das EEG zu reformieren. Wir haben lange genug darauf gewartet. Deutschland muss die Spitzenposition behalten; auch das steht außer Frage. Deutschland ist Vorreiter. Wir sind stolz darauf. 25 % des im Industrieland Deutschland verbrauchten Stroms stammen zwar aus erneuerbaren Energien, aber klar ist auch, dass wir nachjustieren müssen, um die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems nicht zu gefährden,
(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Wie denn?)
die Kosten für die Verbraucher und die Wirtschaft im Griff zu behalten. Außerdem müssen wir wieder ein Gleichgewicht zwischen den drei Seiten des Dreiecks „sicher“, „sauber“ und „bezahlbar“ herstellen. Nur so – davon sind wir zutiefst überzeugt – können wir die Akzeptanz der Energiewende auf Dauer sichern.
Dabei wird es nicht reichen, in Deutschland Mehrheiten für eine notwendige Reform zu gewinnen. Wir brauchen auch an vielen Punkten die Zustimmung der EU-Kommission, und das trifft bei uns auf zwei Aspekte besonders zu, nämlich einerseits auf die weitere Förderung der erneuerbaren Energien. Andererseits brauchen wir für unsere im internationalen Wettbewerb stehenden Industrien die Ausnahmen von der Umlage; denn diese sind für sie überlebenswichtig.
Industrieelle Arbeitsplätze müssen in Deutschland und Nordrhein-Westfalen erhalten bleiben. Eine starke Industrie ist nämlich nicht nur für uns, sondern auch für Deutschland und für ein starkes und wettbewerbsfähiges Europa gut. Deshalb ist ein entschlossenes Handeln der Bundesregierung erforderlich, wie es Sigmar Gabriel mit den Eckpunkten der EEG-Reform vorgelegt hat. Ich finde, das ist eine sehr gute Grundlage für die notwendige Diskussion um die Details. Um diese werden wir in den nächsten Wochen miteinander ringen müssen. Das verbessert dann aber auch unsere Ausgangslage für die Diskussion mit der EU-Kommission sowohl im Beihilfeprüfungsverfahren als auch bei den neuen Beihilfeleitlinien.
Wenn man jetzt die Zeitungen aufschlägt, ist eines doch klar erkennbar: Jetzt artikulieren sich deutschlandweit die Partikularinteressen. Das kann doch bei den unterschiedlichen Interessenlagen gar nicht überraschen, und das haben wir schon während der Verhandlungen der Koalition in Berlin hautnah miterleben dürfen. Es ist doch klar, dass die Nordländer den Fokus auf die Offshore-Windenergie richten und dass Bayern darauf achten will, dass Solar- und Bioenergie weiter intensiv gefördert werden. Es wird Sie auch nicht überraschen, dass ich gerade jetzt eine Menge Briefe von Unternehmen und Verbänden bekomme, die auf ihre speziellen Anliegen aufmerksam machen und um Unterstützung werben.
Die regionalen, branchenspezifischen, aber teilweise auch unternehmensscharfen Einzelinteressen dürfen aber eine in sich schlüssige und den Gesamtinteressen Deutschlands dienende EEG-Reform nicht aufhalten; darauf kommt es an. Und ich bin mir sicher: Wir werden eine sachgerechte, vernünftige und zeitnahe Reform des EEG hinbekommen. Dabei kommt es für Nordrhein-Westfalen auf folgende Punkte gleichermaßen besonders an:
Die Energiewende ist eine Chance – gerade auch für uns. Es geht schließlich um neue Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen im Bereich der Erneuerbaren. Für uns kommt es aber auch darauf an, dass hier in Nordrhein-Westfalen der Ausbau der Erneuerbaren weiter voranschreiten kann, und da ist die tragende Säule in Nordrhein-Westfalen die Windenergie, die Sie damals so intensiv bekämpft haben. Onshore ist günstiger als offshore. Sie ist günstiger als Biomasse und günstiger als Photovoltaik. Und natürlich wollen wir, dass unsere Unternehmen auch weiterhin davon profitieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir brauchen zeitnah Sicherheit über mögliche Ermäßigungen für die energieintensiven Industrien im internationalen Wettbewerb. Es ist klar, dass die Anzahl der Industrien reduziert werden muss. Daher geht es nun darum, zu definieren, welche nicht im internationalen Wettbewerb stehen und daher ausgeschlossen werden können. Das sind die Diskussionen, die man führen muss und die wir führen werden. Wir brauchen diese Freistellungen, und wir werden dafür kämpfen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Darüber hinaus brauchen wir ausreichenden Rechtsschutz für getätigte Investitionen, die sich in der Realisierung befinden, und zwar sowohl bezüglich der fossilen Kraftwerke – das hat der Kollege Priggen schon dargestellt – als auch für diejenigen, die in Windkraft investiert haben. Und dabei möchte ich betonen, dass wir die Fristen, die dort in den Eckpunkten stehen, nicht für sachgerecht halten. Das ist ein zentraler Punkt der Kritik, und den werden wir auch weiterhin vortragen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das Ziel dürfen wir nicht aus den Augen verlieren: Wir müssen die Kosten senken und den Anstieg der Kosten bremsen. Allerdings muss man in aller Offenheit sagen – und das tun wir, und das habe ich auch während der Verhandlungen getan –: Eine Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Aber das Ziel, am Ende des Tages eine saubere und kostengünstige Energieversorgung in Deutschland auf die Beine zu stellen, ist es uns wert.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Insofern steht jetzt die Detailarbeit an, Windenergie auch an guten Standorten in Nordrhein-Westfalen zu erzeugen. Wir wollen dafür sorgen, dass das weiter – und nicht nur an der Küste – möglich ist. Wir wollen unsere Ausbauziele erreichen. Auch die Bürgerwindparks sind in unserem Interesse. Wir wollen die Industrieausnahmen möglichst so justieren, dass wir einerseits den Kreis der Begünstigten sinnvoll einschränken und andererseits unsere industriellen Arbeitsplätze und die daran anknüpfende Wertschöpfungskette nicht gefährden. Und auch mit dem Beihilferecht möchten wir in Zukunft möglichst keine Probleme mehr haben.
Das heißt, für Nordrhein-Westfalen ist die Ausgestaltung der besonderen Ausgleichsregelungen von vitalem Interesse. Wir müssen verhindern – Stichwort: Eigenstrom –, dass Unternehmen allein deshalb in die eigene Stromerzeugung wechseln, um sich auf diesem Weg von der EEG-Umlage zu befreien. Langfristig würde das bedeuten, dass mehr Kraftwerkskapazitäten aufgebaut und getätigte Investitionen und vorhandene Strukturen gefährdet werden. Außerdem würden über die EEG-Umlage Kosten für Verbraucher und für Unternehmen weiter erhöht. Das wollen wir nicht. Aber bestehende Eigenstromproduktionen müssen selbstverständlich auch Vertrauensschutz genießen, und hier besteht noch Klärungsbedarf in den Gesprächen, die anstehen.
Wir müssen auch über das Thema „Kuppelgase“ reden. Wir müssen über die gesamte Nutzung von Strom und Wärme in Verbindung mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Nah- und Fernwärmenetzen reden. Das ist ein aktiver Beitrag zum Ressourcen- und Klimaschutz. Wir wollen unsere KWK-Ausbau-ziele in Nordrhein-Westfalen erreichen. Auch darum wird es in dieser Debatte gehen, und deshalb ist es unser Interesse, dass Deutschland ein zukunftsfähiges EEG bekommt, dass wir die Kosten im Griff haben und dass der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien auch in unserem Land vorankommt.
Dafür setzen wir uns ein. Das ist die Agenda, und auf diesem Weg werden wir gemeinsam voranschreiten. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Laschet.
Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Energiepolitik ist ein Thema, das für Nordrhein-Westfalen von großer Bedeutung ist, weil wir das Energieland in Deutschland waren, sind und bleiben wollen und weil bei uns viele Industriearbeitsplätze davon abhängen, dass der Strom bezahlbar bleibt.
Deshalb war die Vereinbarung der Großen Koalition zur Energiepolitik so bedeutsam – aus meiner Sicht eines der bedeutsamsten Projekte der nächsten vier Jahre –, nämlich das zu durchschlagen, was uns die letzten Jahre beschäftigt hat, dass wir nicht handlungsfähig waren. Christian Lindner, wir müssen schon ernsthaft zugestehen, dass wir trotz der Mehrheit, die es gab und wo vielleicht der Wunsch da war, auch bei Wirtschaftsminister Rösler, so etwas zustande zu bringen, was jetzt zustande kommt,
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
keine Mehrheit im Bundesrat hatten und Rot-Grün das blockiert hat. Das war unser Problem.
(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
– Wissen Sie, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist hier wie so ein Pegel.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Sie haben angefangen, aber dann Schiss vor der eigenen Courage bekommen!)
– Herr Eiskirch, in diesem kleinen Gesichtsfeld ist ein Pegel eingebaut. Je mehr bei der SPD gelacht wird, desto mehr hat der Redner recht gehabt.
(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
Insofern: Sie wissen genau, dass es so war.
Nur, Christian Lindner, dann kann man jetzt hier nicht sagen: Die Große Koalition macht ja alles schlecht, und es hätte viel schneller passieren können.
(Christian Lindner [FDP]: Das sage ich nicht!)
Es wäre gut, wenn Sie sagen würden: Großartig, was jetzt Minister Gabriel macht! Dafür hatten wir als FDP in der anderen Koalition lange gekämpft.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von der FDP – Vereinzelt Lachen von der SPD und der CDU)
Jetzt kommt das zweite Thema! Der SPD-Fraktionsvorsitzenden und auch die Grünen haben mit ihren Debattenbeiträgen Folgendes versucht, was aber nicht gelungen ist: Man greift ein Detail dessen heraus, was Gabriel jetzt vorschlägt, kritisiert dieses und sagt: Deshalb müssen wir über die ganze Sache noch reden. – Da kann ich gerne mitmachen. Reiner Priggen hat das Beispiel gebracht, wie der Kabinettsbeschluss besagt: … bis zum 22. Januar 2014 immissionsschutzrechtlich genehmigt sein muss.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Der Beschluss ist anders!)
– Das ist doch der Wortlaut.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Nein, das war der Entwurf! Der Beschluss sieht anders aus!)
– Lieber Reiner, das ist der Beschluss, und das ist nicht das, was wir in der Arbeitsgruppe der Koalition beschlossen haben.
Zum Bürgerwindpark in Haltern: Josef Hovenjürgen hat mich während der Koalitionsverhandlungen oft angerufen und gesagt: Hier ist ein Bürgerwindpark geplant. Hier haben Menschen jahrelang investiert. Das könnt ihr nicht zu einem bestimmten Stichtag abwürgen. – Deshalb war verabredet, dass man das, was geplant ist, umsetzen soll. Da muss nachgebessert werden.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Das ist ein Detailpunkt.
Zweiter Detailpunkt: Eigenstromversorgung. Es gibt viele Unternehmen bei uns in Nordrhein-Westfalen, gerade in der Stahl- und in der Chemieindustrie, die Eigenstromversorgung unter hohen Investitionskosten umgesetzt haben und jetzt sagen: Wenn das, was in der Nacht von Meseberg dazugekommen ist, dass die Förderung auf das Jahr 2012 begrenzt wird und man in Zukunft den vollen Anstieg der EEG-Umlage mitzahlen soll, gilt, dann gefährdet das hier Arbeitsplätze. Minister Duin hat das ebenfalls vorgetragen, dass das ein Punkt ist, über den gesprochen und der korrigiert werden muss.
Das sind zwei kleine Punkte.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Es gibt aber noch mehr!)
Das Grundproblem ist, dass die Ministerpräsidenten der Länder, insbesondere die, die nicht in der Arbeitsgruppe waren, Herr Albig aus Norddeutschland, Herr Kretschmann und Herr Seehofer, jetzt mit eigenen Vorschlägen kommen und das ganze Gesetz infrage stellen. Kretschmann und Seehofer sehen das relativ einfach: Es muss eine Thüringer Strombrücke gebaut werden, dass für den Zeitpunkt, an dem Grafenrheinfeld Ende 2015 abgeschaltet wird, genug Strom im Süden ist. – Wir sagen: Wir haben den Strom hier. Nordrhein-Westfalen ist das Energieland, das ihn liefern kann. Wir brauchen jetzt nicht zig neue Gaskraftwerke in Bayern, sondern wir müssen das Potenzial aus Nordrhein-Westfalen nutzen. Das ist unsere Position.
(Beifall von der CDU)
Dagegen laufen Kretschmann und Seehofer Sturm. Uns als CDU ärgert – deswegen ist es richtig, dass diese Aktuelle Stunde beantragt worden ist –: Seehofer- und Kretschmann-Kabinette äußern sich geschlossen. Albig äußert seine Interessen. Und Nordrhein-Westfalen wird dadurch wahrgenommen, dass Herr Remmel das ganze Gesetz infrage stellt und Herrn Gabriel kritisiert, Herr Duin das Ganze an ein paar Punkten relativiert und unsere Ministerpräsidentin schweigt.
(Beifall von der CDU und der FDP – Thomas Eiskirch [SPD]: Sie hat doch gesprochen!)
Deshalb, Frau Kraft: Das war heute hier nicht klar genug.
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
– Nein, nein. Das war nicht klar genug! Sie müssen sagen: Das, was Gabriel jetzt vorgelegt hat, ist zu 99 % das, was ich als verantwortliche Leiterin der Energiearbeitsgruppe ausgehandelt habe. Und wenn der Gabriel-Entwurf so in den Bundesrat kommt, werde ich meinen eigenen Ideen, für die ich in der Koalitionsarbeitsgruppe gekämpft habe, im Bundesrat auch zustimmen. Alles andere ist unglaubwürdig. Klartext ist jetzt wichtig gegen die anderen Ministerpräsidenten. Und das erwarten wir von Ihnen.
(Lebhafter Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Eiskirch.
Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kollege Laschet, Sie haben mit einem Satz begonnen, der vollkommen richtig war. Während Sie ihn gesprochen haben, haben Sie dann Angst vor Ihren eigenen Worten bekommen. Schade! Sie hatten so gut begonnen – und dann kam das, was wir erleben mussten, Kolleginnen und Kollegen.
Herr Priggen hat Sie ja nun gereizt. Ich lese seit einem halben Jahr in den Zeitungen, dass Sie sich in das Thema „Energiepolitik“ einlesen und einarbeiten. Wenn meine Wahrnehmung mich nicht völlig täuscht, war das, obwohl nicht vorgesehen, heute vor diesem Hause Ihre energiepolitische Jungfernrede. Ich glaube, es ist richtig, wenn ich so damit umgehe, wie wir mit Jungfernreden sonst auch umgehen: Zu viel Kritik am Inhalt des Vortrags sollte man dabei nicht üben.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Die Energiewende im Allgemeinen und die Reform des EEG im Besonderen brauchen eine breite politische und gesellschaftliche Unterstützung und Verankerung. Die Energiewende braucht den Bundestag, und sie braucht den Bundesrat, die Kammer der Länder. Sie braucht Wirtschaft und Arbeit, sie braucht die Bürgerinnen und Bürger, und sie braucht die Verbraucher, weil deren aller Interessen betroffen sind. Sie alle müssen das mittragen.
Nur eines braucht die Energiewende in Deutschland nicht mehr, nämlich die FDP, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN – Dr. Gerhard Papke [FDP]: Wenig Beifall!)
Auch in den Bundesländern braucht man die FDP dafür schlicht und ergreifend nicht mehr. In diesem Wissen um ihre eigene Entbehrlichkeit ist auch dieser Antrag geschrieben; denn wer diesen Antrag liest, dem wird wieder klar: Die FDP hat ihre Chance gehabt. Die FDP hat dabei komplett versagt. Vier Jahre lang haben Brüderle und Rösler über Energiepolitik gequatscht. Aber sie haben dabei nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe bekommen, Kolleginnen und Kollegen.
(Zustimmung von der SPD)
Das sind Ihre Probleme, Herr Lindner. Sie haben versagt. Die FDP war der Komplexität der Frage der Energiewende schlicht nicht gewachsen. Sie können es nicht. Und nach der letzten Bundestagswahl ist klar: Sie dürfen es nun auch nicht mehr. Das ist auch richtig so.
Norbert Römer hat darauf hingewiesen: Nur vier Wochen nach der Wahl hat die neue Regierung im Bundestag, hat Bundeswirtschafts- und ?energiemi-nister Sigmar Gabriel gemeinsam mit Staatssekretär Rainer Baake, der übrigens unter dem damaligen grünen Umweltminister Jürgen Trittin bereits Staats-sekretär war, Eckpunkte für eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorgelegt.
Es ist auch richtig und gut, dass so viele daran beteiligt sind, weil wir – das ist völlig richtig – mehr als nur die Geschlossenheit der großen Koalition brauchen, um die Energiewende auch in diesem Teil gestalten zu können. Ich bin mir sicher: Sowohl Sigmar Gabriel als auch Staatssekretär Rainer Baake haben genau das im Blick.
Die beiden haben in vier Wochen etwas geschaffen – das ist schon angeklungen –, was CDU und FDP mit Altmaier, Brüderle und Rösler in vier Jahren nicht hinbekommen haben. Ein bisschen Demut täte Ihnen gut – und nicht das, was Kollege Römer Ihnen gerade schon vorgehalten hat.
Die Unfähigkeit von CDU und FDP, Lösungen herbeizuführen, verstärkt nun den Druck auf die Energiewende. Es potenziert ihn. Sie haben Jahre verschenkt, in denen man behutsamer hätte umsteuern können. Jetzt ist der Druck größer, und wir müssen Lösungen dafür herbeiholen.
Daraus wird deutlich: Die FDP, ganz vorneweg, hat der Energiewende zwei Jahre gestohlen und ruft jetzt hier: Haltet den Dieb! – Es ist nicht verantwortlich, so damit umzugehen, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Unfähigkeit von CDU und FDP, Lösungen zu realisieren, hat auch zum Beihilfeverfahren der EU gegen das EEG und insbesondere gegen die besonderen Ausgleichsregelungen für die Industrie geführt, die gerade für Nordrhein-Westfalen von besonderer Bedeutung sind. Deswegen kann ich die fast schon pharisäerhafte Tränenvergießerei von Ihnen, Herr Lindner, kaum noch ertragen.
Nun müssen andere die Probleme lösen, die Sie uns eingebrockt haben. Jetzt liegen die Eckpunkte für die Reform vor. Wie gerade schon deutlich geworden ist, ist das nur der erste Schritt. Es kommt noch eine ganze Menge. Das Thema „Strommarktdesign“, die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen der KWK und ganz viele andere Dinge liegen noch vor uns und werden konkretisiert werden müssen.
Das, was jetzt vorliegt, macht deutlich, nach welchen Prinzipien der Markt begleitet werden muss; denn alleine wird er es nicht können. Diese Kriterien und Prinzipien, die jetzt vorliegen, widersprechen an keiner einzigen Stelle – das lässt mich bei den Versuchen, die Sie hier unternehmen, zwischen Rot und Grün einen Spaltkeil zu treiben, auch ganz ruhig bleiben – dem in Nordrhein-Westfalen zwischen Rot und Grün geschlossenen Koalitionsvertrag. Deswegen wird man das auch hinbekommen, Kolleginnen und Kollegen. Da brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen.
Die Konkretisierungen in den Eckpunkten führen natürlich dazu – die Ministerpräsidentin hat es gerade schon beschrieben –, dass Bayern jetzt ganz besonders beim Thema „Biogas“ hinschaut und dass auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern spezifische Interessen im Blick haben.
Das bedeutet aber auch, dass wir als Energie- und Industrieland Nummer eins unsere spezifischen Interessen im Blick haben. Die Ministerpräsidentin hat das ausgeführt. Dabei geht es vorneweg – das ist überhaupt keine Frage – um die energieintensiven Unternehmen. Sie sind bei uns angesiedelt. Ihre Wettbewerbsfähigkeit kann ohne wirksame Ausnahmeregelung mit einem Schlag hinfällig sein. Deswegen ist es natürlich unsere Aufgabe, ganz besonders zu gucken, wie man Lösungen herbeiführen kann. Von daher ist es wichtig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen – gerade bei dem, was diesbezüglich in Brüssel durch Sie angerichtet wurde –, dass diese Unternehmen nicht nur be-, sondern auch weiterhin entlastet werden können.
Hier geht es – in Anbetracht der Redezeit will ich das gar nicht alles wiederholen – natürlich ganz besonders um die chemische Industrie und die Anregungen, die jetzt aus der Landschaft zu diesen Themen kommen. Für sie ist das Thema „Eigenstromerzeugung“ von besonderer Bedeutung.
Wie die Ministerpräsidentin deutlich gemacht hat, können wir auf der einen Seite nicht zulassen, dass jetzt, nur um Windfall Profits mitzunehmen, investiert wird und der Rest der Probleme sozialisiert wird. Auf der anderen Seite können wir aber natürlich auch nicht zulassen, dass gerade die großen Verbraucher, die in der Vergangenheit mit großen Investitionen dafür Sorge getragen haben, wettbewerbsfähig zu bleiben, über Gebühr belastet werden. Genau dieses Spektrum im Blick zu halten und zusammenzuführen – das ist nämlich der wirkliche Spagat, Kollege Lindner –, ist die Aufgabe, die wir aus Nordrhein-Westfalen an erster Stelle begleiten und unterstützen sollten.
Das gilt auch für das Thema „Kraft-Wärme-Kopplung“. – In Anbetracht der Redezeit will ich nicht mehr im Detail auf die einzelnen Punkte eingehen.
Was mich aber richtig ärgert, ist, dass ausgerechnet Sie sich hier zum Thema „Windkraft“ äußern. Fünf Jahre lang haben Sie hier vorne gestanden, Herr Papke – der Ihnen jetzt im Nacken sitzt, Herr Lindner –: Mit dem Wort „Windenergiemonster“ sind die Repowering-Anstrengungen in Nordrhein-Westfalen von Ihnen beschrieben und verhindert worden. Es ist skandalös, sich jetzt hinzustellen, nachdem man es in Berlin versaubeutelt hat und hier nichts dafür getan hat, und zu sagen: Haltet den Dieb! Die anderen müssen es machen!
(Beifall von den GRÜNEN)
So geht das nicht, Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sollten wir doch versuchen, uns in Zukunft gemeinsam über die Inhalte der Energiewende unterhalten, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Eiskirch, die Redezeit.
Thomas Eiskirch (SPD): … und diese lächerlichen Kindergartenversuche von Spaltpilzen schlicht und ergreifend unterlassen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die FDP-Fraktion hat sich erneut der Fraktionsvorsitzende zu Wort gemeldet. Herr Kollege Lindner hat das Wort.
Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Eiskirch, Sie haben offenbar unsere Position völlig missverstanden. Wir sind immer noch gegen die Verspargelung der Landschaft. Der erste Minister, der das wirklich anpackt, ist jetzt Sigmar Gabriel. Chapeau!
(Beifall von der FDP)
Er hat unsere volle Unterstützung. Wir halten unverändert daran fest: Windkraft im Wald, wie die Grünen das wollen, macht keinen Sinn und ist auch eine Gefahr für den Naturraum.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Sie wollten es nicht einmal außerhalb des Waldes, nicht einmal an genehmigten Standorten!)
Dazu bekennen wir uns unverändert, lieber Herr Eiskirch. Da gibt es keine Positionsveränderung.
Insgesamt war diese Debatte eine Delikatesse. Das begann schon mit der Rede von Herrn Kollegen Römer. Er hat sich hier in Prediger-Rhetorik hingestellt und hat mächtige Angriffe insbesondere gegen meine Person geschleudert.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oooh!)
Lieber Herr Römer, jeder blamiert sich, so gut er kann. Gar kein Problem.
(Beifall von der FDP)
Das dürfen Sie in jeder Debatte gerne weiter fortsetzen. Das Bemerkenswerte ist nur: Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion hat bei einer für dieses Land entscheidenden industriepolitischen Debatte nichts anderes zu tun, als sich an der Oppositionsfraktion FDP abzuarbeiten, und hat nicht einen einzigen inhaltlichen Punkt über Beschwörungsformeln hinaus zu bieten.
(Beifall von der FDP)
Das ist beschämend, Herr Römer. Damit haben Sie gezeigt, dass es sehr wohl gelingt, den Interessengegensatz zwischen SPD und Grünen hier deutlich zu machen. Ansonsten hätten Sie ja in der Sache argumentiert. Aber wir haben in der Sache nichts gehört. Sie haben sich da in ein paar Details verloren und haben Ihre Beschwörungsformeln gebracht.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Ganz kleines Karo!)
Reiner Priggen hat seine Textbausteine von der Festplatte noch einmal dargestellt, die habe ich alle schon gehört. Aber im Prinzip haben Sie über die aktuellen Eckpunkte von Sigmar Gabriel nichts gesagt. Sie haben sich dazu nicht positioniert.
Hier ist insbesondere von der SPD von einer angeblichen „Lösung“ gesprochen worden, die Gabriel gefunden habe. – Verehrte Kollegen, Sie sind noch nicht einen Zentimeter weiter als Schwarz-Gelb damals bei der Strompreisbremse. Denn Sie haben unverändert keine Mehrheit im Bundesrat für Ihre Position.
(Beifall von der FDP)
Frau Ministerpräsidentin, an dem Tag, als Sie mit Herrn Gabriel über Energiepolitik gesprochen haben, nämlich am 20. Januar – das Datum haben Sie gerade genannt –, an dem Tag, als Sie bei Herrn Gabriel gesessen haben, hat Johannes Remmel dem WDR Interviews gegeben, in denen er mit der Blockade der Vorschläge von Gabriel im Bundesrat bereits gedroht hat. Das ist die Realität.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Frau Kraft, das, was Sie in Berlin als Industriekapitänin verhandelt haben, das wird hier in Nordrhein-Westfalen von Ihrer Koalition offensichtlich nicht mitgetragen. Bündnis 90/Die Grünen lehnen den Koalitionsvertrag und die Eckpunkte von Sigmar Gabriel ab. Sie haben in Wahrheit noch kein energiepolitisches Konzept. Sie haben gute Vorschläge.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Sollten wir den auch noch unterschreiben?)
Die Bundesregierung hat anerkennenswerte Vorschläge gemacht. Ich habe eben dargestellt: noch zögerlich aus unserer Sicht. Aber immerhin gehen diese Vorschläge in die richtige Richtung. Bis dato gibt es aber keine gemeinsame Linie. Insbesondere hier in Nordrhein-Westfalen gibt es veritable Interessengegensätze nicht nur bei der Windkraft, sondern auch darüber hinaus.
Sie können so viele Beschwörungsformeln hier einbringen, wie Sie wollen: Sie werden an Ihren Taten gemessen werden, Frau Kraft. Entweder werden Sie im Bundesrat die Vorschläge von Gabriel blockieren müssen, weil Sie mit den Grünen nicht zurande kommen, oder Sie werden dem Konzept von Sigmar Gabriel die Zähne ziehen müssen, damit die Grünen an Bord sind. Beides wäre für Nordrhein-Westfalen schlechte Politik.
(Beifall von der FDP und Armin Laschet [CDU])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt Frau Kollegin Brems.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Als ich den Anfang der Ausführungen von Herrn Laschet gehört habe, dachte ich: Jetzt kommen Laschets Sachgeschichten. Es wurden dann leider doch Laschets Lachgeschichten.
(Zurufe von der CDU)
Sie haben selber auch gemerkt und es selbst als lächerlich befunden, wie Sie auf Bundesebene das Nichtstun der eigenen Partei, der eigenen Regierung damit entschuldigen, dass andere einen aus sachlichen Gründen daran hindern. Das fand ich schon eine bemerkenswerte Volte, die Sie hier geschlagen haben.
Was wir als Grüne ganz klar sagen, ist Folgendes: Wir haben jetzt den ersten Schritt der Systemeinführung der Erneuerbaren Energien hinter uns. Das ist klar. Daran hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz den entscheidenden Anteil. Daran hat auch der Einspeisevorgang einen entscheidenden Anteil.
Jetzt, mit der Wende hin zum 25-%-Anteil erneuerbarer Energien, geht es darum, die nächsten Schritte zu machen. Bei diesem Schritt der Systemdurchdringung geht es darum, sich auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz anzugucken, ganz klar. Aber die Frage ist: An welchen Stellen und wie macht man das? Das Erneuerbare-Energien-Gesetz muss verändert werden. Es gibt an einigen Stellen massive Überförderungen, an die man schon längst hätte herangehen müssen. Man hätte da schon längst auch im Sinne der erneuerbaren Energien, im Sinne der Kostenentwicklung etwas machen können.
Aber das, was wir jetzt teilweise an Vorschlägen haben, ist wirklich destruktiv. Als Beispiel ist eben schon einmal die kurze Zeitspanne von wenigen Tagen bis zur Genehmigung von Windanlagen genannt worden. All das sind Sachen, die gerade nicht für Investitionssicherheit, sondern für genau das Gegenteil sorgen. Das haben wir hier eben schon mehrfach gehört. Es gibt Beispiele aus dem ganzen Land dafür, dass gerade bei Investitionen in Bürger-Energieanlagen die Menschen sehr verunsichert sind.
Der nächste Punkt betrifft die Energieträger bei den Erneuerbaren, die die Energiewende ausmachen, die diese Energiewende jetzt billig machen: Photovoltaik und Windenergie sind die beiden Träger der Energiewende. Das sind die beiden, die in den letzten Jahren massive Lernkurven, was den Preis angeht, hinter sich haben. Gerade die beiden sind die günstigsten erneuerbaren Energieträger. Sie sind hier und da schon günstiger als viele neue konventionelle Kraftwerke.
Wenn man genau da mit einem Deckel und mit massiven Kürzungen herangeht, dann bringt das für die Kostenstruktur überhaupt nichts, sondern es macht die Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien einfach nur kaputt.
Es gibt eine Studie von McKinsey, die dargestellt hat: Wenn man die Windstromvergütung in diesem und im nächsten Jahr um 15 % kürzt, dann macht das eine Verringerung der EEG-Umlage von 0,03 Cent pro Kilowattstunde aus. Daran sieht man: Es ist genau das Falsche, an die beiden Energieträger heranzugehen, die die Energiewende günstig machen werden.
Ein dritter Punkt: Die Bürgerinnenbeteiligung bei Windenergie, bei Fotovoltaik ist eine der tragenden Säulen der Energiewende. Das ist das Rückgrat der Energiewende. So hat die Energiewende überhaupt erst stattfinden können; denn in den Großteil der Erneuerbare-Energien-Anlagen wurde und wird von Bürgerinnen und Bürgern in Genossenschaften oder einzeln investiert. Genau da ist die Verunsicherung jetzt besonders groß. Genau da werden Banken womöglich sehr zurückhaltend sein. Wenn große Energieversorger sagen, dass sie die Unsicherheiten noch irgendwie gemeinsam bewältigen, so ist das Ganze, sobald ein paar Bürgerinnen und Bürger zusammen sind, schon nicht mehr so einfach. Da sind die Banken dann sehr zurückhaltend.
Das alles kann dazu führen – wir haben es schon gesagt –, dass massive Investitionen in Nordrhein-Westfalen unterbleiben. Das finden wir investitionsfeindlich für Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann komme ich gerne noch zur FDP: Sie versuchen sich ja an einer Legendenbildung, Herr Lindner, dass Sie jetzt die Naturschützer seien, weil Sie gegen die Windenergie im Wald sind. Ich finde es schon sehr spannend, wie Sie wie ein Fähnlein im Wind an diesen und vielen anderen Stellen, da, wo es Ihnen passt, auf einmal den Naturschutz herausholen und sagen: Das ist hier das Problem. – Sie spielen sich hier als Naturschützer auf. Wir haben darüber schon vor einigen Wochen miteinander diskutiert. Keiner der Naturschutzverbände in Nordrhein-Westfalen nimmt Ihnen das ab. Da ist Hopfen und Malz verloren.
Dann zum Thema „Investitionssicherheit“: In vielen Branchen merken Sie das immer wieder an, aber im Bereich erneuerbare Energien, im Klimaschutz ist es Ihnen vollkommen egal, dass Bürgerinnen und Bürger schon fünfstellige Summen investiert haben und jetzt nicht mehr wissen, wo und ob ihre Windanlage noch gebaut werden kann. Das ist Ihnen vollkommen egal. Inhaltlich hat eben Herr Laschet mehr gesagt, Herr Lindner, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Brems, die Redezeit.
Wibke Brems (GRÜNE): … und mehr Hoffnung für Investitionssicherheit gegeben, sodass wenigstens drei Fraktionen im Landtag, die von Bedeutung dafür sind, wie es weitergeht, eine Linie vorgeben. Da haben Sie sich komplett diskreditiert. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piratenfraktion spricht der Kollege Rohwedder.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier und draußen! Es ist ja immer spannend, wenn die FDP die Zielsetzung eines SPD-Ministers begrüßt. Mit diesem Antrag trifft die unverhoffte Unterstützung Minister Gabriel und sein Eckpunktepapier für eine Reform des EEG. Ob er sich darüber freut, das wissen wir nicht, aber das interessiert uns auch nicht besonders; denn wir sprechen hier nicht für die SPD oder Herrn Gabriel, wir sprechen für uns, und wir stehen zum Umstieg auf erneuerbare Energieträger.
(Beifall von den PIRATEN)
Wofür stehen Sie eigentlich, liebe Kollegen von der FDP? – Für einen marktwirtschaftlichen Neustart der Energiewende. Wie immer muss es marktwirtschaftlich sein, das allein seligmachende Modell für alles Glück der Welt – ganz normale Wirtschaftsesoterik, wie man sie von Ihnen kennt.
(Beifall von den PIRATEN)
Ob es überhaupt möglich ist, die Energiewende mit den Mitteln der ungeregelten Marktwirtschaft voranzubringen, das darf und muss bezweifelt werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Hätten wir die Einführung der Nuklearenergie dem Markt überlassen, dann gäbe es also weltweit kein einziges Atomkraftwerk. Das wäre schön gewesen. Würden wir sie heute dem Markt überlassen, dann fände sich kein Versicherungskonzern, der eine Haftpflichtversicherung anbieten würde, und die Reaktoren müssten genauso stillgelegt werden wie ein Auto, für das der Halter keine Versicherung abgeschlossen hat.
Aber die Energiewende soll der Markt nun neu starten – der zukunftsblinde Markt, der nichts antizipieren, nichts vorhersagen und immer nur verspätet reagieren kann. Wer das fordert, der will das Ende der Energiewende, und er pfeift auf den Klimaschutz.
(Beifall von den PIRATEN)
Er pfeift ebenso auf die vielen Arbeitsplätze, die im Bereich der Erneuerbaren entstanden sind und noch entstehen werden. Er pfeift das Lied der großen Energiekonzerne, der Oligopole, die von einer Wende nichts wissen wollen und sich dabei auf die Politik verlassen haben. Denn sie selber sind zu träge und zu unflexibel für Reformen. Genau darum geht es hier. Minister Gabriel stimmt in das Lied der Konzerne mit ein, und die FDP – wen wundert das? – springt ihm dabei zur Seite.
(Beifall von den PIRATEN)
Nun sind die von Minister Gabriel in seinen Eckpunkten genannten Mittel wie Mengensteuerung, verbindliche Festlegung von Ausbaukorridoren und Ausnahmen für die stromintensive Industrie nicht gerade typisch für eine Marktwirtschaft. Das sind ja eher Mittel der staatlichen Lenkung. Aber es geht ja auch gar nicht um einen echten Markt, es geht um die Interessen von Konzernen, die es gewohnt sind, dass man auf sie hört oder besser: ihnen hörig ist. Es geht darum, die Macht der Oligopole, die am Bröckeln ist, wieder zu stärken und zu zementieren.
Kanzlerin Merkels Ausstieg aus der Atomenergie und die eilig verkündete Energiewende waren Unfälle, die es nicht hätte geben dürfen. Jetzt geht es darum, die Energiewende auszubremsen; denn es wird eng für RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie setzen auf die Russen!)
Statt mit Gabriel zu singen, sollte man ihm vors Schienbein treten – natürlich symbolisch gesprochen. Eine Reform des EEG ist nötig. Dabei müssen zwei Ziele Priorität haben: Der Umstieg auf Erneuerbare darf nicht gebremst werden, und – das ist entscheidend – die Energiewende muss in der Hand der Bürger bleiben. Heute sind rund 90 % der Anlagen bei den Erneuerbaren in Bürgerhand.
(Beifall von den PIRATEN)
Für die Akzeptanz der Windkraftwerke, Biogas- und Solaranlagen ist es entscheidend, dass die Gewinne dort bleiben, wo die Anlagen stehen. Kraftwerke von Bürgern erzeugen Energie für Bürger. Privatleute, Landwirte, kleine Unternehmen, Genossenschaften, kommunale Unternehmen werden sowohl bei der Erzeugung als auch bei der Verteilung der Energie die Konzerne ablösen, wenn diese nicht in der Lage sind, sich auf dem neuen Markt zu behaupten, und das ist gut so.
(Beifall von den PIRATEN)
Eine Aufgabe der Politik ist es, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Das genau muss das Ziel einer EEG-Reform sein. So und nicht anders lässt sich auch der Anstieg der Kosten bremsen.
Dezentrale Strukturen bei der Erzeugung sind langfristig betrachtet günstiger als riskante und teure Offshore-Windparks oder Großprojekte, die nur Konzerne finanzieren können. Was ist denn aus dem schönen DESERTEC-Projekt geworden, das vor drei, vier Jahren durch alle Medien gejagt wurde? Davon hört man gar nichts mehr. Das hat schon seine Gründe.
Denn kleine und über ein intelligentes Netz verbundene Blockheizkraftwerke können Wärme liefern und Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Zusätzliche Speicher schaffen die notwendige Versorgungssicherheit. Diese Strukturen zu schaffen, muss das Ziel einer Reform des EEG sein.
Unsere Vorstellung von einer echten Wende bezieht sich nicht nur auf die Erzeugung, sondern auch darauf, wer entscheidet und wer davon profitiert.
(Beifall von den PIRATEN)
Selbstverständlich sind uns auch diese Arbeitsplätze wichtig. Es müssen eben Arbeitsplätze sein, die den Anforderungen der Zukunft genügen. Wer sichere Arbeitsplätze will, darf nicht auf die Technologie von gestern setzen. „Regional“, „dezentral“ und „regionale Wertschöpfung“ sind die Punkte. Deshalb werden wir den vorliegenden Antrag der FDP ablehnen. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht erneut die Ministerpräsidentin. Frau Kraft, bitte schön.
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das war eine unterhaltsame Debatte heute.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)
Wir durften der geschichtlichen Aufarbeitung der gemeinsamen Zusammenarbeit von CDU und FDP in der letzten Bundesregierung folgen, Herr Laschet.
(Heiterkeit von Minister Johannes Remmel)
Wir konnten dabei sein, als sich Herr Priggen und Herr Laschet über den Wortlaut des Beschlusses der aktiven Bundesregierung gestritten haben. Und wir konnten in dieser Debatte feststellen, dass es in Wahrheit an der einen oder anderen Stelle um parteitaktische Spielchen geht.
(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Für uns nicht!)
Ich glaube, dass das nicht der Sache dient. Wir haben eine Menge Gemeinsamkeiten, wenn wir auf NRW schauen. Das sollten wir tun, und das ist auch unser Ziel bei dieser EEG-Reform.
Wir haben gemeinsam – Herr Laschet und ich waren in der Verhandlungskommission – den Koalitionsvertrag an dieser Stelle mitgestaltet. Die Eckpunkte weichen davon an einigen Stellen ab.
(Armin Laschet [CDU]: Um eine Kleinigkeit!)
Es gab Konkretisierungen, die nicht gut für unser Land sind, beispielsweise beim Vertrauensschutz. Herr Laschet, darüber sind wir uns einig. Wir sind uns hoffentlich auch einig, dass wir beim Eigenstrom nordrhein-westfälische Interessen einbringen müssen. Warum soll ich dafür jetzt einen Blankoscheck ausstellen, lieber Herr Kollege? Das ist doch keine sinnvolle Politik aus Sicht Nordrhein-Westfalens.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir wollen Veränderungen in diesen Eckpunkten, die für Nordrhein-Westfalen und für unsere Wirtschaft wichtig sind.
(Zuruf von den PIRATEN: Für die Wirtschaft?)
– Ja, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger.
(Zurufe von den PIRATEN: Oh! Bravo!)
– Aber bitte: Bürgerwindparks sind auch dabei.
(Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ich habe gerade über die Veränderungen für die Wirtschaft gesprochen. Mich interessiert dabei schon, Herr Laschet – diesen Punkt haben Sie nicht genannt –, ob wir noch miteinander Seite an Seite stehen, wenn es darum geht sicherzustellen, dass die Onshore-Nutzung von Windkraft in Nordrhein-Westfalen in erklecklichem Maße ausgebaut werden kann. Auch dafür haben wir uns damals in Berlin eingesetzt. Wir wollen, dass das auch bei diesen Eckpunkten noch möglich ist. Wir wollen die Energiewende, und wir wollen bei dieser Energiewende dabei sein.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Lieber Herr Kollege Lindner, da sind Sie ein Stück unglaubwürdig. Bei der Windkraft wollen Sie nicht so richtig mitgehen. Wir sind uns einig, dass Nordrhein-Westfalen nicht zu den sonnenreichsten Standorten zählt. Auch bei der Nutzung der Biomasse sind wir aus vielen Gründen nicht so ganz weit vorne, die allein mit der Struktur unseres Landes zu tun haben.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Sich dann hierhin zu stellen und in Ihrem Debattenbeitrag anklagend darzustellen, die Energiewende fände nicht in Nordrhein-Westfalen statt, obwohl Sie den Windenergieausbau hier aktiv verhindert haben,
(Christian Lindner [FDP]: Nein!)
ist unredlich, lieber Kollege.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Deshalb: Wir sind auf der Ebene der Eckpunkte. Wir diskutieren darüber. Wir wollen Verbesserungen erzielen: für Nordrhein-Westfalen, für die Bürgerinnen und Bürger, für Bürgerwindparks, aber auch für die Unternehmen, die schnell und dringend Rechtssicherheit brauchen.
Zum Schluss gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, lieber Kollege Lindner: Ich nehme meinen Rat mit dem Reck zurück. Denn Ihr Debattenbeitrag hat gezeigt: Sie haben ein Glaskinn und sollten sich da nicht heranwagen. – Danke.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin Kraft. – Für die CDU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Wüst.
(Zuruf von den PIRATEN: Kamelle!)
Hendrik Wüst (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zunächst, dem Bedauern Ausdruck zu verleihen, dass der für Wirtschaft zuständige Minister heute nicht anwesend sein kann.
(Christian Lindner [FDP]: Und Ihr Umweltminister nichts sagen darf!)
Ich finde das schon bemerkenswert. Der zuständige Minister ist nicht da. Der Umweltminister spricht gleich. Die Ministerpräsidentin versucht, den Laden zusammenzuhalten.
(Lachen von Rainer Schmeltzer [SPD])
Das ist völlig in Ordnung und legitim. Aber der Wirtschaftsminister fehlt – nicht nur körperlich, sondern auch mit den Aussagen zu dem Thema, die wir in der Regel ja durchaus unterstützen.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Er ist im wirtschaftspolitischen Gespräch mit der Kronprinzessin von Schweden!)
– Das ist völlig in Ordnung. Den Kalender von Herrn Duin kenne ich nicht. Trotzdem ist die Debatte so wichtig, dass ich ihn gern hier hätte.
(Zurufe)
Diese Schwerpunktsetzung, Frau Kraft, kann ich nicht teilen, so angenehm die Kronprinzessin von Schweden sicherlich ist.
(Heiterkeit und Beifall von der CDU – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Wir haben seit Beginn der Koalitionsverhandlungen drei Phasen der Positionierung der Regierungschefin in diesem Land erlebt. Zu Beginn – das ist beispielsweise von der „ZEIT“ oder der „Süddeutschen“ am 26. Oktober protokolliert – gab es eine Positionierung der Ministerpräsidentin, die ich Punkt für Punkt und Komma für Komma unterschreibe. – Frau Kraft, ich lobe gerade, was Sie gesagt haben.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ich höre zu!)
– Das ist gut. – Das war bemerkenswert und hat Ihnen Überschriften eingebracht wie „Hannelore Kraft bremst bei der Energiewende“ usw. Ich fand das gar nicht schlimm. Sie haben die Bedeutung der Energie für die Arbeitsplätze im Land für die Unternehmen und für die Verbraucher unterstrichen. Das war alles völlig in Ordnung.
Aber dann kam die zweite Phase Ende Oktober. Es rumpelte. Der grüne Koalitionspartner wurde wach.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Wir sind immer wach!)
Herr Duin sprang bei, er wolle das Ausbautempo senken. Herr Remmel erwiderte, man brauche nicht weniger, sondern mehr Ausbau der regenerativen Energien. Das brachte dann die Überschriften „Hannelores Kraft zwischen Kohle und Energiewende“. Damit waren Sie in der Realität der eigenen Koalition angekommen.
Die dritte Phase folgte dann Mitte November. Es wurde versucht, Frieden zu schaffen, indem man zwar die Bedeutung der Versorgungssicherheit noch unterstrich, aber auch zu Protokoll gab: Beim EEG müssten ein paar Ausnahmen her. – Ich habe bis heute von keiner einzigen Firma gehört, die die Ausnahme von der EEG-Umlage zu Unrecht erhält. Es wird immer beschrieben, es gäbe ganz viele Dinge, die man zurückschneiden müsse, und einiges mehr. Herr Remmel, Sie werden die Gelegenheit gleich sicher nutzen: Nennen Sie Ross und Reiter, wer zu Recht und wer zu Unrecht befreit ist!
Jetzt allerdings wäre nach den Phasen eins bis drei – so machen es andere Regierungschefs in ihren Ländern – die Phase vier angesagt, nämlich das lebhafte Vertreten der Interessen des eigenen Landes. Die Ministerpräsidentin hat das eben beschrieben: Der Norden sehe es so, der Süden sehe es so; das alles seien Partikularinteressen; auch Unternehmen und Verbände würden sich mit ihren eigenen Partikularinteressen melden. Das alles schiebt man so in eine Ecke.
Dann wird beschrieben, was die Position von NRW sei. Da habe ich ganz besonders gut zugehört und drei Seiten mitprotokolliert. Man müsse die Energiewende als Chance sehen – einverstanden. Der Ausbau der Regenerativen sei wichtig. Zum Thema „Wind“ hat Herr Priggen gesagt, man brauche etwa vier Jahre. Das haben Sie aus meiner Sicht sachlich richtig beschrieben.
(Zustimmung von Reiner Priggen [GRÜNE])
Hinweis: Es ist 2014; Sie regieren seit 2010. Es könnte jetzt also nach Ihrer Rechnung losgehen. – Auch der Punkt ist unstreitig.
(Zurufe von der CDU)
Dann ging es um Rechtssicherheit. Frau Kraft hat den Punkt ausgeführt, den Herr Gabriel jetzt abweichend vom Koalitionsvertrag beschrieben hat. – Da sind wir in Ihrer Kritik bei Ihnen. Sie haben gerade danach gefragt. Ich kann das erklären. Currenta hat uns gestern per E-Mail noch einmal geschrieben, was es allein für die rheinischen Chemiestandorte bedeutet. Das ist bemerkenswert.
Auch bei dem Thema „Onshore“ hat die CDU-Landtagsfraktion schon 2010 beschlossen, dass wir nichts gegen Windkraftanlagen im Wald haben. Da brauchen Sie also nicht auf uns zu gucken. Nach Fukushima hat es auch bei uns ein Umdenken gegeben. Das brauchen Sie gar nicht mit alten Aussagen zu kontrastieren. Nach Fukushima mussten alle neu denken.
(Zuruf von der SPD: Nur Sie nicht!)
Nur, Frau Kraft – Sie waren gerade etwas trinken –, jetzt wäre Phase 4 angesagt: eben nicht auf Kompromiss zu gehen. Alles, was Sie, abgesehen von der Eigenstromversorgung, hier beschrieben haben, ist die Kompromisslinie, die am Ende herauskommen kann, während Horst Seehofer und Herr Kretschmann jetzt sehr lebhaft ihre Eigeninteressen beschreiben.
Und das ist genau der Grund, warum wir die heutige Debatte erbeten haben und Ihnen die Chance geben wollten, auszuführen, was Sie im Interesse des Landes jetzt in die Detailverhandlungen einbringen. Sie sollten nicht schon beschreiben, was als Kompromiss möglichst hinten rauskommen sollte. Das ist das Problem.
Sie machen das nicht etwa, weil Sie es nicht wollten und könnten. Ich erinnere an Ihre Ausführungen in Phase 1, am Anfang der Koalitionsverhandlungen. Wenn Sie das hier wiederholen würden, hätten Sie schnell wieder Stress mit Ihrem Koalitionspartner.
Genau das ist das Problem: Dieses Land wird an der Stelle nicht kraftvoll vertreten. Sie bringen in Berlin die Kompromisse vor, zu denen Sie die Grünen hier zwingen. Das ist das Problem. Wir werden nicht müde, Sie da zu unterstützen, wo es richtig ist. Aber dann sagen Sie es bitte auch, und dann muss Herr Remmel am Ende eben mal als Verlierer vom Platz gehen. Das Land wäre der Gewinner.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen – insbesondere liebe Kollegen von der CDU und der FDP! Merken Sie eigentlich nach all den Wortbeiträgen immer noch nicht, dass das, was Sie heute mit der Aktuellen Stunde und mit dem Antrag versucht haben, fehlschlägt? Herr Kollege Wüst, es ist doch ein Treppenwitz, wenn Sie sich heute hier hinstellen und beklagen, dass Minister Duin nicht im Hause ist – wohlgemerkt: Er ist entschuldigt – und dass sich die Ministerpräsidentin, die immer und immer wieder gesagt hat, dass die Energiepolitik bei ihr Chefsache ist, dazu äußert.
Wenn die Ministerpräsidentin nicht da ist, beklagen Sie sich, dass die Ministerpräsidentin nicht da ist. Was wollen Sie eigentlich? Merken Sie eigentlich nicht, dass das Luftnummern sind und dass dieses kleinkarierte Ding eine alberne Geschichte ist, die hier nicht mehr verfängt?
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon bezeichnend, dass die heutige Debatte mit diesen Wortbeiträgen in der närrischen Zeit stattfindet. Sie hätte für die Kölner Abgeordneten eigentlich zur Pflichtsitzung gemacht werden müssen.
(Zurufe von der CDU)
Kollege Lindner hat gesagt: Jeder blamiert sich so gut, wie er kann. – Herr Kollege Lindner, nach Ihren beiden Wortbeiträgen kann ich diesen Satz eindeutig unterstreichen.
(Beifall von der SPD)
Sie müssen sich einmal vorstellen, was Sie eben hier getan haben: Sie beklagen sich im nordrhein-westfälischen Landtag darüber – in Berlin ist das nicht mehr möglich; deswegen müssen Sie es hier machen –, dass Herr Laschet hier nichts anderes zu tun habe, als sich an der FDP abzuarbeiten.
(Christian Lindner [FDP]: Herr Römer!)
Ich finde es gut, was Herr Laschet da gemacht hat. Herr Lindner, er hat nämlich mit Recht darauf hingewiesen, dass Sie in Berlin seinerzeit gemeinsam nichts zustande gebracht haben – mit Herrn Rösler, mit Herrn Röttgen, mit Herrn Altmaier, mit Herrn Brüderle. Sie behaupten, dass das, was dort von Herrn Laschet angekündigt wurde – das also, was letztlich allerdings gar nicht zustande gebracht worden ist –, im Bundesrat blockiert worden wäre. – Das ist doch ein Widerspruch in sich: Sie kommen nicht zu Potte, regen sich hier aber ganz laut auf und behaupten,
(Christian Lindner [FDP]: Lauter!)
der Bundesrat hätte das, was Sie nicht hingekriegt haben, blockiert. Das ist doch ein Widerspruch in sich!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Arrogant!)
Herr Kollege Laschet, es wird auch nicht dadurch besser, dass Sie beantragen, zu erfahren, was die Landesregierung macht, und die Ministerpräsidentin auffordern, sie solle 99 % ihres Ergebnisses umsetzen. – Die Ministerpräsidentin hat gerade in ihrer Rede alles aufgeführt, auch das, was bei diesen Eckpunkten an Änderungsbedarf eventuell noch zu klären ist.
Vielleicht eine kleine Nachhilfe im Parlament: Eckpunkte sind Eckpunkte. Ein Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Es wird Gespräche geben. Ich zumindest habe die Ministerpräsidentin so verstanden, dass diese Gespräche stattfinden: zu Onshore und zum Eigenstromverbrauch. Diese Gespräche werden stattfinden, und wir werden uns wiedersehen, wenn der Gesetzentwurf vorliegt.
Wenn Sie weiterhin wissen wollen, was diese Landesregierung an energiepolitischen Zielen hat: Lesen bildet.
(Der Redner hält den Koalitionsvertrag hoch.)
Hier steht es drin. Und hier steht nichts, was auf das hindeutet, was Sie immer behaupten, dass es das gäbe, nämlich den Disput zwischen den Koalitionspartnern. Das ist hier deutlich formuliert. Lesen bildet eindeutig, meine Damen und Herren.
Der Spaltversuch der FDP schlägt fehl. Es wird mehrere dieser Anträge geben. Das ist die Arbeit der Opposition.
Die Vorgehensweise der CDU schlägt fehl. Wenn Sie lesen und zuhören würden – Sie saßen in der Verhandlungskommission, Herr Laschet –, wüssten Sie, was das Ziel des Landes Nordrhein-Westfalen ist. Das wird von dieser Landesregierung vertreten. Ich kann Ihnen sagen: Es wird auch von dieser Koalition einmütig vertreten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Remmel.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist nicht so ganz nach Lachen zumute – um es ehrlich zu sagen.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Zeitweise hatte ich heute hier den Eindruck, dass Sie von der Opposition versucht haben, ein parteipolitisches Schauspiel zu inszenieren. Eigentlich geht es im Moment jedoch um staatspolitische Verantwortung – um Ihnen das deutlich ins Stammbuch zu schreiben.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Wir sind in einer sehr ernsten Situation. Ich will Sie Ihnen kurz schildern: Es geht im Moment nicht um die Kür – sicherlich ist sie notwendig; sie besteht darin, die Gestaltung des neuen EEG gemeinsam hinzubekommen –, sondern um die Erledigung einer Pflichtaufgabe. Die Pflichtaufgabe ist, eine Haltung zu finden, die der der EU entspricht. Wir können nicht einfach am grünen Tisch miteinander eine neue Konzeption für eine Energiewende entwerfen. Die EU muss zustimmen, sowohl dem EEG als auch der Ausnahme.
Es ist doppelschichtig. Die EU hat Leitlinien vorgelegt, die den ganzen Energiemarkt betreffen. – An dieser Stelle ist im Übrigen der Kollege Oettinger in Brüssel nicht unbedingt hilfreich. – Und wir haben es mit der konkreten Genehmigung von Ausnahmen zu tun.
Das ist die Pflichtaufgabe, der wir uns stellen müssen. Das ist originäres nordrhein-westfälisches Interesse. Hier liegen unsere eigentlichen Interessen, wenn es um unsere Wirtschaftsstruktur, wenn es um unsere stromintensiven Unternehmen geht.
Diese Aufgabe muss zügig erledigt werden. Der Zeitplan ist sehr, sehr eng, um sowohl eine nationale Gesetzgebung – mit Beteiligung des Bundesrates und möglichst ohne Vermittlungsausschuss – als dann auch noch die Notifizierung auf der EU-Ebene hinzubekommen. Deshalb müssen wir bis zum Sommer alles klar haben. Und deshalb ist Gemeinsamkeit angesagt – auch mit der Opposition in Nordrhein-Westfalen. Diese Opposition muss auch mitwirken bei dieser Frage.
Es ist wichtig, dass wir als Nordrhein-Westfalen unsere Interessen frühzeitig formulieren, um in der im Vorfeld von offiziellen Gremiensitzungen notwendigen Interessensabstimmung bereits Einigung mit der Bundesregierung zu erzielen. Das ist unser gemeinsames Interesse.
Dann, lieber Herr Lindner, muss man schon noch einmal ein wenig die Vergangenheit betrachten, obwohl uns eine solche Vergangenheitsbetrachtung in der Zukunft nicht helfen wird. Aber wir haben uns über ein Jahr eine Strompreisdebatte, losgetreten von Rösler und Altmaier, in Deutschland geleistet, und Sie haben gleichzeitig in Brüssel die Hausaufgaben nicht erledigt. Sie haben Brüssel provoziert. Sonst wären wir heute nicht in dieser Situation.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir sitzen in der Mausefalle, und Sie haben die Katze fett gemacht. Das ist die Geschichte.
(Heiterkeit – Christian Lindner [FDP]: Das ist falsch!)
Als zweite Anmerkung sei mir gestattet: Ich bin morgen wieder in Berlin unterwegs. Ich glaube, ich darf melden, Herr Laschet, dass der Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen die Position der Landesregierung unterstützt. Jedenfalls habe ich das eben Ihrer Rede entnommen,
(Armin Laschet [CDU]: Es gibt doch überhaupt keine Position! Ihr habt doch gar keine!)
dass es über die Frage der Industrieausnahmen hinaus Fragen gibt, die wir mit der Bundesregierung klären müssen.
Dazu zählt das Thema „Investitionssicherheit im Bereich Wind“. Da ist das Stichtagsdatum genannt worden. Da ist der Deckel genannt worden. Es sind gerade die lange Zeit von Schwarz-Gelb regierten Länder, die jetzt nachziehen. Das ist Baden-Württemberg. Das ist Rheinland-Pfalz. Das ist Nordrhein-Westfalen. Das ist Hessen. Da kommen jetzt die Anmeldezahlen im Bereich Wind dazu. Es kann nicht sein, dass wir diesen Ausbau bremsen. Deshalb haben wir hier ein Interesse an einer flexiblen Lösung. Dazu reichen wir die Hand.
Und natürlich – auch das haben Sie erwähnt – haben wir ein besonderes Interesse, was Kraft-Wärme-Kopplung angeht, was Eigenstromverbrauch angeht. Hier gibt es gewachsene Strukturen. Wir haben die Unternehmen immer sozusagen gedrängt, sich in diese Richtung zu orientieren und solche Anlagen zu errichten. Jetzt können wir nicht umgekehrt sagen: Euch entziehen wir das Vertrauen oder die Garantie und die Sicherheit.
Hier wünsche ich mir Gemeinsamkeit von allen Fraktionen im Landtag Nordrhein-Westfalen. Dann können wir etwas Gutes hinbekommen. Wir haben nur nicht mehr viel Zeit. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor, meine Damen und Herren. Damit schließe ich diese Aktuelle Stunde.
Wir stimmen ab über den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/4822. Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen somit über den Inhalt der Drucksache 16/4822 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag stimmen möchte. – Das sind die Fraktionen der CDU und der FDP. Wer ist gegen diesen Antrag? – Die SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Enthält sich jemand? – Ich sehe keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag Drucksache 16/4822 abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4807
Ich eröffne die Aussprache. Für eine der antragstellenden Fraktionen, nämlich für die SPD-Fraktion, spricht der Kollege Weiß.
Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen, die den Schulkonsens erzielt haben – SPD, Grüne und CDU – legen heute einen Gesetzentwurf vor, der Berufskollegs weiterentwickelt und Änderungen schulgesetzlicher Vorschriften beinhaltet.
Die Tatsache allein, dass es den Beteiligten gelungen ist, für diesen Bereich weiter etwas Positives voranzubringen, zeigt erstens, wie wichtig uns das Thema ist, und zweitens, wie fruchtbar doch ein Miteinander sein kann.
Meine Damen und Herren, Sie kennen alle die Struck’sche Formel, wonach ein Gesetz niemals so aus dem Verfahren herauskommt, wie es hineingebracht worden ist. Ich bin beim 10. Schulrechtsänderungsgesetz jedoch sehr zuversichtlich, dass es auf große Zustimmung treffen wird.
Das Gesetz beinhaltet im Kern drei Aspekte.
Zum einen geht es um den Schulversuch PRIMUS. In diesem Versuch, der bisher erfolgreich an einer Schule in Minden angelaufen ist, werden die Schülerinnen und Schüler bis zur 10. Klasse gemeinsam beschult. In Zeiten sinkender Schülerzahlen wird durch das gemeinsame längere Lernen weiterhin ein wohnortnahes und differenziertes Schulangebot ermöglicht.
Mit dem Gesetz, das nun vorliegt, soll der Beantragungszeitraum für interessierte Schulen um ein weiteres Jahr bis zum Schuljahr 2015/2016 verlängert werden. 14 weitere Schulen könnten so in NRW noch gefördert werden.
Zum anderen geht es in dem Gesetz um die Stärkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in Bezug auf Abweisung auswärtiger Schülerinnen und Schüler. Im Schulrechtsänderungsgesetz wird Klarheit für die Betroffenen, die Schulträger sowie Schülerinnen und Schüler, geschaffen. Der Schulträger, der hinterher auch die Kosten zu tragen hat, kann eindeutiger als bisher Externe abweisen, wenn die eigenen Schulen gefüllt sind. Das schafft deutlich mehr Transparenz und sorgt für mehr Rechtssicherheit.
Im Mittelpunkt des Gesetzes steht allerdings die Weiterentwicklung der Arbeit in unseren Berufskollegs. Es geht jedoch nicht nur um die bloße Weiterentwicklung der Arbeit, sondern auch um die Verbesserung der Situation von Jugendlichen in dieser Schulform. Denn in den nächsten zehn Jahren werden etwa 100.000 Schülerinnen und Schüler weniger in diesem System unterrichtet werden – Stichwort: Demografie. Würden wir nur die demografische Entwicklung berücksichtigen, würden wir lediglich äußere Faktoren bearbeiten. Das wäre für eine qualitative Weiterentwicklung dieser Schulform in der Tat viel zu wenig.
Viel wichtiger ist, unnötige Parallelstrukturen abzuschaffen. Beispielsweise wird das Berufsgrundschuljahr als eigenständige Form abgeschafft und in einen gestuften zweijährigen Bildungsgang überführt.
Auch die völlig unnötigen Warteschleifen, die nur verhindern, dass Jugendliche in eine Berufsausbildung gelangen, werden deutlich minimiert. Wir wollen nicht die Statistiker zufriedenstellen, die scheinbar nachweisen können, dass das System funktioniert, wenn die Warteschleifen ordnungsgemäß ablaufen. Wir wollen, dass die jungen Menschen möglichst rasch von der Schule in den Beruf gelangen.
Aus Sicht der Berufskollegs wird durch das Gesetz eine spürbare Flexibilisierung der Arbeit durch fach- und jahrgangsübergreifende Kurse erzielt. Als Ergebnis wird dabei – da sind wir uns sicher – eine deutlich bessere Durchlässigkeit im System erzeugt.
All diese gebündelten Maßnahmen erhöhen die Chancen der Jugendlichen auf das angestrebte Berufsleben in einem guten Maße.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Diskussion im Schulausschuss und wünsche mir, dass diejenigen, die jetzt noch nicht von der Qualität des 10. Schulrechtsänderungsgesetzes überzeugt sind, dann an unserer Seite sind. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Vogt.
Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie werden mir hoffentlich nachsehen, dass ich das eine oder andere wiederhole, was mein Vorredner bereits erwähnt hat. Das ergibt sich leider zwangsläufig aus einem gemeinsamen Gesetzentwurf.
Das 10. Schulrechtsänderungsgesetz betrifft im Wesentlichen die Berufskollegs. Im Zuge eines verbesserten Übergangs von der Schule in den Beruf soll die Vorbereitung der Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf neu geregelt werden. Dieser Personenkreis verbringt häufig einige Jahre an einem oder auch mehreren Berufskollegs, ohne jedoch eine klare berufliche Perspektive zu entwickeln. Diese sogenannten Warteschleifen sollen mit dem vorgelegten Gesetzentwurf verringert werden. Voraussetzung dafür ist, dass Jugendliche mit besonderem Förderbedarf tatsächlich entsprechende Hilfestellungen erhalten.
Es kann aus Sicht der CDU-Fraktion nicht sein, dass diese Jugendlichen überhaupt kein Angebot haben, das sie entweder schulisch weiterqualifiziert oder aber im dualen System ausbildet.
Aus diesem Grund legen wir Wert auf die Feststellung, dass die Flexibilisierungsmöglichkeiten bei der Klassenbildung erhalten bleiben. Angesichts der demografischen Entwicklung ist es gerade im ländlichen Raum unerlässlich, derartige Möglichkeiten einzuräumen, damit dort nicht gerade die schwächsten Schülerinnen und Schüler wegen zu kleiner Klassen gar kein schulisches Angebot zur Weiterqualifizierung mehr vorfinden.
Das differenzierte Bildungsangebot der Berufskollegs und die damit verbundenen beruflichen Perspektiven müssen in allen Teilen des Landes erhalten bleiben.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
In der Diskussion über sogenannte Warteschleifen wird nämlich sehr häufig vergessen, dass viele Jugendliche das Angebot der Berufskollegs sehr wohl nutzen, um höherwertige Schulabschlüsse zu erzielen oder sich beruflich zu orientieren. Diese Möglichkeiten wollen wir auch weiterhin für alle offenhalten.
(Beifall von der CDU)
In diesem Zusammenhang ist es für uns bei der Weiterentwicklung der Berufskollegs von besonderer Bedeutung, eine weitere Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen zu schaffen.
Ein zweiter Teil des vorliegenden Gesetzentwurfs sieht Aktualisierungen aufgrund von Änderungen des Berufsbildungsgesetzes vor. Die Änderung des Schulgesetzes bezüglich des Rechts der Schulträger, Vorgaben für die Aufnahme von Kindern aus anderen Kommunen zu erlassen, ist aufgrund der Rechtsprechung des OVG Münster nötig. Hier folgt der Gesetzentwurf einer Anregung der kommunalen Spitzenverbände.
Des Weiteren schlägt der Gesetzentwurf eine Verlängerung der Antragsmöglichkeit für PRIMUS-Schulen vor. Die PRIMUS-Schulen gehen als Schulversuche auf den Schulkonsens zurück. Mehrere Kommunen konnten diese Schule im vergangenen Jahr nicht beantragen und baten daher um ein Jahr Verlängerung.
Die PRIMUS- Schulen haben wir im Schulkonsens verabredet. Daher tragen wir sie heute weiter mit – ebenso wie die Verlängerung der Antragsfrist.
In diesem Sinne bin ich genauso optimistisch wie gerade der Kollege von der SPD-Fraktion. Die Änderungen kann wohl das gesamte Haus mittragen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht Kollege Bas.
Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich heute außerordentlich, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Berufskollegs wieder einen weitergehenden, fraktionsübergreifenden Antrag auf den Weg bringen. Dazu noch mal mein Dank an die Koalitionsfraktionen, aber auch an die CDU, die zusammen den bewährten Konsens in diesem Bereich weiterführen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Mein Dank gilt aber auch den weiteren Akteuren der beruflichen Bildung, die das Anliegen dieses Gesetzentwurfs mit unterstützen. Somit senden wir nicht nur ein starkes Signal an unsere Berufskollegs im Land, sondern auch an die vielen jungen Menschen, die unsere Berufskollegs besuchen.
Soweit mir bekannt ist, sollen auch die Fraktionen von FDP und Piraten dem Grundgedanken dieses Gesetzentwurfs durchaus positiv und aufgeschlossen gegenüberstehen, wenn sie auch aus verschiedenen Gründen heute nicht auf dem Antrag stehen. Auch Sie sind natürlich herzlich eingeladen, zusammen mit uns in den folgenden Beratungen an den möglichst besten Bedingungen der beruflichen Bildung für unsere Jugendlichen in NRW mitzuarbeiten.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Das Berufskolleg ist in der allgemeinen Wahrnehmung vor allem als wichtiger Bestandteil der Berufsausbildung bekannt, die im Rahmen der Berufsschule und des dualen Systems gewährleistet wird. Weniger bekannt sind die zahlreichen Möglichkeiten, alle gängigen Schulabschlüsse zu erwerben, verbunden mit beruflichen Qualifikationen verschiedenster Fachrichtungen. So bieten viele Berufskollegs zum Teil über 40 verschiedene Bildungsgänge an und beschulen nicht selten auch ältere Erwachsene. Derzeit werden die Berufskollegs von fast 600.000 Schülerinnen und Schülern besucht.
Die Berufskollegs sind ebenfalls ein wichtiger Weiterqualifizierungsmotor für junge Menschen mit gebrochenen Bildungsbiografien, indem sie diesen eine neue Chance bieten – auch denjenigen ohne Ausbildungsplatz und/oder ohne Schulabschluss.
Die Veränderungen im Berufsbildungsgesetz, das neue Übergangsmanagement Schule-Beruf, aber auch die von Bildungsexperten wie Baethge geforderten einheitlichen Bildungsangebote für Jugendliche mit besonderen Förderbedarfen sind Anlässe für die im Gesetzentwurf vorgesehene Neuordnung in diesem Bereich.
Im Moment sind hier eine Vielzahl verschiedenster Bildungsgänge – von den sogenannten KSoB-Klassen für Schüler ohne Berufsausbildung bis zu den Jungarbeiterklassen und dem Berufsgrundschuljahr – anzutreffen. Nicht selten verbleiben einzelne Jugendliche länger als vorgesehen in diesen Bildungsgängen und somit in der Warteschleife.
Ziel soll jetzt nicht nur mehr Transparenz durch ein gestrafftes Angebot an den Berufskollegs für diese Jugendlichen sein, sondern auch die bessere Vermittlung in eine berufliche Ausbildung mit einer klaren Abschlussorientierung. Dazu passt das Motto: „Kein Anschluss ohne Abschluss“, oder auch das Leitmotiv der Landesregierung: „Kein Kind zurücklassen!“
Um auch in der Fläche ein berufsbildendes Angebot zu sichern, muss es auch mehr Möglichkeiten zur Flexibilisierung geben, zum Beispiel durch jahrgangsübergreifenden Unterricht. Damit sichern wir auch im ländlichen Raum die Versorgung mit Berufsschulunterricht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Im weiteren Prozess belassen wir es aber nicht nur bei dieser Gesetzesänderung. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung gehört ebenso zum Bestandteil der weiteren Entwicklung des Berufskollegs in NRW, die wir ebenfalls mit möglichst allen Beteiligten aus Politik, Verbänden, Kammern und Wissenschaft diskutieren wollen.
Der vorliegende Gesetzentwurf befasst sich aber nicht nur mit den Berufskollegs, sondern auch mit der Verlängerung des Modellversuchs „PRIMUS“, in dem Schulen noch ein weiteres Jahr die Möglichkeit haben, längeres gemeinsames Lernen ab Klasse 1 zu erproben, und mit der Neuregelung der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern, die aus anderen Gemeinden kommen.
Sie sehen, es gibt viele Themen, die im Ausschuss noch beraten werden müssen. Die Beratungen werden angesichts der positiven Unterstützung durch die Fraktionen aber hoffentlich gut verlaufen. – In diesem Sinne Glück auf und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bas. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die drei Bereiche des Gesetzentwurfs beurteilen wir unterschiedlich.
Zunächst komme ich zum Thema „Berufskollegs“. Wir teilen das Anliegen, auch zukünftig ein flächendeckendes Angebot beruflicher Schulen zu sichern. Denn Berufskollegs bilden eine unverzichtbare Säule unseres Schulsystems, sind ein Rückgrat unseres Ausbildungs- und Wirtschaftssystems.
(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)
Daher stimmen wir mit Ihrem Grundanliegen überein.
Wir sind uns auch einig, Warteschleifen für Jugendliche und Doppelstrukturen zu vermeiden.
Allerdings fragen wir uns, welche Unterstützung die Pädagogen bei den sehr heterogenen Schülergruppen in der zusammengeschlossenen Ausbildungsvorbereitung erhalten. Hier sind wir sehr gespannt auf die Anhörung. Grundsätzlich gehen die Überlegungen nach unserer Meinung aber in die richtige Richtung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann man beim zweiten und dritten Themenfeld dieses Gesetzentwurfs leider nicht behaupten.
Zur Aufnahme nicht der Gemeinde zugehöriger Kinder: Es hat ein Gerichtsurteil gegeben, wonach diese Kinder bei einem Anmeldeüberhang nicht einfach abgewiesen werden können. Wie aber lautet nun Ihre Reaktion auf dieses Urteil? – Wir legen schulgesetzlich fest, dass Kommunen beschließen können, bei einem Anmeldeüberhang unmittelbar nicht der Gemeinde zugehörige Kinder abzulehnen, wenn dort vor Ort eine solche Schulform besteht. – Sie betonen explizit, dass die Kommunen diese Regelung gewünscht haben.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ganz genau!)
Aus Sicht der Kommunen kann ich das auch verstehen: weil es organisatorisch leichter ist. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es bei der Gestaltung von Bildungsbiografien nur um die einfachste Organisation? Es geht doch um die Frage bestmöglicher individueller Förderung. Wir alle fordern von Schulen Profilbildung ein, um unterschiedlichen Bedürfnissen bestmöglich zu entsprechen.
Da ist die Begründung im Gesetzentwurf sehr bedauerlich. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren: „Auf eine bestimmte gewünschte Ausrichtung der Schule kommt es insofern nicht an.“ Wenn also eine entsprechende Schulform im Heimatort vorhanden ist, heißt das: Das nicht der Gemeinde zugehörige Kind fliegt. – Ob es vielleicht um ein bilinguales Profil geht, ob das Kind musisch begabt ist oder ob eine ähnliche individuelle Förderung sinnvoll wäre, ist völlig gleichgültig.
Rot-Grün kann man hier keiner Aufweichung der bisherigen Linie vorwerfen. Sie folgen Ihrer bisherigen Politik der Wiedereinführung von Schulbezirken. Ihnen geht es um Begrenzung auf den Wohn-ort. Organisatorische Verwahrung geht vor Profilbildung und Talentberücksichtigung. Wir hätten uns hier von Ihnen mehr kreative Überlegungen und mehr Freiheiten für Eltern gewünscht.
(Beifall von der FDP)
Auch ist mir ein Rätsel, dass die CDU, die sich gerade noch gegen Schulbezirke ausgesprochen hat, hier mitzeichnet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie, dass ich die Schulexpertin, Frau Birkhahn, aus der letzten Legislaturperiode zitiere:
„Durch diese Schulbezirke wird der Wettbewerb bei der Entwicklung der Qualität von Schule nicht gefördert, sondern wieder zurückgenommen. Sie gehen diesen Schritt im Bewusstsein, dass die Qualitätsentwicklung von Schulen nicht befördert wird.“
Sehr geehrte Damen und Herren, ich sage es ganz ehrlich: Wenn mich jemand fragen würde, für welche schulpolitischen Positionen die CDU-Fraktion NRW steht, könnte ich es nicht sagen. Vermutlich könnten Sie es selber nicht.
Das gilt auch für das dritte Thema. Die PRIMUS-Schule ist die Einheitsschule par excellence:
(Widerspruch von den GRÜNEN)
Vollintegrierter Unterricht von Klasse 1 bis 10; Klassenwiederholungen und Notengebung weitgehend gestrichen; massive Privilegien zulasten der anderen Schüler. Und so weiter, und so fort.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Auweia!)
Im Gesetzentwurf wird behauptet, Schulträger seien an der Teilnahme interessiert, bräuchten aber mehr Zeit für die Vorbereitung und Antragstellung. Deshalb solle der Schulversuch nun verlängert werden. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ein Schulversuch in die gesetzliche Regelung überführt werden müsste, wäre das bei den Realschulen die Einführung des Faches „Wirtschaft“. Der Schulversuch war wenigstens erfolgreich.
(Beifall von der FDP)
Die Wahrheit über die PRIMUS-Schule sieht doch anders aus: Eltern wollten ihre leistungslose Einheitsschule oftmals schlicht nicht. Einige Beispiele: Pulheim ist an zu wenigen Anmeldungen gescheitert. Gütersloh, wo es zu wenig Anmeldungen gab, ist krachend gescheitert. Herdecke ist an zu geringem Elterninteresse gescheitert.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Schmitz, die Redezeit.
Ingola Schmitz (FDP): Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. – In Oberhausen gab es nicht einmal die Hälfte der benötigten Anmeldungen. Gescheitert! Ihr Schulversuch scheitert haufenweise am Unwillen der Eltern. Jetzt wird eben einfach verlängert. Was nicht passt, wird passend gemacht. Warum sich die CDU nicht zu schade ist, auch hier noch den Steigbügelhalter für Rot-Grün zu geben, bleibt wohl ihr Geheimnis. – Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Nichts Neues von Frau Schmitz!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Weiß und Frau Vogt noch einmal ausführlich erklärt haben, was in dem Gesetzentwurf steht, weiß das, denke ich, jeder. Darüber braucht man nicht mehr zu reden.
Ich finde die Zusammenführung des Berufsorientierungsjahres mit den Klassen für Schüler ohne Berufsausbildungsverhältnis prinzipiell ausgesprochen begrüßenswert. Das führt zu einer klaren Struktur, zu einem klaren Angebot für Schüler ohne Ausbildungsverhältnis. Hier wird ausschlaggebend sein, inwieweit es gelingt, individuelle Förderung zu leisten, weil es eine extrem heterogene Schülergruppe sein wird. Sie wird sehr viel heterogener sein als das, was wir jetzt haben. Es muss dann sehr genau geschaut werden, welche Ressourcen da hineingebracht werden müssen, damit es wirklich gelingt. Da hilft allein dieser Gesetzentwurf nicht.
Ich finde es vom Gedanken her auch sympathisch, das Berufsgrundschuljahr in die einjährigen Berufsfachschulen zu integrieren, um Warteschleifen zu vermeiden. Ob es dadurch aber wirklich gelingt, einen schnelleren Übergang in Ausbildungsverhältnisse zu schaffen, bleibt abzuwarten. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Schüler durch anrechnungsfähigen Kompetenzerwerb eher in ein Ausbildungsverhältnis gebracht werden. Ich habe Zweifel, ob das gelingen wird. Insofern sehe ich da noch Beratungsbedarf.
Die Regelung für das Recht der Schulträger, Schüler aus anderen Kommunen mit der Begründung mangelnder Kapazität abzulehnen, schafft für die Kommunen Rechtssicherheit. Das finde ich völlig in Ordnung. Ich weiß aber nicht, wie lange dieses Problem noch relevant sein wird; denn wenn man sich umhört, ist es im Moment so, dass sich die Schulen eher gegenseitig die Schüler abspenstig machen, weil sie Angst vor Schließung haben. Sie werben eigentlich eher in anderen Städten, als dass sie sagen: Wir wollen euch nicht.
Die Verlängerung der Anmeldefrist zum Schulversuch PRIMUS begrüßen wir ausdrücklich. Wir freuen uns, dass Schulen jetzt wieder die Chance haben, in Ruhe ein Konzept zu entwickeln und sich zu bewerben. Ich bin ein großer Verfechter von zehn Jahren gemeinsamem Lernen. Ich komme von einer Schule, wo das erfolgreich gelebt wurde, und wünsche mir, dass vielleicht die Erfahrungen, die an dieser Schule gemacht wurden, in so einen Schulversuch eingehen und dass man sich die Kompetenzen bei denen holt, die es schon seit Jahrzehnten so machen.
(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)
Mit diesem Gesetz werden Rechtsunsicherheiten beseitigt. Dem PRIMUS-Schulversuch wird eine weitere Chance eingeräumt. Vom Ansatz her – weil es für die Berufskollegs ist – ist das völlig okay.
Viel wichtiger – darauf wurde gerade schon hingewiesen – wird aber die Frage sein: Was ist mit der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung?
Das interessiert die Kollegen an den Berufsschulen weitaus mehr als dieses Gesetz. Wir warten mit Spannung darauf, was kommen wird. Für meine Fraktion sehe ich durchaus die Chance, dass wir diesem Gesetz zustimmen. Ich freue mich auf die Beratung und Anhörung im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Schulpolitik ist die Schulministerin zuständig. Es spricht jetzt Frau Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, dass der Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Berufskollegs gleich von drei Fraktionen eingebracht worden ist und die Piraten Unterstützung signalisiert haben. Insofern ist von einer großen Mehrheit und Zustimmung der Abgeordneten auszugehen. Auch die Landesregierung begrüßt diesen Gesetzentwurf.
Es ist gut und wichtig, dass grundlegende bildungspolitische Fragen einvernehmlich gelöst werden. Das war gerade mit Blick auf die Berufskollegs in diesem Hause auch lange der Fall. Hier haben die Schulkonsensfraktionen wieder einmal zusammengefunden.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der CDU und den PIRATEN)
Die erfolgreiche Arbeit der Berufskollegs ist Garant für die Realisierung von gesellschaftlicher Teilhabe für alle jungen Menschen und für die Sicherung des dringend erforderlichen Fachkräftenachwuchses. Das muss man sich immer wieder klar machen. Viele Menschen denken beim Thema „Berufskolleg“ immer noch „nur“ an die duale Ausbildung. Sie wissen nicht, dass die Berufskollegs ganz massiv zum Bildungsaufstieg vieler junger Menschen beitragen. Dafür möchte ich den Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle ganz herzlich danken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung werden Bildungsverläufe mit Anrechnung bereits erworbener Qualifikationen in Berufsausbildung und Studium und gleichzeitig qualifikationsbasierte Einstiege für lernschwächere Jugendliche immer notwendiger.
Dazu bedarf es einer Weiterentwicklung der Berufskollegs. Der Gesetzentwurf bietet die Gelegenheit, das attraktive und sehr vielfältige Bildungsgangspektrum auf neue Herausforderungen hin zu schärfen und noch attraktiver und transparenter zu gestalten.
Der Ausbildungskonsens beinhaltet Gelingensbedingungen für das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Dazu gehören zum Beispiel die Umgestaltung verschiedener Bildungsangebote auch hinsichtlich der Aufnahmevoraussetzungen oder die konsequente Dualisierung bei der Vorbereitung von Jugendlichen auf eine Berufsausbildung.
Dazu gehört aber auch die Attraktivitätssteigerung der dualen Ausbildung. Gerade hierfür legt der Gesetzentwurf den notwendigen Grund. Mit breit in der Fläche verfügbaren Angeboten zum parallelen Erwerb der Fachhochschulreife werden wir noch mehr jungen Menschen Karrierechancen über die duale Berufsausbildung am Berufskolleg in der Nähe bewusst und erreichbar machen. Unsere Berufskollegs können eben beides: eine gute duale Ausbildung sowie Fachhochschulreife und allgemeine Hochschulreife. Ich halte überhaupt nichts davon, das eine gegen das andere auszuspielen. Wir müssen es schaffen, die Potenziale aller jungen Menschen bestmöglich zu heben und zu fördern.
(Minister Guntram Schneider: Sehr richtig!)
Meine Damen und Herren, mit den Optionen, die sich durch den Gesetzentwurf eröffnen, werden wir zudem im Rahmen der anschließenden und folgenden Änderungen der APO-BK alle Möglichkeiten ergreifen, ein breites Spektrum an Bildungsgängen auch in der Fläche sichern zu können.
Dieser Gesetzentwurf ist eine Bestätigung des Auftrags, die Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung umfassend umzusetzen. Gleichwertigkeit ist eben nicht Gleichartigkeit. Das will ich noch einmal unterstreichen.
Ich komme zum zweiten Punkt: Wir möchten mit dem Gesetzentwurf einer Verbesserung des Ausgleichs zwischen Elternwillen und Gemeinden bei der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern aus anderen Gemeinden in öffentliche Schulen herbeiführen.
Frau Schmitz, ich habe überhaupt nicht verstanden, was für eine Chimäre Sie hier aufgebaut und was Sie für Absichten an die Wand gemalt haben. Frau Voigt hat es schon gesagt: Wir folgen Rechtsprechung, um den Gemeinden mehr Klarheit zu geben. Natürlich soll so weit wie möglich dem Wunsch der Jugendlichen und der Eltern gefolgt werden. Es kann aber doch auch nicht sein, dass einige Gemeinden attraktive teure Angebote vorhalten, während sich andere ihrer Verantwortung entziehen und sich einen schlanken Fuß machen. Diesen Interessensausgleich stellt dieser Gesetzentwurf her.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist wichtig. Deshalb ist es richtig, dass die Kommunen das gewünscht haben und Rechtssicherheit brauchen. Dabei geht es gar nicht darum, Politik zu machen oder irgendetwas gegeneinander auszuspielen, sondern es geht um kluge Steuerungsmöglichkeiten für die Gemeinden. Das ist der Hintergrund.
Ein letztes Wort zu PRIMUS: Ich begrüße es, dass mit diesem Schulrechtsänderungsgesetz die Antragsfrist für die Teilnahme an dem Schulversuch um ein Jahr verlängert werden soll. Damit kommen wir der Bitte von Schulträgern entgegen. Bleiben Sie doch auf dem Teppich! Wir haben 6.000 Schulen. Es geht aber um lediglich 15 Schulen, die die Möglichkeit erhalten, etwas auszuprobieren. Das ist gewollt und verabredet. Damit folgen wir dem Schulträgerinteresse.
Wenn Sie das bewerten, was sich bewährt und was nicht, Frau Schmitz, schauen Sie doch einmal, was aus den Verbundschulen geworden ist, die Ihre Regierung den Gemeinden aufgezwungen hat! Schauen Sie doch einmal an, was die ursprünglich wollten und wie sie sich weiterentwickelt haben. Dann können wir im Ausschuss vielleicht ein bisschen sachlicher auch mit der FDP über diesen Gesetzentwurf sprechen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und Wolfgang Große Brömer [SPD])
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. -Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit kommen wir zur Abstimmung:
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4807 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Womöglich Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.
Wir kommen zu
4 Situation der Polizei und Kriminalitätsbekämpfung in Nordrhein-Westfalen
Große Anfrage
4
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2248
Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/4253
Das ist schön gesetzt: Tagesordnungspunkt 4, Große Anfrage 4! – Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Kruse für die CDU-Fraktion das Wort.
Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ziel der Großen Anfrage der CDU-Fraktion vom Frühjahr des vergangenen Jahres war es, einen umfassenden Überblick über die Situation der Polizei und der Kriminalitätsbekämpfung in unserem Land zu gewinnen. Eine vergleichbare Große Anfrage, die ebenfalls seitens der CDU-Fraktion gestellt wurde, gab es zuletzt 1998.
Allein die Tatsache, dass das Ministerium für Inneres und Kommunales mehr als sieben Monate für die Antwort benötigte – die Geschäftsordnung sieht drei Monate vor –, verdeutlicht die Brisanz und kennzeichnet das Dilemma, in dem diese Landesregierung mit ihrem populistisch agierenden Innenminister steckt.
(Beifall von der CDU)
Denn die Antworten auf insgesamt 112 Fragen zu zwölf Fragekomplexen sind nicht nur in weiten Bereichen höchst unbefriedigend, sondern offenbaren schonungslos eine über Jahrzehnte verfehlte Ausrichtung der nordrhein-westfälischen Polizei.
Aufgrund der außerordentlich knappen Redezeit beschränke ich mich auf einige kurze Anmerkungen:
Erstens. Bemerkenswert ist, dass Sie, Herr Minister Jäger, bereits in der Vorbemerkung der Antwort versuchen, die hohe Kriminalitätsbelastung in Nordrhein-Westfalen mit einigen landestypischen Besonderheiten zu entschuldigen wie zum Beispiel der Infrastruktur und der vielen Großstädte, die es bei uns gibt. Diese Faktoren würden Kriminalität begünstigen, weshalb Nordrhein-Westfalen nicht mit anderen bundesdeutschen Flächenländern vergleichbar sei.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Diese Aussage, Herr Minister, ist eine Selbstaufgabe von Politik. Wenn Nordrhein-Westfalen strukturelle Besonderheiten aufweist, die Kriminalität begünstigen, dann ist es Ihre Aufgabe und Aufgabe der zuständigen Landesregierung, hierauf mit spezifischen Maßnahmen zu reagieren.
(Beifall von der CDU)
Das wurde von der SPD in Nordrhein-Westfalen jedoch über vier Jahrzehnte hinweg versäumt.
Es ist geradezu peinlich und lächerlich, wenn Sie für Fehlentwicklungen die schwarz-gelbe Regierung der Jahre 2005 bis 2010 verantwortlich machen. Denn in den letzten 48 Jahren wurde Nordrhein-Westfalen insgesamt 43 Jahre von der SPD regiert. Somit beantwortet sich die Frage nach der politischen Verantwortung für die strukturellen Probleme von selbst.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Zweitens. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Personalbestand der Polizei hat sich zwischen 1980 und 2012 nur geringfügig geändert. Auch der Anteil der zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzten Polizeibeamten ist in diesem Zeitraum gleich geblieben. Nur circa jeder fünfte Polizeibeamte wird in Nordrhein-Westfalen zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt, und das, obwohl die Anzahl der Delikte im gleichen Zeitraum um 50 % gestiegen ist. Dass sich auf diese Weise keine zufriedenstellenden Aufklärungsquoten erzielen lassen, dürfte niemanden überraschen.
Drittens. Am Beispiel der Wohnungseinbruchskriminalität lassen sich die fatalen Auswirkungen dieser Entwicklung sehr anschaulich nachvollziehen. Denn inzwischen hat jeder Ermittler nur noch 60 Minuten Zeit, um einen Wohnungseinbruch aufzuklären, obwohl die Anzahl an Wohnungseinbrüchen in den letzten Jahrzehnten nicht nur zugenommen hat, sondern sich die Wohnungseinbrüche vor allen Dingen auch qualitativ erheblich verändert haben.
Bezeichnend für den geringen Stellenwert, den die Kriminalitätsbekämpfung unter der rot-grünen Verantwortung genießt, sind die Ausführungen auf Seite 58 folgende. Dort führen Sie, Herr Innenminister, aus, dass in den Kommissariaten zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität landesweit 355 Sachbearbeiter eingesetzt würden, was einem durchschnittlichen Vorgangsaufkommen von 152 Fällen pro Jahr entspreche. Gleichzeitig sagen Sie jedoch, Herr Minister, dass diese Zahlen nur eine geringe Aussagekraft hätten, da die Sachbearbeiter häufig auch zur Verfolgung weiterer Diebstahlsdelikte eingesetzt würden und eine stellenscharfe Darstellung von Aufgaben somit in der Tat nicht möglich sei.
Diese Aussage ist angesichts des massiven Anstiegs von Einbrüchen eine Bankrotterklärung, zumal der Minister in der Lage ist, auf über 20 Seiten sehr detailliert darzulegen, welche 3,2 Millionen Einzelmaßnahmen zur Verkehrsunfallbekämpfung die Polizei in Nordrhein-Westfalen getroffen hat.
Hinzu kommt, dass Sie, Herr Minister, seit 2010 keine Personalverwendung, sondern eine Personalverschwendung betreiben. Damit meine ich die zahlreichen Präventionskampagnen, die Sie medial in Szene zu setzen versuchen. Sie sind in der Tat kein Hansdampf in allen Gassen, sondern bestenfalls ein Hansdampf in der Sackgasse.
Wie ich eingangs bereits sagte, offenbart diese Antwort auf unsere Große Anfrage die Schwachstellen der Polizeipolitik. Deshalb meine ernsthafte Bitte und Forderung an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen: Nutzen Sie die Antworten. Ergreifen Sie Initiativen im Sinne einer Kriminalitätsbekämpfung, die langfristig ausgerichtet sein muss,
(Beifall von der CDU)
und sorgen Sie dafür, dass unser Land Nordrhein-Westfalen endlich seiner originären Aufgabe gerecht wird, nämlich dem Bürger ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten.
Die CDU-Fraktion wird hierzu in den nächsten Monaten in der gebotenen Deutlichkeit und Sachlichkeit eine ganze Reihe von Anträgen und Initiativen einbringen.
Die Redezeit ist zu Ende. Herr Präsident, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang für das Protokoll meinen Unmut darüber zum Ausdruck bringen, dass diese Debatte, die sich mit einer originären, außerordentlich wichtigen landesspezifischen Aufgabe, nämlich der Kriminalitätsentwicklung und Kriminalitätsbekämpfung beschäftigt, im Rahmen von Block I behandelt wird. Denn das wird diesem Thema nicht gerecht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kruse. Mit der letzten Bemerkung wenden Sie sich aber bitte auch noch einmal an Ihren Parlamentarischen Geschäftsführer. Denn die Parlamentarischen Geschäftsführer handeln das aus; das wird nicht vom Präsidium festgelegt.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Als Nächstes darf ich Herrn Kollegen Bialas für die SPD-Fraktion ankündigen.
Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werfen wir einen klaren, ungeschönten, aber auch unskandalisierenden und unverstellten Blick auf unser Land, so stellen wir eines fest: NRW war, ist und wird eines der sichersten Länder der Bundesrepublik und der Welt bleiben.
(Werner Lohn [CDU]: Womit belegen Sie das denn?)
Es ist nicht auszuschließen, dass Bürgerinnen und Bürger im Verlauf ihres Lebens Straftaten mitbekommen bzw. Opfer der einen oder anderen Straftat werden. Aber eines können Sie in Nordrhein-Westfalen so gut wie sicher ausschließen: dass Sie Opfer einer schweren Straftat werden. Kaum ein anderer Ort dieser Welt ist so sicher wie NRW.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Welchen Maßstab legen Sie denn für Sicherheit an? Es ist auch sehr interessant, zu fragen: Welche Fragen haben Sie denn in Ihrer Große Anfrage gestellt? In dieser sind Sie nämlich über etliche Punkte einfach hinweggegangen und haben wahrscheinlich diejenigen ausgeblendet, aus denen Sie für sich keinen Nektar hätten saugen können.
Die Gefahr, beispielweise einem Tötungsdelikt zum Opfer zu fallen, ist in Sachsen und Hessen doppelt so hoch wie in Nordrhein-Westfalen. Selbst in Bayern ist die Gefahr noch größer. Das sind doch Ihre Lieblingsländer, die Sie in diesem Zusammenhang immer heranziehen.
Wie sieht es jetzt bei den unterschiedlichen Deliktstypen in NRW aus? – Es gibt immer weniger Tötungsdelikte, immer weniger Raubdelikte, immer weniger Delikte im Bereich des schweren Diebstahls, immer weniger Straßenkriminalität – das ist das, was die Menschen meistens als sehr negativ empfinden –, immer mehr Delikte, die bereits im Versuchsstadium scheitern und somit gar nicht ausgeführt werden, immer weniger Gewaltkriminalität und immer weniger Jugendkriminalität.
Das sind die Zahlen der letzten Jahre. Die Kriminalitätsentwicklung der letzten zehn Jahre zeigt, dass es gerade einmal 20.000 Straftaten mehr sind. Was wiederum die einzelnen Delikte angeht, so hat sich beispielweise die Zahl für das Erschleichen von Leistungen – das ist das, was man als „Schwarzfahren“ bezeichnet – auf aktuell circa 90.000 Fälle verdoppelt.
Von rapiden Entwicklungen zu reden, entbehrt jeglicher Grundlage. Ich weiß, dass Ihnen diese Zahlen nicht gefallen, aber das sind eben die entsprechenden Fakten. Und Sie müssen sich nicht herauspicken, was Ihnen gefällt, sondern Sie müssen sich einmal einen Überblick über die Kriminalitätsstatistiken der letzten Jahre und Jahrzehnte verschaffen.
Ich mache das. Ich habe mir Ihre Große Anfrage durchgelesen, und ich kann Ihnen sagen: Sie waren an der einen oder anderen Stelle schlicht schlecht vorbereitet.
Die meisten Delikte, nämlich fast 50 %, sind Diebstähle. Stark vertreten sind auch Betrug und Körperverletzung, meist von jungen Männern an jungen Männern begangen. Sie vergleichen Nordrhein-Westfalen aber immer mit anderen Ländern. In den Ländern, die Sie anführen, vollziehen sich aber demografische Entwicklungen, die schlicht und einfach dazu führen, dass es dort bald keine jungen Männer mehr gibt. In Nordrhein-Westfalen haben wir hingegen noch junge Männer, und insofern können Sie auch nicht einfach sagen, dass die spezifischen Situationen in Nordrhein-Westfalen keinen wesentlichen Einfluss hätten.
Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Diebstahl aus Kfz. Die Zahlen für Diebstahl aus Kfz waren bei uns eine Zeit lang sehr hoch. Warum war das so? Die Leute haben zuerst ihr Handy, dann ihren Laptop und dann ihr Navi im Auto liegen gelassen. Durch die Aufklärung der Menschen – wir haben ihnen gesagt, dass sie Wertgegenstände nicht im Auto liegen lassen sollen –, durch präventive Maßnahmen sind die Zahlen deutlich gesunken.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Au, au, au!)
Das heißt, es liegt nichts mehr im Auto, und daher werden auch keine Straftaten mehr begangen.
Das ist ein Prinzip, das Sie immer wieder leugnen: Aufklärung, Maßnahmen zum Selbstschutz und Präventionsarbeit werden von Ihnen ständig diskreditiert. Sie nennen es „Marketingevent“, Sie nennen es „PR-Gag“. Es hat schlicht und ergreifend mit vielem zu tun, was Sie machen, aber es hat nichts mit einer Ernsthaftigkeit im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Daher meine inständige Bitte: Unterlassen Sie diese Form der Gegenaufklärung, und gaukeln Sie den Bürgern nicht vor, dass sie auf Eigenschutz, Sozialkontrolle und Wissen um Kriminalitätsformen verzichten könnten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Machen Sie sich hier nicht zum Büttel der Kriminellen.
Die Aufklärungsquote ist seit fast 20 Jahren in etwa gleich. Sie reden aber von desolaten Ermittlungsergebnissen. Zum Vergleich: Die Aufklärungsquote lag 2012 bei 49,1 %. Jetzt nehme ich eine Zahl aus Ihrer fünfjährigen Regierungszeit. Ich greife in die Mitte und nehme das Jahr 2007. Vor sieben Jahren lag die Aufklärungsquote bei 49,2 %.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Hört, hört!)
Also, selbst Dr. Orth hat in der letzten Debatte zu diesem Thema eingeräumt, dass die eigenen Zahlen nicht besonders anders waren.
Eines ist sicher: In NRW begehen Sie besser kein Schwerverbrechen. Denn bei Schwerverbrechen liegt die Aufklärungsquote bei fast 100 %.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
In diesem Zusammenhang von einer Wohlfühlzone für Straftäter zu sprechen, ist blanker Unsinn. Es ist auch gefährlicher Unsinn. Denn durch diese Form der Skandalisierung betreiben Sie fast eine Form von Anstiftung zum Kriminalitätstourismus. Insofern sollten Sie sich einmal genau überlegen, was Sie hier machen. So geht man nicht mit den Ängsten von Menschen vor Kriminalität um.
Ich frage mich auch immer, wie Sie es schaffen, Ansprüche an die Polizei zu stellen, ihre Arbeit zu skandalisieren und gleichzeitig 50 Millionen € bei der Polizei einsparen zu wollen. Mir ist es schleierhaft, wie das zusammenpassen soll.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zum Glück haben wir eine gut ausgebildete und motivierte Polizei. Wir verzeichnen endlich wieder genügend Einstellungen, haben damit mehr Polizei auf der Straße, und es kommt zu keinen Einsparungen bei der Polizei. Außerdem haben wir einen Innenminister, der weiß, was er tut. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bialas. – Für die Grünen-Fraktion hat nun Frau Schäffer das Wort.
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kruse, ich erkenne durchaus an, dass Sie sich mit dieser Großen Anfrage viel Mühe gegeben haben. Schließlich formuliert man 113 Fragen nicht einfach so nebenbei. Aber trotzdem sei die Frage erlaubt: Was hat uns diese Große Anfrage – bis auf eine Menge Arbeit für das Innenministerium – eigentlich gebracht? Ich meine, dass der Erkenntnisgewinn aus dieser Großen Anfrage relativ dünn ist, und das hat offensichtlich auch die Presse nach Ihrer Pressekonferenz so gesehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Überhaupt nicht nachvollziehen kann ich Ihre Vorbemerkung und Ihr Pressestatement, dass den Kreispolizeibehörden aufgrund falscher Schwerpunktbildung seitens der Landesregierung Polizeikräfte genommen würden. Ja, es stimmt: Es gibt das System der belastungsbezogenen Kräfteverteilung, wonach die einzelnen Polizeikräfte auf die Polizeibehörden verteilt werden, und es gibt einen Vorwegabzug für die drei Landesoberbehörden LKA, LZPD und LAFP. Es stimmt auch, dass gerade auf kommunaler Ebene die Kreispolizeibehörden immer wieder daran Kritik üben.
Es gibt allerdings – und diesen vernehme ich auch nicht von Ihnen – keinen Alternativvorschlag, der beschreibt, wie man das ändern könnte. Insofern ist Ihre Kritik an der Verteilung, aber auch an der Schwerpunktsetzung, reiner Klamauk, populistisch und inakzeptabel. Das kann ich auch an Beispielen festmachen.
Punkt 1: Sie kritisieren hier die Schwerpunktsetzung auf den Bereich der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Ich möchte noch einmal an die Debatte vor zwei Jahren erinnern, die wir kurz nach der Aufdeckung des NSU führten. Damals haben wir alle gesagt, dass dies ein Schwerpunkt der politischen Arbeit insbesondere der Sicherheitsbehörden, aber auch im Präventionsbereich sein muss. Denn es gibt in NRW Schwerpunkte von rechtsextremen Strukturen insbesondere in Dortmund, in Wuppertal und im Raum Aachen. Daher finde ich es richtig, dass die Polizei einen Schwerpunkt auf diesen Bereich setzt, dass sie Druck auf die Szene ausübt und dass Straftaten entsprechend verfolgt werden.
Jeden zweiten Tag wird in Nordrhein-Westfalen ein Mensch Opfer von rechter Gewalt. Diesen Menschen müssen Sie einmal erklären, dass hier ein falscher Schwerpunkt seitens der Polizei gesetzt wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Punkt 2: Sie kritisieren, dass es eine falsche Schwerpunktsetzung auf den Bereich des islamistischen Terrorismus geben würde. Dabei sind Sie es doch, die immer sagen, dass wir in diesem Bereich mehr Repression brauchen. Sie äußern sich also widersprüchlich. Ich meine, dass wir beides brauchen, also Repression und Prävention. Aber auf jeden Fall – und ich glaube, da sind wir uns einig – haben wir es hier mit einer ernstzunehmenden Bedrohungslage für die innere Sicherheit zu tun. Ich frage mich wirklich, ob Sie allen Ernstes behaupten wollen, hier sei ein falscher Schwerpunkt gesetzt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Punkt 3, den ich ansprechen möchte, ist das Themenfeld „Cybercrime“. Seit einiger Zeit ist ein entsprechendes Kompetenzzentrum beim Landeskriminalamt angesiedelt, weil die Internetkriminalität stetig wächst. Angesichts der verschiedenen Delikte und der Komplexität im Bereich „Cybercrime“ brauchen wir beim LKA Expertinnen und Experten sowie eine Verstärkung der Verankerung des Themas in der Aus- und Fortbildung. Hier wird bereits ein richtiger Schwerpunkt gesetzt.
In Ihrer Anfrage – das finde ich interessant – streifen Sie diesen Punkt „Cybercrime“ nur am Rande. Er wird gar nicht richtig behandelt. Vielleicht ist dies auch ein Ausdruck dafür, dass Sie die Partei sind, für die das Internet nach wie vor Neuland ist.
(Daniel Sieveke [CDU]: Neuland?)
Daher verwundert es mich auch nicht wirklich, dass dieses Thema in Ihrer Anfrage nicht vorkommt.
(Beifall von den GRÜNEN – Daniel Sieveke [CDU]: Das haben Ihre Abstimmungsergebnisse gezeigt!)
– Meinen Sie die Umfrage zu den Spitzenkandidaten, oder worauf bezieht sich Ihre Anspielung? – Ja, aber immerhin sind wir eine Partei, die auch neue Wege geht,
(Daniel Sieveke [CDU]: Neue Wege? Aha!)
ausprobiert und die Menschen zum Mitmachen anregt. Insofern passt der Zuruf nicht richtig.
Das Thema „Cybercrime“ spielt bei der CDU offensichtlich keine Rolle.
(Daniel Sieveke [CDU]: Gibt es auch einen deutschen Begriff dafür?)
Sie sprechen nur über Wohnungseinbrüche, über Diebstähle. Das ist in Ordnung, aber wir müssen auch darüber reden, was im Internet passiert und welche Delikte dort begangen werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will aber noch etwas zum Thema „Wohnungseinbruchskriminalität“ sagen. Das ist ja ein Punkt, auf den Sie immer herumreiten. Es stimmt, wir haben hier einen Anstieg der Kriminalität. Bundesweit ist sie um 8,7 %, in Nordrhein-Westfalen übrigens nur um 7,5 % angestiegen. Nichtsdestotrotz erkenne ich an: Wir haben hier ein Problem.
Auf eine interessante Entwicklung, die ersichtlich wird, wenn man sich die Kriminalstatistik anschaut, möchte ich dann doch noch hinweisen: Nicht jeder Wohnungseinbruch kann erfolgreich durchgeführt werden. Ungefähr 40 % der Wohnungseinbrüche sind nicht erfolgreich, sondern scheitern, weil zum Beispiel Fenster und Türen gesichert sind, weil die Nachbarschaft darauf aufmerksam wird und die Polizei ruft.
Trotzdem zu sagen, dass Präventionskampagnen wie „Riegel vor!“ nicht funktionieren, finde ich populistisch. Ich finde, die Zahlen sind ein Ausweis dafür, dass Präventionskampagnen sehr wohl funktionieren können. In dem Zusammenhang dann auch noch von Personalverschwendung zu sprechen, finde ich wirklich völlig daneben.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Es wird auch nicht denjenigen Polizistinnen und Polizisten gerecht, die vor Ort aufklären und beraten, wenn es darum geht, Wohnungen und Häuser zu sichern. Ich finde, die Zahlen geben uns da durchaus recht.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
– Wissen Sie, Herr Sieveke, Sie können hier hereinrufen, wie Sie wollen. Sie machen aber keine Verbesserungsvorschläge! Man kann so viel kritisieren, wie man will,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
aber dann muss man auch konstruktive Vorschläge machen.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Und genau das, Herr Sieveke, tun Sie nicht. Aber das erwarte ich von Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN – Daniel Sieveke [CDU]: Sie haben nur ein Thema! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Reden Sie doch von vorn, oder machen Sie eine Kurzintervention!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zeigt sich, dass bei diesem Thema die Erhitzung auch hier im Plenum groß ist; es betrifft ja nicht nur uns, sondern auch sehr die Menschen draußen.
(Daniel Sieveke [CDU]: Richtig!)
Insofern hoffe ich, dass eine erhitzte Debatte auch einmal zu Veränderungen aufseiten der Regierungsbank und der regierungstragenden Fraktionen führt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wenn man betrachtet, wie viele Opfer es in Nordrhein-Westfalen gibt und dass die Zahl der Kriminalität seit Amtsbeginn von Herrn Jäger um 70.000 Fälle gestiegen ist, wenn man also sieht, dass 95 Straftaten am Tag mehr passieren als zu der Zeit, bevor Herr Jäger regiert hat, dann möchte ich voranstellen, dass Sie, Herr Minister, in Ihrer Amtszeit uns enttäuscht und versagt haben; denn Sie haben es nicht geschafft, die Opfer vor Kriminalität hinreichend zu schützen.
(Beifall von der FDP)
Herr Bialas, wenn Sie sagen, wir seien eines der sichersten Länder der Welt, dann haben Sie offenkundig die Opferperspektive nicht im Blick.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Diese ist nämlich mit keinem einzigen Wort bei Ihnen aufgetaucht.
Die Menschen sind traumatisiert, wenn jemand in ihrer Wohnung, in ihrem Schlafzimmer, in ihrem Intimsten herumgewühlt hat. Es ist immer auch eine Frage der Sichtweise, wie betroffen man ist. Der Student in Münster ist ebenso sehr betroffen, wenn er das Fahrrad, das er sich durch den Nebenjob verdient hat, hinterher los ist, weil es gestohlen wurde.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Wir sollten nicht so hochnäsig sein und die Opferperspektive nur mit hohem materiellem oder körperlichem Schmerz gleichsetzen. Nein, es ist ein Thema für alle, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Bei Ihrer Interpretation der Zahlen und der Großen Anfrage, Herr Bialas, habe ich mich an den Kunstunterricht erinnert. Es kam mir so vor, als ob Sie die ganze Zeit versuchen, ein naturalistisches, realistisches Gemälde in ein abstraktes umzudeuten. Nein, meine Damen und Herren, die Kriminalität in Nordrhein-Westfalen ist nicht abstrakt. Und dafür trägt die Landesregierung die Verantwortung.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bialas?
Dr. Robert Orth (FDP): Nein, das möchte ich nicht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, Sie möchten keine Zwischenfrage zulassen. Bitte schön.
Dr. Robert Orth (FDP): Herr Kollege Bialas, ich wollte gerade noch einen Punkt, den Sie angesprochen haben, erwähnen. Sie haben das gemacht, was der Minister auch immer macht und was leider schon sehr viele Vorgängerregierungen in ganz finsteren Zeiten gemacht haben. Sie haben sich immer einen Schuldigen von draußen gesucht.
Wenn Sie sagen, Herr Bialas, die Große Anfrage der CDU sei eine Art Anstiftung zum Kriminalitätstourismus, dann machen Sie etwas, was man nie tun sollte: Sie unterstützen Vorurteile gegen Menschen, die nicht hier leben, die aus Osteuropa, aus Südeuropa und Gott weiß woher kommen. Ich dachte, darüber wäre die Politik in Nordrhein-Westfalen hinweg.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Frau Kollegin Schäffer, wenn Sie sagen, die Opposition hätte keine Alternativvorschläge, dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir doch seit Monaten den Antrag der FDP-Fraktion zum Sofortprogramm „Beute zurück“ in der Diskussion haben. Warum gehen Sie da nicht mit?
(Verena Schäffer [GRÜNE] schüttelt den Kopf.)
Warum machen Sie nicht das, was vernünftig ist? Warum trocknen Sie nicht die Absatzwege aus, damit niemand mehr auf die Idee kommt, einen Einbruch zu machen, weil es sich für ihn nicht lohnt? Nein, das sind nicht Ihre Wege.
Und dann nennen Sie hier noch Cybercrime. Dann gehen Sie doch einmal die Ebay-Hehlerei an! Das tun Sie doch auch nicht. Auch da kommt von Ihnen einfach nichts.
Und wenn Sie dann noch sagen, einige Einbrüche seien im Versuchsstadium steckengeblieben, weil die Polizei kam, dann sollten Sie sich einmal an die Zahlen erinnern, wie viele Tausend Notrufe hier in Nordrhein-Westfalen die Polizei nicht erreichen. Die Zahlen könnten besser sein, wenn die Landesregierung nicht ständig versagen würde.
Insofern kann ich nur betonen, was auch die CDU sagt: Solche Aktionen wie Blitzmarathon, wie „Riegel vor“ sind einfach nur bloße PR. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Herr Minister, Sie trauen sich nicht mal, diese Zahlen zu evaluieren. Sie schauen gar nicht, wie viele Leute vor dem Blitzmarathon und danach zu schnell gefahren sind. Unter Ihren Augen, als Ihre Polizistinnen und Polizisten Flyer für den Schutz gegen den Einbruch verteilt haben, sind Tausende von Einbrüchen in Nordrhein-Westfalen passiert.
(Zurufe von der SPD)
Die Einbrecher wissen: Wenn mal wieder ein PR-Tag für Herrn Jäger stattfindet, dann kann man nämlich in Ruhe das machen, was wir alle verhindern wollen. Meine Damen und Herren, das muss ein Ende haben. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Saal und zu Hause! Es wurde bisher viel auf der Meta-Ebene debattiert. Ich möchte ein bisschen auf das Praktische zurückkommen. Wie immer bei einer Großen Anfrage gibt es viele Punkte, auf die man eigentlich eingehen müsste. Man hat allerdings zu wenig Redezeit. Die ersten 22 Seiten, in denen fast ausschließlich die polizeiliche Kriminalstatistik zusammengefasst wird, erspare ich mir. Das hat keinen großen Neuigkeitswert.
Interessant wird es dann auf Seite 23. Schaut man sich dort die Zahlen an, stellt man fest, dass die Gesamtpersonalstärke der Polizei seit 1990 weitestgehend stabil geblieben ist.
Anhand dieser Zahlen könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Sicherheit in NRW schon seit über 20 Jahren immer derselbe Stellenwert beigemessen wird. Faktisch ist dies aber selbstverständlich nicht so; denn die Rahmenbedingungen haben sich geändert.
Zum einen sind die Fallzahlen in der PKS seit 1990 gestiegen. Kurz: Es gibt mehr Kriminalität – welche Gründe das auch immer haben mag. Das erfordert natürlich mehr Arbeitsaufwand und somit eigentlich auch mehr Personal.
Zum anderen kommen noch interne Faktoren hinzu. Ich möchte einmal ein kurzes Beispiel nennen. Es dürfte bekannt sein, dass es seit nunmehr vielen Jahren vermehrt auch Frauen bei der Polizei gibt. Das ist völlig richtig so. Aber trotz fortschreitender Wissenschaft bekommen auch heutzutage meistens noch die Frauen die Kinder. Und trotz eines glücklicherweise fortschreitenden gesellschaftlichen Wandels kümmern sich auch heute noch meistens die Frauen um die Kindererziehung. Beides ist grundsätzlich kein Problem. Das möchte ich hier klarstellen.
(Verena Schäffer [GRÜNE]: Ja, doch! Die Männer könnten das mal übernehmen!)
– Wenn die Männer es auch noch machen, kommt ja noch etwas hinzu. Das ist aber gar kein Problem. Das Problem ist nur, das man das dann bei der Personalplanung auch entsprechend berücksichtigen muss. Beides wird jedoch, wie die Antwort zeigt, seit Jahrzehnten einfach ignoriert – mit der Konsequenz, dass die Personalstärke faktisch zurückgegangen ist.
Das ist natürlich nicht das einzige Problem. Hinzu kommen noch weitere Faktoren – zum Beispiel die Überalterung der Polizei und die damit einhergehenden Umstände wie erhöhte Krankenstände. Um zu erkennen, dass alte Menschen einfach häufiger krank werden, muss man ja kein Genie sein.
Das führt in logischer Konsequenz zu dem nächsten Problem, das in der Anfrage ebenfalls aufgegriffen wurde – allerdings leider schon in der Fragestellung mit dem falschen Problembewusstsein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie haben nach dem richtigen Schichtmodell für den Wach- und Wechseldienst gefragt.
Ich muss der Landesregierung insoweit recht geben, als dass die Behörden zumindest grundsätzlich in der Lage sind, die Einsatzstärken an der jeweiligen Einsatzbelastung zu orientieren. Vehement widersprechen muss ich der Landesregierung aber, wenn sie sagt, dass die Behörden deshalb in den einsatzstarken Zeiten auch tatsächlich über ausreichend Personal verfügen. Das ist nicht so.
Dabei ist die Frage, welches Schichtsystem dieses Problem am besten löst, nicht einmal die wichtigste, sondern vermutlich eine Glaubensfrage. Jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile. Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen wir es, dass die Sollzahlen überhaupt in ausreichender Höhe angesetzt werden können?
Es hört sich immer toll an, wenn eine Dienstgruppe theoretisch ausreichend besetzt ist. Häufig existiert ein Großteil aber dauerhaft oder zumindest langzeitig eigentlich nur auf dem Papier, weil die Beamten aus den eben dargelegten Gründen ausfallen. Dazu kommen dann noch Dinge wie Fortbildungsmaßnahmen usw. hinzu. Somit sind viele Behörden gezwungen, die eigentlich benötigten Sollzahlen schon von vornherein nach unten zu korrigieren, weil die Dienstgruppen diese Stärken sonst gar nicht aufbringen könnten.
Die normalen regelmäßigen Ausfälle wie Urlaub oder auch die zwei freien Tage in der Woche kommen natürlich noch obendrauf. Gerade in der Haupturlaubszeit führt das dazu, dass die Dienstgruppen nicht selten auf dem Zahnfleisch kriechen. Wenn dann noch unplanbare Dinge wie kurzfristige Erkrankungen dazukommen, was ja auch passiert, fahren die Dienstgruppen nicht selten unter dem Soll.
Das ist die Konsequenz der derzeitigen Personalpolitik. Da ist es schlicht egal, welches Modell die Behörde hat. Das Problem ist im Grunde bei allen dasselbe.
Minister Jäger hat bereits deutlich gemacht, dass es keine Aufstockung des Personals geben wird. Deshalb wird in Bezug auf das Personal häufig der Begriff „Aufgabenkritik“ benutzt. Interessant ist übrigens, dass die Begleitung von Schwertransporten immer als das Beispiel für Aufgabenkritik genannt wird. Wie Sie in der Antwort sehen, stellt dies aber mit gerade einmal 47 Stellenäquivalenten sicherlich den geringsten Teil des Einsparpotenzials dar. Es ist zwar nicht unwichtig, aber auch nicht das Beispiel.
Neben vielen anderen Einsatzbereichen, die sicherlich einer Aufgabenkritik unterzogen werden sollten, möchte ich mein Augenmerk auf einen Bereich legen, der auch in der Antwort auf diese Anfrage einen nicht unerheblichen Teil einnimmt, nämlich die Betäubungsmitteldelikte. Mit insgesamt 465 Planstellen im Jahr 2012 macht allein dieser Bereich ca. 6 % der gesamten Personalressourcen der Kriminalpolizei aus. Mehr als ein Zwanzigstel entfällt also nur auf diesen Bereich. Den absoluten Großteil davon nimmt das Thema „Cannabis“ ein. Das steht alles in dieser Antwort. Dabei ist das Personal, das im Wach- und Wechseldienst dadurch gebunden wird, noch gar nicht mit eingerechnet.
Umso erstaunter war ich, als ich lesen musste, dass die CDU für die nächste Sitzung des Innenausschusses einen Besprechungspunkt beantragt hat, um wieder mal den Münsteraner Polizeipräsidenten zu diskreditieren, nur weil er völlig zu Recht ein Umdenken im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität und eine Freigabe von Cannabis fordert.
(Beifall von den PIRATEN)
Diese Forderung ist völlig legitim und entspricht nun einmal aktuellen Erkenntnissen. Ich kann Ihnen sagen: Auf die nächste Sitzung des Innenausschusses freue ich mich jetzt schon.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Mit diesen 465 Stellen könnten wir übrigens das Personal zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität nahezu verdoppeln. Darauf will ich nur einmal am Rande hinweisen, weil wir ja zu Recht immer darauf herumhacken. Das wiederum würde allerdings – auch das ist eine Erkenntnis dieser Antwort – vermutlich nicht, wie allgemein angenommen, zwangsläufig zu einer höheren Aufklärungsrate führen. Der Tabelle auf Seite 25 können Sie entnehmen, dass es zumindest bezogen auf die Gesamtkriminalität keine direkte Korrelation zwischen Personalstärke und Aufklärungsquote zu geben scheint.
Sie sehen: Diese Große Anfrage liefert viele wichtige Zahlen, aber keine Lösungen. Es gibt noch eine Menge zu tun. Ich hoffe, dass die Landesregierung der Aufgabe gewachsen ist. Zurzeit sehe ich das nicht. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schatz. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zu Beginn mit drei Fehlern oder Missinterpretationen vonseiten der FDP und der CDU, was diese Anfrage angeht, aufräumen.
Erstens. Herr Kruse, ich weiß nicht, worauf Ihre Aussage basiert, dass die Zahl der mit der Kriminalitätsbekämpfung befassten Beamtinnen und Beamten gleich geblieben sei und die Kriminalität sich in der gleichen Zeit um 50 % erhöht habe. Tatsache ist: 1994 waren 7.256 Beamtinnen und Beamte mit der Kriminalitätsbekämpfung befasst. Im Jahre 2012 sind es 8.796. Das ist ein Zuwachs von 19 %, während die Kriminalität in dieser zeit um 14 % gestiegen ist. – So viel zur Richtigstellung, Herr Kruse.
Zweitens. Die Zunahme um 70.000 Straftaten seit 2010 geht im Wesentlichen auf das Anzeigeverhalten der Kolleginnen und Kollegen der Bundespolizei zurück, die vermehrt Schwarzfahren bei den örtlichen Landespolizeien zur Anzeige bringen. In der Tat muss man die Opfer dabei immer im Blick haben, Herr Orth. Hier handelt es sich aber nicht um eine Vielzahl von Opfern, sondern in der Regel um ein Opfer, nämlich die Deutsche Bahn AG.
Drittens. Ich weiß nicht, was Sie beim Thema „Blitz-Marathon“ sozialisiert. Ich bin ja keiner, der meinem Kollegen Rhein aus Hessen, meinem Kollegen Henkel aus Berlin oder meinem Kollegen Herrmann aus Bayern zur Seite treten sollte – überhaupt nicht. Tatsache ist aber, dass alle 16 Bundesländer im letzten Jahr gemeinsam diesen Blitz-Marathon durchgeführt haben, der übrigens nur ein Baustein in der Fachstrategie zur Verkehrsarbeit der nordrhein-westfälischen Polizei ist. Die anderen Länder haben ihn übernommen, weil die Zahlen für sich sprechen. In Nordrhein-Westfalen sinkt die Zahl der Verkehrstoten – Gott sei Dank; jeder Einzelne ist immer noch einer zu viel – deutlich schneller als im Bundesschnitt. Das hat die Kolleginnen und Kollegen überzeugt. Deshalb übernehmen sie diesen Baustein.
Die Kritik, die Sie an mich richten, richten Sie also gleichzeitig an 15 andere Innenminister der Bundesrepublik Deutschland – und auch an die Innenminister aus Belgien, den Niederlanden, Schweden, Norwegen und Australien, die sich inzwischen dieses Konzept in Nordrhein-Westfalen angeschaut und es übernommen haben.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Lieber Herr Kruse, lieber Herr Dr. Orth! Ich habe Ihnen einmal ein Angebot gemacht. Das Angebot lautete: Wenn Sie darüber reden, lassen Sie sich doch dieses Konzept einmal von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meiner Fachabteilung, die es entwickelt haben, vorstellen. Dann können Sie darüber mit uns diskutieren. Bisher haben Sie dieses Angebot immer noch nicht in Anspruch genommen. Deshalb kann ich heute hier ganz objektiv feststellen: Sie wissen bei diesem Thema nicht, wovon Sie reden, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])
Politik ist bekanntermaßen kein Wunschkonzert. Ich hätte mir trotzdem bei der Debatte um diese Große Anfrage etwas mehr Sachlichkeit gewünscht, Herr Kruse.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Als Erstes: Sie wissen – wir haben Sie darüber informiert –, warum die Beantwortung dieser Anfrage nicht drei Monate, sondern sieben Monate gedauert hat, nämlich weil Sie im Wesentlichen statistisches Material, statistische Zahlen abgerufen haben, die erst durch aufwendige Software-Entwicklung oder Zukauf von Software überhaupt in der Art und Weise komprimiert werden konnten, wie Sie sie abgefragt haben.
Ich stelle fest: Die Polizeibehörden haben sich wirklich alle Mühe gegeben, in möglichst kurzer Zeit diesen immensen Aufwand zu bewältigen. Sie hätten in dieser Zeit auch anderes Sinnvolles tun können, aber haben natürlich gerne in Richtung Parlament und Gesetzgeber diese Große Anfrage beantwortet.
(Beifall von der SPD)
Was zur Sachlichkeit gehört, ist: 49 % Aufklärungsquote, das war am 9. März 2007 während der Aktuellen Stunde für die Abgeordneten Kruse und Engel wortwörtlich ein riesiger Erfolg. Derselbe Abgeordnete Kruse sagt heute: 49 % Aufklärungsquote, dann ist ja NRW ein Paradies für Straftäter. – Das, Herr Kruse, ist nackter Populismus.
(Beifall von der SPD)
Das ist deshalb nackter Populismus, weil Sie gleichzeitig mit den Ängsten der Menschen in diesem Land spielen. 49 % ist nicht ausreichend. Wir haben den Ansporn, dass wir auch da noch besser werden. Aber bitte tun Sie nicht so, als ob etwas, das 2007 gut war, 2012 zwingend schlecht sein muss.
(Beifall von der SPD)
Wenn wir da besser werden wollen – das haben wir uns zum Ziel gesetzt –, dann müssen wir breiter aufgestellt sein. Daran arbeiten wir seit 2010, indem wir nämlich alle Kriminalitätsfelder in den Blick nehmen, was notwendig ist, um Erfolge zu erzielen. Und wir wollen Erfolge nicht in der Statistik erzielen, sondern wirklich nachhaltige und langfristige Erfolge, damit Menschen weniger zu Opfern von Kriminalität in diesem Land werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Nein.
Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, Sie wollen keine Zwischenfragen.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich glaube, dass zwei Dinge dazu notwendig sind: in der Tat konsequentes restriktives Vorgehen gegen Straftäter. Mindestens genauso wichtig ist es, die Prävention auszubauen und für die Polizei Wege in die Öffentlichkeit zu suchen.
Herr Kruse, das ist Ihr großes Missverständnis: Es geht nicht darum, dass sich die Polizei oder der Innenminister inszenieren wollen, sondern wir versuchen mit unserem Präventionsansatz, zu informieren und zu sensibilisieren, damit die Menschen möglichst nicht Opfer von Straftätern oder von Kriminalität werden.
Und diese Konzepte sind nicht wirkungslos, sondern ganz im Gegenteil: Sie funktionieren. Ich will Ihnen drei Beispiele nennen:
Erstens: Sicherheit im Straßenverkehr. Die Zahl der Verkehrstoten in diesem Land sinkt deutlich. Es sind immer noch zu viele, aber deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt. Deshalb übernehmen andere unsere Konzepte.
Zweitens: der Schutz vor Einbruchskriminalität. Sie ist viel zu hoch, nicht befriedigend. Aber mit dem Wandel in Europa, mit der Freizügigkeit in Europa, mit dem zusätzlichen Kriminalitätsphänomen, dass wir es inzwischen mit sehr gut organisierten Einbrecherbanden zu tun haben, ist jeder geringere Anstieg inzwischen ein Erfolg. Und wenn ich die Aufklärungsquote in gleichbesiedelten ländlichen Gebieten zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen vergleiche, Herr Kruse – das wird Sie enttäuschen –, dann sind wir mindestens genauso gut wie die in Bayern.
(Zuruf von Theo Kruse [CDU])
Wir machen diese Präventionsarbeit genauso im Bereich der Cyberkriminalität. Wir haben, in der Fachwelt hoch beachtet, inzwischen über 100 Mitarbeiter im Landeskriminalamt mit der Aufgabe betraut, nicht nur im Internet auf Streife zu gehen, sondern ganz gezielt die Öffentlichkeit über die Gefahren im Internet, Opfer einer Straftat zu werden, zu informieren.
Vier Millionen Einsätze der Polizei in Nordrhein-Westfalen zeigen, wie leistungsstark inzwischen die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist. Trotzdem muss man sagen: Jedes Opfer einer Straftat ist ein Opfer zu viel.
Ich glaube im Gegensatz zu den Kollegen Dr. Orth und Herrn Kruse: Unsere Polizei in Nordrhein-Westfalen leistet sehr gute Arbeit. Sie reagiert schnell, effektiv und, was besonders wichtig ist, innovativ auf sich verändernde Kriminalitätsphänomene. So wie sich die Gesellschaft verändert, so verändert sich Kriminalität. Das müssen wir im Blick haben und immer zeitnah darauf reagieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben da hohe Ansprüche, was Kooperationen angeht – sei es zwischen Ministerium und LKA, sei es zwischen den Ministerien, dem LKA und den Polizeibehörden. Das muss sich auch im Bund besser widerspiegeln, weil Straftäter inzwischen vor Landesgrenzen nicht mehr Halt machen. Es ist übrigens ein Themenschwerpunkt in meiner Zeit als Vorsitzender der Innenministerkonferenz, dass wir in dem Feld noch besser werden, dass die Landespolizeien und die Bundespolizei noch besser miteinander kooperieren.
Wie erreichen wir Sicherheit? – Mit möglichst gut ausgebildetem und möglichst viel Personal. Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen: 1.500 Einstellungen sind wichtig, um die Sicherheit in diesem Land zu gewährleisten. Hätte die schwarz-gelbe Landesregierung die gleichen Anstrengungen auch finanzieller Art wie wir unternommen, hätten wir 2.700 Beamtinnen und Beamte mehr auf der Straße zur Bekämpfung der Kriminalität, die uns heute fehlen.
(Theo Kruse [CDU]: Herr Jäger, lassen Sie es sein!)
Schlimmer noch: Sie haben nicht nur 2.700 aus Nachlässigkeit zu wenig eingestellt, Sie schlagen uns auch noch vor, 2.000 abzubauen. Und das, meine Damen und Herren, sind in der Summe 4.700. Ich wiederhole meine Ausführungen aus der letzten Plenardebatte: Mit einer solchen Personalpolitik gegenüber der Polizei werden Sie zum Sicherheitsrisiko in diesem Land, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Letzter Punkt: Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu Recht erwarten können, dass wir uns sehr konsequent für deren Sicherheit einsetzen. Das tun 45.000 Menschen bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Und deren gute Arbeit und deren Erfolge lassen wir uns auch von Ihnen nicht madig machen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Bleiben Sie bitte um Pult, Herr Minister. Es gibt eine angemeldete Kurzintervention des Kollegen Dr. Orth von der FDP. – Herr Dr. Orth, 1 Minute und 30 Sekunden für Sie, bitte.
Dr. Robert Orth (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, da Sie mich mehrfach angesprochen haben, möchte ich kurz auf das, was Sie hier gesagt haben, eingehen und es richtigstellen.
Zum einen haben Sie gesagt, es hätten mehr Beamte eingestellt werden müssen. Herr Minister, Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen: Die Beamten fehlen in der Zukunft, und niemand stellt Personal zehn Jahre früher ein. Dann hätte auch Herr Minister Behrens auf Vorrat Personal einstellen müssen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Zweiter Punkt: Sie haben wie Ihr Kollege Bialas auch eben Vorurteile kultiviert. Ich bitte Sie, sich davon zu distanzieren. Sie haben gesagt, dass in einem freien Europa Tätergruppen aus Europa hierher reisen. Das ist eine Unterstellung, die nicht tragbar ist, und es geziemt sich für einen demokratischen Minister nicht, so etwas zu behaupten. Ich bitte Sie, das richtigzustellen. Wir haben eine hohe Zahl an Straftaten in Nordrhein-Westfalen. Sie erheben auch nicht konkret, ob die Täter von um die Ecke oder aus welchem Land sie kommen, sondern es geht darum, dass wir zu viel Kriminalität haben und keine Vorurteile schüren sollten.
(Beifall von der FDP)
Dritter Punkt: Sie haben gesagt, Sie hätten angeboten, dass wir uns das Programm mit dem Blitzmarathon doch mal vor Ort erläutern lassen sollten. Herr Minister, wir haben Sie vorab gefragt, wie Sie denn die Wirksamkeit messen – in Kleinen Anfragen, in Anträgen, im Parlament, im Ausschuss. Sie haben jedes Mal gesagt, dass Sie die Wirksamkeit gar nicht evaluieren. Sie wissen gar nicht, wie viele Leute an welchem Tag geblitzt werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Eine Minute und 30 Sekunden sind rum, Herr Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Daher erübrigt es sich doch, dass wir uns ein Programm erklären lassen, von dem Sie selber nicht wissen, ob es wirkt, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, 1 Minute und 30 Sekunden.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Dr. Orth, das ist eine äußerst schwache Ausrede, wenn man sich mit einem Thema inhaltlich nicht befassen will. Ich biete Ihnen das noch mal an. Die Fachstrategie Verkehr ist in Nordrhein-Westfalen auf einem sehr hohen Niveau entwickelt und weiterentwickelt worden, sehr komplex, nicht nur der Blitzmarathon. Ich würde Ihnen empfehlen: Machen Sie sich mit der Thematik vertraut, warum die Verkehrstotenzahlen in Nordrhein-Westfalen zurückgehen, warum andere Länder das übernehmen. Dann können wir auf einem sachlichen Niveau darüber diskutieren.
Das Zweite, Herr Dr. Orth: Wenn man Probleme lösen will, dann muss man auch die Ursachen ehrlich ansprechen.
(Theo Kruse [CDU]: Einverstanden!)
Tatsache ist, dass die EU-Osterweiterung im Wesentlichen wirtschaftliche Vorteile aufgrund traditioneller Verbindungen gerade für Österreich und Deutschland beschert und dass wir die Freizügigkeit für die Menschen in Europa auch haben wollen.
Aber genauso ehrlich ist es, festzustellen, dass es inzwischen eine Freizügigkeit für die Kriminalität gibt. Dass wir gut organisierte Banden aus Südosteuropa haben, ist nicht meine Erfindung, das ist keine Diskriminierung von Menschen, sondern es ist eine Tatsache.
Wenn man sich dieser Tatsache entgegenstellen will, dann muss man wissen, dass die Polizei bei international agierenden Banden auch ein internationales Konzept zur Bekämpfung dieses Kriminalitätsphänomens aufstellen muss. Das hat überhaupt nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern es hat damit zu tun, dass man Realitäten erkennen muss, wenn man Probleme lösen will.
Das Dritte ist noch mal die Einstellungspolitik. Es mag ja in der Welt eines Rechtsanwaltes bezogen auf seine Kanzlei zutreffend sein …
Vizepräsident Oliver Keymis: Jetzt sind die 90 Sekunden rum, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, ich füge das als Redezeit der Landesregierung bitte noch an. Wenn Sie mir gestatten, noch zwei Sätze dazu.
(Widerspruch von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Jetzt aber fröhlich, Herr Minister. Machen Sie den Satz noch zu Ende, ja.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: …, eine Personalentwicklung auf so kurze Distanz zu machen. Polizeibeamte gibt es nicht am Arbeitsmarkt. Die, die man braucht, muss man ausbilden und einstellen. Ihnen lag im Jahre 2005 ein Altersbericht vor, nach dem die demografische Entwicklung bei der Polizei NRW absehbar war, und Sie haben nicht reagiert. Das Ergebnis ist, dass Sie 2.700 Beamte zu wenig eingestellt haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Angesichts des Themas fälle ich folgende Entscheidung: Wir haben eine Überziehung der Redezeit bei der Landesregierung von etwa 4:30 Minuten. Jetzt haben alle Rednerinnen und Redner schon ein bisschen überzogen, unterschiedlich lang. Aber ich stelle anheim, dass sich die Fraktionen noch einmal mit etwa zwei bis drei Minuten, über den Daumen, zu Wort melden, damit hier nicht das Gefühl entsteht, anlässlich der Großen Anfrage seien seitens des Präsidiums womöglich Einschränkungen vorgenommen worden, die dem wichtigen Thema nicht gerecht werden. Das wollen wir nicht. Der Minister hat die Zeit für die Regierung etwas verlängert.
Zunächst hat sich Herr Bialas für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Aufgrund der Überziehung von vorhin, Herr Kollege Bialas, können wir die Zeit jetzt noch mal so zweieinhalb Minuten mitlaufen lassen. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Andreas Bialas (SPD): So lange brauche ich auch gar nicht. – Ich wollte nur eine Sache eindeutig klarstellen: Wir können uns in der inhaltlichen Diskussion streiten – gar keine Frage –, aber der Ausdruck „Einladung zum Kriminalitätstourismus“ hat nichts mit einem spezifischen Delikt zu tun. – Punkt eins.
Punkt zwei: Das hat auch nichts mit dem Stellen der Großen Anfrage zu tun. Das ist selbstverständlich das parlamentarische Recht, und es ist die Pflicht einer Opposition, was ich in keinster Weise kritisieren wollte. Das geht lediglich zurück auf eine Pressemitteilung der CDU, in der steht, dass NRW zur Wohlfühlzone für Straftäter wird. Das ist definitiv nicht so. NRW ist beileibe keine Wohlfühlzone für Straftäter.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bialas. – Nun hat sich für die CDU noch einmal Herr Kollege Kruse gemeldet. Angesichts der Zeit vorhin – Sie waren schon etwas über zwei Minuten drüber – haben Sie jetzt noch runde zwei Minuten, Herr Kollege. Bitte schön.
Theo Kruse (CDU): Herr Präsident, ich danke sehr herzlich für die Möglichkeit. – Sehr geehrter Herr Minister Jäger, wir sollten uns darauf verständigen, erstens dass die Bekämpfung von Kriminalität eine originäre Landesaufgabe ist, zweitens dass wir hierfür langfristig ausgerichtete Konzepte benötigen, und drittens habe ich die ernsthafte Bitte an Sie, dass Sie in den nächsten Wochen und Monaten der Versuchung widerstehen, die Fehlentwicklungen, die wir heute in NRW zu registrieren haben, der Politik der schwarz-gelben Landesregierung von 2005 bis 2010 anzulasten.
(Beifall von der CDU)
Denn Sie wissen es besser. Als zuständiger Fachminister sollten Sie eigentlich besser als jeder Kollege hier im Saal wissen, dass wir bei der Kriminalitätsbekämpfung eine langfristig ausgerichtete Personaleinsatzkonzeption benötigen. Die fängt nicht in einer Periode an und hört am Ende derselben auf, sondern das geht periodenübergreifend.
Wenn man festzustellen hat, dass die CDU mit der FDP in den letzten 48 Jahren bedauerlicherweise nur fünf Jahre regiert hat,
(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)
dann kann man nicht sagen: Da lagen die ganzen Fehlentwicklungen.
Eine Frage beschäftigt mich natürlich auch, die wir als CDU-Fraktion in einer Kleinen Anfrage im vergangenen Jahr gestellt haben: Worauf führt die Landesregierung, worauf führen in besonderer Weise Sie, Herr Minister, es eigentlich zurück, dass die sogenannten privaten Sicherheitsdienste inzwischen ca. 38.000 Beschäftigte nur in Nordrhein-Westfalen haben?
Wir als CDU-Fraktion haben ernsthaft nichts gegen private Sicherheitsdienste. Aber Ihre Politik führt zunehmend dazu, dass wir eine Sicherheit erster und zweiter Klasse bekommen.
(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD)
Wir haben Wohnviertel und Wohngebiete, in denen die Bürgerinnen und Bürger zunehmend sagen: Die Polizei haben wir hier schon lange nicht mehr gesehen. Wir organisieren das jetzt durch private Sicherheitsdienste.
(Dietmar Bell [SPD]: Quatsch! Kolossaler Quatsch! Grober Unfug!)
Ich halte das für eine gefährliche und bedrohliche Entwicklung. Sie sollten die Antwort auf die Frage liefern, worauf Sie den Anstieg bei privaten Sicherheitsdiensten mit einem Höchststand von ca. 38.000 am 31.12.2012 – wahrscheinlich sind es heute schon mehr – eigentlich zurückführen.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Wo gibt es die denn? – Dietmar Bell [SPD]: Es wird nicht besser, wenn Sie länger reden!)
Aus unserer Sicht ist das, wie gesagt, eine gefährliche und bedrohliche Entwicklung.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Kruse. – Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind am Ende der Debatte zu Tagesordnungspunkt 4, und ich schließe die Aussprache. Ich stelle fest, dass die Große Anfrage 4 der Fraktion der CDU erledigt ist.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4811
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn Kollegen Schmalenbach für die antragstellende Fraktion.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Der Netzausbau spielt zweifellos eine wichtige Rolle bei der Energiewende. Durch die Netze und ihre Struktur werden die Bedingungen für den Transport der Energie geschaffen.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Netze sind ein Teil der Infrastruktur. Infrastruktur ist teuer, und die Kosten müssen die Stromverbraucher bezahlen. Daher ist es notwendig, hierbei Fehler zu vermeiden.
Der kostspieligste Fehler, den man machen kann, ist, Infrastruktur zu bauen, die nicht genutzt wird. Das gilt für Straßen und Brücken ebenso wie für Stromtrassen. Bei Computernetzwerken gönnt man sich gern den Luxus, das Netz im Vorfeld größer als benötigt zu bauen, da mit Wachstum gerechnet wird und ein solches Vorgehen häufiger günstiger als eine Nachrüstung ist. Man lebt gegebenenfalls mit einem nicht ausgelasteten Netzwerk mit teilweise großen Reserven, denn die Investition ist überschaubar.
Beim Stromnetz hingegen sollte man genauer hinschauen. Denn wenn wir die Bürgerenergiewende ernst meinen, müssen wir sogar davon ausgehen, dass wir immer mehr stromautarke Inseln bekommen und dass ein Ausbau der großen Trassen zu einer enormen Überkapazität führen wird. Wir plädieren daher dafür, nicht vorauseilend, sondern angepasst an die aktuellen Gegebenheiten zu bauen.
(Beifall von den PIRATEN)
Wenn zudem heute schon erkennbar ist, dass die Annahme beim Ausbau der Windenergie auf See nicht mehr den Planungen entspricht, die in der dena-Netzstudie-I zugrunde gelegt wurden, rechtfertigt dieser Umstand ein Vorziehen der für 2015 vorgesehenen Überprüfung der Einzelmaßnahmen. Dafür soll sich die Landesregierung einsetzen – im Interesse der Bürger und im Hinblick auf das Gelingen der Energiewende.
(Beifall von den PIRATEN)
Wer Zweifel an der Strategie hat, nach der der Ausbau der Netze den Kraftwerken folgen kann, möge den 6. Dezember 2013 betrachten. Dank viel Wind betrug nahezu den ganzen Tag über der Anteil der Erneuerbaren im Netz fast 40 %. Das Netz blieb stabil, obwohl im Ausbauszenario dieser Wert erst 2030 erreicht werden sollte. Wir treten nicht für eine Verzögerungsstrategie ein, sondern wir fordern nur eine zeitnahe Prüfung der gemachten Annahmen.
Auch die Menschen auf der anderen Seite des Rheins sind mit den Folgen des Netzausbaus konfrontiert. Der geplante Doppelkonverter in Osterath ist längst zum Politikum geworden. Auch hierzu muss die Frage gestellt werden, ob er tatsächlich notwendig und wirtschaftlich vertretbar ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Zweifellos ist er auch geplant, um Strom aus dem Braunkohlerevier ins Netz zu bringen. Die Zukunft der Braunkohle wird aber über kurz oder lang infrage gestellt sein. Der Umfang des Offshore-Ausbaus ist schon durch den Koalitionsvertrag eingedampft worden. Wenn heute von den Bürgern verlangt wird, den Ausbau der Netze nicht nur zu bezahlen, sondern auch direkt mit den Anlagen vor ihrer Haustür leben zu müssen, dann schuldet die Regierung ihnen Planungsgrundlagen, die aktuell und unstrittig sind. Dafür setzen wir uns mit diesem Antrag ein. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen van den Berg das Wort. Bitte schön.
Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass die Piraten mit ihrem Antrag das Thema „Netze“ stärker in den Blick nehmen. Bei einigen Debatten in der Vergangenheit war das nicht der Fall. Auch richtig ist, dass diese gewaltigen Investitionen, die vor uns liegen, eine große Belastung für die Endverbraucher darstellen, weil sie durch die Netzentgelte beteiligt werden, aber auch natürlich auch für die Industrie in unserem Land, die an dieser Stelle ebenso ihre Sorgen hat.
Sie haben Tabellen miteinander verglichen und haben gefragt: Stimmt das Energieleitungsausbaugesetz mit den aktuellen Ausbauzielen überein? Sie haben dann festgestellt, dass das nicht mehr synchron ist. Das wundert uns nicht. Denn wir haben heute Vormittag lange diskutiert, was alles in den letzten Jahren nicht passiert ist und dass es einen Anpassungsdruck gibt.
Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Dieses synchron zu bekommen, ist nur eine hinreichende Bedingung. Wir müssen uns erst einmal die Frage stellen, was die notwendige Bedingung ist. Die Antwort lautet: stabile Netze. Das heißt, wir wollen es schaffen, Spannungen und Frequenzen in diesen Energieverteilnetzen, die zukünftig auch Einspeisenetze werden, stabil zu halten.
Es reicht nicht, nur eine Erfolgsmeldung eines einzigen Tages herauszuholen, wie Sie es eben gemacht haben, Herr Schmalenbach, und zu sagen: Da haben wir schon 39 % geschafft, und nichts ist zusammengebrochen.
(Heiterkeit und Zustimmung von Dietmar Brockes [FDP])
Zur Wahrheit gehört eben auch, dass es Tage mit einer Quote von 2 bis 4 % gibt. Es geht um die Schwankungen und um die Frage, wie wir sie zukünftig in den Griff bekommen. Das ist die entscheidende Herausforderung.
Ihr Antrag ist an dieser Stelle leider ein bisschen dünn. Sie rekurrieren nur auf die Rücknahme der Ausbauziele auf See. Sie lassen außer Acht, dass die realen Einspeiseentwicklungen an Land natürlich die wahre Herausforderung und das treibende Moment sind.
Sie erklären, dass wir uns auf den Verzicht von Vorhaben im Energieleitungsausbaugesetz kaprizieren sollten, und verkennen, dass es ganz andere Steuerungsmechanismen gibt. Denn wir können diesen Netzausbau natürlich auch technisch anpassen. Das sind die Fragen, die die Ingenieure treiben:
Wie bekommen wir intelligente Netze hin? Wie können wir Übertragungsverluste reduzieren? Wie können wir das Lastmanagement in unserer Republik wirklich anpassen? – Sie sind selbst Mitglied der Enquete-Kommission zur Zukunft der chemischen Industrie, in der wir gerade das zum Thema machen wollen: Welchen Beitrag kann die Industrie in Nordrhein-Westfalen zum Lastmanagement leisten?
Nur zu sagen, das werde alles weniger und man könne einfach Sachen zusammenstreichen, greift, glaube ich, zu kurz. Sie müssen sich diesem Thema stellen. Die wahre Herausforderung an dieser Stelle ist, den industriellen Stromverbrauch mit zu bedenken.
Mich hat es schon ein bisschen gewundert, dass ich Sie, die Piratenfraktion, heute an Transparenz erinnern muss; denn die wahre Kritik am Energieleitungsausbaugesetz ist, dass dieses wenig Beteiligungsmöglichkeiten bietet. Wenn ich die Fachpresse richtig verstanden habe, sagen alle: Eigentlich muss man an dieser Stelle akzeptanzsteigernde Mittel einbauen, damit die Energiewende gelingt. Dass das alles bei Ihnen nicht auf dem Schirm ist, hat mich verwundert. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf; denn wir überweisen es an den Ausschuss und können vielleicht gemeinsam darüber beraten.
Wir glauben, dass der Zeitdruck, den Sie jetzt hineinbringen wollen, indem Sie sagen, wir müssten das ganz schnell verabschieden, der Sache nicht gerecht wird; denn der Netzentwicklungsplan für 2015 ist im Augenblick faktisch schon in der Aufstellung. Wir sind dabei, mit den Beteiligten den Szenarienrahmen zu beschreiben. Wir werden auch die aktuellen Ausbauziele mit einbringen.
Von daher gilt das, was heute Morgen schon ausgearbeitet worden ist: In der Energiepolitik ist nicht der der Bessere, der immer wieder fordert, es müsse schneller gehen oder es müsse an der einen oder anderen Stelle noch ein Prozentpunkt mehr sein, sondern in der Energiepolitik ist derjenige der Bessere, der das seriös und solide anpackt.
Dazu laden wir Sie herzlich ein. Wir haben bis jetzt leider feststellen müssen, dass Internetkompetenz nicht automatisch auf Netzkompetenz schließen lässt. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hovenjürgen das Wort.
Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Für manche Anträge in diesem Hause muss es wohl die Piraten geben.
(Zuruf von den PIRATEN: Gut so!)
Dies ist ein solcher Antrag. Um was geht es?- Im Energieleitungsausbaugesetz – EnLAG – steht wörtlich, dass alle drei Jahre überprüft wird, ob der Bedarfsplan der Entwicklung der Elektrizitätsversorgung anzupassen ist. Nachzulesen ist das im § 3 des EnLAG. Die letzte Prüfung fand im Oktober 2013, also gerade erst vor drei Monaten, statt.
Wir, also der Landtag Nordrhein-Westfalen, sollen die Landesregierung auffordern, eine Bundesratsinitiative zu starten, die dann die Bundesregierung auffordern soll, etwas zu prüfen, was gerade erst vor 90 Tagen geprüft wurde. Muss ich hier wirklich die Frage stellen, ob Steuergelder nicht besser eingesetzt werden können? Davon abgesehen: Auf welcher gesetzlichen Grundlage soll eine solche Prüfung denn erfolgen? – Noch gibt es nämlich kein geändertes Gesetz, auf dessen Grundlage die Bundesregierung prüfen könnte.
Ich bin der Meinung, wir sollten erst einmal abwarten, was die Bundesregierung bis Ostern in Sachen EEG-Reform vorlegen wird. Daneben werden wir bis zum 11. Juli – dann soll nämlich der Bundestag entscheiden – gespannt darauf blicken, ob unsere rot-grüne Landesregierung es schafft, doch noch geschlossen die Interessen unserer Wirtschaft zu schützen und nordrhein-westfälische Arbeitsplätze zu sichern.
Wenn ich höre, wie der Umweltminister Nordrhein-Westfalen bereits für die grünen Vorstellungen in Geiselhaft nimmt und die Zustimmung zum EEG 2.0 fast schon verweigert hat,
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
während die SPD-Landtagsfraktion Frau Krafts Verhandlungsgeschick bei eben jenen Beschlüssen lobt, stelle ich fest: Es macht wenig Sinn, über Dinge zu sprechen, von denen man gar nicht weiß, ob sie am Ende auch umgesetzt werden. Da wird es sehr auf die Standhaftigkeit von Herrn Gabriel und Frau Kraft ankommen, wenn es darum geht, hier den Begehrlichkeiten der üblichen Verdächtigen – Herr Mostofizadeh – zu widerstehen.
(Beifall von der CDU)
Wenn klar ist, wie die Pläne des Berliner Koalitionsvertrages umgesetzt werden sollen, dann, meine Damen und Herren von den Piraten, wissen wir, wo wir stehen.
Nebenbei gesagt: Wenn Sie die Eilbedürftigkeit sehen, wieso lassen Sie uns heute nicht direkt abstimmen und dieses Thema wenigstens hier und heute beenden? Wieso die Überweisung an den Ausschuss? – Ich weiß zwar, dass Sie auch in Zukunft nicht davon absehen werden, den Landtag von Nordrhein-Westfalen mit dem Deutschen Bundestag zu verwechseln, aber vielleicht warten Sie mit den Energieanträgen das nächste Mal wenigstens bis zur Verabschiedung des EEG 2.0. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Brems das Wort.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, dass wir heute unser Augenmerk auf das so wichtige Stromnetz richten. Wir haben heute Morgen leider auch schon einige krude physikalische Erkenntnisse zu hören bekommen. Ich hoffe, dass die Debatte jetzt ein bisschen ruhiger an der Stelle verläuft. Das ganze Thema ist ja sowohl juristisch als auch technisch äußerst kompliziert. Wir machen uns heute und auch im Ausschuss gerne daran.
Ich finde es richtig, dass man den Ausbau des Netzes aus unterschiedlichen Gründen beschränkt; denn – das haben Sie in Ihrem Antrag auch geschrieben – zunächst einmal geht es darum, die Kosten für uns alle, für alle Stromverbraucherinnen und -verbraucher, möglichst gering zu halten. Es geht aber auch darum, Umweltbeeinträchtigungen und Beeinträchtigungen von Menschen möglichst gering zu halten. Das alles sind Gründe, den Netzausbau möglichst nicht zu überdimensionieren.
Warum brauchen wir überhaupt einen Netzausbau? Wir hatten in den letzten zwei Jahrzehnten – das muss man so sagen – gerade in den Netzausbau wirklich sehr geringe Investitionen. Das heißt, wir befinden uns gerade in einem Investitionszyklus, den es sowieso gegeben hätte. Auch diese Debatte haben wir schon des Öfteren geführt.
Damit verbunden ist es einfach Tatsache, dass durch die erneuerbaren Energien neue Strukturen geschaffen werden müssen. Aber hier lässt sich der Aspekt feststellen, dass immer wieder unterschiedliche Sachen vermischt werden, und zwar auch die unterschiedlichen Ebenen des Netzausbaus.
Was wir in den letzten Jahren gebraucht haben und aktuell immer noch massiv brauchen, ist vor allen Dingen der Netzausbau vor Ort, damit die Erneuerbare-Energien-Anlagen – die Windkraftanlagen, die Fotovoltaik-Anlagen – am letzten Haus und am letzten Bauernhof wirklich mit angeschlossen werden können, indem wir die sonst nicht ganz so starken Leitungen dorthin ausbauen. Indem wir auf diesen unteren Versorgungsebenen das Stromnetz ausbauen, reduzieren wir auch auf den oberen Ebenen den Netzausbau.
Das ist etwas, was wir als Grüne immer wieder kritisiert haben: dass an dieser Stelle zu wenig zwischen den Ebenen gedacht wird.
Dann, im Jahr 2009, hat die damalige Große Koalition das Energieleitungsausbaugesetz verabschiedet und dringenden Handlungsbedarf gesehen. Schon damals haben wir kritisiert, dass das Ganze mehr Schein als Sein ist. Um den Netzausbau voranzutreiben, wurde die Bürgerbeteiligung reduziert. Herr Kollege van den Berg hat das eben gesagt. Es ist schön, dass Sie diese Kritik heute teilen. Verkürzte Offenlegungszeiten, verringerte Beteiligungsmöglichkeiten – all das hat dem Netzausbau nicht gerade vorangeholfen, was es aber eigentlich sollte.
Der zweite Aspekt sind die vier dort vorhandenen Pilottrassen für Erdkabel. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Auf den ersten Blick sieht das ganz gut aus: endlich Erdkabel in Deutschland, auch auf dem Höchstspannungsnetz. Wer aber genau hinguckt, sieht: Es sind vier Pilottrassen. Das bedeutet, es gibt keine anderen Möglichkeiten, Erdkabel zu verlegen, die optisch nicht so störend sind und erheblich geringere Gesundheitsrisiken für Menschen bedeuten. Weniger Erdkabel und weniger Bürgerbeteiligung sind zwei Aspekte, die dazu beigetragen haben, diese Projekte, um die es sich hier handelt, vor Ort zu verlangsamen.
Ich kenne das aus meiner eigenen Region Ostwestfalen-Lippe genau so: Dort soll jetzt eine EnLAG-Trasse gebaut werden, die, wenn sie neu geplant werden würde, niemals so nah an die Bebauung heran dürfte. Aber dadurch, dass es sich um eine EnLAG-Trasse handelt, ist das kein Problem. Die Menschen vor Ort sehen eine Möglichkeit in der Erdverkabelung. Aber das EnLAG gibt diese Möglichkeit nicht.
Wir wären dort und an vielen anderen Stellen schon wesentlich weiter, wenn man mehr Bürgerbeteiligung und mehr Erdkabel zugelassen hätte. Das sind wichtige Aspekte, die uns auch in dem Antrag noch fehlen.
Wir sind der Meinung, dass alle Vorhaben, Gesetze und Planungen zum Netzausbau zusammen gedacht werden sollten. So ist das EnLAG das sogenannte Startnetz für den Bundesbedarfsplan, der ja regelmäßig überholt wird, obwohl die EnLAG-Trassen noch gar nicht fertig sind. Teilweise verlaufen die in beiden Gesetzen geplanten Trassen parallel; daher sollte das Ganze zusammen gedacht werden. Das wäre unsere Forderung. Einzeln das EnLAG herauszugreifen, erscheint mir nicht sinnvoll.
Zu guter Letzt: Da es sich bei allen Netzentwicklungsplänen und Gesetzen zu diesem Punkt um Prognosen handelt, die – wie Karl Valentin schon wusste – besonders dann unsicher sind, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen, bedarf es natürlich regelmäßiger Überprüfungen aller Annahmen, Entwicklungen und Pläne. Das sollten wir gemeinsam im Ausschuss diskutieren. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht zu uns Herr Kollege Brockes.
Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde von meinen Vorrednern schon gesagt, dass das Thema „Netzausbau“ sicherlich ein spannendes und wichtiges Thema in der Energiepolitik ist und es sich lohnt, darüber zu diskutieren.
Trotzdem muss man ganz klar sagen, Herr Kollege Schmalenbach, dass dieser Antrag zum derzeitigen Zeitpunkt völlig unnötig ist. Denn er basiert auf einer völlig falschen Grundlage. Sie setzen mehr oder weniger voraus, dass das, was im Koalitionsvertrag in Berlin in der Großen Koalition vereinbart ist, schon Gesetzescharakter hätte und schon beschlossen wäre. Wir haben ja heute auch gesehen, dass selbst Kabinettvorlagen von den Beteiligten hier noch infrage gestellt werden. Von daher muss man das, was dort im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, absolut relativieren. Ich gehe davon aus, diese Erfahrung werden die Sozialdemokraten in der Großen Koalition in Berlin in den nächsten Jahren noch bei einigen anderen Punkten machen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, ist es natürlich falsch, aus einem Gesetz, das noch gar nicht beschlossen ist, Rückschlüsse für andere Gesetze zu ziehen, die aus Ihrer Sicht geändert werden müssten. Hier ist ganz klar der falsche Weg vorgegeben.
Sie beachten auch gar nicht, dass dieses EnLAG in Monitoringberichten auch immer wieder fortgeschrieben wird – deshalb haben wir einen fortlaufenden Anpassungsprozess – und dass es nur ein kleiner Teil des Themas „Netzausbau“ ist und wir hier andere wichtige Gesetze haben. Insofern wird die Bedeutung in Ihrem Antrag völlig überhöht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist ganz klar, dass Sie hier suggerieren, das Netz sei heute bereits ausreichend, was den derzeitigen Stand des Ausbaus der Erneuerbaren angeht. Sie zitieren hier Ihre Kollegen der Piraten in Niedersachsen. Sie zitieren sich also fast selbst. Damit würde ich aufpassen. Damit machen Teile der Landesregierung sehr schlechte Erfahrungen, sich selbst zu zitieren.
Sie suggerieren, es würde einen ganzen Tag fast 40 % Windenergie im Netz sein. Das ist mitnichten so. In Spitzenzeiten hat es diese Situation gegeben, aber nicht den ganzen Tag über kontinuierlich. Dann sagen Sie auch noch: Das hat einmal geklappt, das wird jetzt immer so funktionieren. – Das ist mitnichten so.
Wenn Sie schon Ihre Parteikollegen aus Niedersachsen zitieren, dann sollten Sie sich auch mal anschauen, was ansonsten in Niedersachsen zu dem Thema gesagt wird. Zum Beispiel der NDR hat vorletzte Woche einen interessanten Bericht gebracht – das ist auch im Internet nachzulesen –, wonach im vergangenen Jahr über 1.000 Mal ins Netz eingegriffen werden musste, um einen Blackout zu verhindern. Hier wurde massiv eingegriffen, weil das Netz nicht in der Lage ist, das alles aufzunehmen.
So zu tun, als wäre der Status quo in Ordnung, ist somit völlig falsch.
Ich fasse zusammen: Das ist ein interessantes Thema. Es lohnt sich, weiter im Ausschuss darüber zu beraten. Aber dieser Antrag gibt leider nicht viel dafür her. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Herrn Minister Duin Herr Minister Groschek.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich relativ kurz fassen, weil die Fraktionen viele wichtige Hinweise gegeben haben. Es ist über Belastungsgerechtigkeit zwischen der Belastung der Industrie und der der Konsumenten gesprochen worden. Das gilt es beim notwendigen Ausbau des Netzes zu beachten. Der Ausbau ist wichtig unter dem Gesichtspunkt, die Kapazität der Übertragung zu sichern und gleichzeitig Netzstabilität herzustellen. Nur so wird er als Netzausbau einen vernünftigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende liefern können.
Der Verzicht auf Ausbaumaßnahmen, der in dem Antrag beschrieben wird, ist das eine. Daneben gibt es aber auch andere Maßnahmen zur Anpassung, beispielsweise: kleinere Maßstäbe zu wählen, die das Abregeln möglich machen. Das heißt, nur auf den Ausbauverzicht zu setzen, ist zu kurz gesprungen.
Das gilt auch für die Antragsbegründung. In ihr finden wir eine einseitige Fixierung auf den Aspekt Offshore. Onshore wird nicht berücksichtigt, und auch der grenzüberschreitende Handel findet keinen Niederschlag in dem Begründungszusammenhangs des Antrags.
Das Vorziehen auf 2014 macht keinen Sinn. Das ist hier bereits dargestellt worden. Die entsprechenden Daten für 2014 sind längst genehmigt, und mit einer Korrektur kämen wir mindestens in das Jahr 2015. 2015 ist ohnehin eine Neujustierung vorgesehen. Das ist also ein logischer Impuls, der sich im Kreise dreht.
(Zuruf von Thomas Kufen [CDU])
– So weit würde ich nicht gehen, Herr Abgeordneter.
Zusammenfassend ist festzustellen, der Antrag ist eigentlich überflüssig und wegen der beiden Aspekte, die ich angesprochen habe, inhaltlich zu kurz formuliert. Richtig bleibt allerdings die Grundüberlegung, möglichst nur in angemessenem notwendigem Umfang einen ressourcenverschlingenden Netzausbau voranzutreiben. Auf Vorrat und ohne Kapazitätsbedarf wird niemand bauen wollen. Denn wir werden genügend Schwierigkeiten bekommen, einen sachgerechten Ausbau zeit- und zielgerecht zu realisieren.
Das Weitere wird ja dann im Fachausschuss diskutiert, wobei ich bedaure, wahrscheinlich nicht dabei sein zu können.
(Zurufe von der CDU: Oooh!)
Danke.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Schmalenbach zu Wort gemeldet.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz darauf hinweisen: Wir haben unseren Antrag zur Überweisung an in den Ausschuss vorgesehen, um unsere Gedanken dort zur Diskussion zu stellen. So verstehen wir Politik, zu sagen: Darüber muss man reden, und darüber wollen wir reden.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich verstehe die Ansagen nicht. Es wurden viele Aspekte genannt, die noch einbezogen werden müssten. Alles gut, der Antrag ist nicht perfekt, der Antrag ist zu früh, zu spät, bla-blubb.
(Heiterkeit von den PIRATEN)
Alles in Ordnung. Wir können über alles reden, kein Problem.
Ich möchte Frau Brems danken, weil sie das Ganze sehr sachlich abgehandelt und auf viele wichtige Aspekte hingewiesen hat.
Ich möchte aber noch auf die Leitungen eingehen, über die wir sprechen: Hauptbestandteile sind die HGÜ-Leitung von Norden nach Süden und die Trasse A/B, die im Niederrheinischen bei Osterath ihren Knotenpunkt hat. Und wir reden darüber, dass wir jetzt eine veränderte Situation vorliegen haben. Das eine ist, dass die Bundesregierung noch keinen Beschluss gefasst hat, aber diesen Vorstoß wagt und selber prognostiziert hat, dass der Offshore-Netzausbau deutlich langsamer voranschreiten wird, als es für das EnLAG in der Planung war.
Darüber müssen wir doch reden und die Möglichkeit haben, zu sagen: Okay, wir wollen das frühzeitig auf den Prüfstand stellen, um Fehler zu vermeiden. Darum geht es in diesem Antrag und um sonst nichts. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4811 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
6 Gesetz zur Vorlage einer verbindlichen Finanzplanung bis 2020
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4824
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Optendrenk das Wort. Bitte sehr.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich die Geschichte der Bundesrepublik ansieht, stellt sehr schnell fest: In den letzten 45 Jahren haben wir mal mehr, mal weniger über unsere Verhältnisse gelebt. Egal wer im Bund oder in Nordrhein-Westfalen regierte – immer war der Wunsch, Geld auszugeben, stärker ausgeprägt als die Einsicht, auf Dauer nur das ausgeben zu können, was man vorher eingenommen hat. Nur 2008 hat das Land einmal im Haushaltsvollzug 165 Millionen € mehr eingenommen als ausgegeben.
Aber schon die alten Römer wussten, dass es leichter ist, das Geld anderer Leute auszugeben, nämlich das der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So macht das die Große Koalition jetzt auch!)
Sie kannten die Menschen und die Verlockungen, mit dem Geld anderer Gutes oder vermeintlich Gutes zu tun. Immer gab es Begründungen, warum gerade diesmal das Geldausgeben unvermeidlich sei, warum man gerade etwas Sinnvolles tue und in geradezu hehre Ziele investiere. Das Ergebnis war allerdings auch immer das Gleiche: Am Ende stand eine Staatspleite, die das Volk jeweils teuer zu stehen kam. Deshalb ist die Schuldenbremse des Grundgesetzes eine notwendige Antwort auf die ständige Versuchung des Schuldenmachens auf Kosten anderer.
(Beifall von der CDU)
Auch heute schafft es unsere rot-grüne Landesregierung, ständig mit vielen Worten zu begründen, warum Geldausgeben an sich schon etwas Gutes sei und man einfach mit dem bisher eingenommenen Geld gar nicht auskommen könne.
Dieses süße Gift des Geldausgebens wirkt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es auch den Verstand auf der Suche nach Lösungen lähmt, die sinnvoll und sparsam zugleich sind.
(Beifall von der CDU)
Wenn man auf unsere Landesgeschichte schaut, dann könnte man fast meinen, dieses Gift wirke besonders intensiv bei Roten und Grünen. Die Rekordschulden der Jahre 1995 bis 2005 sind unvergessen. Auch heute macht Nordrhein-Westfalen unter Rot-Grün wieder fast 80 % der Schulden aller Bundesländer zusammen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist das wohl!)
Und doch: Allein an der Couleur kann es wohl nicht liegen. Schaut man sich jedenfalls das Rot-Grün regierte Schleswig-Holstein an, dann zeigt sich: Es könnte zusätzlich auch an handelnden Personen liegen. Es könnte etwa darauf ankommen, ob sich jemand beim sparsamen Haushalten anstrengen will oder eben nicht, ob er sich lieber herausredet, ob er als Kulissenschieber agiert oder ob er hart arbeitet.
Denn Schleswig-Holstein zeigt: Wenn man sich anstrengt, kann man sogar Haushaltsüberschüsse erzielen, obwohl es dem Land eigentlich schlechter geht als Nordrhein-Westfalen und es zur Einhaltung der Schuldenbremse sogenannte Konsolidierungshilfen der anderen Länder bekommen hat, weil die Ausgangslage wenige Jahre zuvor so schlecht war. Und trotzdem: 115 Millionen € Haushaltsüberschuss hat das nördlichste Bundesland unter SPD-Ministerpräsident Albig 2013 erwirtschaftet. Selbst wenn man die 80 Millionen € Konsolidierungshilfen herausrechnet, ist es immer noch ein Überschuss. NRW dagegen macht weiterhin – 2013 – mehr als 3 Milliarden € neue Schulden und verschlechtert sich systematisch im Ländervergleich.
Was also macht die Regierung Albig, was die Regierung Kraft nicht auch schaffen könnte? Denn nach allen wirtschaftlichen Kennzahlen steht NRW doch nicht schlechter da als Schleswig-Holstein. Wer ist denn schuld? – Wieder mal der Strukturwandel? Oder ist die finanzielle Bettdecke wieder zu kurz? Oder ist es die schwierige Sozialstruktur in NRW? Irgendjemand ist immer schuld, nur nicht die Landesregierung.
Herr Minister, suchen Sie nicht ständig neue Ausreden, machen Sie nicht ständig Ablenkungsmanöver via Effizienzteam oder Globalpositionen im Haushalt!
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Damit kennen Sie sich doch bestens aus, mit Globalpositionen!)
Stellen Sie sich doch endlich dem Wettbewerb um die besten Ideen und Konzepte! Denn Wettbewerb ist ja nichts Schlimmes. Das wird Ihnen aus dem Sport mit Sicherheit eingängig sein; denn Sie feuern Ihren FC doch auch nicht deshalb an, weil andere Leistung bringen sollen, sondern weil der FC aus eigener Kraft wieder in die erste Liga aufsteigen soll. So ist das auch für Nordrhein-Westfalen.
Es ist Zeit, dass wir uns klare Ziele stecken. Ein solches Ziel kann doch nur heißen, dass wir jetzt nicht unverbindliche Erklärungen abgeben, sondern uns an anderen orientieren, die es besser machen, und dahin kommen, wo Nordrhein-Westfalen und seine Menschen hingehören, nämlich auch in der Haushalts- und Finanzpolitik endlich wieder in die erste Liga und nicht in die Absteigerzone.
(Beifall von der CDU und Robert Stein [fraktionslos])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Hahnen.
Uli Hahnen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, auch einige wenige Kollegen der CDU begrüßen zu können.
(Lebhafter Widerspruch von der CDU)
– Es ist Ihr Gesetzesentwurf. Also müssten Sie doch ein ganz besonderes Interesse daran haben, diesen Gesetzentwurf hier jetzt möglichst gut diskutieren zu können. Das, was Sie, Herr Dr. Opten-drenk, gemacht haben, sind – sorry, bei aller Wertschätzung – Allgemeinplätze, die bekannt sind und nicht wirklich eine Begründung für Ihren Gesetzentwurf darstellen.
Sie wollen ein Gesetz zur verbindlichen Finanzplanung bis 2020. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Was soll es denn Verbindlicheres geben als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das die Schuldenbremse 2020 vorschreibt? Was wollen Sie denn mehr an Verbindlichkeit haben als das Grundgesetz? Jedes Gesetz, das Sie hier verabschieden würden, könnte übermorgen wieder verändert werden. Das ist beim Grundgesetz Gott sei Dank ein bisschen schwieriger; die Hürde für Veränderungen ist höher.
Ich hätte nie geglaubt, dass ich Herrn Laumann hier im Landtag so schnell vermissen würde. Er hat vor sechs Wochen an dieser Stelle gesagt – Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung darf ich zitieren –:
„Wir werden wohl in Nordrhein-Westfalen nie nur durch Sparen zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen, sondern wir müssen sehen, uns so aufzustellen, dass auch unsere Wirtschaft so wächst wie der Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland. Damit wäre das Problem gelöst.“
Am 18. Dezember 2013 hat Herr Laumann das hier gesagt. Ich sage: Herr Laumann hat an dieser Stelle recht. Wir als rot-grüne Mehrheit, die rot-grüne Landesregierung werden diesen Weg der Haushaltskonsolidierung so weitergehen. Wir haben kurz vor Weihnachten des letzten Jahres den Haushalt 2014 verabschiedet, der die Nettoneuverschuldung noch einmal um 1 Milliarde € gesenkt hat. Wir werden das Ziel „2020 Nettoneuverschuldung null“ nicht aus den Augen verlieren. Da können Sie sicher sein.
(Zuruf von der CDU: Einhalten! – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das sieht der Bundesrechnungshof aber anders!)
Haushalt 2014: Einsparungen gut 1,8 Milliarden €; Nettoneuverschuldung nur noch 2,4 Milliarden €. 2013 lagen wir noch bei 3,3 Milliarden €. Nach den Ergebnissen des Haushaltsvollzuges sind wir bei 3,1 Milliarden €.
Wenn man das Ganze über die Haushalte von 2013 und 2014 hinaus auf einer Linie sieht, haben wir für 2015 eine Planung von nur noch 1,9 Milliarden €, für 2016 von nur noch 1,6 Milliarden, für 2017 von nur noch 1,3 Milliarden neue Kredite und für 2020 null.
Wir haben 2010 mit der Konsolidierungspolitik begonnen. Das ist heute – 2014 – noch nicht mal die Hälfte der Strecke bis zum Jahr 2020; doch wir haben die Nettoneuverschuldung schon um fast 64 % zurückgefahren.
(Ralf Witzel [FDP]: Wie haben denn die Steuermehreinnahmen ausgesehen?)
Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, hatten noch 6,6 Milliarden € Nettoneuverschuldung geplant. Wir liegen mit 2,4 Milliarden deutlich niedriger.
Meine Damen und Herren, das Ganze geht bei Ihnen – insbesondere bei der CDU – immer wieder mit neuen zusätzlichen Forderungen einher. Sie sagen: Wir müssen die Nettoverschuldung herunterfahren. Gleichzeitig kommen Sie mit neuen Forderungen: Die Tariferhöhungen sollen auf die Beamtenbesoldung übertragen werden. Das Care-Institut in Münster sowie das Modellprojekt „Öffentlich geförderte Beschäftigung“ sollen mehr Geld bekommen. Gleiches gilt für das Projekt „Elternstart NRW“ und die Inklusion. Weiter soll es für den Fonds zur Entlastung betroffener Kommunen – dabei geht es um die Krankheitskosten für Flüchtlinge – mehr Geld geben. Auch für Studienplätze bzw. Masterstudiengänge fordern Sie mehr Geld.
Überall – auch in allen möglichen Ausschüssen – fordern Sie mehr Geld für dieses und jenes. Wenn es aber um die Finanzen geht, behaupten Sie, Rot-Grün sei nicht bereit, diesen Weg zu beschreiten. Ich sage Ihnen: Wir sind bereit für diesen Weg. Wir haben es deutlich gemacht. Sie hatten eine Nettoneuverschuldung von 6,6 Milliarden € prognostiziert. Wir werden 2017 bei 1,3 Milliarden € und 2020 bei null sein. Nach wie vor werden wir die Verbindlichkeit des Grundgesetzes im Auge haben und uns daran halten. Wir brauchen von Ihnen nicht irgendwelche Ratschläge. – Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Bitte bleiben Sie noch einen Moment vorne, Herr Abgeordneter, denn es gibt den Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage stellen zu dürfen.
Uli Hahnen (SPD): Aber immer.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das hatte ich vermutet. – Bitte schön, Herr Kollege Schmitz.
Hendrik Schmitz (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Hahnen, nachdem Sie uns diese schönen Zahlen präsentiert haben, die Ihrer Ansicht nach den Schuldenabbau in Nordrhein-Westfalen darstellen, möchte ich an Sie die Frage richten, warum Sie die von der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg eingeführte Schuldenbremse nicht auch für Nordrhein-Westfalen als ein mögliches Mittel sehen. Das haben Sie in Ihrer Rede nicht erwähnt. Dazu möchte ich gerne diese Nachfrage stellen.
Uli Hahnen (SPD): Aber selbstverständlich, gerne. – Herr Schmitz, man kann – ich hatte das so-eben, glaube ich, ausgeführt – im jeweiligen Landtag so viele Gesetze verabschieden, wie man will. Diese Gesetze haben bei Weitem nicht die Tragkraft, die das Grundgesetz hat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sagt, dass es ab 2020 eine Schuldenbremse mit null Schulden geben muss. Deshalb sind wir der Auffassung, dass der Weg über die Verbindlichkeit des Grundgesetzes allemal besser als das ist, was möglicherweise in anderen Bundesländern noch an zusätzlicher Gesetzgebung – sozusagen als Ausschmückung einer Gesetzgebung im Grundgesetz – geschieht.
(Hendrik Schmitz [CDU] unterhält sich mit Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE].)
– Ich möchte Ihre Unterhaltung mit Herrn Mostofi-zadeh natürlich nicht stören; aber ich möchte Ihnen zum Beispiel gerne noch sagen, dass die Zahlen für sich sprechen. Es ging um 6,6 Milliarden €. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Am Ende dieser Legislaturperiode werden es nur noch 1,3 Milliarden € sein, und in den folgenden Jahren werden wir auch diese 1,3 Milliarden € noch abbauen. – Danke.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Soweit die Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schmitz und die Antwort darauf. Wir werden in der vereinbarten Reihenfolge weiter debattieren. Das heißt, Herr Kollege Mostofizadeh spricht als nächster Redner, und zwar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hovenjürgen, ich wollte mit einem Lob an die CDU beginnen und Ihnen insofern ein bisschen den Wind aus den Segeln nehmen. Bereits im Haushaltsausschuss hatte ich angedeutet, dass wir durchaus Sympathie dafür haben, dass auch die Landesregierung mittelfristige Finanzplanungen vorlegt und dass man sich über Wege dahin unterhält. Ich hatte darauf gehofft, dass wir gemeinsam einen konstruktiven Weg hin zu diesem Ziel einschlagen würden. Deswegen war ich auch auf Ihre Rede zu dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, gespannt.
Nur haben Sie im Prinzip über den Gesetzentwurf gar nicht geredet, sondern Sie haben die 468. Auflage abgespult, warum Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen Ihrer Meinung nach nicht genügend spart und warum die Schuldenbremse im Jahre 2020 womöglich nicht einzuhalten ist.
Deswegen wundert es mich auch nicht, dass der Kollege Hahnen so reagiert hat, wie er reagiert hat. Er hat Ihnen nämlich – aus meiner Sicht nachvollziehbar – nachgewiesen, dass zumindest die Zahlen, die aus der Finanzplanung – vor allem aus den „Ist“-Zahlen der Haushaltsabschlüsse der Jahre 2010 bis 2013 – kommen, eine andere Sprache als das sprechen, was Sie hier zu suggerieren versuchen. Diese Zahlen machen nämlich deutlich, dass die Neuverschuldung in Nordrhein-Westfalen von über 6 Milliarden € auf unter 3 Milliarden € abgesunken ist. In der Finanzplanung für 2017 wird sie nur noch 1,3 Milliarden € betragen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Insofern bereiten uns die Eckdaten keine Sorge.
Und auch das Wichtigste ist vom Kollegen Hahnen richtig dargestellt worden: Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz. Sie gilt für Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und auch für Schleswig-Holstein wie auch für alle anderen. Insofern verstehe ich nicht so ganz, was sie gemeint haben.
Sie werfen uns bezüglich unserer Haushaltspolitik auch noch vor, wir würden das Geld anderer ausgeben. – Die Große Koalition hat soeben ein umfassendes Rentenpaket gemäß dem großkoalitionären Vertrag verabschiedet. Sie hat diverse Beschlüsse verabschiedet, die alle nicht durch Haushaltsmittel hinterlegt sind. Der Bundesfinanzminister hat dazu schon angekündigt, Steuererhöhungen vornehmen zu müssen. Die FDP deutet das so um, als ob der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen das gemacht hat. Das können wir dann am Freitag in Ruhe besprechen.
(Christian Lindner [FDP]: Ich werde Walter-Borjans am Freitag recht geben!)
– Das wollte ich jetzt gar nicht aufrufen. – Insofern ist es ein bisschen einseitig.
Das Zweite, mit dem Sie sich, glaube ich, auch nicht ganz glaubwürdig machen, hat der Kollege Hahnen schon angesprochen: Immer, wenn es um konkrete Haushaltspolitik ging – das war sehr schön bei den Beratungen im Rahmen der Zweiten Lesung im Plenum zu beobachten –, haben wir Ihre Fachpolitiker gefragt, was denn diesbezüglich die Globalposition – also die Absenkung der Fördermittel um zunächst 5 % auf dann, aufwachsend, 25 % – bedeutet. Der Auftritt des Kollegen Müller für den Bereich Sport war da sehr aufschlussreich. Er wunderte sich, dass es auch seinen Bereich betrifft, wenn 25% der Fördermittel gekürzt werden sollen. Er war davon ausgegangen, dass das nur bei den anderen der Fall sei. Deswegen hat er in der Fraktion dem Papier zugestimmt. Genauso macht die CDU Haushaltspolitik: Sie gibt das Geld anderer aus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Insofern finde ich es ausgesprochen schade, dass der Punkt, wie man die Finanzplanung anlegen könnte, hier letztendlich verpufft. Ihr Gesetzentwurf wird gleich überwiesen werden. Im Haushaltsausschuss wird es wie das Hornberger Schießen ausgehen. Möglicherweise hätte diese Debatte mehr Aufmerksamkeit und mehr inhaltlichen Einsatz verdient. Den hat die CDU nicht erbracht. Insofern werden wir der Überweisung zustimmen. Ich vermute nicht, dass noch Wegweisendes daraus hervorgehen wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Bleiben Sie noch einen Moment vorne, denn Herr Kollege Dr. Optendrenk würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Ich vermute, dass Sie die gerne zulassen werden.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): So ist das!
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann bitte schön, Herr Kollege.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Danke schön, dass das noch möglich ist. – Wir haben während der Haushaltsberatungen einen Antrag gestellt, der eine ähnliche Zielrichtung verfolgte wie das, was uns heute als Gesetzentwurf vorliegt. Damals ist erklärt worden: Wir wollen darüber mit den anderen Fraktionen nicht im Rahmen des Haushaltsverfahrens reden – das war auch das, was Sie damals bei den Haushaltsberatungen vorgetragen haben –, das machen wir separat.
Jetzt legen wir einen Antrag vor, aber Sie sagen: Daraus kann nichts mehr werden! – Wann wollen Sie sich Ihrer Meinung nach denn der inhaltlichen Diskussion stellen? – Beim nächsten Haushaltsverfahren? Oder irgendwann? Sie müssen sich doch einmal mit der Frage beschäftigen, warum eine grün-rote Regierung in Baden-Württemberg der Auffassung ist, dass es richtig ist, die Landeshaushaltsordnung zu nutzen, um gemeinsam als Haushaltspolitiker Wünsche und Begehrlichkeiten auch vor 2020 zu begrenzen, auf dass das irgendwann auch einmal Tatsache wird. Sie wollen es doch wohl einfach nicht. Oder gibt es dafür in Ihren Fraktionen keine Mehrheiten? Wie muss ich das interpretieren?
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das war zwar jetzt fast schon eine Art Kurzintervention, Herr Kollege. Die Antwort liegt aber so oder so bei Herrn Mostofizadeh.
(Dr. Marcus Optendrenk [CDU]: Entschuldigung!)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege, ich antworte gerne. – Ich hatte darauf hingewiesen, dass die Begrenzung für den Haushalt durch das Haushaltsgesetz gegeben ist. Das können wir jedes Jahr festlegen. Sie haben unter Beweis gestellt, dass Sie nicht bereit sind, entsprechende Begrenzungen vorzunehmen.
Zu den anderen Punkten – was den Zeitpunkt und den Inhalt anbetrifft – habe ich eben Ausführungen gemacht. Das möchte ich jetzt nicht gerne wiederholen.
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Tja!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Witzel das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hier vorgelegte Initiative ist aus unserer Sicht unterstützenswert und die Fortschreibung einer gemeinsamen Haushaltsinitiative vom Dezember 2013. Bekanntlich wurde die Schuldenbremse im Jahr 2009 in das Grundgesetz hineingeschrieben. Bis sie im Jahr 2020 greift, gelten die länderspezifischen Verfassungsregelungen, also für Nordrhein-Westfalen Artikel 83 der Landesverfassung. Im Klartext: Neue Schulden sind bis zur Höhe der eigenfinanzierten Investitionen erlaubt.
Genau das ist das Problem der bisherigen Rechtslage, das wir auch im Faktischen sehen. Nach der aktuellen Finanzplanung haben wir im Jahr 2017 – wenn sie regierungsamtlich endet – mehr als 144 Milliarden € Schulden. Das ist ein Schuldenberg, der nach den Prognosen der Landesregierung über diesen Termin hinaus steigt. Genau deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist doch eine neue Verbindlichkeit so wichtig; sie ist wichtig, damit das Neuverschuldungsverbot eben keine leere Hülle ist, sondern klar eine Pflichtigkeit darstellt, keine unverbindliche Empfehlung.
Die neue Schuldenregel ist ausdrücklich zu begrüßen. Deren Einhaltung ist unbedingt sicherzustellen. Richtigerweise heißt es deshalb auch in Artikel 143 d des Grundgesetzes ganz klar und ohne jeden Konjunktiv:
„Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird.“
Mit anderen Worten: Bereits die heutigen Haushalte und die der nächsten Haushaltsjahre müssen doch so angelegt sein, dass diese Schuldenbremse übermorgen, im Jahr 2020, faktisch und tatsächlich eingehalten werden kann. Das setzt aus Sicht der Bundesbank logischerweise einen Sicherheitspuffer voraus, nicht nur die Annahme von Idealbedingungen.
In Nordrhein-Westfalen erreichen wir die Nullverschuldung eben selbst ohne dass Krisenszenarien vorliegen, sondern eine ganz normale und auch vom Finanzminister als wahrscheinlich angenommene beziehungsweise unterstellte haushaltspolitische Entwicklung konjunktureller Art Platz greift, nicht.
Sie selber, Herr Finanzminister, haben einen Bericht vorgelegt, einen sogenannten Nachhaltigkeitsbericht, in dem Sie schreiben: Ohne dass irgendeine Regierung in den nächsten Jahren noch neue Mehrausgaben beschließt, ohne dass mehr konsumiert wird, bei einer bloßen Trendfortschreibung, wie Haushaltspolitik heute strukturell aufgestellt ist, fehlt Ihnen noch 1 Milliarde €. Es gibt eine Lücke im Jahr 2020, die sich im Normalszenario ergibt.
Sie haben andere Szenarien ausgewiesen: Was passiert zum Beispiel in Stressszenarien, wenn sogar noch krisenhafte Umstände dazukommen? – Dann wird die Lücke sehr viel größer. Genau das sagt auch die Bundesbank: Nicht nur Idealbedingungen annehmen, sondern sich auch die Frage stellen: Was muss passieren, damit man 2020 prognostisch bei der Nullverschuldung landet? Ehrlicherweise muss man dann auch noch einen Sicherheitspuffer draufpacken. Das machen Sie ganz ausdrücklich nicht.
Die Regierung muss strukturell konsolidieren, muss bis dahin in den Haushalten den Pfad so anlegen, dass die Nulllinie 2020 wahrscheinlich erreicht wird.
In ganz Deutschland haben nur vier Länder die eigene Verpflichtung zur Schuldenbremse nicht auch in eigenes Landesrecht aufgenommen. Nordrhein-Westfalen gehört leider dazu. In anderen Ländern – egal, ob dort eine absolute SPD-Mehrheit wie in Hamburg regiert oder eine grün-rote Koalition wie in Baden-Württemberg – sind verbindliche Abbaupfade bis zum Jahr 2020 festgelegt worden.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Witzel, entschuldigen Sie bitte. – Herr Kollege Hahnen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
Ralf Witzel (FDP): Ja, selbstverständlich. Herr Hahnen darf mich immer fragen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann bitte schön, Herr Kollege.
Uli Hahnen (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. Sie haben soeben darauf hingewiesen, dass im Grundgesetz die Schuldenbremse ab dem 1. August 2009 eingeführt worden ist, und sagen jetzt, Sie erwarteten eine Verbindlichkeit. Wenn ich es richtig sehe, ist der letzte schwarz-gelbe Haushalt der Haushalt des Jahres 2010 gewesen.
Warum haben Sie eigentlich damals noch keine Verbindlichkeit vorgesehen? Warum haben Sie eigentlich damals diese Verbindlichkeitswege noch nicht vorgeschlagen?
Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Hahnen, ich möchte Ihnen auf Ihre Frage sehr gerne mit zwei Hinweisen antworten:
Es gab von Schwarz-Gelb in diesem Parlament konkrete Gesetzentwürfe für Verfassungsänderungen, die sehr wohl auch für eigenes Landesrecht in Nordrhein-Westfalen eine Schuldenbremse vorgesehen haben. Die haben Sie von rot-grüner Seite aus abgelehnt.
(Beifall von der FDP – Christian Lindner [FDP]: So war das!)
Weil man dafür verfassungsändernde Mehrheiten brauchte, konnte das nicht mit einfacher Mehrheit geschehen. Das zur Frage nach dem Recht, die Sie gestellt haben.
Sie haben darüber hinaus gefragt, was faktisch in der Haushaltspolitik passiert ist. In Ihrem Beitrag eben haben Sie es angedeutet. Auch die Frage will ich Ihnen beantworten, Herr Kollege.
In Zeiten der internationalen Finanzmarktkrise gab es fundamental andere ökonomische Situationen als die Haushaltsentwicklung der letzten drei Jahre. Ich möchte Ihnen im Zusammenhang mit Ihrer Frage einmal deutlich machen, wie sich die Mehreinnahmen und – ausgaben seit 2010 bis heute verändert haben.
Eine Haushaltsplanung von Schwarz-Gelb im Jahre 2010, nach der Sie gefragt haben, hat anhand derselben Verfahren und mit denselben Beamten, die auch heute im Finanzministerium tätig sind, prognostiziert, dass wir Steuereinnahmen von 36,8 Milliarden € haben. Für den aktuellen Haushalt 2014 rechnen Sie mit 47,2 Milliarden €. Das ist ein Zugewinn an prognostizierten Steuereinnahmen in Höhe von 10,5 Milliarden €.
Demgegenüber vollziehen Sie aber eine deutlich geringere Ausgabensenkung, sodass Sie entsprechend auf 4,2 Milliarden € Schuldenreduktion kommen, und zwar bei 10,5 Milliarden € mehr Potenzial. Wir glauben, dass dies ein klares Missverhältnis in Ihrer Planung ist und dass dieser Vergleich deshalb hinkt, weil man sich die faktische Entwicklung der letzten drei Jahre angucken muss.
Herr Finanzminister, Sie freuen sich und lachen jetzt so nett, weil Sie wissen, dass Sie Idealbedingungen hatten. Sie sind ein Stück weit auch ein Glücksritter. Das sei Ihnen im Sinne der Landesfinanzen auch gegönnt. Wir haben über Ihre Prognosen hinaus enorme Steuermehreinnahmen zu verzeichnen. Das erzählen Sie uns regelmäßig mit großer Freude. Und das gehört zu einer ehrlichen Bewertung.
Deshalb sagen wir: Wer im Vergleich zu unserer alten Planung Mehreinnahmen in Höhe von 10,5 Milliarden € erzielt und dann für eine Reduktion der Nettokreditaufnahme in Höhe von 4,2 Milliarden € sorgt, hat vieles an Potenzial verschenkt. Genau das ist der Grund dafür, warum wir für mehr Verbindlichkeit sorgen wollen. Wir brauchen eine Finanzplanung, die so angelegt ist, dass wir nach allem, was heute zu vermuten ist, diese Nulllinie mindestens im Jahr 2020 auch tatsächlich erreichen werden. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Schulz das Wort.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Die Schuldenbremse – und das ist doch großartig – steht hier gar nicht zur Debatte. Vielmehr steht ein Gesetz zur Debatte – dieses soll darüber hinaus auch noch im Ausschuss beraten werden –,
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das haben Gesetze so an sich, Herr Kollege!)
mit dem eine Planung vorgelegt und angefordert wird, und zwar eine Planung bezüglich der Landesfinanzen auf dem Weg bis 2020.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf den Kollegen Hahnen zu sprechen kommen, der fragte, was denn verbindlicher sein könne als das Grundgesetz. – Das ist richtig. Nur: Das Grundgesetz ist insofern verbindlich, als bei der Schuldenbremse festgeschrieben ist: 2020 hat die Nettokreditaufnahme null zu betragen. – Der Weg dorthin ist im Grundgesetz nicht festgeschrieben. Den Weg dorthin beschreiben die Landesgesetzgeber, der Bundesgesetzgeber, aber niemand sonst.
Wir sollten fernab der fachlichen Komponente auch einmal auf den Bürger blicken. Wir sollten auch einmal auf Wahlszenarien blicken. Und wenn wir auf das Jahr 2017 schauen, wissen wir, dass, sofern nichts anderes passiert, Landtagswahlen anstehen. Sie sagen, im Jahre 2017 werde die Nettokreditaufnahme bzw. Neuverschuldung nur noch 1,3 Mil-liarden € betragen. Und im Jahr 2020 betrage sie dann null.
Der Weg zwischen 2017 und 2020 ist nicht beschrieben – jedenfalls nicht bis heute. Er wird gemäß der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanungen frühestens im Jahre 2017 beschrieben sein können, nämlich mit Vorlage des Haushalts 2017. Und dann möchte ich sehen, was passiert, wenn hier die Büchse der Pandora aufgeht.
Was bitte ist falsch daran, das Szenario heute oder zumindest in einem überschaubaren Zeitpunkt mit allen Planungsvorgaben – diese haben wir zum Beispiel im Nachhaltigkeitsbericht gesehen, den wir letzte Woche im Haushalts- und Finanzausschuss beraten haben – auch im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung bis 2020 vonseiten des Finanzministeriums aufzuzeigen? Was spricht denn dagegen?
Ich kann Ihnen sagen, was unter Umständen dagegen spricht. Der Bericht über die Nachhaltigkeit des Landeshaushaltes geht von unterschiedlichen Szenarien aus. Und es geht vor allen Dingen um ein Basisszenario, welches bezogen auf die Nachhaltigkeit 2020 in der Planung endet. Und dort ist noch die Rede davon, dass eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 0,8 Milliarden € erforderlich sein wird. Im Nachhaltigkeitsbericht ist nichts davon zu lesen, dass 2020 das Ziel „null“ erreicht werden kann. Es ist nur zu erreichen, wenn man Top-Score-Szenarien annimmt, nämlich dasjenige Szenario, das mit der Ziffer III bezeichnet wird und welches ein außerordentlich hohes Wachstum voraussetzt, um überhaupt durchgreifen zu können.
(Ralf Witzel [FDP]: Oder galoppierende Inflation!)
– Oder galoppierende Inflation. Nun, was auch immer.
Unseres Erachtens ist es Bestandteil der Seriosität und des Gebots der Transparenz, dem Bürger klaren Wein einzuschenken, das Visier zu öffnen und zu sagen, wie die Planung bis 2020 denn tatsächlich aussieht. Das mag eine gemeinsame Aufgabe aller Fraktionen und nicht nur der Landesregierung sein. Und es mag selbstverständlich auch eine Aufgabe des Haushalts- und Finanzausschusses sein, Lösungswege zu erarbeiten und nicht nur auszufechten, damit dieses Ziel, welches nach dem Grundgesetz nun einmal im Raum steht, auch erreicht werden kann. Darum geht es bei diesem Gesetz.
Es geht nicht darum, irgendwelche Förmchen hin und her zu schieben. Es geht nicht darum, Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb auszuspielen oder umgekehrt. Uns lasse ich dabei einmal außen vor. Darum geht es gar nicht, sondern es geht um eine Konsolidierung der Landesfinanzen, sprich: des Landeshaushalts auf dem Weg zur Schuldenbremse 2020.
Diesen Konsolidierungspfad sehe ich heute natürlich anhand der mittelfristigen Finanzplanung zumindest auf dem Papier, aber nicht durchgängig bis 2020 gegeben. Das muss man ganz klar sagen. Es fehlen am Ende ungefähr – der Finanzminister hat es selber gesagt – prognostiziert ca. 1 Milliarde €. Und diese 1 Milliarde € stellt offenbar genau die Lücke zwischen 2017 und 2020 dar, die auch Kollege Hahnen eben genannt hat, die aber in diesen drei Jahren nicht einfach aufgelöst werden kann.
Dabei haben wir gewisse Imponderabilien noch gar nicht berücksichtigt, nämlich die Frage eines möglichen Konjunktureinbruchs. Der ist durchaus denkbar. Insofern sitzen wir alle ein bisschen vor der Glaskugel oder im Schuldenraumschiff.
Vielmehr geht es darüber hinaus auch noch um die Frage, wie zum Beispiel bestimmte Verfahren ausgehen. Wie sieht es denn mit der strukturellen Verschuldung aus, wenn der Landesverfassungsgerichtshof sagt, das Land Nordrhein-Westfalen muss an Tausende und Abertausende Beamte Gelder nachzahlen? Dann sind wir ganz schnell bei einer halben Milliarde pro Jahr. Über zwei Jahre betrachtet macht das eine neue zusätzliche strukturelle Neuverschuldung von mehr als 1 Milliarde € aus. Dann sind wir nicht mehr bei 1,3 Milliarden €, sondern ganz schnell wieder bei 2 Milliarden €.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Dietmar Schulz (PIRATEN): In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss zu diesem Gesetzentwurf der CDU und danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Als nächstem Redner erteile ich dem fraktionslosen Kollegen Stein das Wort.
Robert Stein (fraktionslos): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Johann Wolfgang von Goethe hat einst gesagt:
„Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr.“
Johann Wolfgang von Goethe – so könnte man scherzen, Herr Finanzminister – muss demnach schon zu Lebzeiten im Herzen die aktuelle SPD-Finanzpolitik antizipiert haben. Vielleicht hat er Dementsprechendes auch aus Nostradamus‘ Schriften gedeutet, die er im ersten Teil seiner Tragödie „Faust“ thematisierte.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Trotz steigender Einnahmen macht unser Land strukturell immer noch 2,4 Milliarden € neue Schulden. Die Gesamtschulden von Land und Kommunen betragen mittlerweile deutlich mehr als 230 Milliarden €. Zwar ist zu erkennen, dass die strukturelle Neuverschuldung abnimmt – das haben wir auch schon gehört –, aber ob das nicht eher an der konjunkturell günstigen Lage als am Sparwillen liegt, darf hier deutlich hinterfragt werden.
Solange es konjunkturell läuft, ist es natürlich bequem, keine Farbe bekennen zu müssen. Das ist die für mich erkennbare Formel hier. Der amerikanische Unternehmer Henry Ford sagte einmal:
„Das Geben ist leicht. Das Geben überflüssig zu machen, ist viel schwerer.“
Er mag das anders gemeint haben, aber auf die Politik gemünzt lässt es sich auch so interpretieren: Bei Kürzungen Farbe zu bekennen, bedeutet auch, Kritik und Empörung zu ernten. Das war in der Politik schon immer so und wird wahrscheinlich auch immer so bleiben.
Aber die Schuldenbremse wird ab 2020 unabhängig davon, ob es eine landeseigene Regelung dazu geben wird, für unser Land verbindlich sein, und angesichts der aktuellen strukturellen Neuverschuldung in Höhe von 2,4 Milliarden € werden die einen oder anderen Einsparmaßnahmen noch getätigt werden müssen. Denn eine Lücke von mindestens 1 oder sogar 1,3 Milliarden € – wir haben es gerade gehört – wird ab 2017 immer noch klaffen.
Dieser Gesetzentwurf fordert daher, den Fahrplan über die mittelfristige Finanzplanung hinaus bis 2020 transparent darzustellen. Das wäre im Übrigen nicht nur transparent, sondern auch fair gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, damit sie frühzeitig erfahren können, wo mit Kürzungen zu rechnen sein wird,
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Schauen Sie doch mal in den Haushalt und in den Nachhaltigkeitsbericht! – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP]: Das ist so nicht erreichbar! Das steht da drin!)
damit sich die Menschen in unserem Land darauf einstellen können, Herr Mostofizdadeh, und nicht kurzer Hand böse überrascht werden.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Er hat von Transparenz gesprochen!)
Schaffen Sie Verbindlichkeit – nicht Verbindlichkeiten, Herr Finanzminister.
Darüber hinaus verhindert so ein Fahrplan, dass Sie sich weiter blindlings auf die Konjunktur verlassen können. Übernehmen Sie mehr Verantwortung. Was in Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vor-pommern, Sachsen, Thüringen und auch Schleswig-Holstein funktioniert, das darf auch in Nordrhein-Westfalen funktionieren.
Wenn Sie einen möglichen Konsolidierungsweg indes darstellen möchten, ist in erster Linie Input gefragt. Denn Sie haben hier nicht nur die parlamentarische Mehrheit, sondern auch die Opposition hinter sich. Allerdings haben Sie die konstruktive Hilfe der Opposition kürzlich abgelehnt. Das wurde am Beispiel des Effizienzteams deutlich. Sie befürchteten, wenn am Effizienzteam Oppositionspolitiker partizipierten, dann würde diesen ein Mitregieren ermöglicht. Das lehnen Sie aber partout ab. Also verweisen Sie lieber auf diese verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Konstruktion. Ihr Effizienzteam ist jedenfalls weit davon entfernt, diese groß angekündigte 1 Milliarde € einsparen zu können,
(Ralf Witzel [FDP]: Das ist ein Ineffizienzteam!)
und insofern bleibt es auch fraglich – ja, das ist ein Ineffizienzteam; Sie haben völlig recht, Herr Witzel ? ob es 2017 nur 1 oder 1,3 Milliarden € und nicht 2 Milliarden € sein werden. Außerdem ist die Komponente der Konjunktur zu berücksichtigen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Robert Stein (fraktionslos): Dieser Gesetzentwurf gibt Ihnen nun die Möglichkeit, frühzeitig zu planen und nicht ein Spielball des Zufalls zu bleiben.
Um es einmal mit dem Worten von Udo Lindenberg auszudrücken: Hinterm Horizont geht’s weiter. – Ich freue mich auf die Beratungen. – Vielen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Scheindebatte, die hier heute geführt wird, zeigt, dass es wirklich nicht darum geht, den Haushalt langfristig zu konsolidieren. Ich würde mir wünschen, dass man ein solch ernstes Thema auch ernst angeht und es nicht missbraucht – das werden wir in dieser Woche nicht nur einmal erleben –, um erneut alte Kamellen aufzuwärmen und Dinge als wahr in die Landschaft zu stellen, die es bei näherer Betrachtung nicht sind. Deswegen muss ich ein paar Dinge, die hier heute behauptet worden sind, noch einmal klarstellen.
Mein erster Punkt betrifft den Nachhaltigkeitsbericht. Der Nachhaltigkeitsbericht – das wissen Sie ganz genau – ist eine Fortschreibung nach äußerst technischen, einmal festgelegten Kriterien, die nicht auf den Normalfall abstellen, sondern auf den Fall, dass überhaupt nichts getan wird. Das kann man dieser Regierung nun wirklich nicht vorwerfen, wenn man sich die letzten Jahre anschaut, in denen es zu einer Reduktion von 6,6 Milliarden € auf nun – das sind die Zahlen für den Haushalt 2014 – 2,4 Milliarden € kam.
(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])
Die zweite Irreführung besteht in Ihrer Aussage, Herr Witzel, in der Sie so schön beschreiben, in 2010 habe man noch mit 36,6 Milliarden € Steuereinnahmen gerechnet, demnächst seien es 10 Milliarden € mehr. Im letzten Haushalt waren es etwas mehr als 8 Milliarden €.
Dann dürfen Sie eines nicht verschweigen: dass die mittelfristige Finanzplanung, die Ihren Planungen zugrunde lag, nicht davon ausgegangen ist, dass die Steuern nicht steigen. Sie sind in der damaligen Regierung davon ausgegangen, dass die mittelfristige Finanzplanung für das Jahr 2013 mit 41,7 Milliarden € rechnen kann. Das heißt, Sie haben lediglich – das ist trotzdem eine Menge – 3 Milliarden € weniger Einnahmen erwartet, als dann 2013 zustande gekommen sind. Wenn Sie von diesen 3 Milliarden € die 23 % abziehen, die die Kommunen bekommen, dann bleibt ein Betrag von etwas mehr als 2 Milliarden € übrig. Und wenn Sie diesen Betrag zu der Verschuldung addieren, dann ist die Summe geringer als die, die Sie damals geplant haben. Denn Sie sind damals davon ausgegangen, dass auf Dauer 6,5 Milliarden € an neuen Krediten aufgenommen werden müssen. Das ist die ganze Wahrheit.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Optendrenk zulassen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich möchte zunächst meine Ausführungen vortragen. Danach können wir schauen.
Dann kommt die großartige Frage – diese haben schon mehrere vorgetragen; gerade war es Herr Stein –, warum die Landesregierung nicht wie Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Thüringen vorgeht.
Das kann ich Ihnen sagen: weil unsere Einnahmensituation vor dem Länderfinanzausgleich, vor den Bundesergänzungszuweisungen, vor der Umsatzsteuerverteilung so ist, dass wir von der Einnahmenstärke her auf Platz 5 unter den Ländern liegen. Nachdem diese Umverteilung stattgefunden hat, liegt Nordrhein-Westfalen auf Platz 16 der 16 Bundesländer.
Die Umverteilung führt dazu, dass die anderen keine Kredite aufnehmen müssen, weil wir sie aufnehmen. Wenn man das bei den Ländern, die ich gerade eben genannt habe – das sind Ihre Musterknaben, und es ist mir auch ganz gleich, welche politische Führung sie haben – herausrechnet, ist Mecklenburg-Vorpommern kein Musterknabe, sondern hätte 1 Milliarde € Minus. Sachsen hätte 1,3 Milliarden € Minus. Sachsen-Anhalt hätte 1,4 Milliarden € Minus. Thüringen hätte 1,2 Milliarden € Minus. Das muss man dann allerdings auch noch einmal zu der Haushaltsgröße, die sie haben, in Beziehung setzen. Wir hätten 1,7 Milliarden mehr als das, was wir jetzt haben.
Auf dieser Grundlage wird immer wieder darüber geredet, dass diese Länder Musterknaben sind. Ich gönne es ihnen. Wir haben eine Solidarität vereinbart, und die zählt. Bis 2019 gilt das Reglement, das wir haben. Wir werden uns nicht irgendwelchen Klagen anschließen, obwohl ich manchmal bei dieser Debatte nicht weit davon entfernt bin – das muss man einmal ganz klar sagen –, sondern wir werden verhandeln und deutlich machen, wie die Lasten wirklich verteilt sind und wie die Einnahmekraft wirklich ist. Wenn man uns dann am Ende mit unserem Geld allein auskommen lässt, dann habe ich überhaupt keine Sorge, dass der Nachhaltigkeitsbericht absolut zur Seite gelegt werden kann.
Nun zu dem Antrag: Sie sprechen darin von einer verbindlichen Finanzplanung. Eine verbindliche Finanzplanung geht überhaupt nicht. Wir haben ein Grundgesetz. Der Rahmen, in dem das zu erfolgen hat, ist verbindlich. Wenn ich Finanzplanung verbindlich machen würde, müsste ich auch bitte schön darauf hinweisen, dass ein Land nicht nur eine einzige Aufgabe hat. Es ist nicht nur die Aufgabe, die Schulden auf null zu drehen, sondern es hat auch die Pflicht, die Aufgaben, die ein Land hat, wahrzunehmen. Es geht darum, das, was ausgegeben werden muss, mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was eingenommen wird. Auch darüber werden wir noch genug diskutieren können.
Wenn man es also ernst meint, dann sollte man sagen: Wir haben eine mittelfristige Finanzplanung. Mit dem nächsten Haushaltsentwurf 2015 wird die bis 2018 gehen. Die wird zeigen, wie wir von 6,6 auf dann 1,9 Milliarden im Jahr 2015 heruntergekommen sind und wie es dann noch für die letzten Jahre einen Wert geben kann, der über 2017 mit 1,4 Milliarden € auf null führen kann. Das ist eine machbare Größenordnung unter realistischen Annahmen.
Der Antrag enthält eine einzige wirkliche Neuerung, die ich interessant finde. Unter Buchstabe F „Auswirkung auf die Selbstverwaltung und die Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände“ schreiben Sie: „Keine“. Das wäre wirklich neu. Denn alles, was Sie an Konsolidierung in der vorletzten Legislaturperiode gemacht haben, ist ganz wesentlich auf dem Rücken der Gemeinden ausgetragen worden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dass Sie das jetzt nicht wollen, ist immerhin schon einmal eine Aussage, die wir zur Kenntnis nehmen sollten. Das bringt uns schon ein Stück weiter. Ansonsten sind wir auf einem guten Weg. Wir haben verbindliche Haushalte, wir haben eine verbindliche Schuldengrenze für das Jahr 2020, und wir haben einen klar umrissenen Weg, diese Schuldengrenze von null im Jahre 2020 zu erreichen. – Herzlichen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, ich würde Sie bitten, noch am Pult zu bleiben. – Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um eine Minute und 25 Sekunden überschritten hat. Wir haben aber auch zwei Kurzinterventionen. Zunächst hat sich der Herr Abgeordnete Witzel gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, Sie müssen sich ja persönlich nicht unbedingt Vorschläge und Bewertungen der Opposition in diesem Hause zu eigen machen.
Sie werden aber sicherlich schon bereit sein, mit uns über Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank zu diskutieren. Diese hat sich vor etwas über einem Jahr bewusst in einem Monatsbericht schwerpunktmäßig der Frage gewidmet, wie denn die Umsetzung dieser Schuldenbremse in den Ländern erfolgen sollte. Sie finden darin ausdrücklich den Hinweis und die Forderung der Bundesbank, dass die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahre 2020 eine Planung der Bundesländer voraussetzt, die sicherstellen soll, dass – ich darf das zitieren – „deutliche Sicherheitsabstände zu den verfassungsmäßigen Neuverschuldungsgrenzen vorzusehen“ seien. So können Sie es im Monatsbericht von Oktober 2012, Seite 31 ff. nachlesen.
Jetzt haben Sie den Nachhaltigkeitsbericht vorgestellt, bei dem ich Ihnen nicht den Vorwurf mache, dass Sie darin methodisch falsche Annahmen getroffen hätten. Sie haben auch Zinsen und andere Faktoren sicherlich mit der nötigen Vorsicht aus heutiger Sicht kalkuliert. Da kann man Ihnen überhaupt keinen Vorwurf machen. Aber das Ergebnis dieses Nachhaltigkeitsberichtes ist, dass Sie eine Lücke von 1 Milliarde € haben, und das nicht bei der Annahme ungünstiger Bedingungen, sondern bei einem üblichen Verlauf. Deshalb würde ich Sie bitten, Herr Finanzminister, dazu Stellung zu nehmen, was Sie tun wollen, um diese Situation für 2020 zu verbessern.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich sage noch einmal: Es geht hier um einen Nachhaltigkeitsbericht, der vor Jahren auf einer technischen Festlegung bestimmter Kriterien erzeugt worden ist. Das ist eine gute Grundlage für die Diskussion; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir haben oft genug darüber diskutiert, welche Annahmen in diesem Punkt nicht der Realität entsprechen, und vor allen Dingen wird nicht berücksichtigt, welche Maßnahmen zum Beispiel durch die Einsparungen bei Programmen, zum Beispiel im Bereich der Personalausgaben ergriffen worden ist und in welcher Weise die Fortsetzung erfolgen soll.
Wenn Sie sich diesen Nachhaltigkeitsbericht über mehrere Jahre anschauen, werden Sie erkennen, dass diese Lücke, die darin dargestellt worden ist, im Jahr zuvor extrem größer und im Jahr davor noch mal ein Stück größer gewesen war. Sie werden also auch erkannt haben, dass diese Lücke selbst für den Fall, dass von jetzt an keine Veränderungen ergriffen werden, „abschmilzt“.
Was die Bundesbank anbetrifft, habe ich schon mancherlei Diskussion mit Herrn Weidmann gehabt. Es gibt dort eine sehr technische Sichtweise, die beispielsweise Dinge ausblendet, die ich eben sowohl beim Länderfinanzausgleich als auch bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern insgesamt beschrieben habe. Das betrifft zum Beispiel auch die Frage, wie hoch die Verschuldung insgesamt ist. Gerade vor zwei Wochen war noch im „Spiegel“ zu lesen, wie hoch die Pro-Kopf-Verschuldung in Nordrhein-Westfalen ist. Wenn man sich das anschaut, ist die gesamte Kreditaufnahme der EAA darin enthalten. Ich meine, das kann man machen, aber dann sollte man bitte schön auch hineinschreiben, dass die Schulden enorm zurückgehen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, Ihre Zeit für die Kurzintervention ist beendet.
Ich bitte Sie aber, noch einen Moment hier zu bleiben. Es liegt noch die Wortmeldung für eine Kurzintervention von Herrn Dr. Optendrenk von der CDU-Fraktion vor.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Danke schön. Sie hatten ja gesagt, wir könnten noch einmal reden, nachdem Sie das ausgeführt haben. Ich wollte dieses Angebot gerne annehmen.
Bei der Darstellung der Unterschiede zwischen der letzten schwarz-gelben mittelfristigen Finanzplanung und der rot-grünen mittelfristigen Finanzplanung von heute hatten Sie die Steuereinnahmen richtigerweise benannt. Dabei hatten Sie sicherlich nur aus Zeitgründen vergessen, darauf hinzuweisen, dass die Zinsminderausgaben, die Sie jährlich in Milliardenhöhe haben, einen Teil der weiteren Absenkung der Nettoneuverschuldung ausmachen. Wenn man das zu Ihren Steuermehreinnahmen dazurechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass wir durchaus auf einem Konsolidierungspfad sein könnten, bei dem die Neuverschuldung deutlich unter den 3,17 Milliarden € liegt, die Sie jetzt als vorläufigen Haushaltsabschluss 2013 präsentiert haben bzw. noch in Ausführlichkeit präsentieren wollen.
Ich möchte Sie noch auf einen zweiten Punkt ansprechen, weil Sie die anderen Länder angesprochen haben. Das ist in der Interessenlage des Landes Nordrhein-Westfalen jetzt auch tatsächlich so gemeint, wie wir es letztes Jahr im Plenum zusammen diskutiert haben. Da waren wir uns auf einen Antrag der CDU-Fraktion hin einig, dass wir hier insgesamt Beratungsbedarf haben, wie die Interessenlage des Landes Nordrhein-Westfalen wahrgenommen werden kann. Damals haben Sie gesagt, in unserem Papier gebe es interessante Ansätze. Zwischenzeitlich hat eine erste Ausschussberatung stattgefunden. Seinerzeit hatten Sie gesagt, Sie würden uns dann auch Ihre Überlegungen vorstellen. Ich unterstelle, dass wir jetzt an dem Punkt sind, an dem Sie Ihre Überlegungen vielleicht auch zeitnah dem Parlament vorlegen, damit wir gemeinsam nordrhein-westfälische Interessen definieren und auch an vielen Stellen gemeinsam vertreten können. Jedenfalls entnehme ich Ihrem Interview in der „WirtschaftsWoche“, dass die Gedankenfindungsphase jetzt doch abgeschlossen ist. Oder liege ich da falsch?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Minister, Sie haben das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Zunächst einmal: Die Veränderungen bei den Zinsausgaben habe ich nicht aus Zeitgründen weggelassen, sondern weil Herr Witzel auf die Verbesserungen der Einnahmenseite abgestellt hat.
Es hat in verschiedenen Bereichen Veränderungen gegeben – übrigens auch durch Gesetze, die in der damaligen mittelfristigen Finanzplanung noch nicht absehbar waren, die jetzt aber den Landeshaushalt mit belasten. Ich erinnere nur an die von uns vorgenommenen Korrekturen zur Entlastung der Kommunen. Das muss man alles einbeziehen. Dazu gehört auch, dass auf der Gegenbuchungsseite durch die geringeren Zinsausgaben eine Entlastung entstanden ist.
Wie hier eben schon angesprochen worden ist, kalkulieren wir bei der mittelfristigen Finanzplanung ganz bewusst nicht damit, dass das Zinsniveau auf Dauer so bleibt. Vielmehr ist das einer der Puffer, die Sie erwarten.
Die Korrektur in Richtung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern ist nicht abgeschlossen. Da sind wir noch in der Meinungsbildung. Sie wissen, dass die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder den Finanzministern den Auftrag gegeben hatten, erst einmal eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Diese liegt den Regierungschefs mittlerweile vor. Danach ist ein Meinungsbild erstellt worden. In diesem Zusammenhang sind die Finanzministerinnen und Finanzminister nach ihren Vorstellungen gefragt worden, wie bestimmte Positionen dann in der nächsten Phase ab 2020 zu korrigieren sind.
In diesem Bereich gibt es in der Tat – das sage ich hier noch einmal – durchaus Diskussionsbedarf und die Notwendigkeit, sich miteinander – auch fraktionsübergreifend – einmal Gedanken darüber zu machen, …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, Ihre Redezeit.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: … was am Ende eigentlich eine solidarische und gerechte Verteilung der Finanzen in der Bundesrepublik Deutschland ist.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben darauf hingewiesen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 1:25 Minuten überzogen hat. Für die FDP-Fraktion, die dadurch jetzt noch Redezeit von einer Minute hat, hat sich Herr Kollege Witzel noch einmal gemeldet.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, uns geht es als FDP-Landtagsfraktion um eine ehrliche Debatte. Sie haben sich eben zu Ihrem Nachhaltigkeitsbericht geäußert und gesagt, da gebe es eine gewisse Mechanik, die dann abgespult werde. Im Rahmen dieser ehrlichen Debatte werfen wir Ihnen nicht vor, dass Sie die Zinsausgaben zu gering ansetzen. Genauso gehört zu einer ehrlichen Debatte meines Erachtens aber auch dazu, nicht zu vergessen, dass Sie die Indikatoren verbessert haben. Mit den alten Indikatoren wäre die Lücke im Jahr 2020 größer.
Interessant finde ich deshalb die Aussagen des Stabilitätsrats, der die Haushalte von Bund und Ländern überwacht und versucht, Haushaltsnotlagen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Er formuliert vier Kriterien: struktureller Finanzierungssaldo in Euro je Einwohner, Kreditfinanzierungsquote, Zins-Steuer-Quote und Schuldenstand je Einwohner. Bei jedem dieser vier zentralen Kriterien ist NRW erkennbar schlechter als der Schnitt der 16 Bundesländer.
Deshalb sehen wir hier Handlungsbedarf – gerne auch für Mehreinnahmen; aber nicht, indem man einfach immer die Steuern heraufsetzt, sondern, indem man für wirtschaftliche Dynamik sorgt, die dieses Land entsprechend nach vorne bringt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Ralf Witzel (FDP): Sie müssen auch die Frage klären: Wie wollen Sie Ihre globalen Mehreinnahmen erwirtschaften? Das ist bis heute alles im Nebel.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4824 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
7 Fußball vor Gewalt schützen – Straftäter endlich wirksam ausschließen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4820
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4896
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Lürbke das Wort.
Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Fußballfans! Die Diskussion um Gewalt im Fußball ist nicht neu. Wir haben sie hier bereits mehrfach – auch auf unsere Initiative hin; ich erinnere nur an unseren Antrag aus dem Jahr 2012 – parlamentarisch diskutiert. Doch die jüngsten Ereignisse zeigen eine Dimension, bei der der Landtag und auch der Innenminister nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können; seien es die Ausschreitungen der randalierenden Anhänger – Fans mag man ja gar nicht sagen – der SG Dynamo Dresden in Bielefeld, die sogar vorsätzlich Polizisten entwaffnet haben, oder die schrecklichen Ausschreitungen in Köln, bei denen unter dem Deckmantel des Sports fast ein Mensch zu Tode geprügelt wurde.
Diese Ausschreitungen haben alle eines gemeinsam: Sie haben mit Fußball nichts zu tun und bringen den ganzen Sport in Verruf. Fakt ist doch:
Erstens. Viele Millionen Menschen gehen jedes Wochenende friedlich ins Stadion und schaffen eine Atmosphäre, die in ganz Europa einzigartig ist.
Zweitens. Prävention ist wichtig. Prävention ist ein wichtiger Baustein. Wir haben uns ja beispielsweise auch fraktionsübergreifend – jeder auf seine Art und Weise – zu der wichtigen Arbeit der Fanprojekte bekannt.
Drittens. Ebenfalls entscheidend ist die Kommunikation aller Beteiligten, ob Fans, Polizei oder Vereine, wie auch beim jüngsten Fankongress in Berlin.
Fakt ist aber auch, dass es Personen gibt, denen mit Kommunikation bzw. mit einem guten Gespräch und einer Tasse Kaffee beim Fanprojekt nicht beizukommen ist. Diese Personen suchen keinen Fußball, sie suchen gezielt Gewalt, sie suchen gezielt Randale. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie es weitergehen kann. Vielleicht wird bei einem der nächsten Spiele, vielleicht auch wieder bei einem Testspiel die Lage wieder eskalieren. Irgendwann wird es dann schwerere Opfer geben. Es liegt offenbar allein in der Willkür der Randalierer, ob es demnächst wieder Ausschreitungen gibt oder nicht.
Dann werden in der Öffentlichkeit Verbote von Abendspielen und Stehplätze gefordert werden. Diese Diskussionen wollen wir alle nicht. Wir wollen unseren Fußball schützen.
(Beifall von der FDP)
Herr Minister Jäger, auch Sie wollen den Fußball schützen.
(Minister Ralf Jäger: Auf jeden Fall!)
– Das glaube ich Ihnen auch. Allerdings versprechen und fordern Sie viel. Wenn man sich das näher anschaut, bleibt dann auch viel heiße Luft.
Stichwort „Meldeauflagen“: Wir denken, Meldeauflagen sind ein wirkungsvolles Mittel. Sie werden aber in Wahrheit kaum verhängt, weil man die rechtlichen Voraussetzungen nachweisen muss.
Oder Stichwort „Stadionverbote“: In regelmäßigen Abständen überrennen Fangruppen koordiniert die Eingangskontrollen im Stadion und gelangen trotz Stadionverbots und mit Pyrotechnik unkontrolliert hinein.
Zum Stichwort „Schnelle, konsequente Bestrafung“ – so war es auch von Ihnen zu lesen –, ein aktuelles Beispiel: Im März 2012 überfielen fast 50, zum Teil vermummte Personen mit Eisenstangen und Steinen einen Gladbacher Bus auf der A 3 bei Siegburg. Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten gegen 28 Verdächtige. Nach zehn Monaten wurden dann drei junge Männer wegen Nötigung und Landfriedensbruch angeklagt. Bis heute, also fast zwei Jahre danach, hat der Prozess gegen sie nicht begonnen. Es kann noch ein weiteres halbes Jahr dauern, weil die Kölner Strafkammern überlastet sind, wie ein Gerichtssprecher sagt.
Die Täter sind auf freiem Fuß. Wir diskutieren hier, dass eigentlich beschleunigte Verfahren gegen solche Täter geboten sind, aber die Realität sieht dann, wie beschrieben, aus. Herr Minister, sagen Sie uns einmal ganz klar: Reicht Ihnen die derzeitige Rechtslage zu Meldeauflagen und ungenauen Strafbeständen wie Landfriedensbruch und Beteiligung an einer Schlägerei? Oder wollen Sie da heran?
Ein anderer Punkt: Ich denke, Prävention muss auch nicht immer Provokation sein. Das gilt auch bei der An- und Abfahrt zu den Spielen. In Fällen wie dem Spiel Bielefeld gegen Dresden muss man sich auch einmal fragen, wieso bei einem begründeten Verdacht vor dem Hintergrund eines angekündigten Weihnachtsmarktsturms ein Zug mit 800 offenbar überwiegend angetrunkenen Randalierern überhaupt so weit kommen konnte.
Herr Innenminister, ganz konkret: Was ist Ihre Maßnahme, wenn das nächste Mal 800 Dresdner Randalierer in einen Zug steigen? Wie soll die Polizei taktisch reagieren? Soll man bereits am Ausgangsbahnhof kontrollieren oder während der Fahrt? Soll der Zug durch massive Kräfte der Bundespolizei begleitet werden? Sollen die Chaoten, wenn sie Randale machen, nicht mehr ins Stadion gelangen? Wie werden Sie da vorgehen? Wie sehen dazu Ihre Antworten aus? Ich meine, wenn wir unsere Bevölkerung, unsere Einsatzkräfte und den Sport schützen wollen, dann müssen wir gemeinsam konsequent gegen Straftäter vorgehen.
(Beifall von der FDP)
Da reicht es nicht, auf die Ultras zu verweisen. Da reicht es auch nicht, auf die Pflicht der Vereine zu verweisen, sondern da müssen auch Sie, Herr Minister, da muss der Staat seine Hausaufgaben machen. Wir brauchen jetzt endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die SPD-Fraktion spricht der Herr Kollege Kossiski.
Andreas Kossiski (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der heute ein Déjà-vu-Erlebnis hat, denn der vorliegende Antrag der FDP erinnert stark an den FDP-Antrag aus dem Oktober 2012 – das hatten Sie auch angeführt – unter der Überschrift „Gegen Randalierer im Zusammenhang mit Fußballspielen konsequent vorgehen“.
Wir hatten dazu am 7. November 2012 eine Debatte. Sie endete mit einer Überweisung des Antrags
(Marc Lürbke [FDP]: Es ist ja nichts passiert!)
an den Innenausschuss – federführend –, an den Sportausschuss, an den Rechtsausschuss und an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend sowie der Empfehlung, die abschließende Beratung und Abstimmung im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung durchzuführen.
Am 22. November 2012 beschäftigte sich der Innenausschuss mit dem Antrag und beschloss eine Expertenanhörung, übrigens zusammen mit allen anderen beteiligten Ausschüssen. Diese Anhörung fand hier am 7. März 2013 statt. Ich darf daran erinnern, dass dies eine ausgezeichnete Anhörung war.
So vielschichtig und differenzierend damals die Antworten aller Sachverständigen waren, so übereinstimmend waren sie auch in einem Punkt: Es gibt keinen Schalter oder keinen Druckknopf, mit dem Sie gewalttätige Ausschreitungen in Zusammenhang mit Fußballspielen einfach wegschalten können.
Nach dieser Anhörung beschäftigten sich in der Phase Mai bis Anfang Juni 2013 nochmals alle beteiligten Ausschüsse. Alle mit Ausnahme des mitberatenden Familienausschusses, der auf die Abgabe eines Votums verzichtete, lehnten den damaligen FDP-Antrag mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenpartei gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU ab.
Wenn man sich die Protokolle der von mir erwähnten Plenardebatte, der Anhörung und der jeweiligen Ausschusssitzungen durchliest, dann muss man sich über den neuen aktuellen Antrag der FDP schon wundern. Deshalb sprach ich eingangs von einem Déjà-vu-Erlebnis. Aber das, was Sie von der FDP diesmal abgeliefert haben, ist für mich schon ein ziemlich starkes Stück. Als hätten Sie sich noch nie mit dem Thema beschäftigt, als wären Sie bei den von mir erwähnten Beratungen nie dabei gewesen, fordern Sie die Landesregierung auf – ich zitiere –, endlich ein schlüssiges und Erfolg versprechendes Konzept gegen Gewalt im Umfeld von Fußball vorzulegen.
Wenn Sie damit Fassungslosigkeit erzeugen wollen, dann ist Ihnen das wirklich gelungen. Verehrte Antragsteller der FDP, wem wollen Sie eigentlich weismachen, Sie wüssten nichts von einem Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt im Umfeld von Fußballspielen? Ihnen kann doch nicht entgangen sein, dass das Innenministerium NRW die Initiative ergriffen hat, um das nationale Konzept „Sport und Sicherheit“ grundlegend zu überarbeiten und fortzuschreiben.
Sie müssen doch schon einmal vom Netzwerk „Sport und Sicherheit“ oder von den örtlichen Ausschüssen „Sport und Sicherheit“ gehört haben. Sie kennen bestimmt die vom Minister gestartete Initiative „Mehr Sicherheit bei Fußballspielen in NRW“ mit ihrem Zehn-Punkte-Plan, der bundesweit viel Anerkennung gefunden hat.
Dass wir beim Thema Gewalt rund um den Fußball nicht über ein nordrhein-westfälisches Phänomen sprechen, ist Ihnen mit Sicherheit auch bekannt. Und mit derselben Sicherheit unterstelle ich Ihnen, dass Ihnen nicht entgangen sein dürfte, dass der Minister direkt nach der Übernahme des IMK-Vorsitzes eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet hat, um, bundesweit abgestimmt, insbesondere Intensivtätern künftig noch wirksamer begegnen zu können. Das alles wissen Sie, und trotzdem diese Dublette eines Antrags.
Ich möchte in diesem Zusammenhang, weil es Ihre Vorgehensweise verdeutlicht, auf Ihre Medieninfo vom 20. Januar eingehen, in der es heißt – ich zitiere –:
„Die FDP-Fraktion hat sich bereits Ende 2012 für striktere Meldeauflagen sowie ein konsequentes Vorgehen gegen Randalierer im Umfeld von Sportveranstaltungen eingesetzt. Die Landesregierung hat die Vorschläge der FDP jedoch abgelehnt.“
Alleine dieser Satz ist eine Irreführung der Medien und damit der Öffentlichkeit. Sie erwecken damit den Eindruck, als ob es keine Meldeauflagen geben und gegen Randalierer nicht konsequent vorgegangen würde. Das nenne ich populistisch.
Als Gipfel sehe ich aber, dass Sie behaupten, die Landesregierung würde Meldeauflagen oder konsequentes Vorgehen gegen Randalierer ablehnen. Das ist eine völlig unberechtigte Behauptung. Das ist vor allem ein ungeheuerlicher Vorwurf gegenüber unserer Polizei, die sich nun wahrlich genug mit Randalierern auseinandersetzen muss. Sie streuen Fehlinformationen, obwohl Sie es eigentlich besser wissen müssten, und wollen der Öffentlichkeit einreden, dass unsere Polizei und der dafür zuständige Minister tatenlos der Gewalt zusehen. Das Ganze verzieren Sie mit unausgegorenen und plakativen Vorschlägen, die einen zweifeln lassen, ob Sie einen Bezug zur Wirklichkeit haben.
Ich mache das eben an dieser Medieninfo und Ihrem Antrag fest. Da verbinden Sie die Massenschlägerei vor knapp zwei Wochen in der Kölner Innenstadt mit Ihrer Forderung nach Meldeauflagen – Zitat –:
„Eindeutig ermittelte gewalttätige Chaoten müssen von künftigen Spielen durch wirksam kontrollierte Stadionverbote und Meldeauflagen ausgeschlossen werden.“
Sie sollten unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mal nachvollziehbar erklären, wie sie bei einem Freundschaftsspiel zwischen dem 1. FC Köln und Schalke 04 durch Meldeauflagen rechtzeitig hätten verhindern können, dass Gewalttäter aus dem Dortmunder Umfeld – die waren ja auch dabei – nach Köln fahren, um sich dort an einer verabredeten Massenschlägerei in der Innenstadt zu beteiligen. Allein dieses Beispiel zeigt, dass Sie sich dringend mit den rechtlichen und auch mit den praxisbezogenen, machbaren Rahmenbedingungen auseinandersetzen müssen, bevor Sie hier Nebelkerzen zünden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss zu einer Feststellung kommen, über die wir uns hoffentlich über Parteigrenzen hinweg einig sind: Wir wollen in unserer Gesellschaft keine Gewalt, nirgends, also auch nicht im Zusammenhang mit Fußball, nicht vor, nicht nach einem Spiel, nicht im Stadion, nicht davor, nicht auf den langen An- und Abfahrtswegen und auch nicht auf irgendwelchen abgelegenen Plätzen oder Waldlichtungen, wo sich randalierende Gewalttäter zu Prügeleien verabreden, oder wie vorletzte Woche in Köln inmitten einer verkehrsreichen Innenstadt. Es gibt keine Patentrezepte.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.
Andreas Kossiski (SPD): Letzter Satz. – Es gibt keine einzige Lösung dafür. Es gibt verschiedene Ansätze, die von der Regierung und vom Parlament diskutiert werden. Deswegen stimmen wir einer Überweisung des Antrags an die zuständigen Ausschüsse zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Lohn.
Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn direkt die Kernfrage: Hat sich in den drei Jahren rot-grüner Regierung irgendetwas an der Fußballgewaltfront verbessert? – Ganz eindeutig nein. Es gibt keinen Fachmann, der diesen Trend irgendwie positiv beschreiben könnte. Es wird von Woche zu Woche schlimmer. Deswegen stellt die FDP mit ihrem Antrag in der Tat nicht völlig neue Forderungen auf, aber die Forderungen bleiben trotz der Tatsache, dass sie wiederholt werden, immer noch richtig; denn an konkreten Maßnahmen hat sich nichts getan.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Die Regierung, insbesondere der Innenminister, hat in den vergangenen drei Jahren außer vielen sehr medienwirksamen Ankündigungen relativ wenig konkrete erfolgversprechende Maßnahmen ergriffen, geschweige denn, dass er ein Konzept hat, wie man schlüssig gegen die Eskalation von Gewalt vorgehen kann. Gleichzeitig, bei fehlendem Konzept und fehlenden konkreten Maßnahmen, nimmt die Gewalt beim Fußball völlig überhand. Ein paar Beispiele:
Schweden hat nichts mit Nordrhein-Westfalen zu tun, könnte man meinen. Aber in Stockholm kam es zu einem Spiel zwischen Union Berlin und einer Mannschaft aus Stockholm. Das war ein drittklassiges Spiel, fußballerisch völlig unbedeutend. Da trafen Leute aufeinander, die in der Tat nichts anderes vorhatten, als die Stadt aufzumischen. Die Polizei dort war wenig bis gar nicht vorbereitet. Die Tumulte in der Innenstadt eskalierten total, nachdem zuvor das Spiel abgebrochen worden ist. Erkenntnisse aus Deutschland, speziell aus Berlin, sind nicht dorthin geliefert worden.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Dafür ist der Innenminister verantwortlich?)
Was hat das mit Nordrhein-Westfalen zu tun? – In Nordrhein-Westfalen gibt es Parallelen, denn in Schweden sind so gut wie keine Täterinnen und Täter ermittelt worden. In Bielefeld, als Dynamo Dresden da war, ist es nach dem Bericht im Innenausschuss auch zu keinerlei Festnahmen oder Fahndungserfolgen gekommen. – Das ist die erste Parallelität.
Die zweite ist: Leider ist es so – die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze der Polizei liefert uns die Zahlen –, dass ungefähr 4.000 von 12.000 gewaltsuchenden bzw. gewaltbereiten Fans der Kategorie C und B aus unserem Lande kommen. Deswegen ist Gewalt im Fußball ein ureigenes NRW-Problem und NRW-Thema. Darüber kann man hier ruhig öfter diskutieren.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Noch weitere erschreckende Beispiele – die wurden schon erwähnt, deswegen kann ich mich da kurz fassen –: Anfang Dezember attackierten Dynamo-Dresden-Fans, bis zur Unkenntlichkeit vermummt, andere Fans in Bielefeld. Man ging in die Innenstadt. Ergebnis am Ende: 21 verletzte Polizisten, einem Polizeipferd wurde in den Körper gestochen, beschädigte Einsatzfahrzeuge. Erfolg bei der Polizei: sehr überschaubar, weil die Täter eben vermummt waren. – Ich denke, da braucht man Maßnahmen. Man muss ein Konzept erarbeiten, wie man mit solchen Tätergruppen umgeht, die sich nicht als Fans verkleiden, sondern die sich vermummen, weil sie als Straftäter nicht erkannt werden wollen.
Nächstes Beispiel: Wenige Wochen später, am 18. Januar, kommt es in Köln – das wurde auch bereits erwähnt – zu einer ganz neuen Dimension von Gewalt; der Kollege von der SPD hat es eben richtigerweise erwähnt. Da hat Schalke 04 gegen den 1. FC Köln in Köln gespielt, und – das war bisher nicht zu erwarten – Rechtsradikale aus Dortmund haben sich auf den Weg nach Köln gemacht, nur um da gezielt Gewalt zu verüben. Das hätte man doch vielleicht durch Erkenntnisse aus Dortmund, egal von wo, ob aus Fanprojekten, von den Vereinen, von der Polizei, vielleicht auch von anderen Behörden, vorher schon herausbekommen können. Man muss nur den Finger darauflegen, dass diese Informationen auch fließen. Damit können Gefahren abgewehrt werden.
Angesichts der Brutalität in Köln, wo es zum ersten Mal zu ganz schweren Verletzungen gekommen ist, sodass der GdP-Landesvorsitzende Plickert gesagt hat: „Es ist ein reines Glück, dass wir nicht den ersten Toten beklagen müssen“, muss, glaube ich, endlich etwas Konkretes von Ihnen folgen, Herr Minister.
Sie haben konkrete Maßnahmen ergriffen. Nach dem Spiel Schalke gegen Saloniki haben Sie schnellschussartig gesagt: Ich schicke keine Polizisten mehr in das Schalker Stadion. – Ganz schnell stellte sich heraus: Das war durch nichts zu rechtfertigen. Nach drei, vier Tagen mussten Sie den Schwanz wieder einziehen und alles zurücknehmen.
(Zuruf: Na, na, na!)
Herr Minister, was Sie bisher machen …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Düngel zulassen?
Werner Lohn (CDU): Am Ende vielleicht. – Herr Minister, was Sie machen, ist konzeptlos, widersprüchlich und publicityheischend. Um im Sprachgebrauch der Hooligans zu bleiben: Sie zünden ständig nur Politbengalos. Ihre Politbengalos leuchten einmal auf wie ein Strohfeuer,
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
dann verbrennen Sie sich die Finger daran, und am Ende bleibt nur heiße Luft. Das ist Ihre Politik. Die Bürgerinnen und Bürger haben etwas anderes verdient. Sie haben einen Anspruch auf Schutz. Die friedlichen Fußballfans haben einen Anspruch darauf, dass Sie mit ihnen in den Dialog treten.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Radek, hat gesagt – ich zitiere –: Was wir brauchen, ist ein Umdenken bei den friedlichen Fans.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Werner Lohn (CDU): Ich komme sofort zum Schluss. – An die Stelle zweifelhafter Solidarität mit den Gewalttätern muss das Bewusstsein rücken, diejenigen auszugrenzen, die uns den Spaß am Fußball nehmen.
Das schaffen Sie nur, indem Sie auf die friedlichen Fans zugehen und mit ihnen sprechen, und nicht, indem Sie den Dialog beim Fankongress in Berlin verweigern.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist wirklich beendet.
Werner Lohn (CDU): Sie haben kein Konzept; Sie haben keine konkreten Maßnahmen ergriffen.
Heute Morgen schwadronieren Sie im WDR herum. Das löst das Problem nicht. Werden Sie endlich tätig! – Danke schön.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Lassen Sie noch die Zwischenfrage zu?
Werner Lohn (CDU): Ja, gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Lohn, dass ich meine Frage noch loswerden darf.
Ich gehe davon aus, dass Ihnen der FDP-Antrag vermutlich nicht weit genug geht. Aber das ist ein separates Thema, das wir in den Ausschüssen besprechen können.
Sie hatten vorhin von den schlimmen Ausschreitungen beim Freundschaftsspiel Köln gegen Schalke gesprochen. Sie haben dazu ausgeführt, dass sich Rechtsradikale aus Dortmund auf den Weg gemacht hätten, was nicht zu erwarten gewesen wäre.
Ich frage mich seitdem: Wenn nicht zu erwarten war, dass bestimmte Personengruppen zu diesem Spiel fahren, wie verhindere ich das dann mit Meldeauflagen?
Werner Lohn (CDU): Wenn Sie mir zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich in diesem Zusammenhang nicht von Meldeauflagen gesprochen habe.
(Nadja Lüders [SPD]: Sondern?)
Grundsätzlich sind sie erfolgversprechend. In diesem Fall wäre es so: Wenn Erkenntnisse aus der rechtsradikalen Szene von Dortmund vorgelegen hätten, dass sich diese Menschen, diese Straftäter, diese Kriminellen auf den Weg nach Köln machen wollen, um dort Gewalt zu begehen, hätte man diese Leute mit Meldeauflagen an den Standort Dortmund binden können.
(Nadja Lüders [SPD]: Hätte, hätte, Fahrradkette!)
So sieht die Rechtslage nach dem Polizeigesetz aus. Das geht schon, man muss nur die Erkenntnisse haben und zusammenführen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Kollegin Paul.
Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich eigentlich bei der Lektüre der Anträge, sowohl des Entschließungsantrags als auch des ursprünglichen Antrags der FDP, über den doch grundsätzlich sehr moderaten Ton gefreut und auch über die Einigkeit, die darin besteht, dass grundsätzlich Stadionbesuche in diesem Land sicher sind und dass es sich grundsätzlich um Ausnahmen handelt, wenn wir solche Ausschreitungen wie in Köln oder Bielefeld beobachten müssen. Weiterhin dachte ich, es bestehe auch Einigkeit darin, dass wir das in dieser Form nicht wollen. Wir können und werden das nicht tolerieren.
Unglücklicherweise habe ich das Gefühl, dass in dieser Debatte das Abschichten, das aus meiner Sicht in den letzten Debatten gut gelungen war, jetzt nicht mehr ganz so gut gelungen ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Kollege Lohn, Sie haben wieder Bilder beschworen, die etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheinen und die daran erinnern, dass wir Debatten über bürgerkriegsähnliche Zustände führen usw. Das halte ich für über das Ziel hinausgeschossen.
Wir sind uns doch völlig einig darin, dass wir keine Gewalt in den Stadien wollen. Das ist keine Frage. Wir wollen auch keine Gewalt auf dem Weg zu Stadien und auch keine sogenannten Drittortauseinandersetzungen. Wir wollen aber auch keine Panikmache, die völlig unnötig ist und die Sie mit Ihrem Redebeitrag eindeutig geschürt haben.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Daniel Düngel [PIRATEN])
Wir sind uns sicherlich auch darin einig, dass Gewalt kein alleiniges Problem des Fußballs ist. Nichtsdestotrotz müssen wir auch beim Fußball dagegen vorgehen. Aber Fußball kann eben auch – die erfolgreiche Arbeit unserer 14 Fanprojekte, die nach NKSS gefördert werden, stellt das unter Beweis – ein Ansatzpunkt zur Gewaltprävention sein. Darauf sollten wir in der Debatte verstärkt schauen.
Ich bitte noch einmal – das habe ich auch schon im Innenausschuss gesagt – um eine Differenzierung in der Debatte. Es gibt die Jugendkultur Ultra, und es gibt auch die Erlebniswelt Stadion, die wir in diesen Formen ernst nehmen sollten. Wir müssen auch ernst nehmen, dass nicht alle jugendlichen Ultras Intensivtäter und Intensivtäterinnen sind. Wir dürfen Sie in der Debatte auch nicht dazu machen.
Die Fanprojekte leisten einen wichtigen Beitrag, damit aus jugendlichen Grenzgängerinnen und Grenzgängern, die vielleicht mal über die Stränge schlagen – das muss ohne jede Frage Konsequenzen haben –, keine Intensivtäterinnen und Intensivtäter werden. Wir wollen versuchen, mit präventiven Maßnahmen und mit Bewährungsmöglichkeiten nach Fehlverhalten dort anzupacken, damit wir eben keine Horde von Intensivtätern haben, die, wie von Ihnen, Herr Kollege Lohn, suggeriert, marodierend durch die Lande zieht. Wir möchten vielmehr dort anpacken, um der Gewalt präventiv entgegenzuwirken.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller zulassen?
Josefine Paul (GRÜNE): Sehr gerne.
Holger Müller (CDU): Schönen Dank, Frau Kollegin. – Ich finde es gut, was Sie zu den Fanprojekten gesagt haben. Aber warum haben Sie denn vor kurzem unseren Antrag abgelehnt, in dem wir eine weitere Stärkung der Arbeit der Fanprojekte vorgeschlagen haben – inklusive der Personalfragen?
(Beifall von den PIRATEN – Minister Ralf Jäger: 10 Millionen € zusätzlich!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Kollegin.
Josefine Paul (GRÜNE): Zum einen ist es nicht allein Aufgabe des Landes, die Fanprojekte zu stärken, sondern die Kommunen müssen mitziehen. Wir haben eine Dreierfinanzierung. Das heißt: Das Geld kann nur dann fließen, wenn bis zu 50 % – das ist neu – von DFL und DFB, die ihre finanzielle Verantwortung im Übrigen erhöht haben – das ist sehr zu begrüßen –, übernommen werden und wenn die gleichen Finanzierungsanteile von Kommune oder Land kommen.
Wir haben sehr wohl gesagt, dass es dort, wo es geboten und notwendig ist, Möglichkeiten gibt, etwas oben drauf zu packen – auch bei den Fanprojekten. Das haben wir in einem Antrag miteinander bekräftigt, Herr Kollege.
Das bringt mich zu der Frage, wer die Verantwortung für ein sicheres und „schönes“ Stadionerlebnis hat. Denn auch hierbei wurde wieder suggeriert, dass der Innenminister dafür zuständig sei, dass alles glatt läuft. Dass Sie nicht noch gesagt haben, dass der Innenminister dafür zuständig ist, dass Fortuna Düsseldorf oder der 1. FC Köln gewinnt, war schon alles.
(Minister Ralf Jäger: Oder dass er die Tore schießen muss!)
– Genau. Herr Minister, Sie können auch die Tore schießen. Das wäre auch interessant. Vermutlich wäre das denn eher für den MSV Duisburg.
Natürlich ist nicht der Innenminister allein für den ordentlichen Ablauf eines Fußballspiels zuständig, sondern das liegt in der Verantwortung aller Beteiligten. Dazu gehört auch, dass die Veranstalter, nämlich die Vereine, für die sichere Durchführung des Spiels im Stadion verantwortlich sind.
(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Die Vereine müssen endlich anerkennen, dass sie dafür die Verantwortung tragen müssen und nicht nur hochprofessionell und mit viel Geld auf dem Rasen agieren, sondern endlich auch hochprofessionell mit professionellen Ordnerdiensten neben dem Rasen und bei der Stadionsicherheit agieren.
(Beifall von den GRÜNEN und Markus Herbert Weske [SPD] – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Wohl wahr!)
Das muss es den Vereinen wert sein; das muss es uns auch wert sein.
Dialog und gegenseitige Gesprächsbereitschaft sind der Schlüssel, um gemeinsam Verantwortung für eine positive Fankultur zu übernehmen. Vorbehalte müssen auf allen Seiten abgebaut und die Anliegen müssen gegenseitig ernst genommen werden. Dazu gehört natürlich auch, dass Fans und Vereine ernst nehmen, dass die Belastungszahlen der Polizei gesenkt werden müssen – ohne jede Frage.
Andersherum gehört eben auch dazu, nachzufragen, warum sich Fans so verhalten, wie sie es an der einen oder anderen Stelle tun.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Lürbke zulassen?
Josefine Paul (GRÜNE): Ja.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass ich die Frage stellen darf. Sie haben gerade die Arbeit der Fanprojekte betont und auch noch einmal unterstrichen, dass die Vereine ihren Teil leisten müssen. Darin sind wir uns einig. Das ist aber nichts Neues; darüber haben wir schon mehrfach diskutiert.
Aber wenn man sich das jetzt einmal konkret anschaut – nehmen wir das Spiel Bielefeld gegen Dresden –: Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass man eine Situation, wie sie sich in Bielefeld dargestellt hat, nicht allein durch Prävention und auch nicht allein durch bessere Ordnerdienste in den Griff bekommen kann? – Selbst die Bundespolizei hatte am Bahnhof von Bielefeld Probleme und wurde dann unterstützt. Ich glaube, selbst qualifiziertere Ordner sind irgendwann am Ende ihrer Möglichkeiten.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Josefine Paul (GRÜNE): Es ist klar, dass es auch Bereiche gibt, in denen man sagen muss: Hier handelt es sich um Intensivtäter und Intensivtäterinnen, die durch die präventive Arbeit von Fanprojekten nicht zu erreichen sind. Da muss natürlich die Strafverfolgung greifen.
Aber Sie spielen auch ein Stück weit auf die Maßnahmen an, die Sie in Ihrem Antrag gefordert haben. Da muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Natürlich können Meldeauflagen einen Beitrag dazu leisten. Aber Meldeauflagen greifen stark in die Grundrechte der Betroffenen ein, und dementsprechend sind sie nicht auf vage Vermutungen oder auf die Zugehörigkeit zu irgendeinem Fanclub zu stützen, sondern sie bedürfen einer Einzelfallgefahrenprognose, einer Einzelfallprüfung. Das ist auch richtig und wichtig. Nicht einmal das Stadionverbot genügt als Indikator, um Meldeauflagen verbindlich zu machen.
Das heißt, wir müssen natürlich schauen, an welchen Punkten das, was wir an Maßnahmen – auch an repressiven – fahren müssen, noch ausbaufähig ist. Aber das muss immer unter dem Gebot stehen, dass diese Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen.
Wir hatten dieses Thema im Zusammenhang mit der Nachfrage des Kollegen Düngel gerade in der Debatte: Wenn Sie keine Erkenntnisse haben, auf welcher Basis wollen Sie dann Meldeauflagen einfordern? Auf welcher Basis wollen Sie dann Reiseverbote einfordern usw.? – Ich meine, es müssen schon sehr konkrete Dinge vorliegen, damit wir da unter Umständen nachbessern, auch auf der ordnungspolitischen Seite. Aber das darf immer nur unter ganz klaren Kriterien erfolgen, die rechtsstaatlichen Prinzipien genügen müssen.
Sie haben auch ein schlüssiges und erfolgversprechendes Konzept eingefordert. Der Kollege hat es gerade gesagt: Das NKSS und die NRW-Initiative sind solche schlüssigen und auch erfolgversprechenden Konzepte.
Ich möchte noch einmal auf den Antrag der Piratenfraktion eingehen. Ein wichtiger Punkt in Ihrem Antrag, den ich sehr begrüßenswert finde und den wir uns heute zu Herzen nehmen sollten, ist, dass es darum geht, den Dialog zu stärken, statt nach vereinfachten Lösungen zu suchen. Ich habe in dieser Debatte noch mehr als bei der Lektüre Ihrer Anträge den Eindruck, dass die Politik sich dieser Aufgabe stellen muss. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Ehe jemand fragt: Das hat nichts mit Fußball zu tun, das war ein Fahrradunfall.
(Der Redner weist auf seinen bandagierten Arm.)
Manchmal denkt man sich in diesem Hohen Hause: Ist das ein Antrag, oder kann das weg?
(Zuruf von den PIRATEN: Das kann weg!)
Dieser FDP-Antrag ist ein Fall, in dem Letzteres zutreffen würde. Schon in den ersten Zeilen steht: „Die Zahl der Ereignisse … reißt nicht ab“, und: „… verleiden diese Ereignisse unzähligen Fans das Freizeitvergnügen …“. Da offenbaren sich „neue Dimensionen“ von Ausschreitungen.
Nur einen Absatz später schreiben Sie aber selbst, das „seien aber Ausnahmen, die den Blick darauf verstellen, dass der Besuch in Stadien … nach wie vor sicher ist“. – Ja, was denn nun?
Und ihre Forderung nach Meldeauflagen, die konsequent verhängt werden sollen, und nach Staatsanwaltschaften, die beschleunigte Verfahren durchführen sollen – all das hatten wir schon einmal in einem Antrag von Ihnen, den Sie vor mehr als einem Jahr gestellt haben. Herr Kollege Kossiski hat das auch schon erwähnt. Naja, immerhin fordern Sie jetzt keine Bengalo-Spürhunde mehr.
Mich ärgert wirklich, dass Sie keine neuen Vorschläge unterbreiten, sondern wieder die Leier der angeblich extrem hohen Zahl von Gewalttaten im Zusammenhang mit Fußballspielen anstimmen. Anregungen für einen konstruktiven Antrag gab es doch genug. Wir hatten die Anhörung, die schon erwähnt wurde, die wir gemeinsam durchgeführt haben und die sehr erfolgreich war und vielfach gelobt wurde.
In der Anhörung, in den Stellungnahmen zu Ihrem Antrag und auf unsere Fragen haben die Sachverständigen kluge Forderungen an die Politik gestellt und vor allem konstruktive Vorschläge gemacht. Konstruktive Vorschläge fehlen aber von Ihnen zu dem Thema „Gewalt rund um Fußballspiele“ völlig. Ihre Forderung zur Überwachung und Kontrolle der Fans wurden schon damals von den Experten mehrheitlich als unverhältnismäßig, überflüssig, kontraproduktiv und nicht zielführend beurteilt.
(Beifall von den PIRATEN)
Dass der Antrag abgelehnt wurde, war gut so. Ich weiß, Sie denken, dass wir Piraten die Gewalt rund um Fußballspiele verharmlosen. Aber das stimmt nicht. Wir haben einfach einen differenzierteren Blick auf die Thematik und wollen nachhaltige und wirksamere Lösungen suchen und in die Wege leiten.
Deshalb bringen wir hier einen umfassenden Entschließungsantrag ein; denn mit immer mehr Überwachungs-, Kontroll- und Polizeimaßnahmen werden wir die Probleme eben nicht lösen können. Wir brauchen erst einmal Studien dazu, ob es wirklich eine Zunahme „ungehemmter und exzessiver Gewalt“ gibt, wie Sie, Herr Minister Jäger, das immer wieder behaupten.
Es reicht eben nicht, Einzelfälle zu dramatisieren – in den Reden vorher ist das schon gemacht worden – und das als argumentative Grundlage für eine Breitseite an Repressionen gegen alle Fans zu nutzen. Personalisierte Tickets und kontrollierte Reisewege sind keine Lösungen, sondern Massenüberwachungen. Wir brauchen wissenschaftliche Erkenntnisse über die Fußballfanszenen, über die Gründe für Gewalt und über die besten Strategien gegen Gewalt. Da muss es auch um die gesellschaftspolitischen Fragen gehen.
Ich würde es wirklich sehr begrüßen, wenn wir nicht weiter so hysterisch über die Gewalt rund um Fußballspiele sprechen würden. Das ist dermaßen unklug, weil es diese aufgeheizte Stimmung erst produziert und immer neue Taten provoziert. Die Situation wäre meines Erachtens momentan nicht so angespannt, wenn man die Fans seit Anfang der Saison nicht pauschal, unüberlegt und extrem repressiv ins Visier genommen hätte. Die Fans finden es zum Beispiel nicht okay, dass das Zeigen eines Banners einen unverhältnismäßigen und gefährlichen Polizeieinsatz mit vielen Verletzten nach sich zieht.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Fans haben nicht vergessen, dass nach dem Polizeieinsatz bei dem Spiel Schalke gegen Saloniki bis heute keine Fehler zugegeben wurden. Sie haben auch nicht vergessen, dass Sie, Herr Minister, mit Drohungen dafür gesorgt haben, dass der Verein Schalke 04 seine scharfe Kritik an dem Einsatz zurückgenommen hat und dass Sie dem Verein sogar einen Maulkorb verpasst haben, um weitere Äußerungen zu verhindern.
Genau dieser „Maulkorb-Verein“ verhängt jetzt fast 500 Haus- und Stadionverbote.
(Zuruf von der SPD: Wie viele?)
Wie ist denn zu rechtfertigen, dass die Datenweitergabe von der Polizei an die Vereine ohne eingeleitetes Strafverfahren erfolgt?
Unschuldige Fans dürfen keine Stadionverbote bekommen, nur weil ihre Personalien von der Polizei festgestellt worden sind.
Wir müssen jetzt wirklich gegensteuern. Sonst verlieren wir die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht nur der Ultrafanszene endgültig. Dass die Ultragruppierungen im besonderen Fokus der Sicherheitsdebatte stehen, ist schlecht. Denn die Ultras gefährden durch ihre extrovertierte Art der Unterstützung ihrer Vereine die Sicherheit nicht.
Ich fasse zusammen. Wir fordern in unserem Antrag, dass Fans und Fanprojekte ernst genommen werden. Wir wollen, dass den Präventionsmaßnahmen, die zum Teil erst kürzlich eingeleitet wurden, Zeit zur Entfaltung gegeben wird. Wir wollen auch, dass Sie, Herr Minister Jäger, sich nicht weiter vor einem Dialog drücken, sondern aktiv nach Dialog suchen.
Es steht noch viel mehr in unserem Antrag.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Frank Herrmann (PIRATEN): Wenn Sie hier nicht alle so borniert wären, würden Sie ernsthaft über diese Vorschläge nachdenken. Trotzdem freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den einen macht man zu wenig, den anderen zu viel. Dann scheint man wohl mit seinen Maßnahmen in der goldenen Mitte zu liegen.
(Beifall von der SPD)
Ich glaube auch, dass wir in der Debatte um dieses Phänomen Gewalt im Sport, Gewalt im Fußball deutlich weiter sind als Teile der Debatte es heute versuchen darzustellen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Lürbke, ich will mich gar nicht darüber auslassen, ob wir nicht schon kürzlich einen ähnlichen Antrag von Ihnen diskutiert haben, sondern in der Tat versuchen, mich sachlich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
Die Zielrichtung ist ja dem Grunde nach richtig, auch wenn Sie Punkte möglicherweise nicht ganz präzise und gelegentlich sogar ganz falsch darstellen.
Ich glaube, was uns alle hier eint, ist: Fußball ist in Deutschland ein großartiges Erlebnis. Wenn man Vergleiche mit anderen Ländern in Europa zieht, beispielsweise Italien, beispielsweise England, dann stellt man fest, dass wir eine Stimmung, eine Ultra-szene, Choreografien in den Stadien haben, die ihresgleichen suchen. Genau diese Fankultur und diese Fußballkultur – das muss unser Ziel sein – wollen wir erhalten. Die brauchen wir für die Stimmung in den Stadien.
(Beifall von der SPD und Theo Kruse [CDU])
Aber wir müssen gleichzeitig feststellen, dass sich genau einige wenige Straftäter – da bin ich Frau Paul sehr dankbar für die Differenzierung – unter diese friedlichen Fans mischen und den Fußball instrumentalisieren, um von dort Gewalttaten und Straftaten ausüben zu können.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Müller zulassen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Müller.
Holger Müller (CDU): Schönen Dank, Herr Minister. Sie sprachen jetzt auch wieder die positiven Aspekte der Ultrakultur an. Das haben Sie auch vor einer guten Woche in einem WDR-Interview getan. Am selben Abend sagte in der „Lokalzeit Köln“ der Polizeipräsident von Köln, wesentliche Verursacher und Mitwirkende des Streites in der Kölner Innenstadt seien die Ultras gewesen. Können Sie mir bitte den vermeintlichen oder richtigen Widerspruch aufklären?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich will mir alle Mühe geben, Herr Müller. Es erklärt sich ganz einfach. Die Ultraszene ist eine äußerst heterogene Szene. Es gibt Menschen, die aus lauter Freude am Fußball, aus Begeisterung die ganze Woche lang nichts anderes tun, als sich auf ein Auswärtsspiel oder Heimspiel vorzubereiten und Choreografien vorzubereiten. Es gibt Ultras – ohne dass ich jetzt klassifizieren will –, die nicht nur das Fußballerlebnis suchen, sondern durchaus die Gewalt im Fußball nicht in konsequenter Weise verurteilen. Es gibt außerdem eine ganz, ganz kleine Gruppe von gewaltbereiten Ultras, die zum Fußball gehen, nicht um Fußball zu gucken, sondern eigentlich nur, um sich zu prügeln.
Aber wo Sie es schon einmal ansprechen, Herr Müller: Alle haben im Fußball Verantwortung, damit die Kultur erhalten bleibt, die ich gerade dargestellt habe. Da muss Polizei auch immer selbstkritisch eigenes Handeln, eigene Einsatzkonzepte hinterfragen, wenn Fans zu Recht sagen, dass, wenn sie auf Auswärtsspielen durch die Bundesrepublik fahren, sie bei den Länderpolizeien ganz unterschiedliche Einsatzkonzepte und ganz unterschiedliche Begegnungen erfahren.
Die Vereine müssen ihrer Rolle gerecht werden. Da ist übrigens der 1. FC Köln ein sehr gutes Beispiel, weil er zumindest mit einer gewaltbereiten Ultragruppe, nämlich der Wilden Horde, ganz klar umgegangen ist, sodass sich inzwischen die Ultraszene beim 1. FC Köln ganz überwiegend von dieser Wilden Horde distanziert.
Aber da haben eben auch diese Ultras die Verantwortung, sich von den wenigen Straftätern in diesen Reihen zu distanzieren, damit es ihnen nicht mehr möglich sein kann, sich hinter dem Rücken der friedlichen Fans zu verstecken. Sich klar zu distanzieren, ist auch eine Verantwortung der Ultraszene.
Ich meine, wir müssen drei Dinge stärker in den Fokus nehmen:
Den ersten Punkt hatte ich gerade schon angesprochen. Das ist die Verantwortung aller Beteiligten im Fußball.
Der zweite wichtige Punkt ist, mit dieser kleinen Gruppe von Intensivtätern anders umzugehen als in der Vergangenheit. Wir müssen uns mehr darauf konzentrieren, und zwar bundesländerübergreifend, dass wir die stärker in den Fokus nehmen. Beispielsweise sollte man darüber nachdenken, dass deren Strafverfahren, dass Ermittlungsverfahren in diese Gruppen hinein an einer Stelle konzentriert werden, beispielsweise am Wohnort, damit der Staatsanwalt, damit der Richter genau weiß, was diese Leute auf dem Kerbholz haben, damit Verfahren nicht gegen Auflagen eingestellt werden, sondern es tatsächlich zu Verurteilungen kommt.
Der dritte Punkt ist: Die Vereine müssen professionellere Ordnerkräfte in den Stadien haben, zertifizierte Ordnerkräfte. Es kann nicht sein, dass immer wieder Polizei in die Stadien muss, um eigentliche Ordnertätigkeiten durchzuführen, beispielsweise verfeindete Fangruppen voneinander fernzuhalten.
Ich glaube, dass der Ansatz, der jetzt gewählt worden ist beispielsweise beim Hochrisikospiel am 25. März Dortmund gegen Schalke, richtig ist. Beide Vereine reduzieren die Kartenkontingente für die Gästefans und setzen die sozusagen auf Bewährung aus. Gibt es weitere Auseinandersetzungen, wollen sie darüber nachdenken, das noch weiter zu reduzieren. Beiden Vereinen zolle ich Tribut dafür, dass sie es tun. Das ist auch gut so. Das ist auch Bestandteil der nordrhein-westfälischen Linie.
Drei weitere Dinge sind mir wichtig:
Wir müssen runter von den hohen Einsatzzahlen. 30 % der Arbeitskraft unserer Einsatzhundertschaften sind durch Fußball gebunden. Das ist dem steuerzahlenden Bürger nicht mehr zu erklären.
Das Zweite sind Meldeauflagen, die Sie angesprochen haben, Herr Lürbke. Ich habe Ihnen mal eine Meldeauflage mitgebracht, Herr Lürbke.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Dieses rechtliche Mittel wird konsequent genutzt. Aber eine Meldeauflage ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit. Das ist nur gedeckt durch die polizeiliche Generalklausel – sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in allen Bundesländern als auch bei der Bundespolizei. Es ist ein tiefer Eingriff in ein Grundrecht und deshalb sehr sorgfältig vorzubereiten. Es muss eine konkrete Gefährdung vorliegen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie wollen uns ja wohl nicht zum Rechtsbruch aufrufen, Meldeauflagen zu verfügen, die vor Verwaltungsgerichten keinen Bestand haben.
Nichtsdestotrotz haben wir uns umgetan und nachgefragt, wie andere Bundesländer mit solchen Meldeauflagen umgehen. Es ist überall das Gleiche: polizeiliche Generalklausel.
Wir haben aus zwei Gründen in Sachsen nachgefragt: weil Sie die Fans von Dynamo Dresden angesprochen haben und weil wir in Sachsen die einzige Landesregierung mit FDP-Beteiligung haben. Auch dort werden Meldeauflagen nur mit spitzen Fingern angefasst, weil sie verwaltungsgerichtlich so schwierig begründbar sind. Anders sieht es bei Bereichsbetretungsverboten aus, von denen wir in Nordrhein-Westfalen in der Saison 2012/2013 über 1.000 verhängt haben.
Ich will noch einen dritten Punkt ansprechen, den Herr Lohn und Herr Herrmann erwähnt haben: Fankongress. Ich sei dem Dialog ausgewichen oder habe mich dem Dialog verweigert.
Herr Lohn, die Fanvereinigungen ProFans und Unsere Kurve haben diesen Kongress in Berlin durchgeführt und mich vier Tage vorher schriftlich eingeladen. Ich will meine Rolle nicht überbewerten, aber ich kenne auch keinen anderen Innenminister, der zu Hause auf der Couch sitzt und auf eine solche Einladung wartet. Ich habe bedauerlicherweise nicht zusagen können. Ich habe nie abgesagt, den Fanvereinigungen aber jetzt einen zusätzlichen Brief geschrieben: Ich fordere Sie dringend auf, mit mir ins Gespräch zu gehen. Ich habe übrigens schon viele Dutzend Gespräche mit Fanorganisationen geführt.
Mein Fazit: Wenn wir dieses Phänomen mehr in den Griff bekommen wollen, geht es nur mit zwei Maßnahmen: konsequente Repression gegenüber den wenigen Straftätern – wir versuchen, zwischen den Ländern zu koordinieren, wie ich es gerade dargestellt habe – und klarer Dialog in die Fanszene hinein. Wir müssen den Schulterschluss zwischen Verein, Polizei und den friedlichen Ultras hinkriegen, um der Gewalt wirksam zu begegnen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, bitte bleiben Sie am Redepult. – Herr Kollege Düngel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Und Herr Lohn wollte Ihnen eigentlich eine Zwischenfrage stellen, die jetzt durch Verfristung leider nicht möglich ist. – Bitte.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Jäger, zunächst bin ich Ihnen für das Eingangsstatement sehr dankbar, in dem Sie auf die Bedeutung des Fußballs und die vielen Aktivitäten gerade der Ultragruppierungen hingewiesen haben.
Auf die Ultras will ich kurz eingehen. Gerade haben Sie selber davon gesprochen, wie heterogen die jeweiligen Ultragruppen sind. Ein bisschen verwundert war ich, dass Sie die Maßnahmen gegen die Wilde Horde Köln als außerordentliches positives Beispiel darstellen, weil auch die Wilde Horde Köln eine sehr heterogene Truppe ist. Die dort ausgesprochenen Kollektivstrafen haben sicherlich auch Menschen, Fans getroffen, die sich nicht viel bzw. nichts haben zuschulden kommen lassen.
Mit den Meldeauflagen, Herr Lürbke, komme ich tatsächlich nicht klar. Herr Minister Jäger, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, dass Sie das auch gesagt haben. Dass gerade die FDP fordert, Meldeauflagen durchzusetzen, die so intensiv in das Grundrecht eingreifen, ist schon außerordentlich bedauerlich.
Zum Dialogpunkt Fankongress: Herr Minister Jäger, Sie haben gerade gesagt, vier Tage vorher bekommen Sie die Einladung. Selbstverständlich verstehe ich, dass man das möglicherweise zeitlich nicht mehr schafft. Ich persönlich habe mich im Oktober letzten Jahres zum Fankongress angemeldet. Der Kollege Herrmann und ich waren als einzige Vertreter einer im Landtag vertretenen Fraktion vor Ort. Wir haben uns dem Dialog gestellt und tolle Gespräche geführt. Ich finde es schade, dass es ansonsten niemand aus diesem Hause auf dem Schirm hatte, …
Präsidentin Carina Gödecke: Die Zeit.
Daniel Düngel (PIRATEN): … gerade auch der Innenminister.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Düngel. – Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Um es deutlich zu sagen: Ich war nicht eingeladen; aber ein Amtskollege von mir, der kurzfristig absagen musste. Dann habe ich die schriftliche Einladung auf dem Postwege bekommen; das war zu kurzfristig. Ich bin auch diesen Fangruppen gegenüber zu jedem Zeitpunkt – Tag und Nacht – bereit, den Dialog zu führen. Ich habe ihnen das noch einmal deutlich angeboten.
Zu den Meldeauflagen würde ich als zuständiger Minister für Polizei gerne sagen: Man kann sich eine andere Rechtsgrundlage vorstellen, mit der die Polizei effektiver und schneller Meldeauflagen verfügen kann.
Aber als Minister, der für die Verfassung zuständig ist, sage ich Ihnen ganz ehrlich: Das ist ein so tiefgreifender Grundrechtseingriff, dass er insbesondere vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit sehr sorgfältig geprüft werden muss. Denn eines ist auch klar: Solche Meldeauflagen gelten dann möglicherweise nicht nur für Fußballspiele, sondern auch für Demonstrationen oder Ähnliches. Das ist meins Erachtens kein geeignetes Mittel, um effektiv und wirksam alle Probleme im Zusammenhang mit Gewalt und Fußball zu beseitigen, und ist unter verfassungsrechtlichen Aspekten äußerst sorgfältig zu prüfen.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, bitte bleiben Sie noch einmal am Rednerpult. Herr Kollege Lohn wird mit einer Kurzintervention auf Sie reagieren.
Werner Lohn (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die Gelegenheit zu der kurzen Zwischenintervention, wenn es denn so etwas gibt. – Herr Minister, Sie haben anfangs ausgeführt, dass die Choreografie und die Stimmung in den Stadien deutschlandweit vorbildlich ist. Dem können die meisten in diesem Hause sicherlich zustimmen. Nicht ganz nachvollziehen kann ich, dass Sie versuchen, ein Gegensatzpaar aufzubauen: auf der einen Seite gute Stimmung im Stadion, schöne Choreografie und andererseits gleichzeitig die Verhinderung von Gewalttaten. Ich glaube, das ist kein Gegensatz. Denn die Gewalttäter sind nicht diejenigen, die die Choreografien aufführen. Das ist das eine.
Zum Thema „Fandialog“: Sie haben sich entschuldigt und gesagt, die Einladung sei zu kurzfristig gekommen. – Ich gehe davon aus, dass Sie vorher nicht telefonisch abgesprochen war. Das wollen wir auch nicht weiter thematisieren. Wichtig ist nur – deswegen habe ich eben den GdP?Vertreter zitiert –, auf die friedlichen Fans zuzugehen. Denn nur durch eine Verhaltensänderung bei den friedlichen Fans erreichen wir das Ziel, dass sie sich nicht nur verbal, sondern auch räumlich von den Gewalttätern distanzieren, um die Polizei überhaupt in die Lage zu versetzen, dort einzuschreiten.
Sie haben auch gesagt, konsequent gegen die wenigen Kriminellen vorgehen zu wollen. Jetzt mal Butter bei die Fische! Was sind für Sie konsequente, konkrete Maßnahmen gegen diese Kriminellen? Die Meldeauflagen kommen anscheinend für Sie nicht in Betracht. Wie gedenken Sie mit der neuen Rolle von immer mehr Ultras umzugehen, die jetzt doch zu mehr Gewalt neigen, als es früher der Fall gewesen ist? Wie gedenken Sie damit umzugehen, dass ortsfremde Rechtsradikale aktiv werden und sich mit irgendwelchen gewalttätigen Fans verbünden, um Randale zu machen? – Danke schön.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Lohn, ich habe ein bisschen das Gefühl, die Debatte der letzten 35 Minuten ist völlig an Ihnen vorbeigerauscht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir müssen versuchen, nicht zu pauschalieren, sondern sehr genau zu differenzieren.
(Beifall von der SPD)
Nur wenn wir differenzieren, können wir erfolgreich sein.
Ich mache es noch mal deutlich: Anders als Sie in Ihren Wortbeiträgen, wo Sie alle in einen Sack schmeißen, muss man die Fanszene, insbesondere die Ultraszene, sehr differenziert betrachten. Es sind einige wenige Straftäter, die sich in die Ultra-szene mischen, um sie als anonyme Masse zu nutzen, nicht um Fußball zu gucken, sondern um Straftaten zu begehen.
(Werner Lohn [CDU]: Was machen Sie gegen die?)
Herr Lohn, ich will Ihnen gerne noch einmal das Intensivtäterkonzept erklären – wenn ich das im Rahmen von eineinhalb Minuten machen darf. Es geht darum, dass wir die wenigen Straftäter, die die Fanszene benutzen und instrumentalisieren, viel genauer in den Fokus nehmen können, und zwar nicht nur als Polizei, sondern insbesondere auch mit den Mitteln der Strafverfolgung: dass der Staatsanwalt auf Schalke weiß, was ein bestimmter Straftäter in München, in Hamburg oder in Berlin an Straftaten begangen hat, dass das zusammengeführt wird und wir tatsächlich zu effektiveren Strafverfolgungsmethoden kommen.
Herr Lohn, ich mache Ihnen jetzt noch ein Angebot: Lassen Sie uns etwas sachlicher über das Thema „Gewalt und Fußball“ diskutieren, nicht solche Hau-drauf-Argumente, auch die Fanszene und die Fankultur respektierend. Denn nur durch eine differenzierte Betrachtungsweise können wir im Schulterschluss mit den friedlichen Ultras eine ganz klare Distanzierung zu den Straftätern erreichen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei seinem ursprünglichen Redebeitrag hatte der Minister die Redezeit um 2 Minuten 17 Sekunden überzogen. Jetzt hat er ein weiteres Mal überzogen, sodass ich jeder Fraktion noch einmal 2 Minuten 20 Sekunden zugestehen würde, wenn Sie die denn nutzen möchten. – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4820 einschließlich des Entschließungsantrags der Fraktion der Piraten Drucksache 16/4896 an den Innenausschuss – federführend –, an den Sportausschuss, an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dem widersprechen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit haben wir einstimmig überwiesen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
8 Fair Play bei internationalen Sportgroßveranstaltungen
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4808
Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Bischoff für die SPD-Fraktion das Wort.
Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Freitag in einer Woche, am 7. Februar 2014, erleben wir – wer es denn mag – die Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Winterspiele in Sotschi. Unser Antrag zum Thema „Fair Play bei internationalen Sportgroßveranstaltungen“ ist also höchst aktuell.
Die Diskussionen über den Ausrichtungsort, das Ausrichtungsland der Winterspiele in Sotschi machen es notwendig und lassen es sinnvoll erscheinen, auch an dieser Stelle über einige Grundprinzipien und grundlegende Menschenrechte im Zusammenhang mit sportlichen Großveranstaltungen zu diskutieren, an diese zu erinnern und dieselben anzumahnen.
Zunächst einmal zu den Rahmenbedingungen. Die internationalen Sportorganisationen bekennen sich in ihren Statuten in unterschiedlicher Weise zum Fairplay und verurteilen Diskriminierung aufgrund von Religion, sexueller Identität, ethnischer Herkunft, politischer Gesinnung oder Geschlecht. Das Internationale Olympische Komitee, das IOC, bekennt sich in der Olympischen Charta unter Punkt 4, den fundamentalen Prinzipien zum Olympischen Geist, unmissverständlich zum Sport als Menschenrecht für alle.
Das wäre im politischen Umfeld das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Dass die Menschenrechte in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, brauche ich an dieser Stelle nicht zu erwähnen.
Ich will noch darauf hinweisen, dass die deutsche Sportministerkonferenz – und damit auch unsere Sportministerin aus NRW – ausdrücklich die Berliner Erklärung der UNESCO-Weltkonferenz der Sportministerinnen und Sportminister begrüßt hat. In ihr haben 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 128 Staaten die internationalen Rechtsakte im Bereich der Menschenrechte bekräftigt und das grundlegende Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zum Sport und auf Teilhabe zum Sport noch einmal unterstrichen und gewürdigt. Das Ganze war zeitaktuell am 30. Mai 2013, also sicherlich auch im Blick auf die Veranstaltung in Sotschi, in Russland; das wird kein Zufall sein.
So viel zu den Rahmenbedingungen.
Gleichzeitig haben wir die Diskussionen, die wir alle kennen, über das Ausrichterland Russland, über – wie soll ich es formulieren? – merkwürdige, fragwürdige juristische Prozesse, die dort stattfinden, in den letzten Wochen ergänzt durch plötzliche Amnestien für die, die in solchen Prozessen verurteilt worden sind – zumindest in Einzelfällen nehme ich das über die Medien wahr –, und über das jüngst verabschiedete „Gesetz gegen Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen“. Schon dieser Name zeigt, dass eigentlich verborgen werden soll, dass es da um Schwule und Lesben geht und um die Diskriminierung von Schwulen und Lesben bzw. die Propaganda solcher sexuellen Orientierungen.
Wir haben eine Diskussion. Wir haben die Diskussion auch von mutigen Sportlerinnen und Sportlern, die sich dieses Themas annehmen. Dabei ist mir wichtig, zu betonen: Es kann eigentlich nicht sein, dass die Sportlerinnen und Sportler diese Diskussion führen müssen. Die Rahmenbedingungen solcher sportlicher Großveranstaltungen sind zum einen die Sportorganisationen, die sie vergeben haben, aber auch Gesellschaft und Politik. Wir sollten die Sportlerinnen und Sportler also nicht alleine lassen, sondern das auch hier diskutieren.
Die Diskriminierung von Schwulen und Lesben hat nach meiner Kenntnis eine relative Tradition in Russland. Deswegen macht es Sinn, das besonders herauszustreichen.
Was auch Sinn macht, ist, dass der Veranstalter im Fokus einer solchen Diskussion steht – das finde ich gut so –, dass wir mit unserer Diskussion heute einen Beitrag dazu leisten, den Veranstalter und seine Beachtung oder Nichtbeachtung von Menschenrechten genau in den Fokus zu stellen, damit dieser Fokus auf Einhaltung der Menschenrechte stärker wird – auch in Nordrhein-Westfalen und auch durch den Landtag, durch uns als Vertretung der Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen.
Ich verbinde das mit der Hoffnung, dass zukünftige Veranstalter von sportlichen Großereignissen sehr wohl im Vorfeld wissen, dass ein Fokus auf sie gerichtet wird, dass der Fokus der Welt auf sie gerichtet wird. Die Augen der Welt sind ja bereits ein Stück weit auf Russland gerichtet und werden übernächsten Freitag noch ein Stückchen weiter dorthin gerichtet sein.
Es ist in der Tat das Positive an solchen Großereignissen, dass die Veranstalter wissen, dass der Fokus auf sie gerichtet ist und dass sie dann eben auch öffentlich in der Diskussion stehen, wenn sie bestimmte Menschenrechte nicht einhalten.
Ich bitte daher um Unterstützung dieses Antrags und würde mich freuen, wenn wir hier zu einem breiten Konsens in dieser Frage kommen könnten. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.
Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi ist in den letzten Wochen und Monaten viel berichtet und debattiert worden. Da ist die Frage nach Gigantismus gestellt worden. Nie haben Olympische Spiele mehr gekostet als die Olympischen Winterspiele in der Sommerfrische von Sotschi. Es ist über Umweltzerstörung diskutiert worden; jüngst ist über die Sicherheitslage diskutiert worden, und natürlich ist auch über die Rechte von Oppositionellen diskutiert worden.
Ein Thema aber dominiert die Berichterstattung wie kein anderes, das ist der Umgang mit Minderheiten – ganz speziell mit den Rechten von Lesben und Schwulen in Russland. Dass der verwerfliche Umgang mit Homosexuellen im Zuge der Spiele von einigen demokratischen Vertretern und Vertreterinnen scharf angefochten wird und Politiker – wie beispielsweise Barack Obama oder auch Bundespräsident Gauck – die Teilnahme an den Olympischen Spielen abgesagt haben, macht schon einen gewissen Eindruck. Dass das offensichtlich auch auf den russischen Präsidenten Putin einen gewissen Eindruck gemacht hat, lässt sich daran ablesen, dass er den Versuch gestartet hat, die ganze Geschichte positiv aus seiner Sicht zu wenden. Er äußerte nämlich, Homosexuelle könnten ruhig nach Sotschi kommen und sich dort wohlfühlen, wenn sie die Kinder in Frieden lassen würden.
Ich finde, das zeigt: Homophobie ist in der russischen Gesellschaft und offensichtlich in der russischen Staatsführung tief verankert; denn hier werden bestimmte Assoziationen aufgerufen – wie beispielsweise, dass Homosexualität eine Krankheit ist, dass sie auch eine gewisse staatszerstörerische Ideologie darstellt. Mit dem „Kinder in Frieden lassen“ wird nicht zuletzt assoziiert, dass Homosexualität und Pädophilie irgendwie in eine Kategorie gehören. Das ist zynisch von Präsident Putin und in keiner Art und Weise ein Bekenntnis zur Olympischen Charta. Das sollte man ihm so auch nicht durchgehen lassen. Wir sollten das sehr eindeutig benennen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Weiterhin erklärt Präsident Putin, dass die Olympischen Spiele in voller Übereinstimmung mit der Olympischen Charta ohne irgendwelche Diskriminierung veranstaltet werden. Wenn ich mir das Zitat von vorhin anschaue, frage ich mich, was das eigentlich heißen soll. Und was heißt eigentlich „in voller Übereinstimmung mit der Olympischen Charta“?
Wenn wir uns ansehen, was zum einen in den letzten Jahren in Russland – Kollege Bischoff hat es bereits erwähnt – passiert ist und zum anderen, welche staatliche Repression Lesben und Schwule durch das „Gesetz gegen Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen“ zu erwarten haben, erkennen wir, dass das nicht nur mit staatlicher Diskriminierung zu tun hat, sondern dadurch wurde auch eine gesellschaftliche Atmosphäre geschaffen, in der durch Menschenrechtsorganisationen immer wieder über offene Anfeindungen und Angriffe berichtet wird. In dieser Atmosphäre kann man sicherlich nicht davon sprechen, dass Lesben und Schwule dort ohne Diskriminierung und mit Offenheit empfangen werden.
Außerdem stehen diese Aussagen auch im Widerspruch zur offiziellen russischen Seite. Das heißt, wir stehen nach wie vor vor der Situation, dass es keine Klarheit für die Sportlerinnen und Sportler gibt; denn wir wissen noch nicht einmal genau, was unter „Propaganda“ fällt. Wenn ich jetzt zu den Olympischen Spielen fahren würde – gesetzt den Fall, ich hätte das Talent, dort irgendwie teilzunehmen – und anschließend, weil ich mich so freue oder weil ich so traurig bin, meine Frau küssen und Trost oder gemeinsames Jubeln suchen würde, müsste ich mich fragen: Ist das schon „Propaganda“? Oder ist das vielleicht einfach ein Ausdruck meiner Lebensweise? Das ist nicht geklärt. Dementsprechend wissen die Sportlerinnen und Sportler auch nicht, ob sie sich dort nun wohlfühlen können oder ob sie vielleicht doch der Strafverfolgung durch den russischen Staat ausgesetzt sind.
Das Ganze wird leider auch nicht durch die Olympische Charta aufgeklärt. In Punkt 4 der grundlegenden Prinzipien – Kollege Bischoff hat es gerade schon gesagt – wird der Sport als Menschenrecht und diskriminierungsfreier Raum deklariert. Auch das Ausleben meiner sexuellen Orientierung und der sexuellen Identität ist eigentlich durch die Menschenrechte geschützt. Allerdings ist das der Punkt, wo auch wir als Sportpolitik gefordert sind, Klarheit vor den Sportverbänden und auch vom Internationalen Olympischen Komitee einzufordern. Das IOC verweist immer gerne auf Regel 50, wonach jede Form von Werbung auch politischer Natur und Propaganda bei Olympischen Spielen bzw. an olympischen Austragungsstätten verboten ist.
Nun frage ich mich allerdings – ich habe es gerade schon gesagt – an der Stelle: Ist eigentlich meine Lebensweise per se politische Propaganda? Ist Homosexualität politische Propaganda? Oder ist es vielleicht doch eher eine Lebensweise, die den Schutz durch die Menschenrechte verdient?
Aus meiner Sicht korrumpiert das IOC – deshalb haben wir diesen Antrag auch so gestellt – an der Stelle seine eigene Charta.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Für uns steht fest: Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Homosexualität ist keine politische Ideologie, sondern Teil der Persönlichkeit und einer Lebensweise.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der organisierte Sport muss die Verantwortung für die Menschenrechte ernst nehmen. Das gilt für den DOSB, für das IOC und auch für seinen deutschen Präsidenten Dr. Thomas Bach.
Regel 50 der Olympischen Charta darf nicht dazu herhalten, Regime zu schützen, die sich gegenüber Minderheiten diskriminierend verhalten, wie das im Moment der Fall ist. Er schützt im Moment das diskriminierende und menschenverachtende Regime eines Wladimir Putin gegenüber der von Menschenrechtsorganisationen zu Recht eingeforderten Menschenrechtspolitik. Das darf nicht sein. An dieser Stelle muss das IOC klarstellen, was es meint.
Zum Abschluss möchte ich noch ein kurzes Zitat von Theo Zwanziger im aktuellen „Cicero“ bringen. Er hat nämlich – und dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen – geschrieben:
„Sportereignisse zählen zu den Kernbereichen der Gesellschaft, werden von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gesehen und haben damit Bezug zu deren Alltagsleben. Abstinenz in Menschenrechtsfragen ist deshalb nicht nur ethisch, sondern auch praktisch völlig unsinnig.“
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Jung.
Volker Jung (CDU): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst noch auf den Punkt kommen, dass Frau Paul Innenminister Jäger aufgefordert hat, für den MSV Duisburg Tore zu schießen. Als Präsident des FC Landtag darf ich dem Minister vielleicht ausrichten, dass er die demnächst beim FC Landtag schießen darf. Er ist herzlich eingeladen.
Kommen wir nun zu einem anderen sportpolitischen Thema: Am Freitag in einer Woche eröffnen die Olympischen Winterspiele von Sotschi. Die Welt des Sports rückt wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Sportfamilie kommt dann wieder zusammen, und mittels modernster Kommunikationsmittel werden die Spiele in alle Teile der Welt – bis in den letzten Winkel unseres Planeten – übertragen.
Sicher: Sport verbindet. Ganz im Sinne des Gründers der Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, sind alle Athleten im Prinzip der Gleichheit im Kampf um die beste Leistung verbunden. So hat es auch das IOC in der Olympischen Charta in Punkt 4 der grundlegenden Prinzipien ganz fest manifestiert und niedergeschrieben.
Die hohe Aufmerksamkeit rückt dann aber auch das ausrichtende Land in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
Diese Aufmerksamkeit sowie der Anspruch des Sports an die olympische Idee sind eine unglaubliche Chance zur Verständigung und Annäherung, gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung hinsichtlich länderübergreifender Einigkeit. Gerade hier sehen wir eine Schwierigkeit des von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrags.
Mit Blick auf die Autonomie des Sports müssen die Sportverbände jegliche politische Instrumentalisierung vermeiden. Der Sport selbst trägt mit seinen Mitgliedsorganisationen auch die Verantwortung für die Werte, die sie sich selbst gegeben haben. Deshalb läuft auch die Antragsforderung an die Bundesregierung, sich im internationalen Sport für Fairplay einzusetzen, ins Leere.
Zum Ersten ist es im Sinne der Autonomie nicht die Bundesregierung, sondern sind es die autonomen Nationalverbände wie DOSB oder DFB, die sich bei den internationalen Sportverbänden wie IOC oder FIFA für eine stärkere Berücksichtigung der übergeordneten Werte einzusetzen haben. Das gilt zum Beispiel für das Vergabeverfahren von Großveranstaltungen.
Liebe antragstellende Fraktionen, nach Ihrer Logik hätten wir dann im Novemberplenum vergangenen Jahres an gleicher Stelle mit Blick auf sportliche Großereignisse nach dem Phantomtor von Hoffenheim auch folgenden Antrag stellen müssen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich im nationalen wie internationalen Fußball für die Einhaltung von Fairplay und sportlicher Gerechtigkeit einzusetzen.
Als ehemaliger DFB-Schiedsrichter hätte ich damals gesagt: Inhaltlich ist das durchaus interessant, und ich habe sehr viel Sympathie für den Antrag – wie ich auch für den heutigen Antrag inhaltlich durchaus Sympathie habe. Aber: Hier geht es nicht um Sympathie, sondern Zuständigkeiten. Ich stelle fest: Das ist weder unsere Spielwiese noch unsere Piste.
Zum Zweiten setzt sich die Bundesregierung – Herr Bischoff hat es bereits ausgeführt – im Rahmen der Berliner Erklärung, die im Anschluss an die UNESCO-Weltkonferenz der Sportminister veröffentlicht wurde, bereits in der internationalen Sportpolitik auf staatlicher Ebene für diese Umsetzung im Europarat und in der Konvention ein. – Fazit: Die Forderung ist somit nicht präzise und überholt.
Ihre zweite Antragsforderung, die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, dass die Athleten weder diskriminiert noch für solchen Einsatz sanktioniert werden, ist bei genauer Betrachtung gegenstandslos. Bei sportlichen Wettkämpfen in Deutschland stellt sich nämlich das Diskriminierungsproblem im Wettkampf nicht. Im internationalen Bereich und mit Blick auf die Olympischen Spiele in Sotschi haben das IOC und auch die russische Regierung dies bereits formell garantiert.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Politische Bekundungen von Athleten im Wettkampf selbst sind zu unterlassen. Außerhalb des direkten Wettbewerbs ist das kein Problem.
Insgesamt halten wir den Antrag von Rot-Grün in weiten Teilen für inhaltsleer. Allerdings möchten wir das wichtige Thema nicht weiter aufladen und politisieren, denn Sport verbindet ja bekanntermaßen. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.
Zum Schluss wünschen wir allen Athleten – unabhängig von Religion, sexueller Identität, ethnischer Herkunft, politischer Gesinnung oder Geschlecht – erfolgreiche Olympische Spiele in Sotschi, aber vielleicht den deutschen Sportlern etwas mehr an Können und Glück. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lürbke.
Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns durch den rot-grünen Antrag – das zeigt auch die bisherige Debatte – mit mehreren Themen: Meinungsfreiheit, Diskriminierung, Russland, künftige Austragung internationaler Sportgroßveranstaltungen und Olympische Charta. – Diese zahlreichen Themen haben Sie kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele schnell noch zu einem Antrag gestrickt, dessen Wirkung aber, so befürchte ich, leider recht schnell verpuffen wird.
Zwei von drei Forderungen richten sich an die Bundesregierung. Also haben wir dort gar keine originäre Zuständigkeit. So werden die von Ihnen angesprochenen Themen nicht entsprechend gewürdigt. Das finde ich schade, und zwar insbesondere deshalb, weil Sie die parlamentarische Behandlung heute gleich per Direktbeschluss ad acta legen wollen.
Wir Liberale haben uns im vergangenen Herbst mit dem Thema „Diskriminierung im Sport“ sowohl im internationalen wie auch im nationalen Umfeld im Rahmen einer Klausurtagung ausführlich befasst und damit auseinandergesetzt. Wir haben auch eine Resolution verabschiedet, die den Titel „Für mehr Respekt und Toleranz – Gegen Diskriminierung im Sport“ trägt. Diese Resolution haben wir einstimmig beschlossen.
Ich möchte die Chance nutzen, ganz kurz darauf einzugehen: Unsere Resolution ist nämlich weiter gefasst als Ihr rot-grüner Antrag. Diese Resolution zielt nämlich nicht nur gegen die Diskriminierung im internationalen Sportumfeld – insbesondere im Ausland –, sondern auch gegen die Diskriminierung hier in Nordrhein-Westfalen.
In unserer Resolution haben wir uns auch mit dem Thema „Homophobie und Coming-out bekannter Sportler“ auseinandergesetzt. Denn bis heute werden Homosexuelle in Deutschland beziehungsweise in Nordrhein-Westfalen noch nicht als eine Selbstverständlichkeit akzeptiert. Die Schritte in diese Richtung – das ist zu würdigen – wurden zuletzt von der alten schwarz-gelben Bundesregierung unternommen. Ich erwarte, dass dieser Prozess auch von der neuen Bundesregierung weitergegangen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, genau diese geschilderten Aspekte fehlen in Ihrem Antrag leider vollkommen. Ich bedauere, dass Sie mit dem vorliegenden Antrag zwar durchaus Luft aufwirbeln, aber eigentlich kein echtes Zeichen in der Sportwelt setzen. Das wäre eine gute Chance gewesen. Der Antrag verdient von uns aus leider keine Medaille in Form unserer Zustimmung. Aber wir stellen uns auch nicht quer, sondern werden uns enthalten.
Ich will noch einmal in die Details gehen: Ihr Antrag intoniert unter anderem, dass sich die Bundesregierung gegen eine nichtstaatliche, also in der Hinsicht unabhängige Sportorganisation wie dem IOC während der Austragung der sportlichen Wettkämpfe stellen soll. Weiterhin gibt einem der Antrag schon zu denken, wenn künftig internationale Sportfeste nur in Ländern ausgetragen werden sollen, die die Menschenrechte wahren.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie ausschließlich so argumentieren, werden das nicht sehr viele Staaten sein. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Sie sportliche Großveranstaltungen dazu nutzen wollen, Mauern aufzubauen; denn es handelt sich indirekt um einen Boykottaufruf. Das wiederum wird dazu führen, dass es künftig keine sportlichen Groß-events mehr geben wird. An der Stelle schimmert, wie ich finde, die grüne Handschrift dick und fett durch. Der Antrag ist letztendlich nichts anderes als der in den Landtag getragene Boykottaufruf Ihres grünen Bundestagsfraktionschefs Hofreiter, meine Damen und Herren.
Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, Sie unterstützen diesen Antrag und stellen sich damit klar gegen Ihre eigene Bundesregierung. Das finde ich schon bemerkenswert.
(Widerspruch von Ministerin Barbara Steffens)
Aber zurück zur Sache. Wir Liberale wollen genau das Gegenteil und Mauern niederreißen. Auch wir fordern die vollständige Diskriminierungsfreiheit unserer Leistungssportler während der Olympischen Spiele, aber nicht durch einen Boykott während der Olympischen Winterspiele. Denn gerade der Sport ist doch auf friedlicher Basis ein hervorragender Eisbrecher für Völkerverständigung.
(Beifall von der FDP)
Sportfeste im großen wie im kleinen Format tragen doch dazu bei, dass Vorurteile und Differenzen abgebaut werden können. Hier entsteht Raum für Dialoge. Wir wollen weiter Brücken bauen für Toleranz und Respekt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piraten spricht Kollege Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Wir reden über Fair Play im Sport. Deshalb möchte ich Frau Kollegin Paul und Herrn Kollegen Bischoff danken, dass sie dieses Thema in den Landtag einbringen. Ich kann vorwegnehmen, dass wir Ihrem Antrag am Ende zustimmen werden, weil er richtig ist und weil er wichtig ist.
Allerdings gibt es durchaus Kritikpunkte an dem Antrag, und auf diese möchte ich zu Beginn eingehen.
Zum einen – das hatte ich dem Kollegen Bischoff gerade bereits zugeworfen – kommt der Antrag viel zu spät. Mit der Thematik haben wir es im Prinzip spätestens seit August letzten Jahres zu tun, da die Sportwelt genau weiß, was mit den Olympischen Spielen in Sotschi auf sie zukommt. Daher wäre es schön gewesen, wenn wir schon zum damaligen Zeitpunkt über diesen Antrag geredet hätten. Selbstverständlich hätten auch wir Piraten ihn einbringen können. Das haben wir genauso wenig gemacht. Ich wollte es einfach einmal erwähnen. Denn eine Woche vor Sotschi klingt natürlich schon eine gehörige Prise Populismus mit.
(Volker Jung [CDU]: Ach nee!)
Ich hätte mir gewünscht – es ist ein bisschen schade, dass das jetzt so gelaufen ist; vielleicht ist das auch der Kürze der Zeit geschuldet –, dass wir als Landtag Nordrhein-Westfalen in dieser wichtigen Debatte tatsächlich ein gemeinsames Statement abgegeben hätten. Das kriegen wir aber nicht mehr hin. Wir stimmen den Antrag direkt ab. Das ist auch logisch. Denn die Olympischen Spiele in Sotschi können wir nicht mehr verschieben. Aber wir hätten diesen Antrag früher einbringen sollen. Ich glaube, dass wir auch die CDU und die FDP auf den richtigen Weg gebracht hätten, der in einigen Punkten sicherlich derselbe ist. Aber das ist leider nicht erfolgt. Insofern ist es schade, dass wir „nur“ den rot-grünen Antrag haben.
Im Antrag steht, dass die Landesregierung handeln soll. Ich würde gleich gerne von der Landesregierung hören, was denn dann morgen passiert. Der Antrag wird vermutlich gleich mit Regierungsmehrheit und unserer Zustimmung angenommen werden. Ich bin schon gespannt, wie die konkrete Handlung der Landesregierung aussieht. Was tut die Ministerin morgen? Wird der Außenminister angerufen, um sich noch einmal dafür einzusetzen? Oder was passiert tatsächlich? – Ich bin sehr gespannt auf die Antworten. Gucken wir einmal, was passiert.
Wir Piraten finden es natürlich gut, wenn Politiker gegen Diskriminierung kämpfen. Diskriminierung in jeglicher Form ist zu verurteilen. Herr Kollege Lürbke hatte gerade schon gesagt: Wenn sich Sportler hier in Nordrhein-Westfalen bzw. in Deutschland outen, ist es etwas Besonderes. – Ich finde es schade, dass es etwas Besonderes ist. Wenn sich Hitzlsperger als schwul outet, dann ist es meiner Meinung nach eine Frechheit, dass wir tagelang nichts anderes in der Presse lesen, außer dass sich ein Fußballer geoutet hat und sagt: Hey, ich bin homosexuell. – Wo ist das Problem? Das sollte selbstverständlich und überhaupt nicht erwähnenswert sein.
Viel schlimmer ist allerdings der Zustand in Russland. Frau Kollegin Paul hat bereits Putin zitiert. Ich nehme noch den Bürgermeister von Sotschi, Pachomow, dazu. Er sagt, in Sotschi gebe es keine Homos. Natürlich gibt es die nicht. Er wird sicherlich recht haben. Was ist das für ein Vogel?!
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)
Die Olympische Charta ist auch schon angesprochen worden. Wir als Piraten sind der Meinung, dass Sportler, sofern sie irgendwo auftreten oder auf der Bühne stehen, gerade aufgrund ihrer exponierten Rolle die Pflicht haben, auf politische oder gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.
(Volker Jung [CDU]: Aber nicht während der Wettkämpfe!)
Gerade Spitzensportler sollten sich immer äußern dürfen, weil es ihr verdammtes Recht ist. Menschen müssen Missstände aufzeigen können, egal wo, weil es eben ihr Recht ist. Wenn Sportler – ich sagte es gerade – dafür ihre Bühne nutzen, wenn Sportler auf einem Podium stehen und beispielsweise eine Goldmedaille bekommen, dann sollten sie das auch dort tun.
Es gibt viele Beispiele aus der Vergangenheit dazu, etwa Carlos und Smith 1968 in Mexiko, die entsprechend ihre Unterstützung gezeigt haben. Das ist für uns unterstützenswert. Und die Vergangenheit zeigt immer wieder: Wenn Sportler das getan haben, sind sie in dem Moment dafür abgestraft worden. Später, in der Zukunft, ist ihnen das jedoch irgendwann honoriert worden. So war es auch bei Carlos und Smith, die 2008, also 40 Jahre später, den Arthur Ashe Courage Award dafür bekommen haben.
Ich hatte eingangs gesagt, wir werden dem Antrag zustimmen. Wir haben die Bedenken, dass der Antrag zu diesem Zeitpunkt reiner Populismus ist. Trotz der Tatsache, dass wir das Thema nicht weiter im Landtag beraten, werden wir zustimmen.
Wir Piraten wollen eine Sportwelt, an der jeder teilhaben kann – egal, ob er Mann, Frau oder transsexuelles Eichhörnchen ist, egal, mit welcher Sexualität er lebt. Wir wollen eine Gesellschaft, in der jeder teilhaben kann.
Wir leben in diesem Parlament sachorientierte Entscheidungen vor. Deswegen stimmen wir Ihrem Antrag zu. – Vielen Dank dafür.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die olympische Idee ist mit dem Wertekanon der Menschenrechte eng verbunden. So lautet eines der fundamentalen Prinzipien der olympischen Bewegung, die Teil der Olympischen Charta sind:
Das Sporttreiben ist ein Menschenrecht, und jedem Menschen soll der Zugang zum Sport ermöglicht werden, und zwar ohne Diskriminierung, im gegenseitigen Verständnis, im Geist der Freundschaft, der Solidarität und des Fair Play.
Es ist gut, dass diese Grundüberzeugung in dem vorliegenden Antrag heute im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi noch einmal deutlich von diesem Landtag bekundet wird.
Und, Herr Jung, es geht in diesem Antrag um die Menschenrechte. Es geht nicht um den Eingriff in die Autonomie des Sports, wie Sie es missinterpretiert haben.
(Beifall von der SPD – Volker Jung [CDU]: Das steht auch drin!)
Die Menschenrechte – und das ist elementar – sind allumfassend. Sie sind in der Charta der Vereinten Nationen, in der Olympischen Charta, im Grundgesetz und in den Landesverfassungen festgeschrieben.
2013 – darauf ist schon mehrfach verwiesen worden – wurde im Rahmen der Weltsportministerkonferenz die Berliner Erklärung verabschiedet, in der die Menschenrechte auch in Bezug auf Sportgroßveranstaltungen für unverzichtbar erklärt werden. Und hieraus ergibt sich auch der Zusammenhang mit der Bundesregierung. Denn die Bundesregierung hat diese Berliner Erklärung maßgeblich vorbereitet.
Aus diesen Festlegungen leitet sich der klare Auftrag ab, für diese Grundüberzeugungen einzutreten. Die strikte Beachtung der Menschenrechte und damit auch die Wahrung demokratischer Prinzipien sind absolut unverzichtbar.
Den internationalen Sportverbänden kommt hier natürlich eine besondere Verantwortung zu. Sie müssen die elementaren Grundsätze der modernen Olympischen Spiele glaubwürdig vertreten und deren Einhaltung einfordern. Im Zentrum steht dabei immer die Friedensidee, die den Frieden sowohl nach außen als auch nach innen umfasst.
Eines sollte auch noch betont werden: Der Sport wird niemals in der Lage sein, internationale und gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu beheben. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Der Sport ist aber in besonderer Weise in der Lage, Verbindungen zwischen Völkern, Nationen, den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen und den Generationen herzustellen.
Die Sportverbände und den Sport insgesamt dabei zu unterstützen, dafür ist dieser Antrag zum jetzigen Zeitpunkt ein richtiger und wichtiger Beitrag als deutliches Zeichen für die Einhaltung der Menschenrechte im Sport und für den diskriminierungsfreien Sport. Insofern, Herr Lürbke, empfinde ich es als eine böswillige Missinterpretation, wenn Sie diesen Antrag als einen Boykottaufruf bezeichnen.
(Beifall von der SPD)
Das ist wirklich eine böswillige Missinterpretation.
Für die Landesregierung möchte ich noch einmal sagen, dass wir ganz klar für ein gesellschaftliches Klima des Respekts und der Toleranz eintreten. Denn Sie wissen: Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen „Aktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie“. Wir treten mit diesem Aktionsplan für die Menschenrechte aller ein, und in diesem Sinne werden wir das Thema auch hier in Nordrhein-Westfalen weiter diskutieren.
Wenn der Antrag heute abgestimmt wird, muss das nicht heißen, dass das das Ende einer gesellschaftspolitischen Debatte ist, bei der die Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8, und wir kommen zur Abstimmung.
Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Diese führen wir jetzt über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/4808 durch. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, die SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer möchte sich enthalten? – CDU und FDP. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 16/4808 angenommen.
Ich schließe Tagesordnungspunkt 8 und rufe auf:
9 Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter – Aufruf der Schriftsteller anerkennen
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4814
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4895
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4903
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der Piraten Herrn Kollegen Schwerd das Wort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 9. Dezember des vergangenen Jahres protestierten über 1.000 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der ganzen Welt in einer gemeinsamen Erklärung gegen die systematische Überwachung unserer Kommunikation durch Geheimdienste wie die amerikanische NSA. Die Schriftsteller rufen Menschen und Regierungen aller Länder auf, die Demokratie auch im digitalen Zeitalter zu verteidigen. Sie fordern hierfür unter anderem eine verbindliche internationale Konvention digitaler Rechte.
Eine entscheidende Passage des Aufrufs lautet – ich zitiere das gerne –:
„Eine der tragenden Säulen der Demokratie ist die Unverletzlichkeit des Individuums. Doch die Würde des Menschen geht über seine Körpergrenze hinaus. Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben. Dieses existenzielle Menschenrecht ist inzwischen null und nichtig, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen.“
(Beifall von den PIRATEN)
Im Gegensatz zu der alten ebenso wie zu der neuen Bundesregierung haben die Unterzeichner dieses Aufrufes drei entscheidende Dinge verstanden.
Erstens. Die liberale Demokratie, in der wir leben und die uns so selbstverständlich erscheint, ist keinesfalls so stabil, wie wir uns das gerne glauben machen wollen. Demokratie kann nur so lange existieren, wie es Menschen gibt, die bereit sind, sich für Demokratie einzusetzen und sie aktiv mitzugestalten.
Das Prinzip des demokratischen Diskurses ist nach Jürgen Habermas der zwangslose Zwang des besseren Argumentes. Dieses Prinzip kann aber nur dann gelebt werden, wenn sich Menschen auch trauen, das zu sagen, was sie denken. In vollkommener Überwachung ist diese Freiheit des Denkens nicht mehr möglich.
Die massenhafte und anlasslose Überwachung unserer Kommunikation führt zu angepasstem Verhalten und zu Selbstzensur. Die Totalüberwachung der Gesellschaft beschneidet damit nicht nur unsere Freiheit, sondern unterhöhlt auch die Fundamente unserer Demokratie.
Die zweite Erkenntnis besteht darin, dass die totale Überwachung bereits Realität ist, und zwar mit verheerenden Folgen für demokratische Gesellschaften. Bereits im Juni letzten Jahres zog „SPIEGEL ONLINE“ in einem Artikel zur NSA-Affäre ein niederschmetterndes Fazit. Ich zitiere erneut:
„Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sollte man sich bei allem, was man online – auch in vermeintlich privaten Bereichen – tut, fragen, ob es nicht eines Tages gegen einen verwendet werden könnte.“
Das ist kein Horrorszenario der Zukunft. Wir sind schon heute an diesem Punkt, an dem es nicht mehr ohne Weiteres möglich ist, zu sagen, was man denkt.
Umso wichtiger wäre es, würden unsere Regierungen endlich etwas unternehmen. Wir müssen die Kommunikation aller Menschen schützen. Wir müssen unsere eigene Sicherheitspolitik neu bewerten. Wer die NSA für diese Vorgänge kritisiert, aber Vorratsdatenspeicherung fordert, hat nicht verstanden, worum es im Kern geht.
(Beifall von den PIRATEN)
Die dritte Erkenntnis des Schriftstelleraufrufes ist die: Wir brauchen ein gemeinsames, ein internationales Vorgehen gegen die Überwachungsaffäre. Ich meine damit nicht ein bilaterales No-Spy-Abkommen. Im Ernst: Ein solches Abkommen unter den Geheimdiensten verhandeln zu lassen, ist doch die hirnrissigste politische Idee zum Schutz unserer Privatsphäre, die man sich nur ausdenken kann.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir wünschen uns, dass alle verantwortlichen Politiker diesen Aufruf der Schriftsteller lesen und verstehen. Er ist als Anleitung für eine politische Reaktion auf den größten Überwachungsskandal unserer Zeit wesentlich besser geeignet als vieles, was wir von Parteien auf Landes- und Bundesebene bisher gehört haben.
Der Entschließungsantrag der CDU ist so ein Beispiel. „Wir sind besorgt“ – das ist natürlich kein angemessener Ausdruck dafür, was wir derzeit empfinden. Und: Es wird die Verantwortung wieder vollständig auf EU-Ebene abgeschoben. Dabei geht uns das alle an: das Land und sogar jede einzelne Fraktion hier im Landtag.
Immerhin erkennen wir an, dass sich die CDU mit dem Aufruf auseinandergesetzt hat und sich grundsätzlich dem Aufruf anschließen kann. Es freut mich sehr, dass wir uns hier im Parlament mehrheitlich auf die Unterstützung dieses Aufrufes einigen konnten. Wenn jetzt SPD und CDU auch dafür sind, dann kann es ja wohl auch auf Bundesebene losgehen. Nicht wahr? – Vielen herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Schneider.
René Schneider (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Piratenfraktion beschäftigt sich – wir haben es gerade gehört – mit dem Aufruf von über 1.000 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die mit ihrem Appell eindrücklich darauf hinweisen, dass unsere Demokratie bedroht sei, weil Staaten und Konzerne die Menschen in einem ungeheuren Ausmaße überwachten.
Aus meiner Sicht ist diese Denkschrift auch in ihren drastischen Worten nachvollziehbar und richtig. Wir alle müssen uns mit ihr beschäftigen; denn wir alle sind angesprochen. Auch wenn der Piratenantrag darauf abzielt, die Landesregierung zu etwas aufzufordern, sind es zunächst einmal wir alle, die sich mit dem Problem befassen müssen. Wir, die Bürgerinnen und Bürger müssen das Problem und seine Ausmaße verstehen – davon war gerade schon die Rede –, bevor wir es lösen können.
Der Aufruf an Herrn Obama, das mit dem Abhören doch bitte schön sein zu lassen, reicht nicht. Einzelne Boykottaufrufe gegen Datenkraken wie Google oder Amazon verfehlen am Ende leider ihre Wirkung; denn am Anfang war das Internet und mit ihm wuchs die Menge an Daten, die über den gesamten Erdball hin und her geschoben wird. Das war zunächst noch eine unschuldige Sache.
Viele erinnern sich noch an die Webcam Bilder der Kaffeemaschine, deren Füllstand das Interesse der ersten Internetgemeinde – so will ich sie mal nennen – weckte. Doch mit jeder neuen praktischen Anwendung und Geschäftsidee wuchs auch der Teil, den ich von mir selbst preisgab. Heute sind diese Daten längst zur inoffiziellen Währung des Internets geworden.
Jeff Jarvis hat bereits 2009 in seinem Buch „Was würde Google tun?“ darauf hingewiesen, dass er selbst – das ist eine persönliche Entscheidung – ganz offen mit seinen Daten umgeht, nicht aus Exhibitionismus etwa, sondern weil ein Verstecken ohnehin sinnlos sei und sich die Nutzen der digitalen Welt nur durch diese Freizügigkeit eröffneten. Kein Mehrwert im Netz, ohne dass man selbst von sich etwas preisgibt. Ohne Cookies keine User-Experience.
Viele Angebote, die wir nutzen, sind nur vordergründig kostenlos. Die Suchmaschine Google und das soziale Netzwerk Facebook lassen sich auf andere Weise honorieren. Wer sie nutzt, bezahlt tagtäglich mit seinen Daten. Das ist leider Fakt. Das zu erkennen und es den Menschen zu erklären ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.
Die informationelle Selbstbestimmung, wie sie die Autoren zu Recht fordern, kann nur Erfolg haben, wenn ein Wissen über die Gefahren und Möglichkeiten der digitalen Welt besteht. Hier sehe ich unter anderem die Bibliotheken willens und in der Lage, Schulen und Familien bei der Vermittlung der nötigen Medienkompetenz zu unterstützen. Denn so, wie ich heute meinem Sohn auf dem Weg zur Schule erkläre, wie er die Straße überqueren muss, werde ich meinen Kindern auch sagen müssen, wo die Gefahren der virtuellen Welt lauern. Diese virtuelle Welt ist ein Spiegelbild der realen. Deshalb müssen unsere demokratischen Grundrechte in der virtuellen Welt ebenso durchgesetzt werden wie in der realen.
Manche Menschen sagen mir, dass das alles doch arg übertrieben sei, wer nichts zu verbergen habe, müsse doch auch nichts befürchten. Wenn das so ist, antworte ich dann, könnten wir zuhause doch auch genauso gut auf die Gardinen oder etwa auf die Rollos verzichten. Die Haustüre könnten wir gleich offenstehen lassen; denn wir haben doch nichts zu verbergen. Falsch! Wir alle möchten selbst bestimmen, was von uns in die Öffentlichkeit gerät.
Deshalb ist es richtig, Staaten und Konzernen genau auf die Finger zu schauen und ihnen auch auf die selbigen zu hauen, wenn sie erhobene Daten missbräuchlich nutzen. Ich unterscheide dabei bewusst zwischen der Erhebung von Daten und ihrer Auswertung; denn es wird auch in Zukunft Bereiche geben müssen, in denen staatliche Stellen Daten erheben, ohne uns um Erlaubnis zu fragen. Das geschieht zum Beispiel, wenn ich beim Zu-schnell-Fahren geblitzt werde oder mein Auto im Halteverbot fotografiert wird. Es wäre doch zu schön, aber am Ende doch ziemlich absurd, wenn ich die Politesse anweisen könnte, meine Daten schnell wieder zu löschen, weil ich mit der Speicherung nicht einverstanden bin.
Wichtig in der ganzen Debatte scheint mir Ende doch zweierlei zu sein:
Erstens. Bekomme ich auf Nachfrage alle Daten ausgehändigt, die Staaten und Konzerne von mir gespeichert haben? Darf ich sie mir anschauen und werden sie dann – auf Verlangen und wenn dem keine übergeordneten Interessen entgegenstehen – auch wieder gelöscht?
Zweitens. Wie verhält es sich mit der Auswertung dieser Daten? Sehr viel wichtiger: Wie werden sie in Beziehung zueinander gesetzt? Wenn ich bei einem Internetanbieter ein Buch über die Immunschwächekrankheit Aids gekauft habe und tags zuvor noch beim Hausarzt war – was sagt das meinem Arbeitgeber?
Fragen über Fragen, die der Aufruf der Schriftsteller nicht beantwortet. Und das muss er auch gar nicht. Im Gegenteil ist der Appell ein wichtiger Denkanstoß zur richtigen Zeit, übrigens von einer Berufsgruppe, der viele nicht zugetraut hätten, einen derart dezidierten Blick in die Netzpolitik zu haben.
Gut, dass wir uns heute mit der Frage der digitalen Rechte beschäftigen. Doch schon das kurze Eintauchen in die Materie zeigt, dass wir die Schutzpflichten noch viel intensiver inhaltlich, technisch und juristisch durchdringen müssen. Es gilt, Interessen abzuwägen – siehe mein Beispiel von der Politesse – und konkrete Vorstellungen zu erarbeiten. Wir in Nordrhein-Westfalen werden weiter am Thema arbeiten. Wie detailreich und kompliziert das ist, habe ich versucht, Ihnen heute zu skizzieren. Ich wünsche uns deshalb gemeinsam viel Erfolg sowie ein herzliches Glückauf! – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg das Wort.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nicht nur in Deutschland gab es früher einmal in den Telefonzellen die Parole „Achtung! Feind hört mit!“ Gemeint war damals das Abhören von Telefonen. Da sind wir heute viel weiter. Heute geht es nicht mehr nur um das Telefon, sondern um eine unvergleichlich viel breitere Form digitaler Informationen – im Internet, über soziale Netzwerke oder auf anderen Kommunikationswegen verbreitet.
Seit ein ehemaliger Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes seine Kenntnisse weitergegeben hat, wissen wir, dass auch der Freund mithört – ganz zu schweigen von anderen Staaten, mit denen wir weniger verbunden sind. Es sollte doch niemand glauben, dass nur die USA Daten sammelten.
Eines muss man natürlich festhalten: Auch geheimdienstliche Arbeit ist in demokratischen Staaten notwendig. Die Aufdeckung verbrecherischer Aktivitäten wird nie ohne verdeckte Ermittlungen möglich sein. Wir sind den Vereinigten Staaten dankbar dafür, dass die Sauerland-Attentäter ihren grausamen Plan nicht vollenden konnten, weil wir Informationen aus Amerika bekommen haben. Das gilt auch für andere Fälle.
Trotzdem ist die Vertraulichkeit des Privaten etwas sehr Wichtiges; denn es geht um eine der wesentlichen Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie. Deshalb muss eine Ermittlung immer in einem angemessenen, kontrollierten Verhältnis zu den wesentlichen Grundrechten stehen.
Meine Damen und Herren, der Philosoph Ernst Bloch, der 1961 aus der DDR geflohen ist – einstmals selber überzeugter Marxist –, gab drei Gründe an, warum er im Westen geblieben ist: das Briefgeheimnis, das Telefongeheimnis und das Wissen, dass, wenn es um morgens um 6 Uhr klingelt, es nur der Milchmann sein kann.
Diese Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie gilt es zu verteidigen. Dazu gehören auch der Persönlichkeitsschutz und das Recht auf eine eigene Privatsphäre.
Nun liegt eine Resolution von Schriftstellern vom 9. Dezember letzten Jahres gegen die Verletzung des Persönlichkeitsrechts vor. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat sie abgedruckt. 31 weitere große Zeitungen haben sie am selben Tag veröffentlicht. Sehr schnell haben über 1.000 Schriftsteller diese Resolution unterzeichnet. Ursprünglich war sie von drei deutschsprachigen Schriftstellern – Ilija Trojanow, Juli Zeh und Eva Menasse – verfasst. Wenn man sich heute anschaut, wer sie alles unterschrieben hat, liest sich das wie ein Who’s who der internationalen Literaturszene. Auch große Organisationen haben sich angeschlossen – zum Beispiel die Deutsche Filmakademie, die ihre Mitglieder zur Unterzeichnung aufgerufen hat.
Was dort über eine massenhafte Überwachung steht, ist zum wesentlichen Teil sehr richtig.
Hier liegt nun ein Antrag der Piraten vor, mit der die Landesregierung aufgefordert werden soll, sich dieser Resolution anzuschließen. Ich bin nicht ganz sicher, ob es sinnvoll ist, das Parlament damit zu befassen. In der Sache geht es aber um etwas sehr Wichtiges; denn es geht um die informationelle Selbstbestimmung.
Die informationelle Selbstbestimmung ist auch nicht alleine von der NSA bedroht. Es ist sogar ein Kennzeichen freier Gesellschaften, dass wir hier so offen darüber diskutieren können und entsprechend informiert werden. Es handelt sich um ein Problem weit über die geheimdienstlichen Aktivitäten eines befreundeten Landes hinaus. Hier geht es um die massenhafte Erfassung von Informationen und die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen von Nutzern von Daten und Verbindungen, die zumeist unter einem wirtschaftlichen Gesichtspunkt erfasst und benutzt werden.
Ohne Frage ist der leichtfertige Umgang mit den Daten aufseiten der Nutzer ein besonders dringliches Problem. Welchen Zugriff auf seine Daten akzeptiert man nicht bereits, wenn man ein harmloses Spiel auf sein Smartphone lädt?! Der Spruch „E-Book ist reading you“ benennt ebenfalls ein Problem. Es überrascht mich immer wieder, dass Menschen, Grunddaten wie ihre Adresse unbedingt schützen wollen und insofern sehr empfindlich sind, gleichzeitig aber bereit sind, dem Internet persönlichste Dinge anzuvertrauen und dort mit sehr sensiblen Daten offen umgehen.
Hoffentlich trägt die momentane Diskussion dazu bei, dass es eine größere Sensibilität im Umgang mit personenbezogenen Daten gibt. Die Privatsphäre ist ein hohes Gut.
Dass wir dem Antrag der Piraten heute trotzdem nicht einfach zustimmen, hat seinen Grund in einigen Formulierungen, die als Übertreibungen doch schwierig sind und die wir – bei aller Zustimmung – auch nicht anerkennen. So heißt es in der Resolution, das existenzielle Menschenrecht der Unverletzlichkeit des Individuums sei null und nichtig. Das geht dann doch ein bisschen weit. So arg ist es dann doch wieder nicht – so schlimm es auch ist.
Die Landesregierung aufzufordern, den Aufruf der Schriftsteller anzuerkennen, ist etwas schwach. Unser Entschließungsantrag ist anders formuliert. Wir teilen erstens die Besorgnisse um die Gefährdung der Privatsphäre, wie sie nicht nur, aber auch im Aufruf der Schriftsteller zum Ausdruck kommen. Wir möchten zweitens, dass sich die Landesregierung für eine verbindliche Konvention zu den digitalen Rechten auf europäischer Ebene einsetzt.
Das halten wir für den richtigen Weg. Ob sich die Landesregierung allerdings überhaupt noch an Beschlüsse hält, wäre eine andere Frage, die ich hier jetzt leider nicht behandeln kann.
Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! E-Mail-Konten, das Tor-Netzwerk, unsere Klicks auf Facebook und YouTube, inzwischen sogar die Angry Birds – nichts scheint derzeit mehr sicher zu sein vor der Ausspähung durch Geheimdienste wie NSA, GCHQ und wie sie alle heißen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Mensch, der immer und überall Überwachung und Beobachtung fürchten muss, ist nicht frei. Das ist für mich die wichtigste Botschaft aus dem vorliegenden Aufruf. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir Grüne den Aufruf „Writers Against Mass Surveillance“, den wir – das wissen sicherlich einige von Ihnen – auch in den Deutschen Bundestag eingebracht haben.
Seit Dezember 2013 protestieren Hunderte Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus 83 Ländern, darunter fünf Literaturnobelpreisträger, mit einem internationalen Aufruf gegen die systematische Überwachung durch verschiedene Geheimdienste. Die Schriftsteller rufen dazu auf, die Demokratie in der digitalen Welt im gleichen Maße wie in der analogen Welt zu verteidigen. Damit haben sie recht, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es wird in dieser Debatte immer wieder betont, dass die Pflichten aus der Offlinewelt, wie wir sie kennen, in der Onlinewelt genauso gelten müssen. Das ist sicherlich nicht falsch. Aber es geht doch erst dann auf, wenn wir uns auch klar zur Geltung aller Rechte, insbesondere der Grund- und Freiheitsrechte, on- wie offline bekennen.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller – eben wurde infrage gestellt, ob wir dafür eigentlich zuständig sind – richten sich natürlich an die Vereinten Nationen. Sie richten sich an Regierungen, sie richten sich an Konzerne. Aber auch wir als Parlament tun gut daran, uns mit ihnen zu solidarisieren und den Aufruf anzuerkennen.
Der Appell der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, diese Rechte zu verteidigen, geht aber auch an die Bürgerinnen und Bürger. Freiheitsrechte erwachsen auch daraus – darin stimmen wir überein –, dass sie angenommen, dass sie gelebt werden. Wenn wir mit öffentlichen Stellen unseren Beitrag dazu leisten können, indem wir zum Beispiel Fähigkeiten im Bereich der Medien- oder Datenschutzkompetenz fördern, damit es möglich wird, diese Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter zu nutzen, dann leisten wir diesen Beitrag gern, weil es uns wichtig ist, dass wir auch im digitalen Zeitalter informierte und mündige Bürger haben.
Herr Kollege Sternberg, bei aller Harmonie, die wir in dieser Debatte gerade ausstrahlen, muss ich Sie ein Stück weit korrigieren: Auch wer Daten preisgibt, auch wer private Daten, wer private Bilder, Erlebnisse, Ansichten öffentlich preisgibt, auch der verdient einen staatlichen Schutzrahmen. Es ist mir wichtig, das zu betonen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, auch wenn wir mit unserem gemeinsamen Änderungsantrag einige Präzisierungen vorgenommen haben: Der Gedanke der Schriftstellerinnen und Schriftsteller ist richtig und sinnvoll, dass eine Verständigung auf internationaler Ebene herbeigeführt wird. Das wollen wir unterstützen. Das wollen wir vorantreiben. Da finde ich es doch interessant, dass jetzt plötzlich die CDU mit der Forderung nach einer internationalen Konvention der digitalen Rechte auftaucht. „Wow!“ habe ich gedacht, die CDU. Sie haben auf Bundesebene monatelang an der Chimäre namens No-Spy-Abkommen herumgedoktert. Sie haben dieses No-Spy-Abkommen vor die Wand gesetzt. Sie haben auf der europäischen Ebene die letzten Jahre im Wesentlichen damit zugebracht, die europäische Datenschutzreform entweder zu verwässern oder zu verzögern.
Vor diesem Hintergrund wird in Ihrem Entschließungsantrag klar: Sie produzieren heute schöne Überschriften, nette Luftblasen. Aber das hat doch keine Substanz. Von daher kann ich nur sagen: Wenn Sie eine Idee haben, was in einer solchen Konvention stehen könnte, wenn Sie eine Idee für eine übergreifende Charta der digitalen Rechte haben, dann können wir gerne darüber reden. Es ist sicherlich ein ganz spannender Prozess, was genau am Ende darin stehen soll.
Aber das, was heute kommt, sind, wie gesagt, nicht mehr als Überschriften. Wenn Sie Substanz vorlegen möchten, dann können Sie das gerne tun. Aber das, was Sie heute als Entschließungsantrag vorgelegt haben, das sollten Sie am besten zurückziehen. Das wäre die sauberste Lösung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich würde gerne schließen mit einem Zitat des eben schon angesprochenen Ilija Trojanow.
(Zuruf von Karlheinz Busen [FDP])
– Herr Busen, nur weil Sie sich nicht mit der digitalen Welt auseinandersetzen möchten, müssen Sie hier keine so unflätigen Zwischenrufe machen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das versprochene Zitat von Ilija Trojanow lautet:
„Es ist selbstverständlich, dass wir jene Freiheitsrechte, die wir in einem jahrhundertelangen Kampf in der analogen Welt erfochten haben, jetzt auf die digitale Welt übertragen. Das ist eigentlich banal. Die spannende Frage ist, warum das nicht generell akzeptiert und umgesetzt wird.“
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Wolf.
Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namhafte Schriftsteller haben ein nobles und wichtiges Anliegen formuliert. Die Brisanz ist uns allen durch tägliche Berichterstattung klar: Uferloses Absaugen von Daten durch geheimdienstliche Ausspäh- und Überwachungsprogramme – PRISM, Tempora, NSA sind in aller Munde.
Es geht längst nicht mehr darum, was Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg zu Recht angesprochen hat, dass man sich um Terrorabwehr kümmern muss. Darüber sind wir uns, denke ich, alle einig. Aber es geht eben auch darum, dass im Rahmen der Wirtschaftsspionage abgefischt wird, dass Menschen und ihre Absichten ausspioniert werden, Bewegungsprofile aufgestellt werden. Wir wissen, dass es längst nicht mehr nur gewisse Teile sind, die in den Fokus einer Überwachung geraten, sondern prinzipiell kann jeder Objekt dieser Überwachungsmaschinerie werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mich berührt es eben nicht nur, wenn das Handy der Kanzlerin abgehört wird, sondern mir geht es um jeden Bürger in diesem Staate. Da müssen wir als Liberale, da sollten wir auch insgesamt als Parlament unsere Stimme erheben.
(Beifall von der FDP)
Vor diesem Hintergrund ist der Antrag, der heute gestellt worden ist, zu begrüßen. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass bislang, insbesondere von der amerikanischen Seite, keine Remedur zu erwarten ist. Wir haben eine umfassende Reform der geheimdienstlichen Aktivitäten gefordert. Das Einzige, was bei der mit Spannung erwarteten Rede von Herrn Präsident Obama herausgekommen ist – ich zitiere –, ist:
„Die Macht der neuen Technologien bedeutet, dass es weniger und weniger technische Grenzen unserer Fähigkeiten gibt. Das ergibt eine besondere Verpflichtung für uns, um uns harte Fragen zu stellen, was wir tun sollten.“
Meine Damen und Herren, das ist kein Ansatz zur Begrenzung oder Kontrolle der Spähaktivitäten. Das ist, weiß Gott, jetzt keine Ansage für ein internationales Abkommen auf entsprechenden Datenschutz.
Wir haben uns als Freie Demokraten sehr deutlich dafür eingesetzt, dass man diese Fragen auch mit dem Transatlantic Free Trade Agreement, also dem Transatlantischen Freihandelsabkommen, kombinieren sollte. Wir wissen, dass das schwierig ist. Aber für uns als Freie Demokraten ist Freiheit eben nicht von Verantwortung zu trennen. Und die Verantwortung bezieht sich auf den Datenschutz. Das muss zusammengehören.
Volkswirtschaftliche Nutzenmehrung durch freien Handel plus Datenschutz, das ist die Devise, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Während wir hier debattieren, laufen die Überwachungsprogramme weiter. Zigtausende weiterer Verbindungsdaten werden abgespeichert.
Deswegen muss gehandelt werden, auch über die EU. Insofern ist der Ansatz der CDU nicht völlig falsch. Allerdings muss auch ich bemängeln, dass ein Institut hier in die Waagschale geworfen wird – die Konvention –, während wir auf der anderen Seite mit der Datenschutzgrundverordnung schon sehr weit fortgeschritten sind und nur durch die Bremsaktion in der Bundesregierung nicht vorankommen.
Richtig ist, dass wir in Europa etwas tun müssen. Wenn wir schon eine Datenschutzgrundverordnung im Entwurf haben, dann lassen wir doch die berechtigten Anliegen, die durch die Schriftsteller aufgebracht worden sind, mit hineinschreiben und das Ganze auch umsetzen.
Wir brauchen – das ist sicherlich richtig – europäische Datenverarbeitung, europäische Cloud-Server, europäische Verschlüsselungsstandards und vielleicht auch europäische soziale Netzwerke.
Meine Damen und Herren, das alles wird nicht leicht; das weiß ich. Aber wir müssen uns klarmachen: Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, müssen wir sehr viel Sicherheit beim Datenschutz produzieren. Wir sollten nicht auf ein UN-Abkommen warten. Die EU ist ein starker Player im internationalen Wettbewerb. Mit 500 Millionen Einwohnern und fast 30 % des BIP in der Welt sind wir ein starker Partner. Wir sollten unsere Stimme für den Datenschutz gemeinsam erheben. Wir stimmen dem Antrag in der hier geänderten Form zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung für Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Antrags der Piraten, demokratische Grundsätze auch im digitalen Zeitalter zu schützen, kann natürlich nur unterstützt werden.
(Starke Unruhe)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sich der Plenarsaal freundlicherweise füllt, bitte ich doch um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Gleichwohl oder gerade deshalb muss die Landesregierung den Inhalt des konkreten Antrags in seiner Gesamtheit ablehnen. Zu den Forderungen im Einzelnen:
Die erste Forderung ist, den Aufruf der Schriftsteller anzuerkennen. – Das der Erklärung zugrunde liegende Anliegen, den Schutz von Freiheitsrechten gerade angesichts von neuen technischen Möglichkeiten und Entwicklungen sicherzustellen, ist natürlich eine demokratische Kernforderung. Dass dies in der neuen Welt aktueller denn je ist, hat die immer neue Berichterstattung der letzten Monate seit den schon mehrfach zitierten Enthüllungen gezeigt. Es ist interessant und zu begrüßen, dass der Protest durch die Initiative von Schriftstellerinnen und Schriftstellern nun auch eine prominente Dimension außerhalb zivilgesellschaftlicher Diskussionen im Internet erfahren hat.
Das scheint kein einmaliges Ereignis zu bleiben. Gerade am Wochenende haben in Berlin auf der internationalen Konferenz „Einbruch der Dunkelheit“ – so der Titel – auf Einladung der Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit der Volksbühne Berlin nun Philosophen, Künstler, Sozialwissenschaftler und Netzaktivisten erneut zum Thema „Transparenz und Verborgenheit“ diskutiert. Aus diesem Grund wird auch der Standpunkt der vorliegenden Erklärung in den Abwägungsprozess bei der Weiterentwicklung von Identitäts- und Datenschutz im neuen Zeitalter einzubeziehen sein. Diesem Teil des Antrags, meine Damen und Herren, kann daher zugestimmt werden.
Die zweite Forderung ist, sich mit allen dazu geeigneten Möglichkeiten auf allen politischen Ebenen für eine verbindliche internationale Konvention im Sinne des Aufrufs der Schriftsteller einzusetzen. – Die Landesregierung hat sich in den letzten Monaten bereits mit den bekanntgewordenen Abhörmaßnahmen und der Ausspähung von Daten auseinandergesetzt und wird dies natürlich auch weiter tun. Es ist daher zu begrüßen, dass dazu auf Bundesebene mit dem aktuellen Antrag der Fraktion Die Grünen im Bundestag unter der Überschrift „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ Prüfungen initiiert werden und dies auf der Grundlage eines konkreten Maßnahmenkatalogs erfolgt.
Meine Damen und Herren, es ist zum jetzigen Zeitpunkt der richtige Weg, zunächst die auch in der Erklärung geforderten Schutzpflichten inhaltlich, technisch und juristisch weiter zu durchdringen, Interessen abzuwägen und Vorschläge zu erarbeiten.
Die dritte Forderung ist, eine solche Konvention unmittelbar anzuerkennen und einzuhalten. – Angesichts der Komplexität und Bedeutung des Themas ist es nur sachgerecht und verantwortlich, dass die Landesregierung erst auf dieser Grundlage weitere verbindliche Positionen entwickelt. Der oben angesprochene Entschließungsantrag auf Bundesebene zeigt hier sehr anschaulich das vielfältige Spektrum potenzieller Prüfaufträge auf. Die Anregungen reichen beispielhaft von EU-Vertragsverletzungsver-fahren über Verfahren vor dem UN-Menschen-rechtsausschuss, Initiativen gegenüber dem EU-Ministerrat, insbesondere im Kontext Datenschutz, über Aufklärung der Rolle der Geheimdienste bis hin zur Förderung von Technik, die Schutz vor Ausspähung bietet. Bereits jetzt eine Handlungszusage auf Landesebene zu machen, obwohl die Ergebnisse von Abwägung und rechtlicher Beratung im Gesamtkontext noch nicht vorliegen, würde der Bedeutung des Themas gerade nicht gerecht.
Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung: Herr Dr. Dr. Sternberg, Ihre Anmerkung: „Hält sich die Landesregierung überhaupt an Beschlüsse?“, ist aus meiner Sicht sicherlich eine vorübergehende Abkehr von Ihrer sonst vorherrschenden münsterländischen Ernsthaftigkeit. Ich glaube, so sollten wir nicht miteinander umgehen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.
Wir haben drei Abstimmungen vorzunehmen.
Wir kommen erstens zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten Drucksache 16/4895. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung des fraktionslosen Kollegen Stein angenommen.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/4814. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den so geänderten Antrag Drucksache 16/4814. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Stein angenommen.
Wir kommen zur dritten Abstimmung, und zwar der über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/4903. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der CDU mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung der Piraten und der FDP abgelehnt. Damit ist die Drucksache 16/4903 abgelehnt. Einige Enthaltungen bei den Piraten hat es noch gegeben.
Wir kommen nun zu:
Mit der Drucksache 16/4840 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 31 bis 34 vor.
Ich rufe nun die
des Herrn Abgeordneten Bernhard Schemmer von der Fraktion der CDU auf.
Verbindliche Aussage zur Ortsumgehung Südlohn-Oeding (L558)
Seit Jahrzehnten warten die Einwohner von Südlohn-Oeding auf eine Ortsumgehung der L 558, auch damit die Zweiteilung der Ortslage mit a) nördlich der Landstraße und b) südlich der Landstraße ein Ende findet. Bei der L 558 handelt es sich um eine tragende Ost-West-Verbindung im Kreis Borken in Verlängerung der B 525. Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten die Ortsumgehungen Coesfeld, Gescher, Nottuln-Darup von Seiten des Bundes erstellt wurden, ist derzeit die B 525 um Nottuln im Bau, lediglich die Weiterführung Richtung Niederlande als L 558 führt immer noch durch die Ortslage Oeding.
Nach Aufnahme der Ortsumgehung Oeding in den Landesstraßenbedarfsplan im Jahre 1993 wurde der Planungsbeginn im Mai 1997 genehmigt.
In der Kleinen Anfrage der Landtagsabgeordneten Michaelis und Martsch antwortete der damalige Wirtschafts- und Verkehrsminister Peer Steinbrück am 07.01.2000 auf die Frage „Wann ist mit einer Bereitstellung von Finanzierungsmitteln durch das Land und der Fertigstellung der Ortsumgehung Südlohn-Oeding zu rechnen?“:
„Da für dieses Verfahren i. d. R. ein Zeitbedarf von rd. zwei Jahren erforderlich ist, müsste die Finanzierung der Maßnahme etwa für das Jahr 2004/2005 in Aussicht genommen werden.“
Nachdem die damalige rot-grüne Landesregierung diesen Zeitplan nicht eingehalten hatte, wurde vom neuen Verkehrsminister Oliver Wittke der Staatsvertrag mit den Niederländern am 06.11.2006 unterzeichnet; die Planungen wurden anfänglich fortgeführt, aber anschließend wegen Rechts- und Zuständigkeitsänderungen von den Niederländern bis 2009 gestoppt.
Nach Auskunft des Landesbetriebes Straßenbau NRW und der Bezirksregierung Münster befindet sich nunmehr das Planungsfeststellungsverfahren kurz vor dem Abschluss.
Wann ist mit der Mittelbereitstellung für den Bau dieser als vorrangig eingestuften Maßnahme zu rechnen?
Ich bitte Herrn Minister Groschek um die Beantwortung dieser Frage. Herr Minister, bitte schön.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Antwort lautet: Sobald bestandskräftiges Baurecht vorliegt, wird im Zuge der jährlichen Bauprogrammbesprechung über eine Aufnahme in das Landesstraßenbauprogramm beraten. Da die Realisierung der Maßnahme insbesondere von den dann im Landeshaushalt zur Verfügung stehenden Finanzmitteln sowie dem Stand der Bauvorbereitung abhängt, können belastbare Angaben über einen möglichen Baubeginn zum heutigen Zeitpunkt von mir noch nicht gemacht werden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Schemmer hat sich zu einer Nachfrage gemeldet. Sie haben das Wort.
Bernhard Schemmer (CDU): Schönen Dank, Herr Präsident. – Ihrer Antwort, Herr Minister, habe ich gerade entnommen: „sobald endgültig Baurecht vorliegt.“ Nun ist veröffentlicht worden, dass im Laufe des Jahres 2014 wohl die Planfeststellung entstehen könnte.
Frage: Ist die Landesregierung bereit, diese Maßnahme dann auch gegebenenfalls umzusetzen, indem man sich den vorzeitigen Baubeginn genehmigen lässt, zur Erfüllung des Staatsvertrages mit den Niederlanden?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Die Vereinbarung mit den Niederlanden gibt keinen festen Zeitrahmen für den Bau durch Nordrhein-Westfalen vor. Es wird allein unsere Entscheidung sein, nach vorliegender Baureife darüber zu entscheiden, wann wir mit dem Bau beginnen. Sobald Baureife vorliegt, Herr Abgeordneter Schemmer, bin ich gern bereit, mit Ihnen die Angemessenheit der Umsetzung dieser Maßnahme direkt zu erörtern.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Schemmer hat sich zu einer weiteren Nachfrage gemeldet. Bitte schön.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Herr Minister, einer Ihrer Vorgänger – wenn ich richtig nachgerechnet habe, handelt es sich um den sechsten Vorgänger – hat in der Beantwortung der Kleinen Anfrage 12/4585 mitgeteilt, dass mit der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens im Jahre 2002 zu rechnen sei und somit die Maßnahme wohl in den Jahren 2004/2005 begonnen werden könnte.
Nachdem nun auf holländischer Seite bis zum Jahre 2009 ein Zuständigkeitsplanungsstopp bestanden hat, war Ihr Vorgängerminister in der Lage, in drei Jahren zu sagen: Das kann jetzt fertiggemacht werden. – Nach Beendigung des Planungsstopps im Jahr 2009 sind nun die drei Jahre lange um.
Frage, Herr Minister: Fühlen Sie sich dieser Straße ähnlich wie Ihr Vorgänger verpflichtet, oder fühlen Sie sich dieser Straße und der Erfüllung des Staatsvertrages weniger verpflichtet?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Da würde ich mich jetzt ins Reich der Spekulation nach dem Motto „Hätte, hätte, Fahrradkette“ begeben. Das ist nicht meine Art. Ich bin in den Indikativ verliebt, nicht in den Konjunktiv. Deshalb äußere ich gerade dem Parlament gegenüber nur das, was ich für nachhaltig belastbar und für wortgetreu umsetzbar halte.
Gerade Ihnen gegenüber fühle ich mich in besonderer Pflicht, weil ich weiß, seit wie vielen Jahren Sie sich um die Realisierung dieser Straßenbaumaßnahme bemühen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Als Nächster hat Herr Kollege Tenhumberg das Wort.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Minister, laut Schreiben vom 11.11.2010 der Staatskanzlei wolle man den Verantwortlichen für das Bauvorhaben und den Niederlanden ein verlässlicher Partner sein. Ich frage Sie: Wann haben Sie die letzten Abstimmungsgespräche mit der niederländischen Seite insbesondere über den Planungsfortschritt und den Baubeginn geführt?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Wir sind in einem Planfeststellungsverfahren, in dem wir aufgrund diverser Klagen, die berechtigt erscheinen, unsererseits noch Korrekturen vornehmen müssen. Die niederländische Seite hat seit 2013 die notwendigen Unterlagen. Bislang ist auf das Übersenden der Unterlagen keine Reaktion erfolgt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt eine dritte – und letzte – Zusatzfrage des Herrn Kollegen Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie sprachen offensichtlich gerade von Einwendungen, die dort vorliegen und für die ein Deckblattverfahren abgearbeitet wird. Somit könnte eigentlich im Laufe dieses Jahres eine Planfeststellung herbeigeführt werden, wenn die Landesregierung dies wollte.
Könnte es sein, dass Sie tatsächlich beabsichtigen, das Planfeststellungsverfahren im Jahre 2014 zum Abschluss zu bringen, oder geht es so weiter wie in den letzten Jahren, nämlich dass kein besonderer Drive hineingebracht wird?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, Sie haben das Wort.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Für diese Maßnahme gilt wie für alle anderen Maßnahmen von Bedeutung, dass wir das größtmögliche Maß an Gründlichkeit und Geschwindigkeit in die Bearbeitung legen. Wir streben einen Planfeststellungsbeschluss in diesem Jahr an.
Aber noch einmal: Eine verbindliche Zusage kann ich Ihnen jetzt nicht machen. Sobald ich eine verbindliche Zusage geben kann, werde ich Sie – auch persönlich, Herr Abgeordneter Schemmer – schriftlich darüber unterrichten.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Tenhumberg gemeldet. Bitte schön.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Minister, es ist nicht das erste Mal in Nordrhein-Westfalen, dass insbesondere gemeinsame Straßenbauprojekte mit den Niederlanden dadurch gekennzeichnet waren, dass die Niederlande ihren Teil der Straßenbauvorhaben lange vor der Fertigstellung durch die deutsche Seite abgeschlossen hatten und durch Erdaufschüttungen die Verkehrssicherheit gewährleisten mussten, weil die deutsche Seite die Straßenbauvorhaben nicht vollendet hatte.
Deshalb frage ich Sie: Ist in diesem Fall – wegen dieser Problematik – bekannt, ob die niederländische Seite die Ausschreibungsunterlagen bereits in Auftrag gegeben hat?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Mir ist vor allen Dingen bekannt, wie schnell die Niederländer beim Errichten der Betuwe-Line waren – das war keine Straßen–, sondern eine Schienenbaumaßnahme – und wie sehr es unsererseits jetzt nottut, die Verpflichtungen des Staatsvertrags zu erfüllen.
Bei dem von Ihnen angesprochenen Staatsvertrag handelt es sich im Wesentlichen um einen Finanzierungszusagevertrag, bei dem einer meiner Vorgänger – ich glaube, das war nach Ihrer Rechnung der fünfte oder der vierte – den Niederlanden zugesichert hat, die komplette Finanzierung auch für Bau- und Planungsmaßnahmen auf der niederländischen Seite zu übernehmen. Obwohl diese finanzielle Großzügigkeit, die nach meiner strikten Überzeugung nicht zum Regelfall werden darf, in diesem speziellen Fall gilt, ist nach meinem Kenntnisstand das planungserforderliche „Bestemmingsplan“-Verfahren noch nicht eröffnet worden. Dabei hat, wie ausgeführt, unser Landesbetrieb die erforderlichen Unterlagen Anfang 2013 an die Niederlande und an die zuständige Behörde übermittelt hat.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen zu der Mündlichen Anfrage 31 keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen damit zu der
des Herrn Abgeordneten Schwerd von der Fraktion der Piraten:
Veröffentlichung von Geheimdokumenten zur NSA-Abteilung Tailored Access Operations (TAO)
Neue Enthüllungen im Zusammenhang mit den von Edward Snowden geleakten Geheimdokumenten legen nahe, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA und insbesondere dessen Abteilung „Tailored Access Operations“ (TAO) wesentlich umfangreichere Möglichkeiten zum Angriff auf IT-Infrastrukturen besitzen, als bisher bekannt (vgl. Der Spiegel 1/2014). Schon seit einigen Monaten ist zudem bekannt, dass die NSA Deutschland als „Angriffsziel“ führt (vgl. Der Spiegel 27/2013) – Deutschland ist laut Medieninformationen das in Europa am stärksten von der NSA-Überwachung betroffene Land.
Vor diesem Hintergrund haben die neuen Enthüllungen über die Fähigkeit der NSA, sogar in geschützte IT-Systeme einzubrechen, für das bevölkerungsreichste Land der Bundesrepublik Deutschland eine besondere Relevanz.
Nach den neuesten Veröffentlichungen von Geheimdokumenten zur NSA-Abteilung Tailored Access Operations (TAO): Was unternimmt die nordrhein-westfälische Landesregierung, um die hiesige Bevölkerung, die in NRW ansässigen Unternehmen sowie Landesbehörden und deren Mitarbeiter zu schützen?
Ich bitte Herrn Minister Jäger um Beantwortung dieser Mündlichen Anfrage.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Bevor ich die Frage beantworte, möchte ich in der Sache eines klarstellen: Ob die von den Piraten zitierten Zeitungsmeldungen zutreffen oder nicht, kann diese Landesregierung nicht beurteilen. Wir würden das gerne tun, wenn es ginge.
Es liegt auch nicht an mangelndem Interesse. Ganz im Gegenteil, ich sage dazu ganz offen: Auch ich finde es äußerst unglücklich, Neuigkeiten über mögliche Überwachungstechniken anderer Staaten aus der Zeitung erfahren zu müssen.
Fakt ist aber: Der Arm dieser Landesregierung reicht weit, allerdings nicht bis zum Weißen Haus in den USA. Das ist möglicherweise für den einen oder anderen unbefriedigend, aber es ist eine Tatsache.
Deshalb gilt auch heute das, was ich zu den zahlreichen Anträgen der Piratenfraktion in den vergangenen Monaten bereits gesagt habe: Die Landesregierung hat keine verlässlichen Kenntnisse darüber, ob und, wenn ja, in welchem Maße Daten von der NSA abgegriffen wurden oder noch immer abgegriffen werden.
Was Ihre konkrete Frage bezogen auf den Schutz von Unternehmen angeht: Darüber haben wir im Sommer letzten Jahres ausführlich diskutiert – am 11. Juli, um ganz genau zu sein. Ich will diesen Teil an dieser Stelle nicht wiederholen.
Darüber hinaus können wir nur dafür Sorge tragen, die IT-Technik der Landesverwaltung so sicher wie möglich zu machen. Dazu gehört es auch, den elektronischen Zugang zu den Behörden weiterhin nur über eine einzige Stelle zu ermöglichen. Diese Stelle ist mit der modernsten Technik auszustatten.
Zum Schutz dieser Technik trägt ganz entscheidend auch das sogenannte Computer Emergency Response Team, kurz CERT, bei. Zudem hat der IT-Planungsrat im letzten Jahr eine Leitlinie für mehr Sicherheit in der öffentlichen Verwaltung verabschiedet. Diese Leitlinie ist für Bund und Länder verbindlich. An der hat mein Haus aktiv mitgearbeitet.
Wir sind aktuell dabei, diese Leitlinie umzusetzen. Federführend hierbei ist der CIO. Der erste Schritt, die Bestandsaufnahme, soll im Laufe dieses Jahres abgeschlossen sein.
Ich hoffe, das genügt zur Beantwortung Ihrer Frage.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion der Piraten hat sich die Frau Kollegin Brand gemeldet.
Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Ist der Landesregierung die Relevanz und Bedeutung des Überwachungsskandals gerade nach den jüngsten Enthüllungen von Edward Snowden rund um den Tailored Access Operations – TAO – für Nordrhein-Westfalen bewusst?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich hatte ja eingangs schon gesagt, wir können nicht beurteilen, ob diese Presseberichterstattungen zutreffend sind oder nicht zutreffend sind.
Unabhängig von deren Wahrheitsgehalt, was unsere Bemühungen in Richtung nordrhein-westfälischer Unternehmen angeht, hatte ich bereits erwähnt, dass wir dazu am 11. Juli letzten Jahres hier debattiert hatten. Wir schätzen den Schaden auf etwa 50 Milliarden €, der durch illegalen Abzug sensibler Betriebs- und Geschäftsdaten und deren Geheimnisse in Deutschland verursacht wird, und zwar jedes Jahr. Viele Unternehmen haben in Nordrhein-Westfalen einen ziemlich guten Ruf, und das zu Recht. Deshalb darf der Schutz von Daten dieser Unternehmen auch nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wir sind der Auffassung, wer seine Daten schützen will, muss auch Geld in die Hand nehmen. Das ist eine, wie ich glaube, Investition, die sich auch langfristig auszahlt.
Seit mehr als zehn Jahren ist das ein Hauptthema der Wirtschaftsspionage beim nordrhein-west-fälischen Verfassungsschutz. Wir haben da einen sehr engen Dialog mit den Unternehmen und mit den Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen. Dieses Verhältnis ist übrigens – das ist, glaube ich, Nordrhein-Westfalen-typisch, aber nicht typisch für andere Bundesländer – von großem Vertrauen geprägt zwischen Verfassungsschutz und den Unternehmen. Das ist nicht ganz selbstverständlich, weil die Unternehmen dabei natürlich auch Einblicke in ihre Strukturen geben müssen.
Wir haben im Rahmen von 210 Informationsveranstaltungen allein im letzten Jahr ca. 4.600 Multiplikatoren der nordrhein-westfälischen Wirtschaft dahingehend sensibilisiert, den richtigen Umgang mit Daten zu wählen, auch sensibilisiert im Hinblick auf Spionage und Cybercrime. Sie wissen es selbst: Die beste Firewall nützt nichts, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Handys, Smartphones oder Tablets irgendwo unbeaufsichtigt liegenlassen. Viel zu schnell ist eine Schadsoftware dort aufgelagert und führt zu entsprechenden Schäden. Das Gleiche – das wissen Sie auch – gilt für USB-Sticks und E-Mail-Anhänge.
Hier beraten wir die Unternehmen sehr ausführlich, wie gesagt, mit Kooperationspartnern. Das sind Handwerkskammern und insbesondere die Industrie- und Handelskammern. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine ausgezeichnete zwölfjährige Partnerschaft auf der Grundlage.
Trotzdem müssen wir ehrlich sein: Es wird auch zukünftig keine 100%ige Sicherheit für nordrhein-westfälische Unternehmen geben, insbesondere gegen hochprofessionelle Attacken. Man wird es da möglicherweise hinnehmen müssen, dass da auch sensible Daten abfließen. Aber da, wo wir beraten und sensibilisieren können, tun wir das in außerordentlichem Umfang.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer Frage hat sich Herr Dr. Paul von der Fraktion der Piraten gemeldet.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, ist der Landesregierung bewusst, dass nach den neuesten Enthüllungen davon ausgegangen werden muss, dass auch in Nordrhein-Westfalen keine Steuererklärung, keine elektronische Gerichtsakte, keine Patientenakte, keine SMS, sei es von Bürgern oder von Regierungsverantwortlichen, keine E-Mail, kein elektronischer Personalausweis und kein Online-Banking wirklich sicher sind und personenbezogene private und/oder vertrauliche Daten abgefangen, gespeichert, ausgewertet und manipuliert werden können?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Abgeordneter, ich hatte eingangs schon gesagt, wir können den Wahrheitsgehalt dieses „SPIEGEL“-Artikels nicht überprüfen. Wir haben in den vergangenen Monaten in anderem Zusammenhang mit NSA schriftlich wie mündlich gegenüber dem Bundesinnenministerium deutlich gemacht, dass wir uns da Informationen wünschen. Das Bundesinnenministerium hat regelmäßig geantwortet, dass konkrete Erkenntnisse nicht vorliegen.
Wenn ich das mal diplomatisch ausdrücken will, Herr Paul: Ich komme inzwischen zu dem Schluss, dass diese Aussage einen gewissen Wahrheitsgehalt hat.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Es gibt eine Frage des Herrn Abgeordneten Kern von der Fraktion der Piraten.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben gerade ausgeführt die Bemühungen der Landesregierung hinsichtlich Informationsangeboten an die Wirtschaft, um dort die entsprechende IT-Infrastruktur zu schützen.
Sie haben gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass Ihnen noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen über den Wahrheitsgehalt der bisherigen Veröffentlichungen von Snowden. Gleichwohl deutet ja alles darauf hin. Denn zumindest das Gegenteil konnte noch nicht bewiesen werden. Insofern wäre es ja der Situation angemessen, sich sozusagen darauf vorzubereiten, dass das tatsächlich zutrifft, was Herr Snowden bislang geäußert hat.
Vor diesem Hintergrund meine Frage: Welche konkreten ersten Schritte hat denn die Landesregierung jetzt unternommen, um ihre eigene IT-Infrastruktur zu schützen, abgesehen davon, dass Sie sich in dem Response-Team um die Erarbeitung von Richtlinien gekümmert haben?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Abgeordneter Kern, ich dachte, ich hätte das ausgeführt. Aber ich will gerne noch einmal verdeutlichen, dass die Aufbauorganisation insbesondere der IT-Verwaltung beim Land Nordrhein-Westfalen so organisiert ist, dass wir an einer Stelle eine Pförtnerfunktion haben. Das ist IT.NRW. Wir haben nicht erst begonnen, sondern das ist ein laufender Prozess, der in der Vergangenheit bereits stattgefunden hat und in Zukunft auch weiterhin stattfinden wird, dass IT.NRW mit dem, was an Technologie zur Verfügung steht, ausgestattet sein muss, um das Abschöpfen von Daten aus der Landesverwaltung zu verhindern.
Um eine Kennzahl zu nennen: IT.NRW verzeichnet im Monat etwa fünf Millionen Angriffe auf die Serverstruktur des Landes Nordrhein-Westfalen, überwiegend harmloser Art, aber wöchentlich einige schwere.
Das zeigt, dass viele Attacken auf die Datenbestände des Landes Nordrhein-Westfalen von IT.NRW erkannt werden. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen – wenn die „SPIEGEL“-Berichterstattun-gen zuträfen –, dass bereits in den Hardwarekomponenten einzelner Hersteller Schadstoffsoftware installiert wurde, was weder für den Kunden noch für die Landesregierung in irgendeiner Weise erkennbar ist.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Schmalenbach von der Piratenfraktion hat sich gemeldet.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Aus jüngsten Veröffentlichungen geht hervor, dass die NSA in ihrer Abteilung TAO ein Programm namens Quantumtheory entwickelt hat, mit dem es möglich ist, via Control-Server und Foxacid-Server Zielrechner im Internet zu kompromittieren, zu überwachen und zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Sind der Landesregierung versuchte oder erfolgte Angriffe auf Rechner bekannt, die aus dem Quantumtheory-Netzwerk erfolgten?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich hatte Ihnen gerade geschildert, dass wir es monatlich mit etwa 5 Millionen Angriffen auf die IT-Struktur des Landes Nordrhein-Westfalen zu tun haben. In der Regel ist der Verursacher nicht erkennbar. Deshalb können Angriffe weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke. – Herr Kollege Bayer von der Piratenfraktion hat sich gemeldet.
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, bei diesem Quantumtheory-Programm ist ein wesentlicher Punkt, dass beispielsweise die Foxacid-Server direkt oder möglichst nahe am Angriffsziel stehen müssen. Das heißt, die Qualität der Angriffe ist schon eine andere als ein Angriff von irgendwo. Ich entnehme Ihren bisherigen Äußerungen, dass die Landesregierung nicht ausschließen kann, dass in NRW Server stehen oder gestanden haben, die zu diesem Quantumtheory-Netzwerk der NSA gehören, also etwa Foxacid-Server.
Wie bewertet die Landesregierung die genannten Methoden und Maßnahmen der Quantumtheory-Programme, insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsgefährdung der NRW-Bevölkerung und der ansässigen Unternehmen und Landesbehörden? Wie wir wissen, haben wir hier besonders wichtige Unternehmen, die sicherlich ein interessantes Ziel sind.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich hatte schon eingangs gesagt und wiederhole es, wir können den Wahrheitsgehalt dieser „SPIEGEL“-Veröffentlichungen nicht bewerten. Dazu fehlen uns Erkenntnisse. Träfen sie zu – wohlgemerkt: Konjunktiv –, empfände ich es insgesamt als seltsam, dass Nachrichtendienste befreundeter Staaten nicht für die eigene Sicherheit ausspähen, sondern offensichtlich als Zugewinn für die eigene heimische Wirtschaft insbesondere Wirtschaftsspionage in Richtung befreundeter Staaten betreiben.
Was ich davon halte, habe ich mehr als deutlich gesagt. Ich wiederhole, auch ganz konkrete Nachfragen bei Bundesstellen, insbesondere beim Bundesinnenministerium, haben offenbart, dass von dort zumindest erklärt wird, keine näheren Kenntnisse zu haben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zu einer zweiten Frage hat sich Kollege Schmalenbach gemeldet.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Sie weisen immer darauf hin, was Sie schon alles bewertet haben. Deswegen eine Bewertungsfrage: Wie bewertet die Landesregierung die genannten Methoden und Maßnahmen der Quantumtheory-Programme, insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsgefährdung der NRW-Bevölkerung, der ansässigen Unternehmen und Landesbehörden?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: So präzise, wie Sie die Frage gestellt haben, so präzise die Antwort: Wir können nicht Maßnahmen bewerten, von denen wir nicht wissen, ob sie stattgefunden oder nicht stattgefunden haben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Herr Kollege Lamla hat sich zu einer Frage gemeldet. Bitte schön.
Lukas Lamla (PIRATEN): Aus den Enthüllungen von Snowden ist bekannt geworden, dass die NSA der amerikanischen Firma RSA 10 Millionen $ hat zukommen lassen, um einen Zufallszahlengenerator zu manipulieren, der anschließend in den Produkten der Firma RSA verwendet worden ist.
Bereits 2011 ist die Firma RSA dadurch aufgefallen, dass bei einem digitalen Einbruch in diese Firma Seeds, also „Generalschlüssel“ sowie Seriennummern entwendet worden sind. Daraufhin sind 40 Millionen RSA-Tokens, wie wir sie auch hier im Landtag verwenden, ausgewechselt worden.
Im Hinblick darauf frage ich Sie: In welchem Umfang finden die Produkte der US-Firma RSA in den Behörden und Organen des Landes Verwendung?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Das kann ich jetzt nicht beantworten, weil es deutlich über die eigentliche Fragestellung hinausgeht. Sie haben es als Fakt dargestellt, dass das so stattgefunden hat. Das können wir nicht beurteilen. Art. 32 Abs. 1 unserer Verfassung regelt, dass die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch der Länder ausschließlich vom Bund vorgenommen wird.
Wir haben ausschließlich zwei Landesvertretungen außerhalb Nordrhein-Westfalens, eine in Berlin und eine in Brüssel. Somit können sich unsere Erkenntnisse nur darauf beziehen, was Bundesstellen, insbesondere das Bundesinnenministerium, uns auf Nachfragen erklärt hat. Die Antwort lautete, selbst keine Erkenntnisse zu haben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Kollege Schulz hat sich zu einer Frage gemeldet.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Daran anknüpfend – es sind bereits viele Aspekte angefragt worden –, ganz speziell bezüglich der Erkenntnisse, die Sie noch nicht haben: Wenn Sie die Erkenntnisse vorliegen haben, beabsichtigt die Landesregierung dann Gewährleistungsansprüche oder gar Schadensersatzansprüche für etwaige fehlerhafte oder manipulierte, in den Behörden und Organen des Landes verwendete Verschlüsselungshard- und ?software geltend zu machen bzw. zu fordern?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich glaube, dass man Schadensersatzforderungen nur dann stellen kann, wenn einem bekannt ist, dass ein Schaden entstanden ist. Das ist aus den genannten Gründen zurzeit etwas schwierig, weil wir nicht einmal wissen, ob jemand versucht hat, Schaden zuzufügen, geschweige denn, ob einer entstanden ist.
Um es deutlich zu sagen, ich glaube, dass die Aufarbeitung der NSA-Affäre keine technische, sondern insbesondere eine politische ist. Die Bundesregierung ist gut beraten, auf ein echtes No-Spy-Abkommen mit den USA zu drängen, und zwar auf ein echtes und kein weichgespültes. Meine persönliche Meinung – nicht die der Landesregierung – ist, man kann eher auf ein No-Spy-Abkommen verzichten, wenn es windelweich ist und keine klaren Kriterien enthält.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Herr Kollege Olejak von der Piratenfraktion hat sich gemeldet.
Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank. – Das Serverbetriebssystem Solaris gehört seit 2010 dem Unternehmen Oracle, dessen Geschäftsführer Larry Ellison wortwörtlich gesagt hat: Die Überwachung der NSA sei wichtig und klasse.
Das lässt mich fragen: In welchem Umfang setzt die Landesregierung Solaris-Server oder Oracle-Produkte in sicherheitsrelevanten Behörden bzw. Bereichen ein, zum Beispiel bei dem Ministerium für Inneres und Kommunales, dem Finanzministerium, der Polizei, der Feuerwehr, Strafvollzugseinheiten oder der öffentlichen Daseinsvorsorge? – Vielen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Abgeordneter, ich vermute, dass diese Frage eher rhetorischer Natur war, als dass Sie tatsächlich eine konkrete Antwort erhalten wollten.
(Marc Olejak [PIRATEN]: Nö!)
Ich stelle noch mal fest: Das geht deutlich über den eigentlichen Fragegrund hinaus. Ich bin zurzeit nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, welchen Servertyp welche Behörde bei der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen benutzt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Herr Kollege Düngel hat sich gemeldet.
Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Minister Jäger, ich versuche es etwas allgemeiner. Sie sprachen gerade eine gewisse Bestandsaufnahme an. Werden Sie – sprich: die Landesregierung – Ihre Server und sonstige Hardware dabei ganz oder teilweise auch auf mögliche Spionageimplantate hin überprüfen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Sofern es dazu technische Möglichkeiten gibt, gehe ich fest davon aus, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei IT.NRW ohnehin ausreichend sensibilisiert sind und das im Rahmen der technischen Möglichkeiten zum Tagesgeschäft gehört.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Olejak gemeldet.
Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank. – Um der Fragestellung nach den Tailored Access Operations – TAO –, deren Aufgabe es ist, explizit einzelne Produkte zu manipulieren, um sie überwachbar zu machen, gerecht zu werden, formuliere ich eine Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt. Sie forderten ja gerade ein: Wer eine spezifischere Frage stellt, bekommt eine spezifischere Antwort. Ich würde ganz gerne wissen: In welchem Umfang setzt die Landesregierung PowerEdge Server von DELL ein, also die Produkte des Herstellers, die auch wir hier im Landtag hauptsächlich einsetzen? – Vielen Dank.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Offen gestanden: Ich überlege gerade, welchen privaten Server ich zu Hause habe und ob ich dessen Fabrikatsnummer und Hersteller kenne.
Ernsthaft! Ich bin zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, Ihnen aus meinem Gedächtnis heraus eine Liste aufzusagen, welche Fabrikate von welchem Hersteller im Rahmen der Hardwareausstattung der einzelnen Behörden in Nordrhein-Westfalen wo stehen.
(Zurufe)
– Man muss auch mal Schwächen zugeben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Es gibt eine weitere Frage von den Piraten. Herr Kollege Wegner hat sich gemeldet.
Olaf Wegner (PIRATEN): Vielen Dank. – Unter den neuen Veröffentlichungen befinden sich Listen mit Sicherheitslücken und Backdoors, die in Routern und Firewalls unterschiedlicher Hersteller bestehen und die die NSA nutzen kann, um in die Computernetzwerke einzudringen und Rechner anzugreifen. Sind unter den betroffenen Routern und Firewalls auch Geräte, die die Landesregierung oder andere Behörden des Landes verwenden, bzw., ist dies überhaupt überprüft worden?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Da muss ich bedauerlicherweise genauso antworten wie bei der Frage zuvor. Über solche technischen Details kann ich im Rahmen einer parlamentarischen Fragestunde bedauerlicherweise keine Auskunft erteilen. Wenn ich es könnte, würde ich es natürlich tun.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da ich von der Sache zu wenig Ahnung habe, um das letztlich beurteilen zu können, bitte ich Sie sehr herzlich darum, nur solche Fragen zu stellen, die im Zusammenhang mit der eingereichten Ursprungsfrage an die Landesregierung stehen.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
In der Sache kann ich das bei den einzelnen Fragen nicht beurteilen. Ich bitte um Verständnis.
Wir haben eine weitere Wortmeldung. Der Kollege Sommer hat sich gemeldet.
Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vorab, vor der eigentlichen Frage, Herr Minister: Es würde mich sehr freuen, wenn Sie die Fragen, die Sie hier jetzt nicht direkt beantworten können, im Nachgang schriftlich beantworten könnten. Das wäre sehr schön.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ist das Ihre Frage?
Torsten Sommer (PIRATEN): Nein, das ist nicht meine Frage. Das habe ich ja gerade gesagt: bevor ich zur eigentlichen Frage komme ...
Zur eigentlichen Frage! Sie erwähnten eben den neu eingerichteten Posten eines CIO hier in Nordrhein-Westfalen. Da würde mich das Verhältnis interessieren: Wie viele Fachleute unterstehen dem CIO direkt in seiner Abteilung? Und dazu im Verhältnis: Für wie viele IT-Systeme sind diese Menschen in der Landesverwaltung im Land Nordrhein-Westfalen insgesamt zuständig? Beides hätte ich gerne in der Endausbaustufe gewusst, also sowohl bei der Abteilung des CIO – diese Abteilung ist ja gerade erst im Aufbau – wie auch bitte bei der zweiten Zahl, also den Systemen, weil es da anscheinend noch Verhandlungen gibt, dass auch die Systeme der Polizei später mal vom CIO betreut werden sollen. – Vielen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident, wenn ich das richtig verstanden habe, sind jetzt zwei Fragen an mich gerichtet worden. Das geht über den üblichen Rahmen hinaus. Aber ich bin gerne bereit, beide Fragen zu beantworten.
Die Frage zu den Servern, welche Servertechnik, welche Fabrikate welchen Herstellers wir in welcher Behörde benutzen, will ich Ihnen gerne schriftlich beantworten, sofern dies in zumutbarer Zeit und in einem zumutbaren Umfang möglich ist. – Das zur ersten Frage.
Zum Zweiten. Ich glaube, dass Sie eine etwas unpräzise Vorstellung dessen haben, was Aufgabe des CIO ist. Die Aufgabe des CIO ist es nicht, die Sicherheit innerhalb der IT-Struktur in Nordrhein-Westfalen zu überprüfen, sondern Aufgabe des CIO ist es im Wesentlichen, die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen im IT-Planungsrat sicherzustellen und nach innen so zu wirken, dass die IT-Strategie des Landes Nordrhein-Westfalen kompatibel ist mit der der übrigen Bundesländer, der Kommunen und auch des Bundes.
Die Sicherheit für das Netz in der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten, ist Aufgabe von IT.NRW. Ich hatte gerade die Pförtnerfunktion dieser Behörde dargestellt. Aus meiner Erinnerung heraus kann ich Ihnen sagen, dass da ca. 1.800 Menschen arbeiten, wobei die nicht alle mit der Sicherheitsüberprüfung und dem Support für das IT-Netz beauftragt sind. Sie wissen, dass IT.NRW insbesondere die ursprüngliche Aufgabe des Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung übernommen hat. Das heißt, ein großer Teil dieser Mitarbeiter ist auch mit statistischen Aufgaben betraut. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Aufgabenfeldern können wir Ihnen, was personelle Ressourcen angeht, sicherlich nachliefern.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Kern von der Fraktion der Piraten gemeldet.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, auf dem Chaos Communication Congress Ende Dezember letzten Jahres in Hamburg wurde darauf hingewiesen, dass die besagte NSA-Abteilung, die in der Eingangsfrage genannt wurde, so vorgeht, dass sie bei Bestellungen von Kunden die gelieferten Sendungen von irgendwelchen Computerherstellern abfängt, manipuliert und gegebenenfalls mit Implantaten versieht.
Meine Frage an Sie: Prüft die Landesregierung ihre Hardware darauf, ob diese manipuliert und dort gegebenenfalls Implantate eingebaut wurden?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich hatte Ihnen bereits erläutert, dass derartige Fragen eigentlich unmittelbar durch Bundesbehörden mit der NSA zu klären sind. Nach meinem Verständnis sollten Nachrichtendienste, die das gegenüber einem befreundeten Staat tun, das erstens unterlassen. Zweitens sollten Sie darüber Auskunft geben, ob und in welchem Umfang so etwas in der Vergangenheit stattgefunden hat.
Bei meinen rudimentären technischen Kenntnissen gehe ich davon aus: Wenn es in der Vergangenheit stattgefunden haben sollte, ist es für alle Kunden – einschließlich der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen – äußerst schwierig, zu erkennen, ob Hardwareprodukte in derartiger Weise manipuliert worden sind.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zur Abwechslung gibt es eine Frage aus der FDP-Fraktion, nämlich vom Kollegen Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, ich begrüße immer, dass die Landesregierung dem Bürger in wohlbestellter Sorge auch verfahrensleitende Hinweise gibt. Jetzt hat Minister Kutschaty im Zusammenhang mit der Vorstellung des Strafverfolgungsberichtes eine Äußerung getan, die mich nachdenklich stimmt.
Daher frage ich: Ist das die Meinung der Landesregierung? Er hat nämlich gesagt, dass er, seitdem er sich mit dem IT-Problem und mit Cybercrime beschäftigt, kein Onlinebanking mehr macht. Das ist eine klare Aussage, die mich als betroffenen Bürger denken lässt: Wenn schon ein Minister das so sagt, dann lasse auch ich es lieber sein. – Entspricht das auch Ihrem Erfahrungsschatz? Hat der Justizminister zu Recht gesagt: „Das ist eine so gefährliche Kiste, dass ich lieber die Finger davon lasse“? Welche Position bezieht die Landesregierung zu dieser Aussage?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Das waren auch wieder zwei Fragen; aber auch diese beiden will ich gerne beantworten. – Herr Ellerbrock, es gibt unzweifelhaft beim Onlinebanking – insbesondere dann, wenn zu leichtfertig mit TAN-Nummern oder Passwörtern umgegangen wird – erhebliche Risiken, dass sich Menschen mit krimineller Energie solche Nachlässigkeiten zunutze machen und es im Rahmen des Onlinebankings zu Schaden bei Privatkunden, aber auch Unternehmen kommen kann.
Eine Empfehlung seitens der Landesregierung, in welcher Weise die Menschen in diesem Land Onlinebanking nutzen sollten oder nicht, findet nicht statt, weil ich glaube, dass die Menschen das selbst entscheiden sollten. Wenn Herrn Kutschaty dies hinsichtlich seiner privaten Gewohnheiten geäußert hat – ich glaube nicht, dass er das in seiner Funktion als Minister, insbesondere was den Zahlungsverkehr des Justizministeriums angeht, getan hat, sondern eher in Bezug auf die Frage, wie er sein Banking privat handhabt –, schlage ich vor, ihm diese Frage privat zu stellen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Nun hat sich Frau Kollegin Pieper gemeldet.
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, ich möchte gerne wissen, ob die Landesregierung in sicherheitsrelevanten und sensiblen Bereichen auch Computersysteme verwendet, die explizit nicht ans Internet angeschlossen sind, um diese vor Gefahren zu schützen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich grüble gerade, ob ich das in öffentlicher Sitzung sagen darf. – Ich glaube nicht, aber ich will es einmal so formulieren, Frau Abgeordnete: Sie können davon ausgehen, dass gerade in sicherheitsrelevanten Bereichen der Landesverwaltung bzw. des Innenministeriums darauf geachtet wird, dass keine Manipulationen über eine Internetverbindung stattfinden können.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Düngel gemeldet.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, ich will da noch einmal nachhaken. Ich muss gestehen: Vor einem Jahr hätte ich jemandem, der diese Frage gestellt hätte, wahrscheinlich noch gesagt, dass er seinen Alu-Hut aufsetzen und gehen soll.
In den Snowden-Dokumenten gibt es unter dem Codenamen „angry neighbour“ Berichte darüber, dass die NSA Radarwanzen einsetzt, die selber keine Funksignale senden. Die Abfrage erfolgt aus der Ferne durch Radarstrahlen. Damit ist es möglich, Monitorbild, Tastaturanschläge usw. usf. zu überwachen, ohne dass ein Rechner mit dem Internet verbunden sein muss.
Berichten zufolge sind damit EU-Vertretungen in den USA abgehört worden. Es wurde auf Rechner zugegriffen, die eben keinen Internetzugriff haben. Das veranlasst mich zu der Frage: Sind Ihnen entsprechende Angriffe auf Rechner der Landesbehörden, von Landesbetrieben oder anderer öffentlicher Einrichtungen hier in Nordrhein-Westfalen bekannt?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Abgeordneter, mir ist bekannt, dass dazu – keine Frage – die technischen Möglichkeiten bestehen können. Mir ist allerdings bis zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt, ob Angriffe dieser Art in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Landesverwaltung stattgefunden haben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ebenfalls zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Lamla gemeldet.
Lukas Lamla (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie sagten gerade eben, solche Abhörmaßnahmen von außen seien Ihnen bekannt. Daher frage ich Sie: Gibt es bereits in der Landesregierung und an sicherheitsrelevanten Stellen rein prophylaktische Maßnahmen gegen solche Abhörmöglichkeiten von außen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Wenn ich mich richtig erinnere – mir mag auch ein Fehler unterlaufen sein –, habe ich es, glaube ich, nicht so formuliert, wie Sie gerade dargestellt haben, sondern ich habe formuliert, dass mir bekannt ist, dass es dazu die technischen Möglichkeiten gibt. Ich habe nicht ausgeführt, dass dies gegenüber der Landesverwaltung stattgefunden hat. Es gibt in der Tat auch in der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen – insbesondere bei Kabinettsmitgliedern – inzwischen Vorkehrungen, dass vertrauliche Sitzungen – dazu könnten beispielsweise auch Kabinettssitzungen zählen – über diesen Weg nicht abgehört werden können.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Es hat sich der Kollege Schatz gemeldet.
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe eine Frage, die ein wenig in eine andere Richtung geht. Angesichts der Enthüllungen und der Tatsache, dass man der Hard- und Software von großen Konzernen unter Umständen nicht mehr trauen kann, würde ich gerne wissen, wie Sie den Vorschlag bewerten, dass mit Landesmitteln die Entwicklung quelloffener Software und einer grundsätzlich neuen Hardware-Architektur gefördert werden soll?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich habe die Frage akustisch nicht ganz verstanden, interpretiere die Frage aber so, ob wir in der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen darüber nachdenken, die Hardwareausstattung auszutauschen.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Wiederhole deine Frage!)
– Dann bitte ich darum, das noch einmal etwas lauter einzustellen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Moment, dann müssen Sie sich noch einmal eindrücken.
Dirk Schatz (PIRATEN): Meine Frage war – können Sie mich jetzt besser verstehen? –: Wie bewertet die Landesregierung angesichts der Enthüllungen den Vorschlag, mit Landesmitteln quelloffene Software und eine grundsätzlich neue Hardware-Architektur zu fördern?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Es gilt das, was ich vorhin mehrfach schon gesagt habe: Wir können nicht den Wahrheitsgehalt der „Spiegel“-Veröffentlichung beurteilen. Aber die Landesregierung plant kein Förderprogramm, um den Austausch von Hardware- oder Softwarekomponenten mit finanziellen Mitteln der Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalens zu finanzieren.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich dachte, wir wären am Ende gewesen. Aber jetzt hat sich noch der Kollege Rohwedder gemeldet. – Bitte schön.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Ich möchte von den technischen Detailfragen etwas weiter weg und habe Verständnis dafür, dass Sie diese Fragen nicht alle beantworten können. Ich kann Ihnen versichern, dass auch ein IT-Experte als Innenminister das wahrscheinlich aus dem Stegreif nicht alles hätte vollständig beantworten können.
Ich möchte eine politische Frage stellen: Sind Sie der Auffassung, dass die Spionagetechniken, über die wir diskutieren, ausschließlich dem Kampf gegen Terrorismus und der Verhinderung schwerster Straftaten dienen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Rohwedder, ich danke für Ihr Verständnis, dass ich nicht über alle Details und technischen Einzelheiten eines Geschäftsbereichs mit ca. 65.000 Beschäftigen informiert bin. Dafür danke ich Ihnen ernsthaft.
Ich hatte es, glaube ich, vorhin schon erwähnt: Einmal unterstellt – im Konjunktiv –, die Veröffentlichungen des „Spiegel“ seien zutreffend, dann wäre es so, dass Manipulationen von Hardware, aber auch das Anzapfen von Datenströmen nicht nur dem Ziel der Kriminalitäts- oder Terrorismusbekämpfung, sondern insbesondere dem Ziel der Wirtschaftsspionage gedient hätten. Ich habe es vorhin schon gesagt: Das würde ich, ausgeführt von einem befreundeten Staat, für mehr als merkwürdig, wenn nicht sogar als skandalös werten.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Herr Kollege Fricke.
Stefan Fricke (PIRATEN): Vielen Dank. Sie haben die Frage, die ich eigentlich stellen wollte, gerade schon beantwortet.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Okay. Danke schön. – Dann gibt es eine zweite Frage des Herrn Kollegen Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Eigentlich eine erste, würde ich sagen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Sie haben recht: Das ist Ihre erste Frage.
Frank Herrmann (PIRATEN): Danke. – Herr Minister, Sie haben mehrfach betont, dass die vielen Behauptungen, unter anderem im „SPIEGEL“-Artikel, noch nicht bewiesen sind. Das ist prinzipiell auch korrekt. Aber es steht zumindest im Raum, dass Nachrichtendienste – seien es GCHQ oder NSA oder wer auch immer – Hard- und Software manipulieren. Es ist so oft darüber gesprochen worden, dass man annehmen muss, dass so etwas tatsächlich gemacht wird.
Wird die Landesregierung zukünftig Ausschreibungen für Hard- und Software mit Blick auf diese Möglichkeiten und dieses Gefährdungspotenzial irgendwie anpassen? Wird sie zum Beispiel weitere Garantien fordern, die werthaltig sind, oder in irgendeiner Art und Weise die Ausschreibungen im Hinblick auf die Manipulationsmöglichkeiten anpassen, die eigentlich schon sehr deutlich zu erkennen sind?
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Wie Sie gerade zu Recht dargestellt haben, ist es nicht bewiesen. Schlimmer noch: Es gibt keinerlei Erkenntnisse, Herr Herrmann, im Land Nordrhein-Westfalen und scheinbar auch nicht bei Bundesstellen, die in irgendeiner Weise eine derartige Aktivität belegen oder ausschließen können.
Insofern ist es völlig klar, dass wir bei der Beschaffung von Hardware nie in den Ausschreibungen stehen hatten, dass eine solche Möglichkeit gegeben sein sollte. Ganz im Gegenteil! Für den Hinweis, ob und inwieweit wir solche Ausschreibungen im Rahmen des Vergaberechts anpassen müssen, danke ich Ihnen. Das werde ich einmal in meinen Geschäftsbereich geben. Wenn möglicherweise Modifikationen gemacht werden können, alleine um hinterher rechtlich in einer anderen Position zu sein, kann man das gerne aufgreifen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Schwerd hat als Fragesteller seine erste Frage. Bitte schön.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank. – Ich höre von Ihnen wiederholt, Sie wüssten nicht, welche Hard- und Softwareausstattung im Einzelnen vorhanden sei; es finde sich auch kein Beleg der Ausspähung. Sie nennen sehr oft den „Spiegel“, was ich ganz interessant finde, weil wir den „Spiegel“ gar nicht benannt haben.
Meine Frage vor diesem Hintergrund: Wie wollen Sie denn überhaupt den technisch ausgereiften Angriffsmethoden von Geheimdiensten entgegentreten, wenn Sie sich bis zum heutigen Tage noch nicht einmal einen Überblick darüber verschafft haben, an welcher Stelle vielleicht gefährdete Technologie vorhanden ist oder welche Angriffsvektoren überhaupt existieren? – Danke schön.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Abgeordneter, ich habe nicht gesagt, dass wir uns keinen Überblick verschafft haben, sondern ich aufgrund der Fragestellung, wie Sie mir von Ihnen vorgelegt worden ist, nicht in der Lage bin, Hersteller und Fabrikat entsprechender Hardware in der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen aus der Erinnerung vortragen zu können. Ich hatte Ihnen angeboten – ich denke, dass Sie trotz dieser Bemerkung weiterhin auf dieses Angebot zurückgreifen wollen –, dass wir im Rahmen dessen, was uns möglich und vom Aufwand her vertretbar erscheint, eine solche Übersicht verschaffen wollen.
In der Tat hatten Sie nicht die Zeitschrift „SPIEGEL“ als Veröffentlicher dieser Methoden des NSA genannt. Das war eine Interpretation von mir. Wenn es an anderen Stellen in anderen Medien ähnliche Veröffentlichungen gibt, wäre ich Ihnen für einen Hinweis dankbar.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Zweite und letzte Frage für Herrn Kollegen Schatz. Bitte schön.
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben viele Sachen nicht beantworten können. Bei einigen kann ich nachvollziehen, dass Sie das hier nicht aus dem Kopf schaffen, bei anderen nicht unbedingt.
Allerdings haben Sie auch gesagt, viele Erkenntnisse lägen einfach nicht vor, sodass Sie es nicht wüssten. Vor dem Hintergrund Ihres Nicht-Wissens frage ich Sie: Sind Sie überhaupt in der Lage, die Bedrohung, die eventuell für dieses Land existiert, einzuschätzen?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Für eine solche Lagebeurteilung ist es natürlich erforderlich, Erkenntnisse zu haben. Auch wenn es nach einer Wiederholung klingt, bitte ich Sie, sich noch einmal zu verdeutlichen, dass das Licht in das Dunkel, welche Aktivitäten die NSA zutreffenderweise durchgeführt hat oder was reine Spekulation ist, nur durch Bundesbehörden gebracht werden kann in der Weise, dass die NSA letztlich auf politischem Wege dazu gezwungen wird. Ansonsten ist die Erkenntnislage sowohl beim Bund als naturgemäß dann auch in den Ländern mehr als dürftig.
Ich habe vorhin schon einmal gesagt, dass so etwas aus dem Schriftverkehr mit den Bundesbehörden, aber auch im Rahmen der Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung erkennbar ist und dass ich den Wahrheitsgehalt der Aussage, bei ihnen lägen auch keine Erkenntnisse vor, relativ hoch einschätze.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Schwerd hat eine zweite Frage. Bitte schön, Herr Schwerd.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Minister, Sie sagten soeben, das meiste sei Spekulation oder nicht bewiesen. Zumindest in einem Fall wissen wir jetzt definitiv, dass die NSA Wirtschaftsspionage in Nordrhein-Westfalen betrieben hat, und zwar bei der Essener Ferrostaal. Dort wurde ein Angebot abgefangen, und ein US-amerikanisches Unternehmen konnte dieses Angebot daraufhin unterbieten.
Vor dem Hintergrund frage ich Sie, Herr Minister: Sind Sie hier und heute bereit, die Aktivitäten und Programme der NSA grundsätzlich und öffentlich zu verurteilen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Kollege, ich habe, glaube ich, keinen Zweifel daran gelassen, dass es zu verurteilen wäre, wenn die NSA als Freund der Bundesrepublik Deutschland dies nicht aufgrund der nationalen Sicherheit täte, sondern um amerikanischen Unternehmen Informationen von ihren Mitbewerbern aus Europa zuzuliefern. Das ist überhaupt keine Frage.
Ich sage es noch einmal, Herr Abgeordneter – und dabei versuche ich, möglichst präzise zu sein –: Sie hatten formuliert, das meiste sei Spekulation. Zurzeit ist alles Spekulation, weil uns im Rahmen des NSA-Komplexes keinerlei Erkenntnisse zugeliefert wurden, insbesondere nicht durch die Bundesbehörden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Schulz hat noch eine Frage. Bitte schön, Herr Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, angesichts der Tatsache, dass der Erkenntnisgewinn ausgehend von den ersten Veröffentlichungen durch Edward Snowden und Presseveröffentlichungen jetzt schon ein halbes Jahr zurückliegt und dass auch nach Ihren heutigen Aussagen weiterer Erkenntnisgewinn in der Zukunft noch auf sich warten lässt, wir aber gleichwohl doch von einer, wie Sie eben persönlich sagten, Bedrohungslage ausgehen können, frage ich Sie:
Sehen Sie sich bzw. das Land Nordrhein-Westfalen, aber auch die Bundesbehörden, mit denen Sie ja eng zusammenarbeiten, in diesem Komplex der Beurteilung und Erkenntnisgewinnung bezüglich Bedrohungslagen für Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen als hilflos an? Und wenn nein: Was wird von Ihnen als Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen veranlasst, um den Erkenntnisgewinn zu fördern und gegebenenfalls auch auf die Bundesebene insoweit einzuwirken?
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Schulz, Sie sind nicht Mitglied des Innenausschusses, deshalb können Sie das nicht wissen. Das soll jetzt auch kein persönlicher Vorwurf sein. Im Innenausschuss haben wir diesen Fragenkomplex mehrfach erörtert. Ich habe sehr deutlich gemacht, dass ich den Informationsfluss vonseiten der Bundesbehörden in Richtung der Länder dahin gehend kritisiere, dass uns keinerlei Erkenntnisse zu allen Bereichen dieses NSA-Komplexes vorliegen.
Und ich will es jetzt ein drittes Mal wiederholen: Nach Gesprächen mit Vertretern der Bundesregierung habe ich inzwischen das Gefühl bzw. die Wahrnehmung, dass, soweit die Bundesregierung oder die Bundesbehörden erklären, selbst keine Erkenntnisse zu haben, diese Aussage einen hohen Wahrheitsgehalt hat.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann schließen wir die Fragerunde – nicht die Fragestunde, denn wir haben noch ein paar Minuten.
Ich rufe die
des Abgeordneten Henning Höne von der Fraktion der FDP auf:
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat beschlossen, in einzelnen Landesteilen die historisch über Jahrhunderte gewachsenen Schul- und Studienfonds aufzulösen. Betroffen sind vor allem zahlreiche Bildungseinrichtungen des Münsterlandes.
Nach den Plänen des Landes sollen 60 % der beträchtlichen Sondervermögensmasse für den maroden Landeshaushalt vereinnahmt werden und die katholische Kirche 40 % der Finanzmittel erhalten.
Unterschiedliche der durch dieses Vorhaben enteigneten und geschädigten Destinatäre der bisherigen Einnahmen aus diesen Fonds haben daher bereits öffentlich angekündigt, im Falle einer entsprechenden Gesetzesverabschiedung den Klageweg gegen das Land zu beschreiten.
Derzeit sind noch diverse fachliche Fragen im Zusammenhang mit den aktuellen vertraglichen Vereinbarungen des Landes ungeklärt.
Einerseits ist fraglich, warum das Land, das sich selbst als Alleineigentümer des Fondsvermögen sieht, ohne einen heute schon existierenden Rechtsgrund 40 % der Mittel an Dritte abgeben möchte.
Andererseits ist noch völlig unklar, mit welchen zuverlässigen Zusagen für die Finanzierung die Bildungseinrichtungen, für die die Zuwendungen aus dem Fondsvermögen zukünftig entfallen, dafür entschädigt werden sollen.
Auch werden aus verschiedenen Fachkreisen erhebliche Zweifel an den Wertermittlungen und rechtlichen Grundlagen des Regierungsprojekts laut.
Das Zustandekommen des aktuellen Stands der vertraglichen Vereinbarungen des Landes mit der katholischen Kirche und der Umgang mit den Bildungseinrichtungen, bei denen zukünftig bedeutende Finanzierungsgrundlagen entfallen sollen, bedürfen einer gründlichen Erörterung im Parlament.
Wie reagiert die Landesregierung nun auf die angekündigten Klagen der unterschiedlichen bisherigen Destinatäre bei einer Zerschlagung von deren Schul- und Studienfonds?
Für die Landesregierung bitte ich Herrn Minister Schneider in Vertretung für Herrn Minister Dr. Walter-Borjans um Beantwortung. Herr Schneider, Sie haben das Wort.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Vielen Dank. – Hintergrund für die Notwendigkeit einer Einigung des Landes mit der katholischen Kirche über die künftige Zuordnung des Vermögens der bisherigen Schul- und Studienfonds ist die hergebrachte Zweckbestimmung des Vermögens.
Das Vermögen befindet sich zwar bereits seit Langem im Eigentum des Staates, war aber insbesondere aufgrund seiner ursprünglichen Qualifizierung zur Nutzung für besondere Zwecke bestimmt. Vor dem Hintergrund, der historisch bedingt ist, und einer rechtssicheren Lösung ist die Vereinbarung mit der katholischen Kirche abgeschlossen worden. Danach fließen 60 % des Vermögens dem Landeshaushalt zu. Der Anteil der Bildungsausgaben am Landeshaushalt beträgt im Übrigen 38 %. 40 % des Vermögens fließen zu katholischen Rechtsträgern, die Bildungseinrichtungen fördern können. In den letzten zehn Jahren hat es durch die vier Fonds selbst allerdings nur zwei Fördermaßnahmen gegeben.
Die Fragen zur Wertermittlung der Grundstücke und der Gebäude wurden in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 16. Dezember 2013 nach der Anhörung beantwortet. Aus den Fragen ergab sich kein Anlass, die sorgfältig ermittelten Werte zu verändern.
Der in Rede stehende Gesetzentwurf wurde seit dem 25. September 2013 in zwei Lesungen im Plenum sowie in drei Sitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses und einer Sitzung des Unterausschusses „Personal“ und einer öffentlichen Anhörung behandelt.
Mit dem Gesetz werden keine Bildungseinrichtungen enteignet.
Es verwundert aber nicht, dass verschiedentlich Interessen angemeldet werden, wenn über nennenswerte Vermögen entschieden wird.
Deshalb ist im Gesetz eine Regelung enthalten, nach der begründete Rechtsansprüche weiterhin angemeldet werden können – natürlich unabhängig von der späteren Entscheidung über diese Rechtsansprüche, die geltend gemacht werden. Dieser Weg steht auch Bildungseinrichtungen offen, die in der Vergangenheit einmal oder mehrmals Zuwendungen erhielten. – Vielen Dank.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Busen mit einer Frage gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege.
Karlheinz Busen (FDP): Durch die Zerschlagung der Schul- und Studienfonds erwirbt das Land zivilrechtlich Eigentum an einer großen Anzahl von Liegenschaften, Grundstücken und Gebäuden. Wie verfährt der Finanzminister mit der zukünftigen Bewirtschaftung der an das Land fallenden Liegenschaften? Sollen diese zeitnah weiterverkauft oder dauerhaft im Eigenbestand belassen werden?
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Darüber ist noch keine Entscheidung gefallen. Dazu stehen noch sehr viele Gespräche mit allen Beteiligten aus.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Höne hat eine Frage. Bitte schön, Herr Kollege.
Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich persönlich finde, dass die Haltung von Frau Wissenschaftsministerin Schulze besonders bemerkenswert ist, da gerade ihre heimatliche Hochschule in Münster Geschädigte dieser Zerschlagung der Schul- und Studienfonds ist. Die fachliche Kritik aus der Hochschule in Münster und aus Ihrem Wissenschaftsministerium selbst ist ja bei der Kabinettsabstimmung offensichtlich unterlegen.
Warum tragen das Schulministerium, das Wissenschaftsministerium und die zuständigen Ministerinnen Svenja Schulze und Sylvia Löhrmann eine Kabinettsentscheidung mit, die den Bildungsbereich derartig schwächt?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Von einer Schwächung kann überhaupt keine Rede sein. Im Übrigen nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Entscheidungen der Landesregierung zu dem infrage stehenden Komplex einvernehmlich getroffen worden sind. Versuchen Sie hier nicht, zwischen unterschiedlichen Häusern den Spaltpilz zu setzen. Das würde Ihnen sowieso nicht gelingen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Frau Gebauer, bitte schön.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Herr Minister Schneider! Im Ergebnis gehen durch die Zerschlagung der Schul- und Studienfonds wertvolle Ressourcen für den Bildungsbereich verloren, die nun im allgemeinen Haushalt untergehen.
Meine Frage: Schafft die Landesregierung für die geschädigten und enteigneten Destinatäre für die zukünftig entfallenden Zuwendungen aus den Schul- und Studienfonds Kompensationen, damit die Arbeit vor Ort nicht leidet? Wenn ja, welche sind dies?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich habe eben darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren aus den vier Fonds, die aufgelöst werden, lediglich zwei Projekte gefördert worden sind. Im Übrigen gibt es in den bisher vorliegenden Unterlagen und Dokumenten keine Bestimmung, die jemanden davon abhält, aus dem ursprünglichen Vermögen der Fonds Bildungsmaßnahmen zu finanzieren. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Einschätzung nehmen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine Frage. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer Nachfrage geben. – Herr Minister Schneider, das Verfahren zur Ermittlung der angeblichen Immobilienwerte ist schon bemerkenswert. Sie stützen sich als Landesregierung auf frühere Arbeiten des „Competence Center Sachverständigenwesen“ – CCS –, also auf eine Einheit, die Sie selbst vor etwas mehr als einem Jahr aufgelöst haben, da es hier nach Feststellungen seitens des Landesrechnungshofs offenbar zu viele Gefälligkeitsgutachten gegeben hat.
Im Weiteren werden im Allgemeinen fast zehn Jahre alte Daten aus dem Jahr 2005 für eine Bewertung und Übertragung von Grundvermögen im Jahre 2014 zugrunde gelegt. Es hat in der Regel nur eine Trendextrapolation gegeben, also ein rein mathematisches Hochrechnungsverfahren, das eben nicht für alle rund 600 Sachverhalte bzw. Einzelliegenschaften die tatsächlichen Gegebenheiten neu berücksichtigt. Der Finanzminister spricht daher in der Landtagsdrucksache 16/4871 von einer vereinfachten Methode.
Für Immobilienverkäufe vom Land gilt ansonsten haushaltsrechtlich, dass einerseits präzise Wertgutachten vorliegen müssen und diese andererseits nicht älter als zwei Jahre sein dürfen. Ich frage Sie daher, Herr Minister Schneider: Warum wird bei diesem Gesetzentwurf in so evidenter Weise von üblichen fachlichen wie rechtlichen Vorgaben zur Immobilienbewertung abgewichen? Wieso soll das hier aus Ihrer Sicht in diesem Verfahren so vertretbar sein?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Die Wertgutachten hinsichtlich der Immobilien und Grundstücke sind von NRW.URBAN durchgeführt worden. Sie sind sehr detailliert und exakt durchgeführt worden. Auch nach der Anhörung und den Einlassungen zum Beispiel des Immobiliengutachters Dr. Drees gab es keine Notwendigkeit, eine Überprüfung der ursprünglichen Schätzungen vorzunehmen. Es gibt für Unterbewertungen wirklich keine Anhaltspunkte.
Natürlich gibt es Differenzierungen. Sie werden wissen, dass zum Beispiel Grundstücke, die mit Erbpachtverträgen versehen sind, die noch viele Jahrzehnte laufen, weniger Erlös bringen als Grundstücke ohne solche Erbpachtverträge.
Wir als Landesregierung sehen also keine Unachtsamkeiten oder Fehler bei den vorliegenden Wertgutachten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Busen stellt nun seine zweite und letzte Frage.
Karlheinz Busen (FDP): Herr Minister, Ihre Einschätzung zu den Grundstücken mit Erbpachtverträgen teile ich nicht, aber das ist nicht meine Frage.
Das Vermögen soll im Verhältnis 60:40 zwischen dem Land und der katholischen Kirche aufgeteilt werden. Wie sicher sind Sie sich, Herr Minister, dass dieses vertragliche Verhältnis auch tatsächlich den faktischen Vermögenswerten entspricht? Also, wie hoch ist die Abweichungstoleranz bei diesen Berechnungen?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich kann Ihnen an dieser Stelle nicht sagen, dass es Toleranzen oder gar Abweichungen bei diesen Berechnungen gibt. Das Verhältnis 60:40 ist mit der katholischen Kirche ausgehandelt worden. Das war Gegenstand der Verhandlungen, und ich glaube, diese Aufteilung ist fair und wird allen Beteiligten gerecht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Wedel hat eine Frage. Bitte schön.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, welche konkrete Rechtsgrundlage zieht die katholische Kirche heran für den Anspruch, dessen sie sich berühmt und der nun vom Land mit den 40 % in der Vereinbarung quasi vergleichsweise befriedigt werden soll?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Die Ansprüche der katholischen Kirche sind hier historisch bedingt. Dies geht zurück auf einen preußischen König, der per Dekret die Einrichtungen ins Leben gerufen hat. Diese Dekrete haben nach wie vor heute Gesetzeskraft und sind deshalb auch gesetzlich abzulösen.
Wenn man das will, muss man sich natürlich mit dem Partner – wir haben nicht die Absicht, einen zweiten Kulturkampf an dieser Front zu eröffnen; das wäre ja geradezu tödlich, um das einmal sehr deutlich zu sagen –, mit der katholischen Kirche zusammensetzen, und wir haben nach vielen Gesprächen eine einvernehmliche Lösung gefunden. Es gibt Rechtsansprüche, die weiter gelten. Die katholische Kirche war hier auch kompromissbereit und kompromissfähig. Das auf dem Tisch vorliegende Verhandlungsergebnis zeigt dies auch, denke ich, ein Stück weit eindrucksvoll auf.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Höne mit einer zweiten Frage. Bitte schön.
Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Schneider, aus der bisherigen Debatte mit dem Finanzminister Dr. Walter-Borjans, unter anderem im Ausschuss, ergibt sich eine etwas andere Rechtsauffassung als die, die Sie gerade hier ausgeführt haben. Darum möchte ich Sie bitten, das gleich ein bisschen näher zu erläutern oder möglicherweise aufzuklären. Dort hatte die Landesregierung bisher die Ansicht vertreten, dass sie allein über diese Vermögenspositionen, über die Zweckbindung entscheiden kann.
Wenn dem so ist und falls die Landesregierung bei dieser Argumentation bleibt, dass dem Land alleine die Verfügung über das Vermögen der Schul- und Studienfonds zusteht, und wenn man weiß, dass das Land rechtlich eigentlich keine Vermögenspositionen ohne Rechtsgrund verschenken darf, dann frage ich noch einmal, warum dann an dieser Stelle freiwillig und ohne eine bestehende rechtliche Verpflichtung 40 % des dreistelligen Millionenbetrages an die katholische Kirche einfach so abgetreten werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich darf einmal aus einer Vorlage von Herrn Minister Walter-Borjans an den Ausschuss zitieren:
„Hintergrund für die Notwendigkeit einer Einigung des Landes mit der katholischen Kirche über die künftige Zuordnung des Vermögens der bisherigen Schul- und Studienfonds ist die hergebrachte kirchliche Zweckbestimmung des Vermögens: Das Vermögen befindet sich zwar bereits seit Langem im Eigentum des Staates, war aber – insbesondere aufgrund seiner ursprünglichen Qualifizierung als Kirchengut – zur Nutzung für besondere kirchliche Zwecke bestimmt. Vor dem historischen Hintergrund ist eine“
– passen Sie auf! –
„rechtssichere Lösung nicht ohne Vereinbarungen zwischen Land und katholischer Kirche, die nach Artikel 21 Landesverfassung bestätigt werden müssen, zu erzielen.“
Das ist die Formulierung von Norbert Walter-Bor-jans. Ich denke, dies ist eindeutig und widerspricht im Übrigen auch nicht meinen Ausführungen. Ich erkenne keine Widersprüche.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Bevor ich Frau Gebauer das Wort erteilte, will ich nur sagen: Ich würde jetzt gerne die Liste schließen; wir sind schon eine Stunde und 20 Minuten über der Zeit. Die Fragestunde ist bereits seit acht Minuten überschritten. Wenn jetzt keiner mehr ganz schnell drückt – niemand –, dann ist die Redeliste geschlossen. – Frau Gebauer, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Yvonne Gebauer (FDP): Danke, Herr Präsident. – Herr Minister Schneider, das Land hebt ja mit diesem politischen Akt der Zerschlagung der Schul- und Studienfonds die Zweckbindung von Finanzmitteln auf, die deren Stifter ja als Destination für die Vermögensüberlassung verfügt haben. Meine Frage an Sie lautet: Wie bewertet die Landesregierung die Auswirkungen, die diese Umwidmung bisher zweckgebundener Stiftungsmittel für die zukünftige Spendenbereitschaft und die Stifterkultur hier in Nordrhein-Westfalen haben dürfte?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich denke, dass ein Dekret aus dem frühen Preußen die heutige Spendenkultur nicht unmittelbar beeinflussen wird. Wir haben es hier mit einer aus meiner Sicht überkommenen Struktur zu tun, die auch nur in einem geringen Ausmaß in Anspruch genommen wurde. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Anzahl der geförderten Projekte nicht gerade sehr groß war.
Mit der gefundenen Lösung widersprechen wir nicht der Notwendigkeit, Bildungseinrichtungen und Maßnahmen zu fördern. Dies ist nach wie vor möglich, allerdings auf einer anderen Grundlage, die auch zeitgemäß ist, die demokratischen Strukturen mehr entspricht als das, was wir bisher in diesem Zusammenhang zu verzeichnen hatten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Schulz hat eine Frage.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. In der Tat habe ich eine Frage, die in etwa an die von Herrn Minister Schneider gerade vorgelesene Vorlage des Finanzministeriums anknüpft und im Zusammenhang steht mit der Frage nach dem Rechtsgrund, den Herr Minister Schneider in Vertretung für den Herrn Finanzminister ebenfalls vorhin genannt und auch wiederum als Dekrete bezeichnet hat.
Ausgehend von den doch der Landesregierung hoffentlich vorliegenden mehreren Dekreten würde mich interessieren, ob die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass die Kirche bisher keinerlei Anspruchsschreiben – zumindest uns nicht bekannt – übermittelt hat, eine Prüfung der Prozessrisiken und Verfahrensrisiken vorgenommen hat, die dazu geführt hat, dass hier die Schenkung – um eine solche handelt es sich bei dieser Zuordnung – einem möglichen von der Kirche dann angestrengten Verfahren vorzuziehen ist.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Erster Punkt: Es handelt sich nicht um Dekrete – dieser Begriff kommt aus einer späteren Zeit –, sondern um sogenannte Kabinetts-Ordres des preußischen Königs.
Zweiter Punkt: Wir gehen fest davon aus, dass die ins Auge gefasste Lösung gerichtsfest ist und unserer Gesetzgebung entspricht. Das ist auch im Hinblick auf unser Verhältnis zur katholischen Kirche sehr wichtig.
Im Übrigen gestatten Sie mir folgende Anmerkung: Ich verstehe natürlich manche Abneigung gegenüber Kirchen. Mit der Aufregung, die der in Rede stehende Gegenstand erzeugt – er ist mehrfach behandelt worden: in Ausschüssen, in Anhörungen, in zwei Plenarsitzungen –, wird man meines Erachtens aber dem politischen Gegenstand nicht ganz gerecht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kern hat eine Frage. Bitte schön.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Herr Präsident, ich ziehe meine Wortmeldung zurück. – Danke.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kern. – Die nächste Frage kommt von Herrn Bayer. Bitte schön, Herr Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Ich möchte eine Frage vor dem Hintergrund der Tatsache stellen, dass Art. 29 Abs. 1 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen lautet: „Die Verbindung weiter Volksschichten mit dem Grund und Boden ist anzustreben.“ Sie hatten auf die Frage von Herrn Wüst geantwortet, es gebe keine Unterbewertung der Grundstücke. Spricht dann etwas dagegen, den Pächtern das jeweilige Grundstück zu den so ermittelten Preisen zum Kauf anzubieten? Das wäre doch eine Win-win-Situation für Land und Pächter.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich bin ganz sicher, dass die Landesregierung auch diese Fragestellung erörtert. Das ist in der Tat ein Anhaltspunkt, dem man nachgehen muss. Ich kann Ihnen an dieser Stelle keine endgültige Antwort auf die Frage geben, ob eine Verpachtung geplant ist und gegebenenfalls zu welchen Konditionen und mit welchen Rahmenbedingungen versehen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wedel hat eine zweite und letzte Frage. Bitte schön.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben meine erste Frage nach der Rechtsgrundlage der Kirche zwar nicht beantwortet, sondern nur auf die Historie verwiesen. Ich möchte mich jetzt aber einer anderen Frage widmen.
Der Finanzminister hat sich im bisherigen Beratungsverfahren geweigert, einen externen Sachverständigen für die Begutachtung der dreistelligen Millionenvermögen hinzuziehen. Die vermeintlichen Wertansätze beruhen allein auf Kalkulationen landeseigener Institutionen. Aus welchen einzelnen Gründen scheut die Landesregierung die Bewertung der enormen Vermögensmassen der Schul-und Studienfonds durch neutrale externe Sachverständige?
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Zum einen denke ich, dass ich Ihre Frage nach den rechtlichen Grundlagen für den eingeschlagenen Weg schon beantwortet habe.
Zum anderen vertraut die Landesregierung auch bei der Schätzung von Vermögenswerten landeseigenen Einrichtungen, die ja verpflichtet sind, unabhängige Gutachten vorzulegen. Da gibt es keine Gefälligkeitsgutachten. Vielmehr wird außerordentlich seriös gearbeitet. Deshalb sahen wir nicht die Notwendigkeit, nochmals externe Gutachter einzuschalten. Wir haben am heutigen Nachmittag sehr intensiv über die finanzielle Situation des Landes debattiert. Nehmen Sie unser Vorgehen als ganz kleines Beispiel dafür, dass wir hier sehr sparsam mit den Mitteln des Landes umgehen.
(Ralf Witzel [FDP]: Dann dürfen Sie doch kein Vermögen verschenken!)
– Das tun wir auch nicht. Herr Witzel, das ist Ihre Lesart, die ich zurückweisen muss.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, vielen Dank. – Hiermit weise ich jetzt alle Wortwechsel zurück und bitte Herrn Höne, seine dritte und letzte Frage zu stellen.
Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Herr Minister, vorweg möchte ich eine Bemerkung von eben zurückweisen oder zumindest klarstellen. Sie sagten gerade, das jetzige Stiftungsmodell sei überkommen. Das war Ihre Wortwahl. Nur weil etwas schon seit langer Zeit läuft, muss es nach meiner Meinung nicht automatisch überkommen sein, wenn es trotzdem weiterhin einem guten Zweck dient.
Herr Minister, das Land löst heute aller Wahrscheinlichkeit nach – wir kommen ja gleich noch zu diesem Tagesordnungspunkt – vier der sechs Schul- und Studienfonds auf. Zwei Fonds bleiben also aus guten Gründen zukünftig noch bestehen. Die Frage, ob Bildungseinrichtungen in den Genuss von Finanzmitteln aus solchen Fonds kommen, ist dann offensichtlich eine Frage des regionalen Wohnorts der betroffenen Familien. Aus welchen Gründen ist diese rechtliche Ungleichbehandlung verschiedener Schul- und Studienfonds aus Sicht der Landesregierung vertretbar? Zum Beispiel in der Eifel, im Bergischen Land und in meiner Heimatregion, dem Münsterland, wird es diese Fonds ja demnächst nicht mehr geben, aber in Ostwestfalen-Lippe weiterhin.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Über die Zukunft der beiden Fonds, die heute in der dritten Lesung nicht behandelt werden, wird noch – auch in diesem Hohen Hause – zu sprechen sein. Das ist eine unentschiedene Frage. Es besteht derzeit nicht die Absicht, da etwas zu verändern.
Im Übrigen stimme ich Ihnen völlig zu: Wenn etwas seit Langem besteht, heißt das nicht, dass es antiquiert ist.
Wir waren allerdings der Auffassung, dass diese vier Fonds in ihrer bisherigen Form eigentlich ihren Aufgaben nicht gerecht werden und dass deshalb dort auch eine Veränderung vorgenommen werden muss. Das hat nichts damit zu tun, dass diese Fonds seit Jahrhunderten bestehen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Dann kommen wir zur zweiten und letzten Frage von Herrn Witzel.
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass die Liste bereits geschlossen ist. Damit ist das nicht nur die letzte Frage von Herrn Witzel, sondern auch die letzte Frage in der Fragestunde. – Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir die Gelegenheit geben, die Fragestunde heute abzuschließen. – Herr Minister Schneider, der Gesetzentwurf der Landesregierung steht bekanntlich unter dem strengen Vorbehalt einer Zustimmung des Heiligen Stuhls, der als Völkerrechtssubjekt seine ausdrückliche förmliche Einwilligung zu den neuen vertraglichen Vereinbarungen erteilen muss. Dem Landtag ist bislang kein entsprechender Notenwechsel in dieser Angelegenheit zugegangen, der eine Verifizierung dieses konstitutiven Umstandes ermöglicht, der hier gleich für mehrere unterschiedliche Fonds zwingend ist.
Ich frage Sie deshalb, Herr Minister Schneider: Welche präzisen und detaillierten Aussagen zu den einzelnen Kontraktabschlüssen und Notifizierungen des Heiligen Stuhls erteilt die Landesregierung vor Gesetzesverabschiedung dem Parlament in puncto Form, Datum und Unterzeichner der jeweiligen Zustimmungen?
Alternativ können Sie uns natürlich auch von den jeweiligen grundlegenden Notifizierungen eine Kopie zur Verfügung stellen. Meine Frage inkludiert, ob Sie bereit sind, dem Parlament dies zur Verfügung zu stellen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Witzel, das ist eine sehr detaillierte Frage. Ich kann Ihnen nur mitteilen, dass es seitens des Heiligen Stuhls keine Einlassung gibt, die heute eine dritte Lesung unmöglich machen würde. Wenn die dritte Lesung, so wie die Landesregierung es möchte, mit einer Zustimmung endet, wird dies nicht dazu führen, dass im Nachhinein Ungültigkeit festgestellt werden muss, weil die Zustimmung des Vatikans nicht eingeholt worden ist oder dies nicht in einem ausreichenden Maße geschieht.
Die Frage, ob Sie Zugang zu den entsprechenden Unterlagen haben, werde ich sicherlich an Herrn Walter-Borjans weitergeben. Der zuständige Staats-sekretär ist auch im Haus. Da werden wir noch endgültige Entscheidungen zu treffen haben. Ich sehe aber keinen Grund, daraus ein Geheimnis zu machen.
Wir haben eben gehört, dass sowieso wenig in dieser Welt noch geheim ist. Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass durch die personelle Veränderung im Vatikan die Auffassung über zwei unserer Fonds eine andere geworden ist. Nun bauen Sie da mal nicht etwas auf, was nicht mehr den Realitäten entspricht. – Danke schön.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Damit sind wir am Ende der Fragestunde und am Ende dieser Fragerunde. Für den Fall, dass es Irritationen im Hause gibt: Ich hatte die Fragerunde eben schon beendet, Herr Kollege Kern. Sie haben es gerade noch einmal angesprochen. Nach unserer Geschäftsordnung ist dann die Liste geschlossen, und wir müssen nicht über die Zeit hinaus noch einmal Fragen annehmen. Es gibt immer mal Nachfragen. Manchmal kommen dann zwei oder drei Kollegen nicht mehr dran. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nun die
der Frau Abgeordneten Gebauer auf. Frau Gebauer, wollen Sie die Frage auf die nächste Plenarsitzung schieben oder möchten Sie eine schriftliche Beantwortung?
(Yvonne Gebauer [FDP]: Schieben!)
- Dann nehmen wir das so ins Protokoll auf und rufen die Frage in der nächsten Fragestunde auf.
Wir sind damit um 17:39 Uhr am Ende der Fragestunde.
Wir kommen zu:
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2885
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/4608 – Neudruck
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion das Wort der Frau Kollegin Hendricks.
Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der FDP hat eine Einbringung erfahren, hat eine Anhörung erfahren, hat eine ausgiebige Diskussion im Schulausschuss erfahren. Frau Gebauer, Sie haben uns schon angekündigt, dass Sie den Gesetzentwurf in die zweite Lesung in den Landtag einbringen wollen.
Gleichwohl will ich an dieser Stelle sagen: Eigentlich gibt es keinen Regelungsbedarf. Das hat sich sowohl in der Anhörung als auch in der Schulausschussdebatte gezeigt. Wenn es denn aber keinen Regelungsbedarf gibt, sollte man eigentlich auch keinen Gesetzentwurf einbringen.
Die FDP hatte als Grund für den Gesetzentwurf eine angenommene Ungleichheit definiert, die aber – das konnte man auch in der Anhörung erfahren – so nicht vorliegt. Eine Schlechterbehandlung der Schulformen Realschule, Hauptschule und Gymnasium bei Neugründungen ist nicht gegeben. Richtig ist, dass das Schulgesetz jede weiterführende Schule in ihrer Eigenart definiert, nämlich die gegliederten Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium sowie die integrierten Schulformen Sekundarschule und Gesamtschule.
Bei den Hauptschulen ist, wenn ich auf die Frage der Teilstandlösungen reflektieren soll, die Situation, dass die Abwärtsentwicklung der Schülerzahlen in Nordrhein-Westfalen dramatisch ist und es eigentlich nicht mehr zu Teilstandorten kommt und auch Teilungsgrenzen in diesen Schulformen zwar vorgesehen sind, aber nicht mehr realistisch sind.
Teilstandorte können aber nach dem Schulgesetz für alle Schulformen gegründet werden – das allerdings mit Genehmigung der Bezirksregierung. Dies ist übrigens auch bei einer Sekundarschule oder auch einer Gesamtschule nicht anders, weil jede Neugründung von der Bezirksregierung genehmigt werden muss. Insofern ist auch dieses von Ihnen entworfene Konstrukt, dass die Rechtssicherheit für die Teilstandorte nicht gegeben wäre, nicht richtig.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Meine Damen und Herren, eigentlich sollte man meinen, dass die Eigenständigkeit einer Schule einen Wert hat. Die Schulen wünschen sich auch keine Teilstandorte, sondern sie möchten eigentlich als eigenständige Schule arbeiten.
An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass die Neugründung eines Gymnasiums heute mit 84 Schülern erfolgen kann, die Gesamtschule mit einer gymnasialen Oberstufe mit 100 Schülern. Die Neugründung einer Realschule braucht 56 Schüler, bei den Sekundarschulen sind es 75 Schüler. Das heißt, es gibt hier keine Benachteiligung des bestehenden Schulsystems, sondern es gibt, wenn Sie das so haben wollen, eine Benachteiligung von Sekundarschulen und Gesamtschulen.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Meine Damen und Herren, Teilstandorte sind aber zudem nur da möglich, wo sie für die Sekundarschule und für die Gesamtschule die letzte Schule vor Ort darstellen. Mit Ihrer Forderung, das Gymnasium als Teilstandort, als letzten Standort an einem Ort zu implementieren, würden Sie diese Schule als eine Schule des integrativen Lernens festschreiben. Denn damit müsste das Gymnasium an diesem Standort für alle Schülerinnen und Schüler offen sein.
Dietrich Scholle hat in der Anhörung festgehalten, damit dies möglich wäre, müsste der vorliegende Gesetzentwurf durch einen Änderungsantrag bezüglich der Laufbahnbestimmungen der Schulformen des gegliederten Schulsystems ergänzt werden. Das heißt, Realschule und Gymnasium müssten genau wie die integrierten Schulformen Schülerinnen und Schüler aller Begabungsspektren und Leistungsgruppen aufnehmen, behalten und zum Schulabschluss führen.
Frau Beer hat im Schulausschuss bereits die Frage gestellt, ob Sie das wirklich wollen. Die Antwort sind Sie uns bis heute schuldig geblieben. Deshalb erneut die Frage, auch an die FDP, ob Sie bereit sind, die Laufbahnbestimmungen in der Ausbildungsordnung der Sekundarschule so entsprechend zu verändern, wie Sie die reklamierte Gleichbehandlung von Schülerinnen und Schüler aller Schulformen in Ihrem Gesetzentwurf formulieren.
Teilstandorte für alle Schulformen, meine Damen und Herren, sind möglich. Teilstandorte sind die schlechteste Lösung. Interessant ist, dass der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, Herr Wagener, in der Anhörung erklärt hat, dass es eigentlich keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung gibt.
Der Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht unnötig, überflüssig und bringt für die bestehenden Schulen keine Vorteile. Dies hat die Expertenanhörung eindeutig ergeben.
Der Gesetzentwurf sichert zudem nicht mehr Elternrechte, weil diese von dem bestehenden Gesetz nicht tangiert werden. Es handelt sich um ein konstruiertes Problem, das keiner Lösung zugeführt werden muss. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab.
Allerdings haben sich aus der Anhörung einige Hinweise zur Weiterentwicklung des Schulsystems ergeben. Die werden wir uns aufmerksam anschauen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Hendricks. – Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Vogt das Wort.
Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der von der FDP-Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf zur chancengleichen Ausgestaltung der Errichtungsbedingungen und Teilstandortbildung von allgemeinbildenden weiterführenden Schulformen in Nordrhein-Westfalen sieht einheitliche Errichtungsmöglichkeiten und Teilstandortbildung von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen vor, da aus Sicht der FDP mit der aktuellen Gesetzeslage einzelne Schulformen gegenüber anderen begünstigt sind.
Woher kommen diese Unterschiede? – Die heutigen gesetzlichen Regelungen entstammen Anpassungen an konkrete Problemlagen der vergangenen Jahre, wodurch es nicht verwundert, dass beispielsweise die Problematik der Errichtung von Hauptschulen nicht im Fokus der Gesetzgebung stand. Es ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, dass es je nach politischer Couleur schon mal beliebtere oder weniger beliebte Schulformen gibt und dass jede Schulform unterschiedliche Belange hat.
Daher konnte man in der Expertenanhörung einerseits die Bitte vernehmen, Ungleiches ungleich zu behandeln.
Andererseits wurde jedoch auch der Wunsch geäußert, die Vielfalt im Schulwesen zu erhalten, eine klare gesetzliche Lösung zu schaffen und gerade dem ländlichen Raum im Angesicht des demografischen Wandels Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Allerdings wurde ebenfalls deutlich, dass Teilstandorte in der Regel mit organisatorischen Schwierigkeiten verbunden sind. Man hat die Problematik, dass die Lehrer wechseln müssen, eventuell müssen ganze Klassen wechseln. Die Frage ist: Wie kommt man zu einer einheitlichen Schulkultur, wenn man räumlich voneinander getrennt ist? Wie lassen sich bestimmte Veranstaltungen organisieren? Es ist mit Sicherheit schwierig, und es sollte daher nicht der Normalfall, sondern der begründete Ausnahmefall sein.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollte aus Sicht der CDU-Fraktion vor Ort entschieden werden. Das sollen die Kommunen entscheiden, die betroffen sind. Wenn es für sie die einzige Möglichkeit ist, eine vernünftige Schulstruktur aufrechtzuerhalten, dann muss es für sie auch möglich sein, Teilstandorte zu bilden. Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit.
(Beifall von der CDU)
Dafür fehlen klare gesetzliche Regelungen; auch das wurde in der Anhörung deutlich. Eine Grauzone besteht bei der Frage: Wie wird das genehmigt oder nicht? Es gab durchaus Experten, die gesagt haben: Es wäre sehr schön, wenn wir eine solche einheitliche Regelung hätten. – Da haben wir eine andere Wahrnehmung als die, die gerade vonseiten der SPD geäußert wurde. Es gab durchaus Stimmen, die gesagt haben: Das ist wünschenswert, wir möchten es sehr gerne haben. – Wir als CDU-Fraktion wissen nicht, warum wir es ihnen verweigern sollten.
Es gab also aus unserer Sicht keine wesentlichen Argumente in der Expertenanhörung, die gegen eine Gleichbehandlung der allgemeinbildenden weiterführenden Schulen sprechen.
Diese Thematik hat im Augenblick aber wenig Relevanz in der Praxis, sodass die Frage erlaubt sein darf, ob tatsächlich Handlungsbedarf besteht. Dazu kam ein interessanter Hinweis in der Anhörung, den wir in unsere Überlegungen einbeziehen sollten. Einige Experten machten die unklare Situation und die fehlende gesetzliche Grundlage dafür verantwortlich, dass sich die Schulen gar nicht erst in diese Entwicklung begeben. Sollte der fehlende Bedarf also seine Ursache in der bestehenden Gesetzeslage haben, macht es Sinn, die Kommunen in ihrer Handlungsfreiheit bei der Errichtung und bei der Teilstandortbildung von Schulen zu stärken. In diesem Sinne würden wir am heutigen Tage zustimmen wollen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Vogt. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Zentis.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für eine chancengleiche Ausgestaltung der Errichtungsbedingungen und Teilstandortbildung von allgemeinbildenden weiterführenden Schulformen in NRW sind wir auch.
Aber was bedeutet Chancengleichheit bei Errichtungsbedingungen und Teilstandortbildung? – Für uns ist es wichtig, immer das Kind, den Schüler, die Schülerin, im Mittelpunkt und im Blick zu haben. Dabei muss uns auffallen, dass es nicht nur Jungen und Mädchen, große und kleine, dicke und dünne und mehr oder weniger pigmentierte Kinder gibt. Die Vielfalt ist groß.
Abgesehen von Äußerlichkeiten, die allenfalls bei der Auswahl der Größe der Schulmöbel Beachtung finden müssen, stellen wir fest: Kein Kind ist wie das andere. Alle haben unterschiedliche Begabungen und verschiedene Ausrichtungen. Und darum geht es doch: all diese Kinder, egal welche Begabungen, Ausrichtungen, Fähigkeiten sie haben, bestmöglich zu fördern. Teilweise wird das nur über intensive Beziehungsarbeit zu erreichen sein. Wir wollen kein Kind zurücklassen, das ist richtig.
Unser Schulsystem ist nach der Grundschule entweder dreigliedrig mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium oder integrativ mit Sekundarschule und Gesamtschule.
Dies besagt aber auch der Schulkonsens, der in Zeiten der Minderheitsregierung zwischen SPD, CDU und Grünen geschlossen wurde. Wir stehen dazu und fühlen uns daran gebunden.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])
Wir haben Schulformen, die Kindern unterschiedliche Abschlüsse ermöglichen und die sie zu einem selbstbestimmten, eigenständigen Leben befähigen sollen. Je nach Schulform ist mehr oder weniger Heterogenität gegeben. Die Milieus der Kinder sind sehr unterschiedlich.
(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Wohl wahr!)
Wie sieht jetzt die Gleichbehandlung aus? – Die Anzahl der Kinder, die für die Genehmigung der Einrichtung einer Hauptschule bzw. einer Realschule benötigt werden, beträgt 56. Das ist eine Zweizügigkeit mit Klassen pro 28 Kinder. Für die Einrichtung einer Sekundarschule sind 75 Kinder erforderlich, da sie mindestens dreizügig sein muss. Bei einer Gesamtschule, die bei der Gründung vierzügig sein muss, bedarf es 100 Kinder, also 25 je Klasse. Dies alles sage ich vor dem Hintergrund der Heterogenität der Kinder. Ein Gymnasium kann man bereits dreizügig mit 84 Kindern einrichten. Das sind 28 Kinder pro Zug im Gegensatz zu 25 Kindern bei der Gesamtschule.
Was wollen Sie jetzt? – Die Hürde hochlegen: alle Schulen mindestens vierzügig wie bei Gesamtschulen? Dies würde sich besonders nachteilig auf Haupt- und Realschulen, aber auch auf das Gymnasium auswirken. Im Gymnasium wird auf das Ziel hin unterrichtet, alle Kinder zum Abitur zu führen, da sie aufgrund ihrer schulischen Qualifikation eine homogenere Gruppe bilden als beispielsweise Gesamtschülerinnen und diejenigen, die die Realschule besuchen.
Welche Struktur ist schwieriger und welche Arbeit differenzierter zu bewerten? Wo brauche ich mehr Einsatz? Gerecht ist für uns nicht, Ungleiches gleich zu behandeln. Die Expertenanhörung hat für uns Grüne nicht den Schluss zugelassen, dass die derzeitige Gesetzeslage Ungerechtigkeiten im System bedingt.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])
Wir, die regierungstragenden Parteien,
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Fraktionen!)
sehen uns in dieser Frage mit den kommunalen Spitzenverbänden einmütig.
Ungleichbehandlungen sahen Experten mehr in unterschiedlicher Besoldung je nach Schulform, Zugänglichkeit von Funktionsstellen, Pflichtstunden bei Grundschulen und weiterführenden Schulen sowie innerhalb der unterschiedlichen Bildungsgänge.
Kinder, die die Anforderungen einer Schulform nicht voll erfüllen, werden in manchen Schulformen weitergereicht und abgeschult. Da besteht Handlungsbedarf in Sachen Gerechtigkeit und Gleichbehandlung.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der FDP, ist gut gemeint, führt aber nicht zu mehr Gerechtigkeit und gleichen Bildungschancen für alle. Er nützt nicht einmal Haupt- und Realschulen. Im Gegenteil – ich zitiere Herrn Rösner aus der Anhörung –: So wie der
„Gesetzentwurf der FDP angelegt ist, liefe der Klassenfrequenzrichtwert von 25 auf eine Schlechterstellung innerhalb dieser Schulform“
– gemeint ist die Hauptschule –
„hinaus, der jetzt bei 24 liegt. Bei Teilstandorten für Realschulen wird Zweizügigkeit als Mindestgröße vorgeschlagen. Das ist aber gleichzeitig auch die gesetzlich vorgegebene Mindestgröße eigenständiger Realschulen nach § 82 Abs. 4 Schulgesetz. Warum – das ist zu fragen – dann die schwierigere Organisationsform des Teilstandortes?“
Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, denn ich weiß, wovon ich rede. Wir haben eine Schule mit Teilstandorten mit all den Problemen, einen einheitlichen Schulbetrieb zu erreichen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Zentis. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vor Beginn meiner Rede einige Anmerkungen zu meinen Vorrednerinnen machen.
Liebe Frau Hendricks, es handelt sich nicht um einen Antrag, sondern um einen Gesetzentwurf, der immer eine zweite Lesung und eine Anhörung mit sich bringt. Daher weichen wir nicht von der Handhabung in anderen Ausschüssen ab und reden dementsprechend heute im Plenum über diesen Gesetzentwurf.
Einen Aspekt hat Frau Vogt schon angesprochen, nämlich die verschiedene Wahrnehmung des in der Anhörung Gesagten – gerade in Bezug auf die kommunalen Spitzenverbände. Da habe ich doch etwas anderes im Ohr als das, was Sie eben geäußert haben. Die kommunalen Spitzenverbände haben gesagt, dass Unsicherheit in den Kommunen herrsche und dass sie tatsächlich eine Klärung im Rahmen dieses Gesetzentwurfs herbeigeführt wissen wollten. Nichts anderes möchten wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen.
Meine Damen und Herren, die Fraktionen von Rot und Grün haben gemeinsam mit der CDU per Verfassungsänderung festgelegt, dass das Land ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Schulwesen gewährleisten muss, welches ein gegliedertes Schulsystem, integrierte Schulformen sowie weitere Schulformen ermöglicht.
Doch was passiert momentan? – Leider höhlt Rot-Grün mit der Benachteiligungspolitik diese nicht integrierten Schulformen ein Stück weit aus. Bemerkenswert ist aber festzustellen, dass für integrierte Schulformen in Nordrhein-Westfalen kein Privileg zu gering ist, als dass es gewährt werden würde.
(Beifall von der FDP)
Das zeigt sich ganz besonders bei den Errichtungs- und Organisationsbedingungen. Die Errichtungsgröße von 25 Schülern pro Klasse wurde gewährt. Das Recht auf vertikale und horizontale Teilstandortbildung wurde gesetzlich verankert.
Meine Damen und Herren, hier genau liegt der Unterschied. Ich habe das in meiner ersten Rede schon einmal dargelegt: Es ist auch jetzt möglich, Teilstandorte zu bilden, aber es ist eben nicht gesetzlich verankert, sondern es erfordert den Goodwill der Entscheidungsträger, und dieser Goodwill hängt natürlich vom politischen Willen ab. Wir aber wollen das per Gesetz festlegen, damit es die gleichen Bedingungen für die verschiedenen Schulformen gibt.
Eine konkrete Frage an Rot-Grün und auch an die Frau Ministerin sei mir an dieser Stelle gestattet: Sie haben gesagt, dass die horizontale und vertikale Teilstandortlösung auch deshalb entwickelt worden ist, weil es entsprechende Bitten der Vertreter der integrierten Schulformen gegeben habe.
Jetzt frage ich Sie: In der Anhörung wurden uns gegenüber ganz klar diese Wünsche geäußert – Wünsche von der Landeselternschaft der Gymnasien, Wünsche des Philologenverbandes und auch Wünsche von lehrer nrw, die ebenfalls gesagt haben, sie wollten diese Teilstandortregelung. Wenn Sie diesem Wunsch bei den integrierten Schulformen nachgekommen sind, müssten Sie heute hier auch ein positives Signal aussenden
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das nutzt doch nichts!)
– Frau Beer, ich komme nachher noch zu Ihnen – und diesem Gesetzentwurf zustimmen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Noch ein Punkt, auf den Frau Hendricks in ihren Ausführungen eingegangen ist: Sie haben kritisiert, dass ein Teilstandort-Gymnasium nicht die letzte weiterführende Schulform vor Ort sein könne. Da sage ich Ihnen: Diese Kritik möchte ich so nicht stehen lassen. Sie haben nämlich selbst die Verfassung dahingehend geändert, dass kein Bildungsgang mit bestimmten Abschlüssen verpflichtend vorgehalten werden muss. Auch vor dieser Änderung wurden in vielen Kommunen in Nordrhein-Westfalen nicht alle Abschlüsse angeboten. Sie bauen hier etwas auf – pseudorechtlich in meinen Augen –, um das tatsächliche Schlechterstellen von nicht integrierten Schulformen ein Stück weit zu kaschieren.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ich sage es an dieser Stelle zum letzten Mal; denn meine Redezeit ist dann beendet: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir keine Schulform in Nordrhein-Westfalen in irgendeiner Form schlech-terstellen. Wir wollen gemäß Ihrem Motto aber auch kein Kind zurücklassen, und das heißt: gleiche Chancen für alle Schulformen und somit für alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Frau Gebauer. – Nun spricht für die Piratenfraktion Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst auf ein paar Äußerungen der Kollegin eingehen. Liebe Yvonne Gebauer, es ist richtig: Bei der Anhörung haben ganz viele Vertreter der kommunalen Spitzenverbände gesagt, da muss etwas passieren. Leider hat niemand gesagt, dass der Gesetzentwurf die Lösung dafür ist.
Worum geht es hier eigentlich? Es geht nicht um den Untergang des Abendlandes. Es geht ausschließlich um die Bedingungen für die Errichtung von Teilstandorten verschiedener Schulformen.
Ich frage mich, um welche Ungerechtigkeit es hier eigentlich gehen soll. Die SPD postuliert, die Errichtungsmodalitäten zweier Schulformen seien deutlich günstiger ausgestattet worden. Anscheinend sind damit Gesamt- und Sekundarschulen gemeint; denn die Regelungen für diese beiden Schulformen sollen auch auf alle anderen weiterführenden Schulformen angewendet werden.
In der Anhörung und in der Beratung über den Gesetzentwurf im Ausschuss wurde deutlich gezeigt, dass derzeit die Gründung von Teilstandorten von Gesamt- und Sekundarschulen mitnichten an geringere Anforderungen geknüpft ist. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Frau Vogt, ja klar, das ist wünschenswert, und es wurde in der Anhörung vieles gesagt, was wünschenswert ist. Aber es hat letztendlich nichts mit diesem Antrag zu tun, in dem es tatsächlich nur um Teilstandorte für Schulen geht.
Der Vorschlag der FDP hätte außerdem zur Folge, dass Teilstandorte von Realschulen bei ihrer Einrichtung künftig mehr oder zumindest gleich viele Klassen pro Jahrgang haben müssten, wie sie für die Gründung einer eigenen Realschule nötig sind. Was soll dann ein Teilstandort? Das verstehe ich nicht. Wenn man eine eigene Realschule gründen kann, kommt doch kein Mensch auf die Idee, zu sagen: Ich errichte einen Teilstandort. – Das ist doch ein Flop.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Vereinheitlichung der Klassengrößen und ihre Festsetzung auf 25 Schüler finde ich gut; denn wir sind prinzipiell dafür, Schülerzahlen pro Klasse zu senken.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Das finde ich prima: drei Schüler weniger pro Klasse für die Hauptschule, die Realschule und das Gymnasium. Aber in dem Gesetzentwurf geht es nur um die Klassengröße bei der Errichtung. Wie die Klassengröße nachher ist, steht darin überhaupt nicht. Hier jetzt also ein Fass aufzumachen und über Klassengrößen zu reden, halte ich für völlig verfehlt.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir können bei diesem Gesetzentwurf an keiner Stelle erkennen, dass er sich auf ein irgendwie geartetes relevantes Problem bezieht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dies wurde in der Anhörung vor allem durch Herrn Wagener, den Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, deutlich bestätigt. Für eine abstrakte Gerechtigkeitsfrage sehe ich an dieser Stelle keinen Anlass. Wenn es darum ginge, eine tatsächliche Verbesserung für die Schüler in der Schule zu erreichen, wären wir auf Ihrer Seite. Aber das hat mit diesem Entwurf leider überhaupt nichts zu tun. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch mal die Argumentation verstärken, die jetzt schon einige Male vorgetragen worden ist: Die FDP-Fraktion versucht mit diesem Gesetzentwurf, es so darzustellen, als gäbe es eine Benachteiligung der Realschulen und Gymnasien aus schulorganisatorischer Hinsicht, was die Frage von Teilstandortbildungen angeht. Das ist aber nur der Versuch einer solchen Konstruktion.
Wir haben das im Schulausschuss intensivst erörtert. Interessanterweise haben sich die Mitglieder der CDU-Fraktion im Schulausschuss bei der Abstimmung sehr unterschiedlich verhalten. Einige haben mit der FDP gestimmt, einige haben nicht mitgestimmt, und einige haben nicht teilgenommen. Das bringt eine gewisse Verunsicherung zum Ausdruck.
Ich möchte noch einmal den Kernpunkt deutlich machen: Realschulen und Gymnasien können mit kleineren Einheiten arbeiten als Sekundarschulen und Gesamtschulen. Die müssen viel größer sein. Wenn man so will, könnte man sagen, das ist eine Benachteiligung. Die Sondergenehmigungen, die wir bei den Teilstandorten erteilen, beziehen sich darauf, dass es um die letzte weiterführende Schule in kleineren Kommunen geht. Die Kinder sollen nicht so weit fahren. Das ist der Grund für diese Regelung.
Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Sie diesen anderen Aspekt aufmachen, weil die Bildung eines Teilstandortes doch immer nachteilig ist gegenüber der Errichtung einer eigenständigen Schule. Das haben auch die Vertreter der Kommunen deutlich gemacht. Aufgrund der Entfernung der Standorte kann häufig nicht das gleiche Fächerangebot gemacht werden. Zudem sind die Meinungsbildung sowie die Beschlussfassung über Elemente des Schulprogramms erschwert. Auch leidet die Identität einer Schule als soziale Einheit, und zwar für alle am Schulleben Beteiligten.
Also stellt sich doch die Frage: Wo liegt das Interesse, Teilstandorte zu bilden, wenn doch eigenständige Einheiten errichtet werden können?
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Zur Bildung eines vertikalen Teilstandorts müssen Sekundarschulen zwei zusätzliche Züge und Gesamtschulen zwei bis drei zusätzliche Züge errichten.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, entschuldigen Sie, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich würde gerne einen Satz noch sagen. Dann lasse ich Zwischenfragen zu.
Dies entspricht der Errichtungsgröße von Haupt-, Realschulen und Gymnasien. Der Wunsch der vertikalen Teilstandortbildung ist in Anbetracht der Nachteile, die zwei Standorte mit sich bringen, für mich nicht nachvollziehbar. Das wollte ich einmal im Zusammenhang sagen.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Jetzt antworte ich gerne auf eine Zwischenfrage.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Gebauer hat sich zu Wort gemeldet und erhält es jetzt für ihre Frage. Bitte.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident, herzlichen Dank. – Frau Ministerin, ich meine, wir sind uns ja darüber einig, dass Teilstandortregelungen immer auch Nachteile für die Betroffenen bringen. Aber sie bringen dann natürlich auch genauso die Nachteile für Sekundarschulen und Gesamtschulen wie sie Nachteile bringen würden für die Gymnasien oder Realschulen. An der Stelle muss man keinen Unterschied machen.
Aber bei dem Thema „Benachteiligung“ möchte ich Sie doch noch einmal fragen: Sehen Sie es nicht als Benachteiligung an, wenn man bei der Errichtung von Teilstandorten bei der integrierten Schulform auf die Gesetzesgrundlage zurückgreifen kann und bei nicht integrierten Schulformen auf Goodwill angewiesen ist? Ist das in Ihren Augen keine Benachteiligung?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Gebauer, es ist insofern keine Benachteiligung, weil das Schulgesetz schon jetzt – das haben wir bei den gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung des Schulkonsenses ja festgeschrieben – Teilstandortbildungen möglich macht. Sie sind für die Grundschulen möglich. Aber wir wissen doch auch aus dem Bereich der Grundschulen, dass die Gemeinden und auch die Schulen eher für eigenständige Schulen kämpfen als für Teilstandortbildungen, weil es einfach organisatorisch viel mehr Aufwand ist.
Ich habe an einer Schule gearbeitet, die zwei Dependancen hatte, weil die Schule so nachgefragt war. Für ein Kollegium, für ein Team, ist das eine ganz große Schwierigkeit. Deswegen gibt es dieses Angebot nur, wenn ansonsten keine andere Alternative vorhanden ist oder wenn nicht eine eigenständige Schule gebildet oder fortgeführt werden kann.
Deswegen stellt sich die Problemlage allein aufgrund der Vorgaben für die Größen der Schulen. Das ist der entscheidende Punkt. Ich glaube eigentlich auch, dass Sie das nachvollziehen können. Sonst hätten Sie jetzt diese Frage nicht gestellt.
Jetzt will ich noch eingehen auf das Argument, das auch Frau Vogt genannt hat. Wenn man das jetzt im Gesetz noch einmal ausdrücklich sagen würde, was für alle gilt, das gilt auch für Realschulen und Gymnasien, was aus unserer Sicht nicht erforderlich ist, dann würden die Anträge kommen. Normalerweise melden sich Schulen, wenn sie etwas verändern wollen. Kommunen melden sich, wenn sie etwas verändern wollen. Es gibt auch das Instrument der Schulentwicklungskonferenzen. Es ist uns kein einziges Anliegen in dieser Hinsicht bekannt.
Insofern sehen wir hier in der Tat keinen Regelungsbedarf, der es rechtfertigen würde, dafür ein Gesetz zu machen, weil es schon jetzt möglich ist. Es gibt keine Forderungen danach.
Insofern wäre es einfach hilfreich, wenn Sie einsehen würden, dass es hier erstens keine Benachteiligung gibt und dass zweitens kein Bedarf für ein Gesetz besteht. Die Landesregierung unterstützt, dass es hierzu keine Mehrheit für dieses Anliegen gibt. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in Drucksache 16/4608 – Neudruck –, den Gesetzentwurf Drucksache 16/2885 abzulehnen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die genannte Beschlussempfehlung Drucksache 16/4608 mehrheitlich angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/2885 in zweiter Lesung abgelehnt.
Meine Damen und Herren, bevor ich den Tagesordnungspunkt 12 aufrufe, möchte ich Ihnen noch einen Nachtrag zur Erfassung des Abstimmungsverhaltens bei Tagesordnungspunkt 9 im Plenarprotokoll zur Kenntnis geben. Bei den zu Tagesordnungspunkt 9 vorhin durchgeführten Abstimmungen war es zu einem Missverständnis gekommen. Deshalb darf ich klarstellen, dass das Abstimmungsverhalten im Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag der CDU Drucksache 16/4903 folgendermaßen erfolgt ist und hiermit zu Protokoll gegeben wird:
Bei der Abstimmung über diesen genannten Entschließungsantrag Drucksache 16/4903 haben die Fraktion der CDU und der fraktionslose Abgeordnete Stein zugestimmt. Gegen den Antrag haben die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und ein Teil der Fraktion der Piraten gestimmt. Schließlich haben sich die Fraktion der FDP und ein weiterer Teil der Fraktion der Piraten bei der Abstimmung enthalten. Mit diesem Abstimmungsverhalten wurde der Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/4903 abgelehnt. Das zur Klarstellung im Plenarprotokoll zu Tagesordnungspunkt 9. Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4231
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/4833
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Wagener das Wort.
Tanja Wagener (SPD): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident!
(Starke Unruhe)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie bitte, Frau Kollegin. – Meine Damen und Herren, ich darf diejenigen, die jetzt Gespräche führen müssen, bitten, sie außerhalb des Plenums fortzusetzen, damit wir alle der Rednerin die gebührende Aufmerksamkeit zollen können. Herzlichen Dank. – Jetzt haben Sie endgültig das Wort.
Tanja Wagener (SPD): Als ich den Gesetzentwurf zur Änderung der gesetzlichen Befristungen und anderer Vorschriften im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums zum ersten Mal las, dachte ich, eine Formalie, ein Selbstläufer im Rechtsausschuss, im Parlament. Aber ich habe mich geirrt, im Rechtsausschuss haben CDU und FDP dagegen gestimmt.
Worum geht es bei diesem so überaus spannend klingenden Gesetzentwurf? Es geht – das sei vorweg gesagt – nicht um eine bahnbrechende Gesetzgebung. Es geht im Wesentlichen um formale Aspekte: eine Korrektur bzw. Aktualisierung von Begrifflichkeiten in Gesetzen. Es geht um Richtigstellungen von Bezugnahmen auf korrespondierende, in der Regel bundesrechtliche Vorschriften, die sich geändert haben. Schließlich geht es drittens um Änderungen oder Streichungen von Befristungen in betroffenen Gesetzen. Letztere waren die Gründe für die Neinstimmen im Rechtsausschuss.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit 2004/2005 steht das gesamte Landesrecht unter dem grundsätzlichen Vorbehalt der Befristung und der ständigen Überprüfung des kompletten Normbestandes. Verfallsklauseln oder gesetzlich verankerte Berichtspflichten sind beide grundsätzlich wichtige Instrumente, die darauf gerichtet sind, eine kontinuierliche Rechtsbereinigung und -korrektur zu gewährleisten.
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, die Befristung in einigen Gesetzen zu streichen. Die SPD-Fraktion schließt sich diesem Anliegen aus mehreren Gründen an:
Erstens. Die zu ändernden Gesetze sind teils aufgrund bundesrechtlicher Regelungen weiterhin erforderlich, so zum Beispiel das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Niemand hat wohl die Absicht, das Gesetzbuch abzuschaffen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Von daher brauchen wir auch weiterhin das Ausführungsgesetz dazu – ohne entsprechende Befristung.
Weiterhin gibt es Gesetze, die sich bereits bewährt haben und teils mehrfach evaluiert wurden, sodass eine Befristung auch hier entbehrlich ist, so zum Beispiel das Schiedsamtsgesetz. Ich denke, auch da besteht Einigkeit, dass sich das Schiedsamtsgesetz bewährt hat und bei der Bevölkerung sehr gut angekommen ist. Es besteht kein Grund für eine Befristung.
Ein dritter Aspekt für uns, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, ist, dass durch die Aufhebung von Befristungen bei bereits evaluierten Gesetzen Bürokratie abgebaut wird, sprich, die Ministerien können sich auf die Gesetze konzentrieren, bei denen weiterer Evaluierungsbedarf besteht, und müssen sich nicht mit Altlasten herumschlagen.
Die frühere schwarz-gelbe Landesregierung hat eine andere, etwas rigidere Linie gefahren. Unsinnige Folge war, dass bei der Evaluierung weiterhin Vorschriften in den Blick genommen wurden, die ihre Erforderlichkeit in der Praxis längst unter Beweis gestellt hatten. Das wollen wir nicht. Dementsprechend werden wir zustimmen.
Die CDU hat ihre Ablehnung im Rechtsausschuss auch damit begründet, dass die maßgeblichen Berichte der Landesregierung bezüglich der einzelnen Gesetze bereits zu lange zurücklägen. Das finde ich erstaunlich; die Berichte wurden in den Jahren 2005 bis 2010 der schwarz-gelben Vorgängerregierung erstattet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, soweit anwesend, wir haben nicht so die Zweifel an den Einschätzungen der damaligen Landesregierung, aber Sie zweifeln scheinbar an Ihrer eigenen Landesregierung, die diese Einschätzung abgegeben hat. Wir teilen diese Bedenken jedenfalls nicht, zumal die betroffenen Gesetze, die im Gesetzentwurf genannt sind, nicht von so elementarer Bedeutung sind, dass wir auf einer aktuelleren Entscheidungsgrundlage bestehen müssten.
Vierter Grund für unsere Zustimmung zu dem Gesetz: Gesetze sind auch ohne Befristungsregelung nicht auf alle Zeiten zementiert. Wir brauchen nicht unbedingt übermäßig viele Befristungen. Die Landtagsfraktionen können jederzeit neue Gesetzgebungsprozesse anstoßen. Jeder Abgeordnete kann die Landesregierung mit neuen Fragen konfrontieren und so wiederum eine Berichterstattung herbeiführen. Insofern besteht nicht immer die Notwendigkeit einer Befristung.
Das sind für uns die maßgeblichen Gründe, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Das werden wir gleich tun. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Kamieth das Wort.
Jens Kamieth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu vorgerückter Stunde – später, als wir erwartet haben – beschäftigen wir uns noch mit einem besonderen Kleinod der Rechtspolitik. In der Tat sollten wir etwas genauer hinhören, weil wir anhand dieses nicht ganz so bedeutenden Vorgangs – da stimme ich der Kollegin Wagener zu – einiges über den Umgang der Landesregierung mit diesem Hohen Hause erfahren können.
Mit insgesamt fünf Gesetzen zur Befristung des Landesrechts aus den Jahren 2004/2005 haben die damaligen Regierungen die Befristung und ständige Überprüfung zur Grundlage vieler Gesetze gemacht. Sinn und Zweck dieser Regelung war die Entbürokratisierung, den Gesetzesbestand möglichst schlank zu halten und Gesetze zu streichen, die sich in der Praxis nicht bewährt haben.
Leider geht Rot-Grün wie schon in der letzten Wahlperiode in der jetzigen Wahlperiode zunehmend dazu über, Gesetze einfach pauschal zu entfristen,
(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Stimmt gar nicht!)
sodass der ursprünglich beabsichtigte Effekt verfehlt wird.
Die angesprochenen redaktionellen Änderungen sind selbstverständlich unproblematisch, und wir könnten sie mittragen.
Kritisch zu beurteilen ist hingegen, dass zum Beispiel die Berichtspflicht in § 51 Schiedsamtsgesetz NRW gestrichen werden soll, ohne dass dem Landtag vorher ein aktueller Bericht über die Erfahrungen mit dem Gesetz vorgelegt wurde. In der Gesetzesbegründung wird diesbezüglich auf einen Bericht aus dem Jahr 2006 verwiesen. Schon der Respekt vor dem Landtag gebietet es, den Abgeordneten einen aktualisierten Bericht vorzulegen, anstatt von ihnen zu verlangen, auf der Grundlage einer acht Jahre alten Vorlage zu entscheiden. Acht Jahre! Wo bleibt da der Respekt vor diesem Hohen Hause?
Ähnlich ist es mit der Streichung von § 55 Abs. 2 Nachbarrechtsgesetz NRW. Auch hier liegt kein aktueller Bericht vor, der eine Streichung der Befristungsregelung rechtfertigt. Der letzte Bericht ist aus dem Jahr 2009, also stammt aus der vorletzten Wahlperiode.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Von 2005 bis 2010 wurde in diesem Hohen Hause sehr gute Politik gemacht, nach meiner Überzeugung sehr viel bessere als heute.
(Beifall von der CDU)
Da hatten Begriffe wie „Entbürokratisierung“, „Schonung der personellen Ressourcen in der Verwaltung“ und „sorgfältige Aufarbeitung der politischen Herausforderungen“ noch einen Wert.
Solange diese Landesregierung ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nachkommt, dem Rechtsausschuss einen aktuellen Evaluierungsbericht zu den betreffenden Gesetzen vorzulegen, können wir einer Entfristung nicht zustimmen. Wir werden daher dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. – Danke.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können es an dieser Stelle sicherlich kurz machen.
Ich musste doch ernsthaft noch mal im Protokoll des Rechtsausschusses nachsehen, um festzustellen, wie die Opposition eigentlich abgestimmt hat; denn auch dort war es nicht wirklich kontrovers.
Das Vorgehen hier wundert mich schon; denn ich sehe nicht, dass CDU oder FDP wirklich etwas am BGB, am Schiedsamtsgesetz oder am Juristenausbildungsgesetz ändern wollen. Selbstverständlich hätten Sie als Parlamentarierinnen und Parlamentarier jederzeit die Gelegenheit, dazu Vorschläge einzubringen.
Wir finden diese Entfristungen und kleinen Änderungen absolut unproblematisch.
(Beifall von Sven Wolf [SPD])
Wenn Gesetze dauerhaft fortbestehen, muss man sie selbstverständlich nicht befristen. Wenn sie zwingend erforderlich sind und dauerhaft fortbestehen, muss man sie nicht ändern. Das ist nur unnötige Bürokratie und beschäftigt uns an der falschen Stelle. Jedes Gesetz kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Das ist doch eine unserer Aufgaben. Da gibt es überhaupt kein Problem.
Entgegen Ihrer eben gemachten Äußerung, Herr Kollege Kamieth: Mit dem Nachbarrechtsgesetz haben wir uns hier sehr wohl beschäftigt. Wenn Sie Fragen zu bestimmten Gesetzestatbeständen haben, dann können Sie die selbstverständlich hier und auch gegenüber der Landesregierung jederzeit stellen.
Wir finden das also völlig unproblematisch. Wir begrüßen auch, dass an einer Stelle die Formulierung von DM in Euro geändert wird. Ich denke, damit sind wir wieder auf aktuellem Stand. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nicht nur das Justizgesetz insbesondere im Bereich des Dolmetscherwesens angepasst werden; vor allem soll bei acht Gesetzen die bisherige Befristungsregelung oder Berichtspflicht aufgehoben werden bzw. eine Berichtspflicht von drei auf fünf Jahre verlängert werden. Damit ist heute ein weiterer schlechter Tag für die Gesetzgebung in NRW und den Bürokratieabbau.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
Die Befristung von Normen dient dem übergeordneten Ziel der Bürokratievermeidung. Eine regelmäßige entsprechende Evaluierung ermöglicht eine nachträgliche Wirkungsbeobachtung und Erfolgskontrolle durch Regierung und Gesetzgeber, zwingt zur periodischen Neubefassung und Selbstkontrolle und fördert den Qualitätsanstieg sowie Deregulierung mittels ständiger Rechtsbereinigung.
Die Verbreitung von und Erfahrung mit generellen Befristungsregelungen in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern sind wissenschaftlich positiv untersucht worden.
(Beifall von der FDP)
So kommt die Richterin beim Oberlandesgericht Hamm, Dr. Andrea Becker, zu folgendem Fazit – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
Erstens.
„Die Verknüpfung von Ressortübergreifender Normprüfung und Befristungsgesetzgebung hat sich als effektives Mittel zum Bürokratieabbau bewährt, will man die Normenflut eindämmen und zugleich die Normenqualität nachhaltig steigern sowie Bürokratieabbau effektiv und effizient betreiben.“
Zweitens.
„Das Bewusstsein, dass es eine Qualitätskontrolle durch eine Ressortübergreifende Normprüfung gibt, und die inzwischen über dreijährigen Erfahrungen der Ressorts mit der Ressortübergreifenden Normprüfung haben dazu geführt, dass sich die Normensetzungstätigkeit der Ressorts verbessert hat. Die Tätigkeit der Normprüfung wäre aber nur halb so erfolgreich, würde sich die Tätigkeit auf neue Normen beschränken und nicht auch auf Evaluierungsberichte und die Vorlage von Änderungs- und Mantelnormen erstrecken, mit denen Verfallklauseln verlängert werden sollen.“
Drittens.
„Die Befristungsgesetzgebung stellt insoweit eine grundlegende Kulturänderung dar, als die jahrhundertelang vorherrschende Vorstellung des ‚in Stein gemeißelten‘, strukturell ‚für die Ewigkeit‘ erlassenen Gesetzes aufgegeben wurde. Die Erfahrungen mit der Befristungsgesetzgebung sind positiv. Die Erfahrungen von Regierung und Fraktionen im Landtag an die Einführung der Befristungsgesetzgebung dürften erfüllt worden sein.“
Meine Damen und Herren, auch wenn Gesetze fortlaufend überprüft werden sollen, hat es sich in der Praxis bewährt, jedenfalls alle fünf Jahre deren Existenzberechtigung und Änderungsbedarf systematisch zu überprüfen und dem Landtag dazu zu berichten.
(Sven Wolf [SPD]: Sagen Sie doch mal konkret, bei welchen Gesetzen!)
Jedenfalls besteht auch Änderungsbedarf bei einigen der im vorliegenden Artikelgesetz enthaltenen Gesetze. Neben Verweiskorrekturen und Umstellung auf Euro-Beträge wird Art. 74 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch aufgehoben.
Der Landtag hat in den Jahren 2004 und 2005 das gesamte Landesrecht unter den grundsätzlichen Vorbehalt der Befristung gestellt. Von den Lobeshymnen des Staatsministers a. D. Dr. Fritz Behrens aus dem Frühjahr 2003 ist nichts mehr zu hören. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
„Mit dem beschlossenen Anti-Bürokratie-Programm durchbrechen wir den Kreislauf von Überregulierung.“
Und weiter:
„Das Festhalten an zeitlich unbegrenzt gültigen Rechtsvorschriften wird den aktuellen Anforderungen von Bürgern, Unternehmen und Kommunen an staatliche Regelungen nicht mehr gerecht.“
Das erklärte er damals auf einer Regierungspressekonferenz in Umsetzung eines Versprechens des damaligen Ministerpräsidenten Steinbrück.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Hört, hört!)
Meine Damen und Herren, nach weniger als zehn Jahren wird dies alles über den Haufen geworfen. Die Landesregierung hat Ende 2011 die Abschaffung der Befristung des Landesrechts per Kabinettsbeschluss eingeleitet. In Änderungsentwürfen der Landesregierung wird seitdem vorgeschlagen, die in Stammgesetzen enthaltenen Befristungsregelungen, sprich: Verfallklauseln oder Berichtspflichten, zu streichen.
Bei den Herner Gesprächen 2012 der Fortbildungsakademie des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen lautete das Thema: „Mehr Bürokratie wagen!“ Es saßen nur geladene Vertreter von Grünen und SPD auf dem Podium.
Meine Damen und Herren, die Anforderungen von Bürgern, Unternehmen und Kommunen in puncto Bürokratieabbau haben sich nicht geändert – ganz im Gegenteil. Dass ein wirksames Instrument zum Bürokratieabbau wie die grundsätzliche Befristung des Landesrechts nunmehr sukzessive über Bord geworfen wird, können wir als FDP nicht mittragen.
(Beifall von der FDP)
Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab – nicht weil wir das Erfordernis der darin enthaltenen Gesetze infrage stellen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schulz das Wort.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuschauer noch im Saal wie auch zu Hause! Grundsätzlich muss man sich nach den bisherigen Beiträgen fragen, welches Verständnis von Bürokratie oder Bürokratieabbau auf der einen oder anderen Seite besteht. Es gibt da offenbar unterschiedliche Auffassungen.
Rot und Grün haben ganz klar gesagt: Durch den hier vorliegenden Gesetzentwurf wird Bürokratieabbau bewerkstelligt.
Die FDP sagt: Er führt zum Gegenteil, Bürokratieabbau findet also gerade nicht statt, sondern durch dieses Gesetz zur Entfristung findet ein Bürokratieanstieg statt oder es droht ein solcher.
Was die Ausführungen von Herrn Kollegen Kamieth von der CDU angeht, so liegt im Prinzip – bis auf zwei Ausnahmen – Zustimmungsfähigkeit hinsichtlich des Gesetzentwurfes vor, nämlich einmal im Bereich des Nachbarrechtsgesetzes wie andererseits im Bereich des Schiedsamtsgesetzes.
Ich sehe hier – gemäß der Empfehlung an meine Fraktion – deutlich Anzeichen für einen Bürokratieabbau, für den ich übrigens einmal auf die Bühne gegangen bin, bevor ich kraft des Wahlergebnisses hier im Landtag landete.
Im Übrigen kann ich den Ausführungen der Kollegin Wagener dahin gehend durchaus folgen, dass hier Verfahrensregelungen und Berichtspflichten insofern abgeschafft werden, als diese innerhalb der in den bisherigen Gesetzen enthaltenen Fristsetzungen auch tatsächlich umgesetzt worden sind.
Wenn, wie Herr Kollege Kamieth ausführte, hier eventuelle Evaluationen oder Berichte schon einige Jahre alt sind, mögen sie möglicherweise auch nach sorgsamer Überprüfung durch die Fachabgeordneten in diesem Hause weiterhin Bestand haben; denn ich gehe davon aus, dass sowohl die Fraktionen bzw. ihre Fachabgeordneten wie aber auch die jeweilige Basis mit entsprechendem Fachverstand an die einzelnen Gesetze herangehen, diese betrachten und dort, wo Lücken auftauchen, auch eventuell Fragen stellen.
Diese können hier im Hohen Hause und in den Ausschüssen immer gestellt werden. Im Zweifel gilt der Grundsatz, dass dann, wenn man gesetzliche Änderungen für erforderlich hält, diese entsprechend eingebracht werden. Von daher habe ich meiner Fraktion empfohlen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Wagener, Frau Hanses und Herr Schulz haben schon das Wesentliche zutreffend dargestellt. Ich glaube, uns allen geht es darum, Bürokratie abzubauen, die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Unternehmen in unserem Lande nicht mit unnötiger Bürokratie zu belasten. Meine Damen und Herren, es gehört aber genauso zum Bürokratieabbau, Behörden – dazu zählen auch Justizbehörden – nicht damit beauftragen zu müssen, sich in regelmäßigen Abständen die Frage zu stellen, ob wir ein Juristenausbildungsgesetz brauchen, um das zu evaluieren.
Die Frage des grundsätzlichen Bestandes ist klar. Das gilt für das Juristenausbildungsgesetz genauso wie für das Schiedsamtsgesetz und das Nachbarrechtsgesetz. Ich glaube, wir bauen gerade Bürokratie auf, wenn Sie die Justiz in Nordrhein-Westfalen dazu verpflichten, alle drei Jahre diese Gesetze auf ihre grundsätzliche Notwendigkeit hin zu überprüfen. Das ist kein Beitrag zum Bürokratieabbau.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deswegen haben wir, bevor wir Ihnen diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, genau geschaut: In welchen Bereichen sind Evaluationen sinnvoll und notwendig? Wo können wir, weil diese Gesetze dauerhaft Bestand haben oder weil wir einfach Ausführungsgesetze machen müssen, die Bundesrecht umsetzen, auf eine regelmäßige Überprüfung verzichten? Auch da können wir uns nicht entscheiden: Brauchen wir das oder nicht? Das müssen wir einfach haben. Deswegen haben wir auch genau darauf geschaut: In welchen Bereichen können wir davon ausgehen, dass diese Gesetze auch noch in den nächsten Jahrzehnten Bestand haben werden? Und in welchen Bereichen muss man tatsächlich evaluieren?
Insofern bauen wir eigene Bürokratie ab, indem wir sagen: Wir konzentrieren uns auch mit zukünftigen Untersuchungen auf die Gesetze, wo tatsächlich Handlungsbedarf entstehen kann. Dort wollen wir auch weiterhin sinnvoll und gut evaluieren. Ich glaube, das ist ein vernünftiger Weg, den wir insgesamt gehen können. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/4833, den Gesetzentwurf Drucksache 16/4231 unverändert anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. – Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Stein. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. – Damit ist diese Beschlussempfehlung Drucksache 16/4833 mehrheitlich angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/4231 in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich rufe auf:
13 Gesetz zur Entpolitisierung der Polizei
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2336
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/4834
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Ganzke das Wort.
Hartmut Ganzke (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird nicht viele überraschen, dass die SPD-Fraktion der Beschlussempfehlung des Innenausschusses folgen und Ihren Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, ablehnen wird. Grund hierfür, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ist, dass uns Ihr Vorhalt der Politisierung nicht wirklich überzeugt hat und wir aus diesem Grunde Ihren Gesetzentwurf zur Entpolitisierung der Polizei ablehnen werden.
(Beifall von der SPD)
Schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs haben wir darauf hingewiesen, dass Ihre Problembeschreibung zum Gesetzentwurf an der Wirklichkeit vorbeigeht. Anders als von Ihnen suggeriert, genießen unsere Polizei und die sie führenden Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten in der Bevölkerung ein hohes Ansehen und hohes Vertrauen. Das ist unserer Ansicht nach deshalb so, weil in Nordrhein-Westfalen jeder Beamte – auch die Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten als politische Beamte – nach Eignung, Gesetz und Befähigung ausgewählt wird. Dass dies so ist, bestätigten auch die Sachverständigen im Sachverständigengespräch. Von den Sachverständigen sah daher bis auf einen keiner Änderungsbedarf an der jetzigen Ernennungspraxis.
Ein zweiter von Ihnen nicht beachteter Punkt im Gesetzentwurf ist immer wieder die Position der Landrätinnen und Landräte, die den Kreispolizeibehörden in unserem Land vorstehen. Auch hierüber haben wir im Innenausschuss gesprochen und kontrovers diskutiert. Würden Sie Ihren Gesetzentwurf ernst nehmen, müssten Sie nämlich unserer Ansicht nach auch fordern, dass die Landräte und Landrätinnen nicht mehr die Polizei ihrer Kreise leiten dürfen.
(Beifall von der SPD)
Aber auch das kann nicht gewollt sein und ist unserer Ansicht nach auch nicht wünschenswert.
Nach dem Sachverständigengespräch steht deshalb für die SPD-Fraktion darüber hinaus fest, dass auch die Auswahl der Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten nicht nur innerhalb der Polizei, sondern auch innerhalb der Bevölkerung als ein demokratischer Vorgang gesehen wird, der sich an Recht und Gesetz orientiert. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir es auch belassen.
Den Gesetzentwurf werden wir – wie es der Innenausschuss vorschlägt – ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Kruse das Wort.
Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Polizeipräsidenten sind in Nordrhein-Westfalen politische Beamte. Das heißt: Sie können von der Landesregierung jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Diese durch das Landesbeamtengesetz geregelte Vorgehensweise schwächt aus Sicht der CDU-Fraktion die Stellung der Polizeipräsidenten. Denn es besteht die Gefahr einer politischen Abhängigkeit bzw. der parteipolitischen Einflussnahme auf die Polizeiarbeit. Denn die Möglichkeit, die Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten unabhängig von der unter ihrer Leitung in den Behörden erzielten Leistungen jederzeit in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, schwächt deren Stellung.
Im Unterschied zu meinem Vorredner Herrn Kollegen Ganzke schließen wir uns ausdrücklich der Auffassung des Sachverständigen Prof. Lindner an, die dieser im Rahmen des Sachverständigengesprächs am 12. September 2013 überzeugend ausgeführt hat, dass nämlich das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 2008 den Kreis möglicher politischer Ämter denkbar eng gefasst hat und Polizeipräsidenten demnach nicht zu diesem Kreis gezählt werden könnten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit wir uns richtig verstehen, vor allen mit den Kolleginnen und Kollegen der rot-grünen Koalition: Wir teilen ausdrücklich die Auffassung, dass es auch politische Beamte geben muss. Wir sind ebenfalls der Auffassung, dass zum Kreis der engsten und unmittelbarsten Berater beispielsweise des Innenministers der Staatssekretär, etwa der Büroleiter und der persönliche Referent gehören müssen, auf die man sich sozusagen 100%ig und uneingeschränkt verlassen können muss. Also: Politische Beamte sollten sich auf den engsten Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter beziehen.
Wir sind aber eben nicht der Auffassung, dass zu diesem Kreis die Polizeipräsidenten, die Leiter einer nachgeordneten Behörde gehören. So ist zum Beispiel auch der Präsident des Landeskriminalamtes kein politischer Beamter, obwohl er an der Beratung des Innenministers wahrscheinlich wesentlich enger beteiligt ist als die Polizeipräsidenten.
Nochmals betonen möchte ich, dass aus Sicht der CDU-Fraktion innerhalb der Polizei viele hochqualifizierte Beschäftigte zur Verfügung stehen und es ein ganz normales Ausschreibungs-, Bewerbungs- und Auswahlverfahren geben sollte. Denn es führt natürlich zu Frust in den Amtsstuben und es besteht die Gefahr einer Art innerer Emigration der Übergangenen, wenn gerade die besseren Stellen – also die Positionen der Polizeipräsidenten – mit Interessenvertretern und Parteileuten besetzt werden, aber andere keine Chance haben. Hierfür gab es in der Vergangenheit und gibt es nach wie vor in Deutschland insgesamt und bei uns im Land Nordrhein-Westfalen Beispiele. Das untergräbt aus Sicht der CDU-Fraktion die Leistungsbereitschaft in den Behörden.
Wir wissen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass die besondere Situation der Polizeiführung in unserem Bundesland aufgrund historischer Entwicklung so entstanden ist und in den vergangenen Perioden immer wieder Diskussionsgegenstand war. Aber auch historisch Gewachsenes bedarf der Überprüfung und Veränderung. Deswegen unterstützt die CDU-Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf der FDP. Wir sind der Auffassung, dass die Erfüllung der polizeilichen Arbeit und somit auch die Polizeiführung eine klassische und originäre Aufgabe des Landes ist, die von hoher Fachlichkeit geprägt sein muss.
Deswegen sollten die Stellen der Polizeipräsidenten ausgeschrieben, nach Eignung und Befähigung mit Beamten des höheren Polizeidienstes besetzt werden.
Zum Thema „Landräte“ auch in dieser Runde noch einmal in aller Deutlichkeit: Der CDU-Fraktion ist ein direkt gewählter Landrat als Chef der Polizei, der sich alle fünf Jahre dem Votum der Wählerinnen und Wähler zu stellen hat, wenn er seine Aufgabe als Polizeichef ernst nimmt, allemal lieber als ein von oben eingesetzter, unter parteipolitischer Einflussnahme stehender Polizeipräsident. Das noch einmal zu diesem Thema. Der Kollege Ganzke hat es ausnahmsweise richtig angesprochen: Das haben wir im Ausschuss mehrfach diskutiert. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.
Verena Schäffer*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kruse, ein bisschen inkonsequent sind Sie aber schon in Bezug auf diesen Gesetzentwurf. Sie fordern hier die Abschaffung des politischen Beamten bei den Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten, haben aber gleichzeitig gesagt, dass man eigentlich nur den Staatssekretär und den persönlichen Mitarbeiter benennen dürfe.
(Theo Kruse [CDU]: Als Beispiel!)
– Ja, als Beispiel. Aber eigentlich müsste man doch weitergehen und sagen: Das Amt von Herrn Freier als Verfassungsschutzleiter darf nicht mehr als politischer Beamter besetzt werden. Das ist er nämlich nach dem Landesbeamtengesetz, ebenso wie die Regierungspräsidenten.
Ich finde, Sie argumentieren hier nicht ganz konsequent.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Aus unserer Sicht gibt es diesbezüglich schlichtweg keinen Regelungs- oder Änderungsbedarf. Denn die Polizei in Nordrhein-Westfalen – das möchte ich hier ausdrücklich feststellen – ist nicht politisiert, sondern handelt nach Recht und Gesetz.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und auch heute sind die Polizeipräsidentinnen und -präsidenten sehr wohl fachlich geeignet. Wenn das nicht der Fall ist, dann nennen Sie mir bitte Beispiele, auf welche Personen das momentan nicht zutrifft. Diese Personen kenne ich nicht. Außerdem ist es Praxis in Nordrhein-Westfalen – das möchte ich noch einmal betonen –, dass Polizeipräsidentinnen und -präsidenten nach einem Regierungswechsel nicht einfach ausgetauscht werden. Das war weder der Fall, als Schwarz-Gelb an die Regierung gekommen ist, noch 2010, als Rot-Grün die Regierung dann stellte. Insofern sehen wir als Grüne keinen Regelungs- bzw. Änderungsbedarf bei den bestehenden Gesetzen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Herr Kollege Kruse würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie diese zu?
Verena Schäffer*) (GRÜNE): Bitte.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kruse, bitte.
Theo Kruse (CDU): Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Vor wenigen Tagen ist bekannt geworden, dass der derzeitige Polizeipräsident von Dortmund, Herr Norbert Wesseler, in Kürze Polizeipräsident von Düsseldorf werden soll.
Herr Norbert Wesseler war persönlicher Referent verschiedener Innenminister in unserem Land. Ich schätze Herrn Wesseler – keine Frage. Können Sie uns mitteilen, welchem Auswahl- und/oder Bewerbungsverfahren sich Herr Wesseler bei der Besetzung der Position hier in Düsseldorf zu stellen hatte?
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Kruse, wir sprechen hier über das politische Beamtentum, und Sie wissen ganz genau, dass es entsprechende Entscheidungen der Landesregierung zu der Frage gibt, wo Polizeipräsidentinnen und -präsidenten eingesetzt werden. Ich finde, dass Herr Wesseler in Dortmund eine sehr gute Arbeit geleistet hat.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Ich war selber öfter in Dortmund und habe mir vor Ort die Arbeit bei Demos, in Gesprächen usw. angeschaut. Deshalb finde ich, dass Herr Wesseler sehr wohl für dieses Amt hier in Düsseldorf geeignet ist, und ich wünsche ihm viel Erfolg dabei. Ansonsten kann der Minister auch noch einmal etwas zu der Entscheidung sagen. Aber ich weiß nicht, inwiefern das dem widerspricht, was ich vorher ausgeführt habe.
Ich würde jetzt aber ganz gerne zu einigen Aspekten der Anhörung kommen. Dabei geht es beispielsweise um die rechtlichen Fragen, die Sie, Herr Kruse, gerade noch einmal angesprochen haben. Dazu möchte ich erneut feststellen, dass das politische Beamtentum sehr wohl ein hergebrachter Grundsatz des Beamtentums in Deutschland ist und dass es hier keine verfassungsrechtlichen Bedenken gibt, so auch Herr Prof. Kugelmann. Im Übrigen habe ich auch Ihren Sachverständigen nicht so verstanden. Er hat ausgeführt hat, dass er zwar einige Probleme sieht, aber er hat nicht gesagt, dass die Regelung verfassungswidrig ist. Insofern sehe ich diesbezüglich keine Problematik.
Es stimmt schon: Das Verfassungsgericht hat sehr wohl gesagt, dass man den Kreis der politischen Beamten eingrenzen muss. – Das ist hier in Nordrhein-Westfalen der Fall. Denn in NRW – ich glaube, das ist bundesweit fifty-fifty auf sieben andere Bundesländer verteilt – gibt es die Regelung, dass auch die Polizeipräsidentinnen und -präsidenten zum politischen Beamtentum gehören. Das finde ich auch richtig, und zwar deswegen, weil diese Personen natürlichen Repräsentanten des Staates und Ansprechpartner für die innere Sicherheit vor Ort sind und weil sie zudem eine Scharnierfunktion zwischen Politik und Verwaltung haben. Aus diesem Grund ist auch sehr wohl zu rechtfertigen, dass sie der Gruppe der politischen Beamten angehören.
(Beifall von den GRÜNEN)
In diesem Gesetzentwurf wird quasi suggeriert, die Polizei sei politisiert und werde von den Parteien beeinflusst. Ich möchte feststellen, dass die Polizei NRW nach rechtsstaatlichen Prinzipien handelt. Es muss natürlich eine Auswahl nach Eignung, Befähigung und Leistung geben.
Ich möchte erneut auf einen anderen Aspekt eingehen, den ich bereits in der Einbringung, in der ersten Debatte im Plenum benannt habe, nämlich den Aspekt der zivilen Führung. Wenn wir diesem Antrag oder Gesetzentwurf so zustimmen würden, was wir nicht vorhaben, würden wir damit auch die zivile Führung bei der Polizei abschaffen, und das fände ich falsch.
Wir befinden uns momentan in der Situation, dass die 29 Landratsbehörden, wie der Name schon sagt, von den Landräten geleitet sowie die 18 Polizeipräsidien in der Regel von Personen geleitet werden, die nicht Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind. Und natürlich gibt es auch bei der Polizei qualifizierte Personen, denen man dies durchaus zutrauen könnte, aber ich finde es nach wie vor richtig, dass wir eine zivile Führung haben und sagen: Die Behördenleitung muss quasi von außen kommen, um auch eine andere Sichtweise zu ermöglichen. Darauf wollen wir nicht verzichten.
Ich finde, dass gerade die zivile Führung dafür steht, dass wir eine demokratische, rechtsstaatliche Polizei haben, die dafür steht, dass sie selbstkritisch ist und reflektieren kann. Das machen meiner Meinung nach gerade die Behördenleiterinnen und Behördenleiter deutlich, die selbst keine Polizeibeamten sind.
Insofern vielen Dank. – Wir werden den Gesetzentwurf ablehnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Orth das Wort.
Dr. Robert Orth*) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist spannend, den Sozialdemokraten und den Grünen zuzuhören. Denn sie versuchen, einen Antrag, gegen den man eigentlich nichts haben kann, wenn man nichts Böses im Schilde führt, mieszureden.
(Zurufe: Oh!)
Sie bemühen hier die Reputation der Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten falsch. Sie haben gesagt, es gebe keinerlei politische Implikation. Dann befreien Sie sie doch bitte von den gesetzlichen Vorgaben. Das Gesetz schreibt doch gerade vor, dass ein politischer Beamter die Ziele der Landesregierung bei allen seinen Entscheidungen zu berücksichtigen hat. Das ist ein Teil des Ermessens, meine Damen und Herren. Sie sagen, dass, sofern die Landesregierung bestimmte Demonstrationen nicht will, der Polizeipräsident dies in seinen Entscheidungen berücksichtigen muss. Das finde ich schlimm, das finde ich undemokratisch, das finde ich vorkonstitutionell. Und ich würde mich freuen, wenn auch Sie den Mut hätten, das zu ändern.
(Beifall von der FDP)
Des Weiteren sagen Sie, es gebe keinen Regelungsbedarf. Natürlich gibt es Regelungsbedarf. Der Kollege Kruse hat doch das jüngste Besetzungsbeispiel angeführt.
Ich wünsche dem neuen Polizeipräsidenten von Düsseldorf alles Glück der Welt, eine glückliche Hand, dass er eine vernünftige Polizeiarbeit in Düsseldorf leistet.
(Beifall von der FDP)
Aber insbesondere Sie, Frau Schäffer, sagen gleichzeitig allen Polizistinnen und Polizisten, die fachlich qualifiziert und im höheren Dienst sind: Egal, wie gut du bist – du hast keine Chance, weil du in deinem Leben bisher nur Uniform getragen hast. – Ist das richtig, meine Damen und Herren? Das kann doch nicht allen Ernstes die Politik in diesem Lande sein.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Darüber hinaus sind Sie dabei auch noch inkonsequent. Es kann kein Polizist Polizeipräsident werden, außer er war vorher Leiter der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren. Damit frustrieren Sie schlussendlich wirklich alle.
Eine zivile Führung sehe ich als überholt an. Denn, Frau Schäffer, wir hatten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Polizei mit einer belasteten Historie. Heute haben wir Beamtinnen und Beamte, die an der Fachhochschule studiert haben, die eine andere Ausbildung genossen haben und die eine demokratische Schule durchlaufen haben. Die sind doch alle durch und durch Demokraten. Ich habe keine Angst davor.
Meine Damen und Herren, ich finde es richtig. Ein Hauptmann der Bundeswehr hat eine Uniform an. Auch ein Oberst der Bundeswehr hat eine Uniform an. Warum soll der oberste Polizist nicht auch eine Uniform tragen? Ich meine, das kann die Demokratie aushalten.
(Beifall von der FDP)
Sie sollten einmal in sich kehren und schauen, wie es in anderen Bundesländern ist. Da kann es doch auch nicht so verkehrt sein. Wir sehen, in der Mehrheit der Bundesländer ist der Polizeipräsident kein politischer Beamter. In einem Land wie Niedersachsen kam es jetzt, als Rot-Grün die Mehrheit übernommen hat, dazu, dass die Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten, die politische Beamte sind, reihenweise abgesägt wurden, meine Damen und Herren. Das ist doch auch ein Signal nach Nordrhein-Westfalen: Wenn sich die politische Farbenlehre ändert, dann müsst ihr entweder lammfromm sein, oder ihr habt keine Zukunft. – Befreien Sie die Beamtinnen und Beamten doch von diesem Schwert, das über ihnen hängt.
(Beifall von der FDP)
Dann schauen Sie sich doch an, wer alles politischer Beamter ist. Man könnte meinen, der LKA-Präsident müsste mindestens politische Beamter hoch zwei sein. Nein, das ist er nicht. Und so gibt es ganz viele Führungspositionen, die nicht von politischen Beamten besetzt sind.
Zum Beispiel sind seit mehr als zehn Jahren die Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte in Nordrhein-Westfalen Laufbahnbeamte. Wenn Sie mit denjenigen reden, die heute im Dienst sind, sagen diese Ihnen: Ich hätte mich gar nicht darum bemüht, es zu werden, wenn ich die Sorge gehabt hätte, dass ich jederzeit hätte abberufen werden können, weil irgendjemandem irgendetwas nicht passt.
Nehmen Sie vielleicht als Letztes den Qualitätsaspekt. Wie erfolgt denn die Ausschreibung? – Es gibt keine Ausschreibung. Hier wurde eben von den Kollegen von SPD und Grünen gesagt, es seien die Fähigsten da. Da kann ich nur sagen: Die Fähigsten können sich gar nicht bewerben, weil es gar keine Ausschreibung gibt. Woher wollen sie das überhaupt wissen?
Ich möchte Transparenz und kein Kuschelmuschel, und dafür sollte jeder hier eintreten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Piratenfraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte zunächst einmal klarstellen, da es auch in der Debatte im Ausschuss teilweise falsch dargestellt wurde, dass es bei diesem Antrag mit keinem Wort darum geht, das Institut des politischen Beamten als solches abzuschaffen oder zu kritisieren. Das Institut ist grundsätzlich sinnvoll. Es geht ausschließlich und ganz konkret darum, die Polizeipräsidenten aus dieser Regelung herauszunehmen – und das völlig zu Recht.
Allerdings erstaunt mich in dieser Debatte ein bisschen die CDU. Ich hatte es in meiner vorherigen Rede schon erwähnt und kann mir diese Spitze auch jetzt nicht verkneifen, weil es einfach zu lustig ist. Sie reden hier ganz klar für diesen Antrag und sagen, dass die Polizeipräsidenten frei von politischer Einflussnahme sein sollen. Das ist gut, und damit liegen wir grundsätzlich auf derselben Linie; das hatte ich auch schon im Innenausschuss gesagt. Gleichzeitig beantragen Sie aber für die kommende Innenausschusssitzung einen Beratungspunkt, in dem Sie dem Innenminister quasi dazu auffordern, Herrn Wimber, den Münsteraner Polizeipräsidenten, den Mund zu verbieten, weil seine Meinung in Bezug auf Drogenpolitik Ihrer politischen Meinung nach nicht tragbar sei. Das nenne ich schizophren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Allerdings bin ich sehr gespannt – wir liegen inhaltlich trotzdem auf derselben Linie –, wie sich Herr Minister Jäger verhalten wird und ob es nicht doch noch eine Notwendigkeit gibt, diesen Gesetzentwurf dann doch noch umzusetzen.
Frau Schäffer, die Polizei handelt nach Recht und Gesetz; das hat auch niemand jemals bestritten. Aber innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens gibt es fast immer einen breiten Ermessensspielraum, und es ist ein Unterschied, ob ich mich innerhalb dieses Rahmens frei bewegen kann oder ob ich exakt der Regierungslinie folgen muss, in dem Wissen, dass ich von heute auf morgen meinen Job verlieren kann, wenn ich es nicht tue.
Aber ich möchte zum Antrag und zum Ergebnis der Anhörung zu diesem Antrag zurückkommen und mich an Tatsachen orientieren. Wir haben fünf Sachverständige in der Anhörung befragt, und von diesen fünf war genau ein einziger gegen diesen Gesetzentwurf, wobei er die meiste Zeit damit verbrachte, das Institut des politischen Beamten als Ganzes zu verteidigen, obwohl das gar nicht Bestandteil des Antrages war.
Wir hatten einen Sachverständigen, der ganz deutlich davon sprach, dass die jetzige Regelung verfassungsrechtlich bedenklich sei und die Polizeipräsidenten eben nicht zu dem engen Kreis derjenigen Beamten gehörten, die vom Bundesverfassungsgericht für das Amt des politischen Beamten gefordert würden. Daher würde ich es sogar fast begrüßen, wenn ein Betroffener gegen diese Regelung klagen würde.
Zu guter Letzt hatten wir noch die Vertreter der drei Polizeigewerkschaften. Die GdP positioniert sich ganz eindeutig in ihrer Stellungnahme. Ich zitiere aus dem Anhörungsprotokoll:
„Soweit der Gesetzentwurf also das Ziel verfolgt, eine Situation herzustellen, in der sich Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte des höheren Dienstes auf das Amt eines Polizeipräsidenten bewerben können, wird diese Forderung von der GdP in vollem Umfang unterstützt. Allein die Schaffung dieser Möglichkeit wäre ein bitter notwendiges Signal der Wertschätzung an den höheren Polizeivollzugsdienst.
Derzeit lautet das Signal noch: Wir trauen dir viel zu, aber für die Leitung einer Polizeibehörde bist du nicht geeignet.“
Das nenne ich ein klares Bekenntnis zu diesem Antrag.
Die Stellungnahme der DPolG geht im Grunde in dieselbe Richtung, wenn sie sagt – ich zitiere –:
„Hierbei sollte die Besetzung dieser Spitzenfunktion zunächst durch geeignete Ausschreibungs- und Auswahlverfahren mit klaren Anforderungsprofilen transparent gestaltet werden.“
Schließlich haben wir noch den BDK, der den Antrag betreffend eine sehr neutrale Haltung einnimmt:
„Ansonsten gibt es viele Gründe, die sowohl für die Beibehaltung des Status quo als auch für den Inhalt des Gesetzesantrags der FDP-Fraktion sprechen. … Von daher wird die Politik entscheiden müssen, was sie will.“
Ich fasse das einmal zusammen: Wir haben genau eine einzige Meinung, die sich gegen den Antrag ausspricht und dabei nicht einmal den richtigen Schwerpunkt in ihrer Begründung setzt.
Wir haben weiterhin eine neutrale Meinung und drei Stellungnahmen, die sich eindeutig für diesen Antrag aussprechen. Wie sich jetzt SPD und Grüne vor diesem Hintergrund hier hinstellen und behaupten können, die Sachverständigen hätten sich klar gegen diesen Antrag ausgesprochen, ist mir völlig unbegreiflich. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Ralf Witzel [FDP]: Das sind Wahrnehmungsverzerrungen!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich würde gerne mit drei Irrtümern aufräumen.
Zum ersten Irrtum sage ich: Das Landesbeamtenrecht kennt keine politischen Beamten; das ist so. Es ist ein Sprachgebrauch, der in der Politik vielleicht üblich ist, aber tatsächlich handelt es sich um Beamte wie um andere Beamte auch. Es gilt hier nur eine besondere Regelung, dass sie wie andere Beamte auch in den vorläufigen Ruhestand versetzt werden können, allerdings mit der Ausnahme: ohne besondere Begründung. Ansonsten unterliegen alle – in Anführungsstrichen – „politischen“ Beamten auch dem Beamtengesetz, insbesondere was die Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn, aber auch das Handeln nach Recht und Gesetz angeht.
Der zweite Irrtum ist, Herr Dr. Orth, dass zivile Führung gleichzusetzen ist damit, dass Polizeivollzugsbeamte nicht Polizeipräsident werden können. Auch die Bundeswehr unterliegt einer zivilen Führung, auch die Wehrbereichsverwaltungen werden in der Regel nicht von Bundeswehrsoldaten, egal welchen Studiengrad sie erreicht haben, sondern von Verwaltungsbeamten geführt. Das ist überwiegend auch in Nordrhein-Westfalen so, weil der Polizeipräsident zuvorderst als Behördenleiter gefragt ist und nicht als jemand, der Polizeiarbeitet leistet.
Aber den Umkehrschluss, dass sich Polizeivollzugsbeamte insbesondere des höheren Dienstes auch um eine Position als Polizeipräsident bewerben können, haben wir in Nordrhein-Westfalen bewiesen. Es gibt einen ehemaligen Polizeivollzugsbeamten, der den Laufbahnwechsel vollzogen hat und inzwischen als Behördenleiter tätig ist.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Zu dem dritten Irrtum, Herr Kruse: Es ist in der Tat so, dass es sich bei dem Kollegen Norbert Wesseler um einen ehemaligen persönlichen Referenten eines Ministers handelt, aber zuvorderst um den ehemaligen stellvertretenden Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen. Um es deutlich zu sagen: Er hat nicht nur dort in besonderer Weise Eignung und Befähigung bewiesen, sondern auch seine fachliche Leistung in Dortmund, gerade im Umgang mit der neonazistischen Szene, hat bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Polizeipräsident in Dortmund war. Und das wird er in Düsseldorf ebenfalls sein. Da bin ich mir sehr sicher.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wer von Entpolitisierung spricht, der suggeriert, es gäbe eine Politisierung. Das ist, so wie der FDP-Antrag es darstellt, im Zusammenhang mit unserer Polizei schlichtweg falsch. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist kein politisches Ausführungsorgan – ich habe das gerade erläutert –, auch nicht der jeweiligen Landesregierung. Ich glaube, der Polizei liegt nichts ferner als das.
Übrigens ist auch mein persönlicher Eindruck – das war und das ist so –: Alle Beamtinnen und Beamten, insbesondere die Polizeibeamtinnen und ?be-amten handeln in Nordrhein-Westfalen nach Recht und Gesetz. Das gilt erst recht für die Polizeipräsidentinnen und ?präsidenten, die wir haben.
Herr Dr. Orth, im Nachhinein stelle ich fest: Es gab zwischen 2005 und 2010 keinen liberalen Ruck in der Polizei in Nordrhein-Westfalen, so wie es jetzt keinen sozialdemokratischen Ruck in der nordrhein-westfälischen Polizei gibt. Das liegt mir fern. Das lag im Übrigen auch meinen Vorgängern fern.
Auch ein Irrtum ist, allein in Nordrhein-Westfalen gebe es die Regelung, dass Polizeipräsidentinnen und -präsidenten in den vorläufigen Ruhestand versetzt werden können. In sieben anderen Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland ist das ebenso der Fall.
Wir reden hier über ein Problem, das in der Realität gar nicht vorkommt und maximal in der Theorie existiert. Ich mache darauf aufmerksam, Herr Kruse, dass Herr Norbert Wesseler wie alle anderen Landesbeamten auch nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ausgesucht wurde. Der von mir sehr geschätzte Landrat Hendele leistet wirklich sehr gute Polizeiarbeit. Welchem Auswahlverfahren wurde eigentlich er unterzogen? Sie wissen es: keinem. Und er ist trotzdem ein ausgezeichneter Behördenleiter bei der Polizei.
Im Übrigen gehen da Realität und Theorie auseinander: Die letzte Absetzung eines Polizeipräsidenten oder – präzise formuliert – die letzte Versetzung in den vorläufigen Ruhestand ohne besondere Begründung liegt fünf Jahre zurück.
(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)
Wer hat da noch mal regiert? Wir waren es nicht. Daran können Sie erkennen: Polizeibeamtinnen und ?beamte, gerade die Polizeipräsidentinnen und ?präsidenten, genießen unser Vertrauen. Sie leisten sehr gute Arbeit. Und der Status dieser Beamten sollte so erhalten bleiben, wie er ist. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Wir stimmen ab. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/4834, den Gesetzentwurf Drucksache 16/2336 abzulehnen. Ich darf Sie fragen, wer dieser Beschlussempfehlung Folge leisten möchte. – Das sind die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen diese Beschlussempfehlung? – Piratenfraktion, CDU und FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Stein. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Beschlussempfehlung Drucksache 16/4834 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/2336 in zweiter Lesung abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
14 Gesetz zur Neuordnung im Bereich der Schul- und Studienfonds
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/3969
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und
Finanzausschusses
Drucksache 16/4604
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4673
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4904
Ich weise darauf hin, dass eine Beratung des Fachausschusses zur dritten Lesung nicht stattgefunden hat. Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion spricht zunächst Frau Kollegin Gebhard.
Heike Gebhard (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wie der Präsident gerade schon sagte, befinden wir uns heute in der dritten Lesung dieses Gesetzentwurfs. Vorausgegangen sind bereits drei Sitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses, eine öffentliche Anhörung und eine Sitzung des Unterausschusses „Personal“. Außerdem wurde dieser Punkt heute in der Fragestunde behandelt, in der sich einige Kolleginnen und Kollegen große Mühe gegeben haben, deutlich zu machen, dass diese Beratungen völlig an ihnen vorbeigegangen sind.
Ich möchte gerne die Fakten in aller Kürze noch einmal zusammenfassen. Die Schul- und Studienfonds sind – das wird eigentlich von niemandem bestritten – zweckgebundenes Vermögen, das der Staat als Sondervermögen außerhalb des öffentlichen Haushalts verwaltet. In den letzten zehn Jahren sind aus diesem Sondervermögen der vier in Rede stehenden Fonds ganze zwei Projekte gefördert worden. Allein das macht deutlich, wie schwierig es offenbar ist, an diese Mittel heranzukommen. Daher sollten wir uns erstens Gedanken darüber machen, warum man dieses Vermögen brachliegen lässt und es nicht besser nutzt.
Wir haben zweitens bereits vor zehn Jahren einen Auftrag durch den Landesrechnungshof erhalten, der sich dagegen verwahrt, dass wir sozusagen Schattenhaushalte fahren. Er will Transparenz in den öffentlichen Haushalten. Daran haben sich nun drei Landesregierungen abgearbeitet.
Unstrittig ist, dass eine Änderung an dieser Grundlage durch uns per Gesetz möglich ist. Allerdings ist dabei zu klären, wie denn mit der hergebrachten kirchlichen Zweckbindung umzugehen ist. Dazu hat der Finanzminister dem Haushalts- und Finanzausschuss deutlich gesagt: Diese Rechtssicherheit bekommen wir nur hin, wenn wir zu einer klaren Vereinbarung mit den betroffenen Bistümern, also dem Bistum Münster und dem Erzbistum Köln, kommen.
In der vorletzten – sprich: 14. – Legislaturperiode hat man sich darauf verständigt, dass dies durch eine Aufteilung des Vermögens im Verhältnis 60:40 erfolgt. Das geschah also durch Finanzminister Linssen. Die FDP kann sich aber wohl nicht mehr an diese Zeit erinnern. Sonst würde sie sich heute anders verhalten.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
– Sie waren damals mit in der Regierung, soweit ich weiß, als Sie das vereinbart haben.
(Ralf Witzel [FDP]: Deshalb gibt es keinen Regierungsbeschluss, das zu tun! Genau deshalb!)
Wir legen Wert auf die Rechtssicherheit. Sie haben vorhin nachgefragt, Herr Kollege Witzel, wie es denn mit der Zustimmung des Papstes aussehe. Wie Sie ganz genau wissen, haben wir am 16. Dezember 2013 in unserer Ausschusssitzung die Vereinbarung mit dem Siegel des Papstes vorgelegt bekommen. Wir hatten sie vorher schon vorliegen. In dieser Sitzung sind uns auch die Unterlagen mit dem Siegel des jetzigen Papstes vorgelegt worden. Daher weiß ich nicht, warum Sie vorhin diese Frage gestellt haben. Mir erschließt sich nicht, warum Sie das getan haben – außer, dass Sie damit ablenken wollten.
Es macht auch keinen Sinn, dass Sie in dieser Diskussion immer versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen, indem Sie Fonds und Stiftungen in einen Topf stecken. Das ist nicht das Gleiche.
(Martin Börschel [SPD]: Richtig!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Gebhard, darf ich Sie ganz kurz unterbrechen? Der Kollege Schulz würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nein! Es ist jetzt schon richtig spät!)
Wollen Sie sie zulassen?
Heike Gebhard (SPD): Aber sicher.
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das. Herr Kollege Schulz, bitte.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Das ist sehr freundlich. Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Sie sprachen gerade davon, dass die Vereinbarungen zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Erzbistum Köln und dem Bistum Münster mit dem Siegel des Papstes vorgelegt worden seien. Ich persönlich habe das Siegel des Papstes nicht gesehen. Außerdem weiß ich, dass es in den Vereinbarungen eine Klausel gibt, nach der die Vereinbarungen nicht nur von dem heute ablaufenden Gesetzgebungsverfahren abhängig sind, sondern auch von der Zustimmung des Vatikans. Haben Sie dieses Siegel des Papstes bei sich, oder können Sie es vorlegen?
Heike Gebhard (SPD): Nein, ich pflege das Siegel des Papstes nicht mit mir herumzutragen. Gucken Sie aber bitte ins Protokoll unserer Ausschusssitzung vom 16. Dezember 2013! Dann werden Sie feststellen, dass die Seiten entsprechend ausgetauscht worden sind und dass die Zustimmung des Vatikans vorliegt. Darum haben wir keinen Zweifel daran, dass die Rechtssicherheit gegeben ist.
Das ist auch der Grund, warum wir nicht dem Vorstoß der Piraten folgen können, die kompletten 100 % in den Landeshaushalt zu nehmen. Schließlich wollen wir eine rechtssichere Vorlage haben. Das ist nur im Einvernehmen mit der Kirche hinzukriegen. Deshalb sind die beiden anderen Fonds – den Kollegen Höne sehe ich jetzt gerade nicht – auch nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfs; denn dort sind Vereinbarungen noch nicht abgeschlossen.
Die FDP hat vorgeschlagen, eine Stiftung daraus zu machen. Die Stiftung ist aber wiederum ein nicht öffentlich kontrolliertes Vermögen. Das kommt überhaupt nicht infrage. Da dies in keiner Weise den Anforderungen des Landesrechnungshofs entspricht, ist es indiskutabel.
Darüber hinaus haben wir die Frage thematisiert, ob es denn Destinatäre gibt, wie das bei Stiftungen manchmal der Fall ist; häufig ist sogar festgelegt, wer sie sind. So etwas haben wir nicht. Wir haben eine inhaltliche Zweckbindung, aber keine institutionelle Zweckbindung. Darum ist die Frage, wie mit dieser inhaltlichen Zweckbindung umzugehen ist.
Als Letztes bleibt die Frage, wie die CDU damit umgeht. Sie war in der Vergangenheit selbst maßgeblich an diesen Verhandlungen beteiligt, die der jetzige Finanzminister fortgesetzt hat. Die CDU hat im Prinzip die gleiche rechtliche Einschätzung, was den Vorgang betrifft, denke ich. Sie hat nur das Problem, dass sie nicht jedes Grundstück selbst bewerten konnte. Das konnten wir auch nicht. Wir sind als Abgeordnete aber unserer Pflicht nachgekommen, indem wir explizit hinterfragt haben, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Gebhard, die Redezeit.
Heike Gebhard (SPD): … wie die Bewertungen zustande gekommen sind. Das ist unser Auftrag gewesen. Dem sind wir nachgekommen.
Wir haben keine Widersprüche feststellen können. Wenn beide Verhandlungspartner erklären, dass sie sich nicht über den Tisch gezogen fühlen, sondern Einvernehmen besteht, haben wir als Parlamentarier doch nicht Zweifel daran zu äußern, ob das rechtens sei. Daher können wir diesem Gesetzentwurf guten Gewissens zustimmen. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Möbius das Wort.
Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute in dritter Lesung einen Vorgang zu Ende, der bis ins Jahr 1773 zurückgeht. Damals verfügte der Papst die Auflösung des Jesuitenordens, der bis dato als Träger für das höhere Schulwesen fungierte. Das Vermögen ging in Schul- und Studienfonds unter Verwaltung des preußischen Staates über. Damit handelt es sich bei den Schul- und Studienfonds um ein unselbstständiges Sondervermögen, das einer konkreten Zweckbindung unterliegt, nämlich der Förderung von Bildung, Unterricht und Ausbildung.
Das Land Nordrhein-Westfalen als Rechtsnachfolger des Staates Preußen ist an diese Zweckbindung gebunden. Die Schul- und Studienfonds unterliegen also nicht der freien Verfügbarkeit des Landes. Das ist der Grund, weshalb die Piraten mit ihrer Behauptung, das Land könne die Fonds einfach zu 100 % zugunsten einer Landesstiftung für Bildung auflösen, schlicht falsch liegen. So kann Rechtssicherheit – Frau Kollegin Gebhard hat das eben auch deutlich gemacht – nicht erzielt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem der Landesrechnungshof im Jahr 2001 entsprechende Hinweise gegeben hat, wurde intensiv vonseiten der unterschiedlichen Landesregierungen mit der katholischen Kirche verhandelt. Am Ende kam die Vereinbarung heraus, dass die Fonds mit einem Verhältnis von 60 % zugunsten des Landes und 40 % zugunsten der katholischen Kirche, genauer des Erzbistums Köln und des Bistums Münster, aufgelöst werden.
Die Mittel an die Kirche fließen aber nicht den jeweiligen Kirchenhaushalten zu, sondern gehen dort in zweckgebundene und aufgabengebundene Stiftungen ein, deren Mittel für die Bereiche Bildung und Ausbildung reserviert sind.
Es handelt sich also nicht, wie die Piraten und auch die FDP behaupten, um eine grundlose Schenkung des Landes an die katholische Kirche. Wer so etwas behauptet, der liegt schlicht und ergreifend neben der Spur.
(Beifall von der CDU)
Noch eins: Dieses Thema ist sehr komplex und kompliziert. An dessen Lösung wurde mehr als ein Jahrzehnt verhandelt. Das macht schon deutlich, dass es sich nicht eignet zum Bashing gegen die Kirche, sie würde Millionen vom Staat ohne Rechtsgrundlage zugeschustert bekommen. Das kommt nämlich unterschwellig rüber, wenn man der Diktion der Piraten folgt.
(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kritik der CDU-Fraktion richtet sich allerdings auf die Umsetzung der Vereinbarung durch das Finanzministerium. Es entsteht der Eindruck, dass es dem Finanzminister vor allen Dingen um die schnelle Vereinnahmung des Barvermögens der Fonds gegangen ist. Immerhin spült die Übernahme des Barvermögens 80 Millionen € in den Landeshaushalt. Dieser Betrag wurde bereits im Haushalt des letzten Jahres etatisiert, obwohl bis heute noch nichts geflossen ist und das Kassenjahr 2013 schon abgeschlossen ist.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das stimmt wiederum nicht!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können als Parlamentarier nicht im Einzelnen nachvollziehen, ob die konkrete Verteilung des gesamten Vermögens, also der Grundstücke und des Barvermögens, tatsächlich die Interessen der Destinatäre, der Betroffenen und Beteiligten angemessen berücksichtigt. Dafür sind es eben zu viele zu bewertende Grundstücke. Uns sind aber diesbezüglich durchaus ernst zu nehmende kritische Stimmen zu Ohren gekommen.
Aus diesem Grunde stimmt die CDU-Fraktion dem Vorhaben vom Grundsatz her, insbesondere hinsichtlich der Verteilung, zu. Die Umsetzung kann vom Parlament aber aufgrund der speziellen Situation der Fonds unsererseits nicht nachvollzogen werden. Deshalb werden wir uns insgesamt der Stimme enthalten. – Ich danke Ihnen herzlich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Möbius, ich darf Sie kurz zu uns zurück bitten. Herr Kollege Schulz hat in der Zwischenzeit eine Kurzintervention angemeldet. Die 90 Sekunden möchten wir ihm sicherlich geben. Herr Kollege Schulz, 90 Sekunden, bitte schön.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Möbius, auch wenn es der SPD jetzt gar nicht gefällt – aber die Nähe der Christlich-Demokratischen Union zu den Studienfonds und auch zur katholischen Kirche brauchen wir hier nicht näher zu beleuchten.
Gleichwohl haben Sie bereits mehrfach angekündigt, es auch im Ausschuss so gehalten, dass Sie sich bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten haben und auch werden. Sie haben eben auch ausgeführt, dass die Rechtssicherheit nur durch dieses Gesetz, respektive durch die Vereinbarung, die am 13. Dezember des vergangenen Jahres zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und den beiden Bistümern getroffen worden ist, hergestellt werden kann.
Wir wollen die Sache an dieser Stelle gar nicht juristisch bewerten, sondern ausschließlich politisch bewerten vor einem allerdings dinglich-rechtlichen juristischen Hintergrund, nämlich in Bezug auf die Tatsache, dass nicht nur aufgrund der Anhörung, sondern auch aufgrund der eindeutigen Mitteilung des Finanzministers feststeht, dass es sich bei dem Vermögen um Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen handelt.
Wenn also – da schließe ich meine Frage an – wie hier das Land mit dem Eigentum ein absolutes Recht innehat, wieso können Sie der Auffassung sein, dass Rechtssicherheit, obwohl das mit dem Eigentum feststeht, nur dadurch hergestellt werden kann, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Ihre Redezeit ist zu Ende.
Dietmar Schulz (PIRATEN): … dass eine Schenkung, also eine freiwillige Aufgabe dieser Eigentumsposition, teilweise erfolgt.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Möbius, Sie haben 90 Sekunden, genau 99 Sekunden Zeit. Herr Schulz hat 9 Sekunden länger gebraucht.
Christian Möbius (CDU): Herr Präsident, ich werde nicht so lange reden.
Ich habe eben deutlich gemacht, dass es sich um zweckgebundenes Sondervermögen handelt. Das ist der große Unterschied. Es war reserviert für die Bereiche Bildung, Ausbildung, Unterricht. Das ist ein wesentlicher Punkt, den Sie an dieser Stelle total ausblenden.
Im Übrigen, um das hier noch einmal deutlich zu machen: Der Landesrechnungshof war in die ganzen Verhandlungen eingebunden. Das heißt, von dort kommen auch keine Bedenken, die in irgendeiner Art und Weise geäußert werden. Ich glaube, da können wir dem Landesrechnungshof insoweit auch vertrauen. – Herzlichen Dank.
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Möbius. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der fortgeschrittenen Zeit und auch der Tatsache, dass wir unnötigerweise eine dritte Lesung zu diesem Sachverhalt durchführen, möchte ich mich kurzhalten. Da trotz wissenschaftlicher Anhörung, trotz mehrerer Verfahren in den Ausschüssen die Abgeordneten der Piraten offensichtlich von Anfang an nicht bereit waren, zu lernen, und die FDP sogar das Gegenteil gemacht hat – sie ist von einem Sachstand, den sie einmal begriffen hat, sogar noch abgewichen –, möchte ich für den Gesetzentwurf, der vorliegt, werben und die Zustimmung des Parlamentes erbitten.
Die Sachlage ist aus meiner Sicht relativ einfach zu verstehen. Wir hatten Schul- und Studienfonds in von der CDU zutreffend geschilderter Besitzlage. Jetzt gibt es einen fairen Ausgleich: 60 % für das Land, 40 % für die katholische Kirche bei der Aufteilung. Das Land verfügt dann endlich rechtskräftig über Vermögen, das ihm in der Nachfolge der vorherigen Gebietskörperschaften zusteht. Das Land entscheidet darüber, wofür es die staatlichen Mittel ausgibt. Das ist gut und richtig so.
Insofern sind wir froh über diesen Prozess – es ist ja richtig beschrieben worden – der, glaube ich, etwa 2001/2002 begonnen wurde. Die FDP hat danach fünf Jahre lang mit im Kabinett gesessen und hätte etwas anderes tun können. – Jetzt, Herr Witzel, da Sie nicht in der Regierung sitzen, hampeln Sie hier rum und wollen das Gegenteil verbreiten. Insofern spare ich mir unnötige Aufwiegeleien.
Bitte stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu, und lassen Sie uns das endlich dem Landesvermögen zuordnen! – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Mostofizadeh, der Kollege Schulz möchte noch eine Zwischenfrage loswerden.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Nein, das möchte ich nicht.
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann muss er damit leben. Ich habe „nicht“ verstanden. Oder habe ich Sie falsch verstanden?
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nein, richtig!)
– Alles klar. Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion ist der nächste Redner Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf von Rot-Grün steht unter der Überschrift „Vermögensverzehr statt Vermögensbildung – Vermögensverbrauch statt nachhaltiger Haushaltspolitik“. Rot-Grün löst über Jahrhunderte gewachsene historische Vermögensmassen zur Bildungsförderung für einen einmaligen Kasseneffekt auf.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Dieser Strohfeuereffekt verfrühstückt konsumtiv dreistellige Millionenwerte, die danach für die eigentliche Stiftungsaufgabe nicht mehr zur Verfügung stehen. Dieser Kahlschlag ist rechtlich problematisch, nicht solide und keinesfalls nachhaltig. Deshalb organisiert sich auch Widerstand im Land, und sowohl im Rheinland als auch in Westfalen bereiten unterschiedliche Institutionen Klagen vor.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Millionen Menschen auf der Straße!)
Frau Gebhard, weil Sie hier den Eindruck verbreitet haben, als gäbe es nur die eine Sichtweise der Dinge, möchte ich Ihnen einfach einmal vor Augen führen, wie sich die SPD an der betroffenen Basis verhält, genau da, wo die Destinatäre sitzen. Deshalb als kleine Impression: Ihre SPD-Fraktion im Kreistag von Euskirchen. Dort gab es eine große Berichterstattung, vor wenigen Tagen noch, ganz aktuell, über Ihren Funktionsträger Thilo Waasem; „Kölnische Rundschau“ vom 9. Januar und „WOCHEN-SPIEGEL“ vom 2. Januar 2014. Diese Delikatesse aus der SPD darf ich Ihnen hier präsentieren. Da heißt es zum einen – Zitat –:
„Es kann nicht sein, dass das Vermögen, das zur Förderung des St.-Michael-Gymnasiums gebildet worden ist, im Schwarzen Loch des Landeshaushalts verschwindet.“
Weiter – nächstes Zitat von der SPD –:
„Ich kann nicht akzeptieren, dass die Stadt Bad Münstereifel mit der verantwortungsvollen Aufgabe der Instandhaltung und Unterhaltung alleine gelassen wird – insbesondere, wenn es ein zu diesem Zweck gestiftetes Vermögen gibt.“
Da, wo die SPD vor Ort recht hat, hat sie recht, Frau Gebhard.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das haben wir alles besprochen!)
Diese Zweckentfremdung ist ein fatales Signal für private Spender, für Menschen, die man in diesem Land dazu bewegen will, Stiftungen zu tätigen, Vermögenswerte für den allgemeinen Nutzen zu überlassen. Dann darf eben der Zweck nachher nicht rechtlich umgewandelt werden.
Besonders bemerkenswert, Herr Kollege, weil Sie die ganze Zeit dazwischenrufen, ist ja die Gleichheitsideologie, die Sie bei der Diskussion über dieses Thema immer präsentiert haben. Sie sagen: Alle haben doch dieselbe Regelfinanzierung. – Das ist ja der Punkt. Sie machen hier einen Vertrag zulasten Dritter. Es gibt eben einzelne Stiftungszuwendungen, Vermögensmassen, aus denen bestimmte Institutionen, bestimmte Aufgaben zusätzlich zur staatlichen Regelförderung finanziert worden sind. Die sollten wir nicht ohne Grund zerschlagen.
Wir wissen: Es gibt Grenzen staatlicher Finanzierung. Deshalb ist es außerordentlich wünschenswert, wenn es im Bildungsbereich zusätzliche Möglichkeiten durch gestiftetes Kapital gibt. Denn natürlich ist unter dem Strich, wenn Sie ein Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe, das Bildungszwecken vorbehalten ist, umwidmen, in den allgemeinen Lan-deshaushalt integrieren, dort konsumtiv ausgeben, weniger Geld für Bildung da. Das kann nicht unser Ziel sein und dürfte es eigentlich auch in den Ressorts dieser Regierung, die für Bildung zuständig sind, nicht sein.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
Wer Zuwendern signalisiert, dass politische Mehrheiten durch einfachen Gesetzesbeschluss die Zweckbindung von freiwillig überlassenem Vermögen einfach aufheben, wird die Stifterkultur in unserem Land ersticken. Ihr Vorgehen, Bildungseinrichtungen das Zubrot zu ihrer Regelfinanzierung zu entziehen, entspricht deshalb leider dem Geist der rot-grünen Landesregierung, den wir auch im Hochschulunfreiheitsgesetz finden, nämlich den Universitäten ihre Kompetenz zur eigenverantwortlichen Arbeit nehmen zu wollen.
(Jochen Ott [SPD]: Sie haben sie alle entfesselt! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Es gibt eine Reihe von Fragen, die bei den verschiedenen Erörterungen in der Tat aufgerufen worden sind. Warum, Herr Kollege, darf der Staat maximal zwei Jahre alte Gutachten haben, wenn er Immobilienvermögen verkaufen will? Hier haben Sie eine Datenbasis, die fast zehn Jahre alt ist, aus dem Jahr 2005, und dann, wie das Land selber sagt, mit vereinfachten Prognoseverfahren einfach nur fortgeschrieben wurde!
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Kollegen waren im Ausschuss!)
– Ja, deswegen müssen sie es doch wissen.
(Heike Gebhard [SPD]: 2012!)
Da haben sie auch erfahren, dass es viele problematische Immobilien gibt. Die Petrikirche, 1.500 m³ in zentraler Lage in Münster, ist bei Ihnen mit einem einem Euro inventarisiert. Das ist nicht sehr überzeugend. Entweder gibt es da Denkmalschutzauflagen und Sanierungsaufwand, dann haben Sie einen hohen negativen Wert, oder ein solches Filetgrundstück und Gebäude ist werthaltig. Ein Euro ist da keine sinnvolle, den tatsächlichen Vermögenswerten entsprechende Größenordnung. Deshalb gibt es viele Fragezeichen, die der Gesetzentwurf aufwirft, die vor Ort diskutiert werden.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Witzel, die Redezeit.
Ralf Witzel (FDP): Darum lehnt sich die SPD vor Ort, wo Destinatäre Kapital entzogen bekommen, dagegen auf. Das sollte Sie zu mehr Nachdenklichkeit anregen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Witzel, ich darf Sie bitten, hier vorne zu bleiben. Sie kriegen nämlich noch 90 Sekunden Nachschlag. Herr Schulz hat …
(Zuruf: Nein, der kann nicht mehr! – Jochen Ott [SPD]: Das geht leider nicht! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Er hat schon zwei! – Zuruf: Geschäftsordnung! – Weitere Zurufe)
Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben sie uns angeschaut. – Herr Schulz hat noch einmal 90 Sekunden Zeit für eine Kurzintervention zum Redebeitrag von Herrn Witzel.
(Beifall von den PIRATEN)
Herr Kollege Schulz, bitte sehr.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident, auch für den Prüfungsaufwand in diesem Kontext. – Ich musste leider auf die Kurzintervention zurückgreifen. Der Kollege Mostofizadeh hat die Frage leider nicht zugelassen, beliebt aber doch, qua Zwischenruf zu diskutieren.
Deswegen richte ich mich gern an Sie, Herr Kollege Witzel, im Hinblick auf die Frage der Zweckbindung, die hier so blumenreich dargestellt worden ist, dass sie für Bildung und schulische Zwecke herreichen soll. Gleichwohl sieht es aber so aus, dass diese Zweckbindung gemäß diesem Gesetz hier gerade aufgehoben werden soll und das Geld – zumindest das Barvermögen –, wie wir gehört hatten, in den allgemeinen Landeshaushalt übergehen soll.
Damit wäre nicht nur der eigentliche Zweck beseitigt, sondern auch die Intention, wie sie offensichtlich in der Vereinbarung mit der Kirche unterlegt wird, dass nämlich die Zweckbindung erhalten bliebe. Sie bleibt aber aufseiten der Landesregierung und damit dem Land Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht erhalten, sondern sie verschwindet.
Dementsprechend sieht es tatsächlich so aus, dass ganz klar ausschließlich zu Kassenzwecken ein Vermögen plattgemacht werden soll. Tatsächlich wird hier der Ablass an die Kirche in Höhe von 40 % des Gesamtvermögens gezahlt.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Ablass?)
Da hätte ich gern von Ihnen gewusst, Herr Witzel, wie Sie die ganze Angelegenheit sehen. Sehen Sie sie ähnlich wie ich?
Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Schulz, für mich persönlich – Sie haben mich angesprochen – stellt sich der Sachverhalt ganz klar dar: Wir haben eine große Vermögensmasse in einem ordentlichen dreistelligen Millionenvolumen gehabt, für die es eine Zweckbindung gab. Von niemandem wird bestritten, dass diese Zweckbindung „zur Förderung des Bildungsbereichs“ bis heute existiert hat. Punktuell sind immer wieder Bildungsprojekte gefördert worden.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Also ist zusätzlich Geld zur Regelfinanzierung zweckgebunden der Bildung zugute gekommen.
Wenn dieses Vermögen nun mit dem 60-prozen-tigen Anteil des Landes in den allgemeinen Landeshaushalt integriert wird, dort für die allgemeine Aufgabenerledigung konsumiert wird und daraus allgemeine Ausgaben gedeckt werden, steht logischerweise dieses Geld für Bildungszwecke nicht mehr zur Verfügung. Damit gibt es weniger Kapital für Bildung.
Daher ist unser Vorschlag – da denkt die Piratenfraktion wahrscheinlich in eine ähnliche Richtung –, dieses Geld in modernen Strukturen einer Bildungsstiftung zur Verfügung zu stellen.
Das Motiv für diese Handlungsvornahme ist völlig klar: Es soll Geld aus Haushaltsgründen für den Landeshaushalt generiert werden. Das hilft beim Erreichen der Schuldenbremse. Wenigstens ist das ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein.
Wir empfehlen etwas anderes, nämlich strukturelle Haushaltskonsolidierung. Dann brauchen wir diese Instrumente nicht und haben langfristig nachhaltig einen positiveren Effekt für den Landeshaushalt. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und Nicolaus Kern [PIRATEN])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Marsching.
Michele Marsching*) (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Brüder und Schwestern! Liebe Gemeinde! Wir sind heute hier zusammengekommen, um ein freudiges Ereignis zu feiern, nämlich die Rückübertragung von 117 Millionen € durch das Land Nordrhein-Westfalen in den Schoß der katholischen Kirche.
(Zurufe von den PIRATEN: Amen!)
Höre ich ein Halleluja?
(Zurufe von den PIRATEN: Halleluja! – Zuruf von der CDU: Ha, ha, ha! Unmöglich!)
Lange haben wir dafür verhandeln müssen. Immer wieder musste uns der Herrgott die Kraft geben zu bitten, zu betteln, zu drohen und zu fordern. Am Ende sind wir mit seiner Hilfe als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen.
Durch die Übertragung der Mittel bekommen wir endlich die Möglichkeit, qua religiöser Erziehung – so sehen es die Stiftungen vor – noch mehr verirrte Schafe aus den Händen der unchristlichen Frevler zu reißen. Halleluja.
(Zurufe von den PIRATEN: Halleluja! – Christian Möbius [CDU]: Das ist eine schlechte Karnevalsrede!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Marsching, ich glaube – darüber sind wir uns im Sitzungsvorstand einig –, dass es nicht üblich ist, in Kommunikation mit der eigenen Fraktion Ihre Rede in dieser Form vorzutragen.
(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP – Michele Marsching [PIRATEN]: Ich lasse das Halleluja!)
Ich würde Sie bitten, normal weiter vorzutragen und Ihre Rede fortzuführen.
(Jochen Ott [SPD]: Und den Rest auf der nächsten Stunksitzung!)
Michele Marsching*) (PIRATEN): Jahrhundertelang haben wir dafür kämpfen müssen, zu unserem Recht zu kommen. Das katholische Vermögen muss katholisch bleiben! Mit der Angst vor einer teuren Klage haben wir die Landesregierung dazu bewogen, einzulenken und sich nicht dem Urteil auszusetzen, ob Güterübertragungen vor 200 Jahren rechtmäßig waren oder nicht. Wir hätten uns gewehrt, denn schließlich sind wir damals quasi enteignet worden. Dieses Unrecht muss wiedergutgemacht werden.
Na gut. – Da gab es diese Piratenfraktion, die gewarnt, nachgefragt, gemeckert und sich beklagt hat. Aber das haben wir auch durchgestanden. Mit der Hilfe von oben und immer den gleichen, wenn auch von außen fragwürdigen – drei von vier Gutachtern waren gegen uns – Argumenten. Am Ende werden nicht wir die Klägerin sein, sondern andere werden die Verfassungswidrigkeit erkennen und die gewünschte Rechtssicherheit, die die Landesregierung herstellen möchte, ad absurdum führen.
Unter uns: Die Landesregierung hat unglaublich schlecht verhandelt. Natürlich hätte sie uns nichts abgeben müssen. Natürlich reden wir von staatlichen Mitteln. Natürlich kann die 40-prozentige Übertragung des Vermögens auf unsere Stiftungen mit Fug und Recht als Ablasshandel bezeichnet werden. Aber warum sollte uns das kümmern? Wir können mit dem heutigen Segen des Landtags noch mehr unglückliche Geister im Glauben erziehen.
(Zuruf von den PIRATEN: Halleluja!)
Das sieht sogar die Verfassung vor.
Apropos: Lasst uns die Häupter heben, dass der Herr unser Geschick in den Verhandlungen so gut gelenkt und dem Finanzministerium am Ende den richtigen Weg gezeigt hat. – Amen.
(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von den PIRATEN: Amen! – Widerspruch von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Schneider in Vertretung für Herrn Minister Walter-Borjans.
(Jochen Ott [SPD]: Wenn sich einer mit der Kirche auskennt, dann Herr Schneider!)
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Auf diesen Zwischenruf kann ich nur reagieren, indem ich sage, dass ich protestantisch erzogen bin. In Haushaltsdebatten ist das sehr oft sehr wichtig. Da lernt man, mit dem Geld umzugehen.
(Heiterkeit und Beifall)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das in Rede stehende Gesetz mit dem Ablasshandel zu vergleichen, zeugt von historischer Unkenntnis
(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und Dr. Gerhard Papke [FDP])
und auch von einem verbalen Radikalismus an der falschen Stelle.
(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)
Zur Sache: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und seinen Anlagen als neuer Rechtsgrundlage soll Rechtssicherheit für Vermögensmassen geschaffen werden, deren Ursprünge in der Tat etwa 240 Jahre zurückliegen. Im 18. Jahrhundert wurden Schulen oder Klöster vielfach aus zugeordneten Ländereien finanziert. Die landwirtschaftlichen oder sonstigen Erträge aus Grund und Boden waren oft die wesentliche Einnahmequelle und deshalb unverzichtbar für den Bestand der genannten Einrichtungen. So erklärt sich die Herkunft der Schul- und Studienfonds aus Grundvermögen des Jesuitenordens, das ursprünglich zur Finanzierung des katholischen Schulwesens und zur Ausbildung katholischer Geistlicher vorgesehen war.
Auch in entsprechenden späteren Kabinettsordres, etwa von 1818 oder von 1846, finden sich solche Zweckbestimmungen.
Folglich werden die Fonds zwar als unselbstständiges Sondervermögen des Landes geführt, aber getrennt vom Landeshaushalt. Die alten Kabinettsordres als Anweisungen des Königs haben immer noch Gesetzesrang, sodass die Neuordnung ebenfalls ein Gesetz erfordert. Der Landtag kann ein solches Gesetz beschließen.
Heute ist das Bildungswesen im Wesentlichen eine staatliche Aufgabe, die über die öffentlichen Haushalte finanziert wird. Das Regelschulwesen wird von einem weltanschaulich neutralen Staat getragen. Die Schul- und Studienfonds haben in dieser Hinsicht ihren früheren Charakter als wesentliche Finanzierungs- und auch Prägungsquelle verloren.
Am Haushalt Nordrhein-Westfalens hat der Bildungsbereich einen erheblichen Anteil. Wir sprachen schon in der Fragestunde darüber. Daher sollen möglichst große Teile der Fonds dem Landeshaushalt zugeführt werden.
Wegen der erforderlichen Rechtssicherheit angesichts der Herkunft und Zweckbestimmung der Vermögen gibt es für diesen Schritt eine Einigung mit der katholischen Kirche. Es gibt sie auch mit dem Heiligen Stuhl. Sie wissen, die katholische Kirche ist eine zentralistische Organisation. Die Bistümer sind hier auch auf die Zustimmung des Vatikans angewiesen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, vier der sechs nordrhein-westfälischen Schul- und Studienfonds aufzulösen. Der Vermögensverbleib ist so zu regeln, wie es in den Vereinbarungen zwischen Land und katholischer Kirche vorgesehen ist. Danach sollen 60 % des Vermögens dem Landeshaushalt direkt zugeordnet und insgesamt 40 % auf drei gemeinnützige katholische Rechtsträger übertragen werden.
Es ist eben schon von Frau Gebhard darauf hingewiesen worden, dass das Verhältnis 60:40 von Helmut Linssen in seiner Eigenschaft als Finanzminister des Landes ausgehandelt worden ist.
Die Vereinbarungen zwischen Land und Kirche erfordern eine Bestätigung durch das vorliegende Landesgesetz. Deshalb betreiben wir diese Gesetzgebung.
Noch ein Wort zu Münstereifel: Wenn man schon zitiert, muss man sich natürlich auch mit dem Volumen beschäftigen, das dort zur Verteilung anstand. Es betrug bis 1999 über Einzelentscheide etwa 10.000 DM pro Jahr, und nach 1999 ist kein Zuschuss mehr an das besagte Gymnasium geflossen. Das ist also eine überschaubare Summe.
Meine Damen und Herren, wenn die Piratenfraktion so großen Wert darauf legt, die Siegel des Heiligen Stuhls in Augenschein zu nehmen, wird der Finanzminister im Interesse der Wahrheitsfindung sicherlich nichts dagegen haben. Wenn damit Ihre politischen Interessen befriedigt sind, steht dem eigentlich nichts entgegen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister Schneider, ich darf Sie bitten, am Redepult zu bleiben. Es gibt eine Kurzintervention – keine Sorge, diesmal nicht vom Kollegen Schulz, sondern vom Kollegen Witzel.
(Zurufe)
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Der Herr Witzel!
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Witzel hat – sobald es im Plenarsaal wieder einigermaßen ruhig geworden ist – 90 Sekunden Zeit. Bitte schön, Herr Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Herr Minister Schneider, weil es in dieser Debatte falsche Darstellungen zur Historie gegeben hat, möchte ich Sie bitten, an einer Stelle zur Klärung beizutragen.
Ihnen ist bekannt, es gibt seit über elf Jahren einen Grundsatzbeschluss von Rot-Grün zur Auflösung dieser Studienfonds. Ein wichtiges Argument war immer, dass es ordnungspolitisch nicht sinnvoll sei, viele Sondervermögen zu haben. Die verfügten nicht über Entscheidungsorgane; dem Land entstehe dadurch bürokratischer Verwaltungsaufwand für die Mittelhandhabung mit Blick auf jede einzelne Beantragung, Bewilligung und Auszahlung. – In diesem Grundsatz sind wir uns einig, und wir alle können verstehen, dass da Reformbedarf ist.
Unser Ziel ist es allerdings, das Geld über eine Stiftung für den Bildungsbereich zu erhalten. Das ist auch die mir bekannte ausdrückliche Haltung von früheren Verantwortungsträgern aus schwarz-gelber Regierungszeit. Deshalb gehe ich nach all meinen Kenntnisständen davon aus, die ersatzlose Konsumption dieses Geldes im Landeshaushalt und damit die Entziehung für Bildungszwecke wäre nicht denkbar gewesen.
Da hier von anderen Rednern gerade etwas anderes insinuiert worden ist, möchte ich Sie fragen: Kennen Sie einen Kabinettsbeschluss von Schwarz-Gelb aus der 14. Legislaturperiode, der diese Aufteilung im Verhältnis von 40:60 vorsieht …
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Witzel, Ihre Redezeit.
Ralf Witzel (FDP): … und wodurch das Geld in den Landeshaushalt überführt werden soll?
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Abgeordneter Witzel, offensichtlich ist die Dauer von 90 Sekunden unterschiedlich interpretierbar.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Ich kann Ihnen nur sagen, mir ist ein solcher Beschluss nicht bekannt.
Ich habe darauf hingewiesen, dass der Bildungsbereich etwa 38 % des Landeshaushalts ausmacht.
Wenn die Vermögen in den Landeshaushalt überführt werden, werden sie natürlich mit großer Wahrscheinlichkeit – mit Sicherheit, möchte ich sagen – auch zur Finanzierung des Bereichs Bildung herangezogen werden. In welcher Größenordnung, ist eine andere Sache. Aber Sie können sicher sein, wir werden auch Bildungsaktivitäten über diesen Weg mit fördern. – Vielen Dank. – Oder, Herr Witzel?
(Beifall und Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Neunzig Sekunden bieten wenig Interpretationsspielraum. Es waren genau 94 Sekunden. Ich halte es aber für nicht angebracht, mitten im Satz das Wort abzuschneiden.
(Beifall von der FDP)
Es ist noch eine weitere Rede angemeldet. Für die Piratenfraktion spricht noch einmal der Kollege Schulz.
(Unruhe)
Zwei Minuten und 32 Sekunden hat er Zeit. Ich habe vergessen, Sie noch darauf hinzuweisen: Die Landesregierung hat die Redezeit um 44 Sekunden überzogen. Herr Kollege Schulz sagt schon, die nimmt er mit. Die anderen Fraktionen haben natürlich diese 44 Sekunden Redezeit dann auch noch. – Herr Schulz, bitte sehr.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Minister Schneider, erstens Kompliment: Sie haben sich heute sehr gut zu diesem Thema, welches gar nicht Ihres ist, geschlagen, wenn ich das einmal sagen darf.
Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass das Gesetz, über welches hier und heute abgestimmt werden soll, die Rechtslage aus unserer Sicht völlig auf den Kopf stellt.
Die Landesregierung kreierte eine Anspruchsposition zugunsten der Kirche. Auf Zuruf! Die Landesregierung sagt, es gäbe Rechtsansprüche der Kirche, die abgelöst werden müssen. Das Finanzministerium, vertreten durch Herrn Minister Schneider, stellt sich hier ans Pult und sagt, es gäbe Beschlüsse, die 200 und 240 Jahre alt sind und quasi damals diesen Rechtsanspruch kreiert haben, spricht aber gleichzeitig davon, dass es sich nur um Zweckbestimmungen handelt. „Nur“ um Zweckbestimmungen!
Eines steht jedenfalls fest: Eine Zweckbestimmung ist kein Rechtsanspruch, jedenfalls nicht im Sinne von Eigentum und Besitz. Gleichwohl wird hier Eigentum verschafft, und es wird die Zweckbindung, die hier ja so hochgehalten wird, schlicht und ergreifend aufgelöst. Das heißt, 60 % des Vermögens landen demnächst im Landeshaushalt ohne Zweckbindung. 40 % des Vermögens landen im Schoß der Kirche, aber mit Zweckbindung. Das heißt mit anderen Worten: Die Auflösung der Zweckbindung findet nur teilweise statt. Gleichwohl sieht es offenbar die Kirche als gerecht und billig an, diese Zweckbindung für diesen Vermögensteil, den sie erhalten soll, aufrechtzuerhalten.
Also muss man doch davon ausgehen, dass hier ganz offensichtlich der Gesetzgeber bzw. die Landesregierung einzig und allein treibende Kraft für die ganze Geschichte war und also glaubt, die Kirche hier in irgendeiner Form begütern zu müssen, obwohl sie genau weiß, dass das nicht erforderlich ist.
Man hätte also bezüglich des Gesamtvermögens, wenn es nicht nur um das Barvermögen ginge, die Zweckbindung einfach bestehen lassen können, also auch bezüglich der restlichen 60 %.
Es kann ja nun nicht sein, dass – wie im Gesetzentwurf steht – es hier außerdem nämlich um Bewirtschaftungsfragen geht. Die Bewirtschaftungsfrage steht in der Gesetzesbegründung, und diese kann doch nicht Gegenstand der Frage sein, ob jetzt hier Geld in den Landeshaushalt fließen soll oder nicht, sondern es geht ganz maßgeblich auch darum, dass – so sieht es doch wohl wahrscheinlich aus – der BLB NRW hier demnächst auch noch ein Wörtchen wird mitreden wollen, nämlich im Hinblick auf die Bewirtschaftung der in den Schul- und Studienfonds verhafteten Immobilienvermögen, um die es ganz maßgeblich auch noch geht. Denn das Barvermögen ist nur ein kleiner Teil.
Wenn wir könnten, sehr verehrte Damen und Herren, würden wir hier eine vierte Lesung beantragen.
(Zurufe von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
– Herr Mostofizadeh, das geht selbstverständlich nicht. Aber die Landesregierung hat die Möglichkeit, über Art. 67 der Landesverfassung dann, wenn erhebliche rechtliche Bedenken bezüglich eines, nämlich des hier und heute abzustimmenden Gesetzes bestehen, eine weitere Lesung zu beantragen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schulz, die Redezeit.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Wir von der Piratenfraktion appellieren an die Landesregierung, diese weitere Lesung auch nach 240 Jahren …
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): … bezüglich der Vermögensgegenstände der Schul- und Studienfonds anzuregen. Danke schön. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
(Zurufe: Oh!)
Wir sind am Schluss der Beratung und haben drei Abstimmungen vor uns.
Wir stimmen zuerst über den Gesetzentwurf Drucksache 16/3969 ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/4604, den Gesetzentwurf Drucksache 16/3969 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen und sämtliche Anlagen durch die Anlagen in den Vorlagen 16/1495 und daran anschließend die Anlagen in Vorlage 16/1494 zu ersetzen. Wer möchte dieser Beschlussempfehlung so Folge leisten? – Die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen diese Beschlussempfehlung? – Die Piratenfraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein enthalten sich. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/4604 angenommen und der so geänderte Gesetzentwurf Drucksache 16/3969 in dritter Lesung verabschiedet.
Wir stimmen dann ab über den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/4673. Wer möchte dem Entschließungsantrag zustimmen? – Die FDP-Fraktion stimmt zu. Wer ist gegen den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion? – Die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Enthält sich jemand? – Es gibt eine Enthaltung aus der Piratenfraktion, und zwar vom Kollegen Schulz. Damit ist der Entschließungsantrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/4673 abgelehnt.
Zuletzt stimmen wir dann über den Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/4904 ab. Wer ist für diesen Entschließungsantrag? – Die Piratenfraktion ist dafür. Wer ist gegen diesen Entschließungsantrag? – Die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU. Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion enthält sich. Den fraktionslosen Kollegen Stein habe ich gerade bei „dagegen“ vergessen, wenn ich das richtig sehe. – Dann haben wir das auch noch geklärt. Der Entschließungsantrag Drucksache 16/4904 ist damit abgelehnt.
Wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunktes.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4819
Ich eröffne die Aussprache. Für die mitantragstellende CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Doppmeier.
Ursula Doppmeier (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen kurz folgendes Szenario schildern: Die kleine Luisa, sechs Jahre alt, war so verschüchtert, dass sie kein Wort herausbrachte. „Woher stammen denn die blauen Flecken am Rücken und die Striemen an Armen und Beinen?“, fragte der Kinderarzt. Mit großen Augen blickte das Mädchen zum Vater, der das Reden übernahm. Ja, das frage er sich auch, müsse wohl beim Toben mit dem großen Bruder passiert sein.
„Beim Toben?“, fragte der Kinderarzt und wollte wissen, zu welchem Arzt sie denn bisher gegangen seien. Der wohne in einer anderen Stadt, entgegnete der Vater, den Namen habe er vergessen. – Als der Arzt nach dem gelben Vorsorgeheft fragte, kam die Antwort: Das ist beim Umzug verloren gegangen.
Zu gerne hätte der Arzt sich mit seinem Kollegen ausgetauscht, eine Rundfrage gestartet, wem die Familie bekannt ist, oder den bisherigen Kinderarzt kontaktiert. Aber genau damit hätte er sich strafbar gemacht.
Dieses Szenario, das ich Ihnen geschildert habe, ist nicht erfunden, sondern gehört leider für viele Kinderärzte zum traurigen Alltag.
Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir diese Ohnmacht der Ärzte zum Schutz unserer Kinder ändern müssen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Mit diesem gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU, FDP und den Piraten zum Ausbau des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt die Gelegenheit, diesen Zustand zu ändern. Der Gesetzentwurf ist ein richtiger, wichtiger erster Schritt zum umfassenden Kinderschutz in unserem Land, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens. Wir schaffen endlich die nötige gesetzliche Klarstellung. Dies ermöglicht es den Ärzten, sich bei hinreichendem Verdacht auf Kindesmisshandlung interkollegial auszutauschen, ohne eine strafrechtliche Relevanz ihres Handelns befürchten zu müssen. Der wichtige Informationsaustausch der Ärzte untereinander ist damit sichergestellt. Denn es kann nicht sein, dass Ärzte sich strafbar machen, wenn es ihnen um das Wohl des Kindes geht.
(Beifall von der CDU)
Zweitens. Damit erschweren wir es den Erziehungsberechtigten, die ihr Kind misshandeln, den Arzt zu wechseln, um dieses zu vertuschen. Dieses sogenannte Doktorhopping kann durch den frühzeitigen Austausch der Ärzte untereinander verhindert werden. Denn bei kaum einem Gewaltdelikt sind derzeit die Vertuschungsmöglichkeiten so groß wie bei der Kindesmisshandlung. Der Täter ist leider meist der Betreuer und entscheidet selbst, welchen Arzt er besucht.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es uns keinesfalls darum geht, dass Ärztinnen und Ärzte ein Wächteramt übernehmen wollen oder sollen. Dadurch würde die Rolle des Arztes komplett verändert. Das ist nicht unser Ziel. Vielmehr geht es darum, den kollegialen Austausch zu ermöglichen. Es gibt Situationen, in denen es sinnvoll ist, den unmittelbaren Wünschen der Erziehungsberechtigten nicht zu entsprechen, weil das Wohlergehen des Kindes unsere oberste ärztliche Handlungsmaxime sein muss.
Die CDU hat bereits im vergangenen Jahr mit einem Antrag eine gesetzliche Grundlage finden wollen, die Ärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlung den Austausch ermöglicht, anstatt sie weiter zu kriminalisieren. Der breite Konsens und die Zustimmung von zahlreichen Experten in unserer Anhörung haben gezeigt, dass die CDU mit diesem Antrag auf dem richtigen Weg war.
(Beifall von der CDU)
Umso bedauerlicher oder fast schon beschämend finde ich es, dass SPD und Grüne im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend gegen unseren Antrag gestimmt haben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, dass der Kinderschutz immer über einzelnen politischen Scharmützeln und Interessen stehen sollte.
(Beifall von der CDU)
Wir debattieren heute über den Schutz unserer Kinder, den wir schon längst hätten verbessern sollen.
Aber wir lassen uns nicht entmutigen und legen dem Landtag deshalb zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP und der Piraten diesen konkreten Vorschlag zur Änderung des Heilberufsgesetzes vor. Der Gesetzentwurf stellt endlich den Schutzauftrag der Ärzte auf rechtlich sichere Füße und gibt damit auch die Meinung zahlreicher Experten wieder, dass es sich beim interkollegialen Austausch von Ärztinnen und Ärzten zum Schutz vor oder zum Erkennen von Kindesmisshandlung um eine erforderliche Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsguts handelt. Dazu sind Ärztinnen und Ärzte auch ohne Einbindung der Schweigepflicht befugt. Diesen Umstand soll der vorliegende Entwurf gesetzlich fundamentieren.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Doppmeier, die Redezeit.
Ursula Doppmeier (CDU): Ja, ich komme zum Ende. – Sie kennen alle das Projekt RISKID, das von Ihrem ehemaligen Kollegen Sören Link eingeführt wurde. Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit ihm, was dort zum Schutz der Kinder und der Ärzte bereits getan worden ist. Ich hoffe, dass Sie auch für das Thema „Effektiver und besserer Schutz unserer Kinder“ stimmen, und würde mich freuen, wenn Sie demnächst im Ausschuss unserem Antrag zustimmen würden. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Doppmeier. – Für die FDP-Fraktion hat Kollege Hafke das Wort.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinderschutz liegt uns allen am Herzen. Wir sind immer bemüht zu schauen, wo noch Lücken zu schließen sind. Beim Verdacht auf Kindesmisshandlung ist dies der Fall. Wir haben zu dem Thema „Interkollegialer Austausch von Kinderärzten“ eine Anhörung durchgeführt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der Schluss, den wir aus dieser Anhörung gezogen haben: Es ist wichtig, diesen Austausch im Ergebnis zu ermöglichen.
Wir haben von den Experten gehört, dass es mit dem Bundeskinderschutzgesetz Kinderärzten bei Misshandlungsverdacht gestattet ist, den Fall anonymisiert ans Jugendamt weiterzuleiten. Das Jugendamt kann dann prüfen, ob die jeweilige Familie eingehender begutachtet werden muss. Ausgespart wurde aber eine Regelung für den interkollegialen Austausch von Kinderärzten. Ich weiß, dass diese Frage im Rahmen der Debatte zum Bundeskinderschutzgesetz im Raume stand, dann aber verworfen wurde. Heute sind wir wohl weiter.
Es gibt durchaus unterschiedliche Einschätzungen zu der Frage, ob es sich bei diesem Regelungsgebiet um einen landes- oder bundesrechtlichen Kompetenzbereich handelt. In der Anhörung ist die Frage so beantwortet worden, dass das Land neben dem Bund selbst aktiv werden kann. Das wollen wir mit diesem Gesetzentwurf tun.
Das soll die Kollegen von SPD und CDU nicht davon abhalten, das Thema auf Bundesebene noch einmal auf die Agenda zu setzen. Das wäre meines Erachtens sehr wünschenswert. Aber wir können und sollten in Nordrhein-Westfalen hier und heute eine Vorreiterrolle einnehmen und eine entsprechende Regelung auf den Weg bringen.
Denn wie wir wissen, dauern Meinungsbildungsprozesse zum Teil etwas länger als nötig. Wir haben das erst jüngst im Rahmen des CDU-Antrags zum Kinderschutz erlebt – Sie haben es eben schon angesprochen –: Da waren SPD und Grüne fast zehn Monate lang nicht in der Lage, sich überhaupt zu positionieren. Ich bin der Meinung, so lange wollen und dürfen wir nicht mehr warten.
Ein leichterer interkollegialer Datenaustausch von Kinderärzten bei dem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung wäre sicherlich ein weiterer guter Baustein für ein umfassendes Schutzkonzept. Wenn wir dies durch eine Klarstellung im Heilberufsgesetz – wie wir sie hier zusammen mit den Kollegen von CDU und Piraten vorschlagen – erreichen könnten, wäre das ein gutes Signal.
Wir kämpfen an der Seite der Kinderärzte und anderer Unterstützer, die sich seit Jahren für das Projekt „RISKID“ einsetzen – ein Projekt, das helfen kann, Kindesmisshandlung schneller aufzudecken.
Das große Manko war bisher, dass sich die teilnehmenden Ärzte in einer rechtlichen Grauzone befunden haben und immer an der Schwelle der Strafbarkeit standen. Dem wollen wir – wie es auch die Ärztekammer Nordrhein vorschlägt – mit diesem Gesetzentwurf begegnen.
(Beifall von der FDP)
Denn neben nachprüfbaren Vorsorgeuntersuchungen für Kinder ist als zweites Mittel zur Vorbeugung und Erkennung von Kindesmisshandlungen ein innerärztliches Informationssystem hilfreich. Dies kann durch den rechtzeitigen Austausch von ärztlichen Befunden dem Arzt helfen, die Diagnose einer Kindesmisshandlung treffsicherer und früher zu stellen. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn Erziehungsberechtigte ihre Kinder misshandeln oder vernachlässigen und häufiger den Arzt wechseln, um die Misshandlung zu vertuschen – ein sogenanntes Ärztehopping.
Ich kann die Kollegen von SPD und Grünen nur einladen – Sie kennen das aus der letzten Legislaturperiode; jetzt gibt es auch die Opposition der Einladung –,
(Beifall von der CDU)
sich an dieser guten Sache dann doch zu beteiligen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Obwohl Sie den letzten Antrag der CDU-Kollegen zum Kinderschutz abgelehnt haben, bin ich vorsichtig optimistisch, dass Sie bei diesem Gesetzentwurf anders handeln werden. Der Kollege von der SPD, Herr Dr. Adelmann, selbst Kinderarzt, hat sich im Rahmen eines Beitrags im WDR eindeutig für die Einrichtung einer Landesdatenbank für den erleichterten Austausch von Kinderärzten ausgesprochen und sollte dementsprechend auch diesen Gesetzentwurf als ersten Schritt in die richtige Richtung befürworten.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn dieses Parlament das insgesamt so sehen würde und diese Regelung gemeinsam beraten und beschließen könnte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Wegner.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf der Tribüne und im Stream zu Hause! Es geht bei diesem Antrag um eine wirklich ernste und wichtige Sache, und zwar den Kinderschutz.
Ich habe noch ganz seltsame Gefühle bei der Erinnerung an das, was letztens im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend passiert ist. Ich kann es auch immer noch nicht nachvollziehen. Aber egal, was in der Vergangenheit passiert ist: Vergessen wir es! Gucken wir nach vorne!
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Worum geht es in diesem Gesetzentwurf? Der Gesetzentwurf, über den wir hier heute debattieren, fordert die Übernahme des § 9 Abs. 2 Satz 1 der Berufsordnung in das Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen.
Was hat das zur Folge? Das hat erst mal nur zur Folge, dass sich die Ärzte jetzt miteinander austauschen dürfen. Das heißt, das ist ein erster Schritt.
Wenn ich den Antrag, der von der CDU-Fraktion kam, richtig verstanden habe, ging der eigentlich schon einen kleinen Schritt weiter. Es wurde dann aber in der Anhörung klargemacht, dass das nicht so einfach mit einem Schritt zu machen ist, dass zumindest ein Schritt dazwischen erfolgen muss, um den Ärzten überhaupt erst den Austausch untereinander zu ermöglichen.
Wir Piraten stehen nun nicht gerade in dem Ruf, mit dem Datenschutz fahrlässig umzugehen. Zumindest ich habe mich am Anfang doch ein bisschen schwergetan, als ich diesen Gesetzentwurf das erste Mal gelesen habe. Ich musste mich erst schlaumachen. Wir haben uns daher mit Vertretern von RISKID getroffen und uns genau erklären lassen, was dahintersteht. Nachdem ich mir auch die technischen Hintergründe genau habe erklären lassen, sage ich: Es geht eigentlich gar nicht anders!
Ich habe zwei Werte: Datenschutz und Kindeswohl. Datenschutz gerade auch für Kinder ist wichtig. Das hat auch mit Kindeswohl zu tun. Ich weiß, auf welchem minimalen Punkt diese Datenbank aufgebaut ist, welche wenigen Daten dort gesammelt werden. Es sind eigentlich nur ganz kleine, minimale Veränderungen, die wir an dieser Datenbank vorschlagen würden, um sie als völlig okay, als völlig richtig zu betrachten.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Doch reden wir jetzt erst mal nicht mehr über die Datenbank. Viel wichtiger ist eigentlich, was derzeit mit den Ärzten ist. Denn die müssen wir überhaupt erst in die Lage versetzen, diese Datenbank nutzen zu dürfen. Derzeit wäre das gar nicht möglich. Es dürfte zurzeit noch nicht mal sein, dass ein Arzt, auf welchem Weg auch immer er erfährt, dass der andere Kollege schon mal damit befasst war, mit diesem anderen Kollegen darüber redet. Das ist nach derzeitiger Gesetzeslage nicht erlaubt. Da sage ich wieder: Das kann doch nicht wahr sein!
Da wird die ganze Zeit ein Schutzgedanke in den Vordergrund gestellt, bei dem ich das Gefühl habe – entschuldigen Sie den Ausdruck –, dass er von der Politik andauernd mit Füßen getreten wird. Ich weiß gar nicht, welche Gruppe dahintersteht, den Datenschutz und die Schweigepflicht – die eigentlich auch unter den Datenschutz fällt – hier so sehr gegen den Kinderschutz hochzubringen. Ich kann das wirklich nicht verstehen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich hoffe nach allem, was in der letzten Woche im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend passiert ist, dass sich das noch ändert. Ich habe da einen sehr verhaltenen Optimismus. Ich habe mit vielen Kollegen aus der SPD-Fraktion gesprochen. Ich weiß, dass Sie inhaltlich eigentlich dazu stehen – wobei ich das Verhalten dann noch weniger verstehen kann. Aber ich hoffe, dass wir im Ausschuss zusammenkommen werden und uns vielleicht noch auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen können. Denn es wäre das richtige Signal für die Kinder in Deutschland, für den Kinderschutz in Nordrhein-Westfalen, wenn man sich einigt und alle Partei- und Fraktionsinteressen hinten rüberschmeißt. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Yüksel.
Serdar Yüksel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte betonen, dass der Schutz unserer Kinder für uns ebenfalls unbestritten ein hohes Gut ist. Kinder sind unsere Zukunft. Zu Recht heißt es in Art. 6 unserer Landesverfassung, dass jedes Kind ein Recht auf Achtung seiner Würde und besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft hat. Ebenso wird in der Verfassung richtigerweise herausgestellt, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung haben.
Beim Thema „Kinderschutz“ nimmt das Land Nordrhein-Westfalen – insbesondere wegen des Ausbaus einer Vielzahl von Maßnahmen in den letzten Jahren – schon heute eine Vorreiterrolle ein. Vorbeugung und Erkennung von Kindesmisshandlungen haben auch für uns – das möchte ich betonen – oberste Priorität. Dennoch halten wir eine Änderung des Heilberufsgesetzes mit dem Ziel, eine rechtliche Grundlage für den interkollegialen Austausch von Kinderärztinnen und -ärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlung zu schaffen, wie es von den Fraktion von CDU, FDP und Piraten vorgeschlagen wird, für nicht zielführend.
Wir halten dies deshalb nicht für zielführend, weil eine solche Regelung bereits in den rechtsverbindlichen ärztlichen Berufsordnungen enthalten ist und das Heilberufsgesetz auch explizit auf diese verweist. So sind Ärztinnen und Ärzte, liebe Frau Doppmeier, laut § 9 der Berufsordnung auch ohne Entbindung von der Schweigepflicht bereits heute zur Offenbarung befugt, soweit dies zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Ihre Befürchtung, dass sie sich hier strafbar machen, stimmt eindeutig nicht.
Vor diesem Hintergrund bewerten auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände wie auch die Caritas, die Diakonie und andere in ihrer Stellungnahme …
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yüksel, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt mitten im Satz unterbreche: Es gibt den Wunsch nach Zwischenfragen – es sind gleich zwei – bei Frau Kollegin Scharrenbach und Herrn Kollegen Düngel. Möchten Sie die zulassen?
Serdar Yüksel (SPD): Ja, klar.
Präsidentin Carina Gödecke: Dann hat Frau Kollegin Scharrenbach das Wort.
Ina Scharrenbach (CDU): Vielen Dank, Herr Yüksel, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ihnen ist doch bekannt, dass die Berufsordnungen keinen Gesetzesrang haben und insofern aus der Anhörung heraus mehrfach von unterschiedlichen Experten empfohlen wurde, diesen Passus aus der Berufsordnung in das Heilberufsgesetz zu überführen, um eine rechtliche Klarstellung für die Ärzte zu erwirken. Oder?
(Beifall von der CDU)
Serdar Yüksel (SPD): In der Stellungnahme der Ärztekammer vom 23. November, Frau Kollegin, stellen die Ärzte fest, dass sie selbst die Berufsordnung für nordrhein-westfälische Ärztinnen und Ärzte, was die Offenbarung und deren Befugnis anbelangt – § 9 Abs. 2 –, für ausreichend halten. Das steht eindeutig in der Stellungnahme der Ärztekammer vom 23. November auf S. 2, zweiter Absatz. Insoweit kann ich Ihnen da leider nicht folgen.
Präsidentin Carina Gödecke: Jetzt hat Herr Kollege Düngel das Wort.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel, dass ich die Frage loswerden darf. – Ich bin schon ein wenig überrascht. Der Anhörung lag ein CDU-Antrag zu diesem Thema zugrunde, wo es letztendlich darum ging, einen Prüfauftrag an die Landesregierung zu geben. Ihre Kollegen von SPD und Grünen im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend haben diesen Antrag abgelehnt. Ich kann mich nicht erinnern, dass in der weiteren Debatte eigentlich so explizit und deutlich gesagt wurde, dass hier die rechtlichen Rahmenbedingungen klar sind. Können Sie mir erklären, wie diese Differenzen da möglicherweise zustande gekommen sind?
Serdar Yüksel (SPD): Soweit ich meine Kolleginnen und Kollegen in der letzten Woche verstanden habe, gab es Beratungsbedarf bei der Fraktion der SPD und bei der Grünen-Fraktion. Diesem Beratungsbedarf ist durchaus nicht entsprochen worden. Es ist in der letzten Woche abgestimmt worden. Das war sehr ärgerlich. Ich weiß das von meinen Kolleginnen und Kollegen. In den Stellungnahmen vom 10. Oktober und 23. November halten sowohl die Freie Wohlfahrtspflege als auch die berufsständischen Organisationen der Ärztinnen und Ärzte den § 9, was die Offenbarung anbelangt, für völlig ausreichend. Insofern geben Sie hier nicht die Meinung der Freien Wohlfahrtspflege oder auch der Ärztekammer wieder.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund bewertet, wie gesagt, auch die Landesarbeitsgemeinschaft in ihrer Stellungnahme vom 10. Oktober den gegenwärtigen rechtlichen Rahmen für den interkollegialen Austausch von Kinderärztinnen und -ärzten als angemessen, da der Austausch auf vielfältige Weise ermöglicht wird.
Demnach stellt die vorgeschlagene Änderung des Heilberufsgesetzes keine inhaltliche Neuerung dar. Eine bloße Übernahme der Regelungen der Berufsordnung, die bereits einen rechtsverbindlichen Charakter hat, würde – ich betone das noch einmal – keine Verbesserung darstellen. Letztlich verändert sich die Rechtslage für die Betroffenen damit nicht. Nach wie vor hätten die Ärztinnen und Ärzte im Einzelfall zu entscheiden, ob zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes eine Offenbarung auch ohne die Entbindung von der Schweigepflicht gerechtfertigt ist.
Die Gesetzesänderung trägt somit an sich nicht zu einem Ausbau des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen bei, wie es der Gesetzentwurf mit seinem Titel suggerieren will. Vielmehr wird hier ein symbolischer Akt versucht, ohne zu einer nachhaltigen Veränderung beizutragen.
Um beim wichtigen Thema „Kinderschutz“ und bei der Frage der Übermittlung von Informationen bei Kindeswohlgefährdung zu wirksamen Verbesserungen zu kommen, müssten vielmehr Änderungen in der Bundesgesetzgebung – also beim Bundeskinderschutzgesetz – erfolgen, um hier zu bundeseinheitlichen Regelungen zu kommen. Stellen Sie sich nur einmal das Beispiel vor – Frau Doppmeier, Sie haben es gerade genannt –, dass die Kinder an der Landesgrenze wohnen und auf die andere Seite ziehen. Dann hätten Sie dieselbe Problematik, wenn es unterschiedliche Regelungen gibt.
(Zuruf von der CDU: Das ist doch albern!)
Für uns als sozialdemokratische Fraktion ist wichtig, nicht nur den interkollegialen Austausch zwischen Ärztinnen und Ärzten zu fördern, sondern vielmehr – wie es im Übrigen auch der Kinderschutzbund fordert – den gemeinsamen Austausch und die Kooperation von Fachkräften der Gesundheitshilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe weiter zu fördern.
In diesem Sinne müssten die Angebote besser vernetzt werden. Das bringt den Kinderschutz in Land und Bund weiter.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu, wo wir ausreichend Gelegenheit haben werden, das wichtige Thema zu diskutieren und zu vertiefen. Ich freue mich auf eine interessante Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yüksel, bleiben Sie gleich am Rednerpult. Der Kollege Wegner möchte gern eine Kurzintervention machen. Bitte schön.
Olaf Wegner (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Yüksel, dass Sie die Kurzintervention zulassen.
Serdar Yüksel (SPD): Muss ich nicht zulassen.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sie müssen sie gar nicht zulassen. Klar. – Ich wundere mich ein wenig. Die ganze Zeit haben Sie davon gesprochen, dass sich die Ärzte gegenüber dem Jugendamt offenbaren dürfen oder unter gewissen Umständen sogar müssen.
Genau da liegt doch eigentlich das Problem. Nehmen wir den Fall, dass sich der Arzt noch nicht sicher ist, ob er es jetzt darf oder nicht, weil er noch gar nicht richtig feststellen konnte, ob Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das Einzige, was er jetzt machen kann, ist, für sich allein zu schauen, ob und wie er das abwägt.
Unter Umständen könnte er sich aber auch mit einem, zwei oder mehr Kollegen austauschen. Wenn sich danach der Verdacht erhärten würde, wäre die Meldung ans Jugendamt gerechtfertigt. Eingreifen kann er eh nicht. Er muss es ans Jugendamt melden. Er ist in dem Moment, wenn Kindeswohlgefährdung direkt vorliegt, nicht das ausführende Organ. Er kann es nur melden.
Es liegt aber doch die Problematik vor, dass sich Ärzte oft genug nicht sicher sind und eine unheimliche Unsicherheit verspüren. Ich kann mich an die Anhörung im Ausschuss erinnern: Es liegt eine unheimliche Unsicherheit vor, ob das, was die Ärzte tun, wirklich richtig und gerechtfertigt ist.
Bleiben wir beim Thema „Schweigepflicht“: Es ist weniger eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte, wenn sich die Ärzte austauschen, bevor das Ganze richtig und offiziell bekannt gemacht wird, statt falsche Meldungen zu offenbaren.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Wegner. – Herr Yüksel, wenn Sie möchten!
Serdar Yüksel (SPD): Meine Wahrnehmung ist tatsächlich anders. Ich erlebe in der Landschaft hochsensible Ärztinnen und Ärzte – gerade im Kinder- und Jugendbereich. Bei den Ärztinnen und Ärzten gilt: Im Zweifel für das Kindeswohl! Ich bin überzeugt davon, dass die Ärztinnen und Ärzte gerade bei solchen Verdachtsfällen mit einer entsprechenden Situation verantwortungsbewusst umgehen. Das Prinzip, im Zweifel für das Kindeswohl zu sein, wird wohl auch von den Kinderärztinnen beherzigt. – Danke!
(Zurufe von der Tribüne)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Yüksel. – Ich möchte gerne die Zuschauerinnen, die noch da sind und auf der Tribüne gerade zwar nicht lautstarke, aber deutlich zu erkennende Beifalls- und Missfallensbekundungen äußern, darauf aufmerksam machen, dass das auf der Zuschauertribüne nicht erlaubt ist.
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Wir wissen: Der Sachverhalt, den wir heute Abend erörtern, war bereits Gegenstand einer Anhörung des AFKJ, des damals federführenden Ausschuss, und des AGS für den Antrag der CDU-Fraktion.
Sofern sich die Sachverständigen zu diesem Thema geäußert haben, waren deren Stellungnahmen gegenüber dem Vorschlag der CDU überwiegend kritisch. Das müssen wir sehr ernst nehmen, denn genau aus diesem Grunde machen wir eine Anhörung, um die Wahrnehmung und Einschätzung von Sachverständigen zu dem betreffenden Gegenstand zu bekommen.
Ich möchte Ihnen die ablehnenden Stellungnahmen einmal aufzählen. Ich habe sie mir in Vorbereitung auf die heutigen Beratungen noch einmal genau durchgelesen:
Es war die Freie Wohlfahrtspflege, es waren die Landschaftsverbände, es war sogar die Ärztekammer NRW, es waren das Deutsche Jugendinstitut, Prof. Ziegler von der Uni Bielefeld und der Kinderschutzbund. Das Votum des Kinderschutzbundes sollten wir, wenn es um die Interessen und um den Schutz der Kinder geht, besonders ernst nehmen. Alle diese Gruppen haben sich ablehnend und kritisch gegenüber dem Vorhaben der CDU-Fraktion geäußert.
Meine Damen und Herren, Sie können das alle noch einmal nachlesen. Ich empfehle Ihnen von den drei antragstellenden Fraktionen, noch einmal sehr genau in die Unterlagen der Anhörung hineinzuschauen. Das ist sehr komplex. Die Stellungnahmen sind hoch differenziert. Aber alle Sachverständigen, die ich eben aufgezählt habe, haben sich gegen den Antrag der CDU-Fraktion ausgesprochen.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Asch, der Kollege Kern …
Andrea Asch (GRÜNE): Ich möchte gerne fortfahren. – Gleichwohl bringen Sie hier einen Gesetzentwurf ein, der genau diesen Antrag ausführt und wiederholt.
Was in diesem Zusammenhang besonders irritiert, ist Ihr Verhalten im Ausschuss. Es ist eben schon einmal erwähnt worden. Ich muss sagen: Wir als regierungstragende Fraktion haben – weil wir noch Beratungsbedarf hatten – darum gebeten, diesen Punkt zu schieben. Es ist guter parlamentarischer Brauch, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf einen solchen Beratungsbedarf einzugehen und dem Antrag auf Verschiebung zuzustimmen. Das haben Sie nicht getan, sondern Sie haben uns sozusagen zur Abstimmung gezwungen. Das ist kein kollegiales Verhalten.
(Heiterkeit von der CDU – Widerspruch von Marcel Hafke [FDP])
Wir haben als grüne Fraktion morgen noch ein Gespräch mit RISKID, auf das ich verwiesen habe. Ich habe darum gebeten, unseren Beratungsbedarf ernst zu nehmen. Das haben Sie nicht getan. Das zeigt sehr deutlich, dass es Ihnen nicht um eine einvernehmliche und konstruktive Lösung geht,
(Beifall von den GRÜNEN)
sondern es wird allzu deutlich, dass Sie daraus politisches Kapital schlagen wollen. Das ist verwerflich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])
Ihr Verhalten zeigt, dass es Ihnen letztendlich nicht um die Lösung und den Schutz der Kinder geht, sondern Ihnen geht es darum, sich politisch zu profilieren. Das ist nicht in Ordnung.
(Beifall von den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Was wollen Sie denn machen, Frau Asch?)
Sie instrumentalisieren den Kinderschutz für Ihre parteipolitischen Interessen. Wir haben bis jetzt in diesem Haus die gute Praxis gehabt, bestimmte Themen, zu denen auch der Kinderschutz gehört, aus den parteipolitischen Debatten und dem parteipolitischen Gezänk herauszuhalten. Wir hatten immer diese Linie, die Sie jetzt verlassen haben, indem Sie uns zur Abstimmung gezwungen haben, indem Sie den Konsens nicht weiter suchen.
(Christof Rasche [FDP]: Sie haben doch überhaupt keine Linie!)
Jetzt entlarven Sie sich selbst, indem Sie die Federführung für dieses Thema aus dem Familienausschuss herausnehmen und in den AGS schieben, die Debatte, die wir miteinander geführt haben, sozusagen durchbrechen. Damit entlarven Sie sich ein Stück selbst.
Ich kann Ihnen nur sagen und Sie im Interesse der Kinder bitten: Kehren Sie zum Konsens und der guten Tradition im Landtag zurück, den Kinderschutz nicht in den politischen Streit zu ziehen, sondern im Konsens zu beraten! Hören Sie auf, Ihr parteipolitisches Süppchen auf Kosten und auf dem Rücken der Kinder zu kochen!
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Asch, bleiben Sie bitte am Redepult!
(Die Abgeordnete begibt sich zu ihrem Platz.)
– Frau Kollegin Asch, ich würde Sie herzlich bitten, wieder an das Redepult zu kommen. Herr Kollege Kern hat sich nämlich zu einer Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt das Mikrofon freigeschaltet.
Walter Kern (CDU): Besten Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Andrea Asch, das, was hier gerade vorgetragen wurde, kam mir sehr pharisäerhaft von euch vor. Ihr habt – das möchte ich hier auch zu Protokoll geben – als regierungstragende Fraktionen elf Monate nicht auf den Kinderschutzantrag der Fraktionen reagiert. Elfe Monate!
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Ihr habt eine dritte Verschiebung beantragt. Ich persönlich habe den Eindruck – das will ich sehr deutlich sagen –, dass Ihr euch mit eurer Fraktion in der Arbeit hinter der Regierung verschanzt, aber in den Fraktionen selber die Arbeit aufgegeben habt und nur noch polemisch auftretet.
In der Anhörung wurde deutlich die Sinnhaftigkeit des Antrags insbesondere von den Kinderärzten unterstützt. Als Vorstandsmitglied des Kinderschutzbundes Nordrhein-Westfalen möchte ich meine persönliche Meinung äußern, dass es uns und mir persönlich nicht darum geht, politisch in irgendeiner Weise Kapital aus einer Sache zu schlagen, sondern dass es darum geht, die Kinder, die betroffen sind, wirklich zu schützen. Das ist in der Debatte sehr deutlich herausgekommen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich nehme das Angebot an. Aufgrund von Hinweisen der Regierungsfraktionen haben wir dies in den Bereich „Arbeit, Gesundheit und Soziales“ transportiert, zumal auch von Herrn Garbrecht, dem Ausschussvorsitzenden, interveniert wurde, dass es dorthin gehöre. Dem haben wir auch entsprochen.
Ich bitte darum, dass wir im weiteren Verlauf des Verfahrens zu einem einstimmigen Antrag aller Fraktionen kommen. Der Ball liegt übrigens bei euch und nicht bei uns.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kern. – Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch (GRÜNE): Es ist richtig: Der Antrag wurde schon vor geraumer Zeit eingebracht. Es ist aber auch richtig, dass es einen neuen Tatbestand gibt, und dieser neue Tatbestand besteht darin, dass Sie einen Gesetzentwurf eingebracht haben und wir natürlich in der gebotenen Art und Weise auf diesen reagieren wollten. Das haben wir im Ausschuss auch zur Sprache gebracht, lieber Walter Kern.
Eines ist doch vollkommen klar, lieber Walter: Auch ihr wisst, dass man aus der Oppositionsrolle heraus Mehrheiten für seine Anträge organisieren muss, wenn man sie denn tatsächlich zur Umsetzung bringen will. Das gilt zumindest, wenn man umsetzungsorientiert arbeitet.
(Zurufe von der FDP)
Diese Bereitschaft, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, ist in der letzten Woche im Ausschuss konterkariert worden.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist ja jetzt lächerlich, Frau Asch!)
Das zeigt uns, dass Sie nicht an einer Lösung dieses Problems und an einer mehrheitlichen Verabschiedung interessiert sind, sondern dass Ihnen vielmehr daran gelegen ist, dieses Thema parteipolitisch auszunutzen. Insofern kann ich mich nur wiederholen: Auch die Opposition weiß, dass man, um Mehrheiten zu organisieren, die Mehrheitsfraktion sozusagen mit ins Boot holen sollte. Aber das ist letzte Woche ganz bewusst nicht passiert. Im Gegenteil: Wir wurden in eine Abstimmung gezwungen, die wir so nicht gewollt haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin Asch. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Steffens das Wort.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von fast allen Rednerinnen und Rednern ist deutlich gesagt worden, dass Kinderschutz ein wichtiges Thema ist. Außerdem ist deutlich geäußert worden, dass über Kinderschutz außerhalb des politischen Streits diskutiert werden soll.
Herr Hafke, Sie haben netterweise gesagt, dass die Einladung auch für die Opposition gilt, und ich finde es wichtig, dass man diese auch annimmt. Deswegen empfinde ich eine emotionale Situation wie die, zu der es eben gekommen ist, als wenig hilfreich.
Schauen wir uns die Rechtsauffassung zu dem an, was Sie vorgelegt haben. Es ist sehr umstritten, was Ihr Vorschlag bedeuten und bewirken würde. Also, wenn uns allen der Kinderschutz so wichtig ist, müssen wir einen Weg gehen, der den Kindern am Ende des Tages wirklich hilft. Solange es viele Zweifel daran gibt, müssen wir gemeinsam noch ein paar Runden drehen und die wirklichen Probleme ergründen.
In der Anhörung im Ausschuss sind einige Defizite angesprochen worden. Es gibt ein großes Defizit, das von vielen benannt worden ist. Und zwar ist vielen Ärzten und Ärztinnen sowie Akteuren im System angesichts der heutigen Rechtslage nicht klar, welche rechtlichen Möglichkeiten und Pflichten sie haben, wie Kooperationen mit den bestehenden Beratungsstrukturen ablaufen und welche Möglichkeiten diese Beratungsstrukturen bieten.
Klar ist, dass es vor allen Dingen im interdisziplinären Bereich, sprich beim Austausch zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und dem Gesundheitswesen auf der anderen Seite, das größte Defizit gibt. Sie wissen als Kinder- und Jugendpolitiker, die sich bisher damit befasst haben, dass gerade diejenigen, die mit den Kindern jeden Tag arbeiten, wahrscheinlich sehr viel mehr über die Kinder und die Rahmenbedingungen wissen als die Ärzteschaft, die die Kinder einmal für eine U-Untersuchung sehen.
Somit ist die wichtigste Schnittstelle die des Austauschs mit der Jugendhilfe. Diese Zusammenarbeit – das haben alle gesagt – muss optimiert und gestärkt werden. Deswegen haben wir in den Ressorts, die an dem Thema beteiligt sind, eine Arbeitsgruppe eingerichtet und einen Prozess gestartet, um zu ergründen, wie wir diesen Austausch noch stärker institutionalisieren können. Das heißt, wir müssen auch überlegen, wie wir gerade im Rahmen des Kinderschutzgesetzes mit den Landesausführungsbestimmungen Netzwerke für frühe Hilfen bilden, die zwar nicht mit dem Gesundheitswesen verbunden sind, aber Kompetenzen aufweisen. Wie können Qualifizierungen stattfinden? Wie können sozusagen Synergien aus den unterschiedlichen Kompetenzen der Akteure gezogen werden?
Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit und den Prozess mit den Akteuren und Akteurinnen, aber keine Scheinlösung. Ich erwähne die Scheinlösungen absichtlich noch einmal. Denn wenn wir uns gleich ansehen, was Ihr Vorschlag bieten würde, dann möchte ich eines klarmachen: Frau Doppmeier, Ihr Beispiel berührt alle. Aber nach dem heute geltenden Gesetz müsste der Arzt das Jugendamt einschalten. Das Jugendamt müsste daraufhin überprüfen, was mit dem Kind los ist. In dem Beispiel, das Sie beschrieben haben, liegt ein hinreichender Verdacht vor, und der Arzt hat sich, sofern er sich nicht an das Jugendamt wendet, nach heutigem Recht bereits strafbar gemacht.
Das heißt, wir haben eine Rechtsgrundlage, nach der das Jugendamt aktiv werden müsste. Was ändert sich also mit Ihrem Vorschlag? Damit ändert sich nichts.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Wenn der Arzt heute mit einem Kollegen redet, verletzt er nach der heute geltenden Berufsordnung die Schweigepflicht. Wenn dieser Arzt genauso verfährt, nachdem Ihr Gesetz in Kraft getreten ist – das sagen viele Gutachter –, bricht er ebenfalls die Schweigepflicht.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen!)
Denn die Schweigepflicht, die im Bundesgesetz verankert ist, können wir nicht einfach im Rahmen des Heilberufsgesetzes aufheben. Das heißt, wir schaffen jetzt eine Pseudorechtssicherheit, die den Ärzten am Ende des Tages nicht hilft. Lassen Sie uns doch in Ruhe die Diskussion darüber führen. Das Heilberufsgesetz kann dies nämlich nicht leisten.
Ich möchte noch einen zweiten Aspekt nennen. Wenn wir darüber diskutieren wollen, ob die Schweigepflicht das niederrangige Gut ist und zum Schutze von Menschen aufgehoben werden muss, dann dürfen wir das nicht an einer Altersgrenze festmachen. Dann müssen wir über alle Schutzbefohlenen reden. Dann müssen wir über Kinder reden, dann müssen wir über Menschen mit Behinderung reden, und dann müssen wir auch über ältere Menschen reden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Also lassen Sie uns die Debatte doch richtig führen. Denn die Frage ist: Was ist verhältnismäßig, um die Schweigepflicht aufzuheben?
Dann müssen wir die Diskussion auf Bundesebene führen. Deswegen möchte ich an alle appellieren, dass wir im Interesse des Problems, das wir lösen möchten, eine konstruktive Diskussion führen. Dafür müssen wir beide Sachen machen. Wir müssen zum einen die Vernetzungsdiskussion und zum anderen das, was in der Jugendhilfe ankommen muss, diskutieren.
Ich möchte zum Schluss noch einen Punkt aufgreifen, weil mich dieser immer sehr betroffen macht. Wir sollten uns angucken, welches Wissen und welche Kompetenzen viele Eltern von Kindern, die misshandelt worden sind, haben. Dieses Wissen sollten wir nutzen – das gilt insbesondere für Menschen, die in der Rechtsmedizin arbeiten –, um Misshandlungen zu erkennen und Kindern frühzeitig zu helfen.
Dieses Wissen, das da vorhanden ist, ist ein Wissen, das wirklich quer in der gesamten Jugendhilfe, im Kindergarten, in der Schule, also an allen Stellen, verankert sein muss. Denn die zwei Augen des Arztes sehen zu wenig.
Unser breites System der Jugendhilfe kann aber viel sehen, wenn es die Kompetenzen dafür hat. Deswegen freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss, auch wenn sie an der Stelle eher kontraproduktiv gelaufen ist. Denn ich bin davon überzeugt, dass bei uns allen das Kindeswohl im Vordergrund steht. Deswegen müssen wir nicht darüber streiten, ob ein Paragraf richtig ist. Vielmehr müssen wir über den Weg diskutieren, und ich hoffe, dass die Einladung der Opposition gilt und wir zu einem Ergebnis kommen. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die Ministerin hat die Redezeit der Landesregierung um 1:15 Minuten überzogen. Diese Zeit steht jetzt natürlich auch den Fraktionen zur Verfügung. – Es bleibt aber dabei: keine weiteren Wortmeldungen. Dann schließe ich die Debatte zum Tagesordnungspunkt 15.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4819 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie mitberatend an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Auch das ist nicht der Fall. Dann haben wir einstimmig so beschlossen.
Ich rufe auf:
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4585
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Gebauer das Wort.
Yvonne Gebauer (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen – und wenn ich „wir“ sage, meine ich nicht nur die Bildungspolitiker unter uns –, dass innerhalb der Kollegien eine Ungleichgewichtung bei der Arbeitsbelastung besteht, und das gilt nicht nur für die Korrekturfächer, sondern auch für das Engagement außerhalb von Unterrichtszeiten und Vorbereitungen, das aus den verschiedensten Gründen, deren Bewertung mir nicht zusteht, unterschiedlich ausfällt.
Bei dieser wichtigen Frage der Ungleichgewichtung geht es zum einen um Fairness und Gerechtigkeit und zum anderen um die Verantwortung des Landes, die wir in Bezug auf die Gesundheit unserer Landesbediensteten tragen. Auch in Zeiten des Inklusionsprozesses stellt sich die Frage eines Lehrerarbeitszeitmodells mit wachsender Dringlichkeit. Das zeigen uns die vielen Gespräche in den Schulen bzw. auch hier im Hause. Das heißt, wir brauchen eine klare Erfassung und Fakturierung der Unterrichtszeit wie auch der Systemzeit. All das sind Gründe dafür, dass sich bei der Lehrerarbeitszeit endlich etwas tun muss.
Meine Damen und Herren, bereits 1999, also vor inzwischen 15 Jahren, hat Mummert & Partner auf die Ungleichgewichtung hingewiesen. Passiert ist bis heute aber einfach zu wenig. Wir verfügen allerdings mit dem sogenannten Mindener Modell über ein erfolgreiches Beispiel hier in Nordrhein-West-falen, wie bei konstanter Zustimmung des Kollegiums eine faire Gestaltung der Lehrerarbeitszeit möglich ist.
Auch wird mit diesem Modell nachweislich ein Beitrag zur Gesundheitserhaltung der Pädagogen geleistet, und darüber hinaus gelingt sogar eine Minimierung des Unterrichtsausfalls, an der wir alle fraktionsübergreifend interessiert sind. Beispiele, wie ein solches Modell breit und erfolgreich umgesetzt werden kann, gibt es aber auch außerhalb von Nordrhein-Westfalen.
Meine Damen und Herren, die Sympathien der FDP-Fraktion für ein solches Modell dürften hinreichend bekannt sein, und es dürfte auch bekannt sein, dass wir hier ein schnelleres Voranschreiten begrüßen würden.
Auch andere Fraktionen haben in der vergangenen Legislaturperiode zu diesem Thema konstruktive Gespräche geführt. Dennoch – auch das gehört zur Wahrheit mit dazu – bestehen bekanntermaßen in der Öffentlichkeit und auch bei einigen Verbänden Vorbehalte, und daher plädieren wir dafür, dass zumindest zeitnah die von Rot-Grün in der Vergangenheit angekündigte und versprochene Kommission zur Entwicklung eines Lehrerarbeitszeitmodells eingesetzt wird.
Hier sollten aus unserer Sicht die Erfahrungen der Lehrerverbände in den anderen Bundesländern, die wissenschaftliche Begleitung und vor allen Dingen der Erfahrungsschatz der Akteure des Mindener Modells entsprechend eingebunden werden. Wenn eine solche Kommission dann eingesetzt ist, ist es in unseren Augen auch unerlässlich, dass ein klarer Zeitrahmen für die Präsentation dieser Ergebnisse vorgegeben wird.
Wir als FDP-Fraktion sind der Meinung, dass wir diese Gerechtigkeitsfrage endlich anpacken sollten. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht, von dem ich hoffe, dass er im Interesse aller Beteiligten, nämlich der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der Kinder und Jugendlichen, sach- und fachgerecht im Schulausschuss diskutiert wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Feuß das Wort.
Hans Feuß (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe zwei Gäste auf der Tribüne! Interessant bei dem Thema ist: Frau Gebauer ist die einzige der jetzt Vortragenden, die Schule nicht aus der Sicht der Lehrkörper kennt, sondern aus der Sicht der Mutter. Das ist ja auch ein ganz wichtiger Faktor.
Und: Das Thema „Lehrerarbeitszeit“ wurde auch schon in der letzten Legislaturperiode aufgrund eines FDP-Antrages behandelt. Der war eindeutig auf das Mindener Modell fokussiert. Dieses Modell ist aber nur eines von vielen und wurde in NRW, wenn ich richtig informiert bin, nur von sechs Schulen ausprobiert. Es gibt auch noch andere Modelle: das Hamburger Modell, das Bremer Modell und verschiedene Modelle der Lehrerverbände. Wenn wir über Modelle diskutieren, dann müssen die Erfahrungen aller Modelle berücksichtigt werden.
Neben der rein zeitlichen Belastung durch Korrekturfächer müssen aber bei der Berechnung der Lehrerarbeitszeit auch psychische und physische Belastungsfaktoren Berücksichtigung finden. Es ist für Lehrer ziemlich schwierig und anstrengend, in einem ersten Schuljahr Musik oder Sport zu unterrichten und von daher auch sehr belastend, während es in einem gymnasialen Oberstufenleistungskurs in Deutsch oder Mathematik doch anders zugehen kann und wesentlich entspannter ist. Ich zitiere zu diesen Worten Ministerin Frau Löhrmann mit Erlaubnis des Präsidiums, die in ihrer Rede am 10. November zu der gleichen Thematik Folgendes gesagt hat – ich zitiere –:
Ich bin selbst Korrekturfachlehrerin mit Englisch und Deutsch gewesen und habe auch immer Oberstufen und Abiklausuren gehabt. Ich halte aber nichts davon, diese Belastungen der Lehrerinnen und Lehrer gegeneinander auszuspielen und höher zu gewichten als die Belastung, die sechs Stunden in der Turnhalle oder in einer Klasse hintereinander ausmachen.
Das Thema „Lehrerarbeitszeit“ ist also sehr vielschichtig und selbstverständlich müssen dabei auch die Lehrerverbände gehört werden. In der Anhörung in der letzten Wahlperiode am 6. Juli sind dazu auch schon einige wichtige Erkenntnisse zutage gekommen. Bisher ist es so, dass die Lehrerarbeitszeit nach Pflichtstunden berechnet wird, die unterschiedlich sind, je nach dem, in welcher Schulform die Lehrkräfte unterrichten.
Wenn wir aber über Lehrerarbeitszeit diskutieren, sollten wir auch einmal das Lehrerleitbild in den Blick nehmen. Was muss denn heutzutage eine Lehrkraft in den einzelnen Schulformen und in den einzelnen Schulstufen leisten? Die gesellschaftlichen Bedingungen haben sich total gewandelt. Früher galt: Familie erzieht, Schule bildet. – Das ist heute längst nicht mehr der Fall. Auch die Kolleginnen und Kollegen, die am Gymnasium unterrichten, müssen sich jetzt mit dem Phänomen der Erziehung auseinandersetzen. Und Lehrerinnen und Lehrer müssen neben der unterrichtlichen Tätigkeit beraten, diagnostizieren, fördern und eben auch erziehen.
(Beifall von der SPD)
Und in einem greift der Antrag der FDP in meinen Augen ganz klar zu kurz: Darin werden nur die weiterführenden Schulen in den Blick genommen. Aber auch in der Grundschule wird engagierte Arbeit geleistet, und da ist die Lehrerarbeitszeit auch entsprechend zu gewichten.
(Beifall von der SPD)
Kurze Rede langer Sinn: Der Überweisung an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung werden wir zustimmen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Feuß. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Birkhahn.
Astrid Birkhahn (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Die Diskussion, die dieser Antrag hervorruft, geht um Lehrerarbeitszeit. Das ist erst einmal sehr positiv; denn das ist eine Diskussion, die noch lange nicht erschöpfend und umfassend geführt worden ist. Wir haben eben gehört: Seit 1999 steht sie im Fokus. Seit 2007 laufen Modelle, um die Lehrerarbeitszeit aus ihrer Ungleichgewichtung herauszubringen. Und 2010 gab es eine Festlegung im Koalitionsvertrag, dass man eine Kommission einsetzen möge, die sich nun wirklich umfassend mit diesem Themenbereich auseinandersetzt.
Nun, seitdem sind keine Schritte erfolgt. Man mag unterstellen, da mag eine Vermeidung der Bearbeitung dahinterstehen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ich denke, der Grund, dass wir noch nicht weitergekommen sind, liegt darin, dass es kein Wohlfühlthema ist. Das ist wirklich kein Thema, bei dem man mit Sicherheit sagen kann: Wir können mit bestimmten Kriterien die unterschiedliche Durchdringung von Gehalten in Novellen festlegen und in Vergleich zu Mathematikarbeiten mit unterschiedlichen Arbeitsniveaus setzen. Wir können nicht direkt den Vergleich setzen zwischen dem Aufwand bei Korrekturarbeiten und der Sichtung von Materialien bei Geschichts- und Biologielehrern. Wir können schon gar nicht überlegen, was die Durchführung von Sportstunden in einer Mehrfachhalle für eine Belastung sein kann. Es gibt ganz unterschiedliche Bereiche, die wir miteinander in ihrem Belastungsumfang vergleichen und gewichten müssen.
Darüber hinaus darf ich noch die Fragen anführen: Wie steht es denn mit dem Engagement bei der erzieherischen Arbeit, mit dem gesamten pädagogischen Engagement? – Auch das sind Bereiche, die Belastungen hervorrufen und die man bei dieser Diskussion auch in den Blick nehmen muss. Es geht nicht um die Bewertung, sondern darum, dass wir dieses Ungleichgewicht beim Aufwand analysieren, gewichten und dann auch in einen Vergleich setzen.
Die Beschäftigung mit dem Thema „Belastungen in der Lehrertätigkeit“ ist dringend; denn wir haben sehr lange gebraucht, um diese überfällige Diskussion nach vorne zu bringen. Glücklicherweise kann ich sagen, dass eine beifallheischende Einschätzung eines Altbundeskanzlers über die Lehrerinnen und Lehrer inzwischen von den wenigsten als zutreffend anerkannt wird. Das ist ja auch schon über ein Jahrzehnt her.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wir alle sehen, dass diese Belastungen in ihren Symptomen für uns gravierend sind; denn Unterrichtsausfall – es ist schon darauf hingewiesen worden – und Auswirkungen auf die Lehrergesundheit sind feststellbar. Von daher finde ich es sehr positiv, dass wir durch diesen FDP-Antrag dazu kommen werden, die Auseinandersetzung mit dieser Thematik umfassend und intensiv zu tätigen.
Die Diskussion geht nämlich nicht nur um Modelle und den Vergleich von unterschiedlichen Modellen, sondern sie wird auch dazu führen, dass wir uns mit der Prioritätensetzung in der pädagogischen Arbeit in der Schule auseinandersetzen. Sie wird dazu führen, dass wir mehr Wertschätzung artikulieren müssen, und sie kann ein großer Schritt zu mehr Gerechtigkeit sein. Allein deswegen lohnt sich dieser Antrag, und allein deswegen lohnt sich auch die Auseinandersetzung damit.
Frau Gebauer hat darauf hingewiesen, dass in unterschiedlichen Bereichen auf unterschiedlichen Ebenen Vorbehalte bestehen, die wir zur Kenntnis nehmen. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir Akteure zusammenbringen, dass wir die Wissenschaft einbinden und dass wir uns mit dieser Thematik auseinandersetzen.
Die Einsetzung einer Kommission ist ein bedenkenswerter Weg. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Birkhahn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bas.
Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion um die Arbeitsbelastung von Lehrkräften und Arbeitszeitmodelle ist mittlerweile so etwas wie ein bildungspolitischer Diskussionsklassiker. Ich finde diese Diskussion wichtig; denn der Beruf des Lehrers hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewandelt und steht natürlich auch einer ganzen Reihe von bildungspolitischen Einflüssen gegenüber. Lehrer unterrichten nicht nur. Sie korrigieren Klassenarbeiten, organisieren Klassenfahrten und erstellen Schulprogramme. Sie sind Psychologen und beraten mitunter Schülerinnen und Schüler in Krisensituationen nach der letzten Stunde.
Der Antrag der FDP greift dieses Thema auf und fordert eine Kommission zur Einrichtung eines Lehrerjahresarbeitszeitmodells. Dabei stützt er sich auf das seit einigen Jahren an insgesamt sechs Schulen erprobte „Mindener Modell“ zur Bewertung von Arbeitszeit.
Ich möchte an dieser Stelle keine inhaltliche Diskussion führen und das auch nicht bewerten; denn diese inhaltliche Auseinandersetzung gehört für mich in den Ausschuss. Dort sollte auch sehr ausführlich darüber beraten werden.
Ich halte den Vorschlag für gut, sich nicht nur das „Mindener Modell“ anzugucken, sondern auch nach anderen Möglichkeiten Ausschau zu halten, die derzeit in einzelnen Bundesländern erprobt werden.
Für mich ist es ganz wichtig, dass dieses Thema möglichst mit allen Fraktionen gemeinsam gut beraten wird. Es eignet sich nämlich nicht dafür, von einer Fraktion für sich alleine beansprucht zu werden; denn die Gesundheit unserer Lehrerinnen und Lehrer ist ein Gut, das alle politischen Parteien in diesem Haus wichtig finden müssen.
Um es kurz zu machen: Ich freue mich auf die Diskussion zu diesem Thema. Womöglich werden wir dazu auch noch ein Fachgespräch führen und uns das noch einmal ganz genau angucken. Auf jeden Fall muss aber die Botschaft an unsere Lehrkräfte in diesem Land gehen, dass wir ihre Problematik ernst nehmen und gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Deshalb freue ich mich auf die Beratung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Zustimmung von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bas. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bas, auch wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Arbeitszeit der Lehrer hier im Landtag Thema wird und wir uns ausführlich darüber unterhalten. Für uns steht fest, dass Lehrer entlastet werden müssen – besonders belastete zuallererst.
Dabei kann man – das ist gerade gesagt worden – natürlich nicht nur auf Unterrichtsverpflichtung und Arbeitszeit gucken, sondern muss auch die psychischen Belastungen in verschiedenen Situationen in den Blick nehmen. Gerade jetzt im Prozess der Inklusion werden diese Belastungen sicherlich steigen oder sich verändern, sodass man das auf jeden Fall mit einbeziehen muss.
Lehrerarbeitszeitmodelle und ihre Vor- und Nachteile sind hier im Landtag schon häufiger diskutiert worden. Damals waren wir noch nicht mit dabei. Wir haben aber die Protokolle mit großer Aufmerksamkeit gelesen.
In der Lehrerschaft besteht die Befürchtung, dass neue Arbeitszeitmodelle vor allem Mehrarbeit bedeuten. Aufgrund der Erfahrung der Kollegen ist diese Gefahr natürlich nicht von der Hand zu weisen. Diese Sorgen müssen wir auf jeden Fall ausräumen.
Die Kollegen an den Schulen arbeiten alle im Durchschnitt viel zu viel. Die tatsächliche Arbeitszeit ist sehr viel länger als von den meisten vermutet.
Frau Gebauer, Sie haben gerade schon auf die viel zitierte Studie von Mummert & Partner hingewiesen, die besagt, dass 60 % der Kollegen völlig überlastet und gesundheitsgefährdet sind. Diese Studie liegt lange zurück. Inzwischen ist viel Neues dazugekommen. Schauen wir uns einmal an, was seitdem passiert ist: Entwicklung von Schulprogrammen, schulscharfe Einstellung von Lehrkräften, Förderempfehlungen, Lernstandserhebungen, Abschlussprüfungen, Schulinspektion und jetzt die Inklusion. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Pflichtstunden der Lehrer in den letzten zehn Jahren erhöht worden sind, während die Entlastungsstunden für die Kollegen zurückgefahren worden sind. Die Belastung ist also – auch rechnerisch – definitiv gestiegen.
Am „Mindener Modell“ gibt es zu Recht viel Kritik. Ich freue mich, dass man jetzt die anderen Modelle mit einbeziehen will. Da die von den Lehrerverbänden geäußerte Kritik bekannt ist, brauche ich sie hier nicht aufzuführen.
Wenn man ein Lehrerarbeitszeitmodell einführt, muss man darauf achten, dass man nicht die Zeit, die man bestimmten Kollegen zur Entlastung gibt, anderen Kollegen aufdrückt. Das Ganze hat also nur Sinn, wenn neue Kollegen in die Schulen kommen, sodass eine tatsächliche Entlastung erfolgt und nicht nur eine partielle Entlastung einiger Kollegen, die zum Beispiel ein Korrekturfach haben.
Die Rolle der Kommission in dem Antrag ist mir nicht ganz klar. Das hört sich für mich nicht richtig spannend an; denn der Kommission wird in Ihrem Antrag meiner Ansicht nach zu viel Macht eingeräumt, während der Landtag zu wenig Macht erhalten soll. In Ihrem Antrag steht wörtlich, dass die Landesregierung auf der Basis der Ergebnisse der Kommission ein Lehrerarbeitszeitmodell entwickeln und einführen soll. Meines Erachtens fehlt da der Landtag. Wir sollten das hier gemeinsam mit allen Fraktionen im Landtag machen.
Am besten wäre es – da stimme ich meinem Vorredner zu –, wenn wir es gemeinsam mit allen Fraktionen schafften, da etwas auf den Weg zu bringen. Ich freue mich auf die Diskussionen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN – Zustimmung von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da einige Redner die Belastungen so betont haben und viele auch gesagt haben, durch die Inklusion werde sich die Belastung noch weiter erhöhen, erlaube ich mir, ein Zitat aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 24. Januar 2014 an den Anfang meiner Ausführungen zu stellen: „So zu arbeiten macht Freude“.
Die Leiterin der Grundschule in Neunkirchen-Seelscheid wird zu ihrem Inklusionskonzept und dem gerade erhaltenen Jakob-Muth-Preis interviewt. Sie wird gefragt: Was raten Sie Schulen, die gerade anfangen, sich auf den Weg des inklusiven Unterrichts zu machen?
Frau Schmies antwortet:
Raten kann ich ihnen nichts. Aber ich kann nur sagen: Es macht Spaß. Ich würde es nie mehr anders machen wollen. Wir machen das mit absoluter Überzeugung.
Dazu gehören bei uns übrigens auch andere Arbeitsstrukturen. Wir haben eine freiwillige Vereinbarung, alle bis 16 Uhr im Haus zu sein, um miteinander arbeiten zu können. Das heißt, wenn der Wille beim Kollegium da ist, wenn man ein gemeinsames Ziel hat, wenn man im Team arbeitet, wenn man sich gegenseitig Professionalisierung und auch externe Hilfe holt, dann ist das durchaus machbar. Ich gebe auch viele Fortbildungen. Ich sage den Kollegen immer: So zu arbeiten, macht Freude.
Ich hatte ursprünglich nicht vor, das vorzutragen. Mir ist es aber wichtig, deutlich zu machen, dass wir offensichtlich bei dem komplexen Thema – das haben alle gesagt; dem stimme ich auch zu – einen Faktor außer Acht gelassen haben, nämlich den subjektiven Faktor, der mit der Rolle des Lehrerbildes, mit der Rolle von Schulleitung ausdrücklich zusammenhängt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist mir ganz wichtig, das im Parlament auch zu sagen, damit nicht dieser Zungenschlag, die pädagogische Arbeit sei per se eine Last und nicht auch eine Freude und eine große Verantwortung und mit viel Zufriedenheit verbunden, herauskommt. Diese Einschätzung haben wir nicht nur bei besonders ausgezeichneten Schulen, sondern die erlebe ich zumindest auch bei ganz vielen Begegnungen in Schulen, mit Schulleitungen, mit Kolleginnen und Kollegen, mit Lehrerinnen und Lehrern, mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte an dieser Stelle allen für diese Arbeit danken. Wir müssen nämlich die Begründungsfaktoren ausdrücklich mit in den Blick nehmen.
Zum Thema „Lehrerarbeitszeit“ ist vieles gesagt. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Eine Neugestaltung der Lehrerarbeitszeit muss wohldurchdacht und überlegt sein. Mit einem überhasteten Vorgehen würde das Land seiner Verantwortung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen nicht gerecht.
Die Erprobung von Lehrerarbeitszeitmodellen seit dem Jahre 2006 hat positive Erkenntnisse gebracht, aber es sind auch – das will ich hier ausdrücklich hinzufügen – zum Teil gravierende Probleme systemimmanenter, anwendungspraktischer und rechtlicher Art vorgebracht worden. Folgende Punkte möchte ich nennen:
An fast allen Erprobungsschulen sind erhebliche Überschreitungen des Gesamtjahresarbeitszeit-Solls zu beobachten, die die gesetzlich geforderte Stellenneutralität der Lehrerarbeitsmodelle infrage stellen.
Die erprobten Modelle sind mit einem hohen bürokratischen Aufwand für Stundenvertretungsplaner und Schulleitungen verbunden, der immer wieder beklagt wird. Eine optionale Einführung eines Lehrerarbeitszeitmodells wäre mit einem nicht unerheblichen Prozessrisiko verbunden. Eine flächendeckende verbindliche Einführung ist auf der Grundlage der derzeitigen Rechtslage jedoch nicht möglich.
Hinzu kommt, dass die bisherigen Erfahrungen äußerst begrenzt sind. Die geringe Zahl der Schulen ist schon genannt worden: sechs Berufskollegs, eine Gesamtschule, drei Gymnasien und eine Realschule. Diese geringe Zahl resultiert nicht daraus, dass nicht mehr möglich gewesen wäre, sondern offenbar ist es nicht als „Renner“ und als Option wahrgenommen worden, die man gerne will, sondern alle Beteiligten gehen da vorsichtig heran. Frau Birkhahn hat das schon erwähnt.
Insofern finde ich es richtig, dass wir uns der Frage erneut stellen. Es ist eine Überweisung in den Ausschuss beantragt, um dort vielleicht auch in der Stufe I schon mit wichtigen Akteuren sprechen zu können, um deren Bereitschaft, sich auf ein neues Modell einzulassen, abzuklären, ehe man Kommissionen ins Leben ruft, bei denen man nicht sicher ist, ob hinterher überhaupt eine Bereitschaft besteht, ein Ergebnis auch umzusetzen.
Die Landesregierung würde befürworten, diesen Prozess vorzuschalten, um Klärung herbeizuzführen, insbesondere mit den Vertreterinnen und Vertretern der Lehrerverbände, weil wir nicht unnötig etwas anstoßen sollten, wenn die Bereitschaft – das wurde in der letzten Anhörung gesagt – nicht ausgeprägt ist, wirklich einen vermeintlich großen Wurf zu wagen. Ich rate, sehr sachorientiert und vernünftig an das Projekt heranzugehen, damit wir eine große Einigkeit und einen großen Konsens mit allen wichtigen beteiligten Akteuren erzielen können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 16.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4585 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand dagegen? – Nein. Gibt es Stimmenthaltungen? – Auch nicht. Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4661
In Stellvertretung für Herrn Minister Jäger gibt Frau Ministerin Schulze die Rede zu Protokoll. (Siehe Anlage 1)
Da eine weitere Aussprache heute nicht vorgesehen ist, kommen wir sofort zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/4661 an den Innenausschuss. Ist jemand dagegen? – Nein. Gibt es Enthaltungen? – Nein, ebenfalls nicht. Damit haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf:
18 Gesetz über die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse (LBSG)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4774
Zur Einbringung des Gesetzentwurfes erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Schneider in Vertretung für Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort, es sei denn, er gibt die Rede auch zu Protokoll. (Siehe Anlage 2) – Das tut er hiermit.
Damit sind wir auch an dieser Stelle, weil eine weitere Aussprache nicht vorgesehen ist, bei der Abstimmung angekommen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4774 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Ist jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Ebenfalls nicht. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf:
19 Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes und des Kirchenaustrittsgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4775
Für die Landesregierung gibt Herr Minister Schneider in Stellvertretung für Herrn Minister Dr. Walter-Borjans die Rede zu Protokoll. (Siehe Anlage 3) Eine weitere Aussprache war auch hier nicht vorgesehen.
Damit kommen wir ebenfalls zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/4775 an den Hauptausschuss – federführend –, an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Rechtsausschuss zur Mitberatung. Ist jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen auch nicht. Dann haben wir auch so überweisen.
Ich rufe auf:
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4813
Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Deshalb kommen wir bei diesem Antrag sofort zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/4813 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Aussprache und Abstimmung über diesen Antrag soll nach Vorlage der Beschlussempfehlung im Plenum erfolgen. Ist jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf:
21 Elektromobilität ermöglichen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4827
Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4827 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses im Plenum erfolgen. Jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir überwiesen und verfahren so.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
22 Transparente Veräußerung von Grundstücken sicherstellen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4828
Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.
Deshalb kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4828 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung im Plenum erfolgen. Jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.
Tagesordnungspunkt:
23 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 3. Quartal des Haushaltsjahres 2013
Antrag
des
Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2
der Landesverfassung
Vorlage 16/1515
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/4835
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Deshalb kommen wir auch bei diesem Tagesordnungspunkt sofort zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/4835, die mit Vorlage 16/1515 beantragte Genehmigung zu erteilen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, die SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer möchte sich enthalten? – CDU und FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/4835 angenommen und die beantragte Genehmigung erteilt.
Ich rufe auf:
Beschlussempfehlung
des
Rechtsausschusses
Drucksache 16/4836
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/4836, in dem Verfahren keine Stellung zu nehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP und die CDU. Stimmt jemand dagegen? – Stimmenthaltungen? Hat der fraktionslose Abgeordnete Stein mitgestimmt? Mit Ja? – Gut. Das ist für das Protokoll wichtig: Er hat mit Ja gestimmt. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/4836 einstimmig angenommen, und ich kann den Tagesordnungspunkt 24 schließen.
Ich rufe auf:
Beschlussempfehlung
des
Rechtsausschusses
Drucksache 16/4837
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/4837, in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Stellung zu nehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Stein, die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Möchte jemand dagegen stimmen? – Ein Kollege bei den Piraten stimmt dagegen. Jemand, der sich enthalten möchte? – Sieben Abgeordnetenkollegen bei den Piraten enthalten sich. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis die Beschlussempfehlung Drucksache 16/4837 angenommen, und ich kann den Tagesordnungspunkt 25 schließen.
Ich rufe auf:
VerfGH 19/13
Vorlage 16/1167
Vorlage 16/1562
Beschlussempfehlung
des
Rechtsausschusses
Drucksache 16/4838
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt mit der vorgenannten Drucksache, in dem Verfahren keine Stellung zu nehmen. Wer sich dieser Beschlussempfehlung anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP, der fraktionslose Abgeordnete Stein. Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch keine. Dann haben wir einstimmig so entschieden, die Beschlussempfehlung Drucksache 16/4838 angenommen, und ich kann den Tagesordnungspunkt 26 verlassen.
Ich rufe auf:
VerfGH 22/13
Vorlage 16/1245
Information 16/155
Beschlussempfehlung
des
Rechtsausschusses
Drucksache 16/4839
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb auch hier unmittelbar zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in der vorgenannten Drucksache, in dem Verfahren keine Stellung zu nehmen. Wer möchte dem zustimmen? – Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP, der fraktionslose Abgeordnete Stein. Möchte jemand dagegen stimmen? – Nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann ist auch hier einstimmig entschieden worden, und die Beschlussempfehlung Drucksache 16/4839 ist angenommen.
Ich rufe auf:
28 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 15
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/4841
Die Übersicht 15 enthält acht Anträge, die vom Plenum an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überweisen wurden, sowie einen Entschließungsantrag und einen Änderungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht 15. Möchte jemand gegen die Übersicht 15 stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Damit haben Sie positiv votiert, und die in Drucksache 16/4841 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse sind bestätigt.
Tagesordnungspunkt:
Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.
Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist auch nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass damit diese Beschlüsse bestätigt sind.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.
(Beifall)
Ich berufe das Plenum für morgen, Donnerstag, 30. Januar 2014, 10 Uhr, wieder ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 21:08 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:
Das Bereinigungsgesetz von 1970 hat grundsätzlich alle reichsrechtlichen Vorschriften außer Kraft gesetzt, mit Ausnahme derer, die in Anlage I aufgenommen wurden.
Das waren nach der 2009 durchgeführten Evaluierung noch 14.
Nach einer aktuellen Überprüfung bleiben davon noch drei übrig.
Diese drei Gesetze sind und bleiben fachlich notwendig, sodass eine weitere Befristungsregelung nicht mehr notwendig ist.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister:
Mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung soll das Gesetz über die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse überarbeitet werden. Der Gesetzentwurf konzentriert sich dabei auf die folgenden Punkte:
Im Konsolidierungsprozess des Landesbausparkassensektors werden Zukunftsstrukturen für die LBS West geschaffen;
die Drittelparität zugunsten der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat wird gesetzlich fixiert;
die Aufsichtszuständigkeit wechselt vom Innenministerium auf das Finanzministerium und
überholte Regelungen werden entfernt bzw. angepasst.
Mit dem Gesetzentwurf werden zunächst wichtige Zukunftsstrukturen für die LBS West geschaffen. So wird auf dem Gebiet der Landesbau-sparkassen derzeit über Formen intensiverer Zusammenarbeit bis hin zur Fusion von Instituten diskutiert.
Die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse soll an diesem Prozess aktiv teilnehmen können und hierzu erweiterte gesetzliche Möglichkeiten erhalten. Dabei soll die bewährte öffentlich-rechtliche Unternehmensform beibehalten werden. Die bislang bestehende Möglichkeit, die LBS West zu privatisieren, entfällt.
Hinzu kommt, dass die LBS West vor Kurzem die LBS Bremen AG zu 100 % übernommen hat. Sie möchte diese nunmehr aus Effizienzgründen auf sich verschmelzen. Hierzu muss das LBS-Gesetz geändert werden, da dort bislang keine Verschmelzungsmöglichkeit vorgesehen ist. Diese Möglichkeit wird dabei auf die Rolle der LBS West als aufnehmender Rechtsträger beschränkt. Hierdurch wird der Bausparkassenstandort NRW gefördert.
Eine weitere Änderung des LBS-Gesetzes betrifft die Drittelparität zugunsten der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat. Diese ist bislang nur in der Satzung der LBS West vorgesehen.
Durch die gesetzliche Festschreibung wird die Arbeitnehmerposition deutlich gestärkt.
Außerdem soll die Aufsichtszuständigkeit für die LBS West auf das Finanzministerium verlagert werden. Als Anstalt des öffentlichen Rechts des Landes NRW unterliegt die LBS West bislang der Rechtsaufsicht des Innenministeriums. Das Finanzministerium ist bereits für die Aufsicht über die Sparkassen und die Sparkassenverbände zuständig. Wegen des größeren Sachzusammenhangs soll die Aufsichtszuständigkeit für die LBS West daher ebenfalls auf das Finanzministerium übergehen.
Schließlich werden mit dem Gesetzentwurf überholte Regelungen angepasst. So war die alte Fassung des LBS-Gesetzes aus dem Jahr 2002 ganz überwiegend darauf ausgerichtet, die LBS West im Wege der Abspaltung aus der vormaligen Westdeutschen Landesbank Girozentrale zu errichten. Einige der damaligen gesetzlichen Regelungen sind daher geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. Hiervon ist zum Beispiel das Übergangsmandat für Personalräte betroffen.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister:
Mit dem Gesetz der Landesregierung zur Änderung des Kirchensteuergesetzes und des Kirchenaustrittsgesetzes sollen folgende Punkte neu geregelt werden:
Die erste Änderung betrifft das Verfahren zum Einbehalt der Kirchensteuer auf die Kapitalertragsteuer.
Seit 2009 sind Banken und Versicherungen verpflichtet, auch die Kirchensteuer zur Kapitalertragsteuer zu erheben, wenn der die Kapitalerträge erzielende Kunde einen entsprechenden Antrag gestellt hat.
Für die Kapitalerträge, die ab dem Jahr 2015 zufließen, soll der Kirchensteuereinbehalt unabhängig von einem Antrag des Kunden erfolgen. Stattdessen sollen die Banken bei einer zentralen Stelle elektronisch abfragen, ob der jeweilige Bankkunde einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört.
Wünscht der Bankkunde, dass die Bank keine Auskunft über seine Religionszugehörigkeit erhält, kann er einen Sperrvermerk setzen. In diesem Fall wird die Kirchensteuer zur Kapitalertragsteuer von den Finanzämtern festgesetzt.
Eine Rahmenregelung für dieses Verfahren hat der Bundesgesetzgeber im Einkommensteuergesetz geschaffen. Die betreffenden Regelungen werden mit dem vorliegenden Gesetz in Landesrecht überführt.
Mit der zweiten Änderung wird die Rechtsprechung zur steuerlichen Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehen nachvollzogen.
Das Bundesverfassungsgericht hat letztes Jahr entschieden, dass auch eingetragene Lebenspartnern das Ehegattensplitting bei der Einkommensteuer zu gewähren ist. Also genau das, was wir schon lange gefordert haben, aber CDU/FDP wider besseres Wissen auf Bundesebene verhindert haben.
Diese Entscheidung hat Auswirkungen auf die Kirchensteuer. So kann bei einer Zusammenveranlagung ein besonderes Kirchgeld festgesetzt werden, wenn der kirchensteuerpflichtige Ehegatte im Vergleich zum nicht kirchensteuerpflichtigen Ehegatten wenig verdient.
Darüber gilt bei konfessionsverschiedenen Ehen der sog. Halbteilungsgrundsatz. Das bedeutet, dass die Kirchensteuer bei Zusammenveranlagung auf der Grundlage der gemeinsam ermittelten Bemessungsgrundlage berechnet und je zur Hälfte auf beide Religionsgemeinschaften aufgeteilt wird, ohne dass es darauf ankommt, wie viel der einzelne Ehegatte zum gesamten Einkommen der Eheleute beigetragen hat.
Das vorliegende Gesetz überträgt die für Eheleute geltenden Grundsätze auf die eingetragenen Lebenspartnerschaften.
Die dritte Änderung betrifft das Kirchenaustrittsgesetz.
In Nordrhein-Westfalen ist der Kirchenaustritt bei den Amtsgerichten zu erklären.
Das Kirchenaustrittsgesetz verpflichtet die Amtsgerichte, Mitteilungen über den Kirchenaustritt an die Meldebehörde und an das Standesamt zu übersenden.
Der Bundesgesetzgeber hat die Übermittlungspflicht an die Standesämter abgeschafft, da das elektronische Personenstandsregister im Gegensatz zu den zuvor geführten Personenstandsbüchern keine Information über die Religionszugehörigkeit mehr enthält.
Die im Kirchenaustrittsgesetz landesrechtlich geregelte Übermittlungspflicht an die Standesämter kann daher auch entfallen.