57. Sitzung
Düsseldorf, Donnerstag, 10. April 2014
1 Freizügigkeit klug gestalten: Schlepperbanden und Missbrauch bekämpfen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5489
Freizügigkeit klug gestalten: Not sehen, wirksam helfen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5490
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5486
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5552
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5472
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5531
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5550
4 Cannabis legalisieren – Drogenpolitik neu ausrichten
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5478
5 „Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben“ für Menschen mit Behinderungen in NRW weiterentwickeln
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5482
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5487
Herbert Franz Goldmann (GRÜNE)
7 Hochschulzukunftsgesetz (HZG NRW)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5410
Open Access im Hochschulgesetz verankern – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärken
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5476
8 Versorgungsengpässe in der Ü3-Betreuung ernstnehmen und frühzeitig beseitigen!
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4431
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5495
Siehe auch
Nachtrag zu dieser
Abstimmung nach der Rede Meesters in TOP 9
9 Nordrhein-Westfalens Landwirtschaft soll gentechnikfrei bleiben!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5484
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5551
Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 8
10 Gesetz zur Verwirklichung von Transparenz und Informationsfreiheit im Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3248
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5556
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5496
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5479
Unterrichtung
durch die Landesregierung
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5570
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5572
Entschuldigt waren:
Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft
(ab 15:45 Uhr)
Minister
Garrelt Duin
(ab 17:30 Uhr)
Minister
Michael Groschek
(ab 17:30)
Minister Ralf Jäger
Minister
Johannes Remmel
(bis 14 Uhr)
Ministerin
Ute Schäfer
(ab 17 Uhr)
Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
Ministerin
Barbara Steffens
(ab 14 Uhr)
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Brigitte
Dmoch-Schweren (SPD)
(ab 13 Uhr)
Stephan Gatter (SPD)
Josef Neumann (SPD)
Serap Güler (CDU)
Bernd Krückel (CDU)
Peter
Preuß (CDU)
(ab 12 Uhr)
Bernhard Tenhumberg (CDU)
Arndt Klocke (GRÜNE)
(ab 17:30 Uhr)
Hans
Christian Markert (GRÜNE)
(ab 14 Uhr)
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE)
Ulrich Alda (FDP)
(bis 12 Uhr)
Birgit Rydlewski (PIRATEN)
Torsten Sommer (PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn die Kolleginnen und Kollegen heute Morgen noch nicht sehr zahlreich vertreten sind, heiße ich Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der 57. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt vor allen Dingen den Besucherinnen und Besuchern auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich zwei Hinweise zur heutigen Sitzung, und zwar zunächst bezüglich Tagesordnungspunkt 11.
Dort behandeln wir den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/5479 „Kremser Erklärung mit Leben füllen: Transparenz herstellen, Bürgerbeteiligung einführen, Open Data und Open Government vorleben“.
Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, diesen Antrag ohne Debatte an den Hauptausschuss zu überweisen, der die Federführung bekommt, sowie ergänzend an den Ältestenrat. Beratung und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses für eine Plenarsitzung im Mai vorgesehen werden.
Mein zweiter Hinweis betrifft den neuen Tagesordnungspunkt 12. Bereits gestern hatte ich Ihnen mitgeteilt, dass eine Unterrichtung durch die Landesregierung zum Thema „Ergebnis der Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes“ angekündigt wurde.
Eingebracht wird die Unterrichtung durch Frau Ministerin Löhrmann. Im Anschluss findet die Debatte statt. Damit Ihnen das Zeitvolumen deutlich wird: Die Landesregierung hat eine Einbringungszeit von 20 Minuten beantragt. Die Aussprache findet nach dem bekannten Redezeitschema statt, das wir für Unterrichtungen verabredet haben: SPD, CDU haben jeweils 20 Minuten, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten jeweils 16 Minuten und die Landesregierung noch einmal 20 Minuten, sodass wir – wenn den ganzen Tag über alle Redezeiten ausgeschöpft werden – mit dem Ende des Plenartags um ungefähr 19:10 Uhr rechnen können.
Nach diesen Vorbemerkungen treten wir nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
Ich rufe auf:
1 Freizügigkeit klug gestalten: Schlepperbanden und Missbrauch bekämpfen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5489
Freizügigkeit klug gestalten: Not sehen, wirksam helfen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5490
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der CDU Herrn Kollegen Biesenbach das Wort.
Peter Biesenbach (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Verehrte Gäste auf der Tribüne und im Stream!
(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von der CDU und den PIRATEN)
– Das war die Übung für den Beifall, den Sie gleich an ganz vielen Stellen wiederholen können, wenn wir uns heute inhaltlich trefflich auseinandersetzen.
Die EU-Osterweiterung hat zu erheblichen Wanderungsbewegungen innerhalb der EU geführt. Insbesondere die Zuwanderung von Menschen aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland hat stetig zugenommen. Der Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hält für das Jahr 2008 noch einen Wanderungssaldo von rund 18.500 Personen fest. Dieser Wert stieg im Jahr 2012 auf knapp 75.000 Personen an. Das ist eine Vervierfachung binnen vier Jahren.
Ein nicht unerheblicher Teil der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien verfügt allerdings weder über eine Berufsausbildung noch einen Schulabschluss. Aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus haben diese sogenannten Zuwanderer auch langfristig praktisch keine Chance, in Deutschland nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Die Folgen haben wir hier bereits mehrfach diskutiert. Unter dem Stichwort „Problemhaus“ Duisburg ist es auch medienmäßig intensiv und breit behandelt und auch nachvollziehbar deutlich gemacht worden. Diese Spannung, die diese Menschen in Deutschland verursachen, zeigen auch unsere beiden Anträge, die wir Ihnen heute vorlegen.
Der Antrag, den Frau Kollegin Milz gleich als zweite Rednerin behandeln wird, umfasst das Thema „Freizügigkeit klug gestalten: Not sehen, wirksam helfen“. Dieser Antrag gilt für alle Menschen, die zuwandern, für die ersten drei Monate, weil hier Freizügigkeit voraussetzungslos gilt – es sei denn, dass bereits in diesem Zeitraum Kindergeld missbräuchlich bezogen wird.
Aber nach drei Monaten hat nur noch berechtigten Aufenthalt in Deutschland, wer erwerbstätig oder in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern, und wenn Krankenversicherungsschutz besteht.
An diesem Punkt setzt unser erster Antrag ein, den man bitte unter der Überschrift „Missbrauch verhindern“ verstehen sollte. Denn wenn wir das nicht tun, laufen wir Gefahr, dass Rechtspopulisten ein neues Thema haben und wir Kommunen weiter so belasten, wie wir es etwa aus Duisburg, Hamm, Dortmund, aber auch Köln hören. Das wollen wir nicht. Freizügigkeit Ja für die Menschen, die sie berechtigt in Anspruch nehmen, aber Nein zum Missbrauch und Nein zu den kriminellen Situationen, die damit einhergehen.
(Beifall von der CDU)
Die CDU hat ihren ersten Antrag mit der Situation des Bezugs von Kindergeld begonnen. Es ist vielfach die einzige Leistung, die nicht erwerbstätige EU-Bürger in Deutschland erhalten können. In diesem Zusammenhang kommt es häufig zu unberechtigten Zahlungen. Denn nicht alle Eltern, die Kindergeld beantragen und beziehen, wohnen in Deutschland: Missbrauch. Und häufig wird Kindergeld für Kinder bezogen, die es gar nicht gibt oder die anderen Eltern – in Anführungszeichen – gehören. Auch das ist Missbrauch. Hier wollen wir einen Riegel vorschieben, und ich komme dazu.
Die zweite Missbrauchsmöglichkeit ist die, dass die sogenannten Aufstocker teilweise einige Stunden in der Woche arbeiten oder ein Gewerbe betreiben, das nie zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen kann, und die dennoch Hartz IV beziehen.
Hier wollen wir eingreifen. Daher möchte ich fünf markante Punkte unseres Antrags Drucksache 16/5489 deutlich machen:
Die Landesregierung sollte dafür sorgen, dass die Ausländerbehörden die von Armutsmigration besonders betroffenen Kommunen anhalten, zu prüfen, ob die Freizügigkeitsvoraussetzungen auch tatsächlich vorliegen. Denn wir halten es für notwendig, in abschließenden und in regelmäßigen Abständen zu prüfen, damit wir feststellen, wer nicht mehr aufenthaltsberechtigt ist und wer ausreisepflichtig ist und das Land eigentlich verlassen müsste und es nicht tut.
(Zurufe von der SPD)
Wir erwarten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass die Landesregierung dafür sorgt, dass Menschen, die ausreisepflichtig sind, ihrer Ausreisepflicht nachkommen.
(Beifall von der CDU)
Dies, Herr Minister Schneider, ist besonders unter folgendem Aspekt zu betrachten, der bisher noch nicht zu diskutieren war: Durch die sich abzeichnende ändernde Rechtsprechung der Sozialgerichte kann es nämlich sonst sein, dass Menschen, die ausreisepflichtig sind und keinen Anspruch auf Hartz IV hätten, nachher anspruchsberechtigt werden, weil die Sozialgerichte nach den ersten Urteilen zu sagen scheinen: Wenn das Land nicht dafür sorgt, dass die Ausreisepflicht auch vollzogen wird, darf es hinterher nicht die Leistungen versagen. Denn das wäre gegen die Menschenwürde.
Diese Situation zeichnet sich ab, weil wir erste Urteile in die Richtung haben. Wir werden feststellen, ob sich diese Rechtsprechung verfestigt. Aber wenn das geschieht, ist die Handlungsnotwendigkeit besonders groß. Denn nach Zeitungsberichten würden bis zu 130.000 Fälle anspruchsberechtigt. – Es ist, glaube ich, Aufgabe aller, dafür zu sorgen, solche Entwicklungen zu kontrollieren und möglicherweise in den Griff zu bekommen.
Bei Kindergeldanträgen sollte durch Bescheinigung des Vermieters nachgewiesen werden, dass die Anspruchsteller tatsächlich in Deutschland wohnen. Die Beibringung kann schon nach dem geltenden Melderecht gefordert werden. Wir wollen, dass die Landesregierung dies auch sicherstellt.
Weiter fordern wir die Landesregierung dazu auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Kindergeld nur noch an die Personen ausgezahlt wird, die über eine Steuer-Identifikationsnummer verfügen. Denn dadurch kann verhindert werden, dass mehrfach, in unterschiedlichen Gemeinden Anträge gestellt werden und auch alle Anträge genehmigt werden.
Nächste Forderung: Bevor Leistungen an sogenannte Aufstocker gezahlt werden, sollen die Jobcenter nach unserer Ansicht prüfen, ob der Anspruchsteller überhaupt ein entsprechendes Gewerbe ausübt oder ob sich jemand auf Kosten der Steuerzahler billige Arbeitskräfte hält. Hier fordern wir auch die Finanzverwaltung des Landes zur Unterstützung auf. Sie kann mit einer sogenannten Umsatzsteuersonderprüfung oder einer Umsatzsteuernachschau bereits heute ohne vorherige Ankündigung diese Sachverhalte prüfen. Nur muss die Landesregierung dafür Sorge tragen, dass die örtlichen Finanzämter diese Instrumente auch verstärkt einsetzen.
Letztlich muss sich die Landesregierung nach unserem Verständnis auf Bundesebene dafür einsetzen, dass bei Missbrauch von Sozialleistungen zeitlich befristete Wiedereinreisesperren verhängt werden dürfen. Denn es reicht nicht aus, dass Sozialbetrüger ausgewiesen werden können, solange sie am selben Tag wieder einreisen können. Auch hier erwarten wir die Handlung der Landesregierung zur Unterstützung der Kommunen, damit wir Missbrauch verhindern und den anderen die Hilfe anbieten können, die ihnen zusteht. Darüber wird später Kollegin Milz sprechen.
Ich danke Ihnen. Jetzt können Sie alle herzlich applaudieren.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Yetim.
Ibrahim Yetim (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesenbach, der Beifall war spärlich.
(Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU] – Daniel Düngel [PIRATEN]: Ne! Ging!)
Ich führe das darauf zurück, Herr Biesenbach, dass diese Anträge – ich glaube, das hat der Großteil des Plenums heute Morgen gemerkt – dem Wahlkampf geschuldet sind.
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Das, Herr Biesenbach, finde ich unerträglich, um das mal ganz deutlich zu sagen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir hatten gemeinsam verabredet, dass wir zunächst eine Anhörung zum Thema „Menschenhandel“ und auch eine Anhörung zum Thema „Hilfen für die von Zuwanderung betroffenen Kommunen“ durchführen und daraus resultierend eventuell parteiübergreifende Anträge zu diesem Themenbereich machen wollen. Ich frage mich: Warum halten Sie sich nicht an diese Verabredung?
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Grundsätzlich – da haben Sie recht – hat die EU-Osterweiterung das Wohlstandsgefälle verstärkt. Menschen aus allen Ländern Europas kommen nach Deutschland, sehen hier Chancen für sich. Sie kommen übrigens auch in andere europäische Länder, zum Teil auch mehr als nach Deutschland. Das haben wir alle so gewollt. Das geschieht im Zuge des europäischen Einigungsprozesses. Und das war uns allen bewusst.
Den Herausforderungen müssen wir uns stellen, und die Probleme, die daraus ja auch resultieren, müssen wir eindeutig ansprechen. Das tun wir auch. Mit Anträgen wie diesen, liebe Kollegen von der CDU, geschieht das aber nicht. Sie tun damit so, als wenn Sie Probleme ansprechen würden, die gelöst werden müssen. In Wahrheit versuchen Sie damit aber, am rechten Rand Stimmen zu fischen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der CDU: Oh!)
Mich erstaunt, dass Sie die Landesregierung auffordern, aktiv zu werden. Ich habe den Eindruck, dass Sie die Debatten der letzten Zeit konsequent verschlafen haben.
Das Kabinett beschäftigt sich schon seit Langem mit diesem Thema. Im Januar 2013 wurde dazu die Interministerielle Arbeitsgruppe Zuwanderung eingerichtet, die bereits sehr viel vorgearbeitet hat. Nordrhein-Westfalen ist bis heute das einzige Flächenland, das zu diesem Thema ein umfangreiches Handlungskonzept zur Unterstützung der Kommunen vorgelegt hat. Wahrheitswidrig behaupten Sie – das können Sie auch Ihren Anträgen entnehmen –, die rot-grüne Landesregierung würde die Kommunen nicht unterstützen. Das Gegenteil ist der Fall! Die Stadt Duisburg – das haben Sie gerade angesprochen – hat zu diesem Zweck 3,2 Millionen € an Fördermitteln erhalten.
Einige Maßnahmen, die unsere Landesregierung bereits erfolgreich umgesetzt hat und umsetzt, will ich Ihnen kurz skizzieren:
Wir planen, Integrationslotsen einzusetzen, die als Brückenbauer in den Stadtteilen wirken sollen. Wir wollen niedrigschwellige und flexible Bildungsangebote für Kinder. Wir wollen die Sicherung des regulären Schulbesuchs von Zuwandererkindern. Wir wollen die Heranführung der Zuwanderer an den Arbeitsmarkt unterstützen. Wir wollen die Kommunen bei der Gesundheitshilfe unterstützen. Die nordrhein-westfälische Polizei unterstützt die kommunalen Ordnungsbehörden gezielt in Ordnungspartnerschaften. Und so weiter.
Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle, vielleicht mal die Drucksache 16/1550 zu lesen; das ist der Bericht der IMAG. Darin sind ganz viele Projekte aufgeführt, die im Land durchgeführt werden, ganz viele Projekte und Initiativen von Trägern und Menschen, die sich dafür einsetzen, dass wir die Zuwanderer in Deutschland integrieren können.
Mich wundert, dass Sie aus dem Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses auf Bundesebene abschreiben und dessen Vorschläge hier als Ihre Lösungsvorschläge ausgeben. In diesem Zwischenbericht finden sich unter anderem Vorschläge für Maßnahmen, die Herr Biesenbach soeben thematisiert hat: eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts, eine Verschärfung der Familienleistungen – das Thema „Kindergeld“ –, die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit. Das sind alles mögliche Maßnahmen, über die man diskutieren muss, um festzustellen, ob sie richtig sind oder nicht, die Sie hier aber aus parteipolitischem Kalkül nach der Methode „Wolf im Schafspelz“ ganz neu formulieren.
Insgesamt werden vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales und vom Ministerium für Inneres und Kommunales jährlich rund 7,5 Millionen € aus verschiedenen Fördertöpfen zur Verfügung gestellt, damit unsere Städte den sozialen Frieden sichern können und die zu uns gekommenen Menschen angemessen unterstützen können.
Wir sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir auf der Bundesebene, auf der Landesebene und auch in den Kommunen viele Initiativen und Projekte angestoßen haben, die in der Umsetzung sind.
Ihr Antrag lautet: „Freizügigkeit klug gestalten: Schlepperbanden und Missbrauch bekämpfen“. Zur Bekämpfung der Schlepperbanden haben Sie leider kein Wort geschrieben. Das Wort „Schlepperbanden“ taucht in Ihrem Text genau ein Mal auf.
Kolleginnen und Kollegen, Sie schreiben auch:
„Es besteht die Gefahr, dass die Armutsmigration von Rechtspopulisten für billige Stimmungsmache instrumentalisiert wird.“
Das tun Sie an dieser Stelle ganz deutlich! Und das nicht nur mit diesem Antrag: Ich habe der „WAZ“ vom 21. März entnommen, dass die Duisburger CDU die Themen „Asylbewerber“ und „Zuzug aus Südosteuropa“ zum Hauptwahlkampfthema im Kommunalwahlkampf machen will. Darüber war ich ein wenig irritiert. Denn seit der Integrationsoffensive des Landtags Nordrhein-Westfalen im Jahr 2001 war es Konsens der demokratischen Parteien, Migration und Integration nicht zum Wahlkampfthema zu machen, um die politische Auseinandersetzung der Parteien nicht auf dem Rücken der Zuwanderer zu führen und Rechtsextremisten keine Plattform zu bieten.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
2001 war Thomas Mahlberg Landtagsabgeordneter; heute ist er CDU-Vorsitzender in Duisburg. Mich irritiert, dass er an der Stelle die eigenen Beschlüsse nicht mehr wahrhaben will. Ich stelle fest, dass dieser Konsens von Ihnen aufgekündigt wird.
Herr Laschet, ich erwarte von Ihnen als ehemals für Integration zuständigem Minister, dass Sie mit Ihren Parteifreunden aus Duisburg mal ins Gebet gehen; denn wer den demokratischen Konsens aufbricht, macht die Rechten salonfähig.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN – Zurufe von der CDU)
Herr Biesenbach, lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung zu Ihren Anträgen machen. Sie überschreiben diese mit „Freizügigkeit klug gestalten“. Ich rate dringend zu einem Seminar „Anträge klug gestalten“. – Danke.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen ist ein Einwanderungsland, und davon profitieren wir alle, und zwar nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allen Dingen als demokratische Gesellschaft. Wir Grüne verstehen Zuwanderung als Bereicherung, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen und nicht nur dann, wenn wir einen demografischen Wandel haben und es einen Fachkräftemangel gibt. Vielmehr begreifen wir Zuwanderung als Chance für eine pluralistische Gesellschaft, und das unterscheidet uns von der CDU.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Wie Sie alle wissen, war am Dienstag der Internationale Roma-Tag, der von vielen genutzt wurde, um auf die Stigmatisierung und die Diskriminierung der Roma, die nach wie vor vorhanden sind, hinzuweisen.
Leider enthalten auch die Anträge der CDU Formulierungen, in denen gerade Roma als besondere Gruppe im Kontext von Armut und Zuwanderung herausgegriffen werden. Warum ist es eine eigene Herausforderung, wenn Unklarheit darüber besteht, wie viele Zugewanderte aus Bulgarien und Rumänien Roma sind? Ich frage Sie: Wofür ist das überhaupt relevant? Was, bitte schön, verstehen Sie unter „Roma-Biographien“ und „die kulturelle Prägung von Roma“? Ich finde solche Aussagen problematisch und in der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslage auch ein Stück weit gefährlich.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Sie schreiben in Ihrem Antrag, es bestehe die Gefahr, dass die Armutsmigration von Rechtspopulisten als billige Stimmungsmache missbraucht werden könnte. Das ist richtig, wenn man sieht, was die rechtsextremen Parteien jetzt machen und auch – nicht nur zu Kommunalwahl – schon in den letzten Monaten und Jahren gemacht haben: wie sie eine menschenverachtende Hetze gegenüber Zuwanderern betreiben. Wenn wir uns angucken, wer am 1. Mai in Duisburg wieder aufmarschieren wird, wissen wir, dass Rechtsextreme Hetze betreiben.
Aber wissen Sie, unter welchem Slogan PRO NRW momentan in Nordrhein-Westfalen auftritt? – Mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“. Das zeigt auch, dass wir hier als Parlament – als Abgeordnete und Politiker – eine Verantwortung dafür haben, wie wir mit dem Thema umgehen und welche Begriffe wir prägen. Deshalb appelliere ich an die CDU, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und mit den Forderungen nach Abschiebungen und Kindergeldkürzungen aufzuhören.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Wir Grüne – ich denke, das kann ich auch für viele andere in diesem Parlament sagen – stehen hinter den Werten der Solidarität und der Freizügigkeit für alle Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union, und wir wehren uns vehement gegen Forderungen nach Abschiebung. Stattdessen brauchen wir Integrationsangebote, und wir brauchen Zugänge zum Arbeitsmarkt und zum Gesundheitssystem für Zugewanderte.
Es kann nicht sein, dass Sie immer wieder eine bestimmte Gruppe herausgreifen, wenn es darum geht, dass man die Voraussetzung für die Gewährung von Freizügigkeit überprüfen muss; denn Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien haben genauso das Recht, hier zu leben und zu arbeiten, wie Menschen aus Spanien, aus Schweden und auch aus Griechenland, und das ist auch gut so.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Was das Kindergeld angeht, möchte ich festhalten, dass Bürgerinnen und Bürger der EU mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland einen Anspruch auf Kindergeld haben. Dafür müssen die Kinder nicht selbst in Deutschland leben.
(Zuruf von der CDU)
Wenn Sie jetzt bürokratische Hürden für die Auszahlung von Kindergeld fordern, machen Sie das insbesondere auf dem Rücken der Kinder, und das halte ich für falsch.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Richtig ist – das muss man auch ansprechen –, dass wir Herausforderungen haben, die es gemeinsam mit den Menschen zu bewältigen gilt. Gestern haben wir hier das Gesetz zur Neuregelung des Wohnungsaufsichtsrechts beschlossen. Das ist ein erster wichtiger Schritt, um die derzeitige Wohnsituation zu verbessern.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Biesenbach würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Verena Schäffer (GRÜNE): Bitte.
Peter Biesenbach (CDU): Frau Kollegin Schäffer, wir erleben es häufig, dass Sie uns erst in nachträglichen Gesprächen verstehen. Deswegen will mithilfe einer Frage eines sicherstellen: Wenn es um Kindergeld geht und wir feststellen lassen wollen, ob antragstellende Eltern in Deutschland wohnen und ob die Kinder, die angemeldet werden, ihre eigenen sind, halten Sie das für unsinnig?
(Zuruf von Ibrahim Yetim [SPD])
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich halte es für problematisch, dass Sie diese Forderung immer genau auf eine bestimmte Gruppe fokussieren, genauso wie Sie es bei den Abschiebungen machen.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Das halte ich für stigmatisierend, und das halte ich in der aktuellen Situation wirklich für schwierig, insbesondere fünf Wochen vor der Kommunalwahl. Wir haben bereits das ressortübergreifende Handlungskonzept. Ich finde, es sind die richtigen Schritte, die wir hier gehen. Wir sollten darüber in der Diskussion bleiben. Ich würde mir wünschen, dass wir es im Parlament schaffen, gemeinsam darüber zu diskutieren, und dass nicht – wie gesagt, fünf Wochen vor der Wahl – Einzelne mit solchen Anträgen und Forderungen ausscheren. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Stamp das Wort.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte über Zuwanderung ist komplex und verträgt aus meiner Sicht keine groben Vereinfachungen, weder von rechts noch von links. Es war falsch, dass die Union bis vor wenigen Jahren mit der Parole „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ eine aktive Integrationspolitik abgelehnt hat.
(Zuruf von der CDU: Ihr auch!)
Es war aber auch falsch, dass die Parteien links der Mitte mit dem etwas naiven Motto „Jeder, der kommt, ist automatisch eine Bereicherung“ die Notwendigkeit aktiver Integrationspolitik negiert haben. Diese Fehler dürfen wir in der jetzigen Debatte nicht wiederholen.
(Beifall von der FDP)
Wir können den Wohlstand in Deutschland nur mit Zuwanderung erhalten. Für diese schlichte Erkenntnis reicht ein Blick in die demografische Entwicklung unseres Landes. Wer Zuwanderer durch pauschale Vorurteile verschreckt, wie es unter anderem die CSU getan hat, der schadet dem Standort Deutschland und der schadet damit auch unseren eigenen nationalen Interessen.
Meine Damen und Herren, wer diese Einwanderungsgesellschaft ernsthaft gestalten will, der muss auch offen über Konflikte sprechen. Wer Konflikte in Stadtteilen von Duisburg oder Dortmund, aber auch von Köln, Hamm oder Gelsenkirchen bagatellisiert und Ängste von Bürgern pauschal in die rechte Ecke stellt, der wird den Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft nicht gerecht.
Für uns als Liberale gilt: Es geht nicht darum, ob wir über Konflikte sprechen, sondern es geht darum, wie wir über diese Konflikte sprechen. Für uns ist selbstverständlich: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar, und zwar egal, ob er Spanier aus Madrid, Roma aus Stolipinovo oder Rheinländer aus Bonn ist. Wir alle haben die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten.
(Beifall von der FDP und Ibrahim Yetim [SPD])
Und weil das so ist, meine Damen und Herren, sprechen wir nicht nur über die Errungenschaften von Freizügigkeit, sondern wir sprechen auch offen über Defizite. Das sage ich auch noch einmal ganz deutlich: Keinem armen Zuwanderer ist geholfen, wenn wir aus gut gemeinten Motiven den Begriff „Armutsmigration“ verschweigen. Meine Damen und Herren, keinem Kind aus einem Roma-Ghetto wird eine neue Perspektive eröffnet, wenn wir nicht offen über die massiven Integrationsprobleme dieser Minderheit sprechen und vor allem sie endlich anpacken.
Wir haben daher als FDP nach intensiven fachlichen Beratungen bereits vor zwei Monaten in diesem Hause einen umfassenden Antrag zur Freizügigkeit und der sie begleitenden Armutsmigration vorgelegt, der über die Parteigrenzen hinweg – darüber habe ich mich sehr gefreut – Anerkennung gefunden hat, weil er die Chancen und die Herausforderungen gleichermaßen thematisiert.
Die Vorteile, die wir auch durch die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien per Saldo haben, und die schwierigen Begleitumstände von Armutsmigration, aber auch steigender Einbruchskriminalität, gehören zusammen und sollten auch zusammen behandelt werden. Der Versuch, sie hier und heute künstlich zu trennen, so wie es die CDU macht, wird dem Thema und seiner Komplexität nicht gerecht.
(Beifall von der FDP, der SPD und Simone Brand [PIRATEN])
Es gibt hier gleich zwei CDU-Anträge, einen für Zuwanderungsbefürworter und einen für die Skeptiker – aus meiner Sicht ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver, bei dem ich ahne, welche Version Sie welchem Verband zuschicken werden.
Herr Laschet, von einem ehemaligen Integrationsminister hätte ich mehr Substanz erwartet,
(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
als ausgerechnet bei diesem Thema das Fähnchen in jede politische Richtung zu halten.
Dabei bieten Sie denjenigen, die den Armutsmigranten helfen wollen, nicht viel Neues an. Das Wesentliche ist aus unserem Antrag abgeschrieben. Allerdings verweigern Sie entsprechende Finanzierungsvorschläge. Vielleicht hängt das mit Ihrem Vizeamt auf Bundesebene zusammen, dass man da keine entsprechenden Vorschläge machen darf, die den Bundeshaushalt belasten könnten.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Wir haben als FDP gesagt: Wenn Deutschland insgesamt von der Zuwanderung, von der EU-Freizügigkeit profitiert, dann ist es nicht mehr als recht und billig, dass die Kommunen, die mit den Negativ-Begleiterscheinungen konfrontiert sind, endlich die notwendigen Mittel jetzt zur Verfügung bekommen und nicht von einem Staatssekretärsausschuss wieder um Monate vertröstet werden.
(Beifall von der FDP, den GRÜNEN und Monika Pieper [PIRATEN])
Der andere Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, in dem es um den Missbrauch von Freizügigkeit geht, enthält ein paar sinnvolle Vorschläge. Da gibt es auch vieles, was Sie aus dem Bericht des Staatssekretärsausschusses abgeschrieben haben. Darüber hinaus wollen Sie die Freizügigkeit beschränken und fordern: Ausweisungen und Wiedereinreisesperren. Beides ist allerdings in dieser Form – darauf hat der Deutsche Städtetag schon Anfang letzten Jahres hingewiesen – sehr schwer praktikabel und zudem, so wie sie es hier vorschlagen, europarechtswidrig. Vor allem widerspricht das dem Grundsatz der EU-Freizügigkeit.
Wir wollen aber die EU-Freizügigkeit erhalten. Stattdessen ist es viel sinnvoller, darüber zu diskutieren, dass wir einen Reformbedarf bei der Frage der Sozialleistungen haben. An dieser Stelle bedarf es noch der Präzisierung im EU-Recht und im deutschen Recht dahingehend, dass es keinen automatischen Sozialleistungsanspruch gibt. Ein solcher Leistungsanspruch ist ursprünglich seitens der EU auch nicht gewollt gewesen. Von daher gibt es an dieser Stelle gute Chancen, zu rechtlichen Präzisierungen zu kommen.
Ihr Vorschlag zur Begrenzung von Freizügigkeit, der gegen die Idee des Binnenmarktes, gegen den Ursprungsgedanken des freien Europas läuft, dürfte hingegen keine Aussicht auf Erfolg haben.
Ich möchte zuletzt die vier wichtigsten Punkte aus Sicht der Liberalen zusammenfassen, die dieses Thema braucht.
Erstens. Wir brauchen die Präzisierung zur Sozialleistungsberechtigung, wie ich es gerade ausgeführt habe.
Zweitens. Wir brauchen eine präzisere und praxisnähere Förderung der Europäischen Union für die Minderheiten.
Drittens. Wir brauchen Sanktionen der EU gegen Mitgliedsstaaten, die ihre Minderheiten im Stich lassen.
Viertens. Für eine umgehende Finanzierung der deutschen Kommunen – das habe ich eben schon ausgeführt –, die von Armutsmigration betroffen sind, brauchen wir schnell und zügig die entsprechende finanzielle Hilfe.
Vor Ort in den Kommunen wird hervorragend an dieser Thematik gearbeitet. Sie brauchen die Unterstützung von uns hier aus dem Hause und von der Bundes- und von der europäischen Ebene. Davon steht wenig in Ihren Anträgen. Ich hoffe trotzdem auf eine vernünftige Beratung im Ausschuss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Brand.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Seltsame Geschehnisse scheinen hier im Landtag zu passieren. Unheimliche Verwandlungen in der CDU-Fraktion geben Anlass zur Sorge. Da treffen sich morgens Abgeordnete als Dr. Jekyll und verfassen einen schönen Antrag mit dem Namen „Freizügigkeit klug gestalten: Not sehen, wirksam helfen“ – ein Antrag mit klarem Appell an die Willkommenskultur –, um dann am Abend als Mr. Hyde den Antrag „Freizügigkeit klug gestalten: Schlepperbanden und Missbrauch bekämpfen“ zu Papier zu bringen.
(Armin Laschet [CDU]: Das gehört zusammen!)
Diese beiden Anträge zusammen sind schizophrene Politik, Politik à la Frau Merkel, die vorgibt, auf alles eine Antwort zu haben. Dann kommen Sie mir auch bitte nicht mit „Fördern und Fordern“. Das hat schon einmal nicht geklappt.
(Beifall von den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, der Antrag „Not sehen, wirksam helfen“ zählt Maßnahmen und Leistungen auf, die im Sinne einer gelingenden Integration wichtig sind. Allerdings vermissen wir ein klares Bekenntnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die CDU hat aber bereits vor zwei Monaten deutlich gemacht, dass sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Grundlage einer Willkommenskultur ablehnt – so wie übrigens der Rest dieses Hohen Hauses.
Dem nicht genug: Ihr Schlepperbandenantrag spielt mit den diffusen Ängsten und Unsicherheiten, die in der Bevölkerung beim Thema „Ausländer“ vorhanden sind. Es ist ein Antrag frei nach dem Stammtisch-motto „Endlich tut mal jemand etwas gegen diese ganzen kriminellen Ausländer“.
Schauen wir uns aber den Antrag etwas genauer an. Im ersten Beschlusspunkt stellen Sie fest, dass es Kommunen gibt, die besondere Hilfe benötigen, damit Integration gelingt. Diese Hilfe hat die Landesregierung zu spät geleistet. So etwas kann man als Opposition sicher feststellen lassen. Um diese Hilfe mit Inhalt zu füllen, stellt wiederum Ihr Antrag „Not sehen, wirksam helfen“ eine gute Basis dar. Mit Hilfe der 200 Millionen € für die betroffenen Kommunen, die die Staatssekretäre der Bundesregierung beschlossen haben, werden unsere Kommunen die Aufgabe bald besser angehen als aktuell.
Meine Damen und Herren, auch wir sprechen uns für eine Öffnung der Integrationskurse aus. Auch wir begrüßen es, wenn die Beschulung von Zuwandererkindern derart optimiert wird, dass bereits zum nächsten Schuljahr ein Konzept für die Beschulung vorliegt.
Darüber hinaus wäre es begrüßenswert – das steht natürlich nicht in Ihrem Antrag –, wenn die Zahl der Integrationslotsen aufgestockt würde, sodass Migranten nicht mehr von skrupellosen Banden abgezockt werden können. Ich hoffe, es wird dann völlig normal sein, dass Menschen, die kein Wort Deutsch sprechen, mit perfekt ausgefüllten Anträgen auf dem Amt erscheinen und Kindergeld oder einen Gewerbeschein beantragen – etwas, was Herrn de Maizière aktuell ja stark verwundert.
Besonders möchte ich noch auf Beschlusspunkt 4 a in Ihrem Antrag „Not sehen, wirksam helfen“ aufmerksam machen. Hier sprechen Sie sich für mehr Aufklärung aus. Sie werben für mehr Verständnis für unterschiedlich geprägte Lebensweisen. Das ist eine Forderung, die wir bereits in der letzten Haushaltsdebatte gestellt haben. Umso unverständlicher ist der Antrag aus der finsteren rechtskonservativen Ecke Ihrer Fraktion.
(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der CDU)
Im Beschlusspunkt 2 geht es um die EU-Freizügigkeit. Am 20. Februar dieses Jahres debattierten wir den Antrag von CDU und FDP „Landesregierung muss Hilfen für von Armutszuwanderung betroffene Städte leichter zugänglich machen“. Die Kollegin Serap Güler sagte – ich zitiere – damals: „Der Satz ‚Wer betrügt, der fliegt‘ war keiner, den sich hier auch nur ein Integrationspolitiker zu Eigen machen würde.“ – Und dann setzen Sie Ihren Namen unter solch einen Quatsch? Ernsthaft?
Ich sage Ihnen: In einem freien und demokratischen Europa sollte sich weder das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern zur Arbeitssuche befristen lassen noch sollten EU-Bürger abgeschoben werden, noch sollten Wiedereinreiseverbote ausgesprochen werden. Auch der innenpolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, kritisiert solche Vorschläge als „Rechtsbrüche mit Ansage“.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir nennen das die sukzessive Aushebelung der Freizügigkeit. Sie nennen es „Das Boot ist voll“ und „Wer betrügt, der fliegt“.
(Armin Laschet [CDU]: Unsinn! – Widerspruch von der CDU)
Im nächsten Absatz ist die unheildrohende Rhetorik auf dem Höhepunkt angelangt. Wir hören von zunehmenden Zahlen bei den Scheingewerben, von großen Problemen, ja von zunehmenden Fluten und überforderten Kommunen. Haben Sie den Zwischenbericht der Staatssekretäre richtig gelesen? – Offensichtlich nicht.
Wenn Sie sich exemplarisch die Zahlen von zwei Städten anschauen, so sehen Sie, dass mit Stand Oktober 2013 in Duisburg exakt elf und in Dortmund exakt 14 selbstständig Gewerbetreibende aus Rumänien und Bulgarien sogenannte Aufstocker waren. Wie man da von einer Flut sprechen kann, erschließt sich mir wahrlich nicht.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brand, Herr Kollege Biesenbach würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Simone Brand (PIRATEN): Bitte.
Peter Biesenbach (CDU): Frau Kollegin Brand, ich will Sie gar nicht bitten, die lockeren Behauptungen mit Tatsachen zu untermauern. Da würde nicht viel kommen. – Ich würde von Ihnen nur gerne wissen: Sind Sie einmal in einer Kommune gewesen und haben sich dort umgesehen sowie mit den Menschen dort – auch mit Kommunalpolitikern – unterhalten? Nennen Sie uns eine Kommune, von der Sie sagen: Da war ich, ich habe mich informiert, und auf der Basis gebe ich hier mein Statement ab.
Simone Brand (PIRATEN): Duisburg. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir nennen das „Populismus auf dem Rücken der Schwachen“. Sie nennen das „Das Boot ist voll“ und „Wer betrügt, der fliegt“.
Auch beim Kindergeld steigen Sie wieder mit den übertriebenen Mutmaßungen ein. So heißt es: „Es mehren sich Klagen“. Von den Staatssekretären kommen solche Klagen jedenfalls nicht, und in der gängigen Presse – in Duisburg übrigens auch nicht – ist davon nichts zu hören – ganz zu schweigen von den Zahlen, die das auch nicht belegen.
Mit der Steuer-Identifikationsnummer als Maßnahme kann man sicher noch leben. Eine gewisse Kontrollmöglichkeit muss natürlich gegeben sein. Aber verraten Sie mir bitte einmal, wo diese Menschen, die aus schlimmen Verhältnissen zu uns einreisen, eine Tauf- oder Geburtsurkunde herhaben sollen. Die haben in den allermeisten Fällen keinen wohlsortierten Aktenordnern mit Unterlagen bei sich. Das Befristen von Kindergeldzahlungen und die Androhung der Wiedereinreisesperre suggerieren dem Bürger zudem eine große kriminelle Energie, die nicht durch Zahlen belegt ist.
Angenommen alle Bulgaren wären Verbrecher und alle 958 in Bulgarien lebenden Kinder wären somit konspirativ frei erfunden, dann reden wir von Kosten für den Staat, die im Vergleich zu den Steuerbetrüger-Milliarden geradezu lächerlich sind. Wir nennen das, mit Verlaub, Frau Präsidentin, „populistische Kackscheiße“.
(Beifall von den PIRATEN – Buh-Rufe und Widerspruch von der CDU)
Sie nennen das „Wer betrügt, der fliegt“. Wenn Sie wollen, dass die Rechten nicht bei der AfD oder PRO NRW, sondern bei Ihnen Ihr Kreuz machen, dann haben Sie Ihr Ziel erreicht.
Die Folgen dieser populistischen Rhetorik können Sie der Studie von Amnesty International entnehmen, wonach 80 % der Deutschen denken, dass Roma entweder kriminell sind oder Leistungsmissbrauch betreiben. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Kollegin Brand. – Sie sind sich darüber bewusst, dass Sie einen unparlamentarischen Ausdruck verwendet haben, der hier nicht üblich und auch nicht gestattet ist.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das geht so nicht! Das ist nicht in Ordnung!)
Sie wissen, dass das einen Ordnungsruf nach sich zieht. Den habe ich hiermit ausgesprochen.
(Zuruf: Es kann nicht sein, dass Sie darauf auch noch stolz sind!)
Jetzt hat Minister Schneider für die Landesregierung das Wort.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die beiden Anträge der CDU-Fraktion habe ich mich gewundert, über den Zeitpunkt der Einbringung dieser beiden Anträge allerdings nicht.
In den Anträgen wird die Landesregierung aufgefordert, Unterstützungen der von Neuzuwanderung aus Südosteuropa betroffenen Kommunen in den vielfältigen Problemfeldern zu organisieren. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Zeit über große Teile des Inhalts Ihrer Anträge hinweggegangen ist.
Wir organisieren die Unterstützung für die betroffenen Kommunen über die schon angesprochenen Programme, die aufgrund einer interministeriellen Arbeitsgruppe erstellt worden sind. Das Thema „Zuwanderung“ diskutieren wir hier im Plenum und in einigen Ausschüssen dieses Hohen Hauses eigentlich permanent. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir dieses Thema möglichst fraktionsübergreifend aufgreifen, um Rechtspopulisten keine Chance zu geben.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Bisher hat diese Verabredung gehalten. Ich gehe davon aus, dass dies unter Demokraten auch zukünftig der Fall sein wird. Allerdings sind einige Tendenzen in der aktuellen Diskussion geeignet, um diese Selbstverständlichkeit zu hinterfragen. Am heutigen Tage will ich das aber nicht tun.
Sie loben den Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“, also den sogenannten Zwischenbericht der Staatssekretärsrunde auf Bundesebene. Dieser Zwischenbericht ist ein erster wichtiger Schritt, nachdem einige Bundesregierungen über Jahre hinweg zu diesem Thema geschwiegen haben. Sie haben nichts unternommen.
Ich bin froh, dass die neue Bundesregierung in den ersten 100 Tagen ihrer Existenz nun endlich den Schritt in die Praxis unternimmt. Ich freue mich, dass zur Unterstützung der besonders betroffenen Städte etwa 200 Millionen € zur Verfügung gestellt werden.
Allerdings gibt es nach wie vor Fragen: Wird dieses Geld additiv gezahlt? Oder sind damit auch Programme gemeint, die schon längst bestehen? Wir müssen sehr genau hinschauen, inwieweit die tatsächlich betroffenen Kommunen partizipieren und inwieweit alle in NRW betroffenen Kommunen einbezogen werden.
Es gibt also noch viele offene Fragen. Aber noch einmal: Ein erster richtiger Schritt ist gemacht worden. Darüber freuen wir uns. Wir werden den Bund und auch die europäische Ebene nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Beide stehen dafür, dass Probleme, die aufgrund europarechtlicher Zusammenhänge entstanden sind, auch bewältigt werden müssen.
Hier spielt die Europäische Union gerade im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Minderheiten in einigen Mitgliedsländern eine sehr wichtige Rolle und muss sich ihrer Verantwortung stellen.
Herr Biesenbach, eines ist klar: Wenn jemand gegen Recht und Gesetz verstößt – unabhängig davon, woher er kommt, ob er nun Sachse ist, oder Bayer oder sonst etwas –, muss dieser Rechtsverstoß sanktioniert werden. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
(Peter Biesenbach [CDU]: Aber auch tun, Herr Minister!)
– Aber natürlich auch tun. Mir ist nicht bekannt, dass die nordrhein-westfälische Polizei Gesetzesverstöße nicht ahndet oder nicht verfolgt.
(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Die sind mit Sicherheit beschäftigt!)
Das wäre ja nun eine Behauptung, die man so nicht stehen lassen könnte. Auf diese Weise kann man über viele Dinge, die Sie niedergeschrieben haben, kontrovers, aber trefflich diskutieren.
Missbrauch muss bekämpft werden. Dies richtet sich allerdings gegen alle, die für solche Missbräuche verantwortlich sind. Gestern haben wir eine sehr interessante Diskussion zum Thema „Wohnraumversorgung“ geführt, die längst überfällig war; da möchte ich mich beim Wohnungsbauminister ausdrücklich bedanken.
Wer leistet denn Missbrauch, wenn in Dreizimmerwohnungen bis zu 20 Personen untergebracht werden, die pro Monat bis zu 200 € pro Matratze zahlen müssen? Wer leistet hier Missbrauch? Doch wohl nicht diejenigen, die unter diesen katastrophalen Verhältnissen vegetieren, sondern andere, die davon verdienen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Ministerin Sylvia Löhrmann)
Und wer hat etwas vom Arbeitsstrich, wo man sich zu Stundenlöhnen zwischen 1,50 € und 3,00 € bedient und so billigste Arbeitskräfte rekrutiert? Das sind doch wohl nicht allein diejenigen, die über diesen Weg Schwarzarbeit leisten, sondern auch diejenigen, die auf diese Weise ausbeuterisch Arbeitskraft einkaufen!
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Im Übrigen kann ich Ihnen sagen: Das gesamte Aufstockertum gehört abgeschafft.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von Nicolaus Kern [PIRATEN])
Wo kommen wir denn hin – unabhängig von Zuwanderungen –, wenn Unternehmen keinen fairen Preis für Arbeitskraft entrichten, sondern nur noch einen anteiligen Preis, während der Rest über die Kommune finanziert wird?
Das kann doch nicht sein. So habe ich mir den modernen flexiblen Kapitalismus nicht vorgestellt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Schneider, Herr Biesenbach würde auch Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Bitte schön.
Peter Biesenbach (CDU): Herr Minister, gerne stimme ich Ihnen zu, was den Missbrauch des Arbeiterstrichs angeht, und ebenso, was den Missbrauch des Aufstockertums angeht. Bitte schildern Sie uns doch, was diese Landesregierung und insbesondere Ihr Ministerium mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bisher getan haben, um dagegen massiv vorzugehen.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Unser Ministerium ist in erster Linie nicht das Ordnungsministerium. Wir bemühen uns,
(Lachen von Nicolaus Kern [PIRATEN])
durch berufsqualifizierende Maßnahmen Menschen so aus- und weiterzubilden, dass sie auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance haben, auch wenn sie nur bescheiden sein mag. Das ist unsere Alternative zum ausbeuterischen Arbeitsstrich. Herr Biesenbach, sprechen Sie nicht von „Arbeiterstrich“, denn es handelt sich um einen Arbeitsstrich.
Beim Kindergeld ist es ähnlich.
(Lachen von Peter Biesenbach [CDU])
Es sind doch nicht diejenigen, die nicht vorhandene Kinder angeben, um Kindergeld zu bekommen – ich negiere das Problem im einen oder anderen Fall nicht –, aber es gibt mafiöse Strukturen, in denen pro Kindergeldantrag 200 € oder 300 € verlangt werden, damit dieser Antrag ausgefüllt wird. Diese sogenannten Agenturen machen ein großes Geschäft mit der Not der kinderreichen Familien. Auch hierbei geht es darum: Wer beutet den Staat aus? Mit welchen Mitteln? Wir dürfen meiner Ansicht nach hierbei nicht auf einem Auge blind sein.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Schneider, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Sie wollten gerade in Ihrem Redemanuskript und in Ihrem Gedankengang fortfahren. Herr Kollege Biesenbach würde Ihnen gern die zweite Zwischenfrage stellen, die laut Geschäftsordnung zulässig ist.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Bitte schön.
Peter Biesenbach (CDU): Herr Minister, ich freue mich, dass Sie auch unserer Darstellung des Missbrauchs von Kindergeld zustimmen. – Ich möchte meine vorherige Frage insoweit präzisieren, als ich sie nicht mehr auf Ihr Ministerium beschränke. Ich frage: Was tut die Landesregierung aktiv gegen die auch von Ihnen beschriebenen Missstände?
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich teile Ihre generelle Auffassung nicht, wonach hierbei ein großer Missbrauch vorliegt. Aber selbstverständlich gibt es solche Fälle. Da stimmen wir überein.
Die Landesregierung bekämpft alle Formen missbräuchlichen Kindergeldbezugs dort, wo diese Formen bekannt sind. Darauf können Sie sich verlassen.
(Peter Biesenbach [CDU]: Was ist mit Besuchen? Besucht sie auch?)
– Wie bitte?
(Peter Biesenbach [CDU]: Besucht die Landesregierung? Wo ist sie aktiv?)
– Über die herkömmlichen und üblichen Verwaltungsabläufe, die Ihnen bekannt sind.
(Lachen und Zurufe von der CDU)
– Selbstverständlich ist das so. – Haben Sie noch eine Frage?
(Zuruf von der CDU: Ja, aber Sie haben keine Antwort! Fragen haben wir! – Weitere Zurufe)
Meine Damen und Herren, auch ich wende mich massiv dagegen, bestimmte Ethnien herauszugreifen und für Kriminalität besonders verantwortlich machen. Diese Vorgehensweise – ich will keine falschen historischen Vergleiche anstellen; verstehen Sie mich da richtig – gehört zu den nicht sehr guten Erfahrungen in der deutschen Geschichte.
(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])
Deshalb sollten wir uns davor hüten, von Roma-Problem oder Ähnlichem zu reden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Dies hat keine Substanz und ist blanker Populismus.
Im Übrigen muss ich darauf hinweisen: Die Zahl der Zuwanderer – auch aus Südosteuropa – ist für Nordrhein-Westfalen nicht die Herausforderung. Die Herausforderung besteht darin, dass diese Zuwanderung schwerpunktmäßig in fünf, sechs, sieben Städten stattfindet. Dort ballen sich Probleme. Wie heißt es so schön? – Jede Politik beginnt damit, dass man sagt, was ist.
(Lachen von Gregor Golland [CDU])
Das sagte Ferdinand Lassalle, ein sehr weitsichtiger Mann.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
– Gestern hatten wir schon Anleihen an die Historie, warum nicht auch heute?
Meine Damen und Herren, wir sollten weiterhin dafür sorgen, dass trotz mancher Probleme unsere Zivilgesellschaft hält – gerade in den Zentren der Zuwanderung. Dies ist auch Ausdruck demokratischer Reife. Bisher haben die Rechtspopulisten keine Chance gehabt; ich bin froh und dankbar darüber. Ich bitte Sie alle, dafür einzutreten, dass dies auch zukünftig der Fall sein wird.
Wir sollten den ersten Antrag der CDU etwas tiefer hängen. Er ist ein Bruch mit der Integrationspolitik der letzten drei Jahre in diesem Hause. Wir sollten andere Themen, bei denen wir übereinstimmen, höher hängen und deutlich machen, dass Integration die einzige Chance ist, um in einer globalisierten Welt und in einem vereinten Europa für alle Menschen lebenswerte Verhältnisse zu schaffen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Simone Brand [PIRATEN])
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege von Grünberg.
Bernhard von Grünberg (SPD): Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt schon einiges gesagt worden; ich möchte kurz auf die Situation im Integrationsausschuss hinweisen.
Wir hatten mit Stimmen der CDU beschlossen, einen gemeinsamen Antrag zu machen – vor den Kommunal- und Europawahlen –, damit wir gegen Rechtspopulismus gemeinsam auftreten. Das war auch Meinung der CDU.
Die FDP war der Auffassung: vielleicht doch nicht – lassen Sie uns erst einmal Sachverständige holen, damit sie uns erklären, wie die Hintergründe sind. – Deswegen haben wir uns auf die Durchführung einer Sachverständigenanhörung geeinigt und haben gesagt: Wir machen jetzt nichts.
Jetzt sagt die CDU: Das interessiert uns alles nicht mehr. Wir machen jetzt zwei Anträge. Der eine geht an den Innenausschuss und der andere an den Integrationsausschuss. Daran kann man fühlen – darauf ist schon hingewiesen worden –, wozu die Diskussion im Innenausschuss dienen soll, nämlich um im Innenausschuss richtig mal den „dicken Hund“ zu geben und damit möglichst in den Wahlkampf einzutreten,
(Beifall von der SPD)
um was zu sagen, was eben nicht die Integration betrifft. Das ist doch offensichtlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrung zeigt immer wieder: Wenn man solche rechtspopulistischen Sprüche macht, macht das nur die wirklich Rechten stark. Wenn Sie sehen – darauf ist eben auch schon hingewiesen worden –, wie jetzt der Ausspruch von Ministerpräsident Seehofer „Wer betrügt, der fliegt“ verwendet wird und auf den Plakaten von PRO NRW gedruckt wird, dann wissen Sie: Letztlich wird PRO NRW mit solchen Sprüchen dann Erfolge haben. Deswegen kann ich nur intensiv vor dieser Strategie warnen.
Letztlich sagen Sie mit Ihrem Antrag ja auch nichts anderes als „Wer betrügt, der fliegt“. Das verstecken Sie nur in Ihrem Antrag. Denn Sie sagen jetzt noch mal ganz eindeutig: Ganz viele Beamte – wo sollen die eigentlich herkommen? – sollen immer wieder überprüfen, ob die Freizügigkeitsbedingungen für die einzelnen Zuwanderer noch bestehen. Dann sagen Sie: Wenn die nicht mehr bestehen, müssen die Leute zwangsweise zurückgeführt werden. – Sie sollen also rausgeschmissen werden.
Ich möchte das ein bisschen hinterfragen. Wir haben ja das Zwischengutachten der Staatssekretäre. Da steht zu diesem Problem eine ganze Menge drin. Da steht erst einmal: Die Freizügigkeit besteht nicht nur drei Monate, sondern ganz lange, wenn jemand sagt, er sei auf Arbeitssuche. Jemandem nachzuweisen, dass er sein Freizügigkeitsrecht verloren hat, ist also sehr, sehr schwierig.
Das Gutachten sagt weiter: In dem Augenblick, in dem jemand über die Grenze gebracht worden ist, lebt das Freizügigkeitsrecht wieder auf. Das heißt, der kann dann immer wieder zurückkommen.
Deswegen ist es sowohl theoretisch schwierig, das Freizügigkeitsrecht zu entziehen, als auch natürlich praktisch sehr schwierig. Wie soll das denn funktionieren? Werden die Leute mit Gewalt in ihr Heimatland zurückgebracht, dann nehmen sie den nächsten Bus, kommen wieder zurück und sagen, sie haben das Freizügigkeitsrecht. Das funktioniert alles nicht.
Deswegen ist es auch ziemlicher Blödsinn, was Sie da mit hohem bürokratischem Aufwand fordern. Das dient nur der Stimmungsmache, ähnlich wie bei Herrn Seehofer: „Wer betrügt, der fliegt“.
Das wirkliche Problem, meine Damen und Herren, ist doch: Die Menschen kommen hierher und haben eine geringe ökonomische Basis, um hier zu leben. Sie kriegen hier bisher allenfalls Kindergeld.
Wir haben die Situation, dass die Mehrheit der deutschen Sozialgerichte, auch der Landessozialgerichte, sagt – das steht auch in dem Gutachten drin –: Die Leute haben einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, jedenfalls wenn sie hier ihren Lebensmittelpunkt begründet haben. Nur in Berlin und Bremen haben die Gerichte den Anspruch abgelehnt. Deswegen ist das ja dem Bundessozialgericht vorgelegt worden. Das Bundessozialgericht hat es an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht.
Und jetzt sagt die Bundesagentur für Arbeit in ihren Hinweisen: So lange das nicht entschieden ist, wird der Anspruch nicht anerkannt. – Gleichzeitig wird in dem Gutachten dargestellt: Wenn einer meint, einen Anspruch zu haben, dann kann er ja eine einstweilige Verfügung erwirken, um sein Recht vor Ort durchzusetzen.
Da frage ich natürlich: Ist das wirklich ein praktikabler Weg? Denn wir haben ja jetzt schon eine Fülle von Menschen, die eigentlich Ansprüche haben, aber zum Gericht gehen müssten, um sie durchzusetzen, es aber meistens nicht tun. Wie sollen das denn die Zuwanderer machen?
Das heißt, in Wirklichkeit belassen wir sie in dem Status, in dem sie allenfalls Kindergeld haben. Selbstverständlich wird es viele Familien geben, die versuchen, irgendwo Geld herzubekommen, sei es durch Selbstständigkeit, sei es möglicherweise auch durch die eine oder andere Straftat. Wir wundern uns dann, dass die sich kriminell verhalten, obwohl wir denen eigentlich nach unserer Sozialrechtsprechung etwas zahlen müssten. Deswegen muss man sich mal überlegen: In welche Situation bringen wir eigentlich diese Menschen? Ist das gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt?
Ich bin relativ sicher, dass die europäischen Gerichte den sozialhilferechtlichen Anspruch anerkennen. Denn es gibt natürlich in vielen, vielen anderen Ländern ähnliche Probleme. Bisher hat kein Land beim Europäischen Gerichtshof angefragt, ob nationale Leistungen an Zuwanderer zu zahlen sind. Ausgerechnet wir Deutschen lassen prüfen, ob die Zuwanderer wirklich einen Anspruch haben, obwohl wir Deutschen erheblich mehr Vorteile haben durch Zuwanderung als viele andere Länder, die unter ganz anderen Zahlen von Zuwanderern leiden müssen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, das regt Sie zu Überlegungen an. Wir sind ein Sozialstaat. Wir geben zum Beispiel Asylbewerbern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die sind fast so hoch – wie es das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben hat – wie die üblichen Sozialleistungen. Wir geben Geduldeten, die noch hier sind, bis zur Abschiebung die gleichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Den europäischen Leuten Nachbarn, die hier leben dürfen, sagen wir dann aber: Um Gottes Willen, ihr dürft keine Sozialleistungen erhalten.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Ich hoffe, dass Sie darüber nachdenken. Was ist das denn für ein Verhältnis des Sozialstaates zu den Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben? Es kann doch nicht sein, dass wir für Asylbewerber und Geduldete zahlen, aber für niederlassungsberechtigte EU-Bürger nicht.
Ich bitte Sie darum, jetzt im Integrationsausschuss eine sachliche Diskussion zu führen und uns über Sachverständige vielleicht noch mehr informieren zu lassen. Bitte hören Sie auf, diese Art von Populismus zu verbreiten. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege von Grünberg. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Milz.
Andrea Milz (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich drei Redner haben uns gefragt, warum wir zwei Anträge stellen, nämlich Herr Dr. Stamp, Frau Brand und Herr von Grünberg. Das haben wir deshalb gemacht, weil wir hier tatsächlich über zwei Seiten einer Medaille sprechen.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Diese beiden Punkte gehören zusammen. Dennoch sind sie in einigen Facetten ganz unterschiedlich zu diskutieren. Wir haben nun einmal auch zwei Fachausschüsse. Mit diesen beiden Anträgen haben wir immerhin erreicht, dass bei jedem dieser beiden Themenfelder ein Fachausschuss federführend ist. Ich glaube, dass es uns als Integrationspolitikern gut ansteht, durchaus differenzierter oder auch über andere Teilaspekte dieses Themas zu diskutieren, als es die Innenpolitiker tun.
Bei den Ausführungen von Herrn Minister Schneider hat sich mir die Frage gestellt: Dürfen wir, wenn wir hier über Missbrauch reden, immer nur über Missbrauch durch bestimmte Personengruppen, zum Beispiel Wohnungseigentümer, Vermieter oder Unternehmer, sprechen, aber nicht über Missbrauch durch die andere Seite? Den Eindruck konnte man bei der Rede des Ministers gewinnen.
(Beifall von der CDU)
Herr von Grünberg, selbstverständlich weiß ich, dass wir demnächst eine öffentliche Anhörung von Experten durchführen. Das ist ein komplexes Thema. Ich freue mich, dass wir Wissenschaftler und andere Fachleute hören werden, die uns ganz bestimmt auch wieder neue Denkanstöße geben werden. Mit unseren Anträgen wollen wir einfach noch mehr Futter dazutun. Ich halte das für statthaft. Das heißt auch nicht, dass wir den Experten deswegen weniger neugierig zuhören werden.
(Beifall von der CDU)
An dieser Stelle befassen wir uns also tatsächlich mit den Menschen, die zu großen Teilen aus Bulgarien oder Rumänien nach Nordrhein-Westfalen kommen. Wir wissen, dass die öffentliche Debatte dazu nicht immer objektiv geführt wird. Es gerät schnell in Vergessenheit, dass die Menschen hier von ihrem verbrieften Recht Gebrauch machen. Das ist das Recht der Freizügigkeit, Herr Stamp, das auch niemand in der CDU irgendwo angreift oder infrage stellt.
(Beifall von der CDU)
Wenn man sich die Situation in Nordrhein-Westfalen anschaut, stellt man natürlich fest, dass es in größeren Städten Verwerfungen gibt. Ich nehme meine Kollegin aus Duisburg, die uns häufiger eingeladen hat, da auch als Zeugin. Wir konnten uns dort selber davon überzeugen, wovon wir hier reden; denn dort, wo sich konzentriert Menschen aus extremer Armut ansiedeln, ergeben sich nun einmal komplexe Problemlagen, die auch zu Recht als unzumutbar empfunden werden.
Wenn wir in Deutschland das europäische Recht auf Freizügigkeit mit Leben füllen wollen, darf uns natürlich nicht nur die dringend nötige bulgarische oder rumänische Fachkraft willkommen sein. Vielmehr müssen wir uns dann auch um die Menschen kümmern, die aus menschenunwürdigen Verhältnissen zu uns kommen und im schlimmsten Fall in ihren Heimatländern Gewalt oder Diskriminierungen erfahren haben.
(Beifall von der CDU)
Aus genau diesen Gründen haben wir bewusst zwei Anträge vorgelegt, um diese wichtigen Ziele auch gebündelt und konzentriert diskutieren zu können.
Lassen Sie mich kurz noch einmal die vier Ziele nennen, die für uns im Zusammenhang mit unserem zweiten Antrag am wichtigsten sind. Die Erstbetreuung der Zuwanderer aus extremer Armut muss verbessert werden. Wir müssen dauerhaft Integrationschancen eröffnen. Natürlich müssen wir den Missbrauch von Freizügigkeit verhindern. Schließlich müssen wir auch die Kommunen unterstützen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das steht alles in unserem Antrag drin! Mit welchen Finanzmitteln wollen Sie das machen?)
In diesem zweiten Antrag geht es um den integrationspolitischen Ansatz, den wir langfristig ausformulieren müssen. Wir brauchen da tatsächlich Bedingungen, die existenziell sind.
In der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Zuwanderung aus Südosteuropa haben wir einen schriftlichen Bericht bekommen. Darin ist ein grundsätzlich begrüßenswerter Maßnahmenkatalog enthalten.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Stamp zulassen?
Andrea Milz (CDU): Ja.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Sie führen hier aus, dass Ihnen das so wichtig ist. Ich würde gerne wissen, was an Ihrem Antrag neu ist – und vor allem, womit Sie das Ganze finanzieren wollen.
Andrea Milz (CDU): Herr Stamp, Ihr Antrag ist uns natürlich bekannt. Ich habe eben schon auf die Expertenrunde hingewiesen, die wir nicht umsonst durchführen werden, sondern um neue Aspekte und vielleicht auch neue Antworten zu bekommen. Ich werde heute ganz bestimmt nicht Dinge vorwegnehmen, die wir dann erst nachher in den Fachausschüssen konkretisieren werden.
Wir haben einige Punkte aufgegriffen, die uns aus integrationspolitischer Sicht wirklich wichtig sind. Ich beginne einmal mit dem Erwerb der deutschen Sprache – besonders für die Kinder, die in Deutschland Schulen besuchen wollen. Wir stellen fest, dass viele zugewanderte Kinder, aber manchmal auch die Erwachsenen nur in geringem Maße alphabetisiert sind. Wer seine Muttersprache nicht oder nur unzureichend beherrscht, wird sich schwertun, Deutsch zu lernen. Diese Zuwanderer müssen bei den künftig anstehenden Maßnahmen der nachqualifizierenden Alphabetisierungs- und Grundbildungsangebote als Zielgruppe in den Blick genommen werden.
Bezüglich der Beschulung appelliere ich an die Landesregierung, dass sie das gern zitierte Motto „Kein Kind zurücklassen!“ beim Thema „Zuwanderung“ wirklich wörtlich nimmt und die notwendigen Rahmenbedingungen schafft. Beispielsweise müssen die Lehrkräfte für diese Aufgaben weitergebildet werden. Außerdem muss man unnötige Schulwechsel für diese Schülerinnen und Schüler so weit wie möglich verhindern.
Des Weiteren möchte ich das Thema „Gesundheit“ ansprechen. Unklarheiten über den – wenn überhaupt vorhandenen – Krankenversicherungsschutz dürfen kein Hemmnis bei der Umsetzung von gesundheitsfördernden Maßnahmen sein. Wir brauchen niederschwellige Beratungen zum Beispiel zu Hygiene oder Impfungen – gegebenenfalls auch in der Muttersprache. Kinder müssen vor der Einschulung auch medizinisch untersucht werden.
Das Thema „Pflege“ ist im Kontext der Zuwanderung ebenfalls relevant. Dort muss man ebenfalls die Situation analysieren und Lösungsvorschläge erarbeiten.
Auch wenn keine gesicherten Zahlen existieren, wissen wir, dass eine Vielzahl der südosteuropäischen Zuwanderer den Roma und Sinti zugehörig ist. Gerade hat Amnesty International anlässlich des Internationalen Roma-Tages eine aktuelle Studie vorgestellt – das ist von der Kollegin bereits angesprochen worden –, in der die schwierige Situation der Roma dargestellt wird.
Wir haben daher in unserem Antrag von besonderen biografischen Hintergründen und kulturellen Prägungen gesprochen. Das hat Frau Schäffer kritisiert. Ich finde nicht, dass diese Begriffe negativ belegt sind. Wir alle – selbst hier im Landtag – haben unterschiedliche Prägungen.
(Ibrahim Yetim [SPD]: Gott sei Dank!)
Meines Erachtens ist das nicht generell etwas, was man nur negativ belegt diskutieren muss. Daher kann ich nur wiederholen: Diesen Unterschieden muss Rechnung getragen werden.
(Beifall von der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Der aktuelle Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses zu Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten enthält eine umfassende Sammlung relevanter Daten und Zahlen.
Ich denke, wir sind uns alle einig: Das ist ein aktuelles Thema. Wir packen es an. Es ist für die Kommunen brisant. Wir wollen helfen, gute Lösungen zu finden. Daher hoffe ich auch auf gute Beratungen in den beiden Ausschüssen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.
Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, meine Rede damit zu beginnen, dass ich mir Sorge mache, weil mich der Antrag der CDU mit großer Sorge erfüllt. Ich habe nun gesehen, dass noch weitere Sorgen dazugekommen sind.
Ich frage mich, wie das sein kann nach den Diskussionen im Ausschuss, nach einer Sachverständigenanhörung – ich weiß nicht, ob Sie bei der zugegen gewesen sind, Frau Milz, aber es hat schon eine gegeben –, nach Maßnahmen, nach Diskussionen um Hilfestellungen, nach vielen Fachgesprächen, in Anbetracht der Verabschiedung des Wohnungsaufsichtsgesetzes und in Vorbereitung der nächsten Anhörung. Dabei wird es auch darum gehen, ob denn die 7,5 Millionen, die das Land Nordrhein-Westfalen als einziges Bundesland zur Unterstützung der Kommunen, der Hilfeträger und vor allem der Menschen aufbringt, reichen oder nicht und wie es mit der Frage weitergeht: Wie können wir die Binnenwanderung unterstützen? Wie können wir den Menschen helfen? Wie können den Kommunen helfen?
Vor dem Hintergrund haben wir alle gemeinsam gesagt: Wir wollen dieses Thema im Konsens behandeln. Wir wollen dieses Thema kritisch und kontrovers diskutieren, aber im Konsens behandeln, um genau das zu vermeiden, was Sie mit Ihren Anträgen intendieren, dass man nämlich missverstanden und eventuell eben in Richtung rechts argumentiert wird.
Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihren zweiten Antrag einmal mit den Maßnahmen abzugleichen, die im Land Nordrhein-Westfalen schon gemacht werden. Frau Milz, schauen Sie einmal her: Alles, was hier in meinem Ausdruck rot markiert ist, ist schon auf dem Weg in Nordrhein-Westfalen. Das haben wir im Ausschuss so diskutiert. Das haben wir durchaus kontrovers diskutiert, aber es ist da. Das macht den größten Teil Ihres Antrags aus.
In dem Antrag finden sich auch einige Punkte, die eindeutig Bundesaufgabe sind, bei denen wir immer gemeinsam gefordert haben, zum Beispiel bezüglich der Frage der Krankenversicherungen, dass der Bund uns dabei unterstützt. Dabei geht es auch um Verhandlungen mit den Ländern.
In dem Zusammenhang hätte ich mir auch gewünscht, dass wir uns vielleicht gemeinsam auf den Weg machen und die 200 Millionen, die in dem Zwischenbericht in den Raum gestellt werden, kritisch insoweit hinterfragen, ob sie den Kommunen nutzen. Denn die 150 Millionen sind für die „Soziale Stadt“. Und in Duisburg, in Dortmund, in Gelsenkirchen und überall sind diese Mittel bereits ausgeschöpft worden, weil die entsprechenden Stadtteile dort ausfinanziert sind. Das ist ein Problem. Insofern wäre aus Nordrhein-Westfalen das richtige Signal, zusammen dafür zu kämpfen, dass wir die Mittel bekommen, hier Integrationspolitik zu betreiben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich habe jetzt leider nicht mehr so viel Redezeit, will aber noch zwei Sätze zur Gesundheitsversorgung sagen, die Sie angesprochen haben, Frau Milz. Sie haben das hier weichgespült. In Ihrem Antrag steht nicht: niederschwellige Angebote für Menschen, die Gesundheitsfürsorge brauchen. Vielmehr steht dort: Diese Menschen sollen verpflichtet werden, an irgendwelchen Hygienemaßnahmen teilzuhaben, eingeführt zu werden usw. Zum Zweiten steht darin – das ist eine Konzentration auf die Roma –: Alles, was mit Armut zusammenhängt, ist Roma.
Sie können sich als CDU-Fraktion anscheinend nicht vorstellen, dass hier auch gut ausgebildete, gut situierte Roma sind. Da gefällt mir eigentlich das besser, was der Landtag, dieses Hohe Haus, am 29. Januar 2014 beschlossen hat. Er hat nämlich ein eindeutiges Bekenntnis zur europäischen Personen- und Arbeitnehmerfreizügigkeit als Teil der Gestaltung europäischer Identität beschlossen und hat sich ausdrücklich gegen jene Stimmen gestellt, die Zuwanderinnen und Zuwanderern ihre verbrieften Rechte absprechen. Die CDU hat damals dagegen gestimmt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Stamp. 21 Sekunden!
Dr. Joachim Stamp (FDP): Meine Damen und Herren! Ich habe nur wenig Redezeit. Deswegen möchte ich einen Punkt hier noch einmal benennen. Es geht nicht um die Diskriminierung einer bestimmten Gruppe. Wir werden – das ist eine Mammutherausforderung – einer Minderheit, die seit Jahrhunderten am Rande der Gesellschaften in Europa, speziell in Südost-Europa, leben, nicht gerecht, wenn wir nicht anerkennen und nicht aussprechen, dass die Situation der Roma auch eine besondere ist.
(Beifall von der CDU)
Wir wollen ihnen helfen, und deswegen müssen wir das auch beim Namen nennen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil zu Beginn der Debatte Herr Biesenbach in seinem Beitrag damit argumentiert hat, dass das Bildungsniveau der Zuwanderer so niedrig sei. Ich finde, darin offenbart sich erstens eine sehr undifferenzierte Sicht und zweitens ein Bildungsverständnis, das stigmatisiert.
(Zustimmung von Bernhard von Grünberg [SPD])
Es klingt immer so durch, wenn Sie sagen, die Landesregierung schreibe in dieser intraministeriellen Arbeitsgruppe immer so schöne Papiere, als schaute sie vor Ort nicht so genau hin. Das möchte ich eindeutig zurückweisen. Bei unserem Bericht gehen wir so vor – das haben wir auch ausdrücklich so formuliert –, dass die Arbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe immer wieder fortgeschrieben wird und stets rückgekoppelt wird.
Ich will Ihnen dazu einmal von zwei Schulbesuchen in Duisburg berichten – ich war in einer Grundschule und letzte Woche in einer weiterführenden Schule –: Ja, das stellt alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen. Aber diese Beteiligten nehmen die Herausforderungen an. Und die Kinder und Jugendlichen, die ich erlebt habe, haben einen Bildungshunger und eine Lernbereitschaft gezeigt, die ich mir für alle Schülerinnen und Schüler wünschen würde.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diese Lernbereitschaft und diese Ansätze strafen Sie Lügen. Das ist das Infame an Ihrer Argumentation.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich möchte erst meinen Gedanken zu Ende führen, dann selbstverständlich.
Die CDU agiert hier janusköpfig. Einerseits wollen Sie unsere Integrationsoffensive nicht verlassen, zu der Sie stehen und wofür wir Sie auch immer loben. Auf der anderen Seite bedienen Sie bestimmte Denkmuster – das haben viele Redner schon gesagt –, die Vorurteile schüren. Das Ganze wird dann noch in Zusammenhang gebracht mit dem Seehofer-Spruch: Wer betrügt, fliegt. – Das fällt Ihnen auf die Füße. Und das ist unserer gemeinsamen Integrationsoffensive nicht würdig.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Jetzt gerne die Zwischenfrage.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Es gibt eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Biesenbach. Bitte schön.
Peter Biesenbach (CDU): Frau Ministerin, der Nachdruck, mit dem Sie Ihre Ausführungen machen, hilft nicht darüber hinweg, dass Sie unsere Anträge wahrscheinlich gar nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden haben.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Wir beklagen und beschweren uns nicht über das Bildungsniveau, sondern wir sagen: Das Bildungsniveau, mit dem diejenigen kommen und hier Arbeit suchen, reicht nicht aus, um damit längerfristig eine Perspektive zu haben. – Können Sie uns einmal sagen, was daran falsch ist? Bitte keine Angriffe gegen die CDU, sondern belegen Sie nur, was daran falsch ist! Dann können wir das gerne zurücknehmen. Darauf bin ich gespannt; denn auch in den Sachverständigenanhörungen ist das bisher nicht bestritten worden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich zitiere aus Ihrem Antrag Drucksache 16/5489, den ich natürlich gelesen habe, vierter Absatz: Da steht, dass sie keinen Schulabschluss besitzen und dass sie aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus „auch langfristig keine realistische Perspektive“ haben, „dauerhaft in den nordrhein-westfälischen Arbeitsmarkt integriert zu werden.“ Sie unterstellen also, dass ein Bildungsniveau bleibt und dass sich Bildung nicht entwickeln kann. Wir wissen, dass das Gegenteil der Fall ist, nicht nur bei diesen Menschen. Sie haben Ihren Antrag offenbar selbst nicht verstanden, lieber Herr Biesenbach.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Abschließend möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen: Ich bin der Einladung von Romani Rose gefolgt, das Dokumentationszentrum der verfolgten Sinti und Roma in Heidelberg zu besuchen. Herr Rose, dessen Interviews alle ohne Fehl und Tadel sind, auch was die Auflistung von Problemlagen angeht und wie man damit umgeht, hat erklärt, die Sinti und Roma seien zutiefst beschämt und verletzt, in welcher Weise soziale Problemlagen einer Volksgruppe zugeschrieben würden. Sie sagen, das würde man mit niemandem sonst tun.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das fällt Ihnen auf die Füße. Ich finde, das ist einer Partei unwürdig, die ein C in ihrem Namen führt.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!)
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keinen weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5489. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5489 an den Innenausschuss – federführend –, an den Integrationsausschuss, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Europa und Eine Welt. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5490. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5490 an den Integrationsausschuss – federführend –, an den Innenausschuss, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Europa und Eine Welt. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5486
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5552
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Kämmerling das Wort.
Stefan Kämmerling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Stimme der Kommunen Nordrhein-Westfalens wird in diesem Haus seit nunmehr vier Jahren wieder gehört. Mit der Übernahme von Regierungsverantwortung im Jahr 2010 galt es für unsere Landesregierung, zunächst einmal die Folgen eines beispiellosen Raubzuges zulasten der Kommunen unseres Landes durch die schwarz-gelbe Landesregierung der Jahre 2005 bis 2010 zu heilen.
(Beifall von der SPD und Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])
CDU und FDP hatten es in dieser Zeit geschafft, sich in Höhe von sage und schreibe 3 Milliarden € bei den Kreisen, Städten und Gemeinden zu bereichern. Über das Gemeindefinanzierungsgesetz hatte Schwarz-Gelb in NRW dafür gesorgt, dass sich die Kommunen zwangsweise an den Konsolidierungsversuchen des Landeshaushalts beteiligen mussten. Mit der Aufstockung des Gemeindefinanzierungsgesetzes im Jahr 2010 um 299 Millionen €– davon diente alleine die Hälfte der Reparatur der schwarz-gelben Befrachtung der Kommunen zugunsten des Landeshaushalts – wurde ein enorm wichtiger Schritt zugunsten der kommunalen Familie gemacht, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Mit den rund 300 Millionen € im Rahmen des Aktionsplans Kommunalfinanzen, mit den rund 350 Millionen € im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen und schließlich mit der Streckung des Konsolidierungszeitraums für Kommunen bis 2020 nach § 76 GO hat diese Landesregierung, hat Rot-Grün in NRW den Murks der heutigen Opposition repariert, mehr Gerechtigkeit hergestellt und beim Konsolidierungsfenster pragmatisch gehandelt.
(Beifall von der SPD – Christof Rasche [FDP]: Sehr gut!)
Ich könnte weiter ausführen, was Sie damals mit dem ELAG veranstaltet haben, könnte im Detail darauf eingehen, dass wir im Jahr 2011 noch 144 Kommunen im Nothaushaltsrecht hatten und warum es heute deren nur noch fünf sind. Der Blick zurück auf Schwarz-Gelb in NRW bringt uns aber nicht weiter.
Weiter bringt uns hingegen sehr wohl das kommunalfreundliche Handeln der Regierungsmehrheit. Die Anstrengungen der Landesregierung zugunsten der kommunalen Familie sind groß, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber auch eine so starke Landesregierung und ein so starkes Land NRW müssen vom Bundesgesetzgeber einfordern, dass auch dort die Zeichen der Zeit erkannt werden, ja dass auch dort im wahrsten Sinne des Wortes die Systemrelevanz unserer Rathäuser erkannt wird.
(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])
Die Übernahme von 100 % der Kosten der Grundsicherung im Alter ab dem Jahr 2014 ist ein erster richtiger Schritt des Bundes, initiiert durch die Unnachgiebigkeit der SPD-geführten Länder im Bundesrat.
(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)
Diesem ersten Schritt müssen nun dringend weitere folgen. Ziel unserer gemeinsamen Kraftanstrengungen in NRW muss das sein, was dieses Hohe Haus bereits am 29. Oktober 2010 gefordert hat: Der Bund muss nachhaltig 50 % der Soziallasten der kommunalen Familie übernehmen, und zwar dynamisch.
Unsere Hoffnungen ruhen in dieser Sache auf dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag – einem Koalitionsvertrag, der weitgehende Entlastungen der Kommunen beinhaltet, die für viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ausschlaggebende Voraussetzungen dafür waren, dem Koalitionsvertrag im Rahmen eines Mitgliedervotums zuzustimmen.
(Beifall von der SPD)
Zu diesen weitgehenden Entlastungen gehört die Einführung eines Bundesteilhabegesetzes, und zwar nicht irgendwie, sondern so, wie es im Koalitionsvertrag im Sinne der Kommunen definiert ist. Die zugesagte Entlastung von jährlich 5 Milliarden € muss so früh als irgendwie möglich eintreten, das Bundesteilhabegesetz muss so früh wie möglich in Kraft treten.
Wir erwarten eine 100-prozentige Umsetzung der 5-Milliarden-Euro-Entlastung per anno spätestens bis zum Ende der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages und somit spätestens im Jahr 2017.
(Beifall von der SPD)
In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die Bundesregierung in Aussicht gestellt hat, bereits in den Jahren 2015 und 2016 je 1 Milliarde € dringend benötigter Mittel für die Städte und Gemeinden zur Verfügung zu stellen.
Enorm wichtig ist, dass durch diese 1 Milliarde € pro Jahr eine unmittelbare Entlastungswirkung für die kommunalen Haushalte erzielt wird. Dies kann erreicht werden, indem der Bund bis zum Inkrafttreten eines Bundesteilhabegesetzes seinen Anteil an den KdU – den Kosten der Unterkunft – entsprechend aufstockt. Unerlässlich wären klare und verlässliche Aussagen des Bundes mittels einer Festschreibung in der mittelfristigen Finanzplanung.
Lassen Sie uns, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam das klare Signal senden, dass wir die Kommunen in der Vergeblichkeitsfalle ihrer überforderten Haushalte nicht alleine lassen. Lassen Sie uns heute klar formulieren, was wir vom Bund erwarten und wie wir uns den Weg vorstellen. Der heute vorgelegte Antrag ist hierfür das geeignete Mittel der Wahl. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Herr Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will an eine Bemerkung anknüpfen, die ich gestern Nachmittag auch schon bei einem anderen Tagesordnungspunkt gebracht habe. In der letzten Plenarsitzung hat die FDP mir vorgeworfen, dass ich Zitate des kommunalpolitischen Sprechers der FDP aus der letzten Legislaturperiode vortragen habe, dass ich gesagt habe, dass
(Kai Abruszat [FDP]: Herr Engel!)
Herr Engel – das war 2009 – unter anderem vorgetragen habe, dass Oberhausen den Haushaltsausgleich aus eigener Kraft schaffen müsse.
Wenn ich mir dann den heutigen parteipolitischen Antrag der CDU anschaue, dann beschleicht mich Sorge, weil Sie es nicht über sich bringen, die Interessen der Kommunen Nordrhein-Westfalens in Fragen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auch im Bund vorzutragen. Das finde ich ausgesprochen schade und befremdlich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Warum sage ich das an dieser Stelle? – 2010 gab es – Kollege Kämmerling hat darauf hingewiesen – einen Konsens, dass wir die Interessen der Kommunen auch gegenüber dem Bund vertreten müssen.
Wenn Sie uns jetzt als Replik auf unseren Antrag ins Stammbuch schreiben, dass wir erst einmal unsere Hausaufgaben machen müssten, dass schon die Verfassung festschreibe, dass das Land und die Landesregierung für die Kommunen zuständig seien, dann macht das nur eines deutlich: Sie halten uns sicherlich nicht vor, dass wir nicht den Text der Verfassung kennen, sondern Sie wollen davon ablenken, dass Norbert Barthle, Obmann im Haushaltsausschuss des Bundestages, für die Koalition und vonseiten der CDU festgestellt hat, dass das, was bereits 2013 versprochen war – nämlich eine Entlastung von 5 Milliarden € für die Kommunen bundesweit –, infrage gestellt wird. Das stellen Sie mit dieser Formulierung infrage, und das finde ich abenteuerlich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben ein Versprechen der alten Bundesregierung, dass es in der neuen Legislaturperiode eine Entlastung um 5 Milliarden € geben werde. Ich räume ein, dass auch unser Antrag dem Zeitablauf ein Stück weit Rechnung trägt. Aber damit dies nicht falsch interpretiert wird – der Antrag ist sehr filigran formuliert –, will ich noch auf ein paar Punkte hinweisen:
Wir haben gesagt, dass spätestens 2017 die volle Entlastung aus dem Bundesteilhabegesetz greifen muss. Wenn man den Mechanismus kennt, dann weiß man, dass dies voraussetzt, dass deutlich früher – spätestens im nächsten Jahr – erste größere Entlastungsstufen greifen.
Aus der Bemerkung, dass wir eine Verteilung der KdU wollen – ich habe gehört, dass die B-Länder sich das jetzt ganz anders vorstellen –, wird deutlich, dass wir dies zusätzlich fordern, denn solange die 5-Milliarden-Euro-Entlastung nicht kommt, muss an anderer Stelle zusätzlich etwas geschehen.
Dass Sie sich hier im Landtag der Argumentation von Herrn Dr. Schäuble anschließen, der Bund habe doch schon so viel für die Kommunen getan – etwa die volle Entlastung bei der Grundsicherung im Alter im Jahre 2014 –, und das als Entschuldigung dafür anführen, dass das 5-Milliarden-Euro-Versprechen nicht gehalten wird, macht mich fassungslos.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich hoffe, dass Sie das demnächst unterlassen. Dass CDU und SPD auf Bundesebene eine Koalition geschlossen haben, entspricht doch Ihren Parteitagsbeschlüssen. Warum Sie jetzt anfangen, im Landtagsplenum Probleme der Bundeskoalition in der Weise auszutragen, dass Sie Namen von Ministern nennen – in diesem Falle den von Frau Nahles – und suggerieren, ihre Zuständigkeit sei ein Problem für Nordrhein-Westfalen, verstehe ich nicht. Sie tragen als Koalition im Bund gemeinsam Verantwortung. Sie müssen sich dieser Verantwortung als Parteien auch gemeinsam stellen. Alles andere wäre Rosstäuscherei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Und von der SPD!)
Ich bitte darum, dass wir zu der Gemeinsamkeit zurückkommen, die wir 2010 formuliert haben. Das setzt voraus, dass wir die Entlastungen, die wir im Land Nordrhein-Westfalen vorgenommen haben …Wir können gerne in der Sache darüber streiten, ob der Weg der Verteilung der richtige ist. Der Kollege Abruszat ist an der Stelle auch immer ganz Feuer und Flamme. Möglicherweise setzen wir die Parameter falsch an. Darüber können wir diskutieren.
Aber dass wir uns im Landtag in der Frage auseinanderdividieren lassen, ob 5 Milliarden € als Entlastung kommen müssen und ob sie schnell kommen müssen, finde ich nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sollten unsere Möglichkeiten sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat – in dem Fall im Wesentlichen im Bundesrat – ins Spiel bringen, statt parteipolitisches Geplänkel zu veranstalten. Das aber macht die CDU mit ihrem Antrag ganz eindeutig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Letzte Bemerkung: Unser Antrag dient erkennbar dazu, die Vorbereitungen zum Stichwort „Bundesteilhabegesetz“ und das, was wir gestern im Zusammenhang mit dem bundesstaatlichen Ausgleich diskutiert haben, vorzubereiten und aus Sicht Nordrhein-Westfalens Pflöcke zu setzen. Das kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn wir an einem Strang ziehen.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich eindringlich darum, dass unserem Antrag zugestimmt wird. Die Differenzen und Nuancen, die es an anderer Stelle gibt, können wir gerne auf bundespolitischer Ebene austauschen. Aber im Bundesrat müssen wir zueinanderstehen und deutlich machen, dass KdU und die Entlastung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen großes Gewicht im Bundesrat haben müssen, denn sonst wird Nordrhein-Westfalen auf der Strecke eine ganze Menge Schaden nehmen. Dass der für unsere Kommunen und das Land sehr wichtige Altschuldenfonds dann auch noch in den Hintergrund tritt, daran können wir alle kein Interesse haben.
Ob eine Formulierung hier im Landtag einmal ein bisschen rechts- oder linksherum gedreht wird, interessiert in drei Jahren niemanden mehr. Aber ob wir im Bundesrat massiv aufgetreten sind und unsere Interessen vertreten haben, das wird Auswirkungen für die nächsten zwei Jahrzehnte haben. – Vielen Dank, liebe Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Kuper.
André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mostofizadeh, das war etwas schwach, vor allen Dingen hinsichtlich Ihrer Interpretation unseres Antrages. Sie haben eine Menge hineingedeutet, was dort absolut nicht vorhanden ist.
(Beifall von der CDU)
Wir diskutieren hier und heute über die finanzielle Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben, speziell der Eingliederungshilfe für Behinderte.
„Warum?“ wird mancher fragen. – Weil die notwendigen Hilfeleistungen in der Eingliederungshilfe für Behinderte im Sinne der Betroffenen auch in Zukunft gesichert werden müssen. In anderen Bundesländern werden die Kosten vom Land getragen. Einige Beispiele! Brandenburg: kommunale Belastung null. Sachsen-Anhalt: Belastung null. Mecklenburg-Vorpommern: 12 %. Niedersachen: 24 %. Schleswig-Holstein: 30 %. Rheinland-Pfalz: 50 %. Während also die Kosten in anderen Bundesländern vom Land getragen werden, müssen das hier in Nordrhein-Westfalen die Kommunen bezahlen. Auch dadurch haben wir in NRW den höchsten Kommunalisierungsgrad, die stärkste Kostenbelastung der Kommunen.
Von daher wundert es auch nicht, wenn unsere NRW-Kommunen Haushaltsdefizite und Überschuldung aufweisen oder nur noch am Rande über finanzielle Möglichkeiten verfügen.
(Beifall von der CDU)
Und jetzt steigen die Kosten in der Eingliederungshilfe auch noch. „Warum?“ wird mancher wieder fragen. – Natürlich zunächst einmal aufgrund steigender Fallzahlen. Die menschliche Seite muss man dabei an erster Stelle sehen. Gott sei Dank, meine ich, sind nämlich der medizinische Fortschritt und die Betreuung im Laufe der Jahre und Jahrzehnte so hoch und so sehr verbessert worden, dass Frühgeborene und Menschen mit Behinderung heute allgemein eine deutlich bessere und höhere Lebenserwartung haben als früher. Und das ist gut so!
Das damit verbundene Finanzproblem zu lösen darf allerdings keine kommunale Aufgabe bleiben, sondern ist ganz klar eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
(Michael Hübner [SPD]: Aber nicht mit Landesmitteln!)
Damit deutlich wird, über welche Summen wir hier reden: In NRW steigen die Kosten für diese bislang von den Kommunen zu zahlenden Hilfeleistungen um jährlich 200 Millionen €. 2013 mussten die Städte und Gemeinden über ihre Umlagen 3,5 Milliarden € bezahlen. Angesichts solch massiver Kostensteigerungen verkraften die kommunalen Haushalte diese Belastung nicht mehr. Abhilfe ist nötig.
Es stellt sich die Frage: Wer soll bezahlen? – Auf diese Frage, Herr Mostofizadeh, gibt es eine erste klare Antwort – der Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung, denn dort steht –: Die Länder sind für die angemessene Finanzausstattung verantwortlich.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch albern, Herr Kollege! Das ist doch an Banalität nicht zu überbieten!)
Das haben wir in unserem Entschließungsantrag noch einmal deutlich gemacht.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
André Kuper (CDU): Der Bund, den wir brauchen, wird seiner Verantwortung für die kommunale Familie gerecht.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Körfges zulassen?
André Kuper (CDU): Am Ende gerne. Ich bringe meine Gedanken erst einmal zu Ende.
(Zuruf von der SPD: Was für einen Gedanken?)
Das hat viel zur Verbesserung der kommunalen Finanzsituation beigetragen.
In der Regierungsverantwortung der CDU – ehemals mit der FDP und jetzt mit der SPD – sind die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit aufsteigend und ab diesem Jahr vollständig übernommen worden. Alleine in diesem Jahr übernimmt der Bund die bislang von den Kommunen zu tragenden Kosten in Höhe von 5,5 Milliarden €. Ich erzähle es gerne mehrfach, weil es heute passiert, aber nicht in der Vergangenheit Ihrer Äußerungen aus dem Jahre 2010 lebt: Dies und mehr ist die größte finanzielle Entlastung der Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Damit wird auch ein von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2003 zulasten der Kommunen eingeführtes Gesetz vollständig korrigiert. Unsere Städte und Gemeinden werden mit 1,4 Milliarden € entlastet. Das ist mehr als das Dreifache dessen, was Sie mit Ihrem Stärkungspakt Stadtfinanzen zur Verfügung stellen.
Unsere neue CDU/SPD-Bundesregierung setzt ihren kommunalfreundlichen Kurs zur Entlastung der Städte fort.
(Michael Hübner [SPD]: Welchen kommunalpolitischen Kurs?)
So ist der Bund bereit, die Kommunen zu entlasten. Im Rahmen der Reform der Eingliederungshilfe sollen die Städte und Gemeinden gemäß der mittelfristigen Finanzplanung um jährlich 5 Milliarden € ab 2018 entlastet werden. Bis zum Inkrafttreten eines neuen von der SPD-Bundesministerin vorzulegenden Leistungsgesetzes wird in den Jahren 2015 bis 2017 eine Soforthilfe von 1 Milliarden € für die Kommunen bereitgestellt. Das hilft uns in NRW mit rund 220 Millionen € jährlich – gigantische Summen,
(Beifall von der CDU)
die über die Formulierung in der Koalitionsvereinbarung verankert worden sind.
Allerdings findet sich dort nicht die gewünschte Zusage einer früheren Auszahlung der Mittel. Da sind wir uns einig. Von daher fordern wir dahin gehend eine Verbesserung.
Wenn Sie unseren Entschließungsantrag richtig gelesen haben, werden Sie viele tendenziell übereinstimmende Positionierungen zum rot?grünen Antrag finden – auch ein paar abweichende Nuancen. Wir stehen übrigens, weil Sie eben danach gefragt haben, nach wie vor zum Landtagsbeschluss vom Oktober 2010, den wir parteiübergreifend gefasst haben.
Wir fordern mit unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf,
sich erstens auf Bundesebene weiterhin konsequent für eine Entlastung der Kommunen einzusetzen, wie sie im Landtagsbeschluss vom Oktober 2010 gefordert wurde,
sich zweitens konstruktiv in die Erarbeitung eines Bundesleistungsgesetzes einzubringen und sich im Bund dafür einzusetzen, dass die zuständige Ministerin, Frau Nahles, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Bundesteilhabegesetzes vorlegt,
sich drittens dafür einzusetzen, dass bereits mit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes die zugesagte finanzielle Entlastung der Kommunen zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingefordert wird. Ziel muss es sein, dass die zuständige Ministerin so frühzeitig den Gesetzentwurf einbringt, dass bereits zum Ende der 18. Wahlperiode des Bundestags im Jahr 2017 das volle Entlastungsvolumen in Höhe von 5 Milliarden € zugunsten der Kommunen wirksam wird.
Allerdings können wir einige Aussagen, die sich im Antragsentwurf von Rot-Grün finden, nicht mittragen. Auf die Punkte gehe ich ein.
Beispielhaft wird wieder einmal der Stärkungspakt gelobt. Aus meiner Sicht kann das nicht wahr sein. Ich werde nicht müde zu wiederholen: gut gewollt, schlecht gemacht und vor allen Dingen zu kurz gesprungen.
(Zuruf von Michael Hübner [SPD])
Wie sehr der Stärkungspakt hinter den Erwartungen zurückbleibt, mögen Sie daran erkennen, dass die Städte, bei denen aktuell finanziell – bildlich gesprochen – das Licht ausgeht, von dieser Hilfeleistung nicht mal erfasst sind. Ich meine beispielsweise Mülheim, eine Stadt, die nach den Bewertungen des RWE-Pakets mit Riesenschulden, Haushaltsfehlbeträgen und bilanzieller Überschuldung dasteht. Dieser Zustand ist rechtswidrig, wie uns das MIK noch letzte Woche in der Sitzung bestätigt hat. Das heißt, ein Privatunternehmen wäre jetzt in der Insolvenz.
Bekommt Mülheim Hilfe aus dem Stärkungspakt? – Nein, Fehlanzeige, nicht aus dem Stärkungspakt. Von daher bin ich mir auch ziemlich sicher, dass Sie in den nächsten drei Jahren noch erhebliche Probleme mit diesem Paket bekommen werden und es Ihnen auch noch aus dem Ruder läuft.
Punkt 2: Ich wiederhole es: Sie und wir tragen im Land NRW die Basisverantwortung für die Kommunen. Von daher wird eine nachhaltige Konsolidierung nur dann gelingen, wenn wir ganzheitlich ansetzen. Ansonsten würden Sie die Wirkung eines Eimers Wasser erzielen, der in ein brennendes Haus geschüttet wird. Wir brauchen etwa die Beteiligung des Bundes, aber auch ein starkes Engagement des Landes, strikte Konnexität, Transparenz, Benchmarking, Aufgabenkritik, weniger Bevormundungspolitik, weniger Bürokratie, Überprüfung des Kommunalisierungsgrades.
(Beifall von der CDU)
All das muss in ein Gesamtkonzept fließen, und da ist das Land gefragt und verantwortlich.
Punkt 3 – eine Nuance –: Der Weg der Entlastung der Kommunen. Wir sprechen uns außerhalb der Beschlusspunkte ebenso empfehlend dafür aus, diesen Weg über die Bundesbeteiligungserhöhung bei den Kosten der Unterkunft zu gehen. Grundsätzlich ist dieser Weg gut für die Kommunen in NRW. Wer allerdings im Detail steckt, sollte wissen, dass wir bei einer ausschließlichen Wahl dieses Weges zu einer mehr als 50%igen Kostenbeteiligung des Bundes kommen und damit zu einem Aufgabenwechsel für die Kommunen in: weg von der Selbstverwaltung und hin zu staatlicher Auftragsverwaltung. Das würde bedeuten: Nachteile bei der Arbeitserledigung, Einbeziehung des Bundesrechnungshofs, gestiegene Bürokratie.
Von daher wird wohl die stärkere Beteiligung bei den Kosten der Unterkunft nicht allein möglich sein. Vermutlich wird man an der Umsatzsteuerbeteiligung nicht vorbeikommen. Vielleicht gibt es auch eine Mischform. Deswegen halten wir uns diesbezüglich in unserem Beschluss zurück und äußern nur die Wunschpriorität in Richtung KdU.
Zusammenfassend darf ich feststellen: Unsere Kommunen brauchen unseren Rückhalt aus dem Landtag. Daher empfehle ich Ihnen – auch den rot-grünen Fraktionen –, unseren ausgezeichneten Entschließungsantrag mitzutragen, der gut und konsensfähig ist. Wir werden uns bei Ihrem Antrag trotz oder aufgrund der von mir vorgetragenen kritischen Punkte enthalten.
(Zuruf von der SPD: Oi, oi!)
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Kuper, bitte bleiben Sie noch einen Moment am Rednerpult. Kollege Körfges hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. – Herr Kollege Körfges, Sie haben das Wort.
Hans-Willi Körfges (SPD): Lieber Kollege Kuper, ich bin einigermaßen entsetzt darüber, was Sie hier unter dem Aspekt Konsens anbieten. Sie versuchen auf eine sehr einfache und durchschaubare Art, den notwendigen Konsens an einer äußerst wichtigen Stelle für das Land Nordrhein-Westfalen zu verweigern, indem Sie mit einer völlig überflüssigen Formulierung Selbstverständlichkeiten, nämlich Landeszuständigkeiten, in den Vordergrund stellen, statt auf den Boden der gemeinsamen Entschließung des Landtags zurückzukehren und mit uns allen die konsequente Umsetzung des Koalitionsvertrags in Berlin – genauso, wie er niedergeschrieben ist – zu fordern.
Das mag unter dem Aspekt der Parteizugehörigkeit zur CDU sinnvoll sein, aber da sind viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen in kommunalen Vertretungskörperschaften eine ganze Stufe weiter. Es gibt sehr viele Räte in unserem Lande, in denen mit den Stimmen der CDU jeweils eine Formulierung beschlossen wurde, die fast deckungsgleich mit dem hier vorgelegten Antrag ist.
Wenn Sie jetzt uns, sich und dem Land den Gefallen tun, den Forderungsteil unseres Antrags genau zu lesen, werden Sie dort nichts von den von Ihnen beanstandeten Positionen finden. Ich glaube, Sie würden sich, dem Land und vor allen Dingen unseren Kommunen einen Gefallen tun, wenn Sie Ihren spalterischen Versuch, mit dem eigenen Antrag irgendwo Teile der Bundesregierung in Schutz zu nehmen, unterlassen und uns gemeinsam die Basis bieten würden, für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen einzutreten.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Herr Kollege Kuper, bitte schön.
André Kuper (CDU): Herr Körfges, ich darf diesen Versuch der Spaltung dieses Hauses, den Sie an der Stelle betreiben, einfach zurückweisen. Der Vorwurf ist falsch. Ich denke, Sie können sehr gut bei unserem Entschließungsantrag mitmachen. Er bringt die Dinge so, wie sie sind, auf den Punkt. Ansonsten sind wohl Sie es hier im Hause, die derzeit die vielen Gemeinsamkeiten der beiden Anträge auseinanderreden.
(Beifall von der CDU)
Ich sehe das weniger so wie Sie und weise das von daher zurück. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Abruszat.
Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Besonders die Kollegen der SPD möchte ich ansprechen. Ihre Wortbeiträge vor zwei Wochen im Rahmen der Aktuellen Stunde und auch heute, Herr Kollege Kämmerling, waren von unglaublicher Selbstgerechtigkeit geprägt und nicht geeignet, den Konsens, den Sie hier anstreben, zu erzielen.
(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])
Ich will Ihnen die unstreitigen Fakten zum Thema „ehemalige CDU/CSU-FDP-Bundesregierung“ einmal ins Stammbuch schreiben. Das Thema „Grundsicherung im Alter“ ist bereits Gegenstand der heutigen Debatte gewesen. Ich will jetzt auf den Entlastungseffekt für die NRW-Kommunen zu sprechen kommen. 1,4 Milliarden € im Jahr bedeutet das für die NRW-Kommunen. Das ist eine Messlatte, die Sie in Berlin für die Kommunen überhaupt erst einmal erreichen müssen. Das ist der Punkt. Sie regieren in Berlin!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Zugleich – das hat der Kollege Kuper gesagt – waren in der Fortsetzung der mittelfristigen Finanzplanung der alten Bundesregierung ein Bundesteilhabegesetz und eine substanzielle Entlastung bei den Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen angelegt. Das haben Sie auch erkannt, meine Damen und Herren, als Sie die Große Koalition begründet haben, und haben das als prioritäre Maßnahme in Ihrem Koalitionsvertrag verankert. – So weit, so gut.
Jetzt schauen wir mal: Wo stehen wir aktuell? – Sie haben im Grunde genommen schon jetzt Ihren Koalitionsvertrag in der Frage der Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe gebrochen. Den Wortbruch haben Sie bereits auf dem Tisch. Insofern ist Ihre, die vorliegende rot-grüne Initiative, die Sie hier heute noch einmal beworben haben, nichts anderes als eine Nebelkerze und als Augenwischerei, weil Sie genau wissen, dass die von Ihnen aufgestellten Forderungen in Berlin keine Aussicht auf Erfolg haben.
(Beifall von der FDP)
Sie weinen hier Krokodilstränen, damit Ihre SPD-Basis ruhig gestellt wird. Das ist nicht kommunalfreundlich, das ist unredlich.
Meine Damen und Herren, ein Blick zurück auf den Beginn der Großen Koalition – dazu muss man nicht Chefhistoriker sein, denn so lange ist das noch nicht her –
(Heiterkeit)
sei an der Stelle erlaubt. – Sie wollten mit der SPD die Große Koalition begründen. Sie haben dann gesagt: Wir machen einen Mitgliederentscheid. Wesentliche Voraussetzung für die Zustimmung bei diesem Mitgliederentscheid hier in Nordrhein-Westfalen war die Bewerbung des Koalitionsvertrages als Grundlage für eine besondere finanzielle Entlastung der kommunalen Familie in Nordrhein-Westfalen.
(Zustimmung von der SPD)
Das war die Grundvoraussetzung für viele Mitglieder der SPD, diesem Vertrag zuzustimmen.
(Zustimmung von der SPD)
So! – Sie haben diesen Ankündigungen aber nicht nur keine Taten folgen lassen, sondern Sie haben das zarte Pflänzchen, das Sie im Koalitionsvertrag in Berlin verankert hatten, auch noch sofort wieder herausgerissen. Und das haben Sie gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner, der Union, gemacht. Herr Mostofizadeh hat ja eben zu Recht den haushaltspolitischen Sprecher der CDU im Bund, Norbert Barthle, zitiert.
Ich will ebenfalls einen Satz von Herrn Barthle zitieren, und zwar aus dem „Handelsblatt“, in dem er einen Gastbeitrag geliefert hat. Da hat er auf dieses Thema hingewiesen und im Hinblick auf die Frage, ob eine Eingliederungshilfeentlastung denn gerechtfertigt sei, gesagt – Zitat –: „Ich“ – Norbert Barthle, CDU – „halte diese Forderung für nicht gerechtfertigt.“
Dann hat Frau Merkel als Bundeskanzlerin die Hoffnungen an der Ruhrgebietsbasis der SPD zerstört. Am 19. März in den „Ruhr Nachrichten“: „Kanzlerin stellt Oberbürgermeistern keine …. Milliarden-Ent-lastungen in Aussicht.“
Jetzt wird es ganz interessant, am letzten Wochenende in der „Rheinischen Post“ zu lesen. Da war die Katze dann völlig aus dem Sack; das Bundesfinanzministerium hat durch den Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter endgültige Klarheit geschaffen. Zitat:
„Bereits unmittelbar nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen wurde … klargestellt, dass … nicht geplant war, diese Entlastung von 5 Milliarden € jährlich vor 2018 finanzwirksam werden zu lassen.“
Ich stelle für die FDP-Landtagsfraktion fest: Die Große Koalition hatte nie ernsthaft vor, die zugesagten und dringend benötigten Hilfsgelder für die kommunale Familie bereitzustellen. Das ist die Wahrheit!
(Beifall von der FDP und Dietmar Schulz [PIRATEN])
Dass sich weite Teile der SPD-Basis kurz vor der Kommunalwahl darüber echauffieren und Sie hier heute einen Schaufensterantrag daraus machen müssen, das ist ja völlig klar.
Ihr Spitzenpersonal aus Nordrhein-Westfalen, an der Spitze die Frau Ministerpräsidentin, hat bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht nur am Verhandlungstisch gesessen, sondern maßgeblich mitverhandelt. Sie war in alle Prozesse eingebunden. Sie hat das alles mitentschieden.
Dann müssen Sie sich auch selber darüber im Klaren sein, welche Konsequenzen das Verhalten Ihrer SPD-Spitze für Nordrhein-Westfalen hat. Sie haben sich entgegen Ihren eigenen Behauptungen eben nicht ausreichend für die versprochene Entlastung eingesetzt.
Meine Damen und Herren, das gilt auch für die anderen SPD-Bundesminister. Denn die haben aktuell der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes und damit der Finanzplanung von Herrn Schäuble zugestimmt. Damit ist nichts mit Entlastung bei der Eingliederungshilfe für Behinderte.
Genau deshalb ist das hier ein Schaufensterantrag, eine Beruhigungspille für Ihre kommunale Basis und nichts anderes.
(Beifall von der FDP)
Lassen Sie mich noch einen Blick werfen auf die eigene Verantwortung des Landes; der Kollege Kuper hat hierzu ja einige Ausführungen gemacht. Ich will eigentlich nur einen Zeugen zitieren, der sich über 20 Jahre hinweg vielfach mit Kommunalfinanzen höchstrichterlich befasst hat, nämlich Michael Bertrams,
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
fast 20 Jahre Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Er hat im „Kölner Stadt-Anzeiger“ Anfang dieser Woche Folgendes gesagt und der Landesregierung ins Stammbuch geschrieben – Zitat –:
„Das Land NRW bürdet den Städten und Gemeinden immer mehr Aufgaben und damit auch finanzielle Lasten auf. …
(Zustimmung von der CDU)
Es gibt den Kommunen aber nicht im erforderlichen Umfang die Mittel oder eröffnet ihnen eigene Finanzierungsquellen.“
(Beifall von der FDP und der CDU)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, an der Stelle fällt mir zu Ihrem Antrag ein Satz ein
(Michael Hübner [SPD]: Dem haben Sie doch letzte Woche noch zugestimmt!)
– lieber Kollege Hübner, hören Sie genau zu! –: Nicht das Erzählte reicht, nur das Erreichte zählt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Deswegen müssen Sie sich an diesen Dingen messen lassen. Und wenn Sie konsensorientiert sind, verhalten Sie sich auch konsensorientiert und nicht so, wie Sie es hier getan haben. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause! Aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hörten wir eben den Vorwurf des parteipolitischen Geplänkels, und wir hörten auch, dass seit 2010 aufgrund der Regierung von SPD und Grünen die Stimme der Kommunen im Landtag wieder etwas gelte. All das ist schön.
Aber werfen Sie sich doch bitte nicht alle das Gleiche vor. Das Gleiche macht nämlich die CDU mit der SPD und umgekehrt. Der entscheidende Punkt ist doch: Was wird denn hier vertreten? – Hier wird keine Sachpolitik vertreten, hier wird Bilanzpolitik vertreten – eine Bilanzpolitik mit leeren Händen. Nichts haben Sie in der Hand.
Das ergeben beide Anträge, sowohl die Anträge der regierungstragenden Fraktionen als auch der Entschließungsantrag der CDU-Fraktion. Da steht nämlich drin: Wir wollen etwas haben. – Nur ist Landespolitik vor dem Hintergrund struktureller Fragen, die hier auch im Zusammenhang mit der Finanzierung der Kommunen stehen, keine Frage von Wünschen, sondern eine Frage von Fakten und Zahlen. Und die Zahlen, die Sie hier einfordern – vor allen Dingen die Zahlungen, die Sie hier prospektiv einfordern –, stehen, lieber Herr Körfges, so gar nicht im Koalitionsvertrag im Bund.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das kann ich Ihnen vorlesen!)
Sie sagen zwar: „Das steht so drin, und so möchten wir es haben“, aber wenn man den Text genau liest, stellt man fest, es steht dort, dass dieser Koalitionsvertrag in Bezug auf die Kommunen nichts weiter ist als ein Testament. Das hatten wir auch schon am 26. März in der Aktuellen Stunde, die die FDP-Fraktion beantragt und mit der sie ganz offensichtlich den Kern getroffen hatte. Da ging es nämlich gerade darum, wie es mit den Zahlungen des Bundes an die Kommunen bzw. an die Länder zugunsten der Kommunen aussieht. Das sieht es ganz einfach dunkel aus. Die Gesetze müssen erst noch verabschiedet werden. Sie sollen im Laufe dieser Legislaturperiode im Bund verabschiedet werden. Das kann am Ende sein.
(Zuruf von Michael Hübner [SPD])
Das kann 2017 sein. Und was 2017 verabschiedet wird, wird 2014, 2015, 2016 und 2017 nicht mehr umgesetzt. Also bleibt es doch dabei: Es ist ein Wunschkonzert.
Jetzt loben Sie auf der anderen Seite die GFG-Erhöhung und auch den Stärkungspakt Stadtfinanzen.
(Michael Hübner [SPD]: Das ist gut!)
Sie loben in Ihrem Antrag indirekt sogar noch den Kommunalsoli, der gerade auf dem gerichtlichen Prüfstand steht. Das wird sich noch herausstellen, Herr Kollege Hübner.
Ich sage Ihnen noch eines: Bei der Verabschiedung des Stärkungspakts Stadtfinanzen stand der momentane Koalitionsvertrag noch nicht zur Debatte. Wie kann es also, bitte schön, sein – und das ist auch Gegenstand der heutigen Debatte –
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
– ja, ja, Herr Kollege Körfges, ich komme darauf zurück –, dass noch am 26. März ausgerechnet Sie, Herr Kollege Körfges,
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
sagten: „Wenn der Stärkungspakt gelingen soll“ – das haben wir im Kommunalausschuss schon infrage gestellt – „müssen wir die 5 Milliarden € im Jahr 2017 haben“? – Der Kollege Körfges hat eine Zwischenfrage.
(Heiterkeit)
Vizepräsident Oliver Keymis: Lieber Herr Kollege Schulz, obwohl gerade ein Vorsitzwechsel erfolgt ist, haben wir das registriert. Jetzt geht es los. – Herr Körfges, bitte schön.
Hans-Willi Körfges (SPD): Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass sich diese Äußerungen, wie alle anderen Äußerungen in dem Zusammenhang, auf die gemeinsame Beschlussfassung des Landtags im Jahr 2010 beziehen – es war vor Ihrer Zeit; seinerzeit gab es eine andere kleine Fraktion –, als wir uns alle hinter die Forderung gestellt haben, dass der Bund zu 50 % in die Kosten der Sozialleistungen eintreten muss und dass das damals auch der Bezugspunkt für den Stärkungspakt gewesen ist? Wären Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Kollege Körfges, ich nehme das selbstverständlich sehr gerne zur Kenntnis. Nur darf ich doch in Zweifel ziehen, dass Sie genau diese 5 Milliarden € meinten.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ich will mehr!)
– Sie wollen mehr. Wir alle wollen natürlich mehr. Wir alle wollen unter Umständen diese 5 Milliarden € jährlich haben. Das ist der Punkt. Das steht auch in dem Antrag. Das ist genau das, was ich hier kritisiere: dass alle im Prinzip das Gleiche wollen. Sie wollen mehr Geld vom Bund. In Wahrheit steht das Land Nordrhein-Westfalen mit leeren Händen da.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
– Kollege Mostofizadeh, man steht jetzt im Kommunalwahlkampf und weiß den Kommunen nicht zu sagen, wo sie, bitte schön, das Geld hernehmen sollen; denn das Land verfügt einfach nicht über die Mittel. Nehmen wir das doch bitte einfach mal zur Kenntnis!
Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land müssen doch wissen, dass es nicht davon abhängig ist, dass wir hier im Landtag irgendetwas beschließen, sondern dass es davon abhängig ist, dass auf der Bundesebene, wo nämlich SPD und CDU in einer Großen Koalition sitzen, entsprechende Beschlüsse gefasst werden. Das sagt wiederum der Antrag in einem seiner letzten Beschlusspunkte aus: dass, bitte schön, der Bund diese mittelfristigen Zahlungen leisten soll.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was sagen Sie zum Antrag?)
– Herr Kollege Mostofizadeh, ich sage Ihnen, was ich darüber denke. – Ich weiß, dass im Land Nordrhein-Westfalen über 60 Kommunen weiterhin auf der Kippe stehen. Nideggen hat gerade einmal die Konsolidierung durch den Sparkommissar geschafft. So weit, so gut. Altena klagt gegen die Einsetzung eines Sparkommissars. Wir wissen noch gar nicht, welche Kommunen im Laufe dieses Jahres und im Laufe des nächsten Jahres auf der Kippe stehen und wo ebenfalls ein Sparkommissar hin muss.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Noch einmal die Frage: Was sagen Sie dazu?)
– Nun warten Sie doch ab, bis ich fertig bin. Ich habe noch ein bisschen Zeit, Herr Kollege. Wenn ich mich darauf versteifen würde, so wie Sie zu agieren, nämlich einfach nur auf irgendwelche Wortbeiträge der anderen Kollegen einzudreschen, wäre das sicherlich weniger konstruktiv.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Ich sage Ihnen noch etwas: Die Politik der ausgestreckten Hand, die die Ministerpräsidentin dieses Landes am Anfang der Legislaturperiode verkündet hat, und zwar gerade in Bezug darauf, dass es in diesem Lande auch in Bezug auf die kommunalen Finanzen zu einer konstruktiven politischen Zusammenarbeit kommen soll, sehe ich momentan noch nicht, insbesondere nicht anhand der Anträge.
Wenn es denn so ist – das kam hier teilweise in Wortbeiträgen auch zum Ausdruck –, dass die Anträge gar nicht so weit voneinander entfernt sind, ja, mein Gott, dann sollte man sich doch – da werden wahrscheinlich die Kommunalwahlen im Wege stehen, das sehe ich gerne ein – mit allen Fraktionen an einem runden Tisch zusammenzusetzen und dafür Sorge tragen, dass man Mittel und Wege findet, wie hier die Kommunalfinanzen zur Konsolidierung derselben auf einen sauberen Weg gebracht werden können. Da mag auch ein Altschuldenfonds in der Debatte eine Rolle spielen, selbstverständlich.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Noch einmal Ihr Vorschlag jetzt!)
Bitte? – Ja, das ist der Vorschlag. Dann setzen wir uns doch alle zusammen.
(Heiterkeit von der SPD)
Dann sind wir jenseits jedweden parteipolitischen Kalküls, Herr Mostofizadeh, was Sie hier eingangs vorgeworfen haben. Dann sitzen wirklich alle zusammen. Dann brauchen wir kein parteipolitisches Kalkül, denn die Kräfteverhältnisse im Bund
(Martin Börschel [SPD]: Was wollen Sie denn? – Weiterer Zuruf von Heike Gebhard [SPD])
sind nun einmal so, dass SPD und CDU an einem Strang ziehen müssen. Dann ziehen Sie doch hier im Land ebenfalls an einem Strang und gehen gemeinsam, SPD und CDU, von mir aus flankiert von den Grünen, der FDP und den Piraten, Richtung Berlin und sagen: Leute, so muss es im größten Bundesland dieser Republik laufen.
(Michael Hübner [SPD]: Was denn?]
Das ist doch der Vorschlag. Dann setzen wir uns doch zusammen. Deswegen sage ich Ihnen, die Anträge …
(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])
– Ich finde es großartig, dass Sie dabei so laut werden. Ganz offensichtlich habe ich auch da den Nerv getroffen. Sie alleine kriegen es nämlich nicht hin, nicht in Nordrhein-Westfalen. Das bekommen Sie nur dann hin, wenn Sie den Koalitionspartner im Bund, runtergebrochen auf das Land, mit ins Boot nehmen. Das wäre in dem Fall die CDU. Also setzen wir uns zusammen. Kein guter Vorschlag, Herr Kollege Hübner?
(Michael Hübner [SPD]: Dann machen Sie doch einmal einen Vorschlag!)
– Okay, dann lesen Sie es im Protokoll nach.
Was die Anträge angeht: Sowohl bei dem Antrag der SPD als auch bei dem der CDU werden wir uns jedenfalls vonseiten der Piratenfraktion enthalten. Wir sehen darin gute Wege von der Grundlage her, über die man diskutieren kann, über die man auch versuchen kann, Mittel und Wege zu finden, um gegebenenfalls auf die Große Koalition im Bund mithilfe des Bundesrates und der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen durch Vermitteln der Ministerpräsidentin des Landes entsprechenden Druck aufzubauen, und zwar auch mithilfe der anderen Bundesländer, denn die trifft es gleichermaßen. Es ist ja nicht nur NRW, wo die Kommunen in einer Schieflage sind. Es gibt noch andere Bundesländer.
Vizepräsident Oliver Keymis: Lieber Herr Schulz, bitte kommen Sie zum Schluss.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Und dafür sollten wir sorgen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön für den Wortbeitrag, Herr Schulz. – Als nächster Redner spricht für die Landesregierung Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt den gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen. Er zeigt klar, dass sich die Regierungsfraktionen und die Landesregierung ihrer Mitverantwortung für die kommunalen Haushalte sehr bewusst sind. Wir setzen alles daran, dass die Kommunen durch den Bund finanziell von den Sozialausgaben weiter entlastet werden. Dies gilt auch bei den Kosten der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.
Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene wurde vereinbart, dass sich der Bund künftig an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligt. Bereits ab dem Jahr 2015 entlastet der Bund die Kommunen mit 1 Milliarde € in der Eingliederungshilfe. In der Endstufe werden es dann nach Inkrafttreten eines Bundesteilhabegesetzes 5 Milliarden € sein.
Die Bundesarbeitsministerin hat in diesem Zusammenhang erklärt, dass das Bundesteilhabegesetz aus ihrer Sicht 2016 verabschiedet werden soll. Wir können also sagen, dass die im Koalitionsvertrag des Bundes vorgesehene Entlastung ein gutes Ergebnis für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist. Wir dürfen aber hierbei nicht vergessen, dass uns mit der anstehenden Reform der Eingliederungshilfe und der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes auch eine wichtige sozialpolitische Aufgabe bevorsteht.
(Beifall von der SPD)
Die Menschen mit Behinderungen erwarten zu Recht von uns, dass durch ein Bundesteilhabegesetz ein deutlicher Schritt hin zu einer umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe gegangen wird. Sie erwarten, dass ihre Rechte gestärkt werden und dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen können. Und sie erwarten, dass dieses Gesetz ein wichtiger Baustein hin zu einer inklusiven Gesellschaft wird.
Ein künftiges Bundesteilhabegesetz muss den Bedürfnissen aller Menschen mit Behinderungen gerecht werden. Es muss die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskommission umsetzen. Es muss die Beteiligungsrechte von Menschen mit Behinderungen stärken, und die Leistungen der Eingliederungshilfe müssen aus dem sogenannten Fürsorgesystem der Sozialhilfe herausgetrennt werden.
Menschen mit Behinderungen sind eben keine Bittsteller. Sie sollen und wollen zum Beispiel selbst entscheiden, wo, wie und mit wem sie leben wollen. Ein Bundesteilhabegesetz muss hierfür die Weichen stellen. Ich wünsche mir, dass Menschen mit Behinderungen künftig von einem Bundesteilhabegeld profitieren können. Damit wird ein klares Signal an die Betroffenen gesendet, dass Inklusion und die Stärkung der Selbstbestimmung der Menschen gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind.
Klar ist, die Reform der Eingliederungshilfe und die Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes gehören zu den wichtigsten sozialpolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre. Die Landesregierung setzt sich mit aller Kraft hierfür ein und wird dafür kämpfen, dass diese Reform gelingt.
Selbstverständlich gehen wir an die Ausarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes mit Augenmaß heran. Wir müssen die Ausgaben fest im Blick haben.
Aus sozialpolitischer Sicht bringt ein gelungenes Bundesteilhabegesetz die finanziellen Interessen der kommunalen Familie und die gleichermaßen berechtigten Interessen der betroffenen Menschen mit Behinderungen in Einklang. Dies ist unser Ziel.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Bitte, unterlassen wir alle auch nur den Anschein, sozialpolitische Inhalte gegen finanzpolitische oder kommunalpolitische Inhalte ausspielen zu wollen. Beides gehört zusammen, beides muss berücksichtigt werden. Die Kommunen benötigen dringend finanzielle Entlastung, die behinderten Menschen ein modernes Sozialrecht. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Hübner das Wort.
Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Debatte, die in Teilen ganz amüsant war, einordnen. Sie war übrigens so amüsant wie gestern Abend die Debatte zum Thema „Altschuldenfonds“, wo wir eine kommunale Entlastung aufgerufen haben und vonseiten der FDP, der CDU und der Piraten hemmungslos am Thema vorbeigeredet worden ist. Man hat sich nicht einmal darauf konzentriert, worum es uns geht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, es geht uns um die Entlastung der Kommunen. Das steht hier im Vordergrund.
Lieber Kollege Abruszat – er ist nicht mehr im Raum; ich weiß, wie normalerweise die Reflexe bei der FDP sind, wenn einmal ein Minister nicht zugegen ist, aber ich will ihn trotzdem ansprechen –, …
(Zurufe von der FDP)
– Wenn die FDP, Herr Kollege, feststellt, dass ein Minister nicht zugegen ist, dann sind die Reflexe relativ eindeutig. – Die FDP hatte in der letzten Aktuellen Stunde exakt diesem Antrag zugestimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie müssen sich das selbst – und nicht uns – erklären, wieso Sie einmal bei der Entlastung zustimmen und warum Sie das heute ablehnen. Das ist nicht in Ordnung und hat auch nichts mit lautbarer Politik zu tun.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sich darüber hinaus – da spreche ich auch in Richtung CDU – hier als Retter der landespolitischen Verantwortung gegenüber den Kommunen darzustellen, ist schon sehr beachtlich.
Zwischen 2005 und 2010 – ich mache das einmal ganz konkret – haben Sie zur Konsolidierung des Landeshaushaltes in das Gemeindefinanzierungsgesetz eingegriffen. Das geschah nicht für kommunale Zwecke, sondern zur Konsolidierung des Landeshaushaltes. Heute stellen Sie sich hin und sagen: „Da hat doch das Land eine gewisse Mitverantwortung“. – Schönen Dank, dass Sie 2014 für sich erkannt haben, dass das Land eine gewisse Mitverantwortung hat.
Wir haben den Griff in die kommunalen Kassen 2010 gestoppt. Das verdient Dank und Achtung. Kommen Sie aber bitte heute nicht mit einem solchen Antrag.
Auch hinsichtlich der SGB-XII-Entlastung vergessen Sie einen ganz wesentlichen Punkt. Die SGB-XII-Entlastung – da geht es um Grundsicherung im Alter – fußt vom Grundsatz her auf unserem Beschluss von 2010. Den haben wir damals im Einvernehmen – zugegebenermaßen ohne die Piraten; die waren noch nicht im Landtag – gefasst. Damit haben wir aber auch die Landesregierung aufgefordert, und Hannelore Kraft hat das dann ja auch im Bundesrat durchgesetzt. Dabei ging es um eine entsprechende Entlastung bei Soziallasten.
Die erste Entlastung im SGB XII betraf die Grundsicherung im Alter. Die haben wir im Bundesrat durchgesetzt. Das ist keine milde Gabe der Bundesregierung – schon gar nicht der aktuellen Bundesregierung. Vielmehr hatten wir es vorher vereinbart gehabt. Dafür gebührt auch der Landesregierung, was ihr Handeln im Bundesrat anbelangt, ganz viel Respekt, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zu dem Griff in die kommunalen Kassen habe ich schon etwas gesagt. Sie wollten diese Politik im Übrigen – Herr Kollege Biesenbach kann gleich noch darauf reagieren – noch fortsetzen. Ich erinnere Sie an Ihre ganz tollen Papiere „KomPAsS I“ und „KomPAsS II“. Manchmal denke ich auch, dass die CDU den Kompass komplett verloren hat. Sie haben gesagt, man könne solch einen Stärkungspakt viel gerechter machen.
Wir machen das Gemeindefinanzierungsgesetz, um besonders benachteiligten Kommunen zu helfen. Die bekommen besonders viel. Bessergestellte Kommunen bekommen daraus etwas weniger. – Sie haben im Rahmen des „KomPAsS II“ den Vorschlag gemacht, dass die benachteiligten Kommunen dafür besonders bluten müssen. Sie haben gesagt, man könne einfach einmal 700 Millionen € aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz herausnehmen und allen Kommunen sozusagen die Finanzierungsmasse entziehen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kämmerling?
Michael Hübner (SPD): Selbstverständlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett. – Bitte schön.
Stefan Kämmerling (SPD): Vielen Dank, Herr Hübner, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Kollege Kuper hat eben in diesem Zusammenhang – und das im Detail – ausgeführt, warum die CDU dem von SPD und Grünen vorgelegten Antrag nicht zustimmen kann. Würden Sie meiner Verwirrung gegebenenfalls Abhilfe schaffen können? Denn ich muss feststellen, dass in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Stadträte ein identisches Papier mit überzeugender Mehrheit – mit den Stimmen von CDU-Ratsfraktionen – beschlossen haben. Können Sie mir das erläutern?
Michael Hübner (SPD): Lieber Herr Kollege Kämmerling, ich stimme Ihnen in Ihrer Einschätzung ausdrücklich zu. Es waren zahlreiche Gemeinde- und Stadträte aus 396 Städten und Gemeinden. In der Frage gab es übrigens auch keine Abweichler bei der CDU. Ich weiß, dass das in Köln einvernehmlich mit der CDU beschlossen wurde: 2015 eine Entlastung in Höhe von 1 Milliarde €, 2016 1 Milliarde € und 2017 5 Milliarden €. In meiner Heimatstadt Gladbeck, Herr Kollege Kämmerling, hat die CDU übrigens gesagt, sie könne dem Antrag – der übrigens relativ deckungsgleich mit dem Antrag aus Köln war – nicht zustimmen, weil er nicht scharf genug sei.
(Heiterkeit von der SPD)
Die Kollegen von der CDU in Gladbeck haben gesagt, dass auch 2014 die Milliarde da stehen müsse. Sonst könne man nicht zustimmen. Kolleginnen und Kollegen, die haben den gleichen Koalitionsvertrag gelesen wie wir. Er hat bei uns zu einem Mitgliedervotum geführt – bei Ihnen nicht. Bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht Demokratie auch ganz anders aus.
(Beifall von der SPD)
Herr Kollege Kämmerling, wir haben entsprechende deckungsgleiche Anträge aus den Landschaftsverbänden – in großer Zahl auch von der CDU unterstützt – bekommen. Von daher verwundert es mich in der Tat, dass die CDU heute im Landtag Nordrhein-Westfalen eine solche Blockadehaltung einnimmt. Es verwundert mich noch mehr, weil sie aus ihrer Erfahrung schlau geworden sein müsste. Sie müsste wissen, dass man für die Kommunen etwas tun kann. Offenbar entspricht das aktuell aber nicht Ihrer Interessenslage. Von daher wünsche ich uns viel Glück bei den weiteren Entscheidungen zur Entlastung der kommunalen Familie.
Herr Kuper hat noch einen weiteren Punkt angesprochen, nämlich die Finanzanlagen – Stichwort: RWE – und dass Mülheim in den Stärkungspakt müsste. Herr Kuper, Sie waren damals zwar noch nicht im Landtag, aber Sie müssten doch mittlerweile die Grundsätze des Stärkungspaktgesetzes verstanden haben.
Es ging um eine Überschuldung, die sich damals abzeichnete. Natürlich gibt es – das will ich Ihnen gerne zugestehen – auch die eine oder andere Stadt, die nachlaufend in die Überschuldung gerät. Hierzu hat der Kollege Kämmerling deutlich gemacht, dass wir § 76 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung entsprechend geändert haben. Nunmehr gilt ein Zeitraum von zehn Jahren zur Konsolidierung, weil wir genau solche Situationen vermeiden wollen.
Es ist aber nicht in Ordnung, jede Finanzanlage zu kritisieren und sie schlechtzureden. Das ist bitte schön immer noch Sache der Kommunen; insoweit verstehen wir die Subsidiarität. Das sollten Sie auch akzeptieren. Ihr Verweis auf den Stärkungspakt und die Rolle der Stadt Mülheim geht da völlig fehl, Herr Kollege Kuper.
Ich möchte – weil ich mich eigentlich mit dem Kollegen Biesenbach darauf verständigt hatte, etwas kürzer zu sprechen – nun zum Ende kommen. Wir machen mit diesem Antrag deutlich, wer im Land Nordrhein-Westfalen die kommunale Verantwortung übernimmt. Das sind wir, und das ist in keinem Fall die CDU hier in diesem Hause. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hübner. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Biesenbach.
Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es aus den Reihen der Koalition beim ersten Tagesordnungspunkt ständig hieß „Wahlkampf“, dann frage ich mich, was das jetzt alles war.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wenn man das Sprichwort bemüht: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“, Herr Mostofizadeh, dann haben Sie heute so viel Glasbruch erzeugt, dass die Stadtwerke Düsseldorf stundenlang arbeiten müssten, um das wieder zu beseitigen.
Ich möchte auf einige Punkte zu sprechen kommen.
Zunächst: Was ist das überhaupt, was Sie uns heute anbieten? Das ist völlig überflüssig, weil es ein Schaufensterantrag ist.
(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Meinen Sie das wirklich ernst, Herr Kollege?)
Lassen Sie mich hierzu einige Anmerkungen machen. – Herr Körfges, Sie schmunzeln gerade so. – Das Ganze wäre doch überhaupt nicht notwendig, wenn Sie Ihre Drähte einmal nutzen würden. Die Ministerpräsidentin ist stellvertretende Bundesvorsitzende. Sie sitzt unmittelbar in den Entscheidungsgremien der SPD.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Redet ihr doch mit dem Schäuble! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Was wäre denn leichter, als dort sowohl mit dem Bundesvorsitzenden – der ist Minister – als auch mit Frau Nahles – das ist die zuständige Ministerin – über das zu sprechen, was Sie haben möchten? Wer hat denn den Arbeitsplan im Bundeskabinett so beschlossen, mit dem Vorschlag von Frau Nahles? 2016 soll der Entwurf kommen.
Wer hat denn vorgeschlagen, das Ganze solle vielleicht 2017, 2018 in Kraft treten, und ab 2018 solle die Zahlung erfolgen? Das war das Bundeskabinett auf Vorschlag von Frau Nahles. Die können Sie doch ansprechen. Glauben Sie, ein Antrag, der hier läuft, würde in Berlin irgendeine Wirkung haben? Das wissen Sie besser, und das weiß ich auch.
Was Sie hier betreiben, ist Känguru-Politik: statt der Sprünge große Sprüche, aber große Sprüche mit leerem Beutel!
(Zuruf von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn bei der SPD deshalb eine solche Aufregung entsteht, dann sollten wir einmal die Leistungen hinterfragen, die Sie bei den Kommunalfinanzen erbracht haben. Sie tragen mittlerweile fast vier Jahre die Verantwortung. Die erste überschuldete Stadt, die es geschafft hat, nach fast vier Jahren, in dieser Situation – und Sie sagen, Sie tun alles Mögliche für die Finanzen? 177 nordrhein-westfälische Kommunen sind in der Haushaltssicherung oder im Nothaushalt. Helfen Sie denen? Wo denn? Die kommen doch überhaupt nicht raus!
(Zuruf von der SPD: Wer sitzt im Nothaushalt? Das ist schlicht falsch! So ein Quatsch!)
116 Kommunen bleiben ohne jegliche Hilfe aus dem Stärkungspakt. Das ist Ihr Ergebnis!
(Beifall von der CDU)
Und wenn Sie sich den Stärkungspakt einmal genauer ansehen, dann wird doch ersichtlich – wie bei der Stadt Schwerte, die jetzt zum ersten Mal ihren Evaluationsbericht vorgelegt hat –, was die Kommunen davon halten. So sieht die Situation aus.
Der Kollege Kuper hat gerade deutlich gemacht, dass alleine die Leistungen des Bundes in diesem Jahr bei der letzten Stufe der Übernahme der Grundsicherung das Dreifache dessen ausmachen, was Sie in Ihren Stärkungspakt Stadtfinanzen hineinschreiben, mit den bekannten Ergebnissen.
Nur über Bilanzierungstricks des Innenministers wurde erreicht, dass nicht deutlich mehr Städte in noch schlimmeren Situationen stecken. Angesichts dessen empfehle ich Ihnen, ein wenig demütiger darüber nachzudenken, wer denn wo welche Erfolge aufzuweisen hat.
Ich könnte Ihnen noch seitenweise – von mir aus auch Minuten; ich habe leider nur noch 26 Sekunden – auflisten, was –
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, ich kann Ihnen weiterhelfen.
Peter Biesenbach (CDU): – der Bund alles getan hat.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Biesenbach, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Peter Biesenbach (CDU): Nein, keine Zwischenfrage.
Vizepräsident Oliver Keymis: Gut, dann kann ich Ihnen doch nicht weiterhelfen.
Peter Biesenbach (CDU): Keine Zwischenfrage, weil Ihnen nicht an einer echten Auseinandersetzung gelegen ist. Sie wollen doch nur deutlich machen, wer was tut. Das aber ist Show, und auf eine Show müssen wir heute nicht mehr reagieren.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Biesenbach, bitte kommen Sie zurück zum Pult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Herter. Das war rechtzeitig angemeldet, ist nur hier akustisch etwas untergegangen. Es ist manchmal sehr laut hier im Saal, da bekommt man nicht immer alles mit. – Sie haben die Gelegenheit, dann noch einmal auf die Kurzintervention zu reagieren. Herr Herter, Sie haben das Wort.
Marc Herter (SPD): Herr Biesenbach, nachdem Sie ja nur noch 28 Sekunden Redezeit hatten, verhelfe ich Ihnen gerne zu einigen Sekunden mehr Redezeit. Ich wollte eigentlich eine Frage stellen, was nicht mehr möglich war.
Sie haben über die Kommunen im Nothaushalt gesprochen. Nach meinen Informationen ist es so, dass im Jahr 2010 144 Kommunen auf der Rechnung standen und es jetzt nur noch fünf sind.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wie man daraus eine Steigerung herbeireden kann, ist mir nicht ganz klar, aber Sie werden mir das sicherlich erklären können.
Peter Biesenbach (CDU): Herr Herter, die von Ihnen genannten Zahlen sind nicht vergleichbar.
(Zuruf von der SPD: Eine unvergleichliche Leistung! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
– Natürlich! Das ist deshalb nicht zu vergleichen, weil der Innenminister, der jetzt gar nicht da ist, einfach die Bedingungen verändert hat. Das war das, was ich vorhin als „Bilanzierungstricks“ bezeichnet habe. Wenn man die Zeiten, die Methoden verändert, dann erhält man natürlich andere Zahlen. Wissen Sie, warum das notwendig war?
(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])
Das war notwendig, weil er sonst gar nicht mit den Hilfen hingekommen wäre. Dann wäre nämlich gar nichts mehr herausgekommen. Das sind Ihre Bilanztricks, mit denen Sie die Situation verschleiern. Das sind die Ergebnisse nach dem Motto: Wir verändern mal die Situation, dann habe ich auch keine Not mehr.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Aus der Ecke kommt das. Da hilft auch kein Geschrei. Lassen Sie uns hier dieselben Maßstäbe anlegen wie vorher, und dann schauen wir einmal, wie die Zahlen dann aussehen. Dann hätten Sie hier und heute nämlich keine Zwischenfrage gestellt.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Biesenbach. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Grochowiak-Schmieding.
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn über 140 Kommunen aus der Haushaltssicherung geholfen wird, nenne ich das nicht „Bilanztricks“, sondern das sind Konsolidierungs- und Hilfsmaßnahmen. Das Land hat hierbei sehr gut reagiert.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Kai Abruszat [FDP]: Konsolidierung ist das?)
Aber eigentlich ist unser Thema, dass wir einen Antrag stellen, um dem Bund noch einmal unsere Forderung deutlich zu machen, dass wir damit rechnen, dass er sich an den Kosten zur Eingliederungshilfe beteiligt.
Dabei möchte ich daran erinnern, dass es nicht nur darum geht, Geld zu verteilen. Das ist natürlich wichtig, weil es die Kommunen entlastet – im Übrigen auch die Haushalte der Länder, die eben aufgezählt wurden und bei denen die Eingliederungshilfe aus ihrem Landeshaushalt finanziert wird. Hier geht es auch um Menschenschicksale. Tatsächlich geht es um Menschen mit Rechtsansprüchen.
Aus humanitären und aus ökonomischen Gründen dürfen wir nicht nur eine finanzielle Beteiligung des Bundes in Betracht ziehen, sondern wir müssen stark und vehement das Bundesteilhabegesetz einfordern, das uns Strukturen an die Hand gibt, die wir als Steuerungselemente nutzen können, um bei der Kostenexplosion bei den – wir sehen es, und wir wissen es genau – steigenden Fallzahlen, die auf uns zukommen werden, gegensteuern zu können.
Hierbei ist es wichtig, die Menschenrechte, die diesen wie allen anderen Menschen zustehen, ins Auge zu fassen. Ich kann nicht oft genug daran erinnern: Es ist ein fiskalisches Problem, aber es ist auch ein rein menschliches Problem. – Wir müssen beides ins Auge fassen. Das wird uns nur durch ein Bundesteilhabegesetz gelingen, das diese beiden Elemente behandelt.
Weiterhin handelt es sich bei dem Antrag, den wir heute stellen, nicht um einen Schauantrag, sondern das ist ein Antrag, mit dem das Land NRW dem Bund gegenüber seine Forderungen klarmachen kann. Je mehr sich an diesem Antrag beteiligen und je mehr diesen Antrag unterstützen, desto besser. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Guntram Schneider – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Bringt doch gar nichts!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen zur Abstimmung über zwei Anträge.
Erstens. Direkte Abstimmung über den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5486. Wer stimmt dem Antrag zu? – Die SPD und die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die FDP. Wer enthält sich bei diesem Antrag? – Die CDU-Fraktion, die Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist der Antrag mit Mehrheit angenommen.
Wir entscheiden zweitens über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5552. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Die CDU-Fraktion und der fraktionslose Kollege Stein. Wer stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion, die grüne Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die Fraktion der Piraten. Damit ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu:
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5472
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5531
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5550
Ich eröffne die Aussprache über den Antrag. Für die FDP-Fraktion begründet ihn Frau Kollegin Gebauer.
(Unruhe)
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vorab zum Ausdruck bringen, dass wir es als FDP-Fraktion ausdrücklich begrüßen, dass es diese Einladung der Ministerin zum runden Tisch am 5. Mai gibt.
(Anhaltende Unruhe – Glocke)
Aber es muss auch ein Ziel gesetzt werden, nämlich das Ziel spürbarer Verbesserungen für die Gymnasien, das am Ende dieses runden Tisches stehen muss. Nach unserer Auffassung ist es auch mit Blick auf den runden Tisch unverzichtbar, dass wir uns heute im Parlament mit dem Thema G8 auseinandersetzen.
Wir haben diesen Antrag auch gestellt, weil – er ist gerade nicht anwesend – Herr Laschet mit seinen Äußerungen zur Rückkehr zu G9 ein Stück weit gefährlich zündelt. Wir haben von der CDU in der Vergangenheit keinen Verbesserungsvorschlag erhalten, wie G8 besser aussehen könnte. Wir haben mit Kleinen Anfragen nachgehakt, und wir haben vor zwei Wochen dargestellt, wie wir uns das vorstellen. Diesen Prozess hat die CDU bisher mehr apathisch begleitet, als dass sie ihn konstruktiv unterstützt hätte.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] und Ministerin Sylvia Löhrmann)
Auch der heutige Entschließungsantrag ist nicht wirklich der große Wurf der CDU; das möchte ich an dieser Stelle auch betonen.
(Beifall von der FDP, Sigrid Beer [GRÜNE] und Ministerin Sylvia Löhrmann)
Meine Damen und Herren, die alles entscheidende Frage in dieser Debatte muss letztlich lauten: Was brauchen die Gymnasien und die Schülerschaft der Gymnasien tatsächlich? Die Gymnasien brauchen Ruhe und Beständigkeit, aber natürlich auch eine zielgenaue Unterstützung. Die FDP hat sich ganz klar positioniert: Eine erneute Umstellung auf G9 halten wir nicht für zielführend, im Gegenteil würden dadurch jahrelang Kräfte wieder gebunden werden.
Auch renommierte Wissenschaftler haben sich in der Vergangenheit dahingehend geäußert, zum Beispiel Prof. Prenzel, der davon spricht – ich darf zitieren –:
„Ich finde diese Entwicklung erstaunlich bis gefährlich. Es gibt keine empirischen Befunde, die Vorteile für G9 gegenüber G8 belegen.“
Und später sagt er:
„Statt wieder über die Schulstruktur zu diskutieren, sollten wir lieber über Schulqualität streiten.“
(Beifall von der FDP)
Ich kann nur sagen: Herr Prof. Prenzel hat hiermit recht. Auch ein Teil der Wahrheit ist, dass teilweise G8 Probleme zugeschrieben werden, die nichts mit dem verkürzten Bildungsgang zu tun haben. Auch das muss man ganz klar und offen sagen.
Und, meine Damen und Herren, es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, zu denken, dass wir zu dem G9, wie es das tatsächlich mal gegeben hat, ohne Nachmittagsunterricht, zurückkehren können. Der Wochenstundenrahmen ist inzwischen an den weiterführenden Schulen erhöht worden und würde sich heute zwischen dem neuen G9 und dem jetzigen G8 nur geringfügig unterscheiden. Man muss genau hinschauen, um was es hier geht. Das, was viele Eltern fordern, nämlich die Rückkehr zu dem alten G9, geht nicht mehr. Das alte G9 existiert so nicht mehr.
Gleichwohl verstehen wir als FDP ganz klar die Sorgen der Eltern über das, was an den Gymnasien passiert. Wir brauchen – ich glaube, da sind wir uns alle einig – durchgreifende Verbesserungen. Wir wollen unsere Kinder fordern. Aber richtig ist auch: Wir wollen sie natürlich auf ihrem Bildungsweg auch nicht überfordern.
Wir brauchen – das ist die Auffassung der FDP – mehr Entlastung durch fachliche Hausaufgabenbetreuung, die mit individueller Vertiefung und Förderung gekoppelt ist. So erhoffen wir uns entsprechende Freiräume.
Wir brauchen auch mehr Ganztagsangebote an den Gymnasien.
Ein wichtiges Thema ist auch nach wie vor: Die Lehrpläne müssen tatsächlich immer noch mehr stringent auf Verschlankungsmöglichkeiten durchleuchtet werden.
Das sind Vorstellungen, mit denen wir als FDP-Fraktion in das Gespräch am 5. Mai gehen werden. Wir hoffen, dort im Sinne der betroffenen Schülerinnen und Schüler eine vernünftige Regelung zu finden, eine Regelung, in der beides berücksichtigt wird, nämlich qualitativ hochwertiger Unterricht auf der einen Seite und natürlich auch ein angemessener Zeitraum der Entspannung für unsere Kinder und Jugendlichen auf der anderen Seite. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Gebauer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Voigt-Küppers.
Eva Voigt-Küppers (SPD): Sehr geehrter Herr Prä-sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, fielen mir auf Anhieb Herbert Grönemeyer und sein Kassenschlager „Was soll das?“ ein.
Sie, verehrte Kollegen von der FDP, überschreiben Ihren Antrag mit dem Titel „Kein Chaos in die Gymnasien tragen“. Das Chaos allerdings stiften Sie. Mit Ihrem populistischen Antrag greifen Sie einer inhaltlichen Debatte vor. Was soll das?
Wenn Sie sagen, dass Sie den runden Tisch der Ministerin begrüßen, dann platzieren Sie Ihre Forderungen auch dort. Sie haben am 5. Mai als Fraktion die Gelegenheit, wie alle anderen bildungspolitischen Akteure aus Schule, Wissenschaft und Wirtschaft der Einladung unserer Ministerin zu folgen. Das ist genau der richtige Rahmen, um über die weiteren Entlastungsmöglichkeiten für alle Beteiligten am gymnasialen Bildungsgang zu sprechen. Denn der runde Tisch bringt alle beteiligten Gruppen zusammen, damit alle Positionen ausgetauscht werden können, bevor man ein abschließendes Urteil fällt. Ihr Antrag ist ein durchsichtiger Versuch, Ergebnisse dieser noch ausstehenden Beratungen bereits vorwegzunehmen.
Mit dem runden Tisch hat die Ministerin einen Grundstein für eine differenzierte Betrachtung der jetzigen Situation gelegt. Hier können sich alle Elternvertreter, alle Schülervertreter, Lehrervertreter und Politiker treffen, um sich über den jetzigen Stand der Gymnasialbildung auszutauschen. Hier kann über gute Lösungen für die beste Bildung in Nordrhein-Westfalen geredet werden.
Meine Damen und Herren von der FDP, und was machen Sie? Sie verlangen vom Landtag ein Votum, und zwar bevor dieser Prozess überhaupt begonnen hat. Was haben Sie eigentlich für ein Verständnis von Beteiligung?
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie werfen der Landesregierung vor, sie produziere Chaos. Ganz ehrlich, meine Damen und Herren von der FDP: Die einzigen, die hier Chaos und Unsicherheit produzieren, sind Sie. Damit verunsichern Sie Eltern, Schüler und Lehrer, und das gleich in mehrerlei Hinsicht.
Sie versuchen mit diesem Antrag, ein offenes und transparentes Verfahren zur Meinungsfindung zu konterkarieren, indem Sie das Ergebnis dem Prozess vorwegnehmen. Mit Ihrem überstürzten Antrag bringen Sie unnötig Unruhe und Hektik in einen Prozess, der für das kommende Schuljahr ohnehin nicht mehr abgeschlossen werden kann. Sie wollen ja statt einer wohlüberlegten und ausdifferenzierten Debatte einen Schnellschuss. Was solche Schnellschüsse allerdings anrichten können, sehen wir heute.
Warum stehen wir eigentlich hier und debattieren nach fast zehn Jahren wieder über die Dauer des gymnasialen Bildungsgangs? Es waren doch Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, die damals die völlig unnötige und übereilte Reform der Sekundarstufe im gymnasialen Bildungsgang durchgesetzt haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Damit haben Sie das Gymnasium vom restlichen System der Sekundarstufe abgekoppelt.
Wir hingegen hatten ein Modell der Schulzeitverkürzung, bei dem überwiegend die gymnasiale Oberstufe betroffen war. Bei diesem Modell 10 plus 2 wären die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler direkt in eine Qualifikationsphase eingetreten. Die Jahrgangsstufe 11 sollte als optionales Förderjahr genutzt werden.
CDU und FDP haben sich nach ihrer Regierungsübernahme kurzfristig entschlossen, die Schulzeitverkürzung in die Sekundarstufe I vorzuverlegen.
Was hat Ihnen dieser hehre Versuch gebracht? Eltern klagen über die Überlastung der Kinder. Schüler und Lehrer sind mit dem System Abitur nach zwölf Jahren mehr als unzufrieden. Jetzt, Herr Laschet, spielen Sie sich als Retter für alle Mühseligen und Beladenen auf.
Durch die überhastete Einführung und fehlende Begleitmaßnahmen waren die Schulen auf die Umsetzung kaum vorbereitet. Darum wollen wir heute nicht wieder in eine vorschnelle Debatte gelangen, sondern grundständig mit allen Betroffenen einen ehrlichen Dialog führen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Im Mittelpunkt unserer Überlegungen müssen die Schülerinnen und Schüler stehen. Es geht um ihre Zukunftschancen und damit auch um die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir haben die Pflicht, ihr individuelles Recht auf Bildung zu verwirklichen, allen Kindern die gleichen Chancen zu eröffnen und sie zu fördern anstatt auszulesen. Es gilt, dabei auch die Motivation für lebenslanges Lernen zu erhalten.
Was wir nicht zurücklassen dürfen, sind Kinder und Jugendliche, die permanent unter Erfolgsdruck stehen, an Schlaf- und Essstörungen leiden und die Lust am Lernen verlieren.
Einer Positionierung des Landtags vor dem runden Tisch werden wir nicht zustimmen. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Voigt-Küppers. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kaiser.
Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Besonders interessant fand ich den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen;
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Hoffentlich!)
denn dieser ist etwas ganz Besonderes.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja!)
Bisher war ich immer gewohnt – wir haben das in Regierungszeiten auch nicht viel anders gemacht –, dass in den eigenen Anträgen das Regierungshandeln gelobt wird. Es fällt auf, dass es hier nicht ein einziges Lob für das Regierungshandeln gibt. Ansonsten schafft es diese Regierung doch, schon die geringste Kleinigkeit als Erfolg zu verkaufen. Frau Löhrmann, heute Nachmittag werden wir noch den Versuch erleben, die monatelange Hängepartie um die Finanzierung der Inklusion hier als großartigen politischen Erfolg zu verkaufen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ministerin Sylvia Löhrmann: Es ist noch nicht so weit! Der Städte- und Gemeindebund wollte ja noch klagen!)
Wenn nichts gelobt wird, gibt es also offensichtlich auch nichts zu loben, weil nicht genug getan worden ist. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen, Frau Ministerin, nicht ersparen können.
Lediglich die sieben Handlungsempfehlungen, die zwischen den betroffenen Verbänden und dem Schulministerium – die CDU-Fraktion war damals nicht geladen – im Dezember 2010 vereinbart wurden, werden unkommentiert abgeschrieben. Es gibt keine Bilanz und keinen Bericht darüber, was Frau Ministerin Löhrmann in dieser Angelegenheit aktiv unternommen hat.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das steht auf der Homepage, Herr Kaiser!)
Die PowerPoint-Präsentation zu den Handlungsfeldern im Internet stammt vom 15. März 2011. Das sagt alles.
Der in dem Antrag unternommene Versuch, Schwarz-Gelb die heutigen Proteste gegen G8 in die Schuhe zu schieben, kann nicht verfangen. Wir alle wissen: Rot-Grün hatte G8 beschlossen. Rot-Grün hatte nichts vorbereitet. Denn das, was Fragen nach Mensen und Baumaßnahmen betrifft, hätte bis zum Jahre 2005 vorbereitet werden müssen. Nach der Regierungsübernahme hat die damalige schwarz-gelbe Koalition aber bekanntermaßen nur leere – sprich: unvorbereitete – Schubladen vorgefunden. Von 2010 bis heute, immerhin vier Jahre, hat es nicht mehr als ein paar Internetpräsentationen und Tagungen gegeben.
Deutlich wird, dass einzelne Schulen wunderbare Konzepte mit hoher Zufriedenheit bei allen Betroffenen geschaffen haben. Seitens Ihrer Regierung wurde jedoch versäumt, dass alle Gymnasien bei diesen schülerfreundlichen Umsetzungen unterstützt werden. Sie haben bei der Umsetzung von G8 aus Selbstständigen Schulen alleingelassene Schulen gemacht.
Am 18. März letzten Jahres fand im Ministerium eine Tagung zu G8 statt. Daran haben zwölf Gymnasien mit guten Beispielen teilgenommen. Das ist nur eine kleine Stichprobe. Für alle, die sich informieren, ist völlig offen, wie viele Gymnasien dies umsetzen oder umsetzen können; denn an keiner Stelle werden Mängel erfasst oder Elternproteste und Sorgen dokumentiert.
(Beifall von der CDU)
An keiner Stelle wird darüber berichtet, wie die Reform in allen Gymnasien weiterentwickelt wird.
Mit Ihrem Antrag stellen Sie sich selbst das Zeugnis der Untätigkeit aus. Politisch sind Sie, Frau Löhrmann, seit vier Jahren für alle Gymnasien im Lande verantwortlich. Damit sind Sie auch für die Unzufriedenheit der Eltern verantwortlich. Es ist Ihr Job, jetzt zu handeln. Dafür ist eine Regierung gewählt.
(Beifall von der CDU)
Werten wir die bei uns landenden Proteste aus, stellen wir fest: Es gibt immer noch in allen damals festgelegten Handlungsfeldern konkreten Verbesserungsbedarf. Angefangen bei der Stundenplangestaltung über die Koordination der Kerncurricula bis hin zur Frage der Hausaufgaben liegt bis heute kein flächendeckendes Bild der Situation vor.
(Beifall von der CDU)
Ebenfalls gibt es keine guten Antworten auf die Frage von Halbtags- und Ganztagsschule. Die CDU-Fraktion ist der Meinung, dass man durchaus die Möglichkeit eines offenen Ganztags an Gymnasien besprechen können müsste. Meines Erachtens wird hier nämlich eine viel höhere Zufriedenheit geschaffen. Vielleicht werden auch Zukunftsängste von Sportvereinen oder Jugendgruppen ein Stück weit genommen.
Eines geht aber nicht, Frau Löhrmann: Sie laden zu einem weiteren runden Tisch ein, an dem wir natürlich auch teilnehmen, und die Regierung wartet weiter ab. Der runde Tisch als solcher bewirkt gar nichts, wenn nicht flächendeckend konsequent entsprechend gehandelt wird.
(Beifall von der CDU)
Die CDU-Fraktion lehnt den FDP-Antrag ab, weil er die Regierung nur unzureichend in ihre Verantwortung nimmt.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen betont zwar richtigerweise die Notwendigkeit der Beteiligung der Betroffenen, bleibt aber bei der klaren Verantwortlichkeit zum Handeln der Regierung unverbindlich. Daher gibt es auch dazu ein klares Nein der CDU.
Der CDU-Antrag – es wird Sie nicht überraschen – ist natürlich der beste. Ihm werden wir zustimmen;
(Beifall von der CDU)
denn es geht um die konsequente, verantwortliche und stärkere Umsetzung der Unterstützung der Gymnasien. Die Zeit des vierjährigen Nichtstuns und Zusehens muss beendet werden. Konsequent fordert dies nur unser Antrag. Deshalb werden wir ihm zustimmen. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kaiser. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Allererstes möchte ich dem Kollegen Kaiser meinen Respekt aussprechen;
(Zuruf von der CDU: Der ist auch verdient! – Beifall von der CDU)
denn er hatte die schwere Aufgabe, hier den Landesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden der CDU, Armin Laschet, zu vertreten, der in der G8/G9-Diskussion wirklich keine Pirouette auslässt.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Kaiser hat hier über den Antrag eine Kunstfigur aufgebaut, um sich aus dieser Bredouille herauszustehlen. Respekt! Das hat er ordentlich gemacht. Inhaltlich war es leider daneben. Trotzdem war das ein ehrenwerter Versuch.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)
Das zeigt sich auch an Ihrem Entschließungsantrag, Herr Kaiser. Es war klasse, wie Sie die öffentlichen Äußerungen des Vorsitzenden Ihrer Fraktion damit wieder eingefangen haben. Selten habe ich so prägnant, so kurz und so aussagekräftig wie in diesem Entschließungsantrag gelesen, was die CDU-Fraktion will.
Denn man könnte sagen: Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert, Tausend und eine Nacht, und dann hat es bei Armin Laschet Zoom gemacht. – Irgendwann muss er aufgewacht sein und sein neues Thema für den Kommunalwahlkampf gefunden haben: Alle Dinge gehen mir flöten, dann nehmen wir mal G8 und G9.
Es wird in der Presse doch deutlich so konnotiert; das ist ja das Interessante: Sowohl bei dem charmanten Vortrag der Kollegin Gebauer heute – das haben Sie wirklich gut präsentiert, aber leider haben Sie da etwas weggelassen – als auch die CDU-Kollegen haben das Verursacherprinzip weggelassen. Wer hat denn eigentlich in der Zeit zwischen 2005 und 2010 …
(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])
– Aber natürlich hilft das, Frau Gebauer! Man sollte wenigstens sagen: Wir haben eine Diskussion, und wir nehmen die Sorgen der Eltern und der Schülerinnen sehr ernst.
(Christof Rasche [FDP]: Alles von gestern!)
Aber wer hat denn damals von jetzt auf gleich in einem übereilten Verfahren gegen den Rat aller Expertinnen die Schulzeitverkürzung in dieser Art und Weise den Schulen vor die Füße geworfen?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und den kommunalen Spitzenverbänden, den Schulträgern im Übrigen auch: ohne Mensa, ohne Schulbücher, ohne Curricula! Entschuldigung! Wenn Sie dann über Ihren Antrag schreiben „Chaos an den Gymnasien“ und dann auch noch wieder ideologisch mit der gleichen Welle von einer Benachteiligung der Gymnasien reden, dann ist das schon ein starkes Stück. Sie müssten da wenigstens nach dem Verursacherprinzip zugestehen, dass Sie das Ganze eingeführt haben.
Eine Benachteiligung von Gymnasien gibt es nicht. Wir haben den Gymnasien im Haushaltsjahr 1.000 Stellen mehr zugestanden, um die Umstellungsphase G9/G8 zu bewältigen. Hinzu kamen weitere Haushaltsstellen, um den Prozess abzufedern. Jedes Gymnasium, das den Antrag stellt, kann Ganztagsgymnasium werden.
Aber diesen Antrag stellen nicht alle, Frau Gebauer. Ich würde gerne mit Ihnen einmal zur Begutachtung der Qualität des Unterrichts durch die Schulen gehen und dafür werben. Dann hätten Sie mich sofort an Ihrer Seite. Das ist der Prozess, der gemeinsam geleistet werden muss. Deswegen erst einmal das große Lob an die Ministerin, dass sie den runden Tisch eingeladen hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
So können die Sorgen der Eltern auch ernst genommen werden wie auch der Schülerinnen, die beteiligt sind, und natürlich auch der Kolleginnen und Kollegen, was die Umsetzung angeht.
Diese sieben Handlungsfelder sind aufgelegt, und diese werden wir weiter diskutieren müssen – das ist wesentlich –, aber bitte mit dem Blick – deswegen ist es wichtig, auch über die Handlungsfelder zu reden – der Schülerinnen und Schüler, die jetzt im System sind, auch in den Klassen 5 bis 9 in der Sekundarstufe I. Denn jenseits der Frage G8/G9 geht es doch um diejenigen, die jetzt tagtäglich zur Schule gehen und denen wir weitere Entlastung auch wirklich angedeihen lassen wollen und hinsichtlich derer wir darüber reden müssen, wie die Maßnahmen, die bereits angelegt sind, umgesetzt werden.
Ich will gerne noch einmal auf das kommen, was Frau Gebauer gesagt hat. Sie hat Professor Prenzel zitiert, der in der „Süddeutschen Zeitung“ am 5./6. April Wichtiges gesagt hat: Weniger Stoff lehren, aber mehr darauf achten, was gelernt wurde, ist wichtig, und wir müssen noch einmal prüfen, was wirklich verstanden werden muss und was vielleicht auch vergessen werden kann.
Das ist die Herausforderung: Was gilt es, für das Leben zu lernen, was muss in Schule vorkommen, wie kann der Tag anders rhythmisiert werden? Das sind die Punkte, die wir miteinander in der Umsetzung bewegen müssen und über die wir reden müssen. Das soll ergebnisoffen miteinander besprochen werden.
Das bewährte Instrument von der Bildungskonferenz bis zum runden Tisch ist jetzt angelegt. Deswegen freue ich mich, dass die Fraktionen auch dabei sind. Aber bitte vergessen Sie nicht Ihre Rolle in diesem Prozess. Wir mussten das an Scherben aufkehren, was Sie mit verursacht haben. Das ist einfach so. Und wir haben es in einem konstruktiven Prozess übergeleitet. Ihrem Antrag können wir aus diesem Grunde – das hat Frau Kollegin Voigt-Küppers schon gesagt – leider nicht zustimmen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Für die Piratenfraktion spricht nun Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! An der Diskussion, wer hier was wann verschuldet hat, werde ich mich nicht beteiligen. Wir müssen nach vorne schauen, wir müssen sehen, wie die Situation ist und wie wir weiterkommen.
Auf die Frage G8 oder G9 antworten wir mit einem eindeutigen: Ja!
Der Widerstand von vielen Schülern, Eltern und Lehrern ist groß. Der Druck auf die Schüler wird immer größer. Wir dürfen nicht immer darauf schauen, was man zukünftig im Leben erreichen kann. Ich finde, jede Lebenssituation, jedes Alter hat einen eigenen Stellenwert. Und das Alter von Jugendlichen im Besonderen, da es um Persönlichkeitsentwicklung geht. Da brauchen Schüler einfach Zeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Es nutzt auch nichts, dass die Abi-Ergebnisse der G8-Schüler genauso gut waren wie die der G9-Schüler. Ich denke, die Schüler haben dafür einen sehr hohen Preis bezahlt. Das G8 war nie eine pädagogische Frage, sondern stand immer unter der Frage der internationalen Konkurrenzfähigkeit und der möglichst frühen Verwertbarkeit von Menschen als Human Resources für die Wirtschaft – das besonders unter dem Blickwinkel der demografischen Entwicklung.
Man muss festhalten: Bildung ist ein hohes Allgemeingut und darf nicht nur unter wirtschaftlichen Erwägungen betrachtet werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Ein Fehler des G8 ist meines Erachtens, dass Eltern diese Entscheidung schon in der vierten Klasse treffen müssen. Wir wollen ein flexibles Angebot, das den Schülern und Eltern mehr Zeit lässt. Es reicht durchaus aus, wenn man sich in Klasse 6 oder 7 überlegen kann, wie die Lernentwicklung ist und ob der Schüler das schafft. Man muss berücksichtigen, dass es verschiedene Lerntempos gibt.
Ich weiß gar nicht, worüber wir hier eigentlich reden. Seit ich im Landtag bin, reden wir über individuelle Förderung. Was meinen wir eigentlich damit? Wer das Klassenziel erreicht hat, braucht keine Förderung mehr? Geht es nicht auch um unterschiedliche Lernbiografien und Lerngeschwindigkeiten? Warum sollen sich leistungsstarke Schüler dann langweilen müssen?
Anderen Schulformen gelingt es durchaus, durch innere und äußere Differenzierung unterschiedliche Abschüsse zu vermitteln. Dann müsste ein flexibles G8 und G9 eigentlich an einem Gymnasium ein Klacks sein. Gerade hier sitzen doch leistungsstarke Schüler, die selbstständig lernen können, die sehr viel mehr mitbringen als Schüler an anderen Schulformen.
Gymnasien behaupten, das ginge alles nicht. Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass man an alten Strukturen festhalten will, immer nach dem alten Motto: Die Schüler haben sich dem Lernstoff anzupassen und nicht die Schule den Bedürfnissen der Schüler. – Der mittelmäßige Schüler ist der angenehmste.
Der Unterricht an den Gymnasien muss sich verändern. Auch dort muss die Erkenntnis greifen, dass nicht alle Schüler immer am selben Thema arbeiten.
Wir wollen nicht zurück zum alten G9. Klassen überspringen, Klassen wiederholen ist keine Lösung. Wir müssen diese Diskussion überwinden. Es geht um die Förderung aller Schüler und Schülerinnen. Das schließt auch unterschiedliche Lernbiografien und Lerngeschwindigkeiten ein.
Wir zeigen das in unserem Wahlprogramm, in dem wir von fließender Schullaufbahn reden. Schüler müssen sich Bausteine erarbeiten, müssen Prüfungen ablegen, um dann in die nächste Stufe zu gelangen. Das hat nichts damit zu tun, dass alle zur gleichen Zeit ein Klassenziel erreichen. Das ist die Zukunft.
Der Antrag der FDP macht Vorschläge zur Verbesserung der Bedingungen am Gymnasium. Es ist immer richtig, nach Möglichkeiten der Verbesserung zu suchen. Einige der Vorschläge möchte ich ausdrücklich begrüßen, so, den Ganztag auch an den Gymnasien auszubauen, die Lehrpläne, wenn möglich, zu verschlanken und die Stoffverteilung zu überprüfen.
Andere Vorschläge aber, die wir schon aus den beiden Stärkungspaktanträgen kennen, können wir nicht mittragen. So liegt uns kein schlüssiges Konzept zur Flexibilisierung des Ganztags vor. Die Forderung nach zusätzlichen Lehrerstellen nur für die Gymnasien ist uns zu einseitig. – Ich halte es auch nicht für zielführend, liebe Yvonne Gebauer, die Ergebnisse des runden Tisches jetzt vorwegzunehmen und zu sagen, was am Ende herauskommen soll.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zum Entschließungsantrag von Rot-Grün: Daran ist inhaltlich nichts auszusetzen. Aber Sie schreiben: Der Landtag begrüßt, dass es einen runden Tisch geben wird. – Der Termin steht doch schon fest. Hier braucht es keine Entscheidung oder Begrüßung. Deshalb empfehle ich die Enthaltung.
Zum Antrag der CDU: Hier wird die ganze vergangene Diskussion zu G8 und G9 noch einmal aufgewärmt. Das kann man machen, es ist aber nicht zielführend. Wir haben an den Diskussionen nicht teilgenommen und wollen lieber nach vorne schauen. Deshalb werden wir uns auch hier enthalten.
Wir freuen uns auf den runden Tisch und auf die Gespräche. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN und Reiner Priggen [GRÜNE])
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Pieper. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum CDU-Antrag kann ich es ganz kurz machen: Wie erklärt sich die CDU in Nordrhein-Westfalen eigentlich die Debatte in dem Land, in dem die Union seit ganz langer Zeit in der Verantwortung ist, nämlich in Bayern? Wieso hat der bayerische Minister das alles nicht mal eben in den Griff bekommen? Das zeigt doch, wie verlogen es ist, wie Sie sich hier aufstellen, meine Damen und Herren von der CDU.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Die FDP begrüßt in ihrem Antrag den Beginn eines Dialogs über die Fortführung der Schulzeitverkürzung. Das freut mich. Ich möchte aber klarstellen, dass dieser Dialog bereits seit Beginn meiner Amtszeit geführt wird.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Eins möchte auch ich hier in aller Klarheit feststellen – das wissen die Leute außen nicht mehr so genau –, nämlich, wer das jetzige Modell eingeführt hat: Das jetzige Grundmodell G8 in Nordrhein-Westfalen wurde von CDU und FDP und nicht von Rot-Grün eingeführt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Mit dieser Erbschaft schlagen wir uns die ganze Zeit herum. Sie macht uns jede Menge Arbeit, und sie wird uns auch weiterhin Arbeit machen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Beschlossen hat das G8 allerdings Rot-Grün!)
Was deshalb von der Positionierung von Herrn Laschet zu halten ist, hat die „Rheinische Post“ am 29. März ziemlich klar formuliert – ich zitiere –:
„Jetzt aber, und das ist der eigentliche Treppenwitz, knickt auch die NRW-CDU ein und stellt das Abitur nach zwölf Jahren infrage. Ausgerechnet die CDU, die in Nordrhein-Westfalen zusammen mit der FDP die Reform umzusetzen hatte und, indem sie das neunte Jahr in der Mittel- statt in der Oberstufe strich, einen Großteil des Schlamassels erst angerichtet hat.“
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, bereits im Juni 2010 war die Schulzeitverkürzung im Koalitionsvertrag Thema. Im Oktober 2010 hat es den ersten runden Tisch mit einer breiten Mehrheit für die Optimierung – statt zurück – gegeben. Alle Gymnasien hatten die Wahl zur Teilnahme am Schulversuch; 13 tun dies.
2010 und 2011 hat es die sieben Handlungsfelder ausgehend vom ersten runden Tisch gegeben, über die ich dem Landtag berichtet habe. Schauen Sie auf die Homepage. Dort finden Sie im Übrigen auch Hinweise zu den Unterstützungsmaßnahmen.
Lieber Herr Kaiser, wer die Fortbildungstage streicht, wer landesweit keine Fortbildungen macht, wer ein Landesinstitut, das zur Unterstützung der Schulen da ist, abschafft, was wir jetzt mühsam wieder aufbauen, der darf hier nicht mit dem Finger auf andere zeigen, wenn die Maßnahmen nicht schnell genug greifen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben auch nicht nur mit zwölf Schulen verbesserte Konzepte erarbeitet. Gemeinsam mit der Mercator-Stiftung begleiten wir zum Beispiel rund 130 Gymnasien im Konzept „Lernpotenziale. Individuell Fördern im Gymnasium.“ Diese Schulen zeigen mit ihrer Arbeit, wie gut es geht und dass es nicht eines Durchregierens von oben bedarf, um die Schulen auf den Weg zu bringen und dann zu begleiten. Was für ein Bild zeichnen Sie eigentlich von den Gymnasien, wenn Sie sagen, dass sie den Auftrag nicht selber annehmen und sich auf den Veränderungsweg machen? Das finde ich ein sehr merkwürdiges Verständnis.
Wir hatten den runden Tisch im Frühjahr 2013 erneut eingeladen. Dort ist festgehalten worden: Was Sie – Schwarz-Gelb – den Gymnasien zugemutet haben, war eine Art Schocktherapie ohne Begleitung und ohne Vorbereitung. – Gleichwohl hat es Schulentwicklungsprozesse ausgelöst, die gut gewirkt und neue Unterrichtsformen auf den Weg gebracht haben. Es gibt aber Hinweise, dass noch längst nicht alle Schulen diesen Weg gehen und die Entlastungen umsetzen.
(Klaus Kaiser [CDU]: Habe ich doch gesagt!)
Das müssen wir machen. Das erreichen Sie aber nicht mal eben durch einen einfachen Erlass; das wissen Sie auch.
(Klaus Kaiser [CDU]: Sich darum kümmern, Frau Löhrmann!)
– Ja, sich darum kümmern, genau das tun wir.
Ich zitiere Herrn Leisner von der Landeselternschaft der Gymnasien – auch er sieht Änderungsbedarf –:
„Die Gymnasien müssten ein Gesamtkonzept zur Optimierung von G8 vorlegen. Das sei längst noch nicht überall der Fall. Um die Schwierigkeiten zu überwinden, bedürfe es einer gemeinsamen Kraftanstrengung: Alle müssen an einem Strang ziehen.“
Und in der „Westfalenpost“ sagt er in Bezug auf die Eltern: „Die meisten aber wollen gar nicht zu G9 zurück, sondern einfach einen besseren Unterricht.“
Meine Damen und Herren, warum haben wir die Debatte in NRW? – Die haben wir, weil es in den anderen Bundesländern Diskussionen und Entwicklungen gibt. Mein Ziel für den runden Tisch ist, dass wir uns darüber verständigen: Wie ist die Lage in unserem Land? Dazu müssen wir uns offen austauschen. Denn die Haltung „Augen zu und durch“ hilft genauso wenig wie vorschneller Aktionismus und alles über Bord zu werfen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das wird eine enorme Kraftanstrengung und kein Spaziergang. Ich freue mich trotzdem darauf, dass alle Fraktionen teilnehmen wollen. Im Sinne der Gymnasien sollten wir verantwortlich und nicht populistisch mit der Situation umgehen.
(Beifall von der SPD)
Heute ist in der Presse folgende Aussage eine Schulleiterin zu lesen:
Die Gymnasien wollen Schulfrieden. – Wir sollten alles dafür tun, dass sie ihn bekommen, weil es um die Zukunft und das Lernen der Kinder und Jugendlichen in unseren Gymnasien geht. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe somit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/5472. Die antragstellende FDP-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zu dieser Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5472. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitte. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt gegen den Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Kein Kollege enthält sich der Stimme. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5472 abgelehnt.
Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5531. Wer möchte diesem Antrag seine Zustimmung erteilen? – Das sind die Fraktionen von SPD … – CDU? – Teile der CDU?
(Lachen von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass der Klärungsprozess innerhalb der CDU-Fraktion jetzt soweit vonstatten gegangen ist, dass wir noch einmal versuchen können, ein klares Meinungsbild abzufragen.
(Widerspruch von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Abstimmen, bis es passt!)
– Ich darf um Ruhe bitten, meine Damen und Herren. Ich darf noch einmal – damit wir Klarheit über das Abstimmungsverhalten der Fraktionen haben – fragen, wer dem genannten Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zustimmen möchte. Den darf ich jetzt um sein eindeutiges Handzeichen bitten. – Das sieht jetzt klarer aus. Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag?
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Ah!)
Das ist die CDU-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Fraktionen von FDP und Piraten. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/5531 angenommen.
Ich lasse drittens über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/5550 abstimmen und darf wiederum fragen, wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte. – Das ist erkennbar die CDU-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 16/5550 abgelehnt.
Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 3 und rufe auf den Tagesordnungspunkt
4 Cannabis legalisieren – Drogenpolitik neu ausrichten
Antrag
der Fraktion der
PIRATEN
Drucksache 16/5478
Bevor ich Herrn Kollegen Lamla für die antragstellende Piratenfraktion das Wort erteile, darf ich wiederum sehr herzlich bitten, meine Damen und Herren, dass die Kollegen, die den Plenarsaal jetzt verlassen, das möglichst geräuschlos tun, damit wir konzentriert in der Debatte fortfahren können.
Dies vorausgeschickt, Herr Kollege Lamla, erteile ich Ihnen das Wort.
Lukas Lamla (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier auf der Tribüne und zu Hause! Kurze Frage an Sie vorab: Wer von Ihnen hat noch nie im Leben Cannabis konsumiert? – Das sind jetzt nicht so viele. Vielen Dank für das eindeutige Statement!
(Beifall von den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, verzeihen Sie mir bitte diesen Anfang. Aber ich hoffe, ich habe jetzt Ihre Aufmerksamkeit.
Die deutsche Drogenpolitik setzt seit ca. 40 Jahren fast ausschließlich auf das Mittel der Prohibition und verfolgt damit das unrealistische Ziel einer drogenfreien Gesellschaft. Das gering sucht- und gesundheitsgefährdende Cannabis bleibt verboten, während zugleich wesentlich gefährlichere Substanzen wie Alkohol und Tabak als Gesellschaftsdroge ganz normal akzeptiert werden.
Es wird an Gesetzen festgehalten, die wenig wirkungsvollen Jugendschutz bieten. Es wird an Gesetzen festgehalten, die die tatsächliche Gefährlichkeit von Cannabis falsch bewerten. Es wird an Gesetzen festgehalten, die Polizei und Gerichte überlasten sowie die Bürger Jahr für Jahr Millionen an wirkungslos eingesetzten Steuergeldern kosten.
(Beifall von den PIRATEN)
Erst am 20. Januar dieses Jahres wurde im Bundestag eine Petition mit schwarz-roter Mehrheit abgelehnt, die die Legalisierung von Cannabis forderte. Damit ist wieder einmal eine historische Chance vergeben worden, diese unsinnige Regelung zu korrigieren. Vier Jahre hat die Bearbeitung dieser Petition gedauert. Zwischenzeitlich wurden 20 Mehrfachpetitionen zu diesem Thema eingereicht. Aktuell laufen wieder einmal mehrere Petitionen, die sich für die Entkriminalisierung von Cannabis einsetzen. Unter anderem haben die Piraten aus Köln, Dortmund und Münster solche Petitionen eingereicht.
Gleichzeitig fordern 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren vom Deutschen Bundestag die Einrichtung einer Enquetekommission zum Thema „Erwünschte und unbeabsichtigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts“. Rechtswissenschaftler – absolute Fachleute – bezeichnen in dieser Resolution den Zweck der Verbots- und Strafkultur als „systematisch verfehlt“. Diese Verbote mit ihren Folgen seien schädlich für die Gesellschaft, die Konsumierenden sowie unverhältnismäßig kostspielig.
Die Piratenpartei steht für eine repressionsfreie Drogenpolitik und will ein Ende dieser gescheiterten Straf- und Verbotspolitik, meine Damen und Herren.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir lehnen die heutige wissenschaftlich nicht haltbare Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Stoffen ab und fordern die objektive Bewertung und Handhabung aller psychoaktiven Substanzen alleine anhand ihres Gefährdungspotenzials. Die derzeitige nicht-faktenbasierte Bevormundung Erwachsener beim verantwortungsvollen Umgang mit Rausch- und Genussmitteln widerspricht der Grundüberzeugung der Piraten und unserem Verständnis einer mündigen Gesellschaft.
(Beifall von den PIRATEN)
Die bisherige Kriminalisierung der Konsumenten muss beendet und der damit verbundene Schwarzhandel durch kontrollierte Erwerbsstrukturen ersetzt werden. Demgegenüber muss Prävention ehrlich und sachlich sein, um nachhaltig überzeugen zu können. Alle Beteiligten und Betroffenen müssen zur Gestaltung ideologiefreier und realitätsorientierter Konzepte einbezogen werden.
Als Sofortmaßnahme fordern wir die Anhebung der geringen Menge zum Eigengebrauch auf 30 g. Das können wir in NRW jetzt schon beschließen. Wir sollten auch darüber nachdenken, die Eigengebrauchsmenge sukzessive anzuheben, von 30 auf 50 g, von 50 auf 100 g, also die vom BGH maximal zugelassene Menge.
Meine Damen und Herren, die Berichterstattung der letzten Wochen – Sie alle lesen ja Zeitung – zum Thema „Legalisierung von Cannabis“ nimmt zu. Sowohl die Lokalzeitungen als auch die überregionale Presse wie zum Beispiel die „SZ“ und die „FAZ“ sind nur so mit diesen Artikeln gespickt. Das ist kein Wunder, denn der gesellschaftliche Diskurs über die Cannabis-Legalisierung ist in anderen Ländern bereits weiter fortgeschritten.
So hat sich die Straf- und Verbotspolitik in Uruguay, in mehreren Bundesstaaten der USA, den Niederlanden, in Tschechien, in Portugal gewandelt. In den USA – ziehen Sie sich das einmal rein –, dem Law-and-Order-Staat schlechthin!
Meine Damen und Herren, erkennen Sie eigentlich die Zeichen der Zeit? – Ich bin mir nicht sicher. Lassen Sie uns endlich Schluss machen mit dieser widersinnigen Verbotspolitik. Es ist Zeit, die Drogenpolitik neu auszurichten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Warden das Wort.
Marion Warden (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Wir haben gerade den Antrag und die Begründung des Kollegen Lamla zum Antrag der Piratenfraktion mit dem Ziel gehört, die Drogenpolitik auf eine Legalisierung von Cannabis und damit Straffreiheit neu auszurichten. Die Fraktion der Piraten begründet den Antrag unter anderem damit, eine Drogenpolitik, die sich rein auf Verbote und Strafverfolgung konzentriere, sei nicht mehr zeitgemäß.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie, Herr Kollege Lamla, haben ja gerade dazu gesprochen.
In der vergangenen Woche haben wir uns im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit dem ersten Monitoring der ambulanten Sucht- und Drogenhilfe in NRW befasst. Dieser Bericht veröffentlicht erstmals einrichtungs- und betreuungsbezogene Daten von 169 ambulanten Sucht- und Drogenhilfeeinrichtungen in ganz NRW. Dieser Bericht zeigt auf – das hat Ministerin Steffens in ihrem Statement deutlich gemacht –, dass es beim Thema Sucht keine Entwarnung gibt. Wir sind gefordert, uns als Politik vertieft mit den verschiedenen Aspekten, Ursachen und Auswirkungen des Gebrauchs der unterschiedlichen Suchtmittel zu befassen.
Eines ist deutlich zu sagen: Cannabis ist nach wie vor Einstiegsdroge und löst neben psychischer Abhängigkeit auch physische Schäden aus. So wurden laut dem genannten Bericht im Jahr 2012 rund 10.000 Personen mit der Hauptdiagnose „Cannabis“ in der Beratung dokumentiert. Das entspricht immerhin 12 % aller Beratungen im Suchthilfesystem von Nordrhein-Westfalen.
Mit dem Konsum von Drogen wird im durchschnittlichen Alter von 15,4 Jahren, also noch vor Vollendung des 16. Lebensjahres, begonnen. Nach durchschnittlich 1,5 Jahren kann man feststellen, dass sich erste Suchtprobleme entwickeln. Dabei fällt auf: Je geringer das Alter beim Einstieg ist, desto geringer ist der zeitliche Abstand zwischen Erstkonsum und dem Beginn von Störungen.
Diese Zahlen halten wir für besorgniserregend. Aus diesem Grunde werden wir uns Ihrem Vorschlag zur Legalisierung dieser Einstiegsdroge Cannabis nicht anschließen. Wir werden unter Bezug auf das schon angesprochenen Monitoring überprüfen, wie wir mit Blick auf die Präventions- und Hilfestrukturen in Nordrhein-Westfalen zielgruppenspezifische und niedrigschwellige Angebote stärken und das Landessuchtprogramm weiterentwickeln können. Das Gesundheitsministerium hatte hierzu in Aussicht gestellt, dass wir möglicherweise schon in der zweiten Jahreshälfte mit einem Landesaktionsplan zu Drogen und Sucht rechnen können.
Heute geht es hier im Plenum aber noch nicht um die vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit Ihrem Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, sondern die werden wir in den Fachausschüssen, nämlich im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie sowie im Innen- und im Rechtsausschuss durchführen. Alleine an der Anzahl der Ausschüsse kann man erkennen, dass es sich um eine wirklich komplexe und keine einfache Materie handelt, mit der wir es zu tun haben.
Der Überweisung in die Ausschüsse werden wir natürlich zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Frau Kollegin. Bitte bleiben Sie noch einen Moment vorne, Frau Kollegin Warden. Denn Herr Kollege Dr. Paul hat sich für die Piratenfraktion zu einer Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt für 90 Sekunden das Wort. Danach haben Sie, Frau Kollegin, 90 Sekunden Zeit für Ihre Antwort.
Herr Kollege Paul, bitte schön.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Warden, ich möchte meine Kurzintervention zu einer Frage an Sie nutzen.
Im Jahr 2001 hat Portugal seine Drogengesetzgebung komplett auf den Kopf gestellt. Bei den Vereinten Nationen war man sehr erschüttert. Eine entsprechende Kommission befürchtete, da das Land verkehrspolitisch an einer Schnittstelle liege, könne es zu einer erheblichen Zunahme des Drogentourismus kommen. Man befürchtete, dass sich das Land in eine kiffende Hippie-Kommune verwandeln würde.
2004 hat dieselbe Kommission der Vereinten Nationen das Land besucht und war erstaunt über die Effekte der neuen Drogengesetzgebung in Portugal: weniger Rückfallquote, Entkriminalisierung des Marktes, Austrocknung des Schwarzmarktes. – Ich kann nicht verstehen, weshalb Sie an der Stelle Studien aus Deutschland anführen, die offensichtlich, was die realen Ergebnisse angeht, nicht zeitgemäß sind. – Danke.
(Nadja Lüders [SPD]: Deswegen stehen die auch wirtschaftlich so gut da!)
Marion Warden (SPD): Ich halte mich an die Studien, die ich kenne – aus Deutschland. Ich habe selber zwei Kinder und möchte auf gar keinen Fall, dass meine Kinder mit dieser Droge in Berührung kommen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich habe großen Respekt vor Menschen, die nach langem Entzug und großen Schwierigkeiten den Ausstieg aus der Drogenszene schaffen. Ich habe viel Kontakt zu Drogen- und Suchtberatungsstellen und weiß auch um die Gefährlichkeit dieses Stoffes.
Es mag Länder geben, die das anders einschätzen und bewerten. Die haben aber auch eine ganz andere Struktur als wir hier. Ich schlage vor, dass wir diese Diskussion qualifiziert und in Ruhe im Ausschuss fortführen.
(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – So weit Kurzintervention und deren Beantwortung.
Wir fahren in der regulären Rednerliste fort. Das bedeutet, dass ich jetzt Herrn Kollegen Möbius für die CDU-Fraktion das Wort erteile.
Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen beschreibt die Wirkung von Cannabiskonsum auf die Psyche wie folgt – ich zitiere –:
„An die Stelle geordneten Denkens und logischer Schlussfolgerungen tritt häufig eine Art Scheintiefsinn, …“
Davon scheint auch der Antrag der Piraten zur Legalisierung von Cannabis gekennzeichnet zu sein.
(Beifall von der CDU – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Sie machen sich verdächtig!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Piraten verkennen zum einen, dass eine Freigabe von Cannabis nicht nur den bisherigen Konsum legalisiert, sondern auch eine neue Nachfrage schafft. Das zeigen die Erfahrungen in den Niederlanden und anderen Ländern. Ich sage sehr deutlich, dass wir das nicht wollen. Cannabis wird vor allem von jüngeren Menschen konsumiert. Es wäre ein fatales Signal an die Gesellschaft, wenn der Staat so tut, als wäre der Konsum des Rauschmittels schon in Ordnung.
(Beifall von der CDU)
Die bekannten Nebenwirkungen des Cannabiskonsums machen deutlich, dass gerade jüngere Menschen vom Konsum abgehalten werden müssen. Nebenwirkung ist beispielsweise, dass sich der Konsument den Anforderungen immer weniger gewachsen und verpflichtet fühlt und dem Alltag immer gleichgültiger gegenübersteht. Von Hirnschädigungen will ich gar nicht erst reden.
Daher ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Piraten in ihrem Antrag den Cannabiskonsum als gesundheitspolitisch sinnvoll beschreiben. Genau das Gegenteil ist der Fall.
(Beifall von der CDU und Dr. Joachim Stamp [FDP])
Es sind wenige Einzelfälle, wie zum Beispiel Schmerzpatienten, bei denen Cannabiskonsum unter ärztlicher Aufsicht sinnvoll erscheint. Das sind aber Ausnahmefälle. Für den überwiegenden Teil der Konsumenten trifft das nicht zu. Daher bleibt es die vornehme Aufgabe des Staates, vor der Gefährlichkeit von Drogen zu warnen und den Zugang zu ihnen zu erschweren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es trifft auch nicht zu, wie die Piraten behaupten, dass eine Entlastung der Justiz zu erwarten sei. Am Ende des Verfahrens steht immer ein Staatsanwalt, der über eine Verfahrenseinstellung entscheiden und eine entsprechende Verfügung schreiben muss.
Die Piraten verkennen noch eines: Es ist keineswegs so, dass insbesondere jugendliche Erstkonsumenten bei geringen Mengen direkt vor den Kadi kommen und kriminalisiert werden.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Doch!)
Meistens werden doch Ermittlungsverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende gegen Auflagen eingestellt. Auflagen sind zum Beispiel die verpflichtende Teilnahme an Drogenberatungsseminaren, Drogenscreenings, Drogentherapien oder die Ableistung von Sozialstunden. Dies macht auch Sinn, um den Konsumenten die Gefährlichkeit illegaler Drogen zu verdeutlichen.
Hinsichtlich der von den Piraten geforderten Eigenbedarfsgrenze von 30 g kann ich nur fragen: Darf es nicht noch ein bisschen mehr sein?
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Ja!)
Fakt ist, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten der für den Drogenrausch maßgebliche THC-Gehalt in den Cannabisprodukten massiv angestiegen ist. Deshalb müssen wir auf Drogen- und Suchtprävention setzen und alles dafür tun, dass insbesondere Jugendliche von Drogen ferngehalten werden.
(Beifall von der CDU)
Denn die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt doch, dass die Drogendealer meist auch andere und wesentlich gefährlichere Suchtstoffe in ihrem Angebotsportfolio bereithalten.
(Zuruf von den PIRATEN: Eben! – Weiterer Zuruf von den PIRATEN: Das wäre dann nicht mehr nötig! – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Genau deswegen ist es richtig!)
Angesichts der mit dem Drogenkonsum verbundenen Langzeitschäden in physischer und psychischer Form, die enorme Folgekosten im Gesundheitsbereich verursachen, ist vor einer Legalisierung von Cannabis zu warnen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie. Hier ist ein regelrechtes Feuerwerk an Fragewünschen entbrannt.
Christian Möbius (CDU): Herr Präsident, ich glaube nicht, dass das Thema so wichtig ist, dass wir uns weiter damit beschäftigen müssten.
(Zuruf von den PIRATEN: Sie sollten sich aber damit beschäftigen!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege Möbius entscheidet, ob er Fragen zulässt oder nicht. Er lässt sie nicht zu. Damit haben sich Ihre Wünsche erledigt. – Fahren Sie bitte fort.
Christian Möbius (CDU): Ich bin am Ende meiner Rede. Der Überweisung an die Fachausschüsse stimmen wir selbstverständlich zu. Den Antrag jedoch lehnen wir inhaltlich ab. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und Dr. Joachim Stamp [FDP])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Möbius. – Gleichwohl darf ich Sie bitten, noch einen Moment vorne zu bleiben – das ist nicht überraschend –, weil sich Herr Kollege Lamla für die Piratenfraktion zu einer Kurzintervention gemeldet hat. – Herr Lamla, Sie bekommen für 90 Sekunden das Wort.
Lukas Lamla (PIRATEN): Herr Kollege, vielen Dank. – Ich ringe gerade um Worte; denn es fällt mir wirklich schwer, so viele Falschinformationen innerhalb kürzester Zeit zu verarbeiten.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie sagten eben selbst: Die Menschen werden in die Hände dubioser Dealer getrieben, die Drogen anbieten, bei denen der Reinheitsgehalt nicht festgestellt und die THC-Konzentration nicht festgestellt werden kann. Die Menschen machen es trotzdem, um an ihr Haschisch, an ihr Marihuana zu kommen.
Wenn wir eine kontrollierte Abgabe schaffen würden – von mir aus auch mit Rezept des Hausarztes oder wie auch immer –, würden wir den Schwarzmarkt und die Dealer von der Straße bringen, für eine gleichbleibende Qualität, eine Reinheit der Substanzen sorgen und müssten nicht Kinder und Jugendliche mit solchen Delikten kriminalisieren und für ihr Leben zu kennzeichnen.
(Beifall von den PIRATEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Diskutieren wir das doch im Ausschuss!)
Christian Möbius (CDU): Herr Kollege Lamla, ich habe eben deutlich gemacht, dass es gar nicht um die Kriminalisierung von Jugendlichen geht. Die Jugendlichen werden nicht kriminalisiert, sondern es werden in aller Regel Auflagen gemacht. Ihr Ansatz ist der vollkommen falsche, und ich glaube auch, dass Sie damit im Plenum ziemlich alleine stehen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – So weit die Kurzintervention und die Entgegnung. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Ünal das Wort.
Arif Ünal (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eingangs möchte ich feststellen, dass der Antrag der Piraten von der falschen Annahme ausgeht, die Drogenpolitik in NRW konzentriere sich rein auf Verbote und Strafverfolgung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wie schon im Landeskonzept gegen Sucht NRW zum Ausdruck gebracht wird: Es ist oberstes Ziel der Sucht- und Drogenpolitik in NRW, Maßnahmen und Angebote der Prävention, Hilfe und Entkriminalisierung gleichermaßen auszuweiten und fortzusetzen. Zu nennen sind die landesweite Fachstelle ginko mit rund 170 örtlichen Drogenberatungsstellen und darüber hinaus vor allem niedrigschwelligen zielgruppenspezifischen Drogen- und Suchthilfeangeboten. All das zeigt, dass NRW im Grundsatz schon gut aufgestellt ist.
Allerdings bleibt die Entkriminalisierung des Gebrauchs von Cannabis ein sehr wichtiges Thema, das wir anpacken müssen.
Ich möchte aber auch daran erinnern: Vor 20 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die Strafverfolgungsbehörden angewiesen, von einer Verfolgung bei gelegentlichem Eigengebrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten abzusehen. Dennoch läuft die Kriminalisierung bundesweit weiter.
Deshalb wurden mit Wirkung vom 1. Juli 2011 durch die rot-grüne Landesregierung die Richtlinien zur Anwendung des § 31a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes wieder geändert und die Drogeneigenbedarfsgrenze für sogenannte harte Drogen auf 0,5 und für Cannabisprodukte – unter anderem Haschisch – von 6 auf 10 g erhöht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir halten es für dringend notwendig, im Rahmen der Fortentwicklung sucht- und drogenpolitischer Konzepte auf eine weitergehende Entkriminalisierung von Drogenkonsumentinnen und ?konsumenten hinzuwirken.
Darüber hinaus bedarf es angesichts der Komplexität der Problemlage im Zusammenhang mit der Legalisierung von Cannabis einer differenzierten fachlichen und möglichst ideologiefreien Debatte.
Wir stimmen der Überweisung in den Ausschuss selbstverständlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Schneider das Wort.
Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor 20 Jahren hätte ich den vorliegenden Antrag zumindest in Teilen unterstützt. Aber mit den Jahren haben sich auch Cannabis und das Wissen darüber verändert. Der Wirkstoffgehalt ist stark schwankend und heute häufig dramatisch – dramatisch! – höher als in den 80ern oder 90ern.
(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)
Und mit der Droge hat sich auch der Konsument verändert. Das Hippie-Flowerpower-Gefühl mit dem kreisenden Joint in geselliger Runde ist Geschichte. Der Cannabisraucher ist heute eher isoliert, zurückgezogen und raucht seinen Joint allein im stillen Kämmerlein. Im Extremfall wird Cannabis sogar im Eimer verbrannt, um es dann aus diesem zu inhalieren.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Herr Kollege Schwerd von der Piratenfraktion hat den Wunsch, Ihnen eine Frage zu stellen. Wollen Sie den Wunsch erfüllen?
Susanne Schneider (FDP): Ich erfülle den Wunsch, Herr Präsident.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie erfüllen den Wunsch. Und Herr Kollege Schwerd hat zu seiner Frage das Wort.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank, dass Sie das zulassen. – Sie sprachen gerade vom stark schwankenden Wirkstoffgehalt von Cannabis. Wäre das Ihres Erachtens nicht genau der Grund, aus dem man diese Droge kontrolliert abgeben sollte? Dann könnte man sich nämlich auf den Wirkstoffgehalt verlassen.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie müssen sich schon entscheiden!)
Susanne Schneider (FDP): Lieber Herr Schwerd, diese Frage hat zugegebenermaßen was. Aber so lese ich das nicht in Ihrem Antrag.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Sie schreiben in der Überschrift ganz groß: „legalisieren“. Dann müssen Sie konkreter werden. Dann müssen Sie sagen: Wir thematisieren das im Justizausschuss, im Innenausschuss, aber nicht im Gesundheitsausschuss. – Hier reden wir über Gesundheit, weil der Gesundheitsausschuss federführend ist.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Als Folge von Cannabiskonsum treten vermehrt schizophrene Psychosen auf, die von einer Schizophrenie selbst von Fachärzten kaum zu unterscheiden sind. Das Gefährliche daran ist: Derartige Psychosen können sich bereits ab dem ersten Joint einstellen, was schwedische Wissenschaftler in einer großen Studie veröffentlichten. Diese konnten auch das häufig angeführte Argument entkräften, die psychische Erkrankung sei vorher da gewesen. Diese Arbeit aus Skandinavien belegte: Die schizophrenen Psychosen traten erst nach dem Konsum von Cannabis auf.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liberale Drogen- und Suchtpolitik beruht auf den drei Säulen Prävention, Therapie und, wo notwendig, Repression.
Umfassende Information, Aufklärung und konkrete Hilfe für Gefährdete, damit es erst gar nicht zu Missbrauch und Abhängigkeit kommt, müssen in der Sucht- und Drogenpolitik Priorität haben. Ist jemand bereits abhängig, müssen Therapie und Rehabilitation sowie gegebenenfalls eine Substitutionsbehandlung angeboten werden. Rehabilitationsmaßnahmen sollten in unmittelbarem Anschluss an den Entzug stattfinden. Repression sollte nur dort zum Tragen kommen, wo Prävention allein keinen Erfolg erzielen kann, und vor allem dort, wo unerwünschte Folgen für andere und die Gesellschaft, zum Beispiel Gewalt, Kriminalität und Unfälle, verhindert werden müssen.
Mit Ihrem Antrag verharmlost die Piratenfraktion das Risiko des Kiffens. Das ist ein falsches Signal an Jugendliche und Erstkonsumenten.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] – Lukas Lamla [PIRATEN]: Herr Stamp, Sie sind ziemlich alleine!)
Denn begonnen wird mit dem Suchtmittelkonsum fast immer im Jugendalter. Wir haben es schon gehört: Das Monitoring der ambulanten Sucht- und Drogenhilfe NRW zeigt, dass Menschen, die wegen Cannabisabhängigkeit eine Beratung aufsuchen, im Schnitt im Alter von rund 15 Jahren mit dem Konsum begonnen haben.
Der Suchtmittelkonsum im Jugendalter beeinträchtigt nicht nur die körperliche und geistige Entwicklung in der Pubertät, sondern wirkt sich bis ins Erwachsenenalter aus. Er ist häufig mit erheblichen Folgeschäden für den Einzelnen und die Gesellschaft verbunden.
Deshalb benötigen Jugendliche besondere Hilfe und ganz besonderen Schutz. Ihre Kompetenzen, sich gegen gesundheitsschädliches Verhalten zu entscheiden, müssen daher vorrangig gestärkt werden.
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Also doch Gesundheit?)
Studien belegen auch, dass insbesondere der Konsum von Cannabis bei Jugendlichen weit gefährlicher ist als bisher angenommen – mit großen Schäden bei dauerhaftem Konsum. So können sich suchtbedingt Antriebslosigkeit, Aufmerksamkeitsdefizite und Beeinträchtigung des Lernens und des Gedächtnisses ergeben und sich die Chancen auf eine gute Bildung und ein erfolgreiches, eigenständiges Leben deutlich reduzieren.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen, von den Piraten, von Herrn Kollegen Schulz.
Susanne Schneider (FDP): Gerne.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben mit Recht betont, dass der federführende Ausschuss der Gesundheitsausschuss ist. Sie betonen gerade auch bei der – ich nenne es mal – Verteufelung von Cannabis und Cannabisprodukten die Gesundheitsgefährdung.
Ist Ihnen bekannt oder wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass jährlich weltweit 6 Millionen Menschen an den Folgen des Genusses von Tabak sterben? Ist Ihnen auch bekannt oder sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Deutschland 15 % der 15-jährigen Jungen und Mädchen mindestens einmal pro Woche rauchen und sie damit natürlich auch die Statistik der Todesfälle in Deutschland hinsichtlich der Konsumenten von Tabakprodukten prolongieren?
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Dann hört doch auf zu rauchen!)
Susanne Schneider (FDP): Herr Schulz, jetzt muss ich natürlich fragen: Sind wir jetzt in einer Debatte über Drogenpolitik? Oder bearbeiten wir einen Antrag zu Cannabis, den Sie hier eingereicht haben? Oder bearbeiten wir einen Antrag zu Tabak und Nikotin?
(Beifall von der FDP – Zuruf von den PIRATEN: Sind das keine Drogen?)
In dem Zusammenhang haben wir meiner Meinung nach im vergangenen Jahr in diesem Haus ein völlig überzogenes Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet. Im Moment sprechen wir aber über Cannabis, und damit möchte ich gerne weitermachen. Sie haben „Cannabis“ in das Thema „Gesundheit“ gepackt, und jetzt machen wir mit Gesundheit weiter.
Die Kriminalstatistik für NRW zeigt, dass Straftaten mit Cannabisprodukten in allen Deliktbereichen immer noch den höchsten Anteil an der Rauschgiftkriminalität haben. Der THC-Gehalt von Cannabis schwankt, und dies bedeutet zusätzliche Risiken für die Konsumenten.
Auch der Einsatz von Cannabis als Medikament ist nicht unumstritten. Studien zeigen zwar eine positive Wirkung bei der Therapie unterschiedlichster Begleiterkrankungen schwerer Krankheiten, zum Beispiel bei der Überwindung der Appetitlosigkeit bei Aids oder bei der Reduzierung des Erbrechens bei Chemotherapien. Derzeit können Ärzte zwar bei besonders starken Beschwerden Dronabinol, ein synthetisch hergestelltes Cannabisprodukt, verschreiben. Die Krankenkassen sind aber nicht verpflichtet, die Behandlungskosten zu übernehmen, weil das Medikament in Deutschland nicht zugelassen ist. Sie sprechen das Thema in Ihrem Antrag zwar an, leiten daraus aber keine Forderungen ab.
Ziel einer wirkungsvollen und langfristigen Drogen- und Suchtpolitik in Nordrhein-Westfalen muss es sein, den Verzicht auf illegale Drogen zu fördern. Nach den Vorstellungen der FDP-Landtagsfraktion soll dieses Ziel durch Prävention, Beratung, konkrete Hilfen und niedrigschwellige, passgenaue Ausstiegs- und Behandlungsangebote erreicht werden.
Im vergangenen Jahr trat, wie schon gesagt, in Nordrhein-Westfalen ein völlig überflüssiges und überzogenes Nichtraucherschutzgesetz in Kraft. Jetzt diskutieren wir in diesem Haus über die Freigabe von Cannabis. Ich wundere mich und bin gespannt auf die Beratungen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Kutschaty das Wort.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Piraten, Sie werden vielleicht erstaunt sein, dass ich mich sogar darüber gefreut habe, dass Sie das Thema „Drogenpolitik“ für sich entdeckt haben. Das war schon vor einigen Tagen in den Zeitungen zu lesen. Umso enttäuschter war ich allerdings, als ich Ihren Antrag für die heutige Plenarsitzung gesehen habe.
Seien Sie sich sicher: Das Thema „Drogenpolitik“ ist nicht nur ein gesundheitliches Thema, sondern auch für einen Justizminister von großem Interesse. Es ist eines der wichtigen, großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit.
Ich werde auch nicht müde, immer wieder zu betonen: Auch im Strafvollzug ist das ein ganz großes Problem. Fast jeder zweite Gefangene in Nordrhein-Westfalen ist drogenabhängig oder hat zumindest einen Drogenhintergrund. Schon fast jeder zehnte Gefangene in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten wird substituiert.
Sie sehen also, wir beschäftigen uns sehr intensiv mit der Frage, auch damit, wie wir die Menschen dazu bringen können, zukünftig ein straf-, vor allem aber auch ein drogenfreies Leben zu führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, ich glaube, genau diese intensive Beschäftigung ist es, was Ihnen bei Ihrem Antrag gefehlt hat. Ich glaube auch, das Thema ist zu komplex, um hier mit pauschalen Unterstellungen seitens Piratenfraktion gegenüber der Landesregierung zu arbeiten.
Sie unterstellen uns, der Landesregierung, wir würden eine Politik machen, die rein auf Verbote und Strafverfolgung konzentriert ist. – Genau das ist schlichtweg falsch. Sie hätten sich, statt diesen Antrag zu schreiben, besser die Mühe machen sollen, einen Blick in das „Landeskonzept gegen Sucht Nordrhein-Westfalen“ zu werfen, das auch im Internet auf der Seite des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter leicht zu finden ist. Dann hätten Sie bemerkt, dass Ihr Vorwurf noch nicht einmal im Ansatz zutreffend ist.
Mit diesem Engagement ist die Landesregierung, allen voran Frau Kollegin Steffens, zweifellos bundesweit führend, was dieses Thema anbelangt; denn oberstes Ziel der Regierung in Nordrhein-Westfalen ist es, Maßnahmen der Prävention und der Hilfe in den Vordergrund zu stellen und nicht die Strafverfolgung.
(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])
Sofern Strafen ausgesprochen werden, richten diese sich vorrangig gegen den Handel mit illegalen Suchtmitteln. Auch hierbei wird dem Grundsatz „Hilfe und Therapie statt Strafe“ Rechnung getragen. Diese Schwerpunktsetzung halte ich auch für sehr angemessen.
Hier weiß ich Sie durchaus an unserer Seite, denn Sie schreiben in Ihrem Antrag ausdrücklich, dass es notwendig sei, differenzierte Lösungsansätze, insbesondere durch das Präventionsprinzip geleitet, zu wählen und zu erarbeiten. Aber leider schließen Sie diese differenzierten Lösungsansätze in Ihrem Antrag schon aus und fordern stattdessen die pauschalste aller Lösungen, die man sich überhaupt vorstellen kann, nämlich die vollständige Legalisierung von Cannabis. Sie halten weiter fest – ich darf aus Ihrem Antrag zitieren –:
„Die Ursachen für die Drogenabhängigkeit sind so vielfältig wie die potentiell Gefährdeten selbst.“
Sie erkennen also selbst die Gefährdung der Menschen durch Drogen und schlussfolgern daraus, dass die vollständige Legalisierung von Cannabis die Lösung all dieser Probleme sei. Diese Behauptung ist falsch. Wer meint, dass man einer Gefährdung durch Drogen durch die Erweiterung des Angebots entgegenwirken könnte, glaubt auch, dass man Übergewichtigen Schokoladenriegel geben muss, damit sie an Gewicht verlieren.
(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])
Auch gibt es weltweit keinen Trend zur Legalisierung von Cannabis. Sie sprechen andere Länder an. Wir haben allein 180 Staaten auf der Welt, die den Besitz von und den Handel mit Drogen unter Strafe stellen. Sie haben hier gerade zwei Staaten erwähnt: Nur weil andere Staaten in diese Richtung gehen, muss das noch kein richtiger Weg sein. Ich bin insofern fast schon etwas irritiert; denn nicht alles, was aus den USA kommt, findet unbedingt Ihre Zustimmung. Dass Sie sich darauf berufen, erstaunt schon sehr.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Ein Grund mehr, um darüber nachzudenken!)
Wir können nicht ignorieren, dass die Suchtmediziner vor dem erheblichen gesundheitlichen Gefahrenpotenzial warnen, das ein regelmäßiger Cannabiskonsum insbesondere für junge Menschen bringt. Bei einem regelmäßigen Konsum sei mit Folgen wie Kontrollverlust und Beeinträchtigung der kognitiven und motorischen Fähigkeiten zu rechnen, Folgen, die sich sowohl am Arbeitsplatz als auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr verheerend auswirken können. Ebenso wird von einem erhöhten Risiko der Entwicklung von Psychosen gewarnt.
Ich bin deswegen der festen Überzeugung, dass der von uns gewählte Weg, in erster Linie präventiv tätig zu werden, tatsächlich der richtige ist.
Unerlässlich erscheint mir allerdings aus meiner Perspektive eine Strafverfolgung dort, wo nicht Konsum und Abhängigkeit im Vordergrund stehen, sondern wo mit Cannabis Handel getrieben wird, wo also andere, insbesondere junge Menschen, zum Drogenmissbrauch verleitet werden und die eigennützige, illegale Gewinnmaximierung auf Kosten der Gesundheit Dritter im Mittelpunkt steht.
Deswegen brauchen wir neben einem präventionsorientierten drogen- und suchtpolitischen Gesamtkonzept flankierend weiterhin repressive Maßnahmen. Aber das können wir insgesamt noch in den verschiedenen Fachausschüssen in den nächsten Wochen und Monaten diskutieren. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Peter Biesenbach [CDU])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Frau Kollegin Hanses zu Wort gemeldet. Bitte sehr.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich empfehle in der Diskussion um Sucht und Drogen und den strafrechtlichen Umgang damit einen klaren Kopf. Weder die reine, ideologisch begründete Forderung nach Repression und Strafe, wie wir sie seit Jahrzehnten von der CDU kennen, hilft da weiter noch hilft eine verklärte Verharmlosung, wie sie im Piratenantrag anklingt, Suchterkrankten.
Liebe Piraten, Sie bleiben leider in der Beliebigkeit, denn in Ihrem Antrag sprechen Sie von 30 g als Eigenbedarfsgrenze. Jetzt in Ihrer Rede, Herr Lamla, wurden immer wieder neue Zahlen in den Raum geworfen. Das halten wir für nicht besonders konsistent.
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 wurde angesprochen, das eine einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften fordert. Da sind wir in Nordrhein-Westfalen seit 2011 auf einem guten Weg.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ging ja schnell!)
Mittlerweile haben sich die Länder sehr weit angeglichen. Wir lagen, als wir die Grammzahl 2011 geändert haben, im Mittel. Viele Länder sind dem gefolgt und sind jetzt bei der 10-g-Grenze für den Eigenbedarf.
Dies gilt jedoch nicht für Jugendliche. Denn Jugendliche sind davon ausgenommen – daran wird der Unterschied deutlich. Das Jugendgerichtsgesetz ist im Gegensatz zum Strafrecht eindeutig von einem Erziehungsauftrag geprägt. Und das ist aus unserer Sicht auch das, was hilft.
Wir haben keine drogen- und suchtfreie Gesellschaft. Wir wollen aber auch keine Gesellschaft, wie Sie sie beschrieben haben.
Ihre Einschätzung unseres Strafrechts und unserer Gesellschaft – Stichwort: Repression –, teilen wir nicht. Wir haben sehr gute präventive Ansätze. Wir haben ein Landeskonzept „Sucht und Prävention“. Wir brauchen Einzelfallhilfe, Informationen. Ich möchte noch einmal das Projekt FreD – Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten – vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe nennen, das durch Reflexion beim Erstkonsum Jugendlichen hilft, die Haltung zu überdenken. Da kommen wir sicher weiter.
Sie hatten die 122 Rechtsprofessoren in den Fächern Strafrecht und Kriminologie angesprochen. Die Diskussion finden wir in der Tat sehr spannend. Wir finden, Nordrhein-Westfalen nutzt die landesrechtlichen Spielräume sehr gut. Wir sind gut aufgestellt. Die Diskussion gesellschaftlich, politisch und im Bund sollte weiter geführt werden. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. Bleiben Sie bitte vorne. Zum einen hat sich Herr Kollege Lamla von der Piratenfraktion zu einer Kurzintervention gemeldet. Kurz vor Schluss Ihrer Rede hatte sich außerdem Herr Kollege Düngel eingedrückt. Wollen Sie den Wunsch, Ihre Frage stellen zu dürfen, aufrechterhalten, Herr Kollege?
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Sehr gerne!)
– Frau Kollegin Hanses, wollen Sie die Frage noch zulassen? – Dann nehmen wir die zuerst, dann die Kurzintervention. Herr Düngel, bitte.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Hanses, dass ich die Frage noch stellen kann. – Ich habe Ihnen und auch dem Kollegen Ünal vorhin gut zugehört
(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Schön!)
und würde gerne auf eine konkrete Frage eine sehr konkrete Antwort bekommen. Bleibt es bei der grünen Grundhaltung, dass weiche Drogen wie zum Beispiel Cannabis zu legalisieren sind?
Dagmar Hanses (GRÜNE): Sie kennen sicherlich unser Wahlprogramm im Bund. Das Betäubungsmittelgesetz ist ein Bundesgesetz. Das haben wir jetzt hier nicht zu regeln. Aber selbstverständlich wollen wir zu einer anderen Drogenpolitik in Deutschland kommen – keine Frage. Aber wir gehen in Nordrhein-Westfalen hervorragende erste Schritte.
Ich finde die Zusammenarbeit zwischen der Gesundheitsministerin und dem Justizminister an der Stelle vorbildlich. Davon können sich andere Länder wirklich eine Scheibe abschneiden.
Ich finde es schwierig, wie hier in der Diskussion immer verschiedene Drogen und Suchtmittel miteinander verglichen werden, was denn nun schlimmer sei oder weniger schlimm. Das finde ich gefährlich.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Kommt die Antwort noch?)
Ich finde, gerade Jugendliche – Herr Kollege, Sie sind auch jugendpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion – haben es verdient, dass wir Ihnen etwas Besseres anbieten als Sucht und Drogen, dass wir ihnen bessere Möglichkeiten aufzeigen, dass wir ihnen Handlungsalternativen bieten, dass sie einen klaren Kopf behalten können, wenn sie es wollen.
(Beifall von den GRÜNEN und Brigitte Dmoch-Schweren [SPD])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, so weit Fragen und Beantwortung. – Jetzt hat Herr Lamla das Wort bis zu 90 Sekunden, dann Frau Kollegin Hanses für ihre Antwort. Bitte.
Lukas Lamla (PIRATEN): Frau Hanses, vielen Dank. Entschuldigung, dass ich Sie noch eine Weile vorne halte. Ich bin ein bisschen enttäuscht von Ihrem Redebeitrag und ein bisschen enttäuscht von dem Redebeitrag Ihres grünen Kollegen. Grundsätzlich bin ich als ehemaliger Grünen-Wähler von der grünen Partei enttäuscht. Denn Sie sagten schon selbst, Sie haben seit Jahren die Möglichkeit, diese Missstände zu ändern.
(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Nein, wir stellen schon seit Jahren nicht mehr die Bundesregierung; tut mir leid!)
Das Thema Freigabe von Cannabis ist ein urgrünes Thema. Jedes Mal, wenn Sie die Möglichkeit haben, etwas zu ändern, machen Sie es einfach nicht, sondern knicken unter dem Druck des großen Koalitionspartners, in der Regel der SPD, ein. Das finde nicht nur ich sehr enttäuschend, sondern auch viele, viele Wähler da draußen.
(Beifall von den PIRATEN)
Dagmar Hanses (GRÜNE): Ich erkläre Ihnen noch einmal, wer in den letzten Jahrzehnten wann welche Bundesregierung gestellt hat. Dann gehen wir das noch einmal durch, sehr gerne, Herr Lamla.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Eine kurze Antwort auf die Kurzintervention. Auch die ist selbstverständlich im Ermessen des Redners möglich. Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Debattenpunkt liegen mir nicht vor. Somit schließe ich die Aussprache.
Ich leite über zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/5478 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, an den Innenausschuss, an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend; die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.
Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf:
5 „Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben“ für Menschen mit Behinderungen in NRW weiterentwickeln
Antrag
der Fraktion der SPD
und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5482
Ich eröffne die Aussprache und erteile als Redner für die erste der beiden antragstellenden Fraktionen, der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Scheffler das Wort.
Michael Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, meine Rede mit einem Zitat des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu beginnen: „Nicht behindert zu sein, ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.“
Meine Damen und Herren, vor fünf Jahren hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Sie verpflichtet uns alle dazu, behinderten Menschen die Teilhabe an allen Lebensbereichen der Gesellschaft zu ermöglichen. Gemeinsam mit dem Bund, den Ländern und den Kommunen sind wir als Landesgesetzgeber dafür zuständig, Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention zu ergreifen. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir von der SPD und den Grünen als Regierungspartner deshalb unter anderem festgeschrieben, dass die „Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben“ für Menschen mit Behinderungen ausgebaut werden sollen.
Für die rund 2,6 Millionen behinderten Menschen in Nordrhein-Westfalen gibt es eine gute, aber auch weit verzweigte Beratungs- und Unterstützungsstruktur. Neben den Diensten und Beratungsstellen verschiedener Träger hält auch die Behindertenselbsthilfe viele hochwertige Angebote bereit. Diese bieten sowohl Beratung als auch kompetente Interessenvertretung für behinderte Menschen von behinderten Menschen an.
Ziel der „Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben“ ist es einerseits, die verfügbaren Hilfe- und Beratungsangebote zu bündeln und als regionale Anlaufstellen für die Information und Beratung über selbstbestimmte Lebensformen behinderter Menschen zu fungieren. Darüber hinaus übernehmen sie auch wichtige Aufgaben in der Öffentlichkeitsarbeit und somit in der öffentlichen Bewusstseinsbildung.
Meine Damen und Herren, unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt und benachteiligt wird. Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt mit anderen an Schulbildung, Berufsleben und allen Aktivitäten des täglichen Lebens teilnehmen können. Deutschland hat mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verdeutlicht, dass behinderten Menschen dieselben Rechte zustehen wie allen anderen auch.
Nordrhein-Westfalen begleitet die Umsetzung dieser berechtigten Forderung mit einem umfangreichen Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“. 100 Einzelmaßnahmen sollen hier von allen Ministerien umgesetzt werden. Ich denke, dieses ist auch auf einem ausgezeichneten Weg.
Teil dieses Planes sind auch die „Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben“. Auch andere Kompetenzzentren, beispielsweise das Kompetenzzentrum „Leichte Sprache“ werden vom Land gefördert. Es ist Teil der „Agentur Barrierefrei NRW“ in der Stiftung Volmarstein und berät über öffentliche Einrichtungen, wie man sprachliche Barrieren überwinden kann.
Für den Bereich „Selbstbestimmt Leben“ haben zwei Modellprojekte in Dortmund und Köln bereits erfolgreich gezeigt, dass diese Form der Aufgabenbündelung gut funktioniert. Jetzt sollen mehr Zentren entstehen. Zur Finanzierung werden wir – das ist im Antrag genannt worden – die verfügbaren Mittel aus dem Einzelplan 11, den zuständigen Ressorts sowie dem Europäischen Sozialfonds nutzen.
Inhaltlich sollen im Laufe der Zeit in den Zentren Schwerpunkte gesetzt werden, die als Projekte der Selbsthilfe verschiedene Behinderungen einschließen, beispielsweise Sinnesbehinderungen oder Lernschwierigkeiten.
Der Ausbau eines von Kostenträgern unabhängigen Beratungsangebotes ist genauso geplant wie eine Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung gegenüber Land, Kommunen, Kostenträgern und Trägern der Behindertenhilfe. Wichtig ist da die Einbeziehung des Peer Counseling; denn Menschen mit Behinderung sind die besten Experten in eigener Sache. Qualifizierungsmaßnahmen für Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung, ihrer Vereine, Organisationen und Verbände sind im Aktionsplan ebenfalls als Aufgabe der Kompetenzzentren genannt.
Meine Damen und Herren, dieses Vorhaben ist ein wichtiger Baustein für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-West-falen. Es schafft mit den Kompetenzzentren zentrale Ausgangspunkte für die weitere Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Erlauben Sie mir, mit einem Zitat eines für uns hier in Nordrhein-Westfalen, aber auch auf Bundesebene großen Mannes zu schließen. Johannes Rau sagte: „Die Menschen tragen die Lösungen gemeinsam, wenn sie erkennen, dass sie wirtschaftlich vernünftig, sozial gerecht und für alle Beteiligten tragfähig sind.“ – In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Herr Kollege, und erteile für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Grochowiak-Schmieding das Wort.
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wissen möchte, was Paragrafendschungel im wörtlichen Sinne heißt und bedeutet, der muss sich mit der deutschen Sozialgesetzgebung befassen. Hunderte Paragrafen mit noch mehr Absätzen bilden in den zwölf Büchern des Sozialgesetzes ein Dickicht, das nur schwer zu durchdringen ist. Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände all ihre Energie benötigen, um ihren Lebensalltag zu bewältigen, sind hier schlichtweg überfordert. Dazu gehören auch Menschen mit Behinderung oder deren Angehörige.
Immer wieder müssen diese Menschen die Erfahrung machen, dass auf Papier geschriebene Gesetze sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Mitunter kommt es sogar vor, dass verbrieftes Recht verweigert wird, so zum Beispiel bei Eltern, die ihr Kind mit Unterstützungsbedarf an einer Regelschule anmelden wollen und der Schulträger die Übernahme der Kosten für die Integrationshelferin ablehnt oder wenn die Arbeitsagentur die Beratung und Vermittlung in Arbeit verweigert und stattdessen auf der Verrentung eines Hilfesuchenden besteht.
Es sind aber nicht nur Gesetzestext und die Verweigerungshaltung, die in die Irre führen: Auch unterschiedliche Verwaltungsebenen der Leistungsträgerinnen und eine Vielfalt an Leistungserbringerinnen machen den Menschen das Leben schwer. Der Eindruck, dass Institutionen lediglich für den Selbstzweck und weniger für die Betroffenen selbst arbeiten, kann sich in vielen Situationen den Menschen, die Unterstützung suchen, aufdrängen.
All dies zusammengenommen macht eine unabhängige Beratung unabdingbar. Hier haben wir insbesondere die beiden Kompetenzzentren – der Kollege Scheffler hat es schon erwähnt – in Köln und in Dortmund, die diese Arbeit schon seit Jahren übernehmen. Hier finden Menschen mit Behinderung Hilfe, Beratung und auch Unterstützung. Neben der Interessenvertretung der Einzelnen sind Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und natürlich auch Vernetzung mit anderen schon bestehenden Strukturen wichtige Arbeitsfelder.
Diese Kompetenzzentren erfahren sehr großen Zulauf und leisten hervorragende und auch wichtige Arbeit. Ihre Arbeit ist deshalb so gut und wichtig – auch das hat der Kollege Scheffler schon gesagt –, weil hier nach dem Prinzip der Peer Counseling gearbeitet wird, nämlich Betroffene beraten Betroffene.
Der Landesaktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ beschreibt die Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung als Institutionen, die die Bewusstseinsentwicklung für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Politik und Gesellschaft voranbringen.
Zwei Kompetenzzentren alleine können nicht den Bedarf eines ganzen Landes befriedigen. Daher möchten wir diese Beratungsstruktur ausweiten. Damit Menschen mit Behinderung ihre Rechte wahrnehmen können, wollen wir dafür sorgen, dass in allen Regionen in NRW eine entsprechende Beratung in Anspruch genommen werden kann.
Außerdem wollen wir, dass in jedem Regierungsbezirk mindestens ein Kompetenzzentrum für selbstbestimmtes Leben vorhanden ist. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass bereits bestehende und qualifizierte Institutionen in diesen Prozess einbezogen werden. Beispielhaft möchte ich die LAG SELBSTHILFE oder das Netzwerk für Frauen und Mädchen mit Behinderung nennen.
Bei den vielen unterschiedlichen Problemstellungen und Bedarfen der Unterstützungssuchenden – wie Geschlecht, kulturelle Herkunft oder einfach die Individualität der Beeinträchtigung – stehen die Kompetenzzentren natürlich vor einer Mammutaufgabe. Wir werden in Zukunft ganz genau beobachten müssen, inwieweit neben dem allgemeinen Beratungsangebot auch eine gewisse Spezialisierung – zumindest in Teilbereichen – in den einzelnen Kompetenzzentren notwendig werden kann.
Mit diesem Antrag machen wir einen wichtigen Schritt zur Erweiterung der Beratungsstrukturen für Menschen mit Behinderung hier in NRW. Wir kommen damit auch einem Wunsch und der Aufforderung aus dem Kreis der Betroffenen nach.
Wenn der Antrag dann beschlossen ist, liegt es an der Landesregierung, diesen Auftrag so schnell wie möglich umzusetzen. Das wünschen wir uns natürlich. Ich bin mir aber sicher, dass Sie sich entsprechend einsetzen werden. Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ermuntern, uns bei diesem Bestreben und bei unserem Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Burkert.
Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein großes Lob gilt der Arbeit der beiden regionalen Kompetenzzentren in unserem Bundesland: dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln und der Einrichtung MOBILE in Dortmund.
Wie im Landesaktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ bereits beschrieben, leisten diese beiden Zentren einen unverzichtbaren Beitrag, die selbstbestimmten Lebensformen von Menschen mit Behinderung zu unterstützen und das allgemeine Bewusstsein in Politik und Gesellschaft für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung zu schärfen.
Es ist gut und unverzichtbar, dass diese Arbeit gefördert wird. Auf diese Weise wird eine umfassende Beratung und Unterstützung von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen gewährleistet und ermöglicht. Nur so kann jedermanns Recht auf ein selbstbestimmtes Leben im Sinne der UN-Konvention garantiert werden. Mittelfristiges Ziel muss es sein, diese Arbeit der Kompetenzzentren und damit die Ansätze des oben genannten Landesaktionsplans in Nordrhein-Westfalen in der Fläche auszubauen, sodass es landesweite Anlaufstellen für Menschen mit Behinderungen gibt.
In diesem Punkt, und was die Arbeit der Kompetenzzentren betrifft – sowohl an Hilfestellungen für behinderte Menschen und der Vertretung ihrer Belange als auch bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Vermittlung eines positiven Bildes von Menschen mit Behinderungen –, stimme ich dem Antrag voll zu. Auf diese Weise wird das allgemeine Bewusstsein für Inklusion und Teilhabe wieder geschärft. Dabei ist es selbstverständlich, dass die Kompetenzzentren auch geschlechtergerecht und kultursensibel ausgerichtet werden.
Aus dem Antrag erschließt sich mir jedoch nicht, wie genau die dort geforderte Einbeziehung anderer Selbsthilfeverbände und Netzwerke bei dem Ausbau der „Kompetenzzentren selbstbestimmtes Leben“ geschehen soll. Im Antrag werden willkürlich drei weitere Institutionen genannt, nämlich die LAG SELBSTHILFE NRW, das Netzwerk für Frauen und Mädchen mit Behinderung sowie der Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen NRW. Außerdem wird die Agentur Barrierefrei erwähnt, die aber bereits als Kompetenzzentrum gefördert wird.
Jedenfalls ist diese Aufzählung nicht ansatzweise abschließend. Genau das ist jedoch das Problem. Es gibt eine solche Vielzahl von Einrichtungen, Gruppen und Institutionen, an die die Betroffenen sich wenden können, dass unmöglich alle in unserem Land bestehenden Stellen in den allgemeinen und geförderten Ausbau einbezogen werden können.
Zunächst ist es unerlässlich, die gesamte Fläche einmal zu betrachten und das bestehende Klein-Klein zu ordnen. Bei dem momentanen Angebot ist es für die Betroffenen schier unmöglich, die für sie passende Stelle zu finden. Man braucht den gebündelten Sachverstand an einer Stelle. Ein flächendeckender Ausbau von Kompetenzzentren, wie sie derzeit schon zu finden sind, muss angestrebt werden.
Ich kann dem Antrag nicht entnehmen, was genau mit den anderen genannten Stellen geschehen soll, die wertvolle Arbeit in unserem Land leisten. Wie soll ein Ausbau gestaltet werden? Warum werden überhaupt nur drei Institutionen erwähnt?
Auch die Finanzierung bleibt unklar. Das Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln sowie MOBILE in Dortmund leisten bereits hervorragende Arbeit. Es ist ganz wichtig, nicht auf eine Art der Behinderung spezialisiert zu sein. Die Einrichtungen arbeiten quasi übergreifend und sind ein Anlaufpunkt für Menschen mit unterschiedlichsten körperlichen und geistigen Behinderungen.
Genau diesen Ansatz gilt es nun in die Fläche zu bringen. Es ist nicht zielführend, wenn die Landesregierung die Zuständigkeitsbereiche der Anlauf- und Beratungsstellen von oben festlegt und die im Antrag geforderten Schwerpunkte gebildet werden.
Auf diese Weise wären wieder einmal viel mehr Stellen notwendig, für die Menschen würde die Anzahl zum Problem, und auch die allgemeine Begegnung in den Zentren würde erschwert. Aus diesem Grunde plädiere ich dafür, zunächst die vorhandenen Beratungsstellen aufzulisten und zu ordnen, und dann erst zu schauen, wie man die Arbeit der bestehenden Kompetenzzentren selbstbestimmten Lebens ausbaut und groß umstrukturiert.
Zu diesem Zeitpunkt können wir dem Antrag daher nicht zustimmen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Alda.
Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Besucher! Ich kann die Kollegen von den antragstellenden Fraktionen gleich beruhigen: Es wird nichts gegen Sie geben, aber trotzdem betrachten wir die ganze Sache aus einer etwas anderen Perspektive.
Klar: Die Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen ist ein wichtiges Anliegen. Insbesondere vor dem Hintergrund der oftmals zitierten UN-Behindertenrechtskonvention wollen wir die eigenen Vorstellungen für diese Leute gestalten und eine gleichberechtigte Teilhabe mit anderen an der Gesellschaft ermöglichen. Das ist das Hauptziel dabei. Die Umsetzung ist eine der bedeutsamen Aufgaben der Sozialpolitik, und zwar der gemeinsamen.
Aber dafür bedarf es Einfühlungsvermögens, Engagements, Beharrlichkeit, Geduld, aber auch – das wird häufig vergessen – der Fähigkeit, Erkenntnisse und Standards kritisch dabei zu hinterfragen.
(Beifall von der FDP)
Bereits im Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle“ wird ausdrücklich betont, dass es nur im engen Schulterschluss aller Beteiligter und Akteure gelingen kann, dieser großen Aufgabe gerecht zu werden. Dazu zählt traditionell auch eine besondere Konsensorientierung der Fraktionen in diesem Parlament, aber auch in anderen, wie ich beobachte – egal, wer dabei die Regierung stellt.
Es gibt erfreulicherweise viele inhaltliche Gemeinsamkeiten. Das bedeutet aber nicht, dass neue oder andere Ideen einfach vom Tisch gefegt werden. Denn der Inklusionsgedanke beruht gerade darauf, der Vielfalt in einer Gesellschaft mit Wertschätzung zu begegnen.
Allerdings ist es angesichts der Sensibilität des Politikfeldes empfehlenswert, auf fachpolitische Eitelkeiten zu verzichten, selbst wenn man glaubt, den Stein der Weisen gefunden zu haben.
(Beifall von der FDP)
Ich hoffe in diesem Sinne auf ein weiteres faires Miteinander, denn Menschen mit Behinderungen benötigen – darauf zielt Ihr gemeinsamer Antrag ab – eine gezielte und ihrem individuellen Bedarf entsprechende Unterstützung. Sie sollte immer als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden. Auch so verstehe ich die beiden funktionierenden Organisationen. Das heißt: Diese Hilfe hat eher eine assistierenden Charakter.
Der Ansatz der Kompetenzzentren, Lotsen für Menschen mit Behinderungen zu qualifizieren, ist daher der richtige Weg. Er verbindet Wertschätzung für die Menschen mit der Idee, das Wissen und die Erkenntnisse nach außen zu bringen.
Aber – jetzt komme ich so langsam auf die Ausführungen von Herrn Burkert zu sprechen – welche unterschiedlichen Beratungsstrukturen für Menschen mit Behinderung gibt es in Nordrhein-Westfalen? – Wenn man das kurz recherchiert, kommt man auf die Städte und Kreise, 130 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, die Landschaftsverbände, die Reha-Servicestellen und die Integrationsfachdienste. Das waren nur diejenigen Stellen, die ich eruieren konnte. Wahrscheinlich gibt es noch mehr.
Nun kommen Sie mit Ihrer Forderung, eine weitere Beratungsstruktur hinzuzufügen. Das ergibt eine weitere Struktur, die im ungünstigsten Fall parallel zu den bestehenden existiert. Dabei ist es doch viel wirksamer, die bestehenden Strukturen zu vernetzen und die Kompetenzen zu bündeln,
(Beifall von der FDP und der CDU – Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Richtig!)
gerade wegen der von Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding genannten Vorfälle, die auch uns stören – keine Sorge. Aber wir sehen dort die Möglichkeit, etwas zu verbessern, so wie es zum Beispiel Minister Schneider in dieser Woche in seinem Konzept zur Armutsbekämpfung vorgeschlagen hat. Auch da schreiben Sie, wir sollten bei den bestehenden Strukturen enger zusammenarbeiten.
In Ihrem Antrag sollen die bestehenden Projekte in die Weiterentwicklung der Kompetenzzentren einbezogen werden. Haben Sie geprüft, ob nicht der andere Weg sinnvoller ist? Das klingt mir alles – ich mag euch Grüne ja richtig gern – nach:
(Heiterkeit – Abgeordnete der GRÜNEN winken dem Redner zu.)
Hach, das ist unser Quartier. Wir haben uns alle lieb. – Ihrer Kollegin Frau Dr. Beisheim ist, als wir in Duisburg zusammengesessen haben, schon vonseiten der Träger gesagt worden: Wir müssen ein bisschen auf die Realität achten. Ganz ohne Profis geht es nicht. Es kann nicht nur Selbsthilfe sein.
(Beifall von der FDP)
Warum sollen die bestehenden Organisationen nicht von den Erkenntnissen aus dem Modellprojekt „Kompetenzzentrum selbstbestimmtes Leben“ lernen? Da kann ich Ihnen zustimmen, komme aber gleichzeitig schon zum Schluss und damit zum Anfang der Rede, wo wir die Gemeinsamkeiten betont haben.
Ich hätte mich eher auf eine intensive faire Diskussion im Ausschuss gefreut. Da Sie heute hier die finale Abstimmung haben wollen, werden wir uns enthalten. Im Ausschuss hätte es vielleicht anders ausgesehen. – Danke sehr.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Piratenfraktion spricht nun der Kollege Fricke.
Stefan Fricke (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer – egal, ob mit oder ohne Behinderung! Der uns vorliegende Antrag der Regierungskoalition erscheint mir wie ein Eckpunkt eines nordrhein-westfälischen Bermudadreiecks im Bereich Soziales, in dem Haushaltsmittel spurlos verschwinden.
Dazu passt hervorragend, dass der berühmte Landesplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“, auf den im Antrag so stark Bezug genommen wird und der vor etwa einem Jahr in diesem Haus diskutiert werden sollte, im letzten Moment von der Tagesordnung genommen worden war. Der ersatzweise eingefügte Tagesordnungspunkt zur Holzaffäre kann keine Entschuldigung sein, denn man hätte die damals abgesagte Unterrichtung in einer der folgenden Plenarsitzungen erneut aufrufen können.
(Beifall von den PIRATEN)
Schon dieser Landesplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ liest sich wie ein Märchenbuch der Luftschlösser: Viele hübsche Bilder, kaum Absichtserklärungen, aber absolut keine konkreten Maßnahmen sind darin enthalten. Das ist sicherlich ein guter Grund, um eine öffentliche Diskussion zu vermeiden.
Mit diesem Antrag soll nun offenbar diese missliche Tradition fortgesetzt werden: nur keine öffentliche Debatte darüber, denn dann könnten die schwarzen Geldvernichtungslöcher bekannt werden, die flächendeckend gegraben werden.
Aber sehen wir uns die Dinge genauer an, und beginnen wir mit dem schönen Begriff „Kompetenzzentren“. Was soll das eigentlich heißen? Welche Kompetenzen diese Kompetenzzentren tatsächlich haben oder gar weitergeben sollen, ist nirgendwo definiert. Im vorliegenden Antrag werden zwei Einrichtungen genannt, die folgendermaßen bezeichnet werden – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
„Als Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung übernehmen sie verschiedene Aufgaben, wie Öffentlichkeitsarbeit, Interessenvertretung, Qualifizierung, leistungsträger- und anbieterunabhängige Beratung in besonderen Einzelfällen und die Vertretung der Interessen von Menschen mit Behinderung im Inklusionsbeirat des Landes NRW.“
Wunderbar, diese Einrichtungen leisten sicherlich gute und notwendige Arbeit. Das tun sie aber schon seit sehr langer Zeit mit den Mitteln, die sie bereits von Bund und Land NRW erhalten.
Was würde sich nun durch diesen Antrag ändern oder gar verbessern? Ist der Bedarf langsam oder auch plötzlich so sehr gestiegen, dass die bisherigen Fördermittel nicht mehr ausreichen? Haben diese Einrichtungen ihr Angebot so sehr erweitert, dass sie mehr Fördermittel benötigen? Wollen sie ihr Angebot quantitativ oder qualitativ verbessern und benötigen deshalb mehr Fördermittel? Man weiß es nicht. Dazu gibt es keinerlei Informationen. Eine Debatte ist ja ganz offensichtlich hierzu nicht gewollt.
Im Landesplan gibt es dazu auf Seite 149 eine Zusammenfassung unter dem Titel „Ausbau und Finanzierung der Kompetenzzentren in NRW“, die wie der Antrag selbst darauf hinweist, dass die Rechte und Ansprüche der Menschen mit Behinderungen aus den Bundesmitteln des SGB gedeckt sind. Werden denn alle diese zur Verfügung stehenden Mittel auch tatsächlich abgerufen? Oder gibt es ähnliche Probleme, wie wir sie in anderen Bereichen kennen, zum Beispiel beim Bundesfernstraßenausbau?
Darüber hinaus Finanzmittel aus öffentlichen Kassen in Anspruch nehmen zu wollen, ohne die Notwendigkeit darzulegen und ein klares Konzept zu bieten, erscheint mir reichlich abenteuerlich.
Zurück zu den Kompetenzzentren: Ich habe mal grob überschlagen, was der Betrieb eines solchen Zentrums mit ungeklärten Kompetenzen denn jährlich so kosten könnte. Ich bin dabei auf 500.000 bis 600.000 € pro Jahr gekommen. Da ist alles mit dabei: von Miete und Nebenkosten über Personal bis hin zu Internetanschluss und Briefmarken.
Wie soll das finanziert werden? Sollen hierdurch möglicherweise andere notwendige Leistungen für Menschen mit Behinderungen gekürzt werden? Oder gibt es hier noch freie Mittel? Oder wird uns die Regierungskoalition hier einen entsprechend aufgestockten Haushaltsentwurf vorlegen?
(Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE]: Ich verweise auf die letzte Haushaltsberatung!)
Auch hierüber hätten wir uns eine Debatte im Ausschuss gewünscht.
Es wäre nun nicht nur schön, sondern zwingend notwendig, wenn man wüsste, was nun geschehen soll, auch wenn es „nur“ Steuergelder sind. Sie wissen schon, das leidige Thema „Transparenz“ und so. Das kennen Sie ja schon zur Genüge von uns Piraten. Trotzdem: Wir sehen das Konzept des Peer Counseling als dringend notwendig an. Wir ersehen es auch als notwendig an, hier in die Fläche zu gehen.
Wir hätten uns, wie gesagt, eine Beratung im Ausschuss gewünscht. Aber die antragstellenden Fraktionen wollten ja eine direkte Abstimmung. Vermutlich ging es hier um reines Wahlkampfgetöse. Wir werden uns daher der Stimme enthalten. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Schneider das Wort.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat keinesfalls die Absicht – ich denke, das kann ich auch an dieser Stelle für die Regierungskoalition feststellen –, zusätzliche neue Strukturen, die mit überbordender Bürokratie verbunden sind, einzuführen. Nein, es geht um eine wirkungsvolle Behindertenpolitik in Nordrhein-Westfalen, um die Umsetzung letztendlich der Inklusion in allen Lebensbereichen.
Als Grundlage hierfür haben wir die UN-Behindertenrechtskonvention, die schon jetzt geltendes Recht in Deutschland ist und die jetzt über unseren Plan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ Schritt für Schritt umgesetzt wird.
Das kostet natürlich Geld. Wir haben wenig Geld. Deshalb werden wir auch jeden Cent dreimal umdrehen und erörtern, wo jeder Cent wirkungsvoll eingesetzt werden kann.
Wir werden natürlich laufend über den Fortgang der Umsetzung unseres Landesplanes informieren. Hierzu wird es Berichte im zuständigen Ausschuss geben, aber auch im Plenum. Die Diskussion im Plenum, die eben eingefordert worden ist, wird stattfinden, wenn wir einige Etappen bei der Umsetzung des Inklusionsplanes hinter uns gebracht haben. Dann macht eine umfassende Debatte auch wirklich Sinn.
Die Landesregierung begrüßt den Antrag von SPD und Grünen zu neuen zusätzlichen Kompetenzzentren. Unsere Erfahrungen mit den schon vorhandenen Kompetenzzentren – dies ist ja von allen Rednerinnen und Rednern bestätigt worden – sind sehr gut. Sowohl MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter e. V. in Dortmund als auch das Zentrum für selbstbestimmtes Leben, An der Bottmühle in Köln, leisten ausgezeichnete Arbeit.
Hier geht es überhaupt nicht um eine Gegensätzlichkeit zwischen Profis und Selbsthilfe. Ich kann Ihnen sagen: Sehr viele Menschen in der Selbsthilfe sind absolute Profis.
(Beifall von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])
Hier ist ja eben angesprochen worden, dass es im Behindertenrecht ein Dickicht gibt. Dort haben wir Menschen, die dieses Dickicht auch durchdringen können aufgrund ihrer profihaften Herangehensweise und ihres Wissens. Also ich sehe hier überhaupt keinen Widerspruch. Beides ist notwendig.
Wir wollen – das beinhaltet ja auch die Begrifflichkeit des selbstbestimmten Lebens – aus Menschen mit Beeinträchtigungen, die jetzt mehr oder weniger in einer Objektsituation sind, Menschen machen, die Subjekte ihres eigenen Lebens sind. Sie sollen selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden.
Dazu gibt es auch Gremien. Ich erinnere an den Inklusionsbeirat, in dem sehr intensiv über den Fortgang der Inklusionspolitik in NRW, auch sehr kritisch gegenüber der Landesregierung, diskutiert wird.
Meine Damen und Herren, dass besondere Belange von Mädchen und Frauen mit Behinderungen sowie von Menschen mit Behinderungen, die auch einen Zuwanderungshintergrund haben, zunehmend auf der Tagesordnung stehen, ergibt sich eigentlich von selbst. Wir wollen ausgehend von den äußerst positiven Erfahrungen in Dortmund und in Köln in jedem Regierungsbezirk – nicht in jeder Region, aber in jedem Regierungsbezirk – Schritt für Schritt ein solches Zentrum realisieren. Wir wollen aus den Erfahrungen bei den schon bestehenden Zentren lernen. Dies wird uns in unserer Inklusionspolitik weiterbringen.
Insofern bitte auch ich um Zustimmung. Wir werden dem Plenum und den Ausschüssen des Landtags jederzeit über den Fortgang der sehr wichtigen Arbeiten in unserer Inklusionspolitik berichten. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Dann können wir abstimmen. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen damit direkt über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5482 ab. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag stimmen möchte. – Die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen den Antrag? – Die CDU-Fraktion ist gegen den Antrag. Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion und die FDP-Fraktion enthalten sich. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5482 entsprechend angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5487
Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion spricht zunächst Herr Kollege Wüst.
Hendrik Wüst (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU und die Piraten haben die Veröffentlichung der Stellungnahmen zum LEP gefordert. Nach meinem aktuellen Kenntnisstand sind die letzten Veröffentlichungen bis heute, 14 Uhr, vom 14. März 2014. Mit der Transparenz oder mit der Fähigkeit der Staatskanzlei-Scanner ist es offensichtlich nicht weit her.
Man muss die Frage stellen: Was haben Sie eigentlich bei diesem Thema zu verbergen, Herr Duin? Warum geht es da eigentlich nicht weiter mit der Transparenz, die Sie sonst immer so hoch halten?
(Beifall von der CDU)
Wir haben den Verdacht, dass die jetzt schon eingestellten Stellungnahmen Ihnen reichen und Sie deshalb keine weiteren Stellungnahmen einstellen wollen.
Als Beispiel nehme ich einmal eine kleine Gemeinde, nämlich die Gemeinde Herscheid im Märkischen Kreis. Sie hat einen parteilosen Bürgermeister, ist also auch ein Stück weit unabhängig von den parteipolitischen Scharmützeln, die es hier gibt. In ihrer Stellungnahme steht, dass die raumordnerische Festlegung des LEP-Entwurfs insbesondere zum Siedlungsraum und zum Klimaschutz eine eigenverantwortliche und selbstbestimmte Entwicklung der Kommunen erheblich erschwere und ihre Planungshoheit in hohem Maße einschränke. Deshalb lehne die Gemeinde den LEP-Entwurf in vorliegender Fassung ab.
Wesentlich größer ist die Stadt Köln. Ihr Oberbürgermeister Roters von der SPD – auch unverdächtig, mir Stichworte zuspielen zu wollen – bringt es auf den Punkt. Die Stadt Köln erklärt, die Regelungsdichte der Ziele schränke die Planungshoheit der Kommunen so massiv ein, dass dies über das verfassungsmäßig gebotene Maß hinausgehe.
Dieser LEP-Entwurf stößt also auf die Kritik großer und kleiner Kommunen flächendeckend im ganzen Land, weil hier zu viel durchregiert wird und weil hier zu viel mit Zielen und zu wenig mit Grundsätzen gearbeitet wird. Die Forderung ist unisono, diesen Plan komplett zu überarbeiten.
(Beifall von der CDU)
Schauen wir uns jetzt einmal die Einzelregelungen an. Was machen Sie? – Sie saugen jetzt aus den Flächennutzungsplänen die Reserven, die bisher nicht in Bebauungsplänen ausgewiesen sind, heraus. Warum eigentlich? Man argumentiert, wenn kein Bedarf da sei, könne man sie ja aus der Planung herausnehmen. Wenn kein Bedarf da ist, bleibt das Grünland aber Grünland, bleibt der Wald Wald und bleibt der unbeplante Bereich eben unbeplant. Wo ist dann das Problem?
Auf der anderen Seite ist das eine große Belastung für die Kommunen. Wenn sie auf ihrem städtischen Gebiet keine Spielmasse haben, um innerhalb des Flächennutzungsplans diesen oder jenen Teil als Bebauungsplan auszuweisen, hängen sie am Fliegenfänger der Grundstückseigentümer. Dann kennt der Preis bekanntlich nur eine Richtung.
In der letzten Konsequenz würde damit nach der Grunderwerbsteuererhöhung zum zweiten Mal durch ein Regierungshandeln von Rot-Grün Bauland für junge Familien teurer. Ich bin nicht sicher, dass Sie das wirklich wollen.
(Beifall von der CDU)
Herr Minister Groschek – vielleicht können Sie ihm das Lob ausrichten; wenn er von mir gelobt wird, freut er sich bestimmt darüber – hat Mitte Dezember 2013 in einer Pressemitteilung an die Kommunen appelliert, sie mögen mehr Bauland ausweisen, damit auch mehr Flächen für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Das passt hinten und vorne nicht zu dem, was hier im Landesentwicklungsplan gemacht wird.
(Beifall von der CDU)
Im Ziel 6.1-11 führen Sie viele Dinge kumulativ zusammen. Durch die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung muss ein Mehrbedarf an Land angezeigt sein. Zusätzlich muss der Bedarf einer Firma hinzukommen – und, und, und.
Wenn man das alles macht, und zwar bewusst – ich bin nicht ganz sicher, ob Sie das immer bewusst tun –, geht man weit über die Festlegung des jetzigen LEP hinaus und verkennt die realen Zusammenhänge.
Jeder von Ihnen weiß doch aus Betriebsbesichtigungen und der eigenen beruflichen Erfahrung ganz genau, dass heute die Frage, wie viel Fläche die Wirtschaft braucht, nichts mehr mit der Bevölkerungszahl zu tun hat. Dort hat es ein Auseinanderentwickeln gegeben. Ich komme aus einer Textilregion. Früher waren in einer Halle mit fünf, zehn oder 20 Webstühlen zwei oder drei Weber tätig. Heute stehen dort 50 Webstühle, um die sich eine einzige Person kümmert. Deswegen ist es falsch, diesen Zusammenhang zu unterstellen. Schauen Sie sich das bitte noch einmal an.
Als letzten Punkt möchte ich die entlarvende Formulierung im dritten Absatz bei Ziel 6.1-11 anführen. Ich lese diesen Absatz einmal komplett vor:
„Ausnahmsweise ist im Einzelfall die bedarfsgerechte Erweiterung vorhandener Betriebe möglich, soweit nicht andere spezifische freiraumschützende Festlegungen entgegenstehen.“
Mit der Formulierung „Ausnahmsweise ist im Einzelfall …“ machen Sie Wirtschaftswachstum und Entwicklung von florierenden Betrieben überall im Land zur Ausnahme im Einzelfall. Ich bin nicht sicher, dass Sie das für richtig halten.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Wüst, wenn ich einmal dazwischen darf? Sie gewinnen auch ein bisschen Redezeit; das ist auch schön. Der Kollege Eiskirch würde Ihnen gern noch eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie die zulassen?
Hendrik Wüst (CDU): Oh, ich freue ich mich sehr, wenn sich der Kollege Eiskirch mit dem wichtigen Thema auseinandersetzt.
Vizepräsident Daniel Düngel: Das habe ich mir doch fast gedacht. Herr Kollege Eiskirch, bitte schön.
Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege Wüst, würden Sie konstatieren wollen, dass sich das ausnahmsweise auf den Textabschnitt direkt davor bezieht, in dem mit dem sogenannten Hürdenlauf der Regelfall beschrieben worden ist? Damit soll deutlich gemacht werden, dass es neben den normalen Möglichkeiten, Flächen neu in Angriff zu nehmen, wenn man den Hürdenlauf beschritten hat, eine generelle Ausnahme etwa bei Betriebserweiterungen gibt, davon abzuweichen, und die Einzelfallprüfung logischerweise bei Dingen vorgenommen werden muss, die ganz andere Regelungszusammenhänge, zum Beispiel emissionsschutzrechtliche etc., haben, die im LEP gar nicht geregelt werden können. Wenn die aber nicht dagegen sprechen, ist dies dann sozusagen als Ausnahme von den normalen Regeln, die davor stehen, möglich.
Hendrik Wüst (CDU): Es ist schön, dass Sie, wo Sie ansonsten immer von einem Landesermöglichungsplan sprechen, jetzt konstatieren, dass da ein Hürdenlauf stattfindet. Vielen herzlichen Dank dafür!
(Beifall von der CDU)
Aber dann sagen Sie mir doch einmal bitte, welcher staatliche Kontrolleur die bedarfsgerechte Entwicklung einer Firma am Ende abstempelt.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Nein, bedarfsgerecht stimmt gar nicht!)
Ich glaube, da gibt man Ihnen Steine statt Brot. Lassen Sie sich da nichts erzählen.
(Beifall von der CDU)
Ihre Kollegen aus Ostwestfalen haben schon recht, wenn sie die Detmolder Erklärung unterstützen. Ihr kundiger Kollege Rahe ist ja auch dabei. Ich kann ihn nur beglückwünschen.
Wer verhindern will, dass Kommunen entmündigt werden und Bauland für Familien teurer wird, wer verhindern will, dass Wirtschaftswachstum zur Ausnahme im Einzelfall wird, der kann am Ende nicht anders, als unserem Antrag in der nachfolgenden Beratung zu folgen. – Vielen herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Eiskirch.
(Der Saaldiener kippt das für den folgenden Redner gerade neu am Redepult aufgestellte Wasserglas um. Bevor der Abgeordnete seine Rede halten kann, vergeht eine Weile mit Reinigungsarbeiten.)
– Herr Eiskirch, Sie haben gerade noch ein bisschen Zeit gewonnen!
(Vereinzelt Heiterkeit – Thomas Eiskirch [SPD]: Dann hätte ich ja in Ruhe meine Rede zu Ende schreiben können!)
– Ich sage es doch, dass Sie ein bisschen Zeit gewonnen haben.
Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Bemerkungen, die mir dazu einfallen, würden zu einer Rüge führen. Deswegen lasse ich die.
(Zurufe: Schade! – Vereinzelt Heiterkeit)
Kommen wir zum Antrag zurück!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon spannend: Die CDU möchte, dass die Landesregierung den Entwurf des Landesentwicklungsplans zurückzieht. Das ist aus folgendem Grund spannend: Wenn es jemand in diesem Hause gibt, der Übung darin hat, Landesentwicklungspläne zurückzuziehen, dann ist es die CDU.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Frau Thoben war damals diejenige, die gekniffen hat. Ich habe Ihnen beim letzten Mal gesagt: Ich würde es mittlerweile verstehen, weil Frau Thoben uns unterstellt hatte, dass wir in einer Kommunalwahl 2009 die gleiche Schäbigkeit an den Tag legen würden, die Sie momentan an den Tag legen. Bei uns war das unbegründet. Ich kann aber verstehen, warum Sie auf diese Idee gekommen sind.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Frau Thoben hat den LEP zurückgezogen, weil die CDU schlicht und ergreifend in der wirklichen Gestaltungsaufgabe von Politik, nämlich bei widerstrebenden Interessen in der Lage zu sein, gegeneinander abzuwägen, Erfahrungen im Ausfall hat. Ich will dazu gleich noch einmal kommen.
Zuvor kurz zum Inhalt: Wir bekommen im Moment – ich finde es toll, wie die Landesregierung die Transparenz dadurch herstellt – all die Stellungnahmen sukzessive und unkommentiert ins Internet gestellt. Wir als Parlamentarier brauchen aber aus meiner Sicht auch eine gewichtete und kommentierte Beratungsgrundlage. Das ist ja auch zugesagt.
In diesen Stellungnahmen steht eines fast überall vorneweg – und das passt nicht zu Ihrem Antrag –: Gut, dass es jetzt endlich einen Entwurf zu einem neuen LEP gibt. Der alte ist so alt und geht so weit an den Realitäten vorbei, dass es dringend notwendig ist, dass es einen neuen LEP für Nordrhein-Westfalen gibt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der alte ist von 1995. Das ist eine Welt, die mit der heutigen in vielen Dingen nichts mehr zu tun hat und deswegen im LEP auch nicht mehr richtig abgebildet sein kann. Die Menschen, die wir um Stellungnahmen gebeten haben, sagen: Gut, dass es einen neuen gibt.
Ich will aber auch Folgendes konstatieren: Es gibt eine Menge von Stellungnahmen, bei denen es drei Grundkategorien gibt. Wenn man sich die anschaut, erkennt man, wie man damit umgehen muss. Es gibt Sachen, da muss man sagen: Okay, da ist man anderer Auffassung, das muss trotzdem so bleiben.
Es gibt aber eine Reihe von Stellungnahmen, in denen Dinge vorkommen, bei denen man sagen muss: Okay, die das geschrieben haben, haben den Text gelesen und verstehen darunter etwas ganz anderes, interpretieren das ganz anders, als wir es gemeint haben. Ich will offen sagen, dass es dann nicht deren Aufgabe ist, es anders zu verstehen, sondern die Aufgabe der Landesregierung, die Sachen anders zu formulieren, damit das, was gemeint ist, was Sinn der Regelung ist, auch bei denen, die sich davon betroffen fühlen, richtig ankommt. Ich meine, das hat die Landesregierung auch schon deutlich gemacht, dass das passieren soll.
Und dann gibt es eine dritte Gruppe von Themen – die gehört dazu, weil wir, wie ich es beim letzten Mal, was gerade zwei Wochen her ist, hier gesagt habe, das Ganze ergebnisoffen angehen werden – in bestimmten Stellungnahmen, in denen Dinge vorkommen, zu denen man sagen muss: Okay, da muss man noch einmal drüber nachdenken. Vielleicht muss man das wirklich anders regeln. Vielleicht muss man es auch an der einen oder anderen Stelle gar nicht regeln. Auch das werden wir uns anschauen. Das ist zugesagt. Deswegen gibt es keinen Grund, den LEP, der dringend notwendig ist, zurückzuziehen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Ich will deutlich machen und sagen: Die CDU hat Angst vor der Abwägung. Das gerade ist aber Aufgabe von Politik. Wir haben gestern beim Kollegen Laschet beim Thema „Garzweiler“ gemerkt, dass er nicht so gerne die Fragestellungen, die unangenehm sind, selbst abwägen und entscheiden möchte, sondern sagt: Macht ihr mal, und wenn ihr es gemacht habt, dann leben wir auch damit und tragen das so mit.
So kommt man aber, wenn man ein Land gestalten und Verantwortung für ein Land übernehmen möchte, nicht weiter. Das ist nicht der Anspruch, den wir als Sozialdemokraten – ich vermute, die Grünen auch nicht – an Politik und Gestaltungsmacht haben.
(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)
Unsere Aufgabe ist es vielmehr, gerade in schwierigen Fragestellungen, wo Interessen gegeneinander stehen – das ist beim Thema „Flächenverbrauch“ und beim Thema „demografische Entwicklung“ so –, die Sachverhalte miteinander so ernsthaft zu diskutieren, dass man miteinander eine Abwägung von Instrumenten und Zielen vornehmen kann.
Ich sage Ihnen ehrlich: Das, was Sie hier machen, hat bei Ihnen gute Tradition. Den Abwägungsausfall bei Datteln 4 hat Ihnen ein Gericht bescheinigt. Sie versuchen hier erneut, sich an einer Abwägung vorbeizudrücken. Das führt ins Desaster. Das hätten Sie mittlerweile lernen müssen.
Ich will auch offen sagen: Für mich ist das, was Sie heute fordern – aus Angst vor Abwägung, aus Angst vor ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung zu sagen: Dann räumt es ganz ab, obwohl wir dringend einen neuen Landesentwicklungsplan brauchen –, ein Offenbarungseid für eine Volkspartei, die eigentlich Gestaltungswillen haben sollte.
(Ilka von Boeselager [CDU]: Oh!)
Damit will ich zum Ende kommen. Wenn Sie meinen, wir sollten den LEP zurückziehen, dann sage ich Ihnen: Erfahrungen im Zurückziehen haben Sie; wie gesagt, Frau Thoben, LEP-Entwurf 2008. Ein Rat von mir: Was Sie zurückziehen sollten, ist dieser Antrag. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt der Kollege Goldmann.
Herbert Franz Goldmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass mich auf der politischen Ebene so schnell nichts aus der Fassung bringt. Aber der heute zur Beratung anstehende CDU-Antrag mit seiner Kernforderung hat mich in seinem blinden Aktionismus ziemlich sprachlos gemacht.
Wir haben uns in der letzten Plenarsitzung vor 14 Tagen inhaltlich mit dem LEP-Entwurf beschäftigt. Die CDU hatte in einer aus meiner Sicht konstruktiven Debatte leider nur wenig beizusteuern. Ich kritisiere heute nicht, dass sich die CDU außerstande gesehen hat, Erkenntnisse aus dieser Debatte zu ziehen. Ich kritisiere noch nicht einmal, dass die CDU den FDP-Antrag von vor 14 Tagen und insbesondere die Resolution des Rates der Stadt Warstein vom 31. März dieses Jahres in weiten Teilen anscheinend abgekupfert hat. Aber wer einen solchen Antrag stellt wie Sie heute, der kann und will nicht ernst genommen werden.
Die CDU-Forderung lautet – Herr Eiskirch hat gerade darauf hingewiesen –, die Landesregierung möge ihren missglückten LEP-Entwurf sofort zurückziehen. Sie soll ihn nicht inhaltlich – auf der Grundlage von 1.500 Stellungnahmen, die sie auswertet – überarbeiten und fortschreiben, nein, die Forderung lautet schlicht und ergreifend, die Landesregierung solle ihren LEP-Entwurf sofort zurückziehen.
Hat sich die CDU dabei etwas gedacht? – Wohl kaum.
(Lachen von André Kuper [CDU] und weiteren Abgeordneten der CDU)
Spielen wir die Forderung einmal durch: Ein Zurückziehen des vorliegenden Antrags bedeutet faktisch den bedingungslosen Stopp des gesamten bislang durchgeführten formalrechtlichen Verfahrens. Dreieinhalb Jahre der intensiven Vorbereitung wären für die Tonne. – Okay, das könnte ja so sein. Man hätte zwar einen Haufen Geld verschwendet, aber mit einer soliden Haushaltspolitik hat es die CDU ja ohnehin nicht.
(Zurufe von der CDU)
Was wollen Sie – ich spreche Sie direkt an, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU – den 1.500 Einwenderinnen und Einwendern sagen, die sich in einem auf rund sechs Monate angelegten Öffentlichkeits- und Trägerbeteiligungsverfahren intensiv mit allen Facetten des LEP-Entwurfs auseinandergesetzt haben? Soll das auch alles für die Tonne sein, und dann drückt man mal eben auf „Neustart“? Ich bezweifele ernsthaft, dass Sie sich mit den Konsequenzen Ihres Antrags auch nur ansatzweise auseinandergesetzt haben.
Kommen wir zu Ihrer epochalen Begründung: Der Landesregierung schlägt eine massive Protestwelle für ihren LEP-Entwurf entgegen. – Ist Ihnen mal durch den Kopf gegangen, dass der vorliegende Entwurf, wenn die unterschiedlichen Ansprüche an den Raum von kommunaler Seite einerseits und den Umweltverbänden andererseits kritisiert werden, gar nicht so schlecht sein kann, weil er nämlich einen ausgewogenen Ausgleich unterschiedlicher Raumansprüche widerspiegelt?
Ich habe es vor zwei Wochen an dieser Stelle betont: Eine Landesentwicklungsplanung, die sich darauf reduziert, dass alles, was wirtschaftlich und planerisch möglich und gewünscht ist, auch erlaubt werden muss, bedeutet faktisch die Aufgabe jedes Gestaltungsanspruchs. – Das, was Sie machen, ist eine politische Bankrotterklärung.
Kommen wir zu den Fakten: Der noch gültige LEP aus 1995 ist nach meinem Kenntnisstand der älteste aller Bundesländer. Globalisierung, demografische Entwicklung und technologischer Fortschritt haben zwischenzeitlich zu wesentlichen Veränderungen und damit zu neuen Anforderungen an den Raum geführt. Antworten der CDU hierauf – Fehlanzeige! Die schwarz-gelbe Landesregierung hat bis 2010 selbst nichts zustande gebracht. Sie haben noch nicht mal eine Entwurfsfassung zur Diskussion vorlegen können, als der LEP 15 Jahre alt war.
Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich aus einem Schreiben der damaligen Wirtschaftsministerin Christa Thoben vom 25. März 2008, Vorlage 14/1698, zitieren:
„Die nun beabsichtigte Vorverlegung der Kommunalwahl würde bedeuten, dass noch die alten Kommunalparlamente zu einem Landesentwicklungsplan für die nächsten 15 Jahre beschließen würden. Dies ist m. E. nicht vertretbar; …“
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Kein Kommunalparlament wird für 15 Jahre gewählt. Das Argument zieht also überhaupt nicht. Sie haben damals schlicht die Auseinandersetzung vor der Kommunalwahl gescheut und aus dem Grunde dafür gesorgt, dass der neue LEP erst in der nachfolgenden Legislaturperiode förmlich aufgestellt und in Kraft gesetzt werden kann. Sie haben sich, wie man so sagt, einen schlanken Fuß gemacht. Das war nicht im Sinne einer vorausschauenden Landesplanung, sondern das war einfach nur feige und konfliktscheu.
Regionalräte haben über den gleichen LEP-Entwurf beraten wie Sie auch, wie alle politischen Parteien. Sie können sich einem konstruktiven Diskussionsprozess nicht verweigern. Das, was Sie jetzt machen, hat mit seriöser Landesentwicklungspolitik nichts zu tun. – Danke sehr.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Goldmann. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Ellerbrock das Wort.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht hängen wir alles einmal ein bisschen tiefer und versuchen, ein bisschen Sachlichkeit hineinzubekommen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, inhaltlich tragen wir als FDP viele der in Ihrem Antrag dargestellten Punkte mit. Wir kommen aber letztendlich zu einer anderen Schlussfolgerung. Im Hinblick auf das Verhältnis von Klimaschutzplan zu Landesplanung usw. stimmen wir zu. Aber Sie kommen mit einer Begründung, weshalb alles zurückzuziehen sein soll, die nicht tragfähig ist.
Sie schreiben, die im Entwurf eines neuen Landesentwicklungsplans jetzt dargestellten Ziele seien „zu beachten“. An anderer Stelle schreiben Sie, sie seien „zu berücksichtigen“. – Wenn, dann sind sie zu berücksichtigen. Aber so ein großes Problem ist das ja gar nicht. Denn zu den allermeisten Zielen, die in dem Entwurf zu einem neuen Landesentwicklungsplan stehen, gibt es gültige Ziele, die nach wie vor gelten.
Das Argument, dass darin Ziele stehen, die schon jetzt die Verwaltung binden würden, ist nicht richtig. Denn es gibt im Hinblick auf die allermeisten Probleme gültige Ziele.
(Beifall von der FDP)
Zeitverzögernd würde es wirken, das jetzt zurückzuziehen, weil wir einen ganz neuen Beteiligungsprozess usw. einleiten müssten. Ich denke, damit würden wir gerade den Kommunen einen Tort antun.
(Beifall von Thomas Eiskirch [SPD])
Dass an diesem Landesentwicklungsplan Kritik geübt wird, hat mich überhaupt nicht gewundert. Aber die Wucht der Kritik hat mich überrascht. Woher kommt das? – Das ist eben schon angesprochen worden – Sie, Herr Kollege Eiskirch, haben das gesagt –: Es wird in diesen Landesentwicklungsplan viel mehr hineininterpretiert, als tatsächlich drinsteht.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Sehr schön!)
Auch das muss man sehen. Aber dazu leisten natürlich auch die Erläuterungen des Landesentwicklungsplans einen Beitrag. Wenn ich Wirkungsgrade für die Darstellung von Kraftwerksstandorten nehme, dann weiß ich, was dahinter steht. Da muss ich mich nicht wundern, wenn dieser Landesentwicklungsplan bis zur letzten Baugenehmigung durchschlägt.
Ich weiß, wovon ich rede. Eine Abrissgenehmigung für mein Haus hat erfordert, dass ich ein Artenschutzgutachten für Fledermäuse beibringen musste. Dann hat der Gutachter gesagt: Kein Problem. Darauf hat die Behörde gesagt: Dann hätten wir gerne ein großes Artenschutzgutachten, denn es kann ja sein, dass sommertags eine Fledermaus einen Rastplatz suchen könnte.
(Thomas Eiskirch [SPD]: Doch nicht bei Ihnen, Herr Kollege!)
– Für die Untere Landschaftsbehörde bin ich ja kein Investor, Herr Kollege, sondern ein Zustandsstörer.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das ist der Geist dieses Landesentwicklungsplans. Wir haben uns zum Beispiel über das 5-Hektar-Ziel unterhalten. Was ist bedarfsgerecht? Als Investor muss ich mit der Verwaltung – teilweise auch mit der Politik – lange darüber diskutieren. Dann komme ich sofort in die unselige Bedarfs- und Angebotsdiskussion. Warum trägt der Kollege Nückel eigentlich Lederschuhe? Hanfschuhe tun es doch eigentlich auch. Warum brauchen wir eigentlich eine Schuhfabrik? – In solche Diskussionen komme ich dann. Die können am Ende zwar beigelegt werden, aber das wirkt verfahrensverzögernd und kostet unheimlich viel Zeit.
Herr Minister Duin, ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn man die Ankündigung der Landesregierung, dass der Prozess der Bewertung der Stellungnahmen ergebnisoffen geführt wird, tatsächlich verwirklichen würde und wenn das auch im Verwaltungsstrang deutlich gemacht werden würde.
(Beifall von der FDP)
Denn manches, was im unteren Verwaltungsstrang mit missionarischem Tunnelblick durchgesetzt und diskutiert wird – das meinen Sie und das meint vielleicht sogar der Kollege Remmel manchmal gar nicht so –, führt zu unsäglichen Zeitverzögerungen. Da muss eine Menge auch im Duktus geändert werden. Das ist eine ganz wichtige Sache.
Beim Inhalt sind wir in vielen Punkten sehr nah beieinander. Auf der anderen Seite kommt in mir die Beamtenseele durch. Ich muss natürlich auch ein bisschen korrekt sein. Ich bin ja Rheinländer. Korrekt heißt da so ungefähr „genau“.
Wenn Sie in Ihrem letzten Antrag vorne schreiben, die Ziele seien „zu berücksichtigen“ – das ist richtig –, und weiter hinten schreiben, sie seien „zu beachten“, dann sind das inhaltliche Unterschiede. Kommen Sie vorher zu uns. Wir lesen Ihren Antrag Korrektur, und dann kommt etwas Vernünftiges dabei heraus. – Schönen Dank!
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Fans der ganzen LEP-Debatten! Willkommen zu einer Fortsetzung der LEP-Kritikreihe! Heute hat die CDU das erfolgreiche Konzept der FDP aufgegriffen und Kritikpunkte am LEP aus ihrer Sicht zusammengefasst. Ihre Forderung ist ebenfalls, es solle alles erst einmal so bleiben, wie es ist. Das ist auch verständlich, denn das ist konservativ.
Der praktische Unterschied dieses CDU-Antrags ist, dass er nicht nur an den Wirtschaftsausschuss, sondern an eine ganze Reihe von Ausschüssen überwiesen wird. Das ist im Sinne der Interdisziplinarität und im Sinne des LEP, der eben kein reines Wirtschaftsprogramm ist, richtig. Wir müssen den LEP endlich einmal aus der einseitigen Betrachtungsweise der Standortpolitik befreien. Insofern: Danke schön!
Außerdem ist der CDU-Antrag kompakter und fokussierter; das muss man zugestehen. CDU-Hauptkritikpunkt ist, dass der Klimaschutz in die Gesamtplanung konsequent übernommen wird. Man gewinnt dabei – und auch bei der Regierung – mit Blick auch auf den LEP immer wieder den Eindruck: Darüber zu reden, dass sich etwas ändern muss, ist okay, handeln in Richtung Zukunft dagegen nicht. Verantwortung zu übernehmen, die erst zukünftige Wähler so richtig zu schätzen wissen werden – und wenn es erst in 15 Jahren ist –, ist leider wenig attraktiv für die Politik, weniger attraktiv jedenfalls als auf diejenigen zu reagieren, die Altes bewahren möchten.
In dieser Sache schließe ich mich auch Herrn Eiskirch an und sage: 1995 ist ewig her. Ich füge hinzu: Die Anforderungen waren schon damals nicht fortschrittlich genug.
Wer handelt, kann Fehler machen und sicher sein, Beschwerden zu erhalten. So ist das. So zu handeln, dass immer alle glücklich sind, geht nicht. Nicht zu handeln ist aber auch keine Lösung. Wer prokrastiniert, der bleibt ewig gestrig. Das Merkel-Prinzip ist in der Gegenwart angenehm unaufgeregt, hilft aber nicht für die Zukunft. In der Zukunft ändert sich auf jeden Fall etwas – ob wir wollen oder nicht.
Entweder haben wir Szenarien und Pläne dafür – zum Beispiel in Form eines LEP – und berücksichtigen Erkenntnisse, die wir aus den letzten Jahrzehnten haben, oder wir sind einfach nur unvorbereitet.
Was soll denn ein LEP, in dem nur „Weiter so!“ gilt oder der weiterhin so offen und unverbindlich ist, dass es Fehlentwicklungen gibt, die wir später auf jeden Fall ausbaden müssen und uns fragen, warum wir das alles nicht schon früher gewusst oder gemacht haben?
„Alles geht“, wie es sich die CDU vielleicht vorstellt, heißt: Keine Kreativität und keine Innovation! Dabei spreche ich auch über den zweiten Hauptkritikpunkt der CDU zum Flächenverbrauch, wo man einfach weitermachen kann, seine Geschäftskonzepte, die eigentlich nicht so ganz zukunftsfähig sind, weiter betreuen kann. Dann gibt es weder Kreativität noch Innovation.
Zum Flächenverbrauch! Das macht Sinn; Zersiedlung soll eingegrenzt und die Infrastruktur besser genutzt werden. Das ist besonders wichtig. Die Zersiedlungspolitik hat sich schon sehr lange als falsch erwiesen, 1995 eigentlich auch schon.
Neubaugebiete ohne ÖPNV-Anschluss oder ohne schnelles Internet – daran hat man 1995 vielleicht noch nicht gedacht –, ohne Nahversorgung sind langfristig weder für die dortigen Häuslebauer noch für die Gesellschaft insgesamt erbaulich. Die Infrastrukturkosten sind dafür viel zu hoch.
Gleiches gilt für Gewerbe und Industrie. Was haben wir denn von Donut-Dörfern, die sich im Innern nicht mehr weiterentwickeln können, weil die Gesamtbevölkerung im ländlichen Raum abnimmt, aber außen herum diese isolierten Neubaugebiete haben, jenes Gewerbegebiet, das allerdings nur mit Autos oder nach sehr langen Pendlerzeiten zu erreichen ist, wenn alte Flächen anderswo nicht recycelt werden, die dann gut angebunden wären?
Selbstverständlich sind alle Stellungnahmen und alle Einwürfe im Kontext zu berücksichtigen. Das ist klar. Wie Herr Wüst es schon sagte: Noch ist die Landesregierung nicht so weit, uns alles vorzulegen.
Auch wir werden sicherlich und natürlich aus unserer Perspektive – dennoch so objektiv wie möglich – dort zusammenfassend tätig werden.
Wir haben in den eigenen Reihen keinen Bürgermeister, den wir beeindrucken müssten, aber sicherlich haben wir viel Kritik. Wir können noch einmal über Flughäfen reden, über die Positionierung von Münster/Osnabrück, über die Kraftwerksstandortplanung.
(Zuruf)
– Wir können auch über Weeze reden. Das sollten wir tun.
Insgesamt ist es wirklich sinnvoll, die Sachen in den Ausschüssen weiter zu behandeln. Das finde ich sehr gut. Deswegen machen wir auch an den nächsten Plenartagen damit weiter. – Danke schön!
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Duin.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist noch nicht ganz so lange her: Am Freitag, 28. März, hat dieser Landtag mehrheitlich die Leitbilder des vorliegenden LEP-Entwurfs in der Debatte begrüßt und die Landesregierung aufgefordert, den Erarbeitungsprozess in diesem Sinne fortzuführen.
Vier Tage später, am 1. April, erreichte uns der Antrag der CDU, den Entwurf des Landesentwicklungsplans zurückzuziehen. Natürlich denkt man am 1. April: Ist das wirklich so ernst gemeint? – Es hat sich dann aber herausgestellt, dass es nicht um einen Aprilscherz ging, sondern – das hat Herr Wüst gerade noch einmal deutlich gemacht – ein Thema für den Wahlkampf gesucht wird.
(Thomas Eiskirch [SPD]: So ist es!)
Immerhin, Herr Wüst – darauf hat Herr Eiskirch Sie ja auch schon hingewiesen –, fußt der vorliegende LEP-Entwurf auf jahrelangen Vorbereitungen und enthält wesentliche Teile, die bereits während der schwarz-gelben Regierungszeit ausgearbeitet, aber nicht zu Ende gebracht wurden.
Im Übrigen haben Sie natürlich versucht, die eine oder andere Falschbehauptung in die Welt zu setzen bzw. irreführende Behauptungen erneut vorzutragen. Eine ist zum Beispiel, dass eine Betriebserweiterung nun nicht mehr möglich sei. Den Zuhörerinnen und Zuhörern sei noch einmal erläutert, dass es sich hierbei um Betriebserweiterungen bei einer Größenordnung von mehr als 10 ha handelt, weil alles andere regionalplanerisch gar nicht ausgewiesen wird. Entsprechende Größenordnungen, die über 10 ha gehen, darf man sich im Einzelfall auch noch einmal anschauen. Das ist nicht falsch.
Das Verfahren ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Öffentlichkeit und fast alle beteiligten öffentlichen Stellen zum Planentwurf Stellung genommen haben. Die Planungsbehörde muss nun die ca. 10.000 Seiten Stellungnahmen auswerten. Damit ist sie aktuell befasst. Sie setzt in einem ADV-gestützten System diese Stellungnahmen um und wird das wie vom Landtag erwartet unter Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben auf der Internetseite der Staatskanzlei nach und nach veröffentlichen.
Ich möchte insbesondere vor dem Hintergrund der gerade stattgefundenen Debatte und dem, was Herr Ellerbrock gesagt hat, deutlich machen: Wir werden uns mit allen eingegangenen Stellungnahmen sehr sorgfältig auseinandersetzen. Wir sind dafür offen, den LEP-Entwurf zu ändern und zu verbessern. Das Ergebnis steht nicht fest.
(Beifall von der SPD)
Aber erst nach vollständiger Auswertung aller Stellungnahmen kann die Landesregierung über Änderungen des Planentwurfs entscheiden. Das gilt dann auch für die Frage, ob durch wesentliche Änderungen ein erneutes Beteiligungsverfahren erforderlich wird. Auch das ist nicht auszuschließen.
Dies alles entspricht den Verfahrensregelungen des Bundesraumordnungsgesetzes und des Landesplanungsgesetzes. Die rechtlichen Regelungen sehen nicht vor, einen in diesem Verfahren überarbeiteten Planentwurf zwischenzeitlich gleich ganz zurückzuziehen.
Wenn die CDU nun befürchtet, dass einige durchaus umstrittene Ziele des Planentwurfs in ihrer heutigen Entwurfsfassung bis zum Inkrafttreten des neuen LEP eine unbeabsichtigte und unangemessene Rechtswirkung entfalten könnten, so kann man sie beruhigen. In diesem Sinne hat der Kollege Ellerbrock gerade schon gesprochen. Denn die im Entwurf des Landesentwicklungsplans beschriebenen Ziele sind nicht wie im Antrag ausgeführt „bis zur Verabschiedung des LEP zu beachten“.
Ich will die Debatte nicht künstlich verlängern, indem ich die juristisch-fachlichen Unterschiede zwischen „berücksichtigen“ und „zu beachten“ im Einzelnen erläutere. Aber klar ist, dass sich in Aufstellung befindliche Ziele der Raumordnung nicht gegen zu beachtende Ziele des geltenden LEP aus dem Jahre 1995 durchsetzen können.
Der geltende LEP 95 enthält Ziele zu den im CDU-Antrag genannten Sachbereichen: Siedlungsstruktur, Flächenvorsorge, Verkehrsinfrastruktur, Energieversorgung. – Deswegen ist eben nicht zu besorgen, dass Festlegungen des LEP-Entwurfs in ihrer derzeitigen und gegebenenfalls – ich wiederhole es – noch zu ändernden Entwurfsfassung in diesen Sachbereichen vorzeitig eine unerwünschte Rechtswirkung entfalten. Den Hinweis auf das behördliche Handeln haben wir sehr ernst genommen.
Die Landesregierung sieht insofern überhaupt keine Veranlassung, den LEP-Entwurf für eine Überarbeitung zurückzuziehen.
Wir werden im Übrigen in dieser Haltung dadurch bestärkt, dass es neben den Änderungsvorschlägen und der sachlichen Kritik auch sehr viele Beteiligte gibt, die grundsätzliche Zustimmung zu einer Reihe von Zielen vorgetragen haben. Deswegen komme ich eindeutig zu dem Schluss: Ein Moratorium des neuen LEP wäre unangemessen und würde zu nichts führen – außer zu erheblichen Verzögerungen. Die wollen wir uns nicht leisten. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Schluss der Aussprache.
Wir stimmen ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5487 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr und den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.
Wir kommen zu:
7 Hochschulzukunftsgesetz (HZG NRW)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5410
Open Access im Hochschulgesetz verankern – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärken
Antrag
der Fraktion der
PIRATEN
Drucksache 16/5476
Ich eröffne die Aussprache. Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die amtierende Landesregierung ist 2010 und 2012 mit dem Versprechen in den Wahlkampf gegangen, Bildung wieder als eine öffentliche Aufgabe zu behandeln. Dafür haben uns die Wählerinnen und Wähler einen klaren Auftrag erteilt. Das gilt in ganz besonderer Weise für die Wissenschaftspolitik. Das Weltbild von der Bildung als Ware und der unternehmerischen Hochschule teilt die Mehrheit der Menschen nicht. Bildung ist ein gesellschaftlicher Auftrag und muss allen offenstehen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Als ersten Schritt haben wir deshalb die Studiengebühren abgeschafft.
(Marcel Hafke [FDP]: Die Beiträge!)
Als zweiten Schritt reformieren wir nun das Hochschulrecht. Damit lösen wir ein weiteres Versprechen des Koalitionsvertrags ein. Dass wir diese Reform besonders engagiert und gerne zugespitzt diskutieren, ist vollkommen richtig. Ich wäre auch enttäuscht, wenn das nicht so wäre. Denn Bildung ist ein wichtiges Thema, und es lohnt sich, um den richtigen Weg zu streiten. Wir wollen, dass die Politik bei der wichtigsten gesellschaftlichen Frage des 21. Jahrhunderts, der Bildung, nicht bloß Zaungast ist.
Meine Damen und Herren, das aktuelle Hochschulgesetz gibt keine Antworten auf die Fragen der Zukunft. Es gibt keine Antworten auf wichtige Fragen wie den Studienerfolg, die demokratische Mitwirkung, die Frauenförderung oder die fairen Arbeitsbedingungen. Das Hochschulzukunftsgesetz setzt hier klare Akzente.
Konkret:
Das Hochschulzukunftsgesetz hebt gute Arbeit in Gesetzesrang. Es fordert einen Rahmenkodex, um die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen aus der Abwärtsspirale der letzten Jahre zu befreien. Gemeinsam mit den Hochschulen und den Landespersonalrätekonferenzen werden wir Maßstäbe setzen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienen gute Beschäftigungsbedingungen. Denn sie legen mit ihrer Arbeit den Grundstein für den Erfolg unserer Hochschulen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Das Hochschulzukunftsgesetz steht für eine echte Förderung von Frauen. Angesichts einer Professorinnenquote von rund 20 % verankern wir das Kaskadenmodell, quotieren die Hochschulräte und bringen mehr Frauen in die Verwaltungsräte der Studentenwerke.
Das Hochschulzukunftsgesetz fördert die hochschulinterne Demokratie und schafft in den Hochschulen eine zukunftsfähige Managementstruktur. Dazu modernisieren wir die Hochschulverfassung und bringen das Spiel der hochschulinternen Kräfte wieder ins Gleichgewicht. Hochschulen sind schließlich auch Schulen der Demokratie.
(Beifall von der SPD)
Deshalb stärken wir zum Beispiel den Senat und ermöglichen die Gruppenparität. Dabei lassen wir Raum für individuelle Lösungen.
Das Hochschulzukunftsgesetz sieht im Diversity Management nicht bloß eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. 27 % der Studierenden in NRW haben zum Beispiel einen Migrationshintergrund, 13 % leben mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, 4,5 % der Erstsemester in Nordrhein-Westfalen haben kein Abitur. Damit liegen wir bundesweit an der Spitze. Angesichts dieser Fakten wird der Umgang mit Vielfalt und unterschiedlichen Startbedingungen der Studierenden zu einem ganz entscheidenden Faktor für die Zukunftsfähigkeit einer Hochschule. Deswegen nehmen wir den Aspekt Diversity in den Aufgabenkatalog der Hochschulen auf.
(Beifall von der SPD)
Das Hochschulzukunftsgesetz macht Studienerfolg zu einem Indikator für erfolgreiche Hochschulen. Wir können und wollen uns die Verschwendung von Talenten, Zeit und Steuergeld durch eine viel zu hohe Abbrecherquote nicht länger leisten. Wenn zum Beispiel an den Universitäten in den Ingenieurwissenschaften 46 % ihr Studium abbrechen, dann läuft etwas schief.
Deshalb haben wir gemeinsam mit den Hochschulen das Maßnahmenpaket „Erfolgreich studieren“ geschnürt. Im Hochschulzukunftsgesetz schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass mehr junge Leute ihr Studium erfolgreich abschließen können – und zwar ohne Abstriche bei der Qualität. Zum Beispiel ermöglichen wir flexiblere Studienmodelle, das Studium in Teilzeit und eine individuelle Regelstudienzeit. Wir versetzen die Hochschulen in die Lage, ihre Absolventen zu befragen, eine verbindliche Studienberatung einzuführen und vieles mehr.
Der Gesetzentwurf ist von der intensiven Dialogkultur der letzten Jahre geprägt. Im Rahmen der Anhörung der Hochschulen und Verbände konnten wir zahlreiche gute Anregungen in den Entwurf aufnehmen und Missverständnisse ausräumen.
Wir konnten zum Beispiel Klarheit darüber schaffen, welche Transparenz wir in Zukunft bei der Forschung mit Drittmitteln einfordern.
Der Prozess der Landesplanung und die Abstimmungswege zwischen Landesregierung, Parlament und Hochschulen sind jetzt klarer beschrieben. Wir werden die engen Finanzverflechtungen zwischen dem Land und den Hochschulen weiterentwickeln und damit auch eine Anregung des Landesrechnungshofes aufgreifen. Wir schaffen einen Liquiditätsverbund, der die Finanzierung der Hochschulen sichert und zugleich die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahrt.
Bei vielen wichtigen Punkten konnten wir im Laufe der Gespräche einen weitgehenden Konsens erzielen.
Von Beginn an nicht verhandelbar war jedoch unsere Forderung nach mehr Transparenz. Hierbei geht es tatsächlich darum, dass wir wissen wollen, was mit dem Steuergeld an den Hochschulen geschieht.
(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])
In diesem Jahr sprechen wir dabei von einem Rekordbudget in Höhe von rund 6 Milliarden €. Dabei geht es nur um einige wenige vergleichbare Datensätze. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich ein in sich stimmiges Controlling im Hochschulbereich, das führen wir mit dem Hochschulzukunftsgesetz jetzt endlich ein.
Das Hochschulzukunftsgesetz bringt Hochschulen, Landesregierung und Parlament in einer gemeinsamen Entwicklungsplanung zusammen. Sie alle tragen für unsere Hochschulen Verantwortung und werden durch das Hochschulzukunftsgesetz nun in die Lage versetzt, diese Verantwortung im Rahmen einer neuen Governance-Struktur auch wahrzunehmen.
In der Verantwortung des Landes liegt insbesondere ein angemessenes und ausreichendes landesweites Angebot an Hochschulleistungen. Das umfasst zum Beispiel solch grundsätzlichen Fragen wie ein überregional abgestimmtes Fächerangebot, eine ausgewogene Fächervielfalt oder auch die Auslastung der Kapazitäten. Hier gilt: Wenn 37 Hochschulen für sich planen, kommt nicht automatisch das beste Ergebnis für das gesamte Land heraus.
(Lachen von der CDU)
Was für eine einzelne Hochschule rational ist, bildet nicht automatisch gemeinsame Interessen ab. Diesen Irrweg des Neoliberalismus beenden wir mit diesem Gesetz. Wir ermöglichen eine Landeshochschulentwicklungsplanung, die die Anforderungen an das Hochschulsystem in Nordrhein-Westfalen formuliert.
Konkretisiert und verbindlich wird die gemeinsame Planung dann durch individuelle Verträge mit den einzelnen Hochschulen, in denen Rechte und Pflichten sowohl des Landes als auch der einzelnen Hochschule festgehalten sind.
Damit sowohl das Land als auch die Hochschulen sicher sein können, dass alle Beteiligten sich an die Regeln halten, besteht die Möglichkeit, unter sehr engen Voraussetzungen einen angemessenen Teil der Landeszuschüsse an die Hochschulen zurückzuhalten. Das Land hat so die Möglichkeit, sicherzustellen, dass die Vereinbarungen kein Papiertiger sind.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Zusätzlich kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschulen Rahmenvorgaben machen. Der Anwendungsbereich solcher für Hochschulen gültigen Rahmenvorgaben ist klar beschränkt. Er umfasst laut Gesetz die genau umgrenzten Bereiche der Personalverwaltung, der Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten und das Gebühren-, Kassen- und Rechnungswesen.
Es geht um ehemals staatliche Aufgaben und nicht um inhaltliche Fragen von Forschung und Lehre. Es geht dabei – wohlgemerkt! – um den Umgang mit Steuergeld in öffentlichen Hochschulen, und zwar in Form von allgemeingültigen Standards. Eingriffe in Einzelfällen sind ausgeschlossen – übrigens im Gegensatz zu anderen Bundesländern, zum Beispiel Sachsen, wo das Ministerium sich bei Personalfragen die Fachaufsicht über die eigentlich selbstständige Hochschule vorbehält.
Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen bleibt mit dem Hochschulzukunftsgesetz in Sachen Hochschulautonomie die Nummer eins unter allen Bundesländern.
(Marcel Hafke [FDP]: Das meinen Sie doch nicht ernst!)
Es gibt also keinen Grund, die auch heute zu erwartenden Empörungsrituale – Sie treiben sie gerade wieder voran –
(Marcel Hafke [FDP]: Das sind keine Rituale!)
weiter auf die Spitze zu treiben. Der Blick über den Tellerrand zeigt: Wer sich so empört, wie Sie von CDU und FDP das in den letzten Wochen und Monaten getan haben, steht mit seinem Verständnis von Hochschulautonomie ziemlich einsam da.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU – Lachen von der FDP)
Sie müssen sich das anhören.
(Christof Rasche [FDP]: Ihre Kollegen müssen sich das anhören!)
Keine andere Landesregierung, egal welcher politischen Couleur, hat das geltende Hochschulrecht in Nordrhein-Westfalen kopiert. Keine einzige!
Das Hochschulzukunftsgesetz bringt Freiheit und staatliche Verantwortung wieder zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass wir einen guten Gesetzentwurf vorgelegt haben. Wir sorgen dafür, dass die Hochschulen in NRW auch in Zukunft stark bleiben.
Ich bin auf Ihre konstruktiven Gegenvorschläge gespannt.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Das ist es nämlich, was ich bisher vermisse. Mit einem bequemen „Alles soll so bleiben, wie es ist“ werden wir die vor uns liegenden Herausforderungen jedenfalls nicht bewältigen können. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze. – Als nächster Redner spricht für die Fraktion der Piraten der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Da ist er endlich, der lang ersehnte Hochschulgesetzentwurf. Zum Glück, kann man sagen, nur ein Entwurf; denn das, was wir da lesen müssen, hat mit Hochschulzukunft leider nicht wirklich viel zu tun.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN und Dr. Stefan Berger [CDU])
– Ach! Warten Sie mal ab! – Zaghafte Anstrengungen zur Demokratisierung der Hochschulen sind zwar zu erkennen, werden allerdings nicht klar formuliert, sondern eher auf die Grundordnungen der Hochschulen abgewälzt.
Sie, Frau Ministerin Schulze, haben immer betont, Leitplanken einziehen zu wollen. Dem wird nach unserer Auffassung dieser Gesetzentwurf nicht gerecht.
Wir müssen aber das bisherige sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz durch ein modernes Gesetz ersetzen, das den Ansprüchen von Demokratie und Transparenz wirklich gerecht wird. Dabei sind folgende auch in den bisherigen Zuschriften als wichtig angesehene Grundsätze zu beachten:
Erstens. Der Senat nimmt anstelle des abzuschaffenden Hochschulrates die Kontrollfunktion gegenüber der Hochschulleitung wahr. Hochschulräte sind, wie von mehreren Gerichten schon bestätigt, demokratisch nicht legitimiert und auch aus Sicht der grundgesetzlichen Freiheit von Forschung und Lehre nicht sachdienlich.
Zweitens. Im viertelparitätisch besetzten Senat werden alle Entscheidungen über die Ausrichtung und Wirtschaftsführung der Hochschulen getroffen; denn genau da gehören sie demokratisch auch hin.
Drittens. Die akademische und die studentische Selbstverwaltung bleiben erhalten. Ihre Strukturen werden gestärkt. Demokratie kann nur funktionieren, wenn sie auch gelebt wird. Dafür sind akademische und studentische Selbstverwaltungen ein Garant.
Viertens. Ein neues, modernes und transparentes Finanzberichtswesen muss etabliert werden, damit Politik und Gesellschaft nachvollziehbar wissen, was mit den öffentlichen Geldern in Milliardenhöhe an den Hochschulen geschieht. Das wollen die Hochschulen auch. Aber dieser Gesetzentwurf ist da nicht konkreter geworden.
Fünftens. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihr Bestreben der Erforschung, Vermehrung und Vermittlung von Wissen und Informationen werden in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Hochschulen sind immer nur Orte der Wissenschaft und nicht die Wissenschaft selbst.
Sechstens. Die Arbeitsverhältnisse an den NRW-Hochschulen müssen überprüft und die Anzahl von Befristungen und prekären Beschäftigungsverhältnissen muss minimiert werden, damit der Arbeitsplatz Hochschule wieder an Attraktivität gewinnt, auch in dem Sinne, dass den dort Beteiligten so etwas wie eine Lebensplanung ermöglicht wird. Hier reichen Freiwilligkeit und das Hoffen auf die Einsicht der Hochschulen nicht aus.
Es war ein Fehler, den Hochschulen die Personalhoheit anzuvertrauen; denn für die Beschäftigten ist das ein Nachteil. Auch das gehört zu den bisher ungenannten Wahrheiten des Hochschulfreiheitsgesetzes.
Siebtens. Die Offenlegung der Zahlen und Verträge aller Drittmittelprojekte der NRW-Hochschulen muss garantiert werden. Hier haben Sie, Frau Ministerin, der aufgebauten Drohkulisse der Abwanderung von Unternehmen vom Forschungsstandort NRW nicht standhalten können. Die Abschwächung im Regierungsentwurf ist nicht zu rechtfertigen. Wir wollen doch nicht, dass, wie an der Universität zu Köln, weiterhin Prozesse zur Informationsveröffentlichung geführt werden. Auch hier sieht man, dass die Interessen der Wirtschaft höher bewertet werden als die der Bürgerinnen und Bürger.
Achtens. Die Implementierung von Open Access in den Hochschul- und Forschungsalltag wird festgeschrieben. Dazu wird mein geschätzter Kollege Bayer nachher noch horizonterweiternd für Sie tätig werden.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
Neuntens. Die Grundprinzipien eines offenen, innovativen Netzwerks der akademischen Bildung in Nordrhein-Westfalen, in denen sowohl Wettbewerbs- als auch Kooperationserfordernisse in ausbalancierter Weise zur Geltung kommen, werden durch die Hochschulen selbst erarbeitet.
Der aktuelle Gesetzentwurf schneidet zwar viele Dinge an – das ist erfreulich –, aber er bleibt auf halber Strecke stehen. Wir bleiben bei unserer Bewertung, dass der Landesregierung der Gestaltungswille und der nötige Mut fehlen, auch unpopuläre Entscheidungen gegen Lobbyinteressen der Wirtschaft und der Hochschulleitungen zu treffen. Das zu ändern liegt jetzt an uns im Parlament. Aber wenn wir uns anschauen, in welche Reflexhaltungen SPD und Grüne verfallen, wenn der Wind entgegenbläst, erkennen wir, dass wir da leider nicht so viel erwarten können.
Diskutieren Sie in der Sache, und diskutieren Sie vor allem mit den Betroffenen auf Augenhöhe, und zwar mit allen Betroffenen, nämlich den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Der sogenannte offene Dialogprozess hat anscheinend zu einer breiten Ablehnung der Pläne geführt. Aber wir freuen uns auf die Debatten im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Schultheis.
Karl Schultheis*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu der Aussage, reflexartig zu reagieren – um bei dem Bild von Herrn Kollegen Paul zu bleiben –, fällt mir ein Beispiel ein, das mir kürzlich eine kluge Frau an die Hand gegeben hat. Sie hat mir nämlich gesagt: Wenn man in den Rückspiegel schaut, sieht man sich vielleicht noch selbst, aber nicht, wohin man fährt.
(Beifall von der SPD)
Das ist Ihre Haltung, wenn es darum geht, das Hochschulrecht in Nordrhein-Westfalen zu novellieren. Das sollten Sie sich wirklich zu Herzen nehmen.
(Zurufe von der CDU)
Meine Damen und Herren, die Einbringung des Entwurfs für das Hochschulzukunftsgesetz ist in der Tat ein Meilenstein in der weiteren Entwicklung des Hochschulrechts in Nordrhein-Westfalen. Ich darf sagen, dass wir uns damit auf der Zielgeraden befinden. Die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung und die Landesregierung haben den Gesetzentwurf auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen auf den Weg gebracht.
(Zuruf von der FDP: Pure Ideologie!)
– Ich lese Ihnen die Punkte einmal vor. Vielleicht ist das auch ganz gut, um Ihnen in Erinnerung zu bringen, die dort vereinbart worden sind. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Koalitionsvertrag von SPD und Grünen. Dort heißt es nämlich:
„Mehr demokratische Beteiligung aller Gruppen innerhalb der Hochschulen durch die deutliche Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Studierenden und des Mittelbaus, unter anderem durch die Einführung einer Viertelparität.
Die Zuständigkeiten und die Zusammensetzung der Hochschulorgane werden neu aufeinander abgestimmt. Das gilt insbesondere für die bisherigen Hochschulräte und die Senate.
Die Senate werden gestärkt.
Der Frauenanteil in den Hochschulgremien soll deutlich erhöht werden.“
Schlussendlich heißt es:
„Der Landtag beschließt auf Vorlage der Landesregierung künftig in regelmäßigen Abständen einen Landeshochschulentwicklungsplan, in dem die strategischen Ziele für die gesamte Wissenschaftslandschaft in NRW festgelegt werden.“
Meine Damen und Herren, was ist daran Ideologie?
(Beifall von der SPD)
Es tut mir schrecklich leid – aber das sind Vorgaben, die der demokratischen Kultur entsprechen und auf dem geltenden Recht unserer Hochschulen aufbauen.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Sie goutieren nicht, was in der Anhörung gesagt wurde!)
– Nein, nein, sehr geehrter Herr Dr. Berger. – Dazu muss ich jetzt sagen: Bei den Anhörungen ist die Anwesenheit der Mitglieder der CDU-Fraktion immer sehr gering. Meistens sind Sie allein dort. Aber gut, es ist die Entscheidung der CDU-Fraktion, wenn sie meint, dass das reichen soll. – Das sei nur am Rande bemerkt.
Wir befinden uns also auf der Zielgerade, was die Beratung dieses Gesetzentwurfs angeht. Jetzt müssen die Entscheidungen getroffen werden. Wir gehen davon aus, dass das Hochschulzukunftsgesetz zum Wintersemester 2014/2015 in Kraft treten kann.
Dialogprozess: Frau Ministerin Schulze – ich glaube, es gibt kaum vergleichbare Beispiele, was die Gesetzgebungsverfahren in NRW angeht – hat innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren mit den unterschiedlichsten Statusgruppen, mit der Öffentlichkeit und mit dem Parlament einen Dialogprozess organisiert, der vorbildlich ist. Es sind so viele Menschen an der Meinungsbildung und schlussendlich auch an der Willensbildung beteiligt worden wie in kaum einen anderen Gesetzgebungsverfahren.
(Beifall von der SPD)
Das sollte auch einmal lobend anerkannt werden. Das ist nicht einfach.
(Zurufe von der CDU)
– Herr Kollege Prof. Sternberg, Sie haben immer die Wahrheit für sich gepachtet. Das unterscheidet uns eben voneinander, dass wir demokratisch orientiert die Meinung derjenigen einholen, die von den Gesetzen betroffen sind und mit den Gesetzen arbeiten sollen.
(Zuruf von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])
Zu den übrig gebliebenen Punkten, die weiter in der Diskussion stehen: Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass zu einem Großteil die Punkte, die in der Verbändeanhörung vorgetragen wurden, in dem jetzigen Gesetzentwurf abgearbeitet worden sind. Die wenigen Punkte, die übrig geblieben sind, werden wir jetzt im weiteren Verfahren sicherlich beraten.
Aber es lohnt sich einfach, die wesentlichen Punkte der Philosophie dieses Gesetzentwurfs noch einmal in den Mittelpunkt zu stellen, weil die in der Debatte, die öffentlich transportiert wird, meines Erachtens zu stark in den Hintergrund gerückt werden. Es geht in der Tat um die Verbesserung der Studienbedingungen für die Studierenden. Die Hochschulen sind für die Studierenden da, für die Forschung und für die Lehrenden. Die Studienbedingungen an unseren Hochschulen müssen verbessert werden.
(Angela Freimuth [FDP]: Dazu steht im Gesetz nicht eine Passage!)
Es geht um das Teilzeitstudium, das verbessert werden soll. Es geht um verbesserte Zugangsbedingungen für Studierende aus unterschiedlichsten Bildungsgängen, die in die Hochschule führen. Es geht um die Frage Diversity. Frau Ministerin Schulze hat darauf hingewiesen. Es geht um die Gleichstellung von Männern und Frauen in den Hochschulen, auch im Studium.
Es geht um die demokratische Teilhabe, denn in unseren Hochschulen werden doch die Führungskräfte dieser Republik ausgebildet. Wenn man dort nicht in demokratischen Strukturen lebt – wie soll man sie dann nachher in der Gesellschaft vorleben? Das muss auch in einen solchen Prozess aufgenommen werden, meine Damen und Herren.
Es geht auch um Transparenz. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Sie, wenn es um Betriebswirtschaft, um Volkswirtschaft geht, Begriffe wie „Compliance“ oder „Unternehmenskodex“ immer im Munde führen. Wenn es richtig ist, dass es solche Vorgaben gibt, dann gilt das auch für unser Hochschulwesen und gilt auch für die öffentliche Verwaltung.
(Beifall von der SPD)
Das wird hier umgesetzt, meine Damen und Herren. Und es geht natürlich auch um die gemeinsame Verantwortung von Landtag, Landesregierung und Hochschulen. Es ist eine öffentliche Aufgabe, die hier wahrgenommen werden muss. Wir wollen dies auch ganz bewusst tun.
Das heißt allerdings auch, dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen nicht nur sozusagen Hausnummern an unsere Hochschulen überweist und dann sagt, was mit diesem Geld gemacht werden soll, sondern dass der Landtag auch sagt, wo die strategischen Ziele dieses Landes in der Wissenschaftspolitik, in der Forschungspolitik liegen, und dass dafür auch mit den Hochschulen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden.
(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])
Das ist ein Selbstverständnis, das wir als Landtag von Nordrhein-Westfalen nicht aufgeben wollen und auch nicht aufgeben können. Damit nehmen wir die Gewährträgerschaft gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land wahr, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Prof. Sternberg?
Karl Schultheis*) (SPD): Sehr wohl, gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. – Herr Sternberg.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Meine Frage geht dahin: Sie haben gerade gesagt, dass das Parlament gestärkt wird. Jetzt lese ich hier in der Vorlage, die wir heute zum Gesetzentwurf haben, dass die Berichtspflichten gestrichen werden und auch die Befristung aufgehoben wird. Handelt es sich um eine Stärkung des Parlamentes, wenn hier – das ist nur ein Detail – maßgebliche Dinge außerhalb des Parlamentes vom Ministerium entschieden werden können und nicht mehr dem Parlament vorgelegt werden müssen?
Karl Schultheis*) (SPD): Die Berichtspflicht einer Landesregierung gegenüber dem Parlament bleibt immer bestehen, Herr Kollege Sternberg. Das ist unser Selbstverständnis.
(Beifall von der SPD)
Der Kern ist doch: Wir wollen einen Landeshochschulentwicklungsplan beschließen, der in Zukunft die zentralen strategischen Vorgaben macht, auf deren Basis die Landesregierung mit den Hochschulen dann auch vertragliche Vereinbarungen schließt. Und das ist eine Möglichkeit für das Parlament, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess einzubringen, die wir bisher nicht haben.
Insofern sehe ich sehr wohl eine Stärkung unseres Parlaments. Es hängt natürlich immer davon ab, wie man seine Möglichkeiten auch wahrnimmt. Wir wollen diese Möglichkeiten offensiv wahrnehmen, meine Damen und Herren.
Das Thema Autonomie steht im Mittelpunkt. Die Autonomie ist in vollem Umfang gewahrt. Wir werden die Autonomie – Frau Ministerin hat noch einmal deutlich gemacht, dass wir hier nach wie vor das Bundesland Nummer eins sind – auch sehr genau im Auge behalten. Wir wollen die Autonomie unserer Hochschulen nicht beschädigen, wie behauptet wird – ganz im Gegenteil.
Schauen Sie sich die anderen Hochschulrechte in der Bundesrepublik Deutschland an! Dann werden Sie sehen, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen auf wesentliche Einflussnahme verzichten, was es im Land Bayern oder in Baden-Württemberg oder auch im eben genannten Sachsen nicht gibt. Hier bleiben wir dabei: Unsere Hochschulen bleiben Anstalten öffentlichen Rechts. In das Alltagsgeschäft unserer Hochschulen wird nicht eingegriffen. Dafür gibt es eine Stärkung der Gremien, der Organe der Hochschulen, die hier ihre Aufgabe wahrnehmen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich will kurz noch Stellung nehmen zu dem Antrag, der in diesen Kontext der Einbringung dieses Hochschulgesetzes geraten ist. Open Access ist eine Detailfrage, aber keine unwichtige, zugestandenermaßen. Man darf auch nicht den Eindruck erwecken, als ob wir uns hier am Anfang der Geschichte befänden. Es gibt ganz wesentliche Möglichkeiten, auch bisher, was die Publikationen im Bereich der Wissenschaft und Forschung angeht, auch Open-Access-Möglichkeiten zu nutzen, wenn ich allein an das „Digital Peer Publishing“ denke. Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Menge anderer Möglichkeiten.
Wichtig ist – deshalb begrüße ich auch die Regelungen in der Koalitionsvereinbarung von SPD, CDU und CSU auf Bundesebene –, dass hier auch weitere gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um Open Access zu stärken. Wir sehen sehr wohl, dass das erforderlich ist, insbesondere auch durch eine Novellierung des Urheberrechtes, wenn es um das zweite Urheberrecht geht, um ein Beispiel zu nennen. Hier ist einiges zu tun.
Ich kann Ihnen zusagen, dass wir in der weiteren Beratung des Gesetzes auch diesen Aspekt prüfen werden, inwieweit hier landesrechtliche Handlungserfordernisse bestehen.
Meine Damen und Herren, abschließend nochmals: Ich darf Sie einladen, wirklich in eine Diskussion einzusteigen, die sich an der Sache orientiert. Sie sprechen immer vom Weg. Ich habe immer das Gefühl, Sie wollen gar keinen Weg beschreiten, Sie wollen stehen bleiben. Das unterscheidet uns. Wir laden Sie wirklich ein, in eine offene Diskussion einzusteigen.
Eine Bitte habe ich allerdings an die Kolleginnen und Kollegen, auch an diejenigen, die sich ansonsten an dem Diskussionsprozess um unsere Hochschulgesetzgebung beteiligen:
Ich persönlich bin der Meinung, dass hier Stil und Sprache, die eingesetzt werden, auch dem Gegenstand, um den es hier geht, und auch dem Ansehen der Wissenschaft entsprechen müssen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich hoffe, dass wir bei der Beratung im Parlament hier einen Schritt weiterkommen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Kollege Dr. Berger.
Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte beginnt die parlamentarische Auseinandersetzung um einen Gesetzentwurf, der wie kein anderer dieser rot-grünen Regierung von einem nie dagewesenen Bündnis aller Beteiligten abgelehnt wird. Keine andere Ministerin dieses Kabinetts ist im Laufe einer Vorfelddebatte so sehr in die Kritik geraten wie Sie, Frau Schulze. Sie haben gesagt, Sie wollten Betroffene zu Beteiligten machen. Ich sage Ihnen: Sie machen Beteiligte zu Betroffenen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Alle spüren, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes erkennbar negative Folgen für alle Beteiligten haben wird. Verlierer werden am Ende alle sein: die Hochschulen, die bisher flexibel gesteuert wurden; die Studierenden, die von einem dynamischen Lehr- und Forschungsumfeld profitieren konnten; die Professorenschaft, die durch Flexibilität ihre Talente zeigen konnte. Nordrhein-Westfalen als Bundesland wird jetzt mit diesem Gesetzentwurf unnötigerweise eine zentnerschwere Last in den Rucksack gelegt.
Sie haben über Frauen, über gute Arbeit und über Demokratie gesprochen, aber die wichtigsten beiden Punkte, Forschung und Lehre, haben Sie überhaupt nicht erwähnt.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Angesichts dieser geballten Kritik ist es auch verständlich, dass wir jetzt heute diese Einbringung gar nicht prominent diskutieren, sondern lediglich als Tagesordnungspunt 7. Sie wollen jetzt Ihr Gesetz weitgehend unbemerkt von öffentlichem Interesse in den Landtag einbringen, und Sie haben auch dafür gesorgt, dass dieser Tagesordnungspunkt nicht prominent, sondern spät am Nachmittag behandelt wird. Allein das zeigt schon einiges.
(Widerspruch von der SPD)
Grundsätzlich aber gilt: Die Hochschulen sollen entmachtet werden. Sie sollen erst entmündigt und dann bevormundet werden. Am Ende steht eine Selbstermächtigung des Wissenschaftsministeriums am Parlament vorbei. Das alles machen Sie, weil das erfolgreiche Hochschulfreiheitsgesetz von Andreas Pinkwart geschleift werden soll.
Sie haben höhnisch erklärt: „Kein Gesetz hat eine Ewigkeitsgarantie“. Das hat Prof. Pinkwart aber auch gar nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ende 2012 sollte das Hochschulfreiheitsgesetz – so steht es auch in dem Gesetz – evaluiert werden. Diese Evaluation aber haben Sie gar nicht erst in Erwägung gezogen; denn sonst wären die positiven Wirkungen der Hochschulfreiheit auch Teil dieser Debatte geworden. Das wollten Sie verhindern. Sie haben jetzt auf über 360 Seiten vorgelegt, wie man die Hochschulen an die Kette legen kann, und Sie öffnen dem politischen Diktat Tür und Tor.
(Beifall von der CDU)
Unsere wichtigsten Kritikpunkte sind:
Erstens. Sie erfinden Rahmenvorgaben und erzeugen untergesetzliche schnelle Eingriffe am Parlament vorbei. Das Ministerium ermächtigt sich selbst zu Eingriffen im Bereich der Personal- und der Haushaltsverwaltung sowie der Wirtschaftsangelegenheiten, bei Gebühren-, Kassen- und Rechnungswesen – also grundsätzlich irgendwie bei fast allem. Das alles passiert am Parlament vorbei. Niemand – kein Student und kein Professor – hat mehr Einfluss auf die Abläufe zwischen Regierung und Hochschulen. Auch wir Parlamentarier haben das nicht.
Deswegen fordere ich auch alle Parlamentarier – insbesondere auch die Piraten, die auch immer gerne etwas von Partizipation erzählen – auf, als Parlamentarier diesen Punkt der Rahmenvorgaben entschieden zu bekämpfen, weil das undemokratisch ist. Ich hoffe auch, dass Sie, Frau Seidl – als Teil der Grünen, die das schon kritisch bemängelt haben –, Rückgrat beweisen und nicht dem Beispiel des grünen Teils am Kabinettstisch folgen und dem Gesetz zustimmen. Hier im Parlament sollten wir uns Rahmenvorgaben nicht bieten lassen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Zweitens. Sie führen einen Landeshochschulentwicklungsplan ein, über den Sie politischen Einfluss auf die strategische Ausrichtung der einzelnen Hochschule ausüben wollen. Selbst Fragen der Forschung werden als Gegenstand in diese Pläne aufgenommen. Es ist eben nicht so, wie Herr Schultheis eben erklärt hat. Da haben Sie die Unwahrheit gesagt.
(Karl Schultheis [SPD]: Hoppla! Hoppla!)
– Nein, nein! Hören Sie zu! – Der Landtag soll nämlich als Feigenblatt die Eckpunkte des Landeshochschulentwicklungsplans im Benehmen begleiten. Von Verabschiedung und Diskussion dieses Plans ist überhaupt nicht die Rede. Er wird vorgelegt. Wir sollen im Benehmen Ja sagen, und das war es dann!
Das ist das Gegenteil von politischer Beteiligung. Sie holen die Wissenschaftspolitik nicht ins Parlament, Sie führen sie am Parlament vorbei ins Ministerium. Das ist der zweite Punkt, den sich kein Parlamentarier bieten lassen kann!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Weigert sich eine Hochschule, so wird dann der eigene universitäre Hochschulplan verpflichtend verordnen. Das empfinde ich schon als Entmündigung und Bevormundung.
Drittens. Der Hochschulrat soll nicht nur bei der strategischen Ausrichtung der Hochschule, sondern auch bei der Wahl der Hochschulleitung entmachtet werden. Er ist nur zu 50 % an der Wahl der Hochschulpräsidenten beteiligt. Gut, darüber kann man reden. Die Ernennung eines Hochschulpräsidenten erfolgt dann allerdings wieder durch das Ministerium.
Es steht nun zu befürchten, dass die Entscheidungsträger, die Mitglieder im Hochschulrat sind, wenn sie nichts mehr entscheiden dürfen, dauerhaft kein Interesse mehr an einer Mitarbeit im Hochschulrat haben werden. 90 % der Hochschulräte sind eben nicht Wirtschaftsvertreter, sondern hochrenommierte Professoren. Damit droht ein unnötiger Verlust dieser Kompetenzen in der Wissenschaftspolitik.
Viertens. Es wird die Möglichkeit eröffnet, an den Hochschulen eine sogenannte Zivilklausel einzuführen. Den Hochschulen soll damit verboten werden, militärische Forschung zu betreiben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben jetzt an vielen Stellen in diesem Haus schon darüber diskutiert. Es ist nicht eindeutig abgrenzbar, wo militärische Forschung beginnt und wo sie endet. Zivilklauseln sind daher ein Mittel, um Forschungsvorhaben politisch diskreditieren zu können. Nicht mehr die Wissenschaft steht im Mittelpunkt der Debatte, sondern nur noch die politische Bewertung der Forschung. Spitzenwissenschaftler werden es sich sehr genau überlegen, ob sie an eine solche Hochschule nach Nordrhein-Westfalen kommen wollen. Das ist ein weiterer Nachteil für unser Land.
(Beifall von der CDU)
Fünftens. Dem Senat wird eine Viertelparität eingeräumt. Dadurch werden Entscheidungen logischerweise verlangsamt.
Sechstens. Sie schaffen zusätzliche Gremien, Sie dehnen Anhörungsrechte aus, Entscheidungen werden verzögert; sie werden dem Einfluss organisierter politischer Interessen viel stärker ausgesetzt sein. Das wollen Sie ja. Sie wollen mehr Diskussionen und Demokratie in die Gremien der Hochschulen bringen. Das kann man zwar als Ziel aufrufen; wir glauben aber, dass dies nicht geeignet ist, Hochschulen im 21. Jahrhundert erfolgreich managen zu können.
Siebtens. Die Anforderungen an das Studium werden aufgeweicht. Der Entwurf spricht nicht mehr von Noten, er spricht von Bewertungen. Zudem sollen auch die Anwesenheitspflichten von Studierenden in Lehrveranstaltungen abgebaut werden. Hier gilt: Wieso ist an dieser Stelle auch wieder eine Detailsteuerung bis in das einzelne Seminar hinein nötig? Der Professor, der Lehrende weiß doch selber am besten, in welcher Veranstaltung eine Anwesenheitspflicht angebracht ist und wo nicht. Im Übrigen lebt eine Hochschule auch vom Diskurs; denn sonst könnten wir im Grunde überall Fernunis einrichten. Ich bitte Sie, auch hierüber noch einmal nachzudenken.
Achtens. An einer Stelle sind Sie der Kritik, die so zahlreich eingegangen ist, entgegengekommen. Das war ausgerechnet ein Punkt, bei dem Sie es gar nicht wollten. Ihr erster Entwurf sah sehr umfangreich die Veröffentlichung von Drittmitteln vor. Daran hat sich eine breite Kritik von Forschern, Hochschulen und Wirtschaft entzündet. Ihr jetzt vorliegender Entwurf ist in diesem Punkt völlig entschärft.
Ich habe gehört, dass hier auch der Wirtschaftsminister tätig gewesen ist. Es dürften also keine einfachen Debatten gewesen sein. Jetzt sollen also nur noch abgeschlossene Vorhaben veröffentlicht werden. Diesen ganzen Ärger hätten Sie sich sparen können. Sie haben jetzt Ihren Koalitionspartner verärgert. Den Grünen ist das Thema „Transparenz“ sehr wichtig.
Ihr Vorgänger Andreas Pinkwart hatte eine Regelung geschaffen, bei der Sie jetzt wieder angekommen sind, und mit der alle gut leben können. Dass Sie jetzt, am Ende der Debatte, wieder an einem Punkt gelandet sind, den Andreas Pinkwart schon vor acht Jahren ins Gesetz geschrieben hat, zeigt, dass Sie Ihrem Ministeramt nicht gewachsen sind. Mit einer Verantwortung der Wissenschaft gegenüber hat dieses Verfahren gar nichts zu tun.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Dr. Berger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Abel?
Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, bitte.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.
Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Dr. Berger, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Ich habe mich gemeldet, als Sie sich zur Veröffentlichung der Drittmittel geäußert haben. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie in der ersten Runde der parlamentarischen Debatte noch gesagt, dass das Ganze des Teufels sei. Im Ausschuss haben Sie gesagt, wir würden die Wirtschaft aus dem Land treiben.
In der zweiten Runde haben Sie dann gesagt, das alles sei überhaupt nicht nötig, das stünde schon im Hochschulfreiheitsgesetz.
Nun sagen Sie, dass durch die Konkretisierung, die vorgenommen wurde – in der Tat war der Begriff „Forschungsvorhaben“ in der Landschaft und teilweise auch von Ihnen mutwillig anders interpretiert worden –, das Ganze völlig okay sei.
Wie stehen Sie denn nun zur Veröffentlichung von Drittmitteln an Universitäten? Können Sie das vielleicht einmal erklären?
Dr. Stefan Berger (CDU): Gerne, Herr Kollege. Im Wesentlichen steht jetzt das im Gesetz, was vorher auch darin gestanden hat.
(Angela Freimuth [FDP]: Nein, das ist nicht richtig! Das steht eben nicht drin!)
Genau das wollten wir. Das ist für uns der Punkt, an dem wir sagen: Wir hätten uns die ganze Debatte sparen können, wenn wir nur abgeschlossene Forschungsvorhaben veröffentlichen.
(Beifall von der CDU)
Die weitgehende Abschaffung von Hochschulfreiheit, die Verlagerung von Kontrolle ins Ministerium, das Aufblähen von Mitbestimmungsgremien, die Detailsteuerung – alles das wird die gute Entwicklung, die wir in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen unzweifelhaft wahrgenommen haben, unzweifelhaft zum Erliegen bringen.
Der Bund stellt 3 Milliarden € für Forschung und Wissenschaft zur Verfügung. In Bayern und Baden-Württemberg werden Konzepte entwickelt, wie die vom Bund bereitgestellten Mittel abgerufen und eingesetzt werden können.
In Nordrhein-Westfalen findet das Gegenteil statt. Der Dialog mit den Hochschulen ist nachhaltig gestört. Sie haben dreieinhalb Jahre mit den Betroffenen gesprochen, haben Ihnen aber nicht zugehört. Sie haben deren Kritik nicht aufgenommen. Die Betroffenen fühlen sich von Ihnen nicht mitgenommen; viele sind verärgert und enttäuscht.
Mit dem Entwurf des Hochschulgesetzes, mit der Gehälteraffäre, mit der grünen Kritik reiht sich Tiefpunkt an Tiefpunkt in der Wissenschaftspolitik.
Ich appelliere jetzt an alle Abgeordneten von Rot-Grün: Dieses Gesetz enthält mindestens zwei Punkte, die wir uns als Parlamentarier so eigentlich nicht bieten lassen können.
Der gesamte Prozess zeigt: Planwirtschaft und Ministeriumsmacht will niemand und nützt auch niemandem. Ziehen Sie diesen Entwurf zurück! Nehmen Sie sich selbst als Parlamentarier ernst. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Dr. Seidl.
Dr. Ruth Seidl*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Berger, das, was Sie eben zum Thema „Transparenz in der Forschung“ gesagt haben, ist genauso von vorgestern wie das Hochschulgesetz von 2006.
Wie Sie vielleicht auch schon mitbekommen haben, haben inzwischen auch der Evonik-Vorstand sowie die Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen, mit denen ich gestern noch gesprochen habe, der geplanten Regelung im Gesetz zugestimmt, und zwar weil sie ausgewogen ist.
Hier ist, glaube ich, die Balance zwischen der Transparenzpflicht einerseits und den schutzwürdigen Interessen der Wirtschaft andererseits gefunden. Und das ist auch richtig so.
Im Übrigen gibt es auch vonseiten des Tierschutzes viel Beifall, zum Beispiel bei den Tierschutzverbänden. Beifall gibt es aber auch bei der Bayer Pharma, um einmal die gegensätzlichen Parteien zu nennen.
Worum geht es bei der Novellierung des Hochschulgesetzes heute? – Es geht um eine bessere Landesplanung, eine Austarierung der Zuständigkeiten von Senat und Hochschulrat, um mehr Transparenz, um Partizipation und Gleichstellung. Dabei orientieren wir uns als rot-grüne Koalition an der Vorstellung von Hochschulen, die autonom sind, aber in besonderer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Staat stehen.
Das von Ihnen, Herr Berger, 2006 auf den Weg gebrachte Hochschulfreiheitsgesetz hatte offensichtlich eine andere Vision, nämlich die der Privatisierung von Hochschulbildung, was insbesondere deutlich wurde, als der damalige Wissenschaftsminister zeitgleich mit den Studiengebühren um die Ecke kam.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sage Ihnen, Herr Berger: Niemand hat etwas dagegen, dass Fachhochschulen und Universitäten auch unternehmerisch tätig sein können oder Drittmittel einwerben. Aber im Kern sind Hochschulen eben keine Unternehmen. Sie stellen weder Produkte her, noch verkaufen sie sie. Sie sind vielmehr Wissenschaftseinrichtungen, bei denen die Freiheit von Forschung und Lehre im Mittelpunkt steht.
In Bezug auf das Leitbild von Hochschule kann man unterschiedlicher Meinung sein und das ideologisch rauf und runter diskutieren.
Aber wenn Sie sich die Rechtsprechung zu den Hochschulgesetzen in anderen Bundesländern ansehen, werden Sie erkennen, dass das bisherige Steuerungsmodell im Hochschulfreiheitsgesetz in entscheidenden Fragen rechtlich bedenklich ist. Es gibt Änderungsbedarf unter anderem bei der Rektoratswahl und bei der Beteiligung des Senats bei grundlegenden Angelegenheiten der Hochschule. Das sieht der vorliegende Entwurf in diesen Punkten vor.
Ein echter Webfehler war es auch, die Hochschulen rechtlich zu verselbstständigen und dabei zu vergessen, dass man für eine solch große Landschaft einen Masterplan braucht. Denn klar ist, dass Hochschulen, die sich in einem Wettbewerb untereinander befinden, kaum in der Lage sind, die landesweite Gesamtentwicklung im Blick zu halten und sich entsprechend untereinander abzustimmen.
Als neues Steuerungselement ist daher ein Landeshochschulentwicklungsplan vorgesehen, der dem Parlament Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Hochschulpolitik eröffnet,
(Widerspruch von Angela Freimuth [FDP] – Dr. Stefan Berger [CDU]: Falsch! – Angela Freimuth [FDP]: Frau Kollegin! – Weitere Zurufe)
indem er die grundsätzlichen strukturellen Leitlinien für die Weiterentwicklungen des Gesamtprofils der 37 nordrhein-westfälischen Hochschulen in den Blick nimmt.
(Widerspruch von Dr. Stefan Berger [CDU] – Zurufe von der FDP)
– Dann lesen Sie mal das Gesetz genau. Sie haben es eben nicht verstanden. Darüber werden wir uns im Ausschuss noch einmal en détail unterhalten. Diese Eckpunkte beschließt nämlich das Parlament.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Stefan Berger [CDU]: Nein! – Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)
– Oh ja. Vielleicht lesen Sie mal den Begründungsteil; dann fällt es Ihnen leichter, das zu verstehen.
(Marcel Hafke [FDP]: Lesen Sie selbst das Gesetz! – Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)
Sicherung der Fächervielfalt, Profilierungen, Festlegungen der Kapazitäten von Universitäten und Fachhochschulen oder qualitative Dimensionen des Arbeitsmarktes – um diese Themen geht es.
Es ist völliger Unsinn, wenn Sie in diesem Zusammenhang immer von „Detailsteuerung“ oder „ministerieller Steuerungswut“ sprechen, Herr Berger. Hier geht es vielmehr um eine Stärkung der Hochschulen durch den Gesetzgeber. Sie sichert den Hochschulen in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte – Sie wissen alle, dass das der Hintergrund ist – eine breite Legitimationsbasis.
(Angela Freimuth [FDP]: Hört, hört! – Weitere Zurufe von der FDP)
Wenn wir die Umsetzung – Herr Berger, Sie haben das als anderes Thema angesprochen – des Bologna-Prozesses vor dem Hintergrund der KMK-Strukturvorgaben und der Lissabon-Konvention betrachten und das an entscheidenden Punkten regeln wollen, tun wir das auch aus Verantwortung für unsere Studierenden.
Gerade die jüngsten Debatten über G8 oder G9 an den Schulen sowie über Arbeitsbelastung, Stofffülle und Prüfungsdichte in den Bachelor- und Masterstudiengängen zeigen, dass es an der Zeit ist, sich über die Kultur des Lehrens und Lernens an unseren Bildungseinrichtungen ernsthafte Gedanken zu machen.
Wie geht man mit dem Thema „Anwesenheitspflicht“ verantwortlich um? Wie kann es gelingen, in den modularisierten Studiengängen Raum und Zeit für mehr Flexibilität, forschendes Lernen und Reflexion des Gelernten zu schaffen? Wenn Sie hier von „Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit“ sprechen, ist das geradezu zynisch, Herr Berger.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich bin stolz darauf, dass wir neben Baden-Württemberg – dieses Land war ein kleines bisschen schneller mit der Einbringung des Gesetzentwurfs – die ersten sind, die eine flexible Frauenquote für Professuren gesetzlich verankern.
(Beifall von Renate Hendricks [SPD])
Frauen sind in Wissenschaft und Forschung nach wie vor unterrepräsentiert. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen bei der Gleichstellung sind wir an den Hochschulen nur im Schneckentempo vorangekommen. Das hat uns der Bericht des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung noch einmal sehr eindrücklich vor Augen geführt, den wir uns in der letzten Ausschusssitzung angehört haben.
Durch die Einführung verbindlicher Quotenregelungen auf der Leitungsebene und durch das Kaskadenmodell sorgen wir für mehr Geschlechtergerechtigkeit an unseren Hochschulen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch das Thema „Gute Arbeit“ – die Ministerin hat das eben angesprochen – für unsere Beschäftigten wird seit der Verselbstständigung der Hochschulen immer drängender. Der im Gesetzentwurf vorgesehene Rahmenkodex soll gleichwertige Arbeitsbedingungen für das wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Personal im Wege eines bindenden öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen den Hochschulen, den Landespersonalrätekonferenzen und dem Ministerium landesweit sicherstellen. Ziele sind unter anderem eine nachhaltige Personalentwicklung und die Verhinderung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die wir zurzeit in ganz Deutschland vorfinden.
Wer vor diesem Hintergrund immer noch von „Einschränkung der Autonomie“ spricht, lässt wesentliche Statusgruppen an unseren Hochschulen eiskalt außen vor. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in Bezug auf eine gute Lehre, nachhaltige Forschung, Gleichstellung und faire Arbeitsverhältnisse hat mit der Einschränkung von Autonomie oder gar Wissenschaftsfreiheit nicht im Geringsten etwas zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Verglichen mit allen anderen Bundesländern haben wir, was die Eigenverantwortung unserer Hochschulen angeht, nach wie vor das freiheitlichste Hochschulgesetz in der Bundesrepublik.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
In Berlin sitzt das Ministerium mit im Hochschulrat. In Bayern ist die Berufung von Professorinnen und Professoren originäres Recht des Ministeriums.
(Zuruf von den GRÜNEN: Hört, hört!)
In 15 Bundesländern sind die Hochschulen noch nachgeordnete Landeseinrichtungen, die der unmittelbaren Weisung des Ministeriums unterstehen.
(Arndt Klocke [GRÜNE]: Hört, hört!)
Das ist die Wirklichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.
Insofern hoffe ich, dass Sie künftig etwas maßvoller mit Begriffen wie „Entmündigung“ oder „Steuerungswut“ umgehen. Wir freuen uns aber auf die Diskussion in der kommenden Anhörung.
Wir sind gleichermaßen offen für alle vernünftigen und sachgerechten Änderungs- und Verbesserungsvorschläge. Kein Gesetz verlässt den Landtag so, wie es hineingekommen ist.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Ruth Seidl*) (GRÜNE): Ja, gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Dann bauen wir sie ganz schnell ein. Bitte schön, Herr Berger.
Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, Frau Kollegin. – Da Sie die Freiheit betont haben, frage ich Sie: Wie stehen Sie zum Instrument der Rahmenvorgaben?
Dr. Ruth Seidl*) (GRÜNE): Lieber Kollege, wir haben jetzt noch eine große Anhörung vor uns, in der wir über das Thema „Rahmenvorgaben“ ausführlich diskutieren können. Am Ende werden wir zu einer guten Lösung kommen und werden gegebenenfalls als Parlament Einfluss auf diese Rahmenvorgaben haben.
Ich bin guter Hoffnung, dass wir da zu einem positiven Ende kommen. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Das klang mal gut!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Frau Dr. Seidl. – Die FDP-Fraktion wird nun von Frau Kollegin Freimuth vertreten.
Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hochschulen haben die Freiheit des Hochschulfreiheitsgesetzes sehr verantwortungsvoll genutzt und trotz knapper Finanzmittel den doppelten Abiturjahrgang gemeistert, die Absolventenzahl gesteigert, mehr Drittmittel eingeworben und Exzellenz in der Forschung ausgebildet.
Es war also erfolgreich, den Hochschulen den größtmöglichen Handlungsspielraum zu eröffnen. Wir sollten unsere Hochschulen auf der Grundlage des guten geltenden Hochschulgesetzes auch weiter an der Fortschreibung dieser Erfolgsgeschichte arbeiten lassen, einer Erfolgsgeschichte, die im Übrigen unter dem heute in erster Lesung zu beratenden Gesetz nicht möglich gewesen wäre.
Dieser Gesetzentwurf bricht mit einer Politik des Landes der letzten 20 Jahre, den Hochschulen eben mehr Freiheiten zu gewähren. Dieser Gesetzentwurf offenbart das abgrundtiefe Misstrauen der Landesregierung gegenüber den Hochschulen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in Kürze, weil uns jetzt nur wenig Zeit für die Beratung zur Verfügung steht, nur einige wenige Punkte anführen.
Ihre „Problembeschreibung“: Bereits heute ist es Parlament und Regierung erlaubt, eine strategische Planung für den Wissenschaftsstandort zu entwickeln und diese über die Ziel- und Leistungsvereinbarungen auf Augenhöhe mit den Hochschulen dann auch gemeinsam partnerschaftlich umzusetzen. Sie haben das in vier Jahren eben nur nicht gemacht. Dieses Versäumnis, Ihr eigenes Versäumnis, nun als Problem zu beschreiben, das es faktisch nicht gibt, das hat schon was.
Zum Stichwort „Transparenz“, Frau Ministerin – es ist hier gerade angesprochen worden –: Es gibt so viele Berichte zu allem und jedem Thema von den Hochschulen, online und gedruckt. Aber es wird teilweise zugegeben: Ja, aber das liest doch keiner. – Aber das ist doch nicht das Versäumnis der Hochschulen, sondern hier gibt es die Transparenz, was mit den öffentlichen Mitteln passiert. Man muss dann in der Tat nur lesen.
Eine Ihrer Lösungen ist der Landeshochschulentwicklungsplan, der, als Rechtsverordnung im Benehmen mit dem Landtag zur Steuerung der Hochschulen genutzt, ein angemessenes – was auch immer das dann sein mag – Angebot an Hochschulleistungen erreichen soll. Benehmen: Wieder einmal „friss oder stirb“. – „Im Einvernehmen“ gäbe dem Parlament ja wenigstens noch Gestaltungsräume.
Meine Damen und Herren, die Hochschulen haben doch längst sehr verantwortungsvoll und effizient gehandelt. Das haben Sie sogar selbst auf meine Kleinen Anfragen hin bestätigt. Die kleinen Fächer sind quietschfidel. Es gibt eine größere Fächervielfalt und sogar genügend Studienplätze für Lehrer an Berufskollegs. Es wollen bloß zu wenige studieren. Offensichtlich soll hier in einem nächsten Schritt dann irgendwann auch der Zwang, ein solches Studium zu ergreifen, eingeführt werden,
(Beifall von der FDP)
etwa genauso wie bei dieser Frauenquote letztlich dann die Zwangshabilitation bei entsprechender Befähigung verankert werden soll.
Meine Damen und Herren, anstatt die Hochschulen in der Eigenverantwortung zu unterstützen, wollen Sie über die Landesplanung sogar in die Fragen der Forschung hineindiktieren. Meine Damen und Herren, haben Sie schon mal Art. 5 gelesen? – Wissenschaft und Forschung sind frei! Wir wollen weder eine Zensur noch eine Selbstzensur der Forschung.
Aus diesem Grund lehnen wir auch die von Ihnen geforderte Zivilklausel ab, weil Sie Forschung, Innovation und Fortschritt verhindert. Forschung muss frei sein, frei zur Verantwortung.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als weiteres Instrument in Ihrem Steuerungswahn – „Steuerung“ ist ein Wort, das häufig auftaucht – sollen Rahmenvorgaben zum Einsatz kommen. Eingestaubter Autoritätsglaube gepaart mit Regelungsfetischismus. Es tut mir leid. Das mag Ihnen nicht gefallen, aber genau das ist es.
Bei Verstoß gegen die Rahmenvorgaben können selbst unterjährig Mittel den Hochschulen entzogen werden, frei nach dem Motto: Wer nicht spurt, wird ausgehungert. – Eine solche Behandlung haben unsere erfolgreichen Hochschulen wahrlich nicht verdient.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Gerade dadurch wird Planungssicherheit gefährdet – mit Blick auf die befristeten Arbeitsverhältnisse an den Hochschulen ein Bärendienst.
Ist das Ihr Verständnis von „Guter Arbeit“? Wenn Sie daran wirklich etwas verbessern wollen, dann sollte man endlich mal die seit Jahren stagnierenden Globalmittel aufstocken.
Stichwort: Ihr dialogischer Stil. Die Beteiligten an den Hochschulen sind in der Vergangenheit in dem jetzt dreieinhalb Jahre andauernden „Dialog“ von Ihnen quasi ständig nur abgewatscht worden. Sie haben die massiven Bedenken ignoriert und die zahlreichen Änderungsvorschläge aus den Hochschulen verworfen.
Sogar Ihr eigener Koalitionspartner bleibt davon nicht verschont. Mir ist in der Tat völlig gleich, wer von Ihnen letztlich hier das Gesicht wahren kann. Der Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen ist zu wichtig für solchen Kinderkram.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zum Referentenentwurf ist nunmehr wieder vorgesehen, dass in den Hochschulräten auch wieder Hochschulmitglieder vertreten sein können. Prima.
Auch ist der Unsinn raus, dass den Universitäten das Promotionsrecht entzogen werden könnte, mal abgesehen davon, dass das sowieso das Verfassungsgericht gekippt hätte.
Gegenüber dem Referentenentwurf gibt es nun auch eine Änderung bei der Transparenzklausel betreffend die Forschung mit Mitteln Dritter. Herr Kollege Berger, es ist aber eben nicht die gute Regelung, die im Hochschulfreiheitsgesetz steht. Aber schon mal eine Abkehr von der ursprünglichen Idee, die nun wirklich der massive Beweis dafür war, dass diese Regierung von Wirtschaft und anwendungsorientierter Forschung sehr, sehr weit entfernt ist.
Jetzt ist eine Veröffentlichung abgeschlossener Projekte vorgesehen. Es fehlt aber ausdrücklich eine Zusicherung einer angemessenen Vertraulichkeit gegenüber den Drittmittelgebern. Auch wenn unsere Hochschulen den Datenschutz sicher sorgfältiger beachten als Teile Ihres Ministeriums, Frau Ministerin, braucht es eine weitere Garantie, wenn wir auch zukünftig private Drittmittelgeber gewinnen wollen, zum Beispiel aus dem Bereich unseres heimischen hochinnovativen Mittelstandes. Denn Evonik gilt da offen gestanden nicht meine Hauptsorge.
Völlig irrig ist weiter die Annahme, dass dieses Gesetz nicht zu Mehrkosten führen wird. Ihr Regulierungs- und Bevormundungswahn schafft Bürokratie und damit auch Kosten.
Ich würde mir wünschen, dass die Mitarbeiter Ihres Hauses ihre Ideen auf die Stärkung des Wissenschafts- und Forschungsstandortes verwenden dürften anstatt die Hochschulen gängeln zu müssen. Die Mitglieder in den Hochschulen haben bewiesen, dass sie in Freiheit und Verantwortung Großartiges leisten. Warum diese stattdessen Ihrem Bürokratismus frönen müssen, ist nicht nachvollziehbar.
Ein Mehr an Bürokratie verlangt dann in jedem Fall einen finanziellen Ausgleich. Sonst kann das eben nur zulasten von Lehre und Forschung gehen. Das wäre in der Tat fatal.
Wir müssen in der Tat die Studienbedingungen und die Betreuungsrelation für die Studierenden verbessern. Aber das steht leider nicht auf Ihrer Agenda. Schade eigentlich!
Was dieser Gesetzentwurf mit der Hochschulentwicklung für die Zukunft zu tun haben soll, bleibt wohl Ihr Geheimnis.
Frau Ministerin, Sie sind bislang auch jede schlüssige Antwort auf folgende Fragen schuldig geblieben: Warum erfolgte die im Gesetz vorgesehene Evaluation nicht? Was macht eine Rücknahme des Hochschulfreiheitsgesetzes aus Ihrer Sicht tatsächlich erforderlich? Und warum sind Sie mit der exzellenten Arbeit unserer Hochschulen unzufrieden?
Wir Liberalen sind stolz auf die Arbeit der NRW-Hochschulen. Wir wollen ihre Freiheit und Eigenverantwortung stärken und weiterentwickeln. Sie verdienen keinen Rückschritt in die hochschulpolitische Steinzeit.
Vielleicht lässt sich in den Beratungen das Schlimmste noch verhindern. Herr Kollege Schultheis, Frau Kollegin Seidl, seien Sie sicher: Wir werden mit sehr konstruktiven Vorschlägen in die Beratungen gehen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Freimuth. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Bell das Wort.
Dietmar Bell*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe beim letzten Mal an dieser Stelle sehr ausführlich zu der Frage Stellung bezogen, welcher Sprachstil in dieser Debatte eigentlich zugrunde gelegt wird – gerade von Ihnen, Herr Dr. Berger.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Ich kann heute konstatieren: Leider bleiben Sie Ihrem Stil treu. Aus meiner Sicht stellen Sie sich mit der Art und Weise Ihres Umgangs mit diesem Gesetz und den Kommentierungen, die Sie dazu abgeben, als Sprecher der größten Oppositionsfraktion hier im Haus selber ein schlechtes Zeugnis aus.
(Beifall von der SPD)
Zwei Dinge will ich aber doch noch einmal besonders herausstellen, weil ich sie schon bemerkenswert finde.
Erstens. Die Tagesordnung in diesem Parlament wird durch den Ältestenrat festgelegt.
(Marcel Hafke [FDP]: Ich würde an Ihrer Stelle einmal zum Inhalt des Gesetzes reden!)
– Herr Hafke, wenn jemand derart blödes Zeug erzählt wie Herr Dr. Berger, müssen Sie sich schon darauf einlassen, dass ich in der Replik auch darauf eingehe.
(Beifall von der SPD)
Die Tagesordnung dieses Parlaments wird durch den Ältestenrat festgelegt. Der Ältestenrat hat diese Tagesordnung einstimmig beschlossen. Sie beinhaltet auch die Festlegung, dass dieser Tagesordnungspunkt zu diesem Zeitpunkt aufgerufen wird. Jetzt beschweren Sie sich, das Ministerium oder die Ministerin hätte Einfluss darauf genommen,
(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])
sodass dieser Tagesordnungspunkt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr prominent diskutiert worden wäre.
(Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Das hat keiner gesagt!)
Lieber Herr Dr. Berger, ob dieser Tagesordnungspunkt prominent diskutiert wird oder nicht, hat doch auch entscheidend damit zu tun, wie Sie es schaffen, Ihre Kolleginnen und Kollegen in diese Plenarsitzung hineinzubringen, und welches Gewicht Sie in dieser Debatte einnehmen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich wäre an Ihrer Stelle da ein bisschen zurückhaltender.
Nun komme ich zu dem zweiten Punkt, den ich hier auch nur der guten Ordnung halber ansprechen möchte. Herr Dr. Berger, Sie haben meinen Kollegen Karl Schultheis gerade hier im Plenum der Lüge bezichtigt. Sie haben gesagt, er hätte gelogen.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Er hat die Unwahrheit gesagt!)
Sie sollten wirklich aufpassen, dass Sie hier im Haus bei bestimmten Debatten überhaupt noch ernst genommen werden. Nach meinem Eindruck halten Sie sich aus jedem Diskurs konstruktiver Art um dieses Gesetz heraus. Sie wollen sich überhaupt nicht einbringen. Ihre wissenschaftspolitische Leistung in diesem Plenum ist Klamauk und Überspitzung – und sonst nichts.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Jetzt noch 30 Sekunden zum Antrag!)
– Herr Hafke, wir können in Wuppertal gerne noch weiter miteinander diskutieren. Ich habe übrigens noch fast drei Minuten. Wenn Sie wollen, nehme ich sie auch noch wahr.
Frau Freimuth, auch Sie sollten aufpassen – bei aller Zuspitzung, die ich durchaus zugestehe –, dass hier nicht bestimmte Bilder geliefert werden, die mit dem Gesetzentwurf gar nichts zu tun haben. Sie versteigen sich hier dazu, am Beispiel der Berufskollegs zu sagen, wir würden möglicherweise sogar anstreben, in Zukunft einen Zwang zur Aufnahme von Studien vorzusehen. Das war Ihr Beitrag.
Daher sage ich an dieser Stelle noch einmal – ich habe Ihrem letzten Satz auch entnommen, dass Sie konstruktive Vorschläge in diese Debatte einbringen wollen –: Wenn wir ernsthaft über dieses Gesetz miteinander reden wollen, wird das maßgeblich von dem Stil abhängen, mit dem wir in der Debatte miteinander umgehen.
(Beifall von Karl Schultheis [SPD])
Ich sage Ihnen das, weil das natürlich für die Frage, wie die Debatte in der Perspektive im Ausschuss inhaltlich ablaufen wird, eine ganz wesentliche Voraussetzung ist. Wir sind bereit, diesen Gesetzentwurf mit ihnen zu diskutieren – aber nicht auf dem Niveau, auf dem Sie auch heute wieder unterwegs sind, Herr Dr. Berger.
Einen Punkt würde ich gerne noch in Richtung der Piraten ansprechen, und zwar das Thema „Open Access“. Karl Schultheis hat vorhin gesagt, dass es sich wirklich lohnt, dieses Thema zu vertiefen. Insofern freuen wir uns auf die Debatte im Ausschuss, weil es sich dabei um ein wichtiges Thema für die Weiterentwicklung der Hochschullandschaft handelt. Ich hoffe, dass wir da zu einem guten, offenen und konstruktiven Dialog kommen, bin aber sicher, dass wir hier auch eine vernünftige Gesprächsebene hinbekommen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Bell. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Dr. Berger das Wort.
Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch einmal kurz zu einigen Argumenten Stellung nehmen. – Herr Bell, Sie haben Ihre Redezeit überwiegend dazu benutzt, sich an meiner Person abzuarbeiten.
(Zurufe von Heike Gebhard [SPD] und Karl Schultheis [SPD])
Das hätten Sie vielleicht nicht tun müssen. Einen Punkt will ich aber doch noch einmal aufgreifen, weil es wirklich so war. Herr Schultheis hat hier nicht entsprechend dem Gesetzestext argumentiert. Er hat an diesem Mikrofon nicht die Wahrheit gesagt. Ergo hat er gelogen. Dabei bleibe ich.
(Dietmar Bell [SPD]: Sie sind nicht mehr ernst zu nehmen!)
Denn der Landeshochschulentwicklungsplan wird eben nicht gemeinsam mit dem Parlament entwickelt und abgestimmt. Er wird im Benehmen vorgelegt – und fertig. Das ist Regierungshandeln. In Verbindung mit Rahmenvorgaben geschieht das alles am Parlament vorbei im Ministerium, und niemand von uns hat mehr irgendeinen Einfluss auf die Wissenschaftspolitik.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schultheis zulassen?
Dr. Stefan Berger (CDU): Bitte.
Karl Schultheis*) (SPD): So sensibel bin ich nicht, obwohl man mit der Frage „unwahr“ oder „Lüge“ im Parlament vorsichtig sein muss. Ich frage Sie einfach, ob Sie zur Kenntnis nehmen mögen, dass das, was wir heute in erster Lesung beraten, ein Gesetzentwurf ist und noch nicht das beschlossene Gesetz und dass wir uns auch nicht im Endzustand der Geschichte befinden. Können Sie dem zustimmen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.
Dr. Stefan Berger (CDU): In der Tat, wir beginnen eine Debatte um ein Gesetz. Dennoch ändert das nichts an der Tatsache, dass Sie den Gesetzestext, auf deren Grundlage wir hier beraten, falsch wiedergegeben haben, die Unwahrheit gesagt haben. Deswegen bleibe ich dabei.
Noch einen Satz zu dem Argument, dass andere Bundesländer ein solches Gesetz, wie wir es haben, nicht übernehmen würden. Lieber Gott, wir können uns mit anderen Bundesländern so einfach nicht vergleichen.
(Dietmar Bell [SPD]: Das war das letzte Mal schon lächerlich! Das war Mist! – Weitere Zurufe von der SPD)
Bayern hat wenige Hochschulen, aber viel mehr Geld. Wir haben 30 Hochschulen und viel weniger Geld. Da soll mir doch einer mal erklären, warum man viele Hochschulen in Nordrhein-Westfalen besser zentral aus einem Ministerium führen können soll. Dieser Idee folgt in Nordrhein-Westfalen kein Mensch.
Deshalb bitte ich Sie: Ziehen Sie diesen Entwurf zurück! Jeder versteht doch, dass Sie es im Ministerium nicht besser wissen als die Professorinnen und Professoren vor Ort in den Hochschulen. Das ist doch der zentrale Punkt der Auseinandersetzung. Sie werden davon nicht abrücken.
Sie wollen als Regierung entscheiden, worüber geforscht wird, was gelehrt werden soll. Das ist die Intention Ihres Gesetzes.
Das werden wir als Parlamentarier entschieden bekämpfen.
Ich fordere mindestens noch einmal die Grünen und die Piraten auf, den Punkt „Rahmenvorgaben“ und „Landeshochschulentwicklungsplan“ in dieser Form als Parlamentarier nicht mitzutragen. Das ist einer Wissenschaftspolitik des größten Bundeslandes in Deutschland unwürdig.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie noch eine Frage von Frau Dr. Seidl zulassen?
Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, bitte. – Dann äußern Sie sich auch direkt mal zu den Rahmenvorgaben!
Dr. Ruth Seidl*) (GRÜNE): Ich werde mich überhaupt nicht dazu äußern, Herr Berger. – Ich habe eine Frage an Sie, und zwar in Bezug auf den Landeshochschulentwicklungsplan, weil Sie von „im Benehmen mit dem Landtag“ sprechen. Hier steht im Gesetz – ich habe es mir noch einmal angeschaut –:
„Zur Steuerung des Hochschulwesens beschließt das Ministerium auf der Grundlage vom Landtag gebilligter Planungsgrundsätze den Landeshochschulentwicklungsplan …“
Können Sie mir erklären, was das heißt? Können Sie das einmal übersetzen? Dann kommen wir nämlich zu dem Ergebnis, wer hier etwas beschließt.
Dr. Stefan Berger (CDU): Es steht weiter drin:
„… legt die Regierung eine Verordnung vor im Benehmen mit dem Landtag.“
Fertig aus! Die Regierung legt eine Verordnung vor im Benehmen mit dem Landtag – das ist der Wesenskern dieses Paragrafen.
Im Übrigen: Sie haben es doch erkannt, Frau Seidl. – Sie waren es doch, die eine Pressemitteilung herausgegeben und darin geschrieben hat: Diese Rahmenbedingungen können wir so nicht mitmachen. Wir brauchen zumindest einen Parlamentsvorbehalt. – Das war Ihr Argument, das Argument der Grünen. Genau das sage ich auch. Wenn wir die Politik aus dem Parlament herausholen und sie ins Ministerium verlagern, dann können wir gleich alles ins Ministerium geben. Deshalb, Frau Seidl, fordere ich Sie auf: Treten Sie an diesem Punkt mit an die Seite der Kritiker. – Danke.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Berger. – Für die Fraktion der Piraten spricht Kollege Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Apropos Gegenvorschläge! Frau Ministerin Schulze, hier die versprochene Horizonterweiterung: Wir sollten an dieser Stelle nicht nur über Hochschulautonomie, sondern auch über Wissenschaftsautonomie reden und die Unterstützung und Stärkung durch den Gesetzgeber.
Frau Minister Schulze, in Ihrer Aufzählung des bestehenden Hochschulgesetzes fehlte noch: keine Fragen zur Veröffentlichung und Verbreitung der Forschungsergebnisse und Wissen.
Es geht in unserem Antrag um Open Access. Es geht um die Hochschulzukunft, und es geht um die Zukunft des Wissens in unserer Gesellschaft.
Herr Schultheis, Herr Bell, gerade am Anfang der Geschichte möchten wir explizit die Aufnahme von Open Access in das Gesetz dringend empfehlen. Das wäre nämlich sehr passend. Nur ein zentrales Portal allerdings reicht nicht. Ein Portal ist auf Infrastruktur, auf eine breite und dezentrale Infrastruktur angewiesen.
Wir gehen in der Gesellschaft vielfach davon aus, dass Wissen eine Ubiquität sei. Wir wollen Wissensgleichstand, wir wollen Informationsgerechtigkeit. Das ist ein hohes Gut und überdies eigentlich auch Voraussetzung für das Funktionieren des Marktes und der Gesellschaft.
Wissen ist die Grundlage von Bildung und Kreativität und die Basis zukünftiger innovativer Lösungen. Doch wie sieht die Realität aus? Auf welche Zukunft bewegen wir uns hin? Wissen wir Bescheid? In Zukunft werden wohl immer weniger Bescheid wissen, wenn wir die Digitalisierung und damit den Zugang zum Wissen unnötig erschweren.
(Beifall von den PIRATEN)
Doch genau das passiert, wenn die Gewinne alter Geschäftsmodelle beim Publizieren wissenschaftlicher Kenntnisse durch haarsträubende gesetzliche Einschränkungen gerettet werden. Dabei sollte vor allem eines gelten: Aus öffentlichen Geldern geförderte wissenschaftliche Arbeit muss auch der Öffentlichkeit zugute kommen.
(Beifall von den PIRATEN)
Es geht hier nicht um Freizeitlektüre, sondern um die wissenschaftliche Literatur, um die Publikationen der Forschungsergebnisse, an denen unsere Wissenschaftler mithilfe öffentlicher Gelder und der öffentlichen Infrastruktur geforscht haben. Kosten der Publikation fallen so oder so immer an. Es geht mir um den optimalen Einsatz der Mittel.
Wo genau besteht Handlungsbedarf? Seit über einem Jahrzehnt gibt es sehr erfolgreiche Initiativen der Open-Access-Bewegung.
Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind da schon sehr weit; da ist Open Access teilweise Standard. Die Max-Planck-Gesellschaft titelt: Open Access ist nicht zu stoppen. – Die EU setzt ausschließlich zum Beispiel bei HORIZON 2020 auf Open Access. Die renommierten Universitäten im Ausland haben bereits lange umgestellt. In den anderen Bundesländern wird nun endlich auch auf politischer Ebene diskutiert, und oftmals sind bereits die Bibliotheken echte Vorreiter. Und es sind einzelne, vor allem technische Fachbereiche, die schon weit voraus sind. Gerade Bibliotheken haben Probleme mit hohen Lizenzkosten und Zeitschriften-Abos, die dann nur ein- bis dreimal pro Jahr ausgeliehen werden.
Ich komme zum Schluss: Open Access ist also lange bekannt und stellenweise schon etabliert. Um es klar zu sagen: Wir brauchen keine Pilotprojekte oder dergleichen. Was fehlt, ist eine flächendeckende, strategisch angelegte Förderung von Open Access an den Hochschulen in NRW. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden ja noch ausreichend Zeit für die Debatte haben. Deswegen will ich nur auf drei Punkte kurz eingehen.
Der erste Punkt: Es stimmt nicht, dass die Mittel für die Hochschulen stagnieren, wie es eben in der Debatte behauptet wurde. Seit 2010 sind die Mittel für die Hochschulen um 30 % gestiegen.
(Marcel Hafke [FDP]: Da sind aber Studienbeiträge enthalten!)
Da kann man nicht von Stagnation sprechen.
(Beifall von der SPD – Marcel Hafke [FDP]: Da haben Sie nicht zugehört!)
Der zweite Punkt: Die Landeshochschulentwicklungsplanung ist in § 6 Abs. 2 ganz ausführlich dargelegt. Es ist mir wichtig, dass das schon in der ersten Runde im Parlament sehr deutlich verstanden wird. Das schafft völlig neue Möglichkeiten für das Parlament. In Zukunft werden Sie hier im Parlament Planungsgrundsätze für die Landeshochschulentwicklungsplanung verabschieden. Dann werden wir als Ministerium mit den Hochschulen und deren einzelnen Entwicklungsplänen einen Abgleich machen. Danach werden Sie das Ganze noch einmal sehen. In einer zweiten Phase wird nämlich der Landeshochschulentwicklungsplan mit all dem Abgestimmten dem Landtag noch einmal zum Benehmen vorgelegt. In dem Prozess sind Sie als Parlament also zweimal beteiligt. Das ist ein enormer Zuwachs an Möglichkeiten für das Parlament.
Der dritte Punkt: Die Debatte ist so, dass mir die eine Seite des Parlaments vorwirft, es sei zu viel Freiheit, während die andere Seite sagt, es sei zu wenig Freiheit für die Hochschulen. Die eine Seite sagt: Es ist zu wenig Transparenz. Die andere Seite sagt: In dem Gesetz ist zu viel Transparenz. Die eine Seite sagt: Es ist zu viel Einfluss der Hochschulräte. Die andere Seite sagt: Es ist zu wenig Einfluss der Hochschulräte. Die Piraten sagen: Es ist zu wenig demokratische Teilhabe. Sie sagen: Es ist zu viel demokratische Teilhabe, das behindert die Prozesse in der Hochschule.
Wenn ich mir die beiden Seiten, die hier zu Wort gekommen sind, ansehe, dann sage ich: Es ist ein ausgewogener, ein guter Gesetzentwurf, den wir jetzt auf den Weg bringen. Es ist genau das, was der Debatte angemessen ist. Wir fallen in keines der Extreme, die hier zur Sprache kamen, sondern wir legen einen ausgewogenen, einen guten Gesetzentwurf vor.
Ich freue mich auf die weitere Debatte mit Ihnen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5410. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/5410 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung – federführend –, an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/5476. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5476 ebenfalls an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich auch um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Auch diese Überweisungsempfehlung ist einstimmig angenommen. Damit ist Tagesordnungspunkt 7 erledigt.
Wir kommen zu:
8 Versorgungsengpässe in der Ü3-Betreuung ernstnehmen und frühzeitig beseitigen!
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4431
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5495
Ich möchte noch einen Hinweis geben: Der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/4431 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Watermann-Krass das Wort.
Annette Watermann-Krass*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wir gerade vernehmen konnten, haben wir zu diesem Antrag schon einige Runden gedreht. Die Überschrift „Versorgungsengpässe in der Ü3-Betreuung ernst nehmen und frühzeitig beseitigen“ macht schon klar, dass hier zum wiederholten Male Ängste geschürt werden. Wir haben es zuerst beim U3-Ausbau erlebt: Schafft es das Land Nordrhein-Westfalen auch wirklich, dem Rechtsanspruch gerecht zu werden? Jetzt soll uns dieser Antrag glauben machen, dass es Betreuungsengpässe im Ü3-Bereich gibt.
Was die Skandalisierung betrifft – das am Rande, das fand ich ganz lustig –: Hier wird die SPD aus Eschborn bemüht. Wenn man mal googelt, dann stellt man fest, dass Eschborn gar nicht in Nordrhein-Westfalen liegt. Insofern weiß ich nicht, was Sie da bemühen. – So viel zu dem, was Sie hier skandalisieren.
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben uns, wie gesagt, einige Monate Zeit mit der Beratung des Antrags gelassen. Es hat auch eine Anhörung dazu stattgefunden, in der uns vor allen Dingen die kommunalen Spitzenverbände klar gesagt haben, dass die von Ihnen geforderten nachträglichen Veränderungen der Förderrichtlinien aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich sind.
Zu den Fakten: Wir haben in unserem Land den Rechtsanspruch umgesetzt. Für die Ü3-Betreuung gilt das schon seit 1996, seit letztem Jahr auch für die U3-Betreuung. Der U3-Ausbau – auch wenn das von Ihnen immer bezweifelt worden ist – war und ist immer noch eine enorme Kraftanstrengung für Nordrhein-Westfalen. In den letzten vier Jahren sind mehr als 66.000 neue U3-Plätze in unserem Land entstanden. Vor Ort haben Kommunen und Träger mit großer Unterstützung des Landes, aber auch des Bundes diese Betreuungsplätze in einer gemeinsamen Kraftanstrengung geschaffen.
Nach den aktuellen Erhebungen hat es auch einen weiteren Ausbau im Bereich der Ü3-Plätze gegeben, zum einen wegen der Beitragsfreiheit im letzten Kindergartenjahr, zum anderen durch den Stopp der vorgezogenen Einschulung. Auch diese Kinder sind jetzt noch in den Einrichtungen. Die Dinge – das haben Sie vor Ort vielleicht so wahrgenommen – waren nicht ganz einfach.
Diese Veränderung hat dazu geführt, dass die Träger zum Teil angebaut haben. Es sind aber auch neue Einrichtungen geschaffen worden. Es sind aber nicht reine Krippenhäuser gebaut worden, sondern das war schon eine gesunde Mischung. Das verlangte allerdings vor Ort zum Teil eine sehr kreative Lösung bei den Jugendämtern.
In den Ausführungen der letzten Sitzungen – Sie werden gleich dazu reden, Frau Milz; sonst war ja Herr Tenhumberg derjenige, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben – war immer klar, dass wir folgende Fragen klären müssen:
Erstens. Wer ist für was zuständig?
Zweitens. Wie ist das Zusammenwirken von Bund, Land und Kommunen?
Ich bin dankbar für die Beantwortung durch das Ministerium. Da gab es ja noch einmal eine ganz klare Ansage zu Fragen im U3- und Ü3-Ausbau. Ich hoffe, dass wir durch die Reden, die wir gleich noch von der FDP und von der CDU hören, endlich Klarheit darüber bekommen, dass diese Klärung angekommen ist.
Aber hier noch einmal zur Klarstellung:
Das Land finanziert jeden Betreuungsplatz – egal ob Ü3 oder U3.
Jede finanzielle Förderung mit öffentlichen Mitteln – egal ob durch Bund oder Land – ist zweckgebunden.
Eine rückwirkende Veränderung der Förderrichtlinien ist nicht möglich. Da gibt es auch Regressforderungen. Allerdings heißt das nicht – das haben wir ja bei der letzten Sitzung gerade klargemacht –, dass ein finanzierter U3-Platz auf jeden Fall unbesetzt bleiben muss. In der Beantwortung ist nämlich klar ausgeführt:
„Wenn der U3-Bedarf erfüllt ist, kann der Platz mit Zustimmung des Jugendamtes mit einem Ü3-Kind besetzt werden.“
Ich wiederhole noch einmal: Die Planung und die Umsetzung war und ist Aufgabe der örtlichen Jugendhilfeplanung und – wie bei mir im Kreis Warendorf – natürlich des Kreisjugendamts. Da setzen sich auf Regionalkonferenzen Träger, Kreis und Kommunen zusammen, und es wird ein Kindergartenbedarfsplan erstellt. Das ist übliche Praxis. Die Kinder, die wir unterzubringen haben, sind ja da. Die fallen nicht vom Himmel.
Wenn es in dieser Planung und Umsetzung noch Probleme gibt, dann kann man ja die Taskforce anrufen. Und das ist uns auch noch einmal dargestellt worden. Wenn es zu Problemen kommt, wird direkt mit den Jugendämtern vor Ort nach Lösungen gesucht.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin.
Annette Watermann-Krass*) (SPD): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident!
Wir nehmen das Problem ernst, wir handeln und sind auf einem guten Weg, die Betreuung im Land dem Bedarf entsprechend auszubauen. Da werden wir nicht nachlassen. Aber diesen Antrag hier und heute lehnen wir ab. – Herzlichen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Watermann-Krass. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Milz.
Andrea Milz (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute Morgen wirklich überlegt, ob es eine gute Idee ist, dass wir heute hier erneut die immer gleichen Argumente austauschen.
(Ingrid Hack [SPD]: Das ist sehr klug von Ihnen gewesen, dass Sie das mal überlegen!)
Sie, die Mitglieder der Regierungsfraktionen und der Regierung selbst, sagen: Es ist gut. – Wir, die Mitglieder der Oppositionsfraktionen sagen: Es ist nicht alles gut. – Jeder identifiziert dann seinen Schuldigen und man geht zur Tagesordnung über.
Wem haben wir damit aber geholfen? – Ganz sicher nicht den betroffenen Kindern, den Eltern, den Erzieherinnen, den Trägern oder den Jugendämtern. Diejenigen, die sich für unsere Debatten wirklich interessieren, können seit Monaten in unseren Protokollen – egal ob Ausschuss-, Anhörungs- oder Plenarprotokollen – nachlesen, dass Sie sagen, dass der Rechtsanspruch sowohl für U3 als auch für Ü3 erfüllt ist, und wir dann wieder sagen: Ja, mag sein, aber nur unter Qualitätseinbußen mit vollen Gruppen.
Man kann nachlesen, dass Sie sagen, dass ein Ü3-Kind natürlich auf einen geförderten U3-Platz kann, wenn kein weiterer Bedarf für U3-Kinder im jeweiligen Jugendamtsbezirk ist, und wir sagen: Ja, das mag sein. Das klappt dann, wenn es sich nicht um ein Zuzugsgebiet oder eine Flächengemeinde handelt.
Man kann auch noch nachlesen, dass Sie sagen, die Eltern würden nicht gedrängt, ihr Kind früher als gewollt in einer Einrichtung anzumelden, damit es einen Platz hat, wenn es drei Jahre alt wird, und wir sagen: Ja, das mag sein. Offiziell tut das auch niemand – inoffiziell aber schon.
Und man kann schließlich nachlesen, dass Sie sagen, die Situation gehe nicht zulasten der Tagespflege, und wir sagen: Ja, das mag sein. Aber die Tagespflege muss immer mehr Ü3-Kinder behalten, die keinen Platz in einer Einrichtung finden, obwohl das nicht die Intention der Tagespflege ist.
Noch einmal die Frage: Wir haben beide recht mit unseren Argumenten. Aber wem hilft das? – Nicht den betroffenen Kindern, den Eltern, den Erzieherinnen, den Trägern oder den Jugendämtern.
Wir haben in unserem Antrag nur zwei Bitten formuliert: Die Landesregierung möge zusammen mit Bund und Kommunen für eine bedarfsgerechte Umsetzung beider Rechtsansprüche sorgen und auf praktikable wie flexible Lösungen im Sinne einer gelingenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinwirken.
Ich habe mir im März noch einmal einen Monat Zeit genommen, eine ganze Anzahl von Einrichtungen zu besuchen. Sie wissen, dass ich einmal Ausschussvorsitzende war. Ich kenne jede Menge. Da kann ich tatsächlich einfach so hingehen. Da ist dann auch keine Presse dabei, sodass niemand seine Worte auf die Goldwaage legen muss. Und wir alle wissen auch voneinander, dass wir schweigen, dass die Vertraulichkeit also wirklich gewahrt wird, und dass wir einander zuhören.
Da wird einem dann zum Beispiel von verzweifelten Eltern berichtet, die gerne ein Geschwisterkind in der gleichen Einrichtung angemeldete hätten, was dann aber leider nicht ging – mit all den Koordinierungsproblemen, die das für Eltern mit sich bringt. Da wird vom Burn-out des Personals berichtet, welches durch die Überbelegung und auch dauerkranke Kolleginnen am Rande der Belastbarkeit ist. Wenn Stellen ausgeschrieben werden, kommt entweder niemand oder jemand, der eigentlich nicht will, der nicht kann oder der nicht zum Team passt.
Man erfährt von den Bitten der Jugendämter und auch dem Druck der örtlichen Politik – gerade während der heißen Phase des diesjährigen Kommunalwahlkampfes –, noch mehr Wunder zu vollbringen, was die Unterbringung von Einzelfällen angeht, nämlich die Überbelastung zu akzeptieren.
Man hört auch die Klagen der Träger, die ihre Aufgabe gerne machen, aber immer öfter mit dem Gedanken spielen, sich der Bürde zu entledigen und Einrichtungen an städtische oder andere Träger abzugeben, damit man sich nicht mehr mit Zweckbindungen, Personalkalkulationen, Richtlinien von Bund und Land oder Bürokratie an sich quälen muss.
Und man spricht mit Eltern, die ihrem Unmut gerne auch einmal Luft machen würden, da sie sich trotz Dementis unter Druck gesetzt fühlen, ihr Kind frühzeitig, nur mit Zeitvertrag oder mit mehr Stunden als gewünscht anzumelden, aber Sorge haben, dann als Querulanten verschrien zu sein und damit letztlich ihrem Kind zu schaden oder nirgendwo einen Platz zu bekommen.
Da nicht helfen zu können, tut wirklich weh. Wenn viele öffentlich schweigen, kann man natürlich hoffen, dass alles gut ist. Man kann aber auch zu der Erkenntnis kommen, dass jede und jeder einen ganz persönlichen guten Grund für ihr oder sein Schweigen hat und daher doch nicht alles gut ist.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
In diesem Sinne bitte ich Sie, unserem Antrag doch zuzustimmen. – Danke.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich der Kollegin Andrea Milz dankbar, dass sie versucht, diese in der Tat etwas eingefahrenen Rituale aus dem Ausschuss jetzt mit einer moderateren Tonlage aufzuweichen. Wir haben uns im Ausschuss – inklusive der Anhörung – dreimal mit diesem Thema befasst, wobei sich zeigt: Es geht nicht um die Frage, wer recht hat, sondern es geht um die Frage, wer zuständig ist.
Es war eine ganz gute Fügung, weil wir – gottlob – die Anhörung vor der Debatte im Plenum gehabt haben. Die Sachverständigen haben sehr eindeutig erklärt:
Erstens. Dieser Antrag geht ins Leere.
Zweitens. Die Vorschläge, die gemacht werden, sind untauglich. Schlimmer noch: Sie setzen sich über Recht und Gesetz hinweg, indem Sie nämlich – das schlagen Sie ja vor – das Vergaberecht außer Kraft setzen wollen.
Ich will Ihnen dazu zwei Zitate von den Sachverständigen vorlesen. Ich habe mir zwei ausgesucht, die nicht in dem Ruf stehen, unbedingt immer der Landesregierung nach dem Mund zu reden. Der eine Sachverständige ist Reiner Limbach, Geschäftsführer des Landkreistages, der sagt: Das von der CDU beschriebene Problem der nicht ausreichenden Zahl von Ü3-Plätzen und damit fehlender Kapazitäten an der Nahtstelle von U3 und Ü3 ist sicherlich nicht landesweit und flächendeckend. – Das Gegenteil steht im CDU-Antrag!
Herr Limbach weiter: Man kann dieses Problem schon gar nicht lösen, indem man erklärt, das Zuwendungsrecht müsse weg oder gar rückwirkend angepasst werden. Das ist völlig unrealistisch.
Meine Damen und Herren, auch Frau Dr. Carola Schneider vom Landschaftsverband Rheinland sagt: Das Zuwendungsrecht ist hierbei ganz eindeutig. Kein Ü3-Kind darf auf einen U3-Platz gesetzt werden. - Das ist die Realität.
Die müssen Sie auch als CDU-Fraktion anerkennen, die solche Vorschläge macht. Sie können sich nicht einfach über das Vergaberecht hinwegsetzen. Das würde im Übrigen bedeuten, dass wir im Land völliges Chaos hätten. Zum einen würde uns der Landesrechnungshof das nicht durchgehen lassen. Stellen Sie sich zum anderen vor: Jede Kommune, die für einen Kinderspielplatz Geld bekommt, sagt: Nein, wir nehmen das Geld und finanzieren damit eine Straße! – Es kann doch nicht wirklich in Ihrem Sinne sein, dass Mittel, die zielgerichtet bewilligt werden, für ganz andere Aufgabenbereiche verwandt werden.
Damit hier keine weitere Legendenbildung betrieben wird: Herr Hafke, Sie haben mir im Ausschuss immer vorgehalten, ich würde das Problem nicht sehen. Natürlich gibt es dieses Problem in einigen Kommunen. Das habe ich immer wieder gesagt. Natürlich gibt es örtlich das Problem an der Schnittstelle zwischen U3 und Ü3.
Allerdings – das haben uns die Sachverständigen ganz deutlich gesagt – ist es so: Diese Probleme sind vor Ort zu regeln, weil sie vor Ort, kommunal und hausgemacht sind, weil sie nämlich in den Kommunen auftreten, die viel zu spät in den Ausbau der Krippenplätze eingestiegen sind.
Das wissen wir auch, und das müssen Sie sich sagen lassen: Das sind in der Mehrzahl die CDU-geführten Gemeinden, die bis weit in das neue Jahrtausend hinein gemeint haben, man brauche diese Krippenplätze nicht – wir kennen diese Diskussionen, die vor Ort in den Räten geführt wurden – und dass die Kinder besser zu Hause bei der Mutter aufgehoben seien.
Hätten alle Kommunen mit Inkrafttreten der Vorhaltepflicht und dem Tagesbetreuungsausbaugesetz rechtzeitig angefangen, Krippenplätze in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen, hätten wir dieses Problem jetzt nicht. Das haben uns die Sachverständigen durch die Bank weg eindeutig erklärt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eins gehört auch noch zur Wahrheit: Hätte die CDU während ihrer Regierungszeit den U3-Ausbau per Haushaltsgesetz nicht jedes Jahr gedeckelt – das haben wir als damalige Opposition jedes Mal moniert –, wären die Probleme vor Ort erst gar nicht entstanden. Ich erinnere beispielsweise daran, dass die Stadt Köln 2009 400 U3-Plätze beantragt hatte, die sie von der CDU-geführten Landesregierung nicht bezuschusst bekommen hat. Das war die Realität während Ihrer Regierungszeit, Hürden, die Sie für Träger und Kommunen aufgebaut haben.
Meine Damen und Herren, die Ministerin hat in den Ausschussberatungen sehr deutlich erklärt: Wenn der U3-Betreuungsbedarf im Bezirk eines Jugendamtes erfüllt ist, kann jedes Ü3-Kind auf einen U3-geförderten Platz kommen. Dann gibt es überhaupt keine Hürden. Diese Flexibilität ist gegeben.
Wir erkennen: Ihr Antrag entbehrt jeglicher Grundlage. Ich hätte mir eigentlich vorgestellt und gewünscht, dass Sie den Antrag nach der Sachverständigenanhörung zurückziehen. Das haben Sie nicht gemacht. Deswegen müssen wir ihn hier und jetzt ablehnen. – Ich danke Ihnen!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Hafke.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Asch, ich war eigentlich ganz froh, dass Sie mit dem Satz begonnen haben, die Rituale einmal sein zu lassen. Das war aber wahrscheinlich nur der erste Satz. Danach haben Sie so wie immer weitergemacht und weiter draufgehauen, statt über die Probleme zu diskutieren.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vielleicht stimmt meine Aussage auch nicht ganz. Ich muss sie ein bisschen korrigieren: Der zweite Satz, der richtig war, lautete, dass Sie zum ersten Mal anerkannt haben – auch in der letzten Ausschusssitzung –, dass es Probleme gibt.
(Ingrid Hack [SPD]: Das haben wir immer anerkannt!)
Das ist ja nicht der erste Antrag, den wir zu diesem Thema haben. Die FDP hat das Thema letztes Jahr aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass es im Land Probleme gibt.
Ich möchte es – um vielleicht auch ein bisschen Wind aus der Sache zu nehmen – so sagen: Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Ich habe den Eindruck, dass in vielen Regionen des Landes tatsächlich Probleme vorhanden sind, weil das ganze vor Ort mit den Erlassen und Richtlinien nicht so präzise gelesen wurde, weil man U3 ausbauen wollte. Im Nachgang kommen die Probleme.
Aber die Probleme sind nun einmal da. Einfach zu sagen, wir schieben die Schuld auf die Kommunen und Träger, die das ausbügeln müssen, finde ich persönlich zu kurz gegriffen, weil das dann auf dem Rücken der Eltern ausgetragen wird, weil das zu Problemen bei U3 und Ü3 führt. Die entsprechenden Beispiele haben wir im Ausschuss oft genug rauf- und runterdiskutiert. Ich würde schon erwarten, dass man zumindest einmal die politische Debatte darüber führt, was man machen kann, und zwar nicht nur rückwirkend, sondern in die Zukunft gerichtet. Die Probleme werden sich verschärfen. Die Kinder werden älter, Frau Asch. Das heißt: In Zukunft werden diese Probleme vermehrt auftreten. Dann wird die Regelung, die Sie zum Schluss aufgeführt haben, auch nicht helfen, und zwar gerade in den Großstädten nicht, wenn man nur ein Jugendamt hat. Dann wird das nicht funktionieren.
Deswegen haben wir als FDP vorgeschlagen: Wir wollen zumindest auf die Zukunft gerichtet über einen Härtefallfonds diskutieren, um für die Träger und Eltern entsprechende Lösungen zu erarbeiten.
Ich finde es traurig, Frau Asch, dass Sie sich diesen Debatten vollkommen verschließen und einfach sagen, das müssten die Kommunen und Träger selber ausbaden und zusehen, wie sie das Problem lösen.
Ich habe mir einige Zitate aufgeschrieben – ich werde sie heute nicht vortragen –, weil die Aussagen der Ministerin und des Staatssekretärs teilweise auseinandergehen.
Ich wünsche mir einfach, das Thema, das wir so oft diskutiert haben, nicht einfach auf die Seite zu schieben und zu sagen: „Es gibt ein paar Probleme, die wir vor Ort lösen“, sondern uns noch einmal damit zu beschäftigen. Wir sorgen für Klarheit in der Landschaft – für die Kommunen und für die Träger – und probieren, vorhandene Probleme zu lösen, ohne auf Durchzug zu stellen. Das wäre wohl der richtige Weg, und ich wünsche mir, dass wir das machen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Kollege Hafke. – Für die Piratenfraktion spricht Kollege Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich ganz kurz fassen. Es ist mehrfach geschildert worden, wir haben schon einige Male im Ausschuss über die Problematik geredet. Marcel Hafke und Kollegin Milz haben die Haltung der Opposition gerade sehr deutlich gemacht. Die Piratenfraktion hat von vornherein signalisiert, den CDU-Antrag mit zu unterstützen. Warum tun wir das? Das ist möglicherweise ein denkwürdiger Tag, wenn wir an der Stelle mit der CDU komplett auf einer Linie liegen. Wir machen das, weil in den beiden Beschlusspunkten das Richtige steht.
Im ersten Beschlusspunkt heißt es, dass sich Bund und Kommunen gemeinsam mit der Landesregierung des Problems annehmen und Lösungen erarbeiten sollen. – Dieser Punkt wäre eigentlich zustimmungsfähig. Ich verstehe gar nicht, wo bei der Regierungskoalition das Problem liegt.
Bei dem zweiten Punkt geht es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und gegebenenfalls um Anpassung der entsprechenden Förderrichtlinien. – Auch das ist zustimmungsfähig. Vorhin ist schon gefragt worden, ob das alle Probleme in dem Bereich löst. – Ganz sicher nicht. Das ist nur ein Denkanstoß. Wir als Landtag schubsen die Landesregierung ein kleines bisschen in eine Richtung, weil wir wollen, dass diese Probleme aufgegriffen werden.
Die Diskussion im Ausschuss war spannend. Zuerst war das Problem, von dem im Antrag die Rede ist, gar nicht da. Später ging es nur noch um die Frage, ob das Problem flächendeckend vorhanden ist.
Diese Frage halte ich für nicht so interessant. Das Problem ist wohl nicht flächendeckend; das hat die Anhörung ergeben. Es gibt aber einige Kommunen, in denen es diese Problemfälle gibt. Ob in einer Kommune fünf, zehn oder 50 Kinder oder wie viele auch immer betroffen sind, spielt keine Rolle. Es ist ein Problem da, das wir aufgreifen und landespolitisch zu lösen versuchen sollten. Ich denke, Frau Ministerin Schäfer, es kann nur im Interesse der Landesregierung sein, Lösungen unabhängig von den jeweiligen Zuständigkeiten zu schaffen.
Schade, dass die regierungstragenden Fraktionen nicht dazu bewegt werden konnten, dem Antrag zuzustimmen, weil der falsche Antragsteller draufsteht. Aber das kennen wir ja. Wir werden diesem Antrag mit der gesamten Opposition zustimmen und ein Zeichen setzen – leider ohne die erforderliche Mehrheit. Aber damit müssen wir leben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir in Nordrhein-Westfalen zielgerichtet in die Kinder und in die Familien unseres Landes investieren. Insgesamt haben wir seit 2010 die Mittel für die frühkindliche Bildung auf rund 2,2 Milliarden € nahezu verdoppelt. In einem großen Kraftakt haben wir mit allen Beteiligten in diesem wichtigen Bereich viel bewegt – mit dem Erfolg, dass im kommenden Kindergartenjahr für jedes zweite Kind mit einem U3-Rechtsanspruch ein Betreuungsplatz in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung steht. Und wir haben – auch das ist eben schon erwähnt worden – erstmals wieder Zuwächse beim Ausbau der Plätze für über Dreijährige.
Aber es gibt in dieser Debatte der frühkindlichen Bildung ein Muster. Die Opposition versucht immer wieder, neue Probleme heraufzubeschwören, die hinterher wie eine Luftblase zerplatzen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Ich kann mich an die Diskussion erinnern: Schaffen wir es überhaupt, das Ziel zu erreichen, den U3-Ausbau zum 1. August hinzukriegen? Ich kann Ihnen sagen, wir haben es erreicht, wir haben eine Punktlandung gemacht. Das war ein Etappenziel.
(Vereinzelt Beifall von der SPD – Marcel Hafke [FDP]: Statistik!)
– Jedes zweite Kind in Nordrhein-Westfalen ist wohl mehr als Statistik; es ist Realität.
Sie haben dann versucht, eine Klagewelle herbeizureden. Fehlanzeige, nichts von dem ist eingetroffen.
Als Nächstes sollte ein Erziehermangel kommen. Nichts davon ist eingetroffen, weil wir im Dialog mit allen Beteiligten die Herausforderungen in der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen anpacken und alle Probleme lösen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Jetzt kommt etwas Neues, es soll in Nordrhein-Westfalen einen Versorgungsengpass für die Betreuung von über dreijährigen Kindern geben. In der Anhörung, die neulich stattgefunden hat, ist deutlich das Gegenteil gesagt worden. Aber Sie wollen es schlicht und einfach nicht wahrhaben.
Was mich dabei am meisten ärgert, ist, dass Sie unseren kommunalen Jugendämtern suggerieren, schlechte Arbeit zu leisten. Denn, Herr Düngel, ich kann es immer nur wiederholen, es ist in der Tat keine Schuldzuweisung oder eine Schuldsuche, sondern schlicht und einfach die Aufgabe der kommunalen Jugendämter, sich dieses Problems anzunehmen und es vor Ort zu lösen. Das haben Ihnen die Dezernenten der Städte bestätigt. Nehmen Sie doch einfach mal die Realität zur Kenntnis!
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Nehmen Sie die gute Arbeit in den Jugendämtern zur Kenntnis! Es ist kein flächendeckendes, landesweites Problem, und niemand hat behauptet, es gebe nicht Einzelfälle. Die gibt es natürlich; das ist doch jedem bekannt. Jeder spricht mit denen. Aber diese Einzelfälle können wir doch nicht zu einem landesweiten Problem erheben. Wo kommen wir denn da hin?
(Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Ministerin Sylvia Löhrmann)
Natürlich steht unsere Taskforce jederzeit zur Verfügung, wenn sie angefordert wird. Wo wir helfen können, machen wir das. Deswegen finde ich diese ganze Debatte ziemlich überflüssig; das sage ich ausdrücklich.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Was wir allerdings schon für ein sehr merkwürdiges Ansinnen halten, auch als Landesregierung, das ist die Frage: Wie gehen Sie mit Förderrichtlinien um? Sie wollen, dass Förderrichtlinien geändert werden, und zwar eventuell sogar rückwirkend. Das ist ein Rechtsverständnis – auch das ist Ihnen in der Anhörung gesagt worden –, das geht überhaupt nicht. Sie haben eine völlig falsche Rechtsauffassung.
Wie wir arbeiten, gibt es Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Wir arbeiten auf der Grundlage dessen, was mir mit dem Bund im Jahr 2007 verabredet haben. Da können wir nicht irgendwelche Förderrichtlinien rückwirkend anpassen oder verändern.
Alle Fördervoraussetzungen für den U3-Ausbau waren von Anfang an klar geregelt und allen Beteiligten bekannt. Herr Hafke, wenn Sie sich dann hierhin stellen und sagen: „Naja, vielleicht haben die das vor Ort nicht so richtig gelesen“, dann ist das noch mal ein Beweis dafür, wie gering Sie die Arbeit der kommunalen Jugendämter schätzen. Glauben Sie: Die lesen jede Förderrichtlinie, jeden Runderlass sehr genau; denn davon hängt viel Geld ab, das sie vor Ort kriegen und für das sie auch nachweisen müssen, dass sie es ordnungsgemäß verwendet haben.
Insofern kann ich nur sagen: Wir sind in Nordrhein-Westfalen auf einem sehr guten Weg: beim Ausbau der frühkindlichen Bildung, bei den Plätzen für Ü3, bei den Plätzen für U3 und bei der Qualitätssicherung. Das ist ja ein Dreiklang.
Gute Ideen sind uns immer herzlich willkommen. Aber Debatten, die überflüssig sind, weil sie einfach an der Sache vorbeigehen, die sollten wir uns ersparen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die FDP-Fraktion hat sich der Kollege Hafke noch einmal gemeldet.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich wundere mich schon etwas. Eine Debatte, die wir seit einem Jahr führen, in der die Eltern Briefe an Abgeordnete schreiben, als überflüssig darzustellen, finde ich wirklich unmöglich; das muss ich sagen.
(Beifall von der FDP, der CDU, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])
Das ist ein zentrales Thema, das die Eltern bewegt.
Wenn in den Richtlinien steht, dass die Mittel nur für unter dreijährige Kinder verwandt werden dürfen, sind wir uns vollkommen einig. Aber irgendwann werden auch diese Kinder mal älter. Und es gibt nicht in jeder Region ausreichend Plätze für über Dreijährige. Dann entsteht ein Problem; denn dann begehen die Kommunen und die Träger Subventionsbetrug.
Sich dann hierhin zu stellen und zu sagen, das sei eine überflüssige, aufgebauschte Debatte der Opposition, finde ich nicht in Ordnung.
(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Frau Ministerin, ich habe eingangs probiert, die Probleme hier sachlich vorzutragen. Auch im Ausschuss habe ich es mehrfach probiert, die Probleme sachlich vorzutragen. Frau Kollegin Asch bringt hier Schärfe rein, Sie bringen hier jetzt wieder Schärfe rein,
(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)
obwohl man einfach mal die Sorgen und Probleme der Menschen ernst nehmen soll. Gerade die Koalitionsfraktionen rühmen sich doch immer damit, die Beteiligten mitzunehmen. Dann sprechen Sie mal mit den Eltern, welche Probleme vor Ort bestehen.
Natürlich haben Sie die statistischen Zahlen bei der U3-Versorgung erreicht. Aber dass wir eine flächendeckende, gute Versorgung haben, das stimmt einfach nicht. Es gibt genügend Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges bzw. mittlerweile auch für ihr über dreijähriges Kind haben.
Sie stellen sich hierhin und sagen, wir hätten keine Lösung unterbreitet. Ich habe nie gefordert: „Wir verändern jetzt rückwirkend alle Förderrichtlinien“, sondern ich habe gesagt: Wir müssen in die Zukunft schauen und mit den Kommunen, den Trägern, den Eltern, die richtige Probleme haben, einen Notfallfonds, einen Härtefallfonds schaffen und probieren, mit denen eine Lösung zu erarbeiten, damit das nicht auf dem Rücken der Eltern ausgetragen wird. So viel würde ich an dieser Stelle dann doch von Ihnen erwarten.
(Beifall von der FDP, der CDU, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Hafke, diese Landesregierung – und die sie tragenden Fraktionen – nimmt die Probleme und Sorgen der Familien in Nordrhein-Westfalen sehr ernst. Deswegen verändert sie das Kinderbildungsgesetz, deswegen hat sie 1 Milliarde € in frühkindliche Bildung investiert. Erinnern Sie sich an Ihre Regierungszeit: Da sah die Bilanz etwas anders aus. – Punkt 1.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Desaster! – Widerspruch von der FDP)
Punkt 2: zum Thema „sachliche Debatte“. Herr Hafke, in der Zeitung „Landtag Intern“ behaupten Sie zum wiederholten Male, dass die Mittel für die Sprachförderung in Nordrhein-Westfalen halbiert werden. Das ist falsch! Sie wiederholen diese falsche Aussage. So viel zu einer sachlichen Debatte!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)
Drittens möchte ich Ihnen noch sagen, dass wir in Nordrhein-Westfalen für jeden Platz, der von den Kommunen bei uns angemeldet wird, die Betriebskosten finanzieren.
Den Rechtsanspruch gibt es für Ü3 und für U3. Suggerieren Sie nicht, dass es für die Eltern in Nordrhein-Westfalen nicht möglich ist, einen Platz für ihr Kind zu bekommen.
(Marcel Hafke [FDP]: Doch! Das ist so!)
Auch das ist in der Anhörung noch mal sehr, sehr deutlich geworden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute und 5 Sekunden überzogen. Gibt es noch Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Mir liegen damit keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt in Drucksache 16/5495, den Antrag Drucksache 16/4431 abzulehnen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung 16/5495 angenommen und der Antrag Drucksache 16/4431 abgelehnt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum Tagesordnungspunkt
9 Nordrhein-Westfalens Landwirtschaft soll gentechnikfrei bleiben!
Antrag
der Fraktion der SPD
und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5484
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5551
Ich erteile das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Meesters.
Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne! Es gibt seit Langem Kritik an der möglichen Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen. Auch bei uns in Nordrhein-Westfalen sind viele Menschen dagegen, dass Genpflanzen auf den Feldern angebaut werden. Unbekannte Risiken und auch die möglicherweise unkontrollierbare Verbreitung solcher Pflanzen versetzen viele Menschen in Sorge.
Daneben gibt es aber auch ganz praktische Probleme. So drohen Produkten der ökologischen Landwirtschaft zusätzliche Belastungen mit Kosten, um etwa für diese Pflanzen die Freiheit von gentechnischen Veränderungen zu gewährleisten und eine Verunreinigung von Pflanzen und Saatgut zu verhindern.
Wie Sie wissen, hat der Rat der Europäischen Union am 11. Februar für die Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 in der EU gestimmt. Der sogenannte Genmais soll resistent gegen verschiedene Schädlinge sein. Bei der Abstimmung der Ratsmitglieder über die Genehmigung des Anbaus dieser Maislinie ergab sich keine qualifizierte Mehrheit für eine Ablehnung der Zulassung.
Da in der Großen Koalition in Berlin keine Einigung erzielt werden konnte, hat sich die Bundesregierung enthalten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch eine Neinstimme Deutschlands wohl nichts am Abstimmungsergebnis geändert hätte. Das enthebt uns aber nicht der Verantwortung, klar Stellung zu beziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns ist klar: Nordrhein-Westfalen muss eine gentechnikfreie Region bleiben. Mit Beschluss dieses Parlaments ist Nordrhein-Westfalen im Jahre 2011 dem Europäischen Netzwerk gentechnikfreier Regionen beigetreten, das unter anderem für das Recht einzelner europäischer Regionen auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft und für den Schutz von traditionellem und ökologischem Saatgut vor gentechnischer Kontamination eintritt.
Es ist gut und wichtig, dass die Landesregierung hier bereits handelt. Wir als Parlament sollten an dieser Stelle die Forderungen bekräftigen und damit die Landesregierung nachhaltig unterstützen.
Wir wollen daher vor dem Hintergrund der gentechnisch veränderten Maislinie ein Signal setzen und uns als Parlament mit diesem Antrag für eine europäische Opt-out-Regelung aussprechen. Diese noch zu entwickelnde Regelung soll ermöglichen, auf nationaler Ebene Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen auszusprechen.
Diese nationalen Anbauverbote müssen das eindeutige Entscheidungsprimat der Politik vorsehen, rechtssicher sein und ohne zeitliche Befristung Gültigkeit erlangen können.
So weit unser Antrag. Er ist es meiner Meinung nach wert, dass Sie ihm zustimmen.
Wir haben aber heute noch einen Antrag vorliegen. Abschließend noch ein Wort zu dem Entschließungsantrag der CDU: ein ziemlicher Wischiwaschi-Antrag, wie ich sagen muss. Ich zitiere mal den ersten Satz:
„Der Landtag beschließt:
1. Der Landtag erkennt die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Gentechnik an.“
Na super, kann ich da nur sagen. Natürlich erkennen wir die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln an. Deshalb wollen wir ja – ich wiederhole mich hier gerne – ein Nordrhein-Westfalen mit gentechnikfreien Lebensmitteln. Und deshalb wollen wir ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen in NRW, also eine klare Opt-out-Regelung.
Hier ist mir Ihr Antrag in der Gesamtheit viel zu windelweich. Wir wollen keine Formulierungen, die gentechnisch kontaminiertes Saatgut vielleicht doch durch die Hintertür zulassen. Wir wollen eine klare Regelung auf der Bundesebene.
Was die Forschung anbelangt – sie beziehen sich darauf in Punkt 4 des Beschlussvorschlags in Ihrem Antrag –: Hier handelt die Landesregierung bereits und ist mit den Hochschulen, besonders auch mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, in einem ständigen Austausch über ethische Fragen der Forschung. Dieser Dialog wird maßgeblich auch in den großen nationalen Forschungsorganisationen mitgestaltet. Deshalb besteht hier kein Aufmerksamkeitsdefizit, und es bedarf auch keiner weiteren besonderen Initiative, geschweige denn einer Aufforderung, wie in Ihrem Antrag formuliert, tätig zu werden. Das alles gibt es bereits, und das ist gut so.
Deshalb ist auch dieser einer Ihrer überflüssigen Anträge. An der Beteiligung Ihrer Fraktion an der Beratung dieses Antrags sehe ich, dass sie das wahrscheinlich genauso einschätzt. Wir lehnen ihn deshalb ab. – Danke schön.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Bevor ich dem Kollegen Rüße das Wort gebe, möchte ich noch einmal kurz auf Tagesordnungspunkt 8 zurückkommen. Für das Protokoll ist das wichtig. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Empfehlung angenommen worden ist und dass der Antrag Drucksache 16/4431 – es geht um die Beteiligung der Fraktionen – mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der FDP, der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Stein abgelehnt worden ist. Das habe ich eben vergessen, das war ein Fehler von mir.
Wir sind wieder beim Tagesordnungspunkt 9. Nun hat Herr Kollege Rüße für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde heute hier lieber nicht über Gentechnikfreiheit sprechen müssen. Ich meine, wenn wir den gesellschaftlichen Konsens, den wir eigentlich insgesamt haben, ernst nähmen, würde sich das erübrigen. Aber leider – das kann man wohl so deutlich sagen – hat es Frau Merkel mit ihrer Enthaltung verbockt.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Sie hat dafür gesorgt, dass die Europäische Kommission den Genmais 1507 wahrscheinlich am Ende zum Anbau in Europa freigeben wird. Damit – ich finde, das ist an der Stelle schon bemerkenswert – setzt sich die Kanzlerin über die Meinung des damaligen Landwirtschaftsministers hinweg. Man muss sich schon fragen: Was ist dieser Kanzlerin eigentlich die Fachexpertise ihres eigenen Ministers wert?
(Beifall von den PIRATEN)
Die Entscheidung, sich zu enthalten, ist aus meiner Sicht absolut merkwürdig. In einer solch wichtigen Frage gibt es nur ein Ja oder ein Nein. Man kann sich nicht enthalten bei der Frage, ob man Gentechnik auf dem Acker haben möchte oder nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Enthaltung ist aus meiner Sicht in höchstem Maße kritikwürdig, weil man sich damit über alle Erfahrungen, die wir in den letzten 20 Jahren mit Gentechnik gemacht haben, hinwegsetzt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn sich Herr Kohl in der Zeit seiner Kanzlerschaft so entschieden hätte, hätte ich noch ein gewisses Maß an Verständnis gehabt; denn in den 80er-Jahren hatten wir in der Tat viele Erwartungen dahin gehend, was die Gentechnik alles an Problemen lösen würde. Es sollten enorme Ertragssteigerungen kommen, es sollten weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, und es sollte sogar die Produktqualität verbessert werden. Wer erinnert sich nicht an die nicht mehr matschende Tomate, von der seinerzeit die Rede war? – Das allergrößte Versprechen war – was ich im Nachhinein auch als Unverschämtheit empfinde –, dass der Welthunger mithilfe der Gentechnik ein für alle Mal Geschichte sein würde.
20 Jahre danach wissen wir alle, dass all diese Versprechen von der Gentechnik nicht eingelöst worden sind.
Es wäre besser gewesen, wenn die CDU-Fraktion in ihrem Entschließungsantrag an diese Erfahrungen angeknüpft hätte und etwas realistischer auf die Chancen und Risiken von Gentechnik eingegangen wäre. Sie schreiben aber stattdessen – sinngemäß –, dass sich die gesundheitlichen Probleme, die oft vorhanden sind, die Probleme mit der fehlenden Nahrungsmittelversorgung – da ist der Welthunger wieder – und sogar die Probleme mit den Umweltbelastungen nur dann lösen lassen, wenn man mit grüner Gentechnik weitermacht. Damit sind Sie mit Ihrem Entschließungsantrag aus meiner Sicht wie Ihre Bundeskanzlerin irgendwo in den 80er-Jahren stecken geblieben. Deshalb werden wir Ihren Entschließungsantrag auch nicht mittragen. Sie preisen wieder die Gentechnik als mögliche Lösung an für Probleme, die wir haben.
Meiner Meinung nach ist es umgekehrt: Grüne Gentechnik schafft Probleme, verstärkt Probleme da, wo wir keine haben müssten.
Meine Damen und Herren, ich finde es wichtig, dass wir noch einmal deutlich machen, woher die grüne Gentechnik kommt, in welchen Ländern sie angebaut wird, warum sie dort angebaut wird. Es sind die USA, Brasilien und Argentinien. Das sind die drei großen Länder mit gentechnischem Anbau. Es geht vor allem um die Pflanzen Mais und Soja, ein bisschen Baumwolle noch. Aber es sind vor allem Mais und Soja. Und es geht darum, bestimmte Schädlinge wie den Maiszünzler, den Maiswurzelbohrer in den Griff zu bekommen. Und es geht darum, Verunkrautung in den Griff zu bekommen.
Warum sind denn die Probleme so groß in diesen Ländern? Weil sie großflächig auf Monokulturen setzen, weil sie nicht das machen, was uns als europäische Landwirtschaft immer stark gemacht hat, nämlich auf Fruchtfolgen zu setzen, zu gucken, dass man nicht immer wieder dieselben Pflanzen anbaut. Denn dann wäre das mit den Schädlingen ja kein Problem.
Deshalb sage ich: Schauen wir nicht hin, was die amerikanische Landwirtschaft macht. Schauen wir besser, dass die Amerikaner vielleicht auch mal etwas von uns übernehmen, sich die Fruchtfolgen hier einmal angucken, und dass wir selbst daran weiterarbeiten, diesen Weg zu gehen.
Das größte Problem – darüber diskutieren wir immer wieder –, das wir zurzeit draußen in der Natur haben, ist, dass die Artenvielfalt drastisch zurückgeht, dass sie zusammenbricht. Da ist der Zusammenhang mit Monokulturen überhaupt nicht zu übersehen. Das ist einfach so. Jeder kann es draußen sehen. Von daher würde Gentechnik, wenn wir sie zulassen, dazu führen, dass dieser Prozess noch weiter gehen würde. An der Stelle ist Gentechnik keine Lösung, sondern eine Verstärkung von Problemen.
Wir unterstützen deshalb mit unserem Antrag ganz klar die Bemühungen der Landesregierung, des Agrarministers, jetzt noch einmal zumindest den Notanker, nationale Anbauverbote hinzubekommen, die Opt-out-Regelung umzusetzen. Es bleibt ein Hilfsinstrument. Gewünscht hätten wir uns eine klare europäische Lösung. Aber es ist – das sage ich deutlich – besser als gar nichts.
Deshalb wären wir froh, wenn wir das hinbekommen würden. Wir würden damit dem Wunsch der überwiegenden Mehrheit Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen, und vor allem – das sage ich auch deutlich – würden wir damit auch dem Wunsch der allermeisten Bäuerinnen und Bauern entsprechen, die diese Technik eigentlich überhaupt nicht haben wollen. Es sind Interessenverbände, die das pushen. Es sind nicht die Bauern, die das tun.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Norwich Rüße (GRÜNE): Sie alle wollen eine Landwirtschaft, die gentechnikfrei wirtschaftet. Wir wollen sie mit unserem Antrag dabei unterstützen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Simone Brand [PIRATEN])
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Fehring.
Hubertus Fehring (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Nordrhein-Westfalens Landwirtschaft soll gentechnikfrei bleiben. Das ist natürlich auch unser Ansatz. Da sind wir gar nicht auseinander mit Herrn Meesters und mit Herrn Rüße. Allerdings betrachten wir das Gesamtproblem etwas differenzierter.
Weltweit gibt es 170 Millionen Hektar Flächen, auf denen inzwischen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Ich habe dem Kollegen Rüße sehr gerne zugehört. Alles, was er zu den Fruchtfolgen gesagt hat, all diese Dinge – wir beide sind ja Biobauern – sind richtig, streite ich auch gar nicht ab.
Aber, lieber Herr Rüße, es nutzt uns nichts: Weltweit wird anders gedacht. Zu stark sind die Verlockungen, aber auch der schlichte Wunsch in den Schwellenländern und Entwicklungsländern, endlich auch teilhaben zu wollen. Die verbinden mit Gentechnik auch – in manchen Fällen nicht zu Unrecht – verbesserte Lebensmittelzugänge etc.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Fehring, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Rüße würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Hubertus Fehring (CDU): Ja, bitte.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Fehring, vielen Dank, dass ich Ihnen eine Zwischenfrage stellen darf. – Sie haben jetzt lang und breit dargestellt, dass es in bestimmten Ländern, dass es weltweit gentechnischen Anbau gibt. Da sind wir auch gar nicht auseinander.
Aber in unserem Antrag geht es darum, Nordrhein-Westfalen gentechnikfrei zu halten. Deshalb würde ich gerne wissen, ob Sie mit mir der Meinung sind, dass Nordrhein-Westfalen gentechnikfrei ist und dass eine Koexistenz von gentechnikfreier Landwirtschaft und Gentechnik-Landwirtschaft nicht möglich ist.
Hubertus Fehring (CDU): Es ist landwirtschaftlich möglich. Wir sind ja dabei, das gemeinsam zu entwickeln, was noch fehlt. Da sind wir ja gar nicht auseinander. Wir wollen zumindest in den nichteuropäischen Ländern die Gentechnik dort, wo sie gewünscht wird, zulassen. Wir müssen den Wunsch der übrigen Länder letztendlich respektieren. Wir können es ohnehin nicht verhindern. Wir können den Amerikanern, den Argentiniern oder den Brasilianern nicht verbieten, dass sie es machen. Das ist nun einmal so. Das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen.
Von daher haben wir auch das Problem mit den zugekauften Futtermitteln. Sie haben alles erwähnt. Die sind nun einmal da. Ich werde gleich noch einen Ansatz wagen, wie man das eventuell verhindern kann.
Es ist schade, dass diese Diskussion nur Glyphosate am Ende kapriziert. Wenn wir Ertragssteigerungen, Trockenheitsresistenzen über gentechnische Veränderungen in die Pflanzen einbauen können, Herr Meesters, ist das doch ein Vorteil. Ich weiß auch, dass man das züchterisch hinkriegt. Das dauert nur wesentlich länger. Von daher möchte ich in den Staaten, die das zulassen wollen, das auch nicht verändern.
Bei uns in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland ist die Situation eine andere. Ich weiß auch, dass unsere Verbraucher ein recht ambivalentes Verhältnis haben. Weiße oder rote Gentechnik ist für die Menschen kein Problem. Da sagt jeder: Wenn es mir hilft, dann nehme ich das ein. Aber die grüne Gentechnik möchten wir nicht. – Deshalb haben wir auch klar die Vorstellung, dass wir es in Nordrhein-Westfalen auch nicht brauchen.
Wenn die grüne Gentechnik nicht gewünscht ist, muss ich die nicht haben. Die Landwirte selber haben auch kein Problem damit wegen der Haftungsrisiken und, und, und. Herr Rüße, da sind wir gar nicht auseinander. Aber ich möchte es in den anderen Bereichen zulassen.
Zur Forschung – ich denke, da sind wir uns auch einig: Das wollen wir weiter in Deutschland halten. Das will auch keiner von uns abwürgen. Das sind interessante Arbeitsplätze. Da macht es auch Sinn.
Ihrem Antrag liegt die Maislinie 1507 zugrunde. Auch da unterstützen wir die Forderung nach einer Opt-out-Regelung. Nationale Ausstiegsregelungen sind allerdings nur dann akzeptabel, wenn sie den Mitgliedstaaten echte und rechtssichere Verbotsmöglichkeiten bieten.
Nun möchte ich noch einen Punkt aufgreifen, den ich eben schon einmal angedeutet habe. Wenn wir die Eiweißversorgung für Europa, für Deutschland seriös und umfassend diskutieren wollen, dann müssen wir einbeziehen, dass wir dann in Deutschland, in Europa vermehrt Körnerleguminosen anbauen müssen. Ich denke, da werde ich mit dem Minister auch nicht auseinander sein. Es ist auch eine seiner Forderungen, finde ich auch gut. Das müssen wir machen, damit wir die eigene Eiweißversorgung besser darstellen können.
(Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])
Dazu kommt dann auch – da bitte ich auch den einen oder anderen, der das sehr eng sieht, darüber nachzudenken –, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, dass wir Fleisch- und Knochenmehle einfach verbieten. Das kommt aus der BSE-Geschichte, war damals sicherlich richtig, aber hat heute letztendlich keine Berechtigung mehr. Auch da müssten wir uns dazu durchringen, dass wir diese hochwertigen Eiweißfuttermittel in der Geflügel- und Schweineernährung wieder zulassen. In der Rindviehhaltung, bei den Wiederkäuern, hat das nichts zu suchen.
Fazit, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nordrhein-Westfalens Landwirtschaft soll gentechnikfrei bleiben. Auch wir wünschen uns neben den vorgetragenen Verbraucherschutzargumenten keine Konflikte zwischen denen, die ohne GVO-Pflanzen wirtschaften möchten, und jenen, die anderer Auffassung sind. Ich bitte Sie daher ganz herzlich um Zustimmung für unseren Entschließungsantrag.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Fehring. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Höne.
Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der gestrigen Debatte zur Großen Anfrage zum ländlichen Raum wurde von mehreren Seiten betont, man solle in der Politik mehr über die Gemeinsamkeiten sprechen. Ich will gerne mit den Gemeinsamkeiten, die bei diesem Thema durchaus hier und da vorhanden sind, beginnen.
Erstens. Sorgen in der Bevölkerung. Das ist schon von den Vorrednern angesprochen worden: Natürlich gibt es in Bezug auf die grüne Gentechnik zahlreiche und vielfältige Sorgen. Das gilt natürlich auf der einen Seite für die Endverbraucher, aber auch für die Produzenten insbesondere in der Landwirtschaft. Ich halte es, liebe Kolleginnen und Kollegen, für selbstverständlich, dass diese Sorgen von der Politik ernst genommen werden. Für das Lösen von Problemen und das Aufnehmen von bestehenden Sorgen ist die Politik meiner Meinung nach schließlich da. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich finde, dass man das deshalb nicht noch einmal unbedingt in einen Entschließungsantrag aufnehmen und formal beschließen muss. Das ist selbstverständlich.
(Beifall von der FDP)
Der zweite Punkt der Gemeinsamkeiten betrifft die Opt-out-Regelung. Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, kann auch ich mir sehr gut eine Opt-out-Regelung vorstellen. Das fordern Sie ja in Ihrem Antrag. Die nationale und, wie ich finde, durchaus auch die regionale Politik sollten ein Mitspracherecht auf der Grundlage Ihrer jeweiligen örtlichen Gegebenheiten haben. Ich teile an dieser Stelle also Ihre Position mit einer kleinen Einschränkung. Ich halte es – Sie schließen das in Ihrem Antrag leider aus – in diesem Zusammenhang durchaus für sinnvoll, über zeitliche Befristungen nachzudenken, alleine schon, damit das Thema nicht für immer und ewig in der Schublade verschwindet.
Dritter Punkt: Transparenz. Wir sind uns beim Verbraucherschutz oftmals über das Ziel am Ende des Weges einig. Über den genauen Weg dahin bzw. über die Maßnahmen streiten wir durchaus. Im vorliegenden Fall – das muss ich sagen – sehe ich aber noch nicht einmal einen Dissens; denn – das muss ganz klar sein – eine der größten Herausforderungen im Bereich der grünen Gentechnik besteht darin, dass die Verbraucher ein Recht darauf haben, zu erfahren, was in ihren Lebensmitteln drin ist. Das gilt im Übrigen meiner Meinung nach natürlich auch über das reine Endprodukt hinaus. In anderen Bereichen haben wir uns schon oft über die Deklarierung unterhalten. Betroffen ist also auch definitiv das Futter von Nutztieren. Bei der Lebensmittelkennzeichnung müssen Klarheit und Wahrheit gelten. Da gibt es definitiv Nachholbedarf. – So weit die Gemeinsamkeiten.
Ich finde es schade, dass im Antrag der regierungstragenden Fraktionen eine grundsätzliche Ablehnung der grünen Gentechnik mitschwingt. Eine solche Haltung halte ich für fortschrittsfeindlich, durchaus für egoistisch und auch für gefährlich. Wie bei jeder Technologie gibt es natürlich auch bei der grünen Gentechnik Risiken. Ich denke dabei – das ist angesprochen worden – an die Transparenz für die Verbraucher. Es geht auch um die große Herausforderung: Was ist denn eigentlich beim Einsatz in der Landwirtschaft mit benachbarten Feldern, benachbarten Erzeugern? – Es gibt aber eben auch Chancen.
Eine rationale Entscheidung bedeutet eben, dass man Chancen und Risiken genau betrachtet und abwägt. Der Wissenschaftskabarettist und Physiker Vince Ebert hat in diese Richtung hin in einem Gastbeitrag in der „Welt“ am 2. April 2014 Folgendes geschrieben – ich zitiere –:
„Dabei ist wissenschaftlicher Fortschritt erst einmal nie gut oder schlecht. Es kommt immer auf die Anwendung an. Mit einem Laser zum Beispiel kann man eine Pershing-Rakete steuern oder im CD-Player Roberto Blanco hören. Was ist schlimmer?“
Es geht also um die Frage des Wie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sprechen leider ausschließlich über die Risiken. Sie vergessen die Chancen und blenden aus, dass eine bessere Resistenz gegen Schädlinge den Einsatz von Pestiziden reduziert. Weiter blenden Sie aus, dass effizientere Pflanzen unter schwierigeren Bedingungen einen besseren Ertrag bringen können – insbesondere da, wo es klimatisch schwierig ist.
Herr Rüße, es ist sicherlich so, dass wir die nicht mehr matschende Tomate noch nicht erreicht haben, wobei ich gar nicht weiß, ob dieser konkrete Fall so wünschenswert wäre. Stellen Sie sich aber einmal vor, wir hätten in allen Bereichen bzw. Technologiefeldern, wenn wir in 15 oder 20 Jahren noch nicht da gewesen wären, wohin wir gerne gekommen wären, gesagt: Okay, nach 20 Jahren ziehen wir jetzt einen Schlussstrich, es hat ja nicht funktioniert. Lassen wir das Ganze bleiben. – Ich glaube, wir wären um einiges ärmer. Darum ist das schade.
Wir brauchen eine ehrliche und sachgerechte Debatte. So ist es zum Beispiel, wenn wir an die vollumfassende Transparenz denken, nicht sachgerecht, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, in Ihrem Antrag lediglich vom notwendigen Schutz der ökologischen Landwirtschaft sprechen. Denn auch im Bereich der konventionellen Landwirtschaft müssten Produzenten eigentlich in der Lage sein, wenn Sie es denn wollten, ohne Gentechnik auszukommen. Das müsste auch gesichert werden.
Ich glaube, wir müssten Risiken und Chancen ehrlicher abwägen. Vor allem müssten wir – das gehört zu einer sachorientierten Debatte dazu – als Politik auch mehr erklären und mehr aufklären. Ich finde es schade, dass Sie daran offensichtlich kein Interesse haben.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Henning Höne (FDP): Das zeigt die Tatsache, dass Sie hier in eine direkte Abstimmung wollen. Eine weitergehende Beratung im Ausschuss schließen Sie aus. Ich hätte sehr gerne die Debatte intensiver im Ausschuss geführt.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!
Henning Höne (FDP): Da Sie sich aber dieser Debatte verweigern, können wir Ihren Antrag in dieser Form nur ablehnen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Piraten spricht Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Nordrhein-Westfalens Landwirtschaft soll gentechnikfrei bleiben. Toll! Das wollen wir auch. Wir sagen gleich noch dazu: Wir Piraten sind grundsätzlich gegen Patente auf Lebewesen.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir unterstützen – um es gleich vorweg zu sagen – den Unionsantrag, weil wir ihn inhaltlich für gut halten. Weil er aber eben nicht die Frage der Patente berührt, haben wir als Fraktion beschlossen, uns dazu zu enthalten.
Man könnte jetzt natürlich auch argumentieren, dass das für den Kommunalwahlkampf in NRW richtig ist. Das ist sicher richtig; aber da sage ich als Kölner: Mer muss och jünne könne. Aufgrund der Tatsache, dass die Bundesregierung sich dazu bei der EU enthalten hat, ist es sicher wichtig, von einem Landesparlament aus einmal eine Initiative zu ergreifen.
Zur Faktenlage: Der Mais ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Süßgräser. Er stammt ursprünglich aus Mexiko. Weltweit werden jährlich über 850 Millionen Tonnen im Rahmen der Getreideproduktion geerntet.
(Zuruf von der CDU: Das ist auch gegoogelt!)
– Nein, das habe ich nicht gegoogelt, das kann man auch so wissen. – In den USA beträgt der Anteil an transgenen Sorten mittlerweile 85 %. Herr Höne, 2006 hat Puerto Rico die hier behandelte Maisserie 1507 vom Markt genommen. Wissen Sie, warum?
(Henning Höne [FDP]: Erst Uruguay, dann Puerto Rico!)
– Nein, Puerto Rico hat sie deshalb vom Markt genommen, weil der Schädling gegen das Cry1F-Enzym, das dort produziert wird und mit dem er vernichtet werden sollte, resistent geworden ist. Komisch – wenn man immer nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten handelt und nur straight linear denkt, produziert man gerade im Bereich der Gentechnik – und nicht nur in der neuen Gentechnik, sondern auch in der Old-School-Gentechnik – über Züchtungen Dinge, die uns, wenn wir nicht aufpassen, an den Rand einer Katastrophe führen können.
(Beifall von den PIRATEN)
Der Mais 1507 ist im Genom an genau zwei Punkten modifiziert: Zum einen produziert er das Enzym Phosphinothricin-Acetyl-Transferase, welches gegen das Herbizid Glufosinat unempfindlich machen soll, und das eben schon genannte Protein Cry1F, wogegen ein Maisschädling in Puerto Rico schon Resistenzen entwickelt hat.
Ich denke, das können wir uns nicht leisten. Ich möchte zunächst versuchen, fernab von den ethischen Fragestellungen, die auch wichtig sind, einmal grundsätzlich zu werden. Dazu erzähle ich Ihnen ein ganz anderes Beispiel:
Im Jahr 1950 hatte die Sowjetunion Devisenprobleme und hat versucht, über Pelzproduktion den westlichen High-Society-Pelzmantelmarkt zu befüttern, und das mit Silberfuchspelzen, die es nur in Russland gibt. Das Problem bei diesen Tieren ist aber, wenn man sie in Gefangenschaft hält, dass sie aggressiv werden, auch gegen sich selbst, bis hin zur Sterilität.
So erhielt der russische Genetiker Dmitri Beljajew den Auftrag, zahme Silberfüchse zu züchten. Das hat er dann auch getan. Er hat aus einer Riesenpopulation von 500 Tieren die am wenigsten aggressiven herausgesucht und diese sich miteinander verpaaren lassen. Das hat er fünfzehn Mal gemacht, über 15 Generationen hinweg.
Die Veränderungen waren hochinteressant: Die Silberfüchse hatten Schlappohren, warfen sich auf den Rücken, wenn der Pfleger kam, um gestreichelt zu werden, und bellten.
(Zuruf von den PIRATEN: Und wurden zum FDP-Wähler!)
Das Problem war aber: Sie hatten nunmehr gescheckte Felle und waren daher nicht verwendbar für die Pelzmantelproduktion.
Das heißt: Wenn man genetisch irgendeinen Eingriff vornimmt, kommt in einer Nebenwirkung immer etwas anderes heraus als das, was man ursprünglich beabsichtigt hat. Das hat einen ganz einfachen Grund – vorhin haben wir ja über die Wissenschaftslandschaft debattiert –: Es liegt daran, dass das Denken im wissenschaftlichen Mainstream geschieht, dass unsere Verstandesmechanik noch nicht ausreicht, um die – in Anführungszeichen – „Mechanik des Lebens“ voll zu begreifen. Von daher haben wir immer mit Nebenwirkungen zu rechnen. Das ist einfach so. Von daher schließen wir uns natürlich dem Antrag an.
Was die EFSA, die Europäische Lebensmittelbehörde, angeht, so muss man hier noch einmal vorstellig werden; denn sie hat zum Thema der Zulassung von Mais 1507 sehr schlampig recherchiert. Es gibt andere Untersuchungen, die besagen, dass bei der EFSA nur Analogieschlüsse gezogen worden und nicht Cry1F selber betrachtet worden ist. Es hat keine Untersuchung dahin gehend stattgefunden, wie sich das toxische Enzym im Boden gegenüber anderen Insekten verhält. Da muss man auf die EU einwirken.
Darüber hinaus besteht noch eine weitere Gefahr; selbst wenn wir einen Beschluss herbeiführen und die Bundesregierung dem zustimmt, dass wir keinen gentechnisch modifizierten Mais in Nordrhein-Westfalen oder in ganz Deutschland verwenden. Wenn wir ein Freihandelsabkommen mit den USA abschließen, besteht nämlich die Gefahr, dass uns in zwei, drei Jahren eine Klage von DuPont Chemicals ins Haus flattert, die auf einer Marktzulassung von Mais 1507 besteht. Und davor kann ich nur warnen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal den Umstand in den Mittelpunkt stellen, warum wir heute im Landtag überhaupt über Gentechnikfreiheit diskutieren.
Wir alle wissen – das haben alle Rednerinnen und Redner betont –, dass eine sehr große Mehrheit der Bevölkerung starke Bedenken gegen den Anbau von gentechnikveränderten Pflanzen hat. Die Menschen wollen keine Gentechnik – weder auf dem Teller noch auf dem Feld.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wir wissen auch – so steht es jedenfalls geschrieben –, dass die Große Koalition in ihrer Koalitionsvereinbarung erklärt hat, dass auch sie die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegenüber der grünen Gentechnik anerkennt. Wir wissen, dass wir im Bundesrat breite Mehrheiten jenseits der Parteigrenzen haben.
Das Bemerkenswerte an der jetzigen Situation ist jedoch, dass es eine Person in Deutschland gibt – keine unwichtige –, nämlich die Kanzlerin, die sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung, gegen die eigene Koalition und gegen die Mehrheit im Bundesrat stellt. Das ist schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang, den man, glaube ich, ausführlich und intensiv diskutieren muss.
Was passiert hier eigentlich, auch unter Demokratiegesichtspunkten? Es gibt eine klare Mehrheit, es gibt politische Mehrheiten in der ganzen Breite – und eine Kanzlerin entscheidet gegen den eigenen Fachminister, sich in Brüssel anders zu verhalten. Das war die entscheidende Stimme, die verhindert hat, dass die neue Maissorte eben nicht zugelassen wird.
Deshalb versuchen wir jetzt, uns mit ein paar Krücken zu behelfen. Wiederum in einem großen Konsens mit Bayern und mit anderen Bundesländern haben wir hierzu Anträge im Bundesrat gestellt und entsprechende Mehrheiten bekommen. Wir wollen versuchen, eine rechtssichere Möglichkeit zu schaffen, dass nationale Anbauverbote ausgesprochen werden können. Wir wollen erreichen, dass die Koexistenzregelungen der Gentechnik-Pflanzener-zeugungsverordnung geprüft werden.
Außerdem wollen wir bundeseinheitliche Regelungen für den Schutz der Imker vor einer Verunreinigung des Honigs schaffen. Im Bundesrat wird Nordrhein-Westfalen ebenfalls dafür streiten, dass Honig, der Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen enthält, auch weiterhin entsprechend gekennzeichnet werden muss.
Ich betone nochmals: Das sind nur Krücken. Besser wäre es, wir würden bei der generellen Linie bleiben. Die Verbraucherinnen und Verbraucher jedenfalls wollen mehrheitlich keine Gentechnik. Außerdem wollen sie informiert werden, ob ihre Lebensmittel mit oder ohne Gentechnik hergestellt worden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung, die sie tragenden Fraktionen und offensichtlich auch eine breite Mehrheit im Parlament folgen dieser Linie. Ich danke für die Unterstützung und hoffe, dass auch die Bundeskanzlerin das hört, was hier im Parlament diskutiert worden ist. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5484. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – FDP. Wer enthält sich? – CDU und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Antrag Drucksache 16/5484 angenommen.
Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5551. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU, der fraktionslose Abgeordnete Stein und ein weiterer Kollege aus der Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer enthält sich? – Die FDP und weitere Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/5551 abgelehnt.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 9 und rufe auf den Tagesordnungspunkt
10 Gesetz zur Verwirklichung von Transparenz und Informationsfreiheit im Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Fraktion der
PIRATEN
Drucksache 16/3248
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5556
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/5496
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Schneider das Wort.
René Schneider (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe: Der Saal leert sich langsam, sodass wir fast unter uns sind. Insofern sei es mir erlaubt, ein wenig Fachchinesisch an dieser Stelle zu sprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, der vor uns liegende und von Ihnen zusammengestückelte Antrag ist so etwas wie ein Softwareprogramm in der Alphaphase. Die Fachwelt hat ihn sich von vorn bis hinten angeschaut und festgestellt: Das Ding muss noch einmal zurück in die Weiterentwicklung.
Statt auf diesen Rat zu hören, wollen Sie heute partout in den Release gehen und ein völlig unfertiges Werk in die Welt setzen. Der heute Morgen eiligst vorgelegte Änderungsantrag macht es auch nicht besser, im Gegenteil: Dass Sie damit in letzter Minute kommen – und das vier Monate nach der Anhörung im Landtag –, zeugt aus meiner Sicht von Missachtung gegenüber Parlament und Sachverständigen.
(Beifall von der SPD)
Denn die Kritiken vom 5. Dezember vergangenen Jahres waren schon sehr eindeutig und zielgerichtet – ich zitiere einige Beispiele mit Genehmigung der Präsidentin aus den Stellungnahmen –:
„Der Entwurf kann als Grundlage für eine Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsrechts in Nordrhein-Westfalen dienen. Es sind jedoch auch aus handwerklicher Sicht Überarbeitungen nötig.“
Das meint beispielsweise das Netzwerk Recherche. Noch deutlicher formulieren der Bund der Steuerzahler, Transparency International Deutschland und die Initiative Mehr Demokratie – ich zitiere wieder –:
„So komplex die Materie auch ist: gerade bei einem Gesetz, das potenziell auch von juristischen Laien zu Rate gezogen werden wird, sollte ein besonderes Augenmerk auf die gute Lesbarkeit gelegt werden. Leider ist der Entwurf aber durchsetzt von Querverweisen, was die Lesbarkeit des Gesetzes stark einschränkt. Insbesondere bedauerlich ist, dass mehrere Querverweise auf falsche Paragraphen verweisen. Zudem gibt es eine Reihe definitorischer Unsauberkeiten.“
Ich frage Sie, liebe Piraten: Was würde ein Entwickler nach einem derart vernichtenden Urteil tun? Würde er nicht sein Werk zurückziehen, es zumindest aber eiligst überarbeiten, die Scharten auswetzen, um ein einigermaßen gängiges Gesetz vorzulegen? – Ja, das würde jemand tun, dem es ernst mit dem ist, was er tut.
Sie dagegen haben Wochen und Monate verstreichen lassen, immer wieder Änderungen angekündigt und am Ende doch nicht pünktlich geliefert. Das ist für mich absolut unverständlich.
(Beifall von Nadja Lüders [SPD] und Matthi Bolte [GRÜNE])
Eigentlich hätten wir heute im Anschluss an diesen Tagesordnungspunkt über einen weiteren Piratenantrag sprechen sollen. Darin fordern Sie von den Abgeordneten aller Ebenen modernste dialogische Kommunikationsformen. Sie wollen den Landtag feststellen lassen, dass moderne digitale Beteiligungsformen den Parlamentarismus in Deutschland bereichern und dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Bürger und Volksvertretern zu intensivieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten, das sind wohlfeile Worte; das ist keine Frage. Aber in der Realität scheitern Sie grandios an Ihrem eigenen Anspruch – jetzt gerade wieder. Sie hören einfach nicht zu – auch heute wieder nicht.
Doch nicht nur handwerklich hapert es, auch inhaltlich müssen wir Ihnen an einigen Stellen deutlich widersprechen. Das will ich in den letzten zwei Minuten hier noch tun. Nehmen Sie doch bitte unter anderem zur Kenntnis, dass Transparenzgesetze in Stadtstaaten wie beispielsweise das in Hamburg – das ist ohne Frage ein gutes – nicht so einfach auf Flächenländer übertragbar sind.
Wir reden über eine Unmenge von Daten, die nicht nur vom Land, sondern von den zahlreichen Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen erhoben und bereitgestellt werden müssten. Schreiben wir das als Land vor, so wird dies unter Umständen eine Konnexität auslösen, die uns zusätzliches Geld kostet.
Hierbei gilt es, Kosten und Nutzen abzuwägen, meine Damen und Herren. Denn was nützen Terabytes an Daten, die bleischwer auf den Servern der Kommunen liegen, ohne dass jemand etwas mit ihnen anfangen könnte. Auch das sind Anmerkungen aus den Anhörungen.
Zweitens stelle ich fest, dass das Informationsfreiheitsgesetz NRW noch immer eines der fortschrittlichsten Gesetze in diesem Bereich ist, obwohl es bereits 2001 in Kraft getreten ist. Länder wie Baden-Württemberg orientieren sich heute an genau diesem Gesetz, wenn sie eine eigene rechtliche Regelung formulieren. Insofern stehen wir in Sachen Transparenz und Informationsfreiheit nicht hintan, wie Sie das immer suggerieren, sondern wir sind im Gegenteil ganz vorne mit dabei.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine eigene Open-Government-Strategie. Lassen Sie uns doch erst einmal die Erfahrungen auswerten, bevor wir blind weiter drauflosschlagen. Ich weiß, dass Sie dabei immer recht ungeduldig sind. Das mag daran liegen, dass diese Wahlperiode irgendwann vorbei ist und einige der Fraktionen den Landtag verlassen müssen. Aber verlassen Sie sich einfach darauf: Rot-Grün hält, was es verspricht. Ich erspare ihnen einfach das Zitat aus dem Koalitionsvertrag; Sie kennen es. Wir werden das machen. Wir werden es in dieser Wahlperiode machen.
Insofern können wir den vorliegenden Antrag aus allen Gründen, die ich gerade genannt habe, mit all den Mängeln nur ablehnen. Denn er ist leider nur ein zusammengestückeltes Werk, das in sich keine Konsistenz aufweist, sondern – das muss ich hier so sagen – ein klassisches Copy-and-Paste-Produkt ist. Oder, um im Bild vom Beginn meiner Rede zu bleiben: Lassen Sie uns doch lieber ein Open-Source-Projekt starten …
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
René Schneider (SPD): … und gemeinsam einen zukunfts- und sattelfesten Gesetzestext formulieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen allen ein herzliches Glückauf.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Korte.
Kirstin Korte (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2001 verfügt Nordrhein-Westfalen über ein Informationsfreiheitsgesetz, das dem Bürger freien Zugang zu den bei den öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen gewährt. Dieses Gesetz hat sich in den vergangenen 13 Jahren bewährt.
Darüber hinaus bestehen zahlreiche gesetzliche Akteneinsichts- und Auskunftsrechte, etwa im Datenschutzgesetz, im Pressegesetz, im Verwaltungsverfahrensgesetz und in fachspezifischen Gesetzen wie im Umweltgesetz, die dem Bürger vielfältige Möglichkeiten zur Information einräumen.
Die Frage, ob Nordrhein-Westfalen über das bestehende Informationsfreiheitsgesetz hinaus ein Trans-parenzgesetz benötigt oder nicht, hat den Landtag bereits Anfang des vergangenen Jahres beschäftigt. Der damalige Piratenantrag mit dem Titel „NRW braucht ein Transparenzgesetz“ ist am 25. Februar 2013 im federführenden Hauptausschuss mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Das zeigt, dass der überwiegende Anteil der Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtages bereits vor einem Jahr der Ansicht war, dass Nordrhein-Westfalen kein Transparenzgesetz benötigt. Weshalb die Piratenfraktion gleichwohl den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht hat, bleibt ihr Geheimnis.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch die CDU-Fraktion stellt fest, dass die öffentliche Verwaltung dem Grundsatz der Bürgernähe und der Transparenz verpflichtet ist. Beides sind elementare Voraussetzungen für die Akzeptanz staatlichen Handelns.
Wir sind allerdings der Ansicht, dass der von den Piraten vorgelegte Entwurf eines Transparenzgesetzes für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land keinen Mehrwert hätte. Stattdessen würden der Verwaltung in erheblichem Umfang Mehrarbeit und Kosten aufgebürdet.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die in § 4 des Piratengesetzentwurfes vorgesehenen Veröffentlichungspflichten für – als Beispiel – Haushalts-, Stellen-, Bewirtschaftungs-, Organisations-, Geschäftsverteilungs- und Aktenpläne. Das geht jetzt ganz fröhlich so weiter. Unter anderem: Ergebnisse von Messungen und Beobachtungen über Umweltgefährdungen, Geodaten, Bodenrichtwertkarten, Mietspiegel, Baumkataster und Baumfälllisten, Verträge über die Qualitätsentwicklung im Bereich der Jugendhilfe, Sponsoring, Spendeneinnahmen, behördeninterne Gutachten und Studien und vieles mehr.
Liebe Piraten, glauben Sie allen Ernstes, dass die Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst nichts Besseres zu tun hätten, als all diese Daten ins Internet zu stellen und zu pflegen, besonders vor dem Hintergrund der zunehmenden Personaleinsparungen?
(Beifall von der CDU)
Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich in diesem Zusammenhang den Sachverständigen Dr. Marco Kuhn vom Landkreistag zitieren, der sich im Rahmen der Anhörung wie folgt geäußert hat:
„Ich fange mit einer grundlegenden Bemerkung an. Nach unserem Verständnis ist Voraussetzung für jedwedes Handeln des Gesetzgebers, dass überhaupt ein entsprechender Bedarf für ein gesetzgeberisches Tätigwerden besteht. Einen solchen Bedarf sehen wir auf kommunaler Ebene mit Blick auf die Themen Transparenz und Informationsfreiheit derzeit nicht, … Um es noch einmal deutlich zu sagen: Zusätzlicher gesetzlicher Vorgaben bedarf es aus unserer Sicht vor diesem Hintergrund nicht.“
Der Sachverständige Martin Lehrer vom Städte- und Gemeindebund NRW verwies im Rahmen der Anhörung darauf, dass die von den Piraten geforderte Bereitstellung und Aufbereitung der Daten die Kommunen finanziell erheblich belasten würde. Nach Berechnungen des Städte- und Gemeindebundes wäre ca. 0,1 Stelle pro 10.000 Einwohner notwendig, um die Daten sachgerecht einzustellen und zu pflegen. Der Kollege Schneider wies eben auch schon auf die Konnexität hin.
Ich denke, die Ausführungen der Sachverständigen sind so deutlich, dass ich mir weitere Anmerkungen zu dem Gesetzentwurf ersparen kann. Er ist schlichtweg überflüssig. Daran ändert auch Ihr heute vorgelegtes Neun-Punkte-Änderungsprogramm absolut nichts.
Die CDU-Fraktion wird sich daher der Beschlussempfehlung des Innenausschusses anschließen und den Gesetzentwurf der Piraten ablehnen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Korte. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Korte, Sie haben das ja gerade sehr tapfer vorgelesen. Aber man muss schon ein Stück weit bei der Wahrheit bleiben.
Selbstverständlich ist es so, dass wir dem Vorhaben, ein Transparenzgesetz als Weiterentwicklung des IFG zu schaffen, sehr offen, sehr positiv gegenüberstehen. Das ist ein so gutes Vorhaben, dass es sogar im rot-grünen Koalitionsvertrag steht.
Aber man muss doch konstatieren – das hat der ganze Beratungsverlauf gezeigt –, dass wir es hier mit einem Gesetzentwurf zu tun haben, der maximal gut gemeint war.
Der Text, der uns vorliegt, basiert auf einem Zwischenstand der Initiative „NRW blickt durch“ vom Mai vergangenen Jahres. Da haben Sie viele Textblöcke übernommen. Ich habe Ihnen auch schon gesagt: Meinetwegen kann man das so machen. Aber wenn man schon abschreibt, dann sollte man zumindest doch so abschreiben, dass diejenigen, von denen man abschreibt, das noch halbwegs gut finden.
Das haben Sie nicht hinbekommen. Die Initiative „NRW blickt durch“ hat Ihnen in der Sachverständigenanhörung im Dezember letzten Jahres zahlreiche handwerkliche Fehler attestiert.
Wenn ich mir das heute angucke, was Sie vorgelegt haben, dann haben Sie das geändert, was ich Ihnen letzten Donnerstag im Innenausschuss vorgelesen habe. Wow, kann man sagen. Sie haben ein paar Bezüge korrigiert. Das ist fünf Monate nach der Anhörung natürlich ein bemerkenswerter Schritt.
Aber Sie haben trotzdem die Fragen im Wesentlichen offen gelassen. Wenn man jetzt wirklich mal von diesen kleinen Änderungen absieht, haben Sie die Fragen offen gelassen, die uns das ganze Verfahren über beschäftigt haben.
Zum einen das Thema „Konnexität“: Ich habe immer gesagt, das es für uns kein Totschlagargument ist, dass ein Transparenzgesetz möglicherweise zusätzlichen Aufwand verursachen mag. Aber es ist ein Argument, das man ernst nehmen muss. Die Spitzenverbände haben in der Anhörung Zahlen genannt. Wir haben von Ihnen nichts weiter dazu gehört. Erkennen Sie diese Zahlen an? Was sagen Sie dazu? In was für einem Modus Operandi kann man möglicherweise diese Zahlen erheben? Sie haben nichts dazu gesagt. Dazu wollten Sie nichts sagen. Sie wollten nicht sagen, wie Sie damit umgehen möchten.
Sie haben darüber hinaus gehört, dass das Verhältnis von IFG und Ihrem Gesetzentwurf unklar ist, ungeklärt ist. Das stimmt. Wenn man Ihnen nett begegnet, stimmt es zumindest für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren, den ich übrigens nach wie vor knapp finde. Da haben selbst die Hamburger eine längere Frist angelegt.
Ein bisschen IFG, ein bisschen Transparenzgesetz? Da muss man sich schon irgendwie entscheiden. „Ein bisschen schwanger“ gibt es ja auch nicht.
Ein weiterer großer Kritikpunkt betrifft den LDI. Sie wollen dem LDI zusätzliche Rechte verleihen. Okay. Sie wollen ihn stärken. Okay. Aber wie gehen Sie damit um, dass der LDI sagt: „Was Sie da als Piratenfraktion vorhaben, das kann ich nicht und will ich nicht“? Auch dazu wollten Sie bisher nichts sagen.
Das sind nur einige Beispiele von Fragen, die Sie im ganzen Verfahren offengelassen haben. Das sind auch nur die Grundfragen, die Sie offengelassen haben. Was die wirklichen Filetstücke betrifft – zum Beispiel das, was wir von der Open Knowledge Foundation Deutschland zum Thema „Lizenzen“ gehört haben –, hatten Sie offensichtlich gar keine Lust mehr, noch darauf einzugehen.
Sie haben die letzten fünf Monate seit der Anhörung nicht genutzt, um etwas Substanzielles an Ihrem Gesetzentwurf zu tun. Sie haben diese Zeit nicht einmal genutzt, um sich eine substanzielle inhaltliche Antwort auf unsere Kritikpunkte, die wir aus der Sachverständigenanhörung abgeleitet haben, auszudenken. Sie haben auch nicht die Gelegenheit genutzt, einmal mit uns von den regierungstragenden Fraktionen zu reden, obwohl wir nach der Anhörung schon gesagt haben, dass wir durchaus gesprächsbereit sind. Sie wollten aber nicht mit uns sprechen. Sie haben diese Gelegenheit nicht genutzt. Darum stehen wir heute im Plenum in dieser Art und Weise voreinander.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Open-Government-Strategie der Landesregierung – das hat der Kollege Schneider gerade schon gesagt – befindet sich auf der Zielgeraden. Sie wird in Kürze vorgelegt. Wir haben immer gesagt, dass es Sinn macht, das IFG in diesem Rahmen zu einem Transparenzgesetz weiterzuentwickeln. Man hätte sich darauf verständigen können, diese Verfahren zu harmonisieren. Auch das wollten Sie nicht.
Die Initiative „NRW blickt durch“ hat mittlerweile einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Ihre Vertreter waren damals sehr unglücklich darüber, dass die Piratenfraktion einfach einen Zwischenstand genommen, verschlimmbessert und hier im Landtag eingebracht hat. Sie von der Piratenfraktion haben mit ihrem Entwurf nicht einen zivilgesellschaftlichen Prozess aufgenommen, sondern sind reingegrätscht. Wir werden als regierungstragende Fraktionen den Entwurf dieser Initiative in der Form, in der er jetzt vorliegt, selbstverständlich mit viel Respekt auswerten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Gesetzentwurf mag zwar gut gemeint sein. Sie hätten aber irgendwann einsehen müssen, dass er nicht gut gemacht ist.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Matthi Bolte (GRÜNE): Ich kann nach wie vor nicht beurteilen, ob Sie das nicht konnten oder ob Sie das nicht wollten. Ich sehe nur, dass Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Jetzt erwarten Sie von uns, dass wir Ihnen zur Belohnung auch noch das Vokabelheft hinterhertragen. Sie haben dem Thema „Transparenzgesetz“ einen Bärendienst erwiesen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „NRW braucht ein Transparenzgesetz!“ – so lautete ein Antrag der Piraten, dem die FDP-Fraktion im Februar 2013 zugestimmt hat, weil ein modernes Staatsverständnis tatsächlich einen Paradigmenwechsel hin zu proaktiver Bereitstellung von Daten impliziert. Aus der Holschuld der Bürger muss eine Bringschuld von Politik und Verwaltung werden. Dazu bedarf es einer Weiterentwicklung des bestehenden Informationsfreiheitsgesetzes. Darin sind wir auch weiterhin mit Ihnen einig, meine Damen und Herren von den Piraten.
Die Frage, die sich hier und heute stellt, lautet aber: Braucht NRW dieses Transparenzgesetz? – Die klare Antwort darauf ist: Nein.
Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält eine ganze Litanei von handwerklichen Mängeln. Einige davon habe ich in der ersten Lesung beispielhaft aufgezählt. Auf eine Wiederholung verzichte ich an dieser Stelle. Auch die Sachverständigen haben davor kapituliert und sich für die Anhörung nicht einmal mehr die Mühe gemacht, den Gesetzentwurf daraufhin durchzugehen.
Auch ansonsten ist der Gesetzentwurf nicht ausgereift. Zunächst einmal blendet er die Frage der Konnexität schlicht aus. Eine Kostenfolgeabschätzung fehlt. Die kommunalen Spitzenverbände haben dagegen glaubhaft dargelegt, dass für die Aufbereitung der Daten und den Pflegeaufwand nun einmal dauerhaft Kosten anfallen. Alleine deshalb dürfte der Gesetzentwurf den verfassungsrechtlichen Anforderungen wohl kaum genügen.
Geradezu grotesk mutet es aber an, dass Ihrem Entwurf eines Transparenzgesetzes seinerseits Intransparenz bescheinigt werden muss. So erklärt der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
„In Punkten wie Aufbau, Übersichtlichkeit und Rechtsklarheit bleibt der Gesetzentwurf hinter der geltenden Fassung des IFG NRW zurück und lässt an nicht unwesentlichen Stellen die notwendige Transparenz für die Rechtsanwenderinnen und -anwender vermissen.“
Meine Damen und Herren, wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie auch zugeben, dass der Gesetzentwurf nicht reparabel ist. Darüber kann Ihr heute vorgelegter Änderungsantrag, der nur kleine redaktionelle Änderungen beinhaltet und die Probleme außen vor lässt, nicht hinwegtäuschen.
Der Gesetzentwurf bleibt damit, wie ich es bereits in der ersten Lesung bewertet habe, ein Diskussionsbeitrag, anhand dessen wir jedoch das eine oder andere lernen konnten. Zunächst hat sich gezeigt, dass die Komplexität der Materie eine einfache und schnelle Lösung verbietet.
Auch bei einer proaktiven Veröffentlichung von Daten durch Verwaltung und Politik ist unverzichtbar, dass grundrechtsrelevante Positionen wie der Schutz personenbezogener Daten oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht verletzt werden und schützenswerte Interessen etwa in Form der Vertraulichkeit bedürfender Dokumente gewahrt bleiben. Die nun beantragte Änderung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 verschlimmert den Gesetzentwurf an dieser Stelle sogar noch.
Des Weiteren hat sich gezeigt, dass sich gerade bei diesem Thema das Sprichwort „Weniger ist manchmal mehr“ wohl als richtig erweist. So ist es vielleicht doch keine wirklich sinnvolle Herangehensweise, den Katalog der proaktiv zu veröffentlichenden Daten von vornherein so umfangreich wie möglich zu gestalten. Vielmehr erscheint es vorzugswürdig, zunächst mit einem kurzen, prägnanten und rechtsklaren Katalog an Veröffentlichungspflichten zu beginnen und Erfahrungswerte zu sammeln, die eine spätere Fortentwicklung und Ausweitung auf weitere Tatbestände ermöglichen.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen hat die Initiative „NRW blickt durch“ ihrerseits einen Entwurf eines Transparenzgesetzes überreicht. Das Thema wird uns also erhalten bleiben.
Auch die Landesregierung ist gefordert. Bei der Vorlage der Open-Government-Strategie befindet sie sich bereits in Verzug. Wenn die Landesregierung im bisherigen Tempo fortfährt, wird sie das Versprechen aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag, die Veröffentlichungspflichten der öffentlichen Stellen deutlich auszuweiten und damit das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterzuentwickeln, wohl kaum bis zum Ende der Wahlperiode umsetzen können.
Dem Gesetzentwurf der Piraten können wir heute aus den genannten Gründen nicht zustimmen, doch wir sind gerne bereit, weiter an dem Weg hin zu Open Data konstruktiv mitzuarbeiten. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger am Livestream! Es ist ein bisschen schade, dass niemand von Ihnen zur Weiterentwicklung des Gesetzentwurfes beigetragen hat. Einen Änderungsantrag von Ihnen habe ich nicht gesehen, aber viel Kritik gehört.
Der Landtag Nordrhein-Westfalen kann einen Meilenstein in Transparenz setzen, wenn er den vorliegenden Gesetzentwurf so annimmt.
Der von unserer Fraktion eingebrachte Entwurf beruht auf der Adaption des Hamburger Modells eines Transparenzgesetzes, das von der Hamburger Bürgerschaft vor zwei Jahren einstimmig verabschiedet wurde. Es sind nicht „Fragmente“ der Initiative „NRW blickt durch“, Herr Bolte.
NRW wäre das erste Flächenland, das sich zu dieser Art der Veröffentlichung von staatlichen Dokumenten und Informationen bekennen würde. Vielerlei unterschiedliche Vorstöße, mehr Transparenz in staatliches Handeln zu bringen, kann man in der ganzen Bundesrepublik beobachten. Im rot-grünen Koalitionsvertrag ist dies auch festgehalten. Allein in der Ausgestaltung unterscheiden sich die Vorstellungen gravierend.
Ich habe auch den Eindruck, dass wir immer bei verschiedenen Anhörungen gewesen sind. Ich würde jedem empfehlen, das Protokoll über die Anhörung durchzulesen. Man könnte nämlich eine ganze Menge anderer Zitate herausziehen als die, die hier genannt worden sind.
Die Anhörung hat gezeigt, dass es einen breiten Konsens bei der Einführung eines Transparenzgesetzes in NRW geben kann.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Der Gesetzentwurf ist schlecht! Das ist der Punkt!)
Es gibt aber auch Knackpunkte. Ein Knackpunkt war zum Beispiel die Einbeziehung der Kommunen. Das war ein sehr wichtiger Punkt. Wir haben uns die Entscheidung, die Kommunen pflichtig in das Gesetz einzubeziehen, nicht leicht gemacht. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass genau dort in den Kommunen die Politik beim Bürger ankommt und wir in Nordrhein-Westfalen einen sehr hohen Kommunalisierungsgrad haben.
Zur gleichen Einschätzung kam übrigens auch der besonders von den Grünen, von Ihnen, Herr Bolte, so gelobte Entwurf der Initiative „NRW blickt durch“. In diesem Bündnis von Mehr Demokratie e. V,, Transparancy International und dem Bund der Steuerzahler haben sich die Initiatoren auf ein offenes Verfahren geeinigt, den Entwurf zu diskutieren. In weiten Teilen kommt man dabei zu übereinstimmenden Ergebnissen mit dem von uns vorgelegten Entwurf. Besonders einig ist man sich darin, dass bei einem entsprechenden Gesetz die Kommunen pflichtig zu berücksichtigen wären.
Die Vorbehalte der kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung in Bezug auf die möglichen Kosten hat Herr Bolte im Innenausschuss und eben auch noch einmal auf das Tableau gebracht. Ich muss mich darüber wirklich wundern, denn: Sind es nicht die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern, die dort einen Gesetzentwurf zum Transparenzgesetz eingebracht haben? Daraus darf ich einmal den Punkt „Kosten“ mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren:
„Den laufenden Kosten für die Umsetzung der Veröffentlichungspflicht und den Betrieb des Informationsportals stehen Einsparungen aufgrund der wegfallenden Antragsbearbeitung gegenüber.“
(Zuruf von den PIRATEN: Aha!)
„Einmalige Kosten für die Implementierung des Informationsportals sind im Landeshaushalt 2014/2015 zu berücksichtigen.“
So die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern.
Bereits im letzten Jahr haben wir mit unserem Antrag „Open Data endlich in NRW einführen – Landesregierung muss einheitliche Open (Government) Data-Plattformen fördern, Strukturen schaffen und Kommunen unterstützen“ die Einbeziehung der Kosten in den Landeshaushalt gefordert.
Ich denke, wir sind da ein ganzes Stück ehrlicher und sind auch bereit, Landesmittel für diese wichtige Aufgabe zur Stärkung der Demokratie bereitzustellen.
(Beifall von den PIRATEN)
Kein Pirat will die Kommunen bei der Einführung von mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger allein im Regen stehen lassen.
Frau Korte, nun zu der von Ihnen zitierten Aussage von Herrn Lehrer vom Städte- und Gemeindebund betreffend die Kosten für die von ihm für notwendig gehaltenen 0,1-Stelle, die erforderlich wäre, um in den Kommunen Transparenz umzusetzen. Die Kosten würden sich – wir haben es hochgerechnet – auf 18 Millionen € belaufen. Ich denke, das ist etwas, was einem die Transparenz im Land wert sein muss.
Sollte aber dies für die anwesenden Fraktionen nicht ausreichend sein, dann ist es jedem freigestellt, sich auf den dritten Teil des Konnexitätsausführungsgesetzes NRW zu berufen und die Landesregierung aufzufordern, eine entsprechend konkrete Kostenfolgeabschätzung in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden vorzunehmen.
Dann können wir in eine dritte Lesung gehen, um die dann neu gewonnenen Erkenntnisse einzuarbeiten. Stellen Sie also bitte diesen Antrag. Das wäre Arbeit an der Sache, unabhängig vom Antragsteller. Aber dazu ist hier im Hause ja leider niemand fähig.
Wir stellen diesen Gesetzentwurf heute abschließend zur Abstimmung mit einem Änderungsantrag zu den in der Anhörung zu Recht kritisierten formalen Punkten. Damit ist dieser Entwurf verabschiedungsreif. Allein der politische Wille zur Transparenz muss bei den Fraktionen gegeben sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Ihre Zustimmung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die eine offene, transparente Verwaltung in Nordrhein-Westfalen verdient haben. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. Bleiben Sie bitte gleich am Redepult. Der Kollege Bolte hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.
Matthi Bolte (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Herrmann, zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass bei einem Thema, bei einem Gesetzentwurf, der eigentlich das Kernanliegen der Piratenfraktion gewesen ist, als sie in den Landtag gekommen sind, nicht einmal die Hälfte Ihrer Fraktion bereit ist, Ihr Bemühen um einen Gesetzentwurf hier mit Anwesenheit zu honorieren.
Zweiter Punkt. Sie haben es sich nach wie vor – das haben wir in den Ausschüssen immer wieder kritisiert – auf dieser Metaebene gemütlich gemacht. Alle sind da irgendwie einer Meinung, dass es eines solchen Transparenzgesetzes bedarf. Wir auch. Das habe ich umrissen.
Aber Sie sind an keiner einzigen Stelle konkret auf das eingegangen – das werfe ich Ihnen tatsächlich vor –, was Ihnen die Sachverständigen gesagt haben, was Ihnen die Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen in der Ausschussberatung gesagt haben. Es ärgert mich ganz einfach, dass Sie an dieser Stelle nicht ordentlich arbeiten, nicht – so muss ich es interpretieren – ordentlich arbeiten wollen und deswegen dieses Thema dermaßen vor die Wand setzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frank Herrmann (PIRATEN): Ich kann nur sagen, dass unsere Initiativen zu dem Thema reihenweise abgelehnt worden sind. Wir sind diejenigen, die hier vor die Wand laufen. Die Politik der ausgestreckten Hand haben wir uns, ehrlich gesagt, auch anders vorgestellt. Alle Initiativen zum Thema „Transparenzgesetz“, „Open Government“ und „Open Data“ werden hier abgeblockt. Die Protokolle liegen vor. Man muss dort nur hineinschauen. Ich habe mir das anders vorgestellt.
Ich hoffe, wir können in den letzten zweieinhalb Jahren bis zum Ende der Legislaturperiode daran noch etwas ändern. Ich würde mich freuen.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung weiß sehr wohl um den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, Daten und Informationen öffentlich bereitzustellen. Den Wunsch gibt es nicht erst, seitdem Piraten in diesem Parlament präsent sind.
2001 wurde das Informationsfreiheitsgesetz hier im Landtag verabschiedet, und das im Übrigen einstimmig. Das Gesetz war damals für Nordrhein-Westfalen Neuland; das Wort hat der damalige Innenminister Fritz Behrens richtig immer wieder aufs Neue gebraucht. Das Inkrafttreten des IFG war wichtig, um die Distanz zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und der öffentlichen Verwaltung auf der anderen Seite zu überwinden, und zwar nicht nur was die Veröffentlichung von Daten anbelangt, sondern auch mit Bezug darauf, Vertrauen in die Verwaltungen aller Ebenen zu stärken.
Im Vergleich dazu hat sich heute, mehr als zwölf Jahre später, einiges verändert. Technische Möglichkeiten haben sich dynamisch entwickelt. Drei von vier Menschen in diesem Lande verfügen über einen Internetzugang, 2001 waren es etwa 37 %.
Das IFG ist evaluiert und im Grundsatz bestätigt worden. In Kombination mit der Errichtung des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit als unabhängige Stelle haben wir für NRW Regelungen, die Datenschutz und Transparenz in hohem Maße gewährleisten.
Meine Damen und Herren, das heißt natürlich nicht, dass wir es beim heutigen Zustand belassen wollen. Es ist eben schon auf den NRW-Koalitionsvertrag hingewiesen worden. Nach diesem Vertrag wollen wir das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln. Das Wort „weiterentwickeln“ ist das Entscheidende. Wir wollen ein über Jahre gewachsenes und bewährtes Gefüge nicht eins zu eins durch ein Transparenzgesetz ersetzen, das vielleicht für Stadtstaaten gut sein mag, aber auf ein Flächenland wie NRW kaum übertragbar ist.
Die Beratungen in den Ausschüssen haben gezeigt: So einfach, wie es sich die Piraten vorstellen oder wünschen, ist es eben nicht. Sowohl die kommunalen Spitzenverbände als auch der LDI sind sich einig: Ein völlig neues, aus dem Boden gestampftes Gesetz brauchen wir nicht.
Die Landesregierung will dagegen den im Koalitionsvertrag verankerten und bereits beschrittenen Weg weitergehen. Dabei sind die Fragen der technischen und finanziellen Realisierbarkeit ebenso sorgfältig zu prüfen wie Aspekte der Konnexität. Wir werden die derzeitige Situation genau untersuchen und evaluieren. Die dabei gewonnen wichtigen Erkenntnisse werden wir nutzen, um die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes sinnvoll anzugehen.
Meine Damen und Herren von der FDP, haben Sie keine Sorge: Der Koalitionsvertrag wird bis zum Ende der Wahlperiode erfüllt. Hier geht allerdings auch Genauigkeit vor Schnelligkeit. Das ist selbstverständlich.
Im Übrigen brauchen wir keine Anleihen bei Hamburg zu machen. Wir sind ein großes Land und müssen das Informationsfreiheitsgesetz entsprechend unseren Bedingungen weiterentwickeln, so wie es die Koalitionsparteien verabredet haben. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Herr Minister Schneider hat übrigens in Vertretung von Herrn Minister Jäger gesprochen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass wir die Aussprache schließen können und zur Abstimmung kommen. Ich lasse als Erstes über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten, Drucksache 16/5556, abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Enthaltungen? – Niemand. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/5556 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.
Wir haben nun über den ursprünglichen Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Innenausschusses und damit über die Beschlussempfehlung abzustimmen. Ich rufe daher die Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5496 auf. Dort empfiehlt uns der Innenausschuss, den Gesetzentwurf Drucksache 16/3248 abzulehnen. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Piraten. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5496 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/3248 damit abgelehnt.
Ich rufe auf:
Antrag
der
Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5479
Eine Beratung ist heute nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5479 an den Hauptausschuss – federführend – und zur Mitberatung ausnahmsweise an den Ältestenrat. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf:
Unterrichtung
durch die Landesregierung
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5570
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5572
Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 8. April dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem Thema „Ergebnis der Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes“ zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch die Ministerin für Schule und Weiterbildung. – Jetzt hat Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Unterrichtung vom 20. Februar 2014 zu den Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes habe ich Ihnen das Angebot des Landes ausführlich erläutert.
Leitplanken des Landes waren und sind, erstens, den Kommunen gegenüber die Zusage einer fairen Evaluation der Kostenentwicklung zu machen, sowie, zweitens, mit Blick auf den Landeshaushalt keinen Blankoscheck auszustellen, insbesondere nicht bezogen auf individuelle Ansprüche, die nicht auf Rechtsetzungen des Landes zurückgehen.
Zum damaligen Zeitpunkt war nicht absehbar, ob es noch zu einer Einigung mit den kommunalen Spitzenverbänden kommen würde. Ganz im Gegenteil: Es stand zeitweise auch ein Scheitern der Verhandlungen im Raum. Aber manchmal braucht man eben eine Nachspielzeit, damit es dann auch ein Ergebnis gibt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Im Interesse vor allem der betroffenen Kinder und ihrer Eltern und auch im Interesse der Kommunen bin ich heute sehr dankbar, dass wir uns nun doch noch verständigt haben. Und ich möchte Ihnen gerne erläutern, warum.
Die Bemühungen der letzten Monate und insbesondere der letzten Wochen haben sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Die Beteiligten haben allen Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zum Trotz die Tür nie vollständig hinter sich zugeschlagen. Sie war immer offen, und so war es möglich, wieder aufeinander zuzugehen. Das haben wir – damit meine ich die kommunalen Spitzenverbänden und die Landesseite – getan. Ich sehe dies als Ausdruck des gemeinsamen Willens, die UN-Behindertenrechtskonvention zum Wohle der Kinder und Jugendlichen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung zum Erfolg zu führen.
Für dieses Ziel haben beide Seiten bewusst Maximalpositionen aufgegeben und immer wieder Kompromisslinien gesucht. Eine entscheidende Zwischenetappe – man kann vielleicht auch sagen, dass es der Durchbruch in den Gesprächen war – war die zunächst erzielte Einigung mit dem Städtetag von Nordrhein-Westfalen. Ich will die Beteiligten ausdrücklich nennen: Das waren die Oberbürgermeister Herr Bude, Herr Jung, Herr Napp sowie Herr Articus und Herr Hebborn. Bei ihnen war von Anfang an der Wille spürbar, nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame zu suchen. Deshalb gilt ihnen auch unser besonderer Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
In dieser Einigung war die wesentliche Zusage enthalten, eine erste Überprüfung der Kostenentwicklung schon zum 1. Juni 2015 vorzunehmen und so die Rechtsposition der Kommunen vor Ablauf der Klagefrist zum 31. Juli 2015 zu wahren. Diese Entscheidung ist schon in den Gesprächen mit dem Städtetag von Nordrhein-Westfalen erreicht worden.
Ende letzter Woche ist es dann in weiteren Spitzengesprächen gelungen, ein grundsätzlich konsensfähiges Konzept für eine Beteiligung des Landes an den Kosten der Schulträger für die Inklusion zu erarbeiten. Zumindest haben alle dort Beteiligten gesagt, dass sie das jetzt für tragfähig halten und in ihren Gremien für eine Zustimmung werben wollten.
Dieses war noch von den Entscheidungsgremien der kommunalen Spitzenverbände zu beraten und konnte daher selbstverständlich noch nicht öffentlich als Verständigung bezeichnet werden. Deswegen liegt diese Unterrichtung ja auch mit Respekt vor den Gremienentscheidungen des Städte- und Gemeindebundes etwas ungewöhnlich am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich freue mich sehr, dass heute Nachmittag auch der Städte- und Gemeindebund als letzter Spitzenverband seine Zustimmung erteilt und damit den Weg zu der erhofften Einigung mit allen drei kommunalen Spitzenverbänden endgültig freigemacht hat.
Gleichzeitig wird damit der Fokus wieder auf die Inhalte gelenkt: die Organisation und praktische Umsetzung einer qualitativ hochwertigen inklusiven Beschulung an den nordrhein-westfälischen Schulen. Die Landesseite und die kommunalen Spitzenverbänden haben sich im Wege des gegenseitigen Gebens und Nehmens konkret auf folgende Eckpunkte verständigt:
Erstens. Das Land erkennt die Konnexität hinsichtlich der inklusionsbedingten Mehraufwendungen der Städte und Gemeinden als Schulträger an.
Damit sollen die insbesondere in der Übergangszeit erwarteten Mehrkosten für zusätzlichen Raumbedarf, für die Herstellung von Barrierefreiheit und für die Bereitstellung zusätzlicher Lehrmittel gedeckt werden. Das ist der sogenannte Korb 1.
Erwartete Entlastungseffekte lassen sich jetzt noch nicht beziffern und können deswegen sozusagen nicht abgewogen und in Rechnung gestellt werden.
Mit diesem Korb 1 reagiert das Land auf Erkenntnisse, die das bildungsökonomische Gutachten von Herrn Prof. Klemm erbracht hat. Es hat einen wichtigen Beitrag zur Ermöglichung des gefundenen Kompromisses geleistet. Und diese Erkenntnisse, lieber Herr Kaiser – Sie haben ja freundlicherweise Ihren Sprechzettel schon öffentlich gemacht, bevor Sie die Unterrichtung gehört haben –,
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
hatten wir zum Zeitpunkt der Verabschiedung noch nicht. Das müssen Sie doch wohl zugestehen.
Zweitens. Ab dem Schuljahr 2014/2015 erhalten die Kommunen für diese Aufwendungen einen pauschalierten Ausgleich in Höhe von jährlich 25 Millionen €. Die Verteilung erfolgt auf der Grundlage der Schülerzahlen an allgemeinen Schulen.
Drittens. Um den Befürchtungen der Kommunen Rechnung zu tragen, die Mittel könnten möglicherweise nicht ausreichen, wird in den Jahren 2015 bis 2017 eine jährliche Überprüfung der kommunalen Aufwendungen stattfinden. Dieses Ergebnis, diese Präzisierung, ist in den letzten Verhandlungsrunden erzielt worden. Im Bedarfsfall ist zum jeweils nächsten Haushaltsjahr eine Anpassung der Kostenpauschale vorgesehen.
Viertens. Eine gelingende Inklusion hängt von möglichst guten Rahmenbedingungen ab. Hierzu gehört neben den zusätzlichen Lehrerstellen, die das Land ohnehin bereitstellt, die im Gesetz stehen und die im ersten Landeshaushalt auch für dieses Haushaltsjahr schon stehen, vor allem die zusätzliche Unterstützung der Schulen durch nichtlehrendes Personal, durch sogenannte multiprofessionelle Teams.
Daher ist das Land bereit, die Kommunen mit – ich betone es – einer freiwillige Leistung unbefristet, aber gleichwohl gesetzlich abgesichert, mit einer Inklusionspauschale in Höhe von jährlich 10 Millionen € zu unterstützen. Das entspricht dem Volumen von 200 Lehrerstellen. Auch diese Verteilung erfolgt als pauschalierte Zuweisung ab dem Haushaltsjahr 2015. Das ist der sogenannte Korb 2.
Dieses Geld, meine Damen und Herren, dient ausdrücklich nicht der Finanzierung etwaiger Individualansprüche gegen die Träger der örtlichen Sozial- bzw. Jugendhilfe. Das bedeutet, dass diese Integrationshilfe weiterhin außen vor bleibt. Diesbezüglich hält das Land an seiner Rechtsauffassung fest, wie es sie im Vorblatt des Entwurfs des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes dargelegt hat: Es handelt sich hierbei um bundesgesetzliche Regelungen. In § 92 Abs. 1 Satz 2 des Schulgesetzes ist hierzu eindeutig geregelt – ich zitiere –:
„Kosten für die individuelle Betreuung und Begleitung einer Schülerin oder eines Schülers, durch die die Teilnahme am Unterricht in der allgemeinen Schule, der Förderschule oder der Schule für Kranke erst ermöglicht wird, gehören nicht zu den Schulkosten.“
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diese Auffassung ist im Übrigen in einigen Gerichtsverfahren im Land bestätigt worden.
Insofern können Aufwendungen in diesen Bereichen nicht dem Land und schon gar nicht dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz zugerechnet werden. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine finanzielle Unterstützung hierfür aus. Das ist die von mir und von uns betonte rote Linie, über die wir nicht gehen können. Hierfür, Herr Kaiser, meine Damen und Herren, erfolgt auch keine Anerkennung der Konnexität. Die Dinge sind manchmal etwas komplizierter und differenzierter. Das merkt man, wenn man sich so intensiv wie wir mit ihnen im Sinne einer Einigung und zielführend auseinandersetzt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Fünftens. Dennoch werden die Aufwendungen für Integrationshilfe an Schulen in den Jahren 2015 bis 2017 jährlich und danach all drei Jahre untersucht werden. Obwohl die Kinder nur einmal in die Schule gehen, nämlich in die Förderschule oder in die allgemeine Schule, und der Anspruch unabhängig vom Förderort besteht, befürchten die Kommunen, dass es einen überproportionalen Anstieg dieser Integrationshilfe in der allgemeinen Schule gibt. Sofern wir eine überproportionale Entwicklung der Aufwendungen für Integrationshilfe an allgemeinen Schulen im Vergleich zu den Aufwendungen an Förderschulen feststellen, würden wir die Inklusionspauschale landesseitig anpassen.
Der zusätzliche Einsatz sonderpädagogischer Lehrkräfte sowie multiprofessioneller Teams soll aber im Gegenteil dazu beitragen, dem Aufwuchs individueller Ansprüche auf Integrationshilfe zu begegnen. Dem dient im Übrigen auch die verabredete Bundesratsinitiative, mit der wir erreichen wollen, dass die Integrationshelfer stärker als bisher und rechtssicher – auf Neudeutsch – „gepoolt“ werden können. Das anzustreben, ist eine Win-win-Situation. Im Übrigen ist sich da auch die Kultusministerkonferenz einig. Einig sind sich Pädagogen und Finanzpolitiker, dass das für die pädagogische Arbeit in den Schulen sinnvoll wäre. Gleichzeitig würde es Kosten senken. Da das so ist, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass es nicht gelingen kann, das auf Bundesebene durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, diese Vereinbarungen sind für das Land – dessen bin ich mir bewusst – eine Herausforderung. Wir, die rot-grüne Landesregierung, investieren damit in den nächsten Jahren über 1 Milliarde € für einen gelingenden Inklusionsprozess an unseren Schulen. Über 1 Milliarde €! – Herr Lindner von der FDP, wie man da von einem „Sparmodell“ sprechen kann, entzieht sich meiner Vorstellung,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
wo Sie doch sonst immer fordern, wir sollten bezüglich der Ausgaben des Landes sorgsam sein.
Damit wird auch deutlich, dass wir wesentlich mehr Geld als die 175 Millionen € für den kommunalen Belastungsausgleich in die Hand nehmen, die in der öffentlichen Debatte der letzten Wochen so stark im Vordergrund gestanden haben.
Ich verstehe und respektiere – unabhängig von gesetzlichen Ausgleichspflichten – auch das Anliegen der kommunalen Familie, bei der Umsetzung der Inklusion vor Ort und den damit verbundenen finanziellen Leistungen unterstützt zu werden. Umgekehrt sind in den Verhandlungen die Interessen des Landes immer wieder deutlich gemacht worden und bei den kommunalen Spitzenverbänden erkennbar auf Verständnis gestoßen.
So haben sie in der letzten Woche die Höhe der Beiträge nicht mehr infrage gestellt. Gleichzeitig ist es dabei geblieben, dass das Land die Kosten für die Integrationshilfe nicht übernehmen wird. Einen Blankoscheck haben wir also nicht ausgestellt.
Meine Damen und Herren, ich bewerte diese Vereinbarungen, um die hart, aber überwiegend konstruktiv gerungen worden ist, als durchweg positiv und für beide Seiten als fair und vertrauensbildend.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-vention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie dient dem Wohl aller Kinder und Jugendlichen. Es ist daher angemessen und richtig, dass sich Bund, Länder und Kommunen nach Kräften engagieren und dieser Aufgabe gemeinsam stellen.
Meine Damen und Herren, was die bevorstehenden jährlichen Überprüfungen der kommunalen Aufwendungen angeht, werden wir an diesen Gedanken anknüpfen. Auch diese Aufgabe kann nur in einem gemeinsamen Prozess bewältigt werden.
Die Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände ist unverzichtbar und Voraussetzung dafür, dass das Ministerium für Schule und Weiterbildung dem Landtag berichten kann. Der Prozess wird genauso angelegt sein, wie er in dem Zeitraum zwischen der Verabschiedung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes und dem heutigen Tag in die Tat umgesetzt wurde, das heißt, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit den kommunalen Spitzenverbänden. Auch dieser Arbeitsgruppe, die von Staatssekretär Hecke geleitet wurde, gebührt mein Dank. Die Staatskanzlei war eingebunden. Das MIK war eingebunden. Hier ist also auch jenseits der Spitzengespräche in den Ministerien sehr, sehr viel Arbeit geleistet worden. Dafür ebenfalls mein herzlicher Dank!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diesen Willen, den konstruktiven Weg gemeinsam weiterzugehen, bringt auch der Ihnen vorgelegte Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck. Mit den Vorbereitungen der Überprüfungsverfahren wird mein Haus zügig beginnen, um die Einhaltung der vereinbarten Fristen sicherzustellen.
Darüber hinaus wird – einerseits um den Kommunen die versprochene Rechtssicherheit zu geben und andererseits um die Landesleistungen auf eine juristisch saubere Grundlage zu stellen – in Kürze ein entsprechender Gesetzentwurf eingebracht werden.
Meine Damen und Herren, ich bin gespannt, wie sich CDU und FDP zu dem Entschließungsantrag und dem weiteren Gesetzgebungsverfahren verhalten werden. Ich wünsche mir, dass Sie zu der Zusammenarbeit zurückfinden, die Herr Laumann als Fraktionsvorsitzender uns bezogen auf das Thema „Inklusion“ immer versprochen hatte. Die CDU hat hier etwas versprochen; bisher hat sie es nicht gehalten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass sich die Piratenfraktion im Schulausschuss stets konstruktiv und an der Sache orientiert verhalten hat.
(Zuruf von den PIRATEN: So ist das nämlich!)
Ihnen allen möchte ich in dem Zusammenhang ein Zitat unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck ans Herz legen: Inklusion fordert ein Wir!
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich nicht versäumen, allen an den Verhandlungen Beteiligten noch einmal ausdrücklich und herzlich zu danken, insbesondere den Fraktionsvorsitzenden von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Herrn Römer und Herrn Priggen, die viel Zeit, Geduld, Nerven und ihr gesamtes, über die Jahre angehäuftes Verhandlungskönnen in diesen Prozess eingebracht haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ohne ihren großen persönlichen Einsatz für die Sache wäre die Einigung nicht denkbar gewesen und nicht zustande gekommen. Sie haben das entscheidende Zeichen gesetzt, indem sie die Bereitschaft der Koalitionsfraktionen für die zusätzlichen Investitionen zugesagt haben und eben nicht nur, wie es im Gutachten steht, für drei Jahre, sondern für fünf Jahre. Auch das ist eine entscheidende Planungssicherheit für die Schulträger.
Meine Damen und Herren, wir sind überzeugt, dass wir mit unserem Vorgehen die Inklusion in NRW zum Erfolg führen. Das ist gut für unsere Kinder und Jugendlichen und auch für die Zukunft unseres Landes.
Das war im Übrigen auch der Tenor auf der UNESCO-Konferenz, die vor zwei Wochen in Bonn stattgefunden und ein Zwischenfazit nach fünf Jahren Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskon-vention gezogen hat. Nordrhein-Westfalen ist übrigens eines von vier von 16 Ländern, die überhaupt seit diesem Zeitpunkt eine gesetzliche Grundlage für die Umsetzung der schulischen Inklusion geschafft hat. Viele andere Länder haben das noch nicht geschafft. Auch das kann man in einer solchen Debatte einmal sagen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Auf dieser Konferenz wurde – man höre und staune – Nordrhein-Westfalen nicht nur für die gesetzliche Verankerung, sondern auch für seinen umfassenden, systematischen und nachhaltigen Prozess zur Umsetzung der Inklusion positiv gewürdigt. Meine Damen und Herren, auf diesem Lob ruhen wir uns aber nicht aus – natürlich freuen wir uns darüber –, sondern wir betrachten es als Ermutigung, unseren Weg weiterzugehen.
Sie wissen es, und ich bleibe bei dem Bild: Die Inklusion in unseren Schulen umzusetzen, erfordert einen Paradigmenwechsel besonders im Kopf. Die Umsetzung ist kein Sonntagsspaziergang, sondern eine anspruchsvolle Bergwanderung. Die werden wir fortsetzen. Wir haben jetzt Absperrgitter beiseite geräumt; wir haben neuen Proviant. Die nächste Etappe des Aufstiegs kann gelingen. Die können wir angehen. Ich kann Sie nur einladen, marschieren Sie mit, statt sich ins Abseits zu manövrieren! Das ist heute ein guter Tag mit dieser Einigung für die Inklusion in unseren Schulen, für unsere Kinder und Jugendlichen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – So weit die Unterrichtung durch die Landesregierung.
Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich Ihnen noch den Hinweis geben, dass Ihnen mutmaßlich in Kürze ein weiterer Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/5572 vorgelegt wird, den wir selbstverständlich am Ende der Aussprache ebenfalls zur Abstimmung stellen werden.
Wir treten in die Aussprache ein. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Kaiser das Wort. – Bitte, Herr Kollege.
Klaus Kaiser*) (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann, eine Bemerkung vorweg: Sie haben eben unseren vorherigen Fraktionsvorsitzenden Karl-Josef Laumann in Bezug auf Inklusion angesprochen. Eines ist wichtig – dazu steht die CDU-Fraktion auch heute –: Wir wollen Inklusion, und wir wollen, dass Inklusion in Nordrhein-Westfalen gelingt. Für dieses Gelingen muss man alles tun. Vor dem Hintergrund müssen wir heute das beleuchten, was Sie als Arbeitsergebnis vorgelegt haben.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)
Sehr verehrte Frau Löhrmann, heute besteht in den Kommunen und in den Schulen Klarheit darüber, auf was man sich verlassen kann. Es bleiben also netto zwei Monate; denn bekanntlich fangen morgen die Osterferien an, und die Sommerferien stehen bevor. Es ist nicht mehr sehr viel Zeit.
(Beifall von der CDU)
Da ist es kaum wahrscheinlich, einen Beitrag zum Gelingen der Inklusion geleistet zu haben.
(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)
Nur zur Erinnerung: Wir haben das 9. Schulrechts-änderungsgesetz am 16. Oktober letzten Jahres verabschiedet.
(Zurufe von der SPD)
Normalerweise regelt man, wenn man ein Gesetz verabschiedet, die finanziellen Wirkungen und die Wirkungen, die bei den Kommunen ankommen. Das haben Sie nicht getan. Sie haben ein halbes Jahr weiter verhandelt, eine Hängepartie veranstaltet, Erpressungsszenarien aufgebaut und legen heute ein Ergebnis vor.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Wahlkampf! – Weitere Zurufe von der SPD)
– Ich habe es nicht verstanden. – Sie legen also heute ein Ergebnis vor, das vor sechs Monaten für erheblich mehr Klarheit und mehr Sicherheit gesorgt hätte. Das ist der Hintergrund. Es ist Ihnen bisher nicht gelungen – das hat Ihnen Herr Laumann auch immer ins Stammbuch geschrieben –, das Thema „Inklusion“ zu einem Gewinnerthema für Nordrhein?Westfalen zu machen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Auch heute gilt: Eltern von Kindern mit Behinderungen wissen, was an einer Förderschule auf sie wartet, wenn es sie dann noch gibt. Aber Eltern von Kindern mit Behinderungen wissen noch nicht, was sie an der allgemeinen Schule erwartet.
(Beifall von der CDU)
Der Vorwurf, den wir Ihnen nicht ersparen können, lautet: Dadurch, dass Sie monatelang mit den Kommunen verhandelt und diese Ergebnisse nicht gebracht haben, ist große Unsicherheit entstanden.
Sie haben eben gefragt: Mit wem reden Sie? – Das will ich Ihnen genau sagen, Frau Ministerin. Mit wem reden wir? – Wir reden mit betroffenen Eltern, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Die sagen: Wir leben in großer Unsicherheit, nichts ist klar. – Wir reden mit betroffenen Lehrerinnen und Lehrern, die uns sagen: Wir sollen zum 1. August Inklusion machen, wir sind auch gerne bereit, das zu machen, aber die Vorbereitung ist nach wie vor dürftig.
(Beifall von der CDU)
Da ist Angst im System, da ist Sorge im System. Und Sie werden sehen, dass Sie dadurch, dass Sie keine klaren Verhältnisse, keine Standards geschaffen haben, auch keine Vorleistung erbracht haben, dieses Thema zu einem Gewinnerthema zu machen. Wenn man keine Standards setzt, wird es eben schwierig.
Wir begrüßen natürlich, dass es wenigstens jetzt eine Einigung gegeben hat,
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)
dass das Land und die Kommunen miteinander reden. Natürlich! Aber es ist viel zu spät.
(Beifall von der CDU – Dietmar Bell [SPD]: Der Kaiser ohne Kleider!)
– Soll ich Ihnen meine Brille schenken?
(Heiterkeit)
– Dann können wir das aufarbeiten.
Frau Löhrmann, ich erinnere daran, dass in Ihrem Haus – so ist es im Schulausschuss wiederholt dargelegt worden – immer gesagt worden ist: Wir sehen in dieser Frage keine Konnexitätsrelevanz. – Heute stellen Sie fest: Hier ist Konnexität gegeben. – Das heißt, Sie waren auf dem falschen Pfad. Sie mussten sich korrigieren. Und nur dadurch ist diese Einigung möglich geworden. – Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Das durchzieht im Prinzip den gesamten Prozess. Da hilft es auch nicht, dass Sie jetzt alle Einzelheiten in die Einigung einbezogen haben. Ich glaube, dass die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium da eine Riesenfleißarbeit geleistet haben; das steht gar nicht in Abrede. Aber dadurch, dass Sie die Konnexität grundsätzlich ignoriert haben, haben Sie den Prozess unnötig verzögert.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Dadurch haben die Kommunen nun zu spät Handlungssicherheit. Das ist doch das Faktum, über das wir reden müssen.
Herr Römer hat im Laufe des Prozesses gesagt, man solle sich von Prinzipien verabschieden. Da frage ich mich: Von welchen Prinzipien soll man sich denn verabschieden? Die Rechte unserer Kommunen sind keine Verhandlungsmasse von Rot-Grün. Und Konnexität ist keine Frage von Prinzipien, sondern ein Grundrecht, das für alle Kommunen gilt.
(Zuruf von der SPD: Was heißt das denn für die CDU?)
Meinte er vielleicht, dass man sich von der qualitativen Umsetzung der Inklusion in Schulen verabschieden sollte? Sollte man sich davon auf Kosten der Betroffenen verabschieden?
Bis zum 31. Januar – so haben Sie es ins Gesetz geschrieben – wollten Sie die Einigung mit den kommunalen Spitzenverbänden erreichen. Heute ist der 10. April. Aufgrund dieser verspäteten Zusage gibt es große Unsicherheit mit Blick auf den 1. August. Die Einigung kommt – das gilt es festzuhalten – viel zu spät.
Herr Priggen, jetzt muss ich auf Ihr Ablenkungsmanöver in der Pressekonferenz von Dienstag eingehen.
(Heiterkeit von Reiner Priggen [GRÜNE])
Offensichtlich haben Sie es schon gelesen. Dann werden wir gleich die Retourkutsche hören. Demnächst können Sie mal Ihre Skripte auch vorher schicken, dann können wir schon mal ein bisschen darauf eingehen.
(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)
Aber wir versuchen es mal so, Frau Löhrmann.
Es war schon unverfroren und dreist, zu behaupten, die CDU sei schuld an der späten Einigung. Das war ja eine ganz neue Nummer. Wenn Sie in Ihrer Koalition nicht geklärt haben, ob da Konnexität gilt oder nicht, dann müssen Sie den Schuldigen nicht woanders suchen.
(Beifall von der CDU)
Sie müssen auch nicht glauben, wir wüssten nur, was in Schulen passiert. Wir hören gelegentlich auch, was in Fraktionen passiert. Es war nicht unbedingt die CDU der Bremser. Wir wissen, was in der SPD-Fraktion so diskutiert worden ist.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Da können wir uns vielleicht mal über gewisse Bremsen unterhalten.
Herr Priggen, noch am 20. Februar gab es eine Presseerklärung des Städtetages, aus der hervorgeht, dass er dem Angebot des Landes nicht zustimmt. Erst Ende März drehte der Städtetag bei. Aber auch da wäre eine Einigung viel zu spät gewesen.
(Marc Herter [SPD]: Falsch! Falsch! Falsch! )
Zu behaupten, wir hätten da Einfluss genommen, ist schon abenteuerlich.
In allen kommunalen Spitzenverbänden haben alle Parteien Mitspracherecht. Herr Priggen, so billig brauchen Sie es doch gar nicht. Sie können doch besser argumentieren.
(Heiterkeit von Reiner Priggen [GRÜNE] – Stefan Zimkeit [SPD]: Sie nicht! Das ist das Problem!)
Von daher, denke ich, sollten wir das zurücknehmen und vergessen.
(Beifall von der CDU)
Noch viel lächerlicher ist es natürlich, wenn gesagt wird: Was regt Ihr euch denn auf? Das Geld kommt doch sowieso erst nächstes Jahr! – Das ist ja überhaupt nicht mehr zu überbieten.
Also: An Ignoranz glaube ich bei Ihnen grundsätzlich nicht. Aber es ist vielleicht ein bisschen leichtsinnig, zu glauben, die Kommunalen hätten erst dann Planungssicherheit, wenn sie genau wüssten, dass ihnen die Kosten erstattet würden. Denn wenn man weiß, dass die Kosten erstattet werden, dann geht man in die entsprechenden Planungen. Aber gut organisierte Kommunen gehen auch nicht blindlings in Planungen.
Das ist das, was wir Ihnen an Vorwurf machen können: Sie haben die Zeit für die Vorbereitung in den Kommunen extrem verkürzt durch die Hängepartie, die Sie verursacht haben.
(Beifall von der CDU)
Frau Löhrmann, Sie sind ja gezwungen worden, die Konnexität anzuerkennen. Wir finden das gut. Nur – wie gesagt – leider kommt die „graue Inklusion“ viel zu spät.
(Zurufe von der SPD: Das war das fünfte Mal!)
– Sie kennen doch den alten Spruch von Heinz Kühn: Hämmern, hämmern, hämmern, bis der Nagel sitzt! – Ich habe mehrfach wiederholt, dass Sie zu spät sind, und Sie haben es jetzt offensichtlich verstanden.
(Beifall von der CDU)
Von daher bin ich froh über die Resonanz aus der SPD-Fraktion. Offensichtlich sitzt es bei euch jetzt, dass ihr ein bisschen spät dran seid.
Die graue Inklusion findet in den Schulen statt. Kinder mit Beeinträchtigungen werden unvorbereitet in den gemeinsamen Unterricht gehen. Lehrerinnen und Lehrer sind überfordert und verängstigt. Es stehen nicht genügend Ressourcen zur Verfügung. Die doppelte Besetzung im Unterricht ist nicht gewährleistet. Das, meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin, geht zulasten der Schülerinnen und Schüler.
Wie wir uns in der Abstimmung verhalten werden, können Sie gleich unserem Entschließungsantrag entnehmen. Wir wollen Qualitätsstandards für die Inklusion. Wenn man nämlich Qualität von Anfang an garantiert, gelingt die Inklusion, und dann wird sie auch gesellschaftlich akzeptiert. Sie haben hier eine große Chance vertan.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Als nächster Redner spricht für die SPD-Fraktion deren Vorsitzender, Herr Kollege Römer.
Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kaiser, ich kann Ihre Säuernis und Ihre Verbitterung durchaus nachvollziehen;
(Beifall von der SPD – Klaus Kaiser [CDU]: Ach was!)
denn Sie haben sich von der kommunalen Familie richtig im Stich gelassen gefühlt, als die jetzt entschieden hat, dass sie doch bei der Verständigung mitmacht. Sie haben sich so viel Mühe damit gegeben, auf die einzureden, das doch sein zu lassen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Klaus Kaiser [CDU]: Quatsch! – Weitere Zurufe von der CDU)
Die Verzweiflung war Ihnen gerade anzusehen,
(Lachen von Klaus Kaiser [CDU])
vor allem die Verzweiflung darüber, dass Sie, weil sich der Fraktionsvorsitzende der CDU, Ihr Kollege Laschet, davor gedrückt hat, hier zu uns zu reden, das jetzt auch noch ausbaden mussten. Sie tun mir richtig leid, Herr Kollege Kaiser.
(Beifall von der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wiederhole das, was die Ministerin gerade gesagt hat: Heute ist ein guter Tag für die behinderten Kinder und deren Eltern,
(Klaus Kaiser [CDU]: Die sehen das ganz anders!)
die ihren Rechtsanspruch wahrnehmen und den Weg zum gemeinsamen Lernen mit nichtbehinderten Kindern wählen wollen.
(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])
Es gibt jetzt eine Verständigung zwischen der Landesregierung, den beiden regierungstragenden Fraktionen und den drei kommunalen Spitzenverbänden über den Belastungsausgleich bei der Umsetzung der schulischen Inklusion. Ich freue mich, dass heute Nachmittag auch der Städte- und Gemeindebund dieser Vereinbarung zugestimmt hat.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Über die Einzelheiten dieser Vereinbarung hat Ministerin Löhrmann gerade ausführlich berichtet. Herr Kollege Kaiser, Sie hätten da zuhören sollen,
(Klaus Kaiser [CDU]: Das habe ich!)
dann wäre Ihnen manches an Reaktionen erspart geblieben. Die passten nämlich überhaupt nicht mit dem zusammen, was tatsächlich verabredet und vereinbart worden ist.
Ja, es ist eine gute und vor allem eine faire Vereinbarung, der die kommunale Familie am Ende voller Überzeugung und vor allem geschlossen zustimmen konnte und zugestimmt hat. Wir haben von Beginn an darauf hingewiesen: Wir wollen in diesem schwierigen Prozess, gerade was die Kostenfrage angeht, eine Verständigung mit der kommunalen Familie herbeiführen. Wir wollen vermeiden, dass die schulische Inklusion von Beginn an von einem Rechtsstreit überschattet wird. Deshalb haben wir uns enorme Mühe gegeben.
Ja, Herr Kollege Kaiser, ich habe des Öfteren, auch öffentlich, dafür geworben, auch bei der kommunalen Familie: Lassen Sie uns in dieser Frage zu einer Verständigung kommen, und lassen Sie uns nicht im Prinzipienstreit erstarren. – Das waren die Bedingungen, um die es uns gegangen ist: den Prinzipienstreit an die Seite legen und sich aufeinander zubewegen, um zu einer Verständigung im Interesse der Kinder, der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer und der Kommunen zu kommen. Dafür lohnt sich jede Anstrengung.
(Beifall von der SPD)
20 intensive Gesprächsrunden haben wir mit den Vertretern der drei Spitzenverbände in diesem Zusammenhang hinter uns gebracht. Immer wieder wurde deutlich – das will ich Ihnen nicht ersparen, meine Damen und Herren von der FDP –, dass die schlechten Erfahrungen, die die kommunalen Spitzenverbände mit der abgewählten schwarz-gelben Rüttgers-Regierung gemacht haben, bis heute nachwirken. Auch das wurde in diesem Prozess immer wieder deutlich.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])
Wir haben mit der Verabschiedung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes am 16. Oktober letzten Jahres eine Vereinbarung mit den kommunalen Spitzenverbänden geschlossen. Mit dieser Vereinbarung haben wir uns auf den Weg gemacht, gemeinsam festzustellen – darauf hat die Ministerin hingewiesen –, welche Kosten im Zusammenhang mit der schulischen Inklusion entstehen. Wir haben verabredet, das möglichst schnell zu machen. Zum 31. Januar sollte das Ergebnis der Begutachtung durch Prof. Klemm vorgelegt werden. Das ist passiert. Danach haben wir über dieses Ergebnis geredet und darüber, welche Konsequenzen wir daraus ziehen.
Herr Kollege Kaiser, ich füge hinzu, weil es der Wille und der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände waren, sich Zeit zu nehmen, um darüber zu reden und zu einem Ergebnis hinsichtlich dessen zu kommen, was von Prof. Klemm an Kosten ermittelt worden ist, um dies in eine Verständigung einzubringen: Sollten wir in einer solchen Situation sagen: „Nein, wir nehmen uns die Zeit nicht“? – Ich stehe dafür, dass wir uns die Zeit genommen haben; denn das Ergebnis macht heute deutlich: Ja, es war richtig, diesen Verständigungsprozess geduldig und nachhaltig herbeizuführen. Es hat geholfen. Es ist im Interesse des Landes und der kommunalen Familie, heute eine solche Verständigung zu haben, Herr Kollege Kaiser.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Da Sie bei den Zahlen und den Daten einiges durcheinanderbringen, will ich Ihnen sagen, was der Städtetag, der als Erster durch die Tür gegangen ist, die wir aufgehalten haben, am 20. Februar gemacht hat.
Am 20. Februar – wir hatten hier eine Landtagssitzung – haben wir im Zusammenhang mit der damaligen Unterrichtung durch die Ministerin gesagt: Jetzt gehen wir in eine weitere Gesprächsrunde mit den kommunalen Spitzenverbänden. Ich habe Ihnen versprochen, dass ich berichten werde, wenn es ein Gesprächsergebnis gibt. Das machen wir heute.
Dann hat der Städtetag aufgrund einer Verständigung, die er an diesem Tag schon mit uns erzielt, seine Vorstandsmitglieder angeschrieben. Ich lese Ihnen das mal vor:
Unser Schreiben vom 20.02.2014:
Sehr geehrte Damen und Herren! Nach unserem Gespräch mit der Landesseite hatten wir Ihnen einen auf dieser Grundlage verhandelten Vereinbarungsentwurf im schriftlichen Umlaufverfahren übermittelt und kurzfristig um Ihr Votum gebeten. Beteiligt an der Abstimmung haben sich 26 von 29 stimmberechtigten Vorstandsmitgliedern.
Der Umlaufbeschluss hat folgendes Ergebnis erbracht: Jastimmen 24, Neinstimmen null, Enthaltungen zwei. Damit gibt es ein einstimmiges Votum für den Vereinbarungsentwurf.
So viel zum zeitlichen Ablauf, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, dann brauchten die beiden anderen kommunalen Spitzenverbände selbstverständlich auch entsprechende Zeit, um darüber zu beraten und vor allen Dingen in ihren Gremien, die zu entscheiden haben, auch am Ende eine Entscheidung herbeizuführen. Sollten wir denen, Herr Kollege Kaiser, sagen: Wir geben euch die Zeit nicht? – Nein, Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass man so etwas machen kann.
Wir haben heute das Ergebnis zu konstatieren: Es sieht so aus, dass das, was Frau Ministerin Löhrmann eben vorgetragen hat, von den drei kommunalen Spitzenverbänden voller Überzeugung unterschrieben werden wird. Da können Sie sicher sein, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Deshalb hat es sich gelohnt, den Prozess so zu machen. Ja, wir sind von Landesseite bis an die Grenzen unserer finanziellen Möglichkeiten gegangen. Es war auch kein Geschacher, Herr Kaiser. Das war das Ringen um die jeweilige Verantwortung, die diejenigen, die am Verhandlungstisch gesessen haben, im Interesse ihrer jeweiligen Seite wahrzunehmen hatten.
Selbstverständlich müssen die kommunalen Spitzenverbände die Interessen der 396 Städte und Gemeinden, der 30 Kreise und des einen Verbundes im Aachener Raum berücksichtigen. Selbstverständlich müssen wir auch als Haushaltsgesetzgeber die Interessen des Landes in diesen Verhandlungsprozess mit einbringen.
Am Ende gibt es einen fairen und guten Ausgleich, eine Vereinbarung, der beide Seiten gut zustimmen können. Das ist vernünftige Verhandlungsführung. Das ist offene Gesprächsführung, und das ist vor allen Dingen, Herr Kollege Kaiser, Begegnung auf Augenhöhe.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Bei uns müssen die Kommunen nicht Bittsteller sein, wir begegnen denen auf Augenhöhe, meine Damen und Herren.
Jetzt wird das umgesetzt. In unserem Entschließungsantrag können Sie genau nachlesen, wie wir diesen Prozess machen. Dann wird am Ende das eintreten, was wir versprochen haben. Mit Beginn des nächsten Schuljahres, Herr Kollege Kaiser, ist auch diese Frage geklärt. Es ist klar, welchen Belastungsausgleich wir für die Kommunen vornehmen.
Mit Beginn des neuen Schuljahres, Herr Kollege Kaiser, tritt dann auch das ein, was Sie vorhin angemahnt haben, was vorher gezahlt werden müsste – ich kenne eine solche Verfahrensweise nicht –, dass wir nämlich dann für dieses neue Schuljahr die Kostenbeteiligung vornehmen, von der die Ministerin vorhin gesprochen hat.
In dem Sinne, meine Damen und Herren, bin ich froh, dass sich meine Zuversicht „Wir bekommen am Ende eine Vereinbarung zustande“ tatsächlich in der Realität niederschlägt. Es war ein guter Prozess. Wir sind froh darüber, dass die kommunale Familie in diesem Prozess zusammenbleiben konnte – trotz Ihrer Einwirkungsversuche. Legen Sie Ihre Verbitterung beiseite! Machen Sie jetzt mit bei der weiteren Gestaltung der schulischen Inklusion. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Gebauer das Wort.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh, auch für Herrn Römer, dass wir heute zu einer Einigung gekommen sind. So oft wie Sie in dem letzten Dreivierteljahr verkündet haben, Sie stünden kurz vor einer Einigung, wäre es eine große Blamage gewesen,
(Beifall von der FDP und der CDU)
wenn Sie heute tatsächlich ohne etwas dagestanden hätten.
Ich freue mich natürlich auch auf die Ausführungen von Herrn Priggen und bin gespannt, ob er sich an meiner Person bzw. an meiner Rede so abarbeiten wird, wie das Herr Römer bei Herrn Kaiser getan hat.
(Zurufe von der SPD – Hans-Willi Körfges [SPD]: Keine Selbstüberschätzung!)
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass das unwürdige Geschachere – Herr Römer, von Ringen würde ich hier nicht sprechen, sondern ich spreche auch von Geschachere –,
(Beifall von der FDP)
zulasten von Kindern und Kommunen zunächst einmal ein Ende gefunden hat. Die Kommunen haben völlig zu Recht hart in der Sache gerungen. Insbesondere dem Landkreistag und dem Städte- und Gemeindebund ist es zu verdanken, dass die Landesregierung Schritt für Schritt ihre wirklichkeitsfremden Positionen räumen musste.
(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Wir haben großes Verständnis für die Kommunen. Denn für viele Kommunen ist es unverzichtbar, möglichst zeitnah die Gelder zur Umsetzung dieser Inklusion zu erhalten. Bei aller Euphorie in diesem Hause von Rot-Grün sei an dieser Stelle auch gesagt: Man kann und darf Zweifel haben, ob die 175 Millionen € tatsächlich ausreichen werden. Auch das werden wir prüfen.
(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])
Daher ist es richtig, dass die Landesregierung in den Folgejahren jährlich zu einer kontinuierlichen Überprüfung der tatsächlich entstehenden Kosten ein Stück weit von den kommunalen Spitzenverbänden – ich weiß, das hören Sie jetzt nicht gerne, aber ich sage es trotzdem – gezwungen worden ist.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Inklusion ohne Qualität verdient aber den Namen nicht. Genau diesen Weg wollte Rot-Grün bisher – vielleicht auch darüber hinaus – beschreiten. Daher mussten die Kommunen nicht nur um ihrer Finanzen willen hart verhandeln, sondern sie haben vor allen Dingen für gute Förderbedingungen der Kinder an ihren Schulen gekämpft. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Es bleibt ein schaler Beigeschmack, dass die guten Förderbedingungen für Kinder mit Behinderungen – aber natürlich auch für Kinder ohne Behinderungen – insbesondere einer Bildungsministerin abgetrotzt werden mussten.
Wir werden jetzt sehr genau beobachten, wie sich Rot-Grün in den nächsten Jahren zum Beispiel bei den höheren Aufwendungen für die Integrationshilfe verhalten wird. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang werden, ob es dann Jahr für Jahr zwischen Rot-Grün und den kommunalen Spitzenverbänden wieder ein solches Gefeilsche um diese Kosten geben wird.
Es ist eine Einigung erzielt worden. Das ist richtig. Man muss aber auch – Herr Kaiser hat das schon ausgeführt – fragen: Was hat denn dieses monatelange Gezerre eigentlich gezeigt?
(Norbert Römer [SPD] schüttelt den Kopf)
– Herr Römer, Sie schütteln da schon mit dem Kopf. Sie – respektive Frau Löhrmann – haben doch ganz klar Schritt für Schritt Ihre Positionen räumen müssen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wir wären heute tatsächlich weiter als da, wo wir jetzt stehen. Die Wahrheit ist: Rot-Grün wollte sich der verfassungsrechtlichen und moralischen Verantwortung im Inklusionsprozess entziehen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Damit sind Sie krachend gescheitert. Darüber hilft auch die heutige Einigung nicht hinweg.
Die Kommunen haben sich völlig zu Recht nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen. Herr Kaiser hat schon – ich möchte es aber an dieser Stelle noch einmal tun – ausgeführt: Frau Ministerin, Sie haben hier im Rahmen der vielen Inklusionsdebatten, die wir schon geführt haben, wiederholt eben nicht die Wahrheit gesagt.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Ich sage Ihnen gleich, warum. Sie haben immer behauptet, die Kosten der Inklusion ließen sich gar nicht berechnen. Eine Kostenfolgeabschätzung wäre nicht möglich.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
– Herr Zimkeit, zu Ihnen komme ich gleich. – Natürlich ist das bei allen öffentlichen Veranstaltungen – im Schulausschuss und auch hier in diesem Gremium – immer wieder gesagt worden. Es ist immer wieder gesagt worden, dass hier eine entsprechende Kostenfolgeabschätzung nicht möglich sei. Das ist aber eine falsche Behauptung, denn sowohl die Gutachter der kommunalen Spitzenverbände als auch Prof. Klemm haben anhand der Beispielkommunen dargelegt, dass es eben doch machbar ist, Kosten im Rahmen des Inklusionsprozesses aufzulisten. Sie erkennen die Kosten auch an. Das ist ja letztendlich die Folge der heutigen Einigung.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sie haben auch immer gesagt, den Kommunen entstünden keine quantifizierbaren Mehrkosten. Auch das ist widerlegt worden. Sie erkennen diese Kosten jetzt an. Wenn es die Kosten gar nicht gäbe, müssten Sie sie letztendlich heute nicht anerkennen.
Zu guter Letzt: Sie haben über Monate hinweg behauptet, diese Kosten seien nicht konnexitätsrelevant. Auch dies haben Sie bei internen und öffentlichen Veranstaltungen gesagt. Von dieser Position sind Sie heute ebenfalls – nach gut über einem Jahr – abgerückt und erkennen jetzt zumindest diese 175 Millionen € an, von denen wir aber nicht wissen, ob sie tatsächlich ausreichen.
Ich weiß nicht, ob Sie klug gehandelt oder gerissen verhandelt haben. Auf jeden Fall haben wir im Rahmen des Inklusionsprozesses wertvolle Zeit verloren. Die Kommunen stehen jetzt vor einer gewaltigen Aufgabe, die sie bis zum Sommer leisten müssen. Herr Priggen, jetzt bringe ich Sie ins Spiel. Wenn Sie sagen, wir hätten auch eher fertig werden können: Das ist richtig. Dann hätte aber eben auch das, was Sie jetzt anerkennen, von Ihrer Seite aus weitaus früher erfolgen müssen.
Herr Schneider vom Städte- und Gemeindebund hat völlig zu Recht erklärt, dass es ein Irrglaube von Ihnen, Frau Ministerin Löhrmann, ist, Inklusion sei zum Nulltarif zu haben. Das hat er von Anfang an immer wieder gesagt. Er hat – nach harten Verhandlungen und nach dem, was Sie den Kommunen zugestehen – mit dieser Äußerung natürlich völlig recht.
(Beifall von der FDP)
Wir haben jetzt hier eine zumindest vorläufige Einigung mit den Kommunen erzielt; aber die Folgen Ihrer verfehlten Strategie schlagen jetzt in den Kommunen und an den Schulen voll durch. Herr Kaiser hat dazu schon Einiges gesagt. Es besteht trotz der Tatsache, dass die drei Verbände auf den Kompromiss eingegangen sind, weiterhin die verheerende Situation, dass Sie jetzt zwar zahlen, aber im Sommer ein grottenschlechtes Gesetz in Kraft tritt. Das muss man ganz klar zum Ausdruck bringen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Es hat nach wie vor qualitative Schwächen. Diese bleiben trotz der Einigung. Sie geben keine präzisen Qualitätsstandards für inklusive Klassen vor. Es gibt keine vernünftigen Qualitätsstandards zur Ausstattung, und es gibt keine umfassende Unterstützung der Pädagogen durch vorgelagerte universitäre Anbindung. Weiterhin sind – das ist das große Thema – für Eltern nach wie vor keine Wahlrechte gesichert.
Was sich jetzt in den NRW-Kommunen als Folge dieser rot-grünen Gesetzgebung abspielt, können wir jeden Tag der Presse entnehmen. Allein die Frage der Größe der inklusiven Klassen stellt vor Ort ein sehr großes Ärgernis dar. Die Größe der fünften Klasse kann begrenzt werden, dazu müssen aber eben in vier Parallelklassen jeder Klasse mindestens zwei Schüler mit sonderpädagogischem Bedarf vorhanden sein. Wenn die durchschnittliche Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht erreicht wird, sind die Klassen eben riesig. Außerdem – auch das wissen Sie – bezahlen letztlich die anderen Klassen den Preis für solche kleineren Klassen. Da muss man sich nicht wundern, wenn Herr Beckmann vom VBE von einer Mogelpackung oder von Augenwischerei spricht.
Letztendlich wird diese verkorkste Strategie bei der Frage der Konnexität zum Mühlstein für die Engagierten und Verantwortlichen in den Schulen vor Ort.
Kern dieser Inklusion – das sollten wir nie aus den Augen verlieren – ist es, für alle Kinder gleichberechtige und bestmögliche Chancen zu eröffnen.
Die Aspekte der bestmöglichen Chancenentfaltung und der Förderqualität bedingen unterschiedliche Angebote. Für die einen Kinder bildet die allgemeine Schule das bestmögliche Angebot, für die anderen ist das nach wie vor die spezialisierte Förderschule.
Sie aber haben das massive Schließungsprogramm für Förderschulen angezettelt. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen berichten mittlerweile zuhauf, wo überall in den Förderschulen das Licht ausgeschaltet wird.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Zimkeit: Selbst Abgeordneten der Regierungsfraktionen wird bei diesem Vorgehen etwas mulmig. In Oberhausen zum Beispiel drängt die Bezirksregierung laut Pressemeldungen auf schnelle Anpassungen bei den bestehenden Förderschulen. Sie sind schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im dortigen Schulausschuss, und Sie werden dahin gehend zitiert, dass der Zeitplan sehr knapp sei und dass weder die Politik noch die Elternverbände und Schulen –
(Stefan Zimkeit [SPD]: Zitieren Sie doch mal vollständig, bitte!)
– lassen Sie mich doch ausreden! – die Entscheidungen von erheblicher Tragweite angemessen beraten könnten. Sie – so wird berichtet – forderten dann die Schuldezernentin auf, mit der Bezirksregierung über die Frage in Dialog zu treten, ob nicht auch eine spätere Entscheidung möglich sei. – Sie nicken.
Da muss ich mich dann doch fragen, wieso Sie dann hier für ein derartiges Gesetz die Hand heben, wenn Sie vor Ort genau dieses Gesetz bzw. die Auswirkungen derart kritisieren. So werden Sie zwar Ihrem Anspruch als Kommunalvertreter gerecht, aber Sie hätten hier genauso gut mitarbeiten und dafür Sorge tragen müssen, dass dieses Gesetz eben nicht so verabschiedet wird, wie es verabschiedet worden ist.
Wir wissen ganz genau, dass die Zahl der Förderschulen im Rahmen des Inklusionsprozesses sinken wird. Bei einem derart sensiblen und von Ängsten besetzten Thema müssen aber die Eltern von Kindern mit Behinderungen mitgenommen werden. Sie umgehen dies ebenso sowie den Punkt, dass für diese Eltern eine Wahlmöglichkeit nicht nur auf dem Papier, sondern vor Ort tatsächlich bestehen muss.
Wenn man weiß, dass 83 % der Bürger lieber ein erreichbares Förderschulangebot aufrechterhalten möchten – unbeschadet der Tatsache, dass sie für den Inklusionsprozess sind –, dann wird klar, dass das Gesetz diesem Anspruch letztendlich nicht gerecht wird. Da wird eher in Quoten als in Individuen gedacht.
Gerade im ländlichen Raum wird die Entwicklung für viele Kinder zu einer mittleren Katastrophe führen. Der Weg der Zwangsinklusion bedeutet eine weitere Hypothek für die Akzeptanz dieses wichtigen Inklusionsprozesses.
(Beifall von der FDP – Zurufe von den GRÜNEN)
Das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich, weil es nämlich keine Wahlmöglichkeiten mehr für die Eltern vor Ort gibt. Das ist mit dem Erlass über die Mindestgrößen ausgemacht.
(Zurufe von den GRÜNEN – Gegenrufe von der FDP)
Frau Löhrmann hat dies ganz klar zum Ausdruck gebracht – obwohl CDU und FDP den Erlass gerne mit zum Gesetzentwurf aufnehmen wollten –, indem sie gesagt hat, nein, das sei ihre Stellschraube. Ich möchte gerne sehen, wann weitere Zahlen verändert werden, um das Lichtausschalten in den Förderschulen noch weiter zu beschleunigen. Darauf bin ich gespannt. Die Hypothek eines extrem schlecht gemachten Gesetzes bleibt bestehen.
Zu guter Letzt, Frau Löhrmann: Sie haben in Ihrer Rede mit Bildern gearbeitet. Sie haben davon gesprochen, dass dieser Inklusionsprozess kein Spaziergang ist, sondern eher eine Bergwanderung.
Diese Bilder nehme ich zum Abschluss meiner Rede gerne auf. Für beides – ob Sie jetzt den gemütlichen Spaziergang machen wollen oder die anstrengende Bergwanderung – brauchen Sie das notwendige Rüstzeug. Das fängt an bei entsprechendem Schuhwerk, das geht über die Kleidung bis hin zum gut gefüllten Rucksack, den Sie mitnehmen.
(Zurufe von Sigrid Beer [GRÜNE])
Das alles sind Unterstützungsmaßnahmen, die dazu führen, dass Sie entweder einen gelungenen Spaziergang oder eine tolle Bergwanderung gemacht haben. Solche Qualitätsvorgaben fehlen in diesem Gesetz jedoch völlig. Daher fordere ich Sie nochmals auf: Setzen Sie endlich auf Qualität und sorgen Sie für einen entsprechenden Rahmen. Dies ist im Sinne der Kinder und Jugendlichen, damit wir den Inklusionsprozess gut gestalten können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Reiner Priggen das Wort.
Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Plenartag gestern hat mit einer Unterrichtung begonnen und der heutige hört mit einer Unterrichtung auf. Dazu kann ich nur sagen: Ich bin mit dem Arbeitsergebnis sehr zufrieden; denn wir haben Antworten auf zwei schwierige Fragestellungen gegeben. Es handelt sich um Fragen, bei denen die Menschen im Land wissen wollen, was diese Regierung macht. Mit unseren Antworten kann es nun vernünftig weitergehen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frau Gebauer, Sie haben eben gesagt, das Gesetz sei schlecht. Die UN-Konvention ist zu einer Zeit verabschiedet worden, als Sie in der Landesregierung waren. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die CDU sich damals bitterlich beklagt hat, dass Sie eine Inklusionsgesetzgebung blockiert haben; denn die CDU wollte eine solche Gesetzgebung sehr wohl.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist genau der Unterschied. Es darf Kritik geben, das ist in Ordnung. Es ist auch schwer, in diesem Spannungsfeld sämtliche Erwartungen zu erfüllen. Das sind die der Eltern, die darum kämpfen, dass ihre Kinder eine Chance haben. Es geht um Kinder mit Handicap, deren Eltern wollen, dass die Kinder inklusiv beschult werden, damit sie im weiteren Leben trotz Handicaps eine Chance haben.
Diese Chancen haben die Kinder nur einmal in einer bestimmten Altersstufe. Die Eltern wollen die Lösungen jetzt haben, und nicht dann, wenn die Kinder 15 Jahre älter sind. Diese Wünsche zu erfüllen und zugleich die Ängste der anderen zu berücksichtigen, die sich fragen: „Was kommt da an Belastungen auf uns zu?“, das ist nicht einfach.
Es geht allerdings auch nicht, sich davor zu drücken. Die Menschen warten auf Antworten, und wir haben ihnen diese Antworten gegeben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Hochverehrter Kollege Klaus Kaiser, das Gedächtnis ist manchmal kurz. Du hast es vorhin richtig gesagt: Wir haben das Schulrechtsänderungsgesetz am 16. Oktober 2013 verabschiedet, und im August 2014 tritt es in Kraft. Erinnerst du dich noch, wie lange der Zeitraum zwischen der Verabschiedung der Änderungen im Schulgesetz zum G8 durch euch CDU und FDP und dem Inkrafttreten war? Das waren keine drei Monate: Das Gesetz wurde im Juni verabschiedet und ist am 1. August in Kraft getreten.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Daran gemessen waren das jetzt Jahre der Vorbereitung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will nur sagen: Das Gedächtnis ist manchmal ein bisschen kurz, aber sei‘s drum. Ich gebe das ehrlich zu. Ich mache jetzt 30 Jahre Politik für die Grünen. Das sind 30 Jahre Kommunal- und andere Wahlkämpfe.
Als wir damit angefangen haben, habe ich bei dem vorhandenen Zeitplan gesagt: Das Gesetz soll in Kraft treten, damit die Eltern mit ihren Kindern eine Perspektive haben. Die kommunalen Spitzenverbände waren nicht in der Lage, uns Zahlen darüber zu liefern, was es kostet – auch nicht auf Nachfragen hin.
Dann haben wir ein Verfahren mit hochkomprimierten Zeitansprüchen verabredet. Wenn man sich die Verfahren durchrechnet – wie es verabredet war –, um mit sehr viel Einsatzbereitschaft die Zahlen zu liefern, war uns doch klar, wo wir in der Umsetzung liegen: kurz vor dem Datum 25. Mai. Uns war auch klar, dass es beim Suchen nach Themen für die CDU eine Verlockung war, zu sagen: Sie fahren vor die Wand; sie schaffen es nicht.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: So ist es!)
Ich habe sieben Kommunalwahlkämpfe mitgemacht und bin schon lange im Geschäft. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass einige daran gedacht haben, diesen Verlockungen erlegen sind und jetzt auch – wie gestern Morgen – nicht sagen konnten: Donnerwetter, ihr habt es geschafft, einstimmig, mit allen drei kommunalen Spitzenverbänden, Respekt! Jetzt ist bald der 25. Mai. Wir schauen, dass wir das alle zum Gelingen bringen. – Dass das nicht einfacher ging, dafür habe ich ein gewisses Verständnis. Ich kann nur sagen: Die Tonlage von Klaus Kaiser war gemäßigt; es hätte viel schlimmer kommen können.
(Heiterkeit von Klaus Kaiser [CDU] und Ministerin Svenja Schulze – Sigrid Beer [GRÜNE]: Die einen sagen so, die anderen sagen so!)
Weil ich mit Freude zur Kenntnis nehme, dass auch der Städte- und Gemeindebund heute einstimmig Ja gesagt hat, will ich mich bei Marc Herter und bei Sigrid Beer bedanken. Denn die Parlamentarischen Geschäftsführer waren intensiv beteiligt, ihr habt sehr viel mehr als wir in den Vorbereitungen gemacht. Ich will mich auch bei Staatssekretär Ludwig Hecke, bei Dr. Schrapper und Herrn Fleischhauer bedanken. Denn das war viel Arbeit und Engagement von den Fachleuten im Haus.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist nicht 08/15, das ist nicht Dienst nach Vorschrift und kein Dienst, der nach acht bzw. nach 15 Stunden zu Ende ist. Ich kann mich an die Stunden und Zeiten erinnern. Das Thema liegt den Beteiligten am Herzen. Daher sage ich es mit Freude.
Ich will auch ganz klar zum Ausdruck bringen: Wir haben Gespräche mit den Spitzen aller drei Kommunalverbände geführt. Das waren schwierige und anstrengende Gespräche. Sie waren für mich aber auch aufseiten der kommunalen Spitzenverbände vom Ringen geprägt, für ihre Kommunen Ergebnisse erzielen zu wollen und zu müssen.
Kollege Römer hat richtigerweise die schlechten Eindrücke, die sie aus fünf Jahren hatten, angesprochen. Es war ein Stück weit therapeutisches Arbeiten, bei ihnen ein Verständnis dafür zu erzeugen, dass es auch eine Landesregierung gibt, die sich an Zusagen hält.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch aus meiner Sicht richte ich an alle Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, mit denen wir geredet haben, auch wenn die Gespräche intensiv und hart waren, ein Dankeschön. Denn letztlich hat sich beim gemachten Angebot die Erkenntnis durchgesetzt: Es ist besser, sich zu verständigen und dieses gute, weitreichende und zuverlässige Angebot des Landes anzunehmen, um im Interesse der Menschen in den Kommunen, der Eltern und der Kinder den Schritt weiterzugehen. Inklusion ist kein einfacher Prozess. Viele müssen gewonnen werden. Aber die kommunalen Spitzenverbände haben letztlich Ja gesagt.
Jetzt können wir unsere entsprechenden Beschlüsse fassen, weil wir als Regierung und als die regierungstragenden Fraktionen zuverlässig sind. Wir können genau diese Arbeit machen.
Deswegen will ich an dieser Stelle insgesamt – die Kollegen können sich nachher noch melden – sagen: Ich finde diesen Prozess mit allem Engagement … Ich will gar nicht die Details und die Dinge durchgehen, die wir gemacht haben, wie die Zeitabläufe, die Auswahl des Gutachters usw., denn das wissen alle, die daran beteiligt waren. Ich will einfach sagen: Es hat sich gelohnt.
Wir können nicht alle ad hoc so zufriedenstellen, wie sie es gern wollen. Aber wir können vielleicht etwas Angst vor dem Prozess wegnehmen. Wir können auf die vielen ganz hervorragenden Beispiele verweisen. Ich habe gelernt, dass der Kreis Wesel ein ganz hervorragender Kreis ist, um sich das anzuschauen, ebenso auch andere. Diese positiven Beispiele sollen ermutigen. Bei allem anderen helfen wir jetzt ein Stück weit mit.
Bei allem Streit zwischen uns sollten wir zusammen im Auge haben: Wir machen das für die Kinder, die ihre Chance im Leben haben wollen. Es gibt viele Menschen, die das sehr gut machen. Die unterstützen wir im Weiteren. Dafür herzlichen Dank! – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Piratenfraktion erteile ich Frau Kollegin Pieper das Wort.
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, Frau Ministerin Löhrmann, dass wir heute erfahren, wie es in dieser wichtigen Frage weitergeht.
Der Streit um die Finanzierung der Investitionen für den Ausbau der gemeinsamen Inklusion war lang und heftig. Wir haben in der Frage immer eine klare Position vertreten. Wir waren die Einzigen, die schon im Gesetzgebungsverfahren und in der Beratung des Haushalts 2014 genau das gefordert haben, was jetzt eingetreten ist. Hätte man uns damals nicht belächelt, sondern auf uns gehört, wären wir heute viel weiter.
(Beifall von den PIRATEN)
Klar ist, dass wir es im Grundsatz begrüßen, dass sich die Koalition und die kommunalen Spitzenverbände geeinigt haben. Mit Blick auf das Ergebnis denke ich, dass das in Ordnung ist.
Ich muss Herrn Kaiser recht geben: Es hat zu lange gedauert; es hätte schneller gehen können. – Aber es reicht, wenn ich das einmal sage.
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Betrachtet man das Ergebnis der Verhandlungen, so zeigt sich: Jetzt kommt doch die Anerkennung der Konnexität durch die Hintertür. Ab 2017 soll das Konnexitätsprinzip für die Leistungen von Korb I, also zum Beispiel Investitionen an Schulbauten, angewandt werden.
Wir haben jetzt also nach monatelangem Tauziehen eine Übergangslösung bis 2017. Danach wird dann doch das Konnexitätsprinzip angewandt. Die Koalition hat die Konnexitätsrelevanz bei der Gesetzgebung immer vehement abgestritten. Nun zeigt sich ganz deutlich: Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz wird de facto als konnexitätsrelevant behandelt. Auf die Kostenfolgeabschätzung zu verzichten, war definitiv falsch. Rot-Grün hat die Kosten aufseiten der Schulträger viel zu lange viel zu klein geredet. Darüber verstrich Zeit.
Aber jetzt gilt es, nach vorne zu schauen. Es ist noch so viel für die schulische Inklusion zu regeln, und zwar auf allen Ebenen. Ich möchte hierzu – das hatte hier schon jemand erwähnt – auf die Bonner Erklärung zur inklusiven Bildung in Deutschland hinweisen. Ich glaube, das waren Sie, Frau Löhrmann.
Meine Damen und Herren, aktuell stellt sich für mich die Frage, wie die Unterstützung der Schulträger jetzt umgesetzt wird. Wann genau stehen denn die Mittel zur Verfügung, und wie werden sie verteilt? Wenn ich das richtig verstanden habe, sollen die Mittel nach Schülerzahlen verteilt werden. Da frage ich mich – im Grunde ist es ein Gießkannenprinzip –, ob man sie nicht treffsicherer verteilen kann, nämlich insbesondere dort, wo Inklusion einen Anschub braucht. Man sollte nicht einfach sagen: Egal, wie weit sie sind und was sie gerade machen, wir streuen die Mittel übers Land. Ich glaube, man sollte sich noch mal überlegen, was da genau Sinn macht.
(Beifall von den PIRATEN)
Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben in der Debatte hier im Haus im Februar gesagt, die Koalition habe angeboten, dem Landtag noch vor Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes am 1. August entsprechende Gesetzentwürfe zuzuleiten, um all die Maßnahmen rechtlich leistungsmäßig abzusichern. Da erwarte ich jetzt, dass das relativ zügig passiert.
Heute berichten zahlreiche Zeitungen vom „Datenreport Inklusion“ der Bertelsmann Stiftung. Dabei wird auf einen paradoxen Effekt hingewiesen. Im Zuge des Ausbaus des gemeinsamen Lernens steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem Förderbedarf – ein Effekt, den man auch in den Niederlanden beobachten konnte, wo bei der Finanzierung der sonderpädagogischen Förderung vor ein paar Jahren umgesteuert werden musste.
Der Effekt wird so erklärt, dass Eltern, die ihr Kind an der allgemeinen Schule lassen können und trotzdem sonderpädagogischen Sonderbedarf fordern können, sehr viel eher bereit sind, das einzufordern, als wenn damit ein Schulwechsel verbunden ist. Wenn sich das hier bestätigt, dann sind die Berechnungsgrundlagen für den Inklusionsprozess im Grunde falsch und können noch sehr viel höher ausfallen, als sich das im Moment abschätzen lässt.
Die Entwicklung der Schulangebote in den Städten und Kreisen werden wir sehr genau in den Blick nehmen. Werden die Kommunen von der Möglichkeit, Förderschulen im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen zu schließen, Gebrauch machen? Viele sind besorgt, dass eine große Zahl von Förderschulen bald von der Landkarte verschwinden wird. Da stimme ich Frau Gebauer eindeutig zu. Das ist etwas, was wir nicht möchten, was wir auch immer gesagt haben.
Wir möchten die Wahlfreiheit erhalten. Wir möchten, dass Förderschulen bestehen bleiben, sodass Eltern entscheiden können, was sie für ihr Kind für am besten halten. Da sind wir uns einig.
Werden die anderen schulischen Lernorte für sonderpädagogische Förderung im Bereich emotionale und soziale Entwicklung tatsächlich eingerichtet? – Von all diesen Fragen wird es abhängen, ob der Ausbau der schulischen Inklusion noch eine Erfolgsgeschichte wird.
Ich muss mich aber auch fragen, welche Motive die anderen Fraktionen hier haben und wie ernst es einigen hier mit der Inklusion ist. Als ich vor knapp zwei Jahren hier in den Landtag kam, war das erste Thema, das wir hier besprochen haben, Inklusion. Damals waren wir noch alle der Meinung, dass wir das hier konsensual gemeinsam konstruktiv besprechen wollen. Da war ich voller Euphorie. Wenn ich sehe, wo wir jetzt angekommen sind, dann zeigt sich: Es ist ein Politikum geworden, bei dem es wieder in erster Linie ums Geld geht und nicht um diesen gemeinsamen Willen, tatsächlich etwas für die Schülerinnen und Schüler zu tun.
Herr Kaiser, Sie stellen sich hierhin – aber außer Bashing der Landesregierung kann ich nix sehen, keinen Vorschlag, nix.
(Beifall von den GRÜNEN)
Konkrete Vorschläge, was im Verfahren genau zu tun ist, habe ich nicht gesehen. Sie stellen sich hierhin und bashen die Landesregierung.
(Zurufe von Lutz Lienenkämper [CDU], Josef Hovenjürgen [CDU] und Klaus Kaiser [CDU])
– Dass Sie länger da dran sind, heißt ja nichts. Das heißt ja nicht, dass Sie besser sind.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Sie stellen sich hierhin und machen hier einen auf Robin Hood. Sie kommen mir immer so ein bisschen vor wie der Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer, der nix im Koffer hat.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Frau Löhrmann hat das hier auch ganz deutlich gesagt. Wir haben immer konstruktiv mitgearbeitet, Vorschläge gemacht und uns beteiligt. Aber außer Kritik ist von Ihnen nichts gekommen.
So, Herr Römer:
(Heiterkeit)
Sie haben ja gerade gesagt, Sie hätten bei den Kommunen „geworben“. –Werben stelle ich mir anders vor. Ende März haben Sie den Kommunen gedroht, nicht geworben.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Sie sagen, ohne Einigung bis Ostern gibt es gar nix; dann gibt es gar kein Geld. Das hat mit „Werben“ nix zu tun. Ich finde, das war kein guter Stil. Das muss man nicht tun. Denn ich gehe mal davon aus – das hat gestern Herr Walter-Borjans hier auch gesagt –, dass Sie von sich selber glauben, dass Sie glaubwürdig sind. Das glaube ich auch. Wenn ich Ihre Aussage ernst nehme, heißt das doch: Es gibt kein Geld für Kommunen für die Schulen für die Inklusion, wenn die kommunalen Spitzenverbände nicht mitspielen. – Dafür habe ich kein Verständnis.
Der Ausbau des gemeinsamen Lernens stellt die Schulen und uns alle vor große Herausforderungen. Ich habe riesengroßen Respekt vor allen, die sich dieser Herausforderung stellen, den Kommunen, den Schulen, den Lehrern, den Eltern, wer immer daran beteiligt ist, und auch vor uns hier im Landtag. Wir hier im Landtag haben die Aufgabe, wirklich gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jetzt alle erfolgreich diesen Inklusionsprozess umsetzen können.
Zum Entschließungsantrag von Rot-Grün: Ihr Anliegen ist nachvollziehbar, die Ergebnisse der Verhandlungen jetzt mit einem Landtagsbeschluss zu adeln.
Unser Problem damit ist, dass wir die verlässliche Grundlage für den weiteren Prozess der Inklusion, die der Antrag feststellt, so im Moment nicht sehen. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren eine Reihe von Punkten genannt, die uns immer noch Sorge bereiten. Diese Sorge haben wir in weiten Teilen weiterhin.
Das betrifft zum Beispiel die Möglichkeit der Schulträger, Förderschulen im Bereich LES auch dann zu schließen, wenn die Mindestgröße vorhanden ist. Wie wird sich das auf das Schulangebot auswirken? Wieder: Wo bleibt da die Wahlmöglichkeit der Eltern?
Auch die Ausstattung des gemeinsamen Lernens mit Sonderpädagogen halten wir immer noch für unzureichend. Die Verschlechterung der Bedingungen im Vergleich mit den integrativen Lerngruppen haben wir schon mehrfach kritisiert.
Auch die Stellenbudgets für LES überzeugen uns immer noch nicht. So berichten Schulträger von privaten Ersatzschulen, dass diese Budgets keineswegs ausreichend sind, wenn in den privaten Förderschulen die Schülerschaft nicht zurückgeht. Dabei gehen Schulträger von Privatschulen davon aus, dass eine wachsende Nachfrage nach privaten Förderschulen wahrscheinlich ist, wenn die öffentlichen Förderschulen schließen.
So erkennen wir zwar an, dass mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Kompromiss gefunden wurde, der für Schulträgeraufgaben und nicht lehrendes Personal Verbesserungen bringt, aber für eine Zustimmung reicht uns das nicht.
Der Entschließungsantrag der CDU ist hier gerade erst vorgelegt worden. Ich weiß es nicht. Da werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte natürlich zuerst noch einmal auf die Konnexitätsfrage eingehen und etwas zu den Vorwürfen von CDU und FDP sagen, ich hätte den Landtag diesbezüglich – noch dazu bewusst – getäuscht. Es ist immer wichtig, dass man genau zuhört. Ich meine, mich zu erinnern, dass ich auf einen Sachverhalt sehr ausdrücklich an vielen Stellen hingewiesen habe – und nicht ich alleine, weil der Gesetzentwurf ja nicht mein Privatvergnügen ist, sondern die Landesregierung insgesamt ihn beschließt und verantwortet. Ich zitiere ich aus dem Gesetzentwurf:
„Im Übrigen lassen die verfügbaren Erkenntnisse derzeit eine hinreichend belastbare Aussage darüber, ob und gegebenenfalls inwieweit die Einführung der inklusiven Schulbildung zu einer im Sinne des KonnexAG relevanten, d. h. wesentlichen finanziellen Belastung der Gemeinden und Gemeindeverbände führt, nicht zu. Weder stehen dem Land entsprechende Daten zur Verfügung noch haben die Kommunalen Spitzenverbände solche vorgelegt. Eine tragfähige Datenlage lässt sich dazu gegenwärtig auch nicht herstellen. Die fraglichen Kosten sind nicht prognostizierbar, weil sie maßgeblich von den Entscheidungen des Schulträgers beim Ausbau von Angeboten Gemeinsamen Lernens und der Ausübung des elterlichen Wahlrechts abhängen.“
Das war unser damaliger Kenntnisstand. Darauf haben wir hingewiesen. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern. Die eine Verschiebung ist ja entstanden, weil wir auf die kommunalen Spitzenverbände zugegangen sind und im Raum stand, dass wir eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden, um Näherungswerte für die entstehenden Kosten festzustellen.
Grundsätzlich war das zum Thema „Konnexität“ der damalige Stand. Diesen Stand haben wir damals auch festgehalten. Dazu ist es dann leider doch nicht gekommen, weil die KSV’en sich dagegen entschieden haben. – Das ist etwas anderes, als Sie behaupten. Es stimmt also nicht, dass hier die Unwahrheit gesagt worden wäre.
Inzwischen haben wir das Klemm-Gutachten, Frau Gebauer. Es ist kein juristisches Gutachten zur Konnexität. Herr Klemm weist ausdrücklich darauf hin, dass es ihm nicht darum geht, diese Frage zu entscheiden. Deswegen haben wir auch gesagt: In Wahrung dessen gehen wir in den Arbeitsprozess.
Herr Klemm weist ferner ausdrücklich darauf hin, dass die Kosten, die er hier ansetzt, Schätzwerte sind und dass diese Kosten nicht zu 100 % eintreten werden. Das ist ein ganz wichtiger Hinweis. Gleichwohl haben wir, weil wir uns gemeinsam auf den Gutachter verständigt haben und gemeinsam die Kommunen ausgesucht haben, genau diese Daten als Grundlage für unsere Einigung genommen. Jetzt ziehen wir jährlich eine Zwischenbilanz, um diese Näherungswerte zu echten Werten zu machen.
Selbst Herr Schäfer vom Städte- und Gemeindebund hat in einem Interview ausdrücklich festgestellt: Nein, eine genaue Kostengrundlage haben wir nicht. – Deswegen ist es richtig, das prozesshaft zu machen. Wir haben den Kommunen von Anfang an zugesagt, dass es einen fairen Evaluationsprozess gibt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es wäre aber fahrlässig gewesen, mal eben über den Daumen einen Blankoscheck auszustellen, wie Frau Pieper das offensichtlich wollte, und zu sagen: Wir erkennen das jetzt an, egal was es kostet. – Als Regierung und als Koalitionsfraktionen haben wir natürlich eine Verantwortung für den Landeshaushalt. Deswegen haben wir das damals nicht getan. Deswegen ist das auch ein qualitativer Unterschied zu der Entscheidung, die wir jetzt hier treffen. Es ist mir sehr wichtig, das noch einmal festzuhalten.
Darüber, ob Herr Römer die kommunalen Spitzenverbände erpresst hat oder wie die Position der kommunalen Spitzenverbände in den Gesprächen war, decken wir jetzt den Mantel des Schweigens.
Ich erinnere aber an öffentliche Bekundungen – nicht von mir – in einem Interview. Dort hat Herr Schäfer auf die Bemerkung, jetzt habe sein Verband aber diese arme Koalition mächtig erpresst, indem er immer mit der Verfassungsklage gedroht habe, gesagt: Nein, wir haben überhaupt nicht gedroht. – Obwohl der Prozess noch gar nicht abgeschlossen war, sind aber schon Zettel mit einem Flatrateangebot herumgeschickt worden: Kreuzt das schon mal an; sagt schon mal, dass ihr in jedem Fall klagt! – Trotzdem wird heute gesagt: Wir haben das nur mal so in den Raum gestellt.
Wer da wie agiert hat, wird vielleicht an diesem Beispiel deutlich. Ich glaube, dass die Mittel, die die jeweiligen Personen eingebracht haben, da in einem ausgewogenen Verhältnis standen. Das hat dann auch dazu beigetragen, dass es zu diesem Ergebnis gekommen ist.
Wir haben uns dann dafür entschieden, beim Korb I die Konnexität anzuerkennen; denn wir haben keine Prinzipienreiterei und keine Rechthaberei betrieben, um diese Frage erst vom Verfassungsgericht klären zu lassen,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
weil uns an diesem gelingenden Prozess gelegen ist und weil wir diesen Streit, der erst nachgelagert zu Ergebnissen geführt hätte, nicht auf dem Rücken der Kinder und nicht auf dem Rücken der Kommunen austragen wollten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte an einen nicht vergleichbaren Fall erinnern, bei dem die Lage viel eindeutiger war als jetzt bei der Inklusion, lieber Herr Hovenjürgen. In diesem Beispiel war die Lage sehr eindeutig. Dass es Kostenwirkungen für die Kommunen hat, wenn Plätze für Kinder unter drei Jahren, die bis dahin noch überhaupt keine Institution besuch haben, neu geschaffen werden müssen, war ziemlich eindeutig. Diese Frage musste bis zum Verfassungsgericht geklärt werden, obwohl Ihnen von CDU und FDP alle Sachverständigen das damals gesagt haben! Daran will ich einmal erinnern.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Unserer Regierung ist es lieber, dass wir das jetzt geklärt haben, als dass das Verfassungsgericht es klären muss. – So viel noch einmal zur Konnexitätsfrage.
Jetzt komme ich zu dem Vorwurf, wir hätten nichts getan, und es sei alles unvorbereitet. Im Gesetz stehen die neuen Regelungsmechanismen für das künftige Finanzierungskonzept. Die Kinder in den allgemeinen Schulen zählen doppelt. Zum einen zählen sie beim Grundbedarf. Zum anderen gibt es zusätzlich die sonderpädagogische Förderressource. Das ist ein Qualitäts- und Quantitätskriterium, meine Damen und Herren.
Die dadurch ausgelösten Stellen – über 1.000 im kommenden Schuljahr –sind in dem jetzt beschlossenen Haushalt enthalten. Man kann dieser Koalition und dieser Landesregierung also mitnichten den Vorwurf machen, es sei nichts geregelt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Außerdem werfen Sie uns vor, es gebe keine Ausbildung und keine Fortbildungen. Das ist Ihnen alles mehrfach vorgetragen worden. Trotzdem schreiben Sie es in Ihren Entschließungsantrag. Im Grunde ist das doch erbärmlich. Wer hat denn die Sonderpädagogenstellen im Haushalt der Wissenschaftsministerin möglich gemacht, weil Sonderpädagogen fehlen? – Das hat diese Regierung gemacht. Wer hat denn die Nachqualifizierungsmaßnahme aufgelegt? Diese Regierung hat sie aufgelegt. Das ist doch die Wahrheit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wer hat denn 142 Moderatorinnen und Moderatoren schon im Januar dieses Jahres mit Zertifikaten versehen? Diese Regierung hat das gemacht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die können abgerufen werden für die Vorbereitung der Schulen. Nur diese Beispiele möchte ich Ihnen nennen. Die Kollegen im Schulausschuss wissen das, weil wir diese Dinge dort immer wieder erläutert haben. Wir bauchen uns also mit den Leistungen des Landes für die Inklusion nicht zu verstecken.
Meine Damen und Herren, ich komme zu dem letzten Punkt: das Verhältnis von Förderschulen und allgemeinen Schulen. In Nordrhein-Westfalen entscheiden – und das schon immer – zwei Kriterien darüber, welche Schulen es gibt, und zwar für alle Schulformen. Das ist der Elternwille und das ist der Bedarf. Nach diesen beiden Kriterien ist die Mindestgrößenverordnung angepasst worden. Nach diesen Kriterien werden die kommunalen Schulträger ihre Entscheidungen darüber treffen, welche Schulen es vor Ort gibt.
Eines müssten Sie aufgrund des Berichtes des Landesrechnungshofs zumindest zur Kenntnis genommen haben: dass nämlich jahrelang weggeguckt worden ist und dass Schulen aufrechterhalten wurden, obwohl da viel zu wenige Kinder unterrichtet wurden. Das ist teuer, und das ist pädagogisch auch nicht im Sinne der Kinder und Jugendlichen. Deswegen gibt es diese Mindestgrößenverordnung.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Kurze Beine, kurze Wege! War das nicht so?)
Deswegen war es vernünftig, diese Mindestgrößenverordnung so zu fassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Hovenjürgen, Sie müssten doch aus dem Prozess der Hauptschulen gelernt haben, dass Eltern, wenn sie für ihre Kinder ein Angebot finden, das sie für gut halten, sich für dieses Angebot entscheiden und dass die besten Bedingungen, die kleinsten Klassen in Hauptschulen nicht dazu geführt haben, dass die Eltern ihre Kinder dort angemeldet haben. Darum werden Hauptschulen geschlossen: nicht, weil dort schlechte Arbeit geleistet wurde, wohl aber, weil die Eltern für ihre Kinder andere Entscheidungen treffen. Nicht anderes, meine Damen und Herren!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ein Letztes, meine Damen und Herren: Unsere Kommunen sind viel weiter, als Sie hier tun. Ich lese Ihnen vor, was schlicht und nüchtern das „Solinger Tageblatt“ verkündet hat:
„Inklusion an weiteren Schulen
An 15 Solinger Regelschulen werden Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bereits unterrichtet. Zum Schuljahr 2014/15 kommen fünf weitere hinzu: Die Grundschulen Böckerhof und Schützenstraße sowie die Friedrich-Albert-Lange-Schule, das Humboldt-Gymnasium und die neu startende Gesamtschule Höhscheid führen das gemeinsame Lernen ein. Der Schulausschuss hat dem am Dienstag zugestimmt. Das Angebot soll in den kommenden Jahren ausgeweitet werden, teilt die Verwaltung mit. Bei der Entwicklung des Inklusionsplans für Solingen sollen die Schulen eingebunden werden.“
Das war schon vor der Einigung, die wir heute verkündet haben. Das heißt, unsere Kommunen wollen die Inklusion voranbringen. Sie werden es nach dem heutigen Tag besser können. Deswegen bleibt es dabei, wie auch Herr Römer gesagt hat: Es ist ein guter Tag für den Weg der Inklusion in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kuper.
André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Im Tale grünet Hoffnungsglück“ – dieses Zitat aus Goethes „Osterspaziergang“ könnte für Ihr Verhandlungsergebnis geschrieben sein. Bildlich anders gesprochen: Frau Ministerin Löhrmann, Sie sind hoch hinaus auf einen Berg marschiert, haben zu viel riskiert und waren zuletzt einsam wie verlassen mit Ihrer Position und sind jetzt auf den Boden der Tatsachen im Tale abgestürzt.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, trotz all dieser vielen Nebelkerzen, die hier im Raume verbreitet worden sind: Das jetzt feststehende Ergebnis, dass sich die Kommunen mit der aktuellen Vereinbarung einverstanden erklären, ist a) gut, aber b) zuallererst ein Erfolg für die kommunale Familie.
(Beifall von der CDU)
Sie hat mit großer Beharrlichkeit ihr Recht auf Konnexität bei der Finanzverfassung und bei der Inklusion durchsetzen können. Es wird hoffentlich auch lehrreich sein, demnächst die Landesverfassung und die Kommunen bei der Konnexität von Anfang an ernst zu nehmen.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Das von Ihnen! Unfassbar!)
– Wir leben im Hier und Heute und nicht in der Vergangenheit.
(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)
Das hier praktizierte Verhandlungsverfahren, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, hatte nichts mit dem KonnexAG zu tun, das erinnerte eher an einen orientalischen Basar.
(Beifall von der CDU)
Umso mehr kann man sich bei den kommunalen Spitzenverbänden, insbesondere beim Städte- und Gemeindebund und dem Landkreistag, unter der Verhandlungsführung von Dr. Schneider und Herrn Präsidenten Schäfer nur bedanken. Die haben sich bei dem Versuch der Landesregierung, um die Finanzierung des gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und nicht Behinderten Kindern zu schachern, nämlich nicht über den Tisch ziehen lassen.
(Marc Herter [SPD]: Die anderen schon, oder was?)
Stattdessen wurde das letztlich von der Verfassung verbürgte Recht der Konnexität wahrgenommen und verteidigt. Die Kommunen haben sich dieses Recht nicht abkaufen lassen.
Das heutige Ergebnis – da nutzt die Weichspülerei im Raume hier nichts – ist gleichzeitig eine herbe Niederlage und eine große Klatsche für die Schulministerin und ihren Umgang mit den Städten und Gemeinden.
(Beifall von der CDU)
Sie, Frau Löhrmann, konnten sich zum Glück für unsere Städte, Gemeinden und Kreise nicht mit Ihrer Ansicht durchsetzen, dass Inklusion keine Mehrkosten für die Kommunen veranlassen würde. Sie konnten sich nicht damit durchsetzen, dass Inklusion nicht zum Nulltarif zu haben ist. Sie konnten sich nicht damit durchsetzen, die Konnexitätsrelevanz für Investitionen in die Inklusion zu verneinen. Sie haben aber damit die Umsetzung letztlich verzögert. Und Sie sind mit Ihren Vorstellungen zur Finanzierung dieser Investition für die Inklusion ebenso gescheitert. Konnexität ist keine Verhandlungsmasse und schon lange kein Goodwill dieser Landesregierung.
(Beifall von der CDU)
Sie haben ein verfassungswidriges Gesetz unter Missachtung der Konnexität auf den Weg gebracht und mit Ihrer Mehrheit im Landtag beschlossen, welches Sie jetzt korrigieren müssen.
Meine Damen und Herren, wir hatten Sie wiederholt und auch in der letzten Debatte im Interesse der Betroffenen aufgefordert, zu einer Verhandlungslösung zu kommen, indem Sie dringend bei der Evaluierung nachbessern.
Wie sagte beispielsweise unser Fraktionsvorsitzender – ich darf ihn zitieren –: Wir wünschen Ihnen, dass das um 12 Uhr gelingt. Wir wünschen Ihnen, dass es ein Ergebnis gibt. Der Kollege Biesenbach sagte: Herr Römer, wenn Sie gleich mit dem Städtetag reden, haben Sie die Chance, konstruktiv zu arbeiten,
(Marc Herter [SPD]: Ja! Das hat er ja getan!)
aber nur, wenn Sie die Revisionsklausel annehmen. Dann habe ich auch den Eindruck, dass das Land eine sinnvolle Lösung will. – Unseren Forderungen sind Sie damals nicht gefolgt, jetzt aber schon.
(Marc Herter [SPD]: Das ist falsch!)
Warum nicht gleich so?
(Beifall von der CDU)
Herr Römer, bitte hören Sie auf mit Ihrer Legendenbildung hinsichtlich parteilicher Beeinflussung.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Schließen Sie bitte nicht von selbst auf andere. Dafür ist das Thema zu sensibel.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Meine Damen und Herren, dank der Beharrlichkeit der Spitzenverbände ist in den letzten Verhandlungsrunden für die nächsten drei Jahre eine jährliche und damit zeitnahe Überprüfung der den Kommunen entstehenden Mehrkosten zugesichert worden. Dem sich daraus ergebenden Anpassungsbedarf wird im folgenden Haushaltsjahr entsprochen. Wir werden das sehr genau beobachten.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dann müssen Sie auch mitstimmen!)
Innerhalb der bis zum 31. Juli laufenden Klagefrist können noch kommunale Verfassungsbeschwerden wegen der Verletzung des Konnexitätsprinzips auf den Weg gehen. Auch das ist gut so. Jetzt gilt das, was der VBE gerade in seiner Pressemitteilung titelt: „Den Worten müssen jetzt Taten folgen.“
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja, watt denn nu?)
Meine Damen und Herren, jetzt, wo die Kommunalwahl näher rückt, die Stimmung der Bevölkerung gegen Sie kippte und Sie merkten, dass man die Kommunen nicht über den Tisch ziehen kann, reagieren Sie.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Realitätsverlust nennt sich das! – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])
Durch Ihre Haltung und Wendung in dem elendig langen Verhandlungsverfahren haben Sie dem Komplex der Konnexität einen Bärendienst geleistet.
(Beifall von der CDU)
Die Akzeptanz vor Ort hat gelitten, denn ohne Moos ist nichts los. Daher: Mit dem Ergebnis, das jetzt erzielt wurde, hätten Sie von Anfang an kommen können, wenn Sie das entsprechende Konnexverfahren angewendet hätten.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)
Das haben Sie versäumt. Mit einem Zitat aus Goethes „Osterspaziergang“ bin ich gestartet und beende damit auch meinen Wortbeitrag: „Im Tale grünet Hoffnungsglück.“ – Für die Betroffenen wäre das wünschenswert. Frohe Ostern!
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Herter das Wort.
Marc Herter (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dann fange ich auch mit einem Zitat an – nein, nicht mit Goethe, ich mache es ein bisschen einfacher –: Es ist einsam im Sattel, wenn das Pferd tot ist, das man reiten will.
(Beifall von der SPD)
Man merkt das hier leider an jedem Satz. Man merkt es vor allem an Ihrem gepflegten Konjunktiv: hätte, könnte, müsste, wäre. – Die Regierungskoalition befasst sich nicht mit dem Konjunktiv, sondern damit, was hier im Lande geregelt werden muss. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, diese Sache gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden zu regeln. Das zeichnet erfolgreiche Politik aus.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es mag ja sein, dass man rummäkeln muss, dass man Haltungsnoten verteilen will. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Opposition sind Sie zu mehr aufgerufen als zur Jury bei „Germany’s Next Topmodel“. Ein bisschen mehr Inhalt – das hat Ihnen Frau Pieper gerade gesagt –, ein paar mehr Vorschläge, die Beantwortung der Frage, wie man es denn Ihrer Auffassung nach regeln soll, hätten wir heute schon erwarten dürfen. Es war aber auch nicht notwendig, weil es schon geregelt ist. Es hätte Ihnen gut angestanden, an der Stelle nicht die beleidigte Leberwurst zu geben, sondern zu sagen: Die Kommunen haben gut verhandelt, das Land hat gut verhandelt, und am Ende ist ein gutes Ergebnis dabei herausgekommen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen wir doch Ihre Kommunalpolitiker reden. Lassen wir doch Herrn Napp aus Neuss reden: Römer sei Dank! – Lassen wir doch Herrn Jung reden: Wir freuen uns über die gefundene Lösung. – Lassen wir doch Herrn Hendele reden: Damit haben wir die erforderliche Sicherheit, dass die tatsächlichen Kosten übernommen werden. – Die drei haben recht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Am Ende zeichnet es eine Lösung aus, dass eben niemand über den Tisch gezogen worden ist.
Zu Ihrer modernen Legendenbildung, das Ganze sei am Ende quasi in einer Art Torschlusspanik zugesagt worden, will ich Ihnen sagen: Hinter der Konnexitätsanerkennung ist keine milde Gabe zu sehen
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Oh, oh!)
– Quatsch, da schließen Sie von sich auf andere –, sondern im Vereinbarungsentwurf ist ausdrücklich vorgesehen, dass am Schluss der Diskussion eine Anerkennung der Konnexität stehen kann. – Erstens.
Zweitens. In den ersten Entwurf der Vereinbarung von Ende Januar hatte das Land seinerseits die Anerkennung der Konnexität für die Schulträgeraufgaben schon hineingeschrieben.
Es war in der Tat strittig, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob das für den zweiten Korb, für das nichtlehrende Personal, wohl auch gelten sollte. An der Stelle hat Herr Römer dann gesagt: Lassen Sie uns in Bezug auf den zweiten Korb nicht in Prinzipienreiterei verfallen. Lassen Sie uns diese Sache jenseits der Frage klären, ob das konnexitätsrelevant sein könnte. – Denn das hätte man nur vor Gericht klären können. Die kommunalen Spitzenverbände wussten sehr genau, dass man dafür vor Gericht keine Regelung bekommen hätte. Deswegen ist doch am Ende des Tages eine Einigung möglich gewesen, die die tatsächlichen Kosten in den Blick genommen hat, und keine Prinzipienreiterei dabei herausgekommen, auf die Sie uns gerne festnageln wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie haben – das ist mein Vorwurf an der Stelle – Steine statt Brot gepredigt. Sie haben die Kommunen in einen Rechtsstreit treiben wollen, der für sie im Korb zwei aussichtslos gewesen wäre. Sie hätten keine entsprechenden Unterstützungsleistungen gehabt und am Ende des Tages mit leeren Händen dagestanden, wären sie den Empfehlungen der CDU gefolgt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Hören Sie auf, die kommunalen Spitzenverbände gegeneinander auszuspielen. Es hat niemand härter oder weniger hart verhandelt; energischer oder weniger energisch sei er für die entsprechenden Interessen eingetreten. Das ist doch Quatsch!
An dieser Stelle hat es einen Punkt gegeben, der war dann für die beiden Verbände, die etwas später dazugekommen sind, entscheidend. Das war der Punkt, dass nicht nur einmal in der Klagefrist – das war nämlich mit dem Städtetag schon vereinbart – eine Evaluation durchgeführt werden sollte, sondern nach der Klagefrist noch zweimal.
Was übrigens das hier öfter zitierte Konnexitätsgesetz angeht, gibt es eine Regelung, die für den Korb 1 im Konnexitätsgesetzes steht: Die Kommunen können zu jedem Zeitpunkt eine entsprechende Überprüfung verlangen.
Wenn die Kommunen sich damit sicherer fühlen, haben wir das gerne zugestanden – und zwar deshalb gerne zugestanden, weil wir ohnehin vertragstreu sein und die realen Kosten abbilden wollten.
Es hätte Ihnen gut angestanden, der Versuchung zu widerstehen, den einen kommunalen Spitzenverband und den einen Hauptgeschäftsführer anders als die anderen zu würdigen. Ich sage: Alle drei, Herr Dr. Articus, Herr Dr. Klein und Herr Dr. Schneider, haben ihre Sache gut gemacht und sind gut für die Belange der Kommunen in diesem Lande eingetreten. Alle drei!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das haben wir nicht bestritten!)
Es wird von meiner Seite kein Triumphgeheul geben. Aber ich bin durchaus glücklich darüber, dass jetzt der Rahmen klar ist, dass wir einen Weg gefunden haben, auf dem Land und Kommunen gemeinsam, Hand in Hand, die schulische Inklusion umsetzen können. Das ist gut für die Eltern. Das ist gut für die Lehrer. Das ist gut für die Kommunen. Das ist vor allem aber gut für die Schülerinnen und Schüler, für die wir das alle machen. – Herzlichen Dank!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kenne das Sprichwort, das Herr Herter gerade genannt hat, etwas anders, vom Sinn her aber gleich: Steig ab von dem Pferd, das Du reitest, wenn Du merkst, dass es tot ist! – Das ist genau das, was Sie heute leider nicht hinbekommen haben. Sie haben Reden gehalten, die Sie vorbereitet haben, die Ihnen aufgeschrieben worden waren. Sie konnten nur nicht auf das reagieren, was Ihnen hier vorgetragen worden ist, auch nicht darauf reagieren, dass alle Spitzenverbände dieser Vereinbarung zugestimmt haben.
Ich bin nur froh, dass wir hier teilweise Redezeit richtig konstruktiv nutzen konnten, indem wir die Vereinbarung von unserer Seite aus schon einmal unterschrieben haben, während wir hier gemeinsam im Parlament sitzen. Das sage ich, um erneut zu verdeutlichen, dass wir die Dinge handwerklich zu Ende bringen. Das ist wichtig.
Herr Kuper, 2012! Ich will Ihnen gerne noch einmal etwas mitgeben: Sie müssten eigentlich aufmerksam betrachtet haben, dass ich im Dezember 2012 auf dem Parlamentarischen Abend des Städtetages mit den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände genau über den Vorschlag von Frau Löhrmann diskutiert habe, nämlich eine Arbeitsgruppe einzurichten jenseits der juristischen Positionen, damit wir uns anschauen, wie es gemeinsam gelingen kann, Kosten zum einen zu prognostizieren und zum anderen auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen. Wir hätten in der Tat etwas früher fertig sein können, wenn damals darauf eingegangen worden wäre. Diesen Vorgang haben wir jetzt genauso durchgeführt und zu einem guten Ende gebracht. Deshalb bin ich froh, dass dieser anstrengende und herausfordernde Prozess so gut gelungen ist.
Was haben Sie denn in der Zwischenzeit getan? Haben hier Haushaltsanträge von Ihnen vorgelegen? Haben Sie heute erklärt, dass Sie dieses Ergebnis für die Kommunen im Landeshaushalt mittragen werden? Wo ist das von Ihnen bekundet worden? Wo haben Sie uns gesagt, dass Sie das mittragen, dass über die Legislatur hinaus verlässlich für die Kommunen finanziert wird? Das war doch das Signal, dass nach 2017 überhaupt kein Weg an Rot-Grün vorbeiführt, weil wir dann nämlich diese Zusagen auch einhalten werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und bei aller Würdigung der kommunalen Spitzenverbände und ihrer Vertreter, die mit uns geredet haben, sei mir eine Bemerkung, lieber Kollege Herter, doch erlaubt: Ja natürlich, alle haben sich für –, warum Herr Schneider noch einmal kommentiert hat, es sei hier Inklusion zum Nulltarif vorgesehen.
Ich will noch einmal bilanzieren, was das Land in dieser Legislatur investiert. Das sind alleine an Kosten für das Lehrpersonal 750 Millionen €; das sind 100 Millionen € für Weiterbildung, für die Ausbildung von zusätzlichen Sonderpädagogen – etwas, was Sie unter Schwarz-Gelb gar nicht angefasst haben –, und es sind jetzt diese 175 Millionen, die wir zur Unterstützung der kommunalen Schulträger oben drauflegen. Das macht über 1 Milliarde €. Wenn da einer von „Nulltarif“ spricht, ist das – soll ich es dreist nennen, soll ich es vergessen nennen; ich weiß es nicht, ich will es nicht abschließend beurteilen. Vielleicht kommt da die Erkenntnis auch etwas später.
Etwas hat mich dann doch wieder irritiert. Frau Gebauer, Ihre Anfangstöne waren zwar moderat, aber am Ende sind die alten FDP-Positionen ganz klar durchgekommen. Wenn Sie von „Zwangsinklusion“ sprechen, machen Sie Eltern Angst. Sie machen ein Szenario auf, das absolut unseriös ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie sprechen – das war doch der Unterton in Ihrer Rede – davon, dass Kinder mit Behinderungen andere Kinder beim Lernen behindern. Das steckt in dieser Tonlage und dem, was Sie gesagt haben, doch wieder ganz tief drin. Schauen Sie sich das in Ihrer Rede noch einmal an. Auch das ist unseriös und durch nichts belegt.
Noch etwas, Frau Kollegin! Sie wissen doch sehr genau – ich weiß doch, dass Sie die Unterlagen lesen; auch den Landesrechnungshofbericht –, dass im Bereich der Förderschulen Lernen durch die Demografie schon 60 % der Förderschulen längst unter die Mindestgröße gefallen sind und noch nicht einmal die Ausnahmeregelung erreicht haben. Was wollen Sie uns denn hier vormachen? Das ist unseriös!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich habe mir natürlich noch etwas aufgehoben und frage zum Schluss den Kollegen Kaiser:
Werter Klaus Kaiser, wir haben doch in Zeiten der Minderheitsregierung gemeinsam einen Antrag erarbeitet, den wir am Tag der Auflösung des Landtags nicht mehr miteinander verabschieden konnten. Darin waren genau die Eckpunkte beschrieben, die wir dann in das erste Gesetz auf dem Weg zur Umsetzung der UN-Konvention im schulischen Bereich eingebracht haben. Genauso war es. Wir haben diskutiert, was das in der Praxis bedeutet. Und jetzt macht sich Kollege Kaiser einen schlanken Fuß und sagt: Damit habe ich gar nichts mehr zu tun.
(Klaus Kaiser [CDU]: Nein, nein!)
Von den Diskussionen, die wir fachlich miteinander geführt haben, will man heute nichts mehr wissen.
Und das andere ist der Schulkonsens: Förderschulen, soweit sie trotz Inklusion erforderlich sind. – Das war ganz klar. Und es war ganz klar, dass die Demografie schon längst gewirkt hat, wir zur Konzentration von Standorten kommen werden, was gut und richtig ist, ohne den Bedarf, den Eltern sehen, nicht realisieren zu können.
Das will man heute alles nicht mehr wissen. Ich nehme die Distanzierung des Kollegen zur Kenntnis. Will man sich in dieser Frage vom Schulkonsens verabschieden, von dem, was wir in der Minderheitsregierung einvernehmlich besprochen haben? Vor allen Dingen, Herr Kaiser, war die CDU froh, dass die Blockade durch die FDP aufgelöst war und Sie damals nicht mehr gebunden waren. Seinerzeit wollte die FDP sogar bewirken, dass hier im Landtag nicht von Inklusion gesprochen und diese Vokabel gar nicht in den Mund genommen wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Finden Sie zurück zu einer konstruktiven Haltung in der Umsetzung! Ich fahre gerne wieder mit Ihnen gemeinsam über das Land, um die Standorte anzuschauen. Dann können wir vielleicht an andere gemeinsame fachliche Diskussionen anknüpfen. Heute war das ein vorbereitetes Papier. Ich verstehe das, das war bei der heutigen Debatte zu G8 auch schon so. Aber vielleicht kommen wir mit ein bisschen Abstand zu einer anderen Diskussion zurück. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
(Zurufe von der SPD: Och!)
– Auch wenn Sie es bedauern. – Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5570 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Die Fraktion der CDU, die Fraktion der FDP, Teile der Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein.
(Zuruf von der SPD: Da müssen Sie sich wirklich schämen! – Weitere Zurufe von der SPD)
– Wer enthält sich der Stimme? – Ein weiterer Teil der Piratenfraktion. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/5570 angenommen.
Ich lasse zum Zweiten über den Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/5572 abstimmen. Ich darf wiederum fragen, wer diesem Antrag zustimmen möchte.
(Zurufe von der SPD)
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf doch bitten, die Abstimmung mit der nötigen Ruhe durchzuführen.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Fraktion der CDU, die Fraktion der FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein.
(Weitere Zurufe von der SPD)
Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Die Fraktion der SPD, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der größte Teil der Piratenfraktion. Wer enthält sich bei der Abstimmung? – Ein weiterer etwas kleinerer Teil der Piratenfraktion. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/5572 mit dem festgestellten Ergebnis abgelehnt.
Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 14. Mai 2014.
Ich wünsche Ihnen, aber natürlich nicht minder unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen und in der Landtagsverwaltung eine erholsame Osterpause. Alles Gute!
Die Sitzung des Landtags ist geschlossen.
Schluss: 19:50 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.