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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/62

16. Wahlperiode

02.07.2014

62. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 2. Juli 2014

Mitteilungen der Präsidentin. 6181

Änderung der Tagesordnung. 6181

1   Nachwahl eines Schriftführers des Landtags Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6096. 6181

Ergebnis. 6181

2   Auswirkungen des Urteils des Verfassungsgerichtshofs NRW vom 1. Juli zu dem Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land NRW

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6206 – Neudruck. 6181

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6181

Armin Laschet (CDU) 6184

Norbert Römer (SPD) 6186

Christian Lindner (FDP) 6188

Reiner Priggen (GRÜNE) 6190

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6192

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 6194

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 6197

Martin Börschel (SPD) 6199

Christian Lindner (FDP) 6201

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 6202

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6203

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 6204

Ergebnis. 6205

3   Salafismus konsequent mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6127. 6205

Dr. Joachim Stamp (FDP) 6205

Hans-Willi Körfges (SPD) 6206

Theo Kruse (CDU) 6208

Verena Schäffer (GRÜNE) 6209

Dirk Schatz (PIRATEN) 6210

Minister Ralf Jäger 6211

Ergebnis. 6212

4   Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes – 14. Rundfunkänderungsgesetz –

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4950

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6204 – Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6218

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/6137

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Beitrag zu Vielfalt und Qualität im Journalismus leisten – Gemeinnützigkeit von Journalismus anerkennen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6130. 6212

Alexander Vogt (SPD) 6212

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 6215

Oliver Keymis (GRÜNE) 6217

Thomas Nückel (FDP) 6218

Daniel Schwerd (PIRATEN) 6220

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 6222

Alexander Vogt (SPD) 6223

Thorsten Schick (CDU) 6224

Matthi Bolte (GRÜNE) 6225

Ergebnis. 6225

5   Überwachung und Datenzugriff im Bereich der Telekommunikation. Wie nutzen nordrhein-westfälische Ermittlungsbehörden Funkzellenabfragen, Stille SMS, IMSI-Catcher und W-LAN-Catcher?

Große Anfrage 10
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5215

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/6051

In Verbindung mit:

Einführung einer Erhebungsmatrix für Funkzellenabfragen, Stille SMS und Einsätze von IMSI-Catchern – Bessere statistische Erfassung von Daten für echte parlamentarische Kontrolle

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6118. 6226

Frank Herrmann (PIRATEN) 6226

Hans-Willi Körfges (SPD) 6227

Gregor Golland (CDU) 6228

Matthi Bolte (GRÜNE) 6229

Dr. Robert Orth (FDP) 6231

Minister Ralf Jäger 6232

Ergebnis. 6232

6   Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2723

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/6138

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6222

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6225

zweite Lesung. 6232

Michael Scheffler (SPD) 6233

Norbert Post (CDU) 6234

Jutta Velte (GRÜNE) 6235

Susanne Schneider (FDP) 6236

Olaf Wegner (PIRATEN) 6238

Ministerin Barbara Steffens. 6238

Josef Neumann (SPD) 6241

Andrea Asch (GRÜNE) 6242

Ergebnis. 6243

7   Rohstoffgewinnung ist sinnvoller als der „Salzpipelinebau“ zur Nordsee

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6135. 6243

Hubertus Fehring (CDU) 6243

Jürgen Berghahn (SPD) 6244

Hans Christian Markert (GRÜNE) 6245

Kai Abruszat (FDP) 6246

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 6247

Minister Johannes Remmel 6248

Ergebnis. 6249

8   Landesregierung muss Konzept zur flächendeckenden Einführung eines nicht-konfessionellen Werteunterrichts an Grundschulen vorlegen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6128. 6249

Yvonne Gebauer (FDP) 6249

Renate Hendricks (SPD) 6250

Sigrid Beer (GRÜNE) 6251

Klaus Kaiser (CDU) 6251

Monika Pieper (PIRATEN) 6252

Ministerin Sylvia Löhrmann. 6253

Yvonne Gebauer (FDP) 6254

Ergebnis. 6255

9   Masterplan zur vermögensschonenden Abwicklung der WestLB notwendig nach dem Scheitern des Privatisierungsvorhabens der Portigon Financial Services – Finanzminister muss endlich Personalkonzept für Portigon-Beschäftigte vorlegen

Eilantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6189. 6255

Ralf Witzel (FDP) 6255

Stefan Zimkeit (SPD) 6256

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 6257

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 6258

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6259

Robert Stein (fraktionslos) 6260

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6261

Ergebnis. 6263

10 Fragestunde

Drucksachen 16/5975, 16/6199, 16/6200, 16/6221. 6263

Dringliche Anfrage 45

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

(Frage zurückgezogen)

Dringliche Anfrage 46

des Abgeordneten
Dr. Marcus Optendrenk (CDU)

Steuereinnahmen 2014 bis 2018. 6264

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6264

Mündliche Anfrage 42

des Abgeordneten
Henning Rehbaum (CDU)

Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf bei den derzeitigen Zuständen von Fernbus-haltestellen in Nordrhein-Westfalen?. 6266

Minister Michael Groschek. 6267

Mündliche Anfrage 43

des Abgeordneten
Josef Hovenjürgen (CDU)

Umsetzungdes Industrieparks „newPark“ 6270

Minister Garrelt Duin. 6270

Mündliche Anfrage 44

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

Durchsetzung rechtlicher Ansprüche gegen frühere BLB-Geschäftsführer und die BLB-Geschäftspartner bei Wuchergeschäften – Aus jeweils welchen Gründen verzichtet der Finanzminister unverständlicherweise nun auf die gebotene Verfolgung der finanziellen und rechtlichen Interessen des Landes im Umgang mit den BLB-Skandalen?  6273

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6275

11 Kinderrechte wirklich umsetzen! Nordrhein-Westfalen braucht geschulte Fachkräfte in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Schulen und Familienzentren für die konkrete Informationsvermittlung und Umsetzung der Kinderrechte

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6107. 6282

Olaf Wegner (PIRATEN) 6282

Ingrid Hack (SPD) 6283

Andrea Milz (CDU) 6284

Andrea Asch (GRÜNE) 6285

Marcel Hafke (FDP) 6286

Ministerin Ute Schäfer 6287

Ergebnis. 6287

12 Transparente Veräußerung von Grundstücken sicherstellen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4828

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/5778. 6288

Christian Möbius (CDU) 6288

Stefan Zimkeit (SPD) 6289

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 6289

Dirk Wedel (FDP) 6289

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6290

Minister Michael Groschek. 6291

Ergebnis. 6292

13 Gesetz über die Zulassung von Zentren und über die Einrichtung der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik in Nordrhein-Westfalen (Präimplantationsdiagnostikgesetz Nordrhein-Westfalen – PIDG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5546

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6207

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/6139

zweite Lesung. 6292

Angela Lück (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Peter Preuß (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Arif Ünal (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Susanne Schneider (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Olaf Wegner (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Ministerin Barbara Steffens
zu Protokoll (siehe Anlage 1)

Ergebnis. 6292

14 Zweites Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6088

erste Lesung. 6292

Ministerin Barbara Steffens
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 6293

15 Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz (Schwangerschaftskonfliktgesetz-Aus–führungsgesetz – AG SchKG)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6095

erste Lesung. 6293

Ministerin Ute Schäfer
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 6293

16 Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5788

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/6142

zweite Lesung. 6293

Rainer Bischoff (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Matthias Kerkhoff (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Martina Maaßen (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Ulrich Alda (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Olaf Wegner (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Minister Guntram Schneider
zu Protokoll (siehe Anlage 4)

Ergebnis. 6293

17 Gesetz über die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse (LBSG)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4774

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6219

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/6143

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6220

zweite Lesung. 6293

Martin Börschel (SPD) 6293

Volker Jung (CDU) 6294

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 6294

Ralf Witzel (FDP) 6294

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6296

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6296

Ergebnis. 6297

18 Gesetz zur Offenlegung der Bezüge von Sparkassenführungskräften im Internet

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4165

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/6144

zweite Lesung. 6297

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6297

Stefan Kämmerling (SPD) 6298

Volker Jung (CDU) 6300

Mario Krüger (GRÜNE) 6300

Ralf Witzel (FDP) 6301

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6302

Ergebnis. 6303

19 Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5545 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/6145

zweite Lesung. 6303

Ina Spanier-Oppermann (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Petra Vogt (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ali Bas (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Yvonne Gebauer (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Monika Pieper (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ministerin Sylvia Löhrmann
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ergebnis. 6303

20 Gesetz zur Aufhebung der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare und zur Anpassung weiterer Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5981

erste Lesung. 6303

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
zu Protokoll
(siehe Anlage 6)

Ergebnis. 6303

21 Qualitätsanalyse – ein wichtiger Baustein für die Schulqualität

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6121. 6304

Ergebnis. 6304

22 Anmeldung zum Rahmenplan 2014 bis 2017 nach § 7 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK)

Unterrichtung
des Landtags
gemäß § 10 Absatz 3 LHO
Vorlage 16/1916

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/6146. 6304

Ergebnis. 6304

23 Mitteilung nach § 15 des Abgeordnetengesetzes NRW

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
Drucksache 16/6147. 6304

Ergebnis. 6304

24 Benennung eines stellvertretenden Mitglieds für den Ausschuss der Regionen der Europäischen Union

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6148. 6304

Ergebnis. 6304

25 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 21
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a.F.)
Drucksache 16/6149. 6304

Ergebnis. 6304

26 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/23. 6304

Ergebnis. 6305

Anlage 1. 6307

Zu TOP 13 – „Gesetz über die Zulassung von Zentren und über die Einrichtung der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik in Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Reden

Angela Lück (SPD) 6307

Peter Preuß (CDU) 6307

Arif Ünal (GRÜNE) 6307

Susanne Schneider (FDP) 6308

Olaf Wegner (PIRATEN) 6308

Ministerin Barbara Steffens. 6309

Anlage 2. 6311

Zu TOP 14 – „Zweites Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Barbara Steffens. 6311

Anlage 3. 6313

Zu TOP 15 – „Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ministerin Ute Schäfer 6313

Anlage 4. 6315

Zu TOP 16 – „Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz“ – zu Protokoll gegebene Reden

Rainer Bischoff (SPD) 6315

Matthias Kerkhoff (CDU) 6315

Martina Maaßen (GRÜNE) 6315

Ulrich Alda (FDP) 6315

Olaf Wegner (PIRATEN) 6315

Minister Guntram Schneider 6315

Anlage 5. 6317

Zu TOP 19 – „Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz“ – zu Protokoll gegebene Reden

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 6317

Petra Vogt (CDU) 6317

Ali Bas (GRÜNE) 6317

Yvonne Gebauer (FDP) 6317

Monika Pieper (PIRATEN) 6317

Ministerin Sylvia Löhrmann. 6318

Anlage 6. 6319

Zu TOP 20 – „Gesetz zur Aufhebung der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare und zur Anpassung weiterer Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6319

Entschuldigt waren:

Minister Garrelt Duin    
(bis 12:30 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(bis 12 Uhr)

Thomas Eiskirch (SPD)
(von 18:30 bis 19:30 Uhr)

Eva Lux (SPD
(bis 15 Uhr)

Ibrahim Yetim (SPD)    
(ab 15 Uhr)

Bernd Krückel (CDU)

Thomas Kufen (CDU)   
(ab 13 Uhr)

Claudia Middendorf (CDU)

Martina Maaßen (GRÜNE)        
(ab 19:30 Uhr)

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE)        
(ab 15:30 Uhr)

Holger Ellerbrock (FDP)

Henning Höne (FDP)    
(von 14 bis 20 Uhr)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Dirk Schatz (PIRATEN) 
(ab 13 Uhr)


Beginn: 10:06 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der 62. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich vier Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir dürfen auch heute jemandem zum Geburtstag gratulieren, nämlich Herrn Minister Guntram Schnei-der, der heute seinen 63. Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch vom Hohen Haus!

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Namen des Hohen Hauses alles Gute, kann Ihnen aber leider keine kurze Plenarsitzung versprechen. Aber wir freuen uns alle, den Tag mit Ihnen gemeinsam verbringen zu dürfen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Sie gerne noch darüber unterrichten, dass die Landesregierung mit Schreiben vom 1. Juli eine Unterrichtung zu dem Thema „Auswirkungen des Urteils des Verfassungsgerichtshofs NRW vom 1. Juli zu dem Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land NRW“ angemeldet hat. Die Unterrichtung soll heute als Tagesordnungspunkt 2 durch den Finanzminister erfolgen.

Die für heute angemeldete Unterrichtung zu den Unwetterereignissen vom 9. Juni soll laut Vorschlag der Landesregierung für morgen oder für Freitag als Tagesordnungspunkt 1 vorgesehen werden. Mit Blick auf den weiteren Verlauf dieser Woche lautet mein Vorschlag, das morgen als Tagesordnungspunkt 1 auf die Tagesordnung zu setzen. Die Verständigung mit den Fraktionen ist angelaufen, aber vor Beginn der Sitzung noch nicht vollständig abgeschlossen worden. Deshalb schaue ich einmal in die Runde. – Die Fraktionen nicken. Dann verfahren wir so.

Ich will gleichzeitig bereits jetzt darauf hinweisen, dass zu dem neuen Tagesordnungspunkt 2 heute, der Unterrichtung durch den Finanzminister, ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP eingereicht worden ist und Ihnen vorliegen müsste. Dieser Entschließungsantrag trägt die Drucksachennummer 16/6206 – Neudruck – und wird nachher auch noch beim Aufruf des Tagesordnungspunktes genannt.

Mit diesen Vorbemerkungen treten wir in die heutige Tagesordnung ein.

Wir kommen zu:

1   Nachwahl eines Schriftführers des Landtags Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6096

Eine Aussprache hierzu ist nicht vorgesehen. Deshalb können wir direkt zur Abstimmung über diesen Wahlvorschlag kommen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir den Wahlvorschlag mit der Drucksachennummer 16/6096 einstimmig angenommen.

Herr Oliver Bayer ist damit unser neues Mitglied im Kreis der Schriftführerinnen und Schriftführer. Herzlichen Glückwunsch und auf gute Zusammenarbeit!

(Allgemeiner Beifall)

Damit rufe ich auf:

2   Auswirkungen des Urteils des Verfassungsgerichtshofs NRW vom 1. Juli zu dem Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land NRW

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6206 – Neudruck

Der Chef der Staatskanzlei hat, wie eben schon ausgeführt, mit Schreiben vom 1. Juli mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu diesem Thema zu unterrichten.

Die Unterrichtung erfolgt durch den Finanzminister Dr. Walter-Borjans, dem ich hiermit das Wort erteile.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen hat gestern Teile des Besoldungsanpassungsgesetzes für nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt. Die Verfassungsrichter haben ihre Entscheidung in fünf Leitsätzen zusammengefasst:

In dem ersten Leitsatz weisen sie darauf hin, dass die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, wie sie in Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes stehen, auch Bestandteil der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen sind.

Mit dem zweiten Leitsatz sagen sie, dass nach dem Alimentationsprinzip der Gesetzgeber die Bezüge der Beamten, Richter und Versorgungsempfänger anhand einer Gegenüberstellung mit bestimmten Vergleichsgruppen innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes festsetzen muss.

Drittens. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich verpflichtet, die Bezüge der Beamten, Richter und Versorgungsempfänger an eine positive Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen.

Viertens. Der Gesetzgeber darf die Bezüge kürzen oder mit einer Anpassung hinter der Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zurückbleiben, um eine Überalimentation abzubauen. Das ist jedoch nur dann statthaft, wenn die Bezüge nicht bereits an der unteren Grenze einer amtsangemessenen Alimentation liegen.

Fünftens. Hält der Gesetzgeber für die Besoldungsgruppen A2 bis A10 eine Erhöhung der Besoldung von 5,6 % zur Sicherung einer amtsangemessenen Alimentation für sachgerecht, dann darf er ohne sachlichen Grund die Erhöhung der Grundgehaltssätze für die Besoldungsgruppen A11 und A12 nicht auf 2 % beschränken und jedenfalls nicht schon ab Besoldungsgruppe A13 auf jede Erhöhung der Grundgehaltssätze verzichten.

Es gibt eine längere Begründung zu diesem Urteil, die ebenfalls erst seit gestern vorliegt. Die gilt es jetzt auszuwerten. Das geht sicher nicht in einem Tag.

Eines wird allerdings schon bei der ersten Lektüre dieser Begründung klar: Für die große Pose, wie sie gestern von der Opposition eingenommen wurde, und für starke Sprüche, wie sie gestern zu vernehmen waren, gibt es wenig Anlass.

(Lachen und Zurufe von der CDU)

Mit seiner Urteilsbegründung macht das Gericht nämlich in jedem Satz deutlich, wie schwer es fällt, verlässliche Leitlinien für die zukünftige Beamtenbesoldung zu formulieren – Leitlinien, die nicht außer Acht lassen, dass es neben dem Verfassungsgebot einer amtsangemessenen Besoldung und ausreichender Abstände zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen auch das Verfassungsgebot eines ab 2020 ausgeglichenen Haushalts ohne Kreditaufnahme gibt.

Das Gericht hat den Versuch unternommen, Leitplanken für Entscheidungen in einer Frage zu definieren, der Beamtenbesoldung, die nicht erst nach dem gestern monierten Besoldungsanpassungsgesetz und nicht nur in Nordrhein-Westfalen die Gemüter erhitzt.

Die Frage, wann und wie Ergebnisse der Tarifverhandlungen für die Tarifbeschäftigten der Länder auf die Beamtenbesoldung zu übertragen sind bzw. was unter der Anpassung der Besoldung an wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen zu verstehen ist, stellt sich spätestens, seitdem die Föderalismuskommission 2006 die Kompetenz für die Besoldung auf die Länder übertragen hat.

Seither waren Entscheidungen in vielen Landtagen immer wieder umstritten und haben auch zu Klagen bei Verfassungsgerichtshöfen geführt. Das nimmt in dem Maße zu, wie wir uns auf das Jahr 2020 zubewegen.

(Zuruf von den PIRATEN)

Die Verfassungsrichter unterstreichen in ihrer Entscheidung ausdrücklich die Zulässigkeit der Unterschiede in den Besoldungsniveaus der Länder als Folge dieser Kompetenzübertragung auf die Länder.

Es ist dem Gericht erkennbar nicht leichtgefallen, solche Leitplanken zu formulieren. Deshalb gibt es auch deutlich mehr Aussagen dazu, was nach Ansicht des Verfassungsgerichts zwar grundsätzlich geht, aber nicht so, wie es der Landtag in das Gesetz geschrieben hat. Aussagen dazu, wie es denn geht, damit es verfassungskonform ist, sucht man vergeblich. Das ist jetzt Sache des Gesetzgebers in Nordrhein-Westfalen – aber nicht nur hier; denn wir wissen, dass es in anderen Ländern ähnliche Fragestellungen gibt und da nach ähnlichen Leitplanken gesucht wird.

Man kann jetzt schon sagen: Wenn man eine Anpassung vornimmt, die nicht eins zu eins der Tariferhöhung entspricht – genau das hat der Verfassungsgerichtshof ja für möglich erklärt –, dann wird es immer Regelungen geben, die das Risiko in sich bergen, von den Verfassungsgerichten verworfen zu werden. Das ist ein ziemlich normaler Vorgang.

(Lachen von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

– Ja! Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Warten Sie mal ab!

(Widerspruch von Lutz Lienenkämper [CDU] – Weitere Zurufe)

– Ihr eigener Verfahrensbevollmächtigter hat als Begründung für die Statthaftigkeit des Antrags, den Sie gestellt haben, gesagt: Es geht um die Klärung von Zweifelsfragen der Verfassungsauslegung. – Damit haben Sie begründet, dass Sie das bei Gericht überhaupt klären lassen dürfen. Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs mit Strafprozessurteilen gleichzusetzen scheint eine nordrhein-westfälische Spezialität von Ihnen zu sein.

Das Verfassungsgericht ist aber nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Karlsruhe und anderswo kein Strafgericht. Die Richter richten nicht über Schuld oder Unschuld, sondern sie entscheiden in einer Streitfrage.

(Zurufe von der CDU)

– Moment! Sie scheinen keine Nachrichten zu hören. – Karlsruhe macht so etwas fast jeden Monat. In der vergangenen Legislaturperiode hat Karlsruhe 33 Normen oder Gesetze für mit der Verfassung nicht vereinbar erklärt.

Wir haben es ja gerade mit der Frage zu tun, ob wir uns zusammen mit dem Bund an einem Verfahren beteiligen wollen. Als Nächstes steht in Karlsruhe nämlich das Thema „Erbschaftsteuer“ auf der Tagesordnung. Wie furchtbar, dass darüber befunden wird! Und die Folgen der grundgesetzwidrigen Sozialleistungs­regelungen für Flüchtlinge waren erst vor ein paar Tagen Thema in den Nachrichten.

Für den Bund ist das also offenbar normal; da gibt es kein Empörungs­geschrei. Und das, was für Sie von CDU und FDP während Ihrer Regierungszeit hier in Nordrhein-Westfalen offenbar auch normal war, das ist für die heutige Landtagsopposition eine immer wieder gerne genutzte Reckstange für mediale Klimmzüge.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Da müssen in der Pose der tiefen Selbstüberzeugung starke Worte wie „Verfassungsbruch“ und „Täter“ bemüht werden. Herr Lindner hat das an diesem Platz schon mit der Frage gleichgesetzt, ob ein Uli Hoeneß, der vor einem Gericht steht, anders zu bewerten ist als ein Finanzminister. Das ist interessant, sagen Sie das ruhig noch mal. Ich glaube nicht, dass Ihre Empörungskunst die Glaubwürdigkeit bringt, die Sie sich davon erhoffen. Jedenfalls kann ich mir das nur schwer vorstellen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Was Sie als „Verfassungsbruch“ ausmachen, das war für das Verfassungsgericht Anlass zu einer sehr differenzierten Auseinandersetzung mit der Frage der Besoldungsanpassung. Die Richter haben erkennen lassen, dass sie die Überlegungen des Landesgesetzgebers durchaus nachvollzogen haben und eine Eins-zu-eins-Übertragung des Abschlusses für die Tarifbeschäftigten eben nicht für zwingend halten.

Das klang bei der CDU vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders. Ich habe Zitate vom März letzten Jahres, als wir die Entscheidung zu diesem Anpassungsgesetz bekanntgegeben haben, noch im Ohr. Damals hat Herr Laumann noch wortstark die Eins-zu-eins-Übertragung gefordert. Im August dann hat er in einem Interview gesagt, er habe sie nie gefordert. – Genau diesem Widerspruch begegnen wir bei Ihnen immer wieder.

Nicht nur eine Anpassung unterhalb eins zu eins, sondern auch eine nach den Besoldungsgruppen sozial gestaffelte Anpassung ist – so das Gericht – mit der Verfassung vereinbar.

Die negative Entscheidung des Gerichts bezieht sich gerade nicht auf unsere grundsätzlichen Erwägungen. Im Gegenteil: Die werden bestätigt. Die negative Entscheidung bezieht sich auf die konkrete Ausgestaltung.

Man kann sich ja mal anschauen, was daran ausgesetzt worden ist. Verworfen hat das Gericht eine seiner Auffassung nach zu stark abfallende Staffelung in drei Stufen. Das ist der Ausgangspunkt. Nach einer Eins-zu-eins-Anpassung für die unteren Besoldungsgruppen – das ist indirekt aus dem Urteil zitiert – sei es nicht gestattet, die Grundgehaltsätze für die Besoldungsgruppen A11 und A12 auf 2 % zu beschränken und jedenfalls nicht ab A13 auf null.

Heute ist in einigen Zeitungen zu lesen, dass ich nach dem Richterspruch enttäuscht gewesen sei. Ich gestehe Ihnen gerne ein: Ja, das war ich. Und das bin ich auch noch. Wir haben uns nämlich von der Überzeugung leiten lassen, dass es vertretbar ist, wenn ein Beamter im höheren Dienst – etwa ein Regierungsdirektor – statt 20 % lediglich 15 % mehr netto verdient als ein Angestellter in der gleichen Funktion und dafür in den unteren Besoldungsgruppen, in denen ein deutlich höherer Anteil des Einkommens für die grundlegenden Lebensbedürfnisse wie Miete benötigt wird, die gleiche Erhöhung greift wie bei den in etwa gleich bezahlten Angestellten.

Wir haben bis gestern gesagt, dass das unter allen Alternativen die sozial gerechteste Art ist, die Beamten anständig zu bezahlen und zugleich Weichen dafür zu stellen, dass das Verfassungsgebot der Schuldenbremse eingehalten wird, und vor allem dafür, dass der öffentliche Dienst auch in Zukunft attraktiv und finanzierbar bleibt. Das gilt auch heute noch.

Die Richter haben aber anders entschieden, und das ist zu akzeptieren. Konkrete Schlussfolgerungen setzen allerdings noch eine tiefere Analyse der Begründung voraus, die wir gestern erhalten haben.

Klar ist jedoch eines: Das Gericht hat die Erhöhung der Beamtenbesoldung in den unteren Gruppen so bestätigt, wie der Landtag das beschlossen hat, nämlich plus 5,6 % für die zwei Jahre in zwei Stufen. Wenn jetzt die folgenden Abstufungen von dieser Erhöhung aus weniger rapide und insgesamt geglätteter ausfallen müssen, als das vom Landtag beschlossene Anpassungsgesetz es vorsieht, dann wird das die Personalkosten nach der gegenwärtigen Einschätzung spürbar nach oben treiben. Das wird in einem Nachtragshaushalt für 2014 und gegebenenfalls in einer Ergänzungsvorlage für 2015 auch abzubilden sein.

Lieber Herr Laschet, anders als Sie das behaupten, sind Abweichungen auf der Einnahmenseite kein Grund für Nachtragshaushalte. Das ist nicht der Fall. Hier geht es darum, dass sich Veränderungen auf der Ausgabenseite ergeben werden. So schlimm es ist, sollte es bei den Einnahmen Ausfälle geben: Das ist kein Grund für einen Nachtragshaushalt. Das ist auch kein Grund für eine Haushaltssperre. Am Ende wird das mit den Kreditermächtigungen aus vergangenen Jahren abzudecken sein. Das würde ich allerdings nicht voraussetzen, wenn ich ein Halbjahr vor mir und eines hinter mir habe; denn hier gilt nicht: Ich verdoppele einfach das, was im ersten Halbjahr war, dann habe ich die Zahl für das gesamte Jahr. – Da gibt es sehr große Unterschiede. Die Ergebnisse der Steuerschätzung machen deutlich, dass es im Jahr 2014 etwas verhaltener aussehen wird als in den Jahren danach. Das ist aber eben nicht die Grundlage. Sie möchten da gerne ein Gerücht in die Welt setzen. Das werden Sie aber nicht lange durchhalten.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Gucken wir mal!)

Unsere Aussage, dass die Schuldenbremse gilt und dass wir sie einhalten werden, bedeutet: Es muss ein Paket geben, das die Beamtenbesoldung entsprechend den Leitplanken, die das Verfassungsgericht gesetzt hat, und die Erreichung eines ohne Kredit ausgeglichenen Haushaltes 2020 in Einklang miteinander bringt. Darüber werden die Koalitionspartner in den nächsten Wochen miteinander reden, und sie werden auch mit den Gewerkschaften reden.

Bis zu einer angepassten Regelung haben wir weder Zeit zu verschenken noch Finanzierungsspielräume, die für eine solide Regelung unter veränderten Rahmenbedingungen gebraucht werden. Deshalb habe ich gemäß § 41 der Landeshaushaltsordnung gestern eine Haushaltssperre verhängt und die Ausgaben des Landes vorerst auf das zwingend notwendige Maß beschränkt. In dieser Zeit werden nur gesetzlich verpflichtende oder aus anderen Gründen unabweisbare Ausgaben zulässig sein.

Wir stehen aber auch in dieser Zeit zu unserer Verantwortung für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes. Wir werden Ausnahmen machen, beispielsweise da, wo Kofinanzierungsmittel ansonsten nicht abgerufen werden können. Ausnahmen werden wir auch insofern machen, als wir Anwärter natürlich übernehmen und nicht auf der Straße stehen lassen. Wir werden Ausnahmen machen, damit der Unterricht weiter fortgesetzt werden kann und hier nicht unverantwortbare Ausfälle entstehen.

Ich habe dazu gestern die schnelle Reaktion des CDU-Fraktions­vorsitzenden gehört, der sagte: Jetzt müssen wir in ganz großem Stil Personal abbauen. – Sie sollten vielleicht neben den vielen pauschalen Forderungen mal konkret sagen, wo Sie das machen wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir kennen ja das Rezept: dass Sie sehr konkret werden, wenn Sie mehr fordern und wenn Sie auf Mangel hinweisen, und dass Sie immer sehr pauschal sind, wenn Sie Ideen haben, wie man mit weniger Geld auskommen und Stellen sparen kann, dass man dann irgendeine Struktur ändern muss, wie auch immer das aussehen soll.

Die Landesregierung macht sich unverzüglich an die Arbeit. Dass wir uns eine Bestätigung des bestehenden Gesetzes gewünscht hätten, das ist doch gar keine Frage. Dass die Besoldung der Beamten durch die Verfassungsrichter ein Stück weiter geklärt worden ist, das ist gut. Es zeigt aber gleichzeitig, wie viel Klärungsbedarf auch in einem Gericht zu dieser Frage noch besteht. Wir werden zu diesem Thema mit Sicherheit noch eine Menge zu beraten haben. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Walter-Borjans. – Ich eröffne die Aussprache zur Unterrichtung der Landesregierung. Den ersten Redebeitrag leistet der Kollege Laschet von der CDU-Fraktion.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, … Verfassung und Gesetze wahren …“

(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Ja, das löst bei Ihnen Unruhe aus. Aber das haben alle, die auf der Regierungsbank sitzen, mal geschworen. Das ist die Eidesformel, auf die sie verpflichtet sind.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD)

Es ist ein erstaunlicher Vorgang, dass es bei Ihnen Unruhe auslöst, wenn man die Eidesformel der Ministerpräsidentin hier zitiert.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Bemerkenswert! Das ist wirklich in hohem Maße bemerkenswert!

(Unruhe – Glocke – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Ich verstehe doch, dass Sie nervös sind.

(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Also: Wenn man im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Eidesformel der Verfassung zitiert, löst das bei Sozialdemokraten Unruhe aus. Ich verstehe Ihre Unruhe: weil man Ihnen was anderes erklärt hat und Sie jetzt auszubaden haben, was die Ministerpräsidentin und der Finanzminister angerichtet haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das passiert doch in jedem Jahr: Der Finanzminister ist im Amt, wenige Monate später macht er einen Nachtragshaushalt. Dann schreiben deutsche Gerichte Rechtsgeschichte, indem sie eine einstweilige Verfügung erlassen – das machen Gerichte nämlich so gut wie nie –, weil Sie so dilettantisch gearbeitet haben. Das war im Jahre 2011 so, das war im Jahre 2012 so. Dieser Minister sitzt doch mehr in Münster vor dem Verfassungsgericht als auf der Regierungsbank. Das muss Ihnen doch mal zu denken geben!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die nächste Frage ist: Wie geht man mit so was um? – Ja, man kann auch mal einen Prozess verlieren. Das kann passieren.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Wissen Sie: Wir haben Fälle, in denen eine 52-jährige Kassiererin entlassen worden ist, weil sie ein paar Bons mitgenommen hat. Hier bricht ein Minister in jedem Haushalt die Verfassung, und Sie regen sich nicht darüber auf! Haben Sie die Relationen verloren?

(Beifall von der CDU, der FDP und Robert Stein [fraktionslos])

Verstehen Sie nicht, dass es viele Leute im Land aufregt,

(Jochen Ott [SPD]: Ach Quatsch!)

wie mit diesen Dingen umgegangen worden ist? Ich habe noch nie gelesen – bei keinem Ministerpräsidenten: nicht bei Jürgen Rüttgers, nicht bei Wolfgang Clement, nicht bei Peer Steinbrück, nicht bei Johannes Rau –, dass eine Richter- und Staatsanwaltsvereinigung mit 3.800 Mitgliedern nach einem solchen Urteil äußert, die Ministerpräsidentin müsse zurücktreten. Sie nehmen gar nicht mehr wahr, was die Menschen im Lande bewegt.

(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Menschen? – Weitere Zurufe)

Dann stellt sich der Finanzminister hier hin und sagt: Das Gericht habe so hin und her gewogen. Es habe sich die Entscheidung schwergemacht. Auch einem Gericht falle es nicht einfach, da genau den Maßstab zu finden. – Nein, das war gestern völlig anders.

(Zuruf von der SPD: Ach!)

Einige Kollegen von Ihnen waren in Münster dabei. Das Gericht hat gesagt: Dieser Vorgang ist evident verfassungswidrig. – Das heißt: Jeder hätte das vorher wissen können. – Ich frage mich in der Tat: Wir haben in Nordrhein-Westfalen neben Bayern die exzellenteste Finanzverwaltung in ganz Deutschland.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Gibt es in diesem Ministerium niemanden, der Sie davor warnt? Gibt es niemanden, der sagt: „Herr Minister, wir gehen hier einen sehr schweren Weg; das ist an der Grenze zum Verfassungsbruch“? Gibt es in den Fraktionen niemanden, der warnt? Warum veranstalten wir eigentlich hier Anhörungen?

(Beifall von der CDU, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])

Bei dieser Art von Regierungsarbeit könnte man der Präsidentin vorschlagen, keine Anhörungen mehr zu machen. Wir lassen Verfassungsexperten aus ganz Deutschland in den Landtag anreisen. Sie machen schriftliche Empfehlungen. Sie begründen ihre Position. Sie sprechen mit den Abgeordneten. Alle sagen: Das ist verfassungswidrig. – Aber der Minister und die Mehrheitsfraktionen sagen: Das interessiert uns überhaupt nicht. Wir machen es trotzdem. – Merken Sie nicht, welches Rechtsvertrauen Sie durch ihre Art des Regierens zerstören?

(Beifall von der CDU, der FDP, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])

Herr Finanzminister, Sie führten gerade aus, die Opposition sage nicht, wie sie es machen würde. Wir haben es Ihnen damals schon gesagt: Das ist eine Frage des Regierungsstils.

(Lachen von den GRÜNEN)

Verkündet man das einfach? Schließt man das mit einem „Basta!“ ab, wie es unsere Ministerpräsidentin zu tun pflegt?

(Lachen von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Oder macht man das wie die saarländische Ministerpräsidentin? Sie ruft Gewerkschaften und Beamtenbund an einen Tisch.

(Gordan Dudas [SPD]: Und baut Stellen ab!)

Man einigt sich. Man baut in diesem kleinen Saarland streckenweise 10 % der Stellen bis 2020 ab.

(Gordan Dudas [SPD]: Aha! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das geschieht mit Zustimmung des Beamtenbundes und der Gewerkschaften.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Im Saarland bezahlt man die Beamten, die einen harten Dienst machen, anständig. Gute Arbeit hat gutes Geld verdient – das ist doch Ihre Parole!

(Beifall von der CDU, Ralf Witzel [FDP] und Robert Stein [fraktionslos])

Warum geht das nicht in Nordrhein-Westfalen?

(Zuruf von der SPD: Wollen Sie 40.000 Stellen abbauen?)

Warum setzen Sie sich nicht mit dem Vorsitzenden des DGB an einen Tisch? Dass Sie keine Koalition der Einladung mit uns mehr machen, sondern nur noch durchregieren, haben wir inzwischen verstanden. Aber dass Sie nicht einmal mehr mit den Gewerkschaften reden, ist für die Sozialdemokratische Partei ein eigenartiger Vorgang.

(Beifall von der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Widerspruch von Minister Guntram Schneider)

Ich erinnere daran: Auf die Verfassung sind auch Abgeordnete verpflichtet.

Ich verstehe, dass die Grünen vieles mittragen. Grüne in anderen Landesverbänden, beispielsweise in Hessen, sind zu einer soliden Finanzpolitik fähig. Ich will gar nicht so sehr einen Vorwurf an die Grünen machen.

(Zuruf von der SPD: Ah!)

Aber Reiner Priggen und Kollege Mostofizadeh, Sie kennen doch auch unterhalb des Ministers Beamte im Finanzministerium. Sagen die Ihnen nie mal unter der Hand: „Wir haben dabei auch Bauchschmerzen“? Haben Sie nicht wahrgenommen, welche Probleme es bei dieser Entscheidung gibt?

(Zuruf von der SPD: Das sagt der Richtige!)

Deshalb richtet sich die Kritik vor allem an die Ministerpräsidentin, die einen solchen Regierungsstil pflegt, dass man manchmal den Eindruck hat: Sie hat keine Lust mehr. Sie will nicht mehr an Strukturen arbeiten, die mühsam zu verändern sind.

(Lebhafter Widerspruch von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Sie wirken so.

(Lebhafter Widerspruch von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Doch. – Wenn Sie nicht mehr mit Gewerkschaften reden, ist bei einer Sozialdemokratin irgendetwas schiefgelaufen.

(Beifall von der CDU und Henning Höne [FDP] – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Dann reden wir doch einmal über die Menschen. Sie haben eben über die Regierungsdirektoren gesprochen. Das ist eine beliebte Kategorie, über die man schimpfen kann.

Das Gericht hat aber gesagt: Die Schwelle von A10 zu A11 haben Sie nicht begründet. Warum setzen Sie bei A11 aus und bei A13 völlig aus? – Das hat Ihnen das Gericht als evident verfassungswidrig ins Stammbuch geschrieben. Da reden wir beispielsweise von den Leuten, die Sie dauernd brauchen: Steuerprüfer und Steuerfahnder, die die CDs ankaufen und auswerten. Wissen Sie, was so ein Steuerinspektor verdient? – Er erhält A9. Wenn es gut läuft, wird er irgendwann nach A11 befördert. Der Polizeihauptkommissar verdient A11. Und der Grundschullehrerin, Frau Löhrmann, von der Sie jetzt erwarten, dass sie sich um Inklusion kümmert, und der Sie neue Aufgaben übertragen, sagen Sie: Du wirst dafür nicht mehr Geld bekommen, sondern sogar einen realen Einkommensverlust erleiden. – Was Sie da machen, ist nicht begründbar.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zustimmung von Robert Stein [fraktionslos])

Sie haben das doch politisch im letzten Jahr schon erlebt, als Sie irgendwo im Land aufgetreten sind. Wenn Sie auf Lehrer, Steuerprüfer, Richter oder Polizeibeamte gestoßen sind, sind Sie überall im Land ausgepfiffen worden. Das war unser politischer Streit.

Aber jetzt sind wir in der Dimension angekommen, dass das Ganze auch verfassungswidrig war. Deshalb – das ist keine Bitte, sondern eine Erinnerung an Sie –: Es ist Ihre Pflicht, Frau Ministerpräsidentin, jetzt endlich das Gespräch mit den Gewerkschaften zu suchen. Ich fordere Sie hier auf: Reden Sie mit den Leuten! Kommen Sie runter von Ihrem hohen Ross!

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: Da klatscht die FDP!)

Es ist Ihre Pflicht, Ihre bisherigen Finanzplanungen an das gestrige Urteil anzupassen. Es ist Ihre Pflicht, jetzt langsam einmal mit dem Regieren zu beginnen und an Strukturen heranzugehen. Sonst treiben Sie dieses Land Nordrhein-Westfalen in eine dauerhafte Verfassungskrise.

Lieber Herr Römer, wenn Sie sich normalerweise beim Lesen der Berichte Ihres Innenministers empören, dann würde ich Ihnen hier empfehlen: Empören Sie sich doch einmal über die Ministerpräsidentin und den Finanzminister, die Sie in dieses Desaster geführt haben. Das wäre angemessen, auch für einen Mehrheitsfraktionschef.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Römer.

Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Laschet, das war der Beweis dafür, dass Sie Ihre Oppositionsrolle inzwischen so tief verinnerlicht haben, dass Ihre Gier nach medienwirksamen Schlagzeilen jeden Impuls unterdrückt, sich hier seriös mit der Zukunft dieses Landes auseinanderzusetzen.

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, Sie haben gerade einen weiteren schlagenden Beweis dafür geliefert,

(Zuruf von der CDU: Genau!)

dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen richtig gehandelt haben, Sie nach der verunglückten Regierungszeit unter Jürgen Rüttgers wieder auf die Oppositionsbank zu verbannen.

(Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Laschet, Sie werden kaum noch in die Lage versetzt werden, hier einen Eid auf die Verfassung abzulegen, weil Sie zu Recht in der Opposition sitzen. Dafür war Ihre Rede gerade der Beweis.

(Zurufe von der CDU)

Ich will Sie daran erinnern, Herr Kollege Laschet – weil Sie sich ja gerade noch einmal mit Blick auf den Finanzminister und das Urteil des Verfassungsgerichtshof darüber empört haben –, dass der Finanzminister vom Verfassungsgerichtshof in der Frage des Beamtenbesoldungsgesetzes bescheinigt bekommen hat, dass Teile dieses Besoldungsgesetzes nicht mit der Verfassung vereinbar sind. Wir werden das in aller Ruhe – darauf können Sie sich verlassen – in einem neuen Gesetzgebungsverfahren reparieren.

(Zuruf von den PIRATEN: Reparieren!)

Herr Kollege Laschet, zehnmal hat die Regierung Rüttgers – Sie waren damals Minister – vom Verfassungsgerichtshof bescheinigt bekommen, dass sie die die Verfassung in Nordrhein-Westfalen nicht eingehalten hat.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie, Herr Laschet!)

Da haben wir noch einiges vor uns, wenn wir Sie auch nur einholen wollen, Herr Kollege Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann will Ihnen einmal sagen, was Sie uns durch die Urteile des Verfassungsgerichtshofs hinterlassen haben. Ich nehme ein Beispiel heraus: Der Verfassungsgerichtshof hat Ihnen bescheinigt, dass Sie mit der Verteilung der Einheitslasten falsch umgegangen sind. Das beispielsweise hat dieses Land und den Landeshaushalt 450 Millionen € gekostet,

(Zuruf von der SPD)

die wir den Kommunen wieder zurückgegeben haben, Herr Kollege Laschet. Sollen wir Sie noch weiter daran erinnern, wie Sie mit der Verfassung umgegangen sind? Ich glaube, Sie sollten ein bisschen zurückhaltender sein, wenn Sie hier mit dem Finger auf uns zeigen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will es noch einmal herausstellen: Wir haben mit diesem Besoldungsgesetz den Versuch unternommen, mit einer sozialen Staffelung bei der Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamtinnen und Beamten gleichzeitig dafür zu sorgen, dass es keinen Stellenabbau gibt, keinen Stellenabbau deshalb, weil wir, Herr Kollege Laschet, zutiefst davon überzeugt sind, dass wir von denjenigen, die hier in Nordrhein-Westfalen an den verschiedenen Stellen Dienst für die Menschen leisten, eher zu wenig haben als zu viel.

Herr Kollege Laschet, deshalb haben wir diese Beschäftigungssicherung, die wir angeboten haben, auch durchgeführt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das eine richtige Vorgehensweise ist. Wenn Sie auf das Saarland verweisen und sagen, wir sollten den Stellenabbau vorantreiben, wie er im Saarland passiert,

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

dann will ich Sie einmal daran erinnern, was das für das Personal bedeuten würde: Wir haben 151.000 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer. Sollen wir davon 10 % wegnehmen, Herr Kollege Laschet? Sagen Sie das den Menschen! Sagen Sie ihnen, ob das richtig ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wir sagen, das ist falsch!

Wir haben in Nordrhein-Westfalen mehr als 45.000 Stellen für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Ihre Fraktion verlangt am laufenden Band, wir sollten diese Stellenzahl erhöhen. Sollen wir diese Zahl jetzt um 10 % kürzen, Herr Kollege Laschet? Sagen Sie das den Menschen, damit sie Klarheit haben, und verstecken Sie sich nicht!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, wir haben in Nordrhein-Westfalen 284.000 Stellen im Landesdienst. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir, um einen intakten Landesdienst vorzuhalten, auch dafür sorgen müssen, dass diese Stellen gesichert werden. Sie verlangen einen Personalabbau von 10 %. Dann sagen Sie das den Menschen in der Justiz, in der Finanzverwaltung, in der Polizei. Sagen Sie es denjenigen, die in den Ministerien arbeiten, damit endlich Klarheit darüber besteht, was Sie wollen, Herr Kollege Laschet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollen uns dieser Auseinandersetzung mit Ihnen stellen. Wir machen das.

Der Finanzminister hat zu Recht darauf hingewiesen: Wir halten die Balance; wir sorgen dafür, dass wir die Haushaltskonsolidierung 2020 – der Zeitpunkt, an dem in den Ländern keine neuen Schulden mehr gemacht werden dürfen – auch vernünftig erreichen werden.

Wir vergessen aber darüber hinaus nicht die notwendigen Investitionen – in die Bildung, in die Förderung von Familien und Kindern, in die Stärkung der kommunalen Finanzen.

Herr Kollege Laschet, dann sagen Sie doch, es sei falsch gewesen, dass wir die kommunalen Finanzen, seitdem wir Regierungsverantwortung haben, in einer Weise gestärkt haben, wie Ihnen das nie gelungen ist, meine Damen und Herren! Sagen Sie das denjenigen, die in der Kommunalpolitik Verantwortung haben!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Gegensatz zu Ihnen haben wir eines gemacht – das gebe ich auch gerne zu –: Wir sind eben nicht mit der schwarz-gelben Kettensäge über die Personalhaushalte gefahren, wie Sie das getan haben, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Schließlich wissen wir, dass Arbeitsverdichtung kein geeignetes Mittel ist, um den öffentlichen Dienst – auch darauf kommt es an – attraktiv und zukunftsfest zu machen.

(Ralf Witzel [FDP]: Aufgabenkritik!)

Deshalb haben wir dieses Besoldungsgesetz so angelegt, wie es im Grunde auch vom Gericht bestätigt worden ist.

(Lachen von der FDP)

Herr Kollege Laschet, das Gericht hat nicht gesagt, dass wir den Tarifabschluss eins zu eins übernehmen müssten. Das Gericht hat nicht gesagt, dass die Abstufung in den Besoldungsgruppen falsch sei. Das Gericht hat lediglich festgestellt, dass die Abstufungen, die wir vorgenommen haben, zu groß gewesen seien.

Meine Damen und Herren, deshalb werden wir selbstverständlich darüber zu reden haben, wie das jetzt in einem neuen Gesetzgebungsverfahren vernünftig angelegt wird.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben auf niemanden gehört, Herr Römer! Auf niemanden!)

Eines ist aber völlig klar: Bei Personalausgaben im Landeshaushalt oberhalb von 40 %

(Theo Kruse [CDU]: 46 %!)

wird der Personaletat auch einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung auf dem Weg zur Einhaltung der Schuldenbremse leisten müssen. Das ist doch völlig klar. Es ist auch denjenigen klar, die in den Gewerkschaften, im Beamtenbund und in den Verbänden Verantwortung haben.

Wir haben den Versuch unternommen, das so zu machen, dass es sozial gerecht ist. Denjenigen, die starke Schultern haben, ein bisschen mehr auf die Schultern zu laden als denjenigen, die schwache Schultern haben, ist auch – das ist nach wie vor meine feste Überzeugung – eine vernünftige Vorgehensweise.

Deshalb werden – davon bin ich überzeugt – auch diejenigen, die uns hier zuhören, sagen: Ja,

(Zurufe von der CDU: Nein!)

der Versuch dieser Landesregierung, der Versuch dieser rot-grünen Koalition, die Übertragung des Tarifergebnisses in einer Weise vorzunehmen, dass die schwachen Schultern mehr bekommen als die starken Schultern, ist sozial gerecht. – Das bleibt auch sozial gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, ich würde mich freuen, wenn wir von Ihnen mehr hören würden als immer nur dann, wenn es um Einzelfragen geht, die Forderung nach mehr Stellen – bei der Polizei, im Justizdienst, in den Schulen, in der Finanzverwaltung. Sie sollten endlich den Mut aufbringen, dann auch klar zu sagen, wo denn Ihrer Meinung nach die Personalausgaben gekürzt werden sollen, wo denn Ihrer Meinung nach der Stellenabbau passieren sollte.

Herr Kollege Laschet, wenn Sie sich dieser Auseinandersetzung nicht stellen – und ich habe bisher noch keinen Versuch von Ihnen gesehen, das zu tun –, dann werden die Menschen in ihrer Haltung bestätigt werden: Ja, die CDU in Nordrhein-Westfalen sitzt zu Recht auf dieser Oppositionsbank. Da gehört sie auch hin.

Ich sage Ihnen: Bleiben Sie da. Sie haben Ihre Oppositionsrolle verinnerlicht. Ihre Rede war der letzte Beweis dafür, meine Damen und Herren. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Lindner das Wort.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Römer, Sie haben Armin Laschet eben vorgeworfen, er würde nicht über die Zukunft sprechen, und selber dann eine Rede gehalten, in der Sie sich mehr an der Regierungsbilanz von Schwarz-Gelb bis 2010 abgearbeitet haben

(Stefan Zimkeit [SPD]: Die war so negativ, dass wir noch eine Stunde darüber reden könnten!)

als an der mittelfristigen Finanzplanung dieses Landes.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Römer, meine Lieblingspassage Ihrer Rede war – das werde ich mir nachher auch noch einmal in der exakten Formulierung aus dem Protokoll zur Seite legen –, dass Sie allen Ernstes am heutigen Tag an diesem Pult gesagt haben:

„Deshalb haben wir dieses Besoldungsgesetz so angelegt, wie es im Grunde auch vom Gericht bestätigt worden ist.“

(Heiterkeit und Beifall von der FDP und der CDU)

Das haben Sie hier so gerade gesagt. Das ist ein Zeichen für fortschreitenden Realitätsverlust, Herr Kollege Römer. Sie haben gestern nicht gewonnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Römer, eine so krachende Niederlage – Zeitungen schreiben heute, es sei keine Ohrfeige, sondern ein Faustschlag ins Gesicht gewesen – hier vor den Augen der Öffentlichkeit in einen großen Sieg umzudeuten, wird selbst Ihnen und den sozialdemokratischen Begriffsklempnern nicht gelingen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich erlaube mir auch einen einzigen Blick zurück, Herr Römer, weil das so nahe liegt. Ich habe mir während Ihrer Rede noch einmal herausgesucht, was Sie am 10. Juli 2013 gesagt haben, also vor fast genau einem Jahr, als das gestern für nichtig erklärte Gesetz hier beschlossen wurde. Damals haben Sie gesagt – Zitat –:

„Wir werden heute selbstverständlich ein verfassungskonformes Gesetz verabschieden.“

Und weiter, gewendet an die Oppositionsfraktionen – Zitat –:

„Sie leben von Ihren Vorbehalten und Vorurteilen, Sie leben von einer populistischen Empörungsmaschinerie, die der Kollege Lindner beispielhaft in Gang setzt. Deshalb werden Sie damit auch scheitern, meine Damen und Herren!“

Ein Jahr später sind nicht wir gescheitert, sondern Sie, Herr Römer.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Gestern hat die Landesregierung von Hannelore Kraft eine dreifache Niederlage einstecken müssen: rechtlich, finanziell und politisch.

Erstens. Der Finanzminister hat eben hier in seiner bemerkenswerten Unterrichtung den Versuch unternommen, Verfassungsbruch gewissermaßen zur Normalität zu erklären. Für Nordrhein-Westfalen ist das die traurige Realität. Es sollte aber nicht der Anspruch einer Landesregierung sein, Herr Finanzminister.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben hier gesagt, es käme ja permanent vor, dass eine Regierung in Karlsruhe oder in Münster scheitere. Das sei eben so. Es gebe schließlich offene Rechtsfragen, und die müssten dann die Gerichte beantworten. – So haben Sie hier eben Ihr Scheitern verklären wollen.

Herr Finanzminister, hier gab es keine offene, umstrittene Rechtsfrage. Hier im Landtag Nordrhein-Westfalen hatten wir eine Anhörung, in der einer der Experten Ihrer Auffassung war und 20 andere Experten der Auffassung waren, dass dieses Gesetz, wie das Gericht gestern gesagt hat, evident verfassungswidrig ist. Hier kann man nicht von einer offenen Rechtsfrage sprechen, sondern es ist der bewusste Versuch, auf Verfassungsbruch zu spekulieren, damit Sie mit Ihrem letzten Haushalt noch über die Bundestagswahl kommen, ohne Einsparungen vorzunehmen. Das war intendiert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn Sie die Expertenurteile so in den Wind schlagen, wie Sie das hier beim Besoldungsgesetz gemacht haben, Herr Finanzminister, dann frage ich Sie: Warum gibt die Landesregierung jedes Jahr Millionen Euro für gutachterliche Stellungnahmen aus? Wenn Ihnen Expertenurteile nichts wert sind, dann können Sie darauf verzichten und da an erster Stelle sparen, wenn Sie so mit Expertenwissen umgehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zweitens. Vor der finanziellen Niederlage, Frau Kraft, haben wir Sie gewarnt. Wir haben Sie davor gewarnt, eine spekulative Finanzpolitik zu machen, die auf niedrige Zinsen, gute Konjunkturentwicklung, Rekordarbeitsmarkt und steigende Einnahmen setzt, eine spekulative Finanzpolitik, die davon ausgeht, es gibt keine Risiken – weder durch Sturmschäden noch durch höhere Tarifabschlüsse, die dann im Haushalt abgebildet werden müssen.

Das alles haben Sie zur Seite gewischt. Im Gegenteil: Den sozialverträglichen Personalabbau der Regierung von 2005 bis 2010 haben Sie außer Kraft gesetzt und damit das Land in die Situation gebracht, die strukturell steigenden Personalausgaben auch in den nächsten Jahren nicht unter Kontrolle zu bekommen. Wir haben Ihnen gesagt: Sie werden in die Lage, in die Sackgasse kommen, dass Sie Ihre Versprechen oder die Verfassung brechen müssen.

Wir haben jetzt bei der Beamtenbesoldung den ersten Fall erlebt, bei dem Sie sowohl Ihr Versprechen gegenüber den Beschäftigten als auch die Verfassung gebrochen haben. Und das, Frau Kraft, wird sich bis 2020 fortsetzen.

Heute leben wir in der Situation der Haushaltssperre. Und das ist schon bemerkenswert. Haushaltssperre bedeutet, Frau Kraft, dass Sie als Regierung im Grunde die Gestaltungsverantwortung für Nordrhein-Westfalen abgeben müssen, dass auch der Haushaltsgesetzgeber keinen Einfluss mehr auf wesentliche Entscheidungen hat. Wir leben jetzt in der Mangelverwaltung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dann können auch gute Aufgaben, wenn sie freiwilligen Charakter haben, nicht finanziert werden – notwendige Investitionen beispielsweise,

(Ministerin Barbara Steffens: Genau!)

Ausgaben für Innovationen. Auch wichtige soziale Vorhaben können Sie nicht mehr finanzieren, weil wir jetzt in der Mangelverwaltung angekommen sind. Frau Kraft, wenn eine Landesregierung in Zeiten von Rekordeinnahmen die Haushaltssperre verhängen muss, dann ist das die Kapitulationserklärung und der politische Bankrott! Und den haben Sie zu verantworten.

(Beifall von der FDP, der CDU, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])

Mindestens den Bildungsbereich, Frau Kraft, sollten Sie von der Haushaltssperre ausnehmen.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das haben wir doch schon gesagt!)

– Das habe ich nicht so wahrgenommen. Sie haben nur gesagt, dies und das wird ausgenommen. Sagen Sie es klar! So haben es nämlich Schwarz-Gelb in ihrer Verantwortungszeit auch gemacht.

(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

– Ja, in der Tat, Frau Löhrmann. das markiert den Unterschied zwischen Ihnen und uns. Schwarz-Gelb hatte damals wirklich einen Notstand, weil nach der Lehman-Pleite im Jahre 2008 die deutsche Wirtschaft um 5 % eingebrochen ist, während Sie zu Topkonjunkturzeiten nicht in der Lage sind, vernünftige Haushaltspolitik zu machen. Das ist der Unterschied.

(Beifall von der FDP, der CDU, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])

Drittens. Frau Ministerpräsidentin, nicht zuletzt sind Sie auch politisch gescheitert.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft führt ein Gespräch.)

– Da wird Frau Ministerpräsidentin gerade souffliert. Dann sind meine Bedenken möglicherweise unbegründet gewesen. Das freut mich. Dann hat die Debatte an einem Punkt schon Klarheit zutage gefördert.

Die politische Niederlage, Frau Kraft, bezieht sich auf Ihre Methode, Politik zu machen, die Art und Weise, wie Sie Politik machen.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Sie sind da im Vorteil!)

Herr Justizminister Kutschaty hat neulich wieder ein wunderbares Beispiel gegeben, wie Sie das hier veranstalten. Er hat nämlich – dafür ist er sogar aus den eigenen Reihen kritisiert worden, aus Berlin – ein Fahrverbot für Steuersünder gefordert hat. Und wie hat er das in die Öffentlichkeit gebracht? – Mit den steuerhinterziehenden Zahnärzten!

(Jochen Ott [SPD]: Da darf die FDP nicht mehr Auto fahren!)

Er hat das hinterletzte Klischee bemüht, um Menschen gegeneinander auszuspielen. Genau so, Frau Kraft, haben Sie auch hier Haushaltspolitik gemacht. Sie spielen Menschen gegeneinander aus, indem Sie sagen: Wir wollen gerne, dass die starken Schultern mehr tragen. – Herr Römer ging eben in seiner Rede noch weiter. Er hat sogar gesagt: Denjenigen, die starke Schultern haben, können wir auch mehr aufladen. – Das haben Sie eben – im Protokoll werden wir es nachlesen können – hier gesagt.

Verehrte Anwesende, eine Damen und Herren, jetzt wollen wir uns einmal ansehen, wer für Sie starke Schulter ist, Frau Kraft: die besser verdienenden Beamten, wie immer geschrieben wird, die höheren Beamten. – Wir reden über Menschen, die nach einer Topausbildung, Studienabschluss in den Beruf als Lehrer einsteigen, A13 mit 3.230 € brutto. Das sind Ihre starken Schultern? Sie wollen den Eindruck erwecken, das seien Topverdiener. In Wahrheit ist das Mittelschicht, die auch ihren fairen Anteil am Aufschwung verdient hat, Frau Kraft.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Da spielen Sie die Menschen gegeneinander aus,

(Nadja Lüders [SPD]: Was machen Sie denn gerade?)

mal gar nicht davon zu reden, dass auch Versorgungsempfänger und diejenigen, die zum Beispiel als Lehrerin mit A13 beschäftigt sind, nur Teilzeit arbeiten und deutlich unter 3.000 € verdienen, vom Ausbleiben der Anpassung betroffen sind. Auch die nehmen Sie aus.

Das zeigt eines: Ihre Politik ist nicht nur nicht gerecht, sie ist auch nicht verfassungskonform, und erst recht, Frau Kraft, ist sie nicht auf die Zukunft angelegt. Deshalb muss jetzt eine Zäsur in Ihrer Haushaltspolitik erfolgen, wenn Sie nicht auf Dauer Verfassungsbruch verantworten wollen.

(Beifall von der FDP, der CDU, den PIRATEN und Robert Stein [fraktionslos])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lassen Sie mich als Erstes etwas sagen, was der Finanzminister bereits angesprochen hat: Wenn man vor das Verfassungsgericht geht und gewinnt – das habe ich in der Legislaturperiode erlebt, in der CDU und FDP regiert haben –, dann freut man sich. Das merkt man Ihnen auch an, und das ist auch in Ordnung. Man muss jedoch nicht so tun, als wäre das – Stichwort „Wiederholungstäter“ – eine Einmaligkeit.

Ich habe einmal Folgendes recherchiert: Sie haben zehn Verfahren in fünf Jahren verloren, plus ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn Herr Lindner sagt, mit vier Verfahren in vier Jahren sei man ein Wiederholungstäter, dann ist das nicht schön. Jede Niederlage tut weh, aber es ist jedenfalls kein Anlass für Sie, sich bei Ihrer eigenen Bilanz hinzustellen und so zu tun, als wäre Ihnen das noch nie passiert und als hätten Sie immer regiert und gearbeitet,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

ohne dass das Verfassungsgericht Sie korrigiert hat. Das Gegenteil war der Fall. Wenn man ganz genau hinschaut, dann erkennt man: Wir zahlen jetzt in erheblichen Teilen die Kosten für das, was Sie vergurkt haben. Das muss man in diesem Zusammenhang auch einmal sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich sage es ganz klar und gebe das zu: Sie waren als Abgeordnete erfolgreich, und wenn man in der Opposition ist, nutzt man die Möglichkeiten, die man hat.

Das Verfassungsgericht hat gesprochen, und wir müssen mit dem Ergebnis umgehen. Es hat in fünf Leitsätzen ein Urteil gesprochen, das eine Gesetzesänderung erforderlich macht. Wir müssen diesen Arbeitsprozess jetzt beginnen. Denn wir brauchen eine neue gesetzliche Regelung. Während der Sommerpause werden wir die Entscheidung des Verfassungsgerichtes im Einzelnen auswerten, und nach der Sommerpause müssen wir dann einen neuen Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren einbringen.

Das Problem, das dem Ganzen zugrunde liegt, ist aber – und das fand ich bemerkenswert –, dass der Kollege Lindner eben fast zehn Minuten geredet hat, aber mit keinem Wort einen Lösungsansatz erwähnt hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU)

– Nein, ist doch völlig in Ordnung. Wir regieren, wir müssen handeln. Wenn Sie allerdings solche Vorwürfe in den Raum stellen, darf ich Sie doch an dem messen, was Sie selber zur Lösung von Problemen beitragen. Das wird man wohl noch machen dürfen. Der Kollege Laschet hat das Beispiel des Saarlandes angeführt. Darauf werden wir gleich noch etwas detaillierter eingehen.

Unser Anliegen war es, bei einem Personalkostenanteil von 43 % im Landeshaushalt, eine Lösung zu finden, die aus unserer Sicht sozialverträglich ist. Das würde bedeuten, dass für diejenigen mit dem niedrigsten Einkommen, sprich A6 bis A10, der volle Tarifvertrag gilt. Danach geht es mit A11 und A12 mit 1 % pro Jahr gestuft weiter, und ab A13 – das war unsere Einschätzung – bedarf es keiner Erhöhung mehr. Das hat uns das Gericht jetzt zerlegt.

Um es ganz klar zu sagen: Wir werden keine doppelte Nullrunde machen können. Wir müssen für diejenigen mit dem niedrigsten Einkommen sowie für A11 und A12 eine andere Regelung finden. Das ist eindeutig unsere Aufgabe. Wir haben versucht, das auf eine sozialverträgliche Art und Weise zu lösen, da man ansonsten tatsächlich stärkere Personaleinsparungen vornehmen muss.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Herr Kollege Laschet, was die 45.000 Polizisten angeht, kann ich Ihnen eines nicht ersparen: Sie führen das Beispiel des Saarlandes an. Das Saarland kürzt bis 2020 10 % seines Personals. Das wären bis 2020 bei uns 4.500 Polizistenstellen. Ich erinnere mich an die Diskussion …

(Zuruf von der CDU)

– Also, 10 % von 45.000 sind 4.500. Darüber werden wir uns wohl einig sein.

(Zuruf von der SPD)

Bis 2020 soll das im Saarland geschehen. Ich erinnere mich jedoch an Debatten, die wir hier geführt haben, bei denen ich so tollkühn war, das alte Scheu-Gutachten zu erwähnen. Gemäß diesem Gutachten sollte die Polizeiverwaltung zusammengelegt werden. Zudem wurden damals knapp 2.000 Stellen avisiert. Dies ist teilweise geschehen, deswegen wird die Zahl wohl nicht mehr stimmen. Damals haben Sie gesagt: Sicherheitsrisiko Priggen. Jetzt sagen Sie selber: 4.500 Stellen würden der Umsetzung des Saarlandes hier bei uns entsprechen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Ralf Jäger)

Das Leben ist so konkret. Wenn wir dann hingehen und sagen: Es gibt 180.000 Stellen im Schulbereich, sind 10 % davon 18.000 Stellen. Wenn wir über 100.000 Stellen an den Hochschulen finanzieren, sind das 10.000 Stellen an den Hochschulen. So konkret ist die Umsetzung dessen, was Herr Laschet hier eben gefordert hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben versucht, eine doppelte Nullrunde durchzuführen. Ich möchte noch einmal erwähnen: Wir haben es im Übrigen mir Ihrer Zustimmung auch bei uns selbst so gemacht. Wir haben uns keinen schlanken Fuß gemacht, sondern auch für uns die vierte Nullrunde beschlossen.

Das Verfassungsgericht sagt jedoch: Das ist nicht zulässig. Deshalb werden wir die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Das wird allerdings nicht ohne Personaleinsparungen gelingen. Ich bin schon auf Ihren Beitrag in den weiteren Diskussionsrunden gespannt. Denn bei jedem Sparvorschlag, den wir machen – das haben wir in den vier Jahren zu Genüge erlebt –, gibt es zwei Vorschläge der CDU, an der gleichen Stelle Erhöhungen statt Einsparungen vorzunehmen. Das war bei jeder Haushaltsposition der Fall.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie werden sagen: Ihr müsst sparen, aber nicht bei der Wissenschaft, nicht bei der Polizei, nicht bei der Justiz und bei den Finanzbeamten schon gar nicht, denn die bringen Geld herein. Spart diese Stellen in den Ministerien.

(Zuruf von der SPD: Schule!)

In den Ministerien gibt es 3.400 Stellen. Aus 3.400 Stellen machen Sie dann eingesparte 40.000 Stellen. Das ist Voodoo-Personalpolitik, die uns nicht helfen wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben eine klare Aufgabenstellung bekommen, und ich gebe zu: Daran müssen wir während der Sommerpause arbeiten, um im Herbst in die nächste Debatte einsteigen zu können. Wir werden das Gesetz ändern müssen. Denn die Nullrunden werden wir nicht schaffen. Wir werden am Personal und an einem anderen Tarifabschluss arbeiten müssen. Wir werden den Dialog mit den Gewerkschaften und den Vertretern der Beschäftigten führen.

(Zuruf von der CDU: Jetzt erst?)

Des Weiteren werden wir darüber reden müssen, wie eine Einnahmensteigerung erreicht werden kann. Dieses ganze Bündel werden wir vor dem Hintergrund der Haushaltssituation abarbeiten müssen. Ich bin wirklich gespannt, ob Sie wieder an jeder Stelle auf der anderen Seite sind und sagen: Das ist Regierungsarbeit. Ich ahne bereits jetzt, dass wir die Arbeit ohne Sie machen müssen. In der Sommerpause werden wir damit beginnen und im Herbst dann zum Abschluss bringen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause am Stream. Sehr geehrtes Präsidium, wir hatten vonseiten der Piratenfraktion am Montag eine Aktuelle Stunde angemeldet. Diese wurde zwar abgelehnt, aber jetzt ist sie da. Erst einmal vielen Dank, liebe Landesregierung, dass Sie uns unterrichtet haben über das, was gestern passiert ist. Ich selbst war dabei. Ich war Kläger in diesem Normenkontrollverfahren.

Folgender entscheidender Punkt ist hier zunächst einmal zu betonen: Ich habe hier gehört, dass vier- oder fünfmal vonseiten der Landesregierung, Verfassungsbruch zu beklagen ist, und dieses von der Vorgängerregierung Schwarz-Gelb in der 14. Legislaturperiode zehnmal der Fall gewesen sein soll. Wo soll das bitte, hinführen, hier gegenüberzuhalten, wer wann und wie oft die Verfassung gebrochen hat?

(Beifall von den PIRATEN)

Entscheidend ist: Sie ist jetzt gebrochen worden.

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben im Jahre 2013 den Beamtinnen und Beamten gesagt, sie hätten genügend Beiträge zur Sanierung des Haushalts Nordrhein-Westfalens geleistet, nämlich jährlich in Höhe von 2,4 Milliarden €, unter anderem durch Nullrunden in den Jahren 2005, 2006 und 2007 – Nullrunden, die unter der schwarz-gelben Regierung zustande gekommen sind.

Der Deutsche Beamtenbund sprach seinerzeit, sprich: 2013, von sogar 2,8 Milliarden € jährlich. Sie haben den Beamtinnen und Beamten in Aussicht gestellt, dass das so nicht wieder passieren und nicht fortgesetzt werden wird. Was ist geschehen?

Ich sage es Ihnen: Erstens Wortbruch und zweitens Verfassungsbruch mit Ansage mit der durch das Gericht festgestellten evidenten Verfassungswidrigkeit des im Jahre 2013, ziemlich genau vor einem Jahr, hier in diesem Plenarsaal verabschiedeten Gesetzes am 10. Juli 2013.

Am 10. Juli 2013 habe ich ebenfalls hier an diesem Rednerpult gestanden, Frau Ministerpräsidentin, und habe Folgendes gesagt:

„Das wird Ihnen beim Verfassungsgericht um die Ohren fliegen. Das haben die Sachverständigen auch gesagt. Sie haben nicht gesagt, dass wir den Tarifabschluss eins zu eins übernehmen müssen, um gerecht zu sein. Frau Ministerpräsidentin,“

– ich zitiere wohlgemerkt –,

„Herr Finanzminister, Sie haben noch wenige Minuten Zeit. als Landesregierung diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen.“

Das Zitat geht weiter:

„Tun Sie dieses nicht, werden Sie sich ab heute Nachmittag den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass die Sozialdemokratie Soziales und Gerechtigkeit ab der Besoldungsgruppe A13 nicht mehr sieht.“

Heute wissen wir, was vor einem Jahr bereits klar war, und dies nicht nur, weil ich das hier gesagt habe,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

nicht nur, weil die anderen Oppositionsfraktionen das auch ausgeführt haben, sondern, Frau Ministerpräsidentin, Herr Finanzminister, weil das auch in den Anhörungsverfahren 20 von 21 Sachverständigen – super Experten; Teile davon wurden von Ihnen und den regierungstragenden Fraktionen selbst eingeladen –, gesagt haben.

(Britta Altenkamp [SPD]: Unerhört!)

Wenn Herr Kollege Laschet hier fragt, wozu wir dann noch Anhörungen bräuchten, wenn sie sowieso das, was aus den Anhörungen resultiert, vonseiten der regierungstragenden Fraktionen nicht beachten wollen, dann lassen wir das doch zukünftig bleiben. In der Tat ist der Vorschlag vielleicht gar nicht schlecht, nur noch Verfassungsrichter hierher einzuladen und uns erläutern zu lassen, wie hier Politik zu machen ist.

Eines steht jedenfalls fest: Gesetze werden hier im Parlament gemacht, und sie werden vor den Gerichten auf den Prüfstand gestellt. Das ist gestern geschehen, und dieses in einer derartigen Klarheit, wie man sie gerade von Verfassungsgerichten nicht unbedingt jeden Tag erlebt.

Dann kommen wir zu der hier vonseiten der Regierungsfraktionen wie aber auch des Finanzministers fast gerügten Situation, dass es keine Vorschläge von der Opposition gäbe oder gegeben habe. Ich sage Ihnen: Das stimmt so nicht!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von Britta Altenkamp [SPD])

Das ist schlicht und ergreifend falsch. Ich selbst habe in einer der relevanten, maßgeblichen Ausschusssitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses – Frau Kollegin, da können Sie gerne lachen; Sie können das dann im Protokoll nachlesen – vorgeschlagen, dass man das Geld, was erforderlich sein wird, um gemäß dem Gesetzesvorschlag die Beamtinnen und Beamten höher zu besolden, insgesamt nehmen und sich mit den Vertretern der Beamtenschaft an einen Tisch setzen und darüber beratschlagen möge, wie man die ganze Chose, sprich das gesamte Budget, das etwa 410 Millionen € pro Jahr ausmacht, auf alle Besoldungsstufen – durchaus dann von mir aus auch sozial abgestuft – verteilt.

Ich habe mit den Spitzenvertretern der Beamtenschaft im Lande Nordrhein-Westfalen gesprochen. Diese haben mir schon seinerzeit im Jahre 2013 signalisiert dass sie durchaus bereit dazu sind. Die Landesregierung hat sich aber nicht mit den Vertretern der Beamtenschaft an einen Tisch gesetzt, um eine derartige Möglichkeit zu erörtern. Hier ist einfach eine Politik ex Cathedra gemacht worden nach dem Motto: von oben herab, top down. Nehmt es, fresst und sterbt! – So sieht es aus. Das ist falsch, wie wir heute wissen.

Und was haben wir heute? Eine Haushaltssperre! Die ist sicherlich notwendig, aber es wäre nicht notwendig gewesen; denn die Rückstellungsfrage, die auch im letzten Jahr gestellt worden ist, wurde vonseiten des Finanzministeriums in einer Weise beantwortet, die einen wirklich nur schaudern lassen kann; denn seinerzeit – wie hier im Plenum von den regierungstragenden Fraktionen später so dargestellt – antwortete auf bestimmte Fragen der Staatssekretär des Finanzministeriums, Dr. Rüdiger Messal, bezogen auf die Frage der Rückstellung für zukünftige Erhöhungen der Beamtenbesoldung für den Fall, dass das Verfassungsgericht zu einer anderen Auffassung kommt als die regierungstragenden Fraktionen und die Landesregierung, dass man bezüglich der Besoldungs- und Versorgungsanpassung weder wisse, wann der Verfassungsgerichtshof entscheide, noch wisse, wie die Entscheidung aussehe.

Die Landesregierung vertrat seinerzeit die Ansicht, verfassungskonform gehandelt zu haben, und dieses angesichts des deutlichen Credos von 20 Experten in der Anhörung, die allesamt gesagt haben: Dieses Gesetz ist in der Form, wie es vorgelegt ist, verfassungswidrig.

Wenn wir so weitermachen – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – wird die Haushaltssperre natürlich, wie der Finanzminister angekündigt hat, nicht das Letzte sein. Es wird zu einem Nachtragshaushalt kommen.

Und, wie wir hier festgestellt haben, ist bereits das Personalroulette anscheinend eröffnet. Es geht aber zunächst einmal gar nicht um die Frage des Personals bzw. der Einsparung desselben, sondern es geht um die Aufrechterhaltung der sozialen Standards, der Standards in Bildung, in Forschung, in Infrastruktur usw.

Diese gelte es aufrechtzuerhalten und dann zu prüfen, wie man dem Urteil des Verfassungsgerichts gerecht werden kann. Das ist doch das Entscheidende.

Sie haben, Herr Finanzminister, im Haushalt 2013 bereits erhebliche Summen eingestellt, prospektiv die Eins-zu-Eins-Anpassung der Beamtenbesoldung. Es geht gar nicht darum, eins zu eins anzupassen, das hat das Verfassungsgericht so bestätigt, das hatten auch wir von der Piratenfraktion gesagt, sondern darum, durchgängig durch alle Besoldungsstufen gerecht anzupassen. Das setzt voraus, dass man mit den Betroffenen spricht. Das, was Sie bisher versäumt haben, können Sie nunmehr nachholen, dafür werden Sie die Zeit benötigen, in der die Haushaltssperre läuft.

Ich fordere Sie vonseiten der Piratenfraktion auf, unverzüglich einen angepassten Gesetzentwurf vorzulegen, der die Verfassung nicht bricht, sondern einhält und Ihren Ankündigungen, Frau Ministerpräsidentin, aus dem Jahr 2013 gegenüber der Beamtenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen entsprechend gerecht wird.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerpräsidentin Kraft.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Landesverfassungsgericht hat das hier zu diskutierende Gesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt. Ich bedauere das und kann nur sagen, wir haben politisch ein Gesetz auf den Weg gebracht, von dem ich immer noch sage, es hatte für mich eine ganz wesentliche Eigenschaft: Es war sozial gerecht. Dazu stehe ich nach wie vor.

Das Gericht hat uns jetzt Leitplanken gegeben. Lieber Kollege Laschet, ich bin absolut nicht Ihrer Meinung. Es gab offene umstrittene Rechtsfragen, und es gibt sie immer noch. Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es Klagen gegen die unterschiedlichen Regelungen der Länder. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Sie hier bei der Verabschiedung, uns immer wieder Bayern und Hessen vorgehalten haben, die eins zu eins umsetzen würden.

Ich empfehle Ihnen, das Laptop aufzuschlagen. In Hessen gibt es für das Jahr 2015 eine Nullrunde. Auch dort wird es Klagen geben. Dort hat die Landesregierung unter einem CDU-Ministerpräsidenten eine Kompetenz ausgeschöpft, die den Ländern über die Föderalismuskommission gegeben worden ist. Dafür, wie das auszufüllen ist, gab es keine Leitplanken. Deshalb muss man einen Vorschlag machen, der politisch ausgewogen ist, hinter den man sich politisch stellen kann. Das haben wir getan. Dann gab es Anhörungen. Ich empfehle sehr, ein Stückchen von dem hohen Ross herunterzukommen, nur ein kleines bisschen.

Ich erinnere nicht mehr an die zehn Urteile, die Sie kassiert haben. Auch da gab es jeweils Anhörungen mit vernichtenden Urteilen und mit Warnungen darüber, dass das alles nicht verfassungskonform sei.

Und Rechtsgeschichte, meine lieben Kollegen von der FDP, hat Ihr Kollege Wolf geschrieben, als sogar ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht gesprochen werden musste.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das lassen wir alles einmal weg.

Auch in diesen Anhörungen haben Experten andere Positionen vertreten. Wenn ich noch einmal rückblickend auf die Anhörung zum Besoldungsgesetz schaue, dann hat uns eine ganze Reihe von Experten sehr deutlich gesagt, etwas anderes als Eins-zu-Eins-Anpassung geht nicht. Eine ganze Reihe von Experten hat gesagt, man darf auf keinen Fall nach Besoldungsgruppen unterschiedlich erhöhen. Das Gericht hat uns jetzt andere Leitplanken gegeben. Darüber bin ich sehr froh, es ist aber keine konkrete Anleitung für künftige Besoldungsanpassungen. Das ist übrigens auch nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts.

Aber die Begründung liefert uns doch jetzt wichtige Hinweise, in welchem Rahmen die Länder, die durch die Föderalismuskommission übertragene Kompetenz nutzen können. Auch der Verfassungsgerichtshof stellt fest, dass der Landesgesetzgeber hier einen großen Gestaltungsspielraum hat. In der Anhörung bei den Experten hörte sich das vollkommen anders an. Der Verfassungsgerichtshof stellt auch fest, dass wir uns nicht an der Höhe der Bezüge der Bundesbeamten oder anderen Ländern orientieren müssen. Auch das ist in der Expertenanhörung mehrfach anders gesagt worden, wenn ich mich richtig erinnere. Die Beamtenbesoldung darf sich also durchaus zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern auseinanderentwickeln.

Auch eine weitere Feststellung des Verfassungsgerichtshofs bestätigt grundsätzlich unseren Ansatz. Es heißt unter Ziffer 74 - ich zitiere -

„Aufgrund seines großen Gestaltungsspielraums ist der Gesetzgeber weder verpflichtet, die Tarifabschlüsse für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes spiegelbildlich auf die Bezüge der Beamten und Richter zu übertragen, noch muss er die Bezüge für alle Beamten und Richter gleichermaßen anpassen.“

Der Verfassungsgerichtshof, das ist für uns auch wichtig, hat erlaubt, die Notwendigkeit der Haushaltssanierung zu berücksichtigen. Er stellt aber fest - ich zitiere -:

„Er“

gemeint ist der Landesgesetzgeber

„darf aber zur Haushaltssanierung in Ausübung seines weiten Gestaltungsspielraums die Bezüge der Beamten und Richter auf die Mindestalimentation zurückführen…“

All das ist nicht zu bestreiten. Es ist aber auch nicht zu bestreiten, dass der Verfassungsgerichtshof die konkrete Ausgestaltung der Spielräume durch unser Gesetz für nicht verfassungskonform erklärt hat. Nicht mehr und auch nicht weniger.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Lindner, interessant ist ja jetzt, wie man damit umgeht und was es für die politische Gestaltung unseres Landes bedeutet. Sie werfen mir plakativ eine spekulative Finanzpolitik vor. Die Einnahmeerwartung, die wir angesetzt haben, orientiert sich an dem, was uns die entsprechenden Experten und Gremien vorhergesagt haben. Die gehen nicht darüber hinaus.

Bei den Ausgaben sagen wir sehr klar, wie wir die weitere Ausgabenentwicklung erwarten, und zwar jetzt schon mit dem Haushalt 2015, der dann anzupassen ist, und natürlich auch mit der mittelfristigen Finanzplanung. Wir zeigen, wohin aus unserer Sicht die Reise geht. Was daran spekulativ sein soll, kann ich zumindest nicht erkennen. Dahinter steht keine Spekulation! Wir haben prognostizierte Steuereinnahmen, die gut sind. Im Moment, Stand 30. Juni liegen sie zwar noch hinter den Erwartungen zurück. Das geht aber nicht proportional. Wir werden sehen, wie sie sich in der zweiten Hälfte des Jahres entwickeln werden. Dies ist kein nordrhein-westfälisches Phänomen, sondern das ist auch in den anderen Ländern die Entwicklung.

Dann sagen Sie uns, dass unser größter Fehler als Regierung gewesen war – wenn ich es richtig verstanden habe –, dass wir den sozialverträglichen Personalabbau, der zwischen 2005 und 2010 stattgefunden hat, außer Kraft gesetzt haben.

Lieber Herr Lindner, Sie haben eine 1,5%ige Stellenstreichung vorgenommen bei rund 10 % der Beschäftigten, und Sie sind mit dem Rasenmäher darübergegangen. Sie haben zu verantworten, dass die Bezirksregierungen eine Stellenbesetzungsquote von 75 % haben. Sie haben zu verantworten, dass wir keine Planer mehr haben, um neue Straßenprojekte planen zu können. Das ist Ihre Verantwortung aus Ihrer Regierungszeit!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lebhafter Widerspruch von der CDU – Zurufe von Armin Laschet [CDU] und Josef Hovenjürgen [CDU])

– Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören. Aber es ist, wie es ist. Wir müssen mühsam sogar noch zusätzliche Stellen schaffen, um das wieder aufzuforsten, damit wir die Bundesmittel auch tatsächlich abrufen können. Sehen Sie sich das an!

(Zuruf von Armin Laschet [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Lieber Herr Kollege Lindner, interessant ist jetzt Ihre …

(Unruhe)

– Warten wir einen Moment. – Interessant ist jetzt Ihre Erfahrung mit der Haushaltssperre. Ich habe genau zugehört, lieber Kollege Lindner.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerpräsidentin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schemmer zulassen?

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Nein, ich rede jetzt durchgehend. Sie können ja gleich noch reingehen; wir haben ja noch eine zweite Runde.

Haushaltssperre, Herr Lindner.

(Christian Lindner [FDP]: 2005!)

– Ja, aber, lieber Kollege, Sie haben das eben in Ihrer Rede mit dem Notstand 2008 begründet. Damit begründen Sie die Haushaltssperre in 2005! So machen Sie sich einen schlanken Fuß. Das ist die Ungenauigkeit,

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

die immer wieder Ihre Reden an diesem Tisch prägt! Genau das ist unsachliche Politik. Sie haben gesagt: 2008 haben wir einen Notstand gehabt; deshalb haben wir eine Haushaltssperre gemacht. – Ihre Haushaltssperre war 2005 und nicht 2008!

(Lebhafte Zurufe von der FDP – Gegenrufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Laschet hat über Stilfragen gesprochen. Ich komme gleich darauf zurück. Er geht davon aus, wir hätten nie mit den Gewerkschaften gesprochen. Ich habe Ihnen damals schon gesagt: Das ist falsch. – Wir haben damals auch mit Gewerkschaften gesprochen. Aber Sie sehen ja jetzt schon an den Äußerungen, die gestern erfolgt sind, dass maßgebliche Vertreter von Gewerkschaften sich klar geäußert haben, etwas anderes als „eins zu eins“ und „sofort“ sei nicht drin.

Wir werden die Gespräche führen. Ich habe dazu eingeladen. Wir werden sie schnell führen. Es ist wichtig, dass wir jetzt schnell ein neues Gesetz auf den Weg bringen. Wir werden das sehr sorgfältig tun. Machen Sie sich keine Sorgen! Aber, lieber Kollege Laschet, auch da gilt: Hängen Sie das doch ein bisschen tiefer!

Wir alle erinnern uns, die wir damals dabei waren – tut mir leid, liebe Kollegen von den Piraten, wenn man ab und zu auch in die Geschichte schauen muss, aber ich halte es nicht für ganz unwichtig –, nur allzu gut an ihre Änderungen des Landespersonalvertretungsgesetzes. Wo waren denn da Ihre Gespräche mit den Gewerkschaften vorher?

(Lebhafter Beifall von der SPD – Beifall von den GRÜNEN)

Da war ihre Aussage: Wir fragen doch nicht die Frösche, wenn wir den Teich austrocknen wollen! – Dieser Satz hat doch die Debatte bestimmt. Also: Gemach, gemach!

Dann haben Sie darauf hingewiesen, dass das im Saarland vorbildlich organisiert worden sei. Ich möchte nur ein paar Rahmendaten, vergleichend zum Saarland, vortragen. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen nicht schlechtreden, aber ich habe die Debatten dort bei Amtsantritt der jetzigen Regierung, die eine Große Koalition ist, verfolgen können. Es ging dort um existenzielle Fragen für das Saarland. Warum?

(Jochen Ott [SPD]: Ein ganz großes Bundesland!)

Ich nenne Ihnen ein paar Rahmendaten. Bei den Gesamtausgaben pro Kopf zahlt Nordrhein-West-falen mit 3.315 € am wenigsten von allen Ländern. Im Saarland werden 3.980 € pro Kopf gezahlt. Das ist der höchste Betrag aller Länder.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Oder nehmen wir die pro-Kopf-Verschuldung: Sie liegt bei uns bei mehr als 7.000 €. Sie liegt im Saarland bei 15.297 €. – Aus dem Finanzausgleich bekommt das Saarland 442 Millionen € inklusive Umsatzsteuer bei einer Million Einwohnern, während Nordrhein-Westfalen mit 17,6 Millionen Einwohnern 1,33 Milliarden € netto zahlt. – Das sind die Verhältnisse, die Sie hier zum Vergleich heranziehen.

(Armin Laschet [CDU]: Nein, es geht um den Stil einer Ministerpräsidentin!)

Jetzt wird es ja spannend, weil es jetzt darum geht: Wie macht man denn ein neues Gesetz, und inwieweit trägt denn – oder trägt auch nicht – der Personalhaushalt zur Konsolidierung bei? Das war ja der Ansatz für dieses Besoldungsgesetz. Dazu empfehle ich Ihnen – ich kann sie Ihnen gerne zukommen lassen – schlicht und einfach diese Grafik.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hält eine Grafik hoch. – Armin Laschet [CDU]: Sie können sie ja mal rumgeben!)

Wir haben gerade auch vom Kollegen Schulz gehört: Es gibt Bereiche, dazu sagt jeder in diesem Hause – ich nenne Ihnen gleich die Zahlen –: In diesen Feldern dürfen wir auf keinen Fall Personal einsparen! Dann sind Sie die ersten, Sie voran, die da aufschreien.

Wir haben 284.583 Stellen im Haushalt 2014. 284.583! Davon ist der erkennbar größte Block: Schule. 151.778 Stellen sind nur für die Schule. Und dann fragen Sie mich: Was sage ich der Grundschullehrerin, die keine Erhöhung bekommt? – Der sage ich eines, Herr Laschet: Wir sorgen dafür, dass die Klassen bei ihr systematisch kleiner werden, und zwar mit einem Stellenplus von 1.700 Stellen.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sage ich ihr, und das interessiert sie im Zweifelsfall übrigens mehr, um das klar zu sagen.

Von den 284.583 Stellen sind 45.682 Stellen bei der Polizei. Bei der Justiz – bei den Gerichten und im Justizvollzug – sind 32.079 Stellen. Wollen Sie dort streichen? Sagen Sie das hier! Bei der Finanzverwaltung – dort sind die von Ihnen hoch gelobten Steuerprüfer – sind es 24.358 Stellen.

(Armin Laschet [CDU]: A10, A11!)

Es verbleiben in der allgemeinen Verwaltung 30.686 Stellen.

(Weiterer Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir haben in der Prüfung des Besoldungsgesetzes immer wieder deutlich gemacht: Die dort von uns gesehenen strukturellen Einsparungen würden gegengerechnet 14.000 Stellen bedeuten. Dann sagen Sie uns, an welchen Stellen in der allgemeinen Verwaltung oder darüber hinaus wir das denn einsparen sollen. Ich bitte um sachdienliche Hinweise.

(Zuruf von der FDP)

– Ja, wir regieren. Wir machen das auch; machen Sie sich keine Sorgen!

Ich darf das noch einmal deutlich sagen. Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Mit Details haben Sie nicht viel zu tun. Sie bleiben lieber in Überschriften.

Von den 30.686 Stellen, die hier als „grünes Feld“ bei der allgemeinen Verwaltung sind, sind ungefähr 5.000 in der Verwaltung von Landtag, Ministerien und Landesrechnungshof sowie 6.700 bei den Bezirksregierungen angesiedelt. Die Klagen kommen doch auch aus Ihren Reihen, dass die Genehmigung von Anträgen von Unternehmen so lange dauern würde.

6.000 Stellen haben wir im Straßenbereich. Wollen wir die streichen? Wenn ja, wieviel Prozent sollen gestrichen werden? Soviel wie im Saarland, lieber Herr Laschet?

1.000 im Bereich Forst. 1.800 im Bereich Besoldung. Oder sollen die Beamtinnen und Beamten bei entsprechenden Veränderungen noch länger warten?

(Armin Laschet [CDU]: Was ist das denn für eine verzweifelte Rede?)

1.000 Stellen bei Musik- und Kunsthochschulen!

(Armin Laschet [CDU]: Das ist ja pure Verzweiflung!)

Veterinäramt: 250 Stellen. Umweltüberwachung: 390 Stellen. Geben Sie hier Butter bei die Fische! Seien Sie endlich eine Opposition, die zu dem steht, was sie hier machen würde, wenn sie regieren würde!

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sagen Sie das diesem Land! Es hat einen Anspruch darauf!

(Langanhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie merken daraus, dass ich nicht zu denjenigen gehöre, die sagen: Diese Verwaltung ist überbordend. Denn was passiert, wenn wir in der allgemeinen Verwaltung dauernd in großem Umfang wie im Saarland streichen? – Dann müssen wir die Experten von außen holen. Wir kaufen am besten gleich noch die Lobbyisteninteressen mit ein. Diese Entwicklung will diese Regierung nicht. Dazu stehen wir auch!

(Lebhafter Beifall von der SPD – Beifall von den GRÜNEN)

Ja, meine Damen und Herren, wir werden ein neues Gesetz vorlegen. Das Gericht hat uns dazu einen Rahmen mit auf den Weg gegeben, ohne uns detailliert aufzuzeigen, wie groß die Sprünge, die zu groß waren, sein dürften. Das haben die Richter nicht getan. Ja, wir werden das tun: Mit aller Sorgfalt nach Gesprächen mit den Gewerkschaften, in denen wir ausloten werden, was geht und was nicht geht, werden wir nach der Sommerpause einen neuen Gesetzentwurf vorlegen. – Übrigens, solche Gespräche zu führen, dazu bedarf es keiner Aufforderung.

(Zuruf von der CDU: Natürlich!)

Aber eines ist jetzt schon klar, und auch das noch einmal als eindeutige Botschaft, weil mich erste E-Mails erreichen: Es bleibt bei der vollen Übertragung des Tarifergebnisses für die Besoldungsgruppen bis A10.

(Zuruf von der CDU: Das ist toll!)

Wir sind der festen Überzeugung, dass diejenigen, die in diesen Größenordnungen verdienen, auf eine solche Erhöhung wahrlich in keinster Weise verzichten können. Dabei bleiben wir.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Insofern freue ich mich auf die Debatten zu einem neuen Gesetzentwurf. Ich freue mich darüber, wenn wir einen Gesetzentwurf hinbekommen. Es wird wahrscheinlich wieder Klagen geben, weil bisher jede Form von Besoldungsanpassung beklagt worden ist – überall in der Republik.

(Dr. Wilhelm Droste [CDU]: Selbstanzeige!)

Ich bin sehr gespannt darauf. Aber diese Debatten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bitte ich mit einer Sachlichkeit zu führen, die diesem Land angemessen ist.

Das ist etwas, was ich diesem Eid entnehme, nämlich das Wohl des Landes in den Blick zu nehmen. Das heißt – Sie als Oppositionspolitiker haben diesen Eid auch geleistet –,

(Zuruf von der FDP)

dass man nicht nur in Überschriften sprechen und nicht nur plakativ sagen kann, welche Größenordnungen eingespart werden sollen. Vielmehr muss man dann auch konkrete Konzepte präsentieren. Ihre Schulassistenten und all das, was Sie uns bisher vorgelegt haben, sind zusätzliche Stellen und zusätzliche Ausgaben, aber keinerlei Einsparungen. Geben Sie Butter bei die Fische. Es wird Zeit, dass wir hier eine vernünftige Opposition bekommen. – Vielen Dank.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Falsch!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat den Finanzminister in ihrer Rede gerade in einigen Punkten sinnvoll korrigiert, insbesondere was die Rolle und die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen sind. Das war richtig, und es war notwendig. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Gerichtes gewesen, die Aufgabe des Gesetzgebers oder die Aufgabe der Landesregierung zu übernehmen.

Sie, Herr Finanzminister, müssen bei Ihrem Verständnis von den Aufgaben in einem Verfassungsstaat zur Kenntnis nehmen, dass es an der Stelle eine Aufgabenteilung gibt und sich alle Verfassungsgerichte einig sind, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Beamtenbesoldung ein weiter Ermessensspielraum zukommt. Wenn ein solcher weiter Ermessensspielraum genutzt worden ist, hat jedes Verfassungsgericht bisher üblicherweise erklärt: Das halten wir zwar für vielleicht nicht besonders klug, aber es ist noch mit der Verfassung, mit dem Grundgesetz, mit der Landesverfassung vereinbar.

Das, was hier passiert ist, ist, dass ein Gericht, das sich explizit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichtes angeschlossen hat, gesagt hat: Wir sehen den weiten Gestaltungsspielraum, den Sie eigentlich schon haben, als so evident überschritten an, dass dieses Gesetz verfassungswidrig ist, Herr Römer. Es ist verfassungswidrig, und zwar evident und nicht einmal gerade so.

(Beifall von der CDU)

Was die Erwägungen angeht, die Sie, Herr Römer, eben angestellt und mit denen Sie sich dem Minister angeschlossen haben, so möchte ich auf das Thema der sozialen Gerechtigkeit zu sprechen kommen: Ich möchte gern aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Randziffer 62 zitieren und auf diese Weise verdeutlichen, was bis heute bei Ihnen der Kern des Missverständnisses über Beamtenbesoldung und Besoldungsrecht in Nordrhein-West-falen ist. Ich empfehle Ihnen dringend, dass Sie sich über die Sommerpause damit beschäftigen, damit Sie nicht wieder ein verfassungswidriges Gesetz machen. In dem Urteil steht:

„Dementsprechend sind amtsangemessene Bezüge für Beamte und Richter etwas anderes und eindeutigeres als staatliche Hilfe zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung.“

Es geht nicht darum, sozialhilfeähnliche Strukturen zu schaffen für die Bezahlung von Menschen, die für das Land Nordrhein-Westfalen arbeiten, sondern das ist ein eigener Rechtskreis, und die Beamtinnen und Beamten haben es verdient, dass Sie sich damit beschäftigen.

(Beifall von der CDU)

Bemerkenswert an der Rede der Ministerpräsidentin ist allerdings ein Punkt. Sie hat eben angedeutet, zum 30. Juni seien die Einnahmen nicht ganz so toll wie eigentlich erwartet. Das würde sich wohl irgendwie noch verbessern und das wäre ja auch bei anderen Ländern anders.

Ich habe mir die Zahlen des Bundesfinanzministeriums über die Steuereinnahmen bis Ende Mai mal angeschaut, weil wir uns ja auch im Haushaltsausschuss genau damit beschäftigt hatten, und zwar anhand einer Vorlage des Finanzministers Walter-Borjans.

Daraus wissen wir, dass das Einnahmewachstum bis zum 31. Mai in Nordrhein-Westfalen 0,9 % betrug. Um es der staunenden Öffentlichkeit deutlich zu machen: Er bräuchte 5,2 %, um seinen Einnahmeansatz zu erreichen. Da reden wir über eine Größenordnung zwischen 1,5 und 1,8 Milliarden im Unterschied zu dem, was bisher veranschlagt ist und was möglicherweise bisher da ist oder aufkommt. Frau Ministerpräsidentin, ich habe Sie so verstanden, dass das im Monat Juni nicht besser geworden ist.

Deshalb gibt es heute Nachmittag eine Dringliche Anfrage, weil der Minister nicht bereit ist, das zu tun, was eigentlich überall üblich ist und was wir hier im November 2012 auch schon mal hatten, nämlich dass uns der Finanzminister seine regionalisierten Steuerdaten bis 2018, bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Steuerschätzung, vorlegt.

Dass natürlich die Zahlen, die sich die Länder schematisch erarbeiten, nicht auf den Tisch sollen, weil es Planungsdaten sind, ist klar. Aber dass die Zahlen, die Sie zugrunde legen und die Sie sich erarbeiten lassen, die Sie Ihrem Haushaltsentwurf und Ihrer mittelfristigen Finanzplanung zugrunde legen, hier nicht auf den Tisch des Parlaments kommen, dem Haushaltsgesetzgeber die Daten verweigert werden, das kann eigentlich nur einen Grund haben: Sie verschleiern die Situation. Das ist auch der Grund für Ihre Haushaltssperre.

(Beifall von der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, ich möchte die Frage stellen, wie Sie bei der Pro-Kopf-Verschuldung des Landes Nordrhein-Westfalen gerechnet haben. Sie haben vorgetragen, im Saarland beliefe sich die Verschuldung jedes einzelnen Bürgers auf etwa 15.000 €, hier auf gut 3.000 €.

Nach dem, was der Minister uns bisher berichtet hat, haben wir als Land gut 135 Milliarden € Schulden – mal die Kommunalschulden und die, die das Statistische Bundesamt wegen der EAA uns immer noch zurechnet, ausdrücklich außen vor gelassen. Und wir haben nach Ihrer Aussage 17,6 Millionen Menschen. Nicht nur der Taschenrechner kommt zu dem Ergebnis, dass das etwa 7.670 € sind und nicht gut 3.000. Wollen Sie das korrigieren? Oder vielleicht tut es der Finanzminister.

Dann ist die Frage gestellt worden, ob wir als Opposition denn eigene Vorschläge hätten, wie man alles ganz anders machen könnte. – Ich kann darauf nur antworten: Wer in zwei Haushalten 150 Vorschläge alleine der CDU-Fraktion einfach ablehnt, darunter eine ganze Reihe von Strukturveränderungsvorschlägen – ich will nur die Themen „Reform der Arbeitsschutzverwaltung“, „Polizeiverwaltungsassistenten“

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und „Schulverwaltungsassistenten“ nennen –, und im Stil der Basta-Politik sagt, nein, nein, das lehnen wir ab, aber wir als Regierungskoalition haben auch keine eigenen Änderungsvorschläge, da der Finanzminister das ja so toll macht, der muss sich jetzt auch an dem Ergebnis dieser katastrophalen Politik messen lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie die Frage stellen, warum vom Bauministerium die 40 Millionen an Mitteln für den Autobahnbau und die Fernstraßen in Nordrhein-Westfalen, die der Bund mit finanziert, nicht abgerufen worden sind, dann ist das relativ leicht zu beantworten: Wenn Sie Aufträge an externe Ingenieurbüros zurückziehen und Ingenieurstellen abbauen, damit Sie Ihr Minister- und Staatssekretärsbüro aufblähen können, dann ist völlig klar, dass die Leute fehlen, um Ihnen die Planungen fertigzustellen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Das ist doch Schwachsinn! Am Thema vorbei! Sie haben die Personalstellen abgebaut! Lächerlich!)

Herr Finanzminister, das Gericht in Münster ist im Gegensatz zu Ihnen beim Thema „Beamtenbesoldung“ sorgfältig gewesen. Sie waren es nicht. Sie haben sich der sorgfältigen Arbeit entzogen, weil Sie offensichtlich lieber effekthascherische Themen bearbeiten, mit denen Sie in Talkshows oder in Zeitungen kommen.

(Beifall von der CDU)

Sie müssen diese mangelhafte Leistung, für die Sie mit Ihrer Basta-Politik die Regierungsfraktionen im Frühjahr 2013 zu Claqueuren degradiert haben, jetzt reparieren. Reparieren Sie wenigstens sorgfältig. Die Menschen haben das verdient. Auch Ihre Kollegen in den Regierungsfraktionen haben das verdient.

Das, was Sie bisher und auch heute zeigen, ist weiterhin ein Ablenken von den Fakten. Das ist ein Ausweis Ihrer Hilflosigkeit. Das ist der Anfang vom Ende einer solchen Regierung.

(Beifall von der CDU)

Stellen Sie sich endlich den Tatsachen. Sagen Sie es so, wie Herr Priggen das auch gesagt hat. Sagen Sie: Wir haben Mist gemacht. Wir machen es beim nächsten Mal besser. – Stattdessen wird gesagt: Ach ja, es war doch gar nicht so schlimm. Es war doch alles ganz anders. Eigentlich haben wir ja fast gewonnen. – Das haben Sie jetzt zum vierten Mal gemacht. Sie haben zum vierten Mal fast gewonnen.

Ich finde es einfach beschämend, dass Sie nicht erklären können: Das Ergebnis ist eine schallende Ohrfeige. Wir haben verstanden. – Das wäre ehrliche Politik und das wäre gradlinig gewesen. Das hätten Sie tun sollen.

(Beifall von der CDU)

Stattdessen flüchten Sie sich in Propagandamittel. Sie tun so, als hätte die Haushaltssperre irgendetwas mit der Beamtenbesoldung zu tun und nicht mit den Steuereinnahmen und den strukturellen Problemen, die Sie haben.

Dann bleibt am Schluss das, Herr Römer, was Ihnen auch hier an diesem Pult die ganze Zeit passiert: Sie filibustern über eine Opposition. Wenn Sie möchten, dass Sie selbst bessere Oppositionspolitik machen können, dann geben Sie endlich die Regierungsverantwortung ab. Dann suchen wir eine andere Parlamentsmehrheit. Mit Ihnen ist das offensichtlich nicht zu machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, dass ich die Debatte kurz unterbreche. Denn auf der Besuchertribüne haben Ehrengäste Platz genommen, die ich sehr herzlich begrüße. Ich freue mich sehr, im Namen des Hohen Hauses eine Delegation aus der nordrhein-westfälischen Partnerprovinz Jiangsu der Volksrepublik China begrüßen zu können, die vom Vorsitzenden der Stadtversammlung von Huaian angeführt wird. Herzlich willkommen, Herr Vorsitzender Yao!

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit in unserem Land mit erfolgreichen Gesprächen und Verabredungen für die Zukunft. Möge Ihr Besuch dazu beitragen, die freundschaftlichen Beziehungen unserer Länder zu vertiefen. Herzlichen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind!

Nun fahren wir in der Tagesordnung fort. Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Börschel.

Martin Börschel (SPD): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne! Wenn ich mir die erste Runde dieser Plenardebatte vergegenwärtige, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten oppositionellen Redner das Urteil, auf das sie heute so lang und breit Bezug genommen haben, überhaupt nicht gelesen haben. Es gehört schon mehr dazu, insbesondere, wenn man eine solche Plenardebatte bestreiten will, als sich auf die Leitsätze des Gerichts zu reduzieren. Man muss vielmehr die gesamten 49 Seiten, auf denen uns die Verfassungsrichterinnen und ?richter mit großer Mühe Dinge aufgeschrieben haben, zur Kenntnis nehmen.

Es ist klar – ich kann das nachvollziehen –, dass eine Opposition jeden Richterspruch am liebsten als krachende Niederlage, als schallende Ohrfeige oder sonst wie bezeichnen will. Das ist geschenkt; das ist normaler Parlamentsalltag. Aber das Urteil ist sehr viel differenzierter, als Sie das zur Kenntnis nehmen wollen.

Deshalb werden wir uns in den nächsten Monaten – das ist selbstverständlich, wenn wir uns an die Reparatur eines nichtigen Gesetzes begeben – jeden einzelnen Satz dieses Urteils zu Gemüte führen. Wir werden jeden einzelnen Satz dieses Urteils und vor allem der Begründung in unsere weiteren Überarbeitungen einbeziehen müssen. Da werden wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, auch nicht aus der Verantwortung entlassen. Denn in der Entscheidung steht eine ganze Menge, was Sie eben wieder beharrlich ignoriert haben.

Natürlich ist der Gesetzgeber grundsätzlich verpflichtet – so sagt das Gericht –, die Bezüge der Beamten, Richter und Versorgungsempfänger an die positive Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen. Aber der Gesetzgeber darf die Bezüge kürzen oder mit einer Anpassung hinter der Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zurückbleiben, soweit eine Überalimentation abgebaut werden kann, muss und soll.

Das Verfassungsgericht sagt außerdem, dass der Gesetzgeber innerhalb eines weiten Spielraums politischen Ermessens das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anpassen darf.

All das sind Dinge, die Sie beharrlich ignorieren, die aber wahr sind und die das Gericht Ihnen und uns allen als Haushaltsgesetzgeber auf 49 Seiten ins Stammbuch geschrieben hat. Also: Nehmen Sie das zur Kenntnis, und ignorieren Sie das nicht! Das ist heute meine erste Bitte.

(Beifall von der SPD)

Dann hatte ich mir vorgenommen, mich mit dem zu beschäftigen, was Sie, Herr Kollege Laschet, Herr Kollege Lindner, aber auch Herr Kollege Dr. Optendrenk vorgetragen haben. Ehrlich gesagt, mein Zettel ist nicht besonders voll geworden. Ich will trotzdem versuchen, auf das bisschen, was Sie gesagt haben, einzugehen.

Frau Ministerpräsidentin Kraft hat die einzige substanzielle Behauptung von Ihnen, Herr Kollege Lindner, schon seziert. Wer sich tatsächlich dazu versteigt, die letzte Haushaltssperre im Lande Nordrhein-Westfalen unter der schwarz-gelben Regierung Rüttgers zu begründen mit einer drei Jahre späteren Lehmann-Pleite, …

(Christian Lindner [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht!)

– Das haben Sie gemacht. Und wir werden, Herr Kollege Lindner, selbstverständlich …

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Nein!)

– Ja, tun Sie das ab. Wir werden selbstverständlich genauso, wie Sie das vorhin angeregt haben, sehr gerne und mit großem Interesse und großer Freude das Plenarprotokoll nachlesen.

Wer tatsächlich eine Haushaltssperre mit einem zukünftigen, drei Jahre späteren Ereignis begründen will, hat sich wirklich diskreditiert und – Herr Kollege Lindner, sehen Sie es mir nach! – disqualifiziert.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich glaube, nach Ihrem Auftritt braucht die FDP mehr als einen neuen Namen. Ich glaube, Ihre Stellvertreterin im Amt der Bundesvorsitzenden, Strack-Zimmermann, hat vielleicht doch einen besseren Vorschlag gemacht, als Sie das wahrhaben wollen.

(Christian Lindner [FDP]: Lächerlich!)

Wenn Sie schon „Lächerlich!“ zurufen müssen, zeigt das, wie sehr Sie sich getroffen fühlen, Herr Kollege Lindner. Bitte mehr Substanz! Dann können Sie auch etwas zur Landespolitik beitragen.

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Oberlehrer!)

Herr Kollege Laschet, Ihre Rede lässt sich letztlich auf zwei Kernpunkte reduzieren. Einen hat Frau Ministerpräsidenten Kraft schon eindrucksvoll widerlegt. Sie sagen nämlich, man hätte mit den Gewerkschaften reden sollen und müsse auch weiter mit ihnen reden. – Ich erinnere daran: Jemand, der fünf Jahre lang bewiesen hat, dass er Gewerkschaften, dass er Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter für Frösche hält, die man nicht fragt, wenn man deren Sumpf angehen oder gar trockenlegen will, hat sich disqualifiziert, Ratschläge dieser Art zu geben.

(Beifall von der SPD)

Die Regierung ist im ständigen Dialog mit Gewerkschaften, und sie bleibt es. Da brauchen wir von Ihnen wahrhaft keine Belehrung.

Substanziell wurde es bei Ihrem einzigen in die Zukunft gerichteten Appell, die nordrhein-westfälische Landesregierung, die regierungstragenden Fraktionen mögen bitte haushaltspolitisch so vorgehen, wie es im Saarland der Fall ist.

Ich möchte Sie gerne fragen, was das in konkreten Zahlen bedeutet. Die saarländische Regierung hat sich entschieden, 9,77 % des dortigen Landespersonals abzubauen. Das würde auf Nordrhein-Westfalen bezogen 27.803 Stellen bedeuten – unter der Voraussetzung, dass wir die Hochschulen herauslassen. Würden wir sie einbeziehen, wäre die Zahl noch viel größer. Unter Auslassung der Hochschulen sind es 27.803 Stellen, die wir nach Ihren Vorschlägen abbauen müssten, Herr Kollege Laschet, wenn wir so vorgehen sollen, wie im Saarland.

Ich habe mir vorhin die Berufsgruppen genau aufgeschrieben, die Sie mit Tränen in den Augen vorgetragen haben:

(Armin Laschet [CDU]: Ich hatte keine Tränen in den Augen!)

Steuerprüfer und Steuerfahnder, Polizeihauptkommissare oder die berühmte Grundschullehrerin. Ich frage Sie, Herr Kollege Laschet: Wie viele Steuerprüfer und Steuerfahnder möchten Sie abbauen, wenn wir das tun sollen, was im Saarland geschieht? Wie viele Polizeihauptkommissare wollen Sie abbauen, wenn wir das tun sollen, was im Saarland geschieht? Wie viele Grundschullehrerinnen sollen wir abbauen, wenn wir das tun sollen, was im Saarland passiert?

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, mit aller Überzeugung und auch Stolz: Gerade auf diese Berufsgruppen bezogen fährt die nordrhein-westfälische Landesregierung einen ganz anderen Kurs.

Wir haben nämlich die Zahl der Steuerfahnder erhöht, weil wir möchten, dass Steuergerechtigkeit Einzug hält und insbesondere in Großbetrieben endlich mit der „halbgaren“ Kontrolle Schluss ist –

(Beifall von der SPD)

übrigens nach einem Hinweis des Landesrechnungshofs.

Wir haben die Zahl der Polizeikommissarsanwärterinnen und ?anwärter erhöht, weil es mit dem, was Sie uns hinterlassen haben, nicht so weitergehen konnte. Wir wollen mehr Sicherheit auf den Straßen und nicht weniger. Das ist aber offensichtlich genau das, was die CDU uns empfehlen will.

Und wir wollen weiterhin eine klare Richtung nach unten, was die Klassengrößen angeht, und zwar in allen Schulformen des Landes. Auch darauf hat die Ministerpräsidentin schon hingewiesen. Dazu braucht man mehr Personal und nicht weniger.

Deswegen ist es mehr als Chuzpe, Herr Kollege Laschet, zu behaupten, wir sollten nur tun, was das Saarland macht, und dann wäre hier alles in Ordnung. Sie entziehen sich der Verantwortung, Sie streuen den Leuten Sand in die Augen, weil nicht wahr ist, was Sie behaupten, und es am Ende auch nicht geht.

Von daher möchte ich abschließend sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, waren alles Blicke in die Vergangenheit, waren Worthülsen, waren Luftbuchungen, die auch Kollege Optendrenk noch mal angesprochen hat, jedenfalls keine zukunftsbezogenen Debattenbeiträge. Deswegen, Herr Kollege Laschet – Sie haben mit der Eidesformel begonnen; eine Menge Sehnsucht klang in Ihrer Stimme –, bin ich ziemlich sicher, Sie werden so schnell nicht in die Verlegenheit kommen, diese Eidesformel hier wieder vortragen zu müssen. Insofern können Sie sich diese selbst noch einmal vergegenwärtigen.

Von einer Opposition, die der Regierung vorhält, sie sei sozusagen „Täter“, wenn ein Gericht ein solch differenziertes Urteil spricht, die aber selber als – um in Ihrer Diktion zu bleiben – „Serientäter“ elfmal die Verfassung gebrochen hat, brauchen wir uns keine Belehrungen anzuhören. Das lassen Sie sich bitte in Ihr Stammbuch schreiben. – Vielen Dank!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Börschel. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Lindner.

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn die Regierungschefin im Parlament ans Rednerpult tritt, dann erwartet man Orientierung. Dann darf man erwarten zu erfahren, wie die Regierungschefin die Probleme lösen will. Das haben wir heute nicht erlebt. Frau Kraft, Sie sind ans Pult getreten und haben ein Dokument Ihrer eigenen Hilfslosigkeit zu Protokoll gegeben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben uns auch nicht ansatzweise darüber unterrichtet, welche Konsequenzen und konkreten Schritte Sie jetzt einzuleiten beabsichtigen. Nichts davon! Stattdessen haben Sie sich an der Opposition abgearbeitet. Eine Regierungschefin, die sich an der Opposition abarbeitet! Wunderbar! Ich muss sagen: Wenn ich Journalist wäre, würde ich morgen folgende Titelzeile machen: In einer fulminanten Rede forderte Hannelore Kraft die Opposition auf, ihr die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das war der Charakter Ihres Auftritts.

Und in der Sache, Frau Kraft? – Spekulative Finanzpolitik! Ich gehe nicht auf die langfristigen Risiken ein, die im Nachhaltigkeitsbericht des Finanzministers ja klar dargelegt worden sind: beim Zins, beim Arbeitsmarkt und Wachstum. Ich nehme einfach einmal ganz konkret den laufenden Haushalt, Frau Kraft: Spekulative Finanzpolitik!

Wenn Sie keine spekulative Finanzpolitik machen, sondern eine solide Finanzpolitik, dann können Sie dem Parlament doch jetzt erklären, woher die 300 Millionen € globaler Mehreinnahmen im Haushalt kommen sollen. Was ist das für Geld?

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Woher kommen diese 300 Millionen €? – Keine Antwort! Wir haben zwar den 2. Juli, wissen aber immer noch nicht, woher diese 300 Millionen € bis zum Jahresende als zusätzliches Geld herkommen sollen.

Zweiter Punkt! Warum haben wir diese Misere? – Frau Kraft, weil Sie bereits im Jahr 2010 den Konsolidierungspfad der damaligen schwarz-gelben Landesregierung verlassen haben! Sie haben Wahlgeschenke beschlossen. Sie sind aus dem substanziellen Personal- und Bürokratieabbau ausgestiegen. Jetzt, vier Jahre später, rächt sich das in aller Härte, weil Ihre Spielräume jedes Jahr kleiner und die Konsolidierungsnotwendigkeiten, die Sie nachholen müssen, größer werden. In diese Sackgasse haben Sie sich hineinbegeben.

Und dann erlauben Sie sich hier die dreiste Bemerkung, wegen unseres Personalabbaus damals könne die heutige Landesregierung die Bundesmittel im Straßenbau nicht abrufen, weil es zu wenig Planer gibt! – Verehrte Frau Ministerpräsidentin, wenn die Kapazitäten für die Planung bei Straßen.NRW zu gering sind, dann beauftragen Sie bitte einmal ein privates Ingenieurbüro. Die machen das nämlich auch.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Nachdem Sie alle rausgeschmissen haben!)

– Lieber Herr Ott, die Zahlen sprechen für sich und offensichtlich dafür, dass Sie das nicht hinreichend machen. Sie geben doch Geld nach Berlin ab, nutzen also die Instrumente nicht, weil Sie aufgrund Ihrer fatalen – Achtung! – „Staat-vor-Privat-Ideolo-gie“ gar nicht in Erwägung ziehen, dass das auch privat geleistet werden kann.

Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, meine Damen und Herren, betrifft die Lösungsansätze, die wir aus dieser Debatte mitnehmen: SPD und Landesregierung? – Fehlanzeige! Nicht ein einziger Hinweis, sondern nur Wehklagen und Angriffe auf andere. Das ist keine Gestaltungsverantwortung.

Der einzige Redner, der hier einen Hinweis in die Richtung gegeben hat, in die das Land gehen könnte, war der Kollege Reiner Priggen. Er hat nämlich in seiner Rede von „Einnahmeverbesserungen“ gesprochen. In meinen Worten heißt das „Steuererhöhungen“. Er hat das ausgesprochen, was – das sage ich Ihnen voraus – über den Sommer bei Ihnen diskutiert wird. Wir haben letztes Jahr bei der Verabschiedung des laufenden Haushalts mit Blick auf die globale Mehreinnahme, die Sie planen, schon vermutet, dass Sie nach der Bundestagswahl – wie das andere Länder mit grüner, sozialdemokratischer oder CDU-Beteiligung machen – an die Grunderwerbsteuer rangehen werden. Dass Sie die erhöhen können, das wissen wir. Das sind schnelle Einnahmen.

Da bin ich gespannt, Frau Kraft, wie Sie das mit sozialer Gerechtigkeit begründen. Die Familie, die vielleicht zum ersten Mal Eigentum anschaffen will und jetzt Möglichkeiten auch zur Altersvorsorge nutzen will, die ihr Eigentum/ihre Wohnung über Jahrzehnte abzahlen muss, weil sie sich etwas aufbauen will, würde dann durch Ihre Landesregierung belastet. Ich befürchte: Wir haben heute das Vorspiel eines Einstiegs in eine weitere Steuererhöhungsorgie von Rot-Grün gehört.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat ja mit Herrn Dr. Wolf, der jetzt den Raum verlässt, einen Abgeordneten in ihren Reihen, der alleine mehr Verfassungsklagen verloren hat als die gesamte rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, nämlich fünf.

(Beifall von den GRÜNEN – Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Sie wollen den Rekord einstellen?)

Herr Kollege Lindner, ich möchte auf einen Aspekt eingehen, den CDU und FDP hier erneut ausgeblendet haben bzw. verdrehen wollen. Sie haben eben von „spekulativer Finanzpolitik“ gesprochen. Ich frage Sie ganz konkret: Was haben Sie denn mit dem Phoenix-Portfolio gemacht? Sie haben die Lasten der WestLB auf die Zukunft verschoben und bis zum heutigen Tage darauf spekuliert, dass diese Lasten von einer Regierung, der Sie nicht angehören, abzutragen sind.

Ich sage Ihnen aber noch etwas anderes zu spekulativer Haushaltspolitik. Sie haben uns vorgeworfen, dass wir angesichts der jetzt vorhandenen Steuereinnahmen keinen Stellenabbau und keine Konsolidierung im Personalbereich vornehmen. Lassen wir das mal so stehen. Das haben die Ministerpräsidentin, Herr Priggen und auch Herr Römer ja klargestellt.

Sie wollen darüber hinaus aber Folgendes tun: Sie wollen im Landeshaushalt 450 Millionen € bei der Grunderwerbsteuer einsparen gegenüber jetzt. Sie wollen 500 Millionen € bei der kalten Progression einsparen gegenüber jetzt. Sie wollen 150 Millionen € bei den Förderprogrammen – und zwar nicht an Ausgaben, also Haushaltsmehrbelastungen – einsparen gegenüber jetzt. Beim KiBiz wollen Sie 450 Millionen € mehr ausgeben. Und Sie wollen bei der Inklusion 250 Millionen € bis 450 Millionen € mehr ausgeben. Wir reden hier nicht über den Personalhaushalt, sondern über den Gesamthaushalt. Den wollen Sie schon ohne den Personalhaushalt um 2 Milliarden € verschlechtern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe Herrn Lindner in der damaligen Plenardebatte – daran kann ich mich sehr genau erinnern – fragen wollen, welche Alternativvorschläge die FDP-Fraktion denn auf den Tisch legt. Die Zwischenfrage dazu hat er nicht zugelassen. Da wir aber das schöne Instrument der Kurzintervention haben, habe ich eine Kurzintervention genutzt, ihn zu fragen: Herr Kollege Lindner, welche Alternativen haben Sie in der Sache oder im Modell? – Dann haben Sie angefangen zu schreien. Sie haben kein Modell vorgestellt. Und Sie haben bis heute – wir haben den 2. Juli 2014, wie Sie eben richtig bemerkt haben – kein Modell vorgelegt, kein Finanzierungskonzept vorgelegt. Sie machen sich einen schlanken Fuß, wie Sie es immer machen.

Die Feststellung einer messianischen Stelleneinsparung, wie sie Herr Priggen dargestellt hat – 40.000 oder auch 10.000 Stellen bei 3.000 vorhandenen im Ministerium –, haben Sie auch nicht zurückweisen können, weil Sie schlicht „nichts an der Hacke“ haben, Herr Kollege Lindner.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Dann möchte ich noch ein Beispiel liefern – das ist in diesem Zusammenhang auch ganz wichtig –: Was haben Sie 2005 denn konkret gemacht? Sie haben einen zweiten Nachtragshaushalt vorgelegt, der mit 7,6 Milliarden € Neuverschuldung bis heute eine Ausgabenplanung des Landes in Rekordhöhe vorgesehen hat. Sie haben sofort nach Regierungsübernahme 1 Milliarde € zusätzliche Ausgaben in Ihren Haushalt eingestellt. Das Verfassungsgericht hat Ihnen damals bestätigt: Das ist verfassungswidrig. – Sie waren keine zwei Wochen im Amt und haben einen verfassungswidrigen Haushalt für das Jahr 2005 vorgelegt.

Ich möchte meine Rede relativ zügig beenden,

(Beifall von Lutz Lienenkämper [CDU])

weil ich nicht das wiederholen will, was Frau Ministerpräsidentin Kraft sowie die Fraktionsvorsitzenden Priggen und Römer schon gesagt haben. Ich will aber nicht versäumen, zu sagen: Es ist wohlfeil, jetzt vorzutragen, dass im Personalbereich des Etats 710 Millionen € fehlen, aber keine entsprechenden Vorschläge zu machen.

Wenn Sie tatsächlich 40.000 Stellen einsparen wollen, fordere ich Sie auf, im Nachtragshaushaltsverfahren Anträge zu stellen, 4.500 Stellen bei der Polizei oder meinetwegen auch 18.000 oder 30.000 Stellen bei den Lehrerinnen und Lehrern zu streichen. Stellen Sie diese Anträge. Stellen Sie sich dem Feuer. Stellen Sie sich dann auch gegen die Gewerkschaften.

Eine Bemerkung zum in Rede stehenden Gerichtsurteil möchte ich mir allerdings auch nicht verkneifen: Ich finde es schon bemerkenswert, dass sich die Gewalten mittlerweile gegenseitig vorschreiben wollen, welches Personal sie haben sollen. Dass wir Urteile des Verfassungsgerichts akzeptieren, ist selbstverständlich. Dass sich der Richterbund jetzt aber auch noch einmischt bei der Frage, wer an der Spitze der gesetzgebenden Gewalt steht, finde ich, gelinde gesagt, geschmacklos. – Vielen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf das zuletzt Gesagte muss teilweise noch eingegangen werden, insbesondere auf die Frage, inwieweit hier die Historie eine Rolle spielt; Sie hatten das angesprochen. Ich halte das, mit Verlaub, für Nebelkerzen. Wir debattieren heute über eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts und deren Folgen. Wir diskutieren hier – zumindest laut Tagesordnung – nicht über die Personalpolitik vorangegangener …

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Über die Auswirkungen!)

– Hatte! Aber bitte, Frau Ministerpräsidentin, sagen Sie doch nicht hier und heute durch Ihren Zwischenruf quasi, dass die Auswirkung der Personalpolitik vorangegangener Legislaturperioden nunmehr das verfassungsgerichtliche Urteil ist. Das ist ganz einfach falsch.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Keiner behauptet das!)

– Aber durch diesen Zwischenruf muss ich das doch annehmen. Da liegen Sie einfach daneben.

Sie haben vorhin im Zusammenhang mit Personal die Schulen erwähnt und eine Stellenzahl von 151.778 genannt. So weit, so gut. Sie sagen, Stellen würden in dem Bereich nicht abgebaut. Sie sagen, bei Mehrbelastungen, und zwar arbeitsmäßigen Mehrbelastungen, die auf die Lehrerinnen und Lehrer auch im Rahmen der Inklusion zukommen werden, würden Sie – sprich: die Landesregierung – dafür sorgen, dass die Klassen kleiner werden.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das habe ich nicht zur Inklusion gesagt, Herr Schulz! Hören Sie doch mal zu! Ich habe das auf eine Frage von Herrn Laschet gesagt! Da ging es um die Frage, was ich einer Grundschullehrerin sage!)

– Also gut! Dann haben wir das jetzt richtiggestellt, was Sie einer Grundschullehrerin sagen.

(Zurufe von der SPD)

Das wollte ich doch noch mal hören. Wenn eine Grundschullehrerin keine Erhöhung bekommt, sagt ihr die Landesregierung also: Wir sorgen dafür, dass die Klassen kleiner werden. – Es könnte aber auch sein, dass dafür die demografische Entwicklung verantwortlich ist. Es könnte also auch sein, dass es immer weniger Kinder gibt, die in die Schulen gehen. – Dann sagen Sie doch nicht, dass Sie die Klassen kleiner machen. Ob das tatsächlich so sein wird, das wird man dann ja sehen.

Morgen geht es hier ja um die durch das Unwetter beschädigten Bäume. Das wird im Zusammenhang mit der Haushaltssperre, die hier heute Debattenthema ist, eine lustige Sache werden. Denn es geht um die Frage, wo die Landesregierung bei einer Haushaltssperre das Geld hernehmen möchte, um den Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die zig Millionen an Schäden zu beklagen haben, zu helfen. Das wird interessant.

Natürlich ist es so, dass das Gericht für die zukünftige Debatte über eine Neuauflage des Beamtenbesoldungsgesetzes den Rahmen vorgegeben hat. Es hat auch vorgegeben, wie der eingehalten werden soll.

Ich greife mal auf, Frau Ministerpräsidentin, dass Sie die Opposition quasi gemahnt haben, dass auch diese das Wohl des Landes im Blick haben muss und muss und muss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Natürlich muss sie das tun.

Deswegen kommen wir auf Ihre zu Anfang der Legislaturperiode verkündete Politik der Einladung – so haben Sie es, glaube ich, genannt – zurück. Darum wird es nämlich letztlich gehen. Dann müssen Sie aber auch zulassen, dass die Opposition ein Wörtchen mitredet bei der Frage, wie die Beamtenbesoldung denn aussehen soll. Machen Sie das bitte nicht von oben herab, machen Sie nicht einen Alleingang im Rahmen der Leitplanken, die das landesverfassungsgerichtliche Urteil vorgibt; denn dann gibt es am Ende eine zweite Anhörung,

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

dann werden wieder Experten angehört, die sagen, dass es vielleicht richtig oder falsch sei, und die werden dann wieder überhört. Das wäre falsch, das wäre nicht der richtige Weg.

Wenn Sie sich hierhin stellen und sagen, die Opposition sei mit in der Pflicht, dann bezieht sich das nicht allein darauf, dass die Opposition darüber nachdenken soll, ob und in welchem Umfang Stellen zu streichen sein könnten, um das zu finanzieren. Liebe Frau Ministerpräsidentin und Herr Finanzminister, ob Stellenstreichungen die Finanzierung der verfassungsmäßig gebotenen Erhöhung der Beamtenbesoldung tragen, ist aus meiner Sicht nicht die Grundfrage.

(Zuruf von der SPD: So viel Unsinn habe ich selten gehört!)

Man sollte sich vielmehr die Frage stellen, ob nicht im Rahmen des Nachtragshaushalt eine wenn auch nachträgliche Erhöhung der Nettoneuverschuldung die Folge sein muss. Dann kann es natürlich sein, dass die 900 Millionen € Einsparungen gegenüber dem Vorjahr im Bereich der Nettoneuverschuldung abgeschmolzen werden müssen. Dann kann es natürlich sein, dass mit Blick auf 2020 die verfassungsmäßig gebotene Einhaltung der Schuldenbremse etwas wankt. Aber dann muss man den Menschen im Lande sagen, dass das so sein muss. Dann muss man gegebenenfalls auch mal an das Thema „Schuldenbremse“ herantreten. Dann muss man – das ist ja nicht der Kernbereich der Verfassung – …

(Nadja Lüders [SPD]: Was? – Marc Herter [SPD]: Aber das ist die andere Verfassung, das Grundgesetz! – Nadja Lüders [SPD]: Oh! – Weitere Zurufe)

– Ich bitte Sie, Herr Kollege Herter, der entscheidende Punkt ist doch, dass man mal über die Auswirkungen in volkswirtschaftlicher Hinsicht insgesamt diskutieren muss.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn Sie sich hier aufschwingen und schreien nach dem Motto: „Wir können das nicht ändern, wir können da eventuell gar nicht dran“, sage ich Ihnen: Doch, das können Sie! Sie sind im Bund in der Regierung!

(Marc Herter [SPD]: Im Moment sitzen wir hier! Ich bin nicht in der Regierung! Ich bin nicht der Gesetzgeber auf Bundesebene!)

Dann setzen Sie sich im Bund doch mal hin und stellen fest, ob das, was in Art. 109 ff. des Grundgesetzes steht, tatsächlich so gehalten werden kann, ob die Volkswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland das überhaupt aushält.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Entscheidend ist aber – das habe ich gesagt –, dass man gegebenenfalls auch über eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung wird nachdenken müssen. Das ist der entscheidende Punkt. Dann wird man eben schauen müssen, wie man gegebenenfalls strukturell an anderer Stelle einspart.

Dass das Effizienzteam nicht zu besonders großartigen Ergebnissen geführt hat, wissen wir ja. Aber dann muss man heute auch die Erkenntnis mit in die Runde nehmen und sagen: Wir haben einen Fehler gemacht. Wir haben gespart – so heißt es ja auch –, wir haben auf Kosten der Beamten gespart. – Dann muss man, nachdem das Verfassungsgericht festgestellt hat, dass das verfassungswidrig ist, auch sagen: Dieser Spareffekt muss rückgängig gemacht werden. – Also muss für die Differenzzahlungen, die an die Beamten notwendig werden, mehr Geld aufgenommen werden. Das wird nicht durch Kassenkredite möglich sein. Also muss eine Nettoneuverschuldung her. Das sehe ich heute so.

Ich glaube nicht, dass Sie jedenfalls mit den Piraten am Tisch weiter nach vorne kommen werden, wenn es heißt, es solle Personal abgebaut werden. Dass die Höherbesoldung der Beamten …

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ja, ich komme zum Schluss.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Nachspielzeit heute.

(Heiterkeit)

Dietmar Schulz (PIRATEN): Wie ich es gerade gesagt habe: Darüber sollte man sich Gedanken machen.

Ich freue mich auf die zukünftigen Debatten über ein neues Gesetz. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Jetzt hat das Wort unsere Ministerpräsidentin, Frau Hannelore Kraft. Bitte schön.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Ich möchte vorab kurz etwas zu Herrn Lindner sagen: Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte an diesem Pult nichts zu dem neuen Besoldungsgesetz ausgeführt.

(Christian Lindner [FDP]: Haushalt!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist nicht mein Verständnis von wirklicher Beteiligung von Gewerkschaften. Ich führe erst die Gespräche, und dann spreche ich hier.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind deshalb am Ende der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion von CDU und FDP Drucksache – Neudruck. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – CDU- und FDP-Fraktion sowie die Fraktion der Piraten und der fraktionslose Kollege Stein. Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? – SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen im Hohen Haus? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/6206 - Neudruck - mit Mehrheit abgelehnt und der Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

3   Salafismus konsequent mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6127

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion das Wort Herrn Kollegen Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Salafismus, insbesondere der politische Salafismus, ist ein wichtiges Thema, weil er eine ernste Bedrohung für unsere offene Gesellschaft ist: zwei getötete US-Soldaten in Frankfurt, zwei schwer verletzte Polizisten in Bonn im Mai 2012, das knapp gescheiterte Kofferbombenattentat in Köln und zuletzt der versuchte Bombenanschlag auf dem Hauptbahnhof von Bonn im Dezember 2012. Auch wenn uns ein Anschlag wie in Madrid oder London bisher nicht getroffen hat, sprechen Experten von einer akuten Bedrohung.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir wollen keinen Alarmismus, aber wir wollen auch keine Unterschätzung der Gefahr durch den politischen Salafismus.

(Beifall von der FDP)

Neben der Bedrohung der Bürgerinnen und Bürger führt der Salafismus auch zu einer Belastung des Verhältnisses von Muslimen und Mehrheitsgesellschaft. Eine Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung, die in den letzten beiden Tagen in Bonn stattgefunden hat, hat gezeigt, wie intensiv sich gläubige Muslime gegen die vulgäre Interpretation ihres Glaubens wehren.

Sie sind ein wichtiger Partner in der Auseinandersetzung mit dem Salafismus; denn der Salafismus mit seiner simplen und – methodisch hochinteressant – teilweise popkulturellen Islaminterpretation, diese Form des extrem vulgären Islamismus, sie wächst.

Sie wächst durch Koranverteilungen, wie wir sie hier in Düsseldorf, in Bonn und auch an anderen Stellen in Nordrhein-Westfalen erleben. Sie wächst durch Straßenprediger, die gerade in Problemvierteln versuchen, Jugendliche anzusprechen. Sie wächst vor allem – und das ist ein neues Phänomen – durch die gezielte Propaganda im Internet, wo sich selbsterklärte Prediger inszenieren.

Neu sind Grillfeste und Benefizveranstaltungen mit Vereinen wie „Helfen in Not“, die vorgeben, Spenden zu sammeln für Opfer in Syrien, die in Wahrheit aber für den Dschihad werben, für Kämpfer in Syrien und im Irak, die Kämpfer für ISIS rekrutieren.

Meine Damen und Herren, die Tagung in Bonn hat gezeigt, und auch die Experten sagen uns: Der Kampf der ISIS in Syrien und im Irak wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die deutsche Szene. Dabei haben wir es neben Kindern aus Einwandererfamilien zunehmend auch mit Konvertiten ohne Migrationshintergrund zu tun. Es sind zu 90 % Männer im Alter zwischen 16 und 25, aber auch einige Frauen.

Die Beteiligung junger, in unserer Gesellschaft aufgewachsener Dschihadisten am Krieg der ISIS in Syrien und im Irak birgt eine ganz neue Herausforderung; denn es kehren immer wieder junge Dschihadisten zurück, traumatisiert, mit Kriegserfahrung und einer Ausbildung an Waffen und Sprengstoff. Sie sind ein hohes Sicherheitsrisiko für unsere Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, so wie wir mit Recht immer wieder von Staat und Zivilgesellschaft Widerstand gegen Neonazis einfordern, so muss es auch ein Bündnis zwischen Bürgern und Rechtsstaat gegen die politischen Salafisten und Dschihadisten geben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Gerade weil Nordrhein-Westfalen hierfür eine Hochburg ist, muss sich auch der Landtag mit dieser Gefahr auseinandersetzen. Ich will gar nicht bestreiten, dass das Land erste Schritte unternommen hat; doch reicht dies bei Weitem nicht aus. Wir haben dazu in unserem Antrag einiges ausgeführt. Ich möchte darüber hinaus noch einige Aspekte ansprechen, die in den vergangenen Tagen genannt worden sind.

Das Präventionsprogramm „Wegweiser“ ist bisher viel zu klein. Es fehlt an einer gezielten Lehrerfortbildung. Frau Löhrmann, das ist etwas, was für Ihr Haus wichtig ist. Wir brauchen ein umfassendes Aussteigerprogramm sowie eine umfassende Beobachtung, aber auch Hilfe für Rückkehrer aus Syrien. Wir brauchen seitens des Bundesamtes für Migration – hier ist auch der Bund gefordert – im Rheinland eine zweite Beratungsstelle für Eltern und Angehörige, die eine Radikalisierung ihrer Kinder feststellen.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Und noch etwas ist von großer Bedeutung: Auch wenn wir wissen, dass es nie völlige Sicherheit geben wird, auch wenn wir Liberale keinen Überwachungsstaat wollen, müssen wir die repressiven Mittel des Rechtsstaates vollumfänglich nutzen, um die Verbreitung des Salafismus zu stoppen. Dazu gehören neben den Vereinsverboten auch alle Maßnahmen, um potenzielle Syrien- oder Irakkämpfer von vornherein an der Ausreise zu hindern. Wir brauchen zudem eine Unterstützung für die Kommunen und die örtliche Polizei bei der Unterbindung von entsprechenden Veranstaltungen, damit sie wissen, was sie unterbinden können und wo die Grenzen sind.

Wir hoffen auf eine entsprechende Beratung im Ausschuss. Als Demokraten sollten wir alle zusammenstehen, wenn es darum geht, unsere offene, liberale Gesellschaft zu verteidigen. Deswegen würde ich mich freuen, wenn wir hierzu eine sachliche Debatte führen könnten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren im Zuschauerraum! Ich freue mich ganz ausdrücklich, dass wir die Gelegenheit haben werden, uns noch mal mit diesem wirklich schwierigen, bedrückenden Problem des religiösen Fanatismus in der Form von gewaltorientiertem Salafismus beschäftigen zu können. Insoweit – das ist fast schon das Beste, was ich über diesen Antrag zu sagen habe – ist es gut, dass Sie einen Anlass dazu geben, dass wir uns in den entsprechenden Fachgremien, also auch im Innenausschuss, erneut mit diesem Thema beschäftigen.

Ich bin da ganz nahe bei der Begründung Ihres Antrages, der dem Verfassungsschutzbericht beinahe eins zu eins entnommen ist. Die Begründung zeigt ja, dass Sie ganz offensichtlich die Arbeit unseres Verfassungsschutzes an der Stelle hoch schätzen, sonst hätten Sie Ihre Begründung dem Bericht nicht in dieser Form entlehnt. Das sehen Sie übrigens richtig, denn der Verfassungsschutz – und nicht nur der, sondern auch Bürgergesellschaften – macht zunehmend auf die Gefahren des Salafismus aufmerksam.

Ich komme aus der Stadt Mönchengladbach, wo wir ähnlich wie zum Beispiel die Bonnerinnen und Bonner schlimme Erfahrungen mit dem Auftreten von Salafisten, von Hasspredigern und Ähnlichem mehr gesammelt haben. Ich glaube, wir müssen mit diesem Phänomen alle gemeinsam ernsthaft und unter Ausschöpfung aller rechtsstaatlichen Mittel umgehen. Insofern trennt uns da gar nichts.

Ich kann als Demokrat nicht hinnehmen, dass Menschen, die demokratiefeindlich sind, die die Menschenrechte missachten, die den Rechtsstaat ablehnen, die Frauen und Mädchen das Recht auf Selbstbestimmung und Bildung absprechen, und die nicht davor zurückschrecken, ihre Ziele mit Gewalt und unter Einsatz terroristischer Mittel umzusetzen, in unserem Lande die Möglichkeit zur Betätigung gegeben wird. Deshalb sind wir da ganz nahe beieinander, liebe Kolleginnen und Kollegen. An dieser Stelle haben Sie die SPD bei sich.

Ihr Antrag ist in diesem Teil also dem Verfassungsschutzbericht entlehnt. Bei dem allerdings, was Sie dann an Konsequenzen fordern – ich habe gehört, Herr Dr. Stamp, dass Sie sich mit dem Thema „Salafismus“ auch auf Fachtagungen intensiv beschäftigt haben –, wäre es hilfreich gewesen, sich auch mal damit zu beschäftigen, was wir in Nordrhein-Westfalen tatsächlich schon machen.

Ich bin stolz darauf, sagen zu dürfen, dass wir in Nordrhein-Westfalen besser aufgestellt sind, als das in vielen anderen Bereichen unserer Republik der Fall ist.

Wir haben insbesondere damit zu kämpfen, dass junge Menschen sich verführen lassen, und zwar von Leuten, die einfache Lösungen anbieten. Diese Leute gehen einfach hin und nutzen Sinnkrisen von jungen Leuten aus, um sie zu rekrutieren.

An dieser Stelle muss man sagen: Jawohl, wenn es begründete Anlässe gibt, muss man Veranstaltungen verbieten – Klammer auf: das wird gemacht; die zuständigen Behörden von Land und Kommunen kümmern sich gemeinsam darum – und muss man, wenn es möglich ist, Vereinsverbote aussprechen. Leider ist das Land häufig nicht zuständig. Ich habe selber vor Ort die Erfahrung gesammelt, dass man manchen Verein gerne verbieten möchte, dass dieser sich dem Verbot aber durch eine kurzfristige Selbstauflösung entzieht.

Die Frage ist, ob wir dann wehrlos sind. Ich würde diese Frage mit Nein beantworten. Man muss sich nämlich – und das fehlt, zwar nicht in Ihrem Wortbeitrag, aber in dem Antrag, ganz substanziell, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP – neben dem Ausschöpfen aller rechtsstaatlich gebotenen repressiven Mittel auch um die Ursachen kümmern,

(Beifall von den GRÜNEN)

um die Ursachen, die junge Menschen dazu bringen, sich einer solchen menschenverachtenden Ideologie hinzugeben. Das machen wir – Sie haben darauf hingewiesen – in Nordrhein-Westfalen auch.

Es gibt langfristig keine rein repressiv orientierte Strategie, um mit diesem Phänomen umzugehen. Wenn wir das Nachwachsen von solchen jungen Menschen und gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse im Nahen Osten die Ausreise von solchen jungen Menschen verhindern wollen, müssen wir früher und auf andere Art und Weise zivilgesellschaftlich, unterstützt vom Staat, Prävention betreiben.

„Wegweiser“ ist der richtige Weg. Ich hoffe, dass wir uns im Ausschuss gemeinsam darüber unterhalten werden, wie wir auch diesen Weg ausbauen.

Das fehlt in Ihrem Antrag aber völlig. Insoweit ist er zwar eine gute Gesprächsgrundlage, und wir wollen uns dem Gespräch auch gerne stellen. Aber der Antrag fordert auf der einen Seite das von uns, was wir ohnehin machen, und hat auf der anderen Seite den erheblichen Mangel, dass Sie auf Prävention komplett verzichten wollen. Insoweit ist er zwar ein guter Anlass für eine substanzielle Diskussion. Aber das, was Sie verlangen, machen wir schon, und das, was wir gemeinsam noch machen müssten, verlangen Sie nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: In diesem Moment – fast schon in der Nachspielzeit – wird eine Kurzintervention angemeldet, Herr Körfges. Herr Dr. Stamp hat sich gemeldet.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Pas de problème!)

– Ja, das kriegen wir hin.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Körfges, es ist so, dass Polizei und Ordnungsbehörden vor Ort zum Teil schlichtweg nicht einschätzen können, wie sie vorgehen können. Wir haben das in Bonn gerade bei dem neuen Phänomen der Grillfeste erlebt. Dort wird seitens der Kommunen auch argumentiert, es handele sich um religiöse Veranstaltungen, gegen die man nicht vorgehen könne. Insofern ist es schon die Aufgabe des Landes, den Kommunen klare Leitlinien an die Hand zu geben und die Kommunen stark zu machen, damit solche Veranstaltungen vor Ort unterbunden werden können.

Ich habe Ihnen hier in keiner Weise unterstellt, untätig gewesen zu sein, sondern ausdrücklich anerkannt, dass vom Land bereits Initiativen ergriffen worden sind. Ich habe allerdings auch gesagt, dass das Projekt „Wegweiser“ zu wenig ist und dass wir noch kein Aussteigerprogramm haben.

Vor allem haben wir – darauf sind Sie nicht eingegangen – noch keine Strategie zum Umgang mit den rückkehrenden Dschihadisten. Das ist ein Riesenproblem. Die Menschen bei uns zu Hause haben richtig Angst. In Bonn hätten wir beinahe eine Explosion gehabt – vielleicht nicht so groß wie in Madrid oder in London, aber möglicherweise mit zahlreichen Toten. Das haben wir sehr bewusst vor Augen. Ich bitte, auch darauf einzugehen. – Danke schön.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Kollege Dr. Stamp, ich bin dankbar dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, das noch mal auszuführen. Eines unterscheidet uns womöglich in der Analyse. Ich bin an dem Thema schon lange dran

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Haben wir hier noch nicht mitbekommen!)

und habe mehrfach versucht, mit den vor Ort Tätigen sowohl in der Kommune als auch im Polizeibereich die Dinge zu diskutieren und zu erreichen, dass vor Ort über Veranstaltungsverbote nachgedacht wird.

Das Problem ist nur folgendes: Sie müssen konkrete Anhaltspunkte haben. Aber jede Veranstaltung ist anders. Da kommt es auf den ganz konkreten Einzelfall an. Zum Beispiel stellt sich die Frage der Religionsfreiheit immer mal wieder abstrakt im Vorhinein. Sie können nur leider nicht – das ist die Krux bei der ganzen Sache – aufgrund von Mutmaßungen von vornherein – denn dann werden die Verwaltungsgerichte entsprechend entscheiden – etwas untersagen. Das ist schlimm. Der Rechtsstaat gilt mit seinen Vermutungen aber leider auch für diese Menschen.

Darüber hinaus bin ich extrem dankbar für Ihre Ausführungen, weil das alles das beinhaltet, was wir mit der Frage des Ausstiegs verbinden. In diesem Zusammenhang lade ich herzlich zur nächsten öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums ein. Alles das beinhaltet die Frage: Wie gehen wir mit diesen traumatisierten, vom Bürgerkrieg gezeichneten jungen Menschen, die verlockt worden sind, sich dahin zu begeben, um? Wie verhindern wir ein weiteres Einsteigen in die Szene?

Wenn das Ihr Ansatz ist, diskutiere ich mit Ihnen im Ausschuss sehr gerne auch über Weiteres; denn das ist das wichtigste Problem überhaupt, glaube ich. Aus dem, was in Ihrem Antrag steht – und nur darüber reden wir hier im Augenblick –, kann man das aber leider nicht so herleiten. Insoweit sind wir gerne auch zu einer Ausweitung der Aktivitäten bereit. Ich denke, dass der Minister an dieser Stelle für eine große Unterstützung aus dem Haus dankbar ist. Wir sollten einen gemeinsamen Schulterschluss hinbekommen; denn das eint uns alle.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, die 90 Sekunden sind vorbei.

Hans-Willi Körfges (SPD): Wir wollen verhindern, dass immer mehr junge Menschen zum Opfer dieser verdammten Verführerinnen und Verführer werden. – Danke.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofi-zadeh [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Körfges. – Als nächster Redner spricht Herr Kruse für die CDU-Fraktion.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sowohl die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre als auch die Berichterstattung zahlreicher Zeitungen in der Vergangenheit verdeutlichen, dass der Salafismus in Deutschland die am schnellsten wachsende islamistische Bewegung ist. So hat auch der Innenminister unseres Landes die Zahl der extremistischen Salafisten in der Vergangenheit bedauerlicherweise immer wieder nach oben korrigieren müssen.

Ich darf in Erinnerung rufen, dass sich das Personenpotenzial der salafistischen Szene in Nordrhein-Westfalen seit 2010 mehr als verdreifacht hat. Während der NRW-Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 noch von ca. 500 Salafisten ausging, muss für das Jahr 2014 mit ca. 1.800 Salafisten gerechnet werden.

Bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes vom 19. Mai 2014 musste Herr Minister Jäger leider einräumen, dass inzwischen 40 salafistische Netzwerke allein bei uns in Nordrhein-Westfalen existieren.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, losgelöst von den Schwierigkeiten einer exakten Messung der Gewaltbereitschaft extremistischer Salafisten, sind sich, so hoffe und glaube ich, alle Fraktionen hier im Landtag darin einig – die Ausführungen und die Beiträge der Kollegen Stamp und Körfges haben das erfreulicherweise verdeutlicht –, dass wir nicht nur in einer freiheitlich-demokratischen und streitbaren, sondern auch und nicht zuletzt in einer abwehrbereiten Demokratie leben. Unsere wehrhafte Demokratie begründet ein Interesse der Allgemeinheit, jede Art von Extremismus zu unterbieten. Von daher unterstützt die CDU-Fraktion dem Grunde nach den vorliegenden Antrag der FDP.

Ich darf in der gebotenen Kürze darauf hinweisen, dass der Salafismus eine außerordentlich extreme, eine außerordentlich konservative Denkweise im Islam beschreibt. Er steht in einem eklatanten Widerspruch zur verfassungsmäßigen Ordnung. Über allem steht der Koran, der streng und wörtlich ausgelegt wird. Alle Anpassungen an veränderte gesellschaftliche Gegebenheiten werden konsequent abgelehnt.

Und das Wort „Dschihad“ benennt sowohl den Krieg gegen Ungläubige, als es auch für fromme Muslime den inneren Kampf um den richtigen Weg des Glaubens beschreibt.

Ich möchte auch auf einen Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 21. Juni hinweisen. Darin wird nämlich beschrieben, dass aus Europa kommende Dschihadisten im syrischen Kampf ihre Ausweise häufig vor der Schlacht abgeben würden. Sofern sie im Kampf getötet werden, würden ihre Pässe dann an Dschihadisten mit ähnlichem Aussehen weitergegeben, die fortan Reisefreiheit in ganz Europa genießen.

Konkret gefragt – vielleicht können Sie, Herr Minister, dazu in dieser Plenarsitzung etwas sagen –: Liegen den NRW-Behörden Erkenntnisse über solche Praktiken vor? Dass sich entsprechende Reiseaktivitäten überhaupt unter den Augen des Staates vollziehen, ist aus meiner Sicht skandalös. Es reicht auch nicht aus, dass Innenminister Jäger diesbezüglich regelmäßig auf die rechtlichen Hürden für eine Passentziehung oder die Möglichkeit der Einreise nach Syrien über die Türkei mittels Personalausweis hinweist. Hier muss in der Tat mehr passieren als das Zurückziehen hinter formaljuristische Argumente.

Ausdrücklich betonen möchte ich zum Abschluss, dass wir als CDU-Fraktion sehr begrüßen, Herr Minister Jäger, die Einigkeit der Innenminister in Deutschland auf der letzten Innenministerkonferenz, wie vor einigen Wochen verdeutlicht wurde, den Kampf und ihre Entschlossenheit gegen gewaltbereite Salafisten zu intensivieren.

In der Tat muss es eine Verbesserung der Erkenntnislage über die radikalsalafistische Szene geben. Das geht nicht nur bei uns im Land alleine; dazu sind alle Innenminister, dazu sind alle 16 Länder und darüber hinaus gefordert. Wir sind uns, glaube ich, auch einig darin, dass diese Einigkeit in Deutschland insgesamt aber auch beinhaltet, dass es eine Intensivierung und eine Verstärkung – ja, Herr Kollege Stamp, Sie schreiben von einem aktiven Tätigwerden – bei den zuständigen Behörden in unserem Bundesland geben muss.

Es liegt aus unserer Sicht auch im Interesse der großen Mehrheit der friedlichen Muslime in Nordrhein-Westfalen, dass wir alle rechtlichen Möglichkeiten zur Unterbindung und Bekämpfung salafistischer Bestrebungen in unserem Verantwortungsbereich ergreifen. Von daher begrüßen wir – ich sage es nochmals – dem Grunde nach diesen Antrag und freuen uns natürlich auf die entsprechenden weiteren Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Kruse. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede betonen – dahinter können wir uns sicherlich alle sammeln –, dass wir angesichts eines Erstarkens antimuslimischer Einstellungen in der Gesellschaft, angesichts dessen, dass rechtsextremistische Parteien immer mehr auf das Thema „islamfeindliche Hetze“ setzen, wie sie es auch im Kommunal- und im Europawahlkampf getan haben, deutlich machen müssen, dass Musliminnen und Muslime, die hier friedlich leben, Teil unserer Gesellschaft sind, sich für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit einsetzen, mit diesen Salafisten überhaupt nichts zu tun haben. Ich finde, das müssen wir immer wieder verdeutlichen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Eines ist hier schon deutlich geworden, nämlich dass es sich beim Salafimus um die bundesweit am schnellsten wachsende verfassungsfeindliche Bestrebung handelt. Im Jahre 2013 sind die Zahlen auf 1.500 Personen angestiegen. Im Mai 2014 waren es bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts bereits 1.800 Personen.

Zum einen haben wir es tatsächlich mit einem wachsenden Zulauf zu tun; auf der anderen Seite erhellt sich nach und nach natürlich auch ein Dunkelfeld. Und es ist erst einmal gut, dass dieses Dunkelfeld erhellt wird.

Klar ist aber, von diesen Salafisten geht eine Gefahr für unsere Gesellschaft aus. Salafisten sind antidemokratisch. Sie sind verfassungsfeindlich. Sie treten ein gegen unsere demokratische, unsere pluralistische Gesellschaft. Deshalb ist es richtig, dass Verfassungsschutz und Polizei diese Salafisten im Blick haben.

Mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz, das wir im letzten Jahr verabschiedet haben, haben wir auch noch einmal klargemacht: Der Verfassungsschutz muss ganz besonders gewaltorientierte Bestrebungen im Blick haben und seinen Fokus beim Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln genau auf diesen Bereich lenken.

Das Problem, über das wir hier reden, ist nicht nur ein Problem der Sicherheitsbehörden. Sie haben erkannt, dass wir hier eine Gefahr haben. Sie haben schon vor Jahren davor gewarnt. Wir haben die Verfassungsschutzberichte. Wir haben auch die Berichte aus dem polizeilichen Bereich.

Worauf es mir ankommt, ist, dass wir das Thema nicht nur als sicherheitspolitische Frage verstehen, sondern dass wir es gesamtgesellschaftlich betrachten. Darauf komme ich gleich auch noch zurück.

Ich will zunächst zwei Sätze zum Thema „Vereinsverbote“ und zum Thema „Ausreisen“ sagen. Sie tun in Ihrem Antrag fast so, als hätte es noch nie Vereinsverbote gegeben. Das stimmt aber nicht. Es hat Vereinsverbote gegeben. Im Regelfall ist es aber so, dass diese Gruppierungen, diese Vereine bundesweit agieren. Dann ist der Bundesinnenminister zuständig und nicht das Land.

Ich gehe aber sehr wohl davon aus, dass auch Informationen vom Verfassungsschutz und Polizeibehörden auf Landesebene kommen, die mit in die Lagebewertung auf Bundesebene und mit in die Verbotsverfahren auf Bundesebene einfließen.

Aber – das muss man ehrlicherweise auch sagen – man muss außerdem darüber diskutieren, wie wirksam Verbote von Vereinen eigentlich sind, und zwar besonders in diesem Bereich, von dem wir wissen, dass es dort auch Netzwerkstrukturen gibt. Ich finde, das muss man besonders kontrovers diskutieren.

Zum Thema „Ausreisen“: Wir wissen, dass ein Sicherheitsrisiko besteht, wenn Menschen, die in Syrien gekämpft haben, nach Deutschland zurückkommen. Sie haben den Umgang mit Waffen und Sprengstoff gelernt, haben Kampferfahrung gesammelt und sind in der Regel radikalisiert und angesichts von Erlebnissen in den Kriegsgebieten natürlich auch traumatisiert. Auf der letzten IMK, die hier in Nordrhein-Westfalen stattgefunden hat, war genau das Thema. Dazu wird wahrscheinlich der Innenminister noch etwas sagen. Die IMK hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um speziell die Frage zu diskutieren: Wie kann man Ausreisen verhindern?

Deshalb läuft Ihre Forderung im Antrag meiner Meinung nach ein Stück weit ins Leere. Denn das, was Sie fordern, wird schon längst diskutiert und bearbeitet. Was ich jedoch an Ihrem Antrag fatal finde: Sie reden nur über Repression. Wir haben es jedoch hier mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun. Hierbei geht es nicht nur um Repression. Es geht vielmehr um die Frage: Was sind denn die Ursachen?

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Sie haben es in Ihrer Rede angesprochen, aber nicht in Ihrem Antrag. Das ist das Problem.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Und bei der Beratung im Ausschuss!)

Das ist viel zu kurz gegriffen. Ich finde, man muss sich mit den Fragen und Ursachen auseinandersetzen. Auch für unsere Gesellschaft ist es nicht immer unbedingt bequem, zu hinterfragen, warum sich junge Menschen, insbesondere Männer, aber auch Frauen – auch das ist ein wichtiger Aspekt –, von der demokratischen Gesellschafft abwenden.

Außerdem müssen wir uns mit der Frage beschäftigen: Warum schaffen wir es eigentlich nicht, genau diesen Menschen eine Perspektive zu bieten und Anerkennung zu geben, sodass sie sich nicht den Salafisten anschließen?

Diese Fragen stellen sich nicht nur in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch in Bezug auf deutsche Konvertiten. Auch bei diesen müssen wir uns die Frage stellen: Warum schaffen wir es eigentlich nicht, dass diese Menschen sich in unserer Gesellschaft anerkannt fühlen und ein Gemeinschaftsgefühl erfahren?

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Fragen sind, wie gesagt, unbequem, aber man muss sie stellen, wenn man die Ursache an der Wurzel bekämpfen will.

Die gute Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden und Moscheen, die wichtige Verbündete in der Bekämpfung des Salafismus darstellen, ist für uns elementar. Genau dort setzt das Präventionsprojekt „Wegweiser“ des Innenministeriums an. Es ist ein bundesweit einmaliges Projekt und erst der Anfang. Das muss – in dieser Hinsicht haben Sie recht – ausgebaut werden. Dieses Ziel teilen wir.

Man muss jedoch erst einmal Folgendes festhalten: Wir haben in Nordrhein-Westfalen immerhin ein Präventionsprojekt auf die Beine gestellt. Ich finde, genau an dieser Stelle müssen wir gemeinsam weiterdiskutieren. Das gilt aber nicht nur für den Innenausschuss – auch das finde ich wichtig –, sondern auch für den Integrationsausschuss, den Schulausschuss und viele andere, die in diesem Themenbereich angesprochen sind. Ich glaube, wir kommen in diesem Themenfeld nur weiter, wenn wir es gesamtgesellschaftlich betrachten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Als Nächstes spricht Herr Kollege Schatz für die Piratenfraktion.

Dirk Schatz (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Stamp, Ihre Rede gerade war zumindest versöhnlicher als der Antragstext. Als ich mir den Antrag durchgelesen habe, dachte ich zuerst, die Verwaltung hätte sich vertan und einen falschen Antragsteller hingeschrieben. Es hätte eigentlich die CDU sein sollen.

Sie suggerieren, dass die Behörden nichts oder zumindest zu wenig tun würden. Ich möchte das Problem nicht kleinreden. Es gibt eine Gefahr. Darüber sind wir uns, denke ich, alle einig. Wir reden von ca. 1.500 salafistischen Extremisten in NRW. Ich glaube, bundesweit sind es aktuell ca. 4.500 Salafisten. Wir können nicht wegsehen und sagen: Das Problem wird sich von allein lösen. Das wird es auf keinen Fall.

Wenn ich mir aber beispielsweise im Vergleich dazu die Zahlen von Rechtsextremisten anschaue, die aktuell über ein Personenpotenzial von ca. 20.000 Personen verfügen, die vor einigen Jahrzehnten sogar noch über ein Vielfaches davon verfügt haben, die in Parlamenten sitzen und – was das Gewaltpotenzial angeht – den salafistischen Extremisten sicherlich in nichts nachstehen und es trotz alledem seit Jahren nicht geschafft haben, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen, kann man bei dieser vergleichsweise kleinen Zahl salafistischer Extremisten sicherlich nicht behaupten, die Behörden würden das Risiko unterschätzen und zu wenig dagegen tun. Das ist meiner Ansicht nach zumindest im repressiven Bereich nicht der Fall. Denn die Methoden, dies zu verhindern, sind in beiden Bereichen im Prinzip dieselben.

Eines muss ich unserem Innenminister lassen: Repression kann er.

(Beifall von den PIRATEN)

Wissen Sie, was neben diesen ganzen Tätigkeiten der Behörden noch entscheidend dazu beigetragen hat, dass der Rechtsextremismus in Deutschland nie richtig Fuß fassen konnte und die Zahlen seit Jahren sogar rückläufig sind? – Ganz einfach: Das war die Sensibilisierung der Gesellschaft für dieses Thema durch präventive Maßnahmen. Es gibt Aussteigerprogramme, das Thema wird an den Schulen herauf- und herunterdiskutiert, es gibt finanzielle Hilfen für Sozialarbeiter, für Hilfsorganisationen in diesem Bereich, die Medien machen entsprechend darauf aufmerksam und so weiter und so fort.

Gerade bei einem Thema wie dem Salafismus, der nun einmal eine vergleichsweise neue Erscheinung ist und erst in den Anfängen steckt, wären mehr präventive Maßnahmen das richtige Mittel, damit sich junge Menschen gar nicht erst radikalisieren. Warum werden junge Menschen denn überhaupt so?

(Beifall von den PIRATEN)

Es hat doch einen Grund, dass sie so werden. Wir müssen gerade jetzt, in dieser Anfangsphase, ansetzen. Zur Prävention – das haben Frau Schäffer und auch Herr Körfges richtigerweise erwähnt – steht in Ihrem Antrag jedoch nicht ein einziges Wort. Sie haben es gerade in Ihrer Rede erwähnt, das will ich Ihnen lassen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Im Gegensatz zu Ihnen machen wir auch keine direkte Abstimmung!)

– Ja, aber wir stimmen hier nicht über Reden ab, sondern über Anträge, und in Ihrem Antrag steht kein einziges Wort zur Prävention. So einfach ist das. Glauben Sie, dazu kommt noch etwas? – Nein, im Gegenteil. Sie wollen nur Repression, und Sie fordern sogar noch eine Stärkung des Verfassungsschutzes.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Dann haben Sie nicht zugehört!)

– Na klar. Sie wollen dem Geheimdienst noch mehr Befugnisse geben. Das sind die Forderungen, die ich mir von einer liberalen Partei wünsche.

(Beifall von den PIRATEN)

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein, zwei Worte über Ihre Verbotsforderungen verlieren. Gerade haben Sie auch gesagt, es würde nichts getan, was Verbote angeht. Tatsächlich gab es bundesweit bereits einige Versuche, derartige Veranstaltungen zu verbieten. Das wurde von den Gerichten aber bisher immer abgelehnt. Ich möchte Ihnen drei Beispiele nennen: Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 30. Mai 2014, einen Tag später Oberverwaltungsgericht Bremen, Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. September 2013.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Bei allen diesen Entscheidungen möchte ich ausdrücklich nicht den Gerichten den Schwarzen Peter zuschieben und sagen: Diese sind Schuld, dass Salafisten ihre Veranstaltungen durchführen können. – Natürlich nicht. Die machen das, weil die Grundrechte dies vorsehen. Dabei stützen sie sich auf Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die völlig zu Recht existieren. Denn auf solchen Veranstaltungen werden – anders als in Ihrem Antragstext ausgeführt – gerade keine Straftaten verübt. Denn zur Wahrung der Grundrechte ist die Wahrung der Demokratie nun einmal essenziell wichtig, und das wollen Sie als liberale Partei laut Ihrem Antragstext ändern. Dazu sage ich: Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass wir bei aller unterschiedlichen Bewertung von einzelnen Textteilen eines Antrages hier im Plenum relativ einer Meinung sind. Der Salafismus ist die am dynamischsten wachsende islamistische, gewaltbereite Strömung innerhalb der islamistischen Szene. Sie bereitet uns erhebliche Sorgen, nicht nur in Nordrhein-Westfalen – ich darf das als Vorsitzender der Innenministerkonferenz sagen –, sondern genauso in allen anderen Bundesländern und auch bei meinem Kollegen Bundesinnenminister.

Diese Ideologie scheint zurzeit für junge Männer äußerst attraktiv. Das erklärt den Zulauf. Diese Ideologie verspricht jungen Männern, die sich in einer Werte-, in einer Orientierungskrise befinden, auf alle Fragen des Lebens umfassende Antworten zu erhalten. Voraussetzung ist, man lässt sich auf diese Ideologie vollständig ein, stellt den Lebenswandel um und orientiert sich nur noch in diese Szene. Das geht bis dahin, dass diese salafistische Szene bei Veranstaltungen allein schon dadurch erkennbar ist, dass man andere Frisuren, andere Bärte, andere Kleidung trägt, also auch sehr offensiv nach außen die Zugehörigkeit zu dieser Strömung manifestiert.

Alle elf versuchten Terroranschläge in Deutschland hatten salafistische Bezüge. Ich glaube, keinem muss mehr erklärt werden, welche Gefahr von dieser Strömung ausgeht, sondern es geht um die Diskussion darüber – so verstehe ich auch Ihren Antrag –, welche Mittel zur Verfügung stehen, welche Mittel möglicherweise noch geschärft werden müssen, welche Instrumente geschärft werden müssen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Wir müssen als Rechtsstaat sehr genau darauf achten, dass wir einerseits die Möglichkeiten, die wir haben, ausnutzen, andererseits aber immer sehr genau abwägen, ob weitere gesetzliche Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden sollen. Ich nehme ein Beispiel, Herr Dr. Stamp, das wir auf der letzten Innenministerkonferenz in Bezug auf ausreisende Syrer in den Dschihad diskutiert haben.

Das Problem ist: Man kann in Deutschland Menschen den Pass entziehen. Das tun wir auch, wenn die Sicherheitsbehörden Kenntnis darüber haben, dass es beabsichtigt ist, nach Syrien auszureisen und dort am Dschihad teilzunehmen. Die Drehscheibe dabei ist in der Regel die Türkei. Dann wird, sofern dies möglich ist, im Rahmen des Passgesetzes der Pass entzogen und ein Ausreiseverbot verhängt. Das hat auch in Teilen gefruchtet.

Aber wir müssen auch anerkennen, dass rund 90 % derer, die der salafistischen Szene angehören und nach Syrien ausreisen, Deutsche mit einem deutschen Personalausweis sind. Und das Reisen innerhalb Europas mit einem deutschen Personalausweis in die Türkei ist jederzeit möglich.

Wir haben auf der Innenministerkonferenz sehr intensiv diskutiert, ob man das Passgesetz ändern müsse. Das wäre im Hinblick auf diese Szene in der Tat ein Hilfsmittel. Aber ich sage auch immer: Der Rechtsstaat muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, ob ein solches Instrumentarium, einem deutschen Staatsbürger den Personalausweis zu entziehen und damit jede Möglichkeit von Freizügigkeit zu nehmen, genutzt wird, sehr genau abwägen. Diese Diskussion müssen wir noch führen.

Wir haben auch schon festgestellt – so Vorredner von mir, insbesondere Herr Körfges –, dass wir nicht nur den Blick auf Repression lenken dürfen, sondern wir müssen insbesondere die Prävention ins Auge fassen. Da unterscheiden wir uns auch nicht in der Haltung, Herr Dr. Stamp. Ich glaube, dass wir mit dem Projekt „Wegweiser“, das bundesweit bisher einmalig ist – ich werbe bei meinen Innenministerkollegen der anderen Länder, Ähnliches aufzulegen –, einen wichtigen Schritt gehen, der nicht zu unterschätzen ist. Wir haben die Informationen, wenn es droht, dass junge Männer in diese Szene abgleiten, weil Lehrer, Familienangehörige, Eltern, Geschwister sagen: Unser Sohn, unser Bruder verändert sich plötzlich. – Wir haben dann zwar diese Information, aber wenige Kulturtechniken hinsichtlich Sprach- und Religionskenntnissen, um tatsächlich einer solchen Gefahr wirksam begegnen zu können. Deshalb sind diese örtlichen Netzwerke gemeinsam mit Moscheevereinen, gemeinsam mit Imamen wichtig, damit wir diese Kompetenz in solchen Netzwerken auch tatsächlich verankert haben und auf diesen jungen Mann eingewirkt werden kann.

Was die Rückkehrer angeht, Herr Stamp, teile ich Ihre Einschätzung, dass das uns allen große Sorgen macht. Dabei sollen die Rückkehrer aber auch nicht pauschaliert werden. Die einen kommen wirklich traumatisiert aus Kriegserlebnissen zurück. Die anderen kommen desillusioniert zurück, weil sie festgestellt haben, dass sie eigentlich nur als Kanonenfutter missbraucht werden. Aber es kommen auch welche zurück, die zusätzlich radikalisiert, zusätzlich verroht sind und Kenntnisse im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen haben. Und die stellen in der Tat ein Sicherheitsrisiko dar. Die müssen – so schwierig es ist – die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Blick behalten, weil, wie ich eingangs gesagt habe, das eine dynamisch wachsende Szene ist. Diese gewaltbereiten Rückkehrer gelten dort als Helden.

Ich freue mich auf eine intensive Diskussion im Fachausschuss und hoffe, dass der Haushaltsgesetzgeber unsere Bestrebungen in diesem Bereich nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern in ausreichendem Maße unterstützt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/6127 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

4   Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes – 14. Rundfunkänderungsgesetz –

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4950

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6204 – Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6218

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/6137

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Beitrag zu Vielfalt und Qualität im Journalismus leisten – Gemeinnützigkeit von Journalismus anerkennen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6130

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Vogt das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung, einer immer schneller werdenden technischen Entwicklung und eines dramatischen Wandels in der Mediennutzung hat die Politik die Aufgabe, eine Reihe von Fragen zu beantworten, beispielweise: Wie halten die Mediengesetze den Anforderungen der Zukunft stand?

Wenn wir uns ansehen, das Web-Radios entstehen, sich die Zeitungslandschaft dramatisch ändert, neue Endgeräte vorhanden sind, müssen wir uns fragen: Welche Spielräume können wir den Medienunternehmen in NRW eröffnen? NRW ist Medienland Nummer eins. Wir haben 25.000 Medien- und Kommunikationsunternehmen mit mehr als 400.000 Mitarbeitern. Das fängt bei Filmproduzenten an, geht weiter über erfolgreiche Verlage und TV-Sender bis hin zur wachsenden Games-Industrie.

Eine weitere Frage ist: Wie können wir gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Interessen optimal austarieren? Denken wir einmal an die Zusammensetzung der Gremien und an Themen wie die Netzneutralität.

Was soll eigentlich ein Landesmediengesetz angesichts bundes- und europarechtlicher Vorgaben und Entwicklungen leisten? Was kann zum Beispiel über die LfM und über Satzungen geregelt werden?

Diese ganzen Fragestellungen haben Sie als CDU, als FDP sich auch schon zu Ihrer Regierungszeit gestellt. Es sind eine Reihe neuer Fragen hinzugekommen. Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Gesetzentwurf gute und zeitgemäße Antworten gefunden haben. Das wurde auch in der Sachverständigenanhörung deutlich.

Was die Sachverständigenanhörung angeht, möchte ich an Dr. Tobias Schmid von RTL oder auch an den Direktor der Landesanstalt für Medien erinnern, die von einem guten Gesetzentwurf sprachen, der in die richtige Richtung geht.

Der Deutsche Journalistenverband lobt den Gesetzentwurf und nennt insbesondere die Stiftung als einen wichtigen Bestandteil. Sogar der VPRT hat am Donnerstag im Medienausschuss den Gesetzentwurf positiv erwähnt und zuvor von einem mutigen und innovativen Gesetzentwurf gesprochen, mit dem neue Wege beschritten werden.

Sie merken: Es lohnt sich, genauer hinzusehen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung hat drei große Ziele: Vielfalt fördern, Partizipation ermöglichen und Transparenz stärken.

Wenn wir uns ansehen, wie dieser Gesetzentwurf entstanden ist, dann stellt man fest, dass dort neue Wege beschritten wurden. Die Landesregierung hat einen ersten Arbeitsentwurf ins Netz gestellt. Dort fand eine Onlinekonsultation statt: Vereine, Organisationen, Unternehmen, aber auch Bürger konnten sich beteiligen. Und mit über 500 Kommentaren und Stellungnahmen war es ein erfolgreicher Prozess. Dieser Prozess wurde immer wieder kritisiert, insbesondere von CDU und FDP. Wir haben uns natürlich gefragt, was Sie eigentlich so geärgert hat. Denn wir schaffen mehr Transparenz, wir wollen Menschen beteiligen.

Dann haben wir festgestellt, dass Sie auch eine Onlinekonsultation zum Landesmediengesetz hatten, und zwar über die gleiche Zeit, vier Wochen, zwei Wochen in den Ferien, fast identisch. Das war 2009. Sie erhielten 40 Anregungen; wir hatten 591 bekommen. Das erklärt wohl, warum Sie sich über diesen erfolgreichen Prozess der Landesregierung so ärgern.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Im Anschluss an diesen Onlinekonsultationsprozess wurde dieser Gesetzentwurf eingebracht. Wir hatten eine umfangreiche Anhörung. Mehr als 25 Experten haben Stellungnahmen und Ideen beigetragen. In der Zwischenzeit ist noch etwas passiert: Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil zum ZDF-Staatsvertrag gefällt. Dieses Urteil gibt uns Hinweise, was wir an diesem Gesetzentwurf, der durch die Landesregierung eingebracht wurde, noch verändern und in Bezug auf die Auswahl und Zusammensetzung von Gremien und Transparenzvorschriften noch verbessern können. Darum haben wir heute auch einen Änderungsantrag eingebracht, der zum großen Teil auf diese Anforderungen eingeht.

Aber schauen wir uns erst einmal den Gesetzentwurf an. Er sieht vor, das einmalige System, das System, das wir an Lokalradios in Nordrhein-Westfalen mit den 44 Sendern haben und das in keinem anderen Bundesland vorhanden ist, dass Journalisten vor Ort berichten und vor Ort recherchieren, weiter aufrechtzuerhalten.

Bei der Einbringung fand ich es schon bemerkenswert, dass der Kollege Nückel von der FDP an diesem Pult sagte, dass man dieses Radiomonopol aufbrechen müsse. Das müssen wir uns genauer vor Augen führen. Was heißt das denn, dieses Radiomonopol aufzubrechen?

Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen diese 44 Sender schützen, die vor Ort lokale Berichterstattung machen, die vor Ort ihre Redaktionen haben und die auch zur Vielfalt bei einem wegbrechenden Zeitungsmarkt beitragen. Und wir wollen dieses System stärken, meine Damen und Herren. Da sind wir von der FDP weit entfernt.

(Beifall von der SPD)

Wir haben in diesem Gesetzentwurf den Bereich der Frequenzvergabe. Auch hier wollen wir das private Hörfunksystem stärken. Und wir stärken auch die Landesanstalt für Medien, indem sie die Aufsicht über die Telemedien übertragen bekommt.

Wir haben den Bereich Partizipation, Beteiligung. Wir haben hierbei das Thema „Bürgermedien“. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Bürgermedien stärken wollen. Das wird mit diesem Gesetz geschehen. Es soll eine Onlineplattform geben, es wird einen Lehr- und Lernsender geben. Es gibt eine institutionelle Förderung finanzieller Art für Radiowerkstätten. Wir haben in diesem Gesetzentwurf einen zeitgemäßen Weg gefunden, indem man auch die Onlinekomponente mit einbezieht, Bürgermedien zu stärken.

Wir haben einen ganz wichtigen Punkt, vielleicht sogar den wichtigsten in diesem Gesetzentwurf verankert und auf die Situation am Zeitungsmarkt reagiert: Denn die gesamte Redaktion der „Westfälischen Rundschau“ ist in den letzten Monaten nicht mehr vorhanden. In der letzten Woche wurde eine Kooperation zwischen der „Rheinischen Post“ und der „NRZ“ angekündigt. Das heißt, dass auch dort weniger Medienvielfalt entsteht.

Die Politik hat die Aufgabe, sich in diesem Bereich Gedanken zu machen und Vorschläge zu unterbreiten. Der Gesetzentwurf sieht hierzu eine Stiftung für Vielfalt und Partizipation vor, eine Stiftung, die lokalen Journalismus stärken soll, die eine Diskursplattform ermöglichen soll, wie wir auch weiterhin in den Kommunen, in den Städten, im Land kommunizieren.

Das betrifft nicht nur Politik. Das betrifft Vereine, Verbände, genauso die Kirchengemeinde wie den Sportverein vor Ort, die nicht mehr innerhalb einer Stadt kommunizieren, ganz zu schweigen davon, dass lokaler Journalismus auch Politik und Wirtschaft kontrolliert und darüber berichtet.

Der FDP-Antrag, der gleichzeitig beraten wird, schlägt eine Gemeinnützigkeit von Journalismus vor. Bisher hatten wir von der Opposition nur Kritik an der Stiftung und nicht einen einzigen Vorschlag bekommen. Von daher bewerte ich es schon mal als positiv, dass die FDP – von der CDU haben wir bisher nichts dazu gehört – einen eigenen Vorschlag einbringt.

Ich denke, dass dieser Vorschlag diskussionswürdig ist, Herr Nückel, und als weiterer Baustein zu sehen ist, der neben der Stiftung diskutiert werden muss. Der Deutsche Journalisten-Verband sieht das genauso. Der Deutsche Journalisten-Verband spricht von einem weiteren Baustein. Aber die Arbeit von privatwirtschaftlich organisierten Medienunternehmen darf dadurch nicht ersetzt werden. Von daher ist das ein Punkt, den wir auch im Medienausschuss weiter diskutieren werden.

Angesichts des Staatsvertragsurteils und aufgrund von Anregungen aus der Onlinekonsultation sowie von Experten aus der Anhörung haben wir einen Änderungsantrag eingebracht. Dieser Änderungsantrag umfasst einige Punkte. Eine Reihe hiervon möchte ich Ihnen gerne erläutern.

Wir müssen, wie gesagt, auf das Staatsvertragsurteil reagieren und haben hier durch mehr Transparenz und erweiterte Veröffentlichungspflichten bei der LfM unseren Beitrag geleistet.

Wir haben die Aufgabe, Staatsferne zu erzeugen und einer sogenannten Versteinerung entgegenzuwirken. Das machen wir, indem wir die Medienkommission weiter ausbauen, indem wir sie anders zusammensetzen. Das betrifft einige neue Organisationen.

Wir haben auch zwei Vorschläge in unserem Änderungsantrag, um eine erhöhte Staatsferne zu erreichen. Der eine ist, dass sich Organisationen beim Landtag zusätzlich bewerben können und für eine Periode dann mit einer Zweidrittelmehrheit im Landtag bestimmt werden kann, wer an der Medienkommission teilnimmt und Vertreter in diese Kommission entsenden kann.

Wir schaffen darüber hinaus durch diesen Änderungsantrag die Möglichkeit, dass sich Einzelpersonen direkt bei der LfM bewerben können und die Medienkommission dann die Möglichkeit hat, Einzelpersonen auszuwählen, die auch in die Medienkommission aufgenommen werden.

Wir haben einen Änderungspunkt, was die Bürgermedien und hier den Bürgerfunk angeht. Es gab eine heftige Diskussion, die ja auch öffentlich geführt wurde. Wir haben hierbei einen guten Kompromiss gefunden. Die Bürgerfunkzeiten werden auf 20 Uhr statt auf 21 festgelegt. Das ist ein guter Kompromiss, der in den Stellungnahmen auch vom Journalistenverband und von den Chefredakteuren in den eigenen Sendern durchaus als Kompromiss gesehen wurde. Wenn man sich vor Ort in einem Sender auf andere Regelungen einigt, bieten wir natürlich die Möglichkeit, dass dort auch andere Regelungen getroffen werden können.

Wir haben ein ganz wichtiges Thema, was wir auch im Parlament schon öfter diskutiert haben, aufgenommen und der Landesanstalt für Medien durch diesen Änderungsantrag die Aufgabe mit auf den Weg gegeben, Netzneutralität als Thema vorzusehen. Dass die Netzneutralität, die diskriminierungsfreie Durchleitung von Daten im Internet, ein Themenfeld der LfM ist, ist ein Zeichen und reagiert auch auf die Anregung, die Herr Prof. Holznagel in der Anhörung eingebracht hat.

Wir haben im Änderungsantrag die Menschen mit Behinderungen bzw. Vertreter von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt, zum Beispiel in den Veranstaltergemeinschaften des lokalen Hörfunks.

Außerdem haben wir , wie wir auch im Ausschuss in den letzten Wochen diskutiert haben, die Anforderungen, was die Qualifikation von Mitgliedern angeht, die durch die Organisationen in die Medienkommission entsandt werden, geändert. Wir setzen hier darauf, dass ein eigener Anspruch der einzelnen Mitglieder und der Organisationen besteht, sich weiterzubilden und Qualifikationen einzubringen.

Insgesamt ist das ein guter Gesetzentwurf. Aufgrund unserer Änderungen sagen wir aus Parlamentssicht, dass wir noch einige Verbesserungen vorgenommen haben. Herzlichen Dank der Landesregierung, herzlichen Dank dem Koalitionspartner und den Experten, die sich eingebracht haben, und auch der Piratenfraktion, die mit auf diesen Änderungsantrag gegangen ist und Ideen eingebracht hat.

Wir haben die Fragestellungen, die ich am Anfang genannt habe, gut beantwortet. Wir haben sie zeitgemäß beantwortet. Wenn wir uns die Expertenanhörung ansehen, stellen wir fest: Ein Experte hat davon gesprochen, dass wir hiermit wohl das modernste Landesmediengesetz im Vergleich zu allen anderen Bundesländern bekommen. Das sehen wir auch so. NRW geht damit voran.

Wir werben um Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Prof. Sternberg das Wort.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Vogt, so viel Lob auf einmal – aber das kann man ja eigentlich auch erwarten. Aber dieses heftige Schulterklopfen zum Staatssekretär – na ja.

Ich habe die Frage, über was wir heute eigentlich diskutieren. Es war ein Gesetz angekündigt, und zwar mit großer Ankündigung transparenter Verfahren. Ein Onlinekonsultationssystem zum Referentenentwurf im vorigen Jahr war der Auftakt. Das sollte besonders transparent und offen behandelt werden. Daraufhin ist der Referentenentwurf zurückgezogen und überarbeitet worden. Alles völlig okay.

Der Gesetzentwurf wurde eingebracht, wurde beraten, und es gab am 8. Mai eine intensive Anhörung, deren Auswertung dann in der vergangenen Woche stattfand. In der Sitzung in der letzten Woche sagten Sie, Kollege Vogt, es gäbe noch einen Änderungsantrag, der sich auf die Besetzung der Medienkommission beziehe, und zwar als Konsequenz aus dem ZDF-Verfassungsgerichtsurteil zur Besetzung der Kommission.

Na ja, haben wir gedacht: Mal sehen, was da noch kommt. Wir waren ein bisschen überrascht, denn eigentlich ist aus dem Urteil des Verfassungsgerichts zum ZDF überhaupt nichts für die Medienkommission zu ziehen, auch nichts für den WDR-Rundfunkrat. Die sind alle völlig okay und auch nach dem Urteil okay. Es war ein bisschen überraschend, dass das kam. Nun gut, haben wir gesagt, sehen wir uns einmal an, was da kommt.

Dann kam gestern Mittag eine 28-seitige Änderungsvorlage zumindest für uns als die Fachsprecher. Diese Änderungsvorlage ist eine Tischvorlage für die Plenarsitzung. Das stelle man sich einmal vor! Da beginnt ein Prozess, der transparent angelegt ist, mit einem öffentlichen Konsultationsprozess und endet mit einer 28-seitigen Tischvorlage, die jetzt einmal eben durchgewunken werden soll. Meine Damen und Herren, das ist nicht Parlamentarismus.

(Beifall von der CDU)

Die Veränderungen, die in den 28 Seiten stehen, sind auch durchaus gravierend.

(Zuruf von der SPD: Der Inhalt macht es aus!)

Wenn man durchblättert, entdeckt man plötzlich massive Veränderungen. Da sollen zum Beispiel, wie ich finde völlig aus der Luft gegriffen, neue Voraussetzungen für den Direktor der Landesanstalt für Medien eingeführt werden, die sich wahrscheinlich nicht sachlich, sondern persönlich begründen lassen, um damit nur eine der vielen Nickeligkeiten in diesem langen Änderungsantrag zu nennen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: So ist das!)

Meine Damen und Herren, ich möchte auf das Ganze des Gesetzes zu sprechen kommen. Es handelt sich um die Novellierung eines im Großen und Ganzen gut funktionierenden Gesetzes. Das hat offensichtlich auch die jetzige Regierung eingesehen. Das Gesetz, das wir damals gemacht haben, ist ein gutes Gesetz. Auch die Landesmedienkommission, die Lokalfunkanstalten, Sie haben das gerade erwähnt, Herr Voigt, sind gut, und alles funktioniert gut. Das kann im Gesetz so bleiben.

Jetzt aber kommen neue Regelungen hinzu. Es entsteht eine neue Regelungsdichte. Die Frage ist: Ist eine solche Regelungswut eigentlich angemessen für einen Medienstandort und für eine Mediensituation, die sehr stark im Umbruch begriffen ist? Da habe ich meine Fragen.

Ich habe den Eindruck, es ist fast so, wie beim Hochschulgesetz, wenn auch nicht ganz so schlimm: möglichst viele Regulierungen, möglichst viele Detailsteuerungen. Dabei braucht diese Medienlandschaft weniger Detailsteuerungen und mehr Vertrauen in die Arbeit der Medienkommission der Landesanstalt.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: So ist es!)

Die Landesanstalt braucht fraglos die Kompetenz, wie es in einer der Änderungen heißt, Maßnahmen zur Sicherstellung von Netzneutralität zu treffen. Damit sind wir völlig einverstanden. Das ist eine ganz wichtige Formulierung, die sich innerhalb Ihrer 28 Seiten auf Seite 11 unter der Nummer 13 findet, allerdings mit sehr unklaren Ergänzungen. Diese muss ich überhaupt erst einmal richtig verstehen. Es stehen Sätze vor dieser Formulierung, die so schön klar ist und die wir übrigens alle kannten, bei denen ich erst nachprüfen muss, was das eigentlich heißt. Das ist in einen durchaus größeren Kontext gepackt, bei dem den Parlamentariern vielleicht auch zugute gehalten werden sollte, dass sie das in Ruhe lesen und darüber nicht von einem auf den anderen Tag mit Handhochheben abstimmen sollten.

Wer weiß, was man da noch alles entdecken kann? Wir sehen uns jedenfalls außer Stande, hier heute an diesem Tag ein Gesetz angemessen zu beraten, dessen Text durch die Tischvorlage derart gravierend verändert und ergänzt wird.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was Sie hier machen, ist ein Aushebeln des Parlamentes. Wir haben keine Beratungsmöglichkeiten: erst die Ankündigung der offenen Beteiligungsprozesse

(Zuruf von der SPD)

und jetzt die Überrumpelung des Parlaments. Ich fordere Sie auf: Ziehen Sie den Entwurf zurück. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf dort beraten, wohin er gehört, im Ausschuss. Rücküberweisen wir den Gesetzentwurf an den Ausschuss, und lassen Sie uns im Ausschuss über diese 28 Seiten Änderungsanträge beraten.

(Beifall von der CDU)

Ich sehe beim ersten Lesen durchaus, dass das meiste davon unstreitig ist.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Aber schon die Tatsache, dass wir solche Nickeligkeiten finden und es offensichtlich Fußangeln gibt, lässt uns erheblich daran zweifeln, ob hier nicht ganz bewusst in letzter Minute Formulierungen hineinkommen in dem Vertrauen darauf, dass das weder Opposition noch Presse merken.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Kernproblem des Gesetzes machen. Die vorgesehene „Stiftung für Partizipation und Vielfalt ist nicht zu verantworten. Sie möchten damit den Lokaljournalismus unterstützen, vor allen Dingen den Lokaljournalismus, aber eben auch den Journalismus der Zeitungen. Die Anhörung hat hinreichend deutlich gemacht, dass die Stiftung einer Beklagung nicht standhalten wird. Da deutet sich die nächste Klatsche an.

Sie haben in der Frage der Beamtenbesoldung nicht auf die einhellige Warnung der Gutachter gehört. Tun Sie das jetzt, sonst ist das nächste Scheitern programmiert.

Drei Gründe sprechen gegen diese Stiftung. Der gravierendste Fehler ist die Finanzierung aus Mitteln des Rundfunkbeitrags oder, korrekterweise, der Haushaltsabgabe. Herr Prof. Dr. Holznagel hat in der Anhörung gesagt, natürlich könne die Stiftung nicht die Presse unterstützen. Herr Prof. Dr. Gersdorf sagte: „Verfassungsrechtlich unhaltbar“. Ich zitiere am liebsten die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ von gestern, in der der entsprechende Artikel überschrieben war mit „Das Rettungspaket ist eine Bombe“. In dem Artikel wurde kurz und knapp formuliert, Frau Michel, die Justiziarin des WDR, nahm diese Stiftung verfassungsrechtlich nach allen Regeln der Kunst auseinander. Das hat sie auch getan.

Die Zweckbestimmung des Rundfunkbeitrags oder der Haushaltsabgabe ist nicht in unser Belieben gestellt. Die Rundfunkabgabe ist kein beliebig nutzbarer Posten. Das ist übrigens gesetzlich festgelegt. Das wissen Sie auch. 98 % müssen der Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, seiner Aufrechterhaltung und Sicherstellung dienen. 2 % können für andere Zwecke genutzt werden. Bei diesen anderen Zwecken nennt § 40 Rundfunkstaatsvertrag:

„Formen der nichtkommerziellen Veranstaltung von lokalem und regionalem Rundfunk und Projekte zur Förderung der Medienkompetenz können aus dem Anteil nach Satz 1 aufgrund besonderer Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber gefördert werden.“

Dort gibt es den Begriff der Medienkompetenz. In der Anhörung wurde deutlich gemacht, dass Medienkompetenz ein Begriff ist, der selbstverständlich vom Rezipienten her gedacht ist: Wie sind die Nutzer, die Hörer, die Leser, die Zuschauer in bestimmter Weise zu schützen und kompetent zu machen? Wie sind sie zu fördern? Das meint der Begriff der Medienkompetenz.

Wenn unter diesem Vorwand jetzt etwas für ganz andere Zwecke gemacht wird, könnte es eine Beklagung dieser Stiftung nicht nur aus der Richtung der Gebührenzahler geben, die gegen ihre Beitragsrechnungen klagen können, wahrscheinlich auch klagen werden. Es könnte auch Klagen unter den Ländern über die Frage der Bundestreue und darüber geben, ob die Bundestreue eingehalten ist, wenn man hier eine Regelung macht, die in anderen Ländern nicht gilt. Das ist alles schön dargestellt worden. Man braucht sich nur einmal die Stellungnahmen der gutachterlichen Anhörung anzusehen.

Das, was im Referentenentwurf in schönster Deutlichkeit im Text stand, steht jetzt nur noch versteckt im Anhang. Aber es geht immer noch um Presse.

Das hat gestern sogar der Vorsitzende der Medienkommission Prof. Schwaderlapp, die ja versucht, das Beste aus der Stiftung zu machen, deutlich gemacht. Er hat gezeigt, wohin die Reise gehen soll, und hat gleich damit begonnen, dass er sagte – ich darf zitieren –: Wir sehen seit Langem, dass die publizistische Vielfalt und Qualität in den traditionellen Medien gefährdet sind bei den Tageszeitungen. – Dann kommen die anderen auch. – Es droht eine Verarmung im Journalismus. – Dann sagt er, die sinkenden Auflagen der Zeitungen und die wegbrechenden Werbeerlöse seien deutliche Zeichen einer Krise.

Ja, das ist richtig. Das sind Zeichen einer Krise. Darauf muss man reagieren. Aber darauf kann man nicht reagieren durch einen etatistischen Ansatz, der jetzt von oben eine Gießkanne ausschüttet und sagt: Ich gebe euch jetzt Geld, mit dem ihr das alles lösen könnt.

Meine Damen und Herren, die Regierung gibt vor, mit diesem Gesetzentwurf die fraglos schwindende Zeitungslandschaft zu stützen. Gleichzeitig schaden Sie aber an anderer Stelle den Verlegern, die zumeist auch die Betriebsgesellschaften des Lokalfunks stellen, durch eine Veränderung der Sendezeiten des Bürgerfunks.

Sorgen Sie lieber dafür, dass die Rahmenbedingungen für Zeitungsverleger stimmen! Helfen Sie mit, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Verleger mit ihren journalistischen Angeboten auch im Internet Geld verdienen können! Dann können die auch Journalisten einstellen und bezahlen.

An Qualität und Ausbildung fehlt es in diesem Lande nicht. Wir haben sehr gute Journalisten. Es fehlt an Rentabilität im Zeitungsmarkt. Aber auch da ist Ihre Lösung – wie immer in der SPD – etatistisch, nicht Subsidiarität und Vertrauen auf Selbstständigkeit und Rahmensetzung, damit das gelingt, sondern die segnende Gießkanne. Wenn dann staatliche Mittel dafür nicht da sind, dann erfolgt eben der Zugriff auf Rundfunkgebühren.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir zumindest eine dritte Lesung haben. Wir lehnen das Gesetz selbstverständlich ab. – Danke sehr.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Prof. Sternberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Keymis das Wort.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Das war jetzt eine echte Bombe, Herr Kollege Sternberg, die Sie da haben platzen lassen. Alle Achtung! Es bildet immer, auch die „FAZ“ zu lesen. Das muss man sagen. Aber nicht immer ist das, was Herr Burger schreibt, das, was sozusagen wahr und richtig ist. Manchmal verstricken sich auch Journalistinnen und Journalisten in ideologische Kampfgebiete. Da ist eines aufgemacht worden. Das ist ganz klar. Es geht immer um die Frage: Gibt es Staatsferne oder gibt es sie nicht?

Die Diskussion, die wir geführt haben und führen über die „Stiftung für Vielfalt und Partizipation“ oder Partizipation und Vielfalt, ist so eine Debatte. Es geht überhaupt nicht darum – das wissen Sie auch, Herr Kollege Sternberg –, sich einzumischen in das journalistische Produkt, in die freie Entfaltung und die Tätigkeiten von Verlegerinnen und Verlegern. Es geht schlicht und ergreifend darum, das, was wir alle beobachten, gesellschaftlich ein Stück weit in den Blick zu nehmen und zu fragen: Wie kann man darauf reagieren?

Gerade im Lokalen – davon können wir in Nordrhein-Westfalen leider ein trauriges Lied singen – gerät der Journalismus ins Arge. Insgesamt steht die journalistische Vielfalt, die Meinungsvielfalt auf dem Spiel, wenn wir weiterhin einen solchen Abbau, Zusammenschlüsse, Kooperationsmodelle und Ähnliches erleben werden.

Da ist die Frage, wie qualifiziert man sich zu diesem Thema aufstellt. Gibt es Möglichkeiten, zum Beispiel im Rahmen einer solchen Stiftung Modelle zu entwickeln, die künftig lokale Berichterstattungen in Meinungsvielfalt und Freiheit ermöglichen? Das ist der Hintergrund dieser Überlegungen.

Ich finde es richtig schade, dass Sie nichts konstruktiv beitragen, sondern nur das, was versucht wird, jetzt über diese Stiftung zu organisieren, in Grund und Boden – aus, wie ich finde, etwas ideologisch motivierter Sicht – stampfen. Das gefällt uns nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir werden dieses so beschließen. Wir wollen diese Stiftung. Wir wollen diesen Ansatz versuchen.

Ich muss Ihnen auch offen sagen: Sie wissen, er ist hinterlegt mit etwa 1,6 Millionen €. Jetzt zu erzählen, hier würde mit der Gießkanne ein ungeheuerlicher Betrag in die journalistische Landschaft geschüttet und alles staatskontrolliert verändert, das ist doch alles dummes Zeug, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie müssen sich einfach den Betrag mal vor Augen führen. Dann wissen Sie, dass das alles nicht reicht, um eine echte Bombe zu zünden. Das wollen wir doch auch gar nicht. Wir sind doch friedliebend.

Wir wollen uns aber gerne beschäftigen mit Auseinandersetzungen, die uns auch in der Anhörung beschäftigt haben. Sehr wohl haben wir den Hinweis auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit bei dieser Förderung registriert. Ist das, was man über einen Beitrag aus dem LfM-Etat nehmend fördert, verfassungskonform oder nicht?

Sie haben selber das Thema „Medienkompetenz“ angesprochen. Herr Sternberg, wenn man das, was Prof. Gersdorf in diesem Raum dazu am 8. Mai gesagt hat, wörtlich umsetzen würde, dann würde aus meiner Sicht fast keine unserer Landesmedienanstalten in Deutschland irgendeine Tätigkeit ausüben können außer der, dass sie auf das sieht, was die privaten Programme machen. Das ist ein sehr, sehr enger Rahmen, den der Professor hier – nicht unklug, gebe ich zu – gesetzt hat, der der Rechtswirklichkeit in Deutschland in allen Bundesländern – soweit sie Landesmedienanstalten haben – nicht entspricht. Damit, denke ich, dass diese Kritik fehlläuft.

Wir haben jetzt hier noch einen Änderungsantrag zu behandeln. Das ist so. Sie haben das angedeutet. Sie haben gesagt, Sie können nicht von gestern auf heute noch weitere – ich muss Sie übrigens korrigieren: 25 Seiten, nicht 28 – Seiten Änderungsantrag durchgehen.

Dann haben Sie aber im weiteren Verlauf Ihrer Rede gesagt, Herr Sternberg, das Meiste sei ja unstreitig nach erstem Lesen. Beides habe ich Ihnen zugetraut, erstens schnell mal darüber zu schauen, ob da viel Kompliziertes und Neues drin ist, und zweitens, ob es unstreitig ist oder nicht. Sie haben zu beidem Aussagen gemacht. Sie haben es erstens einmal durchgelesen. Sie haben auch gesagt, das Meiste sei unstreitig.

Dann bauen Sie hier aber einen Popanz auf und schließen sich der Pressemitteilung an. Die habe ich mir echt noch mal herausgesucht, auch weil sie so schön ist, so blau-gelb, Liberale im Landtag MedienINFO. Novelle wird zur Farce, hat Herr Nückel gesagt, gestern schon. Sie hatten es fast schon gelesen, bevor Sie es überhaupt hatten.

(Heiterkeit von der SPD)

Denn Sie haben ja ganz schnell reagiert. Sie haben gestern schon reagiert, am Mittwoch, im MedienINFO 222 mit einer Brutalreaktion gegen das Landesmediengesetz.

Vielleicht können Sie ja noch schneller lesen als Prof. Sternberg und sind noch mehr in der Lage, 25 Änderungsantragsseiten mal eben in Bausch und Bogen zu verdammen.

Sie merken schon, die Opposition agiert hier relativ uneinheitlich. Das darf sie auch. Sie ist ja schließlich in der Opposition nicht verbündet, sondern da macht jeder, was er will. Aber man muss es schon ein bisschen entlang an dem machen, was wir hier gemeinsam vorgeschlagen haben.

Da wollen wir mal ganz schnell auf den Punkt kommen und sagen: Die Änderungen, Herr Kollege Sternberg, Herr Kollege Nückel, die wir Ihnen vorgelegt haben, sind in ganz vielen Punkten redaktionell. Sie sind an einigen Stellen noch stark inhaltlich bezogen zum Beispiel auch auf das Verfassungsgerichtsurteil zum ZDF-Staatsvertrag und die Frage, wie man mit dem Thema „Staatsferne“ umgeht.

Sie regeln an bestimmten Stellen noch ein Stück weit nach, wo wir das Gefühl hatten, dass, wenn man es in dem zunächst etwas schwammig formulierten Bereich belässt, wir uns am Ende künftigen rechtstechnischen Debatten nicht stellen können, wenn wir zum Beispiel Medienkommissionen und die Abfolgen darin und die Zusammensetzung und die Stellvertretungsfrage und, und, und nicht vernünftig regeln. Das ist alles in Ordnung.

Ich möchte jetzt noch einen Punkt ansprechen. Dann bin ich am Ende meiner Rede. Wir haben einen heftigen Streit in der Koalition geführt über die Frage, wie wir künftig mit dem Bürgerfunk umgehen.

Das hängt damit zusammen, dass wir – gemeinsam: Rot und Grün – mal Versprechungen gemacht haben. Einen Teil der Versprechungen haben wir jetzt über das Gesetz umgesetzt. Dafür bin ich allen dankbar. Deshalb denke ich, dass wir einen vernünftigen Kompromiss erzielt haben. Er tut allen ein bisschen weh – das ist das Wesen des Kompromisses –, aber niemandem so, dass nicht alle gut damit leben können. Das ist das Entscheidende, das Kerngeschäft von Politik. Da wir das in der Koalition verstanden haben, sind wir uns in dem Punkt einig geworden.

Ich möchte mich bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken: bei der Regierung für den Entwurf und das Verfahren, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatskanzlei, bei Ihnen, Frau Ministerin, und natürlich bei meinem Koalitionspartner für die insgesamt gute und konstruktive Zusammenarbeit. Ein paar Worte wird nachher Kollege Bolte zu Themen sagen, die von uns prima in das Landesmediengesetz hineingeregelt wurden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Nückel das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kapitäne auf dem rot-grünen Medienpolitikerschiff! Ihr Schiff segelte lange unter falscher Flagge. Zunächst stand darauf: Transparenz, Partizipation. Doch in der Nähe des Ufers – der Entscheidung – hissen Sie Ihre wahre Flagge. Seit weniger als 24 Stunden wissen wir endgültig: Ihre Flagge ist die der Farce, des Machtstrebens und der medienpolitischen Landnahme, um es genau zu sagen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wer Ihnen im letzten Monat zugehört hat, wie oft Sie gebetsmühlenartig von Transparenz gesprochen haben, so intensiv und selbstlobend wie heute, wer Ihnen zuhörte, konnte damals schon ahnen: Da ist noch was im Busch, und es sind alles andere als Zeichen der Transparenz. Die Knüller – soll ich lieber die Schweinereien sagen? –, Gängelungen, Last-Minute-Angebote haben Sie uns heute feierlich, mit viel sprachlicher Sättigungsbeilage serviert. Deswegen waren sie in der Tat schnell zu lesen.

Sie haben mit Ihrem Änderungsantrag kräftig nachgelegt. Diese Änderungsanträge sind Ausdruck detaillierter Regulierungswut. Sie können Macht – das zeigen Sie allen, und deswegen haben Sie in einer Nacht-und-Nebelaktion Änderungen hinter verschlossenen Türen ausgekungelt,

(Zurufe von den GRÜNEN)

damit einen Tag vor der Abstimmung im Grunde ein neues Gesetz vorliegt. Das Verfahren ist in der Tat an Intransparenz kaum zu überbieten. Es ist eine Ohrfeige, nicht nur für das Parlament, für die Öffentlichkeit, auch für das angeblich so bürgernahe Konsultationsverfahren, die Anhörung, eine Ohrfeige für die Sachverständigen, die in stundenlangen Sitzungen Rede und Antwort gestanden haben.

Der Medien- und Kulturausschuss hat in diversen Sitzungen beraten und über notwendige Korrekturen gesprochen. Zumindest ich habe immer welche angesprochen. All das ist Makulatur. Denn nun sollen wir über ein Gesetz abstimmen,

(Zuruf von der SPD

das durch die einschneidenden Änderungen einen völlig anderen Charakter bekommt und über das in dieser Form nicht gesprochen wurde. Im Ausschuss wollten Sie nicht reden. Da gab es noch ein bisschen Angst vor der breiten Diskussion, deswegen heute dieses Hauruckverfahren.

Apropos Angst: Welch eine Angst müssen Sie vor dem Mann haben, den Sie in diesem Änderungsantrag mit einem Federstrich trotz seiner exzellenten Arbeit die Chance auf eine Wiederbewerbung in anderthalb Jahren nehmen wollen, weil Sie die Voraussetzung für sein Amt ändern. Ich meine den Direktor der Landesanstalt für Medien, Dr. Jürgen Brautmeier. Vielleicht weil er ein zu kritischer Geist ist?

(Zuruf von der SPD: Oh je!)

Und wie beleidigen Sie damit seine Vorgänger, verdiente Sozialdemokraten wie Klaus Schütz und Prof. Dr. Schneider, die auch keine Juristen waren? Das zeigt besonders, wie willkürlich diese Änderung ist. Gab es Probleme? Gab es Probleme bei der Aufsicht? Nein.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Abel zulassen?

Thomas Nückel (FDP): Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Nückel, ich bin etwas irritiert. Sie sagen, es sei ein Hauruckverfahren. Die Kollegen vor Ihnen haben den Verlauf der Beratungen und die Konsultation, die fast ein Jahr zurückliegt, aufgerufen. Wie passt es zusammen, dass Sie hier von einem Hauruckverfahren sprechen und bereits gestern in Ihrer Presseerklärung auf Inhalte, die Ihnen heute vorliegen, eingehen?

Thomas Nückel (FDP): Als ich vor 23 Stunden diese Änderungsanträge bekommen habe, habe ich sie gelesen, ausgewertet und daraufhin meine Reaktion beschrieben. Das ist diese Pressemitteilung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dort wurde deutlich, dass Sie in diesen Änderungsanträgen einige „dicke Dinger“ stehen haben, über die im Konsultationsverfahren, das Sie eben angesprochen haben, nicht geredet wurde. Deswegen ist es eine Farce. Da komme ich fast schon wieder zur Überschrift der Pressemitteilung.

Die Frage lautet: Ist es in vergleichbaren Strukturen wie der Landesanstalt für Medien nicht auch ausreichend, wenn eine Person in der Führungsmannschaft die Befähigung zum Richteramt innehat, etwa eine Justitiarin. Ich meine Ja. Also: Warum steht es jetzt in Ihrem Änderungsantrag? Da ist Ihnen jemand politisch nicht genehm. Sind Sie doch ehrlich! Sie bereiten eine Art rot-grüner Filz bei der Postenbesetzung in der Landesanstalt für Medien vor.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Noch gibt es aber die Chance, die Notbremse zu ziehen. Wir werden hier und heute beantragen, das Landesmediengesetz und die Änderungsanträge zurück an den Kultur- und Medienausschuss zu überweisen, um dort vielleicht die Möglichkeit zu haben, mit den Sachverständigen über diese Punkte, über die noch nie jemand geredet hat, zu diskutieren und ihre Stellungnahmen auszuwerten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der ursprüngliche Gesetzentwurf, über den wir eigentlich heute gar nicht mehr beraten, war in Teilen durchaus unterstützenswert. Er hatte jedoch im Kernbereich einige Schwächen, die wir gerne durch unseren Änderungsantrag geheilt hätten, wie er Ihnen heute vorliegt.

Im Einzelnen sind das zwei Punkte: Die staatlich verordnete Journalismus-Stiftung, die politisch und rechtlich bedenklich ist, wie die Anhörung ergeben hat, und deren Finanzierung über die Rundfunkbeiträge der Bürger, wie ich meine, unzulässig ist. Aber auch das Versäumnis, die Medienkommission in der LfM zu entpolitisieren – nicht zuletzt mit Blick auf das ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Mit dem Ihnen vorliegenden Änderungsantrag der FDP könnten diese Probleme ausgeräumt werden. Er ist knapp, präzise und greift die wesentlichen Kritikpunkte aus der Sachverständigenanhörung auf.

Leider legen Sie im Prinzip ein neues Gesetz vor. Ihr gesamter Änderungsantrag ist ein Versuch, den rot-grünen Einfluss auf Medienstrukturen zu vergrößern, um, so behaupte ich, Ihre Klientel zu bedienen und ein für SPD und Grüne genehmes Personal flächendeckend zu installieren.

Die Aufblähung der Medienkommission auf 41 Mitglieder wird erstens die Arbeitsfähigkeit dieser Kommission erschweren – man hat ja bei der LfM schon Erfahrung mit so großen Gremien –, und ist zweitens ein Versuch, eigene Klientel unterzubringen, um rot-grüne Mehrheiten zu sichern, Posten zu verteilen.

Sie benennen Organisationen, die vom Geld des Landes abhängig sind. – Der Staatsferne dient dies sicherlich nicht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Um fünf Plätze dürfen sich jetzt auch Organisationen bewerben. Der Casting-Wettbewerb im Landtag ist wohl ein bisschen nach Ihrem Geschmack. Wie werden wir den nennen: „NRWs next top-Medienwächter“ oder so ähnlich?

Unser Vorschlag zur Besetzung der Medienkommission ist, glaube ich, besser und einfacher. Wir nehmen einige Politiker weg. Damit sinkt auch der politische Einfluss. Sie blähen die Kommission einfach nur auf.

Es gibt natürlich eine Menge Detailregelungswut. Die Medienversammlung findet statt, ohne dass sie im Gesetz steht. 2013 war das. Gestern fand eine statt. Jetzt steht sie im Gesetz, obwohl sie in einigen Jahren vielleicht nicht mehr sinnvoll ist, weil es möglicherweise bessere Formen als die Medienversammlung gibt. Wer weiß? Aber nun muss sie veranstaltet werden, weil sie im Gesetz steht.

Prof. Sternberg hat es schon erwähnt: Den Bürgerfunk betrifft zwar nur eine geringe Änderung, aber diese schafft ein Abschaltfenster noch zu guter Sendezeit und gefährdet auf längere Sicht die Wirtschaftlichkeit der Sender.

(Lebhafter Widerspruch von Matthi Bolte [GRÜNE])

Sie gehen den doch im sehr analogen verhafteten Gruppen im Bürgerfunkbereich auf den Leim. Die sollen jetzt auch noch in der Medienkommission sitzen. Aber die Aufzählung dieser bürgermedialen Gruppen ist völlig einseitig.

(Anhaltender lebhafter Widerspruch von Matthi Bolte [GRÜNE])

Sie schließt alle Bürger, die nicht organisiert sind, aus wie beispielsweise dreiviertel der Zulieferer von nrwision, Herr Bolte. Das übersehen Sie gerne: Die sind nicht in diesen Gruppen.

Das größte Problem aber ist die Stiftung. Sie wird kein Konzept gegen das Verschwinden von Redaktionen sein. Die Zweifel daran, dafür Gebührengelder einzusetzen, habe ich bereits erwähnt.

Wir wollen dem von der Landesregierung favorisierten Modell eine andere Möglichkeit entgegenstellen. Damit komme ich kurz noch zu unserem Antrag „Gemeinnützigkeit von Journalismus anerkennen“.

Dass spendenfinanzierter Journalismus in Deutschland – wie auch in anderen Ländern – funktionieren kann, zeigen erfolgreiche Crowdfundingprojekte. Hemmschuh ist jedoch das Steuerrecht. Der Journalismus wird im Katalog der gemeinnützigen Tätigkeiten des § 52 der Abgabenordnung leider nicht explizit genannt – anders als etwa die Tierzucht, das Kleingartenwesen oder der Modellflug.

Wir halten es aber für nötig, Qualitätsjournalismus unter anderem darüber möglich zu machen. Es wäre wünschenswert, Pressevielfalt im regionalen oder lokalen Bereich durch gemeinnütziges Engagement zu stärken. Das findet zurzeit deshalb nicht statt, weil es keine Rechtssicherheit gibt und die Finanzämter das in der Regel nicht als gemeinnützig anerkennen. Das ist unser staatsfernes Konzept, ein Vorschlag, der vielleicht ein Beitrag zur Erhaltung der Medienvielfalt sein kann. Darüber werden wir im Ausschuss sicherlich diskutieren.

Das Landesmediengesetz können wir in der derzeitigen Form nicht akzeptieren. Vielleicht aber kommen wir bei den Beratungen im Kultur- und Medienausschuss noch zusammen, auch wenn ich die Chance dafür als nicht allzu groß einschätze. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Piratenfraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Schwerd das Wort.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und an den Mattscheiben! Wir Piraten haben von Anfang an deutlich gemacht, wo unsere Schwerpunkte bei der Überarbeitung des Landesmediengesetzes liegen. So wie wir es seit Jahren für alle Aufsichtsgremien von Rundfunkmedienanstalten fordern, wollen wir mehr Transparenz in deren Arbeit erreichen und die Gremien selbst staatsferner gestalten als das bisher der Fall ist.

Diese Forderung haben wir für den WDR-Rundfunkrat selber umgesetzt. Wir haben die Position öffentlich ausgeschrieben und daraufhin den unserer Einschätzung nach am besten geeigneten und politisch unabhängigen Experten benannt.

(Beifall von den PIRATEN)

Die staatsferne Zusammensetzung auch der LfM-Medienkommission war eine unserer zentralen Forderungen. Im März diesen Jahres, als der Gesetzentwurf der Landesregierung schon auf dem Tisch lag, hat uns das Bundesverfassungsgericht mit seinem wegweisenden Urteil zur Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrates Schützenhilfe geleistet. Das Gericht hat bestätigt, was wir schon lange fordern: Die Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, aber eben auch die Gremien der Landesmedienanstalten müssen staatsfern zusammengesetzt werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Eine weitere wichtige Forderung unsererseits war, dass auch ein Vertreter der Netzbürger in diesen Gremien vertreten sein muss. Uns war bewusst, dass man nicht irgendeine Gruppe per Gesetz aussuchen kann. Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass sich Gruppen oder Einzelpersonen initiativ um eine Mitgliedschaft in der LfM-Medienkommission bewerben können, so wie wir das Verfahren schon für unser WDR-Rundfunkratsmitglied durchgeführt haben.

Insofern freut es mich wirklich, dass wir im Landesmediengesetz gemeinsam verankern konnten, dass sich auch Gruppen und Einzelpersonen beim Landtag bzw. bei der LfM bewerben können. Dies ermöglicht den netzpolitischen Initiativen tatsächlich, sich einzubringen.

Gleiches gilt für die Frage der Karenzzeitregelung, die wir in den Verhandlungen zum Änderungsantrag anregten. Jetzt ist sichergestellt, dass für die Medienkommission vorgesehene Mitglieder 18 Monate lang keine Tätigkeiten ausgeübt haben dürfen, die im Widerspruch zur neuen Aufgabe stehen. Diese Abkühlphase wird sicher dazu führen, dass Interessenkonflikte abnehmen.

Es wird niemanden überraschen: Natürlich haben wir auch die von Herrn Prof. Holznagel in der Anhörung geäußerte Idee aufgegriffen, die LfM mit den Aufgaben der Überwachung der Netzneutralität zu betrauen, soweit diese die Vorgaben des § 2 des Landesmediengesetzes betreffen.

Hier bestand im Anschluss an unsere Anregung zumindest im Ausschuss fraktionsübergreifende Einigkeit, dass das sinnvoll sei. Auch dazu konnten wir nun eine Regelung im vorgelegten Änderungsantrag einbringen.

Ich möchte die viel diskutierte „Stiftung für Vielfalt und Partizipation“ ansprechen. Schon im Ausschuss habe ich gesagt: Eine Regelung, nach der die LfM auch für die Aus- und Fortbildung in Medienberufen zuständig ist, gibt es schon im derzeit noch geltenden Gesetz von Schwarz-Gelb. Insofern fand ich die Diskussion darüber an einigen Stellen etwas befremdlich.

Natürlich muss man über die genaue Ausgestaltung – Stichwort: Staatsferne – reden. Aber grundsätzlich in Abrede zu stellen, dass die LfM in diesem Bereich überhaupt tätig sein soll, war schon sehr merkwürdig.

Wir haben es von Anfang an abgelehnt, dass eine Landesstiftung etabliert werden soll, in der die Regierung unmittelbaren Einfluss auf journalistische Arbeit nehmen könnte. Davon wurde glücklicherweise Abstand genommen. Aber der LfM einen Rahmen an die Hand zu geben, den Umwälzungsprozess in der Medienlandschaft zu begleiten und die Entwicklung vor allem von Onlinejournalismus zu unterstützen, halten wir für völlig richtig.

Insofern haben wir auch mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen, dass mit der Formulierung „im Rundfunk und in den vergleichbaren Telemedien“, also im Internet, genau dies nun als inhaltlicher Schwerpunkt der Arbeit der „Stiftung“ festgeschrieben wird.

Zum Schluss möchte ich noch kurz anbringen, was aus unserer Sicht darüber hinaus noch wünschenswert gewesen wäre.

Wir haben vorgeschlagen, dass der Zwang zur Nutzung der deutschen Sprache im Bürgerfunk entfallen solle. Das hätte ermöglicht, dass sich auch Migrantinnen und Migranten in ihren Muttersprachen im Bürgerfunk hätten engagieren können. Dem Bürgerfunk wäre damit eine weitere Zielgruppe erschlossen worden. Das wäre ein weiterer kleiner Schritt hin zur Anerkennung einer bunten Gesellschaft gewesen. Der Bürgerfunk hätte von weiteren Hörerschichten profitiert. Es bestehen jedoch rechtliche Bedenken in den Redaktionen, die letztlich die Verantwortung für die ausgestrahlten Beiträge haben, die sie dann aber unter Umständen nicht verstehen würden. Diese Bedenken teile ich persönlich zwar nicht, erkenne sie aber an. Vielleicht findet sich später noch eine Lösung.

Und wir hätten uns gewünscht, der LfM die Möglichkeit zu belassen, auch im Internet verbreiteten Hörfunk fördern zu können. Fördern zu können, wohlgemerkt. Eine Pflicht zur Förderung besteht darin ja nicht.

Alles in allem aber sind wesentliche Punkte unserer Forderungen aufgenommen worden. Wir haben uns deshalb entschieden, diesen Änderungsantrag gemeinsam zu stellen und dem so geänderten Gesetz dann zuzustimmen. Ich freue mich sehr über die stattgefundene erfolgreiche Zusammenarbeit.

Dass dieser Änderungsantrag am Tag vor der abschließenden Debatte reichlich spät kommt, ist absolut richtig. Insofern ist der Wunsch nach weiterer Beratung nachvollziehbar. Für die Chance, parteiübergreifend gemeinsame Lösungen zu finden, sollte immer ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung stehen. Einer Rücküberweisung in den Ausschuss können wir daher ebenso auch zustimmen.

Zum Schluss noch einige Worte zum Antrag der FDP-Fraktion bezüglich der Möglichkeit von gemeinnützigem Journalismus. Die Idee zusätzlicher Möglichkeiten zur Unterstützung investigativen Journalismus hat Charme. Natürlich stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu. Wir werden dort sehr genau prüfen, dass mit einer solchen Initiative nicht genau die Verlage subventioniert werden, die kurz vor der Pleite stehen, weil sie sich seit Jahren neuen Geschäftsmodellen verweigern. Neue Ideen und unabhängigen investigativen Journalismus im digitalen Zeitalter zu unterstützen – als Beispiele nenne ich den „Krautreporter“ oder das Correctiv – machen aber tatsächlich Sinn. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir heute in die abschließende Phase der Beratungen der Novellierung des Landesmedienrechts eingetreten sind. Die Beratungen wurden schon über einen längeren Zeitraum hinweg in verschiedenen Phasen durchgeführt. Es gab vor einem Jahr die schon angesprochenen Onlinekonsultationen. Weiterhin gab es eine wirklich gute Auswertung der Anregungen, die wir dort bekommen haben. Schließlich gab es die Sachverständigenanhörung im Mai dieses Jahres im Ausschuss für Kultur und Medien. Jede dieser Phasen hat zusätzliche neue Erkenntnisse gebracht, die dazu geführt haben, dass der vorliegende Entwurf weiter verbessert werden konnte.

Herr Professor Sternberg, als Sie vorhin angesprochen haben, dass wir doch eigentlich kein neues Landesmediengesetz bräuchten, weil wir doch ein gutes hätten, haben Sie in der Tat verkannt, dass wir dringende Bedarfe regeln müssen, weil sich die Medienlandschaft verändert hat und es notwendig ist, sinnvolle und ausgewogene Lösungsansätze vorzulegen, die die veränderten Rahmenbedingungen für Medien in einer digitalen Gesellschaft berücksichtigen.

Dazu, meine Damen und Herren, sind an vielen Stellen Ausgleiche zwischen bestehenden Interessen erforderlich. Das gilt genauso für die Frequenznutzung wie für die Frage der Digitalisierung im Kabel.

Klar ist aber, dass es im Lichte von Art. 5 GG vornehmlich Aufgabe des Medienrechtes ist, Vielfalt zu fördern und sicherzustellen. Ein wesentlicher Fokus der Regulierung liegt daher notwendigerweise auch darauf, das Entstehen von Inhalten und Angeboten zu fördern. Dazu enthält der Gesetzentwurf in der Tat neue Ansätze. Das betrifft zum Beispiel die schon mehrfach angesprochene Idee einer „Stiftung Vielfalt und Partizipation“, die Anpassung der Modalitäten der Vergabe und Nutzung von Übertragungskapazitäten, die gesetzliche Verankerung der Anreizregulierung oder auch die Unterstützung von Bürgermedien im digitalen Raum.

Keine Frage: Neben viel Zustimmung und Unterstützung, die der Gesetzentwurf bekommen hat – übrigens unter anderem auch durch die Landesmedienanstalt –, gab es auch Kritik. Das schmälert meines Erachtens aber nicht den Wert der Vorschläge, sondern es liegt in der Natur der Sache; denn Neues wird wohl immer erst dann akzeptiert, wenn es sich in der Praxis bewiesen und bestätigt hat.

Ich kann die Skeptiker nur dazu ermutigen, neue Herausforderungen mit neuen Ideen anzugehen; denn – um es mit den Worten von Gustav Heinemann zu sagen: – „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“

Meine Damen und Herren, mir ist es wichtig, nochmals auf einzelne Punkte einzugehen.

Die Idee einer „Stiftung Vielfalt und Partizipation“ folgt den vonseiten vieler Akteure formulierten Bedarfen. Die vorgeschlagene Vorschrift zur gesetzlichen Verankerung der Stiftung wurde ganz bewusst weit gefasst, um Staatsferne sicherzustellen und der LfM einen möglichst großen Gestaltungsspielraum einzuräumen.

Die Landesmedienanstalt soll mit den Akteuren zusammen die Betätigungsfelder für die Stiftung identifizieren. Dazu, wie dies konkret aussehen könnte, hat die Landesregierung in der Gesetzesbegründung Näheres ausgeführt. Nur auf diese Weise können praxisnahe und zugleich staatsferne Lösungen sichergestellt werden.

Meine Damen und Herren, die Kritik an der Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem Rundfunkstaatsvertrag der Länder ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar. Herr Schwerd hat hierzu eben schon einen Hinweis gegeben.

Einerseits steht die Aufgabe der Stiftung unter dem Aspekt der Förderung der Medienkompetenz. Herr Prof. Sternberg, für mich beinhaltet Medienkompetenz auch immer den Aspekt der Qualitätssicherung bei den Produzenten und damit den Journalisten. Angesichts der Konvergenz der Medien haben wir ganz neue Herausforderungen im journalistischen Bereich.

Andererseits aber ist die Förderung des Entstehens von Inhalten zugleich auch Teil des verfassungsrechtlichen Gebots der Vielfaltssicherung. Die Landesmedienanstalten sind bei der Wahrnehmung ihrer Kernaufgaben „Zulassung“ und „Aufsicht“ diesem Ziel verpflichtet und haben daher mit allen vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Regulierungsinstrumenten diese wichtige Funktion auszuüben. Ich kann Ihnen versichern: Im Länderkreis wird dies niemand infrage stellen.

Meine Damen und Herren, zur Aufsichtsfunktion wurde in der Anhörung unter anderem von der Medienkommission die Befürchtung erhoben, durch den Gesetzentwurf könnten zu hohe Anforderungen an die Qualifikation ihrer Mitglieder gestellt werden. – Ich möchte deutlich machen, dass die Medienkommission selbstverständlich – auch in ihrer Funktion als Abbild gesellschaftlicher Gruppen – ein Fachgremium ist und dass Anforderungen keinesfalls allein aus dem Gesetz resultieren, sondern sich vielmehr aus der Praxis ergeben.

Die LfM ist die zentrale und kompetente Stelle für Aufsichtsfragen rund um elektronische Medien. Mit dem Regierungsentwurf wird daher auch die Aufsicht über die Telemedien bei der LfM weiter zusammengeführt. Ferner werden ihre Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der Aufsichtstätigkeit gestärkt.

Daraus folgt, dass die Medienkommission eine hohe Verantwortung trägt und über ihre plurale Rückbindung in die Gesellschaft hinaus Expertise in vielfältigen medienrelevanten Gebieten benötigt. Dies unterstreicht der Vorschlag der Landesregierung.

Unabhängig davon, ob Fortbildung und Qualifikation im Gesetz verpflichtend verankert sind oder nicht – die Koalitionsfraktionen haben einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht –, sollte die Medienkommission einen eigenen Anspruch an das Fachwissen ihrer Mitglieder haben und Überlegungen dazu anstellen, wie dies mit den steigenden Anforderungen aus der Praxis etwa durch Fortbildungen sichergestellt werden kann.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Kritikpunkt insbesondere vonseiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter ist die vorgesehene Nutzung von UKW-Frequenzen für den Hörfunk. – Diese Kritik ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen Seite mit Blick auf die vorliegende Gesamtsituation allerdings nicht nachvollziehbar. Denn der Vorschlag trägt dazu bei, dass die aktuelle Übertragungssituation von WDR und Deutschlandradio gesichert wird und zugleich neue private Hörfunkangebote entstehen können. Das Gesetz leistet damit einen Beitrag zur Vielfalt in Nordrhein-Westfalen, der von Mehrwert für Nutzerinnen und Nutzer ist, und berücksichtigt in angemessener Weise die Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Ich möchte noch einige Anmerkungen zum Antrag der Fraktion der FDP machen, der sich mit der Förderung von journalistischen Angeboten im lokalen und regionalen Raum befasst. – Ich freue mich, dass sich auch die FDP für die Journalismusförderung in Nordrhein-Westfalen einsetzt. Die Sicherung von Vielfalt und Partizipation ist schließlich eines der Leitprojekte der Landesregierung. Damit unterstützen Sie im Grunde genommen die Idee einer „Stiftung Vielfalt und Partizipation“. Deshalb ist es für mich umso erstaunlicher, dass Sie in Ihrem Änderungsantrag für die ersatzlose Streichung der Stiftung eintreten. Aber manchmal gibt es Widersprüche auch – oder gerade – bei der Opposition.

Meine Damen und Herren, der Ausschuss hat den Gesetzentwurf der Landesregierung zum Landesmediengesetz in der letzten Woche ohne große weitere Diskussionen im Grundsatz gebilligt. Der nun vorliegende Änderungsantrag der regierungstragenden Fraktionen justiert den Gesetzentwurf an einzelnen Stellen nach. Das ist auf der einen Seite der Auswertung der Anregungen aus der Sachverständigenanhörung geschuldet und auf der anderen Seite mit Blick auf die Umsetzung der neuesten Verfassungsrechtsprechung vorgenommen worden, die hier schon Thema war.

Nachdem die Landesregierung den Entwurf in den Landtag eingebracht hatte, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Rechtsprechung Anforderungen an die staatsferne Ausgestaltung der Aufsichtsgremien im Rundfunk konkretisiert. Interessant fand ich, dass Herr Sternberg der Auffassung war, dass überhaupt keine Änderung bei der Medienkommission und der LfM erfolgen müsse, während uns nun Herr Nückel mit Klagen überzieht, hier solle eine weitere Politisierung stattfinden.

Das Landesmediengesetz wird mit den Änderungen des Regierungsentwurfs den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht, sofern der Gesetzentwurf nicht bisher schon den neuen Vorgaben des Gerichts entsprochen hatte. Weitere Anforderungen an die Ausgestaltung der Medienkommission der Landesmedienanstalt werden umgesetzt. Die Landesregierung hat daher auf Bitten der Regierungsfraktionen eine Formulierungshilfe zur Verfügung gestellt, wie die Anforderungen im Landesmediengesetz umgesetzt werden könnten.

Mit der Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf schafft der Landtag die Grundlage für eine moderne Medienregulierung. Deshalb werbe ich nachdrücklich für die Billigung des vorliegenden Entwurfs. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Vogt noch einmal um das Wort gebeten, und das erhält er. Bitte.

Alexander Vogt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Sternberg, ich will Ihre Lesekompetenz gar nicht infrage stellen. Ich glaube, es ist bei Ihnen am Willen gescheitert, sich mit diesem Änderungsantrag auseinanderzusetzen. Die Einschätzung, dass das Urteil zum ZDF-Staatsvertrag keinerlei Einfluss auf andere Gesetzgebungsvorhaben hat, teilt ja noch nicht einmal Herr Nückel mit Ihnen.

Wenn wir über die Zusammensetzung der Medienkommission reden, dann gilt doch Folgendes: Mehr Mitglieder und mehr Organisation sind ein Beitrag, um mehr Staatsferne zu erzeugen. Herr Nückel, lassen Sie uns nur zwei Minuten über Ihren Vorschlag nachdenken, weniger Politiker in die Medienkommission zu schicken und dadurch mehr Staatsferne zu erzeugen. Dabei reden Sie aber nie von sich. Sie reden immer von den anderen, von den großen Parteien und erhöhen damit zugleich Ihren eigenen Einfluss in der Kommission. Also lassen Sie solche Vorschläge!

Unser Vorschlag ist richtig und gut, dass nämlich neue Mitglieder in die Kommission aufgenommen werden, dass sich Organisationen und Einzelpersonen bewerben und so in der Kommission mitarbeiten können.

Zum Thema „Änderung der Pressesituation in den Kommunen“: Herr Prof. Sternberg, Sie unterbreiten den Vorschlag, Rahmenbedingungen im Landesmediengesetz zu schaffen, damit Verleger im Internet Geld verdienen können. – Hunderte von Verlegern in diesem Land sind dabei, Konzepte und Ideen zu entwickeln – und dabei kam nicht eine einzige Forderung von den Experten, das Ganze im Landesmediengesetz zu regeln. Wenn Sie hierzu Vorschläge haben, bin ich darauf gespannt. Sie haben ja gleich noch ein paar Sekunden.

Lassen Sie mich noch einen Punkt zum Thema „Änderungsantrag“ ausführen. Von Ihnen kam die Kritik, dass wir Ihnen gestern noch einen Änderungsantrag zugeleitet haben. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, 2009 gab es auch ein Mediengesetz, zu welchem am 2. Dezember 2009 hier im Landtag die zweite Lesung stattfand. Dazu gab es einen Änderungsantrag von CDU und FDP. Und wann wurde dieser gestellt und eingebracht? Am 1. Dezember 2009, das heißt: einen Tag vorher. Es besteht also kein Unterschied zu dem, wie wir mit unserem Änderungsantrag verfahren.

(Zuruf von der CDU)

Bauschen Sie das also nicht so auf. Damals waren Sie nicht nur in der Lage, schneller zu lesen, sondern auch schneller zu schreiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind damit auf der sicheren Seite. Wir haben hier einen vernünftigen Änderungsantrag eingebracht, und wir werben um Zustimmung für dieses Gesetz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Schick.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Keymis, nicht Herr Sternberg hat hier eine Bombe platzen lassen, sondern das war Ihr Änderungsantrag, den Sie gestern auf den Tisch geknallt haben. Der Unterschied zu uns, Herr Vogt, liegt darin, dass es sich bei Ihrem Änderungsantrag um 28 Seiten handelt und damit nicht um einzelne Punkte, sondern quasi um ein neues Gesetz. Das ist doch die Bombe.

(Beifall von der CDU)

Transparenz ist eine der großen Überschriften bei Ihrem Landesmediengesetz. Dann machen wir doch einmal transparent, worum es hier in Wirklichkeit geht: nämlich um eiskalte Machtpolitik.

(Zurufe von der CDU)

Da reicht ein Blick in § 100 Landesmediengesetz: „Die Direktorin oder der Direktor muss die Befähigung zum Richteramt haben.“ Begründet wird das mit fadenscheinigen Argumenten wie „neue Aufsichtsfunktionen“ usw. Bislang sind die Landesmedienanstalten bzw. die Medienanstalt in Nordrhein-Westfalen sehr gut gefahren mit Prof. Schneider, mit Klaus Schütz sowie Dr. Brautmeier, die diese Befähigung nicht haben.

Es gibt also andere Gründe, und da machen wir die doch mal transparent: Im Jahr 2010 ist Dr. Jürgen Brautmeier zum Direktor der Landesanstalt für Medien gewählt worden und nicht die Kandidatin von SPD und Grünen. Das löste große Verwunderung aus, weil die Zusammensetzung der Medienkommission eigentlich ein anderes Ergebnis erwarten ließ.

Drei Jahre sind seither vergangen. In der Zwischenzeit hat der Medienstaatssekretär sein politisches Prestigeobjekt auf den Tisch gelegt, nämlich das neue Landesmediengesetz sowie die „Stiftung Vielfalt und Partizipation“. Doch der erhoffte Applaus blieb nach dem Arbeitsentwurf aus. Was es gab, waren Backpfeifen in Form von Kritik, weil das Gesetz so nämlich nicht verfassungskonform war. Das hatte der Direktor der Landesanstalt für Medien von Anfang an gesagt. Dazu brauchte er noch nicht einmal die Befähigung zum Richteramt.

(Beifall von der CDU)

Das konnte man sofort erkennen, wenn man sich ein wenig mit dieser Thematik auseinandersetzte.

Die Folge: Über ein Jahr musste die Staatskanzlei nachbessern. Jetzt liegt der Referentenentwurf vor, und er hat immer noch eine erhebliche juristische Schieflage, wie auch die Anhörung ergeben hat.

Was geblieben ist, ist das Unbehagen in den Fraktionen von SPD und Grünen und in der Staatskanzlei in Richtung Dr. Brautmeier. Deswegen ist Ihnen der Direktor der Landesanstalt für Medien ein Dorn im Auge.

Jetzt liegen die Änderungsanträge auf dem Tisch. Darin zeichnet sich ab, dass Dr. Brautmeier im Jahr 2016 sein Amt zur Verfügung stellen muss. Ich werfe einmal einen Blick in die Glaskugel – obwohl, das brauche ich gar nicht, denn es liegt eigentlich auf der Hand, was passieren wird: Im Jahr 2016 wird es eine neue Direktorin geben, und das wird Frauke Gerlach sein, die im Jahr 2010 gegen Dr. Brautmeier kandidiert hat.

Damit geht auch einher, dass Sie die Zusammensetzung der Medienkommission verändern möchten; denn Sie misstrauen den derzeitigen Mitgliedern, weil diese Ihrem Wunsch schon einmal nicht nachgekommen sind.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Sie organisieren in Hinterzimmern eiskalte Machtpolitik. Das hat bei der SPD in Nordrhein-Westfalen Tradition. Neu ist nur der Anstrich; hier verwenden Sie nämlich Begriffe wie „Partizipation“ und „Vielfalt“. Wir wissen aber, dass der Lack bei Ihnen relativ schnell ab ist. Dann werden wir sehen, was dabei herumkommt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Bolte das Wort.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden im Moment viel von der Digitalisierung und den Herausforderungen, die die Digitalisierung für die Medienlandschaft mit sich bringt. Gerade gestern ist das bei der Medienversammlung 2014 der LfM ausführlich und facettenreich diskutiert worden. Kollege Schick, Kollege Sternberg, da hätten Sie mal hingehen können. Das war ganz interessant und fast so lehrreich wie die Lektüre der „FAZ“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Vielfalt und Partizipation“ steht als Leitmotiv über diesem Gesetzentwurf. Es war ein tolles Verfahren. Dieses partizipative Verfahren ging über mehr als anderthalb Jahre. Insofern kann man hier nicht von einem Hauruckverfahren sprechen. Ich kann der Staatskanzlei und der Ministerin für dieses gute Verfahren nur danken.

Lieber Kollege Nückel, es ist nicht angebracht, diese partizipative Herangehensweise, die wir jetzt gewählt haben, als „NRW sucht den Supermedienwächter“ abzuqualifizieren. Es war gut, dass Sie noch mal klargestellt haben, dass Sie auch nichts von Bürgerfunk halten. Die Beteiligung der Community und die Medienvielfalt kann man doch nicht in derartiger Weise abqualifizieren. Das ist wirklich nicht in Ordnung, das müssen Sie dringend klarstellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben viel für die Sicherung der Vielfalt getan. Wir stärken den Lokalfunk. Wir sichern natürlich auch die Netzneutralität. Und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Von Schwarz und Gelb haben wir bisher immer gehört, das solle der Markt richten. Dass Sie heute Änderungsanträge vorlegen, die dokumentieren, dass Sie da einen Erkenntnisprozess durchgemacht haben, ist gut. Es wundert mich allerdings, dass Sie plötzlich auf diese Idee gekommen sind, nachdem Sie das so viele Jahre vergeigt haben.

Fazit, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ein Gesetz ist besonders dann gut, wenn das Gemäkel der Opposition besonders kleinkariert ist. Kollege Sternberg, Kollege Schick und Kollege Nückel, Sie haben uns heute attestiert, dass wir hier einen guten Änderungsantrag vorlegen und heute einem guten Gesetzentwurf zustimmen.

Die kompletten Änderungsanträge resultieren aus der Anhörung. Das hätten Sie hier auch mal anerkennen können.

Herr Kollege Nückel, ein Hauruckverfahren war das nun wirklich nicht. Ich weiß nicht, was Sie da von Ihrem Schlauchboot aus gesehen haben. So kompliziert ist das, was wir in diesen Änderungsantrag geschrieben haben, nämlich alles gar nicht. Das haben Sie eben sogar selber gesagt. Wir haben hier einen guten Gesetzentwurf und einen guten Änderungsantrag vorliegen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse erstens über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten Drucksache 16/6204 – Neudruck – abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer ist gegen diesen Änderungsantrag? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/6204 – Neudruck – angenommen.

Ich lasse zweitens über den Änderungsantrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/6218 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/6218 abgelehnt.

Ich lasse drittens über den Gesetzentwurf Drucksache 16/4950 abstimmen. Bevor wir abstimmen, darf ich Ihnen aber noch folgende Hinweise geben:

Wie in der Debatte bereits erwähnt worden ist, hat die CDU-Fraktion eine dritte Lesung des vorgenannten Gesetzentwurfs beantragt. Nach § 78 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung findet eine dritte Lesung auf Antrag einer Fraktion oder eines Viertels der Mitglieder des Landtags statt. Der Antrag muss vor Schluss der Beratung der zweiten Lesung schriftlich bei der Präsidentin eingereicht werden.

Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Fraktionen werden sich noch verständigen, wann die dritte Lesung durchgeführt werden soll. Sollte das noch in dieser Woche der Fall sein, muss das Plenum bekanntlich vor Eintritt in die entsprechende Tagesordnung darüber befinden.

Ich weise zudem darauf hin, dass die FDP-Fraktion beantragt, den Gesetzentwurf zur Vorbereitung der dritten Lesung an den Ausschuss für Kultur und Medien zurückzuüberweisen.

Wir kommen jetzt also in der zweiten von drei Lesungen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/4950. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/4950 in zweiter Lesung in der geänderten Fassung angenommen.

Meine Damen und Herren, ich lasse viertens über den bereits angesprochenen Antrag der FDP auf Rücküberweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4950 an den Ausschuss für Kultur und Medien abstimmen. Wer dieser Rücküberweisung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und Piraten. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag der FDP-Fraktion auf Rücküberweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4950 an den Ausschuss abgelehnt.

Ich lasse fünftens und letztens über den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/6130 abstimmen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung dieses Antrags an den Ausschuss für Kultur und Medien. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Herzlichen Dank. Ich schließe die Beratung und Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 4.

Meine Damen und Herren, nun rufe ich auf:

5   Überwachung und Datenzugriff im Bereich der Telekommunikation. Wie nutzen nordrhein-westfälische Ermittlungsbehörden Funkzellenabfragen, Stille SMS, IMSI-Catcher und W-LAN-Catcher?

Große Anfrage 10
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5215

Antwort
der Landesregierung
D
rucksache 16/6051

In Verbindung mit:

Einführung einer Erhebungsmatrix für Funkzellenabfragen, Stille SMS und Einsätze von IMSI-Catchern – Bessere statistische Erfassung von Daten für echte parlamentarische Kontrolle

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6118

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die Piratenfraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort. Bitte, Herr Kollege. Sie haben das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream. Nun zu einem Thema, das viele Menschen – oft zu Unrecht – zu Betroffenen macht: Funkzellenabfragen und Co.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Ich weiß: Die einen wollen von Überwachung nichts mehr wissen – wie man übrigens auch hier bei den Kolleginnen und Kollegen sieht, die gerade aus dem Saal laufen. Für andere hat die ernsthafte Diskussion zu dem Thema noch nicht einmal richtig angefangen. Ich gehöre zu der letzten Gruppe.

Moderne Polizeiarbeit, meine Damen und Herren, ist grundrechtsbewusst, verhältnismäßig und evidenzbasiert. Wir wollten mit unserer Großen Anfrage erfahren, ob elektronische Überwachungsmaßnahmen wie Funkzellenabfragen oder Stille SMS notwendig und effektiv für die Strafverfolgung sind: Werden sie sinnvoll eingesetzt? Oder läuft der Gebrauch aus dem Ruder? Werden sie – unrechtmäßig – zum Routineinstrument? Sind sie gar schiere Überwachungsmaßnahmen?

Uns fehlen die Belege für eine ordentliche Bewertung sowohl in die eine wie in die andere Richtung. Die Ergebnisse der Großen Anfrage sind, offen gesagt, dürftig. Außer einfachen numerischen Erfassungen über den Gebrauch der Maßnahmen steht nicht viel drin.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Ihr habt ja auch nach nichts anderem gefragt!)

Natürlich, die Zahlen alleine haben es schon in sich: 300.000 versendete Ortungsimpulse, also Stille SMS, in 2013, ein klar ansteigender Gebrauch des Instruments Funkzellenabfrage, satte 11 Abfragen pro Tag gibt es in Nordrhein-Westfalen. Die Maßnahmen werden also immer häufiger verwendet.

Gleichzeitig wissen wir aber nicht, ob sie überhaupt notwendig sind. Es drängen sich Vergleiche mit der Vorratsdatenspeicherung auf. Die wurde auch jahrelang als unbedingt notwendig verteidigt. Ein konkreter Nachweis über die Notwendigkeit wurde aber nie erbracht.

Dass Funkzellenabfragen nützlich sein können, ist unbestritten. Denn für ein Ermittlungsverfahren kann alles nützlich sein – je mehr Informationen, desto besser. Aber ist es wirklich notwendig, dass man überall damit rechnen muss, in Dateien erfasst zu werden, nur weil man ein Handy dabeihat?

Niemand will die Aufklärung schwerster Straftaten verhindern. Aber wir müssen uns die Frage stellen, wann, in welchen besonderen Ausnahmesituationen es notwendig ist, alle Mobilfunkgeräte pro Funkzelle zu speichern, also alle Menschen zu erfassen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sind.

Von Schleswig-Holstein wissen wir, dass manche Funkzellenabfragen tage- oder sogar wochenlang durchgeführt wurden. Das sind Zigtausende Daten Zigtausender Menschen. Der Nachweis der Notwendigkeit derartiger Einsätze muss erbracht werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Es reicht nicht, Einzelfälle anzuführen, bei denen, vielleicht durch einen Zufall, Handydaten eine Rolle gespielt haben. Wir brauchen verlässliche Zahlen über den Nutzen und die Erfolge dieser Maßnahmen. Solange wir diese Zahlen nicht haben und der Gebrauch immer weiter zunimmt, drängt sich der Eindruck der Unverhältnismäßigkeit auf.

Funkzellenabfragen, Stille SMS und IMSI-Catcher greifen tief in die Grundrechte auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung ein. Das ist der Kernpunkt, um den es hier geht.

Deshalb bringen wir unseren Antrag zur Erarbeitung von Erhebungsmatrizen für Funkzellenabfragen IMSI-Catcher und Stille SMS ein. Wir brauchen eine transparente und nachvollziehbare statistische Erfassung des Einsatzes dieser elektronischen Maßnahmen. Nur mit diesen Informationen können wir unserer Pflicht der parlamentarischen Kontrolle nachkommen. Nur mithilfe verlässlicher Zahlen können wir die Notwendigkeit von Funkzellenabfragen und Co. bewerten.

Die Piratenfraktion im Saarland hat sich erfolgreich mit der dortigen Landesregierung zu dem Thema auseinandergesetzt. In der Vergangenheit konnten nämlich auch dort Anfragen zu Funkzellenabfragen nicht oder nicht vollständig beantwortet werden, weil – wie hier auch – viele Daten statistisch nicht erfasst wurden. Gemeinsam mit dem Innenministerium wurde dann eine Erhebungsmatrix für Funkzellenabfragen erarbeitet, unterstützt von der dortigen Großen Koalition.

Liebe Kollegen von SPD und CDU, was im Saarland geht, geht doch auch hier. Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sind doch auch für verhältnismäßige Polizeiarbeit, oder nicht?

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Schon, doch meistens!)

Die von uns vorgeschlagenen Einheiten der Erhebungsmatrixen basieren auf den Einheiten, die im Saarland entwickelt und eingeführt wurden. Im Innenausschuss möchten wir gerne interfraktionell über diese Auflistung sprechen. Dabei sind wir natürlich offen für Erweiterungen oder Ihre Wünsche.

Moderne, grundrechtsbewusste und verhältnismäßige Polizeiarbeit ist evidenzbasiert. Deshalb sollten wir für zukünftige Einsätze von Funkzellenabfragen oder Stillen SMS über die hier vorgeschlagenen Kriterien die Notwendigkeit dieser Maßnahmen herausfinden.

Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit, Herr Kollege.

Frank Herrmann (PIRATEN): Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Nächster Redner ist der Kollege Körfges für die SPD-Fraktion.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat ja schon mal Lieblingsstellen in parlamentarischen Unterlagen. Ich lese Ihnen jetzt aus der Großen Anfrage meine Lieblingsstelle und die Antwort dazu vor:

„Wie wird § 100a Abs. 1 S. 2 StPO hinsichtlich der tatsächlich erfolgten Telekommunikation interpretiert und angewendet?“

Das war die Frage. Die Antwort – ich bitte um Aufmerksamkeit – heißt:

„In der derzeit geltenden Fassung der StPO hat § 100a Abs. 1 keinen Satz 2.“

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Weil es ein Punkt 2 ist und kein Satz 2!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will das hier jetzt nicht glossieren. Nur: Wer die Antwort der Landesregierung kritisiert, muss sich gegebenenfalls auch die Hintergründe der eigenen Fragestellung vorhalten lassen.

Genauso will ich mich jetzt nicht lustig machen über Ihr Beispiel aus dem Saarland,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Danke!)

sondern will nur einfach für mich feststellen, dass die Größenverhältnisse im Saarland mit denen in Nordrhein-Westfalen schwerlich zu vergleichen sind und dass insoweit – wenn Sie die Erhebungsmatrix zum Gegenstand Ihres Antrags machen und sicherlich auch die diesbezüglichen Berichtspflichten meinen –

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Was hat das mit der Größe der Funkzellen zu tun?)

der Aufwand in Nordrhein-Westfalen ein ungeheuer Vielfaches von dem im Saarland haben würde.

An der Stelle sind wir allerdings gerne dazu bereit, mit Ihnen die Hintergründe Ihrer Anfrage, der Antwort und auch Ihres Antrages im Ausschuss zu diskutieren. Ich bin froh darüber, dass wir hier nicht in eine sofortige Abstimmung gedrängt werden – wie bei Piratenanträgen anderweitig schon mal der Fall –, sondern die Möglichkeit haben, das Ganze im Ausschuss zu hinterfragen.

Ich denke, da werden eine Reihe von Fragen aufgeworfen, zum Beispiel: Wer ist zuständig, wo ist die Angelegenheit prinzipiell geregelt? Das ist ja auch Gegenstand Ihrer Anfrage gewesen. Und die Antwort lautete: in der Strafprozessordnung. Die Überwachung wird dem Grunde nach in § 100a StPO geregelt.

Die Erhebungsberichtspflichten kommen – je nachdem – in den §§ 100b Abs. 5 und 100g Abs. 4 vor. Dort ist festgelegt, dass die Länder berichten und das Bundesamt für Justiz die entsprechenden Informationen veröffentlichen muss.

Das ist zuständigkeitshalber vom Bundesgesetzgeber geregelt. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, mit der Sache umzugehen. Zum einen liegt die Vermutung nahe, dass diese Regelung abschließend ist und insoweit die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt. Oder: Zumindest hat der Bundesgesetzgeber, der bezogen auf die Strafprozessordnung hohe Hürden an die Überwachung anlegt, es nicht für erforderlich gehalten, weiter gehende Berichte und Veröffentlichungspflichten festzulegen. Insoweit lautet die Frage, was wir in Nordrhein-Westfalen zuständigkeitshalber tatsächlich regeln können und regeln müssen.

Die zweite Frage, die sich stellt, lautet: Reicht das, was wir haben, aus? Und ist der Landesgesetzgeber als solcher oder über den Bundesrat in dieser Hinsicht gefragt? Das ist eine Frage, die sich auch mit der Gewaltenteilung beschäftigt. Wir meinen, dass weitere Verpflichtungen angesichts der strengen Voraussetzungen in der StPO entbehrlich sind. Wir sind aber gerne dazu bereit, mit Ihnen die Einzelheiten zu regeln. Denn anders als im Fall der anlasslosen Speicherung geht es hier immer um ganz konkrete Straftaten und um ganz konkrete richterliche Anordnungen im Einzelfall.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Aber auch immer um Verhältnismäßigkeit!)

Die Kontrolle erfolgt durch die Gerichte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt stellt sich die für mich spannendste Frage. Wir sammeln dann ja hoheitlich Daten und werten diese aus. Ich bin mal gespannt darauf, wie wir zum Beispiel in der Diskussion mit Ihnen die sich daraus ergebenden Rechtsfragen bezogen auf die informationelle Selbstbestimmung klären können. Mit Ihrem Begehren werfen Sie nämlich unter Umständen an der einen oder anderen Stelle ein datenschutzrechtliches Problem auf.

Letzte Frage: Ist das, was Sie verlangen, angemessen, und zwar im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sowohl vom Umfang als auch von der inhaltlichen Zuordnung her?

Ich habe versucht, das formaljuristisch in Fragen zu kleiden. Da Sie uns im Ausschuss die Gelegenheit geben, weiter darüber zu diskutieren: Ich möchte die von mir angestoßenen Fragen und aufgeworfenen Problemstellungen gerne weiter mit Ihnen im Ausschuss diskutieren. Ich mache Ihnen allerdings wenig Hoffnung, was die Zustimmung zu Ihrem Antrag angeht. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Nächster Redner ist für die CDU-Fraktion der Kollege Golland.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs Folgendes feststellen: Die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland sind gemäß §§ 152, 160 und 163 der Strafprozessordnung zur Ermittlung und Aufklärung von Straftaten verpflichtet. Damit sie diesen Auftrag erfüllen können, hat der Gesetzgeber ihnen besondere Eingriffsbefugnisse und technische Ressourcen eingeräumt. Dazu zählen unter anderem auch Funkzellenabfragen, Ortungsimpulse, also Stille SMS, sowie sogenannte WLAN- und IMSI-Catcher. Für eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung sind diese strafprozessualen Maßnahmen inzwischen unverzichtbar, weil sich Straftäter naturgemäß auch die technischen Möglichkeiten unserer Zeit in immer stärkerem Maße zunutze machen.

Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Piraten, über die wir heute diskutieren, hat aus Sicht der CDU-Fraktion vor allem eines gezeigt: Die Strafverfolgungsbehörden in Nordrhein-West-falen machen mit Augenmaß von ihren Ermittlungsmöglichkeiten im Rahmen von Recht und Gesetz Gebrauch. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen.

Ausdrücklich nicht bestätigt hat sich hingegen der von den Piraten in der Vorbemerkung ihrer Anfrage formulierte Verdacht, dass der Gebrauch von technischen Überwachungsmaßnahmen in Nordrhein-Westfalen möglicherweise aus dem Ruder laufe.

Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang zunächst den Hinweis, dass Funkzellenabfragen, Stille SMS, WLAN- und IMSI-Catcher jeweils keine Kommunikationsinhalte erfassen. Zudem werden diese Instrumente ausschließlich auf der Grundlage eines richterlichen Beschlusses oder, bei Gefahr im Verzug, aufgrund staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung durchgeführt. Im Fall der Eilanordnung muss diese ebenfalls richterlich bestätigt werden, und zwar binnen drei Werktagen.

Von einer ausufernden Überwachung unbescholtener Bürgerinnen und Bürger, wie sie durch die Fragestellungen der Piratenfraktion teilweise suggeriert wird, kann schon vor diesem Hintergrund keine Rede sein, meine Damen und Herren.

Auch die jährlichen Anwendungsfälle der genannten Maßnahmen sind überschaubar und eignen sich nicht zur Panikmache. Richtig ist zwar, dass zum Beispiel die Zahl der Funkzellenabfragen in den letzten Jahren gestiegen ist; richtig ist aber auch, dass die Zahl der Straftaten, die unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel geplant, vorbereitet oder begangen wurden und werden, ebenfalls angestiegen ist. Wer diesen Zusammenhang negiert, der vertauscht Ursache und Wirkung.

Zudem lohnt es sich, hier auf einige Relationen aufmerksam zu machen.

Wie aus der Strafverfolgungsstatistik des Landes Nordrhein-Westfalens hervorgeht, wurden im Jahre 2012 in Nordrhein-Westfalen knapp 1,1 Millionen Strafverfahren eingeleitet. Die Zahl der Funkzellenauswertungen belief sich im gleichen Jahr aber gerade mal auf 3.545 Fälle. Mit anderen Worten: Nur in ca. 0,3 % aller strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kamen im Jahre 2012 in Nordrhein-Westfalen überhaupt eine Funkzellenabfrage zur Anwendung.

Auch der von den Piraten geschürte Verdacht, dass Funkzellenabfragen bei politischen Demonstrationen oder sonstigen Versammlungen zur Anwendung kämen, ist durch die Antwort auf die Große Anfrage widerlegt worden.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: In anderen Bundesländern ist das passiert!)

Straftaten nach dem Versammlungsgesetz erfüllen nämlich weder die Voraussetzungen des § 100a noch des § 100g Abs. 1 Strafprozessordnung. Siehe dazu auch die Antwort auf die Frage I.7 in der Großen Anfrage.

Noch geringer als bei der Funkzellenabfrage sind die Fallzahlen im Bereich der WLAN-Catcher. Diese wurden im Jahre 2013 NRW-weit genau zweimal eingesetzt, nämlich einmal vom Polizeipräsidium Essen und einmal vom Polizeipräsidium Köln.

Für die CDU-Fraktion steht deshalb fest: Rechtsfreie Räume darf es nicht geben – weder in der analogen noch in der digitalen Welt. Daher brauchen die Behörden auch in Zukunft Funkzellenabfragen, Ortungsimpulse und WLAN- sowie IMSI-Catcher.

Dass unsere nordrhein-westfälischen Ermittler diese Instrumente verantwortungsbewusst einsetzen, hat die Große Anfrage der Piraten bestätigt. Für die Einführung einer kleinteiligeren Erhebungsmatrix, wie sie in dem Antrag der Piraten Drucksache 16/6118 gefordert wird, besteht daher schon faktisch keine erkennbare Notwendigkeit. Unsere Polizeibeamtinnen und -beamten dürften darüber hinaus Besseres zu tun haben, als die in Ihrem Antrag enthaltenen 47 Einzelaspekte pro Ermittlungsmaßnahme statistisch festzuhalten.

Wenngleich wir Ihren Antrag somit in der Sache ablehnen, stimmen wir der Überweisungsempfehlung in den Innenausschuss natürlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Herrmann, Sie haben eben bemängelt, dass in der Antwort der Landesregierung schwerpunktmäßig Zahlen geliefert wurden. Sie haben auch nach Zahlen gefragt – das ist eigentlich das ganze Hexenwerk dahinter; dann muss man nicht unbedingt bemängeln, dass man Zahlen zurückbekommt, wenn man nach Zahlen fragt.

Ich kenne das, wenn man eine Große Anfrage stellt und nicht genau das zurückkommt, was man mit der Frage gemeint hat. Aber der Landesregierung zum Vorwurf zu machen, dass sie das beantwortet, was man gefragt hat, das ist, Herr Kollege, nicht ganz sauber.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Bei der Hälfte der Fragen steht, dass das statistisch nicht erfasst wird!)

Meine Damen und Herren, wir haben tatsächlich sehr viele Zahlen bekommen, auch einige Erläuterungen dazu. Es gibt an der einen oder anderen Stelle auch durchaus Punkte, zu denen man eine Nachfrage stellen kann. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn wir im weiteren Verfahren die Große Anfrage möglicherweise noch einmal an anderer Stelle beraten. Man kann sich etwa die Zahlen zu Funkzellenabfragen im Bereich des Polizeipräsidiums Bielefeld anschauen, die von 159 im Jahre 2012 auf 327 im Jahre 2013 gestiegen sind. Das sind erst einmal nackte Zahlen. Aber wenn da solche Veränderungen zu finden sind, dann ist eine Nachfrage durchaus möglich. Man kann diesen Einzelfällen also durchaus auf den Grund gehen.

Grundsätzlich müssen wir hier aber Folgendes feststellen: Wir bewegen uns im Bereich der Bundesgesetzgebung. Hans-Willi Körfges hat darauf dankenswerterweise eben schon hingewiesen. Auch der Minister hat in seiner Antwort auf die Große Anfrage klargestellt, dass für den Bereich der Strafverfolgung, den Sie abgefragt haben, die Regelungen der Strafprozessordnung einschlägig sind. Damit wäre also der Bundesgesetzgeber zuständig. Trotzdem können wir natürlich darüber beraten.

Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass die grüne Bundestagsfraktion in der vergangenen Legislaturperiode nach den Ereignissen in Dresden Anfang 2011 – Stichwort: Handygate – zum Thema „Funkzellenabfrage“ einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht hat; denn da gehört er hin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine ähnliche Lage haben wir bei Stillen SMS. Man kann da zunächst mal den Effekt der großen Zahl erkennen. Es sieht an einigen Stellen, wenn man sich nicht so intensiv damit auseinandergesetzt hat, möglicherweise erschreckend aus, etwa die Zahlen für Bonn, wo es 6.100 Ortungsimpulse im Jahre 2011 gegeben hat, die 2012 plötzlich auf 27.000 hochgingen und im Jahre 2013 wieder herunter. Recklinghausen war zwei Jahre in der Statistik auf null und hatte dann plötzlich über 6.000 Ortungsimpulse. In Düsseldorf ging die Zahl von 22.600 in 2011 auf 2.900 im Jahre 2013 herunter. Das sind sicherlich Schwankungen, die man sich anschauen kann. Das sind große Zahlen, die zum überwiegenden Teil aus der Tatsache herrühren, dass es sich bei Ortungsimpulsen um einen technischen Vorgang handelt, wo pro Einzelmaßnahme viele Hundert einzelne Impulse versandt werden müssen. So ist das zu erklären.

Aber nichtsdestotrotz ist die Debatte an der Stelle natürlich sinnvoll. Denn es ist immer richtig – da gebe ich Ihnen, Herr Kollege Herrmann, absolut recht –, die Frage der Verhältnismäßigkeit von Einsatzmitteln zu diskutieren.

Wir haben an verschiedenen Stellen Klarstellungen herbeigeführt, wenn wir uns etwa anschauen – wenn wir den Bereich des Bundesgesetzgebers nun verlassen –, was zu den IMSI-Catchern letztes Jahr im Polizeigesetz geregelt wurde. Wir haben im Landesrecht eine deutliche Klarstellung und Präzisierung für IMSI-Catcher im Bereich der Gefahrenabwehr erreicht. Wir haben auch die Prüfungsvoraussetzungen hochgesetzt. Das alles ist gut und richtig gewesen.

Es ist, glaube ich, gut, dass wir diese Debatte an verschiedenen Stellen führen. Wir können im Innenausschuss auch gerne über diese von Ihnen geforderte Matrix reden. Mir geht es da durchaus ähnlich wie Hans-Willi Körfges: dass ich aus dem Antragstext noch nicht unbedingt ersehen kann, was uns das bringt außer beschriftetem Papier.

Sie haben Fragen gestellt, Sie haben Zahlen bekommen. Das ist normale parlamentarische Arbeit. Damit kann man die Debatte nun weiter führen. Lassen Sie uns das nach vorne diskutieren. Wir haben eine ganze Menge Erkenntnisse, die wir jetzt nach vorne diskutieren sollten. Da kann man auch an der einen oder anderen Stelle nachfragen.

Für mich zeigt die Debatte aber auch, wie wir sie in den letzten Jahren immer geführt haben, dass wir mit der rot-grünen Landesregierung und mit den sie tragenden Fraktionen auf einem sehr guten Weg sind für einen hohen Grundrechtsschutz und für Verhältnismäßigkeit in der Polizeiarbeit.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bolte, die Redezeit.

Matthi Bolte (GRÜNE): Wir haben heute sehr unaufgeregt diskutiert. Ich wünsche mir, dass wir uns für die innenpolitischen Debatten angewöhnen, das häufiger zu tun, um damit ein bisschen von dem „Höher, Schneller, Weiter“ wegzukommen, das wir sonst so oft haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. Bleiben Sie bitte noch einen kurzen Augenblick bei uns, denn Herr Kollege Herrmann hat eine Kurzintervention angemeldet und dafür jetzt 90 Sekunden Zeit. – Herr Kollege Herrmann, bitte schön.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Kollege Bolte, natürlich haben wir nach Zahlen gefragt und auch viele Zahlen bekommen, aber viele Zahlen auch nicht bekommen. Eine der häufigsten Antworten war: Das wird statistisch nicht erfasst. – Das ist ja auch der Hintergrund für unsere Matrix.

Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Sie mit uns einer Meinung sind, dass eine Funkzellenabfrage ein sehr starker Eingriff in die Grundrechte ist. Denn davon können wir betroffen sein, ohne dass wir überhaupt mit irgendeinem Fall zu tun haben. Das heißt, viele Unschuldige können betroffen sein.

Ich möchte eine Frage der Großen Anfrage herausgreifen: Wie viele der Verfahren mit Funkzellenabfrage sind aufgeklärt worden? Wo haben hier Verkehrsdaten eine Rolle gespielt? – Wenn dann die Antwort kommt, dass Ermittlungsverfahren komplexe Prozesse sind und aus diesem Grunde sich Feststellungen dazu, welche Rolle die Daten aus Funkzellenabfragen bei einer Tatklärung mittel- oder unmittelbar überhaupt spielen, nicht treffen lassen, dann frage ich Sie, ob Ihnen das nicht riesengroße Kopfschmerzen bereitet, wenn wir hier eine Maßnahme haben, die wirklich einen massiven Eingriff in die Grundrechte darstellt. Denn durch diese Antwort wird ja zum Ausdruck gebracht, dass wir zumindest mit den bisherigen Mitteln überhaupt nicht feststellen können, ob es etwas bringt.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bolte, für die Antwort stehen Ihnen auch 90 Sekunden zu.

Matthi Bolte (GRÜNE): Verehrter Herr Präsident, zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich meine Redezeit ein wenig überzogen habe. Das kommt bei mir manchmal leider vor. Das ist eine sehr schlechte Angewohnheit.

Herr Kollege Herrmann, Sie haben in Ihrer Kurzintervention zu Recht darauf hingewiesen, dass wir uns hier in einem grundrechtlich sehr sensiblen Bereich bewegen. Deswegen habe ich Ihnen auch zugestimmt, dass es völlig richtig ist, diese Diskussion über die Frage, was an welcher Stelle richtig und verhältnismäßig ist, und darüber zu führen, was mildere Eingriffsformen sind. Wenn ich mir die verschiedenen technischen Möglichkeiten anschaue, ist sicherlich eine Funkzellenabfrage grundrechtlich sensibler als ein Ortungsimpuls. Ein Ortungsimpuls ist weniger eingriffsintensiv als eine TKÜ-Maß-nahme. In dem ganzen technischen Potpourri an Maßnahmen gibt es durchaus eine breite Vielfalt.

Ich habe vorhin zu Ihrem Antrag lediglich gesagt, dass sich mir noch nicht 100%ig erschlossen hat, was Sie da genau vorhaben, was da passieren soll,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Darüber sprechen wir dann!)

welchen Aufwand diese Anfrage auch in den Behörden mit sich bringt und wie man das vernünftig umsetzen kann.

Dass wir mit der vorliegenden Antwort auf Ihre Große Anfrage durchaus Möglichkeiten haben, über den Sachverhalt zu diskutieren, was verhältnismäßig ist, wollte ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Insofern freue ich mich auf die Debatte, die im Ausschuss vor uns liegt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. Die Überziehung der Redezeit sei Ihnen verziehen. Auch zwei Ihrer Vorredner hatten schon ein paar Sekunden mehr bekommen.

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Orth für die FDP-Fraktion.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit Sie merken, dass nicht alle Fraktionen gleich ticken, werde ich mich bemühen, die Redezeit nicht zu überschreiten. Ich glaube, man kann es heute relativ kurz machen.

Zunächst möchte ich festhalten, dass wir Liberale bei der Kriminalitätsbekämpfung sehr darauf achten, möglichst milde Mittel einzusetzen, möglichst wenige Daten zu erheben, möglichst wenig Privatleben zu erforschen. Das ist uns alles sehr, sehr wichtig.

Umso mehr haben wir uns ein wenig über diesen Antrag gewundert. Denn unter der Überschrift, dass man eine Erhebungsmatrix haben wolle, um merken zu können, wie tief in die Daten eingegriffen wird, wollen Sie jetzt Daten ohne Ende erheben, meine Damen und Herren von den Piraten.

Da kippen Sie aus meiner Sicht das Kind mit dem Bade aus. Laut Ihres Antrags möchten Sie die Funkzelle wissen, den Zeitraum wissen, wann er da war, welche Straftat ihm zu Last gelegt wurde, auf welcher Rechtsgrundlage das basiert, welchen Erfolg man der Überwachung zuschreiben kann, ob die Daten noch einmal für das eine oder andere gebraucht wurden usw. Sie erfragen hier ohne Ende Details. Ich kann nur aus den Jahren, die ich mich mit Datenschutz beschäftige, sagen: Alle Daten, die erhoben werden, können immer für irgendetwas anderes gebraucht werden. Ich möchte nicht, dass, weil Sie berechtigterweise wissen wollen, ob zu viel erhoben wird, diese Daten genau deswegen erhoben werden und diese dann ihren Weg finden, in welche Kanäle auch immer, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Insofern sind wir da skeptisch.

Wir sind allerdings auch dafür, dass endlich eine Unterrichtungspflicht nach § 100b Abs. 5 StPO eingeführt wird, auch für den IMSI-Catcher. Wir sind der Ansicht, dass wir da genau hinsehen müssen.

Nur, liebe Piraten, auch das Thema mit dem Erfolg haben Sie in Ihrer Großen Anfrage nicht wirklich erfasst. Sie haben sozusagen nach Beiträgen gefragt, die die ganzen Maßnahmen gemacht haben. Aber die Frage, die auf den Punkt geführt hätte, wäre: Ist jemand aufgrund der Katalogtat, wegen der eine Maßnahme eingeleitet wurde, am Ende auch verurteilt worden?

(Minister Ralf Jäger: Das ist die entscheidende Frage!)

Diese Frage haben Sie gar nicht erst gestellt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Die habe ich gerade vorgelesen!)

Ich habe sie einmal bezogen auf den Bereich der Telefonüberwachung gestellt. Da hat sich herausgestellt, dass bei der angeblich so erfolgreichen Telefonüberwachung, der eine 85%ige Erfolgsquote zugeschrieben wird, niemand weiß, wie viele Leute überhaupt verurteilt wurden, weil nämlich Erfolg im Sinne der Statistik ist: Telefonüberwachung wegen räuberischer Erpressung angeordnet. – Im Telefonat sagt er: Ich bin ohne Fahrkarte gefahren. – Er ist angeklagt wegen Schwarzfahren und freigesprochen worden, weil er vor Gericht sagen konnte: Ich hatte eine Karte und konnte es hinterher belegen. –Das ist ein Erfolg im Sinne der Telefonüberwachungsstatistik.

Diese Fragen hätte ich Ihnen anempfohlen, wenn ich die Fragen, die Sie gestellt haben, als Große Anfrage dem Parlament vorgelegt hätte. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. Das hat geklappt mit der Ankündigung. – Für die Landesregierung spricht jetzt der Minister für Inneres und Kommunales, Herr Jäger. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es droht nicht, dass ich die Redezeit überschreite, weil das eingetreten ist, was ich zu Beginn dieses Tagesordnungspunktes schon befürchtet hatte: dass nämlich wegen großer Übereinstimmung in den Inhalten zwischen den Fraktionen das meiste schon gesagt wurde. Insbesondere Herr Körfges hat bereits zu Beginn das Thema eigentlich abgeräumt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist mir nicht aufgefallen!)

Ich will nur zwei Dinge noch einmal deutlich machen. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um Bundesrecht. Es handelt es sich um Regelungen des Bundes in der Strafprozessordnung. Diese Regelungen gelten für alle Behörden bundesweit. Im ersten Schritt ermittelt die Polizei, dass es die Notwendigkeit einer Maßnahme gibt. Im zweiten Schritt prüft die Staatsanwaltschaft rechtlich, ob eine Verhältnismäßigkeit gegeben ist. Im dritten Schritt wird das einem Gericht bzw. einem Richter vorgelegt, der ebenfalls die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit zu prüfen hat. Diese Regelungen der Strafprozessordnung gelten für alle Polizeibehörden der Länder und des Bundes bundesweit.

Das Problem, das Sie aufgemacht haben, Herr Herrmann – ich kann das ja in Teilen nachvollziehen –,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist schon mal gut!)

ist: Sind diese Maßnahmen eigentlich von Erfolg gekrönt? Das würde bedeuten, bei jeder dieser Maßnahmen tief in die Ermittlungsakte einzusteigen und zu prüfen, ob die Maßnahme anschließend zu einer Verurteilung geführt hat. Eine solche statistische Erhebung würde dazu führen, Daten zu aggregieren, die personenbezogen sind oder personenbeziehbar sind. Damit würden Sie das genaue Gegenteil von dem erreichen, was Sie eigentlich wollen.

Insofern freue ich mich auf die Debatte im Innenausschuss, wo wir diese Positionen noch einmal miteinander vertiefen können.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Genau!)

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Damit sind wir am Schluss der Aussprache. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich stelle fest, dass die Große Anfrage 10 der Piratenfraktion hiermit erledigt ist.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/6118. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Innenausschuss; dort soll die abschließende Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen die Überweisungsempfehlung oder möchte sich enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag wie besprochen überwiesen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

6   Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2723

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/6138

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6222

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6225

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion spricht zunächst der Kollege Scheffler.

Michael Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen machen wir damit ernst, ein Aufstellungsverbot für Grabsteine, die in schlimmster Form der Kinderarbeit hergestellt worden sind, zu ermöglichen. Dies entspricht im Übrigen auch dem Wunsch vieler Friedhofsträger, insbesondere vieler christlicher Friedhofsträger.

Die Aufstellung von Grabsteinen gehört in unserem Land zur allgemeinen Bestattungskultur. Es ist üblich, auch oft mit edlen Steinen an geliebte Menschen zu erinnern. Dagegen ist selbstverständlich nichts einzuwenden.

Meine Damen und Herren, verwerflich ist es jedoch, wenn – nach einer Schätzung des Instituts für Ökonomie und Ökumene – allein in der indischen Steinindustrie mindestens 150.000 Kinder daran arbeiten, Grabsteine für unsere Wünsche zu fertigen. Die Arbeitsbedingungen in den indischen Steinbrüchen sind bei brütender Hitze und mit ungefiltertem Steinstaub schier unerträglich. Viele Kinder sterben durch den Staub im jungen Alter durch Lungenerkrankungen. So berichtet zum Beispiel die Kampagne „Aktiv gegen Kinderarbeit“.

Im November dieses Jahres werden die UN-Kinderrechte 25 Jahre alt. Die UNICEF hat deshalb jüngst einen Bericht zu deren Umsetzung herausgegeben. Die Ergebnisse sind auch nach einem Vierteljahrhundert immer noch in vielen Bereichen erschütternd. Bis heute müssen beispielsweise allein 168 Millionen Mädchen und Jungen weltweit unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten.

Wir hier in Nordrhein-Westfalen können mit relativ einfachen Mitteln unseren Teil dazu beitragen, dass viele Kinder weltweit besser geschützt werden – beispielsweise, indem wir die Rohmaterialien für unsere Grabsteine nicht mehr von ihnen anfertigen lassen. Mit dem neuen Gesetz können vor Ort rechtssichere Friedhofssatzungen erlassen werden, die dies sicherstellen. Künftig müssen dann über eine Zertifizierungsstelle Bestätigungen erteilt werden, dass die Herstellung der Steine ohne die schlimmsten Formen der Kinderarbeit erfolgt ist.

Der Stichtag zum 1. Mai 2015 sichert insbesondere auch den kleinen und mittleren Betrieben der Steinmetze die Bestände, die sich noch in den Lagern befinden; denn bis dahin dürfen die vorher importierten Grabsteine verkauft werden. Damit sind die ursprünglich geäußerten Befürchtungen der Steinmetzinnungen ausgeräumt.

Meine Damen und Herren, die meisten unserer Mitmenschen hegen den Wunsch, ihre Angehörigen respektvoll zu bestatten und zu verabschieden. Dass sie dabei nicht nur den christlichen Riten folgen, versteht sich selbstredend. Bestattungsgesetze nehmen die üblichen religiösen Riten eines Landes auf. Deshalb ist das neue Gesetz innovativ und wichtig, weil nunmehr gemeinnützigen Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereinen ermöglicht werden soll, selbstständig einen Friedhof zu betreiben. Darauf wird der Kollege Neumann für die SPD-Fraktion gleich noch eingehen.

Aber auch in anderer Hinsicht ist vielfach ein sensibler Umgang mit der Würde und den Wünschen der Verstorbenen notwendig: bei den ordnungsbehördlichen und sogenannten Sozialbestattungen. Wir haben in unserem Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass hier noch einiges zu tun ist. Leider gibt es keine einheitlichen Standards für Bestattungen, die von Kommunen finanziert werden müssen, weil sonst niemand dafür aufkommt.

Deshalb wünschen wir uns, dass die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände dafür Sorge tragen, dass bei Sozialbestattungen auch die Wünsche und gegebenenfalls die Religion des Verstorbenen berücksichtigt werden und für eine würdevolle letzte Ehrung gesorgt wird.

Als zusätzlichen dringenden Aspekt möchte ich hervorheben, dass nach der Verabschiedung dieses Gesetzes durch Modelle mit neuen Verfahren erprobt werden kann, wie sich die Qualität der äußeren Leichenschau, die immer wieder diskutiert wird, verbessern lässt. Damit wird sichergestellt, dass in Zukunft eine höhere Genauigkeit bei der Ermittlung der Todesursachen erzielt wird.

Auch möchten wir geprüft wissen, inwieweit die Verfahren der Leichenschau vor Bestattungen und Überführungen ins Ausland beschleunigt werden können, um religiösen Vorschriften, die eine schnelle Bestattung vorsehen, besser gerecht zu werden. Im Übrigen gehen wir davon aus, dass auch künftig alternative Bestattungsformen möglich sein werden und das Gesetz nicht so eng ausgelegt wird, dass dies künftig nicht mehr machbar sein wird.

Wir haben eine Bestattungskultur, die sich weiterentwickelt. Ich gehe davon aus, dass wir mit der Novellierung des Bestattungsgesetzes einigen Entwicklungen positiv Rechnung getragen haben werden.

Ich bitte die Damen und Herren des Landtages, dem Änderungsantrag, dem Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Scheffler. – Nächster Redner ist Herr Kollege Post für die CDU-Fraktion.

Norbert Post (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Mensch stehen Wert und Würde nicht nur im Leben zu. Sie reichen über den Tod hinaus. Daher ist die Bestattungskultur einer Gesellschaft ein Ausdruck von Humanität und auch des Umgangs mit den Lebenden.

Dem folgend ist ebenso die Würde des Bestattungsortes zu wahren. Veränderte Bestattungsmöglichkeiten haben sich in der Gegenwart bei einigen Menschen zu Wünschen erweitert, anders zu bestatten, als sich das in der Kultur des Abendlandes ergeben hat. So wenigstens scheint es die Wahrnehmung des Ministeriums zu sein.

Nun sind Sie, Frau Ministerin, und die Regierungsfraktionen schon 2003 auf den Weg der Subjektivierung des zu Bestattenden unter Hintanstellung der menschlichen Kultur, der abendländischen Bestattungskultur, gegangen. Dabei ist festzustellen, dass an das neuerliche Änderungsgesetz fast technisch herangegangen wurde. Gestatten Sie mir aber, deutlich zu machen, dass wir es hier nicht mit einer technischen Anleitung zu tun haben, sondern mit einem großen, über zigtausend Jahre hergeleiteten Kulturgut, dem Kulturgut Bestattung.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich zunächst auf einige jetzt vorgenommene Veränderungen eingehen. Nach dem Gesetz werden der Transport und das Transportmittel für Tote dem jeweiligen Transporteur weiterhin freigestellt. Welche Folgen und Auswüchse dies hat, dafür gibt es in der Medienlandschaft genügend Beispiele. Die Beispiele des Missbrauchs können Sie nachlesen. Hier ist eines verkannt worden, dass als Anlass der Transport eines Menschen, eines toten Menschen, gegeben ist.

Ein fast als dilettantisch anmutendes Beispiel für die Diktion dieses Gesetzes gibt die Nachweispflicht für Urnenbestattungen ab. Zunächst, Frau Ministerin – das muss ich ehrlich sagen –, war ich begeistert, dass nach diesen Jahren verstanden worden ist, dass wir eine Nachweispflicht brauchen. Das unterschreiben wir vollkommen. Dann aber kam heraus, dass dieser Nachweis der Bestattung gegenüber einem Krematorium abgegeben werden soll. Nun sind Krematorien nicht gerade in hoheitlichen Aufgaben beschäftigt, sondern eher eine Hilfsinstitution. Der Nachweis über den Verbleib eines Menschen muss daher sicher gegenüber einer das Personenstandsregister führenden Verwaltungseinheit erfolgen. Übrigens: Nirgendwo steht, was geschehen soll, wenn das nicht erfolgt.

Zur zweiten Leichenschau: Ja, es ist sicherlich richtig bei der Unwägbarkeit, die es gibt und die in verschiedenen Veröffentlichungen dargestellt werden, dass es Stichproben zu einer zweiten Leichenschau geben muss. Wir halten es nicht für sinnvoll, wenn ein gesamtes Gebiet mit einer zweiten Leichenschau überzogen wird, da dann Vorinformationen gegeben sind. Eine ehrliche Stichprobe gibt mehr Aufschluss über das Verfahren. Beides ist im Gesetz ermöglicht. Wir sehen aber die zweite Möglichkeit als sinnvoller an. Die zweite Art des Modellversuches ist uns also lieber.

Allerdings dürfte diese zweite Leichenschau dann schwerfallen, wenn Sie die Verkürzung der Bestattungsfrist auf 24 Stunden ermöglichen wollen. Da muss noch nachgearbeitet werden. Das ist nicht logisch und nicht schlüssig. Das wird nicht gelingen.

Lassen Sie mich aber auch lobend erwähnen, dass die Länge der Bestattungsfrist angepasst wurde. Das ist in Ordnung und trägt dem Rechnung, dass Familien zum Teil weit disloziert sind, weit auseinander leben. Auch unsere Art von Feiertagen führt oft dazu, dass eine Bestattung binnen acht Tagen fast nicht möglich ist.

Bei der infrage stehenden Unterbindung der Kinderarbeit bei der Gewinnung von Steinrohlingen für die Gedenksteine haben Sie einen möglicherweise gangbaren Weg gefunden. Hier bitten wir aber zu evaluieren, ob das Verfahren, das Sie mit dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen endgültig angepasst haben, in der Praxis wirklich umsetzbar ist. Da bedarf es einer kurzfristigen Evaluierung im Rahmen von mindestens ein bis zwei Jahren, damit man weiß: Es geht. Es funktioniert in dieser Form oder es funktioniert nicht.

Für mich unerklärlich bleiben allerdings Maßnahmen, die die Friedhofsträgerschaft mit allen Rechten und Pflichten auf Vereine oder Gemeinschaften übertragen können. Diese Gemeinschaften brauchen nicht mehr Körperschaft öffentlichen Rechts zu sein. Die langen Laufzeiten von Gräbern auf Friedhöfen und andere Rechtsfolgen der vollständigen Übertragung auf einen Verein sowie die Sicherstellung bergen große unwägbare Gefahren für diese Vereine, für diese Übernehmer, aber auch für die dann in Sicherung tretende öffentliche Hand, wenn es nämlich nicht funktioniert mit den Vereinen. Diese Vereine haben also keinen Körperschaftscharakter, obwohl wir gerade hier im Landtag das neue Körperschaftsgesetz beraten und man da Ansätze finden könnte, um das Ganze gangbarer und vernünftiger zu machen.

Es ist fahrlässig, wenn Sie den Vereinen Rechtsfolgen aufoktroyieren, die Sie kaum übersehen können, falsch, wenn Sie hier Gruppierungen unterschiedlich behandeln und die Bedingung zur Trägerschaft vehement aufweichen. Welche späteren Folgen das haben kann, das werden wir erleben.

Das alles aber ist unnötig, da auf erreichbaren öffentlichen Friedhöfen separate Felder für Bestattungen nach eigenen Riten und eigenen Ordnungen geschaffen werden können. Das hat uns die Anhörung der Vertreter der Kommunen und Kommunalverbände eindeutig gezeigt. Fragen Sie die Kommunen. Das ist anbietbar in erreichbarer Entfernung.

Die Landesregierung legt hier einen Gesetzentwurf vor, der sich wieder ein Stück weiter von der herkömmlichen abendländischen Kultur im Umgang mit Verstorbenen entfernt. Die in dem hier vorliegenden Gesetzentwurf noch weiter erleichterte anonyme Beisetzung zeigt, wie eine Entfernung von den Grundwerten, von der menschlichen Bindung an das Grab als Ort der Trauer gegeben ist.

Dazu muss ich hier nochmals deutlich machen, dass Sie in dieser Vorgehensweise den Menschen fast ausschließlich als individuelles Wesen und weniger als soziales Wesen betrachten. Allein der vereinzelte Wunsch nach anonymer Bestattung reicht nicht, um dies allgemein zu machen.

Als Bedingtheit des typisch Menschlichen wird von Hans Jonas, dem jüdischen Philosophen und Verfasser des „Prinzips Verantwortung“, ausgeführt, in der Anthropologie werde neben dem Werkzeug und der Schaffung des Bildes das Grab als eben jenes typisch Menschliche festgelegt.

Auch in der Literatur bei Marie Luise Kaschnitz wird die Sensibilität für Orte ebenso groß geschrieben wie der Sinn für Trauer um die Toten.

Immer wieder hört man, man könne ja auch der Toten gedenken, wenn man nicht ein Grab, einen Ort, vorfindet. Aber machen Sie sich bitte klar, dass Trauerkontakt nicht nur virtuell stattfinden kann, weil Leben, auch wenn Medien uns das heute manchmal anders suggerieren, nun mal nicht virtuell ist, auch wenn die Welt immer virtueller zu werden scheint.

Vor einem Grab zu stehen, macht bewusst, dass das Leben endlich ist. Ja, Menschen benötigen nicht nur Anlässe und Ideen zur Trauer, sondern auch Orte und reale Gegebenheiten. Sie leisten Vorschub, ihnen diese zu nehmen.

Am Grab wird das Nachdenken über das Nachher bewusst und begreifbar. Dadurch bedenkt der Mensch auch das Jetzt und Hier seiner selbst. Am Grab kristallisiert sich die Frage des Woher und Wohin und auch des Seins außerhalb meines jetzigen Tuns und Erfahrens heraus. Menschen brauchen also Orte, Gegenstände, dinglich bezogene Anlässe, die sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können. Sie benötigen sie zum Erinnern, zur Trauer und zum Aufbau der Zukunft auf ihre Vergangenheit. Der Mensch lebt nicht nur sich selbst. Er lebt auch die Gemeinschaft. Er stirbt nicht nur sich selbst, sondern er stirbt auch die Gemeinschaft.

Hans Jonas, den ich eben erwähnt habe, spricht von „nachhaltigem Handeln“. Dafür wird er verehrt. Er ist der Meinung, dass der Mensch im Blick auf das Grab damit sogar weit über Werkzeug und Bild hinaus zum typisch Menschlichen gelangt.

Meine Damen und Herren und sehr verehrte Frau Ministerin, achten Sie darauf, dass Sie dieses typisch Menschliche nicht weiter verlassen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Post. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt Frau Kollegin Velte.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Post! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dieser Predigt gestatten Sie mir, dass ich Herrn Post zuerst nenne und jetzt versuche, wieder ein wenig auf den Boden des Bestattungsgesetzes zurückzukommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Post, Sie haben viel von der Kultur des Abendlandes gesprochen.

(Norbert Post [CDU]: Nur einmal!)

– Nein, Sie haben die Kultur des Abendlandes auch im Abschlussteil mehrfach erwähnt. Zur Kultur des Abendlandes gehört ja auch etwas in den Bestattungskulturen, nämlich die jüdischen Friedhöfe. Wir haben uns erklären lassen, dass die jüdischen Friedhöfe – der älteste soll wohl 1.000 Jahre alt sein und befindet sich in Worms – auch eigene Erde brauchen, dass sie Eigenes brauchen.

Sie nicken jetzt so wissend und sagen: Ja toll, das ist so, das haben wir. – Aber Sie haben es in Ihrer ganzen Rede nicht einmal geschafft, von muslimischen Begräbnisstätten zu sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn das ist aus grüner Sicht einer der wichtigen Punkte, um die es an dieser Stelle geht. Sie haben zu Recht angesprochen, Herr Post, dass Bestattungskultur wichtig ist. Sie haben zu Recht angesprochen, dass es wichtig ist, Vielfalt zu repräsentieren – auch in der Bestattungskultur. Aber Sie haben sich in Ihrer Rede nicht den gesellschaftlichen Realitäten gestellt. Die gesellschaftlichen Realitäten sind wichtig, und das Bestattungsgesetz nimmt sie auf, indem sie es den Menschen in Form der Beleihung möglich macht, ihre Begräbnisstätten aufzubauen und zu betreiben.

Wie wichtig das ist, erfährt man eigentlich immer, wenn man muslimische Vereine besucht, die auch stets danach fragen: Wie und wo können wir unsere Toten in Deutschland bestatten? Deshalb ist es ein bisschen unangenehm, wenn Sie es nicht schaffen, diesen wichtigen Punkt, der auch zur Vielfalt in unserer Gesellschaft beiträgt, offen zu benennen, während Mitglieder Ihrer Fraktion durch die muslimischen Vereine wandern und sagen: Wir sorgen für euch; wir machen alles für euch.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

– Ja, eben nicht alle.

(Serap Güler [CDU]: Bei Ihnen auch nicht alle!)

Ich möchte noch auf ein weiteres Argument von Herrn Post eingehen, dass mittlerweile mehr und mehr Friedhöfe leerfallen.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Gerade deswegen ist es für die Kommunen und die Kirchen sehr vorteilhaft, wenn sie Begräbnisstätten, die nicht genutzt werden, auf dem Weg der Beleihung an andere Religionsgemeinschaften oder Vereine übertragen können. Das unterstützt die Kommunen und hilft ihnen. Das ist doch nicht der Untergang des Abendlandes.

Ich freue mich sehr, dass es dieses Bestattungsgesetz gibt. Ich freue mich auch sehr, dass es im Ausschuss über den rot-grünen Änderungsantrag gelungen ist, die Frist zur Bestattung noch mal abzusenken: auf 24 Stunden. Das kommt vor allem den Religionsgemeinschaften entgegen, insbesondere den jüdischen und den muslimischen, die sagen. Wir brauchen eine kurze Zeit, wenn wir hier bestatten. – Bestattungen schaffen auch so etwas wie Heimat. Gerade deswegen ist es wichtig, diese 24 Stunden zu nehmen.

Was ich nicht verstanden habe – vielleicht ist das aber ein Missverständnis, das sich durchzieht –, ist, wie Sie über die zweite Leichenschau gesprochen haben. Auch wir haben in unserem Antrag die zweite Leichenschau angesprochen, aber aus völlig anderen Gründen. Es ist im Moment sehr schwierig für die Menschen, die ihre Angehörigen ins Ausland überführen wollen, die zweite Leichenschau in einem angemessenen Zeitraum durchführen zu lassen. Deswegen sagen wir: Wir müssen über die rechtsmedizinischen Institute eine Notfalloption haben, und wir brauchen Hinweise an die Kommunen, um da das eine oder andere zu verbessern.

Ich möchte Ihnen zum Abschluss meines Redebeitrags ein Beispiel aus dem Bergischen Land vortragen. In der schönen Stadt Wuppertal gibt es sehr viele Friedhöfe: sehr alte jüdische und sehr alte christliche Friedhöfe. Die Wuppertaler haben mir erzählt und mehrfach geschrieben – sie waren auch in der Anhörung dabei –: Macht schnell das Gesetz, damit wir endlich auf dem Begräbnisfeld, das wir an diesem jüdischen und diesem christlichen Friedhof noch übrig haben, eine muslimische Begräbnisstätte einrichten können. In dem Sinne freue ich mich sehr darauf, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden und in der Stadt Wuppertal ein interreligiöser Friedhof entstehen kann. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie sagt der Volksmund so treffend? Von der Wiege bis zur Bahre Formulare, Formulare. – Mit Ihrem Bestattungsgesetz, werte Frau Ministerin, fügen Sie beispielsweise mit dem Nachweis der ordnungsgemäßen Urnenbestattung ein weiteres hinzu. Mir stellt sich die Frage: Was bedeutet ordnungsgemäß? Erdbestattung – ordnungsgemäß, Urnenbestattung – ordnungsgemäß, Friedwälder oder Bestattung auf hoher See – ordnungsgemäß. Dass Menschen heute immer häufiger sehr konkrete Vorstellungen von ihrer eigenen Beerdigung haben, bleibt jedoch gänzlich unberücksichtigt, obwohl sich die Bestattungskultur in diesem Land in den letzten Jahren deutlich gewandelt hat.

Wenn jemand wünscht, dass seine Totenasche als Erinnerungsstück für die Hinterbliebenen zum Diamanten verpresst wird, möchte ich dies nicht generell verurteilen.

Oder wenn die Liesel die Asche ihres verstorbenen Friedrich im Garten unter der Zierkirsche bestatten möchte, weil er dieses Plätzchen immer so mochte und dieses auch zu Lebzeiten verfügte, finde ich das alles andere als nicht ordnungsgemäß.

(Beifall von der FDP)

Solche individuellen Wünsche berücksichtigt das Gesetz leider gar nicht. Diese Diskussion sollte aber meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft geführt werden.

Auch der Nachweis, dass Grabsteine nicht durch Kinderarbeit hergestellt worden sind, erscheint der FDP-Landtagsfraktion nicht gerade unbürokratisch und nur schwer durchführbar. Sicher möchte niemand der hier Anwesenden, dass Kinder solche schweren, gefährlichen Arbeiten durchführen. Wie hoch tatsächlich die Zahl der Kinder bei der Herstellung von Grabsteinen ist, lässt sich nicht verlässlich feststellen. Fakt ist, Kinderarbeit verletzt Kinder in ihren Grundrechten, nimmt den Betroffenen die Chance auf Ausbildung und auf qualifizierte Arbeit im Erwachsenenalter. Sie bleiben in Armut und werden ihrer Zukunftschancen beraubt.

Die Zertifizierung der Grabmäler und Grabsteineinfassungen, die die Landesregierung nun vorschlägt, wird aber an den Bedingungen vor Ort leider nichts ändern. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Oktober 2013 festgestellt, dass es gegen ein generelles Aufstellungsverbot von Grabsteinen, die durch ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt wurden, keine Bedenken gibt. Jedoch sollte der Gesetzgeber festlegen, wie der Nachweis zu gestalten ist. Hierzu vermisse ich in dem geänderten Gesetzentwurf konkrete Regelungen.

(Beifall von der FDP)

Wie soll ein solcher Nachweis unveränderbar angebracht werden? Da bin ich gespannt, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll. Den Schwarzen Peter haben die Kommunen. Sie sollen entscheiden, welche Steine aufgestellt werden dürfen und werden mit Aufgaben zur Anerkennung von Zertifizierungsstellen und der Kontrolle der Einhaltung belastet.

Was passiert mit den Steinen, die die Steinmetze bereits in ihrer Ausstellung haben? Lässt sich definitiv feststellen, ob diese Steine ohne Kinderarbeit produziert wurden? Eine Beantwortung umgehen Sie, indem Sie pauschal alle vor dem 1. Mai 2015 eingeführten Steine von dieser Regelung ausnehmen. Ich würde mich nicht wundern, wenn diese Maßnahme den einen oder anderen Betrieb noch zu Großeinkäufen vor diesem Stichtag veranlasste.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor vielen Jahren war es wichtig, dass ein Verstorbener aus Gründen der Hygiene und des Gesundheitsschutzes zügig bestattet wird. Inzwischen stehen viele technische Möglichkeiten zur Verfügung, sodass hier keine Eile mehr geboten ist. Ein Kritikpunkt an der ursprünglichen Gesetzesvorlage war für die Liberalen, dass nicht nur eine Erdbestattung innerhalb von acht Tagen erfolgen sollte, sondern künftig auch die Kremierung des Leichnams. Ersteres war in der Vergangenheit schon häufig schwierig – zum Beispiel wegen Feiertagen an Weihnachten oder Ostern. Auch wenn sich Angehörige im Ausland aufhielten, wurden diese wegen der Acht-Tages-Frist häufig vor große Herausforderungen gestellt. Es konnte zwar immer eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden; für die Hinterbliebenen führte das jedoch zu zusätzlichen Belastungen.

Eine Einäscherung innerhalb von acht Tagen jedoch ist kaum möglich, da sich viele Menschen eine Trauerfeier mit Sarg wünschen. Dieser Wunsch und eine Kremierung innerhalb von acht Tagen wären in der Praxis nicht vereinbar gewesen. Das wurde auch von den Experten in der Anhörung betont. Die auf zehn Tage geänderte Frist sorgt nun zumindest für eine gewisse zeitliche Entspannung.

Die FDP-Landtagsfraktion hat bereits 2011 die Landesregierung aufgefordert, sich für eine Erleichterung islamischer Bestattungen in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. Zwar gibt es mittlerweile einige Städte wie zum Beispiel Köln, Duisburg, Wuppertal oder Münster, wo islamische Bestattungen erfolgen können; von einem bedarfsgerechten Angebot konnte aber bei Weitem noch nicht gesprochen werden. Unseren muslimischen Mitbürgern ist es aber verständlicherweise wichtig, die Bestattung entsprechend ihrer Religion durchzuführen.

Während die Migranten der ersten Generation häufig in ihrem Heimatland beigesetzt werden wollten, wünschen sich inzwischen viele Muslime eine Beisetzung in ihrem langjährigen Wohnort hier in Nordrhein-Westfalen. Städte und Gemeinden können nun zukünftig entscheiden, die Errichtung und den Betrieb von Friedhöfen auch gemeinnützigen Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereinen zu übertragen. Das und auch die Beerdigung, die künftig bereits nach 24 Stunden durchgeführt werden kann, werden in der Gesetzesvorlage berücksichtigt. Damit erfüllen Sie auch eine alte Forderung der FDP-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein wichtiger Punkt im Bestattungsgesetz ist die Leichenschau, die nach dem Ableben eines Menschen durchzuführen ist. In der Vergangenheit war eine zweite Leichenschau lediglich bei einer gewünschten Einäscherung oder selbstverständlich beim Verdacht eines unnatürlichen Todes vorgeschrieben. Experten gehen jedoch von jährlich weit über 10.000 unentdeckten und unnatürlichen Todesfällen in Deutschland aus. Hier besteht Handlungsbedarf.

Die Älteren von Ihnen erinnern sich vielleicht noch an „Quincy“, eine Fernsehserie über einen sogenannten Coroner, dessen Tätigkeit ausschließlich darin bestand, Leichen gründlich anzuschauen. Im wirklichen Leben ist in Europa – beispielsweise in England und Wales – dieses Coroner-System vorhanden: Jeder Tote wird unabhängig von einer Verdachtslage auf Fremdverschulden untersucht. Dies erscheint mir der Idealzustand, lässt sich auf Deutschland bzw. Nordrhein-Westfalen leider nicht so einfach übertragen. Außerdem spielen – wie immer – auch die Kosten eine nicht unerhebliche Rolle.

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nunmehr generell eine zweite Leichenschau durchgeführt werden. Das ist sinnvoll und richtig; aber leider ist das nur für Modellregionen geplant. Nach Meinung zahlreicher Sachverständiger wäre das für das ganze Land sinnvoll und sollte spätestens im Anschluss an das Modellprojekt flächendeckend eingeführt werden.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bestattungsgesetz hat durch die Diskussion im Ausschuss und die Anhörung der Sachverständigen eine Reihe von Verbesserungen erfahren. Einige Forderungen und Wünsche der Liberalen wurden ebenfalls berücksichtigt. Da es aber an zahlreichen Stellen überflüssige Bürokratie mit sich bringt, wird sich die FDP-Fraktion bei der Abstimmung enthalten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Die Menschen haben viele unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen darüber, was mit ihrem Körper geschehen soll, nachdem sie gestorben sind. Mindestens genauso viele unterschiedliche Arten gibt es, wie Menschen trauern und sich von Verstorbenen verabschieden und ihrer gedenken.

Diese Wünsche und Vorstellungen sind mindestens so real wie die Menschen, die sie haben, und dürfen deshalb nicht ignoriert werden. Aufgrund dieser Vielzahl wird es im Zusammenhang mit Bestattungen und Totenkulten immer wieder Wünsche und Vorstellungen geben, die andere nicht nachvollziehen können. Diese unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen gehen sogar so weit auseinander, dass die Wünsche und Vorstellungen des einen von dem anderen als würde- und ehrverletzend empfunden werden.

Aber sind das wirklich konkurrierende Wünsche und Vorstellungen? Schließen diese Wünsche und Vorstellungen einander aus? – Ich meine: Nein! Denn wenn wir mit den sterblichen Überresten eines Menschen so umgehen, wie es sich der jeweilige Mensch gewünscht hat, sehe ich an keiner Stelle eine Würde- oder Ehrverletzung. Ich sehe schon eher eine Würde- oder Ehrverletzung, wenn dies eben nicht geschieht, wenn also den Wünschen des Verstorbenen nicht entsprochen wird.

Dafür mag es in dem einen oder anderen Fall ganz vernünftige Gründe geben. Aber es gibt auch viele Stellen oder Sachen, die nach dem Gesetz noch verboten sind, für die ich aber keine Erklärung finde.

Ich plädiere dafür, diese unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen über Beisetzung und Verabschiedung in größtmöglicher Freiheit zu respektieren und deren Umsetzung so weit wie möglich zu realisieren.

Lassen wir Orte außerhalb von religiösen Friedhöfen oder Waldfriedhöfen zu, an denen sich auch Andersdenkende von ihren Lieben so verabschieden können, wie sie es sich gewünscht haben. Geben wir den Menschen die Möglichkeit, ihrer Verstorbenen so zu gedenken, wie sie es wünschen. Unter Beachtung eines aufgeklärten Miteinanders wäre es möglich, den unterschiedlichen Gruppen in unserer Bevölkerung die Umsetzung ihrer Wünsche und Vorstellungen zu gestatten. Das wird mit dem Gesetz aber leider nicht getan.

In dem Gesetzentwurf sind die Möglichkeiten zwar minimal erweitert worden, dies reicht uns aber bei Weitem nicht aus. Noch immer ist alles andere als das Bestatten der Asche Verstorbener verboten. Deshalb empfehle ich meiner Fraktion, sich bei dem Gesetz zu enthalten, um den minimalen Verbesserungen, die es enthält, nicht im Wege zu stehen.

Sehr gefreut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, haben wir uns über Ihren Antrag, mit dem Sie die Nutzung von durch Kinderarbeit hergestellte Grabsteine untersagen wollen; denn wie so oft zeugte der von der Landesregierung eingebrachte Entwurf in diesem Zusammenhang eher von der Haltung: „Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass!“ Deshalb werden wir Ihrem Änderungsantrag natürlich zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal ganz kurz den Werdegang dieses Gesetzes und darüber hinaus aufzeigen, warum wir uns jetzt hier mit diesem Gesetz befassen. 2000/2003 – der eine oder die andere war damals schon dabei – hatten wir ein langes Gesetzgebungsverfahren. In diesem Verfahren wurde ziemlich klar und deutlich, was auch heute in Bezug auf die beiden Pole der Redebeiträge von Norbert Post und Frau Schneider deutlich geworden ist, dass wir nämlich eine sehr unterschiedliche Bedarfs- und Diskussionslage haben, was denn eigentlich mit dem Bestattungsgesetz wie geregelt werden soll.

Wir hatten damals eine sehr emotionale Diskussion – bis hin zu der durch das Plenum getragenen Grableuchte des FDP-Abgeordneten für die Ministerin. Dabei ging es gerade um die Frage, wie weit wir in der Gesellschaft mit einer Veränderung innerhalb der Bestattungskultur gehen. Weiterhin ging es um die Frage: Wieviel Veränderung verträgt eine Gesellschaft? Ich glaube, dass viele diesbezügliche Punkte damals in Nordrhein-Westfalen quer über alle Bereiche hinweg sehr deutlich diskutiert worden sind. Darüber, dass es über dieses Bestattungsgesetz eine sehr viel sachlichere Diskussion gegeben hat, habe ich mich sehr gefreut; denn ich glaube, dass das der richtige Umgang mit unserer Bestattungskultur ist.

Damals wurde im Gesetz verankert, dass wir eine Evaluierung durchführen. Schon damals, 2009, hat mein Vorgänger Karl-Josef Laumann diese Evaluierung auf den Weg gebracht. Bevor ich gleich auf die Details eingehen werde, stelle ich fest, dass ich über die beiden Redebeiträge einerseits von Norbert Post und andererseits von Frau Schneider erstaunt bin; denn sie hatten innerhalb der schwarz-gelben Landesregierung die Möglichkeit, all die Dinge, die sie in reiner Lehre in Bezug auf die Umsetzung für richtig und notwendig halten, auch umzusetzen.

Herr Post, deswegen muss ich an der Stelle noch einmal klar und deutlich auf Sie eingehen: Sie haben es in der schwarz-gelben Regierung nicht geschafft, diese Punkte, die wir jetzt gar nicht neu einführen, zu ändern. Zum Beispiel ging es um die anonyme Bestattung, die 2003 – oder sogar schon davor – eingeführt wurde. Sie haben es gar nicht angepackt. Sie haben überhaupt nicht versucht, einen Gesetzesentwurf auf den Tisch zu legen, weil Sie wussten, dass die gesellschaftlichen Realitäten da ein Stück weit anders sind.

Die FDP hätte wahrscheinlich – wie Frau Schneider eben sagte – lieber die Freigabe des Diamanten gehabt. Sie hätten lieber eine Rückkehr gehabt. Deswegen denke ich, dass an diesen beiden Polen deutlich geworden ist, wie ausgewogen eigentlich das von der jetzigen Landesregierung vorgelegte Gesetz ist.

Mit diesem Gesetz werden einerseits Änderungsbedarfe innerhalb der Gesellschaft ernst genommen und auf den Weg gebracht. Andererseits wird das, was wir in Bezug auf den Erhalt einer Bestattungskultur an Bedarf haben, an der Stelle bewahrt. Deswegen war es der Auftrag der Evaluierung, das Gesetz auf seine Defizite hin zu überprüfen. Einige der Punkte, die Sie jetzt angesprochen haben, sind bei der Evaluierung gar nicht als Veränderungsbedarfe benannt worden. Darüber hinaus haben wir als Landesregierung andere Punkte – auch in der Form – gar nicht aufgegriffen.

Es gab schon in dem Gesetzentwurf, den wir bei der ersten Lesung eingebracht haben, drei Punkte, die, denke ich, für Nordrhein-Westfalen sehr wichtig bzw. wesentlich sind. Wir werden sie zum Glück heute gemeinsam auf den Weg bringen können.

Der erste Punkt ist von vielen angesprochen worden. Es gibt – wenn ich das in der Debatte richtig verfolgt habe – bis auf die FDP-Fraktion einen breiten Konsens hier im Parlament – darüber freue ich mich sehr –, dass es, was die Möglichkeiten der Friedhofsträger anbelangt, im Hinblick auf die Grabsteine ein Aufstellungsgebot gibt. Darüber gibt es einen breiten Konsens.

Der zweite Punkt – das ist schon mehrfach in der Debatte angesprochen worden – betrifft die Möglichkeit der Errichtung von rein muslimischen Friedhöfen. Ich meine, wenn wir klar und deutlich sagen, dass wir eine Integration der Menschen in diesem Land – egal welcher Herkunft sie sind – haben wollen, heißt das, dass Integration nicht mit dem Tod aufhört, sondern dass wir uns auch mit der Sterbekultur, den Bedarfen und den Rahmenbedingungen für die Menschen auseinandersetzen müssen. Auch das ist, finde ich, ein ganz wichtiger Punkt.

Der dritte Punkt betrifft die Maßnahmen und Verbesserungen in Bezug auf die Leichenschau. Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, auch wenn da die Vorstellungen darüber, warum wir ihn angehen müssen, ein Stück weit auseinander gehen. Auch darauf werde ich gleich noch einmal eingehen.

Am meisten – darüber gab es Konsens – wurde der Punkt der Grabsteine erwähnt, die durch Kinderarbeit hergestellt wurden. Das ist ein Beitrag im Kampf gegen die Kinderarbeit, der ganz wichtig ist. Auch darüber wurde hier in Nordrhein-Westfalen schon lange diskutiert. Mein Vorgänger Karl-Josef Laumann hatte sich dieses Themas ebenfalls angenommen. Er machte – dabei nahm er den Ausschussvorsitzenden und andere mit – eine Reise nach Indien, um sich die Situation vor Ort anzugucken.

In der Debatte war – das war Ausgangslage für unseren ersten Entwurf – der Wunsch insbesondere der kirchlichen Friedhofsträger nach einer echten Verbotsmöglichkeit geäußert worden. Wir haben den Entwurf gemacht und ihn auf Grundlage des Urteils vom 16. Oktober 2013 hinterfragen müssen. Daher haben wir eine längere Diskussionsschleife gerade wegen dieses Themas gemeinsam verbracht.

Klar ist, dass das Verwendungsverbot grundsätzlich verfassungsrechtlich legitimiert ist und dass wir es umsetzen können. Aber die Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze ist unzumutbar beeinträchtigt, wenn wir hierüber keine klare Regelung haben, wie dieser Nachweis geführt werden kann. Das haben wir jetzt geregelt.

Klar ist auch, dass der ursprüngliche Entwurf, nach der jede Gemeinde das selbst regeln können sollte, nicht funktioniert. Deswegen gibt es heute einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der dieses Aufstellungsverbot rechtssicher gestaltet.

Zu den Anmerkungen von Frau Schneider: An dieser Stelle ist das sehr unkompliziert und nicht sehr bürokratisch mit einer einfachen Zertifizierung umzusetzen. Denn bei Grabsteinen ist es sehr einfach, das Herkunftsland und damit die Herkunft der Steine nachzuvollziehen. Deswegen gibt es keinen nennenswerten Bürokratieaufwand, zumindest keinen Bürokratieaufwand in einem Maße, den der Schutz der Kinder, den wir damit herstellen, nicht legitimieren würde.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Neumann [SPD])

Der zweite Punkt in der Debatte, der zu einem Dissens mit der CDU-Fraktion geführt hat, ist die Frage der muslimischen Bestattungen. Ein Viertel der Menschen in Nordrhein-Westfalen hat eine Migrationsgeschichte. Wichtig ist, dass diese Menschen, die nach wie vor häufig die Bestattung im Herkunftsland vollziehen, Nordrhein-Westfalen nicht nur als ihren Lebensmittelpunkt, sondern auch als den Ort sehen, an dem sie über den Tod hinaus bleiben wollen.

Deswegen ist es wichtig, die Rahmenbedingungen so zu schaffen, wie sie die Menschen mit muslimischem Hintergrund haben wollen. Dafür müssen wir nicht nur Orte, sondern auch die notwendigen Rahmenbedingungen für ihre Bestattungsriten schaffen, die sich in vielen Punkten von christlichen Begräbnissen unterscheiden.

Norbert Post hat eben gesagt, es gebe gerade in größeren Städten auf kommunalen Friedhöfen eigene, ausgewiesene Felder. Sie meinen, das sei ausreichend. Nein, es gibt viele, die eine andere Bestattungsform und eine andere Trägerschaft wollen. Falsch ist, den Eindruck zu vermitteln, das müssten die Kommunen machen und damit seien hohe Risiken verbunden. Wir haben vielmehr mit dem Gesetzentwurf genau die Möglichkeit für die Kommunen geschaffen, das selbst entscheiden und vor Ort klären zu können, damit sie nicht blind in irgendwelche Risiken laufen, sondern das entsprechend ihrer kommunalen Position umsetzen können.

Der Kollege Neumann wird gleich auf das Beispiel Wuppertal eingehen. Ich freue mich sehr darüber, dass die Stadt Wuppertal mit dem ersten muslimischen Friedhof ein bundesweit einmaliges Beispiel auf den Weg bringen will.

Ich möchte, dass wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Ich halte das für wichtig ist, und es steht uns als Gesellschaft gut an, die Bedarfe und Bedürfnisse aller Menschen gleichermaßen mit den Rahmenbedingungen zu unterstützen.

Der Punkt der Leichenschau – das habe ich eben schon gesagt – hat zu unterschiedlichen Reaktionen geführt. Wir haben schon beim letzten Bestattungsgesetz und darüber hinaus immer wieder die Diskussion geführt: Sind die heutigen Leichenschauen so exakt, dass die wirkliche Todesursache erfasst wird? Es gab viele Diskussionen darüber, ob die Todesfeststellung und die Ermittlung der Todesart nicht voneinander getrennt werden kann.

Frau Schneider, Sie haben eben Zahlen genannt, wie viele Fälle bei der Leichenschau – vielleicht aus Ihrer Blickrichtung – falsch im Hinblick auf die Todesursache beurteilt worden seien. Das alles wissen wir nicht wirklich. Es liegt zwar eine Studie vor, die aber überhaupt nicht übertragbar ist. Bei ihr ist nicht klar, ob die immer wieder im Raum stehende falsche Diagnose bei Todesursachen wirklich Fakt ist.

Deswegen können wir nicht flächendeckend eine zweite Leichenschau fordern. Erstens haben wir dafür die Ärzte nicht. Zweitens gibt es dafür die Ressourcen nicht. Drittens ist nicht klar, ob sie überhaupt notwendig ist. Deswegen wollen wir in Modellregionen ermitteln, ob man überhaupt eine zweite Leichenschau braucht. Herr Post, es ist nicht sinnvoll, die Stichproben irgendwo per Zufall zu nehmen. Wir wollen Sicherheit, Klarheit und Transparenz haben, um nicht weiter im Nebel zu stochern und um zu wissen, was notwendig ist.

Ich möchte auf zwei Punkte jenseits der großen und bedeutenden Aspekte eingehen. Norbert Post, Sie haben eben klar und deutlich hervorgehoben, dass Sie die Nachweispflicht der Urne begrüßten. Im Nachsatz haben Sie ausgeführt, das sei falsch wegen der Krematorien geregelt.

(Zuruf von Norbert Post [CDU])

Dabei haben Sie nicht ausgeführt, dass klar sei, dass die Krematorien nach wie vor nur beliehen würden und dass das ausschließlich der öffentlichen Hand vorbehalten sei. Deswegen ist Ihr Argument, das seien nur die Krematorien, völlig falsch. Die Krematorien sind vielmehr die richtige Stelle dafür.

(Widerspruch von Norbert Post [CDU])

Wir halten das nach wie vor für den sinnvollen Weg. Daher ist bei Ihnen aus meiner Sicht das eine oder andere durcheinandergegangen.

Ich möchte nochmals den zweiten Punkt ansprechen – ich habe ihn eingangs schon erwähnt –: Sie haben zum Schluss Ihrer Rede eine breite Einlassung bezogen auf die anonyme Bestattung gemacht. – Die anonyme Bestattung hat etwas mit dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu tun. Sie sollen für ihren Todesfall festlegen können, dass sie anonym bestattet werden wollen.

Das ist eine Realität, wie wir sie in Nordrhein-Westfalen an vielen Stellen vorfinden, und wo auf den Friedhöfen der Umgang gerade mit anonymen Bestattungen oft ein sehr würdevoller ist.

Auf vielen Friedhöfen in Nordrhein-Westfalen finden viertel- oder halbjährlich Trauerfeiern an den Feldern der anonymen Bestattungen für die Menschen statt, die zwar wissen, dass ihre Angehörigen dort bestattet sind, die aber vielleicht das Feld nicht kennen.

Die anonyme Bestattung ist insofern zwar eine Entscheidung, vielleicht nicht mit Grabstein, mit Prunk und mit Blumen bestattet zu werden, aber das steht nicht im Widerspruch dazu, dass der Friedhof dennoch ein Trauerort sein kann. In diesem Sinne haben wir damals in 2003 diese Regelung für die Frühchen eingeführt; das gilt aber auch für andere.

Deswegen finde ich es schon etwas arg übertrieben, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: … wenn Sie den Untergang des Abendlandes für den Fall heraufbeschwören, dass die anonyme Bestattung in Nordrhein-Westfalen nicht aufgehoben würde, weil es bei einer anonymen Bestattung an Würde und einem Ort zum Trauern fehlte.

Ich freue mich, dass wir dieses Bestattungsgesetz heute – hoffentlich – auf den Weg bringen, und ich glaube, dass zwischen den Positionen von CDU und FDP genau der richtige Weg liegt für die Bedarfe der Menschen in Nordrhein-Westfalen. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt hat Herr Kollege Neumann für die SPD-Fraktion das Wort.

Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen, dass das Grundgemurmel hier im Raum relativ laut ist und der Geräuschpegel ansteigt.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Menschenrechte sind da zu Hause, wo die Menschen wohnen, wo sie leben, wo sie arbeiten und auch da, wo sie sterben.

Eine moderne Gesellschaftspolitik auf der Höhe der Zeit, die den demografischen Entwicklungen und dem Deutschland von heute Rechnung trägt, schließt das Bestattungswesen mit ein: aus Achtung und Respekt vor den Verstorbenen und ihrer Würde, aber genauso aus Achtung, Respekt und Würde vor den Angehörigen, Freunden und ihrem sozialen Umfeld.

Die Art und Weise, in der ein Land den Tod, die Toten und ihre Familien behandelt, verrät viel über die humanitären Qualitäten und die politische Kultur dieses Landes. Dabei gilt es, die Individualität und die Wünsche der Menschen zu berücksichtigen. Weil dem so ist, befinden wir heute nicht allein über ein Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes, sondern über einen maßgeblichen integrationspolitischen Schritt, dem gleichermaßen faktisch wie symbolisch eine außerordentliche Bedeutung zuzumessen ist.

Der rot-grüne Entschließungsantrag unterstreicht noch einmal diesen qualitativen Sprung, der statt von Furcht und Misstrauen von Wertschätzung, religiöser Vielfalt und freier Religionsausübung getragen ist. Ein selbstbewusstes Nordrhein-Westfalen erweist sich heute als interkulturell und menschenrechtlich erwachsenes Land.

Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir Zeichen setzen. Ja, Kollegin Schneider, wir wollen auch ein Zeichen setzen zum Schutz von Kindern vor Ausbeutung. Und mag dies auch mit einer gewissen Form von Bürokratie verbunden sein, so sage ich Ihnen: Die Menschenwürde dieser Kinder ist es wert, dass wir sie vor Ausbeutung schützen.

(Beifall von der SPD)

Erlauben Sie mir aber, mich auf einen wichtigen Aspekt zu konzentrieren: die Frage der nicht christlichen, vor allem muslimischen Friedhöfe. Ich spreche hier zu Ihnen als Landespolitiker, aber zugleich als Abgeordnete aus der Stadt Wuppertal, die hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Dort haben sich schon vor Jahren verschiedene Akteure – gerade auch die Interessensgemeinschaft der lokalen Moscheevereine – mit ausdrücklicher Unterstützung auch der Landtagsabgeordneten der SPD auf den Weg gemacht, den landesweit ersten Friedhof dieser Art Wirklichkeit werden zu lassen.

Die heutige Entscheidung schafft die erste entscheidende gesetzliche Grundlage, dass dieser lang gehegte, bei den Muslimen seit Jahrzehnten vorhandene Traum endlich Wirklichkeit wird. Integration und soziale Inklusion können sich nicht auf einzelne Personengruppen und Lebensphasen beschränken. Echte, ernsthafte Integration reicht von der Wiege bis zur Bahre.

Ist es nicht merkwürdig, wenn wir Menschen muslimischen Glaubens bisher signalisiert haben: „Bis zum Sterben seid ihr hier willkommen und gehört durchaus zu uns, aber danach ist es uns ganz recht, wenn ihr in die Länder eurer Vorfahren oder in eure Geburtsländer zurückkehrt“?

(Zuruf von der CDU: So ein Unfug!)

Sind wir uns eigentlich dessen bewusst, was es bedeutet, wenn Muslime hier in Deutschland auf muslimischen Friedhöfen unter Berücksichtigung islamischer Glaubensgrundsätze und Bestattungsriten beerdigt werden wollen, wenn sie und ihre Familien darauf Wert legen, unweit ihres Lebensmittelpunktes und in der Nähe ihrer Angehörigen eine Grabstätte zu finden?

Lassen Sie mich hier den Satz einschieben: Davon können auch in Deutschland viele Menschen, die in einem Krieg vertrieben wurden und immer wieder in die Heimat zu den Gräbern zurückkehren, ein Lied singen.

Es ist ja nun nicht gerade so, dass die Politik muslimischen Menschen die Neuregelung des Bestattungsgesetzes aufzwingen würde. Sie selber haben diese Möglichkeit angeregt und den Willen artikuliert, dass sie, ihre Eltern und ihre Kinder hier beerdigt werden können.

Häufig wird von Migrantinnen und Migranten Identifikation eingefordert, werden eigentümliche Begriffe wie „Integrationsbereitschaft“ und „Integrationswillen“ verwandt. Gibt es eine deutlichere Form von Identifikation und des Integrationswillens, als hier, wohnortnah, allen Diskriminierungserfahrungen zum Trotz seine letzte Ruhestätte zu finden? – Die Botschaft lautet: Wir sind hier zu Hause, das ist unsere Heimat.

Zugleich zeigt unsere Entschließung, dass wir selbstverständlich den Wunsch mancher Familien, sich auch zukünftig im Ausland bestatten lassen zu wollen, respektieren und die entsprechenden notwendigen Verfahren unbürokratischer gestalten wollen. Darauf sind die Vorredner schon mehrfach eingegangen.

Ja, Herr Post, mich befremdet das Vorgehen der CDU, das sich in das hier seit Jahren gezeigte Bild nahtlos einfügt und von sehr kritischen Fragen im Zusammenhang mit muslimischen Friedhöfen bestimmt ist.

Sie koppeln die Übertragung daran, dass die Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereine als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Körperschaftsstatus anerkannt sein müssen. Eine Öffnung des Bestattungsgesetzes für andere als die genannten öffentlich-rechtlichen Vereine und Verbände ist aber in der Regel nicht organisationskulturell zur Erlangung der Körperschaft für muslimische Vereine geeignet. Im Klartext: Ihr Änderungsvorschlag kommt praktisch bis auf Weiteres nicht nur einem Verzögerungsgesetz, sondern einem Verhinderungsgesetz für muslimische Friedhöfe in Nordrhein-Westfalen gleich.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Was wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Monat Ramadan dazu sagen?

Infolge der Verabschiedung des Bestattungsgesetzes werden wir in Wuppertal hoffentlich demnächst das kleine Wunder der Vereinigung dreier Weltreligionen nach dem Tod erfahren dürfen. Drei Friedhöfe – ein christlicher, ein jüdischer, ein muslimischer – werden unmittelbar aneinandergrenzen. Der eine wird des anderen direkter Nachbar sein. Ja, da darf man stolz und glücklich sein. Die Betreibergesellschaft will den Friedhof auf einem ehemaligen Grundstück des evangelischen Kirchenkreises errichten.

Diesem gewollten Wunder ist 2002 in Wuppertal bereits ein anderes vorausgegangen: die Beheimatung der neuen Bergischen Synagoge auf dem Grundstück der reformierten Gemarker Kirche – buchstäblich Wand an Wand und bundesweit einmalig.

Keine Rede, kein Text kann stärker sein als diese beiden Bilder der Wirklichkeit. Sie zeigen, dass die religiöse Vielfalt im Land Nordrhein-Westfalen eine Heimat gefunden hat und unwiderrufliche Realität geworden ist. Erweisen wir uns dieser Realität als würdig! Stimmen wir für dieses vernünftige neue Gesetz! – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz wird auch ein Bereich geregelt, der uns Grünen besonders wichtig ist. Dabei geht es um die Grabsteine aus ausbeuterischer Kinderarbeit.

Wir wissen: In Indien arbeiten 12 Millionen Kinder, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen. Hunderttausende schuften in Steinbrüchen unter gesundheitlich katastrophalen Bedingungen. Sie müssen 45 kg schwere Presslufthämmer festhalten, mit gefährlichen Sprengstoffen hantieren und ungeschützt riesige Granitblöcke aus dem Stein sprengen.

Diese Kinder arbeiten dort, damit in Deutschland billig Grabsteine verkauft werden können. Zwei Drittel aller Grabsteine in Deutschland kommen nämlich aus Indien. Deutschland bezieht insgesamt knapp 50.000 t Naturstein pro Jahr von dort.

In diesen Steinbrüchen schuften die Kinder in der Regel zwölf Stunden täglich. Sie arbeiten ohne Mundschutz und leiden in der Folge oft unter chronischen Lungenerkrankungen. Die Konsequenz ist, dass die Lebenserwartung der Betroffenen häufig nur zwischen 35 und 38 Lebensjahren liegt. Der Teufelskreis der Armut schließt sich auch, weil die Kinder, die in diesen Steinbrüchen arbeiten, natürlich nicht oder nicht regelmäßig zur Schule gehen können.

Das wollen wir nicht länger zulassen. Deshalb handeln wir hier in Nordrhein-Westfalen und schaffen in diesem Bestattungsgesetz eine gesetzliche Regelung dafür.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, darüber freue ich mich sehr. Heute regeln wir gesetzlich, dass Grabsteine aus ausbeuterischer Kinderarbeit zukünftig nicht mehr auf den Gräbern in Nordrhein-Westfalen stehen. Wir regeln, dass bei uns nur Grabsteine aufgestellt werden dürfen, die nicht aus Kinderarbeit stammen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zum fairen Handel.

Wir wissen aber auch, dass das erst der Beginn eines weiten Weges ist. Die gesamte Steinindustrie, die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie, auf die wir in den letzten Wochen durch Medienberichte aufmerksam gemacht wurden, die Gewinnung von Rohstoffen für unsere Handys, die Bergbaubetriebe, aus denen ein Großteil unserer Steinkohle kommt, und vieles mehr müssen wir anpacken, damit unser Wohlstand und Überfluss in Deutschland und den anderen Industrieländern nicht mit der Gesundheit und dem Leben von Menschen in den armen Ländern bezahlt wird.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Damit kommen wir in NRW weiter unserer Verantwortung dafür nach, dass die von uns genutzten Produkte nicht auf Kosten der Gesundheit und der Lebensbedingungen der Menschen in den armen Ländern gehen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Andrea Asch (GRÜNE): Einen Schritt in diese Richtung tun wir heute mit dem Bestattungsgesetz. Darüber freuen wir uns sehr. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Daher schließe ich jetzt die Debatte zu Tagesordnungspunkt 6 und komme zur Abstimmung. Wir haben insgesamt drei Abstimmungen durchzuführen.

Erstens stimmen wir über den Gesetzentwurf Drucksache 16/2723 ab. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/6138, den Gesetzentwurf mit den von ihm bereits in der Ausschusssitzung beschlossenen Änderungen anzunehmen. Deshalb stimmen wir an dieser Stelle ausnahmsweise über die Beschlussempfehlung ab, die diesen geänderten Gesetzentwurf enthält. Wer der Beschlussempfehlung Drucksache 16/6138 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die CDU-Fraktion. Wer enthält sich? – Das sind die FDP und die Piraten. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/6138 angenommen und letztlich auch der Gesetzentwurf Drucksache 16/2723 mit den bereits beschlossenen Änderungen in zweiter Lesung verabschiedet.

Zweitens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6222 ab. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6222 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Drittens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/6225 ab. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die CDU und die Piraten. Stimmenthaltungen? – Bei der FDP. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/6225 von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen. – Nun sind wir am Ende von Tagesordnungspunkt 6.

Ich rufe auf:

7   Rohstoffgewinnung ist sinnvoller als der „Salzpipelinebau“ zur Nordsee

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6135

Wenn sich der Geräuschpegel, der beim Verlassen des Plenarsaals entsteht, wieder etwas gelegt hat, hat Herr Kollege Fehring für die antragstellende Fraktion der CDU das Wort.

Hubertus Fehring (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für diejenigen unter Ihnen, die schon länger dabei sind, ist das Thema „Weserversalzung“ nichts Neues. Trotzdem ist das Problem bisher nicht gelöst.

Die Aktualität unseres Antrags wird überdeutlich, wenn Sie in den vergangenen Tagen die Presse verfolgt haben: Die Weser-Anrainerkonferenz hat mal wieder mit Nachdruck gefordert, in den Bereichen weiterzukommen.

Interessant ist, dass man inzwischen das Problem Fernleitung nicht mehr so betrachtet, so behandelt, wie wir es bisher getan haben. Ich erinnere daran: Auch hier im Hause haben wir in der Vergangenheit immer einstimmig dazu gestanden und gefordert, dass das Problem der Weserversalzung, der Kalirückstände mittels einer Pipeline in die Nordsee gelöst werden sollte.

Wir haben hier ohnehin dauerhaft das Problem, dass mehrere Bundesländer betroffen sind: wir als Nordrhein-Westfalen mit unseren Weseranteilen bei mir im Kreis Höxter, in Minden-Lübbecke und etwas in Lippe. Die anderen im Land interessiert das Problem leider nur wenig. Von daher ist sicherlich auch manches erklärlich.

Trotzdem frage ich die Landesregierung, wie sie ihren Einfluss deutlicher geltend machen will, damit die besagten Landesteile vor den Kaliabwässern geschützt werden. Wir haben es schon aus meiner Sicht viel zu lange diskutiert. Es müssen endlich Entscheidungen getroffen werden.

(Beifall von der CDU)

Ich erkenne auch durchaus die Maßnahmen der Kaliindustrie an. Die Firma Kali + Salz hat in den vergangenen Jahren ca. 350/360 Millionen € in die Hand genommen. Und sie ist dabei, innerhalb ihrer Produktion Maßnahmen zur Reduzierung der Abwässer einzusetzen – mit einigem Erfolg, wie man einfach konstatieren muss. Die Abwassermenge beträgt insgesamt 14 Millionen m3. Sie schafft es bis zum Jahre 2015 – das hängt auch mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie zusammen –, sie auf die Hälfte zu reduzieren.

Diese Menge, diese 7 Millionen m3, die dann noch übrig sind, müssen allerdings entsorgt werden. Unserer Ansicht nach sollte das nicht weiterhin über die Weser beziehungsweise Werra gemacht werden; der Gesetzgeber steht dahinter, und auch die Menschen möchten es nicht mehr.

Dazu kommt – das erschwert sicherlich die Situation für Kali + Salz –, dass die EU-Wasserrahmenricht-linie die Erfüllung klarer Vorgaben verlangt. Bis Ende 2015 muss der zweite Bewirtschaftungsplan vorgelegt werden, der spätestens im Frühjahr 2016 in Brüssel vorliegen muss. Wenn das alles nicht geschieht, ist mit einer Vertragsverletzungsstrafe zu rechnen. Insofern ist auch die Bundesregierung mit im Boot.

Zurück zur Fernleitung: Wie wollen wir verfahren? Unsere Bürger wünschen es nicht, wie man erfährt, wenn man sich in den beteiligten Kreisen umhört. Aus Niedersachsen gibt es klare Signale: Auch dort möchte man es nicht. Ich erinnere: In der Vergangenheit hat sich bei Schwarz-Gelb die FDP gesperrt. Jetzt – so müssen wir feststellen – sperrt sich auch die SPD in Niedersachsen. Der Ministerpräsident hat entsprechende Äußerungen getan. Er möchte keine Pipeline.

Also bleibt uns doch nur, weiter an einer anderen Lösung zu zu forschen. Wenn man den Rohstoffgedanken, der sicherlich uns allen im Hause wichtig ist, noch dazu nimmt, dann macht es doch auch Sinn, darüber nachzudenken, wie wir den Rohstoff, den wir jetzt als Abfall über die Weser in die Nordsee entsorgen, vernünftig nutzen können.

Es gibt Vorschläge – der eine oder andere wird sie kennen –, allerdings liegen sie relativ weit auseinander. Die Firma Kali + Salz behauptet, eine Anlage zum Eindampfen der riesigen Mengen und dann Verwertung der Reststoffe koste 1,6 Milliarden €, eine riesige Investition. Es gibt einen Vorschlag eines namhaften Büros aus Thüringen, das sich seit vielen Jahrzehnten mit diesem Thema beschäftigt. Dieses Büro will das für 530 Millionen € schaffen – ein ziemlicher Unterschied, sprich: das Dreifache, wenn man so will.

Nur: Es muss weitergehen. Wenn wir sie weiter diskutieren lassen, schaffen wir das Problem nicht vom Tisch. Ich weiß, das Nordrhein-Westfalen am runden Tisch bisher auch der Pipeline zugestimmt hat. Aber wir kommen auf dem Weg nicht weiter. Deshalb meine Bitte an die Landesregierung, dass wir andere Überlegungen anstellen, und zwar in Richtung Rohstoffrückgewinnung, dass wir diese Vorschläge unterstützen, die durch Büros gemacht werden,

(Beifall von der CDU)

damit wir in der Sache weiterkommen und möglichst gemeinsam – …

Präsidentin Carina Gödecke: Diese Redezeit.

Hubertus Fehring (CDU): … das haben wir bisher auch geschafft – die Dinge in den Ausschüssen und auch hier beraten. Es ist ein gemeinsames Problem, kein Problem einer bestimmten Partei. Wir möchten gemeinsam die Weser verbessern und den dort lebenden Menschen helfen.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Fehring. – Bevor ich Herrn Kollegen Berghahn für die SPD-Fraktion das Wort gebe, will ich gern zum weiteren Ablauf des heutigen Plenartages einige Mitteilungen machen, damit die Fraktionen und die Rednerinnen und Redner sich darauf einstellen können.

Zwischenzeitlich hat es die Verständigung gegeben, den Tagesordnungspunkt 13 ohne Debatte durchzuführen und die Reden zu Protokoll zu geben, bei Tagesordnungspunkt 14 auf die Debatte zu verzichten und nur die Einbringung durch die Landesregierung vorzunehmen. Sie wird ihre Rede zu Protokoll geben. Bei 15 dasselbe Verfahren, bei 16 geben alle Rednerinnen und Redner ihre Reden zu Protokoll. Dasselbe gilt dann für den Tagesordnungspunkt 19. – Mit diesen Vorbemerkungen hat der Kollege Berghahn jetzt das Wort.

Jürgen Berghahn (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Die K + S Aktiengesellschaft mit Sitz in Nordhessen ist der größte Salzproduzent und gehört zu den größten Anbietern von Düngemitteln auf der Welt.

Bei dem Abbau des Kalisalzes fallen Laugenabwässer an, die zum Teil unterirdisch verpresst, aber auch zum Teil durch Einleitung in die Flüsse Werra und Weser in die Nordsee entsorgt werden. Ebenfalls auf diese Weise entsorgt werden die Haldenabwässer der Abraumhalden.

Die Laugenabwässer, die über Werra und Weser entsorgt werden, weisen eine hohe Kaliumkonzentration auf und beinhalten natürlich andere Reststoffe, was zu einer erheblichen Gewässerbeeinträchtigung führt. Unter anderem werden hierbei Schwefel- und Quecksilberanteile vermutet. Offizielle Angaben hierzu fehlen allerdings, und das macht eine Entsorgung über Weser und Werra natürlich umso problematischer.

Die Empfehlung eines 2006 eingesetzten runden Tisches ist der Bau einer Pipeline von Hessen zur Nordsee, um die Flüsse von der Salzfracht zu entlasten. Dies wird auch im Koalitionsvertrag der regierungstragenden Parteien in NRW ausdrücklich unterstützt und eine weitere Einleitung in die Weser somit abgelehnt.

Auf der Werra-Weser-Anrainerkonferenz am 23.06. dieses Jahres wurden drei Varianten zur Entsorgung der Abwässer diskutiert. Erstens. Die Entsorgung über eine Pipeline zur Nordsee. Zweitens. Die Entsorgung über eine Pipeline zur Weser. Drittens. Das Eindampfen der Abwässer durch ein technisches Verfahren, was dem Antrag der CDU entsprechen würde.

Eine Salzpipeline zur Nordsee stößt nicht überall auf Zustimmung, zum Beispiel in den Landkreisen an der Nordsee, da sich die Einleiterstelle in der Nähe der Urlaubsorte Hooksiel und Horumersiel und damit in der Nähe des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer befindet. Somit verdient der vorliegende Antrag der CDU, dass wir ihn ernsthaft prüfen und diskutieren.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Dies gilt umso mehr, da zeitlicher Druck für eine nachhaltige Lösung besteht. Denn die Genehmigung zum Verpressen der Lauge im Boden läuft 2015 aus. Die Entsorgung der Abwässer über die Werra und damit über die Weser läuft 2020 aus. Als ob das nicht schon genug wäre, hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, wodurch eine Einleitung der restlichen Abwässer in Höhe von etwa 7 Millionen m3 ab dem Jahr 2015 unmöglich wird.

Der Antrag der CDU ist allerdings nicht neu. Die Salzlaugenaufbereitung ist bereits in der Vergangenheit diskutiert worden und laut einer Sachverständigenanhörung in Kassel als nicht machbar eingestuft worden. Hierbei standen der enorme Energiebedarf und die damit verbundenen Kosten einer weiteren Prüfung entgegen.

Aus meiner Sicht steht K + S aber auch eindeutig in der Pflicht, Verantwortung für eine umweltverträgliche Entsorgung ihrer Abwässer zu sorgen. Denn die Aktiengesellschaft verdient bereits über viele Jahrzehnte hinweg gutes Geld; Geld, das jetzt auch für die Erhaltung der Wasserqualität der Weser und des Grundwassers entlang der Weser eingesetzt werden muss.

Das Bundesumweltministerium hat angesichts des Vertragsverletzungsverfahrens ein Gutachten zur Bewertung einer technischen Aufbereitung beauftragt, das sicherlich auf die eine oder andere Art den Weg zu einer akzeptablen Lösung aufzeigen könnte. Auch in dieser Hinsicht steht K + S in der Pflicht, Lösungsbereitschaft zu zeigen.

Wir stimmen somit einer Überweisung des CDU-Antrages zur weiteren Beratung in den Ausschuss zu und schlagen die Einbeziehung des Gutachtens des Bundesumweltamtes vor.

Eines möchte ich zum Schluss noch anmerken: Ich war etwas irritiert, als ich den Antrag der CDU las. Denn noch in der Sitzung des Umweltausschusses vom 19. März 2014 – das ist noch gar nicht lange her – hat sich der CDU-Kollege Ortgies für den Bau der Salzpipeline zur Nordsee ausgesprochen, was in der jetzigen Überschrift des Antrages als nicht sinnhaft dargestellt wird. Das ist ein Widerspruch in sich. Ich denke, wir können das sicher im Ausschuss klären. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Berghahn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.

Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel der Wasserrahmenrichtlinie – das wurde bereits mehrfach angesprochen – ist es, den guten Zustand unserer heimischen Gewässer wiederherzustellen bzw. dort, wo es noch möglich ist, zu erhalten. Selbstverständlich müssen dafür Süßwassergewässer Süßwassergewässer bleiben und können nicht zu Salzwassergewässern umfunktioniert werden.

Liebe Kollegen Jürgen Berghahn, Hubertus Fehring, Kai Abruszat und Friedhelm Ortgies, es kann nicht sein, dass die Weser, ein bedeutendes Fließgewässer unserer gemeinsamen Heimat Ostwestfalen, jetzt zu einem Abwasserkanal mit hohem Salzgehalt umfunktioniert wird

(Kai Abruszat [FDP]: Richtig!)

und wir vor Ort in Zukunft Heringe fischen können, wie es einige Angelsportfreunde in Porta Westfalica schon jetzt berichten und befürchten.

Im Sinne des CDU-Antrages und vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse sowie politischer neuer Gegebenheiten ist es aller Mühen wert, darüber nachzudenken, wie wir dieses Problem gemeinsam lösen können. Bis jetzt ist immer wieder die sogenannte Nordsee-Pipeline – ich habe an einigen dieser Sitzungen für unsere Fraktion teilgenommen – als Lösung genannt worden ist. Der Widerstand in den Nordseebädern vor Ort war auch damals schon bekannt, aber alle haben gesagt, es sei zumindest besser, Salzgewässer zu nutzen, um dort Salzgewässer einzuführen, als weiterhin Süßwasserfließgewässer dafür zu nutzen.

Selbstverständlich bleibt natürlich noch die Frage offen, wie wir es durchgesetzt bekommen, eine so lange Pipeline in relativ kurzer Zeit – Kollege Berghahn hat darauf hingewiesen, dass die Verpressung 2015 und die Verklappung in die Fließgewässer 2020 endet – zu bauen. Zumal es in Ostwestfalen bereits genügend Stellen gibt, an denen es heißt: Hier bitte keine Pipeline. Aus ähnlichen Vorhaben wissen wir, dass es immer wieder Leute gibt, die darauf hoffen, ihre Grundstücke für gutes Geld verkaufen zu können. Gegebenenfalls hätten wir dann sogar noch Rechtsverfahren zu erwarten. Das verzögert den ganzen Prozess ohnehin.

Insofern sind die Ausschussberatungen und die vorliegenden Gutachten ein guter Anlass, jetzt noch einmal gemeinsam darüber nachzudenken, wie die Lösung langfristig und damit endgültig aussehen könnte.

Die Verdampfung ist untersucht worden – das erwähnen Sie auch in Ihrem Antrag – und stößt nicht nur auf Gegenliebe.

Ich finde, wir sollten die Chance nutzen – ich tue das als Vorsitzender der Enquete-Kommission zur nachhaltigen Zukunft der chemischen Industrie –, mit den Chemieunternehmen zusammen vielleicht einmal zu überlegen, wie eine Lösung aussehen könnte. Denn die Chloralkali-Elektrolyse braucht zwingend Salzlaugen. Möglicherweise ist das ein Ansatz, zumal wir damit eine Technologie kombinieren können, die in Nordrhein-Westfalen an einem hiesigen Standort entwickelt worden ist, nämlich die sogenannte Sauerstoff-Verzehr-Kathodentechnolo-gie.

Möglicherweise können wir das zusammenbringen. Das ist zumindest eine Frage, die wir diskutieren sollten, um nicht nur unsere Fließgewässer von möglichen Salzeinleitungen zu entlasten und die Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen, sondern auch diese Pipeline, die so schwer zu realisieren ist, womöglich überflüssig zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe ich den Beratungen im Ausschuss mit großer Freude entgegen. Da könnten wir noch einmal unsere verschiedenen Blaupausen übereinanderlegen und im Zweifel – ich will das hier jetzt nicht formal ankündigen – im Rahmen einer wissenschaftlichen Anhörung verschiedene Verfahren untersuchen lassen, um dann eine Lösung mit Industrie, mit Umweltverbänden und mit betroffenen Menschen in den entsprechenden Regionen zu ermöglichen.

In diesem Sinne stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu und behalten uns noch eigene Vorschläge vor. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Fehring, der Antrag der CDU-Fraktion ist sicherlich ein Aufschlag, sich diesem Thema noch einmal neu und strukturiert zu widmen. Ich füge an der Stelle aber gleich hinzu: Für uns ist zunächst wichtig, dass wir das Landesinteresse definieren. Was liegt im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen? Das Landesinteresse ergibt sich im Grunde genommen aus dem regionalen Interesse. Was ist also im Interesse der Region Ostwestfalen-Lippe?

(Zustimmung von Hans Christian Markert [GRÜNE])

An der Stelle will ich ausdrücklich sagen, lieber Herr Kollege Berghahn: Das, was der Kollege Ortgies zum Thema „Salzpipeline“ gesagt hat, ist völlig richtig und bleibt auch richtig. Wir müssen sämtliche Optionen in den Blick nehmen, prüfen und die am Ende geeignetste Form umsetzen, um das Problem der Weserversalzung im Interesse der Weseranrainer­kommunen zu lösen. Insofern plädiert meine Fraktion ausdrücklich dafür: Es darf hier keine Denkverbote geben. Wir dürfen weder die neuen Technologien tabuisieren, die der Kollege Markert angesprochen hat, noch dürfen wir die Salzpipeline, die noch nicht mal im weiteren Planungsstadium ist, von vornherein ausschließen. Das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Das erwarten auch die vielen Kommunen in Ostwestfalen-Lippe, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben.

Nun hilft an der Stelle, glaube ich, auch ein Blick nach Niedersachsen und nach Hessen. In Hannover und in Wiesbaden wird diese Thematik – um es mal etwas zurückhaltender zu formulieren – etwas anders, mit anderen Schwerpunkten diskutiert. Es gibt in Hannover und in Wiesbaden kein einheitliches, klares Bild, wie man mit diesem Thema umgeht – zumindest nicht im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen; ich erkenne es zumindest nicht.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht vornherein bestimmte Optionen, die bei einem Eingriff in Natur und Landschaft geeignet und verhältnismäßig sind, außen vor lassen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es ein Gebot auch regionaler Klugheit, Möglichkeiten einer Salzpipeline weiter zu untersuchen und – ich füge das ausdrücklich hinzu, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das jetzt ein bisschen an Sankt Florian erinnert – die Salzpipeline am besten nicht durch Ostwestfalen-Lippe, sondern von Hessen, vom Zustandsstörer Kali + Salz, an Ostwestfalen-Lippe vorbei durch Niedersachsen zu führen. Das ist natürlich in der Tat die Variante, die, wenn ich nur das reine Landesinteresse sehe, am besten wäre. Aber da sind wir ja noch im Prozess.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Unter dem Strich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren: Wir wollen die ökologisch effektivste Lösung und die nachhaltigste Lösung der Salzwasserproblematik auf den Weg bringen. Dazu kann dieser Antrag einen neuen Diskussionsimpuls geben. Ich sage aber ausdrücklich: Der regionale Konsens, der dergestalt aussieht, dass wir uns weiter der Untersuchung einer Pipeline zuwenden, darf dadurch nicht gefährdet werden. Das wäre nicht im Interesse der Weser-Anrainer­kommunen im Regierungsbezirk Detmold. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Abruszat, würden Sie noch einen Moment am Pult bleiben. Es gibt eine Kurzintervention vom Kollegen Ortgies. – Bitte schön.

Friedhelm Ortgies (CDU): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zunächst einmal – auch mit Blick auf die Rede von Herrn Berghahn – darauf hinzuweisen, dass hier vielleicht ein kleines Missverständnis besteht. In unserem Antrag zu dieser Salzpipeline steht ausdrücklich – ich lese vor –:

„Stellt sich allerdings heraus, dass die Aufbereitung vor Ort eine … nicht realisierbare Option ist, muss zielführend die so genannte Nordseepipeline realisiert werden.“

Wir haben hier also ausdrücklich ein zusätzliches Verfahren in die Diskussion gebracht, damit endlich – wie Sie, Herr Abruszat, schon richtig dargestellt haben – dieses Problem „Salz in der Weser“ gelöst wird.

Die Fraktionen sind da also politisch nicht weit auseinander. Ich bitte daher noch mal darum – diese Kurzintervention richtet sich auch an Herrn Berghahn, der mir eben zu schnell weggelaufen ist; ich konnte nicht schnell genug den Knopf für eine Zwischenfrage drücken –, dass wir alle versuchen, gemeinsam das Problem „Salz in der Weser“ zu lösen und die Pipeline auch nicht aus dem Auge zu verlieren. Aber zunächst sollten wir alles versuchen, was nicht dazu führt.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ortgies für diese Kurzintervention. – Jetzt hat Herr Kollege Abruszat die Möglichkeit, anderthalb Minuten darauf zu antworten. Er braucht die Redezeit aber nicht auszuschöpfen.

Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident, ich wollte eigentlich im Interesse des Kollegen Jürgen Berghahn antworten und sagen: Der Kollege Ortgies hat da recht. Genau so sollten wir diese gemeinschaftliche Aktion im Interesse der Weser-Anrainerkommu-nen fahren.

Es sollte dann aber auch in dem Antrag zum Ausdruck kommen, Herr Kollege Ortgies, dass die Alternativen der Untersuchung, neue Technologien in Hessen am Ort des Zustandsstörers und die Salzpipeline, nicht im Wege eines Entweder-oder, sondern im Wege eines Sowohl-als-auch untersucht werden. Das, glaube ich, ist ein entscheidender Gesichtspunkt. Ansonsten haben wir nicht den nötigen Druck auf dem Kessel, um das Thema „Salzpipeline“ weiter mit den Ländern Niedersachsen und Hessen zu diskutieren. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Piratenfraktion spricht der Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und draußen in der großen weiten Welt! Wie sehr eine Verbesserung der Zustände im Salzabbau durch K + S nötig ist, sieht man schon daran, dass jahrzehntelang noch nicht einmal die Grenzwerte aus dem Jahr 1942 eingehalten wurden. Die waren damals als Folge der Kriegswirtschaft angehoben worden und wurden seitdem fast permanent überschritten. Flüsse, Böden und Grundwasser sind gnadenlos versalzt, sodass auf ehemaligen Landwirtschaftsflächen jetzt Meeresuferpflanzen gedeihen.

Bei der Düngergewinnung aus Kalisalz werden maximal 30 % verarbeitet. Den Rest, Kochsalz, kann man nicht gewinnbringend verkaufen, sagt K + S. Und so wird die Werra zum am stärksten belasteten Fluss Mitteleuropas.

Meine Vorredner sagten es ja schon: Die EU hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen die Wasserrahmenrichtlinie eingeleitet. Die Wasserrahmenrichtlinie ist seit 1999 auch in Deutschland geltendes Recht als Wasserhaushaltsgesetz. Wenn wir Glück haben, wird K + S die Grenzwerte von 1942 ab 2015 einhalten können, nicht etwa die heutigen Grenzwerte. Und das reicht uns nicht!

Herr Kollege Fehring von der CDU hat gesagt, dass K + S in den letzten Jahren Hunderte von Millionen Euro für Verbesserungen in die Hand genommen hätten. In Wirklichkeit haben die nur ihre Uraltanlagen aufgehübscht. Das hat nicht wirklich was verschlagen. Das war ohnehin unvermeidlich, das war normale Wartung und Pflege und wurde der Öffentlichkeit als Verbesserung verkauft.

Herr Kollege Markert von den Grünen hat darauf hingewiesen, dass Süßwasser Süßwasser bleiben soll, dass das aus der Wasserrahmenrichtlinie hervorgehe. Da hat er völlig recht.

Eine kleine Spitze aber doch noch an die Landesregierung: Gilt das dann auch für die Lippe, die an der Mündung wegen ihres Salzgehaltes praktisch Nordseewasser führt? Dieser entsteht durch die Einleitung des abgepumpten Wassers aus dem Steinkohlebergbau – Ewigkeitsschäden. Dorsche und Heringe könnte man dort auch züchten.

Herr Markert hat recht, wenn er eine Verbindung zur Chemie-Enquete sieht. Das ist sicherlich sinnvoll. Auch der Vorschlag einer wissenschaftlichen Anhörung klingt interessant.

(Beifall von den PIRATEN und Hans Christian Markert [GRÜNE])

Nachdem man zulasten der Allgemeinheit jahrzehntelang geltendes Recht missachtete, damit enorme Gewinne machte und den Börsenwert innerhalb von ein paar Jahren versechsfachte, sind Forderungen nach einer nachhaltigeren Bewirtschaftung dieser Ressource überfällig. Das Geld für die neuen Anlagen, vielleicht einige Hundert Millionen Euro, wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach in die Kassen gespült – im selben Maße wie das Kochsalz in die Werra.

Eine Pipeline zur Nordsee ist in unseren Augen nur die zweitbeste Lösung. K + S muss lernen, dass wir nicht mehr unter Kriegswirtschafts­bedingungen in einem Unrechtsstaat leben. Oder sind 70 Jahre dafür eine zu kurze Übergangszeit?

(Beifall von den PIRATEN)

Eine Nachhaltigkeitsstrategie bedeutet, dass Gemeinnutz vor Eigennutz kommt. Sie bedeutet auch die Nutzung aller Rohstoffe auf hohem Niveau statt Rosinenpickerei. Dem Unternehmen selbst ist der Pipelinebau zu teuer gewesen. Bitte schön, dann nehmen wir doch die bessere Lösung – besser als Versalzung von Böden, Grund- und Oberflächenwasser, Schäden an Bauwerken wie Hafenanlagen und Brückenpfeilern flussabwärts. Wer zahlt Bremen die Kosten für die Wasserbrunnen, die gebohrt werden mussten, weil Trinkwassergewinnung aus der Weser in 300 km Entfernung seit mehr als 40 Jahren nicht mehr möglich ist?

Von einem Unternehmen, das in den letzten Jahren mehrere Hundert Millionen Euro jährlich zum Aufkauf von Konkurrenten übrig hatte, erwarten wir eine andere Einstellung zu den Dingen, zum Beispiel zur Einhaltung geltenden Rechts.

(Beifall von den PIRATEN)

Unter diesen Gesichtspunkten ist der Antrag der CDU als erster Schritt für uns auch zustimmungsfähig. Auf den nächsten Schritt – das kann ich jetzt schon ankündigen – wollen wir nicht noch mal 70 Jahre lang warten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und Hans Christian Markert [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es tut mir leid: Ich muss etwas Wasser in den Wein gießen. Und ich bitte den Landtag, Klarheit herzustellen, und zwar möglichst zügig und direkt. Wir sind nicht in irgendeinem wissenschaftlichen Seminar, wo es darum geht, verschiedene Methoden nebeneinanderzulegen, sondern wir sind in einer ganz konkreten politischen Situation.

Es gibt seit Langem das Einverständnis in diesem Landtag, dass wir einvernehmlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg eine zügige, realistische Lösung des Problems anstreben. Bisher war allen Fraktionen klar: Das ist die Pipeline in die Nordsee. – Und so ist die Landesregierung unterwegs, so werden zurzeit entsprechende Verfahren abgewickelt. Wir sind im Vorstadium von Raumordnungsverfahren, ganz konkret, ganz aktuell. Wir haben ein Datum vor uns, nämlich 2015. Bis dahin müssen die Bewirtschaftungspläne bei der EU eingereicht werden.

Auch bei allen Expertinnen und Experten ist ganz klar: Die einzige Lösung, die zurzeit trägt, ist die Pipeline in die Nordsee. Ich bitte also um Klarheit, wenn das nicht mehr die Haltung des Landtages ist. Denn wenn das so wäre, würden die Landesregierung, aber auch viele andere in eine falsche Richtung laufen, und wir würden uns möglicherweise der Verantwortung stellen müssen, Vertragsverletzungsstrafen zu übernehmen, weil wir nicht alles dazu beigetragen haben, die richtigen Lösungen zeitnah auf den Weg zu bringen. Es ist jedenfalls die Absicht der Landesregierung, da mit aller Kraft unterstützend tätig zu sein.

In der Tat ist es so, dass in der Diskussion immer wieder neue, andere Verfahren auf den Tisch kommen. Meines Erachtens sind diese Anlässe aber dazu angetan, vom eigentlichen Ziel, nämlich einer Umsetzung und einer konkreten Investitionsentscheidung, abzulenken.

Es ist nicht ganz preiswert, eine solche Pipeline zu bauen. Das ist auch nicht ganz ohne Diskussionen und Verfahren möglich. Es ist zurzeit aber die einzige realistische Chance, eine Option auf eine saubere Weser zu bekommen und die europäischen Vorgaben zu erfüllen.

Ich erinnere daran, dass es in Hessen, aber auch darüber hinaus, großes Interesse daran gibt, die Firma Kali + Salz am Standort zu halten. Da sind Arbeitsplätze betroffen, da gibt es Wirtschaftlichkeitsberechnungen am runden Tisch, die genau in diese Richtung gehen. Jetzt wieder über Verfahren zu diskutieren, die irgendwann einmal in der Diskussion waren, würde auf alle Fälle dazu führen, dass das Unternehmen erneut Überlegungen anstellt, sich aus der Region zurückzuziehen. Das, glaube ich, kann keiner wollen.

Jeder kann Ideen entwickeln; aber wir sollten Klarheit in unserer Position haben. Die Position des Landes Nordrhein-Westfalen war bisher und die der Landesregierung ist es auch noch, eine Nordseepipeline anzustreben und die beteiligten Bundesländer in einen Geleitzug zu bekommen.

Es gibt die entsprechenden Signale aus Hessen. Es gibt auch die entsprechenden Signale aus Niedersachsen. Wir sollten das nicht infrage stellen und weder bei der Bevölkerung noch bei den Partnern, mit denen wir zu tun haben, einschließlich der Bundesregierung, Unsicherheit verursachen.

Also: Wissenschaftlich kann alles untersucht werden. Aber in der Praxis, tagesaktuell und bei dem, was wir tun müssen, muss die Richtung klar sein. Darum bitte ich, hier schnell Klarheit herzustellen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/6135 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

8   Landesregierung muss Konzept zur flächendeckenden Einführung eines nicht-konfes-sionellen Werteunterrichts an Grundschulen vorlegen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6128

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion der Frau Kollegin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker ausdifferenziert. Dies gilt für religiöse Überzeugungen, aber auch für eine wachsende Anzahl von Menschen ohne konfessionelle Bindung.

Auf diese Vielfalt, die meine Fraktion und ich ausdrücklich begrüßen, muss auch die Schulpolitik reagieren.

Während in weiterführenden Schulen mit der praktischen Philosophie ein nicht bekenntnisorientiertes Angebot als ordentliches Unterrichtsfach besteht, fehlt ein solches Angebot an unseren Grundschulen. Eltern können ihr Kind von der konfessionellen Religionslehre abmelden. Aber sie beklagen häufig zu Recht, dass ihre Kinder dann an den Schulen lediglich betreut werden.

Bei den zentralen Fragen der Lebensgestaltung und der Weltanschauungen geht es nicht zuletzt um den Respekt vor unterschiedlichen Lebensentwürfen. Deshalb möchte die FDP für Kinder ohne konfessionelle Bindung auch an Grundschulen ein Angebot schaffen, das kindgerecht Sinnfragen und ethische Werte behandelt. Alleine aus unserem Grundgesetz lässt sich eine Vielzahl großartiger Themenfelder ableiten – Themenfelder, auf denen ein nicht konfessionell geprägter Werteunterricht an unseren Grundschulen basieren kann.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, das Bundesverwaltungsgericht hat erklärt, dass es keinen Anspruch auf solch ein ordentliches Fach gibt. Es hat aber gleichzeitig die Möglichkeit zur Einrichtung eines solchen Faches in die Hände der jeweiligen Gesetzgeber, sprich: in unsere Hände, gelegt.

Von daher begrüßen wir ausdrücklich die Ankündigung der regierungstragenden Fraktion – ich glaube, ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich sage, es ist die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen –, die einen solchen Unterricht an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen etablieren möchte.

Natürlich kann ein solches Angebot nur wachsen. Genau wie bei der konfessionellen Religionslehre müssen organisatorische und auch personelle Fragen beachtet werden. Wir erwarten daher von der Landesregierung ein Konzept, das einen Zeitstrahl zur Einführung eines solchen nicht konfessionellen Werteunterrichts an Grundschulen darlegt.

Der Diskussion über diesen nicht konfessionellen Werteunterricht im Ausschuss für Schule und Weiterbildung sehe ich gespannt und mit Freude entgegen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Renate Hendricks (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Gebauer! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Grundsatz, Frau Gebauer, haben wir große Sympathie für Ihren Antrag; das kann ich sagen. Sie haben richtig festgestellt: Unsere Gesellschaft verändert sich. Die Bindungen an die Religionen nehmen ab. Die Pluralisierung und Ausdifferenzierung in unserer Gesellschaft hat auch eine neue Wertevielfalt hervorgerufen. Neben dem Religionsunterricht sollte es auch einen Werteunterricht an den Grundschulen geben, genauso wie wir das – das haben Sie eben schon gesagt – in der Sekundarstufe I mit der Praktischen Philosophie haben.

Richtig ist auch, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil entschieden hat, dass es keine verfassungsmäßige Verpflichtung für das Fach Ethik gibt. Ich zitiere das Bundesverwaltungsgericht:

„Bei der Einrichtung von Schulfächern verfügt der Staat über Gestaltungsfreiheit. Mit dem Verzicht auf die Einrichtung des Fachs Ethik in der Grundschule werden die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.“

Das ist ganz klar. Aber das Gericht sagt: Natürlich können die Länder, wenn sie wollen.

Auch wenn wir eine derartige Förderung der Werteorientierung in der Grundschule grundsätzlich begrüßen, steht das für uns jetzt nicht an erster Stelle. Uns geht es um Gründlichkeit und nicht um Schnelligkeit. Im Übrigen haben wir noch ein paar andere Dinge auf der Agenda. Wir wollen einen Schritt nach dem anderen machen. Ein solches Fach einzuführen bedeutet auch Vorbereitung, und vor allen Dingen bindet es Ressourcen.

Das Land Baden-Württemberg hat die Einführung von Ethik in der Grundschule gerade vertagt, weil es die entsprechenden Ressourcen nicht zur Verfügung hat. Sie lassen sich auch nicht durch gesellschaftliche Übereinkünfte in Wertefragen herbeiführen. Der Diskussionsprozess für das Fach Ethik in der Grundschule muss in unserer Gesellschaft, vor allen Dingen auch bezogen auf die Lehrpläne, geführt werden.

Lassen sie mich verdeutlichen, wie wir in NRW bisher auf die gesellschaftlichen Veränderungen im Bereich Werteorientierung in den Schulen reagiert haben.

Mit dem Schuljahr 2012/13 haben wir den islamischen Religionsunterricht eingeführt. Dieser Unterricht kann nur schrittweise eingeführt werden, so wie Lehrer und Lehrerinnen ihre Ausbildung beenden. Die Rechtslage hierfür bildet § 132a des Schulgesetzes. Uns ist es wichtig, dass muslimische Schüler und Schülerinnen sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen und ihre religiösen Themen auch in deutscher Sprache diskutieren können. Die rund 230.000 Kinder und Jugendlichen muslimischen Glaubens sollen in unseren Schulen Religionsunterricht erhalten.

Sie, liebe Frau Gebauer, haben dem Gesetzentwurf damals „leider“ nicht zugestimmt, den wir mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU in diesem Landtag verabschiedet haben. Das war eine Reaktion auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Für uns steht außer Frage, dass für bekenntnisangehörige Schüler und Schülerinnen der beiden großen Kirchen – der evangelischen Kirche und der katholischen Kirche – Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an unseren Schulen bleibt. Dort, wo es gewünscht ist, gibt es auch jüdischen und alevitischen Religionsunterricht. Gleichzeitig soll und darf aber kein Schüler und keine Schülerin gegen seinen/ihren erklärten Willen an einem Religionsunterricht – gleichgültig, welchen Bekenntnisses – teilnehmen müssen.

Mit den geplanten Änderungen der zu 100 % vom Land finanzierten Bekenntnisschulen reagieren wir ebenfalls auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft. Ich bin sehr dankbar, dass die beiden großen Kirchen nach einem gemeinsamen Verständigungsprozess mit der Politik die Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen erleichtern wollen. Damit reagieren auch die Kirchen auf die Veränderungen in der Gesellschaft, wonach Grundschulen im Durchschnitt zu 18 % von Kindern besucht werden, die konfessionslos sind oder einem anderen Glauben angehören. In bestimmten Gegenden sind es noch deutlich mehr. Das wissen Sie auch.

Mit einem veränderten Quorum für die Umwandlung von Bekenntnisschulen in die einfache Mehrheit wollen wir zukünftig die übliche demokratische Mehrheit über die Schulart entscheiden lassen.

Ziel des Gesetzes zu den Bekenntnisschulen ist es, die rechtlichen Anforderungen mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Einklang zu bringen. Ich würde mir sehr wünschen, wenn wir nach dem Prozess, den wir mit den Kirchen bereits eingegangen sind, auch dieses Gesetz, wenn es im Herbst in den Landtag eingebracht werden sollte, im Hinblick darauf, dass wir auch auf die Veränderungen in der Werteorientierung der Gesellschaft reagieren, mit einer großen Mehrheit in diesem Landtag werden verabschieden könnten. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Gebauer! Ich habe mich über Ihren Antrag gefreut. Erst einmal fühle ich mich geehrt, dass Sie so aufmerksam das verfolgen, was wir politisch diskutieren, und das dann auch gut finden.

(Yvonne Gebauer [FDP]: Aha!)

– Es sind ja auch Wiederentdeckungen mancher liberaler Elemente, habe ich mir so gedacht. Es könnte ja sein, dass man sich statt auf Namen mal wieder auf das besinnt, was wirklich drinsteckt.

Sie weisen in Ihrem Antrag zu Recht darauf hin, dass sich die Gesellschaft geändert hat. Das ist auch unsere Diskussionsgrundlage. Wir müssen darüber reden, wie man das Angebot im Land verändern muss. Ich will noch mal sagen, wie die amtlichen Schuldaten für das Schuljahr 2012/2013 in den Grundschulen ausgesehen haben: 37,5 % der Grundschüler und -schülerinnen werden als katholisch geführt, 25,3 % als evangelisch, 15,7 % als muslimisch. Fast genauso viele Schüler und Schülerinnen, nämlich fast 17 %, sind ohne Konfessionszugehörigkeit.

Wir wollen auf diese veränderte Gesellschaftslage, wie Sie sie richtig beschrieben haben, reagieren. Das bedeutet aber nicht, weil Sie etwas entdeckt haben, was Sie auch gut finden, zu sagen: Jetzt muss das hopplahopp umgesetzt werden. – Dazu brauchen wir auch einen Diskurs. Wenn Sie sich angeschaut haben, wie in anderen Bundesländern das Fach konzipiert und wie es auf den Weg gebracht worden ist: Das ist genau die Herausforderung, auch hier zu einem gesellschaftlichen Diskurs über die Frage zu kommen: Was heißt ethische Grundhaltung? Was heißt, die Sinnfragen miteinander zu erörtern? Wie kann das in der Grundschule eigentlich gelingen?

In der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts gibt es schon sehr lange zum Beispiel das Philosophieren mit Kindern. An der Universität Münster beschäftigt sich eine Fakultät besonders mit diesen Fragen.

Wir müssen miteinander darüber reden: Wie kann man ein solches Fach entwickeln? Welche Elemente gehören dazu? Was bedeutet das auch im Konzert mit dem konfessionellen Religionsunterricht oder dem Unterricht, den wir jetzt zusätzlich eingeführt haben – die Kollegin Hendricks hat es schon gesagt –, was den islamischen Religionsunterricht, den alevitischen Religionsunterricht und den jüdischen Religionsunterricht angeht oder auch die Gruppe der Syrisch-Orthodoxen betrifft, die das auch gerne für sich haben wollen.

Das alles sind Fragen, die ein bisschen komplexer sind. Trotzdem müssen diese Fragen angegangen werden. Da gebe ich Ihnen recht. Deswegen wird das sicherlich eine spannende Diskussion auch im Ausschuss werden.

Das ist jetzt mein Impuls an Sie, Frau Gebauer: Wenn man gesellschaftliche Verhältnisse in der Tat so konstatiert, wie Sie es getan haben, dann finde ich es schade, dass Sie sich an der Diskussion um die Frage der Bekenntnisgrundschulen im Land bisher nicht beteiligt haben, jedenfalls die Einladung in dieser Art und Weise nicht aufgenommen haben.

Das wäre jetzt vielleicht ein Impuls. Wir haben mit den schulpolitischen Sprechern und Sprecherinnen das Thema erörtert. Wir sind in einem Gesprächszusammenhang mit den Kirchen. Vielleicht wäre das jetzt genau die Möglichkeit, in diesen Prozess mit hineinzukommen. Ich will Sie eindrücklich einladen, daran teilzunehmen, damit wir, wie die Kollegin Hendricks es vorhin gesagt hat, diese Frage möglichst breit getragen miteinander bearbeiten. Vielleicht gibt das einen neuen Impuls auch innerhalb der Fraktionen, darüber zu reden, dass es dort Veränderungsnotwendigkeiten gibt, und zu überlegen, wie man das im Konsens miteinander beschreiben kann.

Es wäre schön, nicht nur darauf zu warten, was die Regierungsfraktionen vorlegen, sondern in den Prozess mit hineinzugehen. Vielleicht ist das jetzt ein Anfang von der anderen Seite, dieses Thema auch noch mal miteinander aufzunehmen. Das würde ich mir wünschen. Das gilt natürlich nicht nur für die FDP-Fraktion. Das gilt genauso für die CDU-Fraktion. Mit den Piraten sind wir dazu schon in intensivem Austausch und Gespräch.

Das Thema könnten wir vielleicht nach den Ferien miteinander angehen. Das ist noch einmal ein Impuls für die gesamte Fraktion. Wir treffen uns zu diesem Thema sonst nur auf Podien oder in den Gesprächsrunden der Obleute. Hier gibt es jetzt vielleicht aber noch einen anderen Aufschlag. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Klaus Kaiser.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem uns vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion möchte ich für die CDU-Fraktion vorab folgende grundsätzliche Feststellung machen:

Für die CDU-Fraktion gilt auch künftig – ich habe gehört, dass das bisher zumindest seitens der Regierungsfraktionen betont worden ist –: Der Religionsunterricht in den Grundschulen ist der Normalfall. Denn auch heute ist der Großteil aller Schülerinnen und Schüler Mitglied in einer Kirche oder in einer anderen Religionsgemeinschaft. Es bleibt die stete Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser Religionsunterricht gesichert wird und auch stattfindet.

Die CDU-Fraktion wird keine Tendenz unterstützen, den Religionsunterricht an unseren Schulen infrage zu stellen oder auszuhöhlen. Wir alle wissen um die Bedeutung und den Stellenwert der Wertebildung. Dies ist Aufgabe in allen Fächern der Schule. Allerdings gilt das in besonderer Weise für den Religionsunterricht. Diesem Auftrag nach Wertebildung kommt der Religionsunterricht heute in besonderer Weise nach.

Auch Konfessionsschulen gehören in diesen Kontext. Denn auch künftig gilt, dass die Werteorientierung in diesen Schulen in besonderer Weise umgesetzt wird. Bekanntlich nehmen auch heute konfessionslose Kinder freiwillig und häufig am Religionsunterricht teil, was insbesondere auch der Wertebildung des einzelnen Kindes dient.

Der Antrag der FDP fordert jetzt die flächendeckende Einführung des nicht konfessionellen Religionsunterrichts in der Grundschule, eben der Wertebildung, ohne jetzt aber eine erforderliche Differenzierung und Abgrenzung vorzunehmen. Hier ist ja die Frage des Bedarfs – Frau Hendricks hat es ja ein bisschen angesprochen – und auch der Ressourcen mit anzusprechen.

Für unsere Fraktion gilt, dass wir durchaus für einen neutralen Werteunterricht offen sind, aber wir bezweifeln sehr, ob dieses Angebot flächendeckend organisiert werden muss. Wir meinen, eher nachfrageorientiert. Da muss das Ministerium sicherlich Zahlen und Material liefern. Das wird der Antrag hoffentlich in die Wege leiten, sodass wir dann auch evidenzbezogen darüber diskutieren können.

Wir benötigen zunächst einmal konkrete Angaben zu den Quantitäten, aber auch zu inhaltlichen Voraussetzungen und vielleicht auch zum Kostenrahmen bei einer flächendeckenden Einführung.

Wir stimmen gerne der Überweisung zu, halten eine ausführliche Diskussion für erforderlich, halten es aber nicht für möglich, über diese Frage zu diskutieren, ohne auch dauerhaft den Religionsunterricht an unseren Grundschulen abzusichern. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir freuen uns ausdrücklich über den Antrag der FDP-Fraktion und begrüßen die Diskussion im Ausschuss.

Religionsfreiheit ist uns ein hohes Gut. Die Freiheit und Vielfalt der religiösen und weltanschaulichen Einstellungen ist eine wichtige Errungenschaft der modernen Gesellschaft. Sie zu erhalten und zu entwickeln, ist eine beständige Aufgabe von Politik und Gesellschaft.

Wenn wir von Religionsfreiheit reden, dann ist für Piraten aber auch immer die negative Religionsfreiheit gemeint. Es ist auch die Freiheit von religiöser Bevormundung.

Es ist mir wohl bewusst, dass wir heute noch keine konsequent säkulare Verfassung haben. Ich weiß auch um die historischen Gründe. Ich erwarte jetzt auch keine revolutionären Änderungen, aber Schritte zur Anpassung an die gesellschaftlichen Realitäten sind längst überfällig.

Die Einführung eines nicht konfessionellen Werteunterrichts an Grundschulen ist genau so ein Schritt in diese Richtung. Es ist das berechtigte Interesse zum Beispiel von Familien, deren Kinder keiner Konfession angehören, auch an Grundschulen ein alternatives Angebot zur Wertevermittlung neben dem konfessionellen Religionsunterricht zu haben. Das gilt auch für Angehörige anderer Religionen.

Ich halte es daher für wünschenswert, dass Grundschulen allen Kindern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ein alternatives Angebot machen können. Wir wissen alle, wie schwierig es ist, sowohl organisatorisch als auch pädagogisch, im Moment die Kinder anders zu betreuen, sie in anderen Klassen zu lassen. Ich sehe hier also auch dringenden Handlungsbedarf.

Ich möchte aber den nicht konfessionellen Werteunterricht tatsächlich in allen Schulen. Der Antrag der FDP differenziert da ja nicht, sondern es wird gesagt: Der Werteunterricht soll an allen Grundschulen in NRW stattfinden. – Das wird dann aber kompliziert. Denn wir haben verschiedene Grundschulformen, die sich in der Frage des Religionsunterrichts unterscheiden.

An den Gemeinschaftsgrundschulen gibt es in der Regel Religionsunterricht in den großen christlichen Konfessionen, an einigen Schulen inzwischen auch Religionsunterricht anderer Konfessionen und Religionen.

An den Bekenntnisgrundschulen gibt es meist nur Unterricht im Schulbekenntnis. In Ausnahmefällen gibt es Religionsunterricht in einem Minderheitenbekenntnis. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist an der Bekenntnisschule Pflicht.

An Weltanschauungsschulen gibt es dagegen überhaupt keinen Religionsunterricht. Insofern ergibt sich da die Problematik gar nicht.

Wenn wir aber sagen, wir wollen eine Veränderung der Gesellschaft, und wir müssen gucken, was sich verändert hat, wie Schule damit umgeht und welche Prioritäten wir haben, dann muss ich Frau Beer und Frau Hendricks zustimmen, dass wir im Moment tatsächlich die Priorität haben, über Bekenntnisschulen zu sprechen und nicht über Ethikunterricht an den Grundschulen. Mir scheint das das dringendere Problem zu sein.

Denn als konfliktträchtig hat sich das Thema „Religionsunterricht“ – anders als Sie es in Ihrem Antrag darstellen – an den Bekenntnisschulen ergeben. Dort wurden nämlich Kinder, als sie sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, der Schule verwiesen. Die Rechtmäßigkeit von Schulverweisen im Falle der Abmeldung vom Religionsunterricht wurde von Verwaltungsgerichten bestätigt. Aber es gibt verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Praxis. Das ist ja auch in dem Forum zur Zukunft der Bekenntnisschule von Herrn Prof. Wißmann angesprochen worden.

Daher ist es für uns wichtig, dass auch die Bekenntnisgrundschulen in ein Konzept zur Einführung eines nicht konfessionellen Werteunterrichts einbezogen werden.

Wir müssen uns mal die Zahlen vor Augen halten. Um wie viele Schulen handelt es sich? – Wir haben 69 Kommunen, in denen es ausschließlich katholische Bekenntnisschulen gibt. So unterhält Borken mit 41.600 Einwohnern zum Beispiel ausschließlich neun katholische Grundschulen. Alternativen: keine.

NRW ist neben Niedersachsen das einzige Bundesland, das die öffentliche Bekenntnisgrundschule überhaupt noch kennt.

Die Piratenpartei hat sich ganz deutlich für die Umwandlung der Bekenntnisschulen in allgemeine Grundschulen ausgesprochen.

Daher, liebe Sigrid Beer, begrüßen wir außerordentlich den Parteitagsbeschluss „Die Grundschule ist Schule für alle Kinder – keine Segregation nach Religion und Konfession“ vom 14./15. Juni.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir erwarten jetzt, dass die Landesregierung diese Beschlüsse zeitnah umsetzt.

Jetzt frage ich mich: Wo steht denn die FDP in Bezug auf die Bekenntnisschulen? Das ist ja gerade schon mal gesagt worden. Bereits vor Jahrzehnten haben auch Sie die Abschaffung der Bekenntnisschulen gefordert. In den 60er-Jahren waren die Liberalen die treibende Kraft, als in zahlreichen Bundesländern die Bekenntnisschulen abgeschafft wurden.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, liebe Frau Gebauer, es mit der von Ihnen postulierten Liberalität und mit diesem Antrag wirklich ernst meinen, dann müssen wir auch über Bekenntnisschulen reden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Beer zulassen? Sie hat sich noch während Ihrer Rede gemeldet.

Monika Pieper (PIRATEN): Ja.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, das ist sehr nett. – Ich begrüße es außerordentlich, dass Frau Gebauer wahrnimmt, was wir diskutieren, und auch die Piraten offensichtlich wahrnehmen, welche Beschlüsse wir auf Parteitagen fassen. Ich habe das aber immer so verstanden, dass dieses Parlament eigenständig arbeitet und nicht Parteitagsbeschlüsse, so wünschenswert sie auch aus der Sicht der unterschiedlichen Parteien sind, umsetzt.

Mich treibt aber noch etwas ganz anderes um, und zwar das, was Herr Kaiser eben gesagt hat. Ich gehe davon aus, dass auch die Piraten das so sehen – ich habe Frau Gebauer ebenfalls so verstanden – und sage Folgendes für SPD und Grüne: Mit der Einführung oder der Perspektive eines nicht konfessionell gebundenen Ethikunterrichts wollen wir nicht den Religionsunterricht aufheben. – Das hat Herr Kaiser in seinem letzten Satz anklingen lassen.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

– Absichtlich, genau, um das zu unterstellen.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Da sind wir uns hoffentlich einig.

Monika Pieper (PIRATEN): Absolut. Es geht um Religionsfreiheit als Angebot an alle Schüler. Das ist doch selbstverständlich. Darüber brauchen wir nicht zu sprechen.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines möchte ich zu Anfang vielleicht doch sagen: Werteorientierter Unterricht findet hoffentlich vielfach im Unterricht in unseren Schulen statt und nicht nur in bestimmten Fächern, weil eine Erziehung, die sich an den Werten unserer Demokratie orientiert, die wichtigste gesellschaftliche Aufgabe und wesentlicher Teil unseres Bildungsauftrags ist.

In Art. 7 Abs. 2 der Landesverfassung und in § 2 Abs. 2 des Schulgesetzes heißt es:

„Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit.“

Insofern geschieht Wertebildung in Nordrhein-Westfalen in unterschiedlichen Zusammenhängen.

Eine Möglichkeit ist der Religionsunterricht, der in Nordrhein-Westfalen für sieben Bekenntnisse angeboten wird: für christliche Bekenntnisse sowie das jüdische, islamische und alevitische Bekenntnis. Für diejenigen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen, bietet das Land in der Sekundarstufe I seit 1997 das Fach Praktische Philosophie an, seit 2003 als reguläres Fach.

Ich warne davor, von einem Fach Werteerziehung zu sprechen, weil Werteerziehung in verschiedenen Fächern vermittelt wird. Es ist Aufgabe aller Fächer.

Wertebildung geschieht in allen Zusammenhängen, in denen Demokratie, Bildung für nachhaltige Entwicklung, soziales und gemeinsames Lernen, Erinnerungskultur oder auch Inklusion im weitesten Sinne eine Rolle spielen. Wertebildung können wir als inhaltliche und methodische Herangehensweise in allen Fächern verankern. Grundsätzlich von Bedeutung ist die methodische Herangehensweise im Sinne eines Lern- und Erkenntnisweges, wie wir sie auch aus dem Fach Philosophie kennen. Diese Methode lässt sich durchaus auch auf andere Fächer übertragen.

Im Hinblick auf die Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung habe ich einmal ausgeführt, dass wir unseren Schülerinnen und Schülern Gestaltungskompetenz vermitteln müssen. Hinzu kommt die Aufgabe, ihnen Zuversicht zu geben, dass es sich immer lohnt, auch in schwierigen Situationen aktiv für die Werte unserer Demokratie einzutreten.

Ich nenne beispielhaft einige konkrete Fragen, die auch im Sachunterricht in der Primarstufe thematisiert werden können: Welche Verantwortung habe ich für andere Menschen, für Tiere und für unsere Umwelt? Wann hören Kriege auf? Woher kommt die Angst? Warum streiten wir uns immer wieder ums Geld?

Meine Damen und Herren, auch Grundschulen beteiligen sich an Programmen wie zum Beispiel „Demokratisch handeln“ oder seit Kurzem auch buddY, das nunmehr für den Grundschulbereich einen Schwerpunkt auf Kinderrechte und Demokratieförderung setzen will.

Grundsätzliche Zielsetzung sollte in Zukunft die Verankerung des Philosophierens und der Wertefragen als durchgängiges Bildungs-, Erziehungs- und Lernprinzip in der Bildungslandschaft – vom Kindergarten bis zur Lehrerbildung an den Universitäten – sein.

Aber zur Ehrlichkeit gehört auch – das will ich ganz klar sagen; Frau Beer hat darauf hingewiesen –: Die Landesregierung arbeitet das ab, was im Koalitionsvertrag verankert ist. Die Umsetzung des Faches Philosophie für die Grundschule ist im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode nicht enthalten und stellenplanmäßig auch nicht abgesichert. Das ist stellenneutral nicht zu machen. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen, wie wir sozusagen die Dinge, die wir uns vorgenommen haben, umsetzen wollen und dass wir nicht mal eben sagen können – auch wenn es wünschenswert ist –: Ach, da fällt uns noch dieses und jenes ein. – Aber Vorbereitungen sind sicherlich sinnvoll.

Frau Gebauer, in den Pressemitteilungen, die Kollegin Beer in Zukunft abgeben wird, wird es sicherlich einiges an Dringlichem geben, das ihr noch wichtiger ist und ganz schnell gehen soll. Dann freue ich mich auf Ihre Unterstützung und bin gespannt, wie intensiv Sie sich anschließen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es liegt noch eine Wortmeldung von Frau Kollegin Gebauer für die FDP vor.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne noch auf einige Bemerkungen meiner Vorredner und ?rednerinnen eingehen.

Herr Kaiser, als Erstes möchte ich auf Sie zurückkommen. Es war nie davon die Rede, dass wir als FDP den Bekenntnisunterricht in Nordrhein-West--falen infrage stellen wollen – ganz im Gegenteil. Frau Beer hat es mit ihrer Nachfrage schon angesprochen. Es war wohl ganz deutlich zu erkennen, dass das nicht der Fall ist.

Frau Beer, ich freue mich, weil ich es selten erlebt habe, dass ein Antrag der FDP-Fraktion von allen anderen Fraktionen derart begrüßt worden ist. Deswegen sage ich es noch mal: Es wird eine spannende Diskussion im Ausschuss, auf die ich mich freue und an deren Ende hoffentlich auch das Richtige steht.

Wenn man den Antrag genau liest, dann stellt man fest, dass es uns nicht darum geht, morgen einen konfessionslosen Werteunterricht an den Grundschulen zu etablieren, sondern darum, zeitnah ein Konzept zu erarbeiten, das aber auch einen Zeitstrahl vorgibt. Denn wir wissen auch, dass es personeller Ressourcen bedarf und organisatorische Probleme anstehen, die es zu bewältigen gilt. Das heißt aber nicht, heute zu sagen: Wir lassen das Ganze auf uns zukommen. – Ich erwarte vielmehr von der Landesregierung, dass sie jetzt, im Vorfeld, tätig wird.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Das kostet auch Ressourcen!)

– Das kostet auch Ressourcen. Aber die Hände in den Schoß zu legen, geht in diesem Zusammenhang nicht.

Eines möchte ich noch ansprechen. Wir haben gerade schon versucht, das bilateral zu klären. Die FDP hat sich immer dazu bekannt, in Sachen Bekenntnisschulen an den Gesprächen teilzunehmen. Aber – das möchte ich nicht verhehlen – es gab gestern ein Gespräch mit Herrn Claaßen im Rahmen des runden Tisches bzw. des Arbeitskreises. Da liegt intern doch schon ein Papier vor. Herr Claaßen hat mir gesagt, mit dem vorliegenden Papier nicht ganz so glücklich zu sein.

Das heißt: Wir müssen tatsächlich darüber sprechen. Wir als FDP haben immer gesagt: Ja, gerade beim Thema „Schulleitermangel an Grundschulen“ muss etwas passieren. Wir handeln aber nicht gegen die Kirchen. Wir handeln nur gemeinsam mit den Kirchen, um ein entsprechendes Konzept für die Kinder und Jugendlichen vor Ort im Sinne der Kirchen zu erarbeiten. Daran sind wir interessiert. Daran werden wir auch mitarbeiten. – Herzlichen Dank!

(Beifall von der FDP und Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/6128 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

9   Masterplan zur vermögensschonenden Abwicklung der WestLB notwendig nach dem Scheitern des Privatisierungsvorhabens der Portigon Financial Services – Finanzminister muss endlich Personalkonzept für Portigon-Beschäftigte vorlegen

Eilantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6189

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 30. Juni 2014 fristgerecht einen Eilantrag eingebracht.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Kollegen Witzel das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Herr Finanzminister, die Abwicklung der Milliardenlasten der WestLB ist Ihre Achillesferse und auch die für den Landeshaushalt Nordrhein-Westfalens insgesamt.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Nur eine?)

Herr Finanzminister, Sie stehen nach dem gescheiterten Privatisierungsplan heute vor einem Trümmerhaufen. Heute rächt sich Ihre Politik der eingeschlafenen Hand bei der vermögensschonenden Abwicklung der WestLB. Jahrzehntelange Gigantonomie und hochspekulative Risikogeschäfte der internationalen Großbank im Staatsbesitz haben den Steuerzahler schon viel zu oft in Geiselhaft genommen. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss untersucht dies nun alles im Detail.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Unnötig. Sie wissen ja schon alles!)

– Aber, Herr Kollege Zimkeit, die Geschichte wiederholt sich leider manchmal doch, denn es ist fast auf den Tag genau zwölf Jahre her, als die Landtagdrucksache 13/2776 der FDP-Landtagsfraktion zur WestLB-Privatisierung eingebracht worden ist. Seinerzeit ist vieles von dem, was die Jahre darauf passiert ist, vorhergesagt worden.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So war das!)

Damals war das noch profitabel möglich, bevor das Geschäftsmodell gescheitert ist. Wir haben Ihnen seinerzeit schon gesagt: Der Staat ist eben nicht der bessere Banker. Im Gegenteil.

Heute wissen wir, Herr Kollege: Auch das vermeintliche Geschäftsmodell von Portigon floppt. Die Ziele der Restrukturierung sind gescheitert. Herr Finanzminister, das, was Sie heute zu bieten haben, sind Blütenträume, Hoffnungen eines Verkaufs, die wie eine Seifenblase geplatzt sind. Unsere steten Zweifel sind daher leider berechtigt, ob eine zwölf Jahre lang versäumte Privatisierung heute in anderem Gewand noch Erfolg versprechend gelingt.

Portigon hat keine Kunden, nach dem, was die „Rheinische Post“ in den letzten Tagen berichtet hat, wohl in der Summe aller Kleinstkunden etwa 1 Million € bei mittleren dreistelligen Millionenverlusten jedes Jahr und den natürlich per Gesetz institutionellen Kunden, der EAA und der Helaba. Sollte das nicht stimmen, können Sie gleich richtigstellen, was in der Zeitung berichtet worden ist. Portigon hat also keine Kunden und – wie wir seit letzter Woche von Ihnen auch wissen – keine Investoren sowie ein zunehmendes Personalproblem, hat doch der aus dem Amt geschiedene Vorstandsvorsitzende Voigtländer unlängst noch gesagt: Es sind leider die Falschen gegangen und die Falschen geblieben.

Vor allem aber hat Portigon das Problem einer ablaufenden Sanduhr bis zum Jahre 2016, die zunehmend zur tickenden Zeitbombe wird. Denn genauso, wie es auch der Vorstand der Portigon AG erläutert hat, gibt es diesen Teufelskreis: Es gibt keine Kunden, solange die Verkaufsperspektive nicht entsprechend klar ist. Je näher man an das Datum rückt, zu dem die EU die zwangsweise Zerschlagung und Auflösung fordert, umso weniger werden natürlich potenzielle Investoren bereit sein, werthaltig Geld auf den Tisch zu legen, weil sie die Drucksituation kennen. Das sind alles Gründe, warum der Portigon-Vorstand den Prozess beschleunigen wollte.

In monatlichen Sitzungen, Februar, März, April bis Mai, ist uns immer wieder erneut mitgeteilt worden: Dieser Privatisierungsprozess beginnt im ersten Halbjahr 2014. – Herr Finanzminister, ich darf Sie aus der Sitzung vom 20. März 2014 zitieren. Damals haben Sie im Ausschuss wörtlich erklärt:

„Der Fahrplan ist der: Wir haben die PFS ausgegliedert, und jetzt geht der Verkaufsprozess los. Also nicht irgendwann, sondern jetzt!“

Seit Ende letzter Woche wissen wir erstmals: Sie sprechen jetzt von einem ungünstigen Zeitpunkt, hohen Kosten und geringen Erfolgswahrscheinlichkeiten.

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Voigtländer hat ausdrücklich deutlich gemacht, wie zentral die Vertragsverlängerung der Bad Bank EAA ist, um potenzielle Erwerber finden zu können. Auch hier für Kooperationsvertrag drei keinerlei Lösung in Sicht.

Schon Ende 2013 hatte die Landesregierung keine Probleme gesehen, sondern – umgekehrt – viele Interessenten. Staatssekretär Dr. Messal spricht ausdrücklich von mehreren bekannten Interessenten und daraus resultierend sogar einem förderlichen Wettbewerb für den Verkaufspreis. Heute ist von alledem keine Rede mehr.

Laut „Rheinischer Post“ beschleunigt sich der Personalabbau und hakt. So hätte nun die bislang ungeplante Phase der betriebsbedingten Kündigungen begonnen.

Deshalb, Herr Finanzminister, verstehen Sie sicherlich, dass wir sagen: Hier fehlt ein Konzept seitens der Regierung, das wir immer wieder angemahnt haben. Wir haben kritisiert, dass keine Aktivitäten erfolgt sind. Wenn von Landesseite aus sowieso Personal zu bezahlen ist, dann muss man sich auch Gedanken darüber machen, wie man das im Sinne des Landes vernünftig einsetzt.

Sie haben das Gegenteil gemacht. Sie haben das Personaleinsatzmanagement PEM abgeschafft, das ein Instrument gewesen wäre, sich um diese Herausforderung zu kümmern. Deshalb fordern wir heute von Ihnen einen Masterplan, den Sie schnellstens vorlegen müssen und der Antworten auf alle werthaltigen Fragen gibt: Personalabbauszenarien, Outsourcing, Teilverkaufsoptionen und neue Akquisitionsstrategien. Darauf kommt es jetzt an: Wir brauchen Erfolgsnachrichten.

Sie dürfen nicht länger den Eindruck vermitteln, Sie hätten schon resigniert. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Erstes wurde deutlich, dass es nach der langen Diskussion im Finanzausschuss noch Vieles bedurft hätte, nur eines Eilantrages mit Sicherheit nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Witzel hat genau die gleiche Rede gehalten, wie er sie im letzten Jahr mindestens ein dutzend Mal gehalten hat. Insofern ist es schwierig, die Eilbedürftigkeit zu erklären.

Das einzig Neue an dem vorgelegten Antrag ist eigentlich, dass die FDP mit diesem Antrag den PUA für überflüssig erklärt; denn die FDP weiß schon – wie den Aussagen gerade und auch den schriftlichen Ausführungen zu entnehmen ist –, woran es eigentlich gelegen hat. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss fragen sich zwar vielleicht, warum wir noch erhebliche Arbeit vor uns haben, wenn zumindest Herr Witzel schon alle Antworten kennt. Das ist aber, glaube ich, nicht das Entscheidende.

Das Entscheidende ist, dass die Grundaussagen, die Herr Witzel hier getroffen hat, falsch sind. Er hat sich auch schon selbst korrigiert. In seinem schriftlichen Antrag rekurriert er darauf, dass der Finanzminister davon gesprochen habe, der Verkauf sei unrealistisch. Gerade hat Herr Witzel das in seinem wörtlichen Beitrag schon wieder zurückgenommen und gesagt, es sei von geringen Aussichten des Verkaufs gesprochen worden. Das ist schon etwas anderes. Es ist wieder die Methode Witzel, eine Behauptung in den Raum zu stellen, die nicht stimmt, und darauf seine politischen Aussagen zu gründen. Das zeigt auch, wie schwach die Argumentation ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist richtig, dass der Finanzminister sehr deutlich gemacht hat – daraus hat er in der Sitzung auch keinen Hehl gemacht –, dass es – unter anderem auch wegen einer EU-Entscheidung – erhebliche Schwierigkeiten beim angestrebten Verkauf gibt. Das zeigt doch auch, dass es Interessenten gegeben haben muss. Denn wenn Interessenten Interesse an einer auswärtigen Niederlassung haben, die – leider aus unserer Sicht – nicht gegründet werden kann, zeigt das doch, dass die angekündigten Interessenten vorhanden sind.

Sie sind ja die FDP. Wir haben es heute in verschiedenen Debatten gehört. Herr Lindner hat dem wieder die Spitze aufgesetzt. Sie sind ja die Meister der Worthülsen. Die neue Worthülse, die absolut inhaltsleer ist, betrifft einen zu schaffenden Masterplan, der alle Antworten auf die Frage geben kann, die Herr Witzel erfunden hat.

Es gibt aber einen Abwicklungsplan für die WestLB, der zwei klare Prämissen beinhaltet, die wir unterstützen. Einmal geht es darum, den Landeshaushalt zu schonen. Andererseits soll Beschäftigung gesichert werden. Es gilt, sich darum zu kümmern, und darum kümmert man sich. Dieser Plan beinhaltet ausdrücklich sowohl die Variante Verkauf als auch die Variante, nicht zu verkaufen. Deswegen handelt es sich wieder nur um eine zusätzliche Worthülse, die Sie in den Raum stellen. Sie füllen die aber wieder einmal nicht mit eigenen politischen Inhalten, sondern Sie zeigen nur auf andere und sagen, dass die Lösungen präsentieren sollen. Denn Sie haben mal wieder keine.

Das eigentliche Problem und das eigentlich Schlimme an Ihrem Vorgehen ist doch Folgendes: Sie reden im Ausschuss und auch heute wieder hier die Gesellschaft schlecht. Sie haben sich gerade auf Herrn Voigtländer bezogen. Der hat es Ihnen mehrmals deutlich vor Augen geführt, indem er sagte, dass die immer wieder von Ihnen angestoßenen Debatten den gesamten Abwicklungsprozess der WestLB erschweren. Das Gleiche machen Sie wieder, wenn Sie jetzt öffentlich behaupten, die Servicegesellschaft könne nicht verkauft bzw. privatisiert werden. Das ist natürlich sehr verkaufsfördernd.

Sie reden die ganze Zeit eine Gesellschaft schlecht und erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass diese Gesellschaft eigentlich nicht zu gebrauchen ist. Gleichzeitig werfen Sie dem Finanzminister vor, dass er es nicht schafft, den Verkauf, für den er selbst gar nicht zuständig ist, zu organisieren. Das ist eine Vorgehensweise, die auch wieder typisch für Sie ist. Sie beinhaltet aber ein entscheidendes Problem: Sie ist nicht im Sinne der Beschäftigten und auch nicht im Sinne des Landes.

(Beifall von der SPD)

Es mag in Ihrem politischen Sinne sein, aber das kann doch für uns nicht das Entscheidende sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. -Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushalts- und Finanzpolitik ist nicht nur hier und heute einer der Kernbereiche der Auseinandersetzung über die Frage, wie es in Zukunft in Nordrhein-Westfalen weitergehen soll. Heute Morgen haben wir schon über das Thema der Beamtenbesoldung und des Haushaltes gesprochen. Über das Thema der Steuereinnahmen werden uns gleich noch ein wenig unterhalten. Umso bedauerlicher ist es, dass es weitere, den Steuerzahler möglicherweise doch sehr belastende Entwicklungen auf einer Baustelle, nämlich bei der Portigon, gibt.

Herr Finanzminister, Sie haben in der letzten Woche erklärt, dass ein Verkauf der Tochter PFS – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – eher unwahrscheinlich geworden ist. Noch im März haben Sie wörtlich erklärt:

„Der Fahrplan ist der: Wir haben die PFS ausgegliedert, und jetzt geht der Verkaufsprozess los. Also nicht irgendwann, sondern jetzt!“

Herr Kollege Witzel hat schon darauf hingewiesen, dass nur ein Monat später der damalige Vorstandsvorsitzende der Portigon, Herr Voigtländer, sein Amt niedergelegt hat. Wir haben dann mehrfach im Ausschuss nachgefragt, was denn dahinterstecken könnte. Sie haben aus meiner Sicht bis heute keine überzeugenden Gründe dafür angegeben. Herr Minister, Sie haben sich aus Vertragsverhandlungen zurückgezogen. Natürlich können Sie die Details der Vertragsverhandlungen hier rauf und runter darstellen oder nicht darstellen: Es bleibt der Eindruck, dass das andere Gründe als die hat, die Sie erklären.

Es hat natürlich überhaupt nichts – ich benutze jetzt doch einmal das Mittel der Ironie, Herr Kollege Zimkeit – damit zu tun, dass der Verkaufsprozess der PFS damals schon in einem schwierigen Fahrwasser war. Schon damals haben Sie von der Kommission in Brüssel die Auskunft bekommen, dass man keine Auslandsstandorte mehr gründen darf. Insofern ist das keine Perspektive, mit der man die potentiellen Interessenten – insbesondere in anderen europäischen Ländern – bei der Stange halten kann, die auch eine solche Abwicklungsanstalt aufbauen und dann einen Service brauchen.

Sie wollten uns dann erzählen, dass das alles im Grunde nichts miteinander zu tun habe und dass es andere Gründe geben müsse, die Sie eigentlich nicht kennten.

Abgesehen davon, dass das nicht besonders überzeugend ist, Herr Minister, denke ich: Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Das Land Nordrhein-Westfalen und Sie als Finanzminister in Person sind Eigentümer bzw. Eigentümervertreter bei der Portigon und bei der PFS.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Und Sie sind Miteigentümer bei der EAA, der Ersten Abwicklungsanstalt.

(Ralf Witzel [FDP]: Ja, genau!)

Sie haben deshalb als Landesregierung und als Ressortminister persönlich die Verantwortung dafür, wie es mit der Auflösung und Abwicklung der ehemaligen WestLB läuft.

(Beifall von der FDP, Dietmar Schulz [PIRATEN] und Robert Stein [fraktionslos])

Sie müssen dem Parlament eine Antwort geben, denn jemand anderes kann das nicht. Wenn Sie sich darauf zurückziehen, dass das alles eine Sache von Aufsichtsräten und Vorständen sei, habe ich den Eindruck, dass Sie Ihre Eigentümerverantwortung nicht ausreichend wahrnehmen.

Dann wäre es auch ganz gut, wenn Sie die Kommission in Brüssel nicht unbedingt nur per Brief informieren, sondern auch persönlich dorthin fahren. Kämpfen Sie, und setzen Sie sich für das Vermögen dieses Landes und dafür ein, die Schwierigkeiten beherrschbar zu machen – in der Weise wie Sie sich bei anderen Themen, etwa bei der globalen Gerechtigkeit von Steuerthemen einsetzen.

Herr Minister, wir alle haben die Aufgabe, das Vermögen unseres Landes zu bewahren, zu mehren und das Geld des Steuerzahlers sorgfältig zu bewirtschaften. Deshalb ist unsere Erwartung, dass Sie sich um die Themen „Portigon“ und „PFS“ deutlich intensiver persönlich kümmern, damit sie ein gutes Ende nehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und Robert Stein [fraktionslos])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede im Wesentlichen mit Zitaten gestalten, weil diese am eindrucksvollsten belegen, mit welcher Amnesie wenigstens eine Fraktion in diesem Landtag, die FDP-Fraktion, offensichtlich geschlagen ist.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Ich will mit dem aktuellen Antragstext beginnen. Auf Seite 3 des Antrags steht in Beschlusspunkt III.3:

„Die Landesregierung wirkt im Rahmen ihrer Gremienbeteiligung auf die EAA ein, sich ihrer gemeinsamen Verantwortung mit der Portigon AG für die Vermögensinteressen der öffentlichen Hand bewusst zu sein.“

Herr Kollege Witzel, sind Sie tatsächlich der Auffassung, dass sich die EAA ihrer Verantwortung für die Vermögensinteressen des Landes nicht bewusst sei? Wollen Sie der EAA tatsächlich unterstellen, dass sie gegen die Interessen des Landes agiert und ihre Arbeit verrichtet? Dann sollten Sie das hier öffentlich dokumentieren

(Zustimmung von Stefan Zimkeit [SPD])

und sagen: Der EAA-Vorstand arbeitet schlecht, ist darauf aus, dem Land zu schaden und die Vermögenswerte möglichst zum Schaden für das Land abzuwickeln. – Ich hoffe, das meinen Sie nicht wirklich ernst.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Dann komme ich zu einem schönen Vertrag, Herr Kollege Witzel, nämlich dem Koalitionsvertrag von CDU und FDP aus dem Jahre 2005.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Och, nee!)

Das ist drei Jahre nach dem Zitat, das Sie eben gebracht haben. Im Koalitionsvertrag steht:

„Wir unterstützen die eingeleitete Neuausrichtung der WestLB AG. Sie ist die größte in unserem Land ansässige Bank und auch in Zukunft eine wichtige Stütze für den Finanzplatz Nordrhein-Westfalen.“

(Stefan Zimkeit [SPD] und Reiner Priggen [GRÜNE]: Hört, hört!)

Das schreibt die FDP im Jahr 2005.

„Die Landesbeteiligung an der WestLB AG wollen wir,“

– also FDP und CDU

„auch im Interesse eines stabilen Wachstums der Bank, bestmöglich nutzen. Das schließt einen Verkauf, auch unter Inanspruchnahme des Kapitalmarktes, ein.“

(Ralf Witzel [FDP]: Aha! – Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Das war im Mai 2005. Jetzt haben wir Juli 2014. Sie hatten fünf Jahre Zeit, die Bank zu verkaufen, aufzuhübschen und loszuwerden.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben da vorne gesessen, Hampelmann gespielt und nichts auf die Reihe bekommen – das ist das Ergebnis.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise!)

– 2005 war der Höhepunkt der Finanzmarktkrise? – Ich erinnere mich dunkel.

(Martin Börschel [SPD]: Die hat auch schon zur Haushaltssperre geführt! – Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN – Weitere Zurufe)

2006 war unheimlich viel Chaos hier. Und 2007 …

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Bis 2005 gab es 39 Jahre lang Chaos unter Rot-Grün, deswegen gab es eine Haushaltssperre!)

– Herr Lienenkämper, ich wollte der CDU die Chance geben, sich von der FDP insofern abzusetzen, als diese sich nicht so einen schlanken Fuß macht. Lassen Sie mir doch noch kurz dieses Spiel.

(Heiterkeit von Lutz Lienenkämper [CDU])

Ich füge ein zweites Zitat hinzu:

„… die Landesregierung werde ihren WestLB-Anteil spätestens Ende der Legislaturperiode veräußern – unter der Voraussetzung, dass der Kaufpreis den Landesinteressen genüge … Wir haben keine Eile‘„

Das schreibt die FDP noch 2007.

Im Februar 2008 heißt es: Der FDP-Vorsitzende Pinkwart sagte im Freitag in Düsseldorf, dass es immer das Ziel der FDP gewesen sei, unverantwortliche zusätzliche Risiken für die nordrhein-west-fälischen Steuerzahler auszuschließen. Dazu seien ein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell sowie eine mutige und konsequente Restrukturierung der Bank die Voraussetzung. – Wie lange wollten Sie denn restrukturieren und mutig Voraussetzungen schaffen, Herr Kollege Witzel?

All diese Zitate sind im Übrigen immer noch auf der FDP-Homepage zu finden – insofern vielen Dank an Ihre IT-Abteilung. Das erleichtert die Arbeit ungemein, Herr Kollege.

Ich will uns ein letztes Zitat von Ihrem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden, Herrn Papke, gönnen.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Oh schade! Mehr!)

Über ihn heißt es im „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Januar 2009 – er trifft sich so gut mit Ihnen; das ist kein Wunder, weil Sie so oft nebeneinander gesessen haben –:

„Papke erinnerte daran, dass die FDP als einzige Partei schon in der letzten Legislaturperiode die Privatisierung der WestLB gefordert habe.“

(Ralf Witzel [FDP]: Richtig! Genau!)

Ich frage Sie, Herr Kollege Witzel: Wie klein waren Sie in der Koalition, dass Sie diese böse CDU Tag und Nacht am Verkauf der WestLB gehindert hat?

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deutlich geworden ist, dass sich die FDP um jegliche Verantwortung drückt. Denn dieser Finanzminister und Rot-Grün haben sich nicht ausgesucht, dass wir die PFS verkaufen und die WestLB abwickeln wollen. Das ist das Ergebnis eines Abwicklungsprozesses, der im Einvernehmen mit der schwarz-gelben Bundesregierung getroffen werden musste.

Friedrich Merz hat sich zweieinhalb Jahre mit dem Verkauf der WestLB beschäftigt.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Es ist ihm nicht gelungen; ich will ihm das nicht zum Vorwurf machen. Aber dass Sie sich hierhin stellen und auf diesen Finanzminister zeigen, zeugt von einer Chuzpe, die ich selbst Ihnen nicht zugetraut hätte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim am Stream! Ich verstehe eines nicht: Es ist zwar parlamentarischer Brauch, aber das permanente blindwütige Bashen der Opposition seitens der regierungstragenden Fraktionen ist doch eher nicht konstruktiv.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Das ist doch nicht blindwütig! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war doch sehenden Auges! Das sieht man doch!)

– Frau Kollegin Beer, sehenden Auges betrachten wir einmal den Antrag, der uns vorliegt. Dieser Antrag spricht zwar von einem Masterplan, bezogen auf die vermögensschonende Abwicklung der WestLB. Die vermögensschonende Abwicklung der WestLB war aber oder ist zumindest die Zielsetzung, die nach dem Restrukturierungsgesetz die Marschrichtung der Landesregierung war, wahrscheinlich auch noch ist und sein soll.

In der Zwischenzeit sind Dinge passiert, die 2005, 2008 oder 2010 noch nicht in der Welt waren, nämlich die Gründung der PFS GmbH. Sie existiert nämlich erst seit Januar dieses Jahres. Diese PFS GmbH – eine Rosine, herausgeschält aus der ehemaligen WestLB, aus der Portigon, isoliert hingestellt, Dienstleistungsgeschäfte betreiben wollend – hat keine Kunden, ist also praktisch unverkäuflich.

Das Einzige, was da zu verkaufen wäre, ist Hardware, Software, vielleicht ein Dienstleistungskonzept und eine Menge Personal, welches sich vor dem Hintergrund der EU-Vorgaben im Grunde jetzt schon einmal nach einem neuen Job umschauen kann.

Herr Priggen, Sie schütteln den Kopf, aber das ist Fakt. Wenn nämlich die Gesellschaft bis 2016 nicht verkauft ist, wird sie abgewickelt, und das ist in anderthalb bis zwei Jahren. Dann wird sie abgewickelt, oder aber – und das hatte ich in der letzten HFA-Sitzung einmal vorgeschlagen – das Finanzministerium sollte vielleicht darüber nachdenken, die PFS – wenn sie denn so gut aufgestellt ist und so tolle Dienstleistungen macht und man vielleicht mit der EAA aufgrund der Kostensituation nicht mehr so ganz klarkommt – zu veräußern, indem man die Dienstleistungen innerhalb der EAA durchführen lässt. Das muss ja kein Verkauf sein.

Das war mein Vorschlag, wie man möglicherweise damit umgehen kann, die Sache vermögensschonend abzuwickeln. Denn wir wissen: Bei der Portigon werden langsam aber sicher betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. Wir reden hier von insgesamt 2.000 Mitarbeitern. Wir reden auch noch von roundabout 500 Mitarbeitern, die für die PFS vorgesehen sind, teilweise aus dem Bestand der Portigon.

Da ist es durchaus angebracht, wenn die FDP als Oppositionsfraktion – ich will jetzt gar nicht sagen – den Zeigefinger hebt, aber zumindest das Maß an Transparenz und planvollem Handeln einfordert, wie es im Antrag niedergelegt ist. Wenn die Landesregierung aufgefordert werden möge, zusammen mit dem Management der Portigon AG einen solch tragfähigen Masterplan vorzulegen – der aber eben nicht vorliegt, und von dem wir auch gar nicht wissen, wie er die weitere Abwicklung vorsieht –, dann halten wir das für grundsätzlich vertretbar und gut.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Das Gleiche gilt auch hinsichtlich der Ziffer 2, bezogen auf die Frage des schlüssigen Handlungskonzepts im Hinblick auf das Personal. Der Kollege Mostofizadeh rügt hier zwar, dass die Ziffer 3 in irgendeiner Form eine Kritik an der EAA bzw. deren Tätigkeit bedeute, aber das sehe ich überhaupt nicht so.

Es wäre ja durchaus auch möglich, die EAA in dieses Gesamtkonzept in einer Weise einzubinden, dass beispielsweise die PFS demnächst in die EAA hinüberwandert und dort entsprechend die Dienstleistungen verrichtet, für die heute und wohl auch künftig noch Zahlungen seitens der EAA erbracht werden müssen.

Dann bräuchten wir auch nicht über die Frage der Weiterbeschäftigung von Personal innerhalb der PFS zu reden, sondern dann geht die PFS in die EAA über; das hatte ich schon einmal gesagt, Herr Finanzminister, auch wenn Sie das jetzt vielleicht nicht auf dem Schirm haben. Das wäre zumindest aus meiner Sicht ein tragfähiges Konzept.

So wie wir als Oppositionsfraktion wenigstens eine Idee in den Raum stellen, über die man mal reden könnte, erwarten wir, erwartet die Opposition Vorschläge und Ideen, die ebenfalls zur Diskussion gestellt und möglicherweise auch hier im Plenum debattiert werden. So kann man im Sinne der Politik der ausgestreckten Hand zu gemeinsamen, konsensfähigen Lösungen kommen.

Das sehen wir jedoch zurzeit nicht, und deswegen werden wir vonseiten der Piratenfraktion diesem Eilantrag zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. – Nun spricht Herr Stein, fraktionslos.

Robert Stein (fraktionslos): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer. Ich denke, wir müssen nicht nur angesichts des vorliegenden Eilantrags bezüglich der WestLB-Abwicklung samt den Milliardenschäden noch einmal verdeutlichen, auf welche Art und Weise hier der Finanzminister in Nordrhein-Westfalen eine gescheiterte Politik macht.

Das ist angesichts der fatalen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit geradezu notwendig. Gestern – das sei nur am Rande erwähnt, Sie haben es heute Morgen hier ausführlich gehört – kam es zur vierten Schlappe des Finanzministers vor dem Verfassungsgerichtshofs, in Folge wohlgemerkt.

Herr Finanzminister, die Bemerkung sei erlaubt: Ich rate Ihnen dringend, einmal Ihr Verhältnis zur Verfassung zu klären, insbesondere wenn Sie heute in der Debatte quasi weitere Verfassungsbrüche ankündigen, indem Sie sie aufgrund der Schuldenbremse als unvermeidbar darstellen.

Sie haben es in den letzten Jahren trotz optimaler konjunktureller Bedingungen und Rekordsteuereinnahmen versäumt, weitreichende mögliche strukturelle Ersparnisse umzusetzen und Puffer für ungeahnte Mehrausgaben, wie sie drohen können – zum Beispiel aktuell durch den stockenden Verkauf der PFS im Rahmen der geplanten Abwicklung –, zu bilden.

Angesichts des gerade nach dem Rücktritt von Herrn Voigtländer – Sie bestreiten da ja jeden Zusammenhang – auf Eis gelegten Verkaufs der PFS GmbH drohen noch weit mehr finanzielle Belastungen für den überstrapazierten Haushalt. Sie betreiben da eine Politik der vertanen Chancen, Sie haben keinen Masterplan, und Sie lassen es an der notwendigen Transparenz mangeln.

(Beifall von der FDP)

Um es einmal bildlich zu verdeutlichen: Herr Walter-Borjans, Sie sitzen am Steuer eines Rennwagens des Rennteams Portigon NRW. Beifahrer ist Herr Voigtländer. Sie beide schauen sich kurz an, ob es losgehen kann, und nicken. Sie, Herr Finanzminister, treten aufs Gaspedal. Der Motor heult auf. Der Motor röhrt. Ohrenbetäubender Lärm entwickelt sich. Doch das Fahrzeug steht auf der Stelle. Dann steigt Herr Voigtländer aus, um nachzusehen, was Sache ist. Er sieht Qualm aus dem Motorraum steigen, winkt ab und signalisiert Ihnen, dass er die Rennstrecke besser schon einmal verlässt. Sie, benebelt von Lärm und Qualm, bekommen davon gar nicht so viel mit, bis es dann richtig „peng!“ macht, weil Sie weiter aufs Gaspedal treten. Dann knallt es auch, und der Motor verstummt komplett.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Bei der Fehleranalyse wurde anschließend festgestellt: Der Finanzminister hat schlichtweg vergessen, den Gang einzulegen. – Es ist also hanebüchen. Das Team Portigon NRW ist da leider gescheitert.

Schaffen Sie daher – um zum Eilantrag zurückzukommen – endlich Klarheit und Transparenz, gerade auch für die Beschäftigten, wie Herr Schulz das sehr schön ausgeführt hat; denn 2016 läuft die Zeit ab, und ein Verkauf wird jetzt mit voranschreitender Zeit nicht eben wahrscheinlicher.

Sie sagten am 20. März 2014 im Ausschuss – wir haben das von Herrn Witzel auch schon gehört; ich zitiere –: „Jetzt“ geht der Verkaufsprozess los. Heute wissen wir, was „jetzt“ bei Ihnen zu bedeuten hat. Ihre Worte sind gemessen daran nicht viel wert.

Für die Beschäftigten ist es allerdings nur fair, einen verlässlichen Plan der Abwicklung oder auch möglichen Weiterbeschäftigung vorgelegt zu bekommen, damit sie die Chance haben, Planungen für ihre weitere berufliche Entwicklung vorzunehmen. Das gilt jetzt, wo der Verkauf auf Eis gelegt ist, umso mehr.

Ob jedoch gerade Sie die Vertrauensperson für eine solche Aufgabe sind, darf bezweifelt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stein. – Nun spricht für die Landesregierung der Finanzminister, Herr Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Debatte hier eine Viertelstunde zu Gemüte geführt hat, freut man sich auf den nächsten Portigon-Aufsichtsrat; denn dann hat man es wenigstens mit Leuten zu tun, die sich mit diesem Thema wirklich auskennen und intensiv beschäftigen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lutz Lienenkämper [CDU]: Warum sind Sie dann immer dabei?)

Manchmal denke ich, dass ich gerne einmal dabei wäre, wenn der PR-Berater der FDP wieder kommt und sagt: Passt mal auf; ich habe eine Idee. Ihr müsst wieder einen Antrag stellen, in dem alle Reizworte des Marketingvokabulars vorkommen müssen. – Das sind wahrscheinlich dieselben Leute, die auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und das Hochschulfreiheitsgesetz erfunden haben.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Die Entfesselung!)

Diese Leute haben jetzt gesagt: Es muss der Begriff „Masterplan“ vorkommen. Es muss der Begriff „vermögensschonend“ vorkommen. Dann muss man etwas dagegensetzen, was die andere Seite symbolisiert. Das muss negativ sein. Deswegen nimmt man die WestLB, die es zwar schon lange nicht mehr gibt. Portigon würde jetzt aber nichts bringen. Daher muss man es mit der WestLB machen. Dann kommt das Wort „Scheitern“. Schließlich stellt man noch auf die Großbank im Staatsbesitz ab, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist.

Dann meint man: Das reicht eigentlich aus. Der Rest dahinter kann heiße Luft sein. Hauptsache, das hat man herübergebracht. Dann hat man doch bestimmt wieder eine Nachricht sicher.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist wirklich unverantwortlich, dass Sie hinter der Fassade des um die bei der Portigon arbeitenden Menschen, um die Kunden usw. Besorgten Ihren Weg gehen. Sie verstellen denjenigen, die Lösungen suchen, nämlich die Wege. Sie nähren Spekulationen. Sie verwenden immer den Satz, Sie hätten den Eindruck oder der Eindruck müsse sein, und sagen dann Dinge, von denen Sie wahrscheinlich nicht einmal selber glauben, dass es so ist, bei denen Sie aber hoffen, dass andere es glauben, damit das wieder transportiert wird.

In Sachen Verkaufsprozess ist überhaupt nichts gescheitert. Wir haben zu Beginn des Jahres den Teil, der verkauft werden muss, nach der Auflage der Kommission als Servicegesellschaft herausgelöst – die im Übrigen einen, und zwar ziemlich großen, Kunden hat, nämlich die Erste Abwicklungsanstalt.

Die Erste Abwicklungsanstalt kümmert die FDP nicht. Bei der Ersten Abwicklungsanstalt sind nämlich nicht die Kunden und auch nicht die Mitarbeiter, mit denen man jetzt noch versuchen könnte, Punkte zu machen. Das muss man jetzt über das Transportmittel Portigon oder WestLB machen.

Dann kommt man beispielsweise auf die Idee, dass die EAA von ihrem Miteigentümer Land gezwungen werden soll, einen Vertrag für Servicierung abzuschließen, der höher dotiert wird, als es eigentlich notwendig wäre, dass man also mehr bezahlt, damit die Portigon auf diese Weise gesichert werden kann.

So verstehe ich das, was ich für dieses Land zu tun habe, nicht. Nach meinem Verständnis hat die Portigon vielmehr mindestens zwei Ziele zu erreichen. Es gibt einige mehr. Auf zwei müssen wir aber uns ganz besonders konzentrieren.

Erstens. Als wir die WestLB in die Portigon überführt haben, haben wir die neue Gesellschaft mit insgesamt 4,2 Milliarden € Kapital ausgestattet und gesagt: Damit müsst ihr den Veränderungsprozess über die Bühne bringen. – Auch da gibt es Unsicherheiten. Ich habe das auch an dieser Stelle schon einmal gesagt. Das weiß man. Deswegen gibt es auch Regeln, was passiert, wenn man darüber hinauskommen sollte. Jetzt geht es aber um diese Summe. Sie muss reichen. Das hat das Management auch immer wieder unterstrichen.

Zweitens. Die andere im Miteigentum des Landes befindliche Institution, die Erste Abwicklungsanstalt, muss in ihrer operativen Arbeit stabil bleiben. Sie macht einen hervorragenden Job. Von Portfolien von über 177 Milliarden € hat sie schon über die Hälfte abgearbeitet, und zwar so, dass es wirklich vermögensschonend erfolgt ist. Das liegt daran, dass diese Dienstleistung von der Portigon zur Verfügung gestellt wird.

Dann haben wir gesagt: Wenn an dieser Stelle die Rahmenbedingungen, und zwar sowohl die Marktrahmenbedingungen als auch die Bedingungen, die uns schlicht und ergreifend von der Europäischen Kommission aufoktroyiert werden, nicht stimmen, wollen wir genau das nicht machen, was Sie gemacht haben. Ich weiß nicht, ob Sie die Namen noch kennen. Friedrich Merz kennen Sie sicherlich. Kennen Sie vielleicht auch Dirk Notheis? Das ist derjenige, der zusammen mit Herrn Mappus die EnBW wieder für das Land Baden-Württemberg erstanden hat.

Herr Merz und Herr Notheis haben den Auftrag des Verkaufs der WestLB übernommen. Sie haben ziemlich viel Geld gekostet. Am Ende musste man feststellen, dass es nicht geklappt hat. Im Übrigen sind die beiden wenige Monate vor dem Regierungswechsel beauftragt worden.

Das habe ich nicht vor. Ich habe nicht vor, Herrn Merz und Herrn Notheis oder Menschen mit anderer parteipolitischer Zuneigung zu beauftragen und ihnen viel Geld dafür zu bezahlen, dass sie nach einiger Zeit kommen und sagen, das gehe jetzt gerade nicht.

Wenn jemand erwartet, dass man, wenn man im März der Überzeugung ist, dass die Chance besteht, jetzt mit Investoren ins Gespräch zu kommen, auch im Juli auf Teufel komm raus, koste es, was es wolle, zu dieser Aussage steht, sage ich Ihnen ehrlich: Nein, ich bin in der Lage, das zu korrigieren, wenn ich sehe, dass es andere Rahmenbedingungen gibt. Die gibt es ja offenbar auch für die Depfa und für andere, die alle genau an dieser Stelle ähnliche Entscheidungen getroffen haben. Dann sagen wir: Das korrigieren wir.

Wir warten einen besseren Augenblick ab, oder wir gehen auch weitere Wege der Anpassung, wenn es denn einen anderen Weg nicht gibt – aber immer unter dem Dach der zwei Ziele, dass das Vermögen nicht über das hinausgeht, was in der Gesellschaft ist, und dass die EAA einen stabilen Job machen kann. Daran arbeiten wir. Ich glaube, Herr Opten-drenk, wenn ich mich richtig erinnere, war Herr Linssen einmal bei Herrn Almunia. Ich war schon dreimal da. Wir haben eine Menge miteinander gesprochen.

(Zuruf von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

– Dann war er auch ein paarmal mehr da. Das ist mir auch egal. Aber es geht jedenfalls darum: Mir zu sagen, übrigens als Landesvertreter, wo jeder weiß, dass die Europäische Kommission für den Mitgliedsstaat zuständig ist, da würde ich zu wenig unternehmen, das lasse ich mir gerne sagen. Wir können gern darüber reden. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich glaube nach wie vor, dass den Umständen entsprechend in diesen Institutionen des Landes ein guter Job gemacht wird. Aber die Umstände sind zum Teil enorm schwierig.

Aber auf diesem Weg gehen wir weiter. Und das ist in anderen Zusammenhängen qualitätsvoller zu beschreiben und zu diskutieren, als ich das jetzt in Ihren Beiträgen gehört habe.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, ich habe zweierlei. Erstens haben wir eine Zwischenfrage von Herrn Schulz, die aber jetzt fast keine Zwischenfrage mehr ist. Lassen wir sie dennoch zu?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wenn, dann ist es eine Endfrage. Von mir aus.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist eine Schlussfrage von Herrn Schulz als Zwischenfrage. Herr Schulz, kurz und knapp gefragt. Anschließend gibt es eine Zwischenintervention, angemeldet von Herrn Witzel. Herr Minister, Sie bleiben einfach gleich am Pult. – Bitte schön, Herr Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie diese Nachfrage, die schon vorher angemeldet war – wir wollten Sie aber ausreden lassen –, jetzt zulassen. Herr Minister, ist es richtig, dass die Verkaufsbemühungen bezüglich der PFS GmbH jetzt auf Eis gelegt sind, und, wenn ja, für wie lange?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann Ihnen im Augenblick bestätigen, dass die Geschäftsführung der PFS im Aufsichtsrat, worüber ich nicht reden werde, aber auch außerhalb mitgeteilt hat – wir haben es zur Kenntnis genommen –, dass es jetzt im Augenblick keinen Sinn macht, das, was ich eben gesagt habe, zu tun, nämlich teure Berater dafür einzustellen und zu beauftragen, den Verkauf über die Bühne zu bringen – nicht den Verkauf zu stoppen. Das heißt, Investoren, die gerne Gespräche führen, sind weiterhin eingeladen. Es gibt auch Gespräche.

Im Augenblick gibt es auch diejenigen, die glauben, unter den gegebenen Umständen sehr billig an eine Einheit zu kommen, wobei der Eigentümer sagen muss: Tut mir leid, es ist schön, dass du dich interessierst. Aber wir sind nicht interessiert.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Nun kommt die Kurzintervention, angemeldet von Herrn Kollegen Witzel. Bitte schön, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, Sie haben eben über Erwartungen an die EAA gesprochen. Ich möchte Sie mit den Erwartungen konfrontieren, die der frühere Vorstandsvorsitzende Voigtländer uns allen im Wortlaut im Ausschuss dargelegt hat, und zwar in der Sitzung am 13. Februar 2014:

„Ein ganz entscheidender Block, der jetzt noch gemeinsam zu finalisieren ist, ist ein auskömmlicher langfristiger Servicevertrag zwischen der Portigon Financial Services und der Ersten Abwicklungsanstalt. Das ist von ganz zentraler Bedeutung für potenzielle Investoren. Kauft ein möglicher Investor eventuell das Risiko, dass der derzeit bestehende Kooperationsvertrag zum 31. Dezember 2016 ausläuft, oder gibt es eine hinreichende Sicherheit und Gewissheit, dass ein langfristiger Servicevertrag vereinbart werden kann?“

Da hat der Vorstandsvorsitzende den klaren Zusammenhang hergestellt, warum natürlich der Kooperationsvertrag III in ganz evidenter Art und Weise mit Optionen des Verkaufs der PFS zusammenhängt. Ich bitte Sie, hier darzulegen, warum der noch nicht zustande gekommen ist, warum Sie diesem Thema an sich nicht so eine Bedeutung beimessen, wenn man sieht, wie sich hier die institutionellen Kunden der Portigon verhalten, die EAA und Ähnliches. Entsprechendes können Sie bei der Helaba sehen, wo der Vorstandsvorsitzende Brenner noch am 26.06. letzte Woche in der „TLZ“ erklärt hat:

„Ende April werden wir fast den gesamten Container leergeräumt haben. Wir benötigen die Unterstützung der Portigon insofern dann nicht mehr.“

Da wird nicht diese Interessensperspektive mit betrachtet. Warum interessiert Sie das Zustandekommen des Kooperationsvertrages III so wenig?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Zuerst einmal, das Zustandekommen des Kooperationsvertrages III interessiert mich sehr. Ich sage dazu: Es ist Sache zwischen der Geschäftsführung der PFS und der EAA, hier zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn Herr Voigtländer der Auffassung gewesen sein sollte – Andeutungen in diese Richtung hat er gemacht –, dass er glaubt, der Finanzminister oder die Landesregierung müsse seinen Job machen und müsse dafür sorgen, dass die EAA den Preis bezahlt, den er haben möchte, und die Landesregierung sagt: das ist nicht unser Job, und es ist auch gar nicht zulässig, dann ist das nicht gleichbedeutend damit, dass mich das Zustandekommen des Kooperationsvertrages III nicht interessiert.

Dass ich nicht in Hektik gerate, hat auch damit zu tun, dass es einen Kooperationsvertrag II gibt, der sogar noch zwei Jahre läuft. Natürlich ist es so, dass, wenn es einen noch längerfristigen Vertrag gäbe, das ein gutes Verkaufsargument wäre. Aber dafür ist nun einmal das Management der Portigon zuständig. Und wenn Herr Voigtländer Ihnen das erzählt hat, dann muss man sich fragen: Warum ist das nicht zustande gekommen? Wenn er meint, es sei nur nicht zustande gekommen, weil die Landesregierung den Vertragspartner noch nicht gezwungen hat, in seine Bedingungen einzutreten, dann haben wir da, glaube ich, insgesamt falsch verstanden, wie Verhandlungen ablaufen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit sind wir am Ende der Beratungen zu diesem Eilantrag.

Wir kommen zur Abstimmung. Es ist direkt abzustimmen. Wer stimmt dem Eilantrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/6189 zu? – Die FDP-Fraktion und die CDU-Fraktion, die Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Stein. Wer stimmt gegen diesen Eilantrag? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen im Hohen Hause? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall. Damit ist der Eilantrag Drucksache 16/6189 mit den Stimmen der Mehrheitsfraktionen von SPD und Grünen abgelehnt.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt:

10       Fragestunde

Drucksachen 16/5975, 16/6199, 16/6200, 16/6221

Mit der Drucksache 16/5975 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 42 bis 44 vor. Außerdem liegen Ihnen die Dringlichen Anfragen 45 und 46 vor. Nach den Richtlinien für die Fragestunde werden Dringliche Anfragen zu Beginn der Fragestunde aufgerufen und gehen somit allen anderen vor.

Ich gebe noch den Hinweis, dass die

Dringliche Anfrage 45

des Herrn Abgeordneten Witzel von der Fraktion der FDP zum Thema „Wie bewertet die Landesregierung das Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes zur Beamtenbesoldung?“ mit der Unterrichtung heute Vormittag zurückgezogen wurde.

Damit kommen wir zur

Dringlichen Anfrage 46

des Herrn Abgeordneten Dr. Optendrenk von der Fraktion der CDU:

Steuereinnahmen 2014 bis 2018

Anfang Mai 2014 hat das Bundesfinanzministerium die Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung 2014 für Bund, Länder und Kommunen bekannt gegeben. Mit Schreiben vom 4. Juni 2014 hat die CDU-Landtagsfraktion die Landesregierung um einen schriftlichen Sachstandsbericht zu den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung 2014 für die Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 26. Juni 2014 gebeten. Ohne Angabe von Gründen wurde eine schriftliche Vorlage nicht erstellt, obwohl sich die Landesregierung im Rahmen einer Pressemitteilung vom 24. Juni 2014 zur angenommenen Entwicklung der Steuereinnahmen bis 2018 geäußert hat.

Daraufhin wurde in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 26. Juni 2014 um kurzfristige Erstellung einer schriftlichen Vorlage, wie es bereits in der Vergangenheit üblich war, bis Montag, den 30. Juni 2014, gebeten. Der Finanzminister sicherte eine Prüfung zu. Am Montag, dem 30. Juni 2014, teilte das Finanzministerium telefonisch auf Arbeitsebene mit, dass von der Erstellung einer Vorlage abgesehen wird.

Die veröffentlichte Mai-Steuerschätzung für Bund, Länder und Kommunen hat sowohl Aus-wirkungen auf den Haushaltsvollzug 2014 sowie auf die verabschiedete Mittelfristige Finanzplanung in Nordrhein-Westfalen. Eine nachvollziehbare Begründung, warum die Landesregierung sich zu der öffentlich bekannten Steuereinnahmeentwicklung nicht äußern will, ist nicht erkennbar. Die Landesregierung muss daher im Rahmen der Fragestunde umfassend für Klarheit sorgen.

Welche Steuereinnahmen erwartet die Landes-regierung für Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2014 bis 2018?

Ich bitte Herrn Minister Dr. Walter-Borjans um Beantwortung.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Bevor ich auf die Frage eingehe, möchte ich noch einmal den Umstand beschreiben, warum wir hier zusammensitzen und über diese Frage sprechen. Es handelt sich um eine Frage, Herr Optendrenk, die Sie im Haushalts- und Finanzausschuss gestellt haben. Wir haben Ihnen eine Antwort darauf gegeben, die im Parlament keine andere ist als im Haushalts- und Finanzausschuss.

Sie möchten gerne wissen: Welche Steuereinnahmen erwartet die Landesregierung für Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2014 bis 2018? Das bedeutet, Sie möchten gerne wissen, welche Grundannahmen es für die Steuereinnahmen im Laufe der mittelfristigen Finanzplanung gibt.

Bislang haben wir diese Fragen immer dann beantwortet, wenn sie Teil eines in den Landtag eingebrachten Haushaltes waren. Das sind sie zurzeit noch nicht, und das habe ich Ihnen auch im Haushalts- und Finanzausschuss gesagt. Das haben wir Ihnen auch bereits auf der Arbeitsebene direkt mitgeteilt. Sie haben jedoch ein anderes Interesse, das sich vermutlich im Laufe der Fragen noch herausstellen wird, und dann können wir darüber reden.

Ich kann Ihnen jetzt sagen: Wir haben heute die letzte Sitzung vor der Sommerpause. In der vergangenen Woche haben wir den Haushalt 2015 mit der mittelfristigen Finanzplanung bis 2018 verabschiedet. Dieser Haushalt wird jetzt von der Landesregierung an den Landtag überwiesen. Wenn dem Landtag dieser Entwurf zur Beratung vorliegt, dann ist es selbstverständlich, dass über alle Punkte, die in diesem Entwurf stehen, gesprochen wird.

Ich werde aber nicht damit anfangen – denn ich möchte es so halten wie meine Vorgänger –, häppchenweise über einzelne Punkte und die Rahmenbedingungen, die dem zugrunde liegen, zu reden, bevor der Entwurf den Landtag überhaupt erreicht hat.

Deswegen kann ich Ihnen noch einmal sagen, was ich bereits gesagt habe: Sie kennen die allgemeinen Aussagen zur Steuerschätzung in Deutschland. Sie wissen, dass die Steuerschätzer vorausgesagt haben, dass die Erwartung für den Staatshaushalt im Jahr 2014 insgesamt eher etwas zurückgenommen ist, dass die Entwicklung von 2015 bis 2018 leicht günstiger ist, als noch in der letzten Steuerschätzung erwartet, und dass wir in Bezug auf das Land Nordrhein-Westfalen gesagt haben: Wir legen den Jahren der mittelfristigen Finanzplanung diejenigen Werte zugrunde, die uns die schematische Steuerschätzung für die Regionalisierung, für die Länder, durchgeführt von Baden-Württemberg, an die Hand gegeben hat. Das heißt, wir haben keine eigenen Zahlen entwickelt, sondern wir haben diese Zahlen zugrunde gelegt, und darauf basiert diese Einschätzung. Wir werden darüber diskutieren können, wenn der Haushaltsentwurf den Landtag erreicht hat.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Es gibt eine Nachfrage von Herrn Dr. Optendrenk. Bitte schön.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Sie haben erklärt, warum Sie die Zahlen jetzt nicht vorlegen möchten. Ich verweise darauf, dass Sie solche Zahlen auf meine Bitte hin in der Vorlage 16/390 von November 2012, und zwar unabhängig von einem Haushaltsberatungsverfahren, vorgelegt haben. Seinerzeit war das offensichtlich kein Problem. Es hat auch nicht den Kontext, den Sie gerade dargelegt haben.

Deshalb frage ich Sie: Welche rechtlichen Gründe haben Sie, dem Landtag die Berechnungen des Finanzministeriums zu den prognostizierten Steuereinnahmen 2014 bis 2018 zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitzuteilen? Es geht um die rechtlichen Gründe.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Sie haben gerade eine Beantwortung Ihrer Frage aus dem Jahr 2012 angesprochen, die für einen eingebrachten Haushalt galt. Diese ist nicht vor der Einbringung des Haushalts erfolgt.

Die Begründung lautet: In diesem Zusammenhang hat es immer Absprachen gegeben, und zwar auch in Ihrer eigenen Zeit als Fraktionsassistent, als es darum ging, zusammen mit dem Finanzminister darüber zu sprechen, welche Annahmen der Haushaltsplanung zugrunde liegen. Sie haben dafür ein Verfahren verabredet, an das ich mich jetzt auch halten möchte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt eine zweite Frage von Herrn Dr. Optendrenk. Bitte schön.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich wüsste gerne, wie Sie die Steuereinnahmeentwicklung für das laufende Jahr 2014, für das es nicht nur einen eingebrachten, sondern einen bereits verabschiedeten Haushalt gibt, im Jahresvollzug bisher bewerten bzw. wie die konkreten Halbjahreszahlen des Jahres 2014 aussehen.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Mit dieser Frage habe ich gerechnet, als ich sagte: Ich glaube, dass Ihrer Frage noch andere Motive zugrunde liegen. Ich denke, das ist – im Wissen darum, was wir im Haushalts- und Finanzausschuss besprochen haben – der Punkt, über den Sie gerne sprechen möchten. Das haben Sie heute bereits in Ihrem Redebeitrag als Erwiderung auf die Aussagen der Ministerpräsidentin gesagt. Sie möchten gerne in die Landschaft setzen, dass im Jahr 2014 Steuerausfälle in Höhe von 1,6 bis 1,8 Milliarden € – so haben Sie gerechnet – zu befürchten sind. Ich vermute, das soll die Schlagzeile sein.

Dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen: Sie müssen vorsichtig sein, dass Sie damit nicht komplett falsch liegen. Denn Sie haben auf der Grundlage der Steuereinnahmen bis zum Mai eine Hochrechnung vollzogen. Das hätten Sie auch auf der Grundlage der Steuerschätzung bis zum März machen können. Dann hätten Sie einen enormen Überschuss errechnet. Das haben Sie zu diesem Zeitpunkt allerdings lieber nicht gemacht, sondern Sie haben bis Mai gewartet.

Nach den Kenntnissen, die mir zum Juni vorliegen, ist der Eingang der Steuern, und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen, schlechter als erwartet. Das trifft zu.

Wenn man das gerne zu einem Knackpunkt in der Kommunikation machen möchte, dann muss man sich – ich habe die Zahlen von Januar bis Mai vorliegen – aber auch noch Folgendes anschauen: Die augenblickliche Entwicklung in den Bundesländern gegenüber dem Vorjahr liegt zwischen einem Plus von 10,8 % in Baden-Württemberg und einem Minus von 7,9 % in Schleswig-Holstein. Nordrhein-Westfalen lag mit einem Plus von 0,9 % im Mittelfeld. Diejenigen also, deren Plus in einem hohen Bereich lag, haben den Wert nach oben gezogen. Rechnet man NRW nicht mit ein, ist bei den Ländern ein Plus von 4,3 % zu verzeichnen.

Wer sich das vor Augen hält, weiß, dass dies beispielsweise zum In-Kraft-Treten eines Ausgleichmechanismus, nämlich des Länderfinanzausgleichs, führen würde.

Darüber hinaus haben die Ausfälle, die in Nordrhein-Westfalen sowie in einigen anderen Ländern zu beklagen sind – wobei Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Niedersachsen noch nicht einmal im Minusbereich liegt; zudem liegt Hessen bei minus 2,3 % –, im Verlauf dieses ersten Halbjahres eine ganze Reihe durchaus schwerwiegender Verschiebungen nach sich gezogen, die entweder die Folge haben, dass damit zu rechnen ist, dass es im zweiten Halbjahr entsprechende Nachzahlungen gibt, oder es gibt Verschiebungen zwischen Ländern, die dann wiederum in den Ausgleichsmechanismus einmünden.

Ich nenne ein Beispiel: Seit dem 1. Januar 2014 belegt eine Umsatzsteuerumstellung im Bereich der Versorger – Energie, Strom, Gas – nicht mehr den Lieferanten, sondern den Bezieher mit der Umsatzsteuer. Das bedeutet, dass sich etwas von Nordrhein-Westfalen als Schwerpunkt wegbewegt und hinbewegt auf alle, also zum Teil auch auf Nordrhein-Westfalen, weil hier im Land natürlich ein Teil der Bezieher sitzt; es gibt aber auch größere Bezieher außerhalb des Landes. Das hat im ersten Halbjahr Steuerverlagerungen in einer Größenordnung von mal eben so 500 Millionen € ausgelöst, was hier zu einem spürbaren Rückgang geführt hat.

Wir hatten bei der Einfuhrumsatzsteuer ein Minus von 70 Millionen € und von 240 Millionen € bei den Dividendenkürzungen im ersten Halbjahr, die aber durchaus vermuten lassen, dass es andere Zahlungstermine auch noch im Jahre 2014 gibt. Das heißt: Eine Hochrechnung dergestalt, dass Sie das verdoppeln, was im ersten Halbjahr eingegangen ist – und dann hat man das Loch und kann damit hausieren gehen –, können Sie anstellen, wenn Sie Ihren Spekulationen treu bleiben wollen, die Sie auch in dem vorigen Tagesordnungspunkt angesprochen haben. Das wäre aber grundlegend unseriös.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Es gibt eine Frage von Herrn Sieveke. Bitte schön, Herr Sieveke.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Finanzminister, Sie haben eben dargelegt, wie die Überschrift der CDU-Fraktion aussehen könnte. Danach haben Sie mehrere explizite Beispiele genannt – wieso, weshalb, warum. Ich habe aber die Frage: Warum rechnet die Landesregierung für 2018 in ihrer mittelfristigen Finanzplanung mit einer Steigerung von 4,14 % gegenüber 2013, wenn der Arbeitskreis Steuerschätzung bei der Mai-Steuerschätzung für 2014 für die Länder nur von einer Steigerung von 3,6 % ausgeht?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe zur Steuerschätzung, die Ihnen in der mittelfristigen Finanzplanung, die wir jetzt im Kabinett verabschiedet haben, noch nicht vorliegt, nur so viel nach draußen getragen, als ich gesagt habe: Wir haben in dieser mittelfristigen Finanzplanung exakt die Zuwächse einbezogen, die von dem Arbeitskreis der schematischen Regionalisierung, geführt von Baden-Württemberg, vorgegeben worden sind. Diese basieren auf den Daten der Steuerschätzung insgesamt und natürlich der Regionalisierung, die dort vorgenommen worden ist. Die Daten können nicht von dem abweichen, was in der schematischen Regionalisierung der Mai-Steuerschätzung an Daten genannt worden ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Eine Frage von Herrn Jung.

Volker Jung (CDU): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben in der vorherigen Beantwortung der Frage eine Reihe Zahlen der einzelnen Bundesländer genannt. Wären Sie bereit, diese Zahlen aller Bundesländer für uns in einer Auflistung tabellarisch kurzfristig zur Verfügung zu stellen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Ich habe keine weitere Frage mehr. Das bleibt auch so. Damit sind wir am Ende der Beantwortung der Dringlichen Anfrage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Optendrenk.

Wir kommen zur

Mündlichen Anfrage 42

des Herrn Abgeordneten Rehbaum von der Fraktion der CDU.

Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf bei den derzeitigen Zuständen von Fernbus-haltestellen in Nordrhein-Westfalen?

Zum 1. Januar 2013 hatte die damalige Bundes-regierung das im Jahr 1931 zum Schutz der Bahnverbindungen erlassene innerdeutsche Fernbusverbot aufgehoben. Ziel des Gesetzes war, eine kostengünstige und umweltfreundliche Reisemöglichkeit auch für Menschen mit geringem Einkommen zu schaffen.

Aus einer Studie des Berliner Iges-Instituts geht hervor, dass seitdem 80 innerdeutsche Linien entstanden sind, wovon 42 durch Nordrhein-Westfalen führen. Fernbusanbieter in Nordrhein-Westfalen sind unter anderem ADAC/Post, „MeinFernbus“, „FlixBus“ oder „City2City“. Eine große Nachfrage gibt es vor allem bei Schülern, Studenten und Auszubildenden.

Laut Iges-Institut hat das Fernbusangebot in Nordrhein-Westfalen bereits einen überaus hohen Ausbaustand erreicht. Insgesamt sollen jede Woche ca. 1.000 Fernbusse in Nordrhein-Westfalen starten und enden. Besonders viele Fernbusverbindungen gibt es nach Berlin und in die Rhein-Main-Region.

In den Städten gibt es jedoch erhebliche Probleme mit der erforderlichen Haltestelleninfrastruktur. So sind Terminals oftmals gar nicht vorhanden, zu klein, nicht überdacht, nicht barrierefrei und nicht verkehrssicher. Oft fehlen PKW-Parkplätze für Fahrgäste, die nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr mit Bus und Bahn anreisen. So kommt es regelmäßig zu chaotischen Zuständen beim Fahrgastwechsel. Außerdem fehlt es an Toiletten für wartende Fahrgäste und an Sozialräumen für Fahrpersonal, das seine gesetzlichen Ruhepausen nehmen muss. Zudem sind die Fernbushaltestellen nicht immer zentral gelegen. Zum Beispiel fährt der Bus in Köln nicht vom Hauptbahnhof, sondern von der anderen Rheinseite in Deutz ab. Ländliche Regionen wer-den kaum angefahren.

Aus der täglichen Praxis wird berichtet, dass Fernbusse immer wieder Fahrgäste an nicht genehmigten Haltestellen aussteigen lassen. Damit unterlaufen diese Fernbusse die vom Gesetzgeber zum Schutz des öffentlichen Nahverkehrs mit Bus und Bahn bewusst getroffene Regel, dass Haltestellen einen Mindestabstand von 50 km haben müssen.

Die CDU-Landtagsfraktion weist bereits seit Monaten auf diese unhaltbaren Zustände an Fernbushaltestellen in Nordrhein-Westfalen hin. Die Landesregierung jedoch sieht „…keine bedeutenden Probleme an und um die Haltestellen durch Fahrgastwechsel … bei denen die Landesregierung unterstützend tätig werden könnte.“ So heißt es in der Antwort auf die KA der CDU-Fraktion (Drucksache 16/5793) vom 7. Mai 2014.

In der Westpol-Sendung vom Sonntag, 22. Juni 2014, hingegen forderte Minister Groschek eine Fernbusmaut zum Ausbau der Fernbushaltestellen. Dies ist ein Widerspruch.

Herr Bodewig hatte im Übrigen eine solche Busmaut auf die konkrete Frage der CDU-Fraktion ausgeschlossen, s. a. Ausschussprotokoll APr 16/357 vom 10.10.2013.

Die Folge dieser widersprüchlichen Aussagen ist die Verunsicherung der Kommunen. Diese fühlen sich von Minister Groschek im Stich gelassen.

Verunsicherung besteht aber auch bei den Be-treiber/Startups der noch jungen Fernbusbranche, die Millionenbeträge in Fahrzeuge und Konzepte investiert haben, und bei deren Fahrgästen.

Wie erklärt die Landesregierung ihre wider-sprüchliche Aussage zu Fernbushaltestellen?

Dazu ist der Herr Minister Groschek im Hause und antwortet auch.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Danke schön, Herr Präsident. – Die Kurzfassung lautet: Die Landesregierung sieht einen solchen nicht. – Ich könnte jetzt weiter …

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister … Entschuldigung!

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Gut.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Gibt es dazu noch eine Nachfrage? – Bitte schön.

Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank. – Herr Minister, diese Erkenntnis, dass Sie keinen Handlungsbedarf sehen, hatten wir ja auch schon Ihren bisherigen Entgegnungen zum Beispiel auf unsere Kleine Anfrage entnommen. Die große Frage ist: Wie sind derzeit die Zustände an den Fernbushaltestellen? Uns liegen zahlreiche Hinweise vor, dass es dort zu schwierigen Situationen kommt – sowohl verkehrsrechtlicher als auch sanitärer Art.

Wir sind der Meinung, dass sich eine Landesregierung aus dieser Situation nicht heraushalten kann. Wir haben von den Kommunen Hilferufe vernommen, die wir ernst nehmen. Von daher die Frage: Wie schätzen Sie die Situation an den Fernbushaltestellen in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen ein?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass für die Kunden dieses Privatverkehrs nach dem Prinzip „Privat vor Staat“ das Motto gilt: Der Fahrpreis ist wichtiger als der Haltestellenkomfort. Weil es sich um ein privatwirtschaftliches Unternehmen handelt – Fernreisebusverkehr – sehen wir uns auch nicht in der staatlichen landespolitischen Verpflichtung, eine Infrastruktur zu schaffen; denn das hieße, Gewinne zu privatisieren und Infrastrukturkosten zu verstaatlichen. Das wäre Public Private Partnership, die mit Sicherheit vom Landesrechnungshof kritisiert würde.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Priggen hat eine Frage. Bitte schön

Reiner Priggen (GRÜNE): Schönen Dank. – Der Kollege von der CDU hat mich darauf gebracht: Wenn ich bei uns in Aachen die Situation anschaue und akzeptiere, dass junge Leute, Leute, die nicht viel Geld haben, das Angebot gerne nutzen, dann wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass das Aufgabe des Landes ist. Ich hätte immer gedacht, es sei Aufgabe meiner Stadt, dafür zu sorgen, dass diese Bushalteplätze mit dem ÖPNV erreichbar oder in der Stadt sind.

Also ist die Frage: Wenn es Aufgabe von jemandem ist, ist es dann nicht Aufgabe der Kommunen, das in ihren Nahverkehr zu integrieren und dafür zu sorgen, dass vor Ort vernünftige Park- und Anfahrmöglichkeiten gegeben sind? Das ist nicht Aufgabe des Landes.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Abgeordneter Priggen, da treffen Sie voll die Auffassung der Landesregierung. Um Herrn Rehbaum vielleicht eine Nachfrage zu ersparen, will ich gleich darauf verweisen, dass wir die dritte Ebene, den Bund, noch nicht erörtert haben. Das war ja der vermeintliche Aufhänger für die mündliche Nachfrage bezüglich des Fernbusverkehres.

Ich habe in einer WDR-Sendung geäußert, dass gegebenenfalls dieser Fernbusverkehr durch den Bund bemautet wird. Wenn der Bund einen solchen Verkehr bemauten würde, könnte er sich überlegen, aus diesen Mauteinnahmen Infrastrukturertüchtigungen vorzunehmen. Das ist jetzt nicht unmittelbar mein vorrangiger politischer Wille. Aber dem Bund traue ich hinsichtlich der Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur alles zu. Deshalb auch, dass er die Fernbusverkehre bemauten will, zumal das der Vorsitzende des Bundestagsverkehrsausschusses öffentlich auf Seite 1 der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ als Forderung geäußert hat. Es war also kein Nobody, sondern einer der Top-Player der bundesrepublikanischen Verkehrspolitik. Deshalb sollten wir gespannt abwarten, welche Mautvorschläge aus Berlin uns alle noch erreichen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Wir haben eine Frage von Herrn Schemmer. Bitte schön.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, wir haben nun die Situation, dass die Fernbusbetreiber Mineralölsteuer und Kfz-Steuer zahlen und dass sich diese Bundesregierung darauf festgelegt hat, die Fernbusse nicht zu bemauten.

Meine Frage ist daher: Ist dadurch der Vergleich mit den Mitfahrerparkplätzen, die wir an Autobahnen und Ähnlichem haben, nicht eher angebracht, weil wir über das Gemeindeverkehrsfinanzierungs- bzw. Entflechtungsgesetz die Mitfahrerparkplätze mitfinanzieren? Wo ist denn der Unterschied zwischen dem Mitfahrerparkplatz und der Bushaltestelle für den Fernverkehr?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Die Landesregierung sieht in einer solchen Finanzierungsvorsorge weder verkehrspolitischen Sinn noch wirtschaftliche Vernunft. Es ist – noch einmal – ein rein privatwirtschaftlicher Verkehr, der dort organisiert wird. Diejenigen, die verantwortlich diesen Verkehr durchführen, haben gefälligst auch die Infrastruktur bereitzustellen, weil sie im Gegensatz zu dem Konkurrenten Bahn – nur deshalb wurde zum 1. Januar 2013 der Fernbusreiseverkehr in Deutschland zugelassen – und den privaten Bahnbetreibern keine Mautgebühren bezahlen.

Bei den Diskussionen im Rahmen des Zustandekommens des Koalitionsvertrages der die Regierung tragenden Fraktionen in Berlin ist davon ausgegangen worden, dass es verkehrspolitisch sinnvoll sei, Fernbusverkehre zu bemauten, weil die natürlich angesichts ihres Gewichtes mit Blick auf die Beschädigung von Infrastruktur genauso zu bewerten seien wie LKWs, dass aber aus ordnungspolitischen Gründen davon abgesehen werden sollte, weil eine Mehrheit der dort Verhandelnden davon überzeugt war, dass es wettbewerbsrechtlich Sinn mache, die Bahn unter Druck zu setzen. Das könne man besser mit einem mautfreien Fernbusverkehr als mit einem bemauteten – jedenfalls in einer Anfangsphase, ohne dass präzisiert wurde, was „Anfangsphase“ heißt.

Deshalb noch einmal mein Hinweis: Das, was im Koalitionsvertrag steht, muss nicht identisch sein mit dem, was die Bundesregierung im Bereich Verkehrsinfrastrukturfinanzierung real veranlassen will.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Bayer von der Piratenfraktion hat eine Frage. Bitte schön, Herr Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Es handelt sich um Privatverkehr, und der bedingt natürlich privatfinanzierte Infrastruktur. Dennoch gibt es in ähnlichen Fällen, etwa bei Carsharing oder Mitfahrerverkehr, Rahmenbedingungen, die von Land und Kommunen gesetzt werden. Es gibt Regelungen, wo Carsharing-Autos parken dürfen, wo andere Fahrzeuge nicht parken dürfen. Auch für Elektroautos, die zum Privatverkehr zählen, existieren gesonderte Regelungen.

Gibt es von der Landesregierung Überlegungen, auf die Entwicklungen in der Zukunft zu reagieren, indem zum Beispiel Rahmenbedingungen geschaffen oder gesetzliche Vorgaben gemacht werden, dass bestimmte Einrichtungen vorhanden sein müssen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Grundsätzlich ist die Landesregierung der Auffassung, dass die gesetzliche und verordnungsrechtliche Regelungsdichte in der Bundesrepublik Deutschland ein vertretbares Maß erreicht hat und wir deshalb nicht bestrebt sein sollten, dieses Maß da zu überschreiten, wo es nicht unbedingt erforderlich ist.

Im Moment sehen wir diese gesetzliche Regelungsnotwendigkeit noch nicht. Wir finden, dass wir sehr gut damit fahren, die Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen im Falle der Genehmigung von Fernbusreiseverkehren verantwortlich gemacht zu haben. Diese kommunalnahe Eigenverantwortlichkeit der Bezirksregierung ist ein bewährtes Organisations- und Gestaltungsprinzip in Nordrhein-Westfalen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Seine zweite und damit letzte Frage stellt Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Minister, ich meine, Herrn Schemmer, den verkehrspolitischen Sprecher der CDU, so verstanden zu haben, dass er eine GFG-Befrachtung vorschlägt, um für die privaten Unternehmen Haltestellen zu errichten. Haben Sie das genauso verstanden? Denken Sie, dass die kommunalen Spitzenverbände eine solche Befrachtung des GFG mittragen würden?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Die Landesregierung kann sich nicht vorstellen, dass eine Befrachtung von kommunalen Selbstverwaltungsmitteln mit Zwangsbevormundung, wo ein Teil dieses Geldes einzusetzen ist, die Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände oder gar einer Mehrheit der Kommunen und Gemeinden findet. Da müsste Herr Kollege Schemmer den Gegenbeweis antreten und Städte nennen, die darauf drängen, bevormundend gezwungen zu werden, ihr eigenes Geld zwangsweise einzusetzen, um privatwirtschaftliche Fernbusbahnhöfe zu errichten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Rehbaum stellt seine zweite Frage.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Minister, Sie haben es gerade selber schon gesagt: Die Genehmigungsbehörden für den Fernbusverkehr sind jeweils die Behörden am Ausgangspunkt der Linie. Die Linien, die in Nordrhein-Westfalen beginnen, werden also durch die jeweilige Bezirksregierung genehmigt.

Warum haben denn diese Bezirksregierungen Linien genehmigt, ohne die Problematik der Leistungsfähigkeit der Haltestellen in den Blick zu nehmen? Und was unternehmen die Genehmigungsbehörden, um mögliche Verstöße gegen die Genehmigungsbedingungen sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im bundesweiten Verlauf der Linie durch Überwachung festzustellen und zu ahnden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ich wiederhole mich mit der Aussage, dass offensichtlich bei vielen Kundinnen und Kunden der Fernbuslinienverkehre das Prinzip gilt: Der Fahrpreis ist wichtiger als der Haltestellenkomfort. – Deshalb sind offensichtlich die allermeisten Fahrgäste mit einem recht niedrigen Haltestellenkomfort einverstanden, weil ein Mehr an Haltestellenkomfort natürlich auch einen höheren Fahrpreis bedeuten würde – es sei denn, Sie unterstellen die Verstaatlichung dieses Teils an privater Infrastruktur, was ich mir allerdings nicht vorstellen kann.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Schemmer hat eine zweite und seine letzte Frage.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie sprachen gerade von Zwangsbevormundungsmitteln, die Sie bei der Nutzung des GFG als Entflechtungsmittel durchaus eingesetzt haben. Ursprünglich waren die GVFG-Mittel – nicht GFG, Herr Priggen; dies nur zur Korrektur – für bestimmte Maßnahmen vorgesehen. Sie werden jetzt etwas einseitig nur noch in ganz bestimmte Richtungen genutzt. Während andere Länder diese zum Beispiel ausschließlich für die Straße nutzen, nutzen wir sie schon seit langer Zeit auch für die Bahn, aber im Straßenbereich jetzt nur noch sehr reduziert.

Meine Frage ist eigentlich nicht beantwortet, warum dort, wo Leute zusammen fahren, nämlich bei Mitfahrerparkplätzen, bisher eine Förderung aus GVFG-Mitteln erfolgt ist, während dort, wo andere Menschen zusammen fahren wollen, nämlich mit einem Fernbus, für die Menschen die gleichen guten Rahmenbedingungen nicht geschaffen werden sollen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Das müssen Sie im Zweifel die Betreiber der Fernbuslinien fragen, warum sie keine Infrastruktur anderer Qualität anbieten. Ansonsten müssen Sie die jeweiligen Kommunen fragen, warum sie keine Infrastrukturausbaumaßnahmen vorsehen – wenn sie das als Standortvorteil begreifen würden. Offensichtlich ist der Standortvorteil durch eine bessere Haltestellenausstattung kommunal nicht so gewichtig, als dass man sich mit diesem Kriterium gegenüber Wettbewerbern profilieren wollte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Eine dritte und letzte Frage hat der Kollege Rehbaum. Bitte schön.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Minister, Sie hatten am 22. Juni in der Sendung „Westpol“ die Busmaut ins Spiel gebracht. Können Sie noch einmal erläutern, wie diese Maut konkret aussehen könnte und wie Sie denn die Maut für Fernbuslinien abgrenzen wollen zu den anderen Bedienungsformen, die das Personenbeförderungsrecht für Reisebusse vorsieht?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Im Moment fordere ich keine Bemautung der Fernbuslinien, sondern ich habe nur darauf verwiesen, dass man bei der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur dem Bund, der Bundesregierung im Moment alles zutrauen kann, wie Sie ja alltäglich bei den Spekulationen um die Pkw-Maut erfahren können. Die Pkw-Maut hat in ihrer vorgesehenen Form, sie auf ausländische Fahrerinnen und Fahrer zu begrenzen, ja ein gewisses Maß an Irrationalität. Wenn das für diesen Teilbereich von Finanzierungsabsichten gilt, warum sollte sich das nicht auch auf verwandte Teilbereiche erstrecken?

Ich persönlich halte die Ausweitung und Vertiefung der Lkw-Maut auf alle deutschen Straßen für dringend erforderlich. Das würde den Kommunen helfen, ihre Brückenproblematik zu lösen, für die in keinster Weise Vorsorge getroffen ist. Außerdem würde das die Länder bei der Betreuung ihrer eigenen Sanierungsbedürfnisse komfortabler unterstützen, und der Bund hätte auch mehr Luft. Aber das ist im Moment nicht absehbar. Auch da gilt jedoch: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Jenseits des geschriebenen Wortes eines Koalitionsvertrages gibt es ja auch eine Handlungsdynamik, die sich manchmal schneller entwickelt, als geschriebener Text angepasst werden kann.

Deshalb: Wenn Sie Fragen haben, wie eine Fernbusmaut auszugestalten wäre, wäre der erste Ansprechpartner jenseits des dann zuständigen Bundesverkehrsministeriums der amtierende Ausschussvorsitzende des Bundestagsausschusses für Verkehr. Er hat das öffentlich ins Spiel gebracht mit dem ausdrücklichen Verweis, dass die Menschen bei der Bahnbenutzung ja quasi eine Pkw-Maut auf Schienen bezahlen müssten, aber Fernbusreisende diese Maut nicht entrichten müssten, und deshalb sei das ein krasser Wettbewerbsnachteil des schienengebundenen Verkehrs gegenüber dem rein privatwirtschaftlichen autobahngebundenen Verkehr.

Die Einzelheiten dazu waren dem Artikel nicht zu entnehmen. Aber ich unterstelle einmal, dass möglicherweise ein Schubladenkonzept mehr Aufschluss gäbe als der Text in der „F.A.S.“.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Nun hat Frau Scharrenbach eine Frage. Bitte schön.

Ina Scharrenbach (CDU): Vielen Dank. – Was tun denn die dem Land zugehörigen Genehmigungsbehörden konkret zur Überwachung und Ahndung von Verstößen gegen die Genehmigungsbedingungen in den anderen Bundesländern?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Es läuft im Rahmen von Recht und Gesetz und Amtshilfe reibungslos, was an Überwachungsmaßnahmen notwendig ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Ich habe keine weitere Frage mehr zur Mündlichen Anfrage 42.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 43

des Herrn Abgeordneten Hovenjürgen von der Fraktion der CDU auf:

Umsetzung des Industrieparks „newPark“

Die RWE Service GmbH hatte der newPark GmbH ursprünglich ein Kaufpreisangebot bis zum 31.12.2012 unterbreitet. Nach Verhandlun-gen zwischen der Landesregierung und der RWE Service GmbH wurde die Kaufoption bis zum 30.09.2013 verlängert. Vorlage 16/1984 vom 18. Juni 2014 ist zu entnehmen, dass die Landesregierung nach wie vor davon ausgeht, dass die RWE Service GmbH bis zum 30.09.2013 an das Angebot gebunden war.

Die RWE Service GmbH bestreitet jedoch, dass die Kaufoption bis zum 30.09.2013 verlängert wurde. Die Annahme des Kaufpreisangebotes durch die newPark GmbH vom 26.09.2013 sei daher verfristet. Die RWE Service GmbH lehnt daher einen Verkauf zu den mit der Landesregierung ausgehandelten Konditionen ab.

Welche Schritte wird die Landesregierung er-greifen, damit sich die RWE Service GmbH an die mit der Landesregierung ausgehandelte Op-tionsverlängerung hält?

Zur Beantwortung ist für die Landesregierung Herr Minister Duin bereit. Bitte schön, Herr Minister.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, aus unserer Sicht den Sachstand der Grundstücksverhandlungen zwischen RWE und der newPark GmbH darzulegen.

Dazu zunächst eine Vorbemerkung, damit das auch unmissverständlich ist:

Vertragspartner über den Ankauf des newPark-Areals wären RWE auf der einen Seite und die newPark GmbH auf der anderen Seite. Die Landesregierung war und ist zu keinem Zeitpunkt Verhandlungspartner. Wir haben aber in der ersten Jahreshälfte 2013, also vor der Bürgschaftsentscheidung des Landes, diese Verhandlungen sehr intensiv begleitet.

Die Verkaufsoption der newPark-Fläche durch RWE ist Ende September 2013 ausgelaufen. Auf der Grundlage dieser Zeitachse ist Anfang 2013 meine Entscheidung zum Thema „Bürgschaft“ gefallen. Ob einige Tage vor Ablauf der Frist die newPark GmbH das Kaufangebot von RWE rechtsverbindlich angenommen hat, steht jetzt infrage. Die newPark GmbH hatte RWE Ende September 2013 mitgeteilt, dass sie von ihrer Gesellschafterversammlung beauftragt sei, Gespräche über den Kaufvertrag zu führen, und dass in den – damals – nächsten Tagen hierzu ein Gesprächstermin abgestimmt werde. Ob es sich dabei um die rechtsverbindliche Annahme des Kaufpreisangebotes gehandelt hat, das müssen die Juristen von RWE und der newPark GmbH entscheiden, das kann ich von außen nicht bewerten.

Eine weitere vertragliche Bindung von RWE über den 30. September 2013 hinaus ist mir nicht bekannt. Es gibt in der Folge auch keine Zusage von RWE mir gegenüber – schriftlich, mündlich oder telefonisch –, den Grundstückspreis auf ca. 3 € pro Quadratmeter zu halten. Wir sind aber – ich habe es eingangs schon gesagt – auch gar nicht Verhandlungs- bzw. Vertragspartner von RWE.

RWE führt aus, dass sie als Aktiengesellschaft gehalten sei, die bestmöglichen Konditionen am Markt zu erzielen. RWE führt weiter aus, dass die Nachfrage nach landwirtschaftlicher Fläche in der Region steige und damit auch höhere Preise für landwirtschaftliche Flächen einhergingen. – Sie erinnern sich: Es war auch Teil der Argumentation der newPark GmbH, dass dies so sei.

Es ist nicht mein Job als Wirtschaftsminister, eine Aktiengesellschaft, wie RWE eine ist, über die Preisgestaltung in irgendeiner Weise zu belehren. Was ich gut verstehe, ist das Anliegen der newPark-Gesellschaft, endlich einen Preis von RWE genannt zu bekommen, damit sie ihre Businessplanung entsprechend prüfen und den Gesellschaftern über die Finanzierung Auskunft geben kann, damit die das beraten können und damit letztlich der Weg für die notwendigen Entscheidungen freigemacht wird.

In diesem Sinne habe ich am 28. Mai 2014 ein Schreiben an den Vorstand der RWE AG gerichtet; dieses Schreiben ist dem Abgeordneten Hovenjürgen auch zugegangen. Mittlerweile hat RWE mir mitgeteilt, dass jetzt ein Wertgutachten für das Grundstück erstellt wird und im Anschluss wieder Gespräche mit der newPark GmbH aufgenommen werden.

Ich persönlich habe die Hoffnung, dass dieses Gutachten sehr zeitnah vorliegen wird und dass dann auf dieser Grundlage die erforderlichen Vertragsgespräche zwischen den beiden Verhandlungspartnern – RWE auf der einen und newPark GmbH auf der anderen Seite – geführt werden können.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. Es gibt Fragen dazu, wie Sie sich vorstellen können, und zwar zunächst von Herrn Hovenjürgen, dem Fragesteller. – Bitte schön, Herr Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, herzlichen Dank für die Auskunft. Sie führt allerdings zu folgender Frage: Sie kannten die Option, die bis zum 31. Dezember 2012 Bestand hatte, die einen Kaufpreis notariell garantierte. Es kam nicht zur Bürgschaft, diese Bürgschaft stand offen. Sie haben allerdings in den Vorlagen 16/455 und 16/1984 entgegen dem, was Sie hier gerade dargestellt haben, erklärt, dass Sie mit RWE verhandelt haben, um eine Optionsverlängerung zu erreichen. So die Aussage in den Vorlagen. Was ist also richtig? Haben Sie Mitverhandlungen über eine Verlängerung der Option geführt? Und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich habe in der Tat in der damaligen Zeit Gespräche mit RWE darüber geführt, dass es aus unserer Sicht richtig wäre, da neue Entwicklungen im Kreistag und in der Kommunalpolitik sichtbar wurden, eine Optionsverlängerung in Betracht zu ziehen.

Ich bin über den weiteren internen Gesprächsverlauf zwischen RWE und der newPark GmbH nicht informiert worden, sondern erst dann wieder einbezogen worden, als es zu keinerlei Lösung gekommen ist.

Es ging ja nicht nur um die Frage – das ist Ihnen auch bekannt – des eigentlichen Kaufpreises, sondern es ging auch um die Frage: Wie lässt sich eine Vereinbarung darüber treffen, einen Mehrerlös auf vernünftige Art und Weise zu verteilen, wenn die newPark GmbH neuer Eigentümer würde und dann einen Teil der Fläche zu einem höheren Preis verkaufen würde? Die Frage war also: Ist RWE an diesen Mehrerlösen in irgendeiner Art und Weise beteiligt oder nicht?

Das alles waren Gespräche, die nicht mit mir und nicht mit meinem Haus, sondern zwischen RWE und der newPark GmbH geführt worden sind – bislang ohne Ergebnis, weswegen ich mich dann ja schriftlich an die RWE AG gewandt habe, um ein bisschen Tempo in die Sache hineinzubringen, damit wir endlich eine Lösung bekommen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Hegemann, der jetzt das Wort erhält. Bitte.

Lothar Hegemann (CDU): Herr Minister, Sie haben in der letzten Woche in Recklinghausen auf Nachfrage erklärt, dass Sie nach wie vor zu newPark stehen. Sie haben jetzt Fragen zu RWE angesprochen, die, wie ich glaube, sehr schnell lösbar sind. Kein Mensch will als öffentliche Hand mit dem Grundstück ein Geschäft machen. Es gibt Sonderwünsche von RWE, die man erfüllen kann, zum Beispiel ihnen Standorte zu überlassen, Stichwort: Windpark.

Wären Sie bereit, zwischen newPark/Kreis Recklinghausen als Kostenträger und RWE eine Moderatorenrolle zu übernehmen, damit die Gespräche wieder etwas besser in Gang kommen? Bisher hat ja niemand beschlossen, dass die Gespräche beendet sind. Aber so richtig in Gang gekommen sind sie auch nicht mehr. Deshalb stellt sich die Frage, ob Sie bereit sind, da aktiv mitzumachen. Denn es soll nach wie vor das größte zusammenhängende Industriegelände Europas sein.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich kann dazu nur wiederholen, dass ich in genau solch eine Rolle hineingegangen bin, als ich Telefonate und Gespräche geführt und dann diesen Brief geschrieben habe, um das Ganze zu dokumentieren. Dadurch ist jetzt ja auch wieder Bewegung entstanden, auch seitens des Unternehmens RWE.

Wir hatten, wenn ich den Schriftverkehr richtig in Erinnerung habe, eher eine Phase, in der eben nicht klar war, ob man sich überhaupt noch einmal zusammensetzt. Das wird jetzt, nachdem das Gutachten erstellt sein wird, aber wieder der Fall sein. Insofern glaube ich, dass ich dieser Rolle in dem von Ihnen angesprochenen Maße ohnehin schon nachkomme.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Es gibt eine weitere Nachfrage von Herrn Kollegen Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Minister, ich möchte noch mal zurückkommen auf die Rolle des Ministeriums oder Ihre Rolle im Binnenverhältnis einer möglichen Optionsverlängerung. Es gilt, hier noch mal in den Raum zu stellen, dass auch im Wirtschaftsausschuss der Eindruck entstanden ist, als seien Sie derjenige gewesen, der es erreicht hat, dass es zu einer Optionsverlängerung gekommen ist, einer Optionsverlängerung – so war es zumindest erst einmal für den handelnden Kreis Recklinghausen wahrnehmbar – zu den Konditionen, wie sie bis zum 31. Dezember 2012 gegolten haben. Wir wissen jetzt, dass das in dieser Form nicht der Fall war, sondern dass es Modifikationen gab, die letztendlich auch die Zustimmung der Beteiligten vor Ort gefunden hatten, dass es aber trotzdem nicht wirklich weitergegangen ist.

Sehen Sie sich nach wie vor in der Verantwortung, dass das, was von Ihnen mit verhandelt worden ist, auch Gesprächsgegenstand und Verhandlungsgegenstand sein muss, insbesondere auch unter der Prämisse, dass Herr Terium ja gesagt hat: „Man muss das tun, was man sagt, und das sagen, was man tut“?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Das sind alles richtige Anmerkungen im Abschluss Ihrer Frage gewesen. Ich sehe gleichwohl meine Aufgabe als Wirtschaftsminister nicht darin, einer Aktiengesellschaft in irgendeiner Weise Belehrungen zu erteilen, wie sie Verhandlungen zu führen hat. Die Verhandlungen sind zwischen der newPark GmbH und RWE zu führen.

Es ist richtig, dass wir – ich sage das, weil Sie hier noch einmal Daten genannt haben – im Vorlauf – Ende 2012 – mit dafür Sorge getragen haben, dass, weil unsere Bürgschaftsentscheidung noch nicht entscheidungsreif war, die Option bis zum 30. September des Jahres 2013 verlängert wurde. Nach unserer Entscheidung hat es dann Gespräche – das habe ich gerade ja schon mal vorgetragen – zwischen den beiden Vertragspartnern gegeben. Es ist eine juristische Frage, ob es da zu einer Annahme des bis dahin gültigen Angebotes durch die newPark GmbH gekommen ist oder nicht.

Jetzt ist es in der Tat unsere Aufgabe, diesen Weg auch moderierend zu begleiten, sodass weiter Gespräche stattfinden, um eine Lösung zu finden. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, den Grundstückspreis in irgendeiner Weise festzulegen oder einen der Vertragspartner dafür in Haft zu nehmen, dass bei früheren juristisch auch nachprüfbaren Verabredungen möglicherweise andere Preise, als jetzt diskutiert, genannt worden sind.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Es kommt noch eine zweite und letzte Nachfrage von Herrn Kollegen Hegemann. Bitte schön.

Lothar Hegemann (CDU): Herr Minister, Sie sprechen immer von einer Aktiengesellschaft und suggerieren, dass die sehr weit weg wäre; Sie seien das Ministerium und da sei eine große Aktiengesellschaft, auf die Sie keinen Einfluss hätten. Natürlich haben Sie keinen Einfluss darauf. Die ist aber nicht so weit weg wie General Motors bei der Opel-Debatte, und auch da sind Leute nach Detroit gefahren. Dieses Unternehmen sitzt in Essen. Ich gehe doch davon aus, dass der Wirtschaftsminister des Landes einen direkten Zugang zu allen Vorstandsmitgliedern hat, die er sprechen will, auch zu denen, die bei RWE Immobilien zuständig sind.

Deshalb erwarte ich, dass Sie moderieren – aber mit der Zielrichtung der Interessenten newPark. Es geht um bis zu 20.000 Arbeitsplätze. Ich erwarte, dass Sie das Interesse des Ministeriums auch noch einmal bei RWE deutlich machen. Sind Sie dazu bereit?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Das habe ich bereits in der Vergangenheit getan und werde das auch weiterhin regelmäßig tun.

In der Tat haben Sie recht: Wir haben regelmäßig Kontakt auch zu den entsprechenden Vorstandsmitgliedern und zu den dort Verantwortlichen. Ich habe Ihnen ja gerade schon gesagt, dass es nicht nur darum geht, ab und zu mal einen Brief zu schreiben, sondern auch darum, im persönlichen Kontakt zu stehen, um diese Verhandlungen zu einem guten und einvernehmlichen Ende zu bringen.

Aber wir sind nicht in der Situation, dass wir als Wirtschaftsministerium, ich als Wirtschaftsminister, wir als Landesregierung diesem Unternehmen irgendeine Vorschrift machen könnten, welche Verhandlungsposition es gegenüber der newPark GmbH einnimmt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Mit seiner dritten und letzten Nachfrage Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Minister, ich komme noch einmal auf die Option und die Optionsverlängerung zurück Optionsverlängerung heißt ja: gleiche Konditionen; sonst wäre es keine Optionsverlängerung.

Es ist so, dass zum 26. September – wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht – die newPark-Gesellschaft ein Schreiben an RWE geschickt hat mit dem Hinweis, dass man beschlossen habe, die Flächen zu kaufen, und um Aufnahme von Verhandlungen bitte.

Würden Sie das nicht als Ziehen der Option bewerten, bzw. wie wäre da Ihre rechtliche Einschätzung?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich bin in der Situation, diese Fragen als Wirtschaftsminister beantworten zu können. Aber ich bin weder der juristische Vertreter der newPark GmbH noch der neutrale Notar. Deswegen werden die Juristen der newPark GmbH und die Juristen von RWE diesen Sachverhalt zu beurteilen haben und nicht der Wirtschaftsminister.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Jetzt habe ich noch Herrn Kollegen Schmeltzer auf der Liste. Bitte schön.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, bei den Fragen und bei den Antworten ist ja jetzt mehrfach davon gesprochen worden, dass Verhandlungen geführt wurden und dass Gespräche geführt wurden.

An der Stelle sei mir erlaubt, zu sagen: Mir ist es tausend Mal lieber, wenn ein Minister in Düsseldorf oder im Münsterland oder im nördlichen Ruhrgebiet Gespräche führt, als wenn er in Detroit im Schnee festgefahrene Autos anschiebt.

Hier wird versucht, zu suggerieren – so ist zumindest meine Wahrnehmung –, dass Sie derjenige seien, der die maßgeblichen Verhandlungen geführt habe. Geben Sie mir recht, dass Sie nicht der Verhandlungspartner sind, sondern – wie Sie eben selber sagten – Moderator, und dass Sie lediglich vermittelnde Gespräche geführt haben? Oder ist da irgendetwas an mir bzw. an den anderen Kollegen vorbeigegangen?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Vertragspartner und damit Verhandlungspartner waren, sind und werden immer bleiben auf der einen Seite die newPark GmbH und auf der anderen Seite die RWE AG, niemand sonst. Wir sind nicht Vertrags- oder Verhandlungspartner. Wir haben diese Gespräche lediglich zu begleiten. Das haben wir im Jahre 2012 getan. Das haben wir im Jahre 2013 getan. Und das tun wir auch weiterhin.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Es gibt keine weiteren Nachfragen mehr. Damit ist die Mündliche Anfrage 43 beantwortet.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 44

des Abgeordneten Ralf Witzel von der Fraktion der FDP auf:

Durchsetzung rechtlicher Ansprüche gegen frühere BLB-Geschäftsführer und die BLB-Geschäftspartner bei Wuchergeschäften – Aus jeweils welchen Gründen verzichtet der Finanzminister unverständlicherweise nun auf die gebotene Verfolgung der finanziellen und rechtlichen Interessen des Landes im Umgang mit den BLB-Skandalen?

Der BLB NRW ist erkennbar mit seinem An-spruch gescheitert, als Dienstleister mit seinen Aufgabenbereichen Eigentumsmanagement, Liegenschaftsmanagement sowie Planen und Bauen das gesamte Leistungsspektrum des Immobilienlebenszyklus effizient und transparent für das Land und den Steuerzahler zu erfüllen.

Der Landesrechnungshof hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit einer Vielzahl von Projekten des BLB NRW kritisch auseinandergesetzt und regelmäßig in seinen Jahres- und Sonder-berichten horrende Kostensteigerungen sowie gravierende systematische Mängel beim BLB NRW diagnostiziert. Exemplarisch hierfür steht auch der aktuelle Bericht des Landesrechnungshofes vom 3. Juni 2014 bezüglich des Grundstückserwerbs der Domgärten. Diesem zufolge ist kurz nach Ankauf der Liegenschaft bereits ein Abschreibungsbedarf in Höhe von 36 Millionen Euro entstanden.

Diesem ökonomisch offenbar völlig unsinnigen Erwerb von Grundstücken liegen gleich mehrere gravierende Fehler zugunde: Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen hat ein reiner Vorratskauf von Liegenschaften ohne eine konkrete Beauftragung stattgefunden, für wesentliche Teile der Grundstücksfläche existiert kein Baurecht und ist auch zukünftig aufgrund der städtischen Planungen keines zu erwarten, sind für reine Grünflächen mit einem Verkehrswert von etwa 20 Euro pro Quadratmeter tatsächlich aber rund 1.000 Euro gezahlt worde, und hat es eine Gewinnerzielung für einen Zwischenerwerber der Liegenschaften in der gigantischen Höhe von über 24,3 Millionen Euro nur dafür gegeben, dass dieser nahezu alle Grundstücke nach nur wenigen Tagen mit einem horrenden Aufschlag weiterveräußert hat.

Die signifikanteste Preissteigerung zwischen dem Ursprungskaufpreis und der vom BLB entrichteten Zahlung hat es von über 211 % beim Flurstück Domgärten V gegeben, das besagter Zwischenerwerber nur sechs Tage gehalten hat. Mehrfach sind auch an demselben Tage vom Zwischenerwerber Grundstücke an den BLB weiterverkauft worden – in einem Fall mit einem Verkaufspreisaufschlag von 10,4 Millionen Euro. Wenn man sowohl die Preissteigerungsraten als auch den Umstand zugrunde legt, dass für die Errichtung von Gebäuden letztlich wertlose Grünflächen veräußert worden sind, dürfte bei den allermeisten der Grundstücksgeschäfte ein Fall von Wucher vorliegen.

Die FDP-Landtagsfraktion hat daher von der Landesregierung Bemühungen eingefordert, vor diesem Hintergrund eine Rückabwicklung der für das Land so unvorteilhaften Grundstückskäufe anzustreben. Der Finanzminister hat seinerseits aber in der Sondersitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 20. Juni 2014 deutlich gemacht, dass er diese Option gar nicht nutzen möchte, auf Nichtigkeit zu plädieren.

In einer entsprechenden dpa-Meldung vom 20. Juni 2014 mit dem Titel „Überteuerte BLB-Geschäfte sind nicht rückgängig zu machen“ heißt es dazu wörtlich:

„Zu teure Grundstücksankäufe des landeseige-nen Baubetriebs BLB sind nach Darstellung von Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) nicht rückgängig zu machen. Auch wenn der Preis diskussionswürdig sei – etwa beim Ankauf der Flächen der ehemaligen Dombrauerei in Köln –, sei das Geschäft rechtswirksam, erläuterte der Minister am Freitag im Finanzausschuss des Düsseldorfer Landtags. Die FDP forderte den Finanzminister auf, zivilrechtliche Ansprüche gegen die beiden BLB-Geschäftsführer zu prüfen. (...) In der Vergangenheit sollen Bauvorhaben regelmäßig verraten und die Grundstücke von Zwischenhändlern aufgekauft worden sein. Trotz horrender Aufschläge soll der BLB sie anschließend erworben haben.“

Die Darlegungen des Finanzministers stehen im Widerspruch zu der rechtlichen Möglichkeit, die sich aus der geltenden BGH-Rechtsprechung ergibt. So ist beispielsweise erst in jüngster Zeit am 24. Januar 2014 ein Urteil des 5. Zivilsenats zur Sittenwidrigkeit eines Grundstückskaufvertrags ergangen (VZR 249/12). Im Leitsatz dieses Urteils heißt es im Wortlaut (vgl. Rn. 8):

     „Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das ohne das Hinzutreten weiterer Umstände den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten erlaubt, liegt bei Grundstückskaufverträgen grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 % vor.“

Dieser Sachverhalt einer Verkehrswertüber-schreitung von mehr als 90 % ist allerdings bei den Domgärten gegeben. Vor diesem Hinter-grund hat auch der Landesrechnungshof in der Sitzung des zuständigen Unterausschusses im Landtag am 25. Juni 2014 deutlich gemacht, dass er eine Prüfung der Nichtigkeit der für das Land unvorteilhaften Geschäfte für geboten hält.

Wie der Bericht des Landesrechnungshofes (siehe Landtags-Vorlage 16/1946) an mehreren Stellen ferner ausweist, ist dem BLB durch das Handeln ausdrücklich beider Geschäftsführer ein finanzieller Schaden entstanden: Es haben beide Verantwortliche für das Land unvorteilhafte Grundstücksankäufe genehmigt, ohne dass es überhaupt eine konkrete Planung für auf den Grundstücken zu errichtende Landesliegenschaften gegeben hat (S. 8 - 11). Auch haben wiederum beide Geschäftsführer ihre Zustimmung zu für den BLB finanziell nachteiligen Angebotsänderungen erteilt (S. 41). Beide Handlungen sind nicht in Unkenntnis geschehen, sondern trotz ausdrücklicher Warnhinweise des zuständigen Fachbereichs des BLB.

Geschäftsführer trifft eine besondere Verantwortung für die Wahrung der Vermögensinteressen des Landes, und Pflichtverletzungen lösen auch zivilrechtliche Ansprüche neben einer denkbaren strafrechtlichen Verfolgung aus. Der Finanzminister will dennoch nicht beide Verantwortliche in Regress nehmen, sondern einen der beiden beim BLB abberufenen Verantwortlichen sogar noch als Abteilungsleiter im Finanzministerium einsetzen.

Es ist in beiden angesprochenen Sachverhalten objektiv nicht nachvollziehbar, warum gerade der Finanzminister eine für das Land erkennbar unvorteilhafte Rechtsposition einnimmt, anstatt die Ansprüche des Landes offensiv zu vertreten.

Aus jeweils welchen Gründen verzichtet der Finanzminister nun unverständlicherweise auf die gebotene Verfolgung der finanziellen und rechtlichen Interessen des Landes im Umgang mit den BLB-Skandalen?

Ich vermute, dass der Finanzminister diese Frage beantworten wird, und erteile ihm gerne das Wort. Bitte, Herr Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Witzel, ich glaube, wir sind uns in der gemeinsamen Bewertung der Tatsache einig, dass es zu den Geschäften, die Sie angesprochen haben – es geht vor allen Dingen um die Domgärten in Köln, aber auch das Landesarchiv in Duisburg; ich könnte weitere aufzählen –, eine Reihe von Fragen gibt, die wir aufklären wollen, weil sie zeigen, dass hier offenbar Strukturen, die dazu die Möglichkeit geboten haben – sagen wir es mal so –, zumindest genutzt worden sind. Damit sind Ergebnisse erzielt worden, von denen man heute sagen kann: Es hätte mit Sicherheit günstiger sein können.

Das formuliere ich aber schon deswegen so zurückhaltend, weil immer die Frage ist: Hat der Gewinn, den möglicherweise ein Zwischenhändler verdient hat – in welcher Weise andere daran beteiligt waren, hat im Moment die Staatsanwaltschaft zu klären –, am Ende zu einem erhöhten Kaufpreis geführt, oder hat der Zwischenhändler einen günstigeren Kaufpreis so weit abgeschöpft, dass er am Ende marktgemäß war? Den Gewinn abzuschöpfen ist nicht nur ärgerlich, sondern – ich würde fast sage  – sogar kriminell.

Darauf lassen einige Aussagen schließen, die ich selbst im Wesentlichen nur aus Mitteilungen kenne, die aber wohl jedem zugänglich sind. Es geht darum, dass mir jemand erzählt, man habe einen Zwischenhändler eingesetzt, weil Verkäufer immer dann, wenn das Land oder ein Landesbetrieb als Käufer auftritt, meinen, einen höheren Preis aufrufen zu können. Wenn das dazu führt, dass der Zwischenhändler zwar zu einem günstigeren Preis einkaufen kann, aber diesen Unterschied dann für sich behält, sodass das Land oder der Landesbetrieb am Ende den Preis bezahlt, den der Verkäufer auch direkt vom Land gefordert hätte, dann kann man nicht mehr einsehen, warum ein solcher Schritt vorgenommen worden ist.

Das, was immer wieder mal in den Medien oder in Unterrichtungen, die man bekommt, zu lesen ist, wirft also in der Tat die Frage auf: Welcher Schaden ist hier entstanden?

Wenn Sie jetzt sagen: „Unverständlicherweise geht der Finanzminister diesen Fragen nicht nach“, dann entgegne ich: Wenn ich ihnen nicht nachginge, dann wäre das unverständlich. Ich lege Wert darauf – das habe ich auch gegenüber dem Finanzministerium kommuniziert –, dass geprüft wird, ob die Geschäftsführung des BLB NRW für vergangene Versäumnisse haftbar zu machen ist, vor allen Dingen auch persönlich in Haftung genommen werden kann.

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, die ich eben schon angesprochen habe, und die Komplexität der untersuchten Strukturen, Verantwortlichkeiten und Prozesse haben allerdings dazu führt, dass jedenfalls mir bis heute noch kein Prüfungsergebnis vorliegt. Ich sage an dieser Stelle aber noch mal: Ich bin sehr daran interessiert, auch vom Finanzministerium und vom BLB schnellstmöglich Prüfungsergebnisse in dieser Frage zu bekommen.

Noch einmal: Wie der Schaden letztlich aussieht, hängt von vielen Größen ab. Davon hängt auch ab, ob am Ende überhaupt ein Schaden entstanden ist.

Bereits im April und Mai 2009 hat sich ein Aufklärungsbedarf im Zusammenhang mit der Höhe des Kaufpreises für die Domgärtengrundstücke I bis VII ergeben, die auf einen Verstoß gegen Regelungen der Landeshaushaltsordnung hinweist. In der weiteren Entwicklung der Grundstückserwerbe hat das Finanzministerium im Februar 2010 schließlich die Wirtschaftlichkeit des gesamten Erwerbsvorgangs Domgärten I bis IX in Zweifel gezogen, und zwar deutlich.

In Anbetracht der defizitären Kontrollmechanismen, die wir sehr früh festgestellt haben und die wir sehr früh angegangen sind – auch darüber haben wir im Haushalts- und Finanzausschuss ausreichend diskutiert –, und der diffusen Abgrenzungen der Aufgaben der unterschiedlichen Kontrollinstanzen konnten die konkreten Umstände des Grundstücksankaufs bislang nicht abschließend aufgeklärt werden.

Hinzu kommt – noch einmal –: Die Höhe des Schadens hängt am Ende auch vom Wert des Grundstücks ab. Das hängt letztlich auch vom Bauplanungsrecht ab, das in der Hoheit der Kommune liegt, die mit über die Wertigkeit des Grundstücks entscheiden kann. Da zeigt sich ja auch das Versäumnis, das offenbar vorgekommen ist: dass ein Grundstück zu einem Zeitpunkt gekauft worden ist, als die Frage noch nicht geklärt war, wie die Stadt Köln dieses Grundstück verwerten will.

(Beifall von Martin Börschel [SPD])

Wir haben mehrfach darüber gesprochen, dass ich aus zwei Blickwinkeln etwas zu der Sache beitragen kann. Zu Zeiten meiner Vorgänger war der BLB offenbar der Meinung – so war auch die Willens- und Meinungsbildung bei der Landesregierung –, kaufen zu können, weil die Entscheidung für den Bau der Fachhochschule auf dem Areal der Domgärten insgesamt schon gefallen gewesen sei.

Ich weiß, dass das aus der Sicht des Gremiums, dem ich als Dezernent der Stadt Köln damals angehört habe, nämlich dem Stadtvorstand von Köln, definitiv nicht so weit gediehen war. Es gab viele Diskussionen darüber, ob es sinnvoller ist, dafür einzutreten, die Fachhochschule auf der rechten Rheinseite zu belassen, oder dafür, sie auf die linke Rheinseite zu bringen. Wir wissen heute: Die Entscheidung ist am Ende für die rechte Rheinseite gefallen. Und damit war ein Schaden eigentlich schon ausgelöst.

Die Fehler der Vergangenheit können personell nicht einfach so zugeordnet werden, dass einzelne Personen maßgeblich oder allein verantwortlich zu machen wären. Trotzdem erwarte ich von der Prüfung, dass mir hierzu konkretere und genauere Informationen vorgelegt werden.

Einen Schritt haben wir unternommen: Als wir im Zuge der Fragen, die der Landesrechnungshof an uns gestellt hatte, neue Informationen über die Beteiligung an bestimmten Willensbildungsprozessen bekommen haben, haben wir diese neuen Informationen am 24. März 2014 auch an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Ich sage es noch einmal: Damit haben wir keinen Verdacht verbunden, das sich hier jemand strafbar gemacht hat, wollten aber zumindest bei jeder möglichen Aufklärung nachhaltig helfen, sie nachhaltig unterstützen.

Das ist die Frage nach haftungsrechtlichen Ansprüchen. Sie haben auch gefragt, wie es mit Ansprüchen aus der Geltendmachung eines Wuchergeschäfts aussieht.

Bei den Domgärten handelt es sich insgesamt um neun Grundstücke, die der BLB Nordrhein-Westfalen von verschiedenen Eigentümern durch notariell beurkundete Kaufverträge zwischen 2008 und Januar 2010 erworben hat. Die zu Zeiten der schwarz-gelben Landesregierung getätigten Grundstücksgeschäfte haben eine Abschreibung schon zum 31. Dezember 2010 in einer Größenordnung von 37,5 Millionen € zur Folge gehabt.

Die vom Antragsteller behauptete Nichtigkeit der Grundstücksgeschäfte und ein Wuchergeschäft nach § 138 BGB setzen allerdings voraus, dass ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Auch das ist Gegenstand der Untersuchungen, weil sich das für einzelne Teilgrundstücke unterschiedlich darstellt. Aber auch an der Stelle kann ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur sagen: Ich habe dazu keine Prüfungsergebnisse vorliegen, bin aber weit davon entfernt, dem nicht nachgehen zu wollen und nicht auch Regressansprüche geltend machen zu wollen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die erste Nachfrage kommt von Herrn Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer ersten Nachfrage geben. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, ich will für meine Frage zwei Stichworte ansprechen, die vom Landesrechnungshof und dessen Untersuchungen bekannt sind, und auf das Bezug nehmen, was Sie zuletzt ausgeführt haben.

Sie kennen die Konstellation, dass Grundstücksweiterverkäufe innerhalb weniger Tage oder sogar noch am selben Tag geschehen, teilweise mit Margen von weit über 200 %. Außerdem sind Grundstücke mit einem Verkehrswert, den der Landesrechnungshof für die reine Grünfläche ohne baurechtliche Nutzung mit 20 € angibt, für 1.000 € weiterverkauft worden.

Schauen Sie sich noch einmal die aktuelle Rechtsprechung des BGH genau zu den Aspekten an, die wir angesprochen haben: Wucher, Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit stark überteuerter Liegenschaftsverkäufe, bei denen man unstreitig über der 90-%-Regel liegt, was die Verkehrswertüberschreitung angeht.

Ich frage Sie: Aus welchen fachlichen oder politischen Gründen nutzt die Landesregierung auch in den Fällen, in denen schon jetzt der Tatbestand ganz eindeutig ist, nicht die aktuelle BGH-Rechtsprechung, um finanzielle Vorteile für das Land in Millionengrößenordnung zu realisieren?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es ist ja so – das habe ich eben gesagt –, dass hier insgesamt acht Grundstücke und ein weiteres Grundstück erworben worden sind. Sie sprechen nun die Aufschläge an: 20 € für die Grünfläche, die Weiterveräußerung zu einem vielfachen Wert. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ich bin der Letzte, der es für normal hielte, dass sich jemand eine goldene Nase verdient, indem er hier als Zwischenhändler auftritt. Hier muss man sich allerdings auch fragen: Wie war das mit den einzelnen Parzellen? Welche Nutzungsmischung gab es auf den Parzellen? Mir liegt eine Aufstellung vor, aus der deutlich wird, dass es in der Tat auf eine dieser Parzellen einen erheblichen Aufschlag gegeben hat – in einer Größenordnung von 211 %. Im Durchschnitt sind es 43 %. Das ist zwar viel, erreicht aber nicht das Kriterium des Wuchers.

Trotzdem – Sie haben völlig recht –: Wenn sich hier ein Anhaltspunkt für Wucher oder irgendwelche anderen Verfehlungen nachweisen ließe, wäre ich sehr daran interessiert, aufzuklären, wie die Verantwortlichkeiten waren und vor allen Dingen, ob der Schaden, der dadurch entstanden sein könnte, noch in irgendeiner Weise zu begrenzen ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Minister, die lange Liste an Versäumnissen und Fehlern beim Projekt Domgarten ist auch nach den Prüfungsfeststellungen des Landesrechnungshofs skandalös. Den Finanzminister als Fach- und Dienstaufsicht des BLB darf dies ja nicht unberührt lassen.

Welche konkreten Maßnahmen haben Sie – bitte unter Angabe des jeweiligen Zeitpunktes – eingeleitet, um alle sich für das Land denkbar ergebenden Ansprüche zur Reduzierung des Schadensausmaßes zu prüfen und anzumelden?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Sie kennen nicht die Diskussion, die wir dazu im Haushalts- und Finanzausschuss schon geführt haben. Das haben wir nicht nur einmal gemacht, aber gerade noch in der letzten Sitzung.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir reden hier in mehreren schwerwiegenden und der Öffentlichkeit bekannten Fällen über in der Tat skandalöse Vorgänge, die eindeutig der Zeit zwischen 2008 und 2010 zuzuordnen sind.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wer war denn da an der Regierung? Wer war da Finanzminister?)

Ich muss es noch einmal sagen: Es geht nicht um die zufällige Gleichheit des Zeitraums, in dem das stattgefunden hat, sondern es gibt genügend Hinweise darauf, dass es in diesem Zeitraum auch aus Regierungskreisen ein großes Interesse daran gab,

(Beifall von Martin Börschel [SPD])

dass Projekte verwirklicht werden. Ich nenne mal das Landesarchiv in Duisburg. Wir können gerne mal über Preissteigerungen reden, die nicht nur dadurch ausgelöst worden sind, dass sich möglicherweise ein Zwischenhändler noch einen ordentlichen Batzen Euros dazuverdient hat, sondern ganz offenbar auch dadurch, dass Prestigeobjekte verwirklicht werden sollten. Das Landesarchiv ist nicht das einzige.

Auch nach dieser Debatte in den Jahren zwischen 2008 und 2010 – jedenfalls vor meinem Dienstantritt hier und während meiner Dienstzeit in Köln – gibt es Hinweise darauf, dass hier behauptet worden ist: Keine Sorge, die Fachhochschule kommt auf dieses Gelände. – Ich kann Ihnen sagen: In Köln war die Informations- und die Wissenslage eine definitiv andere. Also muss es hier irgendwo eine Diskrepanz geben.

Wir reden über eine Reihe von Entscheidungen. Der damalige Finanzminister – mein Vorgänger – hat in der Beantwortung einer Mündlichen Anfrage von Herrn Becker gesagt, dass er nie behauptet habe, dass das ein Marktpreis gewesen sei, der für die Grundstücke bezahlt worden sei. Es gibt interne Vermerke, dass im Haus darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass das kein Geschäft ist, das am Ende verantwortbar ist. Das alles sind Dinge, die ich im Haushalts- und Finanzausschuss vorgetragen habe.

Das war der Ansatzpunkt, als ich im Sommer 2010 in das Amt kam. Ich habe in den ersten 14 Tagen meiner Amtszeit einen der beiden damaligen Geschäftsführer beurlaubt, der dann anschließend zum Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen wurde. Wir haben dann auf dieser Grundlage sofort zwei Gutachten ausgelöst, erstens, um zu sehen, welche Strukturen es im BLB gibt, die möglicherweise fehlerhaft sind, und zweitens, um festzustellen, welche missbräuchliche Nutzungen dieser Strukturen es gegeben hat. Beide Gutachten waren ernüchternd. Sie haben erstens deutlich gemacht: Die Strukturen sind nicht optimal. Sie müssen nachgebessert werden. Zweitens sind sie offensichtlich nicht so gestaltet gewesen, dass es keinen Missbrauch geben konnte.

Das hat eine ganze Menge ausgelöst. Seither haben wir eine ganze Reihe von Punkten – die haben wir auch dem Landesrechnungshof gemeldet – Schritt für Schritt umgesetzt. Wer mir heute im Haushalts- und Finanzausschuss oder an anderer Stelle vorwirft, wir seien in dieser Zeit tatenlos geblieben, der hat eine ganze Reihe von Regelungen nicht zur Kenntnis genommen, nämlich: Sicherstellung des Vier-Augen-Prinzips, Zwang zu Wertermittlungen, bevor Grundstücke erworben werden können, ab einem viel früheren Wert eine Behandlung im Verwaltungsrat. Das alles sind Dinge, die vorher – man glaubt es nicht – nicht selbstverständlich waren, es heute aber sind.

Ich habe schon mehrfach gesagt Diese Skandalprojekte, über die wir reden, wären jedenfalls in den Strukturen, die wir heute haben, höchst unwahrscheinlich gewesen. Man kann nie wissen, ob nicht doch noch jemand irgendwo eine Lücke findet, aber das hat sich enorm geändert.

Wenn jetzt darüber geredet wird, warum denn der nächste Schritt in Bezug auf die Punkte, die weiterhin noch zu verbessern sind, noch nicht vollzogen wurde, kann ich darauf verweisen, dass ich mich auch dazu im Haushalts- und Finanzausschuss ausführlich geäußert habe, was da die Punkte sind. Das können wir hier gerne, wenn Sie den Wunsch haben, noch einmal besprechen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Schmitz.

Ingola Schmitz*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, der Landesrechnungshof kritisiert ausdrücklich, dass es beim Projekt „Domgärten“ mit Zustimmung beider Geschäftsführer diverse Ankäufe von Grundstücken gegeben hat, die gegen das gesetzliche Verbot von Vorratskäufen ohne konkreten Projektauftrag des Landes verstoßen. Warum liegt in diesem eindeutigen Verstoß aus Ihrer Sicht keine verwerfliche Handlung der beiden Geschäftsführer, die rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen muss?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erstens. Die Vorgänge stammen aus einer Zeit, in der schon Fragen hätten gestellt werden können. Da hätte man sich nicht dahinter verstecken müssen, dass man jetzt Opposition ist und nicht Einblick hat, sondern da war man Regierung.

Zweitens. Uns ist die Tatsache, dass zwei Geschäftsführer Kenntnis hatten, erst im März zur Kenntnis gekommen. Ich habe eben schon gesagt, dass wir rein vorsorglich – ohne damit irgendeinen Verdacht in die Welt zu setzen – über diese uns bis dahin nicht bekannte Tatsache auch die Staatsanwaltschaft informiert haben. Das heißt also, dass wir uns hier in einem Verfahren der Ermittlung und der Aufklärung befinden, welches natürlich ein Stück weit parallele Schritte behindert. Tatsache ist aber: Hier wird ermittelt und untersucht, und hier werden wir auch an einem bestimmten Punkt kommen, wo wir sagen können, ob eine Schlussfolgerung gegen einzelne oder mehrere Personen zu ziehen ist oder nicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Herrn Kollegen Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, wie Sie selbst dargestellt haben, liegen die Vorgänge um die Kölner Domgärten bereits ein paar Jahre zurück. Haben Ihre Prüfungen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eventuelle Ansprüche – beispielsweise gegen die damaligen Geschäftsführer – aufgrund des Zeitablaufs bereits verjährt sein könnten?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich sage Ihnen noch einmal, dass ich einen abschließenden Bericht über die Prüfungen, die ich erbeten habe, noch nicht habe. Aber auch hier gilt: Wenn Verjährung eingetreten sein sollte, liegt der erhebliche Teil der Zeit, in der es noch nicht verjährt war, in der Zeit, die vor meinem Amtsantritt lag. Wir müssen uns aber auch diesen Punkt noch einmal genau angucken.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, – Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Danke schön. – Einen Teil der Frage haben Sie schon beantwortet. Ich komme aber noch einmal auf die Geschehnisse zurück. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich der BLB – das weist der Bericht des Landesrechnungshofs aus – im Jahre 2008 auf den Weg gemacht, Optionen für die Grundstücke zu ziehen. Sie wurden aber erst im Jahre 2009 tatsächlich gezogen.

Ein Blick in Bodenrichtwertkarten hätte schon zum damaligen Zeitpunkt deutlich machen können, wie die Preise lagen. Wie würden Sie den Vorgang einschätzen? Zu welchem Zeitpunkt wäre ein Verhindern des Projektes möglich gewesen? Es stand unter anderem überhaupt deswegen in Rede, weil der FDP-Politiker Andreas Pinkwart – zumindest hat er das im Gegensatz zu einigen anderen, die hier ihre Parlamentszugehörigkeit manchmal in Frage stellen, nie verheimlicht – ein Hochschulmodernisierungsprogramm aufgelegt hat, das möglicherweise den Bau einer FH in Deutz überhaupt erst möglich gemacht hätte. Zu welchem Zeitpunkt wäre also eine Auflösung des Projektes „Domgärten“ sinnvoll und möglich gewesen? Lag zu diesem Zeitpunkt eine Zusage der Landesregierung zum Bau einer Fachhochschule in Deutz vor?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein, die lag nicht vor, denn man hat gesehen, dass der Bau am Ende gar nicht zustande kommen wird, sondern dass die Fachhochschule Deutz auf der rechten Rheinseite bleibt bzw. erneuert wird, also da, wo sie ist. Das ist nicht durch Aufkündigung einer schon einmal gegebenen Zusage erfolgt, sondern dadurch, dass man eine Zusage dieser Art nie hatte und am Ende eine andere Entscheidung gefallen ist.

Ich kann noch einmal sagen: Ich kenne die Diskussionslage aus dieser Zeit damals. Sie war durchaus kontrovers, aber eindeutig nicht so, dass man hier in Düsseldorf den Eindruck hätte haben können, dass die Stadt Köln mit hohem Interesse eine Verlegung auf die andere Rheinseite wünschen würde.

Ich sage noch einmal aus der Erinnerung – ich habe dazu die Unterlage nicht vorliegen –, dass noch im Februar 2010 ein Vermerk an die Hausspitze geschrieben worden ist, in dem deutlich gemacht wurde, dass aufgrund der Preissituation ein Kauf besser nicht zustande kommen sollte.

Natürlich hat es zur damaligen Zeit Hinweise darauf gegeben, dass mit der Preisfindung bzw. ?gestal-tung etwas nicht stimmt. Das zeigt auch die Tatsache der Beurkundung und des Kaufs in einer Weise, die ich nur aus sehr fundierten Medienquellen kenne, wonach zum Teil Grundstücke an demselben Tag verkauft worden sind, an dem sie aber erst zu einer späteren Tageszeit gekauft wurden. Sie wurden im Übrigen von einem Notar beurkundet, der auch Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen ist und damals einer Regierungsfraktion angehörte. Man hätte daraus durchaus eine gewisse Aufmerksamkeit ableiten können. Das ist nicht der Fall gewesen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Nachfrage kommt von Herrn Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich würde gerne auf die Vorlage 16/788 zu sprechen kommen. Sie ist Ihnen bestens geläufig, weil sie mehrfach zwischen uns im Parlament, den Fraktionen und dem Ministerium Debattengegenstand war. Dabei handelt es sich um den Public Corporate Governance Kodex des Landes.

In diesem Kodex haben Sie – Sie wissen, dass wir als Opposition es ausdrücklich für richtig halten, dass es einen solchen gibt – etliche Ausführungen zum Thema „Verantwortlichkeit“ gemacht. Ich frage Sie mit Blick auf die Regelungen in Punkt 3.6 – ich darf das zitieren –:

„Verletzen sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Mitglieds der Geschäftsleitung schuldhaft, so haften sie“

– also die Geschäftsführer –

„dem Unternehmen gegenüber auf Schadensersatz.“

Was sagen Ihnen diese Grundsätze des Public Corporate Governance Kodex zum gebotenen Vorgehen im Fall des BLB und der beiden Geschäftsführer bei den Domgärten nach den Feststellungen des Landesrechnungshofs?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich halte die Sorgfaltspflicht und die Pflicht, Auffälligkeiten nachzugehen, für ein Gebot. Es ist gut, dass das durch einen Governance Kodex unterstützt und unterstrichen wird. Aber auch, wenn es ihn nicht gäbe, ist das ein Hinweis darauf, dass man die Dinge nicht einfach schleifen lassen kann.

In diesem Fall kann ich Ihnen sagen, dass der Kodex für den BLB am 1. April dieses Jahres implementiert worden ist. Das heißt: Wir haben hier schon Fragestunden dazu gehabt, in denen ich Ihnen mitgeteilt habe, dass die einzelnen Ressorts auf die Gremien der Unternehmen hinwirken konnten. Wir haben erst im vergangenen Jahr den Kodex im Landtag verabschiedet. Die Zeit, die es durch Gremiensitzungen bis zur Umsetzung gebraucht hat, hat in den meisten Unternehmen ungefähr innerhalb eines Jahres zum Erfolg geführt.

Der BLB unterliegt diesem Kodex seit dem 1. April, gleichwohl müssten Ihre Ausführungen immer gelten. Das bedeutet auch: Wenn es Unregelmäßigkeiten oder Auffälligkeiten gibt, gehen wir ihnen nach. Ich möchte wissen, ob es dafür Verantwortlichkeiten gibt, die man identifizieren kann.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich habe eine Frage zum ehemaligen BLB-Geschäftsführer Krähmer. Nach meinem Kenntnisstand haben Sie ihn in Ihrem Amt als Finanzminister abberufen, weil er in seiner Position nicht mehr haltbar war, da er eigene Fehler gemacht hat. Mich würde interessieren – das haben Sie im Ausschuss berichtet –, warum er zwar nicht mehr als BLB-Geschäftsführer haltbar ist, aber nun bei Ihnen im Hause als Abteilungsleiter tätig sein kann. Wie kann das übereinkommen? Vielleicht können Sie dazu diesem Haus gegenüber entsprechend Stellung nehmen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das ist relativ einfach zu erklären. Das ist deshalb der Fall, weil Herr Krähmer im Rang eines Abteilungsleiters für die Tätigkeit beim BLB beurlaubt war.

Ich habe in einer Pressemitteilung ausdrücklich deutlich gemacht, dass ich es auch angesichts der öffentlichen Diskussion aus zwei Gründen für richtig gehalten habe, ihn in meiner Eigenschaft als Finanzminister mit der entsprechenden Zuständigkeit abzuberufen.

Zum einen müssen wir bei den Veränderungen, die wir jetzt vornehmen, nach draußen für den BLB deutlich machen, dass auch mit Blick auf unsere neuen Strukturen und Regeln durch das Personal deutlich wird, dass wir uns neu aufstellen. Wir hatten bereits im vorletzten Jahr Herrn Chaumet, der als Geschäftsführer dem 2010 oder 2011 ausgeschiedenen Geschäftsführer nachgefolgt ist.

Zweitens habe ich deutlich gemacht, dass die Fürsorgepflicht auch beinhaltet, jemanden aus der Schusslinie zu nehmen, dem die Staatsanwaltschaft ganz offenkundig keine Vorwürfe macht, dessen Name aber ständig für das, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, in die Medien gelangt. Das heißt: Es gibt jedenfalls zurzeit keine grundlegenden Vorwürfe, die sich an die Adresse von Herrn Krähmer richten. Deswegen gibt es keinen Grund, dass Herr Krähmer, wenn ich ihn abberufe und die Beurlaubung damit endet, nicht seinen Dienst im Finanzministerium wieder antritt. Das hat er am 1. Juli gemacht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Zu seiner zweiten und letzten Nachfrage erteile ich dem Kollegen Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Minister Walter-Borjans, für den Fall, dass die Landesregierung beim Projekt „Domgärten“ weiterhin auf die Verfolgung ihrer rechtlichen und finanziellen Ansprüche gegenüber den beiden Geschäftsführern und den Grundstücksverkäufern verzichten will, stellt sich die Frage, wer für dieses Nichtstun im Finanzministerium die Verantwortung übernimmt. Konkret gefragt: Welche Stelle oder welche Personen übernehmen im Finanzministerium die Verantwortung für das Versagen der BLB-Aufsicht und des drohenden Verfalls der werthaltigen Ansprüche des Landes?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Diese Frage hätten Sie bis zum Juli 2010 schon einmal aufwerfen und auch beantworten können; denn aus dieser Zeit stammen ja die Fehlkäufe. Ich habe Ihnen auch jetzt gesagt: Sie unterstellen, dass nichts unternommen wird, und daraus wird dann eine Schlussfolgerung gezogen. Da ich Ihnen sage, dass nicht nichts unternommen wird, brauchen wir auch die Schlussfolgerung nicht zu ziehen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die zweite und letzte Nachfrage von Frau Kollegin Schmitz.

Ingola Schmitz*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die beiden Geschäftsführer zu sprechen kommen. Mit der vorzeitigen Festlegung der Landesregierung in der Sondersitzung des HFA vom 20. Juni 2014, keine rechtlichen und finanziellen Ansprüche gegen die beiden Geschäftsführer und die Grundstücksveräußerer durchsetzen zu wollen, haben Sie die Rechts- und Vermögensposition des Landes für eine zukünftige Anspruchsverfolgung eindeutig verschlechtert.

Aus welchen Gründen schwächen Sie trotz des bereits eingetretenen wirtschaftlichen Schadens von über 36 Millionen € völlig unnötigerweise die Rechtsposition des Landes zum Nachteil des Landeshaushalts und des Steuerzahlers?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, woher Sie die Information haben, ich hätte erklärt, dass wir definitiv auf Regressforderungen verzichten. Ich habe im Haushalts- und Finanzausschuss deutlich gemacht, dass es im Moment keine Grundlage dafür gibt, und dass im Moment sowohl von der staatsanwaltschaftlichen Seite als auch von dem, was mir bislang vorliegt, keine Hinweise vorhanden sind, die darauf schließen lassen, dass es hier es einen Schuldigen gibt, gegen den sich eine Regressforderung richten könnte. Aber ich habe auch immer gesagt, dass wir uns noch in der Prüfung befinden und dass ich mir Schritte dieser Art vorbehalte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die zweite und letzte Nachfrage von Herrn Kollegen Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, bei Kapitalgesellschaften gibt es gesetzliche Bestimmungen zur Haftung von Aufsichtsorganen bei Pflichtverletzungen. Halten Sie die Implementierung entsprechender Haftungsregelungen auch beim BLB für geboten, da es sich beim BLB ja um ein Sondervermögen handelt, das nach kaufmännischen Grundsätzen geführt werden soll?

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wir sind ja dabei, mit den Eckpunkten das Regelwerk noch einmal zu überarbeiten. Da muss man sich anschauen, was im Einzelnen vorgeschlagen wird. Es geht sicher darum, dass der BLB insgesamt unternehmerischer organisiert und aufgestellt wird.

Das hat sicher auch etwas mit den Rechten und Pflichten der Aufsichtsgremien zu tun. Man muss im Moment sagen: Bei der derzeitigen Konstruktion des BLB sind die Rolle sowie die Aufsichts- und Durchgriffsmöglichkeiten des Verwaltungsrats gegenüber den Aufsichtsgremien zum Beispiel in Aktiengesellschaften sehr eingeschränkt.

Bei diesem Punkt haben wir erste wichtige Schritte unternommen, die das Netz enger geknüpft haben, damit es keinen weiteren Missbrauch mehr geben konnte. Jetzt geht es darum, in einem weiteren Schritt diese unternehmerische Ausrichtung – aber mit der Sonderrolle, die ein BLB nun einmal hat – so zu verknüpfen, dass es auch Regeln dafür gibt, wie künftig die Rechte und Pflichten eines Aufsichtsrats bzw. eines Verwaltungsrats aussehen werden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die zweite und letzte Nachfrage von Herrn Kollegen Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident, vielen Dank. – Man gewinnt den Eindruck, als würde der Vorgang, über den wir jetzt reden, erst wenige Tage zurückliegen. Mir liegt aber hier die eben von Herrn Minister schon zitierte Kleine Anfrage des Kollegen Horst Becker vom 10. Juni 2009 vor.

In der Vorbemerkung heißt es:

„Der Sprecher des BLB, Herr Zeleny, wird in der Presse diesbezüglich mit der Aussage zitiert, die Bauwens-Gruppe sei zugeschaltet worden, um ‚explodierende Grundstückspreise‘ bei Bekanntwerden des Landesinteresses vorzubeugen.“

Und da antwortet der Finanzminister Dr. Linssen – ich glaube, die waren damals in einer Koalition mit der FDP, wie ich mich dunkel erinnere –:

„Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass der BLB NRW die für den Grundstücksankauf notwendigen weiteren Maßnahmen nicht selbst vornehmen muss und nicht selbständig am Markt als Ankäufer großer Flächen in der Kölner Südstadt aufgetreten ist,“

(Zuruf von der FDP)

– ist bitter, Herr Kollege Lindner, oder? –

„was nach Einschätzung des BLB NRW zu stark steigenden Preisen geführt hätte.“

Meine Frage an den Finanzminister: Wäre es nicht sinnvoll gewesen, bereits zum damaligen Zeitpunkt nachzuprüfen, ob der Grundstückskauf und die Preise sachgerecht sind, um anschließend vor dem Lichte der Preisbewertung auf dieses Geschäft zu verzichten?

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist doch Gegenstand des Untersuchungsausschusses!)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Mostofizadeh, darauf habe ich ja eben schon einmal hingewiesen. Der erste Punkt ist: Ja, es ist behauptet worden, dass im Prinzip eine – man kann es ja so nennen – Strohmannfunktion vorgegeben worden ist, dass man also jemanden losschickt, der kaufen soll, damit er zu einem günstigeren Preis kaufen kann.

Wenn diese Person dann aber den Differenzbetrag zu dem bekommt, was der andere gefordert hätte, wenn er direkt gewusst hätte, dass das Land oder der BLB kauft, dann ist es offenkundig nicht nötig, noch jemanden zwischenzuschalten. Dann hätte man dem ursprünglichen Eigentümer auch gleich den höheren Preis bezahlen können, oder möglicherweise hätte man auch einen günstigeren Preis bekommen. Da ist ja nur unterstellt worden, dass hier am Ende noch ein Gewinn gemacht werden kann.

Wenn dann Vermerke aus dem Haus dringende Hinweise geben, dass es sich hier um eine Preisgestaltung handelt, die nicht akzeptabel ist, wenn dann Beurkundungen stattfinden – sozusagen unter Einbeziehung der Politik, wenn man so will –, die so gestaltet sind, dass der Kauf nach dem Verkauf erfolgt, ja, dann kann man zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass Fragen hätten gestellt werden können, und dass man auch hätte sagen können: Auf ein solches Geschäft lassen wir uns nicht ein.

Ich glaube, dass das selbst für die manchmal ungewöhnlichen Praktiken, die die Immobilienunternehmen auch selbst benennen, schon eine gewisse Auffälligkeit gezeitigt hat, auf deren Grundlage man hätte reagieren können.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Nachfragen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Fragestunde.

(Ralf Witzel [FDP]: Doch!)

– Ja, Herr Kollege, die müssen Sie aber anmelden, sonst kann ich das nicht erahnen. Dann nehmen wir die jetzt noch mit. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass wir weit über die Zeit sind. – Herr Kollege Witzel mit seiner dritten und letzten Nachfrage. Bitte schön.

(Martin Börschel [SPD]: Bei der FDP muss man mit allem rechnen!)

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich habe noch eine letzte Frage an Sie, und zwar auch vor dem Hintergrund des Standes der Erkenntnisse, die Sie in den letzten vier Jahren aus dem Dutzend Berichten des Landesrechnungshofs gewonnen haben, die es seit Mitte 2010 gibt, was die rechtliche Qualität der Ansprüche angeht. Das geht in eine ähnliche Richtung wie das, was die Kollegin Ingola Schmitz mit Blick auf die im Text dieser Anfrage zitierte dpa-Meldung sicherlich auch gemeint hat.

Sie haben in dieser Fragestunde jetzt mehrfach mit strafrechtlichen Kategorien argumentiert. Das ist eine Kategorie.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist aber keine Diskussion! Eine Frage!)

Ich frage Sie aber ausdrücklich, wie das mit den zivilrechtlichen Ansprüchen ist.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das hat er doch gesagt! Das hat er schon zwei Mal beantwortet!)

Auch wenn er nicht strafrechtlich belangt wird, hat ein Geschäftsführer trotzdem eine Vermögensbetreuungspflicht, die hier nach dem Bericht des Landesrechnungshofs offenkundig nicht wahrgenommen worden ist. Deshalb lautet meine Frage an Sie: Warum werden die Befunde des Landesrechnungshofberichts betreffend die beiden Geschäftsführer und zivilrechtliche Fragen von Ihnen nach Bekanntwerden dieser Umstände jetzt nicht verfolgt?

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe ja gesagt, dass ich auf der Grundlage dieser neuen Informationen Nachprüfungen eingeleitet habe und von dem eigenen Ministerium und dem BLB erwarte, hierzu eine Aufklärung zu bekommen. In der Diskussion mit dem Landesrechnungshof haben wir aber – das ist auch bekannt – immer auch einen Diskussionsbedarf. Hier ist ja keine letztinstanzliche Feststellung getroffen worden. Vielmehr hat der Landesrechnungshof wichtige und hilfreiche Fragen gestellt und seine Bewertung dazu abgegeben. Zum Beispiel ist die Frage zu stellen, welche Qualität eine Mitzeichnung hatte, was sie ausgelöst hat und welche Mitverantwortung sie auslöst. Diese Dinge will ich überprüft haben. Sobald mir dazu Informationen vorliegen, werde ich Sie auch informieren.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Noch einmal vielen Dank, Herr Minister Dr. Walter-Borjans. – Damit liegen endgültig keine weiteren Nachfragen mehr vor. – Vielen Dank.

Dann schließe ich die Fragestunde und rufe auf:

11       Kinderrechte wirklich umsetzen! Nordrhein-Westfalen braucht geschulte Fachkräfte in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Schulen und Familienzentren für die konkrete Informationsvermittlung und Umsetzung der Kinderrechte

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6107

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Wegner das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Die UN-Kinderrechtskonvention gibt jedem Kind ein Recht auf Schutz, auf Bildung, auf soziale Teilhabe, auf – das wird meistens vergessen – Beteiligung an den Entscheidungen, die es betreffen, und auf freie Meinungsäußerung.

Dass die Kinderrechte in der Verfassung unseres Landes normiert sind, ist ein bedeutender Schritt zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Wichtig für die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen ist auch die Verankerung im Kinder- und Jugendhilfegesetz.

Trotzdem gibt es noch viele Defizite. Beteiligungsprojekte sind oft nur befristet. Es gibt bei vielen Erwachsenen Bedenken gegenüber der Mitsprache von Kindern und Jugendlichen. Das Bewusstsein über die einzelnen Kinderrechte ist selbst bei Fachkräften oft unzureichend. Ohne die Erwachsenen können Kinder und Jugendliche ihre Rechte nicht erfahren, geschweige denn sie wahrnehmen und erleben. Ohne die Erwachsenen werden Kinder und Jugendliche nicht nach ihrer Meinung gefragt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sehe ich es als unsere Aufgabe an, mit unseren Möglichkeiten als Parlament die wirkliche Umsetzung der Kinderrechte hier in Nordrhein-Westfalen weiter voranzubringen.

Noch lange ist nicht jedes Kind und jeder Jugendliche über seine Rechte informiert. Eltern und Fachkräfte beachten aufgrund mangelnder Informationen die Kinderrechte vor allem im Bereich der Beteiligung immer noch viel zu wenig. Wie sollen sie auch, wenn sie selbst nicht ausreichend informiert sind und keine geeigneten Wege zur Umsetzung gelernt haben?

Deshalb möchten wir in allen Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben – also in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in den Schulen und in den Familienzentren –, erreichen, dass die Kinderrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern durch geschulte Fachkräfte jedem bekannt gemacht und gelebt werden. Es ist wichtig, dass jedes Kind und jeder Jugendliche entsprechend seinem Alter und Entwicklungsstand über alle Kinderrechte informiert wird. Es ist wichtig, dass jedes Kind und jeder Jugendliche bei der Wahrnehmung und der Umsetzung seiner Rechte täglich unterstützt wird.

Durch die Beachtung eines jeden Kinderrechts wird die Entwicklung aller Kinder und Jugendlichen zu eigenständigen Persönlichkeiten gefördert.

Es ist notwendig, dass geschulte Fachkräfte als Ombudspersonen und Ansprechpartner für alle Kinder und Jugendlichen zur Verfügung stehen und das große Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen ausgleichen. Genauso notwendig wie die Ombudsperson ist, dass geschulte Fachkräfte als Ansprechpartner für Fachkräfte und Erziehungsberechtigte in den Einrichtungen zur Verfügung stehen. Ohne die Hilfe der Erwachsenen können Kinder und Jugendliche ihre Rechte weder erfahren noch wahrnehmen.

Lassen Sie uns jetzt einen Schritt machen und die Kinderrechte mit unseren Möglichkeiten auf Landesebene weiter voranbringen. Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, die einzelnen Rechte der Kinder und Jugendlichen im Bewusstsein der Menschen in unserer Gesellschaft zu festigen.

Mit der Ablehnung unseres Änderungsantrags, in dem wir die Aufnahme der Kinderrechte in das Kinderbildungsgesetz gefordert haben, ist wieder eine Chance vertan worden – eine Chance, das Bewusstsein über die Rechte der Kinder weiter auszubauen und in den Alltag der Kinder zu integrieren. Die in unserem Antrag geforderten geschulten Fachkräfte können vor Ort und im Alltag für jedes Kind und jeden Jugendlichen die einzelnen Kinderrechte von Anfang an wahrnehmbar und erfahrbar machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb appelliere ich an Sie, mit uns in einen ernsthaften Dialog über unseren Antrag einzutreten und sich für die wirkliche Umsetzung der Kinderrechte einzusetzen. Ich hoffe, dass es diesmal nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben wird, wie es zum Beispiel bei der im rot-grünen Koalitionsvertrag stehenden Ankündigung einer Kinderkommission mit Anrufrecht für Kinder der Fall ist.

Kinderrechte stärken unsere Kinder. Starke Kinder stärken unsere Demokratie. In diesem Sinne freue ich mich auf die Gespräche im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hack.

Ingrid Hack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe verbliebene Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist unseres Erachtens immer grundsätzlich richtig und wichtig, Kinderrechte zu thematisieren, sich über ihre Beachtung und ihre Verbesserung Gedanken zu machen.

Wir teilen auch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, Ihre Einschätzung, dass es ein wichtiger und richtiger Schritt war, die Kinderrechte in der Landesverfassung Nordrhein-Westfa-lens zu verankern. Wir teilen allerdings nicht Ihre im Antrag erhobene Forderung nach einer geschulten Fachkraft für Kinderrechte in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Warum? Ähnlich zielführend – ich muss es leider so ausdrücken – wäre eine Forderung nach Erzieherinnen und Erziehern oder sozialpädagogischen Fachkräften in allen Einrichtungen.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Wenn Sie in den aktuellen Lehrplan für die Fachschulen des Sozialwesens schauen, finden Sie folgende Zielbeschreibung für die Ausbildung:

Erzieherinnen und Erzieher – ich zitiere – arbeiten partizipativ, respektieren die Kinder und Jugendlichen als Partner in der Arbeit und helfen ihnen, kompetent und verantwortlich mitzubestimmen und mitzugestalten. Sie vermitteln Orientierungen und gestalten Lern- und Erfahrungsorte der Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Antidiskriminierung und Gewaltfreiheit. Sie stärken die Verantwortung für die Eine Welt. Sie unterstützen die Eigenaktivität von Kindern ab null Jahren und Jugendlichen in ihren Entwicklungs- und Bildungsprozessen und geben ihren Selbstbildungspotenzialen Rahmen und Raum.

Ein Blick in den ab 01.08.2014 zur Erprobung in Kraft gesetzten Lehrplan zeigt als Querschnittsaufgabe der Ausbildung für diese sozialpädagogischen Fachkräfte unter anderem – ich zitiere –:

Partizipation: Es soll eine Haltung entwickelt werden, die auf eine Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen des öffentlichen Lebens abzielt mit dem Ziel einer demokratischen Teilhabe an der Gesellschaft.

Und weiter heißt es dort zur Aufgabe Wertevermittlung:

Sie, also die Erzieherinnen und Erzieher, sind fähig, junge Menschen bei der Entwicklung persönlicher Wertehaltungen zu begleiten, sie als Subjekte ihres eigenen Werdens ernst zu nehmen und dabei zu unterstützen, eine Balance zwischen Autonomie und sozialer Mitverantwortung zu finden.

Das heißt, schon in ihrer Ausbildung wird angehenden Erzieherinnen und Erziehern die zentrale Bedeutung dessen vermittelt, was wir unter dem Begriff Kinderrechte zusammenführen: Beteiligung und Teilhabe von Kindern an allen sie betreffenden Entscheidungen – neben den in der Kinderrechtskonvention verankerten Rechten auf Bildung, auf körperliche und seelische Unversehrtheit sowie den zahlreichen Rechten auf Schutz vor Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch und anderem.

Jede Fachkraft ist also bereits, wie Sie es fordern, zu den Kinderrechten geschulte Fachkraft. Ansonsten hätte sie ihre Ausbildung nicht abschließen können. Ich empfehle Ihnen auch, Herr Kollege Wegner – Sie haben es gesagt –, einen Blick in das hier vor einem Monat beschlossene Änderungsgesetz zum Kinderbildungsgesetz. Wenn Sie den § 13 – Frühkindliche Bildung – betrachten:

„Das pädagogische Personal in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege beachtet, was die Kinder in ihren Bildungs- und Entwicklungsprozess einbringen, welche Möglichkeiten sie besitzen, welche Zeit sie benötigen, welche Initiative sie zeigen und stimmt sein pädagogisches Handeln darauf ab.“

Weiter heißt es:

„Wesentlicher Ausgangspunkt für die Gestaltung der pädagogischen Arbeit sind die Stärken, Interessen und Bedürfnisse des Kindes.“

Unserer Meinung nach bedarf es also keiner weiteren gesetzlichen Initiativen, wie Sie es fordern, die – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „die Rechte der Kinder in Konzeption und Leitbilder der Einrichtung beachten und einbinden“. Diese gesetzlichen Regelungen sind ebenso vorhanden wie die Fachkräfte, die dieses umzusetzen und zu beachten haben.

(Beifall von der SPD)

Verehrte Kollegen, erlauben Sie mir zum Schluss eine weitere Anmerkung: Sie betonen in Ihrem Antrag unterschiedliche Formen der Kinder- und Jugendlichen-Beteiligung in NRW als besonderen Ausdruck der Wahrung der Kinderrechte. Partizipation ist jedoch nur eine einzige Aufgabe, ein Baustein dessen, was Kinderrechte umfasst und was ihre Umsetzung erfordert.

Mit Kinderparlamenten und Spielplatzgestaltung ist es eben nicht getan. Die gesamte pädagogische Arbeit in der täglichen Praxis beruht, wie ich es erläuterte, gesetzlich und auch schon im Ausbildungsbereich auf der Kenntnis der Kinderrechte, ihrer Vermittlung und ihrer Umsetzung.

Vor diesem Hintergrund werden wir sicherlich die Debatte im Ausschuss recht zügig führen können, und die Kolleginnen und Kollegen im Schulausschuss – ich habe mich jetzt sehr auf die frühe Bildung und die außerschulische Bildung konzentriert – werden auch vor dem Hintergrund, was Lehrkräfte zu tun haben, auch schon aufgrund ihrer Kenntnis und ihrer Aufgabe als Lehrerinnen und Lehrer …

Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit, Frau Kollegin.

Ingrid Hack (SPD): … im Schulausschuss genauso verfahren können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Hack. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Milz.

Andrea Milz (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten auch schon einmal 2008 hier im Plenum über Kinderrechte debattiert. Ich weiß nicht, wer damals dabei war und sich noch erinnert. Damals ging es noch um die Änderung des Grundgesetzes. Heute sprechen wir darüber, wie die Informationsvermittlung über die Rechte von Kindern verbessert werden kann.

Hierfür sollen in Kinderrechten geschulte Fachkräfte in jeder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, Schulen und Familienzentren vorgehalten werden. So weit, so gut.

Aber, liebe Piraten, sollte eine Erzieherin oder ein Lehrer nicht schon jetzt, allein aufgrund der Ausbildung in der Lage sein oder ja sogar in der Pflicht sein, die Rechte der Kinder zu kennen, zu wahren, zu vermitteln und für Kinder erfahrbar zu machen?

(Beifall von der CDU)

Auch ein Blick in unser Grundgesetz bestätigt den Auftrag an die gesamte Gesellschaft, wie er in Art. 6 Abs. 2 beschrieben ist – ich zitiere –:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Starke Worte, oder? Klar, präzise und unmissverständlich. Oder brauchen wir doch weitere Aufträge, zum Beispiel speziell zur UN-Kinderrechtskon-vention?

Im vorliegenden Antrag wird unter „Ziffer II. Der Landtag stellt fest“ ausgeführt, dass die Mehrzahl der Eltern und Fachkräfte zwar um die Existenz der UN-Kinderrechtskonvention wisse, einzelne Inhalte sowie geeignete Wege der Umsetzung jedoch kaum bekannt seien. Auch in diesem Zusammenhang frage ich: Liebe antragstellende Fraktion der Piraten, auf welcher Grundlage haben Sie denn diese Behauptung, dass sie es nicht wüssten, aufgestellt?

Ich sehe die Schwierigkeiten zum Thema „Kinderrechte“ eher an einer anderen Stelle. Es ist sicher richtig und wichtig, die Beteiligten, insbesondere Kinder und Jugendliche, über ihr Recht zu informieren und entsprechend aufzuklären. Damit allein ist es aber nicht getan. Man muss Kindern insbesondere zeigen, wie sie sich helfen können, wenn ihre Rechte verletzt werden. Im Klartext heißt das: Sie müssen wissen, an welche konkreten Organisationen – zum Beispiel an die „Nummer gegen Kummer“ und ähnliche Einrichtungen – sie sich in der Kita, der Schule oder an ihrem Ort wenden können.

Betrachten wir allein den Kitabereich, der immer stärker von Kleinkindern besucht wird, erkennen wir, dass dort die Information und Aufklärung eher weniger wichtig sind, als die Kinder insgesamt zu stärken, damit sie sich nachher überhaupt trauen, ihren Schwierigkeiten Ausdruck zu verleihen. Dafür braucht es eine vertrauensvolle Atmosphäre sowie Zeit und Raum, um miteinander zu sprechen.

Etwas merkwürdig finde ich zudem die im letzten Spiegelstrich des Antrags formulierte Forderung. Hiernach soll gesetzlich geregelt werden, dass eine zu Kinderrechten geschulte Fachkraft in ihrem Arbeitsumfeld für die Einhaltung der Kinderrechte Sorge zu tragen hat. Ich frage mich an dieser Stelle: Wie soll das in der Praxis aussehen? Können wir dann Lehrer oder Erzieher sanktionieren, wenn es im Gruppengefüge oder im Klassenraum zum Beispiel zu Mobbing-Situationen kommt?

Meine Damen und Herren, insgesamt denke ich, dass wir es uns zu leicht machen, wenn wir zu sehr bzw. allein auf die Informationsvermittlung setzen. Wenn es schon um eine solche geht, wäre mir eine andere Idee durchaus sympathischer. Ein schönes Beispiel hierfür, und zwar ganz ohne gesetzlichen Regelungszwang, ist eine Forderung aus der ersten nationalen Konferenz für die Rechte der Kinder, die lautet:

„Jeder Bürgermeister sollte am Weltkindertag die Kinderrechte öffentlich vorlesen.“

Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat von Olof Palme beginnen:

„Weil unsere Kinder die einzige Verbindung zur Zukunft sind und weil sie die Schwächsten sind, gehören sie an die erste Stelle unserer Gesellschaft.“

Weil das so ist, ist es auch gut und richtig, dass wir das Thema „Kinderrechte“ im parlamentarischen Raum immer wieder ansprechen und über die konkrete Umsetzung dieses wichtigen Themas miteinander beraten.

Wir sind in Nordrhein-Westfalen stolz darauf, dass wir die Kinderrechte in unserer Landesverfassung verankert haben. In diesem Zusammenhang muss ich auf eines erneut hinweisen: Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass dies auf der Ebene des Bundes immer noch nicht gelungen ist und es immer noch Kräfte im konservativen Lager gibt, die verhindern, dass die Kinderrechte Eingang in das Grundgesetz finden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei der letzten Novelle des Kindergartengesetzes, des KiBiz, das wir vor drei Wochen verabschiedet haben, haben wir die Kinderrechte in einer ganz besonderen Weise berücksichtigt. Durch unseren Antrag haben wir als Fraktion § 6, nämlich den Bezug zur Landesverfassung in den Gesetzestext aufgenommen. In § 13 der Gesetzesvorlage wurde jedoch bereits an unterschiedlichen Stellen explizit auf die Rechte von Kindern hingewiesen. In den Grundsätzen der Bildungs- und Kindererziehungsarbeit des § 13 wurde normiert, dass die Kinderrechte in Tageseinrichtungen gesichert werden sollen und dass Beteiligungsverfahren für Kinder entwickelt werden, wie wir es bereits in Nordrhein-Westfalen in einem Modellversuch gefördert und erprobt haben.

Zu Kinderrechten gehören ebenso – das wurde bereits von den Kolleginnen erwähnt – die Beschwerdemöglichkeiten und die Gewähr, dass diese Beschwerden auch aufgegriffen und bearbeitet werden. Dazu dienen die sogenannten Ombudschaftsstellen, die in § 79 des SGB VIII verankert sind. Wir stehen im Dialog mit den Wohlfahrtsverbänden. Sie waren Anfang des Jahres auch im Ausschuss und verfolgen gemeinsam das Ziel, diese Ombudschaftsstellen als unabhängige Beschwerdestellen für Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen zu verankern und weiter zu stärken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen sicher, dass wir in diesem Jahr den 25. Geburtstag der UN-Kinderrechtskonvention feiern. Deshalb dürfen wir diese hierbei auch nicht unerwähnt lassen. Die Konvention ist nämlich wirklich ein Meilenstein in der Umsetzung und Verwirklichung der Kinderrechte. Es hat ziemlich lange gedauert, nämlich fast 20 Jahre – und das ist wirklich kein Ruhmesblatt des Deutschen Bundestages –, bis die Bundesrepublik die vollständige Ratifizierung der Konvention ohne Vorbehalt beschlossen hat.

Wir haben in der letzten Ausschusssitzung die besondere Situation der Kinder, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, diskutiert. Obwohl der Vorbehalt in der UN-Kinderrechtskonvention gestrichen ist, werden Flüchtlingskindern immer noch die Grundrechte verweigert. Das haben wir im Bericht des Innenministers gesehen. Dort wird das Primat des Kindeswohls, das eigentlich in Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention sehr klar und ausdrücklich geregelt ist, nach wie vor infrage gestellt. Ich meine, darüber müssen wir in einen intensiven Diskurs eintreten und klarmachen, dass Kinderrechte nicht teilbar sind und dass es keine zwei Klassen von Kindern geben darf, je nachdem wo sie zufälligerweise geboren sind. Denn es entspricht nicht dem Geist und dem Buchstaben der UN-Konvention, die Deutschland ohne Einschränkung unterschrieben hat, dass für Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge dieses Primat der Kinderrechte nicht gelten soll.

Wir stehen als Politik in der Verantwortung, die Umsetzung der Kinderrechte stets zu überprüfen und in allen gesellschaftlichen Bereichen deren Umsetzung zur Realisierung zu verhelfen. Ein geeignetes Instrument dazu wäre im parlamentarischen Raum eine Kinderkommission nach dem Vorbild des Deutschen Bundestages. Diese haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart und in der Runde der Obleute verabredet, sie fraktionsübergreifend auf den Weg zu bringen.

Ich denke, das wäre ein wichtiger Schritt, um die Rechte der Kinder, Beteiligungsrechte und Partizipation der Kinder in diesem Parlament noch einmal ganz besonders zur Sprache zu bringen und zur Umsetzung zu verhelfen.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Vorschlag, den die Piraten gemacht haben, tatsächlich zielführend ist, weil ich wie die Kolleginnen und Kollegen von SPD- und CDU-Fraktion der Meinung bin: Es geht nicht darum, dass es Einzelpersonen gibt, die nun in besonderer Weise geschult werden und als Einzelperson die Kinderrechte in den Einrichtungen wahrnehmen. Es muss vielmehr konstitutiver Bestandteil der Ausbildung sein, und es muss zum Selbstverständnis eines jeden, der in Kindertageseinrichtungen oder Jugendeinrichtungen arbeitet, gehörten, …

Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit.

Andrea Asch (GRÜNE): … tatsächlich die Kinderrechte im Blick zu haben und zu helfen, diese Kinderrechte umzusetzen.

Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Dort werden wir Gelegenheit haben, die verschiedenen Vorschläge miteinander zu diskutieren. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Asch. – Nächster Redner ist der Kollege Hafke für die FDP-Fraktion.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist leider wieder ein gutes Beispiel für den Drang der Politik, aus allem, was gut gemeint ist, sofort Regeln und Vorgaben zu machen. Wir kennen das sonst eher von der SPD und insbesondere von den Grünen. Offenbar wollen in dem nun auch die Piraten in nichts nachstehen.

Ohne Frage ist das Thema „Kinderrechte“ eines, bei dem man einige Defizite beklagen kann – nicht nur bei der Umsetzung, sondern natürlich vorgelagert, wie es der Antrag beschreibt, bei der Information. Es ist sicher notwendig, dass Kinder über ihre Rechte Bescheid wissen und ermuntert werden, diese einzufordern.

Deshalb ist es uns als FDP-Fraktion auch so wichtig, das Thema „Kinder- und Jugendbeteiligung“ nach vorne zu stellen. Wenn Kinder und Jugendliche an sie betreffende Entscheidungen beteiligt werden, ist das der beste Weg, ihre Interessen zu berücksichtigen.

Ich stimme deshalb der Problemanalyse an dieser Stelle zu, insbesondere hinsichtlich einer geringen Nachhaltigkeit vieler Beteiligungsprojekte. Allerdings fehlt es da nicht zwingend an Fachkräften, sondern vor allem an politischer Willenskraft. Sie wissen: Bekleckert hat sich dieses Landesparlament in den letzten Jahren auch nicht gerade mit Ruhm, wenn man über vier Jahre darüber diskutiert, wie man Kinder und Jugendliche in diesem Land beteiligt.

Auch der von Ihnen angesprochene Kinderbeauftragte ist da sicher kein Ruhmesblatt dieser Landesregierung. Man kann unterschiedlicher Auffassung sein, ob diese Stelle gebraucht wird. Der letzte Amtsinhaber, Herr Dr. Eichholz, hat sie sicherlich gut ausgefüllt. Die Idee, die Stelle einzusparen und quasi die zuständige Ministerin als Kinderbeauftragte in Personalunion zu verkaufen, wie es diese Landesregierung getan hat, ist aber vollkommen absurd. Ich würde mich jedenfalls der Diskussion, ob man das Amt wieder einführt, nicht verschließen.

Ihre Problemanalyse ist an vielen Stellen richtig. Wir müssen in der Tat viel stärker für die Kinderrechte werben. Ich halte die Idee, dies auch sehr früh anzusetzen, durchaus für richtig. Aber – das ist der große Kritikpunkt an Ihrem Antrag –: Nicht alles, was wünschenswert ist, muss bürokratisch bis aufs letzte Detail im Gesetz geregelt werden.

Wenn man sich nun einmal anschaut, was die Umsetzung Ihrer Forderung nach zuständigen Fachkräften inklusive der Kontrolle ihrer Arbeit bedeuten würde, erscheint es mir offensichtlich, dass der bürokratische Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Vor allen Dingen halte ich es für ein völlig falsches Signal in einer Zeit, in der gerade die zweite KiBiz-Revision gegen den Rat aller Experten verabschiedet wurde, neue Vorgaben in die Einrichtungen zu geben.

(Zuruf von der SPD)

– Die Belastung der Erzieherinnen und Erzieher ist ja allseits bekannt. Sie beklagen sich jetzt schon darüber.

Wir haben hier lang und breit über diese Situation bei den Erzieherinnen gesprochen und das hier diskutiert. Gleiches gilt auch für die Mitarbeiter in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und an den Schulen, um nur noch einmal das Stichwort „Inklusion“ zu nennen.

Ich denke, wenn wir hier jetzt rigide Vorgaben machen und neue Aufgaben in die Einrichtungen geben, strafen wir unsere Worte Lügen. Die Erzieherinnen, die Fachkräfte und Lehrer haben genug mit den bestehenden Aufgaben zu tun. Wir sollten also dringend Abstand nehmen von neuen Vorgaben, die das Land hier macht.

Das heißt nicht, dass wir das Thema gar nicht angehen. Es gibt viele Einrichtungen, die von sich aus das Thema Kinderrechte aufgreifen und altersgerecht vermitteln, die Beteiligungsprojekte auf den Weg bringen und schon die Kleinsten ermuntern, eigene Entscheidungen zu treffen.

Vielleicht sollten wir also mehr im Sinne von Best Practice schauen, was bereits in diesem Land passiert und die erfolgreichen Projekte zur Nachahmung empfehlen –

(Beifall von der FDP)

gerne auch mit Material, das wir den Mitarbeitern an die Hand geben können. Ich kann mir auch weitere Werbemaßnahmen bzw. Informationsprojekte zu Kinderrechten vorstellen.

Über all das sollten wir im Ausschuss reden, damit wir am Ende etwas für die Kinderrechte tun, ohne dafür an anderer Stelle etwas für die Kinder zu verlieren, weil wir nämlich die Fachkräfte mit neuen Vorgaben belasten und ihnen damit Zeit für das Wesentliche nehmen, nämlich die Förderung unserer Kinder.

In diesem Sinne freue ich mich auf spannende Diskussionen im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Schäfer das Wort.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen und Herren von den Piraten, Sie haben es in Ihrem Antrag ganz richtig beschrieben. Dort steht: Nordrhein-Westfalen ist Vorreiter bei der Umsetzung der UN-Kinderrechts-konvention.

Herr Wegner, das passt nicht ganz zu der Aussage: In Nordrhein-Westfalen sollten die Kinderrechte nicht nur auf dem Papier stehen. – Denn in Nordrhein-Westfalen ist gerade in den vergangenen Jahren viel passiert, Kinder und Jugendliche über ihre Rechte zu informieren und sie dabei zu unterstützen, diese Rechte auch wahrzunehmen.

Ganz aktuell – darauf haben Frau Asch und Frau Hack hingewiesen – haben wir beim KiBiz-Änderungsgesetz die Bedeutung von Kinderrechten und Partizipation in der pädagogischen Arbeit im Elementarbereich noch einmal ganz besonders hervorgehoben und damit auch gestärkt. Das wird strukturell überall bei uns im Land – da bin ich sicher – seine Wirkung entfalten. Beteiligung von Anfang an – das ist unser Ziel.

Wir fördern außerdem strukturell Einrichtungen und Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit und die Landeszentralen der Jugendverbände als Interessenvertreter für Kinder und Jugendliche genauso wie konkrete Partizipationsprojekte in den Kommunen und in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.

Wir fördern auch die Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung beim LWL. Das ist ein weiteres Projekt. Und wir unterstützen im LVR-Landesju-gendamt eine Multiplikatorenschulung für Kitas bei Fragen der konzeptionellen Verankerung partizipativer Strukturen.

Wir sind – Sie merken es – in NRW an vielen Stellen aktiv, um die UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen. Wir werden diesen Weg auch weitergehen.

Ich teile die Meinung einiger Vorredner und Vorrednerinnen: Dafür brauchen wir keine aufwendigen neuen Strukturen und Organisationen. Man darf auch einmal die Frage stellen, wie Sie denn ein landesweites flächendeckendes System von Beauftragten finanzieren wollen. Wenn Sie es gesetzlich verankern wollen, ist Ihnen sicherlich bewusst, dass Sie damit auch die Finanzierung sicherstellen müssen.

Meine Damen und Herren, es mangelt uns nicht an guten Konzepten in NRW, es mangelt auch nicht an der Verfügbarkeit von Informationen. Damit aber Beteiligung im Alltag gelingt, muss sie auch für die Kinder und Jugendlichen etwas bringen. Beteiligung muss ernst genommen werden, und die Kinder und Jugendlichen müssen ernst genommen werden. Das ist eine Frage der pädagogischen Haltung. Das ist auch eine Frage des gesellschaftlichen Klimas, der Offenheit einer Gesellschaft gegenüber Kindern und Jugendlichen, und es bedarf der Bereitschaft, diesen jungen Menschen Freiräume zu geben.

Wir werden als Landesregierung weiter alles dafür tun, dass Kinder und Jugendliche einen zentralen Platz in unserer Gesellschaft haben, dass alle sich bestmöglich entwickeln und entfalten können, dass sie mitbestimmen und unsere Gesellschaft mitgestalten können. Das heißt für uns, Kinderrechte wirklich umzusetzen.

Ich bin mir sicher, wir können deutlich machen, dass die UN-Kinderrechtskonvention bei uns im Land gelebt wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/6107 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen diese Überweisungsempfehlung oder möchte sich enthalten? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Überweisungsempfehlung entsprechend angenommen.

Wir kommen nun zu:

12       Transparente Veräußerung von Grundstücken sicherstellen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4828

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/5778

Der vorgenannte Antrag der CDU wurde gemäß § 82 Absatz 2 Ziffer b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Diese liegt nun zusammen mit dem Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses vor.

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Möbius.

Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der CDU möchte sich heute mit allem Nachdruck dafür einsetzen, dass landeseigene Grundstücke in Zukunft wieder nach transparenten Kriterien veräußert werden.

Die Fraktionen von SPD und Grünen haben im März 2013 den § 15 des Haushaltsgesetzes um einen Absatz 3 ergänzt. Diese Regelung ist redaktionell leicht verändert auch im Haushaltsgesetz 2014 enthalten. Sie lässt zu, dass landeseigene Grundstücke direkt und ohne ein öffentliches Ausschreibungsverfahren an Kommunen oder kommunale Gesellschaften veräußert werden können, wenn es der Erfüllung kommunaler Zwecke, der Errichtung öffentlich geförderten Wohnraums oder der Errichtung studentischen Wohnraums dient. Ein Qualitätswettbewerb möglicher Grundstückserwerber ist dabei nicht vorgesehen.

Was das dann im Einzelfall bedeutet, konnten wir leider schon eindrucksvoll erleben: In Köln-Kalk wurde in einem intransparenten Verfahren das Gebäude der Polizeiinspektion verkauft. Auch die abenteuerlich zustande gekommene Verhinderung einer Grundstücksveräußerung des Bau- und Liegenschaftsbetriebs im Düsseldorfer Zooviertel noch nach Abschluss des notariellen Kaufvertrages war ein Paradebeispiel für Intransparenz.

Dieser Vorgang hatte mich veranlasst, den Gutachterdienst des Landtags mit einer Expertise zur rechtlichen Einschätzung des § 15 Absatz 3 zu beauftragen. Dies hat dann in der Folgezeit dazu geführt, dass uns 15 Monate nach der Gesetzesverabschiedung – immerhin – in der letzten Woche die Verwaltungsanweisung zur Ausführung des § 15 Absatz 3 Haushaltsgesetz vorgelegt wurde.

Schon der Umfang dieser Anweisung für nur einen einzigen Absatz des § 15 ist durchaus beeindruckend: zehn Seiten mit vier Anlagen! Das scheint der Beitrag der Landesregierung zum Bürokratieabbau zu sein, zehn Seiten und vier Anlagen zu einem einzigen Absatz eines Paragrafen.

Aber nun haben Sie immerhin geregelt, wie Sie sich das Ganze in der Praxis vorstellen: Es gibt eine Veröffentlichung auf der Homepage des BLB, und es schließt sich ein Interessensbekundungsverfahren – selbstverständlich auf einem vorgegebenen Formular – an. Die Frage ist nur, warum bei einem solchen zusätzlichen Berg an Bürokratie, den diese Verwaltungsanweisung nach sich zieht, nicht gleich der bewährte Weg der vollen Transparenz gewählt wird. Warum wird also nicht gleich ein ordentliches Ausschreibungsverfahren eingeleitet, wie wir es in unserem Antrag für alle Grundstücksveräußerungen fordern?

Das ist der einzige Weg, ein wirklich transparentes, nachvollziehbares und rechtlich abgesichertes Verfahren zu gewährleisten. Alle Bieter sollen sich einem fairen Qualitätswettbewerb stellen, der insbesondere Kommunen und kommunale Gesellschaften nicht benachteiligt. Außerdem soll nach transparenten Kriterien geprüft werden, ob im Einzelfall Erstzugriffsoptionen für Kommunen oder kommunale Gesellschaften eingeräumt werden können.

Doch offenbar ist Transparenz nicht gewollt. So heißt es bereits unter Ziffer 2 der Verwaltungsvorschrift – übrigens ziemlich entlarvend, wie ich finde –: In begründeten Ausnahmefällen und mit Zustimmung des Finanzministeriums ist eine Abweichung

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

von der in diesen Verwaltungsvorschriften beschriebenen Vorgehensweise möglich. – Na toll! Da beschreiben Sie mit bürokratischer Pingeligkeit, wie es an sich laufen soll, um dann festzustellen, dass der Finanzminister eigentlich nicht daran gebunden ist.

Was sind das für Klimmzüge am Hochreck, die Sie da unternehmen? Wir wollen mit unserem Antrag, dass endgültig Schluss ist mit intransparenten Äußerungen, dass klar geregelt ist, wie es zu laufen hat, nämlich in einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren, und dass diese Regelung abschließend und ausnahmslos gilt.

Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Möbius. – Der nächste Redner ist der Kollege Zimkeit für die SPD-Fraktion.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Ihr Antrag enthält immerhin einen guten Punkt, das ist, dass Grundstücksveräußerungen des Landes transparent, nachvollziehbar und nach rechtlich abgesicherten Verfahren erfolgen sollen. Das ist die Position der SPD, das ist die Position der Koalition, so handelt die Landesregierung. Daher können wir diesem Punkt problemlos zustimmen.

Leider endet an diesem Punkt das Gute an diesem Antrag. Sie haben gerade hier einen Popanz aufgebaut, von angeblich stattfindenden intransparenten Verfahren, die nicht nachvollziehbar sind. Alle entsprechenden Grundstücksveräußerungen waren vorher und gehen jetzt durch den HFA und werden dort diskutiert. In der Regel werden sie auch im Unterausschuss Sondervermögen diskutiert und werden abschließend vom HFA oder von diesem Hohen Haus beschlossen.

Ein transparenteres, nachvollziehbareres Verfahren, bei dem die Abgeordneten das letzte Wort haben, kann es überhaupt nicht geben. Insofern bauen Sie hier einen Popanz auf, der schlicht und einfach falsch ist.

Sie haben es angesprochen: Die entsprechenden Verwaltungsvorschriften liegen jetzt vor. Nach ihnen wird zukünftig gehandelt. Ich mache gerne das Angebot, diese Praxis jetzt einmal zu verfolgen. Sollte es an irgendeinem Punkt in der Praxis einmal zu Problemen kommen, die jetzt noch nicht absehbar sind, können wir diese diskutieren und schauen, ob entsprechend nachgesteuert werden kann. Jetzt schon im Vorhinein festzustellen, dass dies nicht funktioniert, ist Hellseherei, die wir nicht nachvollziehen können.

Nicht nachvollziehen können wir auch das Allheilmittel der Ausschreibung. Was machen wir mit dem § 15 Abs. 3? Wir unterstützen sozialen Wohnungsbau, wir unterstützen studentisches Wohnen, und wir handeln insbesondere im Sinne der Kommunen. Das stößt bei den Kommunen auf breite Zustimmung. Fraktionsübergreifend berufen sich allerorten auch CDU-Fraktionen genau auf diesen § 15 Abs. 3, um Kommunalpolitik im Sinne der Menschen zu gestalten.

Dabei unterstützen wir sie als Land gerne. Wir sehen keinen Handlungsbedarf zur Änderung der gesetzlichen Grundlage und lehnen Ihren Antrag deshalb ab.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben das im Ausschuss jetzt, glaube ich, dreimal diskutiert. Das Ergebnis ist Ihnen mit der Beschlussempfehlung zugegangen. Ich will es auch kurz machen.

Herr Kollege Möbius, Sie sind schlicht auf dem falschen Dampfer, wie sich bei Ihrem heutigen Wortbeitrag wieder gezeigt hat. Wenn wir ausschließlich die geltenden Regeln der Ausschreibung hätten anwenden wollen, hätten wir es ja beim alten Haushaltsgesetz belassen können. Wir haben Ausnahmemöglichkeiten zugelassen – genau in dem Rahmen, den Herr Zimkeit umrissen hat.

Ich will zügig mit einem Hinweis aus Essen schließen: Ihr Fraktionskollege Thomas Kufen hat ausdrücklich das Verfahren zur Veräußerung der Flächen in Essen-Rüttenscheid begrüßt und das Land aufgefordert, möglichst rasch das Verfahren nach § 15 Abs. 3 des Haushaltsgesetzes anzuwenden, damit eben Wohnungsbau in Essen stattfinden kann.

(Beifall von Minister Guntram Schneider)

So viel zum Verhalten der Fraktionskollegen vor Ort. Ich für meinen Teil kann nur sagen: Ich schließe mich dem an, was eben gesagt wurde. Wir wollen dieses Verfahren ausprobieren. Es geht nicht darum, Landesvermögen irgendwie infrage zu stellen, sondern wir wollen dort, wo es nötig ist und möglich ist, in Ausnahmefällen vor Ort gemeinsam mit den Kommunen und den Trägern sozialer Belange Grundstücke veräußern, die sonst diesen Gesellschaften nicht zufallen könnten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 15 Abs. 3 Ziffer 1 des Haushaltsgesetzes dürfen Grundstücke, die sich im Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen befinden, direkt und ohne öffentliches Ausschreibungsverfahren an Gemeinden und Gemeindeverbände bzw. Studentenwerke veräußert werden. Ziel soll es unter anderem sein, die Erfüllung kommunaler Zwecke oder die Errichtung von öffentlich gefördertem Wohnraum zu ermöglichen. Zudem soll die Errichtung von studentischen Wohnheimen diese intransparente Veräußerung von Landeseigentum rechtfertigen.

Ziffer 2 dieses Absatzes ermöglicht unter dort jeweils näher beschriebenen Voraussetzungen die Veräußerung im öffentlichen Ausschreibungsverfahren mit und ohne Einschränkung des Bieterkreises.

Obwohl der Absatz erst seit dem Jahr 2013 im Haushaltsgesetz steht und erst selten zum Einsatz gekommen ist, sind die hiermit verbundenen Probleme bereits mehr als deutlich zutage getreten. Ein Gebäude des Landes in Köln-Kalk wurde an eine Kölner Aktiengesellschaft verkauft. Die Aktiengesellschaft hat das Grundstück für einen Preis erworben, den ein Gutachter vorher ermittelt hat, und bietet nun studentischen Wohnraum in dem Gebäude an. Das Ziel des Gesetzes ist also vordergründig – da werden mir die Kollegen von SPD und Grünen zustimmen – erreicht.

Der Teufel steckt aber wie immer im Detail. Dem offenen Brief einer Bürgerinitiative, die als Verein organisiert ist, ist nämlich zu entnehmen, dass diese ein ähnliches Vorhaben, das ebenfalls die beschriebenen Ziele erfüllt hätte, mit demselben Gebäude des Landes plante. Dieser Verein konnte jedoch nicht zum Zuge kommen – nicht etwa, weil seine Intentionen schlechter gewesen wären oder der Kaufpreis nicht hätte gestemmt werden können, nein, dieser Verein war von vornherein ausgeschlossen, weil er eben kein Gemeindeverband, keine kommunale Gesellschaft und kein Studentenwerk, wie in § 15 Abs. 3 Ziffer 1 gefordert, ist.

Meine Damen und Herren, theoretisch hätte dieser Verein – er nennt sich übrigens „Future 3 e. V.“ – die Errichtung von öffentlich gefördertem oder studentischem Wohnraum besser erfüllen können und einen höheren Kaufpreis für das Gebäude zahlen wollen. Er wäre bei der Wahl des Verfahrens nach Ziffer 1 trotzdem nicht zum Zuge gekommen, sondern die Kölner Aktiengesellschaft, die mehrheitlich – nicht einmal vollständig – in städtischem Besitz ist. Neben den nicht zu vernachlässigenden Aspekten der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllt der jetzt vorliegende § 15 Abs. 3 also die durch ihn angestrebten Ziele nicht effizient.

Dies, meine Damen und Herren, soll durch den heute zur Abstimmung stehenden Antrag der CDU-Fraktion geändert werden. Die Qualität der Leistungserbringung soll statt der Eigentümerstruktur des Leistungserbringers zukünftig entscheiden. Transparenz statt Intransparenz soll das Motto von zukünftigen Entscheidungen sein – mit einer klaren und offenen, qualitätsorientierten Ausschreibung.

Neben den soeben geschilderten, rein praktischen Ansätzen stehen in Bezug auf § 15 Abs. 3 auch noch juristische Bedenken im Raum. Ein Gutachten, das der Parlamentarische Beratungs- und Gutachterdienst im Auftrag des Kollegen Möbius hat erstellen lassen, sieht an unterschiedlichen Stellen Probleme in Bezug auf den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz. Beispielsweise mahnt es eine einschränkende Auslegung in Bezug auf kommunale Zwecke an, die in gleicher Weise durch einen Privaten erfüllt werden können. Dem trägt die Verwaltungsanweisung zu § 15 Abs. 3 aber nicht Rechnung.

Meine Damen und Herren, es ist also geboten, § 15 Abs. 3 schleunigst anzupassen. Die FDP-Fraktion stimmt dem Antrag deshalb zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Jetzt spricht für die Piratenfraktion der Kollege Schulz. Bitte schön.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und mehrere vielleicht auch noch zu Hause zu dieser späten Stunde! Abschließende Beratung – ausgiebig, wie der Kollege Mostofizadeh sagte – im Haushalts- und Finanzausschuss am 26.06. des Jahres. Dort sind alle Argumente genannt worden. Auf das entsprechende Protokoll verweise ich. Ebenso abschließend behandelt in der Ausschusssitzung des Unterausschusses „Landesbetriebe und Sondervermögen“ am 12.03.2014. Auch auf dieses Protokoll verweise ich.

Ich verweise insbesondere in dem Zusammenhang nicht auf das Protokoll, wenn es darum geht, die Verwaltungsanweisung heranzuziehen, auf deren Grundlage statt einer einfach-gesetzlichen Änderung nunmehr ein Bürokratiegebilde aufgebaut worden ist, welches abzuarbeiten schon fast einen Verwaltungslehrgang erfordert. Bürokratieaufbau statt Bürokratieabbau – allein das rechtfertigt wie schon im vorangegangenen Haushaltsgesetzgebungsverfahren die Anträge der Fraktion der CDU und der Fraktion der Piraten, die im Hinblick auf § 15 Abs. 3 Haushaltsgesetz auf eine Abänderung abzielten, maßgeblich.

§ 15 Abs. 3 Haushaltsgesetz ist unzureichend im Hinblick auf die Transparenzbestimmung. Es kann einfach nicht angehen, dass im Eigentum der öffentlichen Hand befindliche Grundstücke durch ein einfaches, durch Verwaltungsvorschrift geregeltes Verfahren veräußert werden sollen. Öffentliche Ausschreibung muss hier ganz klar die Zielsetzung sein.

Uns Piraten ist es unter Berücksichtigung gerade dieses Transparenzaspektes völlig unverständlich, wie sich die regierungstragenden Fraktionen dem verweigern, wo doch gerade im Koalitionsvertrag das Wort Transparenz in Versalien – ich glaube, um die 50 Mal – auftaucht. Warum gerade an dieser Stelle die Transparenz weniger gelten soll und das intransparente Verwaltungsverfahren gewählt wird, ist uns und bleibt uns ein Rätsel.

Dem Antrag der CDU-Fraktion stimmt die Piratenfraktion jedenfalls zu. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst einmal ein ganz herzliches Dankeschön an den Gesetzgeber für die Inkraftsetzung des § 15 Abs. 3 Haushaltsgesetz. Das ist ein großer wohnungs- und sozialpolitischer Fortschritt. Hätten sich manche in Düsseldorf den Geist dieses § 15 Abs. 3 Haushaltsgesetz zum Vorbild genommen, wäre hier möglicherweise eine Personalwahl anders ausgegangen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Aber ich bin sicher: In Düsseldorf wird man sehen, dass mit einer Ampel korrigiert werden kann, was vorher zu einem wohnungsbaupolitischen Abseits geführt hat. Deshalb sage ich der sich neu bildenden Koalition in Düsseldorf ein ganz kräftiges toi, toi, toi. Wohnungsbaupolitisch brauchen wir den Aufbruch in Düsseldorf!

(Beifall von der SPD)

Ich komme auf das eigentliche Thema zu sprechen. Ich sehe, das Interesse wächst. Deshalb möchte ich auf Köln-Kalk Bezug nehmen. Köln-Kalk als Projekt ist klasse!

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Warum? Der BLB hat da toll gehandelt. Warum? Weil wir angesichts des doppelten Abiturjahrgangs das jetzt eingelöste Versprechen der GAG, kostengünstigen attraktiven studentischen Wohnraum zu schaffen, priorisiert haben. Da gab es großes Einvernehmen zwischen dem Finanzministerium als Dienstaufsicht des BLB und dem Bauministerium als Partnerministerium, als Partnerressort des Finanzministers beim BLB.

Deshalb kann ich Sie nur einladen: Folgen Sie meinem Beispiel. Besichtigen Sie dieses Projekt und Sie werden meine Begeisterung für Köln-Kalk teilen, meine sehr geehrten Damen und Herren der kritisierenden Opposition.

(Lothar Hegemann [CDU]: Nachher können Sie Kalk löschen!)

Ich komme auf die Grundstücksvergaben zu sprechen. Der grundsätzliche Unterschied, Kollege Hegemann, ist: Sie wollen in Maklermanier Grundstücke höchstpreisig verkaufen. Wir wollen Grundstücke im öffentlichen Eigentum sozialpflichtig machen. Das unterscheidet uns grundsätzlich.

(Beifall von der SPD)

Deshalb sagen wir: Das, was in § 15 Abs. 3 Haushaltsgesetz beschrieben ist, ist ideal. Wir haben soziale Kriterien, wohnungspolitische Kriterien, städtebauliche Kriterien. Wir haben zwei Ausschreibungsvergaben, die völlig transparent und nachvollziehbar sind. Wir haben ein Direktvergabeverfahren, das zu Verkehrswerten den direkten Zugriff für Studentenwerke und Kommunen ermöglicht. Darin sehen wir einen großen Fortschritt.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Bitte.

Vizepräsident Daniel Düngel: Darf ich ganz kurz unterbrechen? – Der Kollege Möbius würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ja, bitte.

Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das so. Herr Kollege Möbius, Sie haben das Wort.

Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Ist Ihnen bekannt, dass man auch in öffentlichen Ausschreibungen Kriterien festlegen kann, um zum Beispiel einen sozialen Wohnungsbau zu fördern, nur dass man den Leistungserwerber nicht einzugrenzen braucht?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Deshalb haben wir in den von Ihnen kritisierten Verwaltungsanweisungen, die wir angesichts des Höchstmaßes an Transparenz und Verlässlichkeit für sehr kompakt formuliert halten, weil sie gerichtsfest und handlungsorientierend für den BLB sind, zwei Ausschreibungsverfahren und ein Direktvergabeverfahren beschrieben. Mit dieser differenzierten Grundstücksübertragungstechnik glauben wir, allen Obliegenheiten gerecht werden zu können.

(Zuruf von der CDU: Allen?)

Wir wollen auch in Zukunft Vorgänge verhindern, wie sie uns sehr nachdenklich bei den Kölner Domgärten erreicht haben. Wir hoffen sehr auf baldige nachhaltige Aufklärung, weil es ein schlechtes Beispiel für die Grundstückspraxis in unserem Land ist.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme zurück zum Eigentlichen, zum Bündnis für Wohnen in Nordrhein-Westfalen. Das funktioniert ganz toll. Alle Verbände sagen: weiter so mit dem Bündnis in Nordrhein-Westfalen. Die Bundesregierung sagt: So toll wie in Nordrhein-Westfalen wollen auch wir unser Bündnis für Wohnen aufstellen.

Wir wollen beim BLB Grundstücksmobilisierung betreiben, damit die Kommunen diesem guten Beispiel folgen und ihrerseits öffentliche Grundstücksvergaben in den nachfragestarken Städten möglichst mit einer 30%igen Sozialquote versehen.

Die Verwaltungsanweisung selbst betrifft ja alle Kommunen, studentischen Werke, im Grunde die Verbände der Wohnungswirtschaft, die informiert werden über den Schatz an Grundstücken, der vorhanden ist und dauerhaft nicht mehr genutzt wird. Wir präsentieren die Grundstücke drei Monate im Netz. Wir bestimmen als Bauministerium die fachliche Ausformulierung der jeweiligen Ausschreibung mit, leben also Partnerschaft zum Finanzministerium.

Sie selbst als Mitglieder im Haushalts- und Finanzausschuss sind ja der TÜV für Transparenz und Aufrichtigkeit dieser Verfahren. Ich jedenfalls vertraue Ihnen, den Mitgliedern im Haushalts- und Finanzausschuss, und ich appelliere an die Opposition, diesen Mitgliedern doch nicht mit einem solchen latenten Misstrauen zu begegnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Aussprache und stimmen ab.

Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/5778, den Antrag Drucksache 16/4828 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Antrag Drucksache 16/4828. Ich darf Sie fragen, wer diesem Antrag zustimmen möchte. – Das sind die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? – Die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich jemand der Stimme? – Es gibt eine Enthaltung bei der Piratenfraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/4828 abgelehnt.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

13       Gesetz über die Zulassung von Zentren und über die Einrichtung der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik in Nordrhein-Westfalen (Präimplantationsdiagnostikgesetz Nordrhein-Westfalen – PIDG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5546

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6207

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/6139

zweite Lesung

Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1)

Wir kommen somit direkt zur Abstimmung zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 16/6207. Ich darf Sie fragen, wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte. – Die SPD-Fraktion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die FDP- und die Piratenfraktion. Wer ist gegen diesen Änderungsantrag? – Es gibt eine Gegenstimme aus der CDU-Fraktion. Wer enthält sich? – Der Rest der CDU-Fraktion enthält sich. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/6207 angenommen.

Wir stimmen dann über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5546 ab. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/6139, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.

Wir kommen zur Abstimmung über den eben geänderten Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des angenommenen Änderungsantrags Drucksache 16/6207. Ich darf Sie fragen, wer dem Gesetzentwurf so zustimmen möchte. – Die SPD-Fraktion, die Piratenfraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU und die FDP-Fraktion. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Es gibt eine Enthaltung bei der CDU-Fraktion. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/5546 in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

14       Zweites Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6088

erste Lesung

Die Fraktionen haben sich auch hier zwischenzeitlich darauf verständigt, nur die Einbringung des Gesetzentwurfes durchzuführen. Eine Debatte dazu findet heute nicht statt. Frau Ministerin Steffens hat die Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 2)

Wir kommen somit auch hier direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/6088 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Innenausschuss und an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Ist jemand gegen die Überweisungsempfehlung oder enthält sich? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

15       Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz (Schwangerschaftskonfliktgesetz-Aus–führungsgesetz – AG SchKG)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6095

erste Lesung

Auch hier haben sich die Fraktionen darauf verständigt, nur die Einbringung des Gesetzentwurfes durchzuführen. Eine Debatte findet auch hier heute nicht statt. Frau Ministerin Schäfer hat die Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 3)

Wir kommen damit auch hier direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/6095 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – und an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen zu dieser Überweisungsempfehlung? – Das ist nicht der Fall. Damit ist so überwiesen.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

16       Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5788

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/6142

zweite Lesung

Auch hier gibt es zwischenzeitlich eine Verständigung der Fraktionen. Die Reden werden zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 4)

Wir stimmen damit direkt ab. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/6142, den Gesetzentwurf Drucksache 16/5788 unverändert anzunehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Wer möchte dieser Beschlussempfehlung so Folge leisten? – Die SPD-Fraktion, die Piratenfraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU und die FDP-Fraktion. Gibt es Enthaltungen oder Gegenstimmen? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/6142 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/5788 in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

17       Gesetz über die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse (LBSG)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4774

Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6219

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/6143

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6220

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Für die SPD-Fraktion spricht zunächst der Kollege Börschel.

Martin Börschel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem es nicht gelungen ist, auf die Debatte komplett zu verzichten, ein paar Gedanken von meiner Seite. Der heute abschließend in der Beratung befindliche Gesetzentwurf zielt darauf ab, die LBS West zukunftsfähig zu machen. Landesbausparkassen sollen nicht nur aufs Engste zusammenarbeiten, sondern auch fusionieren können. Außerdem wollen wir in dem heute zu beschließenden Gesetz die Privatisierungsmöglichkeit von Landesbausparkassen entfallen lassen.

Konkreter Anlass für das Gesetzesvorhaben ist, dass die LBS West die Landesbausparkasse Bremen auf sich verschmelzen will. Dafür ist eine Rechtsänderung erforderlich, die wir mit dem heutigen Gesetz vornehmen werden.

Wir halten allerdings fest, dass die LBS West auch in Zukunft nur der aufnehmende Rechtsträger sein kann. Dazu müssen wir allerdings zusätzlich aufnehmen, dass auch Bausparkassen in privater Rechtsform auf die LBS West verschmolzen werden können. Warum? Die LBS Bremen ist eine Aktiengesellschaft und damit eine privatrechtliche Organisationsform. Damit muss man das Aufnehmen auch für privatrechtliche Organisationsformen öffnen.

Ich will noch einmal ganz klar festhalten – das ist auch durch die Anhörung zu diesem Gesetzgebungsverfahren bestätigt worden –: Die Aufnahme privater Wettbewerber, also säulenübergreifend, hat es in der Vergangenheit nie gegeben und ist auch in Zukunft nicht geplant. Das haben alle Beteiligten ausgeschlossen. Das hat die Anhörung eindeutig bestätigt.

Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, kann ich Ihren Änderungsantrag mit der Überschrift „Keine Verstaatlichung genossenschaftlicher und privater Bausparkassen“ nur als pure Ideologie und als völlig anhaltslos bezeichnen.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Anhörung hat eindeutig das Gegenteil bewiesen. Sie machen sich einmal mehr zum Büttel privater Interessen und sind schlicht und einfach Lobbyist. Das hat keine Grundlage. Insofern sollte Ihnen Ihr eigener Änderungsantrag ein bisschen peinlich sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Börschel. – Für die CDU-Fraktion spricht Kollege Jung.

Volker Jung (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche hat der Untersuchungsausschuss zur WestLB seine Zeugenbefragung zur Wfa-Integration Anfang der 90er-Jahre fortgesetzt. Die damaligen politischen Entscheidungen mündeten bekanntlich im Jahr 2002 in die Aufspaltung der WestLB und die Abspaltung der LBS. Auch diesen Themenkomplex arbeitet der Untersuchungsausschuss in diesen Wochen und Monaten noch auf.

Aus dem Jahr 2002 stammen auch die wesentlichen Regelungen des bisherigen LBS-Gesetzes. Daher war es notwendig, Anpassungen vorzunehmen. Das ist in erster Linie die Umsetzung redaktioneller Überarbeitungen des bestehenden Gesetzes.

Zudem wird die Drittelparität zugunsten der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat festgeschrieben.

Die Zuständigkeit für die Aufsicht über die LBS soll nun beim Finanzministerium angesiedelt werden.

Mit dem Gesetz soll aber auch ein weiterer wichtiger Punkt geregelt werden. Auf dem Gebiet des Landesbausparkassen wird derzeit über Formen intensiverer Zusammenarbeit bis hin zur Fusion von Institutionen diskutiert. Im Rahmen dieser Reform hat die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse vor Kurzem die LBS Bremen AG zu 100 % übernommen. Nun soll diese mit der LBS Westdeutsche Landesbausparkasse verschmolzen werden, wie Kollege Börschel eben schon ausführte. Auch hierzu ist eine Änderung des Gesetzes über die LBS Westdeutsche Landesbausparkasse erforderlich, da dort bislang keine Verschmelzungsmöglichkeit vorgesehen ist.

Die Sachverständigenanhörung, die wir im Fachausschuss durchgeführt haben, hat keine wesentlichen Bedenken gegen die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen aufgeworfen. Daher wird sich meine Fraktion enthalten. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen Börschel und Jung haben den Inhalt des Gesetzentwurfs schon treffend beschrieben.

Auch die Qualifizierung des Kollegen Börschel bezüglich des FDP-Antrags kann ich nur unterschreiben. Insbesondere seitdem Herr Witzel im HFA ist, lässt die FDP keine Gelegenheit aus, um deutlich zu machen, wes Geistes Kind sie ist.

(Beifall von der SPD)

Selbst an diesem Gesetzentwurf muss sie sich noch einmal mit zwei ausführlichen Schriftstücken austoben. Ich für meinen Teil kann nur sagen: Ich hatte gehofft, dass der gute Torwart Jung irgendwie noch die Kurve kriegt und die Zustimmung der CDU-Fraktion organisiert. Das ist nicht ganz gelungen; aber immerhin Enthaltung. Insofern ist es richtig, darauf hinzuweisen, dass das Fusionsthema Ausgangspunkt dieses Gesetzentwurfs ist.

Wir werden dem Gesetzentwurf so zustimmen. Das Inhaltliche haben wir im Ausschuss diskutiert.

Dass sich die FDP mit „Privat vor Staat“ bis in die Zehenspitzen austoben muss, nehmen wir zur Kenntnis, schreckt uns aber nicht weiter ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ebenso wie die Bankenbranche und die Assekuranz leiden Bausparkassen unter der anhaltenden Niedrigzinsphase, die man mittlerweile schon fast als Nullzinsphase bezeichnen muss, und zunehmender europaweiter Regulatorik.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Die Kosten der Bürokratie für jeden betreuten Vertrag und Kunden nehmen daher zu. Trotz eines soliden und mit geringen Risiken verbundenen Geschäftsmodells werden immer strengere regulatorische Anforderungen, wie beispielsweise aus der Einlagensicherungsrichtlinie, zum Problem für die Bausparanbieter.

Kleine Institute, die auch dem Basel I- bis Basel III-Regime unterfallen, können unter diesen Bedingungen immer schwerer ökonomisch sinnvoll wirtschaften. Eine verstärkte Kooperation und Fusion beschäftigen daher die Branche. Dies wollen auch wir ausdrücklich ermöglichen, sofern dadurch keine marktbeherrschende Stellung eines speziellen Anbieters entsteht.

Wie im Bankenbereich und bei der Assekuranz gibt es bei Bausparkassen ein Dreisäulenmodell, das wir auch in diesem Bereich erhalten wollen. Verbraucher haben im Wettbewerb die Auswahl zwischen privaten Anbietern, wie beispielsweise der Wüstenrot, der genossenschaftlichen Schwäbisch Hall und der öffentlichen Landesbausparkasse, der LBS.

Für Nordrhein-Westfalen ist dies die zuständige LBS West.

Für die FDP-Landtagsfraktion gilt: Der LBS sollte für ihre Aufstellung im Markt dasselbe ermöglicht werden wie genossenschaftlichen und privaten Anbietern, ohne dass diese dadurch ihren regionalen Bezug aufgibt.

Wir nehmen ferner positiv zur Kenntnis, dass die rot-grüne Landesregierung aus ihren Fehlern bei der rechtlichen Neuordnung der Westfälischen Provinzial gelernt hat und nunmehr abweichend davon bei der LBS bei Fusionen stets eine Verschmelzung anderer LBS-Institute gleich welcher Rechtsform auf die LBS West AöR als neues Anstaltsgebilde vorsieht. – All die leidigen Debatten und Existenzängste bei der Provinzial NordWest wären uns erspart geblieben, wenn dies dort vor knapp zehn Jahren auch so praktiziert worden wäre.

Einen Punkt aber lehnen wir strikt ab und können deshalb dem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Witzel, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei Herrn Kollegen Müller aus der SPD-Fraktion.

Ralf Witzel (FDP): Selbstverständlich, klar.

Präsidentin Carina Gödecke: Bitte schön, Herr Kollege Müller.

(Martin Börschel [SPD]: Wolltest Du eine Zwischenfrage stellen, Kollege? Du hast dich doch bestimmt vertan, oder? – Hans-Peter Müller [SPD]: Das war ein Fehler!)

– Das war ein Fehler?

(Hans-Peter Müller [SPD]: Das war ein Fehler!)

– Dann entschuldige ich mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Witzel, dass ich Sie unterbrochen und Ihnen Zeit gestohlen habe.

Ralf Witzel (FDP): Kein Problem, Frau Präsidentin.

Ich wollte gerade darlegen: Einen Punkt lehnen wir ganz ausdrücklich ab – das ist auch durch die Expertenstellungnahmen in der Anhörung deutlich geworden –, und das ist die Ungleichbehandlung der Anbietersäulen, die private und genossenschaftliche Institute für sich so empfinden. Wie bei der Expertenanhörung klar und deutlich geworden ist, kann eine genossenschaftliche oder private Bausparkasse kein Vertriebsgebiet einer LBS erwerben. Das kritisieren wir auch nicht. Es geht ja darum, Anbieterpluralität zu erhalten. Aber genau aus diesem Grunde darf es auch umgekehrt nicht sein, dass sich die LBS außerhalb der S?Finanzgruppe einen privaten oder genossenschaftlichen Konkurrenten einverleiben kann. Das wäre eine Reduktion von Markt und Wettbewerb. Der LBS-Vorstand hat im Landtag dargelegt, es gebe derzeit nur Pläne zur Fusion innerhalb der LBS-Gruppe.

Im Haushalts- und Finanzausschuss haben wir den anderen Fraktionen nun ausdrücklich angeboten, das im Gesetzestext entsprechend klarzustellen. Die von uns angebotene fraktionsübergreifende Initiative, die eigenständigen Säulen der Bausparkassen zu erhalten, hat Rot-Grün aber vehement abgelehnt; angeblich gebe es diese Fusionsabsichten nicht. Das Gesetz gilt aber unbefristet und bildet damit im Zweifel noch in Jahren und Jahrzehnten, wenn sich die aktuellen Planungen längst geändert haben können, den Rechtsrahmen für LBS-Fusionen,

Daher stellt sich die Frage: Wenn doch angeblich niemand die Absicht hat, eine Mauer zu bauen, warum wollen Sie dann unbedingt schon heute die Baugenehmigung erteilen? In vorauseilendem Gehorsam heute die Rechtsgrundlagen für eine spätere Verstaatlichung der privaten und genossenschaftlichen Bausparkassen zu beschließen, lehnen wir ausdrücklich ab. Wie Sie wissen, ist genau das auch die Position der privaten Anbieter und des genossenschaftlichen Sektors, die in der Anhörung klar vorgetragen haben, dass so etwas nicht passieren darf.

Wir stellen hier deshalb einen Änderungsantrag quasi als Glaubwürdigkeitstest für Sie zur Abstimmung. Wenn dauerhaft nur Fusionen innerhalb der LBS-Gruppe beabsichtigt sind, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag und dem Entschließungsantrag hier und heute zu. Wenn nicht, dann weiß eben auch jeder, was Sie perspektivisch im Schilde führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause! Auch ich kann es unter Bezugnahme auf die Protokolle der Beratungen in den Ausschüssen relativ kurz machen. Das ist nicht zu wiederholen; darauf beziehe ich mich. Im Prinzip sind die Argumente, die gegen dieses Gesetz sprechen, genannt. Ebenso sind die Argumente genannt, die für den Änderungsantrag der FDP und auch für den Entschließungsantrag sprechen.

Ich möchte nur eines hinzufügen: Erklärtes Ziel der Piraten in NRW war und ist es, Monopol- und Oligopolbildungen, die dem Gemeinwohl im Sinne der Verminderung von sozialen Überschüssen schaden oder schaden können, vorzubeugen und solche bestehenden Monopole und Oligopole durch die Schaffung transparenter Marktstrukturen aufzulösen. Durch vermehrten Wettbewerb können verbraucherfreundliche Preise realisiert und Machtstellungen, Machtmissbrauch am Markt sowie übermäßige politische Einflussnahme durch Monopolisten verhindert werden.

Das Gesetz, wie es vorgelegt worden ist, ist eben kein reines „Lex LBS Bremen“, welches dann zugunsten der LBS West wirkt. Wenn es nur das wäre, könnte man ja zustimmen. Das werden wir aber selbstverständlich nicht tun. Gleichwohl möchten wir dem Gesetzgeber insgesamt die Möglichkeit offenhalten, noch nachzubessern und in der ganzen Sache auf Bremen einzuschwenken. Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über das Gesetz enthalten und den Anträgen der FDP zustimmen. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anhörung hat die Intention des Gesetzentwurfs bestätigt. Es hat sich kein Änderungsbedarf ergeben.

An die Adresse von Herrn Witzel möchte ich nur noch sagen: Wenn der öffentliche Gesetzgeber beschließt, dass ein öffentlich-rechtliches Institut öffentlich-rechtlich bleiben soll, dann ist das, finde ich, eine gute Zielsetzung. Die soll er sich vornehmen und die soll er umsetzen.

Dass umgekehrt ein privates Institut erworben werden kann, ist ja nicht neu in das Gesetz gekommen, sondern war immer in der Regelung enthalten. Ich kann mir bei der Grundhaltung, die Sie haben, Herr Witzel, ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, dass es überhaupt jemanden gibt, der ein privates Institut an ein öffentlich-rechtliches Institut verkaufen will. Das Problem existiert, glaube ich, gar nicht. Und mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Finanzminister, vielen Dank, aber ich darf Sie zurück an das Redepult bitten. Herr Kollege Witzel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.

(Lachen von der SPD)

Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Finanzminister, Sie haben an unserer differenzierten Betrachtung gesehen, dass wir durchaus die Dinge positiv herausgearbeitet haben, die wir bei Ihrem Gesetzentwurf unterstützen. Das ist für eine Opposition auch nicht a priori selbstverständlich. Wir haben ausdrücklich das begrüßt, was Sie zur Rechtsformklarheit auch für die LBS geregelt haben; denn das ist einfach logisch, wenn ich die drei Säulen – und damit auch öffentliche Anbieter – im Rahmen dieses Konstruktionsprinzips erhalten will.

Mit Blick auf die Anhörung am 22. Mai 2014 und die dort gemachten Ausführungen auch des LBS-Vorstandes selber möchte ich Sie fragen: Wenn genau das richtig ist, was Sie hier gerade gesagt, nämlich dass aktuell überhaupt nicht die Absicht besteht, private oder genossenschaftliche Bausparkassen zu schlucken, wenn die sich aber melden und uns hier im Landtag vortragen: „Dann sorgt doch bitte auch für eine Gesetzestextformulierung, die das zukünftig sicherstellt, selbst wenn es aktuell tatsächlich niemand vorhat“, warum kommen Sie diesem Anliegen genossenschaftlicher und privater Anbieter nicht nach, wenn sich doch angeblich alle inhaltlich einig sind, eine rechtssichere Formulierung zu finden, die das auf die Dauer im Gesetz festschreibt?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Finanzminister, Sie können, Sie müssen nicht erwidern.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Das ist frech!)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann nur sagen: Es ist ja keine Neuregelung eingeführt worden. Ich könnte es jetzt auch ein bisschen sarkastisch formulieren und sagen: Herr Witzel, das ist deshalb so, damit Sie, wie Sie eben schon gesagt haben, spekulieren dürfen und sagen können, was offenbar im Schilde geführt wird, obwohl es nicht der Fall ist. Sie haben damit jedenfalls einen Aufhänger, das zu behaupten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Debatte zum Tagesordnungspunkt 17.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich rufe erstens die Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf; dieser trägt die Drucksachennummer 16/6219. Wer möchte dem Änderungsantrag zustimmen? – Das sind die Fraktion der FDP und die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das sind der fraktionslose Abgeordnete Stein und die CDU-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/6219 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/4774. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/6143, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Wer diesem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die Piraten, die CDU, die FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/4774 in zweiter Lesung mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis unverändert angenommen und verabschiedet worden.

Wir kommen zur dritten Abstimmung, und zwar zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/6220. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die FDP und die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Stimmenthaltungen? – CDU, der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/6220 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden. - Wir sind am Ende von Tagesordnungspunkt 17.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

18       Gesetz zur Offenlegung der Bezüge von Sparkassenführungskräften im Internet

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4165

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/6144

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die gesetzeinbringende Fraktion hat Herr Kollege Schulz von den Piraten das Wort.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Unser Gesetzentwurf ist ausgiebig beraten worden. Sachverständige wurden angehört und haben dabei insbesondere betont, dass es zumindest von juristischer Expertenseite keinerlei Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Landes Nordrhein-West-falen gibt, was die Offenlegung der Bezüge von Sparkassenvorständen und Verwaltungsräten angeht. Dieses Ergebnis ist eindeutig gewesen.

Weniger eindeutig waren die Ergebnisse im Hinblick auf die Art der Veröffentlichungen. Da wurden in der Tat teilweise Bedenken geäußert. Bedenken wurden zumindest vonseiten der SPD-Fraktion aber auch hinsichtlich des Status quo geäußert, und zwar insofern, als die Veröffentlichung im „Bundesanzeiger“ zum Beispiel außerordentlich schwer auffindbar ist und die Nachforschungen mit einiger Mühe verbunden sind, sie der Öffentlichkeit bzw. dem Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nicht vollständig dient. Diese Klippe sollte unser Gesetzentwurf überwinden helfen.

Wir hörten in den Beratungen, dass der politische Wille einerseits nicht dahin ausgebildet werden könne. Andererseits ist aber nach wie vor zu beklagen, dass sich einzelne Sparkassenvorstände wie auch Verwaltungsräte beharrlich weigern, der Forderung nach Veröffentlichungen nach dem sogenannten Transparenzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen nachzugeben. Man muss allerdings auch schauen, was dieses Transparenzgesetz überhaupt für ein Werkzeug ist. Es ist nämlich nichts weiter als eine Krücke gegenüber einem dann tatsächlich gegebenen Gesetz, und zwar insofern, als lediglich die Pflicht der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den Kommunen besteht, auf die entsprechenden Sparkassenorgane einzuwirken.

Damit kommen wir zu der weiteren Besonderheit, dass das in dieser Form auch nicht in der Gemeindeordnung geregelt ist. Zwar wird auf § 108 der Gemeindeordnung Bezug genommen. Dort ist allerdings nicht von Sparkassen und Anstalten des öffentlichen Rechts die Rede. § 108 GO meint explizit nur die Beteiligung von Gemeinden an privaten Unternehmen oder die Gründung derselben. Sparkassen sind davon nicht betroffen. Möglicherweise ist das ein Grund, warum die Hinwirkungspflicht nicht in dem Maße wahrgenommen wird, wie es vielleicht auch vonseiten des Finanzministeriums erwartet wird.

Das Finanzministerium bzw. die Sparkassenaufsicht schreibt stattdessen Bürgermeister der betroffenen Gemeinden – Kleve, Wermelskirchen und Werne – an. Und das möchte ich zitieren:

Im Rahmen der Hinwirkungspflicht haben die Träger sicherzustellen, dass nur solche Personen in den Verwaltungsrat gewählt werden, die sich vor der Wahl zu der entsprechenden individuellen Veröffentlichung für die Dauer der gesamten Wahlperiode unwiderruflich verpflichten. Eine nachträgliche Nichterfüllung der Transparenzverpflichtung führt zur Abberufung aus dem Verwaltungsrat.

Sehr verehrte Damen und Herren, diese Briefe, die hier vorliegen, die uns überreicht worden sind, sind der Ausdruck eines Demokratie­verständnisses, welches wirklich zum Himmel stinkt!

(Beifall von den PIRATEN)

Es kann doch nicht sein, dass die Exekutive hergeht und Gremien auffordert, im Rahmen der gemeindlichen Selbstverwaltung irgendwelche Wahlhandlungen vorzunehmen oder zu unterlassen bzw. Leute einzustellen oder rauszuschmeißen, wenn die gesetzliche Grundlage dafür nicht geschaffen wurde.

Die gesetzliche Grundlage dafür könnte geschaffen werden, indem unserem Gesetzentwurf zugestimmt wird. Wird dem nicht zugestimmt, dann muss ich hier bemerken, dass es auch keine Änderungsvorschläge gab, die den Gesetzentwurf letztlich zustimmungswürdig erscheinen ließen.

Dass eine Änderung auf landesgesetzgeberischer Kompetenzebene möglich ist, haben die Experten gesagt. Daher kann ich an dieser Stelle nur noch einmal dafür werben, unserem Änderungsentwurf zuzustimmen. – Ich wünsche Ihnen weiterhin einen schönen Abend. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Kämmerling.

Stefan Kämmerling (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 17. Oktober 2013 haben Sie, die Fraktion der Piraten, Ihren Gesetzentwurf eingebracht. Seitdem haben wir Ihr Anliegen im Haushalts- und Finanzausschuss und im Ausschuss für Kommunalpolitik beraten. Wir hatten zwischenzeitlich eine Anhörung und in beiden Ausschüssen die entsprechende Auswertung.

Jetzt kommen wir achteinhalb Monate nach Einbringung des Gesetzentwurfs der Piraten wieder im Plenum zusammen – und die Antragsteller wollen immer noch das bestens funktionierende Sparkassengesetz ändern. Ich will Ihnen klar sagen, meine Damen und Herren: In diesen achteinhalb Monaten ist nichts geschehen, was mir Ihr Anliegen notwendiger erscheinen ließe, als es im Oktober vergangenen Jahres bereits der Fall war. Ich will Ihnen gerne begründen, warum ich das so sehe.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass beim vorliegenden Diskussionsgegenstand der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ Anwendung findet. Ausreichend diskutiert haben wir Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Grundgesetz, demgemäß die Gesetzgebungskompetenz gegenüber Kreditinstituten dem Bundesgesetzgeber obliegt. Auch über die Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse von Bund und Ländern gemäß Art. 72 Abs. 2 Grundgesetz haben wir uns bereits auseinandergesetzt. Unstrittig ist, dass der Bund mit § 285 Nr. 9 HGB genau hiervon Gebrauch macht.

In der Tat hat ein Sachverständiger in der Anhörung keine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gesehen. Ein anderer hat in derselben Anhörung aber die gegenteilige Auffassung vertreten. Meine Bedenken, Herr Kollege Schulz, dass wir als Landesgesetzgeber das von Ihnen Geforderte gar nicht regeln dürfen, sind jedenfalls schlicht und ergreifend nicht ausgeräumt.

Lassen Sie uns aber nicht ausschließlich betrachten, ob wir das nun regeln dürfen oder aber nicht. Wenn wir als Gesetzgeber etwas regeln sollen, haben wir nämlich auch die Pflicht, zu würdigen, ob es für eine neue Regelung überhaupt einen Bedarf gibt. Spätestens hier, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Piraten, verliert Ihr Anliegen meine Sympathie. Als Sie Ihren Gesetzentwurf vor fast neun Monaten hier einbrachten, legten entsprechend Ihrem Ansinnen bereits 99 von 105 Sparkassen offen. Mein letzter Stand ist, dass mittlerweile nur noch ganze vier Sparkassen fehlen. Das hat auch einen Grund, nämlich § 19 Abs. 6 Sparkassengesetz NRW, in dem schon jetzt geregelt ist, dass offengelegt werden soll und dass die Gewährträger eine Hinwirkungspflicht haben.

Sie, meine Damen und Herren von den Piraten, wollen eine weitergehende Pflicht als diejenige zur Hinwirkung.

(Zuruf von den PIRATEN: Richtig!)

Ließen wir die Bedenken bezüglich der konkurrierenden Gesetzgebung, wie eben ausgeführt, einmal weg, könnte man eine solche Pflicht einführen. Selbst dann würde sich mir aber nicht erschließen, warum es sinnvoll sein sollte, etwas zu regeln, was bereits ohne ein neues Gesetz so gut funktioniert.

Jetzt noch ganz kurz zur elektronischen Veröffentlichung: Den Teil verstehe ich, ehrlich gesagt, am wenigsten – besonders nach meinem eigenen Praxistest. Herr Schulz, Sie haben das eben noch mal ausgeführt, wie bereits in der Anhörung und in zwei Ausschüssen. So kompliziert ist es aber nun auch nicht. Vier einfache Schritte reichen auf dem Weg zur Erkenntnis aus: Man gibt in das Adressfeld seines Browsers „www.bundesanzeiger.de“ ein, dann die gewünschte Sparkasse, klickt auf „Suchen“ und gelangt so zu sämtlichen Jahresabschlüssen, in deren Anhang namentlich je Vorstandsmitglied die exakte Vergütung aufgelistet ist. – Ich frage mich ernsthaft: Was will man da noch mehr?

(Ralf Witzel [FDP] und Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wer weiß das?)

– Herr Witzel, ich denke, wer hiernach auf der Suche im Internet ist, dem ist auch die Suchmaschine Google ein Begriff. Ich würde dann erläutern, wie man nicht in vier, sondern in sechs Schritten über Google zum gleichen Ergebnis kommt.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Unterm Strich funktioniert aus meiner Sicht alles, was die Piraten hier fordern, bereits jetzt, und das absolut zufriedenstellend. Dass Sie einen anderen Regelungsweg wünschen, ist legitim. Den für unsere Zustimmung notwendigen Bedarf dafür erkennen wir aber nicht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Bitte bleiben Sie gleich am Redepult stehen. Herr Kollege Schulz von den Piraten hat sich nämlich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Lieber Kollege Kämmerling, ich muss leider doch noch auf Ihre Darstellung hinsichtlich der Frage „Konkurrierende Gesetzgebung: ja oder nein?“ eingehen.

Wir haben in der Expertenrunde von drei versierten und als absolute Koryphäen zu bezeichnenden Bankjuristen gehört, dass der hier infrage stehende Regelungstatbestand dem Sparkassenverfassungsrecht und nicht dem materiellen Sparkassenrecht angehört, welches in der Tat der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegen könnte, auch unter Berücksichtigung aktienrechtlicher Bestimmungen.

Fakt ist: Die Regelungen, die wir in den Raum gestellt haben, haben alle Experten eindeutig als möglicherweise in die Gesetzgebungskompetenz des Landes fallende Regelungen angesehen.

Würden Sie diesen drei unter anderem von Ihrer Fraktion geladenen Experten denn ins Zeugnis schreiben wollen, dass sie unrecht haben? Das kann meines Erachtens nicht angehen.

Und wenn Sie ausführen, dass das, was in § 19 Sparkassengesetz, im Transparenzgesetz NRW und in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen existent ist und wunderbar – nach Ihren Worten „absolut“ – funktioniert, frage ich Sie: Wie kann es sein, dass noch am 25. Juni 2014 drei gallischen Dörfern in Nordrhein-Westfalen entsprechende Schreiben übermittelt werden müssen?

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit ist beendet.

Stefan Kämmerling (SPD): Vielen Dank für Ihre Kurzintervention. - Sie machen hier dasselbe wie in der Anhörung, dasselbe wie bei der Auswertung in den Ausschüssen: Sie nehmen sich einzelne Punkte heraus, die in den Stellungnahmen der Gutachter bzw. der Sachverständigen gestanden haben. Schauen wir uns doch einmal genau an, was die gesagt haben.

Der Rheinische Sparkassen- und Giroverband bezieht sich in seiner schriftlichen Stellungnahme auf das Urteil des OLG Köln vom 9. Juni 2009 und in Verbindung damit auf den Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 22. September 2009. Ich zitiere:

Ich stelle erstens fest,

„dass eine landesrechtliche Norm über die Veröffentlichung der individuellen Vorstandsbezüge … gegen die in Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG getroffene Verteilung der Gesetzgebungs­kompetenz zwischen Bund und Ländern verstößt.“

 (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das sind Sparkassen- und Girokonten!)

Zweitens. Professor Dr. Oebbecke von der Universität Münster – ich zitiere –:

 „Rechtspolitisch kommt es hier m. E. vor allem darauf an, ob eine entsprechende gesetzliche Regelung erforderlich ist. Diese Frage ist m. E. zu verneinen. Trotz der wie gezeigt eher schwachen Ausgestaltung der Regelung wird sie inzwischen nach jüngsten Presseberichten von 100 der 104 Sparkassen im Lande, also mehr als 96 % umgesetzt.“

Und jetzt kommt mein Lieblingssatz aus der Stellungnahme. Da heißt es nämlich:

„Es gibt eine ganze Reihe von Feldern, wo gesetzliche Regelungen nicht umgesetzt und gesetzgeberisches Nachbessern zur Erreichung von Regelungszielen dringender erscheint.“

Schauen wir uns die beiden anderen …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Stefan Kämmerling (SPD): … – ich glaube, ich habe noch zehn Sekunden Zeit – auch noch an.

Prof. Helmut Siekmann sagt:

„Fraglich ist, ob die vorgeschlagenen Regelungen in die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes fallen.“

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Stefan Kämmerling (SPD): Ich zitiere weiter:

„Die vorgeschlagene Regelung könnte in das Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 11 GG fallen.“

Wir könnten noch zu Herrn Klein von Hostettler, Kramarsch & Partner kommen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Nein, das können wir nicht mehr. Das tut mir leid, die Zeit ist jetzt wirklich um.

(Zuruf von der SPD: Herr Schulz ist auch unbelehrbar!)

Stefan Kämmerling (SPD): … denn die würden das noch mal unterstreichen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Kämmerling. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Jung.

Volker Jung (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz und Herr Kämmerling, Sie haben recht: Wir haben schon ausführlich über diesen Gesetzentwurf der Piraten gesprochen.

Aber auf eine Stelle möchte ich hinweisen, das ist für mich ein ganz zentraler Punkt dieser Debatte: Nordrhein-Westfalen hat bereits ein gut funktionierendes Transparenzgesetz. Denn es war dieser Landtag, der vor fünf Jahren über die Fraktionsgrenzen hinweg ein Gesetz verabschiedet hat, mit dem Nordrhein-Westfalen eine Vorreiterrolle im Zusammenhang mit Transparenz bei öffentlichen Unternehmen einnimmt hat.

Auf der Grundlage dieses Gesetzes haben nach meinen Recherchen mittlerweile 99 der 105 Sparkassen in Nordrhein-Westfalen ihre Vergütung angegeben. 99 Sparkassen sind diesen wichtigen Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz mitgegangen, das sind 94 %.

Zur Einschätzung dieser Quote – Herr Kämmerling, Sie haben es eben gesagt – möchte ich auf eine Äußerung in der öffentlichen Anhörung hinweisen. Dort führte Prof. Janbernd Oebbecke aus, dass der Gesetzgeber mit einer solch guten Gesetzeserfüllung zufrieden sein könne. Wörtlich sprach er von einer „extrem hohen Quote“, denn ihm würden viele Gesetze einfallen, bei denen man eher nachbessern müsste.

Natürlich ist es nicht hinnehmbar, dass sechs Sparkassen bislang noch keine Angaben gemacht haben. Das ist aus unserer Sicht, aus meiner Sicht aber kein Problem der gesetzlichen Grundlage, sondern der praktischen Umsetzung. In der abschließenden Sitzung unseres Fachausschusses hat das Finanzministerium übrigens erklärt, dass man bei diesen sechs Sparkassen inzwischen einen Schritt weiter sei.

Dass alle Sparkassen ausnahmslos die Vergütung offenlegen, war der erklärte Wille aller Fraktionen dieses Hohen Hauses. Das ist nun die Aufgabe des Finanzministers, den wir hier ausdrücklich in die Pflicht nehmen. Gerade öffentliche Unternehmen wie Stadtwerke oder Sparkassen stehen im Blickpunkt, weshalb wir für besondere Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Gelder zu sorgen haben.

Dies ist uns mit dem damals eingebrachten Gesetz praxisgerecht und mit Augenmaß gelungen. Sparkassen leben nun mal von dem Vertrauen ihrer Kunden, aber auch von einem soliden ordnungspolitischen Umfeld. Man muss daher ganz nüchtern feststellen: Das geltende Transparenzgesetz ist ein gutes Gesetz. Eine Änderung dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen ist nicht erforderlich. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen, meine Herren! Frau Präsidentin! Auch wir werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen wollen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das wissen wir ja!)

Herr Kämmerling hat gerade schon hinreichend ausgeführt, dass verfassungsrechtliche Bedenken vonseiten der Sachverständigen vorgetragen worden sind. Und wenn Sie sich fragen, inwieweit die jetzige Regelung erfolgreich ist, dann möchte ich dazu aus dem Ausschussprotokoll vom 8. Mai 2014 zitieren. Herr Gerhard Heilgenberg hat dazu ausgeführt: „Wir sind noch mit insgesamt vier Sparkassen“ – nicht sechs – „in Diskussionen.“ In Kleve will der Vorstand veröffentlichen, der Verwaltungsrat sagt aber noch nein. In Wermelskirchen sagt der Vorstand, er will nicht veröffentlichen; auch der Verwaltungsrat will das nicht. Bezogen auf die Sparkasse Werne bzw. die Sparkasse Fröndenberg hat man sich dazu entschieden, zu veröffentlichen. Da warten wir mal die entsprechenden Berichte ab, die bald erscheinen werden. Dann werden Sie im Geschäftsbericht die entsprechenden Aussagen wiederfinden.

Das heißt, von 105 Sparkassen verbleiben noch zwei. In diesem Zusammenhang ist von den Beteiligten, sprich: dem Finanzministerium, vorgetragen worden, dass kommunalaufsichtliche Maßnahmen ergriffen werden. Wie die aussehen, das haben Sie gerade vorgetragen. Ich denke, das macht bei den Beteiligten Eindruck.

Zum Schluss möchte ich gerne noch auf das eingehen, was Prof. Oebbecke gesagt hat. Er führte aus – ich zitiere –:

„Wie gesagt, ich würde aus verschiedensten Gründen gegenwärtig davon absehen.“

Er spricht von diesem Gesetzentwurf.

„Legen Sie es sich auf Wiedervorlage. Ich denke, Sie kommen noch in dieser Legislaturperiode auf 100 %. Und wenn Sie dann bei 99,2 % sind, ist das immer noch glänzend. Gucken Sie doch mal, was aus dem wird, was Sie hier sonst so beschließen!“

Dem kann man nur zustimmen. Insofern sehen wir keinen Handlungsbedarf und werden den Gesetzentwurf daher ablehnen. – Vielen Dank.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits vor fast fünf Jahren hat der Landtag Nordrhein-Westfalen Ende 2009 auf Initiative auch der FDP-Landtagsfraktion das Gesetz zur Schaffung von mehr Transparenz in öffentlichen Unternehmen im Lande Nordrhein-Westfalen – Transparenzgesetz – beschlossen. Dieses Gesetz sieht unter anderem in Art. 3 nachfolgende Regelungen für das Sparkassengesetz vor:

Zu publizieren sind die gewährten Bezüge jedes einzelnen Mitglieds des Vorstands, des Verwaltungsrates und ähnlicher Gremien unter Namensnennung, aufgeteilt nach erfolgsunabhängigen und erfolgsbezogenen Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung. Dasselbe gilt für die Sparkassen- und Giroverbände.

Diese Verpflichtung zur Vergütungsoffenlegung schließt nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich die Leistungen ein, die den genannten Mitgliedern für den Fall einer vorzeitigen oder regulären Beendigung ihrer Tätigkeit zugesagt worden sind, mit ihrem Barwert sowie dem von der Gesellschaft während des Geschäftsjahres hierfür aufgewandten oder zurückgestellten Betrag sowie den während des Geschäftsjahres vereinbarten Änderungen dieser Zusagen und Leistungen.

Der Hintergrund dieser Regelungsnotwendigkeit ist offensichtlich. Unternehmen der öffentlichen Hand agieren genau wie die öffentlichen Verwaltungen selber im Interesse und zum Nutzen der Bürger. Finanziert sich das Unternehmen zu wesentlichen Teilen aus öffentlichen Mitteln oder trägt die öffentliche Hand das Risiko unternehmerischen Handelns, kommt dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit ein ganz besonderer Stellenwert zu. Dies betrifft auch die Frage, welche Vergütungen Vorstände und Geschäftsführer, aber auch einzelne Mitglieder von Aufsichtsgremien in öffentlichen Unternehmen für ihre Tätigkeit genau erhalten.

Bereits im Jahr 2011 hat die FDP-Landtagsfraktion Vollzugsdefizite beim Transparenzgesetz thematisiert. Die Landesregierung musste einräumen, dass die gesetzlich vorgesehene Publikation der Vergütung von Vorständen und Verwaltungsräten seinerzeit in vielen Instituten noch gar nicht oder nur teilweise erfolgt ist – siehe dazu auch Landtagsdrucksache 15/3171.

Dies haben im Dezember 2012 auch SPD und Grüne erkannt. In einem Antrag fordern sie die Landesregierung auf, weiterhin mit aller Konsequenz auf Sparkassen und deren Träger hinzuwirken, die Vergütung von Vorständen und Verwaltungsräten wie im Transparenzgesetz festgeschrieben offenzulegen.

Nicht wenige nordrhein-westfälische Sparkassen vor Ort haben lange Zeit keinen Hehl daraus gemacht, dass sie gegen die landesgesetzlichen Vorschriften sind und deshalb auch dagegen verstoßen wollen. Etliche Jahre hat die Mehrzahl der Sparkassen die Transparenzvorschriften nicht vollständig und korrekt erfüllt. Das ist nicht in Ordnung und irritiert insbesondere die vorbildlichen Sparkasseninstitute, die umgehend und vollständig die gesetzlichen Auflagen erfüllt haben und sich ärgern, wenn andere dies nicht machen und dieser Umstand dann folgenlos bleibt.

Sparkassen als Anstalten öffentlichen Rechts haben einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen und unterliegen den Grundsätzen des Verwaltungsorganisationsrechts. Sie müssen daher den Transparenz- und Kontrollansprüchen der Bürger und ihrer Repräsentanten in den Parlamenten genügen.

Zur Wahrheit gehört zweierlei. Seitdem die Weigerungen regelmäßig öffentlicher Diskussionsgegenstand gewesen sind, hat sich die Lage deutlich verbessert. Die allermeisten Institute erfüllen heute ihre Verpflichtungen. Der Weg zum Auffinden der Informationen ist aber für die interessierte Öffentlichkeit manchmal etwas mühselig. Eine einfach auffindbare Darstellung im Internet wäre deutlich geeigneter als versteckte Informationen im Anhang von Geschäftsberichten im „Bundesanzeiger“.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Witzel, diesmal unterbreche ich Sie korrekterweise, glaube ich; denn Herr Kollege Schulz würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ralf Witzel (FDP): Ja, selbstverständlich.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege Witzel.

(Zurufe von Martin Börschel [SPD] und Jochen Ott [SPD])

– Möchten Sie auch eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Börschel? Dann tun Sie das. – Herr Kollege Witzel, sind Sie der Auffassung …

(Unruhe)

– Frau Präsidentin, ich würde gerne meine Zwischenfrage stellen, und zwar so, dass ich mich selbst noch hören kann.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Schulz, tun Sie das bitte. So schrecklich laut ist es im Moment nicht. Es sind auch gar nicht so viele Abgeordnete da, dass es richtig laut sein könnte.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Die sind dann aber sehr laut. – Gut, ich stelle meine Zwischenfrage.

Herr Kollege Witzel, sind Sie der Auffassung, dass die Hinwirkungspflicht, wie sie normiert ist, ein ausreichendes gesetzlich relevantes Instrument ist, um im Hinblick auf die Altfälle der Sparkassen, aber auch jeden künftigen neuen Fall tatsächlich die notwendige Pflichterfüllung zu bewirken?

Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Schulz, ich antworte Ihnen selbstverständlich gern auf Ihre Frage. Eine Hinwirkungspflicht kann für sich genommen nicht zwingend eine 100-%-Umsetzung sicherstellen. Wir haben aber eine Güterabwägung vorzunehmen gehabt, wie das die Experten auch dargestellt haben. Dabei ging es um die Frage, was man in der Regelung noch für praktikabel hält und was nicht.

Ich sage Ihnen ganz klar: Mich ärgert es, wenn die Hinwirkungspflicht als solche im Ergebnis noch nicht einen Erfolg der Gesetzesumsetzung realisiert. Ich würde mir vom Finanzminister auch noch Ausführungen dazu wünschen, wie er mit den letzten verbliebenen Institutsvorständen umzugehen gedenkt, die sich bislang weigern und klar deutlich machen, dass sie auch zukünftig nicht an Publikationen denken. In der Abwägung zwischen dem, was man rechtssicher problemlos machen kann, und anderen Konstruktionen haben wir uns seinerzeit aber für diesen Weg entschieden.

Herr Kollege Schulz, deshalb haben wir für Ihr Anliegen, das Sie in Ihrem Gesetzentwurf artikulieren, auch grundsätzlich Sympathie. Einige Aspekte und Anforderungen – in puncto Maschinenlesbarkeit etc  – gehen uns dann aber doch zu weit. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte, die für und gegen ein solches Gesetz sprechen, werden wir uns letztlich der Stimme enthalten.

Der Finanzminister muss seinen Ankündigungen, zukünftig konsequenter als bislang gegen die schwarzen Schafe vorzugehen, nun auch konkrete Taten folgen lassen. Es ist und bleibt daher eine zentrale Aufgabe der Sparkassenaufsicht sowie der Kommunalaufsicht, endlich und zeitnah die von uns als Gesetzgeber erwartete Vergütungsoffenlegung zu erwirken.

Ich will für die FDP-Landtagsfraktion ausdrücklich sagen – das ist im Bereich finanzpolitischer Themen ja längst nicht immer der Fall –, dass die Übereinstimmung in der Zielsetzung aller fünf Fraktionen dieses Hauses sicherlich etwas wert ist. Ich unterstelle dem Finanzminister auch nicht, dass er persönlich das Gesetz nicht richtig umsetzen wolle.

Aber genau deshalb würde ich Sie bitten, dem Parlament darzulegen, wie Sie mit den letzten verbliebenen Fällen zu verfahren gedenken, wo dieses Bewusstsein für Gesetzesumsetzung für Transparenz noch nicht angekommen ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Landesregierung spricht Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will erstens sagen, dass wir in der Tat ein ausreichendes Transparenzgesetz haben, das dieser Landtag 2009 einstimmig beschlossen hat. Jedenfalls hat er die Hinwirkungspflicht darin einstimmig beschlossen. Diese Hinwirkungspflicht funktioniert nicht von selbst. Das haben wir erlebt.

Wir haben aber erlebt, dass diese Hinwirkungspflicht umgesetzt werden kann, wenn man entsprechenden Druck ausübt und deutlich macht, dass man die schwarzen Schafe nicht im Geheimen davonkommen lässt. Das haben wir gerade in den letzten, ein, zwei Jahren sehr eindrucksvoll erlebt. Das hat dazu geführt, dass der Sachverständige Oebbecke unter anderem gesagt hat: Glückwunsch zu dem hervorragenden Ergebnis bei der Umsetzungsquote! – Das hat man bei vielen stringenteren gesetzlichen Regelungen in dieser Größenordnung nicht.

Ich bin etwas verwundert, dass, wenn man dieser Hinwirkungspflicht nachkommt und Briefe an die Gewährträger bzw. an diejenigen schreibt, die für die Sparkassen zuständig sind, in denen man deutlich macht, dass man es nicht durchgehen lässt, wenn der Hinwirkungspflicht nicht nachgekommen wird, das jetzt auf einmal ein Problem ist.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Nein!)

Wir machen das auf der Grundlage des geltenden Gesetzes. Deswegen haben wir es erreicht, dass es nur noch so wenige gibt, die als schwarze Schafe übriggeblieben sind. Sie haben gehört, wir machen das bei den Verwaltungsräten so, dass wir Konsequenzen ziehen, wenn die Hinwirkungspflicht nicht eingehalten wird. Und was die Vorstände angeht, werden wir uns auch an die noch einmal wenden, spätestens nach der Sommerpause.

Ich bin sicher, dass wir dann die 100 % erreichen. Und wenn wir sie bis dahin nicht erreicht hätten, sind wir immer noch besser als manche stringentere gesetzliche Regelung.

Noch eines, was die Veröffentlichung im Internet angeht: Ich gehöre zu denen, die da wirklich sehr für Transparenz sind. Aber dass das nicht vorne auf der ersten Seite als erste Information auf der Homepage einer Sparkasse stehen muss, ist, glaube ich, auch in Ordnung. Es muss sichergestellt sein, dass die Informationen aufgefunden werden können, und – wir haben es heute gehört – das ist es. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 18.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/6144, den Gesetzentwurf der Fraktion der Piraten Drucksache 16/4165 abzulehnen. Wir kommen damit zur Abstimmung nicht über die Beschlussempfehlung, sondern direkt über den Gesetzentwurf. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU. Wer enthält sich? – Die FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Gesetzentwurf Drucksache 16/4165 in zweiter Lesung abgelehnt.

Ich rufe auf:

19       Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5545 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/6145

zweite Lesung

Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben (siehe Anlage 5), sodass wir direkt zur Abstimmung kommen können.

Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in Drucksache 16/6145, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Damit kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/5545 - Neudruck. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU und die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die FDP. Herr Kollege Stein (fraktionslos) hat zugestimmt. Das tragen wir fürs Protokoll nach. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Gesetzentwurf Drucksache 16/5545 - Neudruck - in zweiter Lesung unverändert angenommen und verabschiedet worden.

Ich rufe auf:

20       Gesetz zur Aufhebung der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare und zur Anpassung weiterer Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5981

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs hat Herr Minister Dr. Walter-Borjans mitgeteilt, dass er seine Rede zu Protokoll  geben wird (siehe Anlage 6) bzw. schon gegeben hat. Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Möchte jemand gegen diese Überweisung stimmen? – Nein. Sich enthalten? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

21       Qualitätsanalyse – ein wichtiger Baustein für die Schulqualität

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6121

Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Antrages Drucksache 16/6121 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die Aussprache und Abstimmung sollen gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

22       Anmeldung zum Rahmenplan 2014 bis 2017 nach § 7 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK)

Unterrichtung
des Landtags
gemäß § 10 Absatz 3 LHO
Vorlage 16/1916

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/6146

Eine Debatte ist nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/6146, den Rahmenplan zur Kenntnis zu nehmen. Möchte jemand den Rahmenplan nicht zur Kenntnis nehmen? Sich enthalten? Wie eine Enthaltung bei Kenntnisnahme geht, weiß ich zwar nicht, aber beides ist nicht der Fall. Dann ist der Rahmenplan damit zur Kenntnis genommen worden und die Beschlussempfehlung Drucksache 16/6146 auch so angenommen.

Wir kommen zu:

23       Mitteilung nach § 15 des Abgeordnetengesetzes NRW

Unterrichtung
durch die Präsidentin
des Landtags
Drucksache 16/6147

Ich habe die Daten zur Übermittlung eines Anpassungsbedarfs der Abgeordnetenbezüge mit Drucksache 16/6147 veröffentlicht. Die Daten sind damit dem Landtag zugeleitet worden. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Ich stelle fest: Der Landtag hat sich mit der Unterrichtung Drucksache 16/6147 befasst. – Dem wird auch nicht widersprochen.

Ich rufe auf:

24       Benennung eines stellvertretenden Mitglieds für den Ausschuss der Regionen der Europäischen Union

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache
16/6148

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen damit direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag, der die Drucksachennummer 16/6148 trägt. Ist jemand mit dem Wahlvorschlag nicht einverstanden? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag angenommen und Herr Engstfeld als stellvertretendes Mitglied in den Ausschuss der Regionen gewählt worden. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Engstfeld.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe auf:

25       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 21
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a.F.)
Drucksache 16/6149

Die Übersicht 21 enthält insgesamt elf Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 Geschäftsordnung – § 79 Abs. 2 alte Geschäftsordnung – an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie fünf Entschließungsanträge. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen in den Ausschüssen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in dem Ausschuss entsprechend der Übersicht 21. Möchte jemand dagegen stimmen? – Sich enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Damit ist das in der Übersicht 21 enthaltene Abstimmungsergebnis der Ausschüsse von Ihnen bestätigt worden.

Ich rufe auf:

26       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/23


Wird das Wort dazu gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse damit bestätigt worden sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 3. Juli 2014, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:47 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 


Anlage 1

Zu TOP 13 – „Gesetz über die Zulassung von Zentren und über die Einrichtung der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik in Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Reden

Angela Lück (SPD):

Das in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich von Gesetzes wegen strafbewehrte strikte Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) wurde nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2010 novelliert. Danach ist eine nach extrakorporaler Befruchtung beabsichtigte PID-Untersuchung auf schwere genetische Schäden nach dem Embryonenschutzgesetz möglich.

Nach einer intensiven öffentlichen Diskussion und dem ebensolchen Austausch zwischen Befürworten und Gegenpositionen (u. a. unter Beteiligung der Kirchen, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, des Deutschen Ethikrates und des Deutschen Ärztetages) sowie der parlamentarischen Befassung sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat ist seit dem Jahresende 2011 eine PID zwar im Grundsatz verboten – aber in engen Grenzen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Wenn aufgrund der genetischen Veranlagung der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist, kann die PID beantragt werden.

Die Präimplantationsdiagnostikverordnung des Bundes aus dem vergangenen Jahr übertrug den 16 Ländern die Aufgabe, landesrechtliche Regelungen zur Zuständigkeit von Zulassungsbehörden für PID-Zentren und zur Errichtung von Ethikkommissionen zu treffen.

Wir als SPD-Fraktion begrüßen und unterstützen die im Gesetzentwurf getroffenen Aufgabenzuweisungen.

Unter Hinzuziehung der beiden Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe hat der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Gesetzentwurf eingehend beraten und mit großer Mehrheit – vorbehaltlich der jeweiligen Fraktionsentscheidung in Vorbereitung der heute anstehenden Abstimmung – unverändert so angenommen.

Die Anregungen der beiden Ärztekammern haben wir gerne aufgenommen und mit dem heute vorliegenden Antrag Drucksache 16/6207 eingebracht.

Wir sprechen uns für eine Ethikkommission landesweit aus. Hinsichtlich der Berichterstattung, der Gebührenerhebung und bei den Voten der Ethikkommission erachten wir es für sinnvoll und notwendig, Änderungen bzw. Konkretisierungen im endgültigen Gesetzestext vorzusehen. Daher stimmen wir dem Gesetzentwurf der Landesregierung und dem gemeinsam von den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gestellten Änderungsantrag zu.

Peter Preuß (CDU):

Wir beraten hier heute über das Präimplantationsdiagnostikgesetz.

Es geht formal um die Umsetzung der PID-VO des Bundes.

Inhaltlich geht es mit dem vorliegenden Änderungsantrag zum einen um die Anzahl der Präimplantationszentren. Mit Blick hierauf ist die Einrichtung eines Zentrums für ganz NRW richtig.

Zum anderen sind auch die aufgeworfenen Fragen der Kostendeckung für den Verwaltungsaufwand bei der Ärztekammer sowie des Sondervotums der Kommissionsmitglieder aus unserer Sicht berechtigt.

Aber für manchen geht es hier nicht bloß um die Abstimmung über ein Ausführungsgesetz. Vielmehr geht es beim Präimplantationsgesetz auch um eine Gewissensfrage, die schwer wiegen kann. Wenn jemand die Präimplantationsdiagnostik prinzipiell aus ethischen und/oder religiösen Gründen ablehnt, muss er die Möglichkeit haben, sich seiner Stimme zu enthalten oder auch mit „Nein“ zu stimmen!

Bereits in Berlin gab es im Rahmen der Abstimmung über die PID-Verordnung Bedenken. Aus diesem Grund wurde die Abstimmung dort seinerzeit freigegeben.

Diesem Vorgehen wollen wir uns auch bei unserer heutigen Debatte anschließen. Dies schließt Abstimmungen über einzelne Formulierungen und inhaltliche Regelungen genauso ein wie das gesamte Gesetz.

Jede Abgeordnete, jeder Abgeordnete muss sich bei einem so schwerwiegenden Thema seinem Gewissen und seiner Überzeugung entsprechend entscheiden können.

Ich bitte das Plenum, die Schwere der Entscheidung in diesem Fall in der laufenden Debatte und bei der anstehenden Abstimmung zu bedenken.

Arif Ünal (GRÜNE):

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Ausführungsgesetz zur Umsetzung der bundesrechtlichen Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik. Die Präimplantationsdiagnostik ist eine Diagnostikmethode, womit man bei durch In-vitro-Fertilisation entstandenen Embryonen vor dem Transfer in die Gebärmutter vererbbare, autosomal-rezessive, autosomal-dominante und geschlechtsgebundene Krankheiten wie das Turner-Syndrom, Klinefetter-Syndrom usw. nachweisen kann.

Die Präimplatationsdiagnostikverordnung (PIDV) des Bundes in der Fassung vom 21. Februar 2013 überträgt den Ländern die Aufgabe, landesrechtliche Regelungen zur Zuständigkeit von Zulassungsbehörden für Zentren für Präimplantationsdiagnostik und zur Einrichtung von Ethikkommissionen zu treffen.

Das zu errichtende Zulassungszentrum entscheidet, welche Zentren die Voraussetzungen des § 3a Abs. 3 Nr. 3 ESchG in Verbindung mit § 3 PIDV erfüllen. Und die Ethikkommission prüft die Zulässigkeit der Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik anhand einer medizinischen Indikation nach § 3 Abs. 2 ESchG (Gesetz zum Schutz der Embryonen).

Mit dem Änderungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen wir in NRW nicht, wie es im Gesetzentwurf vorgesehen wurde, zwei, sondern nur ein Zentrum für die Zulassung der Zentren gründen, weil wir davon ausgehen, dass in NRW nicht so viele Anträge für eine Zentrengründung vorliegen werden. Aus diesem Grund sehen wir auch keine Notwendigkeit, zwei Zentren in NRW zu etablieren.

Die weiteren Änderungen umfassen zum einen redaktionelle Anpassungen, zum anderen Regelungen, die die internen Abläufe optimieren und somit die Arbeit in der Ethikkommission erleichtern sollen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie unseren Änderungsantrag unterstützen.

Susanne Schneider (FDP):

Ich darf größtenteils an das anschließen, was meine Vorredner bereits gesagt haben. Inhaltlich brauche ich also gar nicht mehr weit auszuführen.

Das Gesetz über die Zulassung von Zentren und über die Einrichtung der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik in Nordrhein-Westfa-len (PIDG NRW) schafft landesrechtliche Regelungen, die durch das vom Bund verabschiedete Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) erforderlich wurden.

Durch das Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik bleibt die Durchführung einer PID in Deutschland grundsätzlich verboten.

Der Bund hat aber für Paare mit einem hohen Risiko der Vererbung einer schweren Erkrankung Ausnahmemöglichkeiten zugelassen. Sie können eine Einzelfallprüfung beantragen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat nun die Behörde zu bestimmen, die Zentren zur Präimplantationsdiagnostik zulassen kann, sowie eine Ethikkommission einzurichten und deren Verfahrensweise und Zusammensetzung zu regeln.

Die FDP-Fraktion begrüßt die entsprechenden Regelungen und die weitere Ausgestaltung des Gesetzes.

Bei der geschätzten Zahl von 60 Anträgen pro Jahr halten wir die Einrichtung eines Präimplantationsdiagnostikzentrums für ausreichend. Ein zusätzliches Zentrum würde mehr Kosten und Aufwand bedeuten.

Mit der Änderung zum § 2 Absatz 3 im gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wird dem berechtigten Änderungswunsch der Ärztekammer Westfalen-Lippe Rechnung getragen, da neben der Erstzulassung der Zentren auch die Überprüfungen der Zulassung eines PID-Zentrums mit Verwaltungsaufwand auf Seiten der Kammer verbunden sein können. Dieser Aufwand sollte aus unserer Sicht zu Recht auch vergütet werden.

Die Präimplantationsdiagnostikkommission soll bei der Ärztekammer Nordrhein angesiedelt werden. Dieses ist aus unserer Sicht sinnvoll.

Die Entscheidung über die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik trifft die bei der Ärztekammer Nordrhein angesiedelte Kommission. In einem Sitzungsprotokoll werden die verschiedenen Positionen festgehalten, also auch abweichende Positionen. Diesen Prozess halten wir für ausreichend, um die Entscheidung transparent zu machen.

Die Darlegung eines Sondervotums wurde für sinnvoll gehalten, wenn man in einem anderen Bundesland erneut einen Antrag stellen kann. Dann wäre direkt deutlich geworden, wer eine zustimmende oder ablehnende Haltung hätte. Damit besteht natürlich die Gefahr, sich Kommissionen auszusuchen, in der möglicherweise mehr zustimmende Stimmen versammelt sind. Mit dem Wegfall des Sondervotums bleibt dennoch die Möglichkeit bestehen, an bis zu fünf weitere Ethikkommissionen in Deutschland einen Antrag zu richten. Das „PID-Kommissions-Hopping“ wird aber erschwert.

Das Präimplantationsdiagnostikgesetz ist ein Beispiel für ein wichtiges Thema, bei dem wir es geschafft haben, über Fraktionsgrenzen hinweg eine Lösung zu finden und mit der Abstimmung ein wichtiges Signal zu senden.

Olaf Wegner (PIRATEN):

Da es sich bei dem PIDG NRW um ein reines Ausführungsgesetz für ein Bundesgesetz handelt, wäre eine grundsätzliche Debatte zu PIDG jetzt hier fehl am Platz.

Es bleibt uns also nur zu bewerten, ob das Ausführungsgesetz die Vorgaben des Bundes erfüllt und für das Land praktikabel ist.

Beides können wir bejahen, weshalb ich meiner Fraktion die Empfehlung gebe, dem Gesetz zuzustimmen.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:

Der vorliegende Gesetzentwurf setzt die nach der Präimplantationsdiagnostikverordnung des Bundes erforderlichen Regelungen um. Das heißt: die betreffend die Einrichtung einer Zulassungsbehörde für Präimplantationsdiagnostikzentren sowie eine Ethikkommission in Nordrhein-West-falen.

Durch das Bundesgesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik vom 21. November 2011 ist das Embryonenschutzgesetz mit Einführung des § 3a geändert worden. Die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik in Deutschland bleibt grundsätzlich verboten. Ausnahmsweise sind entsprechende Maßnahmen unter Einhaltung enger Kriterien an Zentren für Präimplantationsdiagnostik zulässig.

Die Grundsatzentscheidung ist somit bereits im Jahr 2011 auf Bundesebene gefällt worden. Wie sensibel und abwägend mit der Thematik der Präimplantationsdiagnostik umgegangen werden muss, zeichnete sich bereits bei der Abstimmung auf Bundesebene zur Änderung des hier zugrunde liegenden Embryonenschutzgesetzes ab, die ohne Fraktionszwang abgehalten wurde. Auch im hiesigen Fachausschuss wurde thematisiert, dass sich das Abstimmungsverhalten einzelner Abgeordneter in diesem speziellen Fall nicht nur auf den von meinem Haus vorgelegten Entwurf des Ausführungsgesetzes, sondern auch auf die bundesrechtlichen Vorgaben beziehen werde.

Das grundsätzliche Dilemma der Präimplantationsdiagnostik, Embryonen auf Probe zu zeugen und einer Art „Qualitätsprüfung“ zu unterziehen, bevor man sich für sie entscheidet, können wir nicht mehr auflösen. Die Grundsatzentscheidung hierfür ist mit Schaffung des Präimplantationsgesetzes bereits auf Bundesebene gefällt worden.

Die landesrechtlich vorgesehenen Regelungen orientieren sich eng am Rechtsrahmen der Bundesverordnung, um den besonderen Ausnahmecharakter der Präimplantationsdiagnostik klarzustellen.

Es soll lediglich eine Ethikkommission, angesiedelt bei der Ärztekammer Nordrhein, geben, und nur eine Behörde, angesiedelt bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe, soll sich mit den Fragen der Zulassung von Zentren für Präimplantationsdiagnostik befassen und über die Zulassung entscheiden. Dies zielt darauf ab, jeweils eine einheitliche und neutrale Entscheidungspraxis zu gewährleisten.

Die im Rahmen der Beratungen im Fachausschuss noch eingegangenen Anregungen der Landesärztekammern wurden von der Landesregierung sorgfältig geprüft. Wo sie der Präzisierung und somit Vereinfachung der Verwaltungsabläufe dienen, finden sie fachliche Zustimmung.

Wir bewegen uns hier in einem ethischen Grenzbereich – umso wichtiger ist es, durch gesetzliche Regelungen den Ausnahmecharakter entschieden zu unterstreichen und das Verfahren nur innerhalb enger Grenzen zuzulassen.

Deshalb bin ich auch mit der Beschränkung auf nur ein Zentrum in Nordrhein-Westfalen einverstanden, wie es mit dem vorliegenden Antrag angeregt wird. Schätzungen der Bundesregierung beziffern den Bedarf auf 200 – 300 PID pro Jahr in Deutschland und somit ca. 60 PID pro Jahr in Nordrhein-Westfalen. Gleichwohl wird sich der tatsächliche Bedarf erst nachdem das Gesetz in Kraft getreten und das Verfahren tatsächlich angewandt wird bestimmen lassen. Damit sind die festgelegten Berichtspflichten keine Formalien, sondern werden die Begleitung dieses Prozesses wesentlich unterstützen.

Sowohl Chancen als auch Risiken der genetischen Diagnostik müssen unter ethischen Gesichtspunkten bewertet werden. Es wird auch in Zukunft keine Welt ohne Krankheit und Behinderung geben.

Mit dem Gesetz soll genetisch vorbelasteten Paaren, die nicht selten schon einen langen Leidensweg, womöglich mit Fehlgeburten oder anderen traumatischen Erlebnissen, hinter sich haben, die Möglichkeit gegeben werden, ihren Kinderwunsch auf legalem Weg und unter optimaler medizinischer Betreuung in Nordrhein-Westfalen zu verwirklichen.


Anlage 2

Zu TOP 14 – „Zweites Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW“ – zu Protokoll gegebene Rede

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:

Ich freue mich, dem Landtag Nordrhein-Westfalen heute den Regierungsentwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW zur ersten Lesung vorzulegen.

Das Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen ist der rechtliche Rahmen und die Basis für die gute und patientinnen- und patientenorientierte Versorgung im Notfall.

Es schafft heute und zukünftig die Grundlage für ein stabiles System der Notfallversorgung im Einklang zwischen öffentlichen, karitativen und privaten Anbietern rettungsdienstlicher Leistungen.

Bereits 2012 hatten wir einen ersten Entwurf zur Verbändebeteiligung vorgelegt. Die umfangreichen Stellungnahmen wurden ausgewertet und teilweise in den Entwurf aufgenommen.

Allerdings wurde Mitte 2013 das Verfahren aufgrund der Novellierung der EU-Vergaberichtlinie angehalten. Nun hat im Frühjahr 2014 – nach Inkrafttreten der EU-Richtlinie – die zweijährige Umsetzungsfrist für den Bund begonnen.

Bis zur Umsetzung der Richtlinie durch den Bund gelten somit die vergaberechtlichen Regelungen des Bundes weiterhin grundsätzlich fort. Dies wurde in einem Schreiben des Bundeswirtschaftsministers Gabriel vom 06.05.2014 klargestellt.

Der Umgang mit der sogenannten Bereichsausnahme für Non-Profit-Organisationen wurde bereits in den Plenardebatten am 24. April 2013 sowie am 14. Mai 2014 hier im Landtag ausführlich diskutiert.

Ich bin mir sicher, dass wir mit der vorgelegten Änderung zu § 13, der Mitwirkung freiwilliger Hilfsorganisationen und anderer Leistungserbringer, eine verlässliche Regelung vorgelegt haben, mit der alle Beteiligten gut leben können und die dazu beiträgt, dass der Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen höchst professionell und vor allem im Sinne der Patientinnen und Patienten durchgeführt werden kann.

Daher haben wir bereits sehr früh begonnen, die kommunalen Spitzenverbände als Vertreter der Träger des Rettungsdienstes, die Hilfsorganisationen, die unterschiedlichen Verbände und auch die Kostenträger einzubinden. Wir haben zahlreiche und intensive Gespräche geführt und über die Gesetzesänderungen diskutiert.

Mit Erfolg, wie Sie anhand des vorliegenden Gesetzesentwurfs sehen können.

So freue ich mich, dass wir vor allem in der zunächst intensiv diskutierten Änderung des § 13 RettG NRW Einvernehmen haben erzielen können. Mein Dank für die konstruktiven Gespräche und gemeinsame Lösungsfindung gilt daher allen Beteiligten.

Darüber hinaus glaube ich, dass wir eine Neufassung der Mitwirkung von Leistungserbringern vorgelegt haben, die auch nach der in zwei Jahren zu erwartenden Vorlage der bundesrechtlichen Vorgaben zur Umsetzung der Bereichsausnahme Bestand haben kann.

Vor allem aber bietet die Regelung ein rechtssicheres Fundament und deutliches Signal, auf dem in der nächsten Zeit die Mitwirkung von Leistungserbringern im Rettungsdienst gestaltet werden kann.

Das bisher geltende Gesetz über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer aus dem Jahre 1992 wurde im Laufe der Jahre zwar schon mehrfach angepasst.

Diese Anpassungen waren aber – vor allem in den letzten Jahren – im Wesentlichen redaktioneller und formaler Natur. Eine Novellierung des Rettungsgesetzes war daher – inhaltlich wie redaktionell – erforderlich geworden.

Daher haben wir die notwendige Novellierung des Rettungsgesetzes wieder aufgenommen und legen heute ein Gesetz vor, welches die Qualität der Leistungen in den Mittelpunkt stellt und es schafft, auch zukünftig die optimale medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie die Zusammenarbeit des Rettungsdienstes mit dem Katastrophenschutz bei Großschadens-ereignissen zu gewährleisten.

Die bestehenden Rahmenbedingungen und Strukturen des Rettungswesens in Nordrhein-Westfalen, das heißt das Submissionsmodell und das Duale System als die beiden Organisationsformen des Rettungsdienstes in NRW, haben sich bewährt.

An diesem guten und in der Praxis bewährten System darf sich nichts ändern. Vielmehr schafft es unser Gesetzesentwurf, die bestehenden Strukturen qualitativ und patientinnen- und patientengerecht weiterzuentwickeln.

Mit dem vorgelegten Gesetz schaffen wir in Nordrhein-Westfalen ein rechtssicheres und verlässliches Regelwerk, welches vor allem auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abzielt.

 

Es sind daher erhebliche qualitative Verbesserungen im Rettungsdienst in NRW – einem System, das sich bereits heute auf sehr hohem Niveau befindet – enthalten.

So führen wir die gesetzliche Regelung für eine „Ärztliche Leitung Rettungsdienst“ in den Kommunen in NRW ein, die als Träger des Rettungsdienstes fungieren.

Wir bieten die Grundlage für die Verbesserung des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung und führen eine verpflichtende Regelung zur Dokumentation und zum Datenschutz ein.

Darüber hinaus sieht das Gesetz die Möglichkeit zur Bildung von Trägergemeinschaften zwischen Kommunen zur Anschaffung von intensivmedizinischen Spezialfahrzeugen (zum Beispiel für Schwergewichtige oder Neugeborene) vor.

Weiterhin wird dem neuen Beruf der Notfallsanitäterin/des Notfallsanitäters, welcher Anfang des Jahres eingeführt worden ist und in einigen Jahren den Beruf der Rettungsassistentin/des Rettungsassistenten ablösen wird, durch die landesgesetzliche Verankerung Rechnung getragen. So werden Übergangsfristen, Finanzierungsregelungen und Regelungen zur Besetzung der Rettungsmittel festgeschrieben.

Darüber hinaus wurde dem seit Jahren von kommunaler Seite vorgetragenn Wunsch, die als „Ewigkeitsgarantie“ bezeichnete zeitlich unbegrenzte Wiedererteilung rettungsdienstlicher Genehmigungen an private Unternehmen zu streichen, Rechnung getragen. Mit der Streichung dieser Passage wird es ermöglicht, eine dauerhafte Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen Inhabern von älteren Genehmigungen und neuen Anbietern zu schaffen.

Dabei entspricht es selbstverständlich rechtsstaatlichen Grundsätzen, dass derjenige Unternehmer, der jahrelang auf der Basis von Genehmigungen Krankentransporte beanstandungsfrei durchgeführt hat, bei der Wiedererteilung von Genehmigungen angemessen berücksichtigt werden muss.

Mit dem vorliegenden Entwurf des Gesetzes wird Rechtssicherheit für alle geschaffen.

Die qualitativen Verbesserungen des Systems kommen allen Bürgerinnen und Bürgern in NRW zugute. Daher werbe ich heute an dieser Stelle um Ihre Unterstützung.

 


Anlage 3

Zu TOP 15 – „Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport:

Das geltende NRW-Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz – das die Förderung der Schwangerschaftsberatungsstellen in NRW gemäß Bundesgesetz regelt – ist am 1. Juli 2006 in Kraft getreten. 2011 wurde es evaluiert.

Bei dieser Evaluation wurde unter anderem festgestellt, dass eine Gleichverteilung der Förderung unter den Trägergruppen – die damals angestrebt wurde – zu gravierenden Fehlentwicklungen führen könnte.

Eine Gleichverteilung kann nämlich dazu führen, dass geförderte FachkraftsteIlen zwischen den Trägern aus rein formalen Gründen umverteilt werden müssen. Eine Reihe von Beratungsstellen müsste dann Personal abbauen, obwohl sie ausgelastet sind.

Das wäre weder fachlich noch sozial noch wirtschaftlich vertretbar. Die Menschen in NRW müssen sich darauf verlassen können, dass sie bei diesen sehr sensiblen Themen bei Bedarf zeitnah eine kompetente Beratung und Unterstützung finden!

2012 hat der Landtag einstimmig die erste Änderung des Landesausführungsgesetzes zum Schwangerschaftskonfliktgesetz beschlossen. Es bestand Einigkeit, dass die Förderung der Schwangerschaftsberatung nach neuen Kriterien erfolgen soll – dass sie sachgerechter erfolgen soll, auch an der Nachfrage orientiert.

Nach dieser Zielrichtung hat mein Haus in enger Abstimmung mit den Trägerverbänden

     zunächst eine Datenerhebung aufgebaut,

     anschließend ein Verteilungskonzept entwickelt

     und schließlich den Gesetzentwurf erarbeitet, der dem Parlament nun zur Beratung vorliegt.

In NRW sind mindestens drei Viertel der Beratungskräfte in den Einrichtungen der freien, kirchlichen und kommunalen Träger fest angestellt. Sie werden vom Land mit 80 % der Personal- und Sachkosten gefördert.

Wenn die Anträge für diese Förderung höher sind als die Förderpflicht des Landes, muss unter den Antragstellern eine Auswahl getroffen werden. Diese Auswahl soll der vorliegende Gesetzentwurf neu regeln.

In NRW gibt es eine plurale und bewährte Trägerlandschaft, die sehr gute Arbeit leistet. Deshalb wollen wir den bisher geförderten Trägern einen möglichst großen Bestandsschutz bieten:

Jede Einrichtung kann sicher sein, dass 70 % ihrer bisherigen Fachkräfte weiter gefördert werden. Sehr kleine Beratungsstellen mit bis zu einer Fachkraft erhalten sogar eine 100%ige Bestandsgarantie.

Für die Förderung der verbleibenden PersonalsteIlen sollen künftig objektive Kriterien herangezogen werden. Diese werden die durchgeführten Beratungen und Veranstaltungen und die Berufserfahrung der Beratungskräfte berücksichtigen.

Unter dem Strich können wir sagen: Veränderungen bei der Verteilung der Fördermittel pro Beratungsstelle nach dem neuen Fördersystem werden absehbar überschaubar bleiben und sich, wenn überhaupt, in der Größenordnung von kleinen Stellenanteilen bewegen.

Zusätzliche Planungssicherheit erhalten die Beratungsstellen dadurch, dass die verfassungsrechtlich erforderliche Zuteilungschance (Öffnung) für neue Bewerber auf einen Träger pro Versorgungsgebiet und Zuteilungszeitraum begrenzt werden soll.

Die Landesregierung hat sich intensiv und unter umfassender Beteiligung der Akteure in der Beratung mit allen wichtigen Facetten dieses Themas auseinandergesetzt.

Uns war es sehr wichtig, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die verfassungsrechtlichen und die fachpolitischen Vorgaben gleichermaßen berücksichtigt.

Ich bin überzeugt. dass wir mit dem vorliegenden Entwurf eine sehr gute Grundlage dafür schaffen, die Qualität der Beratung für die betroffenen Menschen in NRW auch zukünftig zu sichern.

 


Anlage 4

Zu TOP 16 – „Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz“ – zu Protokoll gegebene Reden

Rainer Bischoff (SPD):

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie 2006/213/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (EG-Dienst-leistungsrichtlinie) war eine Regelung zur Ausführung bestimmter Verwaltungsverfahren nach dem Sprengstoffgesetz zu treffen. Diese Regelung ist im Jahr 2009 im Rahmen eines Artikelgesetzes, durch das „Ausführungsgesetz zum Sprengstoffgesetz“ erfolgt. Das Ausführungsgesetz ist in § 2 mit einer Befristung von fünf Jahren versehen worden; es würde deshalb am 31. Dezember 2014 seine Gültigkeit verlieren.

Da sich die durch die EG-Dienstleistungsrichtlinie gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen bisher nicht geändert haben und dies auch nicht zu erwarten ist, muss die materielle Regelung im Ausführungsgesetz weiterhin Bestand haben. Deshalb ist die in § 2 enthaltene Befristung zu streichen.

Ich bitte daher um Ihre Zustimmung.

Matthias Kerkhoff (CDU):

Der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf hat den Zweck, die in § 2 vorgesehene Befristung von fünf Jahren zu streichen. Durch die Befristung würde das Ausführungsgesetz am 31. Dezember 2014 außer Kraft gesetzt.

Da sich die Europäische Dienstleistungsrichtlinie (DLR), die durch das „Ausführungsgesetz zum Sprengstoffgesetz“ vom 17. Dezember 2009 umgesetzt wurde, und die sonstigen rechtlichen Rahmenbedingungen bisher nicht geändert haben und dies auch nicht zu erwarten ist, soll das Ausführungsgesetz weiterhin seine Gültigkeit behalten. Deshalb ist die bisherige Befristung zum 31. Dezember 2014 aufzuheben.

In der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 18. Juni 2014 haben alle Fraktionen dem Gesetzentwurf zugestimmt. Deshalb wird die CDU-Landtagsfraktion auch heute diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Martina Maaßen (GRÜNE):

Die Begründung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz ist für uns nachvollziehbar und richtig.

An dieser Stelle kann ich mich äußerst kurz fassen. Bei dem Änderungsgesetz geht es faktisch lediglich um eine Entfristung, damit die bewährte Handhabung über den 31.12.2014 hinaus Gültigkeit hat. Die EG-Dienstleistungsrichtlinie machte und macht diese Regelung zur Ausführung der aufgeführten Verwaltungsverfahren über eine einheitliche Stelle notwendig.

Die Fraktion der Grünen stimmt dem Gesetzentwurf zu.

Ulrich Alda (FDP):

Inhaltlich brauche ich die Änderung gar nicht mehr groß auszuführen.

Das Ausführungsgesetz zum Sprengstoffgesetz ist in § 2 mit einer Befristung von fünf Jahren versehen worden; deshalb würde es am 31. Dezember 2014 seine Gültigkeit verlieren. Da sich die Europäische Dienstleistungsrichtlinie und die sonstigen rechtlichen Rahmenbedingungen bisher nicht geändert haben und dies auch nicht zu erwarten ist, muss die materielle Regelung des Ausführungsgesetzes weiterhin Bestand haben.

In der Zeit der schwarz-gelben Landesregierung wurden Gesetzesvorhaben und Ausführungsverordnungen befristet. So sollte die Möglichkeit für eine erneute Evaluierung gegeben werden und sollten nicht mehr sachgerechte Regelungen überprüft werden.

Eine Befristung ist aus unserer Sicht generell sinnvoll, denn Rechtssätze müssen sich nicht nur bei Erlass, sondern gerade auch im Zeitablauf stets sachlich rechtfertigen lassen.

Das Ausführungsgesetz soll gemäß vorliegendem Gesetzentwurf nun entfristet werden. Im Rahmen einer Entfristung würden keine Kosten entstehen und Kommunen würden nicht belastet werden. Auch wenn wir zu einer konsequenten Befristung von Gesetzen zurückzukehren möchten, erkenne ich hier, dass diese Regelung weiterhin Bestand haben muss. Somit stimmen wir einer Entfristung zu.

Olaf Wegner (PIRATEN):

Das „Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz“, bei dem es sich um eine sinnvolle Entfristung handelt, wurde ohne Anhörung oder Debatte von allen Fraktionen einstimmig positiv abgestimmt.

Somit gebe ich meiner Fraktion hier und heute natürlich die Empfehlung, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales:

Der Gesetzentwurf dient leidglich dazu, die Befristung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz aufzuheben. Das Ausführungsgesetz war 2009 zusammen mit anderen Gesetzen erlassen worden, um die EG-Dienstleistungs-richtlinie umzusetzen. Regelungsinhalt: Konkrete Bestimmung, welche Verwaltungsverfahren nach dem Sprengstoffrecht entsprechend der EG-Richtlinie durch eine sogenannte Einheitliche Stelle abgewickelt werden können.

Entsprechend der damaligen generellen Vorgabe der Landesregierung war auch das Ausführungsgesetz mit einer pauschalen Befristung von fünf Jahren versehen worden. Das Gesetz würde daher Ende 2014 außer Kraft treten.

Da sich die EG-Dienstleistungsrichtlinie nicht geändert hat, muss die im Ausführungsgesetz getroffene Regelung weiterhin Bestand haben. Daher soll die bestehende Befristung entfallen. Dies entspricht auch dem Kabinettsbeschluss vom 20. Dezember 2011, dass Gesetze nicht mehr befristet werden sollen.


Anlage 5

Zu TOP 19 – „Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz“ – zu Protokoll gegebene Reden

Ina Spanier-Oppermann (SPD):

Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet die Änderung von § 2 Abs. 1 und 4 des Ausführungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vom 30.01.1973 (GV. NRW. 1973 S. 57), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.06.2009 (GV. NRW. S. 392) in Form einer Neuregelung der Zuständigkeit für die Bearbeitung von BAföG-Anträgen für eine Ausbildung im Ausland. Zudem die Aufhebung der Berichtspflicht aus § 4 AG BAföG NRW für die Zukunft. Durch das Änderungsgesetz zum AG BAföG NRW wird der entstandene Widerspruch zwischen Bundesrecht und Landesrecht mit der bundesrechtlichen Vorgabe der BAföG Auslandszuständigkeitsverordnung ausgeräumt.

Der federführende Ausschuss für Schule und Weiterbildung hat in seiner Sitzung am 25. Juni 2014 (Beschlussempfehlung und Bericht Drucksache 16/6145) den vorliegenden Gesetzentwurf beraten und empfiehlt dessen Annahme in der heutigen Sitzung.

Petra Vogt (CDU):

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die Landesregierung ihrer Berichtspflicht zur Überprüfung der Wirksamkeit der angesprochenen Gesetze nach. Gleichzeitig werden Änderungen als Reaktion auf bundesrechtliche Vorgaben bei der BAföG-Auslandszuständigkeitsverordnung vorgenommen.

Da die Wirksamkeitsprüfung positiv ausgefallen ist und die zuständigen Fachausschüsse einstimmig zugestimmt haben, empfehle auch ich jetzt im Namen der CDU-Fraktion eine Zustimmung.

Ali Bas (GRÜNE):

Mit dem Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Bundesausbildungsförderungsgesetz nimmt das Land NRW die vormals beschlossene notwendige Überprüfung zur Wirksamkeit des Ausführungsgesetzes vor und kommt zu einem positiven Ergebnis.

Die Berichtspflicht zur Wirksamkeit des Gesetzes soll demnach künftig entfallen.

Aus unserer Sicht ist das ein Vorgang, den wir unterstützen.

Mit der geänderten bundesrechtlichen Vorgabe der BAföG-Auslandszuständigkeitsverordnung wird auch geklärt, dass die Bezirksregierung Köln künftig für die Ausbildungsförderung in den Benelux-Ländern zuständig sein wird. Dies unterstützen wird ebenfalls.

Insgesamt stimmen wir dem Gesetzentwurf der Landesregierung somit zu.

Yvonne Gebauer (FDP):

Über die fachlichen Änderungen des Gesetzentwurfes sind wir uns einig.

Dissens besteht allerdings in der Frage, ob es richtig ist, überall die Prüfung zu streichen, ob die jeweiligen rechtlichen Vorgaben überhaupt noch notwendig sind.

Sicher kommen wir zur gemeinsamen Einschätzung, dass dieses Gesetz auch zukünftig sinnvoll ist.

Aber es muss das Prinzip gelten: In gewissen Zeitabständen sollte geprüft werden, ob gesetzliche Regelungen überhaupt noch gebraucht werden.

Kaum ein Gesetz dürfte eingeführt worden sein, ohne dass der Gesetzgeber zu dem jeweiligen Zeitpunkt von der Notwendigkeit überzeugt war.

Weil aus unserer Sicht das rot-grüne Vorgehen nicht zu einer bürokratischen Entlastung, sondern zu einem Rückschritt bei einer kontinuierlichen Vermeidung von Bürokratie führt, werden wir uns enthalten.

Monika Pieper (PIRATEN):

Mit diesem Gesetzentwurf kommt die Landesregierung ihrer Verpflichtung nach, die Wirksamkeit des Ausführungsgesetzes dem Landtag vorzulegen. In dieser logischen Konsequenz soll nun eine zeitliche Befristung des Gesetzes aufgehoben werden.

Nach Prüfung der Kommata und des Satzbaus sind wir übereingekommen, dass der Entfristung nichts mehr im Wege steht. Auch die Änderung der bereits in der Praxis umgesetzten Übernahme der Verantwortlichkeiten aufgrund des Anpassungsbedarfs der Änderung der bundesrechtlichen Vorgabe der BAföG Auslandszuständigkeitsverordnung hat orthographisch keine Beanstandungen unserseits zur Folge. Folgerichtig unterstützen wir den fachlich richtigen, rechtlich einwandfreien und sachlich angemessenen Gesetzentwurf der Landesregierung.

Da ich noch Redezeit zur Verfügung habe, könnte ich über die Wichtigkeit des Mittelverbleibs der vom Bund übernommenen BAföG-Mittel im Bildungssektor reden, möchte aber diese Debatte nur für die kommenden Haushaltberatungen hier schon einmal erwähnt haben.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung:

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die Landesregierung dem in § 4 des Ausführungsgesetzes zum BAföG festgelegten Auftrag nach, die Wirksamkeit dieses Gesetzes erneut zu überprüfen und dem Landtag bis spätestens zum 30. Juni 2014 zu berichten.

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz wird im Auftrag des Bundes von den Ländern ausgeführt. Mit dem Ausführungsgesetz zum BAföG werden die Zuständigkeiten für die Durchführung der Aufgaben nach dem Bundesausbildungsgesetz im Land Nordrhein-Westfalen geregelt.

Als Zuständigkeitsregelung ist das Gesetz unverzichtbar und hat sich bewährt. Da bereits die Evaluierung im Vorfeld des Änderungsgesetzes zum AG BAföG NW vom 30.06.2009 zum gleichen Ergebnis gelangte, ist vorgesehen, mit dem nun eingebrachten Änderungsgesetz die bisher fünfjährig wiederkehrende Berichtspflicht zur Überprüfung der Wirksamkeit aufzuheben. Das ist dann nämlich Verwaltungsvereinfachung – im Jargon der FDP: Bürokratieabbau!

Darüber hinaus wird das Gesetz an die BAföG-Auslandszuständigkeitsverordnung vom 19. Oktober 2011 angepasst.

Der hiermit erfolgte Wechsel der Auslandszuständigkeit ist in der Praxis bereits seit Anfang 2012 umgesetzt.

Nordrhein-Westfalen ist nunmehr bundesweit für die Bearbeitung von Förderungsanträgen für Ausbildungen in den Niederlanden, in Belgien und in Luxemburg zuständig. Gleichzeitig wurde die Zuständigkeit für BAföG-fähige Ausbildungen in Großbritannien, Irland und der Türkei an Niedersachsen bzw. Baden-Württemberg abgegeben.

Weitere inhaltliche Änderungen sieht der Gesetzentwurf nicht vor.

Ich bitte um Zustimmung!


Anlage 6

Zu TOP 20 – „Gesetz zur Aufhebung der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare und zur Anpassung weiterer Gesetze im Zuständigkeitsbereich des Finanzministeriums“ – zu Protokoll gegebene Rede

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister:

Monatliche Unterhaltsbeihilfe wird Rechtsreferendarinnen und –referendaren im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses gewährt.

In den vergangenen Monaten sind rechtliche Unklarheiten insbesondere hinsichtlich der Höhe des Grundbetrags der Unterhaltsbeihilfe, der Zahlungsmodalitäten sowie bei der Anrechnung von Entgelten aus eventuellen Nebentätigkeiten aufgetreten.

Der bisherige Wortlaut der Unterhaltsbeihilfenverordnung nimmt noch auf das „Bundesbesoldungsgesetz“ Bezug für die Berechnung der Unterhaltsbeihilfe. Es ist aber von jeher die Intention des Gesetzgebers, die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare im öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis so weit wie möglich den Beamtenanwärterinnen und Beamtenanwärtern des Landes gleichzustellen und entsprechend auch die Unterhaltsbeihilfe an die Anwärterbezüge des Landes NRW anzulehnen.

Die notwendige rechtliche Klarstellung wird jetzt nachgeholt, indem der monatliche Grundbetrag der Unterhaltsbeihilfe zukünftig betragsmäßig direkt in der Verordnung angegeben sein wird.

Zunächst muss die aktuell noch geltende Unterhaltsbeihilfen-Verordnung aufgehoben und in einem zweiten Schritt eine neue Verordnung erlassen werden, die alle notwendigen rechtlichen Anpassungen enthält.

Sie werden vielleicht fragen, warum nicht die bereits bestehende Verordnung geändert wird.

Das ist nicht möglich. Zwar ist die aktuelle Unterhaltsbeihilfenverordnung als Verordnung bezeichnet worden, in rechtlicher Hinsicht aber im Jahr 1999 als formelles Gesetz erlassen worden. Sie hat damit Gesetzesrang. Änderungen an den Regelungen zur Unterhaltsbeihilfe sind daher ebenfalls nur durch formelles Gesetz möglich. Durch Artikel 1 des Gesetzentwurfs soll die bestehende Unterhaltsbeihilfenverordnung deshalb zunächst formal aufgehoben werden. Zum gleichen Zeitpunkt soll sie als „echte“ Verordnung unter der Federführung des Finanzministers neu erlassen werden und die rechtlich notwendigen Änderungen enthalten.

Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf redaktionelle Anpassungen betreffend das Besoldungsrecht vor, genauer gesagt: der Amtsbezeichnungen in den Landesbesoldungsordnungen A und B. Die Anpassungen sind infolge bereits durchgeführter organisatorischer Änderungen in der Landesverwaltung erforderlich.

Mit den Anpassungen sind keine Stellenhebungen verbunden; es werden lediglich bereits erfolgte organisatorische Änderungen bei den Amtsbezeichnungen nachvollzogen. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen (Planstellen) sind bereits im Rahmen der Haushaltsgesetze 2013 und 2014 geschaffen worden.

Gleichzeitig entfristet der vorliegende Gesetzentwurf das Vergütungsoffenlegungsgesetz. Es ist zur Schaffung von mehr Transparenz in öffentlichen Unternehmen im Land NRW Ende 2009 in Kraft getreten und hat sich bewährt.

Im Namen der Landesregierung bitte ich Sie deshalb, meine Damen und Herren, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben und es zunächst in die Ausschüsse zu verweisen.