5. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 4. Juli 2012
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/129
Hans Christian Markert (GRÜNE)
2 Zusammen lernen – zusammenwachsen
Eckpunkte für den Weg zur inklusiven Schule in NRW
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/118
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/168
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/172
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU)
3 Bekenntnis zur Jugendbeteiligung mit Leben füllen – Verantwortung des Landes wahrnehmen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/44
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/125
5 Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/120
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/41
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/173
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/130
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/18
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/131
8 Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS)
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/19
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/132
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/123
10 Verfassungsbeschwerde des Bundes für Geistesfreiheit München gegen
a) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2009 – BVerwG 6 B 35.09 –,
b) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. April 2009 – 10 BV 08.1494 –,
c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs München vom 12. März 2008 – M 18 K 07.2274 –,
d) den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 23. Mai 2007 – 10-2172-2-07 –,
e) den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 3. April 2007 – KVR-I/321AG2 –
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/61
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/62
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/63
13 Benennung eines stellvertretenden Mitglieds für den Ausschuss der Regionen der Europäischen Union
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/124
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/151 – Neudruck
Entschuldigt waren:
Ministerin Dr.
Angelica Schwall-Düren
(ganztägig)
Frank Börner (SPD)
(ab 13:30 Uhr)
Uli
Hahnen (SPD)
(ganztägig)
Regina
Kopp-Herr (SPD)
(ab 14:15 Uhr)
Karl
Schultheis (SPD)
(bis 11:00 Uhr)
Wilhelm Hausmann (CDU)
(ganztägig)
Ina
Scharrenbach (CDU)
(ganztägig)
Beginn: 10:01 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der fünften Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie natürlich den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.
Ich hoffe nicht nur, dass sich der Plenarsaal noch etwas füllt – wir werden nämlich in aller Regel immer pünktlich beginnen –, sondern auch, dass der Geräuschpegel wieder etwas nach unten geht, was uns die Sitzungsleitung sehr viel unkomplizierter gestalten lässt.
Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit können wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung eintreten.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/129
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 2. Juli 2012 gemäß § 90 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Brockes das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Dietmar Brockes (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Duin, das ist heute die erste Gelegenheit seit Ihrer Ernennung, bei der wir uns mit Ihnen über die Wirtschaftspolitik austauschen dürfen. Vorweg möchte ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg für die vor Ihnen liegende Arbeit wünschen. Das ist für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen auch notwendig; zuletzt hatte die Wirtschaft ja leider keine Stimme in der Landesregierung.
Meine Damen und Herren, dass die Wirtschaftspolitik in den vergangenen 20 Monaten aus anderen Ressorts diktiert wurde, findet sich in der Tagesordnung für den heutigen und den morgigen Plenartag wieder: „Rauchverbot“, „Klimaschutzgesetz“ oder auch das „Verhinderungsgutachten“, über das wir jetzt diskutieren. Das alles sind Themen, die den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen gefährden.
(Beifall von der FDP)
Herr Minister, wir geben Ihnen – wie es Brauch ist – natürlich 100 Tage, um in der Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen anzukommen.
(Minister Johannes Remmel: Sehr großzügig!)
Aber die Kollegen auf der Regierungsbank geben Ihnen diese Zeit nicht; denn sie haben heute bereits viele Punkte auf der Agenda, die Ihrem Ressort, die der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen nachhaltig schaden.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, wir reden heute über die Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen. Ich glaube, allen dürfte klar sein, wie wichtig diese für unser Land ist. Auch der Umweltminister hat am vergangenen Mittwoch in einer Sonntagsrede bei der VCI den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen gelobt. Auch viele Kolleginnen und Kollegen der Piraten waren dort und haben gezeigt, dass das Thema „Chemie“ für sie wichtig ist. Die Chemie ist eine Schlüsselindustrie für Nordrhein-Westfalen. Viele Innovationen in anderen Bereichen, in anderen Branchen basieren gerade auf der Entwicklung in der Chemie.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier oft über die Energiewende und den Klimaschutz. Auch diese wären ohne die Chemieindustrie, ohne ihre Innovationen nicht erreichbar. Solarzellen, Stromspeicher, Wärmedämmung, Batterien für Elektrofahrzeuge – all dies basiert auf Entwicklungen in der Chemieindustrie.
Und: Die Chemie hat auch enorme Anstrengungen gemacht, um gerade den CO2-Ausstoß und den Energieverbrauch deutlich zu reduzieren: Von 1990 bis 2009 gab es in der Chemieindustrie eine CO2-Minderung von 48 %. Das ist ein ganz gewaltiger Batzen, und das noch bei gleichzeitigem Produktionsausbau um 42 %.
Meine Damen und Herren, Sie sehen daran, dass die Chemie nicht das Problem ist, sondern dass die Chemie die Lösung für viele Probleme bedeutet. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sie hier optimale Produktionsbedingungen vorfindet. Nur so sind solche Einsparungen erreichbar.
Deshalb hat der Landtag im Jahr 2005 das Rohrleitungsgesetz in diesem Hohen Haus einstimmig verabschiedet. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es für Liberale nicht gerade leicht ist, auch einer etwaigen Enteignung Raum zu geben. Aber wir haben dem zugestimmt, und auch der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Herr Johannes Remmel, hat dem Gesetz seine Zustimmung gegeben – weil wir alle die wirtschaftliche Notwendigkeit für dieses Projekt gesehen haben. Dies ist durch das Verwaltungsgericht in Düsseldorf am 25. Mai letzten Jahres ausdrücklich bestätigt worden. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
Bei dem Vorhaben musste der Gesetzgeber auch keine eigene Einschätzung des wirtschaftlichen Nutzens vornehmen und damit quasi seine eigene betriebswirtschaftliche Einschätzung an die Stelle der Vorhabenträger setzen. Es ist eine zulässige politische Willenserklärung, zum Beispiel im Rahmen von Wirtschafts- und Technologieförderung, Rahmenbedingungen zugunsten von betroffenen Unternehmen zu schaffen und damit den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen zu stärken.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Unsere damalige Entscheidung ist absolut gerichtsfest.
Nun hat es bei der Realisierung der CO-Pipeline gravierende Mängel gegeben. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das hat mich sehr geärgert. Vonseiten der ausführenden Firma wurde da wirklich – das muss ich jetzt so sagen, erlauben Sie den Ausdruck – schlampig gearbeitet.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
Bayer wird diese Mängel nun durch ein Planänderungsverfahren beheben. Das ist gut, und das ist notwendig.
Meine Damen und Herren, auch für uns gilt: Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hat oberste Priorität.
(Beifall von der FDP)
Aber dafür bedarf es nicht des Gutachtens, das der Umweltminister nun in Auftrag gegeben hat. Dieses Gutachten, das im Übrigen auch gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag verstößt, hat nur ein Ziel: Es torpediert das Projekt, und es soll es verhindern.
Seit wann ist es Aufgabe der Politik, die betriebswirtschaftliche Entscheidung für Unternehmen zu treffen? Das kann nicht richtig sein. Das macht man nur, wenn man das Projekt komplett verhindern will.
Herr Wirtschaftsminister, wenn Sie sich das Ziel gesetzt haben, den Industriestandort Nordrhein-Westfalen zu erhalten und auszubauen, dann haben Sie die FDP-Fraktion an Ihrer Seite. Der Gegner bei solchen Maßnahmen sitzt woanders. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Schmeltzer das Wort.
Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Duin, Sie haben bei dem Redebeitrag des Kollegen Brockes festgestellt, dass großer Lernbedarf nicht nur bei der Aussprache von Namen besteht, sondern auch in wirtschafts- und industriepolitischen Fragen.
Herr Brockes, seien Sie gewiss, die Agenda, die wir uns in der Wirtschafts- und Industriepolitik vorgenommen haben, ist eine Agenda, die wir gut durchgehen werden, mit der wir gute Lösungen sowohl für die Wirtschaft als auch für die Menschen in diesem Land treffen werden.
Die Auseinandersetzung um die CO-Pipeline beschäftigt uns hier im Landtag schon seit mehr als fünf Jahren. Es gab in der 14. Wahlperiode unzählige Debatten über den Pipeline-Verlauf, die Sicherheitsstandards und die administrative Begleitung des Projekts.
Die SPD-Landtagsfraktion hat an dieser Stelle immer erklärt, dass die CO-Pipeline für Nordrhein-Westfalen bedeutend ist und zur Stärkung des Chemiestandorts beiträgt. Sie verbessert unseres Erachtens die Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen in den Bereichen Chemie, Kunststoff und neue Werkstoffe. Mit der Pipeline wird eine Vielfalt unterschiedlicher Produktionsprozesse verbunden, die mehr umfassen als die Arbeitsplätze bei Bayer. Deshalb haben wir dem Rohrleitungsgesetz zugestimmt.
Wir haben aber zugleich immer erklärt, dass die Sicherheit der Menschen an erster Stelle steht. Wir haben die damalige schwarz-gelbe Landesregierung vielfach aufgefordert, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen und beim Bau auf hohe Sicherheitsstandards und gute Bauausführung zu achten. Dies gelang aufgrund sehr ungeschickten und unsensiblen Handelns aber selten. Wir beschäftigen uns deshalb heute mit Fehlern, die noch unter Ihrer Landesregierung gemacht wurden.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Oh!)
– Ja, das ist bedauerlich, Herr Hovenjürgen, aber das Bedauern geht in Ihre Richtung, nicht in unsere.
2006 wurde das Enteignungsgesetz vom Landtag einstimmig beschlossen. Die Landesregierung hatte den Auftrag, für eine reibungslose und transparente administrative Realisierung des Projektes zu sorgen. Dies gelang ihr bekannterweise nicht.
Die damalige schwarz-gelbe Landesregierung hat hier auf ganzer Linie versagt – wie an vielen anderen Punkten auch –, indem sie sich fortwährend einer konstruktiven Diskussion mit den Menschen vor Ort verweigerte. Ich erinnere an die Diskussion im März 2010, als Frau Thoben hier sinngemäß äußerte: Wenn die Menschen aufgeklärt werden wollen, dann geben Sie ihnen meine Rede, das ist Aufklärung genug.
Zugleich hat der Projektträger Bayer MaterialScience AG mit einer Vielzahl von Planungs-, Ausführungs- und Kommunikationsfehlern dazu beigetragen, dass Vertrauen verloren ging und der Widerstand gegen das Projekt CO-Pipeline anstieg.
Dass in einer solchen Situation die Gerichte herangezogen werden, ist nur selbstverständlich. Das Oberverwaltungsgericht Münster und das Verwaltungsgericht Düsseldorf haben in verschiedenen Beschlüssen und Urteilen auf verschiedene Mängel hingewiesen und die damalige Landesregierung und Bayer zur Behebung der Mängel aufgefordert.
Aus dieser Entwicklung heraus hat sich für die SPD die Meinung verstärkt, dass eine Betriebsgenehmigung der CO-Pipeline von Dormagen nach Krefeld erst nach Klärung der gerichtlichen Auseinandersetzung ausgesprochen werden darf. Weiterhin gilt für uns, dass vor Inbetriebnahme der Pipeline alle Zweifel an deren Sicherheit ausgeräumt sein müssen und die höchstmöglichen Sicherheitsstandards gelten müssen.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel: Die CO-Pipeline ist ein höchst umstrittenes Projekt in Nordrhein-Westfalen. Besonders bei den Menschen, die an dieser Trasse wohnen, stößt diese Pipeline auf Ablehnung und Widerstand. Und der Widerstand ist bekannterweise sehr groß.
Unsere Kritik war immer, dass die schwarz-gelbe Landesregierung damals keinen eigenen Beitrag geleistet hat, um den berechtigten Sorgen und Ängsten der betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu begegnen.
Auch der Projektträger Bayer hat sich nie mit Ruhm bekleckert. Bayer machte peinliche und schlimme Fehler bei der Prüfung und Planung und musste letztendlich feststellen, dass Flyer-Drucken alleine nicht ausreicht. Das Ergebnis ist uns allen bekannt.
Seit 2007 wird vor den Verwaltungsgerichten über die Rechtmäßigkeit der Pipeline gestritten. Dieser gesamte Prozess hat gezeigt: Wer die Sorgen der Menschen ignoriert und seiner gesellschaftlichen Verantwortung auch als Unternehmen nicht nachkommt, bekommt letztendlich die Quittung. Wenn es um die Sicherheit von Menschen geht, braucht es ein Höchstmaß an Sensibilität und Transparenz im Umgang mit den Fragen, mit den Ängsten und mit der Kritik betroffener Bürgerinnen und Bürger. Dies ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um überhaupt Akzeptanz für wichtige Industrieprojekte wie die CO-Pipeline zu erlangen.
Die SPD-Fraktion hat immer wieder über die CO-Pipeline diskutiert. Wir haben das gründlich getan und uns die Sache nie leicht gemacht. Wir haben die Argumente der Bürgerinitiativen aufgenommen. Und wir haben damals durch verschiedene parlamentarische Initiativen dafür gesorgt, dass die Sicherheitsfragen und die Bauausführungen in der gebotenen Intensität bearbeitet wurden.
Im März 2011 hat letztmalig ein Verwaltungsgericht über die CO-Pipeline beschlossen. Erst kürzlich hat der Bauträger angekündigt, die beanstandeten Mängel zu beheben, und hat entsprechende Antragsunterlagen bei der Bezirksregierung in Düsseldorf vorgelegt. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf haben die Kläger Berufung eingelegt. Die Verhandlung in nächster Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster wird vermutlich im nächsten Jahr stattfinden.
Die Koalitionsparteien haben sich schon in ihrem letzten Koalitionsvertrag, aber auch in dem aktuellen verpflichtet, für eine bessere Transparenz beim CO-Pipeline-Projekt zu sorgen. Dazu soll dieses Gutachten auch dienen.
Die Ausschreibungskriterien zeigen, dass hier nicht der Chemiestandort infrage gestellt wird, sondern dass einige technische und wirtschaftliche Fragen der CO-Produktion in NRW geklärt werden sollen. Gemäß dem Rohrleitungsgesetz hat die Landesregierung die Auswirkungen des Gesetzes zu überprüfen und den Landtag vom Ergebnis dieser Prüfung zu unterrichten. In diesem Zusammenhang wird eben auch geprüft, ob es technisch machbare und wirtschaftlich sinnvolle Alternativen zur CO-Pipeline gibt.
Deshalb wird nun ein verfahrenstechnisch-chemiewirtschaftliches Gutachten ausgeschrieben, in dem auf Grundlage von Genehmigungs- und Betriebsdaten eine Alternativenprüfung vorgenommen wird. In die Untersuchung sollen auch mögliche Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren einbezogen werden.
Dabei sind unter anderem folgende Aspekte zu bearbeiten: Analyse der Entwicklung der CO-Versorgung und der CO-Bedarfe, Darstellung der verfügbaren technischen Verfahren zur CO-Herstellung. Wie kann der für die Kunststoffproduktion insbesondere in Krefeld-Uerdingen benötigte CO-Bedarf durch Erneuerungsanlagen am Standort gedeckt werden?
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
– Ich komme zum Schluss.
Meine Damen und Herren, die Erfassung und Bearbeitung dieser Fragen und Aspekte für einen wichtigen Sektor des Wirtschaftsstandorts ist Handeln einer Landesregierung. Was hieran sensationell oder skandalös sein soll, ist trotz Ihrer aufgeregten Argumentation nicht überzeugend. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Wüst.
Hendrik Wüst (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass das erste wirtschaftspolitische Thema, über das wir hier in der Sache mal etwas ausführlicher sprechen können, auch ein industriepolitisches Thema ist. Das ist ja fast ein Lackmustest, an dem sich weisen wird, ob sich die innerhalb der regierungstragenden Fraktionen veränderten Mehrheitsgewichte auch in der Sache auswirken können. Ich bin da sehr gespannt.
Herr Minister Duin, ich bin sehr gespannt, ob nach den zugegebenermaßen guten Worten, die ich von Ihnen in zwei Veranstaltungen zum Thema „Industrie“ gehört habe, auch in der Sache etwas folgt. Dass man Ihnen gleich in der ersten Sitzung das Klimaschutzgesetz zugemutet hat, würde ich an Ihrer Stelle als Foulspiel verstehen.
(Beifall von Christof Rasche [FDP])
Aber ich fand es jedenfalls schön, dass Sie an zwei Stellen gesagt haben, Sie stehen für die Industrien, nicht nur für die neuen, modernen und grünen, sondern auch für die alten, die Grundstoffindustrie und Ähnliches. Bei diesem Thema kann man das beweisen. Es geht nicht nur mit Dialog; am Ende muss man auch entscheiden. Der zukünftige BDI-Präsident Grillo hat es Ihnen Anfang der Woche noch ins Stammbuch geschrieben. Hier ist ein Punkt, wo man in der Tat das aktuelle Thema in den Kontext stellen muss.
Sie auf der Regierungsbank halten sich zugute, vorsorgende Sozialpolitik zu machen. Ich kaufe Ihnen das ab. Die beste vorsorgende Sozialpolitik ist allerdings eine vernünftige Wirtschaftspolitik – und das ist in Nordrhein-Westfalen immer auch Industriepolitik. Und diese Art der vorsorgenden Sozialpolitik hat einen unschlagbaren Vorteil: Man muss dafür keine neuen Schulden machen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dieses Feld ist so wichtig, weil in der Industrie die Beschäftigten attraktive Arbeitsplätze haben, weil da gut ausgebildet wird, gut verdient wird. Die Grundlage unserer wirtschaftlichen Stärke in Nordrhein-Westfalen liegt auch in den Bereichen Dienstleistungen, Handel, Handwerk. Das ist die Grundlage unserer Wertschöpfung. Industrie ist also kein Selbstzweck, sondern Grundlage für soziale Sicherheit und für Wohlstand.
Die Industrie stellt heute allerdings ein paar andere Anforderungen als früher. Wir haben eine viel stärkere Arbeitsteilung, was am Ende nichts anderes heißt, als dass man bestimmte Produktionsschritte voneinander abkoppelt, die dann in Netzwerken stattfinden. Das zeigt sich nirgendwo besser als beim Chemieverbundstandort, an dem wir eben nicht wie in Antwerpen ein großes Areal haben, wo alles stattfindet, sondern an dem wir mit Uerdingen, Leverkusen, Marl usw. Verbundstandorte haben, die man verbinden muss. Darum geht es hier im Detail. Schneidet man einen Teil heraus, kappt man eine Verbindung, gefährdet man Arbeitsplätze, Wertschöpfung in allen Teilen des Netzwerkes. Deswegen ist dieses Thema hier so bedeutsam.
Man kann eine Entscheidung so oder so treffen. Aber in den internationalen Benchmarks für die Frage von Nachfolgeinvestitionen im Bereich der Chemieanlagen ist das, was einmal weg ist, schwer zurückzubekommen. Was vor 20 Jahren gebaut wurde, jetzt ausgetauscht wird, steht für die nächsten 20, 30 Jahre. Alles, was jetzt nicht hier steht, steht irgendwann woanders. Deswegen ist das Rausreißen eines Kuchenstücks, das Rausreißen eines Verbindungsstücks so fatal und wird sich am Ende auswirken.
Herr Schmeltzer, wir haben hier in der Tat vor fünf Jahren schon über das Leitungsgesetz gesprochen. Sie haben gesagt „auseinandergesetzt“. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir uns darüber am Anfang gar nicht auseinandergesetzt, sondern wir waren uns alle sehr einig bei dem, was wir gesagt haben: Man wollte es unter höchstmöglichen Sicherheitsstandards, aber es wollten alle. Und das „Aber“ war damals sehr viel kleiner als heute. Das „Aber“ kam bei allen, die sich jetzt Sorgen machen, erst, als der Protest aufkam. Ich glaube, so ist die Chronologie am Ende richtig. Daran sollte man Rot und Grün noch einmal erinnern.
Meine Position, unsere Position dazu ist ziemlich klar: Wenn der rechtliche Rahmen mit den örtlichen Gegebenheiten übereinstimmt – da hat es bei Bayer, bei den ausführenden Firmen Defizite gegeben, keine Frage –, wenn nach dem derzeitigen Stand der Technik alle notwendigen und möglichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen sind, dann muss Politik auch aufhören, immer neuen Sand ins Getriebe zu schmeißen. Dann muss man am Ende als Rechtsstaat auch zu seinen Verfahren stehen und sagen: Ja, dann kann es auch stattfinden. – Alles andere wären keine fairen, verlässlichen Rahmenbedingungen.
Deshalb, Herr Remmel, kann ich mich nur darüber wundern, dass Sie sagen, jetzt müsse man noch ein Gutachten machen, um als Staat noch mal die wirtschaftliche Opportunität zu prüfen. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir Firmen jetzt vorrechnen, ob sich das, was sie tun, lohnt oder nicht lohnt? Ich halte das für Verschwendung von Steuergeld, was Sie da tun. Das ist Augenwischerei. Das ist nur noch mal der Versuch, ein Signal an die Bürgerinitiativen zu geben und zu sagen: Hey komm, irgendwas habe ich noch probiert, das hat vielleicht am Ende nicht geklappt. – Mit verantwortungsvoller Politik hat das nichts zu tun.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn Politik immer jedes Risiko scheut, jede Positionierung scheut, auch scheut, mal zu kämpfen, sich auch mal unbeliebt zu machen oder sich auch mal einen Teil der Bevölkerung zum Gegner zu machen, dann macht Politik es sich zu einfach. Verantwortung trägt man. Das heißt aber auch, dass sie manchmal wiegt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung in diesem Bereich wahr! – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wüst, das war ja ein richtiges rhetorisches Feuerwerk hier heute Morgen. Dagegen war es vorhin beim Zahnarzt fast spannend.
Am Anfang einer Legislaturperiode ist man ja immer sehr gespannt zu sehen, was die politischen Mitbewerber so an Schwerpunkten setzen.
Herr Lindner, Sie sind ja im Verlauf der Rede von Herrn Brockes dann auch dazu gestoßen. Das war offensichtlich nicht so spannend, was Herr Brockes da so präsentieren würde. Jedenfalls gemessen an den großen Erwartungen – Stichworte: personelle, inhaltliche Erneuerung –, die Sie in den zahlreichen Talkshows in den letzten Wochen geweckt haben, ist das, was Sie hier inhaltlich bieten, doch sehr dürftig.
Zum zweiten Mal innerhalb von gerade mal zwei Wochen kommen Sie mit einem medial zugegebenermaßen gesetzten Thema, aber ohne neue Inhalte oder gar in die Zukunft weisende Vorschläge zu präsentieren.
Sie haben ja vollkommen recht: Verlässliche Rahmenbedingungen für unseren Chemiestandort NRW sind in der Tat notwendig – Rahmenbedingungen, die allerdings auch die Nachhaltigkeit, die Bürger- und Umweltverträglichkeit dieses für uns wichtigen Wirtschaftszweiges betreffen.
Die Chemieindustrie ist der Innovationsmotor für die gesamte Industrie. Rund 70 % aller dort hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung. 2009 betrug der NRW-Anteil am gesamtdeutschen Umsatz der chemischen Industrie rund 29 %. Ein Viertel der Beschäftigten der deutschen Chemiebranche arbeitet bei uns hier in Nordrhein-Westfalen.
Eine nachhaltige Chemie ist also eine Schlüsselfrage für uns in Nordrhein-Westfalen. So müssen wir beispielsweise angesichts von Peak Oil und abzusehender Ölpreisentwicklung frühzeitig neue Rohstoffbasen etwa aus nachwachsenden Rohstoffen und neue Produktionsverfahren entwickeln. Denn zurzeit basiert die Chemie in Nordrhein-Westfalen noch zu drei Vierteln auf dem Öl.
Wir sollten uns dabei auch in Nordrhein-Westfalen an dem vom Umweltbundesamt zusammen mit der OECD entwickelten Konzept einer nachhaltigen Chemie orientieren. Ich möchte hier nur zwei Aspekte herausgreifen.
Erstens geht es um die qualitative Entwicklung, das heißt um den Einsatz ungefährlicher Stoffe oder, wo dies nicht möglich ist, von Stoffen mit geringer Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt sowie um ressourcenschonende Produktionsweisen und langlebige Produkte.
Zweitens – da kommen wir dann auch zum Thema „Bayer-CO-Pipeline“ –: Aktion statt Reaktion! Das heißt, Vermeidung, dass Chemikalien während ihres Lebensweges Umwelt und menschliche Gesundheit gefährden. Auch sollten nach dem Umweltbundesamt und der OECD Schadenskosten und damit wirtschaftliche Risiken der Unternehmen und Sanierungskosten für den Staat vermieden werden.
Gerade in diesem Punkt haben wir seit jeher berechtigte Zweifel daran, dass Bayer dieses Aktion-statt-Reaktion-Prinzip wirklich beherzigt, genauer: dass es in dieser Frage die Gefahrenabwehr vernachlässigt hat.
Wir Grüne haben nicht zuletzt deshalb von Anfang an die Auffassung vertreten, dass der Ausbau der Produktion von Kohlenmonoxid am Standort Uerdingen die bessere Alternative für alle Beteiligten ist. Wir haben dies jetzt auch noch einmal aktuell im rot-grünen Koalitionsvertrag deutlich gemacht. Darin haben wir auch festgestellt – ich zitiere –:
„Es wurde mit einer Vielzahl von Planungs- und Ausführungsfehlern sowie mit einer defizitären Kommunikationsstrategie“
– defizitären Kommunikationsstrategie! –
„dazu beigetragen, dass vorhandene Zweifel an einem sicheren Betrieb der CO-Pipeline stetig verstärkt worden sind.“
Wir hatten ja zwischenzeitlich nicht nur Erdeinbrüche an der Trasse, sondern auch den vorläufigen Baustopp durch die Bezirksregierung in Düsseldorf. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf – Kollege Schmeltzer hat darauf hingewiesen – hat im Mai 2011 zudem Mängel an der Planfeststellung aufgezeigt.
Allerdings, Herr Brockes: Angesichts der zahlreichen Verfahrensfehler von Bayer und der äußerst mangelhaften Kommunikationsstrategie des Konzerns ist weder den Behörden noch der Landesregierung hierbei ein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: Es ist absolut notwendig, richtig und auch konsequent, dass unser Umweltminister nun eine umfassende Begutachtung in Auftrag gegeben hat. Darin werden wir die bisherigen Gerichtsurteile ebenso einfließen lassen wie Gefahrenanalysen, das bisherige Verhalten von Bayer und auch die Prüfung von wirtschaftlich zumutbaren und bürgerfreundlichen Alternativen.
Abschließend noch mal zu Ihnen von der FDP: Es ist wieder einmal bezeichnend, dass Sie im Antragstext für diese Aktuelle Stunde doch eher populistisch argumentieren und überhaupt nicht auf die eben von mir erwähnten Sachverhalte eingehen, geschweige denn inhaltliche Perspektiven für den Chemiestandort liefern. Aber es ist eben ein Unterschied, ob ich hoch gefährliches Kohlenmonoxid durch die Gegend schicke oder zum Beispiel einen Teppich. Nur von Letzterem scheinen Sie ja wirklich etwas zu verstehen.
Herr Lindner, gerade weil Sie in Talkshows immer von der Bürgergesellschaft reden, müssen Sie im Umweltbereich endlich die berechtigen Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen.
Die jüngste Konferenz von Rio hat es wieder einmal unterstrichen: Angesichts der großen Herausforderungen – Ressourcenverknappung, Klimawandel und Artenschwund – brauchen wir eine grüne Wirtschaftsstrategie, eine große Transformation. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Hier in Nordrhein-Westfalen werden die neue Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen dieses auch gemeinsam anpacken. Wir werden hier eine zukunftsorientierte Perspektive für den Chemiestandort nicht nur erhalten, sondern diese auch weiterentwickeln.
Weil wir kurz vor den Ferien sind und das eine große Aufgabe ist, möchte ich mit Seneca schließen:
„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“
Ich wünsche Ihnen ein bisschen mehr zukunftsorientierten Wagemut. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Auf dem letzten programmatischen Landesparteitag der Piratenpartei am 15.04. dieses Jahres hat unsere Partei eben zu diesem Thema der CO-Pipeline ein Positionspapier verabschiedet, dem gegenüber wir als Fraktion die Freiheit haben, uns daran gebunden zu fühlen.
Das Papier entscheidet nicht bewusst zwischen Pro oder Contra, was die CO-Pipeline angeht, es polarisiert auch nicht, sondern es regt – wie wir das so oft tun – im Gegenteil eine verstärkte Transparenz des Verfahrens bzw. der Verfahrensweise für die Bürgerinnen und Bürger an. Das ist zunächst einmal zu begrüßen, wenn es eingehalten wird.
In der Presseerklärung vom 22.06. dieses Jahres betont die Bayer AG selber, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit in Kürze starten soll, dass die vollständige Offenlegung des Planänderungsverfahrens gegeben ist und dass alle 2.000 Seiten, die dieses Verfahren betreffen, sofort einsehbar sind. Dazu kommt noch eine Kurzversion von etwa sechs Seiten, bei der man bei genauer Betrachtung den Eindruck haben kann, dass sie von einem Werbetexter verfasst worden ist.
Insbesondere geht es bei den Planänderungsverfahren um Abweichungen bei der Trasse und um Abweichungen bezüglich der bei den Rohrleitungen verwendeten Stähle. Stichwort: Innenkorrosion durch CO.
Die Bayer AG selber aber betont, dass zur Erdbebensicherheit zusätzlich noch von externen Gutachtern drei Teilaspekte beleuchtet werden sollen. Von diesen drei angeforderten Gutachten liegen erst zwei vor. Das dritte steht noch aus. Das sagt die Bayer AG. Und in der nächsten Instanz, beim Oberverwaltungsgericht Münster, wird auch in 2013 noch verhandelt.
Das heißt für mich im Klartext: Es ist noch etwas Zeit, und man muss jetzt nicht eine solche Welle machen, wenn sich Herr Remmel bemüht, noch ein Gutachten einzuholen. Es ist ja noch Zeit. Herr Remmel, Sie haben – gar keine Frage – die Unterstützung der Piratenfraktion, wenn Sie mit dem Gutachten „hinmachen“.
(Beifall von den PIRATEN)
Darüber hinaus regt unser Positionspapier für dieses Verfahren und für die Zukunft an, doch einmal auf Bürgerentscheide und auf Bürgervertrauen zu setzen. Wenn wir es nicht schaffen, unseren Bürgern zu vertrauen, dann werden sie uns auch nicht vertrauen. Das ist, denke ich, ein Kernpunkt aller Politik. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal einen ganz herzlichen Dank für die vielen guten Wünsche nicht nur aus den die Regierung unterstützenden Fraktionen, sondern auch aus allen anderen. Ich denke, wir werden es gemeinsam gut hinbekommen, in den nächsten fünf Jahren eine Strategie zu entwickeln, die den Wirtschafts- und den Industriestandort Nordrhein-Westfalen stärkt.
Ein ganz wichtiger Bestandteil für Nordrhein-Westfalen ist dabei in der Tat – die Vorredner haben bereits darauf hingewiesen – die Chemie. Ein Drittel des Umsatzes der chemischen Industrie in ganz Deutschland findet hier in Nordrhein-Westfalen statt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen rund 100.000 Beschäftigte in rund 1.000 Betrieben bzw. Unternehmen, die – auch darauf ist schon hingewiesen worden – viele Stoffe herstellen, die direkt in die industrielle Weiterverarbeitung gehen. Der Slogan „Das ist die Industrie der Industrie“ hat durchaus seine Berechtigung.
Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen die Grundstoffchemie genauso wie das Spezialprodukt. Das ist es, woran wir festhalten wollen. Wir wollen die gesamte Wertschöpfungskette hier im Land behalten und nicht tatenlos zusehen, wie gerade in den energieintensiven Bereichen die Unternehmen oder die Produktionsstandorte langsam bzw. sukzessive abwandern, sondern wir wollen Rahmenbedingungen dafür stellen, dass die hier in unserem Land eine Perspektive haben.
Diese Landesregierung und ich ganz persönlich, wir werden alles dafür tun, dass sich diese heimische Produktion entwickeln kann und gute Rahmenbedingungen vorfindet. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eben die Realwirtschaft, auf die es ankommt. Wenn wir etwas aus den letzten Jahren gelernt haben müssen, dann ist es doch, dass wir die Realwirtschaft stärken müssen und nicht, wie in anderen europäischen Ländern geschehen, irgendwelchen Träumereien nachhängen dürfen. Vielmehr müssen wir die Realwirtschaft in unserem Lande – explizit in Nordrhein-Westfalen – stützen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Gerade die Chemieindustrie besitzt das Potenzial, Innovationen und technologischen Fortschritt zu bringen. Was muss man tun, damit man dieses Potenzial tatsächlich nutzen kann?
In dieser neuen Landesregierung bin ich für das Thema „Energiepolitik“ zuständig. Darauf wird es in den nächsten Jahren natürlich ganz besonders ankommen. Es wird darauf ankommen, die Energiepolitik so zu gestalten, dass die Unternehmen hier eine Perspektive haben. Aber nicht nur darum geht es, sondern es geht genauso um die Themen „Fachkräfte“ und „Rohstoffe“. Und es geht um zwei weitere Dinge, die Sie durch diesen Tagesordnungspunkt, betreffend die CO-Pipeline, mit aufgerufen haben und die ich deswegen auch ausdrücklich betonen will.
Erstens geht es um Investitionen in Infrastruktur in unserem Land. Die CO-Pipeline ist dafür ein Beispiel. Gemeinsam – auch darauf hat Herr Brockes hingewiesen – ist hier im Landtag mit großer Mehrheit – soweit ich weiß einstimmig – das Rohrleitungsgesetz verabschiedet worden. Das ist grundsätzlich schon einmal ein gutes Zeichen für solche Investitionen, dass man bei solch wichtigen Entscheidungen gemeinsam agiert und sagt: Das wollen wir ermöglichen. Denn es geht nicht darum, dass man irgendetwas verhindert, sondern darum, dass die Politik dafür sorgt, Dinge an diesem Standort zu ermöglichen. – Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt aber ist, dass wir ein gesellschaftliches Klima brauchen, in dem Akzeptanz wachsen kann.
Herr Wüst, Sie haben darauf Bezug genommen. Wir waren zusammen auf der Veranstaltung der IHK Nord Westfalen. Dort ging es darum, Akzeptanz für Industrie in unserem Land zu schaffen. Das macht aber die Industrie nicht alleine, sondern es sitzt, wie Sie gesehen haben, zum Beispiel der BUND mit auf dem Podium. Ich hatte gerade sowohl bei der Argumentation von Herrn Brockes als auch von Herrn Wüst den Eindruck, dass sie im Rahmen dieser Diskussion noch nicht so weit sind wie eine IHK Nord Westfalen, wie die Industrie insgesamt in unserem Land, die inzwischen alle begriffen haben, wie man einen Dialog führen muss.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Man muss diesen Dialog organisieren. Man muss mit offenen Karten spielen. Dazu dient auch ein solches Gutachten. Wenn man etwas befürwortet, muss man nicht die Augen-zu-und-durch-Strategie wählen und irgendwie versuchen, das durchzuprügeln, sondern wenn man überzeugt ist, kämpft man im Gegenteil mit offenem Visier. Man darf über den Dialog auf Augenhöhe eben nicht nur am Sonntag sprechen, sondern muss man ihn dann werktags auch Realität werden lassen.
Diese Landesregierung will diesen Dialog zwischen Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern nicht nur beobachten, sondern ihn aktiv mitgestalten. Deswegen sind solche Maßnahmen notwendig.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass der Chemiestandort Nordrhein-Westfalen nicht durch den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern gefährdet wird, sondern er wird dann gefährdet, wenn Sie wie hier durch die Beantragung einer Aktuellen Stunde und entsprechenden Äußerungen in den Presseorganen dafür sorgen, dass aus Kleinigkeiten etwas heraufbeschworen wird, was als Gefahr für den gesamten Standort beschrieben wird. Das ist nicht redlich.
Die größte Gefahr – wenn Sie mich das aus meiner bisherigen Tätigkeit noch hinzufügen lassen – für den Standort Nordrhein-Westfalen, insbesondere für den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen, ist eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die gar nicht begriffen hat, wie man das Wort „Industriepolitik“ überhaupt schreibt,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
die nicht in der Lage ist, eine Konzeption vorzulegen, was wir mit diesem Standort machen wollen und wie wir ihn auf der Grundlage von Dialog auf Augenhöhe weiterentwickeln wollen, die bis heute keinen Masterplan für die Energiewende vorgelegt hat usw. Das ist keine Industriepolitik.
Wenn Sie im Titel dieser Aktuellen Stunde industriepolitische Verlässlichkeit einfordern, kann ich Ihnen nur sagen: Da haben Sie bisher überhaupt nichts zu bieten gehabt. Industriepolitische Verlässlichkeit, insbesondere in NRW, steht an diesem Pult und sitzt links und rechts von mir. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Meesters.
Norbert Meesters (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich grüße auch die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne. Wenn ich die Reden, die wir gehört haben, Revue passieren lasse, besteht hier eigentlich große Einigkeit jenseits politischen Schlechtredens vonseiten der Opposition, dass die chemische Industrie von wesentlicher Bedeutung für den Standort Nordrhein-Westfalen ist. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Daran will auch niemand hier im Hause etwas ändern – im Gegenteil.
Wir wissen aus den letzten Jahren, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen die letzte Finanzkrise erfolgreich bewältigt haben, weil Nordrhein-Westfalen einen starken industriellen Kern hat. Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist nicht überwiegend von der Finanzwirtschaft geprägt, sondern von der Realwirtschaft. Dabei ist die Chemieindustrie ein herausragender Faktor.
Gerade die aktuelle Diskussion über die Eurokrise, die schlechte Stimmung auf den Finanzmärkten, die Befürchtungen über eine drohende Rezession bestätigen unsere Einschätzung, dass für eine Region oder ein Land ein stabiler industrieller Kern von eminenter Bedeutung ist. In Nordrhein-Westfalen haben die Unternehmen und Gewerkschaften immer bewiesen, dass der Unternehmensstandort mit Augenmaß und Verantwortung gestärkt wird. Das Ergebnis ist: Nordrhein-Westfalen ist innovativ; Wirtschaft und Forschung bringen hier immer wieder Neues und immer wieder Wegweisendes hervor.
Die Regierungsparteien wollen, dass diese Krisenfestigkeit des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen erhalten bleibt.
Herr Brockes, in Ihre Richtung möchte ich sagen: Bei dieser Landesregierung ist die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen in sehr guten Händen. Das letzte Wahlergebnis – dieser Hinweis sei erlaubt – zeigt ganz deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen das genauso sieht.
Für uns spielt die chemische Industrie in Nordrhein-Westfalen eine wesentliche Rolle. Sie ist einer der bedeutendsten Standortfaktoren, weil sie innovativ ist und Neues entwickelt. Gemessen am Umsatz mit über 36,6 Milliarden € nimmt der Chemiestandort NRW europaweit Rang 6 ein. Weltweit liegen wir auf Rang 11. Das drückt sich auch in der Bedeutung für den Arbeitsmarkt aus. Fast 30 % aller Beschäftigten der deutschen Chemieindustrie arbeiten in NRW. 2010 waren das fast 90.000 Menschen. Das wollen wir erhalten und stärken.
Für uns als SPD ist aber auch klar: Die Entscheidungen bei industriellen Zukunftsprojekten dürfen nicht heimlich, still und leise getroffen werden. Vielmehr wird es immer wichtiger, die Menschen zu überzeugen und mitzunehmen. Wir müssen den Sinn und Zweck und den Nutzen von Investitionen deutlich machen. Ängste und Sorgen müssen und wollen wir ernst nehmen, um uns intensiv damit auseinanderzusetzen.
Das gilt auch für die chemische Industrie. Denn für unseren Industriestandort, wenn er zukunftssicher sein will, wird Offenheit und Transparenz immer wichtiger, weil wir in naher Zukunft – das wissen wir alle – neue Infrastrukturen aufbauen müssen. Nur mit gleichberechtigter, frühzeitiger Information und weitgehender Transparenz über Projekte und Politikziele, nur über Beteiligung können Vertrauen und Akzeptanz für Projekte erzielt werden. Der Verweis auf eine neue Technologie wird alleine nicht ausreichen. Auch das hochspezialisierte ingenieurwissenschaftliche Gutachten wird nicht immer überzeugen.
Deswegen müssen wir Beteiligung und Akzeptanz schon im Ansatz mitdenken. Deshalb müssen wir gerade bei missglückten Planungsprozessen – mein Kollege Rainer Schmeltzer hat dies in seiner Rede sehr deutlich gemacht – besonders sensibel agieren. Dabei gilt: Mehr Aufklärung und mehr Transparenz stärken den Standort. Alles andere nährt nur Skepsis und Widerwillen gegen weitere Industrieprojekte.
Das ist die Lehre aus der Auseinandersetzung um die CO-Pipeline. Das bisherige Verfahren hat gezeigt, welche Fehler Industrie und Politik bei industriellen Großprojekten tunlichst vermeiden sollten. Daraus für künftige Projekte zu lernen, ist eine wegweisende Herausforderung.
Mit dem Gutachten der Landesregierung machen wir einen Schritt, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Wir sorgen so für mehr Transparenz in den technischen Fragen der CO-Produktion und werden die weitere Diskussion damit versachlichen. Ich hoffe, dass es so gelingt, das durch die Fehler der schwarz-gelben Landesregierung verloren gegangene Vertrauen in der Bevölkerung wieder herzustellen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Reden Revue passieren lässt, sind wir sicherlich in einem Punkt einig: Wingas hat bei diesem Projekt unendlich viele Fehler gemacht. Bayer hat enorme Kommunikationsfehler gemacht. Allein die Tatsache, dass Wingas mit Lässigkeit vom Planfeststellungsbeschluss in Raum, Material und hinsichtlich der Geo-Grid-Matte abgewichen ist, ist ein unmögliches Verhalten. Dafür hat es die Quittung gegeben. Das wird jetzt nachgearbeitet. Gleichwohl bin ich der Überzeugung, es wird heilbar sein und ist letztlich auch nicht sicherheitsrelevant; denn Sicherheit geht vor. Das ist sicherlich die gemeinsame Grundhaltung.
Ich erinnere daran, dass wir das Rohrleitungsgesetz gemeinsam beschlossen und ein Ja zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen erklärt haben. Die Vernetzung von Industriestandorten ist ein entscheidender Punkt, Herr Minister. Eine solche Vernetzung ist – in Konkurrenz zu anderen europäischen Industriestandorten – im Sinne Nordrhein-Westfalens.
Sicherlich müssen wir deutlich sagen: Regelungen zu Arbeitsplätzen sind zum ersten Mal in diesem Gesetz verankert. Das ist Teil des Allgemeinwohls. Deswegen haben wir das ausdrücklich begrüßt.
Es liegt schon ein Gutachten vor. Die Bezirksregierung hat ein Gutachten erarbeiten lassen. Es wurde von Bayer bezahlt. Das ist in solchen Verfahren völlig normal. Wenn nun die Landesregierung ein aus ihrer Sicht unwichtiges Gutachten vergibt, stellt sich die Frage, ob es nicht ohnehin obsolet ist. Hat die Bezirksregierung als alleiniger Vertreter der Landesregierung vor Ort saumselig gehandelt? Wurden Fragestellungen nicht bearbeitet, obwohl sie vom Gericht anerkannt worden sind? Vonseiten des Gerichts hieß es, eines solchen Gutachtens bedürfe es nicht. Es ist eine politische Willenserklärung der Landesregierung, den Industriestandort zu stützen. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich gesagt: Das Land hat in betriebswirtschaftlichen Dingen gar nichts zu suchen.
(Beifall von der FDP)
Die Äußerungen vom Kollegen Schmeltzer stellen nur eine eingeschränkte Wahrnehmung der Realität dar. Er führte aus, die SPD habe dieses Projekt immer befürwortet. Herr Duin, schauen Sie einmal in die Akte. Es gab mal einen wirtschaftspolitischen Sprecher namens Römer – damals noch als Wirtschaftspolitiker tätig –, der zu Anfang gesagt hat: Wir wollen die Leitung nicht. Es gab sogar einen Bundestagsabgeordneten namens Steinbrück, der in Presseerklärungen anfangs betont hat: Wir wollen diese Leitung nicht, weil der SPD-Ortsverband nein gesagt hat. Hinterher haben beide Herren in die Riemen gegriffen und sind kräftig zurückgerudert. Das muss man der Redlichkeit halber sagen.
Nur: Mit einer klaren Linie der SPD ist es nicht so weit her.
(Beifall von der FDP)
Frau Ministerpräsidentin, Sie haben mit der Ernennung von Herrn Walter-Borjans zum Finanzminister deutlich gemacht, dass der Finanzminister der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz für die richtigen Schulden ist.
Mit einem solchen Gutachten wollen Sie letztendlich in die betriebswirtschaftlichen Belange eines Unternehmens eingreifen und belegen: Es rechnet sich für euch nicht!; sonst würden Sie es nicht machen.
Wenn wir solche Gutachten vergeben und es für uns als Handlungsmaxime erachten, müssen wir sinnvollerweise auch die Verluste übernehmen, wie es in der Planwirtschaft üblich ist. In der DDR war es üblich und hat „großen Erfolg“ gehabt.
Frau Ministerpräsidentin, wenn wir die Verluste übernehmen müssen, dann muss der von Ihnen als richtiger Mann am richtigen Platz für die richtigen Schulden erachtete Finanzminister Walter-Borjans an einer Stelle in seinem Haushaltsplan solche Verlustübernahmen als Risikovorsorge ausweisen. Das habe ich bislang nicht gefunden. Ich bin gespannt, wo ich das finde.
Wenn wir als Land sagen, wir können bestimmen und beurteilen, was betriebswirtschaftlich sinnvoll ist – das ist nicht die Meinung der FDP und, wie den Worten des Herrn Kollegen Wüst eben zu entnehmen, auch nicht die der CDU –, dann müssen wir auch die Konsequenzen tragen.
Wir sagen Nein zu solchen planwirtschaftlichen Überlegungen, die das Gericht ausdrücklich als obsolet beurteilt hat. Dies ist eine klare Sache.
(Beifall von der FDP)
Wir als Politik setzen die Rahmenbedingungen. Ob etwas verantwortbar ist oder nicht, wird in Nordrhein-Westfalen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelt. Wenn die darin formulierten Anforderungen erfüllt sind, hat der Antragsteller ein Recht auf Genehmigung.
Herr Schmeltzer, es ist eine tolle Erkenntnis, dass die SPD nach ihrer Aussage jetzt dafür ist, dass die Leitung erst in Betrieb genommen werden darf, wenn diese und jene Fragen geklärt sind. Herr Kollege Schmeltzer, die Gerichte müssen sowieso entscheiden – ob Sie das wollen oder nicht. Lassen wir die Gerichte entscheiden. Recht sollen die Gerichte sprechen. Wir haben die politische Dimension dargestellt. Sie haben ein zeitlich begrenztes Erinnerungsvermögen. Das mag schon altersbedingt sein. Dagegen können wir nichts machen. Die SPD hat hier ganz deutlich herumgeeiert.
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Holger Ellerbrock (FDP): Wir nicht. Wir sagen Ja zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen. Lassen wir nach Recht und Gesetz entscheiden.
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit, Herr Kollege!
Holger Ellerbrock (FDP): Planwirtschaft ist mit uns nicht zu machen. – Danke schön.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Remmel das Wort.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brockes, Herr Ellerbrock, Herr Wüst, Sie haben es heute Morgen probiert. Ihre Strategie war erkennbar. Wenn ich irgendwo Analogien suche, dann erinnert mich das an die Figur Destruktivus aus der Asterix-Serie. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Er hat immer versucht, Zwist in die gegnerischen Reihen zu tragen.
Es war nur nicht erfolgreich. Dieses bei Asterix auftauchende Bild, bei dem sich alle die Fische um die Ohren hauen und sich gegenseitig in Streit verwickeln, ist hier überhaupt nicht zu finden. Das Gegenteil ist passiert. Warum ist das Gegenteil passiert? – Weil die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen eine gemeinsame politische Grundlage haben.
Auf dieser Grundlage gehen wir davon aus, dass wir eine nachhaltige industrielle Produktion hier am Standort gerade in der chemischen Industrie brauchen. Wir brauchen entsprechende infrastrukturelle Rahmenbedingungen. Wir brauchen diese Rahmenbedingungen auch, um gute Arbeitsplätze hier am Standort zu halten und weiterhin solche Arbeitsplätze zu befördern.
Es ist in der Tat richtig: Die chemische Industrie ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor für unser Land. Sie bietet die meisten Arbeitsplätze. Die Innovationskraft dieser Chemieindustrie ist auch für die Lösung der Zukunftsfragen, die wir anzugehen haben, unbedingt notwendig.
Ich will auch aus meiner Perspektive noch einmal unterstreichen: Wenn es um die Herausforderungen des Klimaschutzes geht, wenn es um die Herausforderung der Ressourcenkrise geht, dann muss die chemische Industrie als Hauptpfeiler der Bewältigung dieser Herausforderungen gesehen werden – ob es um neue Kraftstoffe geht, ob es darum geht, intelligente Produkte zur Dämmung unserer Häuser – und das auch in einem großen Umfang – zu produzieren, um schneller in der Gebäudesanierung voranzukommen, ob es um neue Materialien geht, ob es um die innovativen Batterietechniken geht, die wir brauchen, um Energie zu speichern, aber gleichzeitig für neue Antriebe.
Sie sehen, die chemische Industrie ist eine Schlüsselbranche für unseren Industriestandort Nordrhein-Westfalen und zugleich Grundlage für eine ambitionierte Umwelt- und Klimaschutzpolitik. Manche gehen sogar so weit zu sagen, dass wir am Ende einer kohlenstoffbasierten Wirtschaft sind und am Übergang zu einer Wirtschaft, die auf Chemie und Elektro basiert.
Wenn man davon überzeugt ist – und diese Landesregierung ist davon überzeugt –, dass das an diesem Standort auch eine Standortchance für Nordrhein-Westfalen ist, dann brauchen wir gute Rahmenbedingungen, um die gesamte Wertschöpfungskette hier auch zu halten. Wir brauchen eine verbesserte Ressourcen- und Materialeffizienz, und wir brauchen auch einen wettbewerbsfähigen Standort. Es geht darum, diese Rahmenbedingungen verlässlich zu gestalten.
Insofern hätte es mich gefreut, wenn wir die Aktuelle Stunde heute Morgen dazu genutzt hätten, um uns über diese Rahmenbedingungen zu unterhalten. Kollege Duin hat das erwähnt. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie energieintensive Unternehmen hier am Standort im Zusammenhang auch mit der Energiewende gehalten und unterstützt werden können. Ich glaube, es gibt keine Landesregierung, die so massiv bisher im Bundesrat aufgetreten ist, um gerade die energieintensiven Unternehmen besonders auch mit der beschleunigten Energiewende zu versöhnen und besondere Unterstützungsleistungen zu erbringen. Es hätte mich gefreut, wenn wir das heute hier diskutiert hätten.
Genauso sinnvoll wäre es gewesen, hätten wir heute darüber gesprochen, dass wir massiv mit der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen im Gespräch sind, um gerade an den jeweiligen Standorten – den Chemieparks – eine gleichzeitige Energie- und Wärmeversorgung in Form von KWK auf den Weg zu bringen. Denken Sie an die Diskussion im Zusammenhang mit dem Standort Krefeld.
Es hätte mich auch gefreut, wenn hier erwähnt worden wäre, dass bei einem anderen, derzeit laufenden Projekt, nämlich der TDI-Anlage in Dormagen, die Genehmigungsprozesse und die Öffentlichkeitsbeteiligung nach einem guten Anfang auch zu einem guten Ergebnis kommen werden – im Gegensatz beispielsweise zur Diskussion an anderen Standorten, wie in den Niederlanden oder auch in Baden-Württemberg.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich meine, das muss man an dieser Stelle auch einmal erwähnen und nicht, wie Sie es getan haben, sozusagen bei einem Projekt das Menetekel für den Chemiestandort zu diskutieren. Ich halte das auch für eine Diskreditierung der chemischen Industrie und des Chemiestandortes. Das muss mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will das auch deshalb tun, weil natürlich in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind. Es hat hier eine Landesregierung gegeben, die nach dem Motto „Augen zu und durch“ ein Projekt einfach durchboxen wollte, die keinen Dialog auf Augenhöhe geführt hat. Das hat auch dazu beigetragen, dass wir uns in der Situation befinden, in der wir nun sind.
(Zuruf von der FDP: Ach!)
Das ist nicht zu leugnen. Wir haben Gerichtsverfahren, wir haben Gerichtsentscheidungen, und wir haben – das muss man auch einmal sagen – jetzt ein Planänderungsverfahren, das erforderlich ist, weil bei der Bauausführung an über 80 Stellen vom Planfeststellungsbeschluss abgewichen worden ist. Herr Ellerbrock, wo erleben wir so etwas denn sonst, dass an über 80 Stellen von einer Plangenehmigung abgewichen wird?! Das kann doch nicht sein. Deshalb müssen wir das Verfahren neu aufrollen. Das wird von der Bezirksregierung mit großer Öffentlichkeitsbeteiligung jetzt getan. Die Unterlagen liegen vor. Wir gehen jetzt in den Prozess.
Aber – das ist das, was die Landesregierung seit 2010 macht; das hätte jeder nachlesen können, weshalb ich die Aufregung nicht verstehe – wir haben damals schon im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir den Dialog anders befördern wollen als die Vorgängerregierung. Wir wollen einen wirklichen Dialog auf Augenhöhe mit den Beteiligten, mit der Region, mit den Bürgerinnen und Bürgern. Hier gilt es, das viele Vertrauen, das in der Vergangenheit verloren gegangen ist, wieder herzustellen.
Zu einem Dialog gehört eben auch, auf einer Faktenlage zu agieren, die allen Beteiligten die gleiche Augenhöhe ermöglicht. Dazu bedarf es eines solchen Gutachtens. Das hat nichts mit einer weiteren juristischen Betrachtung zu tun. Das hat nichts zu tun mit der gerichtlichen Auseinandersetzung. Das hat auch nichts mit dem aktuellen Planänderungsverfahren zu tun. Es geht vielmehr um die Organisation und um die Faktenlage in dem von uns anvisierten Dialog. Dieses kleinere Gutachten ist ein Teil, um diesen Dialog zu führen.
Ich hoffe, ein solcher Dialog wird zukünftig von allen Fraktionen in diesem Haus entsprechend unterstützt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Schmeltzer um das Wort gebeten.
Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Ellerbrock, Sie haben versucht, Ihren populistischen Antrag zur Aktuellen Stunde mit Zündstoff anzureichern. Das ist Ihnen nicht gelungen.
Wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten, die SPD habe immer in irgendeiner Form – ich benutze jetzt einmal meine Worte, aber so ist es herübergekommen – rumgeeiert und der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher Norbert Römer, jetzt Fraktionsvorsitzender, wäre zurückgerudert, dann sage ich Ihnen dazu ganz klar, dass dies die Unwahrheit ist, die Sie versuchen zu suggerieren. Aber darauf beruht ja Ihre gesamte Intention, um eine solche Aktuelle Stunde nach vorn zu bringen. Sie wissen ganz genau, dass das nicht richtig ist.
Wir haben immer dafür plädiert, ausstehende Gerichtsentscheidungen abzuwarten. Danach werden wir handeln. Wir haben Entscheidungen vom Oberverwaltungsgericht Münster und wir haben Entscheidungen vom Verwaltungsgericht Düsseldorf. Danach gibt es jetzt auch ein Gutachten. Das Gutachten leitet sich im Übrigen auch ab – so war es auch in der von Ihnen bei der Beantragung dieser Aktuellen Stunde zitierten „Rheinischen Post“ zu lesen – aus der vorgesehenen Evaluation. Dieses Gutachten werden wir abwarten. Ich empfehle Ihnen, es dann im zuständigen Fachausschuss mit uns gemeinsam sehr unaufgeregt und konstruktiv zu diskutieren.
Aber ich glaube, es geht Ihnen nicht darum, zu diskutieren. Es geht Ihnen darum – weil Sie sonst keine anderen politischen Themen haben –, hier mal wieder eine Überschrift zu setzen, um mit den Ängsten der Menschen zu spielen, so wie Sie es gerne machen. Das ist unlauter und unredlich. Das ist nicht die Art von Politik, die wir hier mit Ihnen vollziehen werden.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Da Sie hier schon Herrn Kollegen Römer bemühen und darauf hinweisen, dass er eine Rolle rückwärts gemacht habe, erinnere ich Sie an die Plenarsitzung im März 2010 – übrigens die letzte Plenarsitzung, in der wir uns mit der CO-Pipeline auseinandergesetzt haben. Kollege Römer hat hier deutlich gemacht, dass wir nach wie vor zur CO-Pipeline stehen. Er hat aber auch deutlich gemacht – das unterscheidet unsere Position ganz klar von Ihrer –, dass für uns immer der Mensch im Mittelpunkt steht, dass die Sicherheit der Menschen an erster Stelle kommt und dass wir im Gegensatz zu Ihnen den Dialog mit den Menschen suchen und führen.
Ich erinnere noch einmal an die damalige Ministerin Thoben, die gesagt hat: Wenn Sie die Bürger beruhigen wollen, geben Sie ihnen meine Rede. – Das ist für uns kein Umgang mit den Menschen. Wir sprechen mit den Menschen vor Ort, und wir sprechen mit den Vertretern der Industrie vor Ort. Das unterscheidet uns von Ihnen. Wir machen eine ordentliche, saubere Politik. Deswegen werden wir das auf einem ordentlichen Weg machen; denn Industriepolitik und Sicherheitsrelevanz stehen für uns ganz oben.
Ich erinnere auch an den Entschließungsantrag der SPD-Landtagsfraktion aus dem März 2010, in dem alle Punkte aufgeführt waren. – Herr Ellerbrock, nicken Sie schön weiter. Sie haben den Antrag, in dem all dies drinstand, abgelehnt. Das ist Ihre Politik: hier groß herumtönen, anders entscheiden und die Menschen hinters Licht führen. Das brauchen wir hier nicht. Deswegen werden wir hier weiterhin eine ordentliche Politik machen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das war Herr Kollege Schmeltzer von der SPD-Fraktion. Gibt es weitere Wortmeldungen? – Herr Kollege Wüst.
Hendrik Wüst (CDU): Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmeltzer, wenn Sie sich so aufregen, habe ich immer Zweifel, ob das, was Sie zur Sache sagen, korrekt ist. Das war es diesmal auch nicht.
(Beifall von der CDU)
Noch einmal zur Erinnerung: Vor fünf Jahren waren alle der Überzeugung, dass diese Pipeline eine gute Geschichte ist – eine gute Geschichte für den Industriestandort und auch unter ökologischen und Sicherheitsaspekten die beste damalige Transportalternative. In allen Fraktionen gab es einige, die das ein bisschen kritisch sahen. Aber im Grunde genommen waren wir uns fast alle einig.
Sie sagen zu Recht: Wir warten ab, bis die Gerichtsverfahren abgeschlossen sind. – Okay, das ist Ihr Politikstil. Man sieht auch am Beispiel Datteln, dass Sie, während die Gerichte entscheiden, irgendwie die Politik einstellen.
(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])
Es steht nirgendwo geschrieben, dass man als Politiker nicht mehr sagen darf, was man möchte, wenn Gerichte unterwegs sind. Aber sei‘s drum, das ist Ihr Stil. Aber dann muss man, wie ich eben schon gesagt habe, die Verantwortung auch tragen.
Wenn man sagt, die Gerichte entscheiden darüber, muss man es auch akzeptieren, wenn ein rechtliches Verfahren sauber abgeschlossen ist, alle Argumente gegeneinander abgewogen sind und eine Entscheidung vorliegt. Dann kann man eben nicht sagen: Ich lasse noch einmal ein Gutachten zu den wirtschaftlichen Gegebenheiten machen; vielleicht fällt uns noch etwas dazu ein, wie wir als Staat Bayer vorschreiben können, es anders zu machen.
Irgendwann muss es gut sein. Irgendwann müssen in einem Rechtsstaat verlässliche Rahmenbedingungen herrschen. Das ist der entscheidende Punkt. Um den können Sie mit all Ihrer Rhetorik nicht drum herumreden. Das ist das, was Sie jetzt tun: Sie akzeptieren nicht, dass ein Verfahren irgendwann zu einem Ende kommen muss, sondern Sie legen immer noch einen nach.
Ich glaube, dass Sie das in Ihrem Inneren gar nicht machen wollen. Aber das ist genau das Problem Ihrer SPD-Generation. Leute wie Steinbrück und Clement haben noch den Streit gesucht; sie haben noch für Industrie, Wirtschaft und Arbeitsplätze gekämpft. Sie dagegen lassen sich von den Grünen am Nasenring herumziehen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Herr Remmel, wenn Sie schon mit Asterix kommen, sage ich Ihnen: Sie sind am Ende der Erlaubnix. Ich hoffe nicht, dass dieser Wirtschaftsminister wie sein Vorgänger wird. Der war nämlich ein Bewegnix oder ein Tunix. Herr Schmeltzer, da muss man ansetzen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind ein Gehtnix!)
Herr Schmeltzer, stärken Sie einmal Ihren Minister, statt immer dem Koalitionsfrieden zu dienen und Herrn Remmel auf den Leim zu gehen. Irgendwann muss es entschieden sein, und dann muss man als Politiker eine solche Entscheidung zumindest akzeptieren. Dann muss man den Rücken gerade machen, sich vor die Leute stellen und sagen: So ist es jetzt, und jetzt wird es auch gemacht.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.
Ich rufe auf:
2 Zusammen lernen – zusammenwachsen
Eckpunkte für den Weg zur inklusiven Schule in NRW
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/118
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/168
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/172
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Hendricks das Wort.
Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der 2009 erfolgten Ratifizierung des Abkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat der Grundsatz der Inklusion nationale Gesetzeskraft erhalten. Inklusion ist dabei mehr als Integration. Es ist das verbriefte Recht. Dieses verbriefte Recht muss nun in Nordrhein-Westfalen in das Landesgesetz aufgenommen werden.
Inklusion geht von einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen in allen Lebensbereichen aus. Deshalb kann sich die Inklusion nicht auf die Schule beschränken, sondern sie bedeutet eine umfassende Gesamtstrategie für die Gesellschaft. Deshalb hat die Landesregierung gestern auch einen Gesamtinklusionsplan vorgelegt.
Speziell in der Schule bedeutet Inklusion einen umfassenden Paradigmenwechsel und damit erhebliche Veränderungen im System. Die Verpflichtung zur Inklusion ist kein einfacher Programmsatz, sondern das einklagbare Recht des Einzelnen, das das Bildungssystem gewährleisten muss.
Diese Zusage bedeutet, dass die schulrechtlichen Voraussetzungen in NRW geändert werden müssen. Der vorliegende Antrag beauftragt das Schulministerium, dem Landtag einen entsprechenden Referentenentwurf vorzulegen, auf dessen Grundlage der Landtag dann die parlamentarischen Beratungsverfahren durchführen wird.
Meine Damen und Herren, bereits im Dezember 2010 hatte sich der Landtag mit der UN-Behindertenrechtskonvention beschäftigt. Damals wurde die Landesregierung vom Parlament einstimmig beauftragt – bei Enthaltung der FDP –, ein Konzept für die Umsetzung der Inklusion mit wissenschaftlicher Unterstützung zu entwickeln.
In dem damaligen Beschluss heißt es unter anderem: Wir wollen, dass der Bettelgang der Eltern um einen Integrationsplatz ein Ende hat. – Gleichzeitig hat der Landtag bereits 2010 festgehalten, dass der Regelförderort zukünftig die allgemeinbildende Schule sein wird.
In der Zwischenzeit haben wir über die Änderung der Ausbildung für die Förderschulen den Bettelgang der Eltern aufzufangen und möglich zu machen versucht, dass sie bereits jetzt mit ihren Kindern auch die allgemeinbildende Schule erreichen können.
Insbesondere im letzten Jahr wurden mit allen Fraktionen im Rahmen der Minderheitsregierung intensive Gespräche geführt, aber auch mit den Verbänden, den Beteiligten, den Eltern, der Wissenschaft, um sozusagen den Weg herauszufinden, wie wir Inklusion in Nordrhein-Westfalen in den Schulen umsetzen können.
Intensive Gespräche mit der CDU haben in der Sache eine Annäherung gebracht. Und so schreibt die CDU in ihrem Text, den sie im Dezember 2011 veröffentlicht hat – „Auf dem Weg zur Inklusion in der Schule“ –: „Die CDU-Landtagsfraktion bekennt sich zum Ziel eines inklusiven Bildungssystems.“ Und weiter heißt es dort:
„Kinder mit Behinderungen haben einen Anspruch auf die rechtliche Umsetzung der UN-Behindertenkonvention in Nordrhein-Westfalen und damit das Recht auf einen Regelschulplatz wie jedes Kind ohne Behinderung auch.“
Dieses Bekenntnis der CDU begrüßen wir ausdrücklich. Wir möchten an dieser Stelle zugleich die Hoffnung und die Bitte äußern, dass wir den Weg zur Umsetzung der UN-Konvention in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin gemeinsam gehen können – mit Sorgfalt und Umsicht.
Wir wollen deshalb so schnell wie möglich den Rechtsanspruch auf inklusive Bildung mit der Novelle des Schulgesetzes in Landesrecht umsetzen und damit die Entwicklung zu einem inklusiven Schulsystem ermöglichen.
Aus unserer Sicht, meine Damen und Herren, eignet sich dieses Thema nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen, sondern muss von einer gemeinsamen Verantwortung und Sensibilität gegenüber den Menschen getragen sein. Anders als ursprünglich von den Gutachtern Klemm und Preuss-Lausitz vorgeschlagen, haben sich die Regierungsfraktionen entschlossen, zum jetzigen Zeitpunkt keine Förderschultypen generell auslaufen zu lassen, sondern wir wollen in einen behutsamen Prozess der Veränderung eintreten, der dem Willen der Eltern und den Ausgangslagen der Kommunen geschuldet ist.
Der heutige Antrag ist am 14. März 2012 aufgrund der Auflösung des Landtages nicht mehr beraten worden. SPD und Grüne haben dann im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie den Antrag in der 16. Legislaturperiode unmittelbar erneut einbringen werden, was wir heute tun.
Durch die Verhandlungen mit der CDU in der letzten Legislaturperiode und durch die Auflösung des Landtags haben wir fast ein Jahr in dem Umgestaltungsprozess verloren, was wir ausgesprochen bedauern – ein Jahr, in dem Eltern, Kinder und Schulen sowie Kommunen auf Klarheit gewartet haben.
Es wird in der nächsten Zeit nicht jede Schule sofort eine Inklusionsschule werden. Wir wollen eine inklusive Schule, die im Zusammenwirken von unterschiedlichen Professionen und Fachkräften gute Lernvoraussetzungen schafft, das heißt sowohl für Kinder mit Förderbedarfen als auch für Schüler und Schülerinnen ohne Beeinträchtigungen.
Für die gedeihliche Umgestaltung wird es erforderlich sein, Vorreiterschulen und Schwerpunktschulen zu bilden. Sie können zugleich eine umfassende Unterstützung ermöglichen und die Gefahr einer Vereinzelung verhindern. Das bedeutet aber auch, meine Damen und Herren, dass künftig nicht alle Schüler und Schülerinnen mit komplexen Förderbedarfen eine Schule gleich in ihrer Nähe werden angeboten bekommen können. Wir wollen die Regionen verantwortlich Schritt für Schritt in die Lage versetzen, Inklusionspläne zu entwickeln und inklusive Bildungsangebote in allen Bildungsgängen zu ermöglichen.
Bereits heute bestehen große Unterschiede in den Regionen. Wir wollen für die Weiterentwicklung bei den Schulträgern zudem Gestaltungsspielräume eröffnen. Schulen und Regionen sollen die Chancen nutzen, voneinander zu lernen, sich am Vorbild zu orientieren und Anregungen anderer in den Prozess mit aufnehmen zu können. Gute Beispiele, meine Damen und Herren, verstärken die Vorstellungskraft, wie eigene Ideen zur Inklusion und verändertes Lernen umgesetzt werden können. Dazu erhalten die Schulen selbstverständlich Unterstützung, Fortbildung und auch Beratung; das haben wir bereits in Teilen in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht.
Inklusion, meine Damen und Herren, ist generell ein Auftrag für alle Schulen. Wir werden jedoch nicht mit einem Schlag von null auf hundert starten. Das können wir gar nicht; das wäre auch unverantwortlich. Es wird Zwischen- und Brückenlösungen geben müssen, Förderschulen werden langsam abgeschmolzen. Aber im Mittelpunkt muss stehen, dass es für Schüler und Schülerinnen bei diesem Transformationsprozess keine Friktionen geben darf. Es wird auch längerfristig in bestimmten Fällen Förderschulen in Nordrhein-Westfalen geben.
Aus vielen Briefen und Mails wissen wir, dass es den Eltern teilweise nicht schnell genug geht. Wir haben aber jetzt die Möglichkeit geschaffen, den Wünschen der Eltern weitgehend zu entsprechen. Viele Eltern wollen allerdings sofort und jetzt für ihre Kinder Plätze in der allgemeinbildenden Schule haben. Wir haben in dem Antrag deutlich gemacht, dass wir mit Klasse 1 und Klasse 5 aufsteigend beginnen werden, um auch im Prozess Zeit zu geben, Entwicklungen zu ermöglichen, damit wir den Prozess selber nicht gefährden und für Kinder keine Situationen schaffen, in denen Benachteiligungen eintreten können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zwischen den beiden Extremen der elterlichen Erwartungen muss die Politik die Bedingungen des Gelingens schaffen. Wir werden uns den Herausforderungen stellen; wir müssen eventuell im Prozess auch Korrekturen vornehmen, wir müssen im Dialog mit den Beteiligten auch ein Monitoring entwickeln, wie wir den Prozess begleiten. Insofern können wir auch heute nicht alle Fragen beantworten, die mit dem Thema „Inklusion“ an uns gestellt werden.
Wer allerdings heute mit Maximalforderungen beginnt, wird schnell von den finanziellen Realitäten eingeholt. An dieser Stelle möchte ich auch – weil es deutlich macht, dass wir uns alle in diesem Parlament an den Realitäten orientieren müssen – aus dem Papier der CDU zitieren, die zu den Forderungen, die sie selber in dem Papier aufstellt, sagt: Die Mittel sind unter Beachtung des ab dem Jahr 2020 grundsätzlich zu verankernden Verschuldungsverbots zu erbringen. – Mit anderen Worten: Es werden auch bei der CDU alle Forderungen unter Haushaltsvorbehalt gestellt.
Meine Damen und Herren, wir wollen auskömmliche Rahmenbedingungen schaffen. Die Professoren Klemm und Preuss-Lausitz haben in ihrem Gutachten Szenarien für den Ressourcenbedarf und für den Prozess untersucht. Unter anderem wurde auch darauf hingewiesen, dass regionale Stellenbudgets gebildet werden können.
In diesen Budgets wollen wir auch soziale Faktoren berücksichtigen. Wir wollen weg von der Etikettierung von Behinderten durch das AO-SF-Verfahren, das Förderschulaufnahmeverfahren. Wir wollen das Förderschulaufnahmeverfahren verändern und zu neuen Formen der Diagnostik kommen.
Wichtig ist, dass jedes Kind die Unterstützung erhält, die für seine Entwicklung und Bildung erforderlich ist. Ziel sind individuelle Förderung und anspruchsvolle Lernprozesse. Dazu gehören auch für uns Fragen wie die Schulbegleitung und die Konnexitätsfeststellung, die mit den Kommunen noch ausgehandelt werden müssen.
Es geht darum, dass wir mit einem Referentenentwurf die Möglichkeit haben, jetzt in die parlamentarische Beratung einzutreten und Rechtssicherheit für Eltern und Kommunen in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Denn in Art. 4 Abs. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es – ich zitiere –:
„Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen …“
Meine Damen und Herren, wir haben einen langen Prozess vor uns, den wir gemeinsam gestalten sollen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hendricks hat gerade schon darauf hingewiesen, was die Grundlage unserer Initiative ist, nämlich die UN-Behindertenrechtskonvention. In der Tat warten die Schulen, Schulträger und Eltern sowie die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen auf deren Umsetzung in Landesrecht, wozu wir uns durch die Ratifizierung der UN-Konvention – auch durch den Bundesrat und damit unter Beteiligung der Länder – verpflichtet haben.
Ich möchte gerne noch einmal an den Prozess erinnern, den wir hier gemeinsam begonnen haben, und zwar nicht erst in Zeiten der Minderheitsregierung, sondern schon 2007. Damals haben wir darüber beraten, wie wir in diesen Prozess einsteigen können. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden der CDU in der letzten und in dieser Legislaturperiode, der gesagt hat, wir sollten in drei Bereichen gemeinsame Wege gehen: Integration, Maßregelvollzug und Inklusion.
Ich hoffe, dass wir dieses gemeinsame Tableau nicht verlassen, wenngleich ich sagen muss, dass noch zu ergründen sein wird, ob die CDU sich mit Blick auf ihren heute vorgelegten gemeinsamen Entschließungsantrag mit den Piraten von diesen hat entern lassen und wieder von den Zielen abrückt, die wir eigentlich einmal gemeinsam vereinbart hatten, und was sie zur Abkehr von den Dingen bewogen hat, die wir gemeinsam in einem ganz intensiven fachpolitischen Diskussionsprozess miteinander bearbeitet haben.
Ich darf den Kollegen Kaiser und den Kollegen Sternberg daran erinnern, dass wir ein Dreivierteljahr darauf gewartet haben, dass die CDU zu einer Position findet, und wir im fachlichen Austausch dann eine gemeinsame Plattform vereinbart haben. Genau nach diesen Prinzipien werden wir jetzt auch hier im Parlament aktiv, um einen zielgerichteten und konsequenten, aber sorgsamen Prozess anzustoßen.
Warum bringen wir diese Initiative, die am 14.03.2012 schon einmal auf der Tagesordnung gestanden hat, heute wieder ein? Ich erinnere auch noch einmal daran, dass wir im Schulausschuss gemeinsam in den Diskurs mit den beiden Gutachtern, Prof. Preuss-Lausitz und Prof. Klemm, gegangen sind.
Diese haben uns ihre Expertise und Empfehlungen vorgelegt, zu denen wir uns dann gemeinsam verhalten haben. Wir haben gesagt, dass wir das jetzt so nicht umsetzen wollen, dass wir nicht den Schalter umlegen werden, sodass von einem Tag auf den anderen in Förderschulen in einer bestimmten Ausprägung – also den Förderschwerpunkten „Lernen“, „Soziale und Emotionale Entwicklung“ und „Sprache“ – nicht mehr eingeschult wird. Auch diesbezüglich verfolgen wir einen schrittweisen Prozess.
Aber wir wollen gemeinsam konsequent das Recht auf inklusive Bildung im Schulgesetz verankern. Es wundert mich schon sehr, wie weit die CDU von unserem bisherigen Diskussionsstand abweicht. Ich will kurz auf Ihren Entschließungsantrag eingehen.
Sie verabschieden sich von der Umsetzung des Rechtsanspruchs. Ich finde das bei Ihnen nicht mehr. Das finde ich äußerst bedenklich. Wollen Sie die UN-Konvention jetzt nicht mehr umsetzen? Wann und in welchen Schritten wollen Sie zu diesem Ziel kommen?
Sie verabschieden sich in Ihrem Entschließungsantrag auch von der Gestaltung innovativer Regionen, die eine inklusive Bildungslandschaft gestalten wollen. Warum? – Legen Sie uns das hier einmal fachlich dar. Wir haben Regionen und Städte, die darauf warten, mit diesem Prozess anfangen zu können. Was ist denn da eigentlich mit dem fachlichen Diskurs bei Ihnen geschehen?
Diese Regionen können, wenn wir nicht handeln, wie wir es eigentlich besprochen haben, nicht in den Versuch einsteigen, mit den sonderpädagogischen Budgets zu arbeiten. Was hat Sie bewogen, da eine Kehrtwende zu machen?
Sie ziehen sich auch von der Position zurück, dass die Inklusion auch der zieldifferenten Beschulung in allen Schulformen gilt. Auch das ist eine ganz markante Wende, und ich frage mich, woher das eigentlich kommt. Denn wir haben miteinander festgestellt, dass der Auftrag der Inklusion sich an alle Schulformen richtet, und zwar sowohl zielgleich als auch zieldifferent.
Man merkt, dass es erhebliche Änderungen bei dem gibt, was Sie uns heute als Entschließungsantrag vorgelegt haben.
Auch den Entschließungsantrag der FDP möchte ich kurz kommentieren. Ich bedanke mich erst einmal für den umfangreichen Entschließungsantrag, weil ich daraus entnehme, dass Sie sich im fachlichen Diskurs zurückmelden wollen. Ich begrüße das außerordentlich und hoffe, Frau Gebauer, dass wir das im Schulausschuss gemeinsam umsetzen können. Es ist nämlich jetzt die Herausforderung, die bisherigen Positionen, die sehr stark in Richtung Ablehnung gingen, deutlich weiterzuentwickeln.
Ich begrüße außerordentlich, dass Sie jetzt in einen fachlichen Diskurs einsteigen wollen. Denn auch uns geht es darum, jedem Kind die Qualität der sonderpädagogischen Unterstützung zukommen zu lassen, und zwar unabhängig davon, an welchem Förderort es beschult wird. Ich glaube, dass das ein gemeinsames Anliegen ist. Deswegen sollten wir diesen fachlichen Diskurs jetzt auch im Ausschuss miteinander führen.
Ich bin dankenswerterweise zum Fachkongress der Schulpsychologen in NRW eingeladen gewesen. Ich würde anregen, Prof. Huber, der dort vorgetragen hat, in den Schulausschuss einzuladen, damit wir uns einmal fachlich um gemeinsame Modell kümmern können, wie zum Beispiel das AO-SF-Verfahren modifiziert werden kann.
Denn, Kollegin Pieper, es kann – das haben wir schon miteinander erörtert – kein Recht auf Verfahren geben. Und bei dem AO-SF sind wir uns doch einig, dass es überbürokratisiert ist und dass es sehr lange dauert, bis die Förderressource wirklich beim Kind ankommt. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass die Förderressource unbürokratisch und schnell beim Kind ist, dass die Kolleginnen und Kollegen gemeinsam arbeiten können, dass die multiprofessionellen Teams, auf die Sie auch Wert legen, was mich freut, auf die Beratung der Schulen und der Eltern Einfluss nehmen können.
Dafür gibt es einen interessanten Ansatz, nämlich „Response to Intervention“. Vielleicht kann man diesen Ansatz auch übertragen, um dann in einem Stufenverfahren von der gemeinsamen Beschulung über spezielle Förderangebote dorthin zu kommen. Es ist auch unsere Aufgabe, das fachlich weiter zu begleiten und jetzt auch dem Ministerium die parlamentarische Grundlage dafür zu geben, wirklich in der verabredeten Art und Weise vorzugehen und nicht, wie es uns die Gutachter empfohlen haben, jetzt auf das Einschulen an bestimmten Förderschwerpunkten zu verzichten, sondern diesen schrittweisen, sorgsamen Prozess anzugehen.
Noch einen Hinweis – Kollegin Hendricks hat das ja schon gesagt – zur Frage der Finanzierung, wozu die CDU-Fraktion auch etwas aufgeschrieben hat. Wenn Sie das gemacht hätten, was wir gemacht haben, nämlich sicherzustellen, dass demografische Effekte auch für die Verbesserung in den Schulen eingesetzt werden können, und wenn Sie das gemacht hätten, was wir schon geleistet haben, nämlich 600 Stellen mehr für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen in den Haushalt einzustellen und auch schon Fortbildungsmittel bereitzustellen, dann hätten Sie viel getan und müssten das heute nicht postulieren. Wir sind bereits auf dem Weg, und wir wissen: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Wir werden dafür sorgen; das wird mit dem Referentenentwurf und dem Gesetzentwurf auch sehr deutlich werden.
Deswegen bitte ich: Bleiben Sie bei unserem gemeinsam vereinbarten Prozess, die Inklusion gemeinsam für dieses Land zu gestalten! Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, einen sorgsam gelingenden Prozess zu gestalten. Wir haben viele gute Beispiele in Nordrhein-Westfalen, wie das gelingt. Die Schulen können es uns zeigen.
Ich bitte Sie, ermutigend heute miteinander festzustellen, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen, schulische Inklusion Wirklichkeit werden zu lassen, und zwar flächendeckend und qualitativ hochwertig in Nordrhein-Westfalen – nach den Schritten, die das Ministerium schon seit 2010 mit Verve und Sorgfalt getan hat. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kaiser.
Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema „Inklusion“ ist eine riesengroße gesellschaftliche Aufgabe und Herausforderung. Die Inklusion bedarf – ich denke, das haben die Vorreden auch deutlich gemacht – in den nächsten Jahren einer eindeutigen Prioritätensetzung.
Ich kann feststellen: Die Zielsetzung, die UN-Menschenrechtskonvention umzusetzen, ist für die CDU-Fraktion von höchster Priorität; Frau Beer hat das angesprochen. Herr Laumann hat das zu Beginn der letzten Legislaturperiode auch sehr deutlich gesagt. Die Frage der Inklusion eignet sich daher nicht für kleinkarierte tagespolitische Auseinandersetzungen. Man hat eben gesehen: Rot-Grün ist so ein bisschen in diese Versuchung geführt. Das ist vielleicht die Folge des Wahlergebnisses und des neuen Selbstbewusstseins, was man sich einreden muss. Nur hilft das in der Sache nicht weiter. In der Sache macht es nämlich Sinn, weiter nach Gemeinsamkeiten zu suchen und sich in der Sache auseinanderzusetzen.
Wenn man das Thema erfolgreich angehen will, muss man sicher sein, dass die Inklusion auch gelingt. Deshalb sprechen wir an vielen Stellen immer konkret von Gelingensbedingungen. Deshalb ist es für uns wichtig, dafür zu sorgen, dass die Inklusion in der Praxis gelingt, dass sie in den Schulen gelingt und dass sie Zufriedenheit in den Schulen schafft. Nur dann wird es eine breite Akzeptanz bei Betroffenen und Nichtbetroffenen geben.
Der Antrag von Rot-Grün folgt in den meisten Punkten unseren Positionen, die wir Ende 2011 vorgelegt haben. Der zentrale Unterschied ist aber: Rot-Grün formuliert als oberstes Ziel die Festlegung des Rechtsanspruchs ab dem Schuljahr 2013/2014. Dann können Schulen und auch Betroffene womöglich sehen, wie sie damit klarkommen. Denn in den Ressourcenzuweisungen bleiben Sie sehr vage und unkonkret.
Oberstes Ziel unseres Antrages und unseres Entschließungsantrages ist es aber, dass gemeinsam mit dem Rechtsanspruch die entsprechenden Ressourcen verbindlich bereitgestellt werden, damit alle Schulen, die sich auf den Weg machen, gut vorbereitet sind und so die Inklusion gelingen kann.
Ich sehe die Landesregierung hier in der gleichen Klemme wie beim U3-Ausbau. Wir wissen schon heute, dass diese Landesregierung den Rechtsanspruch auf einen U3-Platz in der Praxis im nächsten Jahr nicht umsetzen kann.
(Ministerin Ute Schäfer: Ja?)
Die gleiche Gefahr sehen wir übrigens bei der Inklusion. Wir haben Befürchtungen, dass bei einem Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2013/2014 die betroffenen Kinder in ein nicht vorbereitetes Schulsystem geschickt werden. Das gilt insbesondere für den Sekundarbereich I. Im Grundschulbereich sind wir, wie wir alle wissen, schon ein Stück weiter.
Wir können einem Antrag von Rot-Grün nicht zustimmen und diesbezüglich keinen Konsens herbeiführen, weil wir davon überzeugt sind, dass dieser Prozess so nicht gelingen kann. Bei dem hier vorliegenden Antrag bleiben eben große Zweifel. Unsere Befürchtungen sind so groß, dass wir Angst haben, es kommt zu einer kalten Inklusion. Prof. Sternberg wird gleich in seinem Beitrag darauf noch näher eingehen.
Es macht daher sehr wohl Sinn, dass sich die Landesregierung sehr ernsthaft mit unserem Entschließungsantrag befasst, wenn sie entsprechende Umsetzungsvorschläge und gesetzlich Grundlagen vorlegt, falls ihr an einem Konsens gelegen sein sollte.
Ich möchte hier noch einmal kurz die wesentlichen Punkte und Unterschiede zum rot-grünen Antrag aufgreifen.
Für uns gilt der Grundsatz: In einem inklusiven Schulsystem dürfen die Bedingungen weder für die Kinder mit Behinderungen in den Förderschulen noch für die Kinder in den heutigen allgemeinen Schulen gegenüber den heutigen Standards schlechter werden. Wir sagen: Alle Kinder müssen im Unterricht qualitativ hochwertig gefördert werden.
Weiter gilt: Den spezifischen Anforderungen der unterschiedlichen Schulformen muss bei der Umsetzung der Inklusion Rechnung getragen werden. Das heißt natürlich, Frau Beer: Alle Schulen sind auf dem Weg zur Inklusion unterwegs. Aber Inklusion bedeutet auch für uns eine angemessene Förderung aller Kinder, aber eben ausdrücklich keine Einheitsschule.
Des Weiteren gilt: Die Umsetzung der Inklusion unterliegt streng dem Konnexitätsprinzip. Das bedeutet konkret: Wir wollen keine weitere Belastung der Kommunen durch neue Landesgesetze ohne einen vollen Ausgleich entsprechend diesem Prinzip, das in der Verfassung steht.
(Beifall von der CDU)
Wir wollen eine Beratung der Eltern und deren Wahlrecht. Elementar ist für uns in diesem Zusammenhang, dass diese unabhängig ist und die Eltern dabei nicht unter Druck gesetzt werden. Wir gehen davon aus, dass Förderschulen und inklusive Schulen nebeneinander angebunden werden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Kaiser, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Beer zulassen?
Klaus Kaiser (CDU): Nein, ich möchte im Zusammenhang darstellen. – Aufgrund der demografischen Entwicklung, können wir es uns auch gut vorstellen, dass Förderschulen mit allgemeinen Schulen unter einem Dach kooperieren. Damit wird das Elternwahlrecht noch einmal deutlich unterstrichen.
Wir haben in unserem Antrag darüber hinaus die Frage der Fachlichkeit und des Personals wesentlich stärker konkretisiert. Für uns gilt: Lehrerinnen und Lehrer müssen vor Inklusionsbeginn vorbereitet und fortgebildet werden.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dies kann keine Sollvorschrift sein, weil durch solche Vorschriften der kalten Inklusion Tür und Tor geöffnet würden.
Wir müssen gewährleisten, dass eine bedarfsentsprechende Ausbildung von Förderschullehrern dauerhaft garantiert wird. Gelingende Inklusion setzt die Fachlichkeit und Diagnosekompetenz unserer Förderschullehrerinnen und -lehrer voraus. Dabei ist nachweislich für eine ausreichende Ausbildungskapazität zu sorgen. Das gilt insbesondere auch für Lehrerinnen und Lehrer von Schülerinnen und Schülern mit Sinnesschädigungen, an die besondere Anforderungen zu stellen sind und deren Ausbildungskapazitäten nachweislich zu knapp sind. Konkrete Details dazu nennen wir in unserem Antrag.
Beim Umsetzungsprozess setzen wir auf sogenannte Vorreiterschulen. Dafür sind Startbudgets und zusätzliche Ressourcen bereitzustellen und konkrete Planungen – auch zum Budget – vorzulegen.
Wichtig ist, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Sonderförderbedarf sowie die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Förderbedarf in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
Das AO-SF-Verfahren, das zu überarbeiten ist – ich denke, das ist unstrittig; der Vorschlag von Frau Beer dazu ist vielleicht ganz pragmatisch – steuert aber auch Ressourcen. Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass die besonderen Ressourcen über das AO-SF-Verfahren gesteuert werden. Wenn AO-SF-Verfahren nicht durchgeführt werden, werden eben auch keine zusätzlichen Ressourcen bereitgestellt, weil es keinen Bedarf gibt.
Auch hierzu kann man sagen: Das ist ein Einfallstor für „Inklusion light“. Das muss man sich sehr genau angucken.
Das bestätigen Sie in Ihrem Antrag, in dem Sie als Ziel bei der Ermittlung der Lehrerstellen die Schüler-Lehrer-Relation der allgemeinen Schulen zugrunde legen, die beispielsweise bei Realschulen bei 1:21 liegt, bei den Förderschulen im Schnitt aber bei 1:8.
Soweit es um den zusätzlichen Bedarf geht, bleiben Sie bewusst schwammig. Sie sagen – ich zitiere –:
„Hier soll geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen dies künftig in Form von Stellenbudgets geschehen kann.“
Kann, nicht: geschehen wird! Auch das ist unverbindlich. Wir als Opposition können solchen hehren, unkonkreten Absichtserklärungen kaum zustimmen.
Deshalb ist es gut, wenn wir künftig die Kinder mit Förderbedarf an den allgemeinen Schulen mitzählen. Wenn das allerdings auf Kosten der ihnen derzeit zustehenden Förderstunden geschieht, tragen wir das nicht mit. Wir wollen keine Inklusion als Kürzungsprogramm auf dem Rücken der betroffenen Kinder.
(Beifall von Ursula Doppmeier [CDU])
Als Opposition sind wir an der Stelle schon viel konkreter, wenn wir sagen: Qualität erreichen wir durch Doppelbesetzungen im Unterricht. Die Fortbildungsmöglichkeiten sind so auszubauen, dass jede Schule, die sich auf den Weg macht, vorher verbindliche Fortbildungen angeboten bekommen haben muss. Außerdem müssen für den Start der Inklusion trotz aller Sparzwänge im Haushalt 2012 – dazu haben wir einen Deckungsvorschlag gemacht – zusätzlich 30 Millionen € als Startbudget für Akzeptanzwerbung, Fortbildungen und Starterpakete bereitgestellt werden. Inklusion quasi mit Bordmitteln umsetzen zu wollen wird bei Weitem nicht ausreichen.
Frau Hendricks hat es angesprochen. Um einer Legendenbildung nach dem Motto „Wir wären, wenn die Opposition schneller gewesen wäre, viel weiter“ vorzubeugen, muss ich noch kurz auf den Brief eingehen, den Sie, Frau Löhrmann, gestern an die Teilnehmer des Gesprächskreises „Inklusion“ geschickt haben. Können Sie sich vorstellen, wie dieser Brief bei den Betroffenen aufgenommen wird? – Ich muss Ihnen sagen: Dieser Brief kann nur als Dokument Ihres Scheiterns betrachtet werden. Sie schreiben, die Koalitionsparteien hätten sich jetzt grundsätzlich darüber verständigt, dem Bereich „Schule und Bildung“ einen hohen Stellenwert zuzumessen. – Na ja!
Frau Löhrmann, ich möchte Sie an Folgendes erinnern: Seit Dezember 2010 gibt es eine grundsätzliche, fraktionsübergreifende Verständigung. Eine solche Verständigung bedarf auch der Ermittlung der finanziellen Rahmenbedingungen. Seither sind zweieinhalb Jahre vergangen. Was haben Sie seitdem getan?
Sie schreiben weiter, Sie wollten eine grundsätzliche Verständigung innerhalb des Kabinetts erzielen. – Man fragt sich: Gibt es in Bezug auf Inklusion keine grundsätzliche Verständigung zwischen Rot und Grün? Ich wiederhole: Was haben Sie seit 2010 getan?
Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion legt gemeinsam mit den Piraten einen Entschließungsantrag vor, um durch konkrete Forderungen und Vorschläge das Gelingen der Inklusion im Schulbereich zu erreichen. Wenn Sie von Rot-Grün nicht zu einer ganz anderen Ressourcenunterstützung der Inklusion an Schulen kommen, werden Sie mit einem Rechtsanspruch auf einen Platz an einer allgemeinen Schule genauso Schiffbruch erleiden wie mit dem Rechtsanspruch auf einen U3-Platz. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion der FDP spricht Frau Abgeordnete Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inklusion ist eine Haltung, eine Geisteshaltung. Inklusion betrifft alle Menschen. Deshalb müssen auf dem Weg hin zur gelungenen Inklusion auch alle Menschen mitgenommen werden.
Inklusion ist heute keine Frage des Wollens mehr, sondern des Ausgestaltens: wie sie vonstattengehen soll. Zur Ausgestaltung dieses Inklusionsprozesses gehören – wie zu vielen anderen wichtigen Bereichen im täglichen Miteinander – die notwendigen Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen, konkrete Maßnahmen, die erst in ihrer Vielzahl und Unterschiedlichkeit zum Gelingen schulischer Inklusion beitragen.
Weil wir es hier mit dem Wichtigsten, was unser Land aufzubieten hat, nämlich unseren Kindern und Jugendlichen, zu tun haben, müssen wir höchstmögliche Sorgfalt an den Tag legen.
(Beifall von der FDP, den PIRATEN und Ursula Doppmeier [CDU])
Im Hinblick auf diese Sorgfalt haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün und die Landesregierung, Ihre Hausaufgaben in den vergangenen anderthalb Jahren leider nicht ordentlich gemacht.
Frau Ministerin Löhrmann, Sie hatten seit Dezember 2010 zur Ausarbeitung eines Inklusionsplans genügend Zeit, sich dieser Aufgabe anzunehmen, sie gewissenhaft und umfänglich zu gestalten und dringend notwendige Weichen in Sachen schulischer Inklusion zu stellen.
Nunmehr haben wir heute Ihr Eckpunktepapier als Antrag sowie seit gestern Nachmittag auch den Aktionsplan zur Behindertenpolitik vorliegen. Aber weder der von Ihnen vorgelegte Antrag noch die lediglich 16 Seiten im Aktionsplan zum Thema „Schulische Inklusion“ werden diesem bedeutenden Thema – das muss ich an dieser Stelle mit Bedauern feststellen – leider nicht gerecht.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Die Schulen brauchen einen wirklich allumfassenden Inklusionsplan und kein Stückwerk. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen wissen, welche flächendeckenden Fortbildungsmaßnahmen und -angebote es geben soll. Die Pädagogen wollen wissen, welche multiprofessionellen Unterstützungen sie verbindlich erhalten werden.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie müssen Stellung beziehen, wie viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer integrativen Lerngruppe lernen sollen und wann Doppelbesetzungen vorgesehen sind. Bei all Ihren bisherigen Vorlagen bleiben Sie vage und im Ungefähren.
Die FDP erwartet von Ihnen den wiederholt angekündigten umfassenden Inklusionsplan. Diese Forderung teilen wir mit der CDU und den Piraten.
Sie geben keinerlei konkrete Antworten auf drängende Fragen, damit Städte und Gemeinden handeln und aktiv werden können. Im Gegenteil: Wenn konkrete Maßnahmen angesprochen und gefragt sind, sollen die Kommunen in Vorleistung gehen und ihrerseits eigene Inklusionspläne erarbeiten.
Frau Ministerin, Köln hat dort vorbildlich gearbeitet. Aber ich sage Ihnen: Nicht jede Kommune ist dazu in der Lage.
(Beifall von der FDP)
Das ist Ihre Aufgabe, eine Aufgabe, die an Sie gestellt worden ist und der Sie nachkommen müssen.
Die Kommunen brauchen hier und heute Planungssicherheit. Sie brauchen verlässliche, aber vor allem konkrete Rahmenbedingungen, wenn Sie im Bereich der schulischen Inklusion jetzt und nachhaltig verstärkt aktiv werden sollen.
Für die FDP gilt für den gesamten Bereich der schulischen Inklusion: Das Konnexitätsprinzip muss strikt eingehalten werden.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Die Qualitätssicherung der Bildung für alle Schülerinnen und Schüler muss bei der schulischen Inklusion an allererster Stelle stehen. Um diese sicherzustellen, bedarf es konkreter Übergangsszenarien, an denen sich Schüler, Eltern und Lehrer orientieren können. Auch hier fehlen deutliche Antworten in Ihrem Antrag.
Sie kündigen einen Gesetzentwurf an. Aber bereits heute wollen Sie flächendeckend Förderschulen auflösen lassen können. Für die FDP – das sei an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich gesagt – ist der flächendeckende Erhalt eines Förderschulangebotes unverzichtbar.
(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Sie beabsichtigen, die Ausgestaltung notwendiger qualitätssichernder Maßnahmen bei der Schließung von Förderschulen, nämlich ein Konzept zur personellen Unterstützung der allgemeinen Schulen, erst zum Schuljahr 2014/2015 einzuführen.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: So darf Inklusion, so kann Inklusion nicht vonstattengehen. Auch beim Thema „Inklusion“ müssen verlässliche Zahlen, Daten und Planungen vorgelegt werden. Erst dann kann und darf auf Grundlage dieser gehandelt werden.
(Beifall von der FDP)
Diese unverzichtbaren konkreten Handlungsanweisungen ist die Landesregierung bis heute schuldig geblieben.
Ein letztes Beispiel möchte ich Ihnen noch geben, ein Beispiel unzureichender Unterstützungsangebote: den Inklusionsfonds. Aus diesem Inklusionsfonds sind sage und schreibe einmalig in den Jahren 2011 und 2012 – ich mache es am Beispiel Köln fest – 12.500 € für die Prozessunterstützung bei Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildung, Elternarbeit etc. geflossen. Köln hat 6.000 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Frau Löhrmann, ich frage Sie an dieser Stelle ernsthaft: Glauben Sie, dass 3 € pro Kind ausreichend sind, um diesen Prozess der Integration voranzubringen?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Auch hier muss dringend nachgebessert werden.
Ich fordere Sie hier und heute für die FDP-Fraktion auf: Legen Sie endlich für die Städte und Gemeinden, aber in allererster Linie für die Menschen dieses Landes einen dem Namen gerecht werdenden schulischen Inklusionsplan vor, und kommen Sie vor allem der Konnexitätsverpflichtung gegenüber den Kommunen nach! – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Abgeordnete Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass jetzt endlich ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird, denn dieser ist lange überfällig. Die Zeit drängt; denn während wir hier noch diskutieren, werden vor Ort bereits Fakten geschaffen.
Betrachten wir die sehr interessante Ausgangslage!
Erstens. Die Kommunen stehen unter einem hohen finanziellen Druck und haben ein großes Interesse daran, möglichst schnell möglichst viele Förderschulen zu schließen.
Zweitens. Wir haben unglaublich viele Schulaufsichtsbeamte, die ihre Vorstellung von Inklusion möglichst schnell umsetzen wollen. Das heißt, hier besteht ein gemeinsames Interesse.
Schauen wir dann mal in die Schulen. Ich weiß ziemlich genau, wovon ich hier spreche, denn bis vor ein paar Wochen war ich genau dort. Da sitzen Kinder in der Grundschule, sind völlig überfordert, entwickeln psychische Auffälligkeiten, schlafen nicht mehr, haben Bauchschmerzen. Ich kenne sogar Fälle, dass Kinder nicht mehr sprechen, keine Freunde mehr haben. Völlig verzweifelte Eltern bitten die Schulaufsicht um Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Und die Schulaufsicht erklärt, das sei nicht nötig, die Grundschule schaffe das schon. – Öffentlich erklärt die Schulaufsicht dann noch ganz stolz, über 60 Verfahren erst gar nicht eröffnet zu haben.
Diese Kinder sitzen ohne sonderpädagogische Förderung in der Grundschule. Die Grundschullehrer sind mit der Situation völlig überfordert. Und das hat mit Inklusion nicht ansatzweise zu tun!
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Das ist die inklusive Vernachlässigung von Schülern.
In der letzten Woche war ich an einem Abend bei einer Veranstaltung mit Eltern von autistischen Kindern. Diese Kinder sitzen in der allgemeinen Schule. Das hört sich ganz wunderbar an, das ist Inklusion. Viele autistische Kinder zeigen aber ein herausforderndes Verhalten. Das heißt, sie werden zum Beispiel bei Berührungen aggressiv. Hier greift dann die normale Schulordnung – die Kinder werden der Schule verwiesen. Die Eltern erzählen: Die Kinder sitzen zu Hause und werden gar nicht mehr beschult. – Die Eltern sind völlig verzweifelt, weil sie arbeiten gehen müssen und nicht wissen, was sie mit den Kindern machen sollen.
Die Liste ließe sich beliebig fortführen. In vielen Fällen sind die Schüler, für die wir eigentlich alle etwas Gutes wollen, Opfer der aktuellen Entwicklung.
Sehr geehrte Frau Löhrmann, auf Ihrer Veranstaltung „Denkfabrik“ im Oktober in Bonn gab es einen hoch interessanten Workshop zum Thema Inklusion. Leider waren Sie da nicht anwesend.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Oh!)
Ich hätte eigentlich erwartet, Sie dort zu sehen.
Ein Kinder- und Jugendpsychiater aus Marl schilderte auch dort die verzweifelte Situation von betroffenen Kindern und Eltern. Die Verweigerung der Überprüfung ihres Kindes auf sonderpädagogischen Förderbedarf bezeichnete er sehr treffend als unterlassene Hilfeleistung.
Ihr Antrag schafft da leider keine Abhilfe. Mit „könnte“, „sollte“ und anderen schwammigen Formulierungen werden Sie diesen Kindern nicht helfen. Es fehlen konkrete Festlegungen.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie fordern zum Beispiel die Arbeit im Team. Das reicht mir nicht aus. Es fehlt ein klares und eindeutiges Bekenntnis zur durchgängigen Doppelbesetzung in den Klassen.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
So hätte ich mir an vielen Stellen in Ihrem Papier genauere Aussagen darüber gewünscht, wie ein inklusives Schulsystem ganz genau aussehen soll.
Zwei Punkte liegen mir aber besonders am Herzen.
Sie sprechen immer von „Elternwille auf Augenhöhe“. Damit meinen Sie den Rechtsanspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule. Dem stimme ich übrigens ausdrücklich zu. Wir wissen allerdings alle, dass die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs nicht leicht werden wird. – Elternwille ist aber auch etwas anderes. Wenn Sie den Elternwillen ernst nehmen, dann müssen Sie den Eltern das Recht auf Eröffnung des Verfahrens geben – zumindest für die nächsten Jahre, bis neue Diagnoseverfahren entwickelt worden sind. Die Eltern sehen, wie ihr Kind leidet, und möchten wissen, was eigentlich los ist. Die Schule und die Eltern beantragen die Eröffnung eines AO-SF-Verfahrens – und die Schulaufsicht lehnt dies einfach ab. Eltern haben ein Recht auf Hilfe, und Schüler haben ein Recht auf angemessene Förderung.
(Beifall von den PIRATEN)
Wenn Eltern den Anspruch auf Eröffnung haben, können solche Dinge, wie ich sie gerade beschrieben habe, nicht mehr so schnell passieren.
Der zweite Punkt: Elternwille heißt auch, dass sich Eltern ganz bewusst für eine Förderschule entscheiden können. Die allgemeine Schule ist im Moment qualitativ kein gleichwertiges Angebot. Elternwille ist deshalb auch das Recht auf einen Platz für ihr Kind in der Förderschule.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Dann würden die eben aufgezählten Fälle, dass Kinder zu Hause sitzen, erst gar nicht eintreten. Für einige Kinder und Jugendliche ist die Förderschule, zumindest aktuell, einfach der bessere Lernort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass wir hier unser Bestes geben müssen, um wirklich kein Kind zurückzulassen. Dann müssen wir unter anderem Folgendes umsetzen: Anspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule, Elternrecht auf Verfahrenseröffnung und Anspruch auf einen Platz in der Förderschule, solange das allgemeine Schulsystem keine qualitativ gleichwertige Alternative ist.
Den Antrag der FDP fand ich in Teilen sehr gut. Die Ansätze waren prima. Was ich nicht verstehe, ist, dass das erste heute auf den Tisch kommt.
Das Thema „Inklusion“ eignet sich nicht für parteitaktische Spielchen. Wir sollten hier wirklich alle gemeinsam daran arbeiten, das Beste für unsere Schüler zu erreichen.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Wir sollten versuchen, einen möglichst breiten Konsens zu finden und keine faulen Kompromisse, denn faule Kompromisse haben die Kinder nicht verdient. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich sagen, dass ich mich auf die Arbeit im Bereich „Schule und Weiterbildung“ auch in der neuen Legislaturperiode sehr freue, und ausdrücklich anbieten, mit allen Fraktionen zusammenzuarbeiten. Die Fraktionen, die den Schulkonsens getragen haben, wissen das. Aber für die neue Fraktion und die neuen Kolleginnen und Kollegen im Schulausschuss möchte ich das hier zu Beginn noch einmal deutlich machen.
Ich glaube, es bleibt genug zu tun. Und dass wir alle das im Sinne der Kinder und Jugendlichen tun wollen, die unsere Schulen besuchen, das sollten wir gegenseitig annehmen.
In der Debatte jetzt, Herr Kaiser, Frau Gebauer und auch Frau Pieper, sind Anforderungen an den Inklusionsprozess formuliert worden. Das ist legitim. SPD und Grüne tun das auch. Allerdings: Die Sicherheiten, Herr Kaiser, die Sie jetzt dokumentiert haben wollen, die Anforderungen, die Sie stellen – durchgängige Doppelbesetzung –, kann man schön finden, man muss aber dazusagen, dass das 10.000 Stellen zusätzlich zur Bewältigung der demografischen Effekte bedeuten würde. Wie passt das mit Ihren Haushaltsforderungen zusammen? Das will ich der Ehrlichkeit halber zu Beginn auch sehr deutlich sagen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Frau Gebauer, Sie haben gesagt, wir hätten 12.500 € ausgegeben. Das war ein Fonds. Das ist ein Teil mit einer Aufgabe. Übrigens ist das Geld in Absprache mit den kommunalen Spitzenverbänden verwendet worden. Zur Wahrheit gehört auch dazu – das können Sie nicht wissen, das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf, ich will es hier nur auch sagen –: Als ich mein Amt angetreten habe, standen für den Bereich des gemeinsamen Lernens in den Schulen rund 500 Stellen zur Verfügung – inzwischen haben wir diese Stellenzahl mehr als verdoppelt, inzwischen stehen rund 1.200 Stellen für den Bereich des gemeinsamen Lernens zur Verfügung. Also eine satte Verdoppelung der Stellenzahl! Auch das gehört dann bitte zur Wahrheit dazu.
Herr Kaiser, eine Anmerkung: Wenn erst die ganzen Anforderungen, was alles geklärt sein müsste, bevor man etwas anfängt, erfüllt werden müssten, wenn erst die Sicherheit und die Vorbereitung der Schulen, die Sie hier anführen, erbracht werden müssten, dann hätten Sie bis heute keinen Gesetzentwurf zur Verkürzung der Gymnasialzeit auf G8 eingebracht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Also: Bleiben wir bitte auf dem Teppich!
Es ist ein schwieriger Prozess, es ist ein herausfordernder Prozess. Aber wir fangen auch nicht bei null an, denn wir haben erfreulicherweise auch heute schon eine Steigerung des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Handicap.
(Zuruf von der CDU)
– Es wird besser gelingen. Da bin ich ganz zuversichtlich. Dass ich den Beteiligten den Stand jeweils transparent mache und ihnen die Situation schildere, das finde ich richtig.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass sich der Landtag vor der Sommerpause noch einmal mit den Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention auf unser Schulangebot in Nordrhein-Westfalen befasst. Das Thema brennt vielen Menschen auf den Nägeln, vor allem den in erster Linie Betroffenen, also den Familien mit Kindern mit Behinderungen, aber auch den Lehrkräften, den Eltern, den Schulträgern und der Schulaufsicht.
Sie alle warten auf Entscheidungen, wie die Weiterentwicklung unserer Schule hin zu einem inklusiven Schulsystem erfolgen soll. Der vorliegende Antrag, der Ausgangsantrag von SPD und Grünen, gibt diese Signale, auch wenn er sicherlich noch nicht alle Fragen beantwortet und auch nicht beantworten kann. Aber er steckt den Rahmen ab und gibt der Landesregierung endlich offiziell den Auftrag, in welche Richtung der Gesetzentwurf erarbeitet werden soll. In diesem Prozess sind dann auch die weiteren Fragen zu klären. Eins nach dem anderen!
Ich hoffe und will das hier noch einmal sagen, obwohl die Signale der Debatte ja andere waren, dass dieser Antrag heute eine breite Unterstützung erfahren wird, wie dies beim Beschluss des Landtags am 1. Dezember 2010 der Fall war.
Warum ist dieser Antrag, die heutige Entscheidung so wichtig? Es ist ein politisches Signal an die Öffentlichkeit. Der Antrag zieht ein Zwischenfazit in der Frage, mit der wir uns hier im Landtag in den letzten Monaten der zurückliegenden Legislaturperiode intensiv befasst haben, sowohl im Schulausschuss als auch in vielen Gesprächen am Rande. Dabei ging es darum – Frau Hendricks hat das angesprochen –, das Spannungsverhältnis zwischen dem ursprünglichen Landtagsbeschluss vom 1. Dezember 2010 und den Vorschlägen der von der Landesregierung beauftragten Gutachter Prof. Klemm und Prof. Preuss-Lausitz aufzulösen.
Ich will das noch mal sagen: Im Zentrum stand dabei die Frage, ob der Landtag angesichts der Gutachterempfehlung seinen Grundsatz einschränkt, dass Eltern weiterhin die Förderschule wählen können, konkret: ob der Landtag sich dem Rat der Gutachter anschließt, diese Wahlmöglichkeiten auf vier der sieben sonderpädagogischen Förderschwerpunkte zu begrenzen und die Förderschulen mit den Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache generell auslaufen zu lassen. Diese Frage muss das Parlament klären, damit die Regierung einen klaren Auftrag hat.
Verehrter Herr Kaiser, Sie wissen das doch selbst: Seit die Gutachtervorschläge auf dem Tisch lagen, haben wir intensivst mit der CDU Gespräche geführt, sind leider nicht zu einem Abschluss gekommen, hatten aber eine Verständigung für die März-Sitzung des Parlamentes, dass Sie sich bei der Abstimmung über unseren Antrag enthalten würden, damit wir wüssten, in welche Richtung die Regierung arbeiten sollte. Auch darum ist Zeit verloren gegangen. Das will ich hier auch für die Öffentlichkeit sehr deutlich markieren: dass das nicht etwa mangelndes Interesse oder Lustlosigkeit der Regierung oder der Regierungsfraktionen war.
Für eine Minderheitsregierung ist diese grundsätzliche Klärung im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfahrens natürlich von größerer Bedeutung. als das in der jetzigen Situation der Fall ist. Dass die Regierungsfraktionen den Antrag gleichwohl nahezu unverändert wieder eingebracht haben, soll ein deutliches Signal sein, dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen weiterhin an einer möglichst breiten, gemeinsamen Linie interessiert sind.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das finde ich auch richtig. Wir haben uns die Entscheidung in dieser Frage nicht leicht gemacht. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, haben mitten in den Gesprächen mit uns im Dezember 2011 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem Sie Ihre Anforderungen bei der Weiterentwicklung unserer Schulen zu einem inklusiven Schulsystem formuliert haben. Darin ist von Qualität, von einem behutsamen Vorgehen, von notwendiger Unterstützung die Rede. Viele dieser Passagen – das war doch Ergebnis des gemeinsamen Ringens um einen Antrag – finden Sie genau deshalb auch im Antrag von SPD und Grünen wieder. Das macht deutlich, dass wir hier keinen Dissens sehen und ja wohl auch nicht haben.
Meine Damen und Herren, was den Inklusionsprozess angeht, sind die Regionen in Nordrhein-Westfalen unterschiedlich weit. Wir haben Integrationsquoten von um die 10 %; das ist sehr wenig. Wir haben aber auch Inklusionsquoten von um die 40 %; das ist sehr viel. Wir haben hier eine sehr unterschiedliche Ausgangslage. Allein das verbietet die Meinung, nur auf einen Knopf drücken zu müssen und schon wäre das überall ein vergleichbarer Prozess.
Um dieser Verschiedenheit und dieser Unterschiedlichkeit gerecht zu werden, schlagen die Regierungsfraktionen nunmehr vor, Öffnungsklauseln in der Schulgesetznovelle vorzusehen. Einzelne Regionen, kreisangehörige, aber auch kreisfreie Städte sollen auf Förderschulen verzichten können, wenn sie es für richtig halten.
Eine solche Öffnungsklausel im Schulgesetz stärkt die kommunale Selbstverwaltung und folgt dem von der Landesregierung gepflegten Stil und der Strategie und Kultur der Ermöglichung und nicht der zwangsweisen Vorgehensweise. Sie eröffnet Spielräume mit Blick auf den ländlichen und städtischen Raum, mit Blick auf Elternwünsche und Traditionen und nicht zuletzt mit Blick auf den von der Vorvorgängerregierung gestarteten Schulversuch „Kompetenzzentren für die sonderpädagogische Förderung“. Auch dieser Schulversuch hat sehr unterschiedlich gewirkt. Er hat in einzelnen Regionen sehr anspruchsvolle Zielsetzungen ausgelöst. Diese Gemeinden sollten wir doch nicht davon abhalten, weiter zu gehen als andere Gemeinden, wenn sie das für richtig halten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, der Antrag fordert uns als Landesregierung zudem auf, den grundsätzlichen Rechtsanspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule für Kinder mit Behinderungen schrittweise beginnend mit Klasse 1 und 5 umzusetzen. Auch das entspricht einer Linie, die darauf zielt, die Beteiligten im Weiterentwicklungsprozess nicht zu überfordern. Und es entspricht dem weit verbreiteten Wunsch auch der Lehrerverbände und jener Eltern, deren Kinder Förderschulen besuchen.
Ich verstehe, dass die Selbsthilfeorganisationen der Menschen mit Behinderungen gerade diese Schrittfolge kritisch sehen. Da wir aber mit der Einschulung die wichtigste Schnittstelle zuerst anpacken und gleichzeitig weiterhin versuchen werden, dem Wunsch von Eltern nachzukommen, die einen Platz für ihr Kind mit Behinderung in einer allgemeinen Schule suchen, hoffe ich, dass wir auch hier auf Akzeptanz stoßen.
Ganz wichtig ist aber, dass wir als Landesregierung mit diesem Antrag auch aufgefordert werden, parallel zur Vorlage einer Schulgesetznovelle ein Konzept zur Festlegung und Deckung des Ressourcenbedarfs vorzulegen.
Hier möchte ich doch auf die Kritik aus den Reihen der CDU-Fraktion eingehen. Von „Inklusion light“ haben Sie in einer Presseerklärung gesprochen und erklärt, dass Sie konkrete Aussagen zu den Rahmenbedingungen in diesem Antrag vermissen. – Das ist kein Wunder, wenn hier die ausdrückliche Aufforderung ergeht, diese konkreten Aussagen im Zusammenhang mit der Schulgesetznovelle zu treffen. Wir müssen doch erst eine Entscheidung haben, nach welcher Rechtskonstruktion wir vorgehen wollen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Antrag beschlossen wird.
So sollen künftig alle Schülerinnen und Schüler, die eine allgemeine Schule besuchen, auch beim Lehrerstellengrundbedarf dieser Schule berücksichtigt werden, also auch jene Kinder, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Das sind derzeit 27.000. Vielleicht wird durch diese Zahl deutlich, welch eine enorme Investition dies für unsere Schulen bedeutet und dass ein solcher Lehrerstellengrundbedarf insbesondere für die Grundschulen eine wichtige und notwendige Unterstützung bedeutet.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Gleichzeitig sollen wir prüfen, ob die sonderpädagogische Förderung künftig aus einem Stellenbudget gewissermaßen als Mehrbedarf für jene Schulen hinzukommt, an denen diese Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Bei diesen Eckpunkten folgt der Antrag den Vorschlägen der Gutachter. Mit einem Stellenbudget sollen die Etikettierung und die Stigmatisierung der Kinder – auch das ist Auftrag der Behindertenrechtskonvention – aufgelöst werden, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens und der Verbändebeteiligung werden wir selbstverständlich klären, wie groß dieses Budget sein soll.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass auch diejenigen, die ungeduldig sind – ich kann das sehr gut nachvollziehen, auch ich war sehr ungeduldig und habe diesen Antrag herbeigesehnt –, Verständnis dafür haben, dass eine solche Klärung nicht innerhalb von zwei oder drei Wochen nach einer Regierungsneubildung erfolgen konnte.
Das ist auch der Grund, warum in dem gestern beschlossenen Aktionsplan unter Federführung von Guntram Schneider die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ hierzu noch keine konkreten Aussagen getroffen werden konnten. Gleichwohl sind in dem Aktionsplan Handlungsfelder und Planungen sehr konkret formuliert, sodass deutlich wird, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht schließen, ohne zumindest ein Wort zur aktuellen Situation in den Schulen zu sagen. Nach allen mir vorliegenden Information ist es auch für das kommende Jahr gelungen, den Wünschen von Eltern, die für ihr Kind einen Platz in einer allgemeinen Schule wollten, weitestgehend nachzukommen. Es ist nicht immer die Wunsch-Schule gewesen, aber ein Angebot zum gemeinsamen Lernen. Dieser Erfolg gebührt den Schulen, den Schulträgern und auch der Schulaufsicht, weil sich alle bemühen, dem Wunsch der Eltern gerecht zu werden. Ich will aber gar nicht verschweigen, dass an vielen Orten Schwierigkeiten entstehen. Viele Schulen sind nur auf mehr oder weniger sanften Druck der Schulaufsicht bereit gewesen, sich der Aufgabe zu stellen.
Meine Damen und Herren, wir beabsichtigen weitere Maßnahmen. – Die Fortbildung ist gesetzt. Eine Qualifizierungsmaßnahme für Lehrerinnen und Lehrer ist gesetzt. All das ist in Planung. Wir werden all das im Gesetzgebungsverfahren zusätzlich berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole meinen Appell: Ich wünschte mir, dass es hier breite Unterstützung gäbe. Es ist gesagt worden, dieses Thema eigne sich nicht für parteipolitische Profilierungen. Es war bisher unsere gemeinsame Überzeugung, dass wir hier beieinanderbleiben wollen. Das wünsche ich mir für den Prozess. Das Wohlergehen der Kinder bzw. diese schwierige Aufgabe verdienen eigentlich ein möglichst gemeinsames Agieren.
Ich freue mich auf die Beratungen und auf Ihre Unterstützung beim Gesetzgebungsverfahren, auch wenn Sie heute dem Antrag vielleicht doch nicht Ihre Zustimmung geben können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Prof. Dr. Sternberg.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Schreiben vom Freitag als Information an den Gesprächskreis formuliert, die Umsetzung der UN-Konvention stehe ganz oben auf der Agenda der neu-alten Regierung. Ich denke, das ist auch absolut wichtig; denn angesichts der Erwartungen, Hoffnungen und auch Befürchtungen, die es da gibt, ist es auch gar nicht anders zu machen.
Wir merken jetzt nur eines: Nach den grundsätzlichen Übereinkünften und klaren Erklärungen kommen inzwischen die außerordentlich schweren Mühen der Ebene. Diese Mühen der Ebene betreffen einen Umsetzungsprozess, der nicht deshalb ein Jahr stillgelegen hat, Frau Hendricks, weil eine Opposition das irgendwie nicht richtig gemacht hätte, sondern weil sich eine Menge von sachlichen Schwierigkeiten ergeben haben, bei denen man springen muss und die man anerkennen muss.
Meine Damen und Herren, wir sind in Ziel und Grundsatz gleich. Wir werden aber auf der Ebene der Sachfragen das tun, was in einem Parlamentarismus Aufgabe der Opposition ist: Wir werden mitarbeiten, aber wir werden uns als Kontrolle der Regierung verstehen. Die Angebote der Mehrheitsfraktionen werden wir nicht unkritisch abnicken.
Meine Damen und Herren, wenn der breite gesellschaftliche Konsens in dieser Frage – der ist wichtig – verlassen wird bzw. wenn da Fehler gemacht werden, würde schlimmstenfalls Vertrauen der betroffenen Schulen, der Lehrer, Eltern und Schüler verspielt werden.
Der Antrag von CDU und Piraten ist deswegen die notwendige Konkretisation. Vergleicht man einmal die beiden Anträge, so gibt es durchaus textliche Ähnlichkeiten, welche – die Ministerin hat gerade darauf hingewiesen – nicht zufällig sind.
Für uns stehen das Wohl des jeweiligen Kindes, seine optimale Förderung und seine vollständige Integration im Mittelpunkt – aber eben mit ganz bestimmten Gelingensbedingungen, die wir benennen.
Als ich jetzt auf die Schnelle die Tischvorlage der FDP durchgesehen habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass da so viel anderes auch nicht drinsteht. Wir hätten uns, glaube ich, auf ein gemeinsames Papier verständigen können; denn in der Sache sind wir meiner Meinung nach ganz nah beieinander.
Frau Pieper bin ich außerordentlich dankbar, dass sie vorhin einmal Beispiele gebracht hat, wie so etwas in der Praxis aussieht. Ich gehe einmal auf die Unterschiedlichkeiten der Papiere ein, Frau Beer. Es gibt da erhebliche wichtige Unterschiede. Ich nenne nur eine Kleinigkeit. In unserem Antrag heißt es sinngemäß: Die momentan geltende Qualität der sonderpädagogischen Förderung darf in Inklusion nicht unterschritten werden. – Das ist in „soll bewahrt werden“ abgemildert worden. Das ist etwas sehr viel Weicheres.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Was die Angaben zur Konnexität angeht, so warten die betroffenen Träger außerordentlich dringlich darauf, dass insofern eindeutige Aussagen erfolgen.
Ich bin sicher, dass solche Konkretisationen nötig sind. Das betrifft unter anderem die Vorbereitung der Schulen. Die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen haben Angst davor, dass sie jetzt plötzlich Inklusion machen müssen, ohne überhaupt vorbereitet zu sein. Das heißt, Vorbereitung ist zwingend.
Ganz wichtig ist im Moment das Problem der sogenannten kalten Inklusion. Ich hörte aus etlichen Kreisen des Landes, dass im Schuljahr 2010/2011 die Zahl der Förderkinder zurückgegangen ist. Eine Pädagogin sagte mir, warum das so ist. Sie hatte elf Anträge auf sonderpädagogische Prüfung, auf AO-SF-Verfahren, gestellt. Von diesen elf Verfahren ist nur eines durchgeführt worden. Die anderen zehn Kinder sind zwar auch noch da; aber nur bei einem gab es eine Anerkennung.
Frau Pieper hat vorhin die 60 Fälle aus Bochum benannt. Meine Damen und Herren, AO-SF muss – darüber sind wir uns alle im Klaren – überarbeitet werden; denn AO-SF kann auch zur Stigmatisierung führen. AO-SF ist aber nicht nur die Zuweisung zu einem Förder- oder Schulort, sondern die Begründung eines Rechtsanspruchs. Und die Begründung des Rechtsanspruchs für Eltern „Mein Kind hat das Recht, gefördert zu werden“ muss gewahrt bleiben. Das ist absolut erforderlich. Wir werden darauf achten, dass das funktioniert.
Meine Damen und Herren, wir werden aufpassen, dass die kalte Inklusion nicht kostengünstig durchgezogen wird. Denn die mag vielleicht zu einem guten Gewissen vor geltenden Auffassungen und zu Kosteneinsparungen führen; aber wir werden darauf achten, dass das nicht passiert. Und wir werden zu verhindern wissen, dass die alten, überwunden geglaubten Systemdebatten über das Thema „Inklusion“ wieder eingeführt werden.
Deswegen steht in unserem Antrag, dass die Spezifik unterschiedlicher Schulformen und ihre Authentizität und ihr pädagogisches Profil erhalten bleiben müssen.
Meine Damen und Herren, für uns steht das Wohl des jeweiligen Kindes im Mittelpunkt. Die volle Integration dieser Kinder ist unser Ziel. Wenn das in einer entsprechenden Novelle zum Schulgesetz erkennbar ist, werden wir auf jeden Fall weiterhin, wenn auch kritisch, daran mitarbeiten. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns hier im Hause in der Zielsetzung in vielen Punkten weitgehend einig. Es gibt aber Unterschiede im Weg. Deswegen finde ich es ausgesprochen bedauerlich, dass wir nicht die Möglichkeit haben, anschließend im Fachausschuss über den vorliegenden Antrag zu diskutieren, sondern er hier sofort abgestimmt wird.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
– Frau Beer, wenn Ihnen tatsächlich so viel am Diskurs gelegen ist, sollten Sie auch für sich akzeptieren, dass Sie nicht die allein selig machende Inklusionspolitikerin hier im Hause sind,
(Beifall von der FDP und der CDU)
sondern dass es auch andere Leute gibt, die eine dezidierte und überlegte Meinung vortragen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht nicht um Parteitaktik, wenn man beim Weg unterschiedliche Auffassungen hat, sondern es geht um die Kinder in Nordrhein-Westfalen, für die wir Verantwortung tragen.
Ich möchte noch einmal auf zwei Punkte kommen, bei denen zwischen uns erhebliche Unterschiede im Weg sichtbar werden:
Das eine ist das Tempo. Wir haben ein Problem damit, dass Sie mit einem Rechtsanspruch den Eltern Dinge andeuten, die letztendlich aufgrund der von Ihnen nur mangelhaft erbrachten Vorbereitung in der Praxis nicht umsetzbar sind.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Wir wollen an den Anfang eine solide Vorbereitung stellen.
Das Zweite ist die Zukunft der Förderschulen. Der Grund, warum unser Entschließungsantrag so spät gekommen ist, ist, dass wir gestern noch bis Mitternacht den Aktionsplan eingearbeitet haben, in dem steht, dass Förderschulen, die sich auch für andere Kinder öffnen wollen, in allgemeine Schulen umgewandelt werden müssen. – Ich verstehe nicht, warum Sie den Förderschulen an allen Stellen Knüppel zwischen die Beine werfen.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Wir sollten die Förderschulen zum integralen Bestandteil des Inklusionsprozesses machen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben drei Abstimmungen vor uns.
Wir stimmen erstens über den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/118 ab. Es ist direkte Abstimmung beantragt. Wer ist für diesen Antrag? – SPD, Grüne und Piraten sind dafür. Wer ist gegen diesen Antrag? – CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Sechs Enthaltungen in der Fraktion der Piraten. Das ändert nichts an der Mehrheit für den Antrag. Der Antrag ist angenommen.
Wir kommen zweitens zum gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktion der Christdemokraten und der Fraktion der Piraten Drucksache 16/168. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Erwartungsgemäß die Fraktion der Piraten und die Fraktion der CDU.
(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf dem Weg zu Minister Guntram Schneider.)
– Das regeln wir gleich nach.
(Heiterkeit – Zuruf: Heh! – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Wer ist gegen diesen Antrag? – SPD-Fraktion und Grünen-Fraktion. Gibt es Enthaltungen?
(Die FDP enthält sich.)
Das ist nicht der Fall. Damit ist das Ergebnis …
(Zurufe von der FDP)
– Pardon, ich schaue immer nur dahin.
(Vizepräsident Oliver Keymis weist auf die Piraten. – Beifall von den PIRATEN)
Aber es freut mich, wenn das Ganze so lebendig abläuft. Da guckt man bei den Enthaltungen genauer hin, und jetzt sehe ich es auf einen Blick: Die FDP-Fraktion enthält sich geschlossen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir stimmen drittens über den Entschließungsantrag der FDP Drucksache 16/172 ab. Wer stimmt dem Antrag zu? – Die FDP-Fraktion. Gibt es Gegenstimmen? – SPD und Grüne. Gibt es Enthaltungen? – Bei der Fraktion der Piraten und bei der Fraktion der CDU Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt.
Wir kommen zu:
3 Bekenntnis zur Jugendbeteiligung mit Leben füllen – Verantwortung des Landes wahrnehmen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/44
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Hafke das Wort.
(Unruhe – Glocke)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn wir am Ende eines arbeitsreichen Plenarjahres sind, darf ich Sie bitten, den Raum leiser sprechend oder am besten schweigend zu verlassen, damit sich der Redner Gehör verschaffen kann. – Herr Kollege Hafke, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der eine oder andere wird vielleicht gerade das Gefühl eines Déjà-vu haben. Das Gefühl täuscht nicht. Bereits zu Beginn der letzten Legislaturperiode haben wir als eine der ersten Initiativen den Antrag zur Jugendbeteiligung eingebracht. Nun bringen wir ihn erneut als eine der ersten Initiativen ein. Das zeigt erstens: Das Thema ist uns nach wie vor wichtig. Es zeigt zweitens aber auch: Es ist in den letzten zwei Jahren nicht viel passiert.
Insbesondere für die neuen Kolleginnen und Kollegen möchte ich noch einmal das bisherige Beratungsverfahren in Erinnerung rufen. Wir haben den Antrag, den wir explizit in der Hoffnung auf eine gemeinsame Lösung eingereicht haben, debattiert. Dabei sind leider sehr viele Dinge vermischt worden. Das war von den Zweiflern unter uns geschickt gemacht, weil man damit die vermeintlichen Hürden für eine Realisierung immer höher gelegt hat. Dabei kommt unser Antrag mit sehr reduzierten und damit konkreten Forderungen daher. Das könnte man, wenn man will, sehr schnell realisieren.
Wir haben dann eine Anhörung durchgeführt, die uns in unseren Forderungen bestärkt hat. Insbesondere die Idee einer Unterstützungsstelle hat einhellig Zustimmung erfahren.
Deshalb haben die Kollegen von den Grünen die Idee mittlerweile abgeschrieben und als eigene Forderung übernommen. Erst nach zwei Jahren ist es SPD und Grünen gelungen, den gewünschten gemeinsamen Antrag mit uns auf den Weg zu bringen. Mit der Neuwahl ist dieser Antrag hinfällig. Da sich die Dinge nicht bewegt haben, möchten wir nun das ganze Vorhaben wieder neu beleben. Wir haben zwei Jahre verloren. Das müsste ein Ansporn sein, um jetzt endlich zu handeln.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Unterstützungsstelle. Wir freuen uns sehr, wenn andere von uns lernen. Insofern ist es ein Anfang, wenn die Grünen diese Forderung übernehmen. Wir freuen uns auch, dass das im Koalitionsvertrag steht. Damit endet dann aber auch die Freude; denn was dort im Koalitionsvertrag steht, ist noch nicht einmal eine Absichtserklärung. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
„Eine Servicestelle Jugendbeteiligung kann helfen, Initiativen zu unterstützen, die das Ziel der Ausweitung und Verbesserung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene haben.“
Mal abgesehen davon, dass hier allein die kommunale Ebene und nicht das Land angesprochen ist: Warum schreiben Sie nicht, dass Sie eine Servicestelle einrichten wollen, wenn eine solche helfen kann? – Wir haben hierzu pragmatische Lösungen aufgezeigt, die man ohne zusätzliche Kosten realisieren könnte. Ich erwarte eine klare Ansage darüber, ob Sie das, was Sie für richtig halten, im Ergebnis auch umsetzen möchten.
Zum Thema Neutralität: Wir haben immer dafür plädiert, die Unterstützungsstelle nicht beim Ministerium anzugliedern. Dies nicht deshalb, weil wir nicht die Ministerin stellen, sondern weil wir die Perspektive haben, dass der Kinder- und Jugendrat Nordrhein-Westfalen wirklich in der Landespolitik mitspricht. Das wird er mal im Einklang mit dem Ministerium, mal mit der Mehrheit hier im Haus und manchmal eben auch nicht machen. Wir brauchen deshalb eine neutrale Instanz, die die Jugendlichen unterstützt.
Ich sehe die Entwicklung momentan durchaus etwas kritisch. Das Ministerium bemüht sich zwar um den Kinder- und Jugendrat in Nordrhein-Westfalen. Jetzt haben die jungen Leute sehr hochwertige tolle Werbematerialien in Landesfarben bekommen. Das gönne ich dem Jugendrat auch. Aber mit Beteiligung an sich hat das relativ wenig zu tun. Ich möchte davor warnen, dass der Kinder- und Jugendrat zu stark unter die Fittiche des Ministeriums genommen wird. Das hat mit Beteiligung nichts zu tun. Wir dürfen keine Alibibeteiligung unterstützen.
(Beifall von der FDP)
Ich möchte Sie deshalb bitten, ehrlich mit den jungen Menschen zu sein. Es gibt also auch Déjà-vus bei den Wünschen. Lassen Sie uns mutig sein und endlich umsetzen, was wir umsetzen können. Wir haben zwei Jahre verloren. Es ist höchste Zeit, dass sich das Landesparlament für die selbstvertretenen Belange von Kindern und Jugendlichen öffnet. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Hafke. – Für die SPD spricht Herr Kollege Jörg.
Wolfgang Jörg (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Marcel Hafke, ich finde, die zwei Jahre waren nicht ganz umsonst. Wir haben doch einige Erkenntnislagen in unseren Gesprächen und in der Anhörung erweitern können. Es war sehr konstruktiv. Gerade wenn man es gut machen will, erfordert Parlamentarismus auch schon einmal Zeit. Natürlich habe ich ein Déjà-vu, weil ich vor zwei Jahren angeboten habe, zusammenzuarbeiten und zu versuchen, gemeinsam im Parlament eine Lösung zu finden. Wir waren wirklich auf einem guten Weg. Letztendlich haben wir einen Antrag erreicht.
Jetzt sind in der Tat zwei Jahre ins Land gegangen und wir haben eine neue Situation. Die CDU wird sich wahrscheinlich nicht einbringen, um eine vernünftige Lösung zu finden. Das hat sie bisher nicht gemacht – warum sollte sie es jetzt machen? Aber wir haben ja jetzt ein paar Seeräuber, die hier mit einer großen Welle gestrandet sind. Ich finde, diese sollten wir ins Gespräch einbeziehen. Es kann ganz belebend sein, über die von uns entwickelten Diskussionsstränge hinaus ein paar Impulse zu bekommen.
Ich finde es nach wie vor sehr richtig, dass sich die FDP von ihrer alten Politik aus den Zeiten, als sie der Landesregierung angehörte, löst. Damals wurden demokratische Rechte für Jugendliche eher abgebaut; Stichwort: Zweidrittelparität. Es weht ein neuer Wind. Ich hoffe, dass mit Christian Lindner eine Kurskorrektur zur Frage des Wahlalters stattfinden wird. Wir müssen als Parlament gemeinsam dafür eintreten, dass Jugendliche in der Tat mitwählen und mitbestimmen dürfen. Ab 16 Jahren ist dies genau der richtige Weg, um Jugendliche an die Demokratie heranzuführen.
Ich muss meine Redezeit gar nicht ausschöpfen. Wir sind sehr froh, dass wir diesen Weg bisher gemeinsam gegangen sind. Wir möchten ihn gemeinsam mit der FDP und jetzt auch mit den Piraten weitergehen. Diesbezüglich sollten wir in Konsolidierungsgespräche eintreten. Die CDU hat sich disqualifiziert, aber das ist nicht unser Problem. Sie sind herzlich eingeladen, dazuzukommen, falls Ihnen danach ist, mit uns zusammen konstruktiv zu arbeiten.
Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen. Lieber Marcel Hafke, ich persönlich glaube, dass wir nicht wieder zwei Jahre brauchen, weil wir in den zwei Jahren schon einiges aufgearbeitet haben. Ich hoffe, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Jörg. – Für die CDU-Fraktion spricht Walter Kern.
Walter Kern (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mehr Jugendbeteiligung zu erreichen, ist ein richtiger und zeitgemäßer Weg. Für parlamentarische Arbeit bei Jugendlichen Bewusstsein zu schaffen und das Verständnis für unsere Demokratie zu fördern, ist eine tägliche Herausforderung und liegt in unserem gemeinsamen Interesse.
Den § 6 des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes zu praktizieren und Kinder und Jugendliche zu beteiligen, wenn es um Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen geht, ist die konkrete Aufgabenstellung. Deshalb begrüßen wir diesen Antrag der FDP.
Allerdings sollten wir das Thema komplexer sehen. Demokratie zu fördern – ob kommunal oder auf Landesebene – ist keineswegs nur durch Jugendparlamente und Partizipationsmodelle möglich, sondern insbesondere auch durch die konsequente Stärkung der wichtigen nonformalen Bildung.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Jugendarbeit ist ein wesentlicher Schlüssel zur Demokratieförderung, da Jugendliche in diesem Bereich früh in Verantwortung für mehrheitliche Entscheidungen kommen, die sie dann auch gemeinsam tragen müssen. Das gilt bei der Jugendfeuerwehr genauso wie bei den Nachwuchsgruppen der Umweltverbände. Hier wird Persönlichkeit entwickelt und Demokratiebewusstsein gefördert. Hier wird Verantwortung für den Nächsten geschult und übernommen. In diesem vorpolitischen Raum werden die Leistungsträger und Demokraten von morgen geprägt.
Die Chancen, mehr Demokratieverständnis und Mitverantwortung bei Kindern und Jugendlichen zu fördern, liegt nicht nur in parlamentarischen Lösungen, sondern auch in der sorgfältigen Entwicklung des niederschwelligen Zugangs zu Partizipationsmodellen in Kindergärten, Schulen und in der Freizeit.
Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, Kinder und Jugendliche müssen spüren und wissen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden und dass unsere Demokratie nur funktionieren kann, wenn Verantwortung und Entscheidungen im engen Zusammenhang stehen und ihre Mitwirkung willkommen und erforderlich ist.
Meine Damen und Herren, Kinder- und Jugendbeteiligung ist kein Selbstzweck. Sie ist eine Bereicherung für unsere Gesellschaft und erfordert eine umfassende Unterstützung auf allen politischen Handlungsebenen. Sie sichert unsere demokratischen Strukturen von morgen. Deshalb ist das Ziel des Antrags auch richtig, womit ich sagen will, dass es erforderlich ist.
Die FDP hat einen sinngemäßen Antrag vor knapp zwei Jahren eingereicht. Die Anhörung am 17.03.2011 hat meines Erachtens deutliche Hinweise ergeben, wo wir die institutionelle Unterstützung ansiedeln können – bei den Landesjugendämtern.
Am 23.02.2012 haben dann SPD, Grüne und die FDP einen weiteren Antrag eingebracht. Dessen Behandlung wurde durch Auflösung des Landtages jäh abgebrochen.
Seit der ersten Antragsstellung sind jetzt also zwei Jahre vergangen. Ich nenne das die Offenlegung der Langsamkeit im Schäfer-Ressort.
(Beifall von der CDU)
Wer ernsthaft junge Menschen für parlamentarische Arbeit begeistern will, der muss hier mehr Gas geben. Jugendliche wollen berechtigterweise zeitnahe Entscheidungen. Das gilt auch deshalb, weil die sich schnell verändernde Lebenssituation eine hohe Fluktuation in den Gremien mit sich bringt. Der Jugendlandtag und insbesondere der Kinder- und Jugendrat NRW sind wichtige Plattformen für eine Weiterentwicklung der Partizipation. Darauf können wir aufbauen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jörg?
Walter Kern (CDU): Gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Kollege Jörg.
Wolfgang Jörg (SPD): Lieber Walter Kern, Sie haben gerade die Langsamkeit des Schäfer-Ministeriums beschrieben. Welche Initiative gab es denn zwischen 2005 und 2010 zur Jugendpartizipation durch die alte schwarz-gelbe Landesregierung?
Walter Kern (CDU): Ich denke, in den Kommunen gab es sehr viele Initiativen. Es gab keine Landesinitiative. Das ist eingestanden. Nichtsdestotrotz ist das ein Antrag der FDP und nicht einer von euch.
(Christian Lindner [FDP]: Nein, natürlich gab es eine Landesinitiative! Wir haben ein eigenes Programm im Landeshaushalt eingebracht! 250.000 € für die Jugendbeteiligung im Landeshaushalt! – Unruhe und weitere Zurufe)
– Das ist richtig. Herr Jörg, der Hinweis von Herrn Lindner ist richtig. Seinerzeit hat die FDP den Antrag gestellt, diese Mittel einzubringen. Das ist richtig, Christian. Ich kann mich daran erinnern.
Die Beteiligung junger Menschen ist unseres Erachtens eine gemeinsame Aufgabe aller im Landtag vertretenen Fraktionen. Nach Überzeugung der CDU müssen wir ein Gesamtkonzept erstellen, um Kinder und Jugendliche durch Informations-, Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen in den Beteiligungsmöglichkeiten zu stärken. Deshalb ist nonformale Bildung im Landesjugendplan in besonderer Weise zu nennen. Da haben wir ja auch noch freie Mittel. Damit könnte man schneller an die Ziele kommen.
Anbieter von nonformalen Bildungsangeboten und insbesondere Kindertageseinrichtungen und Schulen müssen in der Förderung von Partizipationsmodellen gestärkt werden. Echte Mitwirkungs- und Mitentscheidungsformen sind so transparent zu entwickeln, dass Entscheidungswege initiativ und zeitnah beschritten werden können.
Die Kinder und Jugendlichen müssen davor geschützt werden, in ihrem Handeln instrumentalisiert zu werden. Der die Demokratie fördernde Nutzen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss durch Öffentlichkeitsarbeit in der Bevölkerung begleitet werden. Es darf keine Alibibeteiligung Jugendlicher geben. Die Beteiligung muss konkret sein.
(Beifall von der CDU)
Jugendliche müssen spüren, dass ihr Wissen und Können gefordert und geschätzt werden.
Um bei den natürlichen Wellenbewegungen in Jugendparlamenten und anderen Partizipationsmodellen die Qualität der Arbeit zu sichern, sind feste Zuständigkeiten in der Mediatorenbeteiligung erforderlich. Es gilt, das Defizit an Beratungsmöglichkeiten konsequent abzubauen.
In der zunehmenden Entwicklung von Ganztagsangeboten liegt die neue Chance, Schule und Jugendarbeit als Verbindungsstelle für systematische Vernetzung und Kooperation von Beteiligungsformen zu entwickeln. Gerade Jugendliche mit besonderem kulturellem und sozialem Hintergrund werden davon profitieren.
Beteiligungsformen müssen in sämtlichen NRW-Kommunen und im Land sichergestellt werden. Das ist eine gute Aufgabe für die nächsten fünf Jahre.
Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kern. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Hanses.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die Reflexe von Herrn Lindner. Wir alle profitieren nämlich von Kinder- und Jugendpartizipation. Je mehr Kinder und Jugendliche wir jetzt ehrlich und konsequent beteiligen, desto größer wird das künftige Innovations- und Kompetenzpotenzial unseres Landes, desto größer wird die Identifikation und Verbundenheit mit Nordrhein-Westfalen, desto größer wird Chancengerechtigkeit und das Interesse an Politik und demokratischen Prozessen in NRW. Es lohnt sich, Kinder und Jugendliche zu beteiligen.
Kinder und Jugendliche haben auch von sich aus den Wunsch, an Entscheidungen mitzuwirken. Sie sind sehr oft der Motor für gesellschaftliche Entwicklungen, um NRW fit für die Zukunft zu machen. Doch dazu benötigen sie die Unterstützung von Erwachsenen. Darüber besteht in diesem Haus anscheinend auch Einigkeit.
Auch die rechtlichen Grundlagen sollten allen bekannt sein: von der UN-Kinderrechtskonvention über die Grundrechte im Grundgesetz, die selbstverständlich auch für Kinder und Jugendliche gelten, über die explizite Formulierung im SGB XIII – Sie erinnern sich: Kinder und Jugendliche sind an allen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen – bis hin zu unserem Kinder- und Jugendförderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen.
Doch nun, lieber Herr Kollege Hafke, greift die FDP mit diesem Antrag in die Mottenkiste vergangener Jahre, als wäre in den vergangenen zwei Jahren nichts geschehen. Dem ist nämlich nicht so. Herr Kollege Kern hat das fleißig nachgelesen. Für alle neuen Kolleginnen und Kollegen kann ich es aber auch gerne noch einmal anführen. Wir hatten nach Ihrem Antrag von vor zwei Jahren, der hier keine direkte Mehrheit fand, im Ausschuss eine ausführliche, hoch kompetente Anhörung. Danach gab es einen gemeinsamen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Daran könnten wir eigentlich anknüpfen, statt wieder ein Rollback zu vollführen. Daran würden wir auch gerne wieder anknüpfen. Alle können das in dem Ausschussprotokoll 15/136 nachlesen. Der Entschließungsantrag hatte die Drucksachennummer 15/4140.
Der Reflex von Herrn Lindner, auf die schwarz-gelbe Landesregierung zu verweisen, ist sehr verständlich. Ich konnte es gerade leider nicht laut genug dazwischenrufen: Hätten Sie in der schwarz-gelben Regierungszeit nicht den „Pakt mit der Jugend“ gemacht, hätten Sie – dafür hätte ich gesorgt – garantiert die dritte Volksinitiative vor der Tür gehabt. Die Mittel für den Kinder- und Jugendförderplan als wichtigstes Instrument des Landes sind nun endlich auf 100 Millionen € aufgestockt. Das trägt erheblich dazu bei
(Christian Lindner [FDP]: Um die Zukunft geht es! Werden sie in der Zukunft beteiligt?)
– selbstverständlich, Herr Lindner, das werde ich Ihnen gerne sagen –, dass Kinder und Jugendliche in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, in der Jugendverbandsarbeit, in der Jugendsozialarbeit, in der kulturellen Jugendarbeit und in vielen, vielen anderen Projekten umfassend beteiligt werden können.
Herr Hafke, Sie haben wieder nur das eine Instrument Kinder- und Jugendrat herausgegriffen – wieder nur einen Mosaikstein der Partizipation. Dabei haben die vielen Vorredner doch schon deutlich gemacht, dass Partizipation ganz viele Akteure, ganz viele Methoden und ganz viele verschiedene Instrumente braucht und dass sie nie fertig sein wird.
Ja, der Kinder- und Jugendrat NRW ist wichtig, und wir freuen uns, dass ständig neue Kommunen hinzukommen, die darüber vernetzt werden. – Ja, ich lasse die Frage zu, Herr Präsident.
Vizepräsident Oliver Keymis: Jetzt fragen wir noch einmal ganz offiziell: Sie lassen die Frage zu, Frau Kollegin?
Dagmar Hanses (GRÜNE): Selbstverständlich, Herr Präsident.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen. Dann soll Herr Hafke jetzt die Frage stellen.
Marcel Hafke (FDP): Wir sind uns einig, dass wir die Partizipation auf kommunaler Ebene ausbauen wollen. Wie sieht es damit aus? Wollen die Grünen die Partizipation auch auf der Landesebene stärken, sodass wir demnächst im Landesparlament und in den Ausschüssen Kinder und Jugendliche mit dabei haben, die auch mitdiskutieren dürfen, also real beteiligt werden, statt über den zweiten Weg eines Verbandes zu gehen? Wie ist die Haltung der Grünen zu dem Thema?
Dagmar Hanses (GRÜNE): Selbstverständlich, Herr Hafke. Das ist auch keine Überraschung.
Aber der Kinder- und Jugendrat ist nach wie vor – ich bleibe dabei – nur ein Instrument, um Kinder und Jugendliche auf der Landesebene zu beteiligen. Ich hoffe, die Ministerin wird das weiter ausführen. Es gab in den vergangenen zwei Jahren viele Instrumente der Beteiligung. So werden Kinder und Jugendliche schon bei der Erstellung des Kinder- und Jugendförderplans beteiligt.
Aktuell, am 12. August, wird die große Jugendkonferenz der Landesregierung stattfinden, an der sich Kinder und Jugendliche jetzt schon über Internetforen beteiligen können, wo sie Fragen stellen und ihre Meinungen einbringen können. 500 Jugendliche aus Essen diskutieren mit Mitgliedern der Landesregierung, auch hier in den Fachausschüssen. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass wir hier keine Pseudo- und keine Alibibeteiligung brauchen.
Aber, Herr Kollege Hafke, dazu bedarf es vieler Instrumente, nicht eines einzelnen. Die Drittelparität in den Schulkonferenzen und die Jugendkonferenz haben wir auch schon eingeführt.
Eines muss ich noch ergänzen: Für Demokraten sind Wahlen die originärste Form der Partizipation, Herr Hafke. Geben Sie sich deshalb – das ist auch ein Appell an die CDU – beim Wahlalter mit 16 einen Ruck! Das ist das wichtigste Instrument, um Jugendliche an landespolitischen Entscheidungen zu beteiligen: indem sie ihre zwei Stimmen direkt für dieses Parlament abgeben. Wir freuen uns auch da auf Ihre Beteiligung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Hanses. – Für die Fraktion der Piraten spricht nun Herr Kollege Düngel. Herr Düngel, gehe ich recht in der Annahme, dass das Ihre erste Rede ist?
Daniel Düngel (PIRATEN): Das ist so.
Vizepräsident Oliver Keymis: Dann begrüßen wir Sie als Jungfernredner am Pult. Herzlich willkommen und gutes Gelingen!
(Allgemeiner Beifall)
Daniel Düngel (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal vielen Dank für die netten Worte. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich freue mich auch darüber – ich stehe heute zum ersten Mal an diesem Redepult –, dass wir über das Thema „Mitbestimmung“ reden. Herr Hafke, Ihnen und Ihrer Fraktion zunächst einmal vielen Dank dafür!
Wir reden über die Beteiligung Jugendlicher, also über ein Kernthema der Piraten. Nicht so schön ist – das macht mir meine erste Rede im Parlament vielleicht ein bisschen leichter –, dass das Auditorium zum jetzigen Zeitpunkt recht übersichtlich ist. Ich hoffe, dass das nicht die Wertschätzung des Themas an sich zum Ausdruck bringen soll.
Ich habe gerade gesagt, dass das ein Kernthema der Piraten ist. Insofern dürfte es nicht überraschen, dass die Piratenfraktion diese Intention vom Grundsatz her unterstützen kann. Wir wollen allerdings in den nächsten Wochen und Monaten darüber reden.
Bei der Recherche zu diesem Antrag war ich überrascht – das ist heute schon thematisiert worden –: Der Antrag ist im Juli 2010 erstmalig eingebracht worden – auch von Ihnen, Herr Hafke. In der damaligen Plenarsitzung haben eigentlich die Redner aller Fraktionen der Intention zugestimmt; sie fanden es irgendwie alle gut. Dem Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend ist zu entnehmen, dass es auch dort alle gut fanden. Alle haben gesagt: Wir machen daraus einen interfraktionellen Antrag und arbeiten einfach daran.
Als ich mir die weiteren Ausschussprotokolle angeschaut habe, habe ich festgestellt, dass davon leider Gottes nicht viel übrig geblieben ist. Ich lese da viel von – ich sage einmal – interfraktionellen Problemen, die entstanden waren, weil die einen nicht mit den anderen zusammenarbeiten wollten, jedenfalls nicht in der Reihenfolge und schon gar nicht auf Grundlage eines Antrages der FDP-Fraktion. Das geht schon mal gar nicht. Jedenfalls ist nicht viel zustande gekommen.
Sie haben es vorhin selber angesprochen: Irgendwann ist dann doch ein gemeinsamer Antrag zustande gekommen. SPD, Grüne und FDP haben ihn gestellt: Drucksache 15/4140. Ich bin nicht wirklich davon angetan, dass in einem Zeitraum von 20 Monaten – das ist die gesamte Beratungszeit im Plenum und in den Ausschüssen – nichts zustande gekommen ist. Das ist, ehrlich gesagt, kein gutes Zeichen. Dabei war das ein Thema, bei dem sich eigentlich alle Fraktionen einig waren, dass etwas gemacht werden muss. Passiert ist leider nicht viel.
Auch Frau Hanses hat es gerade ganz kurz angesprochen: Ja, wir werden auch über das Wahlalter mit 16 Jahren reden. Das steht glücklicherweise im Koalitionsvertrag; das finde ich toll. Sie wissen, dass Sie unsere Unterstützung haben werden. Auch das ist, glaube ich, kein Geheimnis.
Was ich nicht verstehe – aber ich bin noch neu, ich kann noch lernen, und vielleicht verstehe ich es irgendwann –: Jetzt liegt ein neuer Antrag der FDP-Fraktion vor, der quasi dem alten entspricht. Viel verändert hat sich im Vergleich zu dem ursprünglichen Antrag aus der letzten Legislaturperiode nicht. Warum liegt nicht der Antrag vor, der zumindest von drei Fraktionen vorbereitet wurde? Das ist mir etwas schleierhaft, aber das mag sich vielleicht in den nächsten Wochen noch klären.
Ich bin natürlich auch gespannt, Frau Ministerin Schäfer, wie sich die Regierungskoalition und die Landesregierung einbringen möchten. Im Koalitionsvertrag ist von einer Servicestelle „Jugendbeteiligung“ die Rede. Auch hier ist gerade schon angesprochen worden, dass sehr viel Konkretes dort leider nicht steht, zumindest konnte ich da nichts herauslesen. Herr Hafke hat das eben auch kurz zitiert. Leider sind auch die bisher vorliegenden Anträge nicht deutlich konkreter.
Viele Fragen bleiben offen. Die Anträge und die Schriftstücke beantworten nicht die Frage, wie wir Verbindlichkeit in die einzelnen Gremien bekommen. Sie beantworten nicht die Frage, wie wir es leisten können, dass in allen Kommunen entsprechende Jugendgremien entstehen. Wir müssen darüber reden, wie wir es letzten Endes hinbekommen.
Auch die vielen Anhörungen, die Stellungnahmen von Experten, vom Kinder- und Jugendrat zum Beispiel, sind nicht so wirklich in den Anträgen bislang berücksichtigt. Der Kinder- und Jugendrat fordert zum Beispiel ein ständiges Rederecht im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Beim Durchlesen habe ich mir gesagt: Das macht irgendwie Sinn. Darüber sollten wir vielleicht einmal reden, und vielleicht bekommen wir da auch gemeinsam etwas hin.
Auch in den Schulen muss Politik lebhafter gestaltet werden. Ich hoffe, dass wir auch da auf dem richtigen Weg sind.
Wie auch immer: Wir Piraten sind hier angetreten, um Politik anders zu gestalten. Wir wollen uns eben nicht davon leiten lassen, wer einen Antrag stellt, aus welcher Ecke dieser Antrag kommt. Ich habe den vorliegenden Antrag in unserem Meinungsbildungstool „LiquidFeedback“ eingestellt; der eine oder andere hat davon vielleicht schon gehört. Der Antrag erhielt, allerdings bei recht geringer Beteiligung, Zustimmung aus unserer Parteibasis. Das bestätigt mir: Die Zielrichtung, die in den Anträgen steht, ist richtig. Ich möchte daher betonen: Wir werden auf dem vorliegenden Antrag aufbauend daran mitarbeiten. – Das Angebot vom Kollegen Jörg nehme ich daher natürlich gerne an und bin gerne bereit, für die Piratenfraktion im Ausschuss entsprechend mitzuarbeiten.
Ich habe daher meiner Fraktion empfohlen, der Überweisung zuzustimmen, und freue mich schon jetzt auf die weiteren Beratungen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Glückwunsch zur ersten Rede, Herr Kollege Düngel, und vielen Dank für den Beitrag! – Es spricht für die Landesregierung die zuständige Ministerin, Frau Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne des Landtages! Ich darf erst einmal Herrn Kern direkt ansprechen. Herr Kern, ich möchte noch einmal auf Ihre Anmerkung von der Langsamkeit des Schäfer-Ministeriums eingehen. Sie gehörten in den zwei Jahren der letzten Legislaturperiode nicht dem Landtag an. Aber es bleibt dabei, dass die Landesregierung auf Anträge des Landtags dann reagiert, wenn sie beschlossen sind. Das ad 1.
Zum Zweiten möchte ich deutlich machen, dass sich die Partizipationsprojekte des Landes nicht darauf beschränken, dass wir jetzt eine Servicestelle als neues Partizipationsprojekt oder als Unterstützung der Partizipation einrichten werden, sondern dass wir in Höhe von 600.000 € jährlich Partizipationsprojekte auf kommunaler Ebene und in den Jugendverbänden unterstützen. Da läuft eine Menge. Dass das immer noch besser werden kann, darüber sind wir uns alle einig.
Ich freue mich auch über das gemeinsame Anliegen, Herr Hafke, das wir in dem Antrag noch einmal untermauert haben: Es ist uns allen gemeinsam sehr wichtig, Teilhabe und Partizipation von jungen Menschen zu stärken. Da kann man immer noch mehr tun als das, was man jetzt sowieso schon tut, und das ist schon einiges. Insofern hat der Antrag auch die Berechtigung, weiter darüber nachzudenken, wie wir die Dinge fortsetzen können.
Aber wir müssen uns noch einmal über eins im Klaren sein – da bin ich Herrn Düngel für seinen Beitrag sehr dankbar –: Die Gesellschaft ändert sich, und auch die Lebenswelten junger Menschen ändern sich. Da muss auch Jugendförderung zukünftig ansetzen. Und bei den Beteiligungsformen müssen wir – auch wenn wir diesen Antrag jetzt diskutieren; das ist noch ein weiterer Aspekt – noch einmal über andere innovative Beteiligungsformen nachdenken, die, wie zum Beispiel gerade erklärt, im Internet stattfinden. Diesen Aspekt müssen wir stärker mit aufnehmen. Das halte ich bei der Weiterberatung dieses Antrags für zielführend.
Die Tatsache, dass sich junge Menschen häufig im Internet, über die sozialen Netzwerke austauschen, wird oft von dem Gedanken begleitet, dass sie eigentlich eh politikverdrossen sind und sich gar nicht in die klassischen Dinge einbinden lassen wollen. Ich glaube, das ist auch eine falsche Annahme; denn sie sind alles anderes als politikverdrossen. Ich sehe, wir haben viele junge Zuhörer oben auf der Landtagstribüne. Sie sind also alles andere als politikverdrossen; denn in ihrer Art der Beteiligung, auch im Internet, stecken sehr viele Botschaften. Und da werden wir ansetzen und nach weiteren Möglichkeiten suchen müssen.
Wichtig ist aber ebenso, dass man Teilhabe lernen können und bestimmte Orte haben muss, an denen man es praktizieren kann. Ich verweise auf Herrn Jörg, der gesagt hat: Schule ist ein Bereich, in dem man Partizipation und Teilhabe praktizieren kann. – Die Tatsache, dass wir dieses hier in die Schulmitwirkung wieder hineingeschrieben haben, ist ein erster richtiger Weg, auf den ich noch einmal ausdrücklich verweisen möchte; denn es schult und lehrt junge Menschen in ihren kulturellen und sozialen Kompetenzen, die sie unbedingt brauchen.
Ein weiterer Punkt im FDP-Antrag bezieht sich darauf, dass wir auf Landesebene mehr tun wollen. Das ist richtig. Wir brauchen die Rahmenbedingungen. Im Koalitionsvertrag ist, wie ich finde, auch sehr gut niedergeschrieben, dass wir uns über die Kinderkommission verständigen und die Servicestelle einrichten wollen. Das werden wir von Regierungsseite sehr intensiv und sehr gerne weiter begleiten.
Allerdings möchte ich jetzt noch einmal den Blick auf die lokalen Strukturen richten. Ich war am Sonntag bei dem Workshop unter Palmen dabei und habe mit den Jugendlichen zwei Stunden diskutiert. Dabei ist noch einmal eines deutlich geworden: Auch die Einladung an junge Menschen in Jugendhilfeausschüsse, wenn sie sich denn als Kinder- und Jugendparlament oder als Jugendrat etabliert haben, ist nicht selbstverständlich. Manche müssen sich den Weg dort hinein erkämpfen. Das haben sie sehr kritisch angemerkt. Das ist aber ein Punkt, an dem die Möglichkeiten eines Landes und einer Landespolitik auch eher begrenzt sind. Das geht nur mit Dialog, mit Aufklärung, mit Weiterentwicklung.
Ein weiterer Aspekt: Es gibt immer wieder neue Beteiligungsformen, die wir gar nicht so im Blickfeld haben. Ich will das einmal am Beispiel der Kulturhauptstadt deutlich machen. Im Rahmen dieser Kulturhauptstadt hat sich ein Projekt entwickelt, bei dem junge Menschen über das Thema „Next Generation“ nachgedacht haben, wie sie leben, ihre Gesellschaft weiterentwickeln wollen. Daraus haben sie dann Kreativhäuser gebildet. Über diese eigene Koordination, die eigene Kooperation sollten wir uns im Kontext dieses Antrags auch noch austauschen, das heißt uns fragen, wo wir auch da weitere Rahmenbedingungen setzen können, um diese Möglichkeiten zu unterstützen, die junge Menschen sehr intensiv, aber lokal vor Ort nutzen können.
Man muss immer sehr gut aufpassen, was die Landespolitik wirklich leisten kann. Rahmenbedingungen: ja. Aber die Umsetzung muss tatsächlich lokal erfolgen.
Ich glaube, dass dieser Antrag sehr viele gute Aspekte hat, die man aber auch noch weiterentwickeln und ausweiten kann. Wir haben jetzt fünf Jahre Zeit, sollten aber nicht warten, sondern gleich zügig in die Arbeit einsteigen, damit wir dieses Projekt einer eigenständigen Jugendpolitik mit Macht nach vorne bringen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer.
Damit sind wir am Ende der Debatte und kommen zum Vorschlag des Ältestenrates. Dieser empfiehlt Überweisung des Antrags Drucksache 16/44 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist einstimmig so überwiesen.
Wir kommen zu:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/125
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Landesregierung der zuständigen Ministerin Steffens das Wort.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Gesetzesentwurf vorgelegt, weil das jetzige, in Nordrhein-Westfalen geltende Nichtraucherschutzgesetz das bundesweit defizitärste ist. Wir wollen einen Gesundheitsschutz für unsere Bevölkerung, der mit dem geltenden Gesetz vielleicht noch beabsichtigt war, in der Praxis aber derzeit nicht existent ist.
Wir haben ein geltendes Nichtraucherschutzgesetz mit zahlreichen legalen Ausnahmen, die den Nichtraucherschutz konterkarieren, das aber auch so viele Schlupflöcher beinhaltet, dass es überhaupt nicht vollzugstauglich ist. Wir haben Ausnahmen, Grauzonen, aber auch klare Verstöße. Die Einhaltung des Gesetzes ist deshalb nicht kontrollierbar.
Auch heute kann man bei schönem Wetter erleben, dass an den Türen vieler Eiscafés und Eisdielen in Nordrhein-Westfalen ein Raucherclubschild angebracht ist und Eisdielen, Bäckereien oder andere Bereiche einfach zu Raucherclubs umdefiniert werden, was so faktisch nicht zulässig ist, aber trotzdem geschieht. Genau dagegen wehrt sich seit Langem ein großer Teil der Bevölkerung und sagt: Wir wollen einen konsequenten Nichtraucherschutz.
Wir haben aber auch das Problem, dass wir im Hinblick auf die Ausnahmen des Gesetzes auch immer wieder vonseiten der Gastronomen den Hinweis bekommen haben – nicht zuletzt hat das die Evaluierung gezeigt –, dass es eine Wettbewerbsverzerrung ist, wenn die einen das Rauchen erlauben dürfen, weil die Quadratmeterzahl stimmt, weil die räumlichen Möglichkeiten gegeben sind, die anderen aber nicht. Nicht zuletzt haben wir erlebt, dass zahlreiche Vorschriften des Nichtraucherschutzgesetzes Gegenstand von juristischen Auseinandersetzungen sind.
Klar ist aber, dass wir einen konsequenten Schutz brauchen. Auch darüber braucht man sich nicht groß zu streiten. Wir wissen – an wissenschaftlichen Erkenntnissen mangelt es nicht –, dass im Tabak mehr als 70 Substanzen sind, von denen der überwiegende Teil krebserzeugend ist oder im Verdacht steht, es zu sein. Wir wissen, dass jährlich mehr als 3.000 nichtrauchende Menschen in Deutschland an den Folgen des Inhalierens von Tabakrauch sterben. Wir brauchen auch gar nicht über die zahlreichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, über die zahlreichen allergischen Reaktionen und über die vielen Atemwegserkrankungen zu sprechen, die zwar nicht zum Tod führen, aber die Gesundheit belasten.
Allen voran sind Kinder gefährdet, insbesondere Kinder, die schon während der Schwangerschaft und dann als Säuglinge belastet werden. Das reicht bis hin zu Fällen, in denen Passivrauch den plötzlichen Kindstod beschleunigen kann.
Wir müssen deshalb einen Gesundheitsschutz für diejenigen einziehen, die nicht als Gelegenheitsraucher oder Süchtige vom Tabakrauch abhängig sind. Wir müssen einen solchen Schutz für alle gewährleisten und Angebote schaffen, mit dem Rauchen aufzuhören. Für Kinder erhöht sich das Risiko der Erkrankung der unteren Atemwege – Asthma usw. – um 50 % bis 100 %, wenn sie Tabakrauch ausgesetzt sind.
Für die im Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe gibt es – auch wenn manche gerne solche finden würden – keine unbedenklichen Untergrenzen; selbst die geringste Menge gefährdet und belastet den Körper.
Deswegen ist es klar, dass wir in Nordrhein-Westfalen Konsequenzen ziehen müssen, und deswegen haben wir mit dem Gesetzesentwurf eine Reihe von Änderungsvorschlägen auf den Tisch gelegt, die wir gemeinsam mit den Abgeordneten im Parlament diskutieren wollen. Ich will auch noch auf einige Punkte eingehen, die mit diesem Gesetz geändert werden sollen.
Dabei steht der Bereich im Vordergrund, der die Kinder und Jugendlichen betrifft, nämlich unsere Schulen. Bei nicht einrichtungsbezogenen Veranstaltungen in Schulen darf heute zum Beispiel in den Turnhallen und Aulen geraucht werden. Das heißt, dass die Kinder am nächsten Tag in belastete Räume gehen. Wir wissen, dass die Belastung durch die krebserzeugenden Substanzen des Tabakqualms nicht über Nacht aus den Räumen zieht. Die Kinder werden also belastet.
Das gilt auch für Brauchtumsveranstaltungen, die nach wie vor in Schulen stattfinden, bei denen selbst dann im Publikum geraucht werden darf, wenn die Kinder Hochleistungen – etwa im Sport oder auf der Bühne – erbringen. Das kann und darf in Zukunft nicht mehr so sein.
Wir wollen aber auch – dazu gab es bereits im Rahmen der Auswertung der Evaluierung eine Diskussion – den Vorschlag der CDU-Fraktion aufgreifen, ein Rauchverbot auf ausgewiesenen Kinderspielplätzen in das Gesetz aufzunehmen. Auch das ist für uns ein wichtiger Bereich, weil Kinder nicht nur da dem Rauch ausgesetzt sind, wo ein Dach drüber ist, sondern auch da, wo sie in unmittelbarem Kontakt zu dem belastenden Qualm stehen, eine Gefährdung stattfindet.
Schon lange gibt es die Diskussion über ein konsequentes Rauchverbot in Gaststätten. Auch das wird mit diesem Gesetzentwurf für Nordrhein-Westfalen umgesetzt. Dies gilt auch für das, was in Bayern gang und gäbe ist, dass nämlich in Festzelten nicht mehr geraucht werden darf. Außerdem sollen die Raucherclubs mit diesem Gesetz endlich abgeschafft werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das heißt, dass wir eine Reihe von konkreten Änderungsvorschlägen haben, die aber nicht dazu da sind – wie manche in der Diskussion oder in Interviews kundgetan haben –, um Menschen zu gängeln und zu bevormunden. Nein, jeder Genussraucher, jeder Süchtige soll seine Zigarette rauchen dürfen. Aber die Menschen haben kein Recht, mit der Entscheidung, sich selbst gesundheitlich zu belasten, auch andere Menschen zu belasten.
Die Grenze des Selbstbestimmungsrechts und der Freiheit verläuft da, wo andere gefährdet werden. Das soll und wird mit diesem Gesetz umgesetzt werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir wollen auch solche Dinge, die im Gesetz standen, aber überhaupt nicht umsetzbar sind, wie etwa die Innovationsklausel, endlich streichen, weil immer wieder Hoffnungen und Erwartungen damit verbunden sind, man könne mit irgendwelchen technischen Veränderungen den Schutz der Bevölkerung herbeiführen. Nein, auch da ist klar – und das weiß jeder von den Rauchkabinen, die er kennt –: Der Schutz ist nicht gegeben; denn das, was wir im Vorbeigehen riechen, ist etwas, was im Vorbeigehen die Menschen auch gefährden kann, auch in geringen Konzentrationen.
Eine weitere Änderung ist, dass die Höchstgrenze des Bußgeldrahmens heraufgesetzt werden soll. Das betrifft nicht den einzelnen Raucher oder die einzelne Raucherin, wie einem manchmal unterstellt wird. Wenn jedoch Betriebe oder wenn Menschen bewusst, um damit Gewinne zu machen, die Gesundheit von Menschen gefährden und das wiederholt tun, dann muss die Höchstgrenze des Bußgeldrahmens von 1.000 € auf 2.500 € heraufgesetzt werden. Es war auch der Wunsch der Kommunen, dass man die Möglichkeit hat, wirklich zu sanktionieren. Aber wer hier unterstellt, das würde einzelne Menschen betreffen, der hat sich mit dem Gesetz und der Intention, die dahintersteht, weiß Gott nicht beschäftigt.
Klar ist – und das habe ich eben schon gesagt –, dass Kinder mit diesem Gesetz massiv geschützt werden sollen und geschützt werden müssen. Diesbezüglich gab es in der Vergangenheit in vielen Diskussionen auch über die Parteigrenzen hinweg eine große Übereinstimmung.
Wenn wir uns ansehen, wie die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung ist, dann ist festzustellen, dass wir seit dem ersten Nichtraucherschutzgesetz einen deutlichen Wandel in Nordrhein-Westfalen haben. Die Mehrheit der Menschen ist ganz klar für eine konsequent rauchfreie Gastronomie. Mittlerweile 77,5 % der Bevölkerung und auch mehr als die Hälfte der Raucher und Raucherinnen wollen eine rauchfreie Gastronomie haben. Wenn wir uns mittlerweile die Zuschriften von Gastronomen anschauen, die sagen, sie wollten nicht nur im Sinne der Wettbewerbsverzerrung, sondern auch für sich selbst und ihre Beschäftigten diese rauchfreie Gastronomie, dann sehen wir, dass die Mehrheit hier wirklich hinter einem solchen Gesetzentwurf für Nordrhein-Westfalen steht. Das finde ich sehr erfreulich.
Was in der Diskussion immer wieder als Argument derjenigen, die immer noch die Fahne für ein freies Rauchen an allen Stellen hochhalten, angeführt wird, ist die Angst davor, es könne ein Kneipensterben geben. Wir haben in den Ländern und den Bundesländern, in denen es einen konsequenten Nichtraucherschutz gibt, gesehen, dass genau dies nicht der Fall ist. In Bayern sind die Umsätze nach Einführung der rauchfreien Gastronomie vielmehr gestiegen und nicht gefallen. Wo derzeit ein Kneipensterben stattfindet und in Nordrhein-Westfalen schon vor dem ersten Nichtraucherschutzgesetz stattfand, liegt das an einer normalen Fluktuation innerhalb der Gastronomie. Die Menschen wollen heute vielleicht ihren Feierabend nicht mehr so gerne am Tresen in einer verqualmten Atmosphäre verbringen, sondern das Freizeitverhalten der Menschen hat sich verändert.
Unser Gesetzentwurf ist – und auch das möchte ich hervorheben – für viele innerhalb der Bevölkerung noch ein Kompromiss. Denn wir haben Zuschriften, die viele Wünsche enthalten, die weit über das hinausgehen, was jetzt mit dem Nichtraucherschutzgesetz erfasst wird. Gewünscht wird, Großveranstaltungen unter freiem Himmel mit aufzunehmen, in denen der Raucher neben einem steht, ebenso Autos, in denen Kinder sitzen, Treppenhäuser, Mietwohnungen, Balkons. Die Liste dessen, was gewünscht wird, was alles noch zu schützen wäre, ist sehr lang und sehr umfassend. Aber klar ist: Die Grenze ist da, wo der Privatbereich des Menschen betroffen ist. Da haben wir als Staat nicht einzugreifen, und deswegen haben wir diese Gratwanderung genau hier vollzogen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Für uns ist also klar: Wir wollen einen Weg, sodass das, was alle Studien und Untersuchungen ergeben haben, auch für Nordrhein-Westfalen gilt, nämlich dass die Menschen mit einem konsequenten Nichtraucherschutz die Lösungen und die Möglichkeiten haben, geschützt zu werden. Das war bisher nicht der Fall. Wir sehen in allen Studien, dass damit die Erkrankungen und die Krankenhausaufenthalte wegen Angina Pectoris um über 13 % zurückgehen. Wir wollen, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen die notwendigen Schutzmöglichkeiten haben.
Deswegen freue ich mich auf die Auseinandersetzungen und die Diskussionen und darauf, dass wir gemeinsam den Gesundheitsschutz für die Menschen in Nordrhein-Westfalen verbessern können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Garbrecht.
Günter Garbrecht (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal ein bisschen anders anfangen. Die Geschichte des Rauchens in Mitteleuropa war immer auch eine Geschichte der Reglementierungen und Verbote.
Im 17. Jahrhundert – ich sehe hier nur wenige Kölner – sollte in Köln der Verkauf von Tabak nur in Apotheken stattfinden. Das ist eine Regelung, der sich, wenn man einmal über Deutschland hinaussieht, die Isländer gerade nähern. Der Brandschutz in den Städten bei den strohgedeckten Häusern führte zum Verbot des Rauchens im Freien. Landesfürstliche und preußische Polizei-Edikte setzten Rauchverbote in massenhafter Zahl fest.
Im Vormärz war Zigarrerauchen schier ein Akt revolutionären Tuns. Da ich gebürtiger Bünder bin, aus der Tabakstadt Bünde komme, weiß ich auch, dass die Tabakarbeiter neben den Buchdruckern die Keimzelle deutscher Gewerkschaftsbewegung waren. Also: Rauchen ist auch mit viel Symbolik verbunden. Die Zigarre erlebte einen Wandel vom revolutionären Symbol der Freiheit hin zum saturierten Bürgertum mit den Raucherzimmern als Symbol des Kapitalisten, als Symbol des Kapitalismus schlechthin. Das ist so das Bild des Rauchens, festgemacht an der Symbolik der Zigarre.
Zigarre und Rauchen als Symbol der Freiheit vom Vormärz bis zur Frauenbewegung veränderten sich bis hin zum Symbol der Unterdrückung. Es steht ja auch als suggeriertes Symbol immer noch für Freiheit und zugleich für ungesunde Lebensweise mit hohem Lebensrisiko.
Diese Vielfältigkeit kommt auch in der aktuellen Diskussion zum Tragen. Meine Damen und Herren, wir befinden uns aber nicht mehr im Vormärz, sondern sind im 21. Jahrhundert angelangt. Heute sind die Gefahren des Rauchens hinlänglich bekannt. Durch die Ratifizierung internationaler Vereinbarungen – zum Beispiel über die WHO oder die Europäische Union – ist Deutschland eingebunden, die Gefahren des Rauchens für die Gesundheit massiv einzudämmen. Der Schutz der Nichtraucher ist somit ein zwar kleiner, aber klarer Bestandteil auch der international verabredeten Strategien.
Dabei ist nicht zu verhehlen, dass die Nichtraucherschutzgesetzgebung bei aller Lückenhaftigkeit in den Ländern auch ein präventives Element hat. Letztendlich wäre eine bundeseinheitliche Regelung über den Arbeitsschutz vorzuziehen gewesen.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Ich will den präventiven Gehalt der Nichtraucherschutzgesetzgebung nicht mindern; aber im Unterschied dazu hätte ein gesundheitliches Präventionsgesetz ganz andere Ansatzpunkte gesetzt – zum Beispiel hinsichtlich der Verfügbarkeit von Tabakerzeugnissen schlechthin. Eine solche Diskussion könnte uns im Übrigen noch bevorstehen, wenn auch nicht auf Ebene dieses Parlamentes, sondern auf Bundesebene. Eine solche Diskussion würde natürlich gesundheits-, drogen- und suchtpolitisch geführt. Das tun wir im Hinblick auf die Nichtraucherschutzgesetzgebung des Landes Nordrhein-Westfalen bewusst nicht, wobei allerdings Elemente durchscheinen.
Es geht also nicht um ein Gesundheitserziehungsgesetz, wie uns einige – wahrscheinlich gleich auch einige Redner – weismachen wollen, sondern um ein Nichtraucherschutzgesetz.
Aktuelle Ergebnisse belegen, dass in der gesamten Bevölkerung weniger geraucht wird. Ich lasse mit mir als ehemaligem Raucher darüber streiten, ob das Verhältnis bei 80 zu 20 oder 70 zu 30 liegt, also 30 % oder 20 % der erwachsenen Bevölkerung noch rauchen. An der Stelle sind die Statistiken nicht ganz aussagefähig. Aber es gibt erfreuliche Tendenzen. Insgesamt wird weniger geraucht. Das ist im Hinblick auf den Gesundheitsschutz ein wichtiger Schritt, und zwar insbesondere bei Jugendlichen. Die Symbolik des Rauchens als ein Merkmal des Erwachsenseins wechselt in „Rauchen ist uncool“. Das ist eine Entwicklung, die meiner Ansicht nach gut ist.
Ich will mich abschließend kurz den Dingen widmen, die insbesondere in der politischen Diskussion eine Rolle spielen. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage: Schränkt der Nichtraucherschutz die individuelle Freiheit des Einzelnen zu sehr ein? Gilt das auch für die in Nordrhein-Westfalen vorgesehenen gesetzlichen Regelungen, die in anderen Bundesländern ja schon verankert worden sind?
Nikotin gehört wie Alkohol zu den legalen Drogen, für die man sich frei entscheidet. Wann Sucht die souveräne Entscheidungsfreiheit tangiert, werde ich an dieser Stelle einmal außer Betracht lassen und nicht vertiefen. Allerdings gilt hier auch der Grundsatz: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. – Mit diesen Worten beschrieb der Philosoph Immanuel Kant – vor ihm und nach ihm einige andere auch –, wie es sich mit der Freiheit und den Grenzsetzungen verhält. Also, frei nach Kant: Die Freiheit des Rauchers findet ihre Grenze bei der Freiheit des Nichtrauchers.
Denn klar ist: Passivrauchen schränkt die Freiheit der Nichtraucher ein. Es ist mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Das ist, glaube ich, wissenschaftlich unstrittig.
Staatliche Regelungen in diesem Zusammenhang sind im Sinne der Freiheit angemessen. Noch stärker als die Freiheit des Einzelnen muss das Recht jedes Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit angesehen werden. Auch das ist schon im Grundgesetz festgeschrieben. Diesem Grundsatz ist staatliches Handeln im Prinzip auch verpflichtet, meine Damen und Herren.
Zur Raucherschutzgesetzgebung und gerade zu dieser Frage gibt es insgesamt drei Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. Speziell in diesem Punkt hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig und klar bestimmt, dass es eine umfassende Legitimation staatlichen Handelns bei der Einschränkung des individuellen Handelns im Rahmen der Nichtraucherschutzgesetzgebung gibt.
Es besteht eine Schwierigkeit, mit der wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sicherlich zu tun haben werden: Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich zugleich auf den Gleichheitsgrundsatz sowie auf die Wettbewerbsgleichheit und die Freiheit der Berufsausübung verwiesen, wenn es Ausnahmen von diesen Rauchverboten erlässt.
Wir haben also drei Verfahren und Urteile des Bundesverfassungsgerichtes und befinden uns jetzt im dritten Gesetzgebungsverfahren. Deswegen haben wir, meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag auch formuliert, dass wir einen rechtssicheren und konsequenten Nichtraucherschutz in Nordrhein-Westfalen wollen.
Die Grenzen abzustecken wird Thema der parlamentarischen Beratungen sein. Es gilt ein alter Grundsatz, den ich an dieser Stelle noch einmal aufgreife: Kein Gesetz verlässt den Landtag so, wie es eingebracht worden ist.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Im Übrigen habe ich das Gefühl – das teilen auch andere –, dass fünf Jahre nach der ersten Beratung die jetzigen Beratungen zu diesem Thema viel entspannter stattfinden. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. – Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt dem Abgeordneten Kollegen Preuß das Wort.
Peter Preuß (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Garbrecht, zunächst einmal recht herzlichen Dank für den interessanten geschichtlichen Exkurs. Zur Geschichte gehört aber auch, dass Sie es in 39 Jahren SPD-Regierung, zuletzt mit zehnjähriger Regierungsbeteiligung der Grünen, nicht geschafft haben, überhaupt einen Schutz vor den Gefahren des Rauchens hinzubekommen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Es war erlaubt, in sogenannten Raucherecken in den Schulen, in Krankenhäusern, in Gaststätten, praktisch überall zu rauchen, ohne auf Kinder, Kranke oder gesundheitsgefährdete Menschen – Nichtraucher wie Raucher, die natürlich genauso gefährdet sind – Rücksicht nehmen zu müssen.
(Zuruf von der CDU: So ist das!)
Die CDU-Fraktion war die erste politisch Kraft, die den Schutz der Nichtraucher eingeführt und konsequent durchgesetzt hat.
(Beifall von der CDU)
Die CDU-geführte schwarz-gelbe Landesregierung hat 2008 unter dem damaligen Minister Laumann ein gutes Nichtraucherschutzgesetz auf den Weg gebracht.
(Beifall von der CDU)
Gut ist es deshalb – und das ist entscheidend –, weil es Gesundheitsschutz einerseits und individuelle Lebensbedürfnisse und Lebensweisen der Bürgerinnen und Bürger andererseits in Einklang gebracht hat – ein echter Interessenausgleich.
Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, hat nicht den Gesundheitsschutz zur Grundlage. Er ist ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger,
(Beifall von der CDU und der FDP)
ein Angriff auf die Freiheit, die es ermöglicht, das Leben zu genießen mit allen Genüssen und manchmal auch Eigenarten, die nicht allen passen. Dazu zählt auch die Kneipenkultur. Was wir Ihnen vorwerfen, ist ja nicht das Bemühen um einen Gesundheitsschutz, sondern dass Sie sich wieder einmal anmaßen, die Menschen zu gängeln und Ihre Vorstellung vom Leben anderen aufdrücken zu wollen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Es gibt keinen Regelungsbedarf, der es rechtfertigt, die Gastwirte zu bestrafen und ihnen einen enormen Schaden zuzufügen. Im Vertrauen auf den Bestand des seit 2008 bestehenden Gesetzes haben Gastronomen Investitionen getätigt, bis zu 800.000 € und mehr, um Raucherräume von Nichtraucherräumen zu trennen. Das war deren Geschäftskonzept. Es geht hier um Beträge, die für einen Gastwirt existenziell sind. Sie verspielen damit wieder in bemerkenswerter Arroganz Vertrauen – Vertrauen in die Verlässlichkeit von Politik und Verlässlichkeit der Gesetzgebung.
Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf von der Wettbewerbsfähigkeit. Ich meine, eher von Gleichmacherei im Gaststättenbereich zu lesen. Wettbewerb lebt aber von der Vielfältigkeit des Angebots und den unterschiedlichen Geschäftskonzepten. Aber genau das hebeln Sie für den Bereich der Gaststätten aus. Sie erwarten, dass die Gastronomen zukünftig Nachteile in Kauf nehmen und mal eben ihr Geschäftskonzept ändern, ein Geschäftskonzept, das die Basis ihrer Existenz bildet.
Sie zerstören damit eine regelrechte und vielschichtige Kneipenkultur und bevormunden Menschen, die abends in die Kneipe gehen, ein Bierchen trinken, Konversation pflegen und dabei eine Zigarette rauchen möchten. Sie fördern das Kneipensterben, und damit setzen Sie auch Arbeitsplätze aufs Spiel,
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
die Arbeitsplätze von mehr als 3.000 Angestellten in den rund 10.000 Gaststätten mit Schwerpunkt im Getränkeausschank, meine Damen und Herren. Das muss man sich einmal vor Augen führen.
Die Gesundheit zu schützen, ist eine Kernaufgabe des Gesetzgebers; da sind wir uns sicherlich einig. Die Frage, die Sie aber beantworten müssen, ist doch: Warum machen Sie eigentlich die Kneipen- und Restaurantbetreiber für den Schutz ihrer Gäste vor den Gefahren des Rauchens verantwortlich? Die Verlagerung der Verantwortung für den Gesundheitsschutz durch ein rigoroses Nichtraucherschutzgesetz ohne Ausnahmen, mit unverhältnismäßigen Eingriffen in die Existenz der Gaststättenbetreiber, ist die Offenbarung des Versagens rot-grüner Politik.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Im Übrigen, wenn man einmal in den Gesetzentwurf schaut, schaden Sie massiv dem Brauchtum. Denn Sie müssen ja sicherstellen, dass Gesetze auch eingehalten werden. Da geht eben nicht Frau Steffens in die Festzelte und ahndet etwaige Verstöße, und das werden auch die Polizei oder der Ordnungsdienst vor Ort nicht leisten.
(Ministerin Barbara Steffens: Die wollen das auch!)
Dafür wird vielmehr der jeweilige Vorstand des Schützenvereins als Veranstalter verantwortlich gemacht. Das macht jedes ehrenamtliche Engagement kaputt.
(Beifall von der CDU und den PIRATEN)
Solange Sie das Damoklesschwert der Strafbarkeit oder der Ordnungswidrigkeit über den ehrenamtlich Engagierten pendeln lassen, zerstören Sie jede Bereitschaft, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen.
Gleiches gilt im Übrigen für private Feiern. Nach dem Gesetzentwurf soll tatsächlich das Rauchen in geschlossenen Gesellschaften in Gaststätten erlaubt sein.
(Zuruf von den PIRATEN: Es ist zu laut!)
Es ist aber nicht rechtssicher definiert, was überhaupt eine geschlossene Gesellschaft ist. In der Konsequenz muss man sich das einmal so vorstellen: Wenn zum Beispiel jemand seinen 90. Geburtstag in einem Restaurant oder in einer Gaststätte feiert und dabei die gesamte Gaststätte in Anspruch nimmt – das ist nämlich nach dem Gesetzentwurf die Voraussetzung –, dann muss er darlegen, das heißt dokumentieren, welche Gäste er eingeladen hat. So steht es im Gesetzentwurf, das ist übrigens auch ein Problem in Bayern. Er muss genau angeben, welche Gäste er eingeladen hat, weil nur so eine Kontrolle möglich ist, ob es sich um eine geschlossene Gesellschaft handelt oder nicht.
Meine Damen und Herren, wir haben einen funktionierenden Nichtraucherschutz in Nordrhein-Westfalen. Das aktuelle Gesetz gewährleistet einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen von Nichtrauchern und Rauchern und den Schutzzwecken des Gesetzes. Wir wollen keine Erziehung der Menschen per Gesetz, wir wollen keine Gängelung mündiger Bürger, wir wollen keine staatliche Reglementierung auf Kosten des Verantwortungsbewusstseins und des Rechts, selbst Entscheidungen treffen zu dürfen.
Seien Sie bitte darauf gefasst, dass wir in den weiteren Beratungen des Gesetzentwurfs diesen auseinandernehmen und Ihnen jede einzelne Schwäche des Gesetzentwurfs vorhalten werden. Ich garantiere Ihnen, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion einrollen und vor dem nächsten Schützenfest Angst haben werden, dass sie bei ihrer Begrüßung vom Pfeifkonzert begleitet werden. Vielleicht nehmen sie aber auch nicht teil. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun Herrn Kollegen Ünal das Wort. Bitte schön.
Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Alle Untersuchungen zeigen, dass das Rauchen nicht nur negative gesundheitliche Auswirkungen für die Rauchenden selbst, sondern im besonderen Maße auch auf die Personen in der Umgebung hat. Alle, die rauchen, müssen letztendlich selber entscheiden, ob sie sich den gesundheitlichen Risiken des Rauchens aussetzen wollen.
In Gegenwart anderer Personen werden aber auch diese in Mitleidenschaft gezogen. Dieses sogenannte Passivrauchen schädigt die Gesundheit auch der Nichtraucherinnen und Nichtraucher massiv.
Diese negativen Auswirkungen auf andere Menschen sind ursächlich dafür, dass sich das Rauchen von allen anderen Suchtformen unterscheidet. Das Deutsche Krebsforschungszentrum weist darauf hin, dass in Deutschland jedes Jahr rund 2.150 Menschen an durch Passivrauchen bedingten koronaren Herzkrankheiten und über 770 Menschen an einem durch Passivrauchen bedingten Schlaganfall sterben.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass das Risiko einer Lungenkrebserkrankung beispielsweise für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Tabakrauch am Arbeitsplatz steigt. Ein konsequenter Nichtraucherschutz ist also dringend notwendig, auch in NRW:
Das bestehende Nichtraucherschutzgesetz bietet hierbei keinen ausreichenden Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens. Das von der damaligen schwarz-gelben Regierung verabschiedete Gesetz aus dem Jahre 2007 bietet keinen Schutz für die Nichtraucherinnen und Nichtraucher. Es hat sich bisher durch die vielen Ausnahmeregelungen, gerade auch im gastronomischen Bereich, als untauglich herausgestellt, nicht rauchende Menschen beim Besuch gastronomischer Einrichtungen vor dem Tabakrauch zu schützen.
Häufig wird das Rauchverbot ignoriert oder durch geschicktes Nutzen der bestehenden Ausnahmeregelungen umgangen. Dies hat auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im vergangenen Jahr deutlich gemacht. Wir Grünen begrüßen deshalb nachdrücklich, dass die rot-grüne Landesregierung nun eine entsprechende Novellierung des Nichtraucherschutzgesetzes vorgelegt hat.
Dabei geht es nicht darum, das Rauchen zu verbieten, sondern darum, die Bevölkerung in öffentlich zugänglichen Räumen wie den Gaststätten vor dem Passivrauchen und seinen gesundheitlichen Folgen zu schützen. Wir sehen in einem konsequenten Schutz vor dem gefährlichen Passivrauchen eine notwendige Schutzmaßnahme für die Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, das konsequente Rauchverbot auch im gastronomischen Bereich stellt keine außergewöhnliche Einschränkung dar, wie vielleicht einige glauben mögen. Ein generelles Rauchverbot in allen gastronomischen Einrichtungen ist in etlichen Ländern Europas Alltag und längst üblich. Deutschland liegt derzeit im internationalen Vergleich zu den anderen europäischen Staaten gerade mal auf dem 27. Platz, was das Nichtrauchen angeht. Mit der Stärkung des Nichtraucherschutzes schaffen wir also für Nordrhein-Westfalen lediglich eine Situation, die in vielen anderen Staaten längst zum Alltag gehört.
Es besteht allerdings nicht nur Verbesserungsbedarf bei den Nichtraucherschutzregelungen für die Gaststätten; notwendig ist das auch mit Blick auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen, wie die Frau Ministerin hier vorgetragen hat. Aufgrund der Gefährlichkeit, die der Zigarettenrauch gerade für Kleinkinder darstellt, ist natürlich das vorgesehene Rauchverbot auf den ausgewiesenen Kinderspielplätzen ebenfalls ein konsequenter und richtiger Schritt. Tabak ist ein gefährliches Gift, besonders für Kleinkinder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der Bevölkerung haben uns in den letzten Monaten unzählige Zuschriften, Aufforderungen erreicht, die ein konsequentes Nichtraucherschutzgesetz fordern. Anders als vielleicht vermutet wünschen sich auch viele Gastwirtinnen und Gastwirte eine einheitliche Regelung, da sie mit den Raucherkneipen nicht mehr konkurrieren können.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Abruszat?
Arif Ünal (GRÜNE): Nein, danke schön. Ich möchte im Zusammenhang bis zum Ende fortfahren. Danach können Sie Ihre Fragen stellen.
Es liegen Studien vor, die zu dem Ergebnis kommen, dass sich das Rauchverbot in den Kneipen, Restaurants und Diskotheken deutlich geringer auf die Umsatzentwicklung auswirkt. Zu dem Ergebnis kommt beispielsweise eine Untersuchung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Demnach führt Rauchverbot durchschnittlich zu 2 % weniger Umsatz. Die von vielen befürchtete Pleitewelle von Kneipen sei ausgeblieben.
Ein aktueller Vergleich – das ist auch sehr interessant – der Umsatzentwicklung in der Gastronomie zwischen Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen zeigt sogar, dass Bayern, das Bundesland mit dem konsequentesten Nichtraucherschutzgesetz, die besten Umsatzdaten aufweist. In Bayern stieg der Umsatz im getränkegepflegten Gastronomiebereich in den ersten neun Monaten 2011 um 7,2 % gegenüber dem Vorjahr. In Nordrhein-Westfalen hingegen musste dieser Wirtschaftszweig einen Umsatzrückgang von 2,6 % hinnehmen.
Meine Damen und Herren, Gemütlichkeit und Rauchen gehören nicht zwangsläufig zusammen. Viele Nichtraucherinnen und Nichtraucher würden gerne auch eine Kneipe besuchen, möchten dabei aber nicht passiv mitrauchen. Selbst immer mehr Raucherinnen und Raucher wünschen raucherfreie Gaststätten. Das neue Nichtraucherschutzgesetz macht nun Schluss mit den Ausnahmeregelungen und sieht ein generelles Rauchverbot in allen Bereichen vor. Das ist auch gut so.
Wir stimmen der Überweisung in den Fachausschuss zu und freuen uns auf eine konstruktive Fachdebatte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Als nächster Redner hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Kollege Lindner, das Wort. Bitte schön.
Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Die Landesregierung legt als einen ihrer ersten Gesetzentwürfe den Entwurf eines novellierten Nichtraucherschutzgesetzes vor – obwohl mehr als 80 % der gastronomischen Betriebe in Nordrhein-Westfalen rauchfrei sind,
(Ministerin Barbara Steffens: Stimmt nicht!)
obwohl im öffentlichen Raum das Rauchen ohnehin durch die alte Gesetzgebung weitgehend untersagt ist, obwohl die wirtschaftlichen Folgen eines strikten Nichtraucherschutzes im Vergleich der Bundesländer – auch wenn man Experten hört – noch nicht geklärt sind. Obwohl ich das hier vortragen kann, legen Sie diesen Gesetzentwurf dem Landtag als eine Ihrer ersten Initiativen vor. Es gibt keinen dringenden Grund, das zu tun.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Deshalb, Frau Ministerin, werden wir in dieser Debatte das Ding als das behandeln, was es ist, nämlich ein Stück ideologisierte Gesellschaftspolitik.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Das sagt eine ganze Menge aus über das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, Bürger und Politik. Sie wollen den Menschen einen Lebensstil oktroyieren, jetzt beim Rauchen. Die Grünen sind für das Verbot von Motorrollern. Die Grünen sind für das Verbot der Plastiktüte. Die Grüne Jugend Nordrhein-Westfalen
(Zurufe von den GRÜNEN)
hat eine Fleischsteuer beschlossen, weil Fleisch kein Grundnahrungsmittel mehr sein soll. Sie wollen Ihren Lebensstil anderen vorgeben. Sie wollen dafür verbieten, besteuern oder, wenn das nicht geht, für moralisch verächtlich erklären. Sie wollen aus unserer freien Gesellschaft eine staatliche Besserungsanstalt machen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Ja, fraglos: Rauchen ist gefährlich – so wie zu viel Alkohol, so wie zu fettes Essen, so wie zu schnelles Autofahren. Wir brauchen gerade mit Blick auf das Rauchen den Schutz vor Passivrauchen, also einen konsequenten Nichtraucherschutz. Da gibt es ein Gesetz. Wenn es da im Detail Nachsteuerungsbedarf gäbe, könnte man ja darüber sprechen.
Aber Sie wollen in Wahrheit etwas anderes. Sie wollen die Menschen vor sich selbst schützen und zu ihrem Glück zwingen.
(Ministerin Barbara Steffens: Nein, nein!)
Wir werben für ein gesundes Leben, aber entscheiden müssen die Menschen am Ende doch noch selber dürfen, Frau Steffens.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Frau Ministerin, Sie treten hier mit erhobenem Zeigefinger auf.
(Ministerin Barbara Steffens: Das tue ich gar nicht!)
Sie greifen mit dem Gesetzesbefehl zu auf private Feiern und geschlossene Gesellschaften, und Sie sprechen hier von Demokratie. In der Demokratie regiert die Mehrheit, Frau Steffens. Aber zu einer freien Gesellschaft gehört auch die Toleranz, gehört auch die Nische für die Minderheit, gehört auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, weil sonst die Gesellschaft nicht mehr frei und tolerant ist, sondern eine Tugenddiktatur wird.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, habe ich mich eben bei der Rede des Kollegen Garbrecht gefragt: Mensch, den Günter Garbrecht kennst du viele Jahre, auch als Mitglied des Vereins der klaren Aussprache. – Der Kollege Garbrecht hat hier ja heute den Versuch unternommen, seine sechs bis sieben Minuten Rede abzuarbeiten, ohne möglichst eine einzige zitierfähige Formulierung für die Tribüne abzusondern. Da habe ich mich gefragt: Was kann die Motivlage sein, wenn er so nach der Strategie verfährt wie U-Boot-Fahrer, nämlich: Boot auf Grund legen, Maschinen aus!?
(Heiterkeit von der FDP)
Was ist da der Grund?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vielleicht teilt im Geheimen Günter Garbrecht ja die Auffassung der Dortmunder SPD. Dort sagt nämlich die Vorsitzende der Nordstadt-SPD heute Morgen auch wieder in einem Interview – ich zitiere die SPD-Vorsitzende Nordstadt Dortmund –: Diese Intoleranz der Grünen, ihre Spießigkeit und dieser Gesundheitsrassismus, der Raucher zu Menschen zweiter Klasse degradiert, gehen mir gehörig gegen den Strich. So stelle ich mir eine freie Gesellschaft nicht vor. – Zitat Ihrer Genossin! Das scheint mir der Grund zu sein, warum Günter Garbrecht hier heute solche Schleiertänze aufgeführt hat: Sie teilen das.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brems?
Christian Lindner (FDP): Nein, das möchte ich nicht. Ich möchte noch einen Punkt vortragen.
(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)
– Wir sind in der ersten Lesung, und Sie haben gleich noch einmal das Wort. Vielleicht reden wir in der zweiten Runde noch einmal darüber.
Ich will nämlich auf einen Aspekt noch abschließend eingehen, weil Sie in Ihrem Gesetzentwurf, Frau Steffens, geschrieben haben: Alternativen keine.
(Ministerin Barbara Steffens: Keine!)
– Sie bestätigen das hier auch: Alternativen keine. – Sie verweisen immer auf Bayern: Alternativen keine. – Dann machen wir doch einmal den Rechtsvergleich innerhalb der deutschen Bundesländer und schauen uns das zuletzt beschlossene Nichtraucherschutzgesetz an. Das ist nämlich in Hamburg verabschiedet worden. Machen wir da einmal den Rechtsvergleich!
In Hamburg erlaubt: Rauchen in der Gastronomie, wenn ein separater Raum mit spezieller Lüftung vorhanden ist. In Hamburg erlaubt, in Nordrhein-Westfalen wollen Sie es verbieten.
Hamburg erlaubt Rauchen in der Eckkneipe. Nordrhein-Westfalen: Sie wollen das verbieten.
Hamburg: Rauchen im Festzelt erlaubt. – In Nordrhein-Westfalen nicht.
Jetzt werden die Grünen gleich sagen: Ja, in Hamburg ist ein Gesetz beschlossen worden von DEHOGA und Tabaklobby. – Das war aber nicht der Fall. In Hamburg hat die allein regierende SPD dieses Gesetz beschlossen zusammen mit CDU, mit Linkspartei, prinzipieller Unterstützung der FDP und breiter Zustimmung aus der Mitte der Gesellschaft.
(Zurufe von den GRÜNEN)
– Regen Sie sich doch nicht so auf!
(Heiterkeit von der FDP)
Sie empören sich da ja richtig. Andere sollten sich empören. Denn dieses Gesetz …
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, es gibt den weiteren Wunsch einer Zwischenfrage.
Christian Lindner (FDP): Vielen Dank. Ich komme schon zum Ende meiner Rede. – Dieses Gesetz trägt die Handschrift von Bündnis 90/Die Grünen. Die Sozialdemokraten liefern die Freiheit der Gesellschaft und sich selbst dieser grünen Partei aus.
(Lachen von den GRÜNEN)
Wenn Sie das wollen, ist das Ihre Verantwortung.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Piratenfraktion erteile ich Frau Kollegin Brand das Wort. Bitte schön.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lindner, vielen Dank. Sie haben im Großen und Ganzen schon sehr viel von dem ausgeführt, was ich sagen will. Ich werde das hoffentlich noch entsprechend ergänzen können.
(Beifall von der FDP)
Kaum ein anderes Thema ist so emotional besetzt wie das Thema „Nichtraucherschutz“. Die einen wollen sich frei entfalten. Die anderen wollen geschützt werden. Aber ist das die Aufgabe der Politik?
(Ministerin Barbara Steffens: Ja!)
Vielmehr sollte sich unsere Politik doch danach richten, dass sich jeder Mensch im Land frei und selbstbestimmt entfalten kann. Diese freie, selbstbestimmte Lebensführung muss das Kernmerkmal unserer Politik sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Deswegen fordern wir: Gesetze, die in die persönliche und wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit eingreifen, müssen exakt eine Kernaufgabe haben: Sie müssen das problemlose Zusammenleben aller Bürger gewährleisten – nicht mehr und nicht weniger. Ideologische Motive dürfen dabei keine Rolle spielen.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Ministerin Barbara Steffens: Genau das finde ich auch!)
Wir lehnen daher die Novellierung des NRW-Nichtraucherschutzgesetzes in der vorliegenden Fassung ab. In der bisherigen Fassung sind bereits Rahmenbedingungen für den Schutz von Nichtrauchern enthalten. Diese Rahmenbedingungen sind gut, haben sich in der Praxis bewährt und reichen völlig aus.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Hier noch einen Schritt weiter zu gehen wäre definitiv übertrieben. Das angestrebte totale Rauchverbot sehen wir als Bevormundung von Bürgern und der Gastronomie. Das wäre eine Bevormundung, die tief in die persönliche und wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit eingreifen würde.
Wir lehnen ebenfalls ab, die sogenannten E-Zigaretten in das Nichtraucherschutzgesetz aufzunehmen; denn das entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Sie haben das ja schön auf Seite 13 in Teil A Absatz 4 der Begründung versteckt, damit man es nicht so schnell sieht – aber wir haben es gefunden.
(Allgemeines Lachen)
Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, warum wir diesen Gesetzentwurf kategorisch ablehnen.
Erstens. Bei der E-Zigarette wurde bisher aus wissenschaftlicher Sicht keinerlei Gefahr für das Umfeld des E-Rauchers nachgewiesen. Eine E-Zigarette einer Tabakzigarette gleichzustellen, bezeichne ich daher ganz klar als Irrweg. Die Gerichte haben doch schon entschieden. Frau Steffens, erinnern Sie sich? Es ist doch erst ein paar Monate her! Die Verbots- und Markteinschränkungsbestrebungen des NRW-Gesundheitsministeriums in Bezug auf die E-Zigarette wurden zwischenzeitlich höchstrichterlich für ungültig erklärt.
(Ministerin Barbara Steffens: Gar nicht höchstrichterlich!)
Zweitens. Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie mit diesem neuen, erweiterten Gesetz selbst das Rauchen auf Privatfeiern verbieten? Wenn jemand in seinem eigenen Partykeller seinen Geburtstag mit Freunden feiert, soll, darf und muss er frei entscheiden dürfen, ob dort getrunken, gegessen und geraucht wird.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Da ist auch noch Luft nach oben. Frau Steffens, Sie hatten sich eben in einem Nebensatz auch noch die Mietwohnungen einfallen lassen. Was kommt denn da als Nächstes? Das Verbot des Rauchens in privaten Wohnungen? Weil ein Gerichtsvollzieher oder Polizeibeamter mal gezwungen sein könnte, in eine Wohnung zu gehen, wo geraucht wird, und weil der Schutz des Beamten doch ganz besonders wichtig ist?
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Drittens. Sie behaupten in Ihrer Begründung, dass sich nur ein Totalverbot kontrollieren ließe. Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und Grünen, mit dieser Aussage machen Sie sich selbst unglaubwürdig. Nur weil Sie es offensichtlich nicht geregelt bekommen, die Einhaltung eines aktuellen Gesetzes zu kontrollieren, müssen Sie doch nicht gleich ein neues Gesetz verabschieden.
(Lebhafter Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Finden Sie doch stattdessen lieber Wege und Möglichkeiten, die aktuelle Gesetzgebung umzusetzen!
Ganz nebenbei: Sie behaupten immer, dass es Probleme bei der Kontrolle gebe, aber Beweise haben Sie noch keine aufgezeigt. Aus meiner Sicht hängen Sie die Probleme einzelner kommunaler Ordnungsbehörden viel zu hoch und füttern diese dann mit flächendeckenden Pauschalargumenten.
Viertens. Sie behaupten, dass Nichtraucher Schwierigkeiten hätten, aktuell eine Nichtraucherkneipe zu finden. Mir liegt dazu eine DEHOGA-Umfrage aus NRW vor, wonach immerhin schon 80 % – Herr Lindner erwähnte es – aller NRW-Gastrobetriebe ein rauchfreies Umfeld anbieten. Da frage ich mich allen Ernstes: Was wollen Sie denn noch? Die Tendenz ist da übrigens steigend.
Fünftens. In dem Gesetzentwurf sind nicht nur Rauchverbote in Gebäuden Thema – nein, Sie gehen noch weiter: Sie wollen sogar das Rauchen unter freiem Himmel verbieten. An der Stelle entlarven Sie sich selbst. Hier geht es eindeutig um eine ideologisch motivierte Diskriminierung von Rauchern. Sie schränken genau mit diesem Punkt die freie Entfaltungsmöglichkeit von Menschen ein, und zwar der Menschen, die zur Zigarette greifen möchten.
(Ministerin Barbara Steffens: Wo denn?)
Sechstens. Sehr geehrte Frau Steffens, Sie zeigen immer nach Bayern und behaupten, dort würde es doch auch funktionieren, dort seien keine Probleme in der Gastronomiebranche erkennbar. Haben Sie sich die Statistik, die Sie selbst immer wieder zitieren, mal genau angeschaut? Diese Studie lässt bewusst genau die Zielgruppengastronomie aus, die von den Verboten in Bayern am deutlichsten betroffen war. Das kann ich nur als Statistikschwindelei bezeichnen. Genau das hat auch die konkrete Studie der BFT aus dem August des vergangenen Jahres bestätigt. Ich kann sie Ihnen gerne zur Verfügung stellen, wenn Sie sie haben möchten.
Siebtens – dieser letzte Punkt ist für mich fast der wichtigste –: Zu keinem Zeitpunkt gab es eine Bürgermehrheit für eine weitere Verschärfung des Nichtraucherschutzes in NRW. Und sind wir nicht genau dafür da, im Sinne der Mehrheit der Menschen in NRW zu handeln?
(Ministerin Barbara Steffens: Ja, genau!)
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie, im Sinne unserer Bürger im Land zu stimmen. Persönliche, ideologische Auffassungen müssen wir alle ganz klar hinter den Bürgerwillen stellen. Von daher plädieren wir konsequent für die Beibehaltung des aktuellen Nichtraucherschutzgesetzes; denn die darin enthaltenen aktuellen Rahmenbedingungen reichen völlig aus, um Nichtraucher zu schützen und Rauchern die Möglichkeit zu geben, sich frei zu entfalten. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung hat noch einmal Frau Ministerin Steffens um das Wort gebeten. Selbstverständlich erhält sie es. Bitte schön.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Danke schön, Herr Präsident. – Ich möchte nur kurz noch mal gerade in Richtung der FDP zwei Signale aussenden.
Erstens. Herr Lindner, Sie sagen immer, das sei eine ideologische Debatte. – Das Gefühl habe ich bei Ihnen auch: dass das eine ideologische Debatte von Ihrer Seite ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie wissen, dass in Bayern auch die FDP-Fraktion den konsequenten Nichtraucherschutz unterstützt. Sie wissen auch, dass es im Saarland einen konsequenten Nichtraucherschutz gibt. Da waren gar nicht die Grünen – das unterstellen Sie ja explizit uns – die treibende Kraft. Das ist ein Stück weit Ideologie, die von Ihnen in Nordrhein-Westfalen an der Stelle immer wieder gerne betrieben wird.
Ich möchte noch mal auf eine Studie aus den letzten Tagen hinweisen, die Sie vielleicht noch nicht gesehen haben. Auch sie macht noch einmal – nach Zuordnung der politischen Parteien; das ist vielleicht auch für Sie ganz interessant – deutlich, wie denn der Wille der Bevölkerung in Bezug auf einen konsequenten Nichtraucherschutz aussieht. Wir wissen: Es gibt eine deutliche Mehrheit von über zwei Dritteln in der Bevölkerung, die einen konsequenten Nichtraucherschutz gerade auch im Gastronomiebereich haben will.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben ihn in Nordrhein-Westfalen nicht. Das hat die Evaluierung deutlich gezeigt. Das zeigt auch die Großstädteuntersuchung, nach der wir in Düsseldorf noch nicht mal auf 60 % rauchfreie Gastronomie kommen, obwohl viele der Gastronomiebereiche – selbst nach Ihren Ausnahmen – nie in den Genuss kommen dürften. Wir haben an der Stelle also keinen Nichtraucherschutz in Nordrhein-Westfalen.
Deswegen möchte ich, dass wir, auch wenn das Thema schön ist, um sich einen polemischen politischen Schlagabtausch zu liefern, die Debatte im Ausschuss im Interesse der Menschen führen, möchte ich, dass wir uns wirklich damit beschäftigen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Da kann ich in Richtung der Piraten nur sagen: Beim Stichwort „freier Himmel“ geht es auf Vorschlag der CDU-Fraktion nur um einen einzigen Bereich: die Kinderspielplätze. Ist Ihnen der Schutz der Gesundheit von Kindern in Nordrhein-Westfalen nicht so viel wert,
(Widerspruch von der SPD und den PIRATEN)
dass man über ein Rauchverbot auf ausgewiesenen Kinderspielplätzen redet? Ich kann nicht verstehen, dass Sie nicht klar benennen, dass es nur um Spielplätze geht. Sie haben eben versucht zu sagen, dass wir unter freiem Himmel eingreifen. Das tun wir nicht.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Droste?
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Ja, klar.
Dr. Wilhelm Droste (CDU): Frau Ministerin, beim Nichtraucherschutz ist man ja völlig bei Ihnen. Ich möchte nur, dass Sie mir mal etwas erklären. Wir haben bei uns eine kleine Kneipe: Steinstraße/Kreuzstraße.
(Lachen von der SPD – Zurufe)
– Ich bin mir sicher, liebe Kollegen der Sozialdemokratie, dass Sie diese Debatte um kleine Kneipen im Ruhrgebiet häufig haben werden. Deshalb sollten Sie lieber aufmerksam zuhören, als dümmlich zu lachen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Diese Kneipe hat eine einzige Theke, drei Stehtische. Ich gebe zu, ab und zu gehe ich da mal hinein.
(Lachen von der SPD)
Aber in dieser Kneipe – auch das sage ich offen – wird sehr viel geraucht. Jedes Mal, wenn ich da rausgehe, denke ich: Na ja, das hätte auch nicht sein müssen. – Aber eines ist sicher: Die Menschen, die dorthin gehen, haben die Wahl.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, kommen Sie langsam zu Ihrer Frage!
Dr. Wilhelm Droste (CDU): Ich frage Sie: Wie wollen Sie dauerhaft mit diesen Existenzen umgehen? Sind Sie nicht in der Lage, ein Gesetz zu bauen oder nachzubilden, das diese Existenzen erhält? Die einfache Frage stellt sich. Und das hat nichts mit Ideologie zu tun.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Kollege Droste, ich bin Ihnen dankbar für die Frage; denn das ist ein Beispiel, an dem man die Problematik gut deutlich machen kann.
Es geht um zwei Sachverhalte:
Wir haben den einen Fall, dass die Kneipe eine Kellnerin hat – in Ihrem Fall weiß ich das nicht – und auch Leute dorthin kommen, die nebenan wohnen und Gesundheitsschutz brauchen.
Der andere Fall ist die inhabergeführte Kneipe – das ist immer das nächste Beispiel –, in der nur der Gastwirt selber hinter dem Tresen steht. Ich habe von einer Reihe solcher Kneipeninhaber Zuschriften bekommen, in denen es heißt: Ich will keine Kneipe, in der das Rauchen möglich ist, muss das aber zulassen, denn an der Stelle gibt es eine Wettbewerbsverzerrung.
(Lachen und Zurufe von der FDP)
– Lautes Herumbrüllen ist auch nicht das Richtige. Lassen Sie doch dem Kollegen Droste eine Antwort zukommen, und brüllen Sie nicht die ganze Zeit dazwischen! Wenn Sie selber eine Frage haben, stellen Sie sie einfach! Ich will doch gerne mit Ihnen einen offenen Diskurs führen. Das Interesse, das bei mir dahintersteht, ist wirklich die Gesundheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Deshalb bin ich Gesundheitsministerin.
Wir haben viele Gastronomen, die eine rauchfreie Gastronomie haben wollen. Wir haben die Inhaber kleiner Eckkneipen, die selber rauchfreie Eckkneipen betreiben wollen, aber sagen: Wegen des Wettbewerbsdrucks geht das nicht.
Wir können nur dann eine rauchfreie Lösung finden, mit der sowohl die Gastronomen als auch die Gäste zufrieden sind, wenn sie konsequent für alle ist. Deswegen kann man die Eckkneipe nicht ausnehmen. Denn wo zieht man die Grenze? Wann ist eine Kneipe eine Eckkneipe? Ab wann soll man in einer Kneipe rauchen dürfen? Die vorliegenden Klagen zeigen, dass diese Grenze nicht ziehbar ist. Die Existenz ist auch nicht gefährdet. Wir sehen in anderen Ländern, dass die Menschen dort vor der Tür rauchen und drinnen sogar zwei Bier mehr trinken.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt Frau Kollegin Altenkamp das Wort. Bitte schön.
Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, die Diskussion wieder ein bisschen von der ideologischen Überhöhung herunterzuholen. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Meine Eltern haben 37 Jahre lang einen kleinen gastronomischen Betrieb gehabt. Meine Eltern haben mir auf diese Art und Weise meine Ausbildung ermöglicht. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass ich weiß, wovon ich rede. Ich kenne zwei, drei Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, die auf eine ähnliche Vita zurückblicken. Trotzdem ist man manchmal ein bisschen überrascht, wie hier Dinge überhöht werden. Denn in Wahrheit geht es um Existenzen – ja, und das ist nicht geringzuschätzen –, es geht nicht um solch grundsätzliche Fragestellungen wie Freiheit oder das Recht auf Selbstschädigung.
(Zuruf von der CDU: Doch!)
Wir müssen ein Gesetz, das sich in der Praxis an einigen Stellen als absolut funktionslos erwiesen hat, in einen Stand setzen, dass es seinen Zweck, nämlich den Nichtraucherschutz, auch tatsächlich erfüllt.
Herr Preuß, es ist schon ganz schön frech, wenn Sie hier sagen: Das ist ein gutes Gesetz. – Haben Sie den April letzten Jahres vergessen, als Ihnen das OVG Nordrhein-Westfalen erst mal die Raucherclubs zerschossen hat? Das verzeihe ich dem DEHOGA übrigens nicht so schnell, dass er Aufkleber verteilt und sagt: Wenn du das an deiner Tür hast, dann bist du ein Raucherclub. – Mit dem Spruch des OVG war aber klar, dass das nicht so einfach ist; genau das ist nämlich nicht erlaubt.
(Beifall von der SPD)
Schauen Sie sich das Gesetz an: Ein Raucherclub muss Mitglieder nachweisen und andere Dinge. Das sind Diskussionen, die bei Ihnen heiß umkämpft waren. Tun Sie doch nicht so! Es ist ein Staatssekretär zurückgetreten, vermeintlich deshalb, weil ihm das Nichtraucherschutzgesetz nicht konsequent genug war. Ich will auch daran erinnern, dass Herr Kollege Henke hier stand und gegen seine Fraktion gesprochen hat. Vor diesem Hintergrund, Kollegen, tun Sie nicht so, als wenn Sie alles schon von vornherein immer gewusst hätten!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Auch in Ihren Fraktionen, insbesondere in der CDU-Fraktion, war zu schwarz-gelben Zeiten das Nichtraucherschutzgesetz hart umkämpft.
Die Geschichte mit dem Raucherclub ist seit dem Spruch des OVG tot.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, entschuldigen Sie! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Britta Altenkamp (SPD): Nein, keine Zwischenfragen. – Seit diesem Moment ist klar, dass das Nichtraucherschutzgesetz angepackt werden muss.
Darüber hinaus haben Sie eine Evaluation beschlossen. Gucken Sie sich die Ergebnisse an. Da wird ganz deutlich, dass der Kinder- und Jugendschutz nicht konsequent und sicher genug ist. Vor diesem Hintergrund gibt es auch da eine Änderungsnotwendigkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Jetzt sage ich mal für meine Fraktion: Ja, im Koalitionsvertrag von Rot-Grün steht: „konsequent und rechtssicher“. – Ich will Ihnen jetzt mal kurz erklären, warum das so ist. Wenn beispielsweise die Regelung des Raucherclubs weder konsequent noch rechtssicher und deshalb obsolet ist, dann muss man doch schauen, was an der Stelle jetzt zu retten ist.
Aber Kollege Lindner, so einfach, wie Sie sich das mit Hamburg machen, ist es nicht. Denn in der Zwischenzeit ist in Hamburg ein Urteil des Verfassungsgerichts ergangen. Das besagt Folgendes: Wenn man eine kleine Raucherkneipe mit 75 m² erlaubt, wie das Bundesverfassungsgericht es ermöglicht, dann gibt es – da sind die Kläger erfolgreich gewesen – Regelungsbedarf für Mehrraumkneipen, die einen gesonderten, abgetrennten Bereich haben. Und davon reden wir! Wir reden an der Stelle von einer Wettbewerbsverzerrung, die aufgelöst werden muss.
Das Verrückte daran ist: Bislang hat es im Bundesgebiet noch niemanden gegeben, der zwischen dieser Zwinge eine wirklich rechtssichere Formulierung gefunden hat. Vor diesem Hintergrund müssen wir im Anhörungsverfahren schauen, wie wir diesen Bruch zwischen Raucherkneipen und Mehrraumkneipen mit abgetrennten Bereichen auflösen. Wir wollen uns in der Expertenanhörung hier in Nordrhein-Westfalen in aller Ruhe anhören, ob es dazu gute Vorschläge gibt. Meine Fraktion ist die letzte Fraktion, die sagt: Dann lassen wir das alles weg. – Vielmehr werden wir, wenn es rechtssichere Formulierungen gibt, versuchen, diese im Gesetz Eingang finden zu lassen.
(Beifall von der SPD)
Ein anderer Punkt sind die geschlossenen Gesellschaften. Es ist richtig: Das ist ein schwieriges Geschäft. Aber es ist nicht schwierig wegen der Frage, was passiert, wenn die ganze Kneipe als geschlossene Gesellschaft gilt. Das ist deshalb schwierig, weil es in das Berufsrecht der Gastwirte eingreift! Es muss geklärt werden, ob man geschlossenen Gesellschaften das Rauchen überhaupt verbieten darf oder nicht. Vor diesem Hintergrund und nicht mit Ihren ideologischen Initiierungen muss man das klären.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zu den Brauchtumsveranstaltungen. Ich habe für jeden Verständnis, der darauf hinweist, dass Brauchtumsveranstaltungen ehrenamtlich getragen sind und man an der Stelle schauen muss, was man den Vereinen zumutet und wie man es den Vereinen ermöglicht, ihre Brauchtumsveranstaltungen überhaupt noch wirtschaftlich tragfähig durchzuführen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Witzel?
Britta Altenkamp (SPD): Nein.
(Zurufe von der FDP: Oh!)
Diese Frage gehört in das Anhörungsverfahren. Nach der Struck‘schen Regel, dass kein Gesetzentwurf das Parlament so verlässt, wie er eingebracht wurde: Lassen Sie uns im Gesetzgebungsverfahren doch gemeinsam gucken, was man wie verändern kann.
Vor diesem Hintergrund kann ich für meine Fraktion sagen: Wir sind offen für vernünftige, konsequente, rechtssichere Formulierungen beim Nichtraucherschutz. Aber außer ideologischer Überhöhung ist bei Ihnen heute nichts gekommen.
(Beifall von der SPD)
Dann sage ich Ihnen noch Folgendes: Was ich an Ihrem Gesetz immer schlecht gefunden habe, ist, dass es sich nie mit einer Folgenabschätzung beschäftigt hat, nämlich zum Beispiel mit der Frage, was mit der ganzjährigen Außengastronomie ist. Darum haben Sie sich immer gedrückt. Dazu sagen Sie auch heute kein Wort.
Kollege Lindner, wir werden uns ganz sicher mal darüber unterhalten müssen, was herauskommt, wenn am Ende nur noch im öffentlichen Raum – auf der Straße und vor Kneipen unter freiem Himmel – geraucht werden darf. Das ist ein ideologischer Streit, den ich gern mit Ihnen führen würde. Aber hier die Grünen heißzukochen und von einer Verbotspartei zu sprechen, während Sie gleichzeitig sagen, Sie seien die Partei der Freiheit, ist purer Unsinn und sehr albern. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Der Kollege Romberg hat sich in der letzten und vorletzten Legislaturperiode dafür gefeiert, dass er sich für einen konsequenten Nichtraucherschutz im öffentlichen Raum eingesetzt hat. Er hat auch eingestanden, dass, wenn es nach ihm gegangen wäre, das Gesetz noch konsequenter gewesen wäre. Wir alle tragen in uns ein zweischneidiges Schwert. Tun Sie nicht so, als ob Sie diese Frage schon völlig geklärt hätten.
Ich freue mich darauf, im parlamentarischen Verfahren konstruktive und gute Vorschläge zu bekommen, wie dieses Gesetz verändert werden soll. Sie müssen dabei aber auf der einen Seite konsequenten Nichtraucherschutz sicherstellen und auf der anderen Seite Ausnahmeregelungen rechtssicher darstellen. Das ist der entscheidende Punkt, und dazu ist von Ihnen heute nichts gekommen. – Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der Fraktion das Wort, Herrn Kollegen Laumann. Bitte schön.
Karl-Josef Laumann (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich mit dem bestehenden Nichtraucherschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen in meiner Ministerzeit eine Menge zu tun hatte, lege ich nach dieser Debatte Wert auf ein paar Feststellungen.
Erstens. Als wir damals über den Nichtraucherschutz in Nordrhein-Westfalen debattiert haben, hatten wir nach zehn Jahren rot-grüner Regierung in Nordrhein-Westfalen die Situation, dass man auf jedem Bahnhof rauchen konnte, in jedem Rathaus rauchen konnte, in jedem Kindergarten rauchen konnte, in jedem Krankenhaus rauchen konnte.
(Beifall von der CDU)
Wie Sie wissen, haben wir in all diesen Bereichen ein konsequentes Rauchverbot durchgesetzt. Das war auch richtig so.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wir haben damals viel darüber diskutiert, wie man den Nichtraucherschutz im Gaststättenbereich regelt. Der ist, wenn man über Nichtraucherschutz redet, in jeder Debatte in unserem Land wohl der umstrittenste Bereich.
Uns war damals eines wichtig: Wir wollten eine Situation herstellen – das ist uns auch gelungen –, dass ein Mensch, der nicht raucht, überall gastronomische Angebote unterschiedlicher Strukturen genießen kann, ohne von Rauchern belästigt zu werden. Deswegen haben wir die Entscheidung getroffen, dass in einer normalen Gaststätte in einem abgetrennten Raum geraucht werden kann und der Rest der Gaststätte rauchfrei ist.
Dann haben wir eine weitere Entscheidung getroffen, wie das Gerichtsurteil sie uns damals vorgegeben hat: dass bei sogenannten Ein-Raum-Kneipen die Inhaber das Recht haben zu entscheiden, ob sie ihre Gaststätte als Rauchergaststätte oder als Nichtrauchergaststätte führen. Wenn einer nur einen Raum hat und weiß, dass zum Beispiel 80 bis 90 % seiner Gäste beim Pils gerne eine Zigarette rauchen, entscheidet er sich eben für eine Rauchergaststätte. Wenn er ein anderes Publikum hat, entscheidet er sich für eine andere Führung der Gaststätte. Was ist denn daran schlimm? Wenn ich Nichtraucher bin, gehe ich eben nicht in eine Raucherkneipe. Es gibt genügend andere Kneipen. Warum sollen wir einem Menschen in diesem Land am Freitagabend ein Feierabendbier zusammen mit einer Zigarette verbieten?
(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Aber das machen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf. Sie verbieten das schlicht und ergreifend.
Ich will einen zweiten Punkt nennen: Volksfeste. Die Volksfeste in unserem Land werden bis auf Kirmessen – vor allen Dingen Schützenfeste und Karnevalsfeste – von Vereinen getragen, zum Beispiel von Menschen, die sich ehrenamtlich für das Schützenwesen einsetzen. Sie tun das in vielen Gemeinden unseres Landes deswegen, weil es ihnen wichtig ist, dass es einmal im Jahr im Dorf oder im Stadtteil ein Volksfest gibt. Volksfeste halte ich persönlich für den Zusammenhalt einer Gesellschaft für eine ziemlich wichtige Einrichtung.
(Zuruf von der FDP: Da sind aber keine Grünen!)
Wir haben damals als Regierung, als Landtag nicht gesagt, auf einem Schützenfest darf geraucht werden oder darf nicht geraucht werden. Wir haben das Gesetz vielmehr so ausgestaltet, dass der Veranstalter, also der Schützenvereinsvorstand, selber entscheiden kann, ob er beim Schützenfest im Festzelt das Rauchen erlauben will oder nicht. Wir haben nie gesagt, dass da geraucht werden muss,
(Allgemeine Heiterkeit)
wir haben aber auch nie gesagt, dass da nicht geraucht werden kann. Wir haben das vielmehr in die Entscheidung eines Vereinsvorstandes gelegt.
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Und warum wollen Sie diese Menschen so bevormunden?
Dann lese ich Ihren Gesetzentwurf, Frau Steffens, in dem Sie rotzfrech – rotzfrech! – schreiben, die Strafe für Leute, die sich nicht an dieses Gesetz halten würden, müsse von 1.000 € auf 2.500 € erhöht werden. Wenn Sie jemals in einem Schützenvereinsvorstand gewesen wären, dann wüssten Sie, dass ein solcher Vorstand nicht in der Lage ist, auf großen Volksfesten ein Rauchverbot durchzusetzen. Jetzt drohen Sie aber einem Schützenverein mit 2.500 € Zwangsgeld, wenn er das Rauchverbot nicht durchsetzt.
Eine solche Politik begreife ich nicht: Auf der einen Seite reden Sie über das Ehrenamt, darüber, dass selbstbestimmte Menschen Spaß am Ehrenamt haben, auf der anderen Seite kommen Sie mit einem Gesetzentwurf mit Ordnungsverfügungen, die man gar nicht mehr verstehen kann.
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Ich will einen weiteren Punkt aufgreifen: Private Feiern in einer Gaststätte. Wenn man seinen Geburtstag zu Hause feiert, dann kann man selbstverständlich machen, was man will. Das stellt keiner infrage.
(Zurufe: Noch nicht!)
Jetzt entscheide ich mich aber – das kann auch sehr schlau sein, weil ich nicht möchte, dass meine Kinder oder meine Familie viel Arbeit hat –, für eine Geburtstagsfeier in eine Gaststätte zu gehen. Ich lade dazu meine Nachbarn ein, meine Familie, meine Freunde. Normalerweise ist es so, dass ich in einer Gaststätte ein größeres Gastzimmer oder einen Saal buche, in dem diese Veranstaltung stattfindet. Wenn ein Großvater seinen 80. Geburtstag in seinem Wohnzimmer feiert und sich dabei eine Zigarre gönnt, hat keiner von uns etwas dagegen. Nur weil er zum Feiern in eine Gaststätte geht, soll der Mann sich auf seinem Geburtstag, wenn er das möchte, keine Zigarre anzünden können? Wie weit sind wir eigentlich in diesem Land gekommen, dass Sie das einfach verbieten wollen? Wie weit sind wir gekommen?
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Deswegen sage ich ganz klar: Frau Steffens, Sie haben sich mit diesem Gesetzentwurf keine Mühe gemacht. Sie haben einfach gesagt: Damit es klar ist, verbieten wir eben alles, was Rauchen angeht. – Ein solches Gesetz hätte ich auch schreiben können. Dafür hätte ich noch nicht mal ein Ministerium gebraucht.
(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)
Die Kunst von Politik ist doch, dass man abwägt. Ihr Gesetzentwurf kommt mir so vor, als würden Sie Leuten, die Verkehrsregeln übertreten, einfach das Autofahren verbieten wollen. So kommt mir das vor.
Ich erwarte von einer Landesregierung und ich erwarte von einem Ministerium, dass man sich die Mühe macht, die Interessen, die es in einer Gesellschaft nun mal gibt, in einem Gesetz abzuwägen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
Karl-Josef Laumann (CDU): Einen Gedanken noch! – Wenn man bei einem Gesetz nach zwei Jahren Nachbesserungsbedarf hat, habe ich damit überhaupt kein Problem. Sie aber legen das Einfachste vor, was man machen kann. Danach darf schlicht und ergreifend nirgendwo mehr in Nordrhein-Westfalen in einer Gaststätte geraucht werden, egal was passiert. Ein solches Gesetz enthält keine Interessensabwägung. Es ist Bevormundung, es ist Erziehung. Das passt natürlich zu den Grünen. Wie die SPD damit fertig wird, ist ihr Bier, nicht meines. – Schönen Dank.
(Anhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Laumann. – Für die FDP-Fraktion erteile ich jetzt Frau Kollegin Schneider das Wort.
Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich heute überall zuhöre, sehe ich schon das Motto der kommenden Karnevalssession vor mir: Grün und Rot gleich Kneipentod.
(Beifall von der FDP)
Ich muss Ihnen sagen: Manches in dem Gesetzentwurf erinnert mich tatsächlich schon ein bisschen an Karneval. Ich habe gerade Frau Altenkamp von der SPD sehr aufmerksam gelauscht, als sie ihre Forderungen und ihre Wünsche genannt hat. Es irritiert mich bloß, dass sie sich zwar in ihrem eigenen Ortsverband gegen ein solches Nichtraucherschutzgesetz wehrt, uns aber im Landtag vermitteln will, das sei ein gutes Gesetz.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Unsere Gesundheitsministerin sagt – das muss ich zitieren –: So, wie niemand einer anderen Person einfach einen Schnaps ins Saftglas schütten darf, soll auch niemand einen anderen Menschen dem Tabakrauch aussetzen dürfen. – Liebe Kollegen, wenn ich in eine Kneipe gehe, in der geraucht wird, ist das meine eigene Entscheidung. Wenn hingegen irgendjemand fast eine Körperverletzung begeht und mir einen Schnaps in mein Getränk schüttet, ist das nicht meine Entscheidung.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Präsident, vielleicht sollten wir auf ein solches Gesetz verzichten und nicht so viel verbieten, sondern auf Vernunft, Respekt und Toleranz setzen. Die Frage „Stört es Sie, wenn ich rauche?“ kann man nämlich mit Ja oder auch mit Nein beantworten.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Unser Land hat ein ausreichendes, ein sehr gutes Nichtraucherschutzgesetz. Unser Land braucht keine weiteren Reglementierungen. – Danke schön.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Mir liegt noch eine Wortmeldung von Herrn Schulz von der Fraktion der Piraten vor. Sie haben das Wort.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Minute und 15 Sekunden Redezeit sind kurz. Ich gehe leider nicht in den zuständigen Ausschuss; das macht ein anderer Kollege unserer Fraktion.
Aber ich gebe allen an den weiteren Beratungen beteiligten Fraktionen etwas mit auf den Weg: Ja, die Sache ist in der Tat ideologisch geprägt. Das ist beim Alkohol so, das ist beim Tabak so. Das war schon immer so; seit über 100 Jahren ist das der Fall. In diesem Gesetzentwurf spiegelt sich im Grunde genommen nichts anderes wider als das, was wir vor 100 Jahren schon einmal erlebt haben: Er ist der Ausdruck von Prohibition.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Auf der anderen Seite denke ich an Tausende von Gastwirten, die vor nicht ganz fünf Jahren Zigtausende von Euro in den Umbau ihrer Gaststätten investiert haben. Das Geld können sie nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs in der jetzt vorliegenden Form in die Tonne kloppen. Sie werden weitere zehn oder 15 Jahre die Kredite abzahlen, die sie aufgrund des zuvor beschlossenen Gesetzes aufnehmen mussten.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Wir reden darüber hinaus von einem Gesetzentwurf, der davon ausgeht, dass wir unmündige Bürger haben und ein sozial psychopathisches Miteinander pflegen. – Das ist nicht der Fall. Bitte gehen Sie in den Beratungen der Ausschüsse davon aus, dass wir ein Gesetz brauchen, das die Freiheitsrechte aller Bürger – und zwar der mündigen Bürger – im Auge hat. Nichts weiter brauchen wir. Wir brauchen keine Verschärfung. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vor. Wir sind damit am Schluss der Beratungen und kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/125 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die Fraktionen haben darüber hinaus vereinbart, den zuvor genannten Gesetzentwurf mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem folgen kann, den bitte ich um sein Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.
Ich darf an dieser Stelle den Hinweis geben, dass sich der Ältestenrat einvernehmlich dafür ausgesprochen hat, zur Korrektur eines Versehens dem zuvor genannten Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales wieder diese seine traditionelle Bezeichnung zu geben. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch dies im Plenum endgültig festgelegt.
Wir kommen zu:
5 Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/120
Ich erteile für die Piratenfraktion Herrn Sommer das Wort.
Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen jetzt zu einem Gesetzentwurf der Piratenfraktion, der emotional nicht ganz so aufgeladen ist wie gerade die Diskussion über den Nichtraucherschutz.
Nichtsdestotrotz sollen Gesetze die Aufgabe haben, die Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft widerzuspiegeln. Sie sollen uns helfen, unser gesellschaftliches Miteinander gerecht zu regeln.
§ 42 Abs. 4 Kommunalwahlgesetz Nordrhein-Westfalen muss als ein klassischer Fall gelten, in dem dieser Anspruch nicht verwirklicht werden konnte. Dieser Absatz hat die Wiederholungswahl in Kommunen zum Gegenstand; er regelt sie leider nicht zur gesellschaftlichen Zufriedenheit. Die Bestimmung ist aber nicht in Gänze fern der Lebenswirklichkeit, sondern nur in einem bestimmten Teil.
Während bei einer Wiederholungswahl sechs Monate nach der Hauptwahl das Wählerverzeichnis neu erstellt werden muss und damit alle neuen wahlberechtigten Bürger diese Möglichkeit haben, sieht es beim passiven Wahlrecht leider anders aus.
Neue politische Bewegungen dürfen sich nicht zur Wahl stellen. Die alten Parteien und Listen hingegen dürfen nicht nur unverändert antreten, sondern es wird ihnen durch § 67 Abs. 4 Satz 2 Kommunalwahlverordnung sogar die Möglichkeit offeriert, die alten Wahlvorschläge zu modifizieren. Dies ist der Fall, wenn die Bewerber gestorben sind, ihre Wählbarkeit verloren haben, ihre Zustimmung zurückziehen oder aus der Partei ausgeschieden sind.
In einem aktuellen Fall, der Ratswahl in Dortmund, kann man diese Anpassung an die Lebenswirklichkeit übrigens sehr deutlich erkennen.
Dabei darf es aber nicht bleiben; denn nicht nur ausgeschiedene Bewerber sollten ersetzt werden können, sondern der Wähler muss auch die Möglichkeit erhalten, ganz neue politische Gruppierungen zu wählen.
(Beifall von den PIRATEN)
Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Gleichsetzung von aktivem und passivem Wahlrecht. Es ist den Wählern verfassungsrechtlich gerade noch zuzumuten, innerhalb von sechs Monaten nach der Hauptwahl auf ihr aktives und passives Wahlrecht zu verzichten – danach nicht mehr, ganz unabhängig davon, ob die Wiederholungswahl ein oder vier Jahre später erfolgt.
Meine Damen und Herren, Sie sehen damit anschaulich, wie § 42 Abs. 4 des Kommunalwahlgesetzes nicht der Lebenswirklichkeit entspricht und deshalb geändert werden muss. Solche Änderungen an Gesetzen oder evtl. auch die Ablehnung von Gesetzen sind eine schwierige Geschichte. Deshalb bitte ich, dass Sie die Überweisung an den Ausschuss unterstützen.
Ich möchte aber auch unseren Kollegen des EU-Parlaments danken, die einer Gesetzesvorlage mit überwältigender Mehrheit nicht zugestimmt haben. Ich darf Ihnen, falls Sie es nicht mitbekommen haben, gerne berichten, dass vom EU-Parlament um kurz vor 1 Uhr die Vorlage zu einer Regelung namens ACTA komplett abgelehnt worden ist.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte mich bedanken, dass man der Lebenswirklichkeit Rechnung getragen hat, und hoffe, dass wir das auch mit Bezug auf diesen Entwurf zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes im Ausschuss für Kommunalpolitik tun können. – Vielen Dank für Ihre Geduld.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. Ich darf natürlich mit Freude zur Jungfernrede gratulieren. – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hübner das Wort.
Michael Hübner*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will eines direkt vorwegnehmen: Wir werden uns für die Überweisung aussprechen und nicht dagegen sein, weil es sich hier in der Tat um eine etwas schwierige Rechtsmaterie handelt.
Allerdings ist es so, dass eine Wiederholungswahl nur bei schwerwiegenden Mängeln angeordnet wird. Ich glaube nicht, dass wir sehr häufig bewusst Situationen erzeugen sollten, bei denen es zu Wiederholungswahlen kommt. Diese Wahlen laufen dann nach ganz bestimmten Regelungen ab. Eine davon ist, dass die alten Listen maßgeblich sind. Damit wird sozusagen Rechtskraft erzeugt.
In der Tat sprechen Sie das Problem des Auseinanderklaffens von aktivem und passivem Wahlrecht an, denn die Wähler, die nicht mehr im Wahlgebiet wohnen, sind gegebenenfalls nicht mehr wahlberechtigt, wenn eine zu lange Zeit zwischen erster und Wiederholungswahl liegt.
Wir werden uns dem Thema konstruktiv nähern. Nur eines möchte ich feststellen: Eine Wiederholungswahl bleibt eine Wiederholungswahl. Wir sollten schon schauen, dass die Bedingungen, die zu Zeiten der ersten, dann später angefochtenen Wahl galten, nach Möglichkeit komplett abgebildet werden. Von daher werden wir uns das Thema im Kommunalausschuss anschauen, aber so sehr optimistisch, dass man da ohne Weiteres herangehen kann, bin ich nicht, weil das aus meiner Sicht verfassungsrechtlich etwas schwierig sein dürfte. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank auch Ihnen, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion hat Frau Middendorf das Wort.
Claudia Middendorf (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sommer, Sie sind genauso Dortmunder wie ich Dortmunderin bin. Ich finde das Thema, über das wir hier diskutieren, ein sehr emotionales, weil es ja auch um die Wahlwiederholung in Dortmund geht. Ich denke, das ist nicht einfach so abzutun, sondern da muss man Klartext sprechen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf plädiert die Fraktion der Piraten für eine Gleichstellung von aktivem und passivem Wahlrecht bei Wiederholungswahl und einer entsprechenden Änderung des Kommunalwahlgesetzes.
Wie ich gerade schon sagte, wählen wir in Dortmund am 26. August. Das ist eine Wiederholung der Ratswahl. Dafür, warum es eine Wiederholungswahl gibt, gibt es bestimmte Hintergründe.
Warum wurde überhaupt Einspruch bei der Kommunalwahl am 30. August 2009 eingelegt?
Den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern in Dortmund wurden vom damaligen Oberbürgermeister, dem Stadtdirektor, der jetzt Bürgermeister unserer Stadt ist, und der Kämmerin, die wir Gott sei Dank nicht mehr haben, wissentlich wahlkampfrelevante Informationen vorenthalten. Damit hat ein Fall unzulässiger Wahlbeeinflussung stattgefunden.
Worum geht es in Zahlen?
Die Finanzsituation – das wissen viele Kommunen im Ruhrgebiet, und so ist es auch in Dortmund – ist ein zentrales Wahlkampfthema zu der Frage gewesen, wie der Haushalt aufgestellt wird.
Bereits am 29. Mai 2009 wurden dem damaligen Oberbürgermeister Langemeyer und dem jetzigen Oberbürgermeister Sierau durch die Stadtkämmerei vertrauliche Unterlagen zugestellt. Aus diesen Unterlagen ging deutlich eine Verschlechterung der Finanzlage der Stadt Dortmund hervor. Um die Größenordnung einmal zu nennen: Wir sprechen hier von einem Haushaltsloch von über 100 Millionen €.
Das war dem Oberbürgermeister, der Stadtkämmerin und dem jetzigen Oberbürgermeister seit dem 5. Juni bekannt. Aber es wurde natürlich erst nach der Wahl, und zwar einen Tag danach, am 31.08., preisgegeben.
(Beifall von der CDU)
So wurden – das ist das Schlimme, und das muss man auch hier verdeutlichen – die Dortmunder Wählerinnen und Wähler getäuscht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf! Sinn und Zweck des § 42 Kommunalwahlgesetz bestehen darin, Wahlfehler der Hauptwahl zu korrigieren, wenn die Hauptwahl wegen ihrer Mängel für ungültig erklärt worden ist. Deshalb findet bei einer Wiederholungswahl wie im Falle von Dortmund auch keine Neuwahl statt. Eine Wiederholungswahl ist demnach weder Neuwahl noch Nachwahl.
Die erste unregelmäßige Wahl ist zu wiederholen, um am Ende eine fehlerfreie – das ist das Entscheidende –, legitimierte Vertretung auf der Grundlage der existierenden Wahlvorschläge zu haben.
Wichtig ist: Die bei der Hauptwahl angetretenen Wahlbewerber waren von Beeinträchtigungen betroffen. Die Chancengleichheit der sich damals zur Wahl stellenden Bewerber und die Parteien wurde beeinträchtigt. Deshalb lautet der Grundsatz, dass bei der Wiederholungswahl keine neuen Wahlvorschläge zugelassen werden – eine logische Konsequenz, gerade auch weil es nie Zweifel an der Korrektheit der damals aufgestellten Wahlvorschläge gab.
Auf eine zeitnahe Umsetzung der Wiederholungswahl können die Bürgerinnen und Bürger gleichwohl nicht immer setzen. Im Dortmunder Fall liegt zwischen Haupt- und Wiederholungswahl ein langer Zeitraum.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Middendorf, lassen Sie eine Frage des Kollegen Sommer zu?
Claudia Middendorf (CDU): Nein, lasse ich nicht.
Verantwortlich dafür ist eine Reihe von Klagen der SPD-Ratsmitglieder, die auch für das Haushaltsloch in Dortmund verantwortlich waren. Erst mit dem Beschluss am 9. Mai 2012 konnte die Auflösung des Rates rechtskräftig werden. Erst damit wurde der Weg für die Wahlwiederholung frei.
Gestatten Sie mir zum Schluss meiner Rede noch einen letzten Verweis auf Dortmund. In Dortmund wollen die Piraten bei der Wiederholungswahl des Rates am 26. August 2012 antreten. Da sie das laut Gesetz aber nicht dürfen, weil sie 2009 noch nicht kandidiert haben, und eine Klage keinen Erfolg verspricht, soll nun wohl ein Umweg über den Landtag mit den vorgeschlagenen Änderungen der gesetzlichen Grundlagen beschritten werden. Das halte ich für äußerst fragwürdig.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Ist auch falsch!)
Wiederholungswahl, lieber Herr Sommer, heißt: Wenn wir am 26. August 2012 wählen, dann wählen wir für die nächsten anderthalb Jahre bis 2014, bis wieder Kommunalwahlen sind. Dann haben Sie die Chance, als Piraten anzutreten, und dann können Sie in Dortmund alles verändern. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Middendorf. – Ich erteile nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herrn Kollegen Krüger das Wort.
Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wertes Landtagspräsidium! Die Dortmunder Riege trifft sich hier an diesem Pult – durchaus zu Recht.
Herr Sommer, Sie haben in Ihrer Einführung den Bezug zu der Situation in Dortmund hergestellt. Ich will durchaus nicht verkennen, dass die Dortmunder manchmal eigene Wege gehen, die nicht ganz nachvollziehbar sind. Man wählt gerne und immer wieder. Das soll so sein, und insofern werden wir uns auch der Wahl am 26. August 2012 stellen.
Ich sehe, bezogen auf die Ereignisse in Dortmund, durchaus einen Regelungsbedarf. Wir haben beispielsweise sehr intensiv diskutiert, wie es mit der Entsendung von Arbeitgebervertretern aus der Kommune in kommunale Unternehmungen weitergeht oder wie man die Situation der Fraktionsmitarbeiter regelt. Da hat es einiges an Gesprächen gegeben. Man hat versucht zu improvisieren und ist auch zu ganz guten Lösungen gekommen. Die dabei gemachten Erfahrungen sollten genutzt werden, um eine generelle Regelung zu schaffen.
Inwieweit Ihr Wunsch richtig und sinnvoll ist, das ist eine ganz andere Frage. Ich vergleiche das immer ein bisschen mit dem Sport. Das ist wie bei einem 400-m-Hürdenlauf, bei dem jemand durch ein grobes Foul einen Start unterbunden hat, der dann neu angesetzt werden muss, und jemand sagt: Ich möchte auch gerne dabei sein.
Sie, Herr Sommer, haben sich als Partei in Dortmund ganz bewusst entschieden, 2009 nicht anzutreten – wohl wissend, dass diese Periode 2014 endet. Es ist von meinen Vorrednern gerade schon ausgeführt worden: Wir reden hier von einer Wiederholungswahl, bei der im Grundsatz der Wahlgang mit der gleichen Kandidatenriege wie bei der Ausgangswahl anzugehen ist.
Sie werden, so habe ich mir berichten lassen, in dieser Woche die Wahlvorschläge für die Dortmunder Wiederholungswahl einreichen. Wahrscheinlich wird die entsprechende Wahlprüfung ergeben, dass diese nicht statthaft sind, und sie werden abgelehnt. Sie beabsichtigen in diesem Zusammenhang, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen. Diesen Weg sollen Sie gehen.
Wir sind gut beraten, Ihren Gesetzesentwurf in den entsprechenden Fachausschüssen zu behandeln – auch unter Würdigung dessen, was beispielsweise das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen oder vielleicht das OVG in Münster zu der beabsichtigten Klage sagen werden.
Nach meiner Einschätzung ist das nicht zulässig. Aber wir sind ergebnisoffen und hören gerne zu. Dann werden wir zu einer entsprechenden Einschätzung kommen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war auch die erste Rede!)
– Das war auch die erste Rede. Dann möchte ich mich natürlich ganz herzlich dafür bedanken und Ihnen zu Ihrer Jungfernrede gratulieren.
(Allgemeiner Beifall)
Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Abruszat das Wort.
Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Bevor wir zu dem Antrag der Fraktion der Piraten kommen,
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Piratenfraktion!)
sei noch einmal darauf hingewiesen – die Kollegin der CDU-Fraktion hat das ja bereits getan –, warum dieser Antrag heute überhaupt hier im Plenum beraten werden soll.
Dieser Antrag soll beraten werden, weil die Wahl 2009 in Dortmund unter ganz besonderen Voraussetzungen stattgefunden hat. Es war nämlich die Stadtspitze und es waren die kommunalpolitisch Verantwortlichen in dieser großen Westfalenstadt Dortmund, die die Bürgerinnen und Bürger schlichtweg im Unklaren gelassen haben ob der Finanzsituation in Dortmund.
Das muss noch einmal betont werden. Das ist der Auslöser, und deswegen ist es richtig, dass wir uns mit der Wiederholungswahl hier beschäftigen.
Darüber hinaus sei gesagt: Wiederholungswahlen müssen sich – allein wegen der Begrifflichkeit – irgendwie mit dem beschäftigen, was man gemeinhin Rekonstruktionsprinzip nennt. Denn Wiederholungswahlen finden eben aufgrund von Wahlfehlern statt, wie in Dortmund. Sie sind durchzuführen, wenn im Wahlprüfungsverfahren die Wahl teilweise oder insgesamt für ungültig erklärt worden ist. Genau diese Wahl muss dann quasi rekonstruiert werden. Deswegen ist an diesem Grundsatz erst einmal festzuhalten.
Aber ich sage auch: Das Anliegen der Kolleginnen und Kollegen, das Herr Kollege Sommer vorgetragen hat, ist natürlich nachvollziehbar. Warum? – Wenn aktives Wahlrecht und passives Wahlrecht – und damit das Wahlrecht als Ganzes – auseinanderfallen im Hinblick auf die Möglichkeit, das eine und das andere wahrzunehmen, dann ist es ein Gebot der demokratischen Vernunft und Klugheit, darüber nachzudenken, ob und inwieweit wir diesem Anliegen hier im Hohen Hause, im Landtag, Rechnung tragen. Das ist etwas, was mit Demokratie zu tun hat. Ich glaube, wir tun gut daran, uns im Ausschuss damit zu befassen.
Meine Damen und Herren, ein bisschen aber hat mich dieser Antrag auch an das erinnert, was wir in der letzten Wahlperiode durch die Fraktion Die Linke erlebt haben, die eine Art Lex Sauerland eingebracht hat, als es um die Frage der Abwahl von Hauptverwaltungsbeamten ging. Genauso ist das hier eine Art Lex Dortmund. Deswegen ist es gesetzessystematisch richtig und klug zugleich, diese wichtige Thematik des kommunalen Wahlrechts gesamthaft anzugehen:
Wir müssen ja nicht nur das Kommunalwahlgesetz einer Prüfung unterziehen, sondern wir müssen auch die Kommunalwahlordnung einer Prüfung unterziehen. Das taucht in Ihrem Antrag nicht auf. Deswegen – daher stimmen wir der Überweisung zu – gehört der Antrag in den zuständigen Fachausschuss des Hauses. Ich freue mich sehr auf die Beratungen und hoffentlich tragfähige Ergebnisse. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne auf zwei Redner eingehen, um einer gewissen Legendenbildung vorzubeugen.
Herr Abruszat, wir haben oft und häufig darüber diskutiert: Es hat in der Vergangenheit keine Lex Sauerland gegeben. Es wird auch zukünftig in diesem Land keine Lex für einen Oberbürgermeister, einen Bürgermeister oder Landrat geben.
(Kai Abruszat [FDP]: Vorläufig!)
Sie wissen, dass es Änderungen an der Gemeindeordnung gegeben hat, die längst vereinbart waren, bevor diese Tragödie in Duisburg geschah.
(Beifall von der SPD)
Deshalb bitte ich, zukünftig solche Formulierungen möglichst zu unterlassen.
Gleiches gilt für das bereits von Vorrednern kommentierte Urteil betreffend Dortmund. Ich sage es ganz deutlich: Ob wir alle hier in diesem Raum mit diesem Urteil und seinen Folgen für zukünftige Kommunalwahlen glücklich sein werden, steht noch in den Sternen.
Wir können uns alle noch sehr gut an das erinnern, was im Zuge der letzten Kommunalwahl in einer ganzen Reihe von Städten nachträglich klar geworden ist – sei es in Neuss, in Krefeld –, als nach der Kommunalwahl Haushaltsveränderungen öffentlich wurden. Um es deutlich zu sagen: Die Regierungspräsidenten waren in letztgenannten Fällen – anders als in Dortmund – weniger von politischen Interessen geleitet. Nur weil es mit Blick auf Dortmund anders war, ist es zu diesem Urteil gekommen. Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Beitrag zur kommunalen Demokratie ist, demokratische Entscheidungen bei Wahlen – aus welchen Gründen auch immer – vor Verwaltungsgerichten anzufechten.
Dass die Piraten den Wunsch haben, im August an der anstehenden Wiederholungswahl teilzunehmen, kann man wegen der Wahlerfolge ihrer Partei verstehen. Man muss nur wissen: Dahinter verbergen sich ganz persönliche Interessen dieser einen Partei, aber nicht das Demokratieprinzip, das eigentlich bei der Bewertung dieser Frage hervorzuholen ist.
Das Demokratieprinzip sagt eindeutig, dass eine Wiederholungswahl keine Neuwahl ist. Das Demokratieprinzip sagt eindeutig: Wenn eine Wiederholungswahl ansteht, muss sie möglichst unter denselben Bedingungen stattfinden wie die Ursprungswahl.
(Zuruf von der SPD: Und zeitnah!)
Es gibt möglicherweise einige wenige zulässige Ausnahmen, sei es zum Beispiel, dass Kandidaten versterben, nicht mehr bereitstehen oder wegen der ständigen Bevölkerungsfluktuation in einer Stadt Wählerinnen und Wähler weggezogen oder zugezogen sind. Nur diese streng begrenzten Veränderungen sind bei einer Wiederholungswahl zulässig.
Ich glaube, dass dieses Prinzip richtig ist, weil die Wählerinnen und Wähler bei dem Ursprungswahltermin darauf vertrauen durften und zukünftig darauf vertrauen sollen, dass diejenigen, die zu einer Wahl antreten, für die gesamte Wahlperiode zur Verfügung stehen.
Wenn sich im Nachhinein Mängel an einer solchen Wahl in Teilen oder in Gänze herausstellen sollten, kann es nicht sein, dass diese Erwartungshaltung der Wählerinnen und Wähler nachträglich dadurch verändert werden darf, dass zusätzliche Bewerber oder Parteien bei einer Wiederholungswahl antreten dürfen. Gerade sind schon viele Bilder bemüht worden, wann es im täglichen Leben eine Wiederholung gibt. Ich will nicht auf den Elfmeter eingehen, bei dem man sich bei einer Wiederholung auch nicht aussuchen kann, ob der Schütze derselbe oder ein anderer sein soll. Dieses Prinzip der Gemeindeordnung stellt immer nur eine Ausnahme dar für den Fall einer Wiederholungswahl. Das ist, glaube ich, gut und richtig.
Ich freue mich auf eine inhaltliche Diskussion im zuständigen Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegt noch eine Wortmeldung des Kollegen Sommer vor, der damit das Wort hat.
Torsten Sommer (PIRATEN): Nach den Redebeiträgen, die ich zum Thema gehört habe, möchte ich mich vor allen Dingen bei Herrn Innenminister Jäger bedanken. Es ist definitiv keine Lex Dortmund, keine Gesetzgebung für die Piraten. Würde es der Piratenpartei in Dortmund nur darum gehen, an den Wahlen teilzunehmen, hätten wir ohne Probleme zwei Listen übernehmen und mit neuen Kandidaten besetzen können. Wir wären dann einfach unter einem anderen Namen angetreten, aber weiter mit Piratenpersonal. Das wäre nicht das Problem gewesen.
Der Weg, den wir jetzt gehen, ist explizit nicht darauf ausgerichtet, sich über den Umweg des Landtags in die Wahlen hineinzubringen. Das kann gar nicht funktionieren. Der zeitliche Ablauf gibt das gar nicht her, wie Sie wissen dürften.
Deshalb finde ich es ein bisschen schade, dass das unterstellt wird.
(Beifall von den PIRATEN)
Des Weiteren bin ich als Vertreter der Piratenpartei explizit nicht auf die Umstände, die zur Wiederholungswahl geführt haben, eingegangen. Ich möchte diese Emotionalität in der Debatte überhaupt nicht haben. Es geht darum, dass wir in Dortmund anhand dieses Beispiels einen Fehler im Kommunalwahlgesetz entdeckt haben, den wir behoben wissen möchten. Wir möchten an der Stelle einfach eine Gleichsetzung von aktivem und passivem Wahlrecht. Das ist alles.
Wir wollen es nicht emotionalisieren, indem wir mit irgendwelchen Fingern auf andere Menschen zeigen, die im Vorfeld Fehler gemacht haben. Ich bitte Sie, das bei Ihren Diskussionen zu berücksichtigen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege. – Mir liegen zu diesem Tagesordnungspunkt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Beratung beendet.
Wir stimmen über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/120 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer ist dafür, dass wir dem so folgen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Kommen wir nun zu:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/41
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/173
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/130
Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung über die beiden Anträge. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag Drucksache 16/173 der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab. Wer ist dafür, dass dieser Antrag so angenommen wird? – Wer ist dagegen?
(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP: Mehrheit, eindeutig Mehrheit! – Das sitzungsleitende Präsidium berät sich.)
Der Sitzungsvorstand ist sich einig, dass dieser Antrag abgelehnt ist.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Damit stimmen wir über den Gesetzentwurf Drucksache 16/41 ab. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung 16/130, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich darf um Handzeichen bitten, wer dem folgen kann. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich darf zu Protokoll geben, dass es zum Abstimmungsverhalten der FDP-Fraktion …
(Christian Lindner [FDP]: Nein, Nein!)
– Nein? Zurückgezogen? – Dann darf ich einfach nichts dazu sagen.
(Heiterkeit – Christian Lindner [FDP]: Weil alte Lage!)
– Alles klar, ich verstehe.
Dann kommen wir zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/18
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/131
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/131, dem Abkommen über die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten zuzustimmen und damit dem Antrag der Landesregierung auf Zustimmung zu diesem Staatsvertrag gemäß Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung Drucksache 16/18 zu entsprechen. Ich darf um Handzeichen bitten, wer dem folgen möchte. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind die Beschlussempfehlung und der Antrag bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
8 Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS)
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/19
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/132
Eine Debatte ist auch hier nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/132, dem Abkommen zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik zuzustimmen und damit dem Antrag der Landesregierung auf Zustimmung zu diesem Staatsvertrag gemäß Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung zu entsprechen. Ich darf um Handzeichen bitten, wer dem so Folge leisten möchte. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist bei vereinzelten Enthaltungen der Beschlussempfehlung und dem Antrag zugestimmt worden.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/123
Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Wir kommen auch hier unmittelbar zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/123. Wer ist für diesen Antrag? – Wer ist gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag einstimmig angenommen und die Enquetekommission somit wieder eingesetzt.
10 Verfassungsbeschwerde des Bundes für Geistesfreiheit München gegen
a) den Beschluss des Bundesverwaltungsge-richts vom 21. Dezember 2009 – BVerwG 6 B 35.09 –,
b) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. April 2009 – 10 BV 08.1494 –,
c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs München vom 12. März 2008 – M 18 K 07.2274 –,
d) den
Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 23. Mai 2007 –
10-2172-2-07 –,
e) den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 3. April 2007 – KVR-I/321AG2 –
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/61
Eine Beratung ist nicht vorgesehen, sodass ich über die Empfehlung des Hauptausschusses, eine Stellungnahme zu diesem Verfahren nicht abzugeben, abstimmen lasse.
Wer möchte so verfahren? Ich bitte um Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich seiner Stimme? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/61 angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/62
Eine Beratung ist hier auch nicht vorgesehen, sodass ich über die Empfehlung des Hauptausschusses, eine Stellungnahme zu diesem Verfahren nicht abzugeben, direkt abstimmen lasse.
Wer ist dafür, so zu verfahren? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei wenigen Enthaltungen ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/62 damit angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/63
Eine Beratung ist hier ebenfalls nicht vorgesehen.
Ich lasse daher direkt über die Empfehlung des Hauptausschusses, eine Stellungnahme auch in diesem Verfahren nicht abzugeben, abstimmen. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/63 einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
13 Benennung eines stellvertretenden Mitglieds für den Ausschuss der Regionen der Europäischen Union
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/124
Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/124. Wer ist dafür, den Wahlvorschlag so anzunehmen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich seiner Stimme? – Bei Gegenstimmen aus der CDU-Fraktion ist der Wahlvorschlag mehrheitlich angenommen.
Tagesordnungspunkt
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/151 – Neudruck
Eine Beratung ist bei diesem Tagesordnungspunkt auch nicht vorgesehen.
Wir kommen auch hier unmittelbar zur Abstimmung über den Wahlvorschlag Drucksache 16/151 – Neudruck. Wer möchte den Wahlvorschlag so annehmen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Wahlvorschlag bei Gegenstimmen der CDU-Fraktion und Enthaltungen aus der Piratenfraktion so angenommen.
Tagesordnungspunkt
Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist auch nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 91 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass die Beschlüsse zu Petitionen in der Übersicht 16/1 bestätigt sind.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe das Plenum für morgen, Donnerstag, den 5. Juli 2012, um 10 Uhr wieder ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag. – Vielen Dank.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 14:39 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.