75. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 17. Dezember 2014
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6500
1. und 2.
Ergänzung
Drucksachen 16/6710
und 16/6990
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/7600
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7609
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7616
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7617
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6502
Ergänzung
der Landesregierung
Drucksache 16/6990
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/7601
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6689
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/7552
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7620
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7626
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7542
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7543
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7544
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7091 – Neudruck
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/7553
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7615
5 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7147
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/7554
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7610
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7621
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
6 12. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6125
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/7555
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5413 – Neudruck
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/7579
Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7619
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7629
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7630
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4155
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/7578
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7545
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6637
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/7556
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7622
Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7631
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7632
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6636
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/7557 – Neudruck
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6092
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/7558
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7623
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7611
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7429
Minister
Michael Groschek
zu Protokoll
(siehe Anlage 1)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7430
Minister
Michael Groschek
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)
14 Gesetz zur Aufhebung von Normen aus dem Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzrechts
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7474
Minister
Johannes Remmel
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/7559
16 Abkommen über die Finanzierung des „Deutschen Zentrums Kulturgutverluste“
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/7405 – Neudruck
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/7562
Michele
Marsching (PIRATEN)
(Erklärung gem. § 47 GeschO)
17 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 26
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/7560
Entschuldigt waren:
Minister Guntram Schneider
Ministerin
Dr. Angelica Schwall-Düren
(ab 13 Uhr)
Cornelia Ruhkemper (SPD)
Markus Töns (SPD)
Eva Voigt-Küppers (SPD)
Wilhelm Hausmann (CDU)
Heiko
Hendriks (CDU)
(ab 14 Uhr)
Peter Preuß (CDU)
Henning Höne (FDP)
(ab 14:30 Uhr)
Christian
Lindner (FDP)
(ab 14:45 Uhr)
Dr. Gerhard Papke (FDP)
Beginn: 10:02 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 75. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Medien.
Für die heutige Sitzung, die mit vielen Gesprächen beginnt und deshalb einen relativ hohen Geräuschpegel mit sich bringt, haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Sie darüber informieren, dass die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Schreiben vom 16. De-zember 2014 eine Ergänzung der Tagesordnung gemäß § 20 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung beantragen.
Als neuer Tagesordnungspunkt 7 soll in die heutige Plenartagesordnung aufgenommen werden: die zweite Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung Drucksache 16/5413 in der Fassung des Neudrucks – Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe und zur Änderung des Jugendstrafvollzugsgesetzes in Nordrhein-Westfalen. Als Redezeit wird der Block I vorgeschlagen.
Ich lasse nun über diese Ergänzung und den Antrag zur Ergänzung abstimmen. Wer die Tagesordnung heute unter Tagesordnungspunkt 7 so ergänzen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Piratenfraktion. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis, mit dem wir den Antrag angenommen haben, die Tagesordnung des heutigen Plenartages um diesen neuen Tagesordnungspunkt 7 ergänzt.
Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich in der Nummerierung entsprechend.
Die nunmehr neue und gültige Tagesordnung für den heutigen Tag wird gleich als aktuelle Tagesordnung im Netz abrufbar sein.
Damit treten wir ein in die Beratung der heutigen Tagesordnung. Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6500
1. und 2.
Ergänzung
Drucksachen 16/6710
und 16/6990
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/7600
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7609
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7616
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7617
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6502
Ergänzung
der Landesregierung
Drucksache 16/6990
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/7601
Die Veränderungen durch die im Haushalts- und Finanzausschuss gefassten Beschlüsse sind in den Veränderungsnachweisen entsprechend dargestellt. Die Veränderungsnachweise liegen Ihnen ebenfalls vor.
Mit all diesen Hinweisen und Vorbemerkungen eröffne ich die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Laschet für die Fraktion der CDU das Wort. – Es wäre sehr schön, wenn es ein klein wenig ruhiger werden könnte.
Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten sind eine Chance, Ideen und Gedanken über die Zukunft des Landes auszutauschen; für die Regierung, einen Moment Rechenschaft abzulegen; für die Opposition die Gelegenheit, Forderungen zu formulieren, Alternativen aufzuzeigen, Unterschiede deutlich zu machen zwischen den fünf Fraktionen in diesem Landtag und den Menschen zu erklären, was besser werden muss, wie die Möglichkeiten jedes Einzelnen in diesem Land verbessert werden können; eine Vision zu entwickeln, wie Nordrhein-Westfalen weg von den Abstiegsplätzen, hin zu den Spitzenplätzen in Deutschland kommt.
(Beifall von der CDU)
Wir haben diese Chance in der ersten Lesung genutzt; wir haben haushaltspolitisch Bilanz gezogen. Wir haben einen Gegenentwurf skizziert,
(Lebhafte Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
in dem wir deutlich gemacht haben, wie man Hindernisse für mehr Wachstum abschaffen kann. Wir haben deutlich gemacht, wie der Staat sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren sollte, und wir haben kritisiert. Denn nur wer Defizite benennt, kann besser werden.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Deshalb kann ich mir schon vorstellen, wie das gleich abläuft. Herr Römer, der SPD-Fraktions-vorsitzende, wird an das Pult treten und sagen:
(Zuruf von der SPD: Davon ist auszugehen!)
Herr Laschet, Sie reden das Land schlecht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Richtig!)
Die Ministerpräsidentin wird sagen: Sie reden das Land schlecht. – Aber, meine Damen und Herren: Sie sind die Ministerpräsidentin. Sie sind nicht das Land!
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Die Zeiten – das ist die alte Arroganz der Macht, die wir gerade erlebt haben –,
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Och!)
in denen jemand sagt: L’État, c’est moi – Der Staat bin ich –, sind vorbei. Wir diskutieren über den richtigen Weg in diesem Land. Vor der Frage stehen wir heute.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Wenn wir auf unsere letzte Debatte zurückblicken,
(Thomas Marquardt [SPD]: Das war ein ganz schlechter Anfang!)
weiß man die Antwort auf die Frage: Was ist in diesem Land passiert, und was hat eigentlich deutschlandweit dazu geführt, dass schlecht über unser Land berichtet wurde?
(Zurufe von der SPD)
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt – ich zitiere –:
„In ihrer Not begann die Regierung … mit einer sonderbaren Imagekampagne: Sie inszenierte das bevölkerungsreichste Bundesland konsequent als diffuse Insolvenzmasse. Nicht einmal Kaffee und Kekse konnte Rot-Grün Regierungsgästen in Zeiten der Haushaltssperre … anbieten …“
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Ooh! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
„Willkommen im selbsternannten Armenhaus der Republik!“
Dann lässt man sich in der „Bild“-Zeitung als Sieger des Tages feiern. Wenn dann ein anderer Ministerpräsident einer erfolgreichen Koalition aus Hessen sagt:
(Zuruf: Sachsen!)
„Der Patient liegt auf der Intensivstation“, ist man beleidigt und fragt: Wie kommt er dazu, unser Land zu kritisieren? – Sie selbst haben dieses Bild von einem insolventen Land gemalt. Lassen Sie solche PR-Gags, die unserem Land schaden und unser Land schlechtreden!
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Zweites Beispiel: Man erlässt eine Haushaltssperre. Wann erlässt man normalerweise eine Haushaltssperre?
(Zuruf von der SPD)
Eine Haushaltssperre erlässt man nach einem Regierungswechsel, wenn die neue Regierung einige Ausgaben überprüfen will, oder dann, wenn man in einer Notlage ist. Aber keine Regierung dieser Erde erlässt eine Haushaltssperre bei blühendem Wachstum und sprudelnden Steuereinnahmen.
(Beifall von der CDU)
Also haben Sie mit dieser Haushaltssperre erneut belegt, dass Sie am Ende sind.
Vieles hat in der Haushaltssperre stattgefunden, worüber es längst Verträge gab. Ich bin ein großer Fan der Kölner Stunksitzung. Aber man fragt sich in der Tat: Warum muss in Zeiten einer Haushaltssperre für 14.000 € mitten im September vor halbleeren Rängen in Brüssel eine Stunksitzung stattfinden, während andere Maßnahmen, ehrenamtliche Maßnahmen, plötzlich nicht mehr möglich sind? Das verstehen die Menschen nicht.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
In der „Neuen Westfälischen“ war Ende November nachzulesen:
(Zuruf von der SPD: Haben Sie auch eine eigene Meinung?)
Seit 1998 ist Martin Fels ehrenamtlicher Helfer beim Kreis 74, der Straffälligenhilfe Bielefeld. In seiner Freizeit besucht er Gefangene, erledigt Behördengänge, unterstützt Unternehmen, Familien. Weit mehr als 1.000 km verfährt er mit seinem eigenen Auto zwischen den unterschiedlichen Hafthäusern der JVA Senne.
Er hat die Kosten dafür in Höhe von 350 € immer erstattet bekommen, und nun teilt man ihm ohne jede Vorwarnung mit: Wegen der Haushaltssperre kriegst du das Geld nicht mehr. Die Bitte um eine Ausnahmegenehmigung, die das Justizministerium an den Finanzminister gerichtet hat, wurde abgelehnt. Und das Justizministerium sagt dann:
„Das ist ein Problem … Denn die Ehrenamtlichen sind ein sehr wichtiger Bestandteil der Justiz.“
Meine Damen und Herren, wie schon bei anderen Fällen: Bedauern ersetzt keine Verantwortung. Haushaltssperre trifft die Falschen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Dieser Mensch will jetzt die Urkunde, die ihm der Minister 2013 feierlich übergeben hat, öffentlich versteigern, weil er sagt: Ich lege keinen Wert mehr auf Urkunden, ich will anerkannt bekommen, was ich in meinem Ehrenamt mache.
Das betrifft Tausende im Land, wo Haushaltssperre exakt die getroffen hat, die nicht rechtzeitig Verträge für Events, für Kongresse und anderes hatten, sondern sich darauf verlassen haben, dass das Land ihnen wenigstens die Kosten ersetzt, die sie durch ihr Ehrenamt haben.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Da fragt man sich: Wer erzeugt denn dieses Bild im Land – nicht nur nach außen, nicht nur in den anderen Bundesländern, sondern hinein in das eigene Bundesland, bei den Menschen, die in diesem Land leben und sich einbringen wollen?
Das dritte Beispiel, wo Sie in den letzten 100 Tagen, gar nicht seit vier Jahren, sondern seit unserer letzten Debatte zum Haushalt ein schlechtes Bild erzeugt haben, sind die Bilder aus Burbach. Diese Bilder sind um die Welt gegangen. Die Menschen sehen Not und Elend in Syrien, im Irak, im Libanon, und dann wird aus Nordrhein-Westfalen übertragen, wie Menschen in Flüchtlingseinrichtungen behandelt worden sind. Solche Bilder reden unser Land schlecht, nicht eine Opposition, die das kritisiert!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dann haben wir gemeinsam einen Flüchtlingsgipfel abgehalten. Wir haben Maßnahmen beschlossen, wir haben als Opposition viele Vorschläge gemacht, was denn besser werden kann. Und jetzt erfahren wir in diesen Tagen: Alles das, was wir da beschlossen haben, zahlt Wolfgang Schäuble.
(Lachen und Zurufe von der SPD)
Alles, was auf diesem Flüchtlingsgipfel beschlossen worden ist, wird jetzt vom Bund bezahlt. Wir hatten es eigentlich so verabredet, dass wir vom Bund Zusatzgelder für die Kommunen benötigen, da diese in Nordrhein-Westfalen mehr als in anderen Ländern bezahlen müssen. So haben wir unseren Einsatz in Berlin verstanden. Aber von den 108 Millionen € landen nur 54 Millionen € bei den Kommunen.
(Zuruf von den GRÜNEN: Falsch!)
Das ist erneut die klebrige Hand Ihrer schlechten Finanzpolitik.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Aber wir kennen das. Wir haben zum Teil gemeinsam in der Großen Koalition dafür gestritten, dass die BAföG-Mittel übernommen werden. Wir haben hart dafür gerungen, dass diese 23 Milliarden €, die die Große Koalition in den nächsten Jahren ausgibt, für Schwerpunkte in Bildung und Wissenschaft eingesetzt werden.
Anschließend haben sich die Minister der Fachkonferenzen zusammengesetzt. Die Familienminister haben gesagt: Wir wollen auch, dass das Geld für Kitas mitverwandt wird. Dann ist aber am Ende entschieden worden: Nein, der Schwerpunkt soll Bildung und Wissenschaft sein. 278 Millionen € sollten dafür bereitstehen. Was ist das Ergebnis in Nordrhein-Westfalen? – Diese 278 Millionen € finden Sie in diesem Haushalt nicht ausgewiesen. Sie sind versickert, Sie haben nicht die Prioritäten gesetzt, die wir in Berlin gemeinsam verabredet haben.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dann fangen Sie einen theoretischen Streit über die Frage an – es hilft den Menschen übrigens nicht weiter, wenn man über Kompetenzen streitet –: Wer ist zuständig für die Schulsozialarbeit? – Da muss Andrea Nahles, Sozialdemokratin, Herrn Priggen, Grüner, in einem Brief, der jetzt bekannt geworden ist, erklären, dass die Zuständigkeit für Schulsozialarbeit nicht beim Bund liegt,
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
sondern eine Schnittstelle zwischen Schulen, Familien und Jugendhilfe ist. Das wird alles im Detail erläutert. Der Bund hat trotzdem 278 Millionen € durch die Übernahme der BAföG-Mittel gegeben, obwohl er dafür nicht zuständig ist. Aber unser Antrag, 100 Millionen € von diesen 278 Millionen € den Kommunen für Schulsozialarbeit zu geben, haben Sie abgelehnt. 49 Millionen € landen da. Sie haben sich auf Kosten der Kommunen bei dieser Haushaltsfrage bereichert!
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Das sind die Dinge, die unserem Land schaden, weil man in Berlin nicht mehr glaubt, dass das Geld, das der Bund den Ländern für die Kommunen gibt, auch tatsächlich bei denen landet. Sie verspielen Vertrauen für unser Land, indem Sie bei jeder einzelnen Maßnahme
(Widerspruch von den GRÜNEN)
immer das Geld für Ihre schlechte Haushaltspolitik nutzen.
(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Unfassbar! – Weitere Zurufe)
– Ich weiß, dass Sie das ärgert, insbesondere die Grünen. Nur, wir verabreden in Berlin etwas mit Sozialdemokraten. Und ich erwarte dann auch, dass es den Menschen in Nordrhein-Westfalen zugutekommt, wenn wir in Berlin für unsere Interessen kämpfen.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Fünftes Beispiel zu der Frage: Wer schadet eigentlich durch seine Politik dem Bild Nordrhein-Westfalens in Deutschland? – Wir haben die Demonstration von Hooligans und Neonazis in Köln erlebt. Wie reagieren andere Länder? – Hamburg und Berlin haben direkt gedroht, das unterbinden zu wollen. Und die, die demonstrieren wollten, haben die Demonstration abgesagt. In Bayern wagen Hooligans gar nicht erst, Demonstrationen zu beantragen.
(Lachen und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
In Bayern wagt keiner, solche Gewaltdemonstrationen zu beantragen.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
In Niedersachsen hat das Land zusammen mit der Stadt direkt reagiert, hat ein Verbot erlassen. Das ist dann, wie so häufig, von den Gerichten wieder aufgehoben worden. Dann ist es unter strengsten Auflagen auf einem ganz kleinen Platz mit Alkoholverbot und allem zu einer Demonstration gekommen, die weniger Teilnehmer hatte als die in Nordrhein-Westfalen.
Deshalb sage ich: Das kann man nicht mit großen Sprüchen lösen.
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Sie machen doch alle nur große Sprüche dazu!)
Herr Jäger sagt: Ich trete den Neonazis auf die Stiefel. – Nein, Herr Jäger, die Neonazis sind in Nordrhein-Westfalen, in Köln, auf den Grundrechten herumgetrampelt, indem sie Polizeibeamte bekämpft haben!
(Beifall von der CDU)
Den Schaden, den diese Bilder aus Köln für unser Land Nordrhein-Westfalen bedeutet haben, hat die Zivilgesellschaft in Köln am letzten Sonntag wieder gutgemacht. Alle Parteien, die Karnevalisten, die „Höhner“, die „Bläck Fööss“ und der FC sind mit „Arsch huh!“ auf die Straßen gegangen und haben wiedergutgemacht, was Sie durch Ihre Politik an schlechtem Image für Köln erzeugt haben!
(Anhaltender Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Endlich mal die CDU! Da warten wir seit 20 Jahren drauf! – Weitere Zurufe von der SPD)
Es ist gut, dass die Menschen in diesem Land
(Unruhe – Glocke)
durch ihr persönliches Engagement wiedergutmachen, was Sie durch Organisationsversagen in Köln angerichtet haben. Wir haben eine starke Zivilgesellschaft, die dazu beiträgt, dass Köln anders wahrgenommen wird als das, was Herr Jäger uns acht Wochen vorher beschert hat.
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)
Ein sechstes und letztes Beispiel ist die Erhöhung der Grunderwerbsteuer. Während an allen Stellen darüber nachgedacht wird, wie wir die Bürger entlasten können, beschließt Nordrhein-Westfalen: Wir erhöhen die Grunderwerbsteuer. Das Schönste dabei ist allerdings das, was sich der Finanzminister in dieser Woche in der „Rheinischen Post“ erlaubt hat. Er sagte – O-Ton –:
„Ich habe Verständnis für den Schritt der Regierungsfraktionen.“
Jetzt wissen wir es: Es war nicht der Finanzminister, es war nicht die Regierung, sondern es waren Sie, die Abgeordneten. Sie, Herr Börschel, haben Herrn Walter-Borjans gedrängt, die Grunderwerbsteuer zu erhöhen. Das ist die These!
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Es waren die sozialdemokratischen Abgeordneten, die diese arme Regierung, welche die Grunderwerbsteuer gar nicht erhöhen wollte, dazu gedrängt haben, doch – bitte, bitte! – die Grunderwerbsteuer zu erhöhen. Wie man so Regierungsarbeit machen kann, ist mir unverständlich. Das Handwerk sagt dazu: Die geplante Anhebung der Grunderwerbsteuer stellt unterm Strich einen unnötigen weiteren Minusfaktor für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen dar. Die IHKs sagen: Potenzielle Investoren werden abgeschreckt. Das gefährdet die Quellen des Wohlstands für unser Land.
Wer so etwas beschließt und so vorgeht, der schadet dem Land, der redet das Land schlecht, der macht das Land schlecht! Das ist unsere Kritik an dem, was Sie vortragen.
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Wenn man sich in diesem Land engagiert, mag es zwar witzig sein, wenn Altbundeskanzler Gerhard Schröder in den PUA kommt, das Parlament ein bisschen abfällig behandelt und am Ende sagt: Ich bin bereit, zugunsten der Landeskasse auf meine Auslagen zu verzichten. Ich weiß, es ist eng hier. – Und der dpa-Ticker schreibt dann: Er bringt die Lacher auf seine Seite.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein Land haben, wo Zeugen in Untersuchungsausschüssen sich nicht lustig machen über unser Land, sich nicht lustig machen über die Finanzpolitik dieser Regierung!
(Lebhafter Beifall von der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Deshalb täten Sie unserem starken Bundesland einen großen Gefallen, wenn Sie in Ihrer Politik zu einer Kurskorrektur kämen und mit uns zusammen darüber nachdenken würden, wie man diesen Riesen, dieses wirtschaftsstarke Land entfesseln kann von all den Vorschriften, all der Bürokratie und all dem, was Chancen für unser Land hemmt.
(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Entfesselungskünstler!)
Ich glaube, dass unser Land ein Land mit Profil, mit Potenzial und mit Perspektiven ist. Deshalb kommt es mir darauf an, dass wir in unserem Land eine starke Wirtschaft mit mehr Wachstum haben, dass wir einen starken Staat haben, der nicht das zulässt, was in den letzten Wochen in diesem Land passiert ist, dass wir vor allem Aufstiegschancen für starke Menschen haben und in den Statistiken nicht immer hinten liegen.
(Beifall von der CDU)
Das kriegen Sie nicht hin mit dem Klein-Klein im Haushalt, mit vielen kleinen Kürzungsvorschlägen, sondern indem Sie die Wirtschaftskraft des Landes, die Einnahmesituation stärken.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
– Dass es Ihnen fremd ist, eine starke Wirtschaft zu unterstützen, verstehen wir ja. Aber das ist trotzdem die Antwort darauf. Jeder einzelne Arbeitsplatz, der in Nordrhein-Westfalen verloren geht, bedeutet Verlust an Wirtschaftskraft, Verlust an Steuereinnahmen und Erhöhung der Soziallasten für die Kommunen, weil die Wirtschaft erforderlich ist, um starke Arbeitsplätze zu haben.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Das Schlimme ist: Wenn Sie nicht wüssten, dass es so ist, könnte man es Ihnen noch nachsehen. Aber die Studien liegen ja auf dem Tisch. Hätten wir nur das Wirtschaftswachstum von Bayern, hätten wir jährlich 3,2 Milliarden € mehr in der Landeskasse. Wir könnten dann ganz anders in die Zukunft investieren. Da Sie es aber durch Tausende Maßnahmen, durch Bürokratie und Verordnungen, denen schwermachen, die in diesem Land etwas erwirtschaften wollen, liegen wir hinten. Das ist die einfache Analyse.
(Beifall von der CDU)
Die Landesregierung selbst hat auf eine Große Anfrage der FDP Folgendes geantwortet:
Die grundlegenden wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen werden auf europäischer und bundespolitischer Ebene gestaltet. Sie sind für alle Bundesländer annähernd gleich.
Frau Kraft sagt dann immer, das liege am Strukturwandel von Kohle und Stahl. Das Argument, wir seien im Wirtschaftswachstum schwächer als die anderen, hören wir von den Sozialdemokraten seit 40 Jahren.
(Zuruf von der SPD: Stimmt doch auch!)
In der gleichen Antwort auf diese Anfrage sagt die Landesregierung:
Es war einmal anders. Zwischen 2007 und 2009 lagen wir besser. Wir lagen über dem Bundesschnitt.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja, und immer noch nicht begriffen, Herr Laschet!)
Es lag an der politischen Rahmenvoraussetzung der damaligen Regierung, die ermöglicht hat, dass es besser wird.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Jetzt werden Sie fragen: Was ist denn damit gemeint? Was können wir denn ändern? – Wir haben das schon letztens anhand zahlreicher Dokumente belegt.
Erstes Beispiel: Tariftreue- und Vergabegesetz. Wir haben jetzt einen bundesweiten Mindestlohn. Wir haben europäische Standards.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Wir haben bundesdeutsche Standards. Sie aber erzeugen Bürokratie mit Leuten, die in der Landesregierung damit beschäftigt sind, Vorschriften zu erdenken. In den Kommunen gibt es aber Leute, die damit arbeiten müssen.
(Jochen Ott [SPD]: Die haben aber kein Problem damit!)
Die großen Unternehmen haben große Abteilungen, die dafür zuständig sind, aber der kleine Handwerksmeister mit 20 Beschäftigten wird dadurch nur mit Bürokratie belastet, die dann am Ende wieder andere austragen müssen.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)
Wir schlagen Ihnen Folgendes vor: Schaffen Sie morgen dieses Gesetz ab, und nutzen Sie das Geld, das Sie jetzt für die Evaluierung planen, um beispielsweise in die Digitalisierung zu investieren. Dann gäbe es eine echte Zukunftschance für neue Arbeitsplätze und keine bürokratische Belastung derer, die bei uns tätig sind.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Zweites Beispiel: zusätzliches Klimaschutzgesetz und Klimaschutzplan. Das Ziel ist – wie beim ersten Gesetz auch – wieder richtig. Natürlich ist der Klimaschutz die große Aufgabe, aber Europa hat sich auf einen europaweiten Zertifikatehandel verständigt.
Obwohl Experten Ihnen sagen: „Lassen Sie das mit dem Kohleverstromungsverbot“, lassen Sie das immer noch weiter prüfen, Herr Remmel.
Der Wirtschaftsminister Gabriel hat zu Recht bei der Betriebsversammlung von Vattenfall vor wenigen Tagen gesagt:
Mit Blick auf die Versorgungssicherheit können wir nicht zeitgleich mit dem Ausstieg aus der Kernenergie auch noch mit dem politischen Ausstieg aus der Kohleverstromung beginnen.
Warum untersucht man dann weiter Ausstiege aus der Kohleverstromung? – Lassen Sie das einfach. Das sichert keine Arbeitsplätze, das schädigt Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche geführt. Der Gesamtbetriebsrat von RWE Power war bei mir. Der ver.di-Bundesvorsitzende engagiert sich inzwischen sogar in dieser Frage ebenso wie der Bezirksvorstand der IG BCE in Düsseldorf. Ich weiß gar nicht, ob Sie noch mit den Gewerkschaftern reden.
(Zuruf von Achim Tüttenberg [SPD])
Diese beschreiben Ihnen das doch. Die Bundesregierung – auch das sei kritisch angemerkt – hat jetzt beschlossen, zusätzlich 22 Millionen t CO2 einzusparen. Daraufhin sagt der EU-Kommissar, diese deutsche Maßnahme schwäche erneut unseren Zertifikatehandel. Die Zertifikatepreise verfallen erneut, und mit diesen Zertifikaten werden neue Kohlekraftwerke in Polen und der Slowakei gebaut.
In dieser Lage unseres Landes würde ich für den letzten, den allerletzten und für jeden einzelnen Arbeitsplatz im Bereich der Braunkohle kämpfen. Denn das dient unserem Land, und das dient auch dem Klimaschutz.
(Beifall von der CDU)
Des Weiteren wird von der aus Nordrhein-Westfalen ins Bundeskabinett berufenen Umweltministerin darüber diskutiert, dass man von unserer Kraftwerkstechnologie, die eine Effizienzsteigerung von 31 % auf 48 % bewirken könnte und die in China eingesetzt werden könnte, wo Hunderte neuer Kohlekraftwerke gebaut werden, Abstand nehmen will und unsere Technologie ins Ausland exportiert wird.
Da fragt man sich doch: Sind wir noch zu retten, das in einer Lage zu tun, in der wir um dieses Industrieland und um Arbeitsplätze kämpfen und es denen, die etwas können, somit noch schwerer machen, ihren Beitrag zum Weltklima zu leisten?
(Beifall von der CDU)
Zu Ihrem Landesentwicklungsplan: Diese Vorgaben – das schildern Ihnen auch Ihre eigenen Kommunen, der Kölner Oberbürgermeister und andere – behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Im Entwurf steht immer noch, langfristig sei das Ziel beim Flächenverbrauch Nettonull.
Nun habe ich gelesen, dass Sie sich über die schwarze Null lustig machen, die jetzt auf der Bundesebene erreicht ist.
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Das liegt daran, dass Sie sich gar nicht vorstellen können, ohne neue Schulden auszukommen. Wenn Sie über diese schwarze Null klagen, wäre es doch eine gute Maßnahme, die Nettonull herauszunehmen. Eine Nettonull heißt: null für neue Arbeitsplätze, null für neue Steuereinnahmen, null für wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land.
Wir brauchen in den boomenden Regionen Südwestfalens, des Münsterlandes, Ostwestfalens und am Niederrhein noch Erweiterungsmöglichkeiten, und diese dürfen Sie nicht bekämpfen. Denn damit schwächen Sie Arbeitsplätze in der Zukunft.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)
Was könnten Sie tun, um Arbeitsplätze der Zukunft jetzt zu sichern? – Sie könnten diese Arbeitsplätze sichern, indem Sie stärker in den Breitbandausbau investieren. Denn insbesondere die Arbeitsplätze in den Regionen, über die ich rede, befinden sich nicht in den großen Städten. Die neuen Unternehmen, die noch Arbeitsplätze ausbauen, befinden sich in unseren ländlichen Regionen.
Wenn Sie am Sonntag „WESTPOL“ gesehen haben, dann kennen Sie die Breitbandverfügbarkeit in Nordrhein-Westfalen. Da sehen Sie viele rote Flächen. Rot ist das Negative auf dieser Karte, grün sind die guten Stellen, wo es Breitbandverkabelung gibt.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ist eine Grafik!)
In den Regionen liegen unsere Zukunftsarbeitsplätze. Deshalb: Investitionen jetzt! Folgen Sie den Anträgen, die wir vorgelegt haben, ein Evaluierungsprogramm zum Fördern durch die NRW.BANK, ein Referenzprojekt für das mobile Internet – das wären Entscheidungen, die auch in Zukunft Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen sichern. Dazu sind Sie nicht in der Lage.
(Beifall von der CDU)
Nun will ich nicht immer Bayern als Beispiel nehmen, wir nehmen einmal Baden-Württemberg.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nehmen Sie doch mal Sachsen! Haben Sie Sachsen gestrichen?)
In Baden-Württemberg hat Ministerpräsident Kretschmann eine Regierungserklärung zum Thema „Heimat, Hightech, Highspeed“ abgegeben. Er hat beschrieben, wie man Baden-Württemberg weiterentwickeln will. Warum hören wir eine solche Regierungserklärung eigentlich nicht von unserer Ministerpräsidentin?
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Wir hören überhaupt keine Regierungserklärung von der Ministerpräsidentin. Wenn man nicht regiert, kann man natürlich auch nichts erklären.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Aber es wäre schön, wenn Sie sich …
(Zuruf von Marc Herter [SPD])
– Herr Herter, Ministerpräsidenten haben immer wieder – ob sie Rüttgers, Clement, Steinbrück, Johannes Rau hießen – Erklärungen zur Zukunft des Landes abgegeben, und zwar nicht nur am Tag nach ihrer Wahl, sondern auch während der Wahlperiode. Dieses Thema wäre dazu geeignet. Wir fordern Sie auf, einmal zu erklären, wie Sie sich das Land in der Zukunft vorstellen, anstatt im Funkloch zu stecken und zu den Themen des Landes nicht mehr Stellung zu nehmen.
(Beifall von der CDU, der FDP und Dietmar Schulz [PIRATEN])
Da gibt es doch Beispiele.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ganz cleverer Anlauf!)
Wir haben fünf Schlüsselbranchen in Nordrhein-Westfalen, die auch der Wirtschaftsminister immer benennt:
Das Erste ist die Produktion. 18,4 % aller Erwerbstätigen in Nordrhein-Westfalen sind im Industriesektor tätig, und zwar nicht nur in den Großkonzernen, sondern in 1.600 Unternehmen. 70 % davon haben weniger als 100 Mitarbeiter. Genau diese Unternehmen trifft die ganze Bürokratie. Die trifft all das, was ich eben beschrieben habe. Wenn wir sie davon befreien und auf diesen Produktionsteil unserer Industrie setzen, wenn wir vielleicht wie der Bund einen Normenkontrollrat einrichten, der mal durchforstet, welche überflüssigen Vorschriften wir haben, dann wäre schon viel gewonnen. Wenn ein Beamter morgens ins Ministerium geht und sagt: „Welche Vorschrift könnte ich heute abschaffen?“, wäre das besser, als zu sagen: Welche erfinde ich heute, damit noch mehr Verordnungen ins Land geschickt werden?
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Das zweite Thema ist Energie. Das ist der zweite große Sektor, den auch der Wirtschaftsminister benennt. 240.000 Menschen arbeiten in dem Bereich. Deshalb sage ich: Neben dem magischen Dreieck – Klimaschutz, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit – müssen wir in Nordrhein-Westfalen einen vierten Punkt hinzufügen, nämlich Arbeitsplätze. Bei drei Kraftwerken geht es eben nicht nur um ein einfaches Abschalten. Das schildern Ihnen die Leute des Gesamtbetriebsrats von RWE Power. Das hat Auswirkungen auf die Wasserwirtschaft, das hat Auswirkungen auf den Bergbau, es betrifft Tausende Arbeitsplätze, die wir gleichermaßen in die Debatte einführen müssen wie die drei anderen Argumente. Das wäre etwas für eine Landesregierung.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Dritter großer Bereich: Logistik. In Nordrhein-Westfalen sind 284.000 Menschen in 21.000 Unternehmen in der Logistikbranche beschäftigt. Deshalb ist Verkehrsinfrastruktur für uns besonders wichtig. Deshalb ist es nicht gut, Herr Verkehrsminister, wenn der Landeshaushalt seit 2010 um 20 % angestiegen ist, die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur aber exakt gleich geblieben sind. Das ist nicht proportional. Verkehrspolitik ist heute Wirtschaftspolitik. Dazu gehört, die eigenen Hausaufgaben zu machen, in den Landesstraßenbau zu investieren und die bereitliegenden Bundesmittel abzurufen. Das ist Ihnen 2013 nicht gelungen. Jetzt haben Sie einen neuen Trick: Sie rufen beim Bund einfach weniger ab, und zwar nur noch 638 Millionen €. Das sind 97 Millionen € weniger als die Mittelzuweisungen des Vorjahres.
(Minister Michael Groschek: Quatsch! – Ministerin Barbara Steffens: Falsch gelesen!)
Ich sage Ihnen: Sie müssen an die Regierungszeit von CDU und FDP anknüpfen. Mehr als 700 …
(Beifall von der CDU – Nadja Lüders [SPD]: Nein! – Weitere Zurufe: Nein!)
– Natürlich sagen Sie Nein. Es ist doch völlig klar, dass Sie da Nein rufen.
(Minister Michael Groschek: Dummes Zeug!)
Aber die Menschen , die jeden Tag im Stau stehen, die sagen …
(Rainer Schmeltzer [SPD]: 2010 und 2012 haben die Menschen Nein gerufen! – Stefan Zimkeit [SPD]: Aber die interessieren ja nicht!)
– Es ist völlig klar, dass Sie da Nein rufen. Aber die Menschen, die jeden Tag im Stau stehen, die in Leverkusen nicht mehr über den Rhein fahren können, die Angst um Ihre Arbeitsplätze haben,
(Jochen Ott [SPD]: Das ist doch lächerlich! – Weitere Zurufe von der SPD)
sagen: Ja, die CDU hat recht. Wir brauchen mehr Mittel in Infrastruktur. – Das ist der Unterschied zu Ihnen.
(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Sie haben doch die Mittel runtergefahren! Sie haben die Ingenieure abgebaut!)
Deshalb wird es wichtig sein, das umzusetzen, was Ihnen der Initiativkreis Ruhr geschrieben hat. Wir brauchen, um dem Aufbau Ost eine erfolgreiche Modernisierung des Ruhrgebiets folgen zu lassen und die Industrie der Region als Kraftpaket der deutschen Industrie zu erhalten, Investitionen. – Frau Ministerpräsidentin, diese Mittel sollten zweckgebunden nur für die Infrastruktur eingesetzt werden, sagt der Initiativkreis Ruhr, und eben nicht einfach in den Landeshaushalt fließen. Das schafft neue Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, und das sollten Sie ernst nehmen, wenn Ihnen die Unternehmen das sagen.
(Beifall von der CDU)
Ich habe einige Beispiele genannt,
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Oh ja!)
wo man, wenn man sich darauf konzentrieren würde, Arbeitsplätze schaffen könnte. Dort könnte man Wirtschaftskraft schaffen und Menschen, die bei uns überdurchschnittlich stark in Hartz IV leben, Langzeitarbeitslosen, neue Perspektiven geben, indem man sich um Arbeitsplätze kümmert. Das führt am Ende auch zu Steuermehreinnahmen. Sie können Menschen, die von sozialen Sicherungssystemen leben, nur dort herausholen, indem Sie ihnen Arbeit geben und sie nicht alimentieren, sondern sie stark machen und sie in die Gesellschaft einbeziehen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
(Beifall von der CDU)
Das setzt dann auch bei der Bildungspolitik an. Auch da kommt es darauf an, von den Schlusslichtplätzen wegzukommen. Ich will nicht, dass Nordrhein-Westfalen in jeder Untersuchung zur Abhängigkeit der schulischen Aufstiegsmöglichkeiten vom Elternhaus immer die geringste soziale Mobilität aufweist. Ich will echte Aufstiegschancen schon in der frühkindlichen Bildung über Ganztagsangebote haben. Wir dürfen nicht immer Schlusslicht sein, sondern müssen Nordrhein-Westfalen im Interesse jedes einzelnen Kindes nach oben bringen.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)
Frau Löhrmann, die GEW hat Ihnen das doch gesagt. Da brauchen Sie doch gar nicht den Hinweis der CDU. Die GEW hat Ihnen doch gesagt: vier Jahre neue Schulden, und im Ergebnis hat sich in diesem Land für genau diese Gruppe, für die wir eintreten sollten, nichts verbessert – nichts.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb müssen alle diese Bereiche angepackt werden. Reden Sie in diesen Tagen doch einmal mit Eltern, die unter diesem Vorgehen mit der Brechstange bei der Inklusionspolitik leiden. Reden Sie einmal mit den Eltern in ländlichen Regionen. Weil plötzlich Förderschulen wegfallen, sind Eltern dort in Sorge, ob ihre Kinder noch die gleiche qualitative Betreuung bekommen, die sie früher bekommen haben. Reden Sie doch mit den Menschen im Land. Dann wüssten Sie, dass die Dinge nicht optimal laufen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Daher brauchen wir einen neuen Anfang. Diese Problematik ist nicht durch runde Tische und Sonderparteitage lösbar, sondern, indem eine Regierung einfach einmal handelt. Sie sind seit vier Jahren im Amt, Frau Löhrmann. Machen Sie doch einfach. Machen Sie keine Resolutionen, runden Tische und Sonderparteitage. Verbessern Sie das G8. Das dient den Eltern mehr als solche Schaunummern, die Sie andauernd veranstalten.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)
Sie sind jetzt schon vier Jahre im Amt. Dann machen Sie doch.
(Jochen Ott [SPD]: Der Brandstifter ruft die Feuerwehr! – Unruhe von der SPD – Glocke)
Eine letzte Bemerkung zu dem Haushalt und den Schulden: Wir haben 140 Milliarden € Schulden. In den letzten 40 Jahren haben wir 130 Milliarden € Zinsen bezahlt. Wir haben heute einen extrem niedrigen Zinssatz und zahlen trotzdem noch 3,5 Milliarden € Zinsen. Das ist mehr als der gesamte Haushalt des Bau- und des Familienministeriums. Hätten wir dieses Geld zur Verfügung, weil wir nicht eine solche Schuldenlast hätten, könnten Sie an Zukunftschancen für die Menschen in diesem Land arbeiten.
Wir sind dazu bereit. Wir können die Menschen stärken und das Land nach vorne bringen. Sie machen das Land schlecht. Das ist heute die Stunde der Bewährung. Ihr hier vorliegender Haushalt wird die Chancen von Nordrhein-Westfalen und der Menschen in Nordrhein-Westfalen weiter verschlechtern.
(Jochen Ott [SPD]: Ganz schlecht! Schlechte Rede!)
Deshalb sagen wir heute Nein zu diesem Haushalt und Ja zu einem Neuanfang für unser Land. – Vielen Dank.
(Langanhaltender lebhafter Beifall von der CDU – Langanhaltender Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Römer das Wort.
Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Oppositionsführer,
(Zurufe von der CDU: Ah!)
lieber Kollege Laschet,
(Zurufe von der CDU: Ah!)
eines muss ich Ihnen wirklich lassen: Sie haben ein unnachahmliches Talent, Ihren Zuhörern ein Land vorzugaukeln, das zwar wie Nordrhein-Westfalen anmutet, tatsächlich aber nur in Ihren parteipolitischen Fantasien existiert.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zum Glück des Landes und im Unterschied zu Ihrer Märchenstunde, Herr Laschet, haben diejenigen, denen das Land am Herzen liegt, eine Mehrheit in diesem Haus,
(Klaus Kaiser [CDU]: Arroganz!)
während diejenigen, die das Land schlechtreden, was Sie gerade wieder getan haben, von den Bürgerinnen und Bürgern Nordrhein-Westfalens gleich zwei Mal in vier Jahren auf die Oppositionsbänke verbannt wurden – zu Recht, meine Damen und Herren. Das hat Ihre Rede gerade gezeigt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie haben ja zum Haushalt außer Nein nichts gesagt, keine Hinweise gegeben. Deshalb will ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, Herr Kollege Laschet: Ja, Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land. Kein anderes Bundesland zieht mehr ausländische Direktinvestitionen an als Nordrhein-Westfalen.
(Zuruf von der CDU: Falsch!)
Keines hat mehr mittelständische Weltmarktführer, jene Hidden Champions, die das Rückgrat unserer Volkswirtschaft darstellen. In keinem anderen Bundesland gibt es mehr Universitäten, mehr Forschungsinstitute, mehr Fachhochschulen.
Herr Laschet, Sie blenden doch völlig aus, dass unser Land sich immer noch in einem Strukturwandel befindet. Ihre ehemalige abgewählte Wirtschaftsministerin hat ja sogar das Ende des Strukturwandels ausgerufen. Das macht doch deutlich: Sie kennen das Land nicht. Sie haben keine Ahnung von Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Laschet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ja, meine Damen und Herren, in vielen Großstädten gibt es eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Bildungsarmut. Das kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Aber genau diese Herausforderungen sind ja der Grund, warum SPD und Grüne die Regierungsverantwortung tragen und eben nicht CDU und FDP. Die Menschen in unserem Lande wissen um die Herausforderungen und Probleme und sie trauen uns zu, sie zu bewältigen und zu lösen, und nicht Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Denn, Herr Kollege Laschet, hätten Sie sich um diese Herausforderungen gekümmert, wären Sie ja vielleicht gar nicht abgewählt worden. Hätte die NRW-CDU echte Lösungskonzepte oder zumindest die Herausforderungen und Sorgen ernst genommen, aufgenommen, dann wäre Ihnen doch nicht innerhalb von zwei Jahren die Hälfte Ihrer Wähler von 2005 verloren gegangen. Erinnern Sie sich eigentlich noch?
(Zuruf von der SPD: Nicht gerne!)
Sie wollten großspurig hier im Land eine schwarz-gelbe Epoche einleiten, und daraus ist doch nur eine klägliche schwarz-gelbe Episode geworden, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Warum? – Ich wiederhole das noch einmal:
(Karlheinz Busen [FDP]: Hochmut kommt vor dem Fall!)
weil Sie weder das Land verstehen noch die Menschen hier in diesem Land. Die erkennen doch heute: Seit 2010 ist Nordrhein-Westfalen stärker und gerechter geworden.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Wir haben vom ersten Tag unserer Regierungszeit an klare Prioritäten gesetzt. Unser Leitbild für Nordrhein-Westfalen ist eine Gesellschaft, in der die Hoffnung auf sozialen Aufstieg weitaus realistischer ist als die Angst vor dem Abstieg. Nordrhein-Westfalen ist auf dem Weg zu echter Chancengleichheit und bestmöglicher Bildung in Kita und Uni, ist ein Land, in dem der Gegensatz zwischen dem Erfolg im Beruf und der Zeit für die Familie immer geringer wird, ein Land mit einer starken Wirtschaft, das seine Kraft aus Innovationen, neuen Technologien und aus guter Arbeit bezieht.
(Zuruf von der FDP: Geschwätz!)
Wir sind auch ein Land, das auf einem guten Weg ist mit starken und lebenswerten Städten und Gemeinden, in denen jeder Mensch ausreichend soziale Sicherheit und Teilhabe erhält. Das, meine Damen und Herren, ist die Basis für jeden Menschen, um seine Vorstellungen eines selbstbestimmten Lebens verwirklichen zu können. Das ist das wahre NRW. Das ist aber nicht Ihr NRW, meine Damen und Herren von der CDU.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der Haushalt 2015, den wir heute beschließen werden, demonstriert eindrucksvoll diese politischen Prioritäten der rot-grünen Koalition, ihren Gestaltungswillen, Herr Kollege Laschet, und vor allem ihre Erfolge.
Im kommenden Jahr wird das Land rund 25 Milliarden € für Kinderbetreuung, für frühkindliche Bildung, für Schulen und Universitäten sowie für Wissenschaft und Forschung ausgeben. Das sind fast 40 % des gesamten Landeshaushaltes und mehr als jemals eine Regierung in Nordrhein-Westfalen dafür bereitgestellt hat, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
2010 – da waren Sie gerade abgewählt worden – gab es laut einer Studie des Prognos-Instituts noch 137.000 Frauen in Nordrhein-Westfalen, die ihre berufliche Karriere für die Kindererziehung abbrechen mussten, weil es nicht genügend Betreuungsplätze gab. Dieser Mangel war mindestens so frauen- und familienfeindlich wie wirtschaftlich unsinnig, meine Damen und Herren.
Durch einen beispiellosen Kraftakt haben wir ihn behoben. Im kommenden Jahr wird es in Nordrhein-Westfalen rund 155.000 Kita-Plätze für Unterdreijährige geben. Im Vergleich zu 2010, Herr Kollege Laschet, ist das eine Steigerung von 43 %. Das ist die Leistung, die wir vorweisen können, und darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Insgesamt gibt es in Nordrhein-Westfalen weit über 600.000 Betreuungsplätze für Kinder im Vorschulalter.
Auch die Qualität der Kinderbetreuung hat sich seit 2010 verbessert. Durch unsere Reformen des von Ihnen sogenannten Kinderbildungsgesetzes steht nun der Rekordwert von 2 Milliarden € für frühkindliche Bildung und Sprachförderung zur Verfügung. Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Laschet, hat zudem den drittbesten Betreuungsschlüssel aller Bundesländer für Unterdreijährige. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Dazu haben Sie keinen einzigen Beitrag geleistet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir wissen selbstverständlich, dass der Konflikt zwischen Familie und Beruf mit dem Beginn der Schulzeit nicht endet. Deshalb setzen wir auf offene Ganztagsschulen. Sie sind ein Erfolgsmodell. Ihre Anzahl wächst stetig. Im kommenden Schuljahr werden wir die Zahl der Plätze in der offenen Ganztagsbetreuung auf 280.000 steigern. Schon heute bieten 71 % aller Schulen in der Primar- und Sekundarstufe I eine Ganztagsbetreuung an.
Zum Vergleich, Herr Kollege Laschet, weil Sie ja immer andere Bundesländer heranziehen: Im Bundesdurchschnitt sind es 51 %, in Bayern nur 46 % und in Baden-Württemberg nur 29 %. Da hat die grün-rote Regierung viel aufzuholen bei dem, was die CDU da an Mängeln hinterlassen hat, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Für die Fraktionen von SPD und Grünen ist es wichtig, dass der Erfolg der offenen Ganztagsschule auch finanziell flankiert wird. Aus diesem Grund haben wir eine Erhöhung der Finanzierungsmittel in Höhe von 5 Millionen € vorgesehen.
Zudem sind wir uns einig, die Schulsozialarbeit fortzuführen und weiterzuentwickeln. Die Finanzierung eines entsprechenden Programms von 48 Millionen € ist gesichert.
Aber, Herr Kollege Laschet, damit das ein für alle Mal klar bleibt: Das ist keine Landesaufgabe. Wir machen ein Förderprogramm für drei Jahre, weil wir helfen wollen und helfen müssen, diese wichtige Aufgabe zu sichern. Wir sind uns mit den kommunalen Spitzenverbänden, die uns dafür loben und die sagen, dass das eine gute Sache ist, was wir machen, einig darin, dass wir gemeinsam dafür sorgen wollen, dass der Bund endlich diese Aufgabe weiterführt. Das ist seine Sache.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich wäre froh, wenn Sie an unserer Seite wären, Herr Kollege Laschet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir haben das Thema „schulische Inklusion“ angepackt. Wir haben dafür gesorgt, dass der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern in Regelschulen flächendeckend angeboten wird. Das machen wir ebenfalls im Schulterschluss mit den Kommunen. Auch das unterscheidet unsere von Ihrer Regierungszeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Nordrhein-Westfalen ist das Wissenschaftsland in Deutschland und Europa. Unsere 71 Hochschulen und mehr als 40 außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind Entwicklungszentren für technologische Innnovation und zugleich Basislager für sozialen Aufstieg. Aus diesem Grund haben wir seit 2010 die Finanzmittel dafür um über 30 % erhöht. Im Haushalt 2015 werden 7,8 Milliarden € dafür zur Verfügung stehen. Das ist ebenfalls ein Rekord, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Nicht minder beeindruckend ist die Unterstützung, die das Land seit mehr als vier Jahren seinen Städten und Gemeinden zukommen lässt und die Sie anerkennen müssten, wenn Sie sich zu Ihren Fehlern bekennen und Ihre Scheuklappen endlich ablegen würden.
Bis 2010 versuchten Sie – die abgewählte schwarz-gelbe Regierung – nämlich, den Landeshaushalt doch auch dadurch zu sanieren, dass Sie die kommunalen Haushalte geplündert haben,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
und zwar in einem Ausmaß, bei dem uns heute noch der Atem stockt. Mehr als 3 Milliarden € haben Sie den Kommunen weggenommen. Haben Sie das schon vergessen, Herr Kollege Laschet? Sie waren doch ganz vorn mit dabei bei diesem Raubzug durch die kommunalen Kassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, diesen Raubzug haben wir gestoppt – mit Erfolg im Übrigen. 2010 gab es in Nordrhein-Westfalen unter Ihrer Regierungsverantwortung noch 138 Kommunen mit Nothaushalten. Jetzt sind es nur noch drei. Das ist ein Erfolg unserer Arbeit, Herr Kollege Laschet.
Mehr noch: Im nächsten Jahr werden wir das Volumen der Gemeindefinanzierung auf 9,6 Milliarden € anheben. Hinzu kommen über 450 Millionen € für den Stärkungspakt – nur die reine Landesfinanzierung gerechnet. Insgesamt gibt es also 10 Milliarden € für lebenswerte Städte und Gemeinden. In der Geschichte unseres Landes, meine Damen und Herren, hat keine Regierung die Kommunen stärker entlastet und mehr gefördert als diese rot-grüne Koalition unter Führung von Hannelore Kraft.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich füge hinzu: Ja, ganz selbstbewusst sagen wir, darauf sind wir stolz, weil wir unsere Kommunen wieder handlungsfähig machen.
Eine große Herausforderung für unsere Kommunen ist derzeit die stetig wachsende Zahl schutzsuchender Flüchtlinge. Wir sind fest entschlossen – auch das wird in diesem Haushalt sichtbar –, niemanden mit den damit einhergehenden Problemen alleinzulassen, weder die Flüchtlinge noch die Kommunen.
(Zuruf von der CDU: Wirklich ein Hohn!)
Unsere Städte und Gemeinden werden im kommenden Jahr, Herr Kollege Lindner, insgesamt 145 Millionen € an Unterstützungsleistungen erhalten. 54 Millionen € kommen vom Bund, 91 Millionen € wird das Land bereitstellen. Das Gros der Landesmittel, Herr Kollege Laschet, geht direkt an die Kommunen, und mit den übrigen Finanzmitteln unterstützt das Land die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge, ihre Unterbringung sowie die Betreuung ihrer Kinder.
Um das noch einmal klar und deutlich zu sagen: Die Bundesmittel werden eins zu eins an die Kommunen weitergeleitet. Von den insgesamt 108 Millionen €, die aus dem Bund-Länder-Paket nach Nordrhein-Westfalen fließen, muss das Land Nordrhein-Westfalen 54 Millionen € wieder zurückzahlen. Das müssten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, doch eigentlich ganz genau wissen. Trotzdem behaupten Sie das Gegenteil.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Kollege Laschet, weil Sie das wissen, sage ich Ihnen ganz offen: Dass Sie das Gegenteil behaupten, das ist schäbig und das ist unredlich. Das macht man nicht. Sie sollten sich dafür schämen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir geben also die Bundesmittel direkt und in voller Höhe an die Kommunen, in denen Flüchtlinge sind, weiter. Die wissen das im Gegensatz zu Ihnen auch zu schätzen.
Meine Damen und Herren, mir ist wichtig herauszustellen: Nordrhein-Westfalen bleibt ein guter Ort für diejenigen, die zu uns flüchten. Wir werden darüber die Deutungshoheit weder dieser sogenannten PEGIDA noch Rechtsextremisten überlassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der Haushalt 2015 zeichnet sich also nicht nur durch Zukunftsinvestitionen auf Rekordniveau aus, durch Zukunftsinvestitionen in eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, in Bildung, Wissenschaft, Forschung und nicht zuletzt in starke Kommunen, sondern mit diesem Haushalt senken wir auch abermals die Nettokreditaufnahme. Im kommenden Jahr fällt sie auf 1,93 Milliarden €.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich kann Ihnen das nicht ersparen, und ich erinnere Sie noch einmal daran:
Als Sie wieder von den Menschen in Nordrhein-Westfalen abgewählt worden sind, hatten Sie für 2010 eine Neuverschuldung in Höhe von 6,6 Milliarden € geplant. Darin war schon eingerechnet, was Sie den Kommunen weggenommen haben.
(Zurufe von der SPD – Christof Rasche [FDP]: Unglaublich!)
Sie hatten für die Jahre danach ebenfalls eine Neuverschuldung, und zwar in ähnlicher Größenordnung, geplant. Wir haben, meine Damen und Herren, die Haushaltskonsolidierung kontinuierlich vorangetrieben.
(Lachen von der CDU und der FDP)
Wir haben die Neuverschuldung Schritt für Schritt gesenkt, ohne auf die notwendigen Zukunftsinvestitionen zu verzichten und ohne unsere Kommunen zu schröpfen, wie Sie das gemacht haben, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Kollege Laschet, damit Ihnen unsere Anstrengung richtig bewusst wird, sage ich Ihnen: Wir liegen mit 1,93 Milliarden € um 70 % unter dem Neuverschuldungsniveau bei unserem Regierungsantritt vor vier Jahren, also 70 % unter dem, was Sie uns hinterlassen haben.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Ich will von Ihnen dafür kein Lob haben; das brauchen wir auch gar nicht.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Aber wissen Sie: Sie sollten das wenigstens sportlich anerkennen, anstatt immer kleinkariert und kleinkrämerisch daran herumzukritteln, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD – Heiterkeit von Armin Laschet [CDU])
Alle können also sicher sein: In spätestens fünf Jahren werden wir 100 % planmäßig erreichen
(Zuruf von der CDU: Aha!)
und einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
(Dr. Marcus Optendrenk [CDU]: Dann sind Sie gar nicht mehr in der Regierung! – Lachen von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das kann nur von ganz hinten kommen! – Ibrahim Yetim [SPD]: Gott schütze NRW!)
Das nenne ich eine solide und nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik, meine Damen und Herren.
Das haben im Übrigen auch die unabhängigen Experten des Stabilitätsrates von Bund und Ländern bestätigt, die am vergangenen Montag in Berlin getagt haben. Wie wurde dieser Erfolg möglich?
Erstens. Vor allem durch kluges und gezieltes Sparen. Die von uns vorgenommenen Einsparungen summieren sich im Haushalt 2015 auf 1,5 Milliarden € – dazu kein Wort von Ihnen, Herr Kollege Laschet.
(Zuruf von der CDU: Stimmt auch nicht!)
Zweitens. Durch Wachstumsimpulse.
Drittens. Durch Einnahmeerhöhungen. Damit habe ich selbstverständlich die Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 1,5 Prozentpunkte gemeint.
(Karlheinz Busen [FDP]: Toll!)
Diese Anhebung, meine Damen und Herren, ist notwendig, um angesichts einer unsicheren Konjunkturlage Haushaltsrisiken abzufangen, die politische Handlungsfähigkeit des Landes zu erhalten und schließlich den Konsolidierungspfad bis 2020 zu stabilisieren.
(Karlheinz Busen [FDP]: Noch mehr Steuern!)
Ich gebe es gerne zu: Es wäre gerechter, den Spitzensteuersatz zu erhöhen oder eine angemessene Besteuerung von Kapitaleinkünften durchzusetzen. Das ist uns als Land allein jedoch nicht möglich.
(Beifall von Andreas Bialas [SPD] – Karlheinz Busen [FDP]: Immer mehr Steuern!)
Dennoch und allen falschen Behauptungen zum Trotz: Das wäre sehr viel gerechter, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Karlheinz Busen [FDP]: Aber in die falsche Richtung!)
Allen falschen Behauptungen zum Trotz: Wir werden den Haushalt durch Wachstumsimpulse und vor allem durch strukturelle, also durch dauerhafte und nachhaltige Einsparungen konsolidieren.
Die Einnahmesteigerung durch die Anhebung der Grunderwerbsteuer ist die weitaus kleinere Komponente unserer Konsolidierungsstrategie.
(Ralf Witzel [FDP]: Dann lassen Sie sie doch weg!)
So sind wir, meine Damen und Herren, nach wie vor fest entschlossen, den Anstieg der Personalausgaben so stark zu bremsen, dass bis 2017 mindestens 700 Millionen € eingespart werden können. Durch das Besoldungsgesetz 2013/2014 sind bereits 220 Millionen € Einsparungen erreicht worden. In den kommenden drei Jahren werden jeweils 160 Millionen € hinzukommen müssen.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Jetzt bin ich an einem interessanten Punkt angelangt: Was sind die Alternativen der Opposition? – Doch nicht dieses 15-seitige Papier, Herr Kollege Laschet, das Sie jetzt auch noch in einen Entschließungsantrag gepackt haben, das Sie als „Schwerpunkte Ihres Haushaltes 2015“ verkaufen wollen!
Nehmen wir einmal Seite 10 Ihres Papiers, Kapitel Hochschulpolitik – ich zitiere –: Die praktische Umsetzung von Hochschulfreiheit erfordert als Grundlage ein Gesamtfinanzierungskonzept aus staatlicher Grundfinanzierung, Drittmitteln und einem Nutzerbeitrag. – Nutzerbeitrag? Das sind doch Studiengebühren!
(Zurufe von der CDU: Ja!)
Sagen Sie das doch laut und deutlich und nicht so verdruckst, meine Damen und Herren. Bei diesem Satz schaut doch das schlechte Gewissen aus jedem Buchstaben heraus.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie machen das doch deshalb so klammheimlich, weil Sie wissen: Mit der Forderung nach Studiengebühren hat die NRW-CDU bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal.
(Zuruf von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])
Sie wollen, feige, wie Sie sind, das noch nicht einmal offen aussprechen. Das ist schäbig, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben die Studiengebühren abgeschafft; Sie wollen sie wieder einführen: mindestens 4.000 € bis zum Masterabschluss für einen Studenten. Wenn noch eine Schwester mit dazukommt, müssen die Eltern zusehen, wie sie und ob sie etwas zu diesen 8.000 € beisteuern können.
(Zurufe von der CDU)
Nein, meine Damen und Herren, Ihre Alternativen sind doch nicht Einsparungen, sondern drastische Belastungen für junge Familien, für Studierende und für deren Eltern. Das ist der Unterschied zu uns!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben die Gebühren für das letzte Kitajahr abgeschafft. Sie wollen sie wieder einführen.
(Werner Jostmeier [CDU]: Was Sie sagen, ist falsch!)
Sie wollen, Herr Kollege Laschet, eine Facharbeiterfamilie in Essen mit 1.600 € belasten, eine alleinerziehende Akademikerin in Dortmund mit 1.750 € oder eine junge Familie in Bonn, bei der der Vater Vermessungstechniker und die Mutter Krankenschwester ist, mit über 3.000 €. Das ist der Unterschied zu uns.
Steuererhöhungen sind für Union und FDP eine Todsünde, aber Gebührenerhöhungen eine Tugend.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!)
Meine Damen und Herren, welch eine ideologische Schizophrenie!
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
In aller Offenheit – ich wiederhole das gerne –: Ihre Politik ist bildungsfeindlich, und sie ist familienfeindlich. Meine Damen und Herren, sie richtet sich gegen junge Erwachsene genauso wie gegen Kinder und Eltern.
(Armin Laschet [CDU]: Fragen Sie mal die Erzieherinnen, was die dazu sagen!)
Meine Damen und Herren, schauen wir hinein in das, was Sie wollen. Sehen wir uns das genau an.
Sie wollen das Sozialticket streichen,
(Zuruf von der CDU: Ja!)
weil das soziale Grundrecht auf Mobilität gar kein Grundrecht sei.
Und natürlich wollen Sie sich auch wieder bei den Haushalten der Kommunen bedienen. Würden Ihre sogenannten Reformvorschläge für die Gemeindefinanzierung Realität, dann nähmen Sie unseren Städten und Gemeinden mindestens 1 Milliarde € weg. Auch das müssen wir offen sagen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Wenn ich Sie ernst nehme, muss ich feststellen: Das Schlimmste an all dem ist, dass Sie damit einem ausgeglichenen Haushalt keinen Schritt näherkämen; denn das, was Sie durch Gebührenerhöhungsorgien für den Landesetat eintreiben wollen, würden Sie in gleichem Atemzug wieder ausgeben.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Mehrfach!)
Herr Tenhumberg hat 494 Millionen € mehr für die Kitas gefordert, Herr Kaiser 290 Millionen € für die Inklusion, Herr Kuper 90 Millionen € für den Stärkungspakt und Sie, Herr Laschet, auch noch 160 Millionen € für digitale Bildung, für Lehrerfortbildung, für Masterstudiengänge und die Medizinische Fakultät in OWL.
(Armin Laschet [CDU]: Das sind Bundesmittel! Das ist Bundesgeld!)
Auf sage und schreibe 1,1 Milliarden € summieren sich die CDU-Forderungen für das Haushaltsjahr 2015.
(Armin Laschet [CDU]: Das hat der Bund euch hingelegt!)
Und dass Sie dann, Herr Kollege Laschet, für sich in Anspruch nehmen, eine solidere Haushaltspolitik machen zu können,
(Armin Laschet [CDU]: So ist es!)
das hat mit Finanzkompetenz überhaupt nichts zu tun. Eher etwas mit profunden Kenntnissen von Magie und Zauberei, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, eine kurze Anmerkung zu den Haushaltsanträgen der FDP: Die Leistung der FDP in diesem Jahr besteht im Wesentlichen darin, ihre Haushaltsanträge des vergangenen Jahres durch die Aktualisierung der Jahreszahlen auf den neuesten Stand zu bringen.
(Christian Lindner [FDP]: Annuität! – Weitere Zurufe von der FDP)
Herr Kollege Lindner, das war sicher eine intellektuelle Herausforderung, der Sie sich aber tapfer gestellt haben. Ich will das ausdrücklich anerkennen.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP] – Weitere Zurufe von der FDP)
Meine Damen und Herren, in den kommenden Monaten werden auf Bundesebene Verhandlungen geführt – Sie sind nicht dabei, Herr Kollege Lindner –, die die Kerninteressen Nordrhein-Westfalens berühren. Es geht um die Reform des Länderfinanzausgleichs und darum, die strukturelle Benachteiligung unseres Landes zu beenden. Nordrhein-Westfalen soll wieder mehr von dem erhalten und behalten, was seine Bürgerinnen und Bürger erwirtschaften. Das ist die Position der Ministerpräsidentin, und das ist unsere Position, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Warum hat die Landesregierung nicht die volle Unterstützung der NRW-CDU in dieser Frage, die so entscheidend für die Zukunft unseres Landes ist? Anstatt Ihren Einfluss für NRW im Bund geltend zu machen und landespolitische Verantwortung zu demonstrieren,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Welchen Einfluss?)
hintertreibt die NRW-CDU aber die Reformbemühungen der Regierung, wo sie nur kann.
(Armin Laschet [CDU]: Zweckgebundene Infrastrukturmittel! Initiativkreis Ruhr!)
Der stellvertretende Vorsitzende der NRW-CDU, Steffen Kampeter, auch Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, nennt die Beendigung der Benachteiligung Nordrhein-Westfalens realitätsfremd und greift Hannelore Kraft persönlich an.
(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)
Herr Laschet will verhindern – das ist gerade noch einmal deutlich geworden –, dass Nordrhein-West-falen seinen gerechten Anteil aus dem Aufkommen des Solidaritätszuschlags erhält. Sie wollen das Land zu einem Bittsteller um die Steuermittel machen,
(Armin Laschet [CDU]: Initiativkreis Ruhr!)
die unsere Bürgerinnen und Bürger selbst erwirtschaftet haben. Warum wollen Sie das, Herr Kollege Laschet? In Wahrheit geht es Ihnen doch gar nicht um den Soli, die Infrastruktur oder die Interessen des Landes.
(Armin Laschet [CDU]: Sie sollten nachlesen, was im Ruhrgebiet läuft!)
Sie hoffen, die Landesregierung und die Koalitionsparteien beschädigen zu können, indem Sie die Verhandlungen hintertreiben. Das ist Ihr Motiv, Herr Kollege Laschet. Legen Sie es doch auf den Tisch!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das gleiche Spiel, meine Damen und Herren, wiederholt sich im Übrigen auch bei den Regionalisierungsmitteln für den öffentlichen Nahverkehr, über dessen Volumen und Verteilung gerade verhandelt wird. Auch hier wird Nordrhein-Westfalen benachteiligt. Aber auch hier wäre es im Interesse des Landes, wenn Sie nicht nur Anträge verabschieden, sondern sich aktiv in Berlin für NRW einsetzen würden. Warum liefern Sie uns – Herr Kollege Laschet, ich lade Sie dazu ein – nicht einen Wettbewerb um den ersten Preis für denjenigen, der am meisten bei der Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs und bei der Verteilung der Regionalisierungsmittel für NRW herausholt? Ich würde mich diesem Wettbewerb mit Ihnen gerne stellen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Kollege Laschet, der Bundesrat hat einstimmig, also mit den Stimmen aller Länder, ein Regionalisierungsgesetz beschlossen, das vorsieht, dass die Länder mehr Regionalisierungsmittel erhalten sollen, als der Bundesfinanzminister bereit ist zu zahlen.
(Armin Laschet [CDU]: Sehr richtig!)
8,5 Milliarden € statt, wie jetzt vorgesehen, 7,3 Milliarden €! Und das Gesetz aus dem Bundesrat sieht eine Dynamisierung vor, die Schäuble auch nicht will. Ich habe alle Bundestagsabgeordneten meiner Partei aus Nordrhein-Westfalen angeschrieben und sie aufgefordert, im Bundestag für das Gesetz aus dem Bundesrat einzutreten, weil das gut für alle Länder, auch gut für Nordrhein-Westfalen ist. Ich lade Sie ein: Schreiben Sie Ihren CDU-Bundestags-abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen ebenfalls,
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
und fordern Sie die auf, für die Initiative des Bundesrates einzutreten. Dann würden Sie endlich einmal eine gute Tat für Nordrhein-Westfalen tun, Herr Kollege Laschet. Daran würden wir Sie gerne messen wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Dafür hat er doch keine Zeit!)
Was machen Sie stattdessen? – Sie schaden lieber unserem Land. Sie haben doch der Kanzlerin vorgegaukelt, der Rechtsstaat sei bei uns in Gefahr, weil wir in vier Jahren vier Urteile des Verfassungsgerichtshofs gegen uns erhalten haben. Starker Tobak! Frau Merkel ist auf Sie herangefallen
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
und behauptet diesen Quatsch auch noch öffentlich. Herr Laschet, das fällt auf Sie zurück. Haben Sie denn Frau Merkel wirklich nicht gebeichtet, dass in Ihrer kurzen Regierungszeit der Verfassungsgerichtshof sage und schreibe elfmal – ich wiederhole: elfmal – gegen Schwarz-Gelb entschieden hat
(Zurufe von der SPD: elfmal!)
und zusätzlich – zum zwölften Mal – das Bundesverfassungsgericht? Haben Sie ihr das nicht gebeichtet, Herr Kollege Laschet?
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Das ist und bleibt einsamer Rekord. Das ist Ihr Alleinstellungsmerkmal, meine Damen und Herren von CDU und FDP.
Herr Laschet, wie sollen denn die Menschen in diesem Land in Ihnen eigentlich eine Führungspersönlichkeit erkennen können, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, Ihre eigene Partei auf die Interessen Nordrhein-Westfalens zu verpflichten? Sie haben noch nicht einmal genügend Autorität, um einen Bezirksbürgermeister in Köln zur Raison zu bringen, der ein stillschweigendes Bündnis mit Rechtsradikalen eingegangen ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Keine Autorität! Das wäre dann auch, Herr Kollege Laschet, endlich mal ein Beleg dafür, dass die CDU in Köln tatsächlich ernsthaft gegen rechts auftreten würde.
(Armin Laschet [CDU]: Unglaublich!)
Mehr als 20 Jahre, Herr Kollege Laschet – ich fand es vorhin anmaßend, was Sie zu Köln gesagt haben –, hat sich die CDU in Köln immer weggeduckt, wenn es um den Kampf gegen rechts ging.
(Armin Laschet [CDU]: Quatsch! Das stimmt nicht!)
Jetzt waren Sie einmal dabei, und schon machen Sie hier so ein Bohei! Das ist unredlich, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Ich will Ihnen, Herr Kollege Laschet, auch das Folgende nicht ersparen. Dank Ihrer mangelnden Führungskraft stand der CDU-Bundesparteitag am Ende vor der Wahl, entweder einen Bundesminister zu beschädigen oder die Frauenquote ad absurdum zu führen. Ja, wie das ausgegangen ist, das wissen wir.
Und weil Sie vorhin aus einer Zeitung zitiert haben, zitiere ich auch aus einer. In der „Rheinischen Post“ hat über den Zustand der NRW-CDU – sie hat es auf den Punkt gebracht – gestanden – ich zitiere –:
„Kein Wirtschaftsprofil, kein Personalkonzept, keine Diskussion und ein Chef, der sich nicht festlegen will – als kraftvolle Oppositionspartei ist die CDU in Nordrhein-Westfalen derzeit ein Totalausfall.“
– “Rheinische Post“, Herr Kollege Laschet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren! Die rot-grüne Koalition unter der Führung von Hannelore Kraft kann zur Mitte dieser Legislaturperiode auf eine beachtliche Leistungsbilanz hinweisen. Wir geben es aber gerne zu: Noch haben wir nicht alle Ziele erreicht. Wir haben immer noch viel vor.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Zweieinhalb Jahre!)
Unsere Koalition, meine Damen und Herren, arbeitet hart mit einer hohen Schlagzahl. Wir machen das konzentriert und diszipliniert. Und diese Koalition funktioniert gut, weil SPD und Grüne sich vertrauen und weil wir uns aufeinander verlassen können, meine Damen und Herren. Und das bleibt, meine Damen und Herren von CDU und FDP. Das ist der Unterschied zu Ihrer Regierungszeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diese Koalition funktioniert.
Nordrhein-Westfalen – das sagen wir ganz selbstbewusst – ist der Standort, von dem aus der Fortschritt beginnt: wirtschaftlich mit der Förderung moderner Industrien und produktionsorientierten Dienstleistungen und mit dem Klimaschutz als Fortschrittsmotor für die ökologische Modernisierung unseres Landes und gesellschaftlich durch die Gestaltung einer neuen Ära „Gute Arbeit“ für das Zeitalter der digitalen Ökonomie und durch den weiteren Ausbau unserer vorbeugenden Sozial- und Bildungspolitik.
Meine Damen und Herren, wir nutzen die Herausforderungen. Wir gehen die Probleme an, Schritt für Schritt. Ja, wir treiben den Strukturwandel voran, und wir nutzen seine wirtschaftliche Dynamik für die soziale und ökologische Gestaltung.
Und das alles kann man diesem Haushalt entnehmen. Deshalb sagen wir selbstbewusst: Ja, wir stimmen diesem Haushalt zu. Er ist eine gute Grundlage für die weitere Entwicklung unseres Landes und dafür, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen gut leben können. – Glückauf für unser Land, meine Damen und Herren!
(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lindner.
Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe mir, weil Weihnachten vor der Tür steht, fest vorgenommen, mit etwas Positivem zu beginnen. Weihnachten ist das Fest der Liebe und das Fest der Versöhnung. Deshalb, Herr Römer, habe ich genau zugehört, als Sie hier gesprochen haben, um etwas Positives zu Ihrer Rede zu sagen: Mit Ihrer neuen Brille haben Sie Modebewusstsein bewiesen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Bedauerlicherweise hat die neue Brille Ihren Blick fürs Land nicht geschärft. Im Westen nichts Neues, kann man mit Remarque sagen. Für Norbert Römer hat die Opposition keinen Blick für die Realitäten im Land. Die Gewerkschaften, die Sie kritisieren: Realitätsverlust. Wenn Wirtschaftsverbände Sie kritisieren, dann schlagen Sie Einladungen aus, weil jede Form von Kritik für Sie ideologische Oppositionsrhetorik ist.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Majestätsbeleidigung ist das!)
Überall im Land nur Realitätsverlust für Sie.
Gott sei Dank, einen Lichtblick gibt es: die Landesregierung. Die Landesregierung macht alles richtig, sie macht Nordrhein-Westfalen stärker und gerechter. Das Problem ist nur, verehrter Kollege Römer: Außer Ihnen glaubt das im Land keiner mehr – nur noch Sie!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Außer Ihnen leiden alle unter Realitätsverlust. Das mag damit zusammenhängen, dass Sie die Lage des Landes und Ihre Politik so darstellen wie Karamellbonbon-Werbung: alles in ein güldenes Licht getaucht und weichgezeichnet. In der Realität des Landes, verehrte Damen, meine Herren, haben aber nicht nur die Straßen so viele Löcher wie Kinder Karies haben nach zu viel Genuss von Karamellbonbons, Herr Römer. Es ist nicht so, dass Ihnen lauter Geisterfahrer entgegenkommen, sondern Sie sind derjenige, der auf einem falschen Kurs ist!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sehr gut gefallen hat mir die Rede von Armin Laschet. Das war eine Rede, in der ich nahezu alle Einzelaspekte habe unterschreiben können, auch mit einem Konzept für das Land.
(Zuruf von der SPD)
Sehr gut gefallen hat mir die Forderung nach einem Entfesselungsimpuls für Nordrhein-Westfalen; das ist der richtige Weg.
(Zuruf von der SPD)
Dennoch gibt es eine gewisse Spannungslage zwischen dem, was die Union völlig zu Recht in Nordrhein-Westfalen fordert, und jenem, was die Union in der Großen Koalition in Berlin an praktischer Politik macht. Wie kann man denn das Tariftreuegesetz in Nordrhein-Westfalen – übrigens zu Recht – als „bürokratisch“ kritisieren und gleichzeitig in der Bundesregierung ein Mindestlohngesetz auf den Weg bringen – und dafür 1.600 zusätzliche Beamte beim Zoll für die flächendeckende Kontrolle von Handwerk und Mittelstand einstellen –, das einen Bürokratieumfang von 10 Milliarden € hat?
Wie kann man das Tariftreuegesetz in Nordrhein-Westfalen kritisieren und im Bund eine solche zusätzliche Bürokratie für Handwerk und Mittelstand auf den Weg bringen?
(Beifall von der FDP)
Das Tariftreuegesetz Nordrhein-Westfalen ist ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem Bürokratiesturm, der ab 1. Januar 2015 auf Mittelstand und Handwerk zukommt.
Zum anderen: Wie kann man denn hier das Klimaschutzgesetz Nordrhein-Westfalen kritisieren, und gleichzeitig legt Sigmar Gabriel als Bundeswirtschaftsminister der CDU-geführten Bundesregierung einen „Aktionsplan Klimaschutz 2020“ vor, der massiv eingreift in die wirtschaftliche Grundlage der Energieversorgungsunternehmen, gerade hier im Land? Ich sage Ihnen nur ein Stichwort: E.ON.
Wie passt das zusammen, zu sagen: „Wir brauchen keine nationalen Alleingänge beim Klimaschutz“, und genau das im Bund zu machen? – Das führt zu einer Gefährdung von 12.000 Arbeitsplätzen allein im Ruhrgebiet, wie das Institut für Weltwirtschaft prognostiziert hat.
Also, bei der guten Rede, die die Union hier heute gehalten hat, frage ich mich: Wie passt das mit der Politik in Berlin zusammen?
(Beifall von der FDP)
Man hat den Eindruck: Die CDU versucht, gleichzeitig auf Gas und Bremse zu stehen. So etwas kennt man aus dem Rallyemotorsport, gleichzeitig auf Gas und Bremse zu stehen. Armin Laschet war heute hier so etwas wie der Walter Röhrl der Landespolitik.
(Heiterkeit von der FDP)
Das erfordert aber eine hohe Virtuosität hinter dem Lenkrad, weil man nämlich sonst in der Leitplanke landet.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, Norbert Römer hat hier – und das ist vielleicht auch, was die Zahlen angeht, die bemerkenswerteste Entwicklung seit der ersten Lesung des Landeshaushalts für das Jahr 2015 – darauf hingewiesen, dass die Nettokreditaufnahme gegenüber der ersten Lesung auf unter 2 Milliarden € reduziert wird.
Sie heben noch einmal den Daumen, um sich dessen besonders zu rühmen. Das ist ja eine unbestreitbare Zahl, Herr Kollege, aber umso mehr macht es Sinn, sie in einer langfristigen Entwicklung zu würdigen und zu betrachten.
(Norbert Römer [SPD]: Seit 2010, ja!)
Sie haben ja – genau – noch einmal die mittelfristige Finanzplanung des Jahres 2010 bemüht. Auch da muss man sagen: Im Westen nichts Neues. Das ist inzwischen – im Fußball würde man so sagen – eine Standardsituation, dass Sie die alten Zahlen nehmen.
(Zurufe von der SPD)
Wir erinnern uns aber an das Jahr 2008, mit einer dramatischen Wirtschafts- und Finanzkrise und einem enormen Wachstumseinbruch. Das ist eine andere konjunkturelle Lage, als wir sie heute haben. Vergleichen wir die jetzigen makroökonomischen Rahmenbedingungen mit damals, mit denen des Jahres 2010, Kollege Römer. Wenn Sie das machen, stellen Sie fest: Das Land hat heute über 10 Milliarden € höhere Einnahmen als die, mit denen Helmut Linssen seinerzeit planen konnte.
Durch die Niedrigzinsen, die Sie haben und die Sie nutzen können, werden dem Land gegenüber den damaligen Ansätzen 1 Milliarde € Zinskosten gespart. 10 Milliarden € höhere Einnahmen als die, mit denen Helmut Linssen planen konnte, 1 Milliarde € Einsparungen durch ein niedrigeres Zinsniveau! Ich frage Sie, Herr Römer: Wenn Sie sich für Ihre Nettokreditaufnahme hier so rühmen – wo ist das Geld hin, das zusätzlich in der Kasse ist und das Sie nicht zusätzlich für Zinsen ausgeben müssen? Wo finden wir das im Haushalt?
(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Norbert Römer [SPD] – Zuruf von der Regierungsbank)
Warum ist es nicht genutzt worden für zusätzliche Konsolidierungen?
Die unter 2 Milliarden € bei der Nettokreditaufnahme sind viel zu wenig ehrgeizig angesichts der Lage des Landes, der Landesfinanzen und ihrer Verbesserung. Das können Sie auch nicht leugnen. Dass Sie jetzt unter 2 Milliarden € gekommen sind – na ja, das hat doch nichts damit zu tun, dass es jetzt eine Konsolidierungsstrategie im Lande gegeben hätte. Sie haben es ja selber gesagt und haben dem einen relativ breiten Raum in Ihrer Rede gegeben.
Dass Sie unter 2 Milliarden € gekommen sind, das hängt mit einem höheren Aufkommen der Umsatzsteuer zusammen und vor allen Dingen mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer. Sie haben nicht gespart, sondern Sie erhöhen die Einnahmen durch Steuererhöhungen!
(Zuruf von Norbert Römer [SPD])
Sie greifen den Menschen in die Kasse, statt selber etwas zu tun!
(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)
Das ist die Art, wie Sie Landespolitik machen. – Das kennen wir von der SPD ja auch aus anderen Zusammenhängen.
(Norbert Römer [SPD]: Von der FDP!)
Das kennen wir von Ihnen, das haben wir in diesen Tagen noch einmal vorgeführt bekommen. Ich sage nur, Herr Römer: Thomas Stotko, der SPD-Schatzmeister in Witten, der bei anderen das Geld einkassiert, aber selber keine Beiträge leistet.
(Zurufe von der SPD: Pfui! – Schämen Sie sich!)
Norbert Walter-Borjans macht „Methode Stotko“ in groß.
(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist die Finanzpolitik, Methode Stotko: Einkassieren bei anderen, selber keine Beiträge leisten.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist Ihnen ja auch ins Stammbuch geschrieben worden; ich sage nur: Stabilitätsrat. Da haben Sie, Herr Römer, gerade versucht, die Analyse des Stabilitätsrats in ein Lob für Nordrhein-Westfalen umzubiegen. Das ist schon ein bemerkenswerter Judotrick; denn Nordrhein-Westfalen ist bei allen Kennzahlen, die der Stabilitätsrat zur Analyse der finanzpolitischen Lage und zur frühzeitigen Erkennung von Haushaltsnotlagen erhebt, unterdurchschnittlich.
Das Bemerkenswerte ist: Nordrhein-Westfalen senkt zugleich als größtes Bundesland diesen Durchschnitt noch weiter ab. Der Stabilitätsrat hat Nordrhein-Westfalen nicht gelobt, Herr Römer, der Stabilitätsrat hat auf Kritik an Nordrhein-Westfalen und ein Alarmsignal für Nordrhein-Westfalen verzichtet, weil Nordrhein-Westfalen den Schnitt selber nach unten zieht. Das ist die Realität. Das war keine Bestätigung Ihrer Politik, sondern ist im Gegenteil eine Mahnung, endlich einen Kurswechsel einzuleiten.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Das Institut der deutschen Wirtschaft wird in seinem aktuellen Konsolidierungsbericht noch deutlicher. Dort ist für alle Bundesländer geprüft worden, wie viele der disponiblen Landesmittel einzusparen wären, um die Schuldenbremse tatsächlich zu erreichen. Das Ergebnis: In Nordrhein-Westfalen wären es 7,2 % der disponiblen Ausgaben im Landeshaushalt, die ad hoc eingespart werden müssten, um auf einen Konsolidierungspfad zu kommen. In Nordrhein?Westfalen müsste also jeder 13. Euro strukturell eingespart werden, während in sieben Flächenländern bereits Überschüsse erzielt werden.
Es ist nicht so, lieber Armin Laschet, dass es nur eine Imagekampagne der Landesregierung ist, es gäbe hier eine diffuse Insolvenzmasse. Es ist auch nicht so, lieber Kollege Norbert Römer, dass Nordrhein-Westfalen vor Kraft kaum laufen könnte, vor Kraft nur so strotzen würde. Die bittere Realität ist: Unter der Regierungsverantwortung von Hannelore Kraft hat dieses eigentlich starke Land Kurs genommen auf den angekündigten Staatsbankrott und Verfassungsbruch am Ende dieses Jahrzehnts.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Das ist die bittere Realität. Die Defizite lassen sich inzwischen auch gar nicht mehr leugnen. Sie sind mittlerweile so offensichtlich, dass sie außerhalb der Plenarreden auch aus der Regierungskoalition selbst nicht mehr geleugnet werden. Ich will nur zwei Ereignisse der letzten Zeit nennen:
Am 29. November hat die grüne Partei in Nordrhein-Westfalen zu einer Diskussion über den Landeshaushalt geladen. Die Veranstaltung der Grünen trägt den Titel: „NRW auf Kurs oder auf dem Weg in die Überschuldung?“ – Ich zitiere aus der „Rheinischen Post“:
„Wie ernst die grünen Finanzexperten die Lage sehen, zeigt der geplante Vortrag von Simon Rock. Zum einen ist er sich keineswegs sicher, ob NRW es 2020 wirklich schafft, die strukturelle Neuverschuldung wie vorgeschrieben auf null zu bringen. Zum anderen warnt er in einer ‚Projektion‘ davor, dass NRW möglicherweise bis 2050 jedes Jahr neue Schulden macht.“
Da kann ich nur sagen, Herr Priggen, da hat wohl bei den Grünen endlich jemand in den Nachhaltigkeitsbericht der Landesregierung geschaut, in dem genau diese unsolide Planung steht, vor der Sie in Ihrer Veranstaltung gewarnt haben.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Die zweite Impression ist der Rücktritt des finanzpolitischen Sprechers der SPD während laufender Haushaltsberatungen. Das ist schon eine Delikatesse, Herr Römer, wenn der eigene Finanzexperte der SPD-Finanzpolitik das Misstrauen ausspricht. Herr Börschel ist ein bemerkenswerter Kronzeuge, der ebenfalls in der „Rheinischen Post“ sagt – ich zitiere –:
Man hätte den Dreiklang aus Einnahmenverbesserung, Sparen und Investieren besser anders zum Ausdruck bringen können, als Sie das mit Ihrer Finanzpolitik tun.
(Ralf Witzel [FDP]: Hat er doch recht!)
Sie, Herr Römer, reden Ihre Politik schön, während Ihr eigener Finanzexperte Ihnen während der Haushaltsberatungen von der Fahne geht. Wie passt das zusammen?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Nein, es ist so, wie es der sozialdemokratische Finanzminister von Baden-Württemberg gesagt hat: Es gibt einen Unterschied zwischen Realsparern und Verbalsparern.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Hier in Nordrhein-Westfalen ist die Heimat der Verbalsparer.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Denn in der Realität passiert nichts. Stattdessen wird auf andere gezeigt. Auf andere zeigen Sie, wenn es darum geht, Ihnen die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Ich nenne nur ein Beispiel: die Debatte um den Solidaritätszuschlag. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang, weil die Politik ihre Verlässlichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern aufs Spiel setzt. Von allen Parteien ist in den 90er-Jahren zugesagt worden, dass der Solidaritätszuschlag nur so lange und so weit erhoben wird, wie er zur Bewältigung der teilungsbedingten Sonderlasten benötigt wird.
Jetzt wird das umgewidmet; es gibt eine breite Phalanx, die den Soli jetzt mit einer Ewigkeitsgarantie ausstatten will – wie bei Kaiser Wilhelm, bei dem die Sektsteuer für die Kriegsflotte eingeführt worden ist. Die gibt es nicht mehr, aber die Sektsteuer bleibt. Die neue Sektsteuer soll der Solidaritätszuschlag sein.
Frau Kraft konzentriert all ihre Bemühungen darauf, aus dem Topf des Länderfinanzausgleichs und aus dem Aufkommen des Solidaritätszuschlags zusätzliche Mittel für Nordrhein-Westfalen herauszuschlagen – mit dem Argument einer angeblich strukturellen und langjährigen Benachteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen in den Bund-Länder-Finanzbe-ziehungen. – Das habe ich richtig verstanden, das ist ja die Argumentation.
Tatsächlich kann man beim Länderfinanzausgleich und bei den Regionalisierungsmitteln feststellen, dass Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu seiner Größe und seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung unterdurchschnittlich oder nicht proportional behandelt wird. Aber dass das so ist, hat doch eine Geschichte. Das kann man nicht komplett aus dem Zusammenhang der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen herauslösen.
Der Grund dafür, dass Nordrhein-Westfalen seit Jahren beim Länderfinanzausgleich und zum Beispiel bei den Regionalisierungsmitteln schlechter steht, als es eigentlich proportional stehen sollte, liegt doch darin, dass sozialdemokratische Regierungen seit Jahrzehnten den Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen bremsen wollten, indem sie beim Bund um Steinkohlesubventionen gebuhlt haben. Die sind noch nicht ausgelaufen,
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
da wollen Sie an andere Töpfe ran. Das ist doch der Grund!
Ich denke, knapp 100 Milliarden € wird Nordrhein-Westfalen wegen der Steinkohlesubventionen bekommen haben – 100 Milliarden €, die beispielsweise nicht für Verkehrsinfrastruktur und Bildung eingesetzt worden sind, weil Sie sich darauf konzentriert haben, eine Industrie, die in Nordrhein-Westfalen aufgrund der geologischen Situation keine Zukunft hat, künstlich zu beatmen. Und jetzt klagen Sie andere an. Frau Kraft, das ist nichts anderes als peinlich, was Sie machen.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Das ist eine peinliche Positionierung. Inzwischen wird man ja auch als Nicht-Sozialdemokrat außerhalb unserer Landesgrenzen auf Ihre Art der öffentlichen Argumentation angesprochen. Was für eine Selbstverzwergung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie doch bitte einmal den Test! Manche von Ihnen haben – wie ich sehe – ihr Tablet auf dem Tisch. Bitte geben Sie bei Google doch einmal ein: „Kraft fordert mehr Geld“. – Sie werden innerhalb von wenigen Sekunden 1,2 Millionen Treffer erhalten auf den Satz „Kraft fordert mehr Geld“. Das ist inzwischen ein Running Gag geworden, Frau Kraft, und es ist ein Armutszeugnis im wahrsten Sinne des Wortes.
(Heiterkeit und Beifall von der FDP und der CDU)
Diese Hilflosigkeit, diese gefühlte Schwäche, die Sie ausstrahlen, kein Selbstbewusstsein, kein Gestaltungsehrgeiz, kein Stolz auf das Land – und das alles wegen Fehlentscheidungen, die Sie über Jahre und Jahrzehnte getroffen haben.
Wenn man immer wie bei „Wer wird Millionär“ nach dem Joker Berlin ruft, wenn man fünfzehnmal in einer Sendung, um im Bild zu bleiben, nach dem Telefonjoker ins Kanzleramt rufen muss, um die Finanzen in Ordnung zu bekommen, dann sollten wenigstens die Mittel, die zur Verfügung stehen, abgerufen werden. Armin Laschet hat darauf hingewiesen.
Wir haben ja schon die Posse gehabt, dass 42 Millionen €, die eigentlich für den Straßenbau zur Verfügung stehen, nicht abgerufen worden sind, weil Sie mit den Planungen nicht parat gekommen sind,
(Zuruf von der SPD: Weil Sie die Ingenieure eingespart haben!)
weil Sie keine privaten Planungsbüros einschalten wollten in Ihrer „Staat-vor Privat“-Ideologie. Aber es schlägt dem Fass den Boden aus, wenn wir erfahren, dass jetzt ein um 139 Millionen € geringerer Betrag beim Bund angemeldet wird. Damit man nachher nicht sagen muss, dass man gar nicht alles in Anspruch nehmen kann, gibt sich Nordrhein-Westfalen gleich zu Beginn des Verfahrens zu bescheiden. Denn wer sich hinten anstellt, Frau Kraft, und dann nichts für Nordrhein-Westfalen herausholt, der macht sich unglaubwürdig, auch bei Verhandlungen über die bundesstaatlichen Finanzbeziehungen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Es ist kein Wunder, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen mit der Verkehrsinfrastruktur, dem Zustand der Straßen, unzufrieden ist. Das ist ein Armutszeugnis für das Land.
Unser konkreter Vorschlag: Machen Sie ein Sonderprogramm für den Landesstraßenbau. Nutzen Sie die Mittel in Höhe von 30 Millionen €, die Sie seinerzeit auf Druck der Linkspartei in die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs eingeführt haben, die keinem bedürftigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger zugutekommen, sondern in die kommunalen Haushalte fließen – nicht jede Kommune hat ein Sozialticket, da dies eine örtliche Entscheidung ist –, für ein konkretes Programm zum Ausbau unserer maroden Landesstraßen, Frau Kraft. Das wäre eine Investition durch wirtschaftliche Entwicklung, am Ende auch in die soziale Zukunft des Landes.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Der Linkspartei müssen Sie jedenfalls diese Maßnahme nicht erhalten.
Zum anderen: Sorgen Sie dafür, Frau Kraft, dass tatsächlich in Nordrhein-Westfalen konsolidiert und gespart wird, dass wir das Land auf seine wirklichen Kernaufgaben konzentrieren! Und in denen sollte das Land stark sein. Wenn Sie in den letzten beiden Jahren 280 Aufträge über insgesamt 13,3 Millionen € an Agenturen und Dienstleister vergeben – wie muss man das vor dem Hintergrund Ihrer Klage, Sie kommen mit dem Geld nicht zurecht, bewerten? 60.000 € für einen Erfahrungsaustausch mit Vertretern der Region Peleponnes in Griechenland – da hätte man wirklich gerne gewusst, was da ausgetauscht worden ist.
(Heiterkeit von der FDP und der CDU)
Oder für Rollup-Plakate mit dem Logo des Blitzmarathons: 10.000 €. Das ist Personality-PR, die wir nicht brauchen. Wer in Zeiten knapper Kassen für solche Extras noch Geld hat, der hat ein dickes Glaubwürdigkeitsproblem, Frau Kraft.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Mitunter wirkt das ja wie eine Karikatur, wenn Sie zum Beispiel in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung eine Veranstaltung machen zu dem Thema: „Wenn aus Kunst Kohle wird“. – Da fragt man sich, ob der Geschäftsführer von WestSpiel dort der Hauptreferent war.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das ist doch die Lage im Land. Mit solchen peinlichen Possen machen Sie Haushaltspolitik. Wir schlagen Ihnen vor: das Land auf Kernaufgaben konzentrieren, Bürokratie verschlanken, Überstandards reduzieren von der Tariftreue bis zum Landespersonalvertretungsgesetz, europäische Standards nur eins zu eins umsetzen in Landesrecht, damit hier in Nordrhein-Westfalen die Bürokratiebelastung weder für die öffentliche Hand noch für die Wirtschaft größer wird.
Dann gehen Sie bitte auch an die großen Landesbetriebe heran, die immer noch nicht vernünftig wirtschaftlich geführt werden. Der Landesrechnungshof mahnt in jedem Jahr erneut eine Veränderung bei unserem skandalträchtigen Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen an. Was für ein Riesentanker! Die Flächen sind nicht alle vernünftig wirtschaftlich verwertet. Immer wieder hören wir von Skandalen der Vergangenheit, aber es gibt keine Konsequenz, die daraus gezogen wurde. Was für Wowereit sein Flughafen war, Frau Kraft, das ist für Sie der Bau- und Liegenschaftsbetrieb. Ziehen Sie daraus die Konsequenzen!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das kann teilweise privatisiert werden. Wir haben vorgeschlagen, im Finanzministerium eine Abteilung zu schaffen, die sich um die Vergabe öffentlicher Aufträge bemüht.
(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])
Konzentrieren Sie sich darauf, am Markt zu mieten. Aber machen Sie Schluss mit diesem skandalträchtigen Betrieb!
Eine letzte Bemerkung zum Thema Konsolidierungspotenziale. Wissen Sie, Frau Ministerpräsidentin, zur Mitte der Legislaturperiode darf man den Blick ja auch einmal in die weitere Zukunft richten.
(Zuruf von den PIRATEN: Sollte man!)
Wir stehen vor der Digitalisierung aller Lebensbereiche, sie ist in vollem Gang. Und wir sind am Vorabend eines dramatischen demografischen Wandels, der hier in Nordrhein-Westfalen die Bevölkerungsstruktur verändern, aber auch zu einer erheblichen Verschiebung der Bevölkerung führen wird, und zwar aus dem ländlichen Raum stärker in die Metropolregionen. – Digitalisierung, demografischer Wandel.
Frau Ministerpräsidentin, ich frage Sie, wenn Sie noch über die Tagespolitik hinausschauen: Welche Konsequenzen soll das Land aus Digitalisierung und Demografie ziehen? – Gerade jetzt wäre doch mit Blick auf das Ende des Jahrzehnts die Zeit, einen grundlegenden und tiefgreifenden Umbau unserer Verwaltungsstruktur in Angriff zu nehmen.
Brauchen wir in Zeiten von Digitalisierung noch alle Bezirksregierungen? Hat übrigens noch jeder Kreis eine Bestandsgarantie, wenn es eine erhebliche Entvölkerung im ländlichen Raum gibt? Über diese Zukunftsfragen, in denen auch ein Potential für Kostensenkung liegt, wird – trotz des ehemaligen Effizienzteams – innerhalb der Landesregierung noch nicht einmal nachgedacht. Das ist Ihr großes Versäumnis, Frau Kraft; denn Zukunftschancen werden überhaupt nicht einmal angedacht!
(Beifall von der FDP)
Mit Blick auf die Finanzpolitik im engeren Sinne komme ich zum letzten Punkt. Dabei geht es um die Zahlen in Bezug auf die Einnahmeverbesserung. Herr Römer, es war schon ein starkes Stück, wie Sie hier gerade eben Armin Laschet für die Wiedereinführung von Studienbeiträgen kritisiert haben. Sie wissen, dass das Geld, was den Hochschulen seinerzeit als Ausgleich gegeben wurde, nicht an die steigenden Studierendenzahlen angepasst worden ist. Deshalb haben wir an den Hochschulen einen erheblichen Qualitätsverlust. Es müssten wesentlich mehr Mittel sein!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Kollege Römer, ich kann Sie da nur an den großen und visionären sozialdemokratischen Bildungspolitiker Peter Glotz erinnern. Peter Glotz hat einmal gesagt: „Lieber eine gute Ausbildung gegen eine mäßige Gebühr als ein beschissenes Studium umsonst.“
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das ist die Realität. Ich bekenne mich übrigens auch dazu. – Auch halte ich es für gerecht, dass einerseits der Arzt, der später ein hohes Lebenszeiteinkommen hat, etwas für seine Ausbildung zahlt, wenn auf der anderen Seite auch die pharmazeutisch-technische Assistentin etwas für ihre Ausbildung zahlen muss, obwohl sie kein hohes Einkommen hat. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Ich sage es einmal so: Das ist ein Stück Klientelpolitik für einen Teil der im öffentlichen Dienst beschäftigten ver.di-Mitglieder unter den Genossen.
Ich will aber auf den eigentlichen Punkt hinaus, den Sie, Herr Römer, hier angesprochen haben. Sie haben Armin Laschet kritisiert und gesagt, man würde mit diesem Studienbeitragsmodell eine junge Familie – aus Bochum, haben Sie, glaube ich, gesagt – mit 1.800 € Schulden zusätzlich belasten.
Ganz abgesehen davon, dass es da eine öffentlich-rechtliche Finanzierung gab, dass das mit dem BAföG verrechnet worden ist, dass also die Belastung aus BAföG und Studienbeiträgen nie höher war als das, was auch die SPD in der Bundesregierung immer als zumutbar betrachtet hat – es gab also keine zusätzliche Belastung –, ganz abgesehen davon: Sie kritisieren Armin Laschet wegen 1.800 € tatsächlicher oder angeblicher Mehrbelastung für Familien durch Studienbeiträge. Aber selber haben Sie vor ein paar Wochen hier gestanden und gesagt: Wenn eine junge Familie beim Wohnungskauf durch die Grunderwerbsteuer jetzt 4.500 € zusätzlich bezahlt, dann ist das eine Petitesse. Was regen Sie sich eigentlich so auf? – Das ist doch unglaubwürdig!
(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist allerdings richtig!)
Völlig unglaubwürdig! Bei der Anhörung zur Grunderwerbsteuer haben Ihnen 20 Sachverständige gesagt, dass das nicht auf diejenigen beschränkt sein wird, die jetzt gerade eine neue Wohnung kaufen wollen. Sondern, meine Damen und Herren da oben auf der Tribüne: Das, was die hier veranstalten, trifft auch Sie. Denn einerseits wird die Erhöhung der Grunderwerbsteuer auf die Mieter umgelegt, und andererseits werden viele Familien, die sich dann eine Wohnung nicht leisten können, weiter als Mieter auf dem Markt unterwegs sein und damit zu einer Angebotsverknappung beitragen. Sie sind der Mietpreistreiber und nicht der Mietpreisbremser, Herr Römer!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Es kommt aber noch besser: Die Grunderwerbsteuer wird nicht in allen Fällen gezahlt werden müssen. Wir haben das doch gerade bei der landeseigenen Portigon AG erlebt. Da kauft die Blackstone-Gruppe die Gebäude für ca. 350 Millionen € – aber eben nicht zu 100 %, und deshalb fällt keine Grunderwerbsteuer an.
(Zuruf von der FDP: Betrug am Steuerzahler!)
Das heißt, der Finanzinvestor zahlt nicht einen Euro Grunderwerbsteuer. Das Land mietet danach von dieser – früher haben Sie sie so genannt – „Heuschrecke“, muss aber keine höhere Miete zahlen, weil natürlich auch die Grunderwerbsteuer nicht auf die neue Miete umgelegt wird. Das bedeutet, dass das Land von dieser – ich sage es einmal diplomatisch – Steuergestaltungsmöglichkeit profitiert. Das aber ist der Gipfel der Heuchelei: anderen in die Tasche greifen und selbst von Tricksereien profitieren wollen!
(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Da hilft auch der kleine Antrag, den Sie dazu verfasst haben, überhaupt nicht. In ihm appellieren Sie – das haben Sie jetzt so hinten herum nachgeschoben – mit warmen Worten an Berlin, diese Gestaltungsmöglichkeiten jetzt aus dem Verkehr zu ziehen. Solange diese Gestaltungsmöglichkeiten nicht beseitigt sind, verbietet sich eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer, Herr Römer. So herum geht das! Nicht anders herum!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das alles folgt ja – wie ich es eben gerade dargelegt habe – einem Konzept. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben dieser Tage den „Ruhr-Nachrichten“ gesagt, Sie wollten im Karneval als Vampir gehen.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ich habe es nicht den „Ruhr-Nachrichten“ gesagt!)
– Es stimmt jedenfalls, dass Sie als Vampir gehen wollen. Das ist, muss ich sagen, eine Innovation; denn normalerweise verkleidet man sich im Karneval, und Sie zeigen Ihr wahres Gesicht.
(Große Heiterkeit und Beifall von der FDP und der CDU)
Wir werden Sie jedenfalls aus dieser Debatte über die Grunderwerbsteuer nicht frühzeitig entlassen. Ich sage hier: Wir als FDP-Fraktion werden für den morgigen Tag eine dritte Lesung des Grunderwerbsteuererhöhungsgesetzes beantragen, und wir werden eine namentliche Abstimmung darüber fordern,
(Beifall von der FDP und Dietmar Schulz [PIRATEN])
weil wir morgen sehen wollen, was die zehn bis zwanzig sozialdemokratischen Abgeordneten inklusive Herrn Börschel machen werden, wenn hier auch mit eigenen Namen darüber abgestimmt wird. Wir möchten sehen, wie die sich winden und welche gewundenen Protokollerklärungen dort abgegeben werden. Darauf freuen wir uns auch schon.
(Beifall von der FDP und der CDU)
In der Bildungspolitik ist der erste Bumerang eingeschlagen, meine Damen und Herren. Seit vier Jahren hören wir von Frau Kraft und Frau Löhrmann, man solle kein Kind zurücklassen. Dafür wird genau dieser Generation unter dem Deckmantel angeblich präventiver Sozialpolitik ein immer größerer Schuldenberg aufgelastet. Das war schon bekannt. Neu ist aber, dass uns nunmehr erste Ergebnisse dieser präventiven Sozialpolitik vorliegen. Nach vier Jahren kann man schließlich Bilanz ziehen.
Norbert Römer hat eben gesagt, in den vergangenen vier Jahren sei in Nordrhein-Westfalen der soziale Aufstieg viel besser möglich geworden. Entgegen dieser aus der neuen Brille betrachteten, angeblichen Verbesserungen sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft im Bildungsmonitor, Nordrhein-Westfalen stehe unterdessen auf dem vorletzten Platz. Selbst die Gewerkschaften merken das, Herr Römer. Leiden die auch an Realitätsverlust?
GEW und DGB schreiben am 20. November schreiben:
„Die angekündigte Politik der Prävention mit Investitionen ins Bildungssystem statt Nachsorge wird in der Realität nicht eingehalten.“
(Beifall von der FDP)
Leiden auch die Gewerkschaften an Realitätsverlust? Erkennen diese Ihre Wohltaten auch nicht mehr an? – Nein, man sieht eine vorsorgende Sozialpolitik. Das war einfach nur ein Tarnwort für neue Schulden und haushaltspolitische Tatenlosigkeit. Außer Rhetorik nichts gewesen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Ich möchte das anhand von drei Projekten in aller Kürze deutlich machen.
Erstes Projekt: Inklusion. Ich habe einmal gesagt, das sei das Prestigeprojekt der Regierung. Ich habe das wie folgt gemeint: Inklusion ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Die Teilhabe an der Inklusion ist eine gesellschaftspolitische Anforderung, zu der wir verpflichtet sind, und es ist auch ein Gebot der Humanität. Dem fühlen wir uns alle verpflichtet. Zu einem Prestigeprojekt wird es aber dann, wenn man die Inklusion für alle zur Regel machen will und beispielsweise die hervorragenden pädagogischen Ressourcen unserer Förderschulen einfach so hinten herüber wirft. Dann wird das ideologisch.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Frau Löhrmann, Sie haben allen Ernstes am 3. Dezember die Chuzpe gehabt, sich in der zweiten Lesung Haushaltsberatung hierhin zu stellen und wörtlich zu sagen – ich zitiere aus dem Protokoll –:
„Aber die Weichen sind in Nordrhein-Westfalen für diese schwierige Aufgabe richtig gestellt, und das wird uns auch bescheinigt.“
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Zitat Ende. – Dazu applaudiert nur Frau Beer.
(Heiterkeit von der FDP)
Zum Stichwort „Realitätsverlust überall im Land außer bei Rot-Grün“: Realitätsverlust herrscht offensichtlich auch beim Verband der Sonderpädagogik. Denn dieser hat uns dieser Tage einen Brandbrief bzw. eine Brand-E-Mail geschrieben. Schon der Betreff lautete „Inklusion – Schulen in Not“. Dann ging es mit dem Realitätsverlust des Verbandes der Sonderpädagogik im Text weiter – Zitat –:
„Lehrkräfte der allgemeinen Schule müssen oft ohne qualifizierte Unterstützung die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in großen Klassen allein bewältigen. Die Belastbarkeit aller Beteiligten wird über Gebühr strapaziert.“
Herr Römer, auch hier herrscht grassierender Realitätsverlust im Land, außer bei Ihnen, oder – das ist die andere Möglichkeit – Sie haben sich inzwischen in einem Kokon der Autosuggestion blickdicht verpuppt.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Um den Erfolg Ihrer Präventionspolitik doch irgendwie zu belegen, werden jetzt 500 Stellen an den Berufskollegs eingespart. Dazu schreibt die „Westfalenpost“ am Montag völlig zu Recht, das sei mangelhaft. Denn Sie können doch nicht auf der einen Seite Guntram Schneider auf den Weg schicken, um mit der Ausbildungsplatzabgabe der Wirtschaft zu drohen, und auf der anderen Seite rufen Sie selbst bei den Wirtschaftsverbänden an und sagen: Gebt mir meine Quote für die Ausbildung. Ich brauche jetzt Ausbildungsplätze. Deswegen müsst ihr mir etwas zusagen.
Sie erhöhen einerseits den Druck und kommen mit der Ausbildungsplatzabgabe aus der Mottenkiste, und auf der anderen Seite kürzen Sie bei den Berufskollegs, also dort, wo es darum geht, die Ausbildungsreife aller Kinder und Jugendlichen überhaupt herzustellen. Das passt doch nicht zusammen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Frau Löhrmann kündigt in der KMK eine Allianz für die berufliche Bildung an, und hier in Nordrhein-Westfalen werden 500 Stellen ausgerechnet bei den Berufskollegs eingespart. Das passt doch nicht mehr zusammen. Das sind Fensterreden, die wir in der Bildungspolitik hören.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Herr Römer, Sie haben völlig recht. Wir haben – wie bereits im vergangenen Jahr – beantragt, dass die Stellenkürzung bei den Berufskollegs zurückgenommen wird und die in diesem Jahr geplanten Reduzierungen von 229 Stellen nicht wirksam werden.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Ich lasse mir von Ihnen gerne vorwerfen, dass wir diesen Haushaltsantrag in diesem Jahr wieder gestellt haben, und ich kündige Ihnen zudem an: Auch im nächsten und übernächsten und dem Jahr danach werden wir diesen Antrag wieder stellen, weil uns die berufliche Bildung und ihre Qualität am Herzen liegt. Das heften wir nicht einfach ab.
(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von den GRÜNEN)
Der dritte bildungspolitische Punkt: Der Landessprecher von Bündnis 90/Die Grünen hat im Umfeld seines Parteitages gesagt, man wolle jetzt – Zitat – ein Friedensangebot an die Gymnasien machen.
Meine Damen, meine Herren, allein die Formulierung ist verräterisch. Denn ein Friedensangebot muss nur derjenige aussprechen, der offensichtlich vorher Krieg gegen die Gymnasien geführt hat. Anders ist das nicht zu erklären.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Die Probleme im Zusammenhang mit G8 und G9 haben doch nicht allein etwas mit der Verkürzung des Bildungsganges zu tun.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass das Gymnasium bei der Versorgung von Fachlehrern, bei den Klassenfrequenzen und beim Ganztag systematisch von dieser Landesregierung vernachlässigt wird.
(Beifall von der FDP – Martin Börschel [SPD]: Mit der Art, wie Sie es gemacht haben, hat es zu tun!)
Sonst gäbe es diese Kritik nicht. Aus diesem Grund haben wir Ihnen einen Stärkungspakt für die Gymnasien vorgeschlagen, der aus der Demografierendite gegenfinanziert wird, die Sie abbauen wollen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Geld ist Voodoo!)
Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir haben alle mit Besorgnis gesehen, dass bei Opel in Bochum die letzten Autos vom Band gelaufen sind und Alternativen für die Zukunft der Arbeitsplätze vor Ort unverändert unbekannt sind.
Die nordrhein-westfälischen Energiekonzerne befinden sich auf dem Rückzug, E.ON flieht jetzt aus der klassischen Energieerzeugung in die subventionierten erneuerbaren Energien. Wenn aber irgendwann alle Subventionen für Ökoenergie wollen, stellt sich die Frage, wer diese Subventionen bezahlt. Nachhaltig ist das nicht. Das Lagebild Nordrhein-Westfalens ist beklagenswert.
Man fragt sich – gerade mit Blick auf die Pläne von Sigmar Gabriel, die voll gegen energieintensive Produktion und die Energiewirtschaft gehen – nicht nur bei der CDU – da habe ich es schon angesprochen –, sondern auch bei der Landesregierung: Wo sind sie? Wo ist die industriepolitische Kompetenz der nordrhein-westfälischen SPD in dieser Frage, bei Klimaschutzzielen im Bund, die keine Auswirkungen auf das Weltklima haben, weil jede Tonne zusätzlich eingespartes CO2 in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen in Portugal und in Polen zusätzlich verbraucht wird? Wo ist die Stimme der Rationalität aus dem Industrie- und Energieland Nummer eins?
(Beifall von der FDP)
Vielleicht ist es Zeit, dass Sie sich mal um diese großen Fragen kümmern und nicht um – zugegebenermaßen – liebenswürdige, aber doch sehr kleinteilige Projekte.
Wenn Herr Remmel beispielsweise gerade damit beschäftigt ist, zu regeln, dass man in Einzimmerwohnungen künftig keine Wölfe, keine Hyänen und keine Bären mehr halten darf,
(Heiterkeit von der FDP und Armin Laschet [CDU])
dann mag das ein außerordentlich wichtiges Anliegen sein. Aber wir würden uns wünschen, Herr Remmel, dass Sie sich mehr um eine rationale Klimapolitik im Interesse dieses Standorts bemühen würden als um die großen und kleinen Tiere im Land.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Ich habe mir die Haushaltsänderungsanträge der Koalition zur zweiten Lesung im Haushalts- und Finanzausschuss angesehen. Weil sich Herr Römer eben erlaubt hat, Noten zu verteilen, will ich das in Erinnerung rufen, was Sozialdemokraten und Grüne als ein wichtiges Problem erachtet haben, das in einer Bereinigungssitzung des Haushalts- und Finanzausschusses noch zum Thema gemacht werden musste. Dieses wichtige Thema, meine Damen und Herren, war das Urban Gardening. Zitat:
Durch dieses Förderprogramm werden folgende im Landesinteresse liegenden Anreize für die Akteure im Rahmen eines Pilotprojekts gesetzt: Erhalt und Anpflanzung von Obstbäumen und Sträuchern, Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements für den Bienen- und Klimaschutz, Unterstützung der Kommunen durch die Erstellung eines Handbuchs „Urban Gardening“.
(Beifall von den GRÜNEN – Daniela Schneckenburger [GRÜNE]: Gut so!)
Urban Gardening – die Begrünung des Betons – kann man ganz einfach machen: Empfehlen Sie den Leuten, einen Blumentopf zu kaufen und auf den Gehweg zu stellen. Dann ist es grün.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Statt mit Samenbomben zu werfen, sollten Sie sich lieber um die wirtschaftspolitischen Brachflächen in diesem Land bemühen. Das wäre eine Aufgabe.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Zum Beispiel „newPark“ – ich habe den wirtschaftspolitischen Teil mit Bochum und Opel begonnen –: Ein paar Kilometer entfernt könnte ein ökologisches Industriegebiet mit 10.000 Arbeitsplätzen entstehen. Es kommt nicht zustande – entgegen dem Werben und Beteuern unseres Wirtschaftsministers –, weil Sie bei einem ökologischen Industriegebiet die ökologische Handbremse gezogen haben. Da passiert nichts, obwohl alle Akteure vor Ort – Gewerkschaften, Arbeitgeber, die Kreise, die Städte, die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer – das wollen.
Das zeigt: Gerade in der Wirtschaftspolitik ist in Nordrhein-Westfalen mehr Ideologie als gesunder Menschenverstand zu finden. Das schadet dem Land auf mittlere Sicht.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Mein letzter Punkt: Meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen darzustellen, dass wir einen starken, konzentrierten Staat wollen. Ich habe über die Zurücknahme von bürokratischer und finanzieller Belastung gesprochen. Ich habe den Schwerpunkt gesetzt, dass wir mehr Investitionen im Bereich der Chancen durch Bildung brauchen.
Aber – da hat Herr Jäger recht – wir haben auch einen zweiten Bereich, der eine Kernaufgabe des Staates ist, die nicht vernachlässigt werden darf, und das ist unsere innere Sicherheit oder – so will ich es einmal übersetzen – die Autorität unseres liberalen Rechtsstaats.
Es brennen Flüchtlingsheime. Wir haben mehrfach über die menschenunwürdige Unterbringung von Menschen, die in Not zu uns gekommen sind, debattiert. Es gab Ausschreitungen in Köln, wo Hooligans angeblich gegen Salafisten aufmarschiert sind, aber eigentlich den liberalen Rechtsstaat und seine tolerante Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung infrage stellen.
Bei all dem – auch bei der Entwicklung der Einbruchskriminalität, Herr Jäger – will man beschämt den Blick zu Boden richten, weil der Staat bei dieser Kernaufgabe nicht in der Lage ist, seinen Aufgaben nachzukommen. In der Situation noch 4.300 Beamtenstellen bei der Polizei durch demografischen Wandel zu kürzen, …
(Minister Ralf Jäger: Was?)
– Ja, in den nächsten Jahren.
… wo das Durchschnittsalter in vielen Präsidien bei über 50 Jahren liegt, trotz der enormen körperlichen Belastung durch den Wach- und Wechseldienst, das ist unverantwortlich, Herr Jäger.
(Beifall von der FDP)
Wir brauchen eine Polizei, die sich auf ihre Kernaufgaben konzentriert.
(Zuruf von Minister Ralf Jäger)
Wir müssen die Bürokratie dort abbauen und die Verwaltungsstrukturen stärken. Vor allen Dingen, Herr Jäger – jetzt kommt die Zahl –, müssen Sie die Zahl der Anwärterstellen auf das notwenige Maß erhöhen. 1.500 sind zu wenig, 1.800 Anwärterstellen müssen es sein, wenn der demografische Wandel innerhalb der Polizei …
(Achim Tüttenberg [SPD]: Wie viele waren es denn bei Ihnen? – Zuruf von Minister Ralf Jäger)
– Entschuldigen Sie, Herr Jäger. Jetzt will ich Ihnen mal eines sagen: Wenn Sie glauben, dass Sie nach dem katastrophalen systematischen Versagen, das Sie in den letzten Monaten gezeigt haben, hier wieder grinsend Zwischenrufe machen können, dann haben Sie sich getäuscht, was Ihre eigene politische Position und Ihr politisches Gewicht angeht. Das kann ich Ihnen sagen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Mit welcher Autorität machen Sie das? Eigentlich hätten wir alle im Landtag nach diesem katastrophalen Versagen und Ihren Auftritten hier erwartet, dass Sie ein Stück mehr Demut gelernt hätten. Aber nichts davon ist passiert.
(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)
Der alte Jäger ist wieder da.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Demut von Lindner! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)
Ich sage Ihnen noch eines, weil ich fand – nur noch ein Satz, Herr Präsident –, dass das in der Debatte zu kurz kam: Wir erleben eine große Herausforderung unserer Gesellschaft durch die islamfeindlichen Demonstrationen, auch in Bonn und Düsseldorf. Das hat kaum einer der Vorredner überhaupt in den Mund genommen.
Diese enorme Herausforderung löst man nicht dadurch, dass man denen, die da demonstrieren, opportunistisch nachläuft. Aber eines muss man tun: Man muss die Ängste der Menschen – ausweislich einer Umfrage hat die Mehrheit der Menschen solche Ängste – ernst nehmen.
(Beifall von Ilka von Boeselager [CDU])
Wenn Sie mit Ihrer unsensiblen Brutalorhetorik pauschal sagen, das alles seien Nazis in Nadelstreifen, die Sorgen wegen nicht zu leugnender Integrationsdefizite haben, Herr Jäger, dann treiben Sie damit die Menschen in Sorge in die Arme konzeptloser Populisten. Das ist das, was Sie in Nordrhein-Westfalen veranstalten. Falsch
(Beifall von der FDP und der CDU)
Große Aufgabe und große Chancen liegen vor diesem Land. – Frau Kraft, Sie bleiben untätig, weil Sie sich ins Klein-Klein, ins politische Pepita, verliebt haben. Dieses Land ist eigentlich stark. Es wird aber schwach regiert. Es könnte großartig sein, ist aber kleingeistig.
(Langanhaltender Beifall von der FDP – Anhaltender Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Lindner. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Fraktionsvorsitzende, Herr Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Gäste! Wir arbeiten hier natürlich in unterschiedlichen Rollen. Norbert Römer und ich reden für die Fraktionen, die die Regierung tragen und die die Arbeit machen müssen.
(Ralf Witzel [FDP]: Sie müssen das nicht!)
Herr Laschet und Herr Lindner haben für die Opposition gesprochen. Sie waren vor fünf Jahren in der Regierung. Naturgemäß können Sie für das, was Sie sagen, nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Ich habe den beiden anderthalb Stunden lang sehr konzentriert zugehört; denn wenn man die Arbeit macht, interessiert einen natürlich, was die Alternativen sind.
Ich nehme eine ganz eindeutige Botschaft mit: Beide wollen Studiengebühren in diesem Land wieder einführen.
(Karlheinz Busen [FDP]: Das ist doch sozial gerecht!)
Das ist eine ganz klare Botschaft an 700.000 Studierende und ihre Eltern: 1.000 € mehr pro Studierendem gehen im Jahr netto vom Verdienst ab. – Das ist das, was Sie wollen.
Bei Herrn Laschet heißt es noch ein bisschen verschwiemelt „Nutzergebühr“. Wir wollen hoffen, dass er bei der Stange bleibt und das auch in seinem Landtagswahlprogramm klar benennt; denn dann haben alle ganz klare Karten und wissen, wenn sie ihn wählen, was sie als Quittung dafür bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Martin Börschel [SPD]: Herr Laschet nickt!)
Einen weiteren Punkt möchte ich ganz kurz ansprechen. Kollege Lindner, weil Sie der Ministerpräsidentin beim Karnevalskostüm beratend zur Seite stehen wollten, habe ich auch eine Empfehlung für Sie: Da die FDP die Costa Concordia der deutschen Politik ist, wäre die Uniform von Francesco Schettino das richtige Karnevalskostüm für Sie.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann hätten Sie auch etwas Adäquates – wenn wir auf dieses Niveau heruntergehen wollen.
(Christian Lindner [FDP]: Mit Toten macht man keine Witze! Mit Menschen, die bei einem Unglück gestorben sind, macht man wirklich keine Witze!)
Kollege Laschet, es gibt ein altes Kinderlied: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? – Niemand! Nicht nach dieser Rede, Kollege Laschet. Das ist ja der fünfte Haushalt, den wir vorlegen. Wir sind gespannt gewesen, was Sie als potenzieller Ministerpräsident als Rede bringen würden und ob Sie hier eine alternative Bewerbung vortragen würden. In der Bilanz muss ich Ihnen aber sagen: Das würde maximal für den Platz neben Frau Kraft in einer Großen Koalition reichen. Für den Posten des Ministerpräsidenten war das jedenfalls keine Bewerbung.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Sie haben das auch schon geahnt.
Besonders schäbig fand ich, wie Sie am Beispiel von Burbach das Land schlechtgeredet haben – nach dem Motto: typisch für NRW. Wissen Sie, in Bayern brennen Asylbewerberheime. Niemand von uns käme doch auf den Gedanken, den Bayern vorzuwerfen, sie wären schlecht, weil es da brennt.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, den PIRATEN und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Wir wissen alle, dass das bayerische Volk und auch die bayerische Regierung nichts dafür können. Sie nutzen aber Burbach, um das Land an diesem Beispiel schlechtzureden.
(Armin Laschet [CDU]: Die Flüchtlinge waren in der Obhut des Landes! Das ist der Unterschied!)
Sie dürfen die Regierung kritisieren. Das war aber das typische Beispiel dafür, in welcher Art und Weise Sie das machen.
(Armin Laschet [CDU]: Unter der Verantwortung der Bezirksregierung! Schlechter Vergleich!)
Herr Kollege Laschet, ich bin noch nicht fertig. Sie haben in unglaublicher Dreistigkeit die Demonstration in Köln für sich reklamiert. Er hat sich hierhin gestellt und gesagt: Die Höhner, der FC und alle waren auf der Demo in Köln.
(Armin Laschet [CDU]: So ist es!)
Die einzige Partei, die in Köln nicht aufgerufen hat, war die CDU. So ist es.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN – Armin Laschet [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)
– So ist es. – Das ist auch kein Einzelfall, Herr Laschet.
(Armin Laschet [CDU]: Das ist doch gar nicht wahr! Dann lesen Sie doch den „Kölner Stadt-Anzeiger“!)
Hier in Düsseldorf hat es letzte Woche vor dem Landtag eine Demonstration gegeben, zu der sich Teile von uns verhalten haben.
(Armin Laschet [CDU]: Das ist die Unwahrheit! Unter allem Niveau!)
Unter der Rheinbrücke haben Parteien, Fraktionen und Bürger aus Düsseldorf demonstriert. Auch hier in Düsseldorf war die einzige Partei, die nicht dazu aufgerufen hat, die CDU.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Armin Laschet [CDU]: In Köln hat die CDU dazu aufgerufen! Sie müssen sich dafür entschuldigen! Das ist gelogen!)
Lieber Kollege Laschet, wer sich mit solchen Federn schmückt und den Eindruck erweckt …
(Armin Laschet [CDU]: In Köln hat die CDU aufgerufen! Das ist eine Frechheit!)
Herr Kollege Laschet, dann will ich Ihnen noch eines sagen. Die Situation, dass im Moment tatsächlich Menschen Angst eingejagt wird und gegen ausländische Mitbürger Stimmung gemacht wird, hat auch damit zu tun, dass eine große Volkspartei Sachen diskutiert wie: In unseren Wohnzimmern soll nur noch deutsch gesprochen werden. – Damit schürt man genau diese Stimmung. Da haben Sie eine Mitverantwortung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der eigentliche Anlass meiner Rede ist aber die Haushaltsdebatte. Ich würde gerne ein Stück weit eine Bilanz ziehen. Die CDU ist fünf Jahre in der Regierung gewesen. Der Haushalt, den wir hier beschließen, ist der fünfte, seit Sie wieder in der Opposition sind. Bei aller Kritik, die üblich ist und die Sie auch gerne äußern dürfen, muss ich feststellen: Sie haben Ihre Strategie zum Haushalt in den letzten Jahren mehrfach geändert, und zwar mit einer ganz eindeutigen Richtung.
Hoch spannend war Ihr Sanierungskonzept 2013/2020. Mit Luftbuchungen wollten Sie Einsparungen von 1,5 Milliarden € erzielen.
Der Höhepunkt waren knapp 570 Millionen € als Einnahmen aus der Schweiz wegen vorausgegangener Steuerhinterziehung. Das war Ihr Bußgeld. Gleichzeitig ging der Kollege Sieveke hier als Ablassprediger durch den Landtag und sprach immer von Amnestie. Er sah nur noch reuige deutsche Steuersünder und wollte keine CD-Ankäufe mehr.
(Heiterkeit von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Wir haben klargemacht: Es gibt diese Ankäufe. Es gibt jetzt mehr Transparenz. – Die Gesamtsumme der Einnahmen aus diesem Bereich von 2010 bis 2013 belief sich auf 1,5 Milliarden €. Alleine bis August dieses Jahres gab es 890 Millionen € Mehreinnahmen durch Steuersünder, nur weil wir hart geblieben sind und Ihnen nicht gefolgt sind.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Allein im Jahr 2014 gab es 35.000 Selbstanzeigen in Deutschland. Die nordrhein-westfälische Bilanz ist ganz interessant. Ich habe mir einmal die Details angeguckt. Von 2010 bis jetzt sind bei der OFD Münster 8.000 und bei der OFD Köln 19.000 Selbstanzeigen eingegangen, also 70 % im Rheinland und nur 30 % in Westfalen. Ich weiß noch nicht genau, was uns das im Detail sagen soll.
Klar ist aber: Wir kämpfen mit einem guten Ergebnis für Steuerehrlichkeit. Sie haben hingegen für die Menschenwürde der Tresore gekämpft. Das war die falsche Richtung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In Ihrem Haushaltskonzept 2013 hatten Sie Studiengebühren in Höhe von 250 Millionen € stehen.
Da sind Sie ja jetzt wieder eindeutig. Ich bin gespannt darauf, ob diese Botschaft von Ihnen auf Dauer durchgehalten wird. Sie wollen in Nordrhein-Westfalen als einziges Bundesland dieses roll back durchführen. Alle anderen 15 Länder haben die Gebühren abgeschafft. Aber sagen Sie es klar und deutlich! Sie haben auch gesagt, dass Sie die Kindergartengebühren wieder erhöhen wollen. Das sind 150 Millionen für die Eltern und die Kinder in den Familien. Auch das ist eine ganz klare Sache, die Sie ansagen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben 2013 große pauschale Kürzungen vorgenommen, 20 % Kürzung auf alle Förderprogramme. Das erinnert an den großen Baumarkt, der gesagt hat: 20 % auf alles außer Tiernahrung. – Aber Sie werden einfach nicht präzise. Konkret werden Sie da nicht. 32 Millionen beim Personal, aber nicht bei Schule, bei Hochschule, bei Polizei, bei Justiz und bei der Finanzverwaltung. Da sind aber 96 % des Personals. Das heißt, pauschal ist der Vorschlag, und dann ist er im Konkreten nichts wert.
Die ganze Haushaltsoperation 2013 waren nur solche einzelnen Luftbuchungen.
In der zweiten Phase im Haushalt 2014 haben Sie hier in der Rede nur noch einen Vorschlag gehabt. Der war richtig bizarr. Sie haben gesagt: Wie im Saarland 10 % des Personals einsparen! Das war Ihr Vorschlag.
Das Land Nordrhein-Westfalen bezahlt etwas über 400.000 Stellen. Dann erschrecken immer alle. Das sind 160.000 im Lehrbereich, 116.000 in den Hochschulen, 50.000 bei der Polizei, 30.000 in der Justiz, 30.000 in der Finanzverwaltung. Das sind die großen Brocken. Aber wenn es konkret werden soll, wenn Sie sagen sollen, wo denn die Stellen eingespart werden, dann sind Sie immer weg. Dann bleiben immer nur die Ministerien und die Bezirksregierungen übrig. Das sind alles in allem 11.000. Wenn ich die komplett streiche, kann ich die 40.000 nicht einsparen. Aber das ist wohl CDU-Voodoo-Ökono-mie. Sie kriegen es anders nicht hin.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben eine Konstante, nämlich dass Sie das Land schlechtreden. Sie nehmen das einfach nicht zur Kenntnis. Wir haben im August dieses Jahres eine Untersuchung von PricewaterhouseCoopers gehabt, ein Länderfinanzbenchmarking, einen Vergleich aller 16 Bundesländer. Das heißt, das war kein Gutachten, das wir in Auftrag gegeben haben, das speziell Nordrhein-Westfalen begünstigt.
Wenn Sie sich die Zahlen angucken – ich habe sie zur zweiten Lesung ja im Detail dargestellt –, können Sie sehen, dass das Land Nordrhein-Westfalen sehr gute Ergebnisse hat im Vergleich der Kosten der Strukturen auch zu den anderen Bundesländern. Wir sind nicht auf Platz eins. Das will ich gar nicht sagen. Aber wir sind immer wieder auf den Plätzen fünf oder sechs von 16 Ländern. Das ist also ganz anders, als Sie es jedes Mal darstellen, und zwar in einem Vergleich, der über alle 16 Länder gezogen wurde.
Jetzt nähern wir uns der dritten Phase, in der Sie aus meiner Sicht Ihre Haushaltsstrategie mal offenlegen müssten. Wir befinden uns zwei Jahre vor der Landtagswahl. Wenn Sie den Anspruch hätten, tatsächlich 2017 hier die Regierung zu übernehmen, dann müssten Sie konkreter, präziser, verbindlicher werden. Aber was kommt jetzt stattdessen? – Bürokratieabbau! Stattdessen kommen Wirtschaftsbeschleunigung und Wachstumsprognosen. Aber da, wo Sie uns immer geißeln, dass wir Geld falsch ausgeben, kommt nicht ein konkreter Einsparvorschlag, den Sie tatsächlich umsetzen würden,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
mit der Ausnahme der unsozialen Studiengebühren und der Beiträge zum Kinder- und Jugendbereich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was Sie aber immer machen, ist das Land schlechtreden. Ich habe vorhin eine Strichliste geführt, als Sie angefangen haben, zu reden. Ich habe es nachher aufgegeben. Denn es dauerte keine zwei Minuten, dann waren Sie schon wieder an der Stelle unterwegs.
Sie, Herr Laschet, drehen ja eine interessante Pirouette nach der anderen. Sie wollten uns die Dobrindt-Maut hier auch noch als Gabriel- und Dobrindt-Maut verkaufen. Dann waren Sie der große Drachentöter, der verhindert hat, dass sie auf alle Straßen ausgedehnt wird.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Betonung liegt auf „groß“!)
Sie haben alle kritisiert, die diesen Unsinn weiterhin „Unsinn“ genannt haben. Sie wissen doch ganz genau – gerade weil wir beide in der Grenzregion wohnen –, welche Reaktionen es gibt, wenn es heute im Kabinett beschlossen wird. Die Holländer, die Belgier und die Luxemburger werden reagieren. Dann wird es alle hier belasten.
(Armin Laschet [CDU]: Wer beschließt das denn?)
Es passt nicht zu einem modernen Europa. Deswegen müssen Sie sich so aufstellen – da haben Sie uns an Ihrer Seite –, dass die Maut überhaupt nicht kommt. Wir können zusammen nur hoffen, dass es irgendeinen verständigen Richter gibt, der das Ganze beerdigt, weil es für uns überhaupt keine Zukunftsperspektive hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich hätte gerne Ihre Unterstützung an einem anderen Punkt. Denn egal, ob Sie 2017 Opposition oder Regierung sind: Mit der strukturellen Benachteiligung dieses Landes hätten Sie genauso zu kämpfen wie wir. Da wäre genau die Zäsur, um sich endlich ehrlich zu machen und um auch draußen zu vertreten: Es gibt seit mehr als 20 Jahren eine Benachteiligung dieses Landes.
Neben dem Strukturwandel müssten wir uns verständigen, worin die besteht. Dann kann man politischen Wettbewerb machen, aber davor müsste man klar haben: Was ist die Benachteiligung? Warum haben wir sie?
Es ist ja angesprochen worden. Der Kollege Optendrenk – Ihr Schattenfinanzminister in spe – hat in seiner Rede zur zweiten Lesung ausgeführt, man dürfe nicht verschweigen, dass NRW von den anderen nicht benachteiligt worden sei, sondern unter anderem vom Kohlepfennig und den Kohlebeihilfen in Milliardenhöhe profitiert habe. Der Kollege Rehbaum von der CDU hat am 5. Dezember in die gleiche Kerbe geschlagen und auch einen Schuldigen ausgemacht. Schuld an der Benachteiligung Nordrhein-Westfalens seien Verhandlungsfehler von Johannes Rau im Jahr 1993.
Interessant ist an der Stelle: Das liegt über 20 Jahre zurück. Ich glaube auch, dass daran etwas richtig ist, aber es war nicht die SPD alleine. Machen Sie sich also da keinen schlanken Fuß! Wir kennen alle die Kollegen: Fritz Kollorz, der hier war, der Bundesknappschaftsvorsitzende und CDU-Kollege, Helmut Linssen, Finanzminister, jetzt noch im Vorstand der RAG-Stiftung, Lothar Hegemann, jetzt gerade nicht im Raum, aber schon lange hier tätig, und auch andere. Das heißt, es gab immer einen großen Kohlekonsens, dass der Strukturwandel in NRW von 600.000 Bergleuten über 170.000 zu Beginn der 90er-Jahre mit Bundesunterstützung aufgefangen werden soll.
Wenn man das aber gemeinsam so lange so getragen hat – ich weiß ja auch, dass erst in den späteren Jahren die Position geändert worden ist, auch mit Ihrer Hilfe –, dann muss man die strukturelle Benachteiligung daraus auch zusammen benennen und muss nach vorne das reklamieren, was geändert werden muss.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist der ganz entscheidende Punkt.
Es ist doch eines eindeutig – ich habe mir die Zahlen seit 1990 heraussuchen lassen –: Es hat in den Jahren von 1990 bis 2000 in jedem Jahr im Durchschnitt etwa 4 Milliarden an Beihilfen gegeben, Kohlepfennig und Absatzbeihilfen. 4 Milliarden €! Das sind, wenn Sie es auf heutige Werte umrechnen, 6 Milliarden pro Jahr.
Wenn die im Bund um einen Tisch zusammensitzen, die Finanzmittel verteilen und jemand vorab 4 Milliarden kriegt, dann sagen alle anderen natürlich: Jetzt seid an der einen oder anderen Stelle aber ein bisschen ruhiger! – Daraus rührt her – das ist aus meiner Sicht die Wurzel –, dass wir bei den …
(Armin Laschet [CDU]: Es hat keiner geholfen!)
– Herr Laschet, das ist genau das, was ich Ihnen vorwerfe. Sie machen sich den schlanken Fuß: Von uns hat keiner geholfen.
Herr Laschet, ich bin einmal in Berlin gewesen und habe mit Ihrem früheren Bundeskanzler über die Kohlestrategie der CDU geredet. Sie waren in der großen Kohlekoalition Jahrzehnte beteiligt. Ich habe eben die Kollegen genannt, die sich persönlich über Jahre dafür eingesetzt haben. Natürlich waren Sie eingebunden und haben Sie es mitgetragen.
Mir geht es nur um Folgendes: Wir wollen Sie als Verbündeten haben, wenn wir uns aufstellen und den Hessen, Baden-Württembergern und allen anderen sagen, dass diese strukturelle Benachteiligung des Landes, die da eine Wurzel hat, aufhören muss. Es kann nicht angehen, dass wir im Verkehrsbereich als großes Infrastrukturland mit Ost-West- und mit Nord-Süd-Achsen 15 % der Regionalisierungsmittel erhalten. Nach Königsstein stünden uns 21 % zu. Die Leistung ist höher. Das sind jedes Jahr 400 Millionen €, die uns fehlen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Laschet, es ist doch völlig klar, dass in der Verteilungsauseinandersetzung, die zurzeit zwischen den Bundesländern läuft, wo die Parameter für die nächsten 20 Jahre fixiert werden, die Hessen und die Baden-Württemberger nicht natürliche Verbündete von Nordrhein-Westfalen sind. Wenn ich zu meinen grünen Kollegen gehe, die jetzt in acht Landesregierungen beteiligt sind, sagen die doch nicht, weil ich so ein sympathischer Kerl sei, mache man das Portemonnaie auf. Wenn aber die Kronzeugen gegen uns immer aus Ihren Reihen kommen – das ist der Punkt – und Sie das mitbefördern, dann wird das Verhandeln nicht leichter. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Position.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der Königsteiner Schlüssel aus dem Königsteiner Staatsabkommen von 1949 regelt die Verteilung zwischen den Bundesländern nach Steuerkraft und Bevölkerungszahl. Da liegt Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten bei gut 21 %, weil wir mit unseren rund 18 Millionen Einwohnern 21 % der Bundesrepublik ausmachen. Abweichend von diesem Schlüssel erhalten wir in relevanten Bereichen weniger Geld. Das ist der Punkt, der geändert werden muss.
Ich habe die Regionalisierungsmittel angesprochen, aber auch im Hochschulbereich ist es so. Wir erbringen eine unglaubliche Leistung im Hochschulbereich. Wir bilden 26 % der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland aus – ich komme nachher noch auf die Finanzen –, was weit mehr ist als unser Bevölkerungsanteil. Das heißt, wir sind ein offenes Land, in das die jungen Studierenden kommen und in dem sie gerne studieren. Wir bekommen aber für den Hochschulausbau und -neubau nur 15 % der Bundeszuschüsse. Das heißt, wir liegen da zehn Prozentpunkte unter dem, was wir leisten. Das Mindeste wäre der Königsteiner Schlüssel, aber eigentlich sollte man fairerweise das zugeben und sagen, die Mittel werden nach dem Schlüssel verteilt, den man leistet.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deshalb können wir uns nicht mehr kleinmachen und das akzeptieren.
Herr Kollege Laschet, ich habe mit Interesse Ihr Interview im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 4. Dezember gelesen. Darin schlagen Sie vor, den Soli nicht in den Steuertarif zu integrieren, sondern die Mittel stattdessen für Infrastruktur ausgeben. Dazu kam von der Zeitung die richtige Frage, wie man bei einer zweckgebundenen Abgabe sicherstellen kann, dass nicht wieder der größte Teil nach Bayern fließt.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
– Ich zitiere Sie, und zwar richtig. – Sie haben geantwortet: „indem die Gelder aus einer solchen Infrastrukturabgabe nach Bedarf vergeben werden.“
Jetzt frage ich Sie: Was glauben Sie, was der bayerische Bundesverkehrsminister antwortet? – Er wird sagen: „Ich vergebe Mittel immer nach Bedarf, nach sachlichen Kriterien.“ Das hat er über die ganzen Jahre so gemacht.
Wir brauchen aber an der Stelle einen klaren Schlüssel, der nicht wieder zulässt, dass dieses Land benachteiligt wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das Land ist ein solidarisches Land. Ich führe noch einmal als Beispiel die Fernuniversität Hagen mit über 80.000 Studierenden an. Wir bezahlen 70 % dieser Universität, aber nur 30 % der Studierenden kommen aus unserem Land. Das ist eine Einrichtung, die es berufstätigen Menschen, die nicht hauptberuflich in eine Uni gehen können, wenn sie zum Beispiel in ländlichen Räumen leben, möglich macht, zu studieren und einen Abschluss zu machen. Wir bezahlen das, weil wir solidarisch sind. Das sind 60 Millionen € pro Jahr. Das ist gut so, und das wird auch durchgehalten. Aber dann einzuklagen, dass Nordrhein-Westfalen diese Leistung auch anerkannt bekommt – nicht mehr, als wir leisten, aber eben auch nicht ständig unter dem –, das muss – bei allem Wettbewerb – unsere gemeinsame Aufgabe sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Letzter Punkt dazu: Vor Beginn der Umverteilung zwischen den Bundesländern haben wir die fünfthöchste Pro-Kopf-Einnahme aller Bundesländer. Nach der ganzen Umverteilungsoperation, wenn die Umsatzsteuer einberechnet wird, sind wir auf dem letzten Platz. Wir können hier machen, was wir wollen, aber wenn dieser Missstand nicht grundsätzlich beseitigt wird und nicht andere Weichenstellungen vorgenommen werden, haben wir keine Chance. Sie hätten sie auch nicht, wenn Sie denn noch einmal in der Regierung wären.
Es gibt immer wieder Menschen – der Tenor kam eben in beiden Reden wieder durch –, die, da die Steuereinnahmen gestiegen sind, fragen, was wir eigentlich mit dem Geld machten. – Ich mache in diesem Landtag im fünfzehnten Jahr meine Arbeit. Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was wir im Kabinett und in den Regierungsfraktionen leisten, eine vernünftige, solide Arbeit ist. Ich meine auch, dass wir uns auf gar keinen Fall irgendwie zurücknehmen müssen für das, was wir in den letzten fünf Jahren mit den Finanzmitteln gemacht haben und in diesem Haushalt vorsehen. Man kann das sehr gut begründen.
Die Neuverschuldung – das ist schon angesprochen worden – lag in der mittelfristigen Finanzplanung der alten Regierung noch bei 6,5 Milliarden €. Dann sind die Steuereinnahmen zwar besser geworden – das wollen wir gar nicht bestreiten –, aber wir haben die Neuverschuldung schon im ersten Jahr auf 3 Milliarden € gesenkt, und wir werden im nächsten Jahr mit dem Haushalt, den wir beschließen, bei 1,9 Milliarden € landen. Zielgrößen für die Jahre 2016 und 2017 sind 1,4 und 1,3 Milliarden €. Bis jetzt sind wir in jedem Jahr unter der Zielgröße gelandet. Insofern ist das eine klar abfallende Größe trotz allem, was wir geleistet haben und worauf ich gleich noch zu sprechen komme.
Ich möchte aber gern die Punkte, bei denen wir viel Geld in die Hand genommen haben, ansprechen, denn ich bin es leid, dass uns das vorgeworfen wird.
Für mich ist da der allererste Punkt die Finanzierung der Kommunen. Wir haben nämlich alle erlebt und wir erleben es immer wieder, denn wir sind in den Städten verankert und zu Hause, mit welchen Schwierigkeiten unsere Kommunen zu kämpfen haben. Es war ein beispielloser Raubzug, den die Vorgängerregierung an den Kommunen und am Gemeindefinanzierungsgesetz gemacht hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben schon, als wir mit der Minderheitsregierung im Jahr 2010 angefangen haben, im ersten Nachtragshaushalt die allergrößten Probleme beseitigt. Wir haben dafür viel Geld in die Hand genommen.
Die erste Maßnahme bestand in der Beteiligung der Kommunen an der Grunderwerbsteuer. Wir haben den Kommunen 2010 sofort ihren Anteil wiedergegeben. Das summiert sich mit diesem Haushalt in den Jahren von 2010 bis 2015 auf 1,1 Milliarden €. Wenn immer wieder gesagt wird, wir hätten Mehreinnahmen, und gefragt wird, was wir damit machen, habe ich keine Lust, mir vorwerfen zu lassen, dass wir den Kommunen den Anteil wiedergegeben haben. Wir könnten uns damit besserstellen, aber wir waren fair.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Mit den gleichen Haushalten bis zu diesem Punkt haben CDU und FDP eine obligatorische Betrachtung des GFG zur Konsolidierung des Landeshaushaltes vorgenommen. Man stelle sich vor, wir würden das jetzt genauso machen und 500 Millionen € im Jahr aus dieser GFG-Masse in Höhe von 9 Milliarden € zur Konsolidierung unseres Haushaltes herausnehmen!
Schwarz-Gelb hat das getan. Wir haben das im Jahr 2010 gestrichen. Der Betrag lag bei 166 Millionen € pro Jahr. Das würde über fünf Jahre – einschließlich dieses Haushalts eine weitere Milliarde Euro darstellen, die wir fairerweise den Kommunen, weil sie in dieser Situation sind und weil dieses Geld ihnen zusteht, wiedergegeben und nicht für uns behalten haben. Wir stünden jetzt schon mit 2 Milliarden € besser da, aber wir haben das nicht gemacht.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der Regierungsbank)
Dann habe ich mit Freude den CDU-Bundesparteitag in Köln verfolgt. Da hat die Kanzlerin diesen unmöglichen Satz gesagt: Vier Regierungsjahre und vier Niederlagen vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes – die CDU müsse dafür sorgen, dass Nordrhein-Westfalen ein Rechtsstaat bleibe.
(Vereinzelt Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Schämen sollten Sie sich! – Weitere Zurufe)
– Ich habe mir gewünscht, dass jemand von Ihnen Beifall klatscht. Damit haben Sie sich entlarvt. Das ist genau die Haltung, die Sie an den Tag gelegt haben.
(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
Sie sind nur so wenige, da fällt das nicht auf.
(Heiterkeit von der SPD)
Ich habe mich erstens geärgert, weil wir in der politischen Debatte eine gewisse Dualität über „Rechtsstaat“ und „Unrechtsstaat“ haben.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)
Da bin ich vielleicht zu sensibel.
Ich habe mich aber zweitens geärgert, dass die CDU uns das vorwirft. Das Verfassungsgericht korrigiert und kritisiert Politik. Das ist völlig in Ordnung. Man verliert nicht gern, aber das passiert.
Die CDU – das haben wir eben gehört – hat in den fünf Jahren ihrer Regierungszeit in NRW zwölf Verfahren verloren. Uns werden vier verlorene Verfahren in vier Jahren vorgeworfen. Bundeskanzlerin und Bundesregierung haben in dieser Zeit bei bundesgesetzlichen Regelungen – in der letzten Legislaturperiode zusammen mit der FDP – 32 Verfahren in vier Jahren verloren.
(Ministerin Barbara Steffens: Oh! – Minister Johannes Remmel: Unrechtsstaatlich!)
Da muss uns niemand vorwerfen, wir hätten hier keinen Rechtsstaat mehr. Das ist eine unglaubliche Entgleisung.
(Anhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der Regierungsbank)
Ich komme zu einer dieser Verfassungsklagen, die wir verloren haben, was uns angerechnet wird, nämlich die Klage um das Einheitslastenabrechnungsgesetz, genannt ELAG.
(Zurufe von Christof Rasche [FDP] und Dr. Marcus Optendrenk [CDU])
Das ist genau das Gesetz, das den Ausgleich zwischen Kommunen und Land bei der Frage der Bewältigung der Folgen der deutschen Einheit regelt. Da haben die Kollegen von CDU und FDP ein Gesetz gemacht, gegen das die Kommunen geklagt haben. Das Urteil kam zwei Jahre später. Das war dann in Anführungszeichen „unsere“ Niederlage.
Aber vor allen Dingen: Wir bezahlen das jetzt. Wir bezahlen rückwirkend das, was den Kommunen genommen worden ist. Wir haben auf eine Belastung von 240 Millionen € verzichtet, die wir ihnen hätten abnehmen müssen, und tragen das in Zukunft in einer fairen Weise, nachdem wir uns geeinigt haben. Das müssen wir uns als „verschwenderische Ausgabe“ vorhalten lassen. Das passt doch nicht zusammen!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir sind weitergegangen. Wir haben den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ aufgelegt. Es ist vorhin schon einmal gesagt worden: Zu Beginn unserer Regierungszeit hatten 144 Kommunen einen Nothaushalt. Wir haben geholfen und angepackt, sodass es im nächsten Jahr nur noch drei Kommunen sind.
Ich habe nicht gesagt, dass wir das alleine waren; das will ich gar nicht so darstellen. Die Mehreinnahmen lagen auch auf kommunaler Seite. Aber wir haben das Ganze angepackt und haben 61 Kommunen im Stärkungspakt. Für die ist das zwar eine Belastung, aber sie haben mit der Hilfe des Landes eine Chance, ihre Haushalte in den Griff zu bekommen. Der Stärkungspakt kostet uns am Ende von 2011 bis 2015 1,93 Milliarden €. Das sind nur für diese fünf Jahre knappe 2 Milliarden €. Wenn er 2020 ausläuft, hat das Land insgesamt 4 Milliarden € zusätzlich in die Hand genommen.
Das alles betraf nur den Bereich „Kommunen“. Wir haben jedes Mal über Beträge in Höhe von 1 Milliarde €, 1 Milliarde € und jetzt 4 Milliarden € in toto geredet. Das ist kein herausgeworfenes Geld. Das ist kein Luxus, den Rot und Grün sich erlauben. Wir gehen nicht verschwenderisch damit um, sondern das ist eine Antwort auf die Notsituation in den Kommunen, die alle kennen und die auch die CDU-Kollegen kennen müssten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Beim GFG gibt es eine Steigerung. Beim GFG – das ist der Anteil, der den Kommunen an den Steuereinnahmen zusteht –ist eine Steigerung von 7,6 auf 9,6 Milliarden € zu verzeichnen. Das sind 2 Milliarden € mehr für die Kommunen. Sie profitieren von den höheren Steuereinnahmen. Alles, was wir gemacht haben, ist noch zusätzlich und hilft jedenfalls ein Stück, das Ganze zu lindern.
Ihnen ist es vielleicht nicht aufgefallen, aber: In den Reden von Herrn Lindner und Herrn Laschet gab es wenig zur frühkindlichen Bildung und zum U3-Ausbau.
(Armin Laschet [CDU]: Mein schmales Manuskript!)
Können Sie sich vorstellen, wie Sie getobt hätten, wenn wir nicht den beispiellosen Ausbauprozess hinbekommen hätten?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Insgesamt finden sich im Haushalt 2015 für den Bereich „frühkindliche Bildung“ 2,3 Milliarden €. 2010, als das Ressort von Herrn Laschet nach der Wahl abgegeben wurde, waren es 1,3 Milliarden €. Das ist im Vergleich 1 Milliarde € mehr für die frühkindliche Bildung! Müssen wir uns vorwerfen lassen, dass wir frühkindliche Bildung finanzieren? – Ich meine nicht!
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir schaffen mit dem Haushalt, den wir gleich beschließen, den Ausbau auf 166.000 Plätze – das heißt: noch einmal 10.000 obendrauf. Es ist richtig: Wir wissen, dass die jungen Familien, die jungen Männer und Frauen, wieder in den Beruf wollen. Der Bereich wird ausgebaut. Das ist auch noch nicht das Ende. Aber wir haben jedenfalls eine hervorragende Leistungsbilanz: 100 Millionen € zusätzlich für qualitative Verbesserungen! Insgesamt haben wir 270 Millionen € – auch für qualitative Verbesserungen, weil sie nötig sind. Wir brauchen kein Dankeschön; wir machen nur unsere Arbeit.
Ich habe das dahin interpretiert: Dass die Kollegen dazu nicht geredet haben, ist dem Respekt vor unserer Leistung geschuldet.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Den Hilferuf des Kollegen Laschet an Frau Löhrmann „Verbessern Sie das G8!“ habe ich wie folgt verstanden: „Wir haben G8 eingeführt. Wir haben dabei sehr viele Fehler gemacht. Aber wir haben euch im Schulkonsens die Hand gereicht. Jetzt verbessert es bitte so, dass es vernünftig funktioniert.“ – Das ist in Ordnung.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit von Ministerin Sylvia Löhrmann)
Das wird gemacht. 16 Milliarden € fließen in diesen Bereich; das ist ein Viertel des Haushalts. Die Bilanz ist aus meiner Sicht sehr gut. Wir haben 109 neue Sekundarschulen. Wir haben 91 neue Gesamtschulen seit 2010. Das alles basiert auf einem kommunalen Willen. Egal, ob es sich um SPD- oder CDU-regierte Kommunen handelt: Unten ist der Schulkonsens als ein Mittel angekommen, die Probleme mit fallender Kinderzahl tatsächlich zu lösen. Insofern ist das eine hervorragende Bilanz.
Die Frage „Rückkehr zu G9 oder Beibehaltung von G8“ ist mit dem runden Tisch beantwortet worden. Sie ist im Konsens auch mit den CDU-Kollegen – so habe ich es verstanden – beantwortet worden. Es gibt kein Rollback, weil wir alles noch einmal durch den Wolf drehen würden. Die Schulen sagen hierzu: „Lasst uns erst einmal weiterarbeiten. Macht die qualitative Verbesserung.“
Da müssen wir noch liefern. Das kommt in Kürze. Damit wäre auch diese Baustelle aus meiner Sicht jedenfalls hervorragend bearbeitet.
Das Thema „Hochschulen“ hatte ich schon angesprochen. Ich finde die Leistungsbilanz bei den Hochschulen großartig. Über die letzten vier Jahre wusste man nicht so genau, auf wen sich die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition einschießen. Lange waren die Wissenschaftsminister die Zielscheibe. Aber wir können doch eine Bilanz ziehen über alles, was wir machen – sowohl ökonomisch als auch mit Blick auf die Studienplatzzahlen und die Angebote –, die sehr gut ist.
Wir haben mit 72 öffentlichen und privaten anerkannten Hochschulen in NRW die dichteste Hochschullandschaft in Deutschland und in ganz Europa. Wir haben die Zahl der Studierenden in diesem Wintersemester auf 712.000 gesteigert. Das sind noch einmal 4 % mehr. Und letztes Jahr hatten wir den doppelten Abiturjahrgang. Gegenüber 2010 haben wir 210.000 mehr Studierende. Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen, wir müssen eines lernen – ich bin in der Vorbereitung selbst völlig überrascht gewesen –: Wir haben in nur vier Jahren den Anteil der Studierenden eines Jahrgangs von 45/46 % auf 60 % gesteigert. Das ist eine unglaubliche Leistung, trotz aller Kritik so viel mehr junge Leute zu gewinnen, in die Hochschulen zu gehen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das dürfen wir nicht verschweigen. Das ist unsere Selbstkritik. Wir müssen das dann auch kommunizieren – bei all dem, was an Kritik kommen kann.
Eben ist vorgetragen worden, wir würden mit dem Haushaltsansatz die Hochschulen verarmen lassen. Dazu sage ich: 2010 waren es 5,8 Milliarden €, 2015 werden es 7,8 Milliarden € sein. Das ist eine Steigerung von 34 % im Wissenschaftshaushalt. Die braucht es allerdings auch.
Ich stehe nicht an, nicht zum Bund zu sagen, danke schön für das, was der Bund zusätzlich gegeben hat. Aber wir haben jedes Mal kofinanziert. Das ist eine Anstrengung gewesen. Wir haben es aber gemacht, weil es eine lohnende Investition ist. Weiß Gott müssen wir uns nicht kleinmachen für das, was wir da leisten, auch nicht vor Bayern und anderen.
Wenn man bei PricewaterhouseCoopers nachschaut, wird man nachlesen können, dass die Bayern 271 € je Einwohner aufwenden. Wir geben 268 € je Einwohner für die Hochschulen aus. Die Zahlen sind übrigens im Jahre 2012 verglichen worden. Das sind 3 € weniger als in Bayern. Da brauchen wir uns nichts kleinreden lassen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir bilden viel mehr aus. Wir bilden pro Tausend Einwohner 34 Studierende aus. Die Bayern schaffen 26. Die stellen sich aber hin und sagen, sie gäben pro Studierenden viel mehr Geld aus als diese Schuldner in Nordrhein-Westfalen. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, weil das eine völlig unfaire Betrachtung ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Bei allen Anstrengungen und bei einer fallenden Linie waren wir in der Lage, an zwei Stellen noch einmal erhebliche Mittel in die Hand zu nehmen. Wir haben uns bei der Schulsozialarbeit darauf verständigt, den Kommunen eine Fortführung zu ermöglichen. Für mich ist das völlig klar: Schulsozialarbeit ist mit dem Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt worden als Leistung dieser Minderheitsregierung. Damals sind 400 Millionen € hineingepackt worden; davon gingen für 2011 bis 2013 100 Millionen € nach NRW. Das ist ganz eindeutig Sozialarbeit in der Schule, eingeführt von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, damals Ursula von der Leyen. Insofern ist die Erwartung, dass der Bund dieses Programm in der Sache, weil es vernünftig ist, auch fortführt, doch völlig normal und auch richtig gewesen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben gesagt: Bevor das alles den Bach heruntergeht, weil sich der Bund nicht bewegt, packen wir da noch einmal erhebliche Mittel an. 47 Millionen € pro Jahr sind kein Kleingeld. Wir machen das, damit Sicherheit da ist, nicht nur für ein Jahr. Wir garantieren die Fortführung dieses Programms für drei Jahre mit entsprechenden Fördersätzen. Wir haben darüber intensive Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt. Es fällt manchem Geschäftsführer schwer, zu lächeln und danke zu sagen. Aber an der Stelle war es so: Es ist anerkannt und akzeptiert worden, dass wir es schaffen – ich verstehe das auch, das ist wie bei den Tarifverhandlungen, wo die Kolleginnen und Kollegen immer ein anderes Gesicht machen müssen –, einen Konsens über die Modalitäten zu erzielen. Und wir stellen uns zusammen auf und weisen darauf hin, dass es eine Sache des Bundes ist und dass wir erreichen wollen, dass nach 2017 der Bund diese Arbeit fortführt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Zum Thema „Flüchtlinge“. Wir erleben im Moment in Syrien und im Irak den Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung und eine riesige humanitäre Katastrophe. Die Hälfte der Einwohner Syriens ist auf der Flucht, und in Deutschland werden allein in diesem Jahr 200.000 Menschen als Flüchtlinge Asyl und Schutz suchen. Es ist davon auszugehen, dass das nächstes Jahr nicht zu Ende ist. Deswegen müssen wir, weil hier wieder der Königsteiner Schlüssel greift, 21 % der Erstantragsteller aufnehmen und dafür sorgen, dass wir die Kapazitäten in diesem Land schaffen und dass wir die Kommunen dabei unterstützen.
Wir hatten 2011 10.000 Flüchtlinge, in diesem Jahr haben wir 40.000. Die Zahlen sind in den letzten Jahren korrespondierend zu der Krise sehr schnell angewachsen. Der Bund drückt sich. Er hat sich lange Zeit gedrückt, uns oder den Kommunen überhaupt direkt Geld dafür zu geben. Dann hat der Bund öffentlich 1 Milliarde € für zwei Jahre angekündigt. Das war ja schon Teil der Diskussion. Und wenn man dann im Kleingedruckten nachschaute, war klar, dass es die Hälfte als Zuschuss gibt und den Rest als rückzahlbares Darlehen.
Wir leiten alles, was es als Zuschuss gibt, weiter. Wir mobilisieren zusätzlich eigene Mittel in einer Größenordnung von 91 Millionen €. Diese Mittel gehen auch an die Kommunen weiter. Damit leisten wir unsere Unterstützung. Aber wir können nicht noch zusätzliche Darlehen aufnehmen, die wir dann zurückzahlen müssen. Da gibt es dann auch eine Grenze dessen, was wir machen können. Aber wir nehmen schon erhebliches Geld in die Hand.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Um das auch klar zu sagen: 2010 hatten wir im Haushalt 60 Millionen €, jetzt haben wir im Haushalt 390 Millionen € zur Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe. Das ist – in Anführungsstrichen: nur – der Teil, bei dem es darum geht, dass die Menschen zu uns kommen. Und wer genau hinschaut, weiß, was mit den Menschen in Syrien und im Irak passiert. Diese können hierherkommen und brauchen nicht mehr unter Kriegsbedingungen zu leben, sondern werden hier vernünftig angenommen.
Ich bin beeindruckt von der großen Welle von Hilfsbereitschaft in vielen Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Da ist bis jetzt eine andere öffentliche Stimmungslage gegenüber den Flüchtlingen, als das früher schon einmal gewesen war.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Wir sind dankbar dafür, dass die Stimmungslage nun so ist. Wir unternehmen jedenfalls Erhebliches, um die Kommunen zu unterstützen. Wir erfüllen die Verabredungen der beiden Flüchtlingsgipfel und setzen das um, was wir da zugesagt haben.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich habe versucht aufzuzeigen, wo die strukturellen Probleme liegen. Ich habe versucht, Herrn Laschet das Angebot zu machen, dass wir uns in Berlin zusammen aufstellen bei dem, was jetzt an Verteilungsauseinandersetzungen ansteht. Wir müssen das machen, weil dort die Parameter wieder für 20 Jahre festgelegt werden. Und wir erheben keinen Anspruch, der in irgendeiner Form unbotmäßig wäre, keinen Anspruch, der uns daran hinderte, im normalen politischen Wettbewerb weiterhin miteinander zu ringen und zu arbeiten. Das müssen wir machen; da haben wir unterschiedliche Rollen als Regierungsfraktionen und als Opposition.
Aber die Kernfrage, ob wir uns da zusammen aufstellen, ist ganz klar. Dazu gehört, dass Sie aufhören – ich sage es noch einmal –, das Land bei jeder Gelegenheit schlechtzureden, weil Sie meinen, Sie hätten einen kurzfristigen Vorteil davon.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie waren nicht sehr konkret bei dem, was Sie zur Haushaltspolitik gemacht haben. Ich habe geschildert, wie das in den letzten drei Haushalten 2013, 2014, 2015 war. Das ist Ihr gutes Recht, weil Sie genau wissen: Wenn Sie konkret mit Einsparvorschlägen werden, dann kriegen Sie die Widerstände an der entsprechenden Stelle.
Ich kann nur sagen: Das ist der fünfte Haushalt, den wir mit den Fraktionen von SPD und Grünen gemeinsam beschließen. Ich finde, es ist ein sehr guter, ein verantwortbarer Haushalt. Er ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Konsolidierung. Und trotzdem machen wir das, was im Land notwendig ist; genau an den Punkten handeln wir – ohne irgendwelche luxuriösen Sachen, irgendwelche Verwöhnsachen. Diese Minidinger, die immer wieder herausgezogen werden, mit denen Herr Lindner und Herr Laschet irgendwelche Skandale erzeugen: Das ist doch lächerlich, ehrlich gesagt.
Die Grundlinie ist im Haushalt, aus meiner Sicht jedenfalls, solide und vernünftig. Ich bedanke mich bei den Fraktionen für die Zusammenarbeit, die zu dem Haushalt geführt hat, und bitte natürlich beide Fraktionen um Zustimmung. – Danke schön.
(Langanhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Priggen. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier im Saal und zu Hause!
Zunächst, Herr Priggen, vielen Dank für Ihre Sachlichkeit. Ich fand es recht angenehm. Denn das Parlament ist ein Ort der politischen Debatte, und das ist auch gut so. Aber wie hier mit Mehr- und Minderheiten umgegangen wird, ist haarsträubend. Am Beispiel der Haushaltsdebatte wird das immer wieder deutlich.
Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Für uns sind fünf Minuten ehrliche und offene Debatte wichtiger als vierzig Minuten Schaumschlägerei.
(Beifall von den PIRATEN)
Deshalb werde ich mich kurzfassen. Wie immer werden in diesen erstarrten Parlamentsritualen Änderungsanträge abgelehnt, weil sie von der falschen Fraktion kommen. Das ist nicht in Ordnung. Auf den Inhalt nehmen die Regierungsfraktionen keine Rücksicht. Dabei reden wir hier über Schulsozialarbeit, über Studierende, über Flüchtlinge. Kurzum: Wir reden hier über Menschen. Und da sollte das parlamentarische Farbenspiel hintanstehen.
(Beifall von den PIRATEN)
Im Ergebnis befeuert das nur die um sich greifende Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger. Daher haben wir Piraten uns entschlossen, uns diesem Ritual zu entziehen. Wir wollen einen Parlamentarismus, der Inhalte in den Vordergrund stellt.
(Beifall von den PIRATEN)
Hier die wichtigsten Punkte: Der vorliegende Haushalt ist nicht in der Balance – im Gegenteil. Er ist weit davon entfernt. Hier betreibt die Regierung nur schlichte und hilflose Zahlenmechanik. Die Frage ist: Was sind die Ziele der Landesregierung? Wo bleibt die klare Kante in der Haushaltspolitik? Innovative Zukunft kommt nicht vor. Wir können nur erkennen, dass Sie den Notstand verwalten. Sie bewahren Besitzstände, und Sie schreiben Altlasten fort. Es fehlen wichtige öffentliche Investitionen. Und das Gemeinwohl ist aus dem Blick geraten.
Wir sind es den Menschen in unserem Land schuldig, NRW fit zu machen, und dabei müssen wir die Sorgen und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ernst nehmen – und das muss sich in einem Haushalt von über 60 Milliarden € wiederfinden. Wir haben vergeblich danach gesucht.
Wir brauchen den Ausbau der digitalen Infrastruktur, und zwar jetzt und hier. Denn die Kohle der Zukunft liegt im Netz und nicht in der Erde.
(Beifall von den PIRATEN)
Und bei dieser neuen digitalen Infrastruktur wollen wir Spitze sein. Und wir wollen die Netzneutralität gewahrt wissen, an der Frau Merkel in Berlin gerade herumknabbert: keine Territorialisierung, keine Filetierung des Netzes, keine Netznutzer zweiter Klasse! Das läuft so nicht. Das Netz ist für alle da.
(Beifall von den PIRATEN)
Der Breitbandausbau, der mit dazu beiträgt, ist nicht unmöglich, sondern eine Frage der Prioritätensetzung. Die Landesregierung hat die Fördermittel eingefroren. Vielleicht hat sie das Glück des Untüchtigen, und ein Teil der Funkfrequenzversteigerungen des Bundes fließt nach Nordrhein-Westfalen. Fest steht dann aber auch, dass dies keine Eigenleistung der Landesregierung ist. Sie verschlafen die Zukunft, anstatt sie zu gestalten.
(Beifall von den PIRATEN)
Die digitale Revolution ist gleichermaßen mit Gefahren und Herausforderungen verbunden. Hier sind mangelnder Datenschutz und fehlender Schutz für die Privatsphäre zu nennen. Und das ist in NRW katastrophal und strukturell unterfinanziert.
Dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit fehlt es an Personal, um die an ihn gestellten, immer schneller wachsenden Aufgaben in vollem Umfang zu erfüllen. Nach dem Mooreschen Gesetz haben wir eine Verdopplung seit 2011. Das sieht man beim Landesdatenschutzbeauftragten leider nicht, obwohl er sich redlich müht und dafür zu loben ist, ihm „danke“ zu sagen ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Und aufgrund dieser Gefahren und Herausforderungen müssen auch die Medienbildung und Medienkompetenzvermittlung in der Bildungspolitik Priorität haben. Bislang haben sie das in Nordrhein-Westfalen nicht. Hier steht Rot-Grün mit durchgedrücktem Knie auf der Bremse. Dringend erforderlich sind die Stärkung von Fortbildung und die Beratung für Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit den Medien. Wir haben vorgeschlagen, dafür die Kompetenzteams deutlich zu stärken. Es ist jetzt geboten, ein umfassendes Medienbildungskonzept für das Land NRW zu entwickeln – eine effektive und effiziente Maßnahme, um die Schul- und Unterrichtsentwicklung voranzubringen.
Mit Blick auf die zukünftigen Generationen müssen wir uns nachhaltig für Bildung in allen Bereichen einsetzen. Nicht nur – es wurde gerade erwähnt – angesichts der höchsten Studierendenzahlen in Nordrhein-Westfalen brauchen unsere Hochschulen eine solide Grundfinanzierung. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und auf andere Maßnahmen wie den Hochschulpakt verweisen. Das Potenzial der Zukunft liegt in den Köpfen der Menschen und nicht unter ihren Füßen!
(Beifall von den PIRATEN)
Was für die Hochschulen gilt, gilt auch für weitere Bereiche. Wir dürfen uns nicht erst dann um die Finanzierung der Schulsozialarbeit kümmern, wenn den Schulsozialarbeitern längst gekündigt wurde oder sie sich auf dem Arbeitsmarkt anderweitig umgesehen haben; denn dann bleiben die Kinder auf der Strecke.
Ich sage es noch einmal: Sie verschlafen die Zukunft, anstatt sie zu gestalten!
(Beifall von den PIRATEN)
Aber was das Fass zum Überlaufen bringt, ist doch der Umgang mit der Grunderwerbsteuer. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir einer Erhöhung der Grunderwerbsteuer zustimmen, gleichzeitig der Finanzminister als Mitglied des Aufsichtsrats der Portigon AG offensichtlich dabei wegschaut, wenn ein Objekt mithilfe eines sogenannten Sharedeals an einen Großinvestor verkauft wird und so die Zahlung von Grunderwerbsteuer vermieden wird.
Sollte sich jemand von den Kollegen hier im Saal fragen, wieso wir in Nordrhein-Westfalen so viele politikverdrossene Menschen haben, dann lautet die Antwort: Das liegt genau an solchen Sachverhalten!
(Beifall von den PIRATEN)
Ich möchte nicht behaupten, dass Ihnen die Anliegen der Menschen in diesem Zusammenhang egal sind. Aber: Sie verschlafen die Zukunft, anstatt sie zu gestalten.
Wenn es um das nackte Überleben geht, wie bei den Flüchtlingen, dürfen wir uns nicht auf Rituale und Symbolpolitik beschränken. Hier in Nordrhein-Westfalen ist es passiert, hier in Nordrhein-West-falen wurden Flüchtlinge, schwer traumatisierte Menschen, misshandelt. „Ein Hauch von Abu Ghraib“ titelte die „Frankfurter Rundschau“.
Selbst nach diesen schockierenden Vorfällen ist hier niemand bereit, die vom Flüchtlingsrat geforderten Standards für diese Menschen in größter Not einzuführen. Und es zeigt sich, dass die Hilfsbereitschaft der Menschen in Nordrhein-Westfalen weitaus größer ist als die Entschlussfähigkeit der Entscheidungsträger in Düsseldorf. Das sage ich Ihnen ehrlich: Dafür schäme ich mich.
Und Sie verschlafen die Zukunft, anstatt sie zu gestalten!
Den Rest gebe ich zu Protokoll. – Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Nun spricht für die Landesregierung die Ministerpräsidentin, Frau Kraft.
(Zurufe von den PIRATEN)
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ging etwas schnell jetzt, aber ich würde doch gerne zu dem ...
(Zuruf: Wo sind denn die regierungstragenden Fraktionen? – Weitere Zurufe)
– Bitte?
(Zuruf von den PIRATEN)
– Herr Präsident, meine Damen und Herren, die armen Kollegen, die jetzt in der Kantine sitzen und schnell aufessen müssen, tun mir leid,
(Zuruf von den PIRATEN: Guten Appetit!)
aber ich kann schon mal an der einen oder anderen Stelle zu dem Stellung beziehen, was heute in der Debatte benannt worden ist. Herr Kollege Laschet hat ja recht: In einer solchen Debatte zum Haushalt, dritte Lesung, werden Unterschiede deutlich gemacht. Dabei wird klar: Wer will was in diesem Land verändern? Wer setzt an welchen Stellen an?
(Zuruf von den PIRATEN: Wo ist die SPD?)
Herr Paul, ich beginne mal mit Ihnen. Sie haben davon gesprochen, dass wir nur den Notstand verwalten und dass viele wichtige Investitionen fehlen in diesem Land. Sie haben gemutmaßt, dass es bei der Ablehnung der Anträge nicht um Inhalte ging, sondern dass wir die Anträge sozusagen per se nicht wollten, nur weil sie von der Opposition kommen.
(Dirk Schatz [PIRATEN]: Das ist keine Mutmaßung, das ist so!)
– Nun lassen Sie mich doch mal ausreden. – Wissen Sie, wenn Sie zusätzliche Anträge mit einem Kostenvolumen von 345 Millionen € stellen und keine Gegenfinanzierung bilden, dann machen Sie hier Wünsch-dir-was-Politik, und das kann keine regierungstragende Fraktion unterstützen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
So simpel sind manchmal die Dinge.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Das heißt nicht, dass man nicht in den Inhalten übereinstimmen würde. Aber ich finde es schon sehr irritierend, dass Sie, nachdem Sie bei dem Flüchtlingsgipfel dabei waren, davon sprechen, dass die Flüchtlingspolitik, die wir da gemeinsam verabredet haben, eine reine Symbolpolitik sei. Wir reden hier über 145 Millionen € mehr für die Kommunen; wir reden über 300 Stellen allein in den Schulen. Das ist doch mehr als Symbolpolitik, verehrter Herr Dr. Paul!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das können Sie doch nicht einfach hier so hinknallen!
(Dirk Schatz [PIRATEN]: Vor zwei Jahren wäre das angebracht gewesen! – Weiterer Zuruf von den PIRATEN: Haben Sie die Pro-Kopf-Zahlen auch? Da ändert sich nicht viel! Schade!)
– Wir haben die Qualität und die Sätze erhöht, werter Kollege. Sie sollten sich in diesem Thema etwas detaillierter auskennen. Das wäre zumindest sehr hilfreich an dieser Stelle.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von den PIRATEN)
Mehr konnte ich inhaltlich da nicht aufgreifen.
Zum Kollegen Lindner, der es auch noch nicht geschafft hat ...
(Christian Lindner [FDP], vom Platz neben Armin Laschet [CDU]: Doch!)
– Der ist schon da, Entschuldigung. Oh, er sitzt bei der CDU. Suchen Sie sich schon eine neue Heimat? Das ist ja interessant.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Das wäre vielleicht noch eine Nachricht wert. – Beim Kollegen Lindner hatte ich die Gelegenheit, einmal zu lachen, zweimal habe ich mich sehr geärgert, und eine Stelle hat mich wütend gemacht.
(Zurufe von der CDU: Oho! – Lachen von der FDP)
Gelacht habe ich über Ihre Replik zu meinem Karnevalskostüm, wenn ich dann mein wahres Gesicht zeige. – Ich habe dann, weil Ihre Rede nicht so inhaltsschwer war, die ganze Zeit darüber nachgedacht, was denn das geeignete Kostüm für Sie wäre.
(Zuruf von den PIRATEN: Jetzt aber!)
Ich bin davon überzeugt: Das wäre der Heißluftballon. Ich glaube, das trifft es ganz gut.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Geärgert, lieber Kollege Lindner, habe ich mich an zwei Stellen, bei denen Sie Angriffe fahren. Das ist Aufgabe der Opposition. Es ist auch Ihre Aufgabe, Skandale aufzuzeigen. Das ist richtig. Da tun Sie Ihre Arbeit.
Aber wenn Sie dabei den BLB benennen und die Skandale, die hier im Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden, dann sollten Sie doch wissen, dass diese Skandale in diesem Land zwischen 2005 und 2010 stattgefunden haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Das sollten Sie nicht vergessen, wenn Sie angreifen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!
Das Gleiche, lieber Kollege Lindner – ich glaube, damals waren Sie gerade in Berlin, aber Sie sollten es trotzdem nicht vergessen –: Wenn Sie Gefahren bei der inneren Sicherheit sehen, weil wir zu wenig Polizistinnen und Polzisten hätten, und anmahnen, wir sollten die Zahl der Anwärterstellen anheben, dann bitte erinnern Sie sich daran, dass Ihr Innenminister die Zahl dieser Stellen abgesenkt hatte und wir sie wieder aufgebaut haben!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe)
Da bitte ich dann doch sehr, korrekt zu sein.
Wütend, lieber Kollege Lindner, hat mich Ihr letzter Satz gemacht. Ich habe den mitgeschrieben: „Dieses Land ist eigentlich stark. Es könnte großartig sein, es ist eigentlich kleingeistig.“ Ich finde, das ist ein Skandal.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
– Da klatschen Sie noch? Wenn er unser Land Nordrhein-Westfalen als „kleingeistig“ bezeichnet!? Ich finde das frevelhaft. So etwas darf man den Menschen in diesem Lande nicht zumuten.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie können mich angreifen, Sie können die Landesregierung angreifen, aber nicht das Land.
(Widerspruch von Christian Lindner [FDP])
Darin liegt der Unterschied. Wem unser Land am Herzen liegt, der redet es nicht schlecht. Wir sind nicht Abstiegszone, wie Sie sagen, Herr Laschet, sondern in vielen Bereichen sind wir top, sind wir Champions League.
(Zuruf von der CDU: Bei den Steuern!)
Warum sagen Sie ständig, NRW sei Schlusslicht im Ländervergleich. Sie kennen die Daten und Fakten: 22 % des bundesdeutschen Bruttoinlandsprodukts werden von den Menschen hier hart erarbeitet. 22 %, das ist in Deutschland top!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Wachstumsrate des BIP von 2010 bis heute beträgt 9 %. Damit liegen wir knapp unter dem Bundesdurchschnitt. Das sind die Realitäten in diesem Land. In der Tat: Das, was Sie hier an Szenarien, an Beschreibung unseres Landes dargestellt haben, ist nicht das Empfinden der Bürgerinnen und Bürger, die hier leben.
(Zuruf von der CDU: Das müssen Sie ja wissen!)
– Nein, wirklich nicht. – Dazu, dass Sie dann noch Stichwortgeber für Frau Merkel sind für diese unsägliche Rechtsstaatsreplik, die sie abgeliefert hat, kann ich Ihnen nur sagen: Sie hätten stattdessen mit Frau Merkel über Regionalisierungsmittel und GVFG-Mittel reden sollen,
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
damit endlich der Wegzug aus dem ländlichen Raum, den Sie immer verteidigen, nicht mehr geschieht, weil wir dort demnächst keine Anbindung des ÖPNV mehr hinkriegen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie hätten vielleicht auch Herrn Bouffier etwas detaillierter informieren sollen. Ich fand ja hochinteressant, was in dem Interview stand. Da sagt er – ich zitiere aus der „Rheinischen Post“ –:
„Wir haben mit Nordrhein-Westfalen einen Patienten, der auf der Intensivstation liegt.“
Zweiter Satz, direkt folgend:
„Wenn die NRW-Ministerpräsidentin sagt, sie wolle weniger aus der Umsatzsteuer geben,“
– mein Zusatz: Wenn jemand gibt, wieso ist er auf der Intensivstation? –
„dann muss sie eine Antwort geben, wie sonst der Aufbau der neuen Bundesländer finanziert werden soll.“
Ich finde, das zeigt deutlich, wie stark die Leistung Nordrhein-Westfalens für den Aufbau des Südens und für den Aufbau des Ostens ist. Und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn Sie dann immer mit den Vergleichen mit Hessen und mit Bayern kommen, seien Sie vorsichtig!
(Jochen Ott [SPD]: Nicht parlamentarisch!)
Ich erinnere mich gut, als die Bilder von Burbach kamen, für die ich mich und für die wir uns geschämt haben. Da haben Sie gesagt: In Bayern wäre so etwas nicht passiert. Kurze Zeit später hatten wir entsprechende Nachrichten aus Bayern. Das, was dort gemeldet wurde, war nicht viel besser. Ich will das nicht vergleichen, aber es war nicht besser.
(Armin Laschet [CDU]: Was denn?)
– Sie sollten die „Süddeutsche“ zwei Tage später lesen. Vielleicht haben Sie es nicht mitbekommen. – Wenn Sie jetzt aber auch noch Hessen als Vergleichsfall aufbauen, empfehle ich doch einmal einen Blick auf die Kreditfinanzierungsquote entsprechend der Stabilitätsberichte der Länder für den Stabilitätsrat, lieber Kollege Lindner. Ich nehme also nicht irgendwelche Institute, die sich äußern, sondern ich nehme die, die dafür zuständig sind, hier den Stabilitätsrat.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Dort hat Hessen 2013 eine Kreditfinanzierungsquote von 5 %, wir eine von 2,6 % gehabt. 2014 ist unsere weiter gesunken, und Hessen liegt immer noch bei 3,5 %. Soweit zum Vergleich mit Hessen. Oder reicht das noch nicht? Ich kann noch einen Nachsatz liefern.
Bei den Bundesländern sieht der Beirat des Stabilitätsrates Licht und Schatten – Wissenschaftlicher Beirat, Stabilitätsberichte.
(Armin Laschet [CDU]: Was heißt das? Alles top?)
Dort steht: Berlin, Nordrhein?Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein können sich reale Ausgabensteigerungen von 0,7 % pro Jahr leisten mit Blick auf die Schuldenbremse. – Das sind nominal, werter Kollege Lindner, 2,9 %, die wir uns leisten könnten, und trotzdem könnten wir die Schuldenbremse noch einhalten. Brandenburg, Hessen, Sachsen, Mecklenburg?Vorpommern – mit Sachsen machen Sie ja auch gerne Vergleiche – müssen ihre Ausgaben real in etwa konstant halten.
Das sind die Realitäten, die Sie hier verweigern. Sie binden den Menschen hier einzelne Zahlen auf, stricken daraus ein Märchen, aber dieses Märchen wird niemand glauben, lieber Herr Kollege.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Wem unser Land am Herzen liegt, der redet nicht klein, was hier geleistet wurde und geleistet wird.
Ja, ich nenne den Strukturwandel. Fahren Sie doch mal in vergleichbare Regionen in Nordfrankreich, in Großbritannien! Ich war jetzt gerade in Nord-Pas-de-Calais, unser Partnerregion, bei der Einweihung eines bemerkenswerten Denkmals zum Ersten Weltkrieg. Eine wunderbare Geschichte, da sollten Sie hinfahren.
Wenn Sie durch das Land fahren und sich eine Region anschauen, die strukturell in den 50er- und 60er-Jahren genauso aufgestellt war wie das Ruhrgebiet, sehen Sie die Unterschiede zwischen dort und hier. Ja, wir haben unseren Strukturwandel selbst finanziert. Wir haben ihn mit Schulden finanzieren müssen, während wir gleichzeitig den Süden und später den Osten solidarisch mit aufgebaut haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das war gut, und das war richtig. Aber wir haben diesen Strukturwandel auf den Weg gebracht.
Deshalb gilt, lieber Herr Kollege Laschet, wem unser Land am Herzen liegt, der kämpft im Bund und gegenüber den anderen Ländern dafür, dass Nordrhein-Westfalen fair behandelt wird – nicht mehr und nicht weniger –,
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
damit wir mehr von dem behalten können, was hier von den Bürgerinnen und Bürgern hart erwirtschaftet wird. Wir lamentieren nicht, wir kämpfen für unser Land. Warum kämpfen Sie eigentlich nicht mit, werte Kollegen aus den anderen Fraktionen? Kämpfen Sie doch mit dafür, dass hier Fairness gilt!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deshalb, lieber Herr Lindner, bei der Google-Suche so viele Ergebnisse zu haben – dass Sie da neidisch draufschauen, kann ich verstehen –:
(Zurufe von der CDU)
Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, dieses Thema auch einer breiten Öffentlichkeit transparent zu machen. Ich komme nachher noch darauf zurück, was wir dort im Einzelnen tun.
Aber es gilt zu kämpfen, sich gemeinsam aufzustellen und nicht die Nuancen zu betonen, die wir offensichtlich an der einen oder anderen Stelle haben. Wem unser Land am Herzen liegt, der will es wirklich voranbringen. Der macht Vorschläge, die Substanz haben, und liefert keine Luftnummern wie in diesen Haushaltsanträgen, die ich gelesen habe. Substanz ist leider Mangelware, auch bei der Bundes-CDU. Insofern, lieber Kollege Lindner, sehe ich da nicht den großen Unterschied zwischen Bundes- und Landes-CDU, den Sie hier dargestellt haben.
Ich habe das in der Zeitung gelesen. In der „WZ“ vom 10. Dezember steht:
„Erst kommt Merkel – und dann ganz, ganz lange nichts. Die CDU ist eine leere Hülle geworden. Wenn Angela Merkel dereinst gehen sollte, fällt die Partei in sich zusammen wie ein Soufflé.“
„Die führende Regierungspartei“
– so heißt es weiter –
„des viertgrößten Industriestaates der Welt … kommt einmal im Jahr zur Positionsbestimmung zusammen … und redet ausschließlich über – Belanglosigkeiten. Über die kalte Progression, Burka-Verbot und eine Personalie in der dritten (!) Reihe der Parteiführung. Das waren schon die Höhepunkte.“
Im „Handelsblatt“ wurde es kürzer formuliert: Konkret wurde es aber nie; Merkel blieb trostlos im Ungefähren. – So ist Ihre Politik hier in diesem Land. Da unterscheiden Sie sich in null Komma nichts.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wem unser Land am Herzen liegt, der eiert eben nicht herum und verhält sich nicht opportunistisch, wenn es um zentrale landespolitische Themen geht.
Ich habe bei G8 immer darauf geschaut, was Sie dazu gesagt haben. Was habe ich festgestellt? – Sie haben erst einmal geguckt, lieber Kollege Laschet, woher der Wind weht. G8-Abitur: Laschet legt sich nicht fest – „Westfälische Nachrichten“ vom 5. April. Aber Gleiches haben wir auch beim Flüchtlingsgipfel erlebt. Laschet redet am 20. Oktober erst von einem Dissens in Kleinigkeiten und dann am 31. Oktober plötzlich davon, es sei in zentralen Fragen keine Einigkeit erzielt worden.
So kann man dieses Land nicht regieren, lieber Herr Kollege Laschet; das geht so nicht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wem unser Land am Herzen liegt, der sichert Nordrhein-Westfalens Zukunft. Darum denken und handeln wir langfristig. Kollege Priggen hat das gerade in vielen einzelnen Punkten deutlich gemacht. Auch der vorbeugende Ansatz unserer Politik „Kein Kind zurücklassen“ wirkt, werter Kollege Lindner. Es zeigt sich, dass Vorbeugung funktioniert und dass Vorbeugung sich rechnet. Ich empfehle Ihnen die Veröffentlichung, die wir zur Halbzeitbilanz des Projektes mit den Kommunen aufgelegt haben.
(Christian Lindner [FDP]: Nichts steht da drin!)
– Da steht eine Menge Gutes drin; viele konkrete Zahlen. Dass die Ihnen nicht passen, kann ich ja verstehen, aber mit den Einzelheiten geben Sie sich ja sowieso nicht so gerne ab. Das ist ja das, wie wir Sie wahrnehmen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich würde gerne noch auf einzelne Punkte zu sprechen kommen. Kollege Laschet hat angesprochen, wir würden uns auf Kosten der Kommunen bereichern. Dazu hat Herr Kollege Priggen einiges deutlich gesagt. Ich möchte nur eine Zahl nennen: Die Zuweisungen Richtung Kommunen sind um 40 % seit dem Jahr 2010 gestiegen, und zwar von 14,8 auf 20,7. Das sind eindeutige Zahlen, die deutlich machen, dass wir Wort halten mit unserem Satz „Stadt und Land – Hand in Hand“.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Oder nehmen Sie das Thema Flüchtlinge: Die Einigung, die auf der Ebene zwischen Bund und Ländern erreicht worden ist, versuchen Sie in unsere Richtung schlechtzureden. Lassen Sie das doch! Lieber Kollege Laschet, das werden Ihnen doch der Kollege Innenminister und die Kanzlerin sicherlich berichtet haben. Als wir das in der Ministerpräsidentenkonferenz miteinander besprochen hatten, lag eine Verständigung auf dem Tisch. Die müssten Sie auch kennen. In dieser Verständigung heißt es unter TOP 4:
„Der Bund erklärt sich bereit, Ländern und Kommunen im Jahre 2015 in Höhe von 500 Millionen € zu entlasten.“
Später folgen die Sätze:
„Die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel sind zum Ausgleich von Mehrbelastungen im Zusammenhang mit der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern bestimmt. Die hälftige Refinanzierung … wird … durch die Länder übernommen.“
Ich habe es etwas abgekürzt. Das steht da alles schon drin. Und was machen Ihre CDU-Bundestagsabgeordneten? – Die nehmen die Milliarde, teilen diese auf alle Städte und Gemeinden, unabhängig davon, ob die überhaupt Flüchtlinge aufgenommen haben, und schreiben denen: Ihr könnt jetzt diese und jene Summe erwarten. – Das ist unredliche Politik, lieber Kollege Laschet. Unredliche Politik!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat es vorhin dargestellt. Das, was vom Bund kommt, leiten wir eins zu eins durch, und zusätzlich geben wir noch 91 Millionen € für die Flüchtlingspolitik. Ob es am Ende reichen wird, wissen wir noch nicht, weil wir nicht wissen, wie sich die Zahlen entwickeln werden. Aber seien Sie versichert: Wir haben einen Paradigmenwechsel vorgenommen, und der ist mir sehr ernst. Wir machen Politik aus der Sicht der Flüchtlinge, und das werden wir auch in den nächsten Jahren tun.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Der zweite Punkt, bei dem Sie „Betrug, Betrug“ schreien, ist die Entlastung beim BAföG. Wir beide haben an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen, ich auch in der letzten Runde. Ich weiß noch, als wir aus der Sitzung kamen, haben alle gefragt: Was ist denn jetzt an Entlastungen herausgekommen für Infrastruktur, für Kommunen und für die Länder?
(Armin Laschet [CDU]: Und Bildung!)
Alle wollten Nettoentlastung für die Länder. – Und Bildung; diese vier Punkte. An allen diesen Stellen haben wir gemeinsam Erfolge erzielt. Es war immer davon die Rede, dass es sich um Nettoentlastungen handeln muss. Bei den Kommunen werden wir sehr genau darauf achten, dass dieses Geld als Nettoentlastung kommt und nicht wieder mit zusätzlichen Aufgaben befrachtet wird, wie Sie es hier mit der Schulsozialarbeit vorhatten. Darauf werden wir sehr genau achten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dann malen Sie das Bild, wir hätten das im großen Landeshaushalt versickern lassen. – Da nicken Sie auch noch. Das ist ja wunderbar. Sie kennen doch die Realitäten. Sie wissen doch, dass von dem jetzigen 64-Milliarden-Etat 26 Milliarden € alleine in Bildung, Betreuung, Hochschule und Forschung gehen.
(Armin Laschet [CDU]: Das war doch vorher auch schon!)
Oder wissen Sie nicht, lieber Kollege Laschet, dass wir allein für die U3-Betreuung seit 2010 eine Milliarde mehr ausgeben? Wissen Sie nicht, lieber Kollege Lindner – Sie wissen es definitiv nicht, weil Sie von Qualitätsverlust gesprochen haben –, dass wir an den Hochschulen seit 2010 25 % mehr Studierende haben, dass der Etat aber um 33 % gewachsen ist? Da können Sie doch nicht allen Ernstes von Qualitätsverlust reden. Das ist doch albern!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Lieber Herr Kollege Laschet, beim Ganztag kennen Sie sich offensichtlich auch nicht aus. Wie sind denn die Ganztagszahlen? Nehmen Sie doch zur Kenntnis: Nordrhein-Westfalen liegt bei 36,3 %. Der Bundesdurchschnitt beträgt 32,2 %. Wir sind Spitze. Die Bayern – das sage ich, weil Sie die immer so gerne als Beispiel nehmen – liegen bei 12,6 %. Wir geben dieses Geld gerne aus, weil es für die Zukunft unseres Landes ist! Das ist die Politik dieser Regierung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich komme noch zum Thema „Inklusion“, weil es eben auch eine Rolle spielte. Da wurde eine Katastrophe vorhergesagt, die gar nicht eingetreten ist – wie in vielen anderen Bereichen auch, zum Beispiel beim Rechtsanspruch auf U3-Betreuung.
(Zuruf von der FDP)
– Ja, hören wir doch einmal auf die Fachleute. Das Deutsche Institut für Menschenrechte – es ist Berater der Bundesregierung in diesen Fragen – hat uns ausdrücklich für das strukturierte, ganzheitliche Konzept im Bereich der Inklusion gelobt. Wir sind Vorreiter, meine Damen und Herren von der Opposition, auch wenn Ihnen das nicht gefällt!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie zitieren hier Studien aus dem Bildungsmonitor, der mit veralteten Zahlen arbeitet. Sie fassen grob das zusammen, was uns die Gewerkschaften vorgelegt haben. Sie haben uns zehn Hürden – davon neun messbare – vorgegeben. Davon haben wir sieben übersprungen, zwei nicht. Eine davon betrifft – sehr zu meinem Bedauern – die Zahl der Ausbildungsplätze. Deshalb bleibe ich dabei, dass ich in diesem Feld Druck mache, damit die Unternehmen die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen; denn Zukunft vorzubereiten ist nicht nur Aufgabe von Politik, sondern auch von Wirtschaft.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Oder reden wir über die Berufskollegs. Das Berufskolleg ist für uns ein unverzichtbarer Baustein der Schullandschaft in Nordrhein-Westfalen. Entgegen dem, was Sie hier gesagt haben, gibt es keine Standardverschlechterung an den Berufskollegs. Die Stellenentwicklung folgt den Schülerzahlen. Trotz rückläufiger Schülerzahlen hat das Land die Zahl der Stellen an den Berufskollegs wegen Unterrichtsausfall und für individuelle Förderung zum Schuljahr 2013/14 von 280 auf 350 erhöht.
Wir ziehen alle Register, um mehr Berufsschullehrerinnen und -lehrer zu finden. Dazu zählt die Kooperation von Universitäten und Fachhochschulen bei der Gewinnung von mehr Lehramtsstudierenden für das Berufskolleg, die wir bis 2018 mit 11 Millionen € unterstützen werden. Wir rechnen mit einer Präventionsrendite von 500 Stellen, weil wir mit „Kein Abschluss ohne Anschluss“ die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Warteschleifen reduzieren. Schon jetzt haben wir eine der besten Quoten bei Schülern, die ohne Abschluss die Schule verlassen. Das heißt, bei uns verlassen die wenigsten die Schule ohne Abschluss. Daran wollen wir weiterarbeiten!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Lassen Sie uns dann über Wirtschaft sprechen. Reden wir über Breitband, lieber Kollege Laschet. Es muss Ihnen durchgegangen sein, dass das „Handelsblatt“ am 15. Dezember – dabei ging es um den Anteil der deutschen Haushalte mit verfügbaren Anschlüssen von mindestens 50 Megabit pro Sekunde – Folgendes berichtete: Führend ist Hamburg. Dann kommt Berlin. Die großen Stadtstaaten gehen da klar vorweg. Dann aber kommt als Flächenland Nordrhein-Westfalen mit 69,3 %. Die Bayern liegen bei knapp über 50 %. Das sind die Realitäten. Wir investieren, wir bringen dieses Land voran!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn Sie hier noch mehr Investitionen verlangen bzw. einfordern, ist das richtig. Wir tun das auch. Das habe ich gerade in der letzten Woche bei der Ministerpräsidentenkonferenz wieder gemacht. Weil wir uns stur gestellt haben, kommt jetzt die Hälfte der Erlöse aus den zu versteigernden Frequenzen den Ländern genau für diese Aufgabe zugute, damit wir auch noch die letzten Prozente schaffen; denn wir wissen, wie wichtig das für die Zukunft dieses Landes ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Im Energiebereich haben wir – auch wenn Sie es anders darstellen – relativ wenig Dissens. Es ist nicht einfach, eine Energiewende auf den Weg zu bringen. Natürlich haben wir – das haben Sie auch in den Koalitionsverhandlungen gemerkt – haben wir immer den Blick auch auf die Arbeitsplätze in diesem Land. Wir brauchen aber diesen Strukturwandel auch hier in Nordrhein-Westfalen; und wir gestalten ihn. Wir gestalten ihn mit Klimaschutzgesetz und Klimaschutzplan. Auch das ist eine Form von Strukturwandel, der wir uns nicht verweigern, sondern wo wir gestaltend mit hineingehen.
Wenn Sie davon sprechen, dass Kraftwerkstechnologie aus Nordrhein-Westfalen nicht mehr verkauft werden kann, sind Sie nicht auf der Höhe der Zeit. Einer der größten Kraftwerkshersteller liegt in meinem Wahlkreis in Mülheim an der Ruhr. Sie können mir glauben, dass ich seit Wochen an diesem Thema dran bin und dass da schon längst Entwarnung gegeben worden ist. Hier sind Sie schlicht und einfach nicht auf der Höhe der Zeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich kann mir, glaube ich, die alte Debatte „LEP und Flächenverbrauch“ schenken. Wir sind und werden da nicht einer Meinung sein; denn die Ziele, die wir hier umsetzen, sind solche, die Sie unter anderem in der Bundesregierung mit gesetzt haben. Wir schauen mit darauf, dass nicht nur Ziele in weiter Ferne gesetzt werden, und wir zeigen auch, auf welchem Weg wir diese Ziele erreichen wollen.
Wenn wir Politikverdrossenheit begegnen wollen, dürfen wir nicht genau so eine Politik machen, wie Sie sie immer gemacht haben, sondern wir müssen es konkret machen. Wir müssen sagen, was kommt, die Menschen zusammenrufen und ihnen klarmachen, welche entscheidenden Prozesse auf sie zukommen. Das ist Politik dieser Landesregierung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich komme zu den Bundesfernstraßen. Herr Laschet, Sie haben in Ihrer PK am 28.11. gesagt, Nordrhein-Westfalen habe 2014 nur 596 Millionen € der Bundesmittel für Bundesfernstraßen abgerufen, obwohl rund 700 Millionen € für NRW durchschnittlich zur Verfügung stehen würden. Das wäre eine weitere substanzielle Schwächung der Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen.
Heute haben Sie diese Zahl von 596 Millionen € auf 638 Millionen € korrigiert. Ich muss Ihnen leider sagen: Auch diese Zahl ist noch falsch.
Das liegt daran, dass Herr Laschet nur die Bauinvestitionen betrachtet und die übrigen Mittel, etwa für die Straßenunterhaltung, außer Acht lässt. Man muss aber alle Mittel betrachten.
(Armin Laschet [CDU]: Was ist das für ein Taschenrechnertrick?)
Schaut man sich an, was wir in diesem Jahr bekommen und abgerufen haben, sieht die Bilanz ganz anders aus. Ich stelle Ihnen das gerne kurz dar: Für den Bau und Betrieb von Bundesfernstraßen haben wir bis zum 4. Dezember dieses Jahres 951 Millionen € erhalten, und zwar 411 Millionen € für den Erhalt der Fernstraßen, 227 Millionen € für den Aus- und Neubau, 144 Millionen € für Lärmschutz und Radwegebau und 169 Millionen € für die Straßenunterhaltung.
Faktisch sind es sogar 956,3 Millionen €. Denn im September haben wir gegenüber dem Bund einen Mehrbedarf von 40,4 Millionen € geltend gemacht, und im November waren es noch einmal 35,6 Millionen €. Von den 76 Millionen € sind 70,7 Millionen € bereits ausgezahlt worden. 5,3 Millionen € fehlen noch, aber die kommen dann noch oben drauf.
Zum Vergleich: Baden-Württemberg geht für 2014 von einer Gesamtsumme von 800 Millionen € aus. Dabei sind wir deutlich besser. Kurzum: Wir sind auf Kurs, wir brauchen uns nicht zu verstecken. Haben Sie keine Angst, dass wir dieses Geld in diesem Land nicht gut ausgeben können. Keine Angst!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Kommen wir zum Länderfinanzausgleich. Ich möchte allerdings die Eckdaten des Haushalts vorwegschicken. Im Rahmen einer Haushaltsdebatte kann man das völlig zu Recht tun.
Das Haushaltsvolumen beträgt 34,3 Milliarden €, und die Investitionen liegen bei 5,7 Milliarden €. Das ist mehr als die Neuverschuldung. Es handelt sich somit um einen verfassungskonformen Haushalt. Die Nettoneuverschuldung liegt bei rund 1,93 Milliarden €. Das sind 70 % weniger als im Jahr 2010. Ich finde, es ist ein gigantischer Erfolg, dass dieser Weg nach unten kontinuierlich beschritten wird.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Einsparungen in diesem Haushalt betragen rund 1,5 Milliarden €. Wir bleiben bei unserem Dreiklang: Wie ich bereits gezeigt habe, investieren wir in Bildung, in Kinder und in Kommunen. Ich bin dem Kollegen Herrn Priggen für seine detaillierte Darstellung sehr dankbar.
Wir investieren an den richtigen Stellen, auch in den Straßenbau. Wir erhöhen die Einnahmen, soweit es uns möglich ist, und es fällt uns nicht leicht, das an der einen oder anderen Stelle zu tun. Damit meine ich nicht nur die Grunderwerbsteuer, sondern auch die vielen Gebührentatbestände, die wir erhöht haben, die auch eine Belastung für die Bürgerinnen und Bürger darstellen.
Wir verfügen aber nun einmal nur über wenige Stellschrauben, mit denen wir selbst unsere Einnahmen verbessern können. Wir haben dafür gesorgt, dass der Bund sowohl uns als auch die Kommunen entlastet. Wir werden in dieser Hinsicht auch nicht lockerlassen. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass der Bund uns das Geld an den richtigen Stellen bereitstellt.
Das alles wird für die nächsten Jahre unsere Basis sein. Die Frage, die sich in dem Zusammenhang stellt, ist: Was passiert, wenn der Soli nach 2019 ausläuft und der Länderfinanzausgleich neu gestaltet werden muss? – Ja, das ist die Debatte, in der es um die Zukunft der Finanzen unseres Landes geht.
Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir weiterhin den Dreiklang beibehalten müssen, dass wir investieren müssen, dass wir die Einnahmen erhöhen und die Steuerstraftäter auch weiterhin erfolgreich in die Schranken weisen. Immerhin hat das bei uns zu Steuermehreinnahmen von mehr als 1,5 Milliarden € geführt. Darauf sind wir stolz, und das bleiben wir auch.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir werden auch weiterhin im Bund erfolgreich die NRW-Interessen vertreten. Im Jahr 2014 erfolgte die letzte Stufe der Übernahme der Grundsicherung, was eine Entlastung der Kommunen in Höhe von 1,1 Milliarden € bedeutete. Die Städtebauförderung wird bis 2017 um 600 Milliarden € aufgestockt. Zusätzliche 6 Milliarden € bis 2017 werden für Kitas, Schulen und Hochschulen bereitgestellt sowie insgesamt 5 Milliarden € bis 2017 für die Verkehrsinfrastruktur. Hier warten wir noch auf Details und hoffen, dass nicht alles schon vorher verausgabt war. Der Bund finanziert außeruniversitäre Forschungseinrichtungen allein mit 3 Milliarden €, und für die Eingliederung Arbeitsuchender erhöhen sich die Mittel um 1,4 Milliarden €.
Das ist alles gut und richtig, aber wir betrachten die weitere Perspektive und stellen fest: Aus einem Länderfinanzausgleichssystem ist eine Überkompensation geworden, und das darf auf Dauer nicht Bestand haben.
Wir waren solidarisch mit dem Süden Deutschlands, und wir sind und waren solidarisch mit dem Osten Deutschlands. Wir wissen auch, dass es dort an vielen Stellen noch vieles zu tun gibt. Das wird man in einem neuen Länderfinanzausgleich berücksichtigen müssen. Außerdem werden wir den beiden am höchsten verschuldeten Ländern, dem Saarland und Bremen, nicht die Luft zum Atmen nehmen. Auch das wird Bestandteil eines neuen Länderfinanzausgleichs sein.
Es kann aber nicht so bleiben, dass wir über den Umsatzsteuervorwegausgleich systematisch weiterhin auf Dauer benachteiligt werden. Das werden wir nicht zulassen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte noch einmal die eine oder andere Zahl nennen. Seit der Neuordnung des horizontalen Länderfinanzausgleichs im Jahr 1995 und der Gründung des Fonds „Deutsche Einheit“ im Jahr 1990 hat Nordrhein-Westfalen per Saldo andere Länder mit rund 70 Milliarden € unterstützt. Bis dahin hatte NRW unter dem Strich schon im ursprünglichen Finanzausgleichssystem 7,5 Milliarden an die alten Bundesländer gezahlt. Das war richtig.
Ich sage es aber noch einmal: Mit der Zeit ist aus einem Ausgleichssystem eine Überkompensation geworden. Vor den Ausgleichszahlungen im Jahr 2013 übertrafen die Ausgaben in den ostdeutschen Ländern inklusive Berlin die Einnahmen. Diese kann man ganz gut mit uns vergleichen, weil die ostdeutschen Länder zuzüglich Berlin ungefähr so groß sind wie NRW.
Die Ausgaben betrugen dort 75,5 Milliarden € und die Einnahmen 55,1 Milliarden €. Das heißt, sie hatten vor den Ausgleichszahlungen einen Negativsaldo von 20,4 Milliarden €. Nach den Ausgleichszahlungen kamen diese Länder insgesamt auf einen Überschuss von 2,4 Milliarden €.
Das ist kein Ausgleichssystem mehr, das ist eine Fehlsteuerung, und die müssen wir korrigieren, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich kann es auch anders sagen: Nordrhein-Westfalen muss Kredite aufnehmen, um seinen solidarischen Beitrag für den Aufbau Ost zu bezahlen. Aber den eigenen Strukturumbau und die Folgekosten musste das Land bisher immer aus eigener Kraft stemmen.
Wenn Sie die Kohleförderung ansprechen – Kollege Priggen hat dazu schon viel Richtiges gesagt –, dann frage ich mich: Warum guckt man eigentlich immer nur auf die Kohleförderung? Warum gucken wir nicht mal auf die Agrarsubventionen? Warum gucken wir nicht mal auf die Förderung von Häfen?
(Christian Lindner [FDP]: Fotovoltaik!)
– Wenn Sie etwas sagen wollen, haben Sie, glaube ich, noch ein paar Minuten übrig.
(Christian Lindner [FDP]: Nein, Sie müssen erst überziehen! – Marc Herter [SPD]: Das ist ja sein Problem!)
– Sein Problem ist, dass er keine Zeit mehr hat? Oh, Entschuldigung. Dann lasse ich Sie gerne dazwischenreden.
(Christian Lindner [FDP]: Überziehen Sie mal! Sie sind ja schon gut dabei!)
Also: Schauen wir doch auf die anderen Subventionstatbestände. Warum sollen wir uns, nur weil wir den Strukturwandel im Kohlebereich sozial abgefedert haben – übrigens zum Wohle von ganz Deutschland –, dauerhaft dafür rechtfertigen? Das mag ich nicht einsehen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Weil es so schön ist, noch einmal die schönen Zahlen von Sachsen: Vor der Umverteilung hat Nordrhein-Westfalen pro Einwohner rund 1.000 € mehr an Steuereinnahmen als Sachsen. Wir sind auf Rang 5 in der Wirtschaftskraft. Nach der Umverteilung sind wir auf dem letzten Platz und haben pro Einwohner 500 € weniger als die Sachsen. 2013 waren wir mit rund 2,4 Milliarden € im Umsatzsteuerausgleich belastet. Das war absolut gesehen der höchste Betrag aller Bundesländer. Auch unter dem Strich, nach Abzug der Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich, sind wir mit 1,7 Milliarden € immer noch Nettozahler im horizontalen Finanzausgleich.
Ich kann Ihnen sagen: Solidarität ist gut. Aber wenn ein Land von Platz 5 nach Umverteilung auf den letzten Platz rutscht, wenn andere, deren Wirtschaftskraft nicht stark genug ist, Unterstützung bekommen
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
und dann in der Lage sind, Überschüsse zu produzieren, dann ist das eine Ungerechtigkeit, die ich auch weiterhin anprangern werde. Das darf so nicht bleiben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deshalb steht der Satz: Wir wollen nicht Bettler sein, wir sind nicht Bittsteller, unser Land ist stark genug. Aber wir wollen mehr von dem Geld behalten, das von den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land erarbeitet wird.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Kommen wir doch zum Soli – die Debatte ist auch ganz interessant –: Alle Regierungschefs und -chefinnen der Länder haben sich auf einer Sonderkonferenz am 27. November in Potsdam darauf verständigt, dass künftig die Hälfte der 18 Milliarden € Ländern und Kommunen zukommen soll.
Jetzt geht es darum, einen Weg zu finden, wie dieses Ziel bestmöglich erreicht werden kann. SPD- und grün-geführte Länder unterstützen den Vorschlag, den Wolfgang Schäuble entwickelt hat, das heißt Einbeziehung des Soli in die Einkommensteuer, in den Körperschaftsteuertarif. Wir haben dabei von Anfang an klar im Blick gehabt – übrigens auch Herr Schäuble; den muss ich da mal in Schutz nehmen –, dass das nur gehen kann, wenn man dabei bestimmte Unwuchten beseitigt. Man kann nicht einfach integrieren. Das würde in der Tat dazu führen, dass beispielsweise Familien demnächst mehr Steuern zahlen müssen. Das wollen wir nicht. Wir haben sozusagen gedanklich Geld abgezogen, um diese Unwuchten zu beseitigen. Das haben wir im Blick.
Wir haben zweitens in den Blick genommen, dass man bei dieser Gelegenheit – wenn wir uns einigen könnten – auch leichte Verbesserungen bei der sogenannten kalten Progression erzielen könnte. Auch das hatten wir mit in den Blick genommen.
Und plötzlich lief die Debatte ganz anders. In der CDU hatte man Angst vor der eigenen Courage, Angst davor, sich einer Steuererhöhungsdebatte gegenüberzusehen, deren Ursprung ich nicht nachvollziehen kann. Im Wahlkampf haben sowohl die Kanzlerin als auch der Spitzenkandidat der SPD bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht, dass sie sich angesichts der Herausforderungen und der wachsenden Zahlen bei Schulen, bei Kitas, im Hochschulbereich, bei den Notwendigkeiten in der Infrastruktur darüber im Klaren sind, dass der Soli nicht wegfallen kann. Wir reden über 5 % des Bundeshaushalts. Das ist die Größenordnung. Die kann man nicht von heute auf morgen wegfallen lassen.
Jetzt geht es um die Frage – wenn wir uns da einig sind, und Herr Laschet hat genickt –, dass dieses Aufkommen gebraucht wird.
(Armin Laschet [CDU] nickt.)
– Ja, ich sehe ein klares Nicken. Herr Laschet hat in den vergangenen Wochen anstelle des jetzigen Solidarzuschlags einen zweckgebundenen Infrastruktursoli für mindestens zehn Jahre ins Spiel gebracht, unter anderem im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 4. Dezember. In diesem Fall, lieber Kollege Laschet, würde der Bund entscheiden, was und wo es gefördert wird. Offen bliebe, ob Nordrhein-Westfalen angemessen und bedarfsgerecht beteiligt wird. Bei der Integration in den Tarif entscheiden doch die Landesparlamente über die Verwendung der Mittel und nicht der Bund. Das ist Föderalismus. Die Kommunen würden direkt profitieren. Deshalb haben wir diese Variante bevorzugt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich habe in den mittlerweile 14 Jahren in der Landespolitik zu oft erlebt, dass Bundesfördermittel – Maßnahmen für Hochschulen, für Forschungseinrichtungen – nicht danach verteilt wurden, wo der größte Bedarf ist, sondern nach politischen Kriterien. Das wollen wir gerne verhindern. Bitte streiten Sie mit dafür. Das ist meine herzliche Bitte.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Warum sind wir beim Länderfinanzausgleich so leidenschaftlich? Warum wollen wir, dass sich da etwas verändert? – Weil wir auch sparsam wirtschaften. Wir haben im Ländervergleich die niedrigsten Ausgaben pro Kopf. Wenn Sie bei der Kommunalisierung sind – damit kommt immer Herr Witzel von der FDP; den sehe ich heute nicht –,
(Ralf Witzel [FDP] meldet sich und begibt sich zu seinem Platz.)
dann müssen Sie vernünftig saldieren, und dann sind wir immer noch im oberen Drittel.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
– Doch, weil die Zahlen, die Sie anwenden, rein systematisch nicht angewendet werden können. Da ist die Vergleichbarkeit gar nicht gegeben. Nehmen Sie die Zahlen, mit denen sich die Länderfinanzminister jeden Tag auseinandersetzen. Dann sehen Sie, dass wir sehr kostengünstig aufgestellt sind. Wir haben auch beim Personal den geringsten Schlüssel von Personal pro Bürgerin und Bürger.
Sie nehmen, um zu skandalisieren, immer die absoluten Zahlen und sagen: NRW hat die höchsten Schulden; NRW hat die höchsten Kosten. – Das ist aber unredlich; denn solche Zahlen muss man pro Kopf herunterbrechen. Sonst sind wir schon wegen unserer Größe immer an der Spitze. Das ist rein statistisch so. Deshalb müssen Sie redlich mit diesen Daten und Fakten umgehen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich fasse zusammen: Wem unser Land am Herzen liegt, der redet es nicht schlecht. Die Menschen sind stolz auf dieses Land. Sie wollen auch stolz auf dieses Land bleiben. Daran arbeiten wir.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wem unser Land am Herzen liegt, der redet nicht klein, was hier geleistet wurde und geleistet wird.
Wem unser Land am Herzen liegt, der kämpft im Bund und gegenüber den anderen Ländern dafür, dass eine faire Behandlung unserer Interessen stattfindet.
Wem unser Land am Herzen liegt, der will es wirklich voranbringen. Er macht deshalb Vorschläge, die Substanz haben, und keine Haushaltsvorschläge, die sich als leere Blasen entpuppen.
Wem unser Land am Herzen liegt, der eiert nicht herum und verhält sich nicht opportunistisch, wenn es um zentrale landespolitische Themen geht.
Wem unser Land am Herzen liegt, der sichert Nordrhein-Westfalens Zukunft. Darum muss man mittel- und langfristig denken und handeln.
Das tun wir mit unserer vorbeugenden Politik. Und falls Sie es noch nicht gemerkt haben: Ja, uns liegt dieses Land am Herzen. Und das bleibt auch so.
(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Laschet das Wort.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Er will jetzt mitteilen, dass er dem Haushalt doch zustimmen wird! – Weitere Zurufe von der SPD)
Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat dazu eingeladen, hier noch einmal in den Diskurs einzutreten. Ich muss Ihnen sagen, dass wir in dem, was wir vorgetragen haben, fundamentale Unterschiede haben.
Erstens. Sie haben keinen einzigen Satz und keinen Gedanken darauf verwendet, wie wir mehr Arbeitsplätze bekommen, wie wir die Wirtschaftskraft stärken und wie wir die Einnahmen verbessern, und zwar ohne Steuererhöhung.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Das kommt bei Ihnen gar nicht als Kategorie vor. Das ist der Unterschied.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Habe ich über Digitalisierung gesprochen oder nicht?)
– Dann haben Sie aber über Breitband gesprochen. Ich rede jetzt erst einmal über die Arbeitsplätze, die wir haben und die wir belasten – genauso wie die Mittelständler und die Unternehmer. Darüber rede ich.
Zweitens. Breitband ist – da haben Sie recht – in Bayern unterentwickelter, weil es dort mehr ländliche Regionen gibt. Bei uns in den Städten ist die Versorgung gut. Die neuen Arbeitsplätze entstehen aber in den ländlichen Regionen. Während Bayern da 2 Milliarden € in die Hand nimmt, beschränken wir uns auf 70 Millionen €. Das ist der Kernunterschied und das Problem.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Drittens. Sie haben gesagt, wie vorbildlich Ihre Bildungspolitik sei. Sie sind bei den U3-Plätzen weiterhin 16. von 16.
(Beifall von der CDU)
Natürlich erfüllen Sie inzwischen das, was Frau von der Leyen Ihnen damals als Ministerin als Rechtsanspruch aufgegeben hat. Dort hatten wir zwischen 2005 und 2010 auch eine Riesenaufholjagd begonnen.
(Lachen von der SPD)
– Natürlich. Entschuldigen Sie einmal; ich habe als Minister bei 2,8 % begonnen und dann ein Gesetz vorbereitet, um den Ausbau der U3-Plätze voranzutreiben.
(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Nur mit Bundesmitteln!)
Trotzdem sind Sie immer noch Letzter. Dann würde ich mich an Ihrer Stelle bei diesem Thema hier nicht so lautstark äußern. Sie sind 16.
(Beifall von der CDU und der FDP – Sven Wolf [SPD]: Das ist Bauernfängerei!)
– Statistik ist Statistik. Darüber kann man nicht diskutieren. Selbst als Sozialdemokrat kann man nicht gegen die Statistik argumentieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der CDU)
Viertens. Wir kämpfen gerne mit Ihnen in Berlin dafür, dass wir aus dem Soli ab 2019 mehr Geld nach Nordrhein-Westfalen bekommen. Dieses Geld muss aber zielgerichtet verwendet werden. Am Anfang hatte ich gedacht, dass Sie das genauso sehen. Schließlich haben Sie den Initiativkreis Ruhr für sein Papier gelobt. Er sagt ausdrücklich: zweckgebunden für Infrastruktur –
(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)
nicht in Ihren allgemeinen Topf, sondern zweckgebunden für Infrastruktur, nämlich für den Zustand im Ruhrgebiet, für Breitbandverkabelung, für klare Projekte. Da sind wir an der Seite derjenigen im Ruhrgebiet und nicht an der Seite dieser Landesregierung. Das ist der fundamentale Unterschied.
(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich die Aussprache an dieser Stelle.
Wir kommen zur Abstimmung über die beiden Gesetzentwürfe in dritter Lesung. Das Beratungsverfahren wird hiermit abgeschlossen. Somit handelt es sich jeweils um eine Schlussabstimmung gemäß § 6 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung.
Wir kommen erstens zur Abstimmung über das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2015 Drucksachen 16/6502 und 16/6990. Bei der Drucksache 16/6990 handelt es sich um die Ergänzung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7601, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksachen 16/6502 und 16/6990 in der Fassung der Ergänzung in der Fassung nach der zweiten Lesung anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7601 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen und das Gemeindefinanzierungsgesetz 2015 in dritter Lesung verabschiedet.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/7609 zum Haushaltsgesetz. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Wer möchte sich enthalten? – Die Piratenfraktion enthält sich. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/7609 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2015. Das sind die Drucksachen 16/6500 sowie 16/6710 und 16/6990 mit den Ergänzungen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7600, das Haushaltsgesetz 2015 in der Fassung nach der zweiten Lesung mit den sich aus der Drucksache 16/7600 ergebenden Änderungen und der soeben vorgenommenen Änderung anzunehmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7600 mit dem eben festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen und das Haushaltsgesetz 2015 in dritter Lesung verabschiedet.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/7616. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Gibt es Stimmenthaltungen? – Demzufolge bei der CDU-Fraktion. Damit ist der Entschließungsantrag der FDP Drucksache 16/7616 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.
Wir kommen zur letzten Abstimmung. Das ist die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/7617. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Gibt es Stimmenthaltungen? – Die gibt es bei der FDP-Fraktion. Damit ist der Entschließungsantrag der CDU Drucksache 16/7617 mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis ebenfalls abgelehnt worden.
Wir sind am Ende von Tagesordnungspunkt 1.
Ich rufe auf:
2 Gesetz zur Novellierung des Gesetzes über die Zuweisung und Aufnahme ausländischer Flüchtlinge (Flüchtlingsaufnahmegesetz – FlüAG)
Gesetzentwurf
der
Landesregierung
Drucksache 16/6689
Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/7552
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7620
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7626
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7542
Antrag
der Fraktion der
PIRATEN
Drucksache 16/7543
Ich eröffne zu dem Gesamtkomplex die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Körfges für die SPD-Fraktion das Wort.
Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute plenar über das sogenannte Flüchtlingsaufnahmegesetz. Lassen Sie mich aber beginnen mit einem Hinweis auf zivilgesellschaftliches Engagement bezogen auf Flüchtlinge in unserem Lande, das uns alle stolz machen sollte. Ich bin froh darüber, dass sich sehr, sehr viele Menschen in allen Kreisen, Städten und Gemeinden unseres Landes das Anliegen, Willkommenskultur zu leben, zu eigen gemacht haben.
Ich habe gestern einen Weihnachtsbrief erhalten mit der Überschrift „Macht hoch die Tür“, der Bezug nimmt auf die Situation von Flüchtlingen in unserem Land. Dieses Schreiben des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften Bezirksverband Mönchengladbach, Rheydt und Korschenbroich hat mich sehr berührt, weil dort eine Verbindung zwischen der christlichen Heilsbotschaft und der Verantwortung für Menschen, die zu uns kommen, weil sie vor Krieg und Not, Verfolgung und Hunger fliehen, hergestellt wird. Ich erlaube mir jetzt, wörtlich zu zitieren:
Es geht um die Anerkenntnis einer Verantwortung für eine menschliche Welt. Die Kernfrage kann nur lauten: Was können, wollen, müssen wir tun? Die Ansätze sind klar. Macht hoch die Tür, aber geht auch an die Quelle des Elends!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, treffender kann man das nicht beschreiben, was alle Fraktionen in diesem Haus, die Menschen in unserem Lande und auch alle Ebenen staatlicher Verantwortung und kommunaler Verantwortung derzeit eint. Wir wollen gemeinsam Verantwortung übernehmen für die Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen.
(Beifall von der SPD)
Insoweit halte ich es auch für lobenswert und anerkennenswert – das ist in der Debatte zum Haushalt eben mehrfach angesprochen worden –, dass wir eine weitere Summe in Höhe von 500 Millionen € zur Verfügung haben. Aber die wird eben nur zur Hälfte vom Bund zur Verfügung gestellt. Die andere Hälfte finanzieren wir, die Länder, zu einem gleichen Anteil.
Wenn jetzt moniert wird, das Land hätte mehr zur Verfügung stellen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich über insgesamt 145 Millionen € hinaus, dann kann ich nur sagen: Sie haben Ihre Chance gerade eben verpasst. Sie hätten dazu einen Änderungsantrag zum Haushalt stellen können. Ansonsten ist das, so kann ich Ihnen nur sagen, ganz offensichtlich nur eine leere rhetorische Nummer gewesen.
Ich will Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, dass wir mit unseren Änderungsanträgen, die ja gottlob nicht attackiert worden sind – ich finde es sehr ehrenwert, wenn man auch in den Wettstreit bezogen auf die Höhe der Summen geht –, zum FlüAG zusätzlich 40 Millionen € pro Jahr dynamisierend für die Kommunen zur Verfügung stellen. Die Ratio des CDU-Antrages hätte ich gern im Fachausschuss mitdiskutiert. Nur leider lag der noch nicht vor.
Lassen Sie mich auch etwas zu der Frage der Härtefälle in Krankheitsfällen sagen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Körfges, es gibt den Wunsch zu einer Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann.
Hans-Willi Körfges (SPD): Ja.
Präsidentin Carina Gödecke: Ihr Mikrofon ist freigeschaltet.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Körfges, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir Haushaltsänderungsanträge gestellt haben, die Sie abgelehnt haben, und dass Sie die gerade von Ihnen erwähnten Änderungsanträge, wogegen Sie keinen Widerstand gehört haben, so gestellt haben, dass der gar nicht möglich war, weil Sie die erst letzte Woche vorgelegt haben?
Hans-Willi Körfges (SPD): Ich konzediere, dass Sie Änderungsanträge gestellt haben. Ich hatte gerade aber nur die Fraktion der CDU angesprochen. Insoweit ist die Zwischenfrage sicherlich berechtigt. Nur die Antwort auf die Frage, wie Sie denn bitte die finanziellen Aufwendungen, die damit verbunden gewesen wären, refinanzieren wollen, sind Sie leider auch schuldig geblieben.
Lassen Sie mich zur Übernahme von Gesundheitskosten in Härtefällen zu sprechen kommen: Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann die Kämmerer aus den Kommunen, ich kann die Menschen, die sich vor Ort einsetzen, durchaus verstehen. Ich will Ihnen nur eines sagen: Hätten Sie – das geht in Richtung CDU – mit uns gemeinsam den Weg gewählt, auf Bundesebene das Asylbewerberleistungsgesetz insgesamt infrage zu stellen, hätte es für die Kommunen eine viel grundsätzlichere Entlastung geben können. Insoweit, finde ich, sind wir auf dem richtigen Weg.
Ich möchte jetzt noch ganz kurz zum Antrag der Piraten kommen, der in verbundener Debatte diskutiert wird. Ich will darauf hinweisen, dass es hinsichtlich der Menschen, die keine gesicherte Bleiberechtsperspektive haben, weil sie Asylfolgeantragstellerinnen und -antragsteller sind, tatsächlich Probleme mit ihrem Aufenthaltsrecht bei uns gibt. Ich bin froh darüber, dass wir seinerzeit zumindest mit dem Vorgriffserlass für einen Teil dieser Menschen für eine gesicherte Perspektive gesorgt haben.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Ebenso bin ich der Ansicht, dass es einer besonderen Sensibilität bedarf, wenn es um die Rückführung von Menschen – unabhängig von der Asylanerkennung – insbesondere in Staaten geht, die nicht dem Anspruch genügen, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorzugehen. Ich finde, auch insoweit haben wir miteinander ein ernstes Problem zu besprechen.
Ich kann Ihnen aber schon sagen: Mir ist es allemal lieber, den Sensibilisierungserlass, der sich aus meiner Sicht für das Kosovo bewährt hat, auf alle Westbalkanstaaten auszudehnen und dann dafür zu sorgen, dass nicht nur auf den Winter, sondern auf die Abschiebung und damit verbundene Härten insgesamt Bezug genommen wird.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Hans-Willi Körfges (SPD): Ich komme zum Ende. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das halte ich für den besseren Weg. Insoweit werden wir Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von den Piraten, gleich nicht zustimmen. Ich denke aber, wir müssen uns alle gemeinsam auch in Anerkennung der wichtigen Arbeit, den die Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuss für uns alle leisten, an der Stelle positionieren. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion der CDU spricht Kollege Kuper.
André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Flüchtlingsstrom nach Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahren jeweils verdoppelt. Er wird auch im kommenden Jahr – das zeigen alle Prognosen – nicht abreißen. Man rechnet im Jahr 2015 mit weiter steigenden Flüchtlingszahlen und rund 230.000 Asylanträgen. Für NRW bedeutet dies, dass wir mit etwa 50.000 Flüchtlingen rechnen müssen, die in unseren Städten und Gemeinden aufzunehmen und zu integrieren sind.
Angesichts dieser Zahlen hätte die Landesregierung frühzeitiger reagieren müssen, um notwendige Rahmenbedingungen vor Ort zu schaffen, damit Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Gewalt sind, hier empfangen und nicht nur verwaltet werden.
Mit dem Flüchtlingsaufnahmegesetz haben Sie, sehr geehrter Herr Minister Jäger, zu lange dafür gesorgt, dass die Kommunen viel zu wenig Geld für diese wichtige Aufgabe bekommen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Die Kommunen mussten und müssen weiterhin viele Millionen Euro eigene Mittel aufwenden, um die Flüchtlinge materiell willkommen zu heißen.
Ihre zweifelhaften Behauptungen hinsichtlich der Überzahlung einzelner Kommunen lassen viele Kostenpositionen außen vor, was Sie wissen und was in den NRW-Städten und Gemeinden zu Recht für massive Verstimmung sorgt.
Es kann nicht richtig sein – so ein Zitat –, dass Kommunen wie Duisburg, die an allen Ecken und Kanten sparen müssen, nur knapp 20 % der Kosten erstattet bekommen. Das war ein Zitat von SPD-Oberbürgermeister Sören Link gegenüber der „WAZ“ am 05.09.2014.
Obwohl also nicht nur wir Sie auf Defizite der bisherigen Pauschalerstattung und der Organisation aufmerksam gemacht haben, gab es für Sie viel zu lange keine Notwendigkeit für wirkliche Verbesserungen. Wir haben Ihnen beispielsweise schon vor einem Jahr den Vorschlag gemacht, die Kommunen bei Krankheitskosten für Flüchtlinge deutlicher zu unterstützen und einen Härtefallfonds einzurichten. Jetzt erst gehen Sie darauf ein.
Die Ignoranz zeigte auch dieses Gesetzgebungsverfahren. Die erste Lesung war vor gut drei Monaten am 11. September. Damals sollte es, obwohl die Flüchtlingsströme und die finanziellen Nöte der Kommunen bekannt waren, keine wesentlichen Änderungen, letztlich keinen strukturellen Euro zusätzlich geben.
Aber seit dem Tag hat sich in der NRW-Flüchtlingspolitik viel verändert. Es ist viel passiert: die entsetzlichen Bilder aus Burbach über Missstände in den Landesunterbringungseinrichtungen, der NRW-Flüchtlingsgipfel und lange angekündigte Maßnahmen des NRW-Flüchtlingsgipfels.
Sie von den regierungstragenden Fraktionen haben zu lange die Augen vor den Herausforderungen der Flüchtlingsströme verschlossen. Es mussten leider erst die Bilder aus Burbach weltweit für Empörung sorgen, damit Sie bei der Flüchtlingspolitik endlich aufwachen und anfangen, Ihre Verantwortung zu übernehmen. – Traurig, aber wahr.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ihre Ankündigungen beim NRW-Oktobergipfel ließen erste gute Schritte erahnen: Aufstockung der Landesmittel um 40 Millionen € und der Härtefallfonds für Krankheitskosten. Dann kam die Bund-Länder-Verständigung mit 108 Millionen €, die Sie auf der Basis von Einwohnerzahlen berechnen. Wir verstehen sie übrigens anders, nämlich so, wie es im Text der Vereinbarung steht, dass wir am Umsatzsteueranteil beteiligt werden. Dann müssten es normalerweise 119 Millionen € für NRW sein. Aber die Zeit wird es zeigen.
Die Ernüchterung ist sehr schnell in den Kommunen angekommen, als es um die Finanzierung, die Hilfen und die Weiterleitung durch das Land ging. Sie leiten nur den Bundesanteil aus der Bund-Länder-Vereinbarung weiter. Mit dem Rest finanzieren Sie Ihre im Oktober versprochenen Maßnahmen.
(Widerspruch von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])
Das sind die klebrigen Finger. Das zeugt davon, dass Sie immer noch nicht den Ernst der Lage erkannt haben.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, mit Ihrem Gesetzentwurf sind Sie nicht weit genug gegangen. Wir werden uns bei der Abstimmung gleichwohl enthalten.
Wir haben Ihnen aber mit einem Änderungsantrag die Chance einer Verbesserung gegeben. Wir wollen eine Anpassung der Stichtagsregelung. Mit Ihrer Regelung lassen Sie die Kommunen auf Vorjahresflüchtlingszahlenbasis letztlich mit Kosten für 10.000 der 38.000 Flüchtlinge im Regen stehen.
Wir wollen einen wirklichen Hilfsfonds für die Krankheitskosten ab 50.000 €, um damit 50 Gemeinden bei einem echten Problem zu helfen, und wir wollen die vollständige Weiterleitung der Bundesmittel.
In Zeiten von Flüchtlingsströmen aus Syrien, dem Irak und den daraus entstehenden Herausforderungen für die Kommunen ist dies der falsche Zeitpunkt, sich mit Rechentricks und Wegschauen der Verantwortung zu entziehen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, die Redezeit.
André Kuper (CDU): Ich komme zum Ende. – Es ist bald Weihnachten. Geben Sie sich einen Ruck, und sorgen Sie für ein weiteres Stück Zwischenmenschlichkeit und Gerechtigkeit in der NRW-Flüchtlingspolitik! – Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.
Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zu dem Punkt, dass Sie alle inzwischen auf ihre Redezeit hingewiesen haben: Zu drei verschiedenen Sachverhalten in fünf Minuten zu sprechen, ist sehr ambitioniert.
(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])
Ich versuche das einmal.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, das ist kein Problem des Präsidiums, sondern eine Vereinbarung der Fraktionen.
Monika Düker (GRÜNE): Ich wollte es nur erklären, …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ich wollte es auch nur erklären.
Monika Düker (GRÜNE): … warum alle Kollegen in Schwierigkeiten kommen. Das wird bei mir wahrscheinlich gleich auch der Fall sein. – Aber ich versuche es einmal.
Zum Flüchtlingsaufnahmegesetz, das heute zur Abstimmung steht: Wir geben 40 Millionen € mehr strukturelle Mittel an die Kommunen. Das ist eine Steigerung von über 20 %. Wir richten einen Härtefallfonds für schwerkranke Flüchtlinge ein. Die Kommunen, die insbesondere in den Grenzregionen sehr viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen, bekommen diese auf ihre Aufnahmequote angerechnet.
Jetzt sagt die CDU, dass sie das für nicht genug hält. – Genug kann es da nie geben. Aber, Herr Kuper, ich finde es schäbig und unredlich – das haben Sie im Innen- und Kommunalausschuss auch schon vorgetragen –, dass die CDU dort, wo sie Verantwortung trägt, nämlich in der Bundesregierung, verhindert hat, dass es zu einer strukturellen und vor allen Dingen dauerhaften Entlastung der Kommunen gekommen ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vor allen Dingen haben Sie es verhindert, dass wir eine bessere Gesundheitsversorgung für die Flüchtlinge vor Ort haben. Aber dann in der Opposition zu sagen, das Land stehe als Ausfallbürge für die komplette verfehlte Bundespolitik in der Verantwortung, nenne ich unredlich. Ich möchte das zurückweisen, denn das ist in dieser Argumentation nicht zu akzeptieren.
Die Bundesregierung – das ist Fakt – ist zu keiner strukturellen Unterstützung der Kommunen bereit.
Die Bundesregierung ist auch nicht zu einer besseren Gesundheitsversorgung für die Menschen in den Kommunen bereit. Warum ist dieser Härtefallfonds überhaupt nötig geworden? Weil dieses unsägliche Asylbewerberleistungsgesetz, das Sie mit Ihrem Beharrungsvermögen aufrechterhalten wollen,
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Nicht schon wieder!)
Flüchtlingen immer noch eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung versagt. Deswegen haben Sie die Verantwortung, dass bei den Menschen diese Gesundheitsversorgung nicht ankommt.
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Sie haben doch gerade im Bundesrat wieder zugestimmt!)
Beispielsweise werden von den Sozialämtern Anträge von Kriegsopfern auf eine Prothese abgelehnt, weil das im Asylbewerberleistungsgesetz nicht vorgesehen ist. Das strukturell zu verändern, diese Menschen in die normale Gesundheitsversorgung zu bringen und ihnen eine Gesundheitskarte für eine menschenwürdige Versorgung zu geben, haben Sie verhindert.
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Hätten Sie im Bundesrat abgelehnt, hätte es weitere Verhandlungen geben müssen!)
Deswegen richten wir hier den Härtefallfonds ein, damit eine Behandlung vor Ort nicht mehr am Geld scheitert. Deswegen ist das notwendig geworden.
(Beifall von Bernhard von Grünberg [SPD])
Was diese Menschen brauchen, ist eine gesetzliche Krankenversicherung, die jeder andere Sozialhilfeempfänger auch bekommt. Ich finde es schäbig, dass Sie sagen, das Land müsse mehr tun, wenn Sie auf Bundesebene verhindern, dass das bei den Menschen ankommt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vor diesem Hintergrund, dass sich das Land der Verantwortung stellt und 2015 insgesamt 145 Millionen € durch den Haushaltsentwurf der Landesregierung, der schon Steigerungen vorgesehen hat, für Flüchtlinge zur Verfügung stellt, das strukturell verankert und der Großteil davon an die Kommunen für eine bessere Versorgung der Menschen, die zu uns flüchten, geht, finde ich, Herr Paul, Ihre Kritik – er ist gerade nicht mehr da – an diesem Ergebnis maßlos.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Herr Herrmann, alle Oppositionsfraktionen – auch Ihr Herr Paul als Fraktionsvorsitzender – haben beim Flüchtlingsgipfel mit am Tisch gesessen.
(Zustimmung von Frank Herrmann [PIRATEN])
Herr Paul hat sich drei Stunden lang ohne Forderungen in der Debatte eingebracht.
([Marc Olejak [PIRATEN]: Was? – Frank Herrmann [PIRATEN]: Doch! Standards wollte er haben!)
Nachher hat er gesagt, er akzeptiere diese Vereinbarung. Er hat nicht dagegengeredet und im Übrigen keine eigenen Vorschläge auf den Tisch gelegt.
Danach zu sagen, er schäme sich …
(Lachen von Marc Olejak [PIRATEN])
– Er hat in diesem Gespräch nichts gesagt; ich war doch dabei.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Die Anträge von uns stapeln sich schon seit einem Jahr!)
Er sagte nachher: Es gibt jetzt 145 Millionen €, und deshalb schäme ich mich für dieses Land. – Ihre Politik kann man da wirklich nicht mehr ernst nehmen!
(Beifall von den GRÜNEN – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist eine Unverschämtheit!)
Diese maßlose Kritik weise ich zurück.
Zu den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt es in Ihrem Antrag einen Widerspruch, und etwas fehlt in Ihrem Antrag, Herr Kuper. Der Widerspruch ist, dass Sie die Forderung erheben, dem Bayern-Antrag im Bundesrat beizutreten, und in einem anderen Punkt fordern, das Kindeswohl solle im Vordergrund stehen. Es widerspricht sich leider, dem Antrag Bayerns beizutreten, in dem es nur um eine quotale Verteilung geht
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und in dem das Wort Kindeswohl überhaupt nicht vorkommt, und gleichzeitig zu sagen: Für uns hat aber das Kindeswohl Vorrang. – Beides passt nicht zusammen.
Und in der Kürze der Zeit: Betreffend die Umsetzung der Kinderrechtskonvention fehlt etwas, nämlich dass nach der Kinderrechtskonvention für Kinder bis 18 Jahre das Wohl des Kindes im Vordergrund steht. Nach wie vor fehlt im Asylverfahrensgesetz die Heraufsetzung der Asylverfahrensfähigkeit von 16 auf 18 Jahre. Im SGB VIII, im Kinderjugendhilfegesetz, heißt es nämlich: Alle Kinder bis 18 haben Anspruch auf Jugendhilfe. – Diese Forderung nach Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland fehlt in Ihrem Antrag.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Monika Düker (GRÜNE): Letzte Anmerkung zum Abschiebestopp im Winter: Problematisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, finden wir diese Abschiebung in diese Länder nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über. Deswegen müssen wir alle landesrechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Da spreche ich den Innenminister an, der per Erlass einiges machen kann. Es gilt, alle landesrechtlichen Möglichkeiten das ganze Jahr auszuschöpfen, um problematische Abschiebung insbesondere auch in die Balkanstaaten – dorthin erfolgen sehr viele Abschiebungen – zu verhindern. Diese Möglichkeit möchte ich bitte für das ganze Jahr haben.
Wir können uns als Fraktion da immer mehr vorstellen; das ist richtig. In einer Koalition ist das manchmal so. Mein Ziel ist es hier, Landesrecht auszuschöpfen und das ganze Jahr über und nicht nur im Winter inhumane Abschiebung zu verhindern. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Gnädige Frau Kollegin, würden Sie bitte einen Moment hierbleiben. Es liegt eine Kurzintervention des Kollegen Herrmann vor. Bitte schön.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Kollegin Düker, natürlich war Herr Dr. Paul beim Flüchtlingsgipfel. Und auch wir tragen das, was da vor Ort besprochen wurde, mit.
Kritik haben wir an dem dann folgenden Prozess, daran, wie Sie das Vereinbarte in Anträge bzw. in Haushaltsanträge und ins Gesetz gegossen haben, angebracht. Wir kritisieren, dass Sie im Rahmen der Umsetzung, was die soziale Beratung angeht, im Nachhinein noch andere Posten draufgepfropft haben, und diverse andere Punkte. Dazu haben wir Änderungsanträge gestellt, die Sie wiederum alle – relativ kommentarlos – abgelehnt haben.
Wir tragen, wie gesagt, die grundsätzlichen Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels auf jeden Fall mit. Es war dringend notwendig, dass etwas passiert. Das haben wir immer wieder zum Ausdruck gebracht. Das möchte ich festgehalten haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Monika Düker (GRÜNE): Dazu gibt es nur zu sagen, Herr Herrmann, dass wir nicht nur die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels finanziell eins zu eins in den Haushaltsanträgen umgesetzt haben, sondern wir sind darüber hinausgegangen.
(Minister Ralf Jäger: Ja!)
Das, was beim Flüchtlingsgipfel vereinbart wurde, waren in Geld rund 43 Millionen.
Wir haben letztendlich im Haushaltsgesetz 91 Millionen € nur als Auswirkungen der Vereinbarungen des Flüchtlingsgipfels zur Verfügung gestellt – plus die 54 Millionen, die wir direkt vom Bund an die Kommunen weiterleiten. Das macht zusammen 145 Millionen €.
Meine Kritik richtete sich an Herrn Paul dahin gehend, dass er sich angesichts dieser nicht nur 1:1-Umsetzung des Flüchtlingsgipfels, sondern auch der fast Verdoppelung plus Weiterleitung der Bundesmittel hier hinstellt und sagt, er schäme sich für diese Politik. Das finde ich einfach unredlich und maßlos. Das wird dieser Politik nicht gerecht. Man kann Sie dann in Ihrer Kritik auch nicht mehr ernst nehmen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir über Flüchtlinge sprechen, möchte ich eine Bemerkung vorwegstellen: Es gibt in einer globalisierten Welt bei vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Ängste vor Veränderungen. Die Ängste müssen wir ernst nehmen. Sie sind auch nicht alle rechts. Christian Lindner hat dazu vorhin ausgeführt. Es gibt andere, die auch vor TTIP Angst haben.
Wir als Demokraten müssen mit seriöser Politik und einer besseren Vermittlung unserer Politik diese Ängste abbauen. Wer aber – das muss man, glaube ich, an einer solchen Stelle auch einmal sagen – wie PRO NRW und Teile der AfD Demonstrationen gegen Flüchtlinge organisiert, ist widerlich und stellt sich außerhalb unserer demokratischen Wertegemeinschaft.
(Allgemeiner Beifall)
An diesem Tag möchte ich hier in diesem Hause auch sagen: Ich empfehle uns allen als Demokraten, uns nicht mit Diskussionen auseinanderzudividieren, wer wann wo an welcher Demonstration teilgenommen hat. Ich freue mich, dass alle hier im Haus vertretenen Parteien bei uns in Bonn an der Demonstration Seite an Seite gestanden haben.
Wir haben eine humanitäre Verantwortung gegenüber Flüchtlingen, und dieser Verantwortung ist diese Landesregierung bis heute aus unserer Sicht nicht ausreichend nachgekommen.
(Beifall von der FDP)
Es hat Warnungen gegeben aus dem eigenen Haus, von Flüchtlingsorganisationen, von der Opposition, und der Minister hat sich lange Zeit stiefmütterlich um dieses sensible Thema gekümmert. Sie waren lange Zeit fachlich nicht ausreichend im Stoff, weil Sie das Thema nicht interessiert hat. Dadurch sind auch Umstände entstanden, die das, was dann in Burbach und anderswo passiert ist, ermöglicht haben.
Sie tragen nicht die persönliche Schuld – das hat hier im Hause keiner jemals gesagt –, aber Sie tragen auch nach Ihrem eigenen persönlichen Politikverständnis dafür die politische Verantwortung.
Wir haben dann eine Situation erlebt, wo der Minister unter Druck gekommen und die Ministerpräsidentin ihm beigesprungen ist und einen Flüchtlingsgipfel veranstaltet hat. Wir als Opposition sind hingegangen und haben gesagt: Wir verzichten auf Parteipolitik, und wir sind auch zu Ergebnissen gekommen.
Die Ministerpräsidentin hat uns bei diesem Gipfel zwei klare Zusagen gemacht:
Erstens. Über die Finanzierung des Pakets wird es – Zitat – „Ausführliche Beratung mit den Fraktionen“ geben. Das ist bis heute ausgeblieben. Sie finanzieren die eine Hälfte mit Bundesgeldern und die andere mit Steuererhöhungen. Das ist der erste Wortbruch vom Flüchtlingsgipfel.
Und an die Ministerpräsidentin gerichtet muss ich sagen: Die zweite Zusage, die Sie uns gemacht haben, ist die Fortsetzung des Flüchtlingsgipfels. Da ist bis heute auch nichts passiert, seien es Finanzgespräche, die versprochen, aber nicht gehalten wurden, seien es inhaltliche Gespräche, die versprochen, aber nicht gehalten wurden. Das ist der doppelte Wortbruch der Ministerpräsidentin. So kann man Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen nicht gemeinsam gestalten.
Wir haben uns überlegt, wie wir weiterarbeiten können. Wir haben dann festgestellt, dass Sie, Herr Minister, uns jetzt ein Einladungsschreiben kurz vor Schluss, vor der Winterpause, vor Verabschiedung des Haushalts reinreichen, in dem steht, …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie …
Dr. Joachim Stamp (FDP): … wir sollen uns doch einmal mit Ihrem Sekretariat in Verbindung setzen, um dann über gemeinsame Flüchtlingskonzeptionen zu sprechen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Körfges zulassen?
Dr. Joachim Stamp (FDP): Ja, selbstverständlich.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Hans-Willi Körfges (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Stamp. – Ich will nachfragen bezogen auf das, was Sie hinsichtlich der Deckung aus dem Haushalt ausgeführt haben. Würden Sie also ein Verhältnis dergestalt herstellen, dass man nach Ihrer Ansicht den Ergebnissen des Flüchtlingsgipfels nur dann zustimmen kann, wenn aus dem Haushalt heraus an anderer Stelle eine originäre Deckung gesucht wird?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Stamp, bitte schön.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Körfges, wir waren auf dem Flüchtlingsgipfel so verblieben, dass wir genau darüber sprechen wollen, wie wir das gemeinsam hinbekommen. Aber dieses Gespräch hat es gar nicht gegeben.
(Monika Düker [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)
Hier sind wir einmal als Kulisse missbraucht worden, um den Minister medial aus der Schusslinie zu nehmen, und sind dann anschließend in die Fachberatung nicht mehr einbezogen worden.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir erleben jetzt, wie mit der Opposition umgegangen wird. Da kommt kurz vor Schluss ein Schreiben mit Rechtschreibfehlern, mit Interpunktionsfehlern – das wird uns ein paar Tage vor der Schlussabstimmung in die Büros hineingereicht –, in dem zu lesen ist, wir könnten uns mit dem Sekretariat des Ministers in Verbindung setzen. – So kann man mit uns nicht umgehen. Wenn Sie der Meinung sind, wir seien für Sie Rotz am Ärmel, dann kränkt mich das nicht persönlich. Aber Flüchtlingspolitik macht man gemeinsam seriös anders.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Das spricht für Ihre Performance in den letzten Monaten insgesamt. Christian Lindner hat dazu vorhin das Richtige gesagt.
Meine Damen und Herren, die Piraten haben den Antrag zum Abschiebestopp gestellt. Wir sind hier in der Sache anderer Auffassung. Wir kennen die gut gemeinte Intention. Wir glauben aber, dass das hier so nicht zielführend ist.
Es ist an dieser Stelle schwer – ich habe noch 27 Sekunden –, jetzt wirklich alles ausführlich auszuführen. Ich möchte nur sagen, dass keinem Kind aus diesen Familien geholfen ist, wenn wir einen Kreislauf haben, der darauf hinausläuft, ein paar Monate in Deutschland zu überwintern, um dann wieder in das Heimatland zurückzukommen, dort wieder eine kurze Zeit zu sein, einen Folgeantrag hier zu stellen, wieder auf einen Abschiebestopp zu hoffen.
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist wieder eine Unterstellung!)
Das bringt diesen Kindern keine Perspektive.
Wir wissen, dass diese Gruppen in ihren Heimatländern diskriminiert werden. Wir wissen aber auch, dass es für sie keinen individuellen Asylanspruch gibt. Wir sollten lieber innovativ einmal über Kontingentlösungen oder Ähnliches sprechen. Wir müssen diesen Kreislauf für diese Kinder durchbrechen, damit sie vernünftig in die Schule gehen können, damit sie vernünftig Bildung bekommen, damit sie Perspektiven in ihrem Leben erhalten. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie noch einen Moment hierbleiben? – Es liegt eine Kurzintervention der Kollegin Düker vor.
Monika Düker (GRÜNE): Herr Stamp, was mich gerade erstaunt hat und was hier nicht so stehen lassen möchte, ist Ihre Behauptung, dass es nach dem Flüchtlingsgipfel keinerlei Angebote mehr an die Oppositionsfraktionen gegeben hätte, mitzuarbeiten. Im letzten oder vorletzten Innenausschuss – ich meine, es war der vorletzte Innenausschuss – wurde ausdrücklich von der Landesregierung noch einmal das Angebot gemacht, sich im Hinblick auf Flüchtlingsunterbringung und die Frage, wie der Prozess für die Neukonzeptionierung ist, im Innenministerium zusammenzusetzen und noch einmal mit allen darüber zu beraten.
Wir jedenfalls haben eine Einladung bekommen, da standen Sie auch im Kopf drauf. Die integrationspolitischen und die innenpolitischen Sprecher wurden also danach zu einem solchen Gespräch eingeladen.
Wie können Sie dann hier behaupten, dass es keine weitere Einbindung der Oppositionsfraktionen in die weiteren Gespräche gebe? Das ist einfach nicht wahr.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Düker, da haben Sie mir, glaube ich, eben nicht richtig zugehört. Ich habe doch das Schreiben des Ministers erwähnt, das wir am 11. Dezember kurz vor knapp im Posteingang hatten. Wissen Sie, wie viele Wochen seit dem Flüchtlingsgipfel vergangen sind? So kann man nicht gemeinsam arbeiten. Das geht so nicht.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Wir werden Ihnen trotzdem um der Sache willen weiterhin die Hand reichen. Aber es ist eine Unverschämtheit. Das werde ich hier auch als Parlamentarier so sagen dürfen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es passt nicht zusammen, dass wir den großen Showdown rund um die Flüchtlingsaufnahme gemeinsam mit unserem Antrag für einen Abschiebestopp während der Wintermonate beraten. Es ist sehr schade, dass anscheinend an beiden Plenartagen nicht einmal eine halbe Stunde mehr Zeit da war –
(Beifall von den PIRATEN)
ein bisschen mehr Zeit, um die Situation von Geflüchteten in Deutschland und die Situation in angeblich sicheren Herkunftsstaaten zu beraten. Das wären diese Menschen schon wert gewesen.
(Beifall von den PIRATEN)
Aber hier geht es anscheinend nur um Augen zu und durch. Der Haushalt ist abgestimmt – mit viel Eigenlob und noch mehr Selbstverleugnung. Frau Düker, die Zahlenspiele, die Sie eben gebracht haben, waren schon abenteuerlich. Denn ohne die 108 Millionen € vom Bund für den Verkauf Ihrer Stimme im Bundesrat hätte es hier für den Haushalt und für die Unterstützung der Unterbringung von Geflüchteten in den Kommunen ganz schlecht ausgesehen.
(Beifall von den PIRATEN – Sigrid Beer [GRÜNE]: Sind 90 Millionen € nichts?)
Meine Damen und Herren, die mutlose und kraftlose Politik der rot-grünen Landesregierung im Bereich der Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen wird fortgesetzt. Daran haben weder Lampedusa noch Burbach etwas geändert. Es wird also ein „Weiter so“ geben. Das steht nun fest.
Ich finde es nicht nur bedauerlich, sondern fatal, dass wir erneut die dringende Reform der Flüchtlingsaufnahme, nämlich die Neukonzeption, aufschieben. Natürlich sehen wir Ihre Anstrengungen. Aber einfach nur mehr Geld in ein gescheitertes System zu stecken, ist falsch.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir haben sehr viele gute Vorschläge unterbreitet, seit Monaten und schon seit Jahren. Für den Haushalt waren sechs sehr konkrete Lösungen für nachhaltige, humane und praktische Konzepte vorgeschlagen – alle abgelehnt.
Dennoch geben wir auch heute nicht auf und schlagen nun erneut Änderungen für das vorliegende Flüchtlingsaufnahmegesetz vor. Kommunen, die Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen, betreuen und versorgen, sollen belohnt werden und Fördermittel erhalten. Ihr Gesetzentwurf garantiert bisher nicht, dass das versprochene Geld die Situation für die Flüchtlinge wirklich verbessert. Dafür bräuchte es verbindliche Mindeststandards, wie sie zum Beispiel der Flüchtlingsrat erarbeitet hat.
Sie überlassen es aber weiterhin den 396 Kommunen, ob Flüchtlinge angemessen versorgt bzw. untergebracht werden. Das kann gut gehen, wie in Lünen, Leverkusen und Mülheim. Es gibt aber gerade im ländlichen Raum viele Kommunen, da schlafen Flüchtlinge auf dreckigen Matratzen, und über dem Schimmel wächst schon Moos. Solche Geschichten hört man, wenn man einmal mit den ehrenamtlichen Helfern vor Ort spricht. Dieses Glücksspiel bei der Unterbringung muss endlich aufhören!
(Beifall von den PIRATEN)
Ein weiterer Punkt: Von sozialer Betreuung fehlt in ländlichen Gegenden oft jegliche Spur, auch weil die im Gesetz festgeschriebenen 4,5 % der Mittel nicht einmal für die Einrichtung eines Minijobs reichen. Wir wollen deshalb die Prozentzahl im Gesetz verdoppelt sehen. Dann können, nein dann müssen auch kleinere Kommunen sich um soziale Betreuung bemühen.
Meine Damen und Herren, liebe Frau Düker, lieber Herr Körfges, wir müssen endlich den Weg gehen und Standards für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen im ganzen Land setzen.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich mag das Wort „Konnexität“ wirklich nicht mehr hören; es ist gleichbedeutend mit „Verantwortungslosigkeit“. Andere Bundesländer sind längst den Weg der gesetzlichen Festschreibung von Mindeststandards gegangen. Und Fördertöpfe unterliegen keinem Konnexitätsgebot. Sie haben einfach keinen Mut und keine Kraft!
(Beifall von den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu unserem Antrag für einen Winterabschiebestopp kommen. Wir sind sehr gespannt darauf, wie Sie die Abschiebung in Kälte, Hunger und Verfolgung in diesem Winter rechtfertigen. Wieder machen es Ihnen andere Bundesländer vor und zeigen, wie grüne Flüchtlingspolitik aussehen kann.
Ein Erlass aus NRW wäre ein Signal gegen die flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen à la PEGIDA. Wenn wir hier im Landtag einen Abschiebestopp über den Winter auch für Roma beschließen würden, würden wir damit auch ein Zeichen gegen Feindlichkeit gegenüber dieser Volksgruppe setzen und den Vorurteilen über angeblichen Asylmissbrauch entgegentreten.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat unlängst wieder an uns, an die Politik, appelliert, mehr gegen Antiziganismus und Antiromanismus zu tun. Dringender Handlungsbedarf wurde angemahnt. Dass Roma in den Herkunftsstaaten nicht wirklich sicher sind, das wissen auch Sie, Frau Düker; Sie haben es eben auch angedeutet. Das Verwaltungsgericht Münster hat daran ebenfalls starke Zweifel.
Stimmen Sie deshalb für den Wintererlass, wie Thüringen und Schleswig-Holstein das bereits getan haben, und sorgen Sie für Sicherheit und Menschenwürde für Flüchtlinge im Winter! – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Stamp, jeder muss selbst schauen, welche Worte er wählt. Das ist oft eine Temperaments- und Stilfrage; ich weiß, wovon ich rede. Lieber Kollege, ob „doppelter Wortbruch“ und „Rotz am Ärmel“ die richtigen Worte in diesem Zusammenhang sind, das müssen Sie selbst beurteilen.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das sind Ihnen doch auch keine Fremdworte!)
Aber ich lege Wert auf folgende Feststellung, Herr Stamp: Wir haben die Unterbringungssituation, wie sie sich aktuell darstellt und wie sie sich konzeptionell weiterentwickeln soll, in jeder Innenausschusssitzung der letzten Monate ausführlich dargestellt. Sie haben dazu ausführliche Berichte bekommen.
Wir haben anerkannt, dass Sie persönlich gesagt haben, Sie wollten sich auch konzeptionell einbringen. Deshalb habe ich Ihnen – und nicht nur Ihnen, sondern allen Fraktionen des Hauses – zwei Termine vorgeschlagen.
(Zuruf von den PIRATEN)
Es ist dem Respekt davor geschuldet, dass auch Abgeordnete volle Terminkalender haben, Herr Stamp, und es daher nur redlich ist, nicht nur einen Termin vorzugeben, sondern Ihnen und auch allen anderen Kollegen des Hauses die Chance zu geben, in einem ordentlichen Terminabstimmungsverfahren zu Einigkeit und Konsens zu kommen.
(Zuruf von den PIRATEN: Nur SPD und Grüne!)
Da bitte ich Sie, das nicht verdreht darzustellen.
(Zuruf von der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufnahme, Versorgung, Betreuung von Schutzbedürftigen – das wird die Kernaufgabe der kommenden Jahre sein. Jeder, der Nachrichten sieht, weiß, was in der Welt geschieht, was auf Europa, auf Deutschland und auf Nordrhein-Westfalen zukommt. Deshalb ist es aller Anstrengungen wert, dieser Aufgabe auch mit strukturellen Verbesserungen nachzukommen.
Diese Anstrengungen, Herr Dr. Stamp, können Sie an einer Zahl messen. Diese Zahl lautet: 145 Millionen €. Das ist übrigens keine Gesamtsumme, Herr Herrmann, sondern die Summe, die das Land Nordrhein-Westfalen im Haushaltsjahr 2015 zusätzlich zu den bereits veranschlagten Mitteln für die Flüchtlingsarbeit in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellt und die im Übrigen in weiten Teilen den Kommunen zugutekommt.
(Zuruf von den PIRATEN: Hören Sie doch auf mit diesem Zahlenspiel!)
In dieser Summe, Herr Herrmann, sind übrigens auch die 54 Millionen € enthalten, die der Bund dem Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellt.
(Zuruf von den PIRATEN: Ja, aber die doppelte Anzahl von Flüchtlingen!)
Ich will da Herrn Kuper vor einer Legendenbildung schützen. Um es noch einmal deutlich zu sagen, Herr Kuper: Die Gesamtsumme des Bundes beträgt 108 Millionen €; die Hälfte davon ist jedoch ein lupenreines Darlehen, das wir als Land zurückzahlen müssen.
Die andere Hälfte – das wiederhole ich gerne an dieser Stelle noch mal – gibt das Land den Kommunen eins zu eins weiter; mehr noch: Es packt noch 91 Millionen € zusätzlich obendrauf; das ist insbesondere ein Ergebnis aus dem Flüchtlingsgipfel. Darin sind alleine 40 Millionen € enthalten, womit die Pauschale im FlüAG erhöht und sie damit dynamisch wachsen wird, wenn sich die Zuwanderungssituation nach Nordrhein-Westfalen und nach Deutschland ähnlich gestalten wird.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Landesregierung entlastet ihre Kommunen spürbar; denn wir müssen diese Herausforderungen gemeinsam stemmen. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, und zwar anders als der Bund – um es deutlich zu sagen –, der seine Unterstützung lediglich für die Jahre 2015 und 2016 zugesagt hat.
Diese strukturelle Entlastung spiegelt sich auch in diesem Flüchtlingsaufnahmegesetz wider. Wir erfüllen dabei übrigens auch den großen Wunsch der kommunalen Spitzenverbände, einen Härtefallfonds für Krankheitskosten einzurichten. Dabei haben wir die Grenze von 70.000 € gewählt; alles oberhalb davon übernehmen wir. Wir werden diesen Fonds evaluieren und schauen, ob das Geld reicht, ob der Fonds ausgeschöpft wird. Dann werden wir möglicherweise zu Anpassungen kommen.
Aber, um es noch einmal deutlich zu sagen, denn das gehört auch zur Wahrheit: Wäre das Asylbewerberleistungsgesetz weggefallen, so wie wir es gemeinsam gefordert haben – dass es nicht dazu kam, lag an der Blockadehaltung der CDU –, dann bräuchten wir derartige Härtefonds überhaupt nicht; wir bräuchten hier noch nicht einmal darüber zu diskutieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, insgesamt ist das FlüAG ein Gesetz, das unseren Kommunen deutlich mehr Spielraum bietet, um menschenwürdige Versorgung und Betreuung zu gewährleisten. Trotzdem heißt das nicht, um es deutlich zu sagen, dass sich der Bund auf alle Zeit von den Pflichten entlasten darf. Flüchtlingsaufnahme wird die Aufgabe des kommenden Jahrzehnts sein. Es kann nicht sein, dass Länder und Gemeinden das alleine stemmen müssen. Der Bund steht in der gesamtstaatlichen Verantwortung, seinen Teil aus dem eigenen Haushalt dynamisch beizutragen, um diese Herausforderung auf alle Schultern zu verteilen.
Lieber Herr Herrmann, ich will ganz kurz auf Ihre Forderung nach einem Wintererlass – es ist immer nur wenig Zeit – eingehen. Ich halte sehr viel davon, redlich miteinander zu sprechen: Was nutzt ein vorübergehender Wintererlass?
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Schützt vor Kälte!)
Da es eine Aufgabenerfüllung nach Weisung des Bundes durch die Kommunen ist – Herr Herrmann, das wissen Sie –, können wir einen solchen Erlass nur einmalig, vorübergehend und zeitlich befristet aussprechen.
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Kann man!)
Danach ist ein solcher Erlass nie wieder möglich. Das wissen Sie, Herr Hermann. Deshalb haben wir uns in Nordrhein?Westfalen für den richtigeren Weg entschieden.
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum machen das andere Bundesländer? Dann müssen wir die Gesetze ändern!)
Wir geben den kommunalen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich vor, dass, wenn eine solche Rückkehr erforderlich ist, im Einzelfall die familiären, sozialen und gesundheitlichen Umstände zu prüfen sind – und zwar immer, nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über, Herr Herrmann.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Frank Herrmann [PIRATEN]: Wie häufig wird das gemacht?)
– Sie, Herr Herrmann, haben uns letztes Jahr persönlich dafür gelobt, dass wir über die Erlasslage in Nordrhein-Westfalen das gesetzlich ausschöpfen, was gerade bei Rückführungen im Rahmen von Landeskompetenz möglich ist. Das tun wir weiterhin konsequent.
(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir werden nachfragen, wie häufig das genutzt wird!)
Deshalb, Herr Herrmann, kündige ich jetzt an, dass dieser Sensibilisierungserlass, der im letzten Jahr für den Kosovo galt, auf ganz Südosteuropa – dort, wo es entsprechende Zuwanderungszahlen gibt – angewandt wird. Dieser Weg ist richtiger, als nur Symbolpolitik zu betreiben. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind daher am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/7620. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/7620 mit den Stimmen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Piraten bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/7626. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/7626 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/6689. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7552, den Gesetzentwurf Drucksache 16/6689 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7552. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7552 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU, der FDP und der Fraktion der Piraten angenommen.
Wir kommen viertens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/7542. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/7542 an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Wir kommen zur fünften und letzten Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/7543. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/7543. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/7543 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Zustimmung der Piraten abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
3 Elftes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (11. Schulrechtsänderungsgesetz)
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7544
Ich erteile für die SPD-Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden Norbert Römer das Wort.
Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zum ersten Mal über den Entwurf eines Schulrechtsänderungsgesetzes, das sich mit der Zukunft der Bekenntnisschulen befasst. Das ist ein Gesetzentwurf, der mit wenigen Regelungen auskommt, aber damit Grundlagen schaffen wird, die Eltern, Kindern sowie Lehrerinnen und Lehrern neue Perspektiven und Chancen eröffnen.
Wir haben im Vorfeld vor der Einbringung des Gesetzentwurfs sehr viele Gespräche mit den Vertreterinnen und Vertretern sowohl der katholischen als auch der evangelischen Kirche geführt. Wir haben – ich war selbst mit dabei – über den notwendigen Veränderungsbedarf offen und intensiv gesprochen, weil wir eine einvernehmliche Regelung, eine einvernehmliche Vorgehensweise erreichen wollten.
Das ist gelungen.
Wir haben vor allem darüber diskutiert, was das Beste für unsere Kinder und deren schulische Bildung, auch in Bekenntnisschulen, sein kann. Die Gespräche, meine Damen und Herren, waren davon geprägt, eine für Kinder und Eltern bestmögliche Lösung zu finden, die auch der besonderen staatskirchenrechtlichen Stellung der evangelischen und katholischen Kirchen Rechnung trägt. Weil wir einen Konsens erzielen konnten, haben wir jetzt den Gesetzentwurf eingebracht.
In diesem Zusammenhang bedanke ich mich ganz ausdrücklich bei den Vertreterinnen und Vertretern der katholischen wie der evangelischen Kirche. Denn für uns war völlig klar: In diesem sensiblen Bereich macht eine Gesetzesänderung nur dann Sinn, wenn sie im großen Konsens mit den beiden Kirchen zustande kommt. Das ist gelungen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
36,8 % der Kinder gehören dem katholischen Glauben an, 24,6 % dem evangelischen und immer mehr keinem christlichen Bekenntnis. In der Grundschule sind es aktuell 17 % der Schülerinnen und Schüler. Das ist die drittgrößte Gruppe knapp vor den Kindern mit islamischem Glauben mit 16,2 %. In Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit 2.891 Grundschulen, davon sind 876 katholische Bekenntnisschulen, hingegen nur 73 evangelische Bekenntnisschulen, und 1.942 sind Gemeinschaftsschulen.
Bei den Hauptschulen sieht die Relation deutlich anders aus. Von den 486 Gemeinschaftsschulen sind nur 41 katholische Hauptschulen. In 81 Kommunen, meine Damen und Herren, gibt es nur Bekenntnisgrundschulen.
Mit dem 11. Schulrechtsänderungsgesetz soll nun die Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen ohne konfessionelle Bindung erleichtert werden. Mit der deutlichen Absenkung des derzeit geltenden Quorums von zwei Dritteln der Elternschaft auf eine qualifizierte einfache Mehrheit wird dieser Umwandlungsprozess vor Ort erheblich erleichtert. Und zur Sicherung der Unterrichtsversorgung müssen die stellvertretende Schulleitung, Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr dem Bekenntnis des kirchlichen Schulträgers angehören.
Neu und wichtig für uns ist auch, dass der Schulträger das Initiativrecht erhält, einen Elternentscheid im Rahmen der Schulentwicklungsplanung anzustoßen. Dies ist aus unserer Sicht insbesondere dort geboten, wo es bisher nur Bekenntnisschulen vor Ort gibt und damit keine Wahlmöglichkeit besteht, eine weltanschauungsungebundene Schule besuchen zu können.
Ja, Sie merken, meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf greifen wir tiefgreifende Veränderungen in unserer Gesellschaft auf. Meine herzliche Bitte vor allem an die Oppositionsfraktionen: Ich würde mich sehr freuen, wenn sich auch die anderen Fraktionen im Landtag unserem Gesetzentwurf anschließen würden. Denn so könnte der Landtag gemeinsam in großer Geschlossenheit den Landeskirchen die Anerkennung und den Respekt für eine wichtige schulpolitische Reform aussprechen, die ohne deren Mitwirkung überhaupt nicht möglich wäre. – Vielen Dank für Ihr Zuhören.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Römer hat gerade schon die Details des Gesetzentwurfs erläutert, die uns auch sehr wichtig sind.
Ich will gerne die Gelegenheit ergreifen und zu Beginn die Evangelische Landeskirche, die sich bei dem Bekanntwerden in der Öffentlichkeit, dass wir diesen Gesetzentwurf einbringen, geäußert hat, zitieren:
Zuwanderungsbewegungen und die verstärkte Mobilität haben die konfessionelle und religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung in Deutschland nachhaltig verändert. Das führt insbesondere in Regionen, wo es kein in zumutbarer Entfernung erreichbares Angebot von Gemeinschaftsgrundschulen gibt, zu einem verstärkten Klärungsbedarf hinsichtlich des existierenden Grundschulangebots vor Ort.
Ja, es ist so, die Kirchen sehen selbst Veränderungsbedarf.
Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich bei unseren Gesprächspartnern. Wir haben als regierungstragende Fraktionen seit anderthalb Jahren einen intensiven Dialogprozess und haben auch respektiert, dass die Kirchen in diesem Prozess ihre Zeit gebraucht haben, um sich landesweit mit den Fragen auseinanderzusetzen. Es ist ein sehr deutliches Votum: Wir gehen mit. Wir wollen den Veränderungen Rechnung tragen. Gleichwohl gibt es bei uns im Land noch sehr viele konfessionell gebundene Familien, und deswegen wollen wir in den Bekenntnisschulen dafür sorgen, dass dort nicht nur „Bekenntnisschule“ draufsteht, sondern auch ein entsprechendes Profil vorhanden ist.
Gleichzeitig sehen sie natürlich auch die allgemeinen Probleme zum Beispiel in der Lehrer- und Lehrerinnenversorgung, das heißt: Unterricht und Qualität müssen gewährleistet sein. Daher auch die eben schon angesprochene Öffnung.
Mir ist es sehr wichtig, dass es in diesem Prozess gelungen ist, keine antikirchlichen, antireligiösen Reflexe in dem öffentlichen Diskurs heraufzubeschwören, sondern dass wir gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen wollen, dass Kinder gemeinsam gut beschult werden können. Ich bin auch den Kirchen dankbar, dass sie geäußert haben, es soll keine Monokulturen in Gemeinden geben. Wenn darauf hingewiesen worden ist, in wie vielen Kommunen in Nordrhein-Westfalen es im Augenblick nur Bekenntnisgrundschulen gibt, dann sind auch da der Veränderungswille und die Veränderungsbereitschaft deutlich geworden.
Ich habe auch sehr dankbar zur Kenntnis genommen, was bezüglich der großen Problemlagen, die sich ergeben haben, gesagt worden ist. Ich will auf den sehr bedauerlichen Fall in Paderborn aufmerksam machen, der dann auch vor die Gerichte getragen worden ist, und darauf hinweisen, dass es zu solchen Situationen nicht kommen darf: dass Kinder, die in unmittelbarer Nähe wohnen, abgewiesen werden und dann ein Kind die Schule wieder verlassen muss und sich nicht angenommen fühlt. Das war nicht im Sinne der Kirchen; sie haben diesen Vorfall außerordentlich bedauert. Wir haben gemeinsam darüber gesprochen.
Es war auch die Initiative der Verantwortlichen, mit dem Haus zusammen zur Klärung der Aufnahmekriterien an Schulen schon im letzten Herbst zu reagieren und auch an ganz besonderen Schnittstellen noch einmal deutlich zu machen, dass zum Beispiel kein Kind zum Schulgottesdienst verpflichtet werden kann. Das ist sehr wichtig und hat auch zur Klarstellung beigetragen und nimmt viel an Konfliktpotenzial heraus.
Diejenigen, die der Auffassung sind – und Herr Marsching hat sich ja schon dazu geäußert –, Bekenntnisschulen gehören nicht mehr in die Landschaft, sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie einen Verfassungsrang haben und dass wir hier gemeinsam über diese Frage beraten. Eine verfassungsändernde Mehrheit dafür gibt es nicht.
Ich finde es aber auch richtig und gut, jetzt auf der schulgesetzlichen Ebene gemeinsam Wege zu gehen und es eben nicht zur Konfrontation kommen zu lassen. Ich hoffe, Herr Marsching, dass Ihr Beitrag gleich nicht zur Konfrontation beitragen wird, sondern dass Sie diesen Weg vor Ort eher konstruktiv mitgehen werden; denn die Eltern sollen gestärkt werden. Der Elternwille ist ein hohes Gut in Nordrhein-Westfalen. Die Initialzündung besteht genau darin, dass Schulträger jetzt gemeinsam mit Eltern ihre Standorte neu ordnen können und die Schulträger auch das entsprechende Recht haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Birkhahn.
Astrid Birkhahn (CDU): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Änderungen des Schulgesetzes sind bisweilen bürokratische Akte, bisweilen brauchen sie eine längere Vorbereitung. Manchmal brauchen sie auch eine jahrelange Reifezeit. Für Frau Beer ist heute ein ganz besonderer Tag, weil diese Schulgesetzänderung sie schon lange umtreibt. Ich habe Ihren Ausführungen gerade mit Interesse entnommen, dass sich seit 2010 doch einiges verändert hat. Ich kann Sie dazu aus dem Parlamentsprotokoll einer Anhörung zitieren. Sie haben damals deutlich gesagt:
Die Bekenntnisschulen riskieren zukünftig ihren Status, denn sie tragen zur gesellschaftlichen Spaltung bei, und es kann nicht sein, dass gesellschaftliche Spaltung gefördert wird.
Von daher ist für mich die Frage: Welche Motivation war denn jetzt leitend? Heute kam die „Konsensfrau Beer“ sehr deutlich zum Tragen. Man kann sich natürlich aber auch überlegen: Ist es manchmal auch der ideologische Tunnelblick? Ist es die Verpflichtung, auf Veränderungen zu reagieren? Oder ist es bisweilen auch eine starke Emotionalisierung der Diskussion?
Das Argument der Segregation durch Bekenntnisschulen habe ich eigentlich sehr schwer verstanden; denn ich kann mir anschauen, dass es an katholischen Bekenntnisschulen 20 % bekenntnislose bzw. muslimische Schülerinnen und Schüler gibt. An evangelischen sind es gar 27 %. Ich denke, dieses Argument kann man nicht wirklich ernsthaft anführen.
Wenn wir als Opposition auf solch ein Schulrechtsänderungsgesetz schauen, ist für uns immer wichtig, zu fragen: In welcher Weise wird denn hier der Verfassung Genüge getan? Und wie kann man letztlich kontrollieren, ob tatsächlich die in der Verfassung verankerte starke Stellung der Bekenntnisschulen erhalten bleibt? Ganz entscheidend ist auch die Frage: Wie steht es um das Wahlrecht der Eltern? Denn das ist ein ganz hohes Gut, um das wir uns hier alle sehr intensiv gemeinsam bemühen. – Das alles geschieht unter der Bedingung, dass sich die Zeiten – und sicherlich auch die Menschen – ändern. Das ist ein Allgemeinplatz, aber das war in den vier Jahren nun wirklich zur Kenntnis zu nehmen.
Wenn wir davon ausgehen, dass das Elternwahlrecht möglich sein muss, kann man nur sagen, dass die Entscheidung zur Umwandlung bzw. zur Erleichterung der Umwandlung ein richtiger Weg ist und dass das etwas ist, was dringend notwendig war. Sie haben die Paderborner Situation angesprochen. Es gab Situationen, wo wir eine monochrome Schullandschaft hatten. Dazu ist zu sagen: Wenn Elternwahlrecht sein muss, dann müssen wir es auch herstellen. Von daher ist das, denke ich, der richtige Punkt.
Ich bin froh, dass Sie in hartem Ringen – es war ein weiter Weg; das muss man auch zugestehen, wenn man das, zumindest aus der Ferne, gemeinsam verfolgt hat – mit den Kirchen einen Weg gefunden haben, das Quorum entsprechend zu senken. Das geschieht nicht so, wie man es ursprünglich gehofft hatte, aber so, dass man jetzt doch sagt: Wir können die Regelung in Bezug auf die qualifizierte Mehrheit jetzt alle tragen. Ich denke, das ist etwas Positives.
Ich frage aber – das möchte ich gerne auch noch im Ausschuss diskutieren –: War es denn sinnvoll, das Quorum zur Einleitung eines Verfahrens um 50 % abzusenken? Tut es not, dass man im Grunde die Hürden da sehr niedrig setzt? Andererseits haben Sie hervorgehoben, dass es gut ist, wenn die Kommunen eine Initiative zur Umwandlung der Schullandschaft ergreifen können. Die Begründungen in Bezug auf regionale Schulplanung und demografischen Wandel sind richtig. Wir bringen hier aber in den Umwandlungsprozess einen neuen bürokratischen Akteur hinein. Da stellt sich uns – das würden wir auch juristisch gerne noch einmal überprüfen lassen – auch die Frage: Wird dadurch nicht das Elternwahlrecht bzw. das Mitbestimmungsrecht der Eltern zurückgeführt, in die zweite Reihe gesetzt? Wir müssen noch einmal genau abwägen, ob es denn so klug war, diese Position einzubeziehen.
Wenn wir sagen, dass Elternwahlrecht möglich sein muss, muss letztlich auch sichergestellt sein, dass die letzte Bekenntnisschule vor Ort erhalten bleibt; denn sonst ist das Elternwahlrecht wieder nur eine Farce. Das sind Punkte, die man in der ganzen Facettenbreite bedenken muss.
(Beifall von der CDU)
Wir haben gerade auch wieder das Argument gehört, dass die Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften zurückgeht. Das ist eine Beobachtung anhand von Zahlen. Wir wissen aber nichts über Hintergründe und über Motivationen. Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass der Wunsch nach christlicher Sozialisation der Kinder ungebrochen ist. Viele Eltern wünschen gerade eine werteorientierte Erziehung für ihre Kinder, die sie selber aufgrund ihrer Sozialisation oder auch fehlender Erfahrungen in dem Bereich nicht anbieten können. Deswegen sollten wir im Ausschuss noch einmal ganz deutlich beleuchten, was denn eigentlich die entscheidenden Punkte sind. Ich bin sehr froh, dass es sich erübrigt hat, über eine Quote zu sprechen.
Ich komme zu einem letzten Argument, das auch Sie, Frau Beer, gerade schon angeführt hatten. Dabei geht es um die Begleitmusik zu dieser Schulrechtsänderung. Da wird sehr deutlich gesagt, Bekenntnisschulen seien nicht mehr zeitgemäß. Da fragt man sich doch wirklich: Wer hat denn die Deutungshoheit über den Begriff „zeitgemäß“?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin.
Astrid Birkhahn (CDU): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Ist es nicht fragwürdig, wenn man auf der einen Seite von dem Leitbild einer bunten, vielfältigen und pluralen Gesellschaft spricht, während wir dem andererseits eine monochrome Schul- und Bildungslandschaft entgegensetzen? Da muss man, denke ich, ganz deutlich Farbe bekennen und sagen: Wir brauchen Vielfalt, die Möglichkeit zur Differenzierung und das Elternwahlrecht. Das bedeutet für uns auch ein Ja zur Erleichterung der Ersatzschulgründungen, wie sie von den Kirchen gefordert wird.
Ich freue mich auf die notwendige Diskussion im Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Birkhahn. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Alle Menschen sind klug – die einen vorher, die anderen nachher.“ Das stammt nicht von mir, sondern von Voltaire. – Wie klug dieser Gesetzentwurf, über den wir hier und heute sprechen, am Ende ist, wird sich anhand dessen erweisen, was er im Lande bewegt bzw. was durch ihn im Laufe der Zeit realisiert wird.
Öffentliche Bekenntnisschulen haben in einem vielfältigen Bildungssystem eine Existenzberechtigung, und diese Berechtigung folgt nicht allein aus der Landesverfassung. Sie folgt aus den Wünschen der Eltern, ihre Kinder entsprechend bekenntnisorientiert unterrichten und erziehen zu lassen. Meine Damen und Herren, diese Wünsche gilt es auch tatsächlich zu respektieren.
Ebenso wie das Recht auf die Möglichkeit einer konfessionellen Erziehung gilt das Recht, Kinder konfessionslos aufwachsen zu lassen. Die religiöse Landschaft ist pluraler geworden. Wir erleben aber auch eine deutlich gestiegene Zahl von Menschen ohne eine konfessionelle Bindung. Diese Lebenswirklichkeit muss sich natürlich auch in der Schullandschaft entsprechend widerspiegeln.
Meine Damen und Herren, Frau Birkhahn hat schon einiges vorweggenommen. Dennoch möchte ich eines noch einmal ansprechen: Vieles spricht dafür, dass es Personen, Gruppierungen und Fraktionen in diesem Hause gibt, die nicht unbedingt wahre Freunde von Bekenntnisschulen sind und die dieses Zeugnis auch gerne in Form einer Verfassungsänderung zum Ausdruck gebracht hätten.
Ich sage Ihnen hier und heute ganz deutlich: Eine Verfassungsänderung in Bezug auf die Bekenntnisschulen wird es mit der FDP nicht geben.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Zurück zum Gesetzentwurf: Als FDP nehmen wir zur Kenntnis, dass das Quorum zur Befragung der Eltern vereinfacht wird. Wir werden schauen, wohin dies am Ende der Reise führt.
Wir befürworten, dass es weiterhin eine Mehrheit geben muss, die zustimmt, dass eine Schule von einer Bekenntnisschule in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt werden kann. In diesem Zusammenhang möchte ich aber zum Ausdruck bringen, dass das Ganze natürlich auch umgekehrt gilt. Das ist bis jetzt noch nicht gesagt worden. Wir halten das für einen guten demokratischen Brauch.
(Beifall von der FDP)
Als FDP-Fraktion begrüßen wir es ausdrücklich, dass als Ausnahme zukünftig bekenntnisfremde Lehrkräfte an Bekenntnisschulen unterrichten können. Denn es sollte nicht so sein, dass bekenntnisfremde Lehrer zwar Vertretungsunterricht erteilen, aber keine Chance auf eine langfristige Beschäftigung haben. Wem nützt es, wenn Werte vermittelt werden sollen, an der entscheidenden Stelle aber kein Unterricht stattfindet?
Die Tatsache, dass die Kirchen mit diesen Änderungen einverstanden sind, zeigt, dass sie das richtige Maß zwischen ihrem eigenen Anspruch, der Beachtung des Elternwillens und den Herausforderungen einer sich stetig ändernden Gesellschaft finden. So weit zum Inhalt des Gesetzentwurfs.
Ich weiß, dass Weihnachten vor der Tür steht, meine Damen und Herren. Gleichwohl kann ich nicht nur Geschenke verteilen, sondern möchte mich in diesem Zusammenhang auch noch einmal zu dem Umgang in Bezug auf diesen Gesetzentwurf mit den Oppositionsfraktionen äußern.
Frau Beer, wir haben bereits am Rande der Plenardebatte zum Antrag der FDP zum Werteunterricht kurz darüber gesprochen. Ich kann mich erinnern, dass das Verfahren wie folgt abgelaufen ist: Wir haben uns als Obleute zusammengesetzt und sind uns über die Schwierigkeit bewusst geworden, die diese Veränderung in Bezug auf die Bekenntnisschulen mit sich bringt. Daraufhin haben wir vereinbart, dass es von Ihrer Seite bzw. vonseiten der regierungstragenden Fraktionen eine Vorlage geben wird, die wir als Oppositionsfraktionen mit in die Fraktionen nehmen, um uns zu überlegen, was wir mittragen können und wo unsere Meinungen auseinander gehen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Sie haben bereits in der Plenardebatte gesagt, Sie fänden es schade, dass meine Fraktion bzw. dass ich mich an der Diskussion um die Frage der Bekenntnisschulen bisher nicht beteiligt hätte und die Einladung nicht in der Art und Weise angenommen hätte, wie sie ausgesprochen worden sei.
Frau Beer, wir haben jetzt den 17. Dezember. Wir haben diesen Gesetzentwurf am 10. Dezember von Ihnen zugeschickt bekommen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Da wir im regelmäßigen Austausch mit den Kirchen standen, haben wir von diesen erfahren, dass es diverse Gespräche gegeben hat. Zu diesen Gesprächen sind wir nie eingeladen worden.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ein Gespräch, das stattfinden sollte, ist aufgrund des Sturms abgesagt worden. Ja, das war höhere Gewalt. Danach ist aber nie wieder etwas Ähnliches erfolgt.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Unter einer wünschenswerten Beteiligung mit allen anderen Fraktionen zu der Frage, wie es vorangehen soll, verstehen wir etwas anders. Eine Einladung sieht für unsere Fraktion komplett anders aus.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Ich komme zum Schluss. Ich hoffe, dass wir jetzt im Rahmen der Anhörung und der Gespräche im Schulausschuss tatsächlich miteinander in einen Dialog einsteigen werden und für die Bekenntnisschulen bzw. die Eltern, die sich für ihre Kinder eine Bekenntnisschule wünschen, zu einer guten Lösung hier im Lande Nordrhein-Westfalen kommen werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Marsching.
Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Tribüne und zu Hause! Sehr geehrte Frau Beer, Sie haben sich gewünscht, dass ich das Konfliktpotenzial meiner Rede absenke. Den Gefallen kann ich Ihnen leider nicht tun. Wir befinden uns aber erst in der ersten Lesung. Da darf man noch ein bisschen frisch, fromm, fröhlich, frei von der Leber reden, und das möchte ich jetzt auch tun.
Ich erzähle zunächst einmal etwas zum Hintergrund und zu der historischen Einordnung dessen, was wir heute hier diskutieren. Die Landesverfassung und das Schulgesetz kennen bei den öffentlichen Grundschulen drei Arten, nämlich die Gemeinschaftsschule, die Bekenntnisschule und die Weltanschauungsschule, wobei es die Weltanschauungsschule in freier Wildbahn nicht gibt, man findet sie ausschließlich im Schulrecht. Wir reden somit über Gemeinschafts- und Bekenntnisschulen.
Als die Verfassung in Nordrhein-Westfalen entwickelt wurde, hat der Gesetzgeber an alte Traditionen angeknüpft und kein neues Konzept gefahren, was er hätte tun können. Die Volksschule war in den deutschen Staaten im 19. Jahrhundert im Wesentlichen kirchlich geprägt. Die Literatur spricht von einer „verstaatlichten Katecheseschule“.
Als der Staat immer mehr Einfluss auf die Volksschulen genommen hat, wurde die konfessionelle Gliederung beibehalten. Zu der Frage, warum die Konfessionen getrennt wurden, möchte ich jetzt keine weiteren Ausführungen machen. Wer das wissen möchte, der mag sich mit der Geschichte des Kaiserreichs beschäftigen.
Als dieses Kaiserreich im Jahr 1918 zerfiel, wurde diese Streitfrage um Konfessionsschule, weltliche Schule oder die sogenannten Simultanschulen gelöst, und zwar im sogenannten Weimarer Schulkompromiss. Der hat den Elternwillen vor Ort zum bestimmenden Faktor gemacht, und das gilt bis heute in Nordrhein-Westfalen.
Außer bei uns in NRW gibt es öffentliche Bekenntnisschulen nur noch in Niedersachsen. Diese Schulen werden, um das kurz zu erklären, von den Kommunen getragen und unterrichten mit verbeamteten oder angestellten Lehrerinnen und Lehrern. Das sind Landesangestellte. In allen anderen Ländern haben seit den 60er-Jahren Gemeinschaftsschulen, also säkulare Grundschulen, den Vorrang, und vorhandene Schulen wurden umgewandelt. In Nordrhein-Westfalen wurden zwar die meisten Hauptschulen umgewandelt, aber eben nicht die Grundschulen. Wichtig ist, dass man auch Gemeinschaftsschulen christlich nennen kann; denn hier werden die Kinder aller Bekenntnisse oder auch Nichtbekenntnisse – Zitat – in aller Offenheit für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen. – So sagt es der Kommentar zum Schulgesetz. Fachunterricht wird ohne Bindung an ein bestimmtes christliches Bekenntnis gegeben, religiöse Erziehung findet im Religionsunterricht statt.
An Bekenntnisschulen werden Kinder „nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses erzogen und unterrichtet“, so sagt es das Schulgesetz. Hier beschränkt sich der Einfluss der Bekenntnisse nicht nur auf einen Teil der Bildung, sondern – Zitat – „das bekenntnismäßige Gepräge der Schule ist auch bei der Anstellung von Lehrerinnen und Lehrern, der Aufnahme der Schülerinnen und Schüler, beim Lehrplan und Lehrstoff sowie bei der Auswahl der Lehr- und Lernmittel angemessen zu berücksichtigen“. – Kommentar zum Schulgesetz. Das heißt aber auch, die Zusammensetzung des Lehrkörpers und der Schülerschaft ist konfessionell homogen, wobei Ausnahmen möglich sind, und zwar ganz klar nur Ausnahmen!
Aber nicht nur auf dem Papier müssen die Lehrerinnen und Lehrer dem Bekenntnis hörig sein, auch die – Zitat – „Einstellung und das Verhalten müssen den Grundsätzen des Bekenntnisses entsprechen“. Das heißt, tritt eine Lehrkraft aus der Kirche aus oder heiratet nach einer Scheidung wieder – im katholischen Fall –, dann ist sie ihre Arbeit los. Das Lehramt ist also ein konfessionell gebundener Job.
Ein Letztes: Gibt es an einer Bekenntnisschule mehr Anmeldungen als freie Plätze, werden Kinder mit dem entsprechenden Bekenntnis bevorzugt. Die Konsequenz ist teilweise ein kilometerlanger Schulweg für Kinder anderer Glaubensrichtungen oder ohne Bekenntnis.
Warum gehören Bekenntnisschulen also grundsätzlich abgeschafft und nicht nur anders geregelt? Das war ja meine Forderung; Frau Beer ist darauf eingegangen. Ja, die Verfassung kann man mit Mehrheiten ändern. Wir wissen, dass das in der Verfassung steht!
Erstens. Die Aufnahme an der nächstgelegenen öffentlichen Grundschule darf nicht vom Glauben abhängen.
(Beifall von den PIRATEN)
Zweitens. Öffentliche konfessionell gebundene Arbeitsstellen sollten die absolute Ausnahme sein, und für den Grundschulunterricht sind sie nicht notwendig.
Drittens. Wörtlich genommen reden wir hier über Grundschulen, die theoretisch den Kreationismus im Sachunterricht geben können. Dagegen sagen wir: Bildungsinhalte haben auf fundierten und belegbaren Erkenntnissen zu basieren. Sie tun so, also wollten Sie mehr Elternwillen und mehr Partizipation, mehr Inklusion und mehr Integration. All das ist an Bekenntnisschulen mindestens gefährdet. All das wird durch ein Gesetz behindert, das den Status quo auf unabsehbare Zeit zementiert.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Michele Marsching (PIRATEN): Ich bin sofort fertig. – All das können wir besser erreichen, wenn wir nicht über eine mögliche Umwandlung der Bekenntnisschulen reden, sondern die Bekenntnisschulen einfach in säkulare Gemeinschaftsschulen umwandeln, und zwar alle und zwar jetzt. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf. Er bietet Anlass zu einer doppelten Vergewisserung: hier im Landtag über den Sinn und den Wert von Bekenntnisschulen, wie sie im Fall der Grundschulen in der Landesverfassung verankert sind, und später – nach der Verabschiedung des Gesetzes – in jeder einzelnen Bekenntnisschule, ob das, was eine solche Schule nach dem Willen des Gesetzgebers ausmachen soll, noch mit der gelebten Schulpraxis übereinstimmt.
Das heutige Regelwerk zu den Bekenntnisgrundschulen ist seit 1968 praktisch unverändert geblieben, aber unsere Gesellschaft, die hat sich stark verändert. Darauf weisen auch Vertreter der christlichen Kirchen selber hin. Deswegen ist die Zeit offensichtlich reif für eine solche Gesetzesnovelle.
Den breiten Konsens, auf dem das damalige Regelwerk beruhte, wünsche ich mir – so ähnlich wie Herr Römer und Frau Beer – auch für dieses Gesetzgebungsverfahren. Dafür gibt es nach den Gesprächen mit den Kirchen vor der Einbringung des Gesetzentwurfs gute Voraussetzungen. Für die Landesregierung danke ich allen, die daran beteiligt waren und am Gesetzentwurf mitgearbeitet haben.
Wenn Sie beklagen, dass Sie nicht immer und zu jeder Zeit zu allen Gesprächen direkt einbezogen werden, dann kann ich nur sagen: Dafür habe ich kein Verständnis. Es ist selbstverständlich, dass sich eine Koalition erst einmal verständigt. Ich kann mich in den fünf Jahren, die Schwarz-Gelb hier regiert hat, an keine einzige Einladung zu irgendeinem Gespräch in schulpolitischen Dingen erinnern. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich festhalten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Die Frage ist: Was kündigen Sie vorher an, und was passiert dann? – Michele Marsching [PIRATEN]: Und deswegen laden Sie die auch nicht ein! Das ist ja super! Ihr wart schlecht, und deswegen sind wir es auch!)
Meine Damen und Herren, das Fundament des Konsenses zu Bekenntnisschulen gründet sich auf folgenden Grundsätzen:
Erstens. Die Bekenntnisschulen sind ein gleichberechtigtes Angebot – nicht mehr und nicht weniger –, das die Eltern annehmen können, aber nicht müssen.
Zweitens. Bei den Grundsätzen eines Bekenntnisses, nach denen in Bekenntnisschulen unterrichtet werden soll, handelt es sich um solche, die sich dem Wandel nicht verschließen.
Drittens. Es ist Aufgabe aller Schulen, Kinder aus Zuwandererfamilien ungeachtet ihrer Religion zu integrieren. Das gebietet unser Verständnis einer inklusiven Schule und einer inklusiven Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen.
Meine Damen und Herren, niemand von uns kann heute verlässlich vorhersagen, welche praktischen Folgen das geänderte und elternfreundliche Quorum bei der Änderung der Schulart für die Schullandschaft haben wird. Ich halte das auch nicht für das Allerwichtigste. Mir kommt es darauf an, dass Bekenntnisschulen nicht einfach im Sinne eines Weiter-So in der bisherigen Schulart fortgeführt werden. Stattdessen wünsche ich mir, dass sie sich in der Schulkonferenz vergewissern, welchen geistigen Grundlagen sie sich neben dem für alle Schulen verbindlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag in besonderer Weise verpflichtet fühlen und wie dies in der Schule gelebt wird.
Herr Marsching, der Kreationismus gehört an unseren Schulen in Nordrhein-Westfalen nun wirklich nicht dazu, auch nicht an den Bekenntnisschulen.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich sagte extra: theoretisch!)
Oder die Schulen fragen sich zum Beispiel auch, wie ein Gottesdienst zu gestalten ist, an dem auch Kinder teilnehmen, die dem Bekenntnis nicht angehören. Herr Römer hat darauf hingewiesen, dass die Schulen bzw. die Kommunen einen erweiterten Handlungsspielraum haben. Das ist auch richtig so. Es verwundert nicht, dass die Kommunen, die durch die derzeitige Situation oftmals in ihrer Schulentwicklungsplanung gehemmt sind, den Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßen.
Das letzte Wort haben die Eltern. Das ist richtig. Der Elternwille hat in Nordrhein-Westfalen einen hohen Stellenwert. Das ist auch gut so. Wenn die Schule sich in eine Gemeinschaftsschule umwandeln will, folgt sie damit einer gesellschaftlichen Entwicklung. Wenn die Eltern sich aber dafür entscheiden, dass die Bekenntnisschule Bekenntnisschule bleibt und – wir sind ja in der Vorweihnachtszeit – beim Krippenspiel ein muslimisches Mädchen mit Zustimmung seiner Eltern die Rolle der Maria spielt, ist auch das Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Dann verändern sich die Schulen insgesamt in Nordrhein-Westfalen und tragen unserer veränderten Gesellschaft Rechnung. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Beer hat noch einmal um das Wort gebeten. Das bekommt sie auch. Frau Kollegin Beer weiß, dass sie 31 Sekunden zur Verfügung hat.
Sigrid Beer (GRÜNE): Ja. Danke, Frau Präsidentin. Deswegen will ich es auch wirklich ganz kurz machen.
Erstens. Herr Marsching, bitte verwechseln Sie nicht Ersatzschulträgerschaft und öffentliche Bekenntnisgrundschulen.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Tue ich nicht!)
Kreationismus hat da nichts zu suchen. Auch wenn jemand geschieden werden sollte, bedeutet das nicht das Ausscheiden aus dem Schuldienst. Was Sie erzählt haben, ist Quatsch.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Ach so? Ich habe nicht „aus dem Schuldienst“ gesagt! Das habe ich nicht gesagt!)
Zweitens. Liebe Kollegin Gebauer, ich habe während des letzten Plenums angekündigt, dass ein Gesetzentwurf kommt und dass er Ihnen unmittelbar zugeleitet wird. Genau so haben wir das eingehalten. Ich verstehe Ihre Einlassungen hier nicht.
In einem Punkt will ich aber noch einmal inhaltlich auf Sie eingehen. Für die Kinder, die bekenntnisfrei sind, wollen wir in der Tat in Ruhe ein Angebot entwickeln. Der Rahmenplan Grundschule „Philosophieren mit Kindern“ muss ergänzt werden. Das braucht einen sorgfältigen Prozess. Auch dafür werden wir Sorge tragen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer, ich konnte Sie gerade nicht unterbrechen. Frau Kollegin Gebauer würde Ihnen aber gerne eine Zwischenfrage stellen.
Sigrid Beer (GRÜNE): Wunderbar. Gerne.
Präsidentin Carina Gödecke: Bitte.
Yvonne Gebauer (FDP): Liebe Frau Beer, es ist schade, dass Sie das, was ich Ihnen hier gesagt habe, nicht verstehen können. Aber ist es denn nicht richtig, dass es, so wie ich es geschildert habe, dieses Obleutegespräch gegeben hat? Frau Löhrmann, Sie waren als Ministerin an diesem Gespräch nicht dabei. Es ging nur um die Obleute.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Weil nur die Obleute eingeladen worden sind!)
– Gut. Daher finde ich es aber schon merkwürdig, dass Sie das hier kommentieren. Rot und Grün haben uns eingeladen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie wollten mich doch fragen!)
– Ich frage Sie, Frau Beer: Ist es nicht richtig, dass Sie uns eingeladen haben bzw. diesen Vorgang mit allen Obleuten so abgestimmt haben und dass es bis dato kein Gespräch gegeben hat?
Ist es nicht richtig, dass auf einer Podiumsdiskussion zusammen mit der katholischen Kirche Ende Oktober angekündigt worden ist, dass mit uns Gespräche aufgenommen werden? Ich frage das nur einmal.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Eine Zwischenfrage!)
Ist es nicht richtig, dass Sie gegenüber der Katholische Kirche geäußert haben, dass wir in Verhandlungen mit eingebunden werden, was in keiner Weise der Fall gewesen ist?
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Es gibt eine Regel! Eine Zwischenfrage!)
Ich frage Sie: Wie stehen Sie dazu? Ist das alles falsch, was die Kirchen uns erzählt haben und was Sie über unsere Mitarbeit und auch über die Mitarbeit der Piraten an dieser Stelle geäußert haben?
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Gebauer, das war eher eine Kurzintervention. Trotzdem würde ich sie als Zwischenfrage werten. Dann hat Frau Kollegin Beer die Möglichkeit, zu antworten.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja, da war ja Verschiedenes drin!)
Frau Kollegin Beer, eine Kurzintervention ist von Herrn Kollegen Marsching angemeldet worden. Dann können Sie gleich noch stehenbleiben.
Sigrid Beer (GRÜNE): Das ist ja wunderbar. Dann haben wir gleich noch mehr. – Frau Kollegin, wir haben einmal zusammengesessen. In diesem Obleutegespräch haben Sie sehr deutlich gemacht, dass in Ihrer Fraktion in dieser Frage die Wellen hochgehen und ein einheitliches Ergebnis nicht gefunden werden kann, genauso wenig wie in der CDU-Fraktion, weil das ein hochsensibler Prozess ist. Heute haben Sie noch einmal deutlich gemacht, dass es in der Frage von Verfassungsänderungen zu keiner Mehrheit kommt.
Ich habe zugesagt, dass wir Sie auf dem Laufenden halten, und beim letzten Plenum dann gesagt: Wenn das mit den Kirchen konsentiert ist, bekommen Sie die Unterlagen. – Genau so ist das passiert. Dazu können Sie sich verhalten. Dass Sie mit uns mit den Kirchen verhandeln können, ist nirgendwo gesagt worden.
Das Gute ist aber die Botschaft, dass sowohl die fünf Bischöfe als auch die drei Landespräsides dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. Das ist die Botschaft des heutigen Tages. Mit uns ist auch nicht darüber zu verhandeln, diese Botschaft entgegenzunehmen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Das war die Antwort. – Jetzt bekommt Herr Kollege Marsching das Wort für die Kurzintervention.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin Beer, ich möchte kurz zwei Sachen klarstellen.
Erstens. Ich habe öffentliche Bekenntnisschulen und Ersatzschulen nicht verwechselt, sondern Beispiele genannt, die in Extremfällen passieren könnten, wenn die Lehrinhalte konfessionell gebunden sind.
Zweitens. Ich habe nicht gesagt, dass eine Lehrkraft, die sich scheiden lässt und wieder heiratet, aus dem Schuldienst ausscheiden muss. Vielmehr muss sie die öffentliche Bekenntnisschule verlassen und aus dem Kollegium ausscheiden. Das ist etwas völlig anderes.
Sigrid Beer (GRÜNE): Auch das ist nicht richtig, Herr Marsching. Sie muss nicht aus dem Kollegium ausscheiden. Jede Lehrkraft identifiziert sich mit dem Auftrag der Schule. Die Konflikte um das kirchliche Arbeitsrecht, die Sie hier ansprechen, gibt es unter Umständen in Kindergärten, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen, aber genau hier nicht – es sei denn, eine Lehrkraft erklärt sich mit dem Schulprofil nicht mehr einverstanden. – Das ist das Erste.
Das Zweite ist: Die Frage des Kreationismus ist natürlich hochsensibel. Was die Schulaufsicht angeht, stellen Sie hier einen Konjunktiv in den Raum. Sie malen ein Bild und sagen, dass es so sein könnte. Damit legen Sie die Fährte, dass solche Fälle vorkommen. Im Rahmen der öffentlichen Schule ist die Schulaufsicht davor – und in allen anderen Fällen bei den Ersatzschulen auch. Darauf haben wir, seit ich hier im Landtag bin, schon sehr intensiv geachtet. Insofern bitte ich Sie, keine Nebelkerzen zu werfen und nicht die Fährte zu legen, so etwas könne es in Nordrhein-Westfalen geben. Das ist absolut nicht der Fall.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Weitere Wortmeldungen sind nicht angemeldet worden. Daher schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/7544 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – und zur Mitberatung an den Hauptausschuss. Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
4 Gesetz zur Zustimmung zum Sechzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7091 – Neudruck
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/7553
Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7615
Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Vogt hat für die SPD-Fraktion das Wort.
Alexander Vogt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier über zwei Dokumente, einmal über einen Staatsvertrag und einmal über Änderungen zum Landesmediengesetz.
Ich komme zuerst zum Staatsvertrag. Hierbei handelt es sich um einen Staatsvertrag, der sich mit den Rundfunkbeiträgen beschäftigt und eine Senkung vorschlägt. Es sind Mehreinnahmen zustande gekommen durch die Umstellung des Beitragsmodells. Das ist ein positives Zeichen. Dieser Senkung und diesem Staatsvertrag können wir zustimmen.
Wir kommen zum zweiten Punkt, zur Änderung des Landesmediengesetzes. Die SPD und die Grünen haben gemeinsam einen Antrag eingebracht, der einige wenige Punkte im neuen Landesmediengesetz klarstellen soll.
Es geht einerseits um Inkompatibilitätsregeln. Wir wollen, dass Personen, die gleichzeitig einem Bundes- oder Landesvorstand einer Partei angehören, nicht von der Tätigkeit in der Landesmedienkommission ausgeschlossen werden, sofern diese über den Landtag entsandt wurden. Das betrifft Politiker verschiedener Parteien, auch der Opposition, wie zum Beispiel der FDP.
Dann geht es in einem weiteren Punkt um Wahlbeamte. Diese sind auch nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von der Tätigkeit in der Medienkommission ausgeschlossen. Die Anhörung hat gezeigt, dass eine Reihe von Experten darauf verwiesen hat, dass zwei Gruppen nicht hierunter fallen sollten. Das betrifft Entsandte aus dem Hochschulbereich, beispielsweise Rektorinnen und Rektoren, und aus dem Bereich der Kirchen. Dort gibt es auch Wahlämter, die aber nicht mit den hier Gemeinten zu vergleichen sind. Darum schlagen wir vor, diese beiden Gruppen auszunehmen.
Als dritten Punkt haben wir noch einige kleine redaktionelle Änderungen, die sich auf entsendende Organisationen und deren Bezeichnungen beziehen. Es gibt eine Organisation im Bereich Bürgermedien, die sich aufgelöst hat. Es ist zu einer Neugründung gekommen. Dies möchten wir hier anpassen.
Wir werben insgesamt natürlich um Zustimmung für diesen Antrag.
Wir hatten in der Anhörung eine Frage des FDP-Abgeordneten Nückel an Herrn Prof. Schwaderlapp, den Vorsitzenden der Medienkommission und Sachverständigen der CDU. Die Antwort auf die Frage, ob es weiteren Änderungsbedarf bei diesem Landesmediengesetz gibt, war Nein. Er sieht keinen weiteren Änderungsbedarf außer den Punkten, die wir hier angesprochen haben. Darum werben wir natürlich um Zustimmung und haben auch diese Bestätigung seitens der Landesmedienanstalt.
Wir haben einen weiteren Antrag von CDU und FDP vorliegen. Darauf war ich sehr gespannt, weil Herr Nückel in einer Pressemitteilung angekündigt hat, es gäbe umfangreiche Änderungen an diesem Gesetzentwurf. Wir finden aber nur fünf Punkte, die zum großen Teil überholt, unkonkret und dabei auch noch überflüssig sind. Schauen wir uns die Punkte an, die Sie ändern möchten.
Da haben wir einmal das Verfahren zur Wahl eines zusätzlichen Mitglieds in die Medienkommission. Das kritisieren Sie, aber machen wie so oft keinen Ersatzvorschlag, sondern sagen einfach nur, das sei schlecht gemacht. Dabei haben Sie in der Medienkommission am letzten Freitag genau mit diesem Wahlverfahren bereits eine Person bestimmt. Von daher ist dieser Punkt schon einmal überflüssig.
Wir kommen weiter zu dem Punkt „Juristische Qualifikation der Hausspitze“. Auch Sachverständige haben bestätigt, dass wir neue Aufgaben bei der Landesmedienanstalt haben. Die Telemedienaufsicht ist auf sie übertragen worden. Es macht durchaus Sinn, juristische Kompetenz an der Hausspitze zu haben.
Wir haben einen weiteren Punkt.
(Zuruf von der FDP: Das ist doch eine Menge!)
– Ja. Die beiden waren schon einmal überflüssig. Und nun, Herr Nückel, kommt der überflüssigste Punkt.
Sie fordern die Streichung der „Stiftung Vielfalt und Partizipation“. Wenn wir sehen, wie viele Redaktionen in den letzten Monaten und in den letzten Jahren geschlossen wurden, wie viele Redaktionen zusammengelegt wurden und wie viele Journalisten gerade im lokalen Bereich entlassen wurden, dann hat doch die Landesregierung und die Politik insgesamt die Aufgabe, sich damit auseinanderzusetzen: Wie können wir eigentlich hochwertigen Lokaljournalismus sichern? Wie können wir diesen fördern?
Das Problem ist: Hier gibt es eine Idee der Landesregierung, Lokaljournalismus zu sichern und zu stärken.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Vogt, Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
Alexander Vogt (SPD): Bitte schön.
Präsidentin Carina Gödecke: Bitte.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Herr Vogt, Sie haben gerade gesagt, dass eine große Aufgabe für die Landesregierung darin liegt, den Lokaljournalismus zu stärken und das Blattsterben zu vermindern. Das ist alles völlig einsichtig. Sie haben gesagt, da gibt es auch Förderaufgaben. Wären das aber dann nicht Förderaufgaben des Landes und nicht der Rundfunkgebühren?
Alexander Vogt (SPD): Sie wollen also, dass aus Steuermitteln subventioniert wird, Herr Sternberg? Wir haben hier die Situation mit dieser Stiftung, dass wir die möglichst staatsfern organisieren, was Sie die ganze Zeit fordern. Wir siedeln diese Stiftung bei der Medienkommission an, deren Unabhängigkeit Sie ja wahrscheinlich nicht infrage stellen, weil Herr Nückel und Herr Schick von Ihnen doch selber auch mit da drin sitzen. Sie geben ja auch dauernd preis, dass die Landesanstalt für Medien eine unabhängige Institution ist.
Wir haben die Situation, dass wir seitens der Landesregierung einen Vorschlag haben mit dieser Stiftung, etwas zu tun.
Von der Opposition gibt es einen einzigen Vorschlag durch die FDP. Der bezieht sich auf Gemeinnützigkeit. Das ist immerhin ein Vorschlag, den wir diskutieren.
Aber gerade von Ihnen, Herr Prof. Sternberg, und von der CDU haben wir in den vergangenen Jahren hier keinen einzigen Vorschlag gesehen. Sie kritisieren die ganze Zeit jegliche Tätigkeiten der Landesregierung, wenn sie sich damit beschäftigt, wie wir lokalen Journalismus sichern können. Von Ihnen kam bisher gar nichts.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Alexander Vogt (SPD): Das ist das Problem. Wenn Sie andere Vorschläge unterbreiten würden, könnten wir ja darüber diskutieren. Aber es gibt von Ihnen keinen Vorschlag. Von daher lassen Sie diese Stiftung im Gesetz.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Alexander Vogt (SPD): Das ist ein erster Beitrag dazu, Lokaljournalismus zu sichern und zu fördern. Das ist eine gute Sache. Von Ihnen kam bisher nichts dazu. Darum können wir darüber auch nicht diskutieren. Wir lehnen Ihren Antrag ab.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schick.
Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Um mit dem Erfreulichen zur Weihnachtszeit zu beginnen: Den Sechzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag begrüßen wir. Wir hatten uns in der Vergangenheit für Gebührensenkungen ausgesprochen. Eine solche Senkung kommt jetzt. Sie fällt zwar etwas geringer aus, als die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten ermittelt hatte, aber immerhin beträgt die Senkung einen halben Euro. Außerdem findet eine Evaluierung statt, wo möglicherweise Probleme bei den Anknüpfungspunkten beseitigt werden. Soweit der harmonische Teil.
Die Beurteilung der Änderungsvorschläge zum Landesmediengesetz fällt weit weniger freundlich aus. Das ist keine Überraschung. Das wurde schon deutlich, als man sich die Stellungnahmen zur Anhörung zum Landesmediengesetz durchgelesen hat. Ich erspare Ihnen jetzt, Herrn Laurin noch einmal umfänglich zu zitieren, der Ihnen ganz klar und deutlich gesagt hat, welch geringe Qualität Ihre Änderungsvorschläge haben.
Wir beraten heute nämlich Korrekturen zum korrigierten Landesmediengesetz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer ständig nachbessert, der kann einfach nicht solide gearbeitet haben.
(Beifall von der CDU)
Das wird auch nicht durch die hilflosen Erklärungsversuche im Ausschuss, das wäre doch bedingt durch das ZDF-Urteil, besser. – Als wäre das ganz kurzfristig gekommen und hätte in Hektik eingearbeitet werden müssen! Immerhin hatte man drei Monate Zeit. In der Zeit hätte man das solide machen können.
Wenn man aber feststellt, dass man das nicht kann, hätte man noch die Bremse ziehen können. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren angeboten, Ihre umfangreichen Änderungsvorschläge in den Ausschuss zurückzuüberweisen, um sicherzustellen, dass am Ende ein solides Gesetz steht. Sie haben das damals zurückgewiesen und wollten das Gesetz kurz vor der Sommerpause unbedingt noch durchboxen.
Warum wollten Sie das unbedingt durchboxen? – Sie wollten das, weil das natürlich eine sehr hohe politische Brisanz hatte.
Öffentlich reden Sie immer über eine Stärkung der unabhängigen Landesmedienkommission. Wenn es um Entscheidungen geht, dann schreiben Sie allerdings bis ins kleinste Detail vor, was diese Kommission zu tun hat, wozu sie befugt ist und was sie bitte schön zu unterlassen hat.
An der Spitze der Landesmedienanstalt, der LfM, muss – so Ihr Wille – zukünftig ein Volljurist stehen.
(Unruhe von den GRÜNEN)
– Ich weiß natürlich, dass es gerade grünen Gutmenschen unheimlich wehtut, wenn man sie bei eiskalter Personalpolitik, bei Machtpolitik, bei der Durchsetzung von eigenen Interessen erwischt.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Deswegen werden Sie auf einmal bei diesem Thema so emotional. An juristischer Kompetenz hat es bislang an der Spitze der Landesmedienanstalt nicht gemangelt.
Wir haben gerade gehört, dass Herr Professor Schwaderlapp, der Vorsitzende der Landesmedienkommission, gern zitiert wird. Ich zitiere ihn auch einmal aus der Anhörung. Auf die Frage, ob es rechtliche Probleme gegeben hat in der Landesanstalt für Medien oder in der Landesmedienkommission, hat er gesagt, er könne sich an keinen Fall erinnern. Er hätte Rücksprache gehalten und gehört, auch in der Vergangenheit hätte es diese Probleme nicht gegeben.
(Beifall von der CDU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es so ist, dass diese Medienkommission, unabhängig und von Ihnen gestärkt aus dem Gesetzgebungsverfahren herausgeht und in Zukunft rechtliche Würdigungen immer bedeutender werden, dann werden Sie dieser Medienkommission doch auch zutrauen, dass sie die richtigen Entscheidungen trifft. Oder haben Sie etwa doch die Befürchtung, dass sich am Ende des Tages die hohe Sachkompetenz des bisherigen Amtsinhabers durchsetzt und er wiedergewählt wird, obwohl Sie das gar nicht wollen? Das ist die Frage, die Sie schon beantworten müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben gerade noch das Abstimmungsverfahren genannt, das erfolgreich durchlaufen worden ist. Ich habe aber nie so viele durchwuselte Frisuren gesehen, weil sich die Mitglieder die Haare gerauft haben, da das umgesetzt werden musste, was Sie im Gesetz beschlossen haben. Das Ergebnis war so, wie ich das vorher nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung vorausgesagt habe, dass nämlich derjenige, der als ordentliches Mitglied gewählt worden ist, eine geringere Stimmenzahl hat als derjenige, der hinterher Fünfter auf der Reserveliste war.
Das heißt, mit dieser Landesregierung kann man nicht rechnen, mit der Opposition schon. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.
Oliver Keymis*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Anhaltende Unruhe)
– Wir lassen die Diskussion einmal ein bisschen laufen, denn wir sind ein sehr redefreudiges Parlament. Sind jetzt alle fertig? – Gut.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schick, ich muss noch einmal etwas sagen, was ich auch schon im Ausschuss ausgeführt habe. So, wie Sie sich an der Frage und an der Diskussion um den § 100 aufhängen und das hochspielen, werde ich den Verdacht nicht los, dass es womöglich Ihnen um eine Personalienfrage geht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben versucht, zu begründen, warum es sachlich Sinn machen könnte – aufgrund der Verantwortungsübertragung, Stichwort: Telemedienrecht –, dieser Landesmedienanstalt in der Zukunft eine juristische Spitze zu geben.
(Zuruf von der CDU: Mir kommen die Tränen!)
Ich finde, das ist ein Argument, mit dem man sich befassen kann.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
– Herr Witzel, Sie müssen ein bisschen vorsichtig sein. Gerade Sie müssten sich, denke ich, über das Theater noch einige Gedanken machen.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich finde es bemerkenswert, dass das für Sie eine so enorme Rolle spielt. Ich halte das bei den vorgenommenen Änderungen nicht für den entscheidenden Punkt. Es kommt darauf an, sich das Gesetz in seiner Gesamtheit anzusehen und nicht, wie Sie das tun, nur auf verschiedene Änderungspunkte zu schielen und zu zielen, um darüber irgendwie einen Skandal zu entfachen, nur – das sei Ihnen unbenommen – weil Sie damit bestimmte Kreise publizistisch immer wieder interessieren können. Es fällt schon auf, dass bestimmte Leute über gewisse Themen immer wieder im gleichen Tenor schreiben, wie Sie ihn hier verbreiten. Das ist aber nicht das Entscheidende.
Für uns kommt es darauf an, dass wir mit dem Landesmediengesetz das Neuland, von dem andere schon gesprochen haben, endlich vernünftig bearbeiten und beackern. Das können wir mit diesen Änderungen tun.
Es geht mir wie dem Kollegen Vogt: Fünf Änderungsvorschläge finde ich relativ gesehen zum Gesamtkonvolut eher marginal. Insofern haben wir uns damit gar nicht intensiv auseinandergesetzt, um es ehrlich zu sagen,
(Zuruf von Thorsten Schick [CDU])
weil wir den Eindruck hatten: Selbst wenn wir das alles gut gefunden hätten, bringt uns das auch nicht mehr wesentlich weiter.
Aber noch dazu fanden wir alle fünf Vorschläge nicht nachvollziehbar. Deshalb bleibt es bei unserem geplanten Abstimmungsverhalten. Das ist das eine.
(Zuruf von Thomas Nückel [FDP])
Zum anderen möchte ich noch etwas zum Sechzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag sagen. Er umfasst eine leichte Senkung des sogenannten Rundfunkbeitrags pro Person und pro Jahr um 5,76 €. Das ist keine horrende Summe und bleibt unter dem Vorschlag der KEF, den Rundfunkbeitrag um 0,73 € zu senken. Wir haben das aus guten und wohlerwogenen Gründen schon zu einer Entscheidung bringen können, die uns etwas mehr Beitragssicherheit gewährleistet. Insofern bin ich den Ministerpräsidenten und den Ministerpräsidentinnen dankbar, dass sie sich auf diesen Kompromiss eingelassen haben.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich eine Senkung nicht für notwendig erachtet habe; ich erachte sie auch künftig nicht für notwendig. Ich glaube, dass es entscheidend darauf ankommt, dass die Menschen mehr Qualität vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekommen. Das wird auf Dauer nicht mit weniger Geld gehen, sondern vermutlich nur mit einem mindestens stabilen oder möglicherweise auch angepassten Beitrag. Denken Sie an so wichtige Themen wie Werbefreiheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Preissteigerungen und andere Fragen. All das muss in der Zukunft kompensiert werden.
Also: Ein Rundfunkbeitrag, der, wie ich zu Recht finde, schon einmal als „Demokratieabgabe“ bezeichnet wurde, sichert uns freie und unabhängige Medien sowie Vielfalt bei den Öffentlich-Rechtlichen. Das ist eine belebende Konkurrenz für die privaten Rundfunkangebote. Daher ist es so, wie es jetzt kommt, in Ordnung.
Wir werden gemeinsam, unsere Fraktion und die SPD-Fraktion, natürlich den von uns vorgeschlagenen Änderungen zustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.
Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war nicht verwunderlich, dass die Vorzüge des Landesmediengesetzes mit einer gewissen Redseligkeit noch einmal vorgebetet worden sind.
Aber wer glaubt, mit der Stiftung wirklich die massiven Probleme wie Redaktionsschließungen und die Probleme für viele Journalisten in den Griff zu bekommen, der glaubt an Märchen. Der glaubt wahrscheinlich auch, dass Printen Kekse aus dem 3-D-Drucker sind.
(Heiterkeit von Josef Hovenjürgen [CDU])
Ich glaube, es ist Ihnen peinlich, dass wir uns heute noch einmal mit dem Landesmediengesetz beschäftigen dürfen, weil Sie im Sommer, wenige Stunden vor der letzten Lesung, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion hinter verschlossenen Türen erhebliche Änderungen, Hinterlistigkeiten, ausgekungelt haben.
(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)
Das Resultat waren handwerkliche Fehler beim Last-minute-Verfahren.
Wenn ich Herrn Keymis heute lausche, habe ich das Gefühl, dass das vielleicht doch nicht so ganz Last Minute, sondern von langer Hand geplant war. Nur sollte niemand davon erfahren, es sollte nicht diskutiert werden.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Wenn Sie es ehrlich mit der Transparenz und Partizipation gemeint hätten, wäre Zeit gewesen, darüber zu reden, weil das Landesmediengesetz die Vorlaufzeit eines langsam Gas gebenden Elefanten hatte. So war das Verfahren eine Farce.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Und es war eine Ohrfeige für dieses Parlament und den Ausschuss. Die Hoffnung der Landesregierung war es eigentlich, den selbstverschuldeten erheblichen Reparaturbedarf des Gesetzes ein bisschen im Windschatten des Rundfunkstaatsvertrages über die Bühne bringen zu können. Nun ist es, glaube ich, umgekehrt: Jetzt segelt eher der Rundfunkstaatsvertrag im Schatten eines unzulänglichen Reparaturversuchs.
Heute sollen wir also den rot-grünen Kitt beschließen, mit dem das Landesmediengesetz ein bisschen gerettet werden soll. Das Problem ist nur: Der Kitt ist wässrig, und er wird nicht halten. Die gröbsten Fehler im Gesetz wollen Sie gar nicht korrigieren.
Ich nenne die bedenkliche Pressestiftung, für die Sie jetzt Rundfunkbeiträge zweckentfremden wollen. Politische Wünsche sollen über Gebührenmittel finanziert werden.
Ich nenne den Regulierungswahn. Ein Punkt war das halbvatikanische Wahlverfahren. Es gab zwar keinen weißen oder schwarzen Rauch, aber den Stimmauszählern rauchte der Kopf. Für eine Person waren fünf Stunden Wahlzeit nötig; das ist schon ein bisschen unpraktisch.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Vor allem aber nenne ich, auch wenn es Sie stört, den Anti-Brautmeier-Paragrafen in Ihrem Gesetz, mit dem Sie einen anerkannten und ausgewiesenen Medienexperten loswerden wollen und
(StS Dr. Marc Jan Eumann: Quatsch!)
mit dem Sie gleich das Ansehen früherer Direktoren wie Norbert Schneider aus Ihren Reihen beschädigen. Das ist beschämend.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Es ist aber auch tatsächlich erstaunlich, dass die Behörde, die für die Aufsicht über den Rundfunk zuständig ist, jetzt von einem Juristen geführt werden muss, während die Behörde, die die Rechtsaufsicht über jene ausübt, keinen Juristen an der Spitze hat. Wenn die rot-grüne Regierung konsequent wäre, würden Sie, Herr Staatssekretär und Frau Medienministerin, sich jetzt vielleicht bei der Fernuni Hagen für ein Jurastudium einschreiben.
(Beifall von der FDP und der CDU – Heiterkeit von StS Dr. Marc Jan Eumann)
Aber vielleicht muss gerade deswegen heute Herr Kutschaty als Justizminister gleich zu dem Thema in die Bütt steigen.
(Beifall von der FDP und der CDU – Heiterkeit von Minister Thomas Kutschaty und StS Dr. Marc Jan Eumann)
Die vorgelegten Änderungen sind unvollständig und fehlerhaft. Deswegen haben FDP und CDU einen Änderungsantrag eingebracht, der die gröbsten Schwächen ausbügeln kann. Ich empfehle Ihnen die Annahme des Änderungsantrags, denn mich deucht schon, dass wir höchstwahrscheinlich im nächsten Jahr, vielleicht dann im Windschatten des WDR-Gesetzes, wieder ein Reparaturgesetz bekommen, denn einige Fehler haben Sie vergessen. Aber okay, das ist Ihr Job. Schauen wir einmal, was dann im nächsten Jahr kommt.
Kommen wir nun zum Rundfunkstaatsvertrag. Hierbei versucht die Landesregierung auch, die Gebührenzahler ein bisschen hinters Licht zu führen. Ich erinnere daran: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hatte festgestellt, dass die Bürgerinnen und Bürger durch die Umstellung – deswegen muss man die Zahlen nennen – 1,15 Milliarden € zu viel an die GEZ gezahlt hatten, die jetzt „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ heißt.
Die KEF hat vorgeschlagen, die eine Hälfte dieses Aufkommens als Rücklage und die andere Hälfte zur Absenkung zu verwenden. Das hätte eine höhere Absenkung bedeutet. Die Bundesländer – allen voran Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen; die wollten eigentlich gar nichts zurückgeben – wollen die Beitragszahler nicht so stark entlasten, wie es ihnen zusteht. Und wir sollen heute einem Staatsvertrag zustimmen, der lediglich eine Absenkung um 0,48 € vorsieht.
(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])
Die erhebliche Abweichung von der Empfehlung der KEF bedeutet eine Mehrbelastung für Bürger und Wirtschaft in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages. Das muss man auch feststellen.
Deswegen können wir als FDP dem Rundfunkstaatsvertrag nicht zustimmen.
(Beifall von der FDP)
Ich glaube auch, dass Sie sich auch verfassungsrechtlich auf schwierigem Boden befinden; denn das Bundesverfassungsgericht hat 2007 schon einmal bei einer damals auch vorliegenden erheblichen Abweichung zwischen der KEF-Empfehlung und dem, was nachher die Ministerpräsidenten daraus gemacht haben, den Staatsvertrag kassiert. Sehen wir mal, wie es weitergeht. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Nückel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schwerd.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und am Livestream! George Bernhard Shaw sagte mal: Politik ist das Paradies zungenfertiger Schwätzer. – Da zu den Inhalten des heute zu verabschiedenden Gesetzes von meinen sehr verehrten Vorrednern bereits alles Denkbare gesagt worden ist, möchte ich versuchen, was dem Verdacht Shaws widerspricht, nämlich mich kurzzufassen.
Ich möchte kurz darauf eingehen, weshalb wir das Gesetz zur Zustimmung zum Sechzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags und zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen insgesamt für nicht zustimmungsfähig halten.
Zunächst zum Art. 1, in dem es um die Senkung des Rundfunkbeitrags geht. Wir Piraten fordern seit Langem einige einschneidende Veränderungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, vor allem die Abschaffung der 7-Tages-Regelung, die Einführung von freien Lizenzen zur Weiternutzung von noch mehr Inhalten und den Einstieg in die Werbe- und Sponsoringfreiheit auch vor 20:00 Uhr. Diese Forderungen kosten Geld. Man muss den Aufgabenkatalog der Öffentlich-Rechtlichen anpassen, bevor man diesen Forderungen nachgehen bzw. die Rundfunkbeiträge dafür verwenden kann.
Wir sehen aber bislang keine ausreichenden Anstrengungen, die Aufgaben der Öffentlich-Rechtlichen den Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen.
Eine andere Forderung unsererseits könnte und sollte schon längst umgesetzt werden: die Herstellung von mehr Barrierefreiheit. Seit der Umstellung von der Rundfunkgebühr auf den Beitrag sind auch Menschen mit Behinderungen beitragspflichtig. Das verpflichtet aber gleichzeitig ARD und ZDF und die sonstigen öffentlich-rechtlichen Sender, ihr barrierefreies Angebot auszubauen. Tatsächlich ist schon einiges besser geworden, aber längst noch nicht alles gut. Es gibt immer noch genug Sendungen ohne oder mit qualitativ schlechten Untertiteln. Und Übersetzungen von Sendungen in die deutsche Gebärdensprache, am besten live durch Einblendungen eines Dolmetschers, gibt es so gut wie gar nicht. Hier könnte und müsste man unserer Auffassung nach Verbesserungen anstreben, für die die Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag jetzt schon genutzt werden können.
(Beifall von den PIRATEN)
Insgesamt hätten wir uns ein anderes Verfahren gewünscht. Wir meinen, dass die Politik dringend über die Aufgabendefinition für die Öffentlich-Rechtlichen und deren Weiterentwicklung reden muss. Wenn das geschehen ist, kann man auch den Beitrag senken, wenn dann noch Geld übrig ist. Jedenfalls ist es glaubwürdiger, diese Aufgaben rasch anzugehen, anstatt jetzt den Beitrag um ein paar Cent zu senken, den man dann später wieder erhöhen müsste. Wirklich entlasten tut diese Beitragssenkung niemanden.
Zu Art. 2 des Gesetzentwurfes, der noch einige Änderungen im gerade erst überarbeiteten Landesmediengesetz umsetzt, auch noch einige Worte: Tatsächlich handelt es sich bei den vorliegenden Änderungen um Klarstellungen aus dem Novellierungsverfahren im vergangenen Sommer. Diese Änderungen haben wir damals mitgetragen, da sie unsere wesentlichen Forderungen nach der Staatsferne und der Medienkommission der LfM aufgegriffen haben. Insofern tragen wir auch die jetzt vorgelegten Änderungen mit, da sie unsere Intention aus dem Sommer widerspiegeln.
An einer Stelle haben wir allerdings auch eine andere Meinung, nämlich wenn es um die Qualifikation des Direktors der LfM geht. Hier steht die Frage im Raum, ob der LfM-Direktor die Befähigung zum Richteramt haben muss, wie es das Gesetz zurzeit vorsieht. Die CDU-Fraktion hat im Ausschuss den Vorschlag gemacht und diesen jetzt als Änderungsantrag noch einmal offiziell vorgelegt, dass es entweder der Direktor oder sein Stellvertreter sein kann.
Ich hätte das begrüßt, wenn wir uns auf diesen Kompromiss geeinigt hätten. Fachkompetenz in den Gremien ist ja immer eine gute Sache. Wir halten jedoch eine allein auf die Person des Direktors der LfM zugeschnittene gesetzliche Regelung für falsch.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
So gesehen hätten wir uns diesen Punkt des Änderungsantrages der CDU anschließen können. Er wird heute vermutlich wieder abgelehnt. Sehr schade!
Aber wir wollen uns aus dem Parteien-Personal-Geplänkel heraushalten, weswegen wir grundsätzlich den vorliegenden Änderungen des Landesmediengesetzes hier zustimmen werden. Insgesamt aber – damit komme ich dann zum Schluss – muss ich meiner Fraktion die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfehlen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Kutschaty in Vertretung für Frau Ministerin Schwall-Düren.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Nückel, der Justizminister spricht zu dem Punkt jetzt nicht, weil die Landesregierung der Auffassung ist, zum Halten dieser Rede bräuchte man die Befähigung zum Richteramt. Gleichwohl kann ich Ihnen sagen, dass juristische Kompetenz in der Hausspitze nicht schlecht ist.
(Beifall und Heiterkeit von der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz wird Rundfunkgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal wird der Rundfunkbeitrag gesenkt. Wie Sie wissen, hat der Landtag im Dezember 2011 den Umstieg von der früheren Rundfunkgebühr zum heutigen Rundfunkbeitrag beschlossen – wie alle anderen Länder auch. Das hat dazu geführt, dass nun Personen und Unternehmen zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herangezogen werden, die sich dem früher entzogen haben. Dadurch ist der Ertrag auf der Grundlage des gleichgebliebenen Beitragssatzes deutlich gestiegen. Das ermöglicht nunmehr eine Absenkung der Rundfunkgebühren um 48 Cent.
Die Landesregierung, aber auch andere Landesregierungen sind damit hinter dem Vorschlag, den Beitrag um 73 Cent zu senken, zurückgeblieben. Es soll nämlich noch ausreichend Spielraum für die bereits bei Unterzeichnung des Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vereinbarte Evaluierung des neuen Rundfunkbeitragssystems erhalten bleiben. Hierzu gehört auch die Entscheidung über Werbung und Sponsoring in den Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Insofern kommt die Landesregierung einem ausdrücklichen Wunsch des Landtages aus Dezember letzten Jahres nach, nämlich dem Wunsch zur schrittweisen Reduzierung der Werbung und des Sponsorings.
Das Gesetz enthält darüber hinaus auch Klarstellungen im Landesmediengesetz, die sich aus Fragen der Praxis ergeben haben. Die Sachverständigenanhörung hat bestätigt, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung in seinen beiden Teilen überaus sinnvoll und rechtlich in keiner Art und Weise zu beanstanden ist.
Zwar gab es auch Vorbehalte gegen die Reduzierung des Rundfunkbeitrags. Hierzu wurde aber von Sachverständigen ausdrücklich klargestellt, dass die den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern zum jetzigen Zeitpunkt zugutekommende Beitragssenkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Der Gesetzgeber habe in diesen Zeiten, in denen die Evaluierung des neuen Beitragssystems erfolgt und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen sind, aus politischer Sicht auch die Möglichkeit eingeräumt, gewisse Rücklagen vorzuhalten.
Das ist absolut richtig und auch konsequent, zumal wir uns noch innerhalb der laufenden Beitragsperiode 2013 bis 2016 befinden. Beitragssenkung ist daher ein erster Schritt, um eine zeitnahe Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu erreichen.
Im Übrigen wurden die Klarstellungen, die im Landesmediengesetz vorgenommen werden sollen, von den Sachverständigen sehr begrüßt. Mit den jetzigen Anpassungen werden jegliche Diskussionen, die die Arbeit der LfM erschweren, ausgeschlossen.
Darüber hinaus greift der vorgelegte Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Ergebnisse der Anhörung in den Ausschüssen auf und nimmt Ergänzungen vor.
Insbesondere hatten die Experten in der Anhörung die Öffnung der die Mitglieder der Medienkommission betreffenden Inkompatibilitätsregelungen nahegelegt, sofern sie Wahlbeamte betreffen. Der Gesetzgeber hat hier einen gewissen Spielraum, den es auch zu nutzen gilt. Wahlbeamte, die Ämter an Hochschulen oder in Kirchen ausüben, sollen demnach nicht mehr von einer Mitgliedschaft in der Medienkommission ausgeschlossen werden. Dies stellt, wie ich finde, eine sehr praxisnahe und taugliche Regelung dar. Ich werbe daher heute für die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 4.
Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP, der Ihnen mit Drucksache 16/7615 vorliegt. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/7615 von CDU und FDP mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/7091 – Neudruck. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7553, den Gesetzentwurf in der so geänderten Fassung anzunehmen. Diese Abstimmung führen wir jetzt auch durch, und zwar über die Beschlussempfehlung. Wer hier zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7553 mit dem festgestellten Ergebnis angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/7091 – Neudruck – in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf:
5 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7147
Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/7554
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7610
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7621
Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Herter das Wort.
Marc Herter (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen in dieser Plenarrunde die Erhöhung der Grunderwerbsteuer in Nordrhein-Westfalen. Das ist nicht schön, aber es ist notwendig. Das ist die einzige Landessteuer, bei der wir auch eine entsprechende Regelungskompetenz haben. Der Dreiklang Sparen, Zukunftsinvestitionen und Einnahmeerhöhungen, da wo es möglich ist, wird durch diese Maßnahme in seinem dritten Punkt auch umgesetzt.
Herr Römer hat heute Morgen
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
darauf hingewiesen, Herr Witzel, dass allein 1,5 Milliarden € im Landeshaushalt 2015 eingespart werden und dass meine Fraktion und mit Sicherheit auch Bündnis 90/Die Grünen viel dafür übrig hätten, die Sache über den Spitzensteuersatz oder über eine Vermögensteuer zu regeln. Nur leider können wir das im Lande Nordrhein-Westfalen nicht tun. Leider bräuchten wir den Bund dafür.
Die selbsternannten Robin Hoods dieses Hauses führen immer ins Feld, dass sich diese Maßnahme insbesondere gegen junge Familien, die sich einen Hauswunsch erfüllen wollten, richten würde.
(Ralf Witzel [FDP]: Auch!)
Das sind dieselben, Herr Witzel, die uns heute Morgen hier empfohlen haben, Studiengebühren wieder einzuführen und die Gebührenfreiheit für das letzte Kindergartenjahr aufzuheben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte gerne von Ihnen diesen Widerspruch aufgeklärt bekommen, wie man das miteinander unter einen Hut kriegen kann. Ehrlich gesagt, die Hinweise von Ihrem Fraktionsvorsitzenden heute Morgen, der leider heute Nachmittag an der Debatte nicht mehr teilnehmen kann, fand ich da nicht besonders erhellend.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Alternativen liegen auf dem Tisch: Hier diejenigen, die Studiengebühren und Kitabeiträge wieder einführen wollen, auf der anderen Seite diejenigen, die nicht umhin kommen, die Grunderwerbsteuer zu erhöhen.
Ich will übrigens zu der letzten Debatte um die Grunderwerbsteuer noch eine Anmerkung hinzufügen: Weder im Wahlprogramm der FDP noch im Wahlprogramm der CDU für das Jahr 2012 war eine Rücknahme der entsprechenden Grunderwerbsteuererhöhung vorgesehen. Es kann ja sein, dass das 2017 anders ist. Aber die Rechnung für 2012 sah folgendermaßen aus: Grunderwerbsteuererhöhung plus Studiengebühren plus Rücknahme des beitragsfreien letzten Kindergartenjahres. Das ist keine Belastung von 400 Millionen €, Herr Witzel – Sie schütteln den Kopf –, das ist eine Belastung von 800 Millionen €,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
jedenfalls wenn man Schürmanns Rechenbuch mal heranziehen würde.
Die Kritik, die in der Anhörung vorgetragen wurde, hat neben dem Steuersatz vor allem die Frage der Struktur betroffen.
Deshalb haben wir einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht – einen Entschließungsantrag, der sich selbstverständlich nur im Hinblick auf eine Bundesratsinitiative verhalten kann, weil sowohl die Bemessungsgrundlage als auch mögliche Zu- und Abschläge auf den Grunderwerbsteuersatz Bundesrecht sind.
Ich will noch einen Punkt herausgreifen – weil das in der Tat ein besonderes Ärgernis ist –, dass nämlich unter dem Namen „Sharedeals“ eine legale Steuergestaltungsmöglichkeit vorliegt, die letztendlich großen Firmen mit großem Immobilienbesitz die Möglichkeit gibt, um die Grunderwerbsteuer herumzukommen.
Wir schlagen Ihnen unter Punkt 2 unseres Antrags vor, diese Steuergestaltungsmöglichkeit von Nordrhein-Westfalen aus infrage zu stellen und entsprechend zu beseitigen. Ich bin gespannt, wer gleich bei diesem Punkt zustimmen wird.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: Die Robin Hoods wollen auch die Kommunen hier teilhaben lassen. Ich mache auf Folgendes aufmerksam: Die Kommunen sind beteiligt – zunächst über den Stärkungspakt, danach wieder direkt über das GFG – in Höhe der 50 Millionen €, die auf sie entfallen, auf den Vier-Siebtel-Anteil an der Grunderwerbsteuer.
Besonders glaubwürdig ist es übrigens nicht, diese Beteiligung zu fordern, wenn man vorher als CDU und FDP in der eigenen Regierungszeit eben jene Kommunalbeteiligung abgeschafft hat. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Optendrenk.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs durch die Koalitionsfraktionen habe ich mich gefragt, warum eigentlich die Fraktionen diesen Schritt tun mussten. Warum mutet die Landesregierung den sie tragenden Fraktionen zu, diesen wachstumsfeindlichen, wohnungsbaupolitisch unsinnigen und sozialfeindlichen Gesetzentwurf vorzulegen? Warum zwingt man Herrn Herter auch noch, das in dieser Weise zu begründen?
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Ich kann nur spekulieren. Dass der Finanzminister ein Freund von Steuererhöhungen ist, das wissen wir aus einer Vielzahl von Debatten. Er hat aber die Initiative nicht ergriffen, sondern anschließend „Verständnis“ geäußert. Herr Minister, Sie werden das gleich sicher noch viel wortreicher wiederholen.
War es ihm möglicherweise auch unangenehm, dass man nach all den Wahlkämpfen rund um die Kommunalwahl, wo man gesagt hat: „Wir von Rot-Grün werden die Grunderwerbsteuer nicht erhöhen“, dann doch zu diesem Mittel gegriffen hat? Was war das denn so alles wert?
Vielleicht hätte man auch Schwierigkeiten im Kabinett gehabt; schließlich wissen der Wirtschaftsminister und der Bauminister ganz genau, welche Folgen das alles für Investitionen, für soziale Wohnraumförderung, für Wohnungsbaupolitik und für das Preisniveau hat. Dann hätte man möglicherweise einen sachlichen Konflikt im Kabinett aushalten müssen.
Oder hat man seitens Rot-Grün die Kolleginnen und Kollegen vor die Wahl gestellt, entweder in ihren Fachressorts, in ihren Facharbeitsgruppen konkrete Streichungsvorschläge im Haushalt zu machen, um die Mehrausgaben und die Mindereinnahmen aus den Steuern für 2015 zu kompensieren, oder doch lieber schweren Herzens „nur“ eine unangenehme Steuererhöhung zu verkünden?
Dabei ist es so, dass diese Grunderwerbsteuer immerhin um 30 % erhöht wird, und zwar zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren. Die Prozentpunkte hören sich dann so harmlos an. Aber wenn man sich die Anhörung noch einmal vor Augen führt und dann bedenkt, dass es um ganz konkrete Fragen geht – wie Kreditfinanzierung von kleinem Wohneigentum läuft, wenn man solche nicht anrechenbaren Zusatzlasten hat –, dann kommt man zu völlig anderen Ergebnissen als der Kollege Herter vorhin.
Klar ist: Die Grunderwerbsteuererhöhung ist wachstumsfeindlich. Nordrhein-Westfalen wächst schon heute mit seiner Wirtschaft und seiner Beschäftigung unterdurchschnittlich. Das hat viele, auch hausgemachte Gründe. Wenn das aber so ist, dann ist eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer eine weitere Belastung für Wachstum und Beschäftigung in unserem Land.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Die Grunderwerbsteuererhöhung ist auch baupolitischer Unsinn. Das schon in der ersten Debatte angesprochene „Bündnis für Wohnen NRW“ des Bauministers wird hier völlig konterkariert. Es wird das Gegenteil von „bezahlbar, generationengerecht und energieeffizient“ passieren, denn wenn der Häuslebauer das Geld am Schluss nicht mehr hat, dann wird das Haus nicht gebaut, oder er muss sich zusätzlich verschulden, oder die Energieeffizienz kommt nicht zustande, jedenfalls nicht so, wie wir uns das wünschen.
Die Grunderwerbsteuererhöhung ist zudem sozialpolitischer Unsinn; das hat die Kollegin Schneckenburger im Wirtschaftsausschuss eindrucksvoll deutlich gemacht; da sollten wir uns das entsprechende Ausschussprotokoll noch einmal anschauen.
Der Finanzminister führt dann seinerseits Klage darüber – wie der Kollege Herter das auch gemacht hat –, dass die Sache mit den Sharedeals eine Umgehung sei, die ethisch angreifbar sei. Da kann ich nur sagen: Herr Minister, Sie werden hier dem Plenum und der Öffentlichkeit noch einmal erklären müssen, wieso Sie im Aufsichtsrat der Portigon bei diesem Blackstone-Deal dafür gestimmt haben, eine solche Steuerumgehung zu machen, und warum Sie als Vertreter des Alleineigentümers Land Nordrhein-Westfalen nicht gesagt haben: Nein, Vorstand, das brauchst du nicht zu tun, das ist ethisch angreifbar und das wollen wir als Eigentümer nicht; darüber können wir als Eigentümer selbst entscheiden.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Das nenne ich einfach nur doppelzüngig, das ist im Grunde genommen die Entkleidung des steuerpolitischen Moralapostels. Diese Rolle, Herr Minister, ist heute ausgespielt. Sie haben nämlich die Verkleidung ausgezogen, und jetzt stehen Sie da als das, was Sie im Herzen mit all Ihren Äußerungen zu dem Thema „Was ist die Aufgabe des Staates, und wie viel sollen die Bürger dafür bezahlen?“ im Grunde immer waren – das haben Sie selbst auch offen gesagt –: Sie sind ein staatsgläubiger Steuererhöher.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Ihr Entschließungsantrag versucht das alles jetzt zu bemänteln. Im Kern wollen Sie allerdings gar nicht das, was darin steht. Sie wollen eigentlich nur eine Rechtfertigung dafür, dass es eine Mehrheit in Ihrer Koalition dafür gibt, es trotzdem zu machen, auch wenn Sie wissen, dass es falsch ist.
Bei dem Anliegen, Steuergestaltungsmöglichkeiten in Berlin zu reduzieren, haben Sie uns an Ihrer Seite. Dafür hätten Sie Ihren Entschließungsantrag aber nicht gebraucht. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Marc Herter [SPD])
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die grüne Fraktion hat das Wort nun Herr Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Optendrenk, ich glaube, wir müssen doch noch die eine oder andere Resolution oder Entschließung im Landtag machen. Ich richte am heutigen Tage nur den Blick nach Karlsruhe. Da hat die Bundesregierung eine Niederlage mit Ansage bekommen. Die Erbschaftsteuer ist nicht verfassungskonform. Die Ausnahmetatbestände bevorzugen in unzulässiger Weise die Erbenfolge bei Unternehmen. Und Sie unterstützen wiederum – trotz Ansage – in bedeutender Größenordnung nicht nur Besserverdienende, sondern Besservermögende, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Was hat das mit der Grunderwerbsteuer zu tun?)
Das unterscheidet uns in dieser Koalition massiv von dem, was Sie in Berlin steuerpolitisch so treiben.
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Was hat das mit der Grunderwerbsteuer zu tun? Ablenkungsmanöver!)
Dieser Haushalt von heute Morgen, um diese Zahl noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, ist mit einer Neuverschuldung von unter 2 Milliarden € der zweitbeste, den es in diesem Jahrtausend gegeben hat, um auf die großartigen Ankündigungen einzugehen, die hier im Raum üblich zu sein scheinen.
Ich will auch zu Ihrer Aussage „Soundso viele Leute waren in der Anhörung dagegen“ Stellung nehmen. Diejenigen, die sich dagegen ausgesprochen haben, waren samt und sonders Verbandsvertreter. Diejenigen, die nicht Verbandsvertreter waren, hatten keine Kritik an der Erhöhung des Grunderwerb-steuersatzes, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Zuruf von der CDU: Haben Sie nicht zugehört? – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist doch gar nicht wahr!)
– Alles gut? – Diejenigen, die nicht Verbandsvertreter waren, haben die Grunderwerbsteuererhöhung maximal in dem Punkt kritisiert, dass sie vielleicht nichts davon abbekommen. Ich bitte Sie allerdings auch, sich Folgendes noch mal ins Gedächtnis zu rufen, was massiv dem widerspricht, was FDP und CDU hier vortragen: Herr von Kraack hat eine ganze Menge zu dem gesagt, was 1982 und in den Folgejahren Fakt bei der Grunderwerbsteuer war. Denn die Ausnahmetatbestände, die Sie hier herbeireden, haben die Bemessungsgrundlage nicht in einer derartigen Art und Weise verändert. Damit war der damalige Steuersatz faktisch in der gleichen Größenordnung wie der heutige.
Insofern hätten wir natürlich lieber eine höhere Erbschaftsteuer von denen, die es sich eher leisten können, als die Grunderwerbsteuer zu erhöhen.
Ich bringe aber doch noch einmal folgendes Beispiel, das auch zur Wahrheit gehört: Wer vor zehn Jahren etwa eine Fremdfinanzierung in einer Größenordnung von 300.000 € hat vornehmen müssen, hat in den zehn Jahren danach insgesamt 90.000 € mehr an Zinsen gezahlt, als es bei vergleichbarer Liquidität und Bonität nach heutiger Zinslage der Fall wäre. Er wird jetzt einmalig zusätzlich mit einer Summe von maximal 4.500 € herangezogen.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP] – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist eine unglaubliche Rechnung! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das kann doch nicht wahr sein!)
Zur Wahrheit gehört auch – wir haben die Tabellen in der Anhörung gesehen, was EnEV und anderes betrifft –: Sie hatten versucht zu suggerieren, dass die Gesetze, die zum Klimaschutz, also zur Energieeinsparung, erforderlich und in aller Regel mit schwarz-gelber Mehrheit im Bund verabschiedet worden sind, so weit zu den Kosten beitragen, dass man sich eine Grunderwerbsteuererhöhung nicht auch noch leisten könnte. Diese Logik, Herr Kollege Witzel, müssen Sie mir vielleicht irgendwann auch noch erklären. Aber ich verzichte auch gerne darauf, weil ich Ihre Argumente mit Sicherheit auch nach Ihrem Vortrag nicht werde nachvollziehen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Grunderwerbsteuererhöhung ist notwendig, um möglich zu machen, dass wir in Bildung, in Schuldenabbau und in die Unterstützung der Kommunen investieren können. Diese Grunderwerbsteuererhöhung ist auch moderat und in diesen Zeiten angemessen. Insofern bitte ich darum, diesem Grunderwerbsteuersatz zuzustimmen.
Ich bitte auch, dem Entschließungsantrag zuzustimmen. Denn dass wir die Sharedeals vermeiden müssen, ist richtig. Aber auch dort, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, hätten Sie vielleicht in den vergangenen Jahren handeln können, als Sie in der Regierung waren.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ist ja auch unsere Idee und nicht Ihre!)
Sie kriegen immer nur Handlungsdruck, wenn Sie in der Opposition sind und an dem, was gesetzlich im Land vorgeht, nichts mehr tun müssen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist natürlich immer interessant, bei Steuererhöhungen zu schauen, wen sie treffen und wen nicht. Deshalb haben wir unseren Antrag bewusst frühzeitig vorgelegt, der mit Gegenstand der Anhörung war und deutlich gemacht hat, wer eigentlich Leidtragender dieser Erhöhung ist. Das sind natürlich allen voran Familien, Personen aus der Mitte unserer Gesellschaft, Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmer. Es sind eben nicht Hedgefonds, internationale Finanzanleger, Spekulanten, die sich in die Sharedeals stürzen.
Genau diese Praxis der Sharedeals gibt es ja nicht nur im Bereich der Privaten, sondern wird auch mit Vorliebe von Landesunternehmen hier in Nordrhein-Westfalen praktiziert. In der Debatte ist schon auf mehrere Gebäudeverkäufe bei der Portigon AG verwiesen worden, auf den alten WestLB-Fondsimmobilienbestand WestFonds, wo das mit Immobilienanlagegesellschaften auch so gemacht worden ist. Da wird Kunden das in zweistelliger Millionenhöhe gerne erspart, wo das Land selber am Markt Akteur ist und dieses Beispiel setzt. Deshalb ist es völlig unglaubwürdig, wenn Rot?Grün sich zu dieser Frage in der Art und Weise heute so betroffen äußert.
Das Zweite ist das, was immer mit dem angeblich so niedrigen Betrag beschrieben wird. Das sei ja mit den anderthalb Prozentpunkten – diese 30%ige Erhöhung – für eine kleine Wohnung vielleicht gerade mal ein Betrag von 5.000 € und bei einem Einfamilienhäuschen vielleicht von 7.500 €.
Das ist ja zunächst nur der primäre Grunderwerb-steuereffekt. Deshalb war es so interessant, von Experten aus der Praxis zu hören, was das in der Fortsetzung für die Immobilienfinanzierung heißt. Geld, das man zur Begleichung der Steuerschuld aufnimmt, ist selbstverständlich nichts, was eine Bank finanziert. Damit verschiebt sich der Zeitpunkt der Ansparphase für einen Immobilienerwerb, in der Zeit kann es zu Preissteigerungen kommen, die Höhe der Fremdfinanzierung steigt, sodass bei der Bank für das aufgenommene Geld ein höherer Zinssatz zu zahlen ist.
Von Praktikern, die diese Baufinanzierung machen, sind die Rechnungen im Landtag vorgestellt worden. Sie freuen sich, wenn sie Kunden und möglichst viele Leute für Bauvorhaben gewinnen, weil es ihr Geschäft ist, und haben mit den Programmen, die sie auch sonst geschäftlich anwenden, nachgerechnet und festgestellt: In der Konsequenz ist man schnell bei mehr als 20.000 €, weil das, was nachher wirtschaftlich zu tragen ist, drei oder vier Mal so viel ist wie der nominelle Steuererhöhungsbetrag.
(Beifall von der FDP)
Deshalb ist diese Initiative eigentlich gegen all das, was Rot-Grün politisch ansonsten kommuniziert. Sie ist gegen Ihre städtebaulichen Ziele, die Sie proklamieren, sie richtet sich gegen Ihre Absicht zur Modernisierung des Wohnungsbestandes, hier Investitionen zu generieren. Selbstverständlich verstärkt sie auch die Tendenz, in Randlagen von urbanen Milieus zu gehen, weil da der Grund und Boden noch ein wenig günstiger ist, womit wieder höhere Wegekosten anfallen. Insofern erreichen Sie mit dieser Erhöhung des Grunderwerbsteuersatzes faktisch Verhaltensänderungen bei den Menschen, die genau dem widersprechen, was Sie ansonsten gerne als Politik kommunizieren.
(Beifall von der FDP)
Daher sollte gerade die SPD ein Problem mit dieser Initiative haben. Dass die Grünen für jede Steuererhöhung, die sie vollziehen können, immer glücklich sind, ist bekannt. Man muss ja nur in das letzte Wahlprogramm schauen. Aber dass die SPD hier so gleichgültig dasteht, was die Frage der Vermögensbildung von Arbeitnehmerhaushalten angeht, was das Verständnis dafür angeht, dass Menschen, die hart gearbeitet haben, die etwas geleistet haben, irgendwann den Wunsch nach eigenen vier Wänden haben, und das in einem Land, in dem die Wohneigentumsquote mit am geringsten ist, stimmt bedenklich. Sie ist in Nordrhein-Westfalen geringer als in anderen Bundesländern, und sie ist deutschlandweit geringer als in sehr vielen anderen EU-Ländern.
Wir sind hier ein Land der Mieter. Wir als FDP-Landtagsfraktion möchten das ändern, weil wir der Auffassung sind, dass Menschen Vermögensbildung betreiben sollen. Das ist die wichtige Vorsorge auch für das Alter. Wer etwas geleistet hat, soll auch zukünftig die Perspektive haben, in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Deshalb lehnen wir Ihre Grunderwerbsteuererhöhung ab. Wir werden das morgen in der dritten Lesung ausführlicher diskutieren.
(Beifall von der FDP)
Bis dahin haben Sie noch Nachdenkzeit, Ihre Argumente zu ändern. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Grunderwerbsteuer erhöhen: Wir beraten hier ein Gesetz, welches ein weiterer Bestandteil des Finanz-Tetris dieser Landesregierung sein wird. Löcher müssen gestopft werden. Wo diese Löcher genau sind, weiß man nicht, aber Hauptsache ist, dass die Tetrisklötze herunterfallen. Das ist in diesem Fall das erwartete Volumen von 400 Millionen € jährlich an erhöhter Grunderwerbsteuereinnahme.
Der Kollege Herter hat es vorhin erwähnt, nämlich den Dreiklang der Landesregierung, bestehend aus der Verbesserung der Einnahmenseite, der Konsolidierung der Ausgabenseite, aber insbesondere der Investitionen. Es bleibt dabei, wie ich schon in der ersten Lesung zum Haushalt sagte: Es ist ein Missklang und wird einer bleiben. Er wird jetzt nur ersetzt durch ein „Augen zu und durch“ seitens der regierungstragenden Fraktionen im Hinblick auf die Einnahmenseite. Die Politik hat an dieser Stelle versagt, sonst würde es nicht zu dieser Grunderwerb-steuererhöhung kommen müssen.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Mit anderen Worten: Sie kommen einfach von diesem Missklang nicht los. Wie man unlängst hören und lesen konnte, ist es ja sogar innerhalb der die Regierung tragenden Fraktionen, die diesen Gesetzentwurf vortragen, zu erheblichen Auseinandersetzungen und Streit gekommen bis hin zum Rücktritt des haushalts- und finanzpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, der sich nun, egal vor welchem Presseorgan, hingestellt und deutlich gemacht hat, wie er und seine Mitstreiter innerhalb seiner Fraktion zu dieser Grunderwerbsteuerinitiative stehen; die Zeichen stehen nämlich auf glatte Ablehnung. Wir werden angesichts der namentlichen Abstimmung, die hier beantragt ist, sehen, wie es ausgeht.
21 von 23 Sachverständigen haben in der Anhörung zum Gesetz über die Grunderwerbsteuererhöhung gesagt, dass sie es ablehnen. Das mögen Verbandsvertreter sein,
(Ralf Witzel [FDP]: Nicht nur!)
aber all diese Verbandsvertreter, lieber Kollege Witzel, stehen für Zigtausende Menschen und Unternehmen in diesem Land, und das scheint hier vergessen zu werden.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Sie lernen es einfach nicht, wie das funktioniert. Das haben wir ja schon bei der Besoldungsanpassung gemerkt. Da haben Sie auch von 21 Sachverständigen gehört: verfassungswidrig. – Und was haben Sie gemacht? Sie haben das Gesetz durchgepeitscht. Vom Besoldungsdesaster ins Verfassungsdesaster und vom Kassendesaster des Landes in die Grunderwerbsteuererhöhung! Herzlichen Glückwunsch, liebe Landesregierung, dass Sie in dieser Form von den Sie tragenden Fraktionen vor sich her getrieben werden.
Ich glaube Ihnen, Herr Finanzminister, wenn Sie sagen: Ja, Sharedeals müssen plattgemacht werden. Das Stopfen von Steuerschlupflöchern ist eine Sache, wie wir es in drei verschiedenen Ausschusssitzungen nachhaltigst gefordert haben, nämlich dass wir sagen: Grunderwerbsteuerumgehungstatbestände müssen eliminiert werden, andernfalls ist eine Grunderwerbsteuererhöhung in Nordrhein-Westfalen nicht durchführbar.
(Beifall von den PIRATEN – Marc Herter [SPD]: Doch!)
Das können Sie den Menschen hier im Lande nicht mehr verkaufen. Bereits im Jahr 2013 haben wir Sie im Zusammenhang mit den Lizenzboxen aufgefordert: Stopfen Sie diese Modelle! Sie haben dazu am 20. November 2013 einen Entschließungsantrag gestellt, in dem Sie angekündigt haben, dafür zu sorgen, dass das geschieht. Jetzt berufen Sie sich immer auf OECD-BEPS. Aber in Bezug auf die Schließung von Steuerschlupflöchern können Sie sich nicht mehr darauf berufen. Das ist eine rein nationale Angelegenheit. Und im Hinblick auf die rein nationalen Angelegenheiten, Herr Finanzminister, haben Sie angekündigt, dass Sie notfalls den Alleingang nach Berlin wagen werden.
Gut, das besagt jetzt der Entschließungsantrag. Der Kollege Herter hatte es letzte Woche im Haushalts- und Finanzausschuss auf mein Anraten hin, sage ich jetzt mal, in Aussicht gestellt. Vielen Dank, liebe SPD. Dies liegt jetzt zum Teil im Entschließungsantrag vor. Er geht aber natürlich wieder einmal über die klare Kante hinaus, zu sagen: Wir machen das Ding dicht. Stattdessen vermischen Sie das wieder mit irgendwelchen Strukturänderungen im Bereich der Grunderwerbsteuer: Da müssen wir mal gucken, und eventuell. Einmal klare Kante! Einmal sagen: Wir gehen nach Berlin! Einmal sagen: Wir gehen in den Bundesrat! Und einmal sagen: Wir stopfen die Schlupflöcher!
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Marc Herter [SPD]: Sie müssen nur unserem Antrag zustimmen!)
Aber diese Lippenbekenntnisse brauchen wir nicht mehr. Deswegen haben wir in unserem Entschließungsantrag gesagt: Machen, machen! Vor allen Dingen soll auch gemacht werden, dass die Landesregierung ihre Aufsichtspflicht gegenüber den landeseigenen Betrieben wahrnimmt und dafür Sorge trägt, dass nicht in zig-millionenfacher Höhe landeseigene Betriebe in Nordrhein-Westfalen die Grunderwerbsteuer umgehen bzw. Erwerbsvorgänge durchführen, die dazu führen, dass Grunderwerbsteuer nicht bezahlt werden muss. Das ist moralisch, ethisch und landespolitisch – aber auch haushalts- und finanztechnisch – verwerflich. Üben Sie Ihre Mandate einmal so aus, und verstecken Sie sich nicht immer hinter irgendwelchem Aktienrecht! Das geht so in Nordrhein-Westfalen einfach nicht. Das verstehen die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen nämlich auch nicht!
Von daher werden wir leider Gottes dem Entschließungsantrag der SPD nur mit Enthaltung begegnen können, insofern, als wir die Ziffer 1 ablehnen –
(Zuruf von Marc Herter [SPD])
es sei denn, lieber Herr Kollege Herter, sie lassen über die Ziffern 1 und 2 getrennt abstimmen.
(Zuruf von Marc Herter [SPD]: Wollen Sie das?)
– Ja, das wollen wir. Dann wären wir selbstverständlich, was Ziffer 2 angeht, bei Ihnen. Ich gehe davon aus, dass Sie im Hinblick auf unseren Entschließungsantrag, den wir gleichermaßen vorgelegt haben, mit dabei sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. – Nun spricht für die Landesregierung der Finanzminister, Herr Dr. Walter-Borjans.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition leistet sich hier heute eine interessante Arbeitsteilung. Die Piraten glänzen dadurch, dass sie Anträge in dreistelliger Millionenhöhe stellen, um die Ausgaben zu erhöhen. Die FDP hat immer neue Ideen, wie man die Einnahmen senken kann. Die CDU hat meistens für beides gute Ideen.
Wenn man sich dann anguckt, wie im Einzelnen aussieht, was die FDP beispielsweise unter Sparmaßnahmen versteht, kann man sich auf der Zunge zergehen lassen, was heute Morgen von ihr für den Haushalt vorgelegen hat. Da ging es um Einsparungen von insgesamt 760 Millionen €. Davon waren 500 Millionen € zusätzliche globale Minderausgaben. Hochinteressant! Das ist genau das, was Sie bisher immer kritisiert haben.
Es ist dann vergessen worden, dass die Studiengebühren, die man wieder einführen will, und die Kindergartenbeiträge im Jahr 2015 nur zur Hälfte hereinkommen würden. Also würden 200 Millionen € fehlen. Wenn man dann noch sieht, dass noch 65 Millionen € an Mindereinnahmen erreicht werden sollen, kommt am Ende heraus, dass die vielen schönen Anträge 5 Millionen € mehr gekostet hätten. So viel zu den Vorschlägen der Opposition, insbesondere der FDP.
Dazu sagen wir jetzt ganz klar: Wenn wir es hinkriegen wollen, Handlungsfähigkeit zu beweisen und zu konsolidieren, muss man sich ernsthaft mit Einsparmöglichkeiten beschäftigen, dann muss man sich auch mit der Einnahmenseite beschäftigen. Wir kämpfen für einen gerechteren Länderfinanzausgleich; aber wir wissen auch, dass wir da über 2020 und die folgenden Jahre reden. Wir sprechen darüber, dass wir auch jetzt auf dem Weg zur Schuldenbremse die Aufgaben des Landes erledigen und gleichzeitig die dafür notwendigen Einnahmen erreichen müssen.
Es wurde die Erbschaftsteuer angesprochen. Ich fand hochinteressant, was für eine Klatsche das heute vom Bundesverfassungsgericht für eine Kanzlerin war, die den Rechtsstaat in Gefahr sieht, wenn das Verfassungsgericht gegen uns entscheidet.
(Beifall von der SPD)
Es war die CDU/CSU, die das Erbschaftsteuerrecht so verwässert hat – das muss man sich auch einmal auf der Zunge zergehen lassen –: Im Jahre 2009 hatten wir für insgesamt 3,5 Milliarden € Erbschaften und Schenkungen, die der Nullbesteuerung unterlagen. Im Jahr 2013 waren es nicht mehr nur 3,5 Milliarden €, sondern 25 Milliarden €, die nicht mehr versteuert worden sind. Das sind die Ecken und Enden, an denen Sie nicht für Einnahmen gesorgt haben, die bitter nötig wären, um die Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden zu erledigen.
Wir wollen das nicht machen, indem wir durch die Hintertür wieder Eltern und junge Menschen belasten, die studieren wollen. Wir wollen keine Studiengebühren und keine Kindergartenbeiträge für das letzte Kindergartenjahr.
Im Übrigen haben wir schon einen ganz wichtigen Schritt gemacht. Wir haben die Cash-GmbHs geschlossen. Auch das geschah gegen großen Widerstand vor allen Dingen der FDP in der damaligen Bundesregierung, die die Möglichkeit offenhalten wollte, dass von Unternehmen Kunstgebilde konstruiert werden können, damit die Erbschaftsteuer nicht bezahlt werden muss.
Ich komme jetzt zu den Sharedeals. Es ist richtig, dass ich gesagt habe: Egal wer davon Gebrauch macht – anständig ist es nicht. Es ist aber legal. Das ist schlimm genug. Wie ist denn das zustande gekommen? 1999 wurde, was die Übernahme von Unternehmen angeht, die Regelung eingeführt dass beim Verkauf mindestens 5 % beim Verkäufer bleiben mussten, um von der Steuer befreit zu werden. Ich möchte aber einmal darauf hinweisen: Bis dahin reichte es schon, wenn 1 % beim Verkäufer blieb. Das ist doch der Unterschied.
Ich kann nur sagen, dass ich sehr glücklich darüber bin, heute erfahren zu haben, dass ich, wenn wir jetzt Vorstöße unternehmen, das enger zu gestalten, dann absolut mit Ihrer Unterstützung rechnen kann. Das freut mich, und ich werde darauf zurückkommen. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Sie haben so eindrucksvoll gesprochen, dass Herr Witzel eine Kurzintervention angemeldet hat. Dem wird stattgegeben. Es spricht auch nichts dagegen. Herr Witzel, Sie haben 90 Sekunden für Ihre Kurzintervention, und dann hat der Minister die Möglichkeit, zu antworten.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Minister Dr. Walter-Borjans, ich will genau auf den letzten Aspekt noch einmal eingehen, nämlich auf das Thema „Sharedeals“, das Sie hier angesprochen haben.
Wir können wahrscheinlich beide gemeinsam feststellen, dass diese Lösungen für Zwecke, für die sie sicherlich ursprünglich nicht gedacht waren, benutzt werden – und zwar von einem kleinen Kreis derer, die sich diese Konstruktionen leisten können. Dabei geht es um das Volumen von Objekten. Das bietet nämlich kein Bauträger irgendeinem privaten Käufer an.
Deshalb möchte ich Ihnen nur die Frage stellen: Steigern Sie, wenn Sie jetzt den Steuersatz von 5 % auf 6,5 % erhöhen, dadurch die Attraktivität, verstärkt auf solche Sharedeal-Konstruktionen zurückzugreifen, oder nicht?
Ich frage Sie das deshalb, weil die Sachverständigen hier im Landtag untersucht und vorgetragen haben, wie sich die erste Grunderwerbsteuererhöhung am Beispiel des Düsseldorfer Wohnungsmarktes nach Gutachterausschuss entwickelt hat.
Bei Sharedeals gibt es eine Steigerung um mehrere Hundert Prozent. Denn bereits durch die letzte Erhöhungsstufe sind die Transaktionskosten, die diese verschachtelten Konstruktionen mit fünf Jahre später erfolgender Übertragung mit sich bringen, umso attraktiver, je höher der Steuersatz wird. Wie stehen Sie zu dem Komplex?
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Meine Erfahrung mit Steuerhinterziehung und Steuervermeidung in den vergangenen Jahren hat zu dem eindeutigen Ergebnis geführt, dass diejenigen, die geradezu besessen davon sind, Steuern zu umgehen oder zu hinterziehen, davon Gebrauch machen, sobald sie einen Euro sparen können. Dabei ist es vollkommen egal, wie hoch die Steuersätze sind. Das können Sie auch im internationalen Umfeld beobachten.
Schließlich ist es nicht so, dass es in den USA oder in anderen Ländern weniger Steuerhinterziehung gibt, wenn die Steuersätze niedriger sind. Vielmehr geht es um Folgendes: Solange solche Leute Steuern sparen können, tun sie alles dafür, was möglich ist.
Ich bin sicher, dass sich der von Ihnen angesprochene Effekt nicht gezeigt hat. Das kann man auch an der Entwicklung der Einnahmen durch die Grunderwerbsteuer in Nordrhein-Westfalen auch nach der Erhöhung und anderswo ablesen.
Tatsache ist aber – darauf möchte ich noch einmal verweisen –, dass wir die Maßnahmen, von denen einige Gebrauch machen, erschweren sollten. Wir werden Vorstöße in diese Richtung unternehmen, und dann werde ich wieder auf Sie zukommen.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Vorher möchte ich noch auf das hinweisen, was wir vereinbart haben.
Die FDP-Fraktion hat eine dritte Lesung des vorgenannten Gesetzentwurfs beantragt. Nach Art. 78 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung findet eine dritte Lesung auf Antrag einer Fraktion oder eines Viertels der Mitglieder des Landtages statt. Der Antrag muss vor Schluss der Beratung der zweiten Lesung schriftlich bei der Präsidentin eingereicht werden. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD – gerne auch umgekehrt – haben mit Schreiben vom 17. Dezember beantragt, die dritte Lesung am morgigen Donnerstag, den 18. Dezember, im Anschluss an die bisher vorgesehene Tagesordnung durchzuführen. Ich sehe keinen Widerspruch. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir so verfahren.
Ich weise bereits heute darauf hin, dass – das wurde eben bereits erwähnt – sowohl die Fraktion der CDU als auch die Fraktion der FDP zur Schlussabstimmung eine namentliche Abstimmung beantragt haben. Diese werden wir dann entsprechend nach der dritten Lesung durchführen. Im Anschluss daran werden dann auch die Entschließungsanträge zur Abstimmung gestellt.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7554, den Gesetzentwurf Drucksache 16/7147 unverändert anzunehmen. Deshalb stimmen wir über den Gesetzentwurf selbst ab. Wer stimmt dem Gesetzentwurf zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/7147 in zweiter Lesung mit Mehrheit im Hohen Haus angenommen.
6 12. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der
SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6125
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/7555
Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Herter für die SPD-Fraktion das Wort.
Marc Herter (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Machen wir es kurz: Wir hatten gemeinsam einen Gesetzentwurf auf die Reise geschickt, der es unmöglich machen soll, sehr nahe Angehörige als Mitarbeiter von Abgeordneten zu beschäftigen und aus der Mitarbeiterpauschale zu bezahlen. Die antragstellenden Fraktionen haben das auf die Verwandten bis zum dritten Grad bezogen.
Mit dem Gesetzentwurf, der heute zur Schlussabstimmung vorliegt, gehen wir einen Weg, der die Finanzierungsverbote deutlich ausweitet. Ich denke, das ist angesichts der Debatten, die insbesondere aus Bayern zu uns herübergeschwappt sind, notwendig, aber in der vorliegenden Form auch ausreichend.
Durch einen gemeinsamen Änderungsantrag aller Fraktionen haben wir noch zwei technische Details geregelt, die diejenigen unter uns betreffen, die entweder eine anderweitige Krankenversicherung bzw. einen Beamtenstatus hier im Hause haben und in ihren vorher ausgeübten Beruf zurückkehren.
Ich bedanke mich ganz herzlich dafür, dass wir diese kleineren technischen Änderungen im Schlussverfahren im Hauptausschuss noch vornehmen konnten und empfehle Ihnen die Zustimmung zu dieser Änderung des Abgeordnetengesetzes. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herter. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Lienenkämper.
Lutz Lienenkämper (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Herter hat die Inhalte des Gesetzentwurfes zutreffend geschildert. Ich ergänze noch, dass es gelungen ist, gemeinschaftlich die Regelung für Beamte, die während der Zeit als Abgeordnete natürlich nicht im Beamtenverhältnis sind, und danach entweder wieder in dieses zurückkehren oder vielleicht auch nicht wieder zurückkehren, der in diesem Zusammenhang neu ergangenen Rechtsprechung anzupassen. Auch das sind Bestandteile unserer Änderungen, die wir heute miteinander beschließen.
Im Ergebnis handelt es sich in dem heute zu beschließenden Komplex um etwas, das in Anbetracht der Debatten in Bayern notwendig war. Wir haben es maßvoll geregelt, indem wir den vierten Grad richtigerweise nicht betrachtet haben. Das wäre nicht lebenspraktisch gewesen. Wir haben bei den Überkreuzbeschäftigungen, glaube ich, klug und lebensnah agiert, die engen Verwandtschaftsverhältnisse aber richtigerweise ausgeschlossen.
Insofern ist der Gesetzentwurf aus unserer Sicht im Ergebnis notwendig, ausreichend und zustimmungsfähig. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lienenkämper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dem Abgeordnetengesetz ist inhaltlich schon ausgeführt worden. Wir haben damit die Aufgaben abgeschlossen, die wir uns zu den Transparenzregeln und auch zu den Regeln, was die Mitarbeiterschaft angeht, gemeinsam vorgenommen hatten. Es ist ein gutes Signal, dass wir mit dem abgeschlossenen Vorhaben direkt in das neue Jahr starten können. – Ich danke für all die gemeinsamen Beratungen und bitte, entsprechend zu beschließen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Nun spricht für die FDP Frau Freimuth.
Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es an dieser Stelle auch für die FDP-Fraktion kurz und knapp halten, weil die Kollegen in der Tat schon einiges ausgeführt haben.
Ich werbe noch einmal sehr um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, den ich für angemessen halte. Das will ich gerade in Richtung der Kollegen von den Piraten adressieren. Denn bei der Frage von Tätigkeitsverboten nehmen wir eine Grundrechtsabwägung vor, und indem wir den dritten Verwandtschaftsgrad einbeziehen, treffen wir eine angemessene Regelung. Wenn man noch weitere Verwandtschaftsverhältnisse aufnehmen würde, dann käme man mit Blick auf Art. 12 in eine grundrechtliche Problematik. Insofern halte ich die von uns vorgeschlagene Regelung für sachangemessen und bitte um Zustimmung. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Freimuth. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Marsching.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Tribüne und zu Hause! Worum es geht, haben die anderen Fraktionen wieder einmal vorweggenommen: den Umgang mit öffentlichen Fördermitteln für persönliche Mitarbeiter, die Möglichkeit, Budgets auch zeitversetzt zu nutzen, und das Verbot der Beschäftigung von Verwandten dritten Grades. – Ich möchte jetzt nicht die ganze Historie wiederholen. Wen das interessiert, der kann sich gerne auf unserer Webseite versorgen oder im entsprechenden Plenarprotokoll vom 10. Juli 2013 nachlesen. Ein wenig Kritik muss ich trotzdem anbringen.
Erste Kritik: Es gibt einen Entschließungsantrag der vier anderen Fraktionen vom 3. Juli 2013, den wir im Plenum beschlossen haben. Da steht auf der zweiten Seite, dass die Änderungen des Abgeordnetengesetzes in den Punkten „Transparenz von Nebentätigkeiten“ und „Verbot der Bezahlung Familienangehöriger aus der Pauschale für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ aus einem Guss entwickelt werden sollen. Inzwischen haben wir das 9., das 10., das 11. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes verabschiedet – zuletzt ging es um die Verhaltensregeln –, und jetzt sind wir beim 12. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, meine Damen und Herren. Aus einem Guss sieht anders aus.
(Beifall von den PIRATEN)
Frau Kollegin Beer, ich habe es schon einmal in der Plenarrede zu unserem Nebentätigkeitenantrag gesagt und wiederhole es gerne: Wer sagt, es sei gute Praxis, gemeinsam an Änderungen des Abgeordnetengesetzes zu arbeiten, der muss sich fragen lassen, warum auf Ihrem Entwurf nur vier Fraktionen stehen und die Piraten weder gefragt noch eingebunden wurden.
Zweite Kritik: Auf der zweiten Seite des Entschließungsantrags steht „aus einem Guss“. Ich habe es schon gesagt: Die getrennten, nacheinander folgenden Gesetzentwürfe sind nicht aus einem Guss.
Die dritte Kritik: Statt bis zum vierten Grad – es wurde gerade schon angesprochen – wird hier wieder nur bis zum dritten Grad eine Beschäftigung ausgeschlossen. Realistisch gesehen sind das übrigens die eigenen Urenkel, Tanten und Onkel, Nichten und Neffen. Wenn Sie schon eine Idee kopieren – wir finden es ja gut, dass Sie das gemacht haben –, dann bitte richtig. Denn wer den Menschen da draußen erzählen möchte, dass er Vetternwirtschaft unterbinden will, der muss auch Cousins – altdeutsch: Vettern – und Cousinen von der Beschäftigung ausschließen.
Wir hätten gerne noch ein paar Änderungsanträge geschrieben, es juckte mir echt in den Fingern. Aber ich habe es dann gelassen; denn das Gesetz soll ja hier nicht diskutiert werden. Der Wille ist überhaupt nicht zu erkennen.
(Zuruf von Marc Herter [SPD] – Zuruf von der CDU)
– Wenn Sie das hier als Diskussion zum Gesetzentwurf ansehen, dann weiß ich auch, warum wir weder in der Entstehungsphase angesprochen wurden noch in irgendeiner Form auf uns zugegangen wurde. – Aber danke für die Klarstellung.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ich weiß, Sie denken, dass der Spuk bald vorbei ist. Sie machen jetzt die letzte Änderung, und dann haben Sie es geschafft.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wie lange ist das jetzt im Verfahren, Herr Marsching? Haben Sie da geschlafen, oder was?)
Aber glauben Sie mir: Mit der Beschäftigung von Verwandten anderer Mitglieder des Landtags als persönliche Mitarbeiter, als Mitarbeiter in Fraktionen, mit der Bestimmung über die Verwendung der Pauschalen, mit Regelungen zur Offenlegung der Verwendung und vielem mehr werden wir Sie noch weiter beschäftigen. Denn die Menschen – das weiß ich mit Sicherheit – haben die Piraten in den Landtag gewählt, damit wir genau diese Fragen stellen, um möglichen Mief sichtbar zu machen, um weitere Patches für ein #KrankesSystem zu finden. Der Spuk, meine Damen und Herren, ist noch lange nicht vorbei. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der CDU: Der Spuk ist 2017 vorbei!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7555, den Gesetzentwurf Drucksache 16/6125 in der so geänderten Fassung anzunehmen. Wer stimmt dem so zu? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion enthält sich. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7555 bei Enthaltung der Piratenfraktion einstimmig angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5413 – Neudruck
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/7579
Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7619
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7629
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7630
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4155
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/7578
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Wolf das Wort.
Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen zweiten Lesung beraten wir ein zentrales Gesetzgebungsvorhaben der Rechtspolitik in Nordrhein-Westfalen. Mit der Föderalismusreform 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer übertragen worden. Wir können sicher sein, dass die anderen Bundesländer mit großer Aufmerksamkeit darauf schauen, wie das größte Bundesland künftig seinen Strafvollzug regeln und organisieren wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn im Namen des Volkes ein Urteil gesprochen wird und ein Straftäter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, ist dies die härteste Sanktion, die unser Rechtsstaat kennt – der Entzug der Freiheit. Dabei geht es nicht darum, den Täter an den Pranger zu stellen oder zu demütigen. Vielmehr richtet sich das Strafmaß nach dem, was tat- und schuldangemessen ist. Der anschließenden Haftzeit kommt eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie soll die Tat sühnen, aber zugleich auch verhindern, dass sich Taten wiederholen.
Auf Grundlage der im Februar 2012 beschlossenen Leitlinien hat die Landesregierung einen Gesetzentwurf erarbeitet und vorgelegt, den wir im Parlament, begleitet durch eine Anhörung, sehr ausführlich in zahlreichen Sitzungen des Rechtsausschusses diskutiert haben.
Im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs steht der Gedanke des aktivierenden Strafvollzugs. Während der Haft sollen die Täter sich mit ihrem Leben nach der Haft auseinandersetzen. Wir erwarten daher einen harten Einsatz der Insassen, an sich zu arbeiten und sich gegebenenfalls beim Opfer zu entschuldigen, und zwar nicht nur, um die Tat aufzuarbeiten, sondern auch, um künftig Taten zu verhindern. Wir verlangen also viele Anstrengungen von den Insassen.
Wir haben eine Reihe von Maßnahmen in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben, die dazu dienen sollen, dass die Resozialisierung gelingt. Ich will ein paar Stichworte nennen: eine sozialtherapeutische Behandlung, eine gute Entlassungsvorbereitung, ein funktionierendes Übergangsmanagement und mehr Besuchszeiten für minderjährige Kinder inhaftierter Eltern, um die sozialen Kontakte, die bestehen, auch zu erhalten.
Ein ganz wichtiger Punkt sind schulische und berufliche Qualifikationen. Dies beinhaltet ausdrücklich auch die in dem von Ihrer Fraktion gerade auf den Tisch gelegten Änderungsantrag geforderte Möglichkeit, ein Studium abzuschließen, wenn die Eignung dafür vorliegt, Herr Kollege Schulz. Das ist aber nicht das Hauptproblem, glaube ich. Wie Sie aus den Besuchen in den Anstalten wissen, müssen viele Insassen zunächst einmal lesen und schreiben lernen. Sie nehmen an den sogenannten Liftkursen teil und haben dann die Möglichkeit, darauf aufbauend Schulabschlüsse zu machen und eine Berufsausbildung anzustreben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles sind wichtige Ziele. Diese Ziele dienen dem Schutz der Allgemeinheit. Sie sind auch alle von den Experten in der Anhörung durchweg begrüßt worden – unabhängig davon, ob sie aus der Wissenschaft oder aus der Praxis kamen.
Zu Beginn steht eine ausführliche Diagnostik, um sich ein sehr umfängliches Bild vom Insassen machen zu können. Auf dieser Grundlage wird ein Vollzugsplan entworfen, und zwar gemeinsam mit dem Strafgefangenen. Dieser Vollzugsplan wird fortgeschrieben. Das alles mündet am Ende in einen Schlussbericht, um das, was in der Haftzeit mit dem Gefangenen gemacht wurde, auch an die Stellen weiterzugeben, die sich weiter mit dem Entlassenen beschäftigen. Das ist insbesondere auch von den Bewährungshelfern ausdrücklich begrüßt worden.
Den Opfern einer Tat kommt in dem neuen Gesetz ein ganz besonderer und bisher auch nicht gekannter Stellenwert zu. Der Vollzug wird sich künftig opferbezogen gestalten – sei es bei der Tataufarbeitung, beim Täter-Opfer-Ausgleich oder bei der Frage von Lockerungen. Dort sollen die Opfer frühzeitig eingebunden und auch informiert werden. Ein Experte, den wir immer wieder gerne zitieren, bezeichnete den opferbezogenen Vollzug als einen Höhepunkt des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Fraktionen herzlich für die sachliche Diskussion bedanken, insbesondere aber auch beim Ministerium für die hervorragende Zusammenarbeit. Die SPD-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf gerne zustimmen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Wolf. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Kamieth das Wort.
Jens Kamieth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der hier vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung weist im Hinblick auf die Themenbereiche „Opferschutz“ und „Übergangsmanagement“ Parallelen zu dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion auf.
(Sven Wolf [SPD]: Also ist er gut?)
Nicht zuletzt aus diesem Grunde möchte ich noch einmal betonen, dass unser Gesetzentwurf bereits sehr viel länger vorliegt.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Dann nehmen wir beide!)
Herr Kollege Wolf, deshalb bin ich nicht sicher, ob die anderen Bundesländer wirklich so gespannt auf Nordrhein-Westfalen schauen. Es gibt einige Bundesländer, die ihre Vollzugsgesetze schon lange erlassen haben.
(Beifall von Christina Schulze Föcking [CDU])
In den meisten anderen Punkten unterscheiden sich die beiden Gesetzentwürfe deutlich voneinander. Lassen Sie mich an einigen Beispielen erläutern, warum allein der Entwurf der CDU Ihre Zustimmung verdient.
Bereits die Länge des Änderungsantrages der FDP-Fraktion vom heutigen Tage macht deutlich, wie schlecht der Gesetzentwurf der Regierung ist.
Auch die Fraktion der Piraten hatte in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses ja noch Zeit für Gespräche erbeten. Diese Zeit wurde ausdrücklich zugesprochen. Es eile ja nicht, das könne man auch im nächsten Jahr noch beschließen. Plötzlich ist es doch auf der Tagesordnung mit einem jetzt noch kurzfristig hereingereichten Änderungsantrag der Piraten. Wäre die Landesregierung von ihrem Werk überzeugt gewesen, hätte sie es nicht so eilig gehabt und würde die Gespräche nicht fürchten.
(Beifall von der CDU)
Im Hinblick auf Sicherheit und Ordnung in den Anstalten gehen die Vorstellungen der beiden Gesetzentwürfe erheblich auseinander. Zum einen werden die technisch verfügbaren Hilfsmittel im Strafvollzug nicht in dem Maße nutzbar gemacht, wie es möglich wäre, beispielsweise die optische Überwachung und der Fußfesseleinsatz. Zum anderen werden die Disziplinarmöglichkeiten gegenüber renitenten Gefangenen sogar geschwächt, indem die zulässige Höchstdauer von drei Monaten auf vier Wochen verkürzt wird, beispielsweise bei der Beschränkung des Fernsehempfangs, bei der Beschränkung des Einkaufs, dem Entzug von Gegenständen usw.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung den Belangen der Gefangenen deutlich höheres Gewicht beimisst als den Belangen der Allgemeinheit.
(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Nein!)
Für die CDU-Fraktion ergibt sich das Bestmögliche an Sicherheit für die Gesellschaft dadurch, dass ein stringenter Strafvollzug auf der einen Seite und eine optimale Resozialisierung auf der anderen Seite quasi als zwei Seiten einer Medaille anzusehen sind.
(Beifall von der CDU)
In der Anhörung im Juni ist deutlich geworden, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung vor allem bei den Vollzugsbediensteten auf Vorbehalte stößt. Damit fehlt dem Gesetzentwurf bereits die Akzeptanz derjenigen, die ihn später anwenden sollen.
Wörtlich hat der Bund der Strafvollzugsbediensteten in seiner Stellungnahme etwa den Verzicht auf eine durchgehende Videoüberwachung bei entsprechender Indikationslage als „weltfremd“ oder die Grundsätze der künftigen Vollzugsgestaltung als „maßlos überfrachtet“ kritisiert.
Deutlich wurde außerdem, dass dem Gesetzentwurf der Landesregierung insgesamt ein zwar durchaus anspruchsvolles Vollzugskonzept zugrunde liegt, das mit den Ressourcen aber nicht umsetzbar ist. Ich zitiere dazu den Leiter der JVA Bielefeld-Senne Herrn Uwe Nelle-Cornelsen:
„Dieses Gesetz ist personalintensiv und bedarf an vielen Stellen räumlicher und finanzieller Ressourcen …“.
Wie wir alle wissen und heute Morgen erörtert haben, sind die Ressourcen vor allem in diesem Land allerdings sehr, sehr knapp. Die Landesregierung bürdet den Vollzugsbeamten damit Aufgaben auf, die sie faktisch gar nicht leisten können. So bleiben die Sicherheit und die Beamtinnen und Beamten selber auf der Strecke.
Wir fordern, dass der Schutz der Allgemeinheit mindestens die Bedeutung hat wie das Wohl der Straftäter. Dazu zählt, dass der Opferschutz groß geschrieben wird, der geschlossene Vollzug der Regelvollzug ist und Gefangene besser überwacht werden, um die Sicherheit in den Vollzugsanstalten zu gewährleisten, nicht zuletzt zum Schutz der Bediensteten.
Bei den mangelnden Personal- und Finanzressourcen müssen wir die Arbeit der Bediensteten effektiv unterstützen und da, wo es möglich ist, erleichtern.
Ich empfehle daher meiner Fraktion, den Gesetzentwurf der Landesregierung und auch die Änderungsanträge von FDP und Piraten – allerdings nur weil sie auf dem falschen Entwurf basieren – abzulehnen und unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Hanses.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Westfalenpost“ titelte am 24. März 2014:
„Die Landesregierung stärkt den Opferschutz.“
Die LAG der Anstaltspsychologinnen und Anstaltspsychologen spricht in ihrer Stellungnahme von einem „weitgehenden Kulturwandel“. Diesen Kulturwandel im Strafvollzug, den wir mit diesem wegweisenden Strafvollzugsgesetz vollziehen, möchte ich Ihnen gerne noch einmal erläutern.
Denn dieses Gesetz ist ein klares Bekenntnis zum aktivierenden Behandlungsvollzug mit dem Ziel der Resozialisierung
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
mit einer sorgfältigen Diagnostik, individueller Behandlung und Motivation. Dabei werden vollzugsbegleitende und nachsorgende Angebote miteinander verzahnt, wie wir es alle schon lange gefordert haben. Freie Träger der Straffälligenhilfe und Verbände, Vereine engagieren sich mit vielen Menschen, die die Gefangenen und ihre Angehörigen betreuen und ihnen Brücken bauen für die Zeit danach. Dies ist auch dringend notwendig. Denn je besser Inhaftierte auf ein Leben nach der Haft vorbereitet werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie künftig ein Leben ohne Straftaten führen können.
Ich werde auch nicht müde, das der CDU noch einmal zu erklären. Ihre Auffassung von Opferschutz ist wirklich sehr irritierend. Ich möchte noch einmal klarstellen, dass aktivierende Täterarbeit für uns der beste Opferschutz von Morgen ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es ist nicht ein Entweder-oder, sondern es gehört immer zusammen. Wir dürfen Strafgefangene und Inhaftierte nicht in Ruhe lassen. Wir müssen sie motivieren, aktivieren. Das hilft auch den Opfern. Gleichzeitig müssen wir dafür Sorge tragen – das ist der Punkt, bei dem sicherlich viele nach Nordrhein-Westfalen schauen –, dass Opfer geschützt werden, dass die Daten von Opfern geschützt werden, dass Opfer informiert werden über vollzugsöffnende Maßnahmen und dass Opfer unterstützt werden bei der Erlangung ihrer Rechte und ihrer Wiedergutmachung.
Das ist eine neue Haltung. Diese Haltung bringt uns im Strafvollzug wirklich einen großen Schritt nach vorne.
Es ist auch wichtig, dass, wenn wir hier in diesen Tagen den Haushalt beraten, das selbstverständlich schon hinterlegt ist. Wir haben auch lange darüber gesprochen, dass das Justizvollzugsmodernisierungsprogramm Teil des Haushalts ist und das JVMoP – wie es abgekürzt wird – eben dafür Sorge trägt, dass wir nicht mehr zeitgemäße Bedingungen Stück für Stück abbauen können.
Der Gesetzentwurf liegt seit März vor. Das Verhalten einiger Oppositionsfraktionen irritiert mich wirklich. Gerade werden noch Änderungsanträge von den Piraten eingereicht.
Wir hatten eigentlich sehr konstruktive Gespräche, auch mit der FDP und den Piraten. Der Unterschied zur CDU wird an vielen Stellen deutlich. Da werden wir einfach nicht zusammenkommen.
Liebe FDP, aber im Gegensatz zu den Gesprächen, die wir wirklich in guter Atmosphäre hatten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Ihr Vorschlag zu § 54 schrittweise Erprobungen verhindern würde. Deshalb lehnen wir das ab.
Wir könnten gern einmal Ihren Änderungsantrag auseinanderpflücken und noch einmal mit Ihnen darüber sprechen, aber wir sind nun einmal am Ende der Beratungen. Schade, dass das in dieser Form nicht früher auf dem Tisch gelegen hat, weil wir uns nämlich an vielen Punkten hätten einigen können. Das ist sehr schade.
(Dr. Robert Orth [FDP]: Dann können Sie unserem Änderungsantrag einfach zustimmen!)
– Mitnichten, Herr Dr. Orth. Herr Orth, wir sprechen noch einmal darüber. Der Kollege Wedel war an manchen Stellen auf dem richtigen Weg, aber letztlich hat er es so gemacht, dass wir dem nicht zustimmen können, wie er auch weiß.
Ich möchte mich neben dem Dank für die konstruktiven und fachlichen Gespräche im Ausschuss auch noch einmal beim Ministerium bedanken. Sehr geehrter Herr Minister Kutschaty, richten Sie unseren Dank insbesondere an Frau Dr. Schwarz und Herrn Disterheft, mit denen wir sehr intensiv zusammengearbeitet haben. Ihnen sind wir wirklich sehr dankbar. Das war eine sehr gute Arbeit.
Ich finde, wir haben viel erreicht. Ich fasse die Schwerpunkte noch einmal zusammen: Stärkung der Sozialtherapie, schulische und berufliche Bildung, Verbesserung der Situation minderjähriger Kinder, deren Eltern im Strafvollzug sind. Erinnern Sie sich an den FDP-Antrag zur Situation von Kindern inhaftierter Eltern? Dazu sind wir mit dem Gesetzentwurf der in der Anhörung vorgetragenen Höchstforderung gefolgt. Ich nenne weiter die besondere Situation von Frauen, die Suchtberatung und Suchttherapie, die insbesondere für die männlichen Gefangenen erstmalig Einzug hält, die Dokumentation und den Abschlussbericht, die einvernehmliche Streitschlichtung. Es sind ganz viele Elemente, die zu Veränderungen in Nordrhein-Westfalen führen werden. – Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Hanses. – Für die FDP-Fraktion ergreift nun Herr Wedel das Wort.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Siebeneinhalb Jahre nach der Föderalismusreform legte Rot-Grün Ende März den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes vor. Nach der Anhörung steht fest: Statt von Mut zur Reform sind zahlreiche der 123 Paragrafen leider von dem Leitsatz „schöner Schein, wenig Sein“ geprägt. Sie schreiben in das Gesetz etwas hinein, was modern, fortschrittlich und fachlich sinnvoll klingt, um dann den Anstalten zugleich scheunentorgroße Hintertüren zu öffnen nach dem Motto „alles kann, nichts muss“.
Beispiel 1: Aus welchem Grund andere Gefangene im Ausnahmefall im Zugangsgespräch zugegen sein sollen, bei denen persönliche Daten zur Sprache kommen und die Privat- und Intimsphäre in besonderer Weise betroffen sind, erschließt sich nicht. Vielmehr begründet es die Gefahr einer Aufweichung der Schutzbestimmung im Praxisalltag.
Beispiel 2: Wer wie in § 12 den geschlossenen vor dem offenen Vollzug nennt, verdeutlicht, dass er nicht ausreichend sensibel dafür ist, welche wichtigen Botschaften von einem solchen Gesetz ausgehen. Andererseits nehmen Sie in die Vollzugsziele des § 1 nicht klar auf, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient, und stellen auch nirgends klar, dass dieses Ziel gleichrangig neben den in § 1 genannten Vollzugszielen steht.
Beispiel 3: Der Zugang zur Sozialtherapie – § 13 – ist restriktiv gefasst – wohl deshalb, weil Nordrhein-Westfalen im Vergleich der Bundesländer mit Abstand die geringste Quote an sozialtherapeutischen Haftplätzen hat.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Ein konsequenter Behandlungsvollzug würde bei einschlägiger Verurteilung erfordern, dass eine Sozialtherapie nur dann abgelehnt werden darf, wenn festgestellt werden kann, dass sie nicht angezeigt oder nicht erfolgversprechend ist.
Beispiel 4: Ähnliches finden Sie in § 11, wo Sie eine Verlegung selbst dann ins Ermessen der Anstalt stellen, wenn die Behandlung der Gefangenen während des Vollzuges oder ihre Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert würde. Das zeigt, Bürokratie, Anstaltsautonomie, Befindlichkeiten wiegen scheinbar schwer bei Entscheidungen selbst gegenüber dem Behandlungserfolg des Gefangenen.
Beispiel 5: Der Besuch minderjähriger Kinder der Gefangenen ist uns als FDP-Fraktion besonders wichtig, wie Sie unserem Änderungsantrag entnehmen können. Das ist regelmäßig im Sinne der Kinder und realisiert deren Umgangsrecht mit dem inhaftierten Elternteil, liegt aber ebenso im Interesse der Gesellschaft. Bindung zu und Vertrauen von Kindern braucht Zeit. Wenn ein Elternteil im Gefängnis sitzt, leiden die Kinder am meisten.
Ich zitiere:
„Kinder haben ein extremes Bedürfnis, mit dem inhaftierten Elternteil zusammen zu sein.“
So wird noch gestern ein Sprecher des Justizministeriums in der „WAZ“ zitiert.
Am Montag wies das JM laut einer dpa-Meldung darauf hin, wissenschaftliche Studien zeigten, dass Gefangene mit einem funktionierenden sozialen Umfeld bei der Entlassung ein deutlich geringeres Rückfallrisiko haben. Dazu gehörten neben Wohnung und Arbeitsplatz insbesondere Familie und Freunde. – Wie wahr.
Ich frage mich nur, warum man vorgestern und gestern solche Feststellungen veröffentlicht und heute ein Strafvollzugsgesetz beschließen lassen will, das in diesem Bereich noch deutlichen Verbesserungsbedarf hat.
(Beifall von der FDP)
Die genannten Aussagen des Justizministeriums sind eine Werbebotschaft für den Änderungsantrag der FDP-Fraktion. Wir müssen in den 37 Justizvollzugsanstalten noch mehr dafür tun, dass der Kontakt zwischen Gefangenen und Familien nicht abreißt.
(Beifall von der FDP)
Beispiel 6: Im Gegensatz zu § 146 des Strafvollzugsgesetzes des Bundes sind nach § 95 Ausnahmen bei der Belegung von Hafträumen nur noch zu dokumentieren. Auf die Zustimmung der Aufsichtsbehörde wird verzichtet. – Eine Gesetzesänderung, die Überbelegung durch die Abmilderung von Verfahrensvoraussetzungen erleichtert, ist aus unserer Sicht der falsche Weg.
Meine Damen und Herren, wer ein solch tragendes Gesetzeswerk verantwortet, muss klare Aussagen und Ansagen ohne kreativen Ausweg machen. Sie sehen an unseren Beispielen: An Ihrem Gesetzentwurf gibt es einiges zu kritisieren.
Zuletzt zum Thema „Weihnachten“: Ein Weihnachtspäckchen zu erhalten ist etwas anderes, als einen Geldbetrag mit der Ansage: „Geh selbst was kaufen!“
(Beifall von der FDP)
Wenn Sie Lebensmittelpakete verbieten, warum ermöglichen Sie nicht wenigstens, dass Angehörige beim Anstaltskaufmann ein Körbchen zu Weihnachten oder zum Geburtstag bestellen und bezahlen können, sodass beim Gefangenen wenigstens ein wenig Herzlichkeit ankommt? – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal oder daheim! Wir haben soeben in Bezug auf den heute in zweiter Lesung zu beratenden Gesetzentwurf Kritik vonseiten der Kollegin Hanses im Hinblick auf den Verfahrensablauf vernommen, und zwar insofern, als wir Piraten und die FDP heute Änderungsanträge eingebracht haben – gerade eben erst.
Während der Redner der SPD, der Kollege Wolf, und der Kollege Kamieth von der CDU noch hier sprachen, wurde gerade erst der zweite Änderungsantrag verteilt. Er konnte auch jetzt erst verteilt werden, denn der Antrag muss den Erfordernissen gemäß formuliert werden und das enthalten, was in den Besprechungen zwischen den Fraktionen, auf die der Kollege Wolf eben zu Recht hingewiesen hatte, teilweise abgearbeitet werden konnte, teilweise aber eben auch nicht abgearbeitet werden konnte. Ich verweise auf die übereinstimmende Inaussichtnahme weiterer Gespräche vor dem Hintergrund des Umstands, dass der Herr Justizminister selbst in Bad Münstereifel am 26. November 2014 verkündet hat, Eile bestehe nicht.
In der letzten Woche stand die zweite Lesung nicht auf der Tagesordnung. Erst heute ist sie wieder auf der Tagesordnung gelandet. Diese Eile mag vor dem Hintergrund der sicherlich rechtlich eindeutig fundierten Bekundung des Herrn Justizministers bewertet werden, dass es keine Eile gebe. Eine Not haben wir auch nicht. Wir haben ein funktionierendes Strafvollstreckungsrecht in Deutschland und damit auch in Nordrhein-Westfalen. Die Gespräche hätten durchaus weiterlaufen können.
Gleichwohl danke ich Herrn Kollegen Wolf für die Inaussichtstellung der Möglichkeit des Fernstudiums. Wir müssen uns vor dem Hintergrund des Änderungsantrags, auf den der Kollege Wolf eben Bezug nehmen konnte, vor Augen führen, dass bayerische Strafgefangene in Nordrhein-Westfalen an der Fernuni Hagen studieren können. Das ist dort im Gesetz entsprechend festgeschrieben. In Nordrhein-Westfalen ist das nicht so.
Die Regelung in § 30 des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Frage der Aus- und Weiterbildung sowie der beruflichen Bildung verweist in den Begründungen auf das Lernprogramm „elis“, das zu Recht dahin gehend zitiert wird, …
(Sven Wolf [SPD]: Allgemeinbildende Einrichtungen!)
– Ja, gut. – Wenn wir als Motiv aufgreifen können, dass mit dem Regelungsgehalt von § 30 des Gesetzentwurfs verbindlich festgeschrieben wird, dass ein Fernstudium nach den jeweiligen Eignungsvoraussetzungen von Inhaftierten denkbar und möglich ist, sei es drum. Uns wäre wohler, wenn wir bei der ohnehin schon bestehenden Klarheit der Übereinkunft, dass ein solches Fernstudium möglich sein soll, dies auch festschreiben.
Wir haben weitere zahlreiche Änderungsvorschläge eingebracht. Wir haben sie teilweise auch diskutiert. Einige sind aufgrund der wirklich guten Gespräche, die mit Rot-Grün geführt wurden, herausgeflogen. Aber dennoch: Alles wurde, wie gesagt, nicht abgearbeitet. Das hätten wir gern noch getan.
Wir haben zu diesem Zwecke, um das vielleicht bis morgen noch zu regeln sowie den einen oder anderen Punkt überwinden zu können, eine dritte Lesung dieses Gesetzes beantragt. Soweit ich gehört habe – ich weiß nicht, ob das richtig ist –, haben SPD und Grüne das gleichermaßen bezüglich des Gesetzentwurfs getan. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich habe das vorhin nur im Flurfunk gehört. Wir haben das jedenfalls gemacht.
Wir möchten uns auch mit Blick auf den gerade erst vorgelegten Antrag der FDP selbstverständlich die darin enthaltenen Änderungsvorschläge anschauen. Uns wäre es, ehrlich gesagt, wohler gewesen, wenn diese Eile nicht vor Jahresschluss in dieses Hohe Haus Einzug gefunden hätte,
(Sven Wolf [SPD]: Wir haben das viermal im Rechtsausschuss diskutiert, Herr Schulz!)
sondern wenn gemäß der Ankündigung des Herrn Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen die abschließende Lesung vielleicht im Januar oder Februar hätte stattfinden können.
Insgesamt muss man allerdings sagen: Es ist zutreffend, dass die vorliegenden Entwürfe im Wesentlichen als Basis den Leitlinien für ein solches Strafvollzugs- und Jugendstrafvollzugsgesetz entsprechen. Auch wir unterstützen den aktivierenden Charakter des darin festgeschriebenen Strafvollzugs.
Wir sind auch sehr erpicht auf die Wahrung der Rechte von Kindern inhaftierter Eltern.
Auch der opferbezogene Vollzug bedarf allerdings – dahin geht auch zum Teil unser Änderungsantrag – einer klaren Konturierung. Auch da haben wir natürlich Nachbesserungsbedarf gesehen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
(Marc Herter [SPD]: Wir können ja morgen weiterreden!)
Insgesamt sehen wir keine so großen Bedenken wie die CDU, die einen Gegenantrag geliefert hat, den wir so nicht mittragen können.
Allerdings sehen wir auch die Notwendigkeit für Änderungen, die wir vorgeschlagen haben. Deshalb habe ich meiner Fraktion für den heutigen Tag empfohlen, sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf zurzeit noch zu enthalten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Plenartage in dieser Woche sind zwei gute Tage für den Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen. Wir haben nämlich heute Mittag die finanziellen Grundlagen dafür geschaffen, dass das größte Justizvollzugsmodernisierungsprogramm in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren umgesetzt werden kann.
Mit einem Investitionsvolumen von weit mehr als einer halben Milliarde Euro werden wir in den nächsten Jahren vier neue Haftanstalten errichten und alte im Gegenzug vom Netz nehmen. Das schafft Voraussetzungen für einen sicheren, aber auch einen an einer menschenwürdigen Behandlung orientierten Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Wir müssen aber auch die Inhalte des Strafvollzugs in Nordrhein-Westfalen neu justieren, und dazu dient uns dieses Gesetz. Die Föderalismusreform hat uns die Möglichkeiten gegeben. Wir haben davon bei der Sicherungsverwahrung und beim Jugendarrestvollzug bereits Gebrauch gemacht.
Im April dieses Jahres habe ich Ihnen den Gesetzentwurf der Landesregierung vorgestellt. Wir hatten nunmehr neun Monate Zeit, diesen Gesetzentwurf ausführlich zu beraten und zu diskutieren. Wir haben ihn letzte Woche abschließend im Rechtsausschuss behandelt und abgestimmt.
Ich fand die konstruktiven Beratungen sehr angenehm und hatte in einer langen Phase der Zeit den Eindruck, dass wir – das sehe ich auch heute durchaus noch so – mit FDP und Piraten durchaus viele grundsätzliche Gemeinsamkeiten haben. Ich danke aber auch ausdrücklich der CDU, dass sie einen Alternativvorschlag vorgelegt hat, auch wenn dieser mich doch sehr an den hessischen Entwurf abzüglich der liberalen Vorstellungen erinnert. Aber, meine Damen und Herren, das zeigt noch einmal gut, warum unser Entwurf der richtige und vernünftige ist.
Wir setzen auf einen motivierenden Behandlungsvollzug und auf einen verstärkten Opferschutz im Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen. Dieser motivierende Behandlungsvollzug, meine Damen und Herren, ist ganz entscheidend und wichtig. Denn Täterarbeit ist auch Opferschutz. Wenn es uns gelingt, während der Haftzeit den Tätern ihre Gefährlichkeit zu nehmen, ist das der entscheidende und wichtige Beitrag zum Schutze der Gesellschaft vor weiteren Straftaten.
(Beifall von der SPD)
Dazu gehört es, meine Damen und Herren, dass wir schon gleich von Beginn an, quasi am ersten Hafttag, mit einer vernünftigen Diagnostik beginnen und schauen, wo Defizite bei den Täterinnen und Tätern liegen. Denn die Straftat, die Haftzeit, die zu verbüßen ist, ist in der Regel längst nicht das einzige Defizit bei den betroffenen Personen. Es kommen viele weitere Problemlagen im Bildungsbereich, im familiären Bereich, im Drogen- und Suchtbereich und im Vermögensbereich dazu. Deswegen gilt es, gleich von Anfang an die richtigen Behandlungsstrategien und ?methoden zu finden.
Das machen wir traditionell in Nordrhein-Westfalen auch in einem großen Teil des offenen Vollzuges. Ich halte es für richtig, dass wir den offenen Vollzug gleichberechtigt neben den geschlossenen Vollzug stellen; denn der offene Vollzug bietet vielfältige Resozialisierungsmöglichkeiten bei Täterinnen und Tätern, die nicht so gefährlich sind, dass wir sie 24 Stunden lang dauerhaft hinter Gittern halten müssen.
Es ist gerade schon angesprochen worden, wie wichtig, meine Damen und Herren, für die Stabilisierung der Persönlichkeit ein enger familiärer Kontakt, der Kontakt der Gefangenen zu ihren Familien ist. Deswegen erweitern wir die Besuchszeiten, und deswegen schaffen wir insbesondere erweiterte Besuchsregelungen für Kinder von Inhaftierten.
Wir erweitern die Möglichkeiten der Sozialtherapie, wir kümmern uns um eine vernünftige Nachsorge. Das Übergangsmanagement, meine Damen und Herren, ist hier ganz entscheidend. In der Regel gelingt es uns, die Täter während der Haftzeit medizinisch und psychisch ausreichend zu stabilisieren. Aber was ist am ersten Tag nach der Haft? Hier schafft unser Gesetzentwurf vernünftige Übergangsregelungen.
Beispielhaft und einmalig in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, ist der Opferschutz in diesem Gesetzentwurf. Wir haben den Strafvollzug auch einmal aus Sicht eines Opfers gedacht. Opfer von Straftaten fühlen sich häufig lediglich als Beweismittel im Rahmen eines Strafprozesses genutzt, ohne dass genügend Sensibilität auf ihren eigenen Belangen liegt. Wir wissen aus vielen Gesprächen und Erfahrungen, dass Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind, sehr häufig jahrelang danach noch darunter leiden. Sie machen sich Sorgen, sie haben Angst. Wie hat sich der Täter entwickelt, und was passiert, wenn er wieder rauskommt? Häufig wohnen Opfer und Täter nicht weit auseinander.
Deswegen geben wir in unserem Gesetz – einmalig in der Bundesrepublik – Opfern eigene Rechte, eigene Möglichkeiten und Chancen, etwas über die Therapie, über die Behandlung zu erfahren. Sie bekommen Mitteilung, wenn Sie wollen, wann der Täter zum ersten Mal eine Lockerung, einen Ausgang bekommt, um entsprechend darauf vorbereitet zu werden. Sie bekommen auch bessere Möglichkeiten, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nicht nur titulieren, sondern auch tatsächlich realisieren zu können.
Deswegen ist dieser Gesetzentwurf eine rundum ausgewogene Lösung für den Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen.
Gestatten Sie mir abschließend, meine Damen und Herren, ein ganz konkretes Beispiel des aktivierenden und motivierenden Behandlungsvollzuges in der Justizvollzugslandschaft in Nordrhein-Westfalen zu nennen. Wenn Sie gleich noch einmal Zeit haben, ins Erdgeschoss dieses Gebäudes zu gehen, werden Sie dort eine Kunstausstellung sehen, die die Frau Landtagspräsidentin heute eröffnet hat. Unter dem Titel „Knastkultur ... ein kreativer Weg“ erleben Sie Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus dem nordrhein-westfälischen Strafvollzug, die sich als Teil ihrer Therapie, als Behandlungsmaßnahme auch Kunst zum Thema gemacht haben – eine bemerkenswerte Ausstellung –, um die eigene Tat aufzuarbeiten und sich Gedanken für die Zukunft zu machen.
Ich lege Ihnen daher nicht nur den Besuch der Ausstellung nahe, sondern auch die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung Ihre Redezeit um eine Minute und 20 Sekunden überschritten hat. Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann sind wir am Ende der Aussprache.
Die Fraktion der Piraten hat eine dritte Lesung zu den vorgenannten Gesetzentwürfen beantragt. Nach § 78 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung findet die dritte Lesung auf Antrag einer Fraktion oder eines Viertels der Mitglieder des Landtages statt. Der Antrag muss vor Schluss der Beratung der zweiten Lesung schriftlich bei der Präsidentin eingereicht werden. – Diese Voraussetzungen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind gegeben.
Die Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, zu beiden Gesetzentwürfen die dritten Lesungen am morgigen Donnerstag, dem 18. Dezember, im Anschluss an die bisherigen Tagesordnungspunkte durchzuführen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Wir können also so verfahren.
Ich weise darauf hin, dass die Fraktion der Piraten ihre Änderungsanträge Drucksachen 16/7629 und 16/7630 erst morgen in der Schlussabstimmung der dritten Lesung zur Abstimmung stellt.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/7619. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen? – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/7619 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Piraten bei Zustimmung der FDP-Fraktion und bei Neinstimmen der CDU-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung; das ist die Drucksache 16/5413 – Neudruck. Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7579, den Gesetzentwurf Drucksache 16/5413 – Neudruck – unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5413 selbst.
Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/5413 – Neudruck – mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Piraten angenommen.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU Drucksache 16/4155. Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7578, den Gesetzentwurf Drucksache 16/4155 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/4155 selbst. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Gesetzentwurf Drucksache 16/4155 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und der Piraten gegen die Stimmen der CDU-Fraktion abgelehnt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7545
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Abgeordneten Stotko das Wort.
Thomas Stotko (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So haben wir in zwei Tagesordnungspunkten hintereinander das Thema „Vollzug“. In diesem Fall waren wir – wie alle anderen Länder übrigens auch –, nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs aus Juli 2014 gezwungen zu reagieren, denn der parallele Vollzug von Strafhaft und Abschiebehaft in einer Anstalt ist verboten. Das gilt bei uns in Nordrhein-Westfalen also für Büren.
Ich glaube, man kann grundsätzlich unterschiedlicher Auffassung über die Frage sein, ob man Abschiebehaft überhaupt erlauben möchte. Grundsätzlich, so glaube ich, kann es nicht im Sinne des Erfinders sein, dass Menschen in der Abschiebehaft über Monate warten, um dann endlich in ein Flugzeug gesteckt zu werden. Daher haben wir im Koalitionsvertrag die Abschiebehaft auch als Ultima Ratio bezeichnet. Wir brauchen aber nun eine Lösung für diese Ultima Ratio und möchten in Nordrhein-Westfalen etwas Eigenes machen.
Wir waren allerdings der festen Auffassung, jetzt nichts sozusagen hopplahopp übers Knie zu brechen, sondern wir wollen in aller Ruhe gemeinsam mit den Flüchtlingsorganisationen und allen anderen ein Gesetz schaffen, mit dem wir die Abschiebehaft in Nordrhein-Westfalen ordnungsgemäß regeln. Dazu fordern wir einen transparenten und offenen Dialogprozess ein, der durch das Ministerium gestaltet werden soll.
Deshalb legen wir heute dem Parlament nur einen Gesetzentwurf vor, der mit Verweisungen arbeitet, und hoffen auf einen runden Tisch zu Beginn des Jahres, damit wir dann in einem zweiten Gesetzgebungsverfahren im Laufe des Jahres ein ordnungsgemäßes, umfangreiches und den Umständen entsprechendes Gesetz verabschieden können.
Deshalb ist dieser Gesetzentwurf, so wie wir ihn hier eingebracht haben, auch zum 31.12.2015 befristet. Wir freuen uns auf die Beratungen. – Besten Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Ich rufe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Düker auf.
Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade in zweiter Lesung ein neues Strafvollzugsgesetz mit einem hochambitionierten Anspruch an einen Behandlungsvollzug verabschiedet; morgen kommt die dritte Lesung. Da geht es um Menschen, die eine Strafe verbüßen, weil sie eine Straftat begangen haben. In der Abschiebehaft sitzen Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, außer dass angenommen werden kann, dass sie sich eventuell der Abschiebung entziehen könnten.
Auf dieser Grundlage werden Menschen in Deutschland eingesperrt. Nach der Rechtsgrundlage auf Bundesebene kann das bis zu 18 Monate geschehen. Man muss sich vorstellen, was man für 18 Monate Strafhaft in diesem Land angestellt haben muss. Ich finde Abschiebehaft grundsätzlich eines Rechtsstaates unwürdig.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Nichtsdestotrotz: Solange wir diesen Paragrafen im Aufenthaltsgesetz haben, ein Richter Abschiebehaft anordnet, muss diese von den Ländern vollzogen werden. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofs hat festgestellt, dass Büren, die Abschiebehaftanstalt in NRW, der Europäischen Rückführungsrichtlinie nicht entspricht. Deswegen planen wir eine neue Abschiebehafteinrichtung.
Diese neue Abschiebehafteinrichtung und dieses Urteil sollen in Nordrhein-Westfalen nach rot-grüner Verabredung auch als eine Chance genutzt werden, diese Abschiebehaft, wenn sie denn schon vollzogen werden muss, so humanitär wie möglich auszugestalten. Dafür wird jetzt ein Dialogprozess mit Verbänden, mit Initiativen eingeleitet, in Rücksprache mit Beschäftigten usw., damit wir zu einem guten Konzept kommen. Das braucht etwas Zeit.
Bis wir das vollendet haben, brauchen wir – Kollege Stotko hat es erläutert – eine Art Übergangsregelung. Was wir auf keinen Fall weiter machen sollten ist diese Hin- und Herfahrerei in andere Abschiebehaftanstalten nach Berlin oder Eisenhüttenstadt.
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Ich glaube, das ist das, was wir sofort und schnellstmöglich beenden sollten, weil es auch den Menschen nicht gerecht wird. Das heißt, wir brauchen jetzt eine Übergangsregelung, eine Art Platzhalter, damit wir vollziehen können, denn mit dem neuen Strafvollzugsgesetz fehlt uns hier eine Rechtsgrundlage, um dann bis zum Ende des Jahres ein neues Konzept als Chance für einen humanen Abschiebehaftvollzug zu erstellen. Sehr wichtig ist es für meine Fraktion, in diesem Abstimmungsprozess alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Abschiebehaft weiter zu vermeiden, damit wir, was die Kapazitäten angeht, das so gering wie möglich halten können. Das ist unser Plan.
Deswegen hoffe ich, dass wir diese Übergangsregelung jetzt gemeinsam schnell auf den Weg bringen, damit wir die Menschen nicht mehr quer durch die Republik fahren müssen, denn das ist aus meiner Sicht im Moment ein unhaltbarer Zustand. Ich denke, wir werden das im Ausschuss sicher noch vertiefen können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Volker Jung.
Volker Jung (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stotko, Sie haben gesagt: „nicht hoppla hopp, sondern in aller Ruhe“. Aber wenn man sich den vorliegenden Gesetzentwurf anschaut, dann stellt man fest, dass das Ganze doch eher nach dem Ihnen sicher bekannten Spruch „Weihnachten kommt immer so plötzlich“ gemacht worden ist; denn die höchstrichterliche Entscheidung des EuGH vom 17. Juli 2014 stellte die Landesregierung offensichtlich plötzlich vor große Probleme.
Der für den Bereich der Abschiebung verantwortliche Minister Jäger war offensichtlich von dieser Situation überrascht und nicht darauf vorbereitet. Andere Länder wie Berlin, Brandenburg, Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz haben nicht erst den Richterspruch abgewartet, sondern haben bereits frühzeitig die Weichen gestellt und auch einen Plan B erarbeitet. Herr Minister Jäger aber schlief und versagte auf ganzer Linie. Er traf keinerlei Vorbereitungen mit Blick auf das zu erwartende Urteil.
(Beifall von der CDU)
Das „Westfalen-Blatt“ titelte:
„Verträge mit privaten Dienstleistern ohne Kündigungsklausel geschlossen. NRW bezahlt Mitarbeiter, die nichts zu tun haben.“
Vorausschauende Planung – Fehlanzeige! Bis zum 31. Oktober 2014 sind für die Krankenpflege, die Bewachung und die Betreuung der Abschiebehäftlinge bereits 935.000 € fällig geworden. Bis zum Jahresende wird sich diese Summe auf etwa 1,2 Millionen € erhöhen – und das, ohne dass Leistungen erbracht werden mussten.
Hinzu kommen Kosten für die Verlegung der Häftlinge von Büren an andere Standorte, im Einzelfall bis zu über 1.000 km. Die „Neue Westfälische“ sprach hier von „Abschiebechaos“. Herr Minister Jäger, als Wahlkreisabgeordneter für Büren und als Beiratsmitglied der JVA sowie als Haushaltspolitiker sage ich Ihnen: Die Abschiebehäftlinge werden unwürdig hin und her geschoben. Die Mitarbeiter der JVA sind verunsichert. Die Kreis- und Stadtratsverwaltungen fühlen sich im Stich gelassen. Und die Steuerzahler sind fassungslos ob der vermeidbaren Kosten.
Herr Minister, das sind die traurigen Ergebnisse Ihres Organisationsversagens.
(Zuruf von der SPD: Oh!)
Den Schaden haben nun die Betroffenen vor Ort zu tragen.
(Beifall von der CDU)
Dabei hätten Sie es wissen müssen, Herr Minister, denn sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Münchener Landgericht hatten in den vergangenen Jahren ähnlich entschieden.
(Zuruf von Minister Ralf Jäger)
So hat die Bayerische Staatsregierung die gemeinsame Unterbringung von Abschiebehäftlingen und Strafgefangenen bereits im Januar dieses Jahres beendet. Der Bundesgerichtshof hat bereits im August 2013 explizit darauf hingewiesen, dass für die Unterbringung von Abschiebehäftlingen das sogenannte Trennungsgebot gilt.
Herr Minister, wie waren Sie denn vorbereitet? Ich sage es Ihnen: gar nicht! Und heute? – Der Strafvollzug wird zum 31. Januar 2015 die Anstalt räumen, und die Beamten werden zum 1. Februar 2015 versetzt. Dann wird die Abschiebehaftanstalt dem Innenministerium unterstellt.
Das hat aber bisher noch kein Konzept; stattdessen gibt es nur offene Fragen: Wie sieht das mit der künftigen Organisation aus? Welche baulichen Veränderungen sind notwendig? Wer übernimmt die Bewachung? Was ist mit den auslaufenden Verträgen? – Herr Minister Jäger, wir haben heute schon den 17. Dezember 2014. Es eilt! Aber wo sind Ihre Antworten? Oder wollen Sie auch das verschlafen und die Betroffenen wieder alleine lassen? Anstatt aus den Fehlern zu lernen, rennen Sie wieder ohne Konzept vor die Wand.
Gut, dass sich Rot-Grün mit dem heutigen Gesetzentwurf zum Standort Büren bekennt. Der Entwurf kommt aber zu spät, und es ist wieder nur Stückwerk; denn eine endgültige Gesetzeslösung lässt weiter auf sich warten. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Nach all den Pannen im Vorfeld schiebt das Innenministerium jetzt die Verantwortung für die Abschiebehaft noch weiter ab an die Bezirksregierung Detmold. Anstatt jetzt, nach dieser peinlichen Nummer, diese Dinge zur Chefsache zu machen, wird dann auch noch diese Verantwortung wegdelegiert. Herr Minister, ich fordere Sie auf: Übernehmen Sie endlich Verantwortung und handeln Sie! Die Abschiebehäftlinge, die Mitarbeiter und die Behörden warten darauf.
Man kann nur noch hoffen, dass Ihnen, Herr Minister, in der Weihnachtszeit die Erleuchtung kommt, und Sie das Problem endlich anpacken. Oder heißt es dann bei Ihnen: „Und wenn die fünfte Kerze brennt, dann hast du Weihnachten verpennt“? – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU – Zuruf: Das war ja ein rhetorisches Feuerwerk! Da hat ja die Silvesterrakete gezündet!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Orth.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister hat es bis heute nicht geschafft, einen Gesetzentwurf der Landesregierung zur Abschiebehaft vorzulegen. Stattdessen musste Rot-Grün in die Bresche springen; aus dem Kreise der Abgeordneten musste ein Gesetz mit kümmerlichen fünf Paragrafen gezimmert werden. – Ich finde, das ist des Themas nicht würdig.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich spätestens mit Erlass des Urteils hingesetzt und nach einer vernünftigen Lösung gesucht hätten. Wenn Sie ein halbes Jahr brauchen für fünf kümmerliche Paragrafen, dann, kann ich Ihnen sagen, wird Ihnen die Befristung bis zum Jahresende 2015 nicht reichen. Dann werden Sie in den kommenden fünf Monaten auch kein komplettes Gesetzgebungsverfahren durchziehen können.
Und wollen Sie dann allen Ernstes wieder verlängern und wieder auf Basis dieser kümmerlichen fünf Paragrafen Abschiebehaft in Nordrhein-Westfalen vollziehen? Ich hätte erwartet, dass Sie sich auf wesentliche Punkte verständigen.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Im Übrigen sagen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Büren im Prinzip: Geht nach Hause! – Wo ist denn die Konzeption? Wie soll es dort weitergehen? – Sie sagen nicht, wie Büren umgebaut wird, was es kosten soll. Alles das haben Sie bisher nicht entschieden.
Wir haben einen Haushalt verabschiedet für das Jahr 2015, aber solche Fragen haben Sie nicht geklärt. Ich bin der Meinung: Dieses kleine Minigesetz zeigt, wie Innenpolitik in Nordrhein-Westfalen gemacht wird. Es wird nur vor sich hingewurstelt, es wird nichts richtig entschieden. Die Leidtragenden sind die Menschen draußen – schade drum!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Herrmann.
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger im Stream! Flüchtlinge sind keine Strafgefangenen; und sie einzusperren wie verurteilte Kriminelle, widerspricht der Menschenwürde und geltendem Recht.
Der Europäische Gerichtshof und der Bundesgerichtshof haben im Juli dieses Jahres klargestellt, dass Abschiebehaft in normalen Gefängnissen nicht zulässig ist. Daher musste der Standort Büren aufgegeben werden, und das ist auch gut so.
Nach meinen Informationen sprechen übrigens Gerichte immer weniger Haftanordnungen aus. Es scheint also auch ohne zu gehen. Vielleicht brauchen wir gar keine Abschiebehaftanstalt. Schön wäre das für die Menschen, die nichts anderes getan haben, als in unserem Land Schutz zu suchen, und nicht verstehen können, dass sie hier nicht bleiben dürfen. Diese Menschen sollten wir nicht einsperren.
Jetzt pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass es für Büren wohl langfristige Verträge gibt, die das Land Geld kosten, ob eine Nutzung stattfindet oder nicht. Jetzt wollen Sie quasi als Ultima Ratio, als letztes Mittel, aus Büren wieder eine Abschiebehaftanstalt machen und dafür die Gesetzesgrundlage schaffen. Denn so soll man dieses Papier wohl verstehen. Mich wundert, dass der Gesetzentwurf aus dem Parlament von den rot-grünen Fraktionen kommt und nicht von der Landesregierung. Wollen Sie damit das Gesetz in einem beschleunigten Verfahren durchbringen, weil Gesetzentwürfe der Landesregierung üblicherweise einen etwas längeren Beratungsweg haben? Man wird das sehen.
In einem beschleunigten Verfahren ist aber anscheinend der Gesetzentwurf selbst entstanden. Ein Blatt mit fünf Paragrafen und ein paar Begründungen sieht so aus wie die Basisversion aus dem Gesetzesgrundbaukasten. Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass mit diesem Gesetzentwurf dem Trennungsgebot der EU-Richtlinie 115/EG zu entsprechen ist, also der Trennung von Abschiebehaftvollzug und Strafvollzug.
(Zuruf von den PIRATEN: Im Gegenteil!)
In § 2 heißt es sogar: „Für den Vollzug der Abschiebungshaft gelten die Regeln des Strafvollzugsgesetzes …“
(Zuruf von den PIRATEN: Hört, hört!)
Wo ist da die Trennung? Das ist doch eine Farce. Wem wollen Sie denn hier etwas vormachen?
(Beifall von den PIRATEN)
Von wichtigen und notwendigen Regelungen zur Annahme, Unterbringung, zu Außenkontakten, Sicherheit und Ordnung keine Spur. Es geht hier um Flüchtlinge und nicht um Strafgefangene, und da passt das Strafvollzugsgesetz nicht.
Meine Damen und Herren, ich kann zwar nicht sagen, dass ich mich auf die Beratung im Ausschuss freue, aber wir werden das Gesetz dort sicher noch genauer unter die Lupe nehmen, wobei eigentlich nicht viel bleibt.
(Zuruf von den PIRATEN: Weil nichts drinsteht!)
Aber Abschiebehaft mit einem Platzhaltergesetz geht gar nicht. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wollen wir uns ein Beispiel an Brandenburg nehmen!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten Legislaturperiode haben wir eine Diskussion über die Frage geführt: Kann eine Landesregierung Abschiebehaft abschaffen? Ich wiederhole gerne das, Herr Herrmann, was ich in der damaligen Debatte auch zum Ausdruck gebracht habe: Ich persönlich würde es begrüßen, wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, die auf Abschiebehaft gänzlich verzichten könnte.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Schön!)
Dieser Satz steht und gilt für mich nach wie vor.
Traurige Wahrheit oder Realität ist aber, wir können, wenn es auch landesweit nur einige wenige Fälle sind, nicht ganz auf sie verzichten. Wir können als Landesregierung schlichtweg nicht daran rütteln, ob es nach diesem Bundesrecht eine Abschiebehaft gibt. Wie andere Länder auch kommt Nordrhein-Westfalen nicht umhin, eine solche Hafteinrichtung vorzuhalten.
Es gibt – das kann ich Ihnen sagen – auch am Rande der Innenministerkonferenz intensive Gespräche darüber, ob man im Verbund einzelner Bundesländer einige wenige Haftanstalten in Deutschland betreibt und wo die liegen könnten.
Für das Land Nordrhein-Westfalen steht jedoch eindeutig fest – wir sind nun mal das größte Land –: Die Abschiebehaft darf nur die Ultima Ratio, das allerletzte Mittel, sein. Deshalb haben wir landesweit eindeutige Vorgaben gegenüber den kommunalen Ausländerbehörden gemacht, die dies deutlich unterstreichen.
Ich habe den Eindruck – Sie haben das gerade selbst geschildert, Herr Herrmann –, unsere Behörden in Nordrhein-Westfalen, aber auch die Gerichte gehen mit dem Instrument einer Abschiebehaft sorgfältiger, sorgsamer und umsichtiger um. Dabei soll es auch bleiben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Herrmann zulassen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, klar.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Halten Sie wegen der Kapazität bzw. der Anzahl der Fälle einen wirtschaftlichen Betrieb in Büren überhaupt für denkbar, wenn wir wissen, dass es in Nordrhein-Westfalen nur im niedrigen zweistelligen Bereich Abschiebehäftlinge gibt, Büren aber eine Kapazität von über 500 Personen hat?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Herrmann, ich wäre ohnehin gleich darauf gekommen. In der Tat werden wir Büren in der jetzigen Form und mit der jetzigen Kapazität einer Justizvollzugsanstalt sicherlich nicht brauchen. Selbst wenn es zu Kooperationen mit anderen Bundesländern käme – ich betone: käme, Konjunktiv! –, werden wir eine Konzeption vorlegen, wie wir uns Büren umgestaltet als Abschiebeeinrichtung vorstellen. Aber da werden sicherlich auch unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht die Kapazitätszahlen zugrunde gelegt – da haben Sie recht –, mit denen Büren als Justizvollzugsanstalt betrieben worden ist.
Wir glauben, dass wir nicht das Ob, sondern – ich habe es gerade schon gesagt – das Wie diskutieren müssen. Wie können wir das BGH-Urteil in Büren umsetzen?
Ich mache darauf aufmerksam, dass obergerichtliche Entscheidungen in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen eben diese räumliche Trennung zwischen Abschiebehaft und Justizvollzug speziell in Büren eindeutig bestätigt haben. Insofern war dieses BGH-Urteil nicht zu erwarten. Wir respektieren es natürlich und werden darauf reagieren.
Ich mache deutlich – deshalb bin ich den Fraktionen dankbar –, dass dieser Gesetzentwurf, der jetzt vorgelegt worden ist, nur eine Übergangslösung darstellen kann. Wir brauchen eine zügige Regelung, da es in Nordrhein-Westfalen bisher keine Rechtsgrundlage für den Betrieb einer Abschiebeeinrichtung gibt. Vielmehr ist die Unterbringung bisher im Rahmen der Amtshilfe durch den Justizminister erfolgt.
Insofern ist eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Diese Übergangslösung ist natürlich durch ein fundamentales Gesetz abzulösen, das wir in aller Ruhe und in aller Breite, insbesondere mit den Flüchtlingsorganisationen und anderen betroffenen Organisationen in Nordrhein-Westfalen, diskutieren wollen, um Ihnen, dem Parlament, im Laufe des Jahres 2015 einen ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen.
Noch eine kleine Anmerkung an den Kollegen Jung, der ein wenig über die fünfte Weihnachtskerze gekalauert hat. Mancher – wenn man jetzt weiter kalauern will – hält sich für einen Leuchtturm und ist doch nur ein Irrlicht. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Armin Laschet [CDU]: Das ist wohl wahr!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/7545 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6637
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/7556
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7622
Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7631
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7632
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Bialas das Wort.
Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich haben wir das erste Kulturgesetz eines Landes in Deutschland nach dem Kulturraumgesetz in Sachsen. Seit vier Jahren haben wir darüber viel geredet, und wir werden auch weiterhin viel darüber sprechen. Denn das Gesetz ist auch der Auftakt zu einem weiteren und stetigen Dialog; dem Dialog der Künstler, Dialog der Kultureinrichtungen, Dialog der Kulturverbände sowie dem Dialog der Kulturpolitiker.
Daher seien mir an dieser Stelle ein kurzer Rückblick und die Gelegenheit, meinen Dank auszusprechen, erlaubt. Das Gesetz hat seine geistigen Grundlagen in der historischen und aktuellsten kulturpolitischen Diskussion, die das Institut für Kulturpolitik gut gebündelt darzustellen vermag. Übrigens spiegelt es auch die geistige Haltung der kulturpolitischen Gesellschaft wider. Da sind wir beide, Herr Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg und ich, Mitglieder des Vorstands. Mit diesem ist es sehr vereinbar.
Es hat seinen parlamentarischen Auftakt wesentlich durch den Minister a. D. und ehemaligen Vorsitzenden des Kulturausschusses Dr. Fritz Behrens erlebt. An der Stelle darf ich noch einmal der FDP für ihr damaliges Mitgehen danken, dass sie den Antrag, ein Gesetz zu formulieren, zur Zeit der Minderheitsregierung an die Landesregierung gestellt hat. Dann darf ich auch dem verwaltungsgemäßen Anschub im Ministerium durch Prof. Klaus Schäfer und für die initiierten Regionalkonferenzen danken. Und zuletzt zur guten Strecke der Realisierung des Gesetzes, also der tatsächlichen Arbeit im Ministerium selbst, darf ich einer weiteren, sehr zentralen Person meinen Dank aussprechen, die auch heute hier unter uns ist, und zwar Herrn Landmann.
Es war wichtig, dass diese geistige Architektur für das Schöne, Gute und Wahre in eine kluge Systematik, kluge reale Inhalte und vor allem in Paragrafen überführt und in die Abstimmung mit anderen Ressorts gebracht wurde.
Das Kulturfördergesetz schafft Fundamente für kulturpolitisches Handeln. Es schafft Begründung für dieses. Es benennt die Ziele, die Aufgaben, die Grundlagen der Förderung, und es schafft neue Instrumentarien, unter anderem den Förderplan. Ich verhehle auch an dieser Stelle nicht, dass ich mir ruhig den einen oder anderen ordnungspolitischen Hammer mehr hätte wünschen können. Aber hier geriet das Gesetz sehr schnell immer wieder in Konflikt mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht und – machen wir uns nichts vor – in Konflikt mit dem Gedanken, dass weiterhin ein Korridor für die Konsolidierung der Haushalte offen stehen solle.
Daher ist dieser Weg der rot-grünen Regierung in NRW wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass die Sanierung der Kommunalfinanzen vorangetrieben wird. Dennoch ist das Gesetz nicht zahnlos, denn es hat keine Verbote oder Gebote, aber es schafft Ermöglichungstatbestände, und es schafft jenseits der jeweiligen Haushaltslage Bindungskraft durch politische Aussagen.
Noch einmal zum Weg des Gesetzes: Es gab von Anfang an eine rege Begleitung durch die Verbände, dann hier eine hochinteressante und hochqualitative Anhörung mit weiteren Anregungen. Einige davon haben wir aufgegriffen; sie sind in dem Ihnen vorliegenden Änderungsantrag enthalten. Wir haben noch einmal die Partizipation ausgeweitet, wir haben den Begriff der kulturellen Bildung etwas stärker an den Gedanken des lebenslangen Lernens – weiterhin mit dem Schwerpunkt für Kinder und Jugendliche – angepasst. Wir haben die Kontraktfähigkeit ein Stück erweitert, und wir haben noch einmal die Aufgabe der Darstellung von Kunst für die Förderung der Identität des Landes hervorgehoben.
Enden möchte ich mit den Worten des Vorsitzenden des Kulturrats NRW, Herrn Minister a. D. Gerhart Baum, der das Gesetz durchaus kritisiert hat, aber eben auch folgendes Abschließende dazu sagte: Was aus dem Gesetz wird, hängt von uns allen ab. Mit dem Gesetz müssen wir umgehen, wir müssen es in die Wirklichkeit bringen, aber es ist ein Ansatz. Deswegen werden wir aktiv an der Umsetzung mitwirken.
Abschließend von mir: Vielen Dank für dieses Angebot. Unsere gemeinsame Arbeit beginnt nun.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Sternberg.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen haben wir in den Haushaltsreden gehört, dass Nordrhein-Westfalen unter Wert regiert wird. Auch für die Kultur sind die Zeiten ausgesprochen finster. Denn auch auf dem Feld der Kultur verspielt das Land im Moment sein Renommee. Verkaufen, verhökern, verscherbeln – das sind die Themen. Kleinlicher Krämergeist, Banausentum und eine, wie ich finde, völlig erstaunliche neoliberale Fixierung auf das Geld, vielleicht aus der blanken Not und der Unfähigkeit, die Finanzen in den Griff zu bekommen. Aber Kultur scheint in der Regierung Kraft überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.
(Beifall von der CDU)
Ist das vielleicht ein Thema der Sozialdemokraten generell? – In Münster wollen die regierenden Sozialdemokraten jetzt ein Juwel der Barockarchitektur verkaufen, um Geld für ein Spaßbad zu haben. Das war nicht immer so. Ein ehemaliges SPD-Mitglied aus Münster, ein Prominenter, meldet sich aus Paris mit der Überschrift: Ich schäme mich für meine Vaterstadt.
Jetzt haben wir hier heute abschließend ein hochambitioniertes Projekt auf dem Tisch liegen, das einmal das zentrale Projekt der Kulturpolitik dieser Legislaturperiode werden sollte. Und nun diskutieren wir das heute Abend vor leerem Haus.
(Marc Herter [SPD]: Bei Ihnen sitzt kaum noch einer!)
Das ist auch kein Wunder, denn das Gesetz ist kein Gesetz geworden, das irgendeine Veränderung in die Landespolitik brächte. Es tut keinem weh, und man könnte zu diesem Gesetz sagen: „Schad‘ nix, nützt nix!“
Ich zitiere noch einmal den bemerkenswerten Satz unter „D ‚Kosten‘“:
„Dieses Gesetz begründet keine subjektiven Rechte Einzelner, insbesondere keine Ansprüche auf Landesförderung. Es ergeben sich keine zusätzlichen Kosten für den Landeshaushalt.
Dieses Gesetz enthält keine Vorgaben für die Gemeinden, die zu zusätzlichen Belastungen für die kommunalen Haushalte führen.“
Was regelt dieses Gesetz dann eigentlich? Was regelt es eigentlich mehr, als die Landesverfassung schon sagt? Die Fachverbände fragen das auch sehr deutlich. Der Kulturrat NRW stellt fest:
„Die Erwartung grundlegender Regelungen zur Kulturförderung ist in Bezug auf die Kommunen nicht erfüllt worden.“
Was soll dann so ein Gesetz? Wie konnte geschehen, dass hier nach dem Kreißen des rot-grünen Berges so ein Mäuslein hervorgekrochen ist?
Der Grund liegt darin, dass alle Fachminister gemauert haben und sich die Ministerpräsidentin dieses Landes offenbar überhaupt nicht für Kultur interessiert. Der Innenminister legte sich bei der Kulturanerkennung in den Haushaltssicherungskommunen und bei Abweichungen von der Verfahrensordnung in der Förderpraxis quer. Der Finanzminister war nicht bereit, das neue Gesetz zumindest mit wenigen Finanzmitteln zu unterlegen. Und der Bauminister war nicht bereit, der guten Idee der Erneuerung einer Verpflichtung zur Kunst am Bau zumindest für öffentliche Bauherren zuzustimmen. Da steht jetzt der bemerkenswerte Satz im Gesetz, dass das für Kultur zuständige Ministerium Kunstausstattungen an ausgewählten Bauten finanzieren darf. Wie großzügig!
Man hat sich offensichtlich gesagt: Lasst die Kulturleute mit ihrem kleinen Etat machen, was sie wollen, so lange sie nicht aus dem Laufstall krabbeln. Sie sollen in ihrem Laufstall bleiben, da können sie machen, was sie wollen; aber sie sollen sich bitte nicht einreden, sie könnten in der wirklichen Politik mitspielen. Meine Damen und Herren, das alles ist blamabel. Es ist blamabel für die Regierung und für die Kulturpolitik.
(Beifall von der CDU)
Das Beste an diesem Text sind die Regelungen in der Förderrichtlinie: Festbeträge, vereinfachter Verwendungsnachweis, Anerkennung allgemeiner Kosten von Versicherungs- und anderer Leistungen. Anderes, wie der Kulturbericht, ist längst gute Praxis, auch wenn er seit 2010 in verkleinerter Form erscheint. Der Fünfjahresplan für Kultur klingt besser als er ist, zumal Haushaltsfestlegungen nicht bindend sind.
Die Verfahrensordnungen wären auch ohne Gesetz jederzeit umzusetzen. Vom Gesetz erwarten wir zumindest eine wirkliche Neuerung. Man gewinnt den Eindruck, als wenn man hier einem schönen Mund nach und nach jeden Zahn gezogen hätte. Das, was übrigbleibt, ist jetzt zahnlos, kraftlos und sieht schon bei der Beschlussfassung sehr alt aus.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die fraglos guten Elemente in diesem Verwaltungsteil wie auch die sehr lesenswerten Ausführungen über Kulturpolitik und deren Verankerung in der Landesverfassung sind die Frucht der Arbeit eines Mannes, der heute wenigstens offiziell seinen letzten Arbeitstag hat und seinen Abend hier im Plenum verbringt: Ministerialdirigent Peter Landmann, den Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff 2006 in die Leitung der Kulturabteilung holte. Seine Tätigkeit für die Kultur verdient höchste Anerkennung.
(Beifall von der CDU, den PIRATEN und Marc Herter [SPD])
Die Kulturszene hat Peter Landmann schon am Samstag in einer ganz außerordentlichen Feier verabschiedet. Da konnte man erleben, dass Musik, Tanz und Gesang wirklich mehr sind als dekorative und unvermeidliche Lorbeerbäumchen eines Festaktes. Nein, man konnte erleben, dass sie aufregend, anregend, begeisternd und dass sie wichtig sind. Peter Landmann nimmt die Kunst ernst. Er nimmt sie wichtig. Er gehört zu jenen, die in finsteren Zeiten zur Kunst stehen. Dafür ist ihm zu danken. Er sortierte nie nach Hoch- und Trivialkultur, sondern ihm ging es immer um Qualität. Es ging ihm um das Beste in der künstlerischen Tätigkeit, um das, worum es sich zu mühen lohnt, wohin zu bilden sich lohnt und was jede Förderung verdient.
(Beifall von der CDU)
Für diesen Einsatz, der immer mehr als Verwaltung war, danken Ihnen, Herr Landmann, nicht nur die Kulturschaffenden im Land und deren Vertreter, sondern auch die Kulturpolitiker dieses ganzen Hauses.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist zu Ende. Lassen Sie mich noch sagen: Den Änderungen der Piraten, die sehr vernünftig sind, werden wir deshalb nicht zustimmen, weil wir diesem ganzen Gesetzeskonvolut nicht zustimmen können, denn die Aufgabenstellung wird durch das Gesetz nicht gelöst. Wir brauchen weiterhin ein Bibliotheksgesetz. Wir kündigen an, dass wir daran arbeiten werden. Und wir kündigen an, dass wir an einem wirklichen Kulturgesetz als Alternative arbeiten werden. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Prof. Sternberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.
Oliver Keymis*) (GRÜNE): Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg, offenbar ist es vor Ihrem Gesicht so finster – Sie sprechen ja immer von der Finsternis –, dass Sie wirklich nicht mehr sehen, was hier geleistet wurde.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie kündigen heute an, dass Sie jetzt auch einmal anfangen, sich Gedanken zu machen und sozusagen ein neues Gesetz vorbereiten, nachdem wir den Antrag 2011 – dankenswerterweise gemeinsam mit der FDP – eingebracht haben. Dieser Antrag hat eine Neuwahl überstanden, und die Regierung hat in langen Jahren und aufwendigen Prozessen den Auftrag, den das Parlament ihr gegeben hat, aufgearbeitet und, wie ich finde, erfüllt. Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen „Jetzt ergreifen wir demnächst auch einmal eine Initiative“, das finde ich wirklich beachtlich. Das freut mich auch sehr, es klingt vorweihnachtlich und nach Geschenken.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Prof. Sternberg?
Oliver Keymis*) (GRÜNE): Jetzt schon?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Jetzt schon.
Oliver Keymis*) (GRÜNE): Na dann!
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Das finde ich aber sehr freundlich. Vielen Dank, Herr Kollege Keymis, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
(Oliver Keymis [GRÜNE]: Gerne!)
Meine Frage geht dahin: Ist Ihnen bekannt, dass der Entwurf eines Bibliotheksgesetzes aus dem Jahre 2010 sogar noch vorliegt und dass der nur schlafend gestellt worden war, weil dieses Kulturgesetz genau das leisten sollte?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Keymis.
Oliver Keymis*) (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Sternberg, ich danke für Ihre Frage. Ich sehe ja schon alt aus, aber ich erinnere mich daran. Es ist lange her, und es war nicht schlimm.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich glaube aber ernsthaft, dass Sie seitdem nicht genügend mitvollzogen haben, dass wir mit dem, was wir jetzt gemeinsam diskutieren und was uns die Regierung nach einem langen Arbeitsprozess vorgelegt hat, bewusst versuchen wollten, mehr als nur ein Bibliotheksgesetz zu erarbeiten und mehr zu leisten als das, was Sie mit dem sicher lobenswerten Versuch, an einer Stelle für eine Sparte eine Regelung aufzuschreiben, damals haben vorlegen können.
Insofern kann ich Ihre Frage wie folgt beantworten: Ja, ich nehme gerne zur Kenntnis, dass das so war. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sie hier eben folgende rhetorische Volte versucht haben. Sie haben versucht – und das ehrt Sie für den Schluss –, Herrn Landmann dafür zu danken und zu loben, dass er seine Arbeit getan hat. Herr Landmann sitzt hier, muss sich aber nicht dazu verhalten; schließlich ist das nicht sein Job als Beamter. Er könnte es aber tun. Denn heute scheidet er aus dem Dienst aus. Im Prinzip ist das also Ihr letzter Arbeitstag.
Das heißt, um null Uhr ist Schluss. Danach wird er im Bett liegen und zustimmend nicken, wenn er an das denkt, was ich jetzt sage. Ich bin sicher, dass er das tun wird. Denn es kann nicht sein, dass Sie ihn für seine Arbeit loben, ihn aber für das, hinter dem der Mann zu mindestens 99 % steht, in Bausch und Bogen verbannen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dieser Widerspruch, Herr Kollege Sternberg, ist eigentlich nicht hinnehmbar. Ich nehme es Ihnen zwar nicht persönlich übel, aber ich nehme es Ihnen politisch übel, dass Sie diese Volte schlagen und damit im Grunde die wichtigen Zusammenhänge, die das Gesetz enthält – vor allen Dingen das, was in der Begründung über viele Seiten genauestens aufgelistet ist –, sowie die Selbstvergewisserung dessen, was Kulturpolitik in diesem Land bedeutet, einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Stattdessen sagen Sie: Das ist alles Schmarrn, und im Grunde braucht es das nicht, aber toll, dass Sie das so schön gemacht haben, Herr Landmann. – Das nehme ich Ihnen ehrlich gesagt nicht ab.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich bin auch ein bisschen verärgert darüber, weil ich hier jetzt nicht die Zeit habe, alle positiven Seiten des Gesetzes aufzuzählen. Wenn Sie immer nur auf den Punkten herumreiten, die auch in der Regierung strittig waren, und die zwischen dem Finanzminister, dem Innenminister, der Ministerin für Kultur und ihren Expertinnen und Experten diskutiert worden sind, dann ist das natürlich eine Ebene, die Sie als Opposition immer wieder betreten können, aber es reicht nicht aus. Außerdem unterfordern Sie sich damit meiner Ansicht nach selbst intellektuell und werden dem Gesetz, das wir heute hier in zweiter Lesung gemeinsam und mit hoffentlich breiter Mehrheit beschließen werden, nicht gerecht. Vor allen Dingen werden Sie nicht der Leistung gerecht, die hinter den Kulissen, auf die Sie eben so freundlich verwiesen haben, erbracht wurde.
Der Dank meiner Fraktion, aber auch mein persönlicher Dank gilt Ihnen, Herr Landmann, und zwar in aller Ehrlichkeit und ohne irgendwelche Hintergedanken. Sie haben – und zwar federführend – gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen tolle Arbeit geleistet. Die Ministerin hat das, so gut sie konnte, vorneweg unterstützt. Dafür sind wir Ihnen alle sehr dankbar. Denn es ist der ehrenwerte und wirklich gelungene Versuch, die Kulturförderung eines Landes, die in der Form einzigartig in dieser Republik ist, zusammenzufassen und zu sagen, wohin das führt und warum man das politisch überhaupt macht. Das gab es bisher noch nicht. Allein dafür gebührt Ihnen meiner Meinung nach unser aller uneingeschränkter Dank und ein herzlicher Applaus.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Von hier aus wünschen wir Ihnen persönlich und politisch alles Gute für die Zukunft und für Ihren weiteren Weg. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihrer Nachfolgerin im Amt.
Ich hoffe außerdem, dass wir, Frau Ministerin, auch in der Kulturabteilung weiterhin so viele interessante und fruchtbare Vorschläge miteinander diskutieren und erarbeiten können, wie Sie sie bisher mit Herrn Landmann an der Spitze vorlegen konnten.
Mit dem Gesetz haben Sie meiner Ansicht nach unseren Auftrag aus dem Antrag erfüllt. Wir sind zwar nicht in allen Punkten mit allem superglücklich – es gibt Dinge, die wir uns auch besser hätten vorstellen können –, wir kennen aber auch die Grenzen solcher Diskussionen.
Ich finde, Herr Kollege Sternberg – das habe ich aus der Anhörung mitgenommen; das ist von fast allen gesagt worden –, das ist ein guter Vorschlag. Wir sind auf einem richtigen Weg. Der Kollege Bialas hat das eben bereits deutlich ausgeführt. Es gab kaum kritische Stimmen, und das wissen Sie auch. Es gab Kritikpunkte, aber es gab kaum grundlegend kritische Stimmen.
Der eigentliche Aufruf war, zu sagen: Jetzt gibt es das Gesetz – sofern es heute beschlossen wird –, und dann beginnt die Arbeit. Dann müssen wir es mit Leben füllen, politische Initiativen ergreifen und uns gemeinsam in diesem Hohen Hause für die Kultur stark machen.
Wenn sich die Mehrheit des Hohen Hauses jetzt gleich genau dafür entscheidet und die Hand hebt, dann freut mich das sehr. Ich finde, es ist ein richtiger Meilenstein in der bundesrepublikanischen Kulturpolitik und für Nordrhein-Westfalen sowieso.
Ich bedanke mich bei allen, die daran mitgearbeitet haben. Wir hatten interessante Diskussionen. Die eigentliche Arbeit beginnt mit dem heutigen Beschluss, und darauf freue ich mich.
Deshalb sage ich Danke an die Ministerin sowie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Herr Landmann, ich wünsche Ihnen persönlich auch noch einmal alles Gute. Den Fraktionen, insbesondere der SPD-Fraktion, danke ich für eine wirklich gute und über weite Strecken sehr kollegiale Zusammenarbeit.
Ich glaube, wir haben mit dem Gesetzentwurf, den wir gleich beschließen werden, einen Meilenstein gesetzt. Manch einer, zum Beispiel von der „Süddeutschen Zeitung“, mag darüber ein bisschen herummäkeln – das habe ich zumindest gelesen –, aber nicht jeder, der sich kritisch dazu äußert, tut das auf einem wirklich klugen Fundament. In dem Artikel, den ich meine, könnte ich das anhand einiger Punkte nachweisen. Dafür bleibt aber nicht die Zeit. Ich lasse noch 20 Sekunden übrig und bedanke mich bei allen Beteiligten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen liegt der Entwurf eines Kulturfördergesetzes vor. Doch noch während die Augen vieler Menschen, der Kulturschaffenden und Kulturverbände erwartungsvoll auf dem ersehnten kulturellen Hoffnungsträger ruhen, ergeht es ihnen wie dem lyrischen Ich in dem schönen Gedicht von Bertolt Brecht, das ich mit Erlaubnis des Präsidenten hier zitieren möchte:
„Und über uns im
schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.“
(Andreas Bialas [SPD]: Bertolt Brecht, immer schön! Wunderschön!)
Zitat Ende. – Das Kulturfördergesetz – eine weiße Wolke am kulturellen Himmel, poetisch und schön anzusehen, aber ohne Substanz.
Meine Damen und Herren, die zentrale Norm für die Kulturförderung des Landes sollte vorgelegt werden. Der Handlungsspielraum für die kommunale Kulturförderung sollte vergrößert werden. Kulturförderung sollte eine verlässliche Grundlage erhalten.
Und ja, Herr Bialas, insofern legte auch die FDP-Fraktion große Hoffnungen in das Gesetz. Umso größer ist die Enttäuschung, was das Ergebnis angeht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die heute hier zur Abstimmung stehende Version des Gesetzentwurfes ist nicht zustimmungsfähig.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Keymis zulassen?
Ingola Schmitz (FDP): Bitte schön, Herr Keymis.
Oliver Keymis*) (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Frau Kollegin Schmitz, würden Sie mir zustimmen, dass wir alle zur Kenntnis nehmen konnten, dass der Experte Herr Dr. Wackerhagen aus Köln, den Ihre Fraktion im Rahmen der Anhörung hierher berufen hat, diesen Entwurf mit hehren Worten gelobt und sich dafür ausgesprochen hat, das Ganze konstruktiv zu nutzen, was völlig im Widerspruch zu dem steht, was Sie jetzt sagen? Mit anderen Worten: Würden Sie mir zustimmen, dass Opposition manchmal Mist ist?
(Beifall von den GRÜNEN)
Ingola Schmitz (FDP): Es tut mir leid, Herr Keymis, dem, was Sie gehört haben, kann ich nicht ganz zustimmen. Wir haben auch den Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats gehört, Herrn Olaf Zimmermann, der dazu einige deutliche Worte verloren hat, auf die ich gleich noch zu sprechen komme.
(Beifall von der FDP – Martin Börschel [SPD]: Und die FDP im Kölner Stadtrat?)
Ich nenne Ihnen vier Hauptgründe dafür, warum wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können:
Erstens. Sämtliche Künstlerinnen und Künstler, die sich in der Vergangenheit zum Thema „Kulturförderung“ zu Wort gemeldet haben, beklagen zu hohe Förderbürokratie. Wir hätten uns hier einen mutigen Ansatz zur Entbürokratisierung gewünscht. So scheitert manches spannende Projekt etwa an hohen Förderschwellen. Auch das Jährlichkeitsprinzip ist mit künstlerischem Wirken und kreativer Arbeit oft schwer in Einklang zu bringen. Impulse zur Vereinfachung gehen von dem Gesetz allerdings in keiner Weise aus.
Zweitens. Das Gesetz versäumt es, einen entscheidenden Beitrag zum Schutz des kulturellen Erbes Nordrhein-Westfalens im öffentlichen Bereich zu leisten. Dazu hätten öffentliche Institutionen wie landeseigene Einrichtungen und Unternehmen zu einem sorgfältigen Umgang mit Kunstwerken in ihrem Eigentum verpflichtet werden müssen. Außerdem muss der von der Landesregierung durch die Warhol-Verkäufe verursachte Dammbruch repariert werden. Das Kulturfördergesetz wäre der richtige Ort dazu gewesen, indem man beispielsweise § 8 leicht angepasst hätte.
(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: So ein Quatsch!)
So könnte festgeschrieben werden, dass Kunst in öffentlichem Eigentum grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich sein muss und dass kein Verkauf von Kunst aus öffentlichem Eigentum ohne vorherige Beteiligung von Kunstexperten sowie der Öffentlichkeit stattfinden darf.
(Beifall von der FDP)
Das sind wir der kulturellen Vielfalt und dem kulturellen Erbe sowie der Öffentlichkeit Nordrhein-Westfalens schuldig.
Drittens. Der Gesetzentwurf atmet einen etatistischen und dirigistischen Geist. Genau das meinte ich, als ich mich vorhin auf Herrn Zimmermann bezog. Dieser Odem ist Gift für Kunst und Kultur. Ich hätte mir gewünscht, dass das Kulturfördergesetz stärker von einem Geist der Freiheit und Unabhängigkeit durchzogen wäre, der letztlich den Kulturbereich ausmacht und prägt.
(Beifall von der FDP)
Diese Einschätzung des Geschäftsführers des Deutschen Kulturrates teilen wir uneingeschränkt.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist durchzogen von Steuerungs- und Lenkungsabsichten. Er erweckt den Eindruck, als fänden kreatives Schaffen und kulturelle Vielfalt ihre Grundlagen in staatlicher Aktivierung oder staatlichen Kulturförderplänen. Es ist eben kein ermöglichendes Gesetz, Herr Bialas. Wir brauchen aber einen ermöglichenden Staat, nicht ein Steuerungssystem der Kulturplanung und Kulturbürokraten. Kultur braucht Freiheit.
(Zuruf von Andreas Bialas [SPD])
Kulturförderung muss künstlerisches Wirken und kulturelle Vielfalt als Selbstzweck ermöglichen. Dieser wesentliche Gedanke fehlt im Gesetzentwurf. Die Klarstellung der Zweckfreiheit von Kunst muss zwingend Bestandteil einer solchen zentralen kulturpolitischen Norm sein.
Viertens. Die Landesregierung beansprucht für sich, mit dem vorgelegten Entwurf eine verbindliche und verlässliche Grundlage für die Kulturförderung und damit für die Wahrnehmung des Verfassungsauftrags nach Art. 18 der Landesverfassung durch das Land geschaffen zu haben.
Jedoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, die erheblichen Kürzungen der Haushaltsmittel für die Kulturförderung sowie die faktische Einstellung der Denkmalförderung durch die rot-grüne Landesregierung in den vergangenen Jahren konterkarieren dies. Das Kulturfördergesetz bleibt somit substanzlos. Es hilft der Kulturlandschaft sowie den Kulturschaffenden in Nordrhein-Westfalen in keiner Weise, theoretische Fördermodalitäten zu kennen, wenn kein Geld für ebendiese Förderung vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, zumindest die drei Punkte lassen sich durch die Annahme unseres Änderungsantrags ausräumen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.
Sehr geehrter Herr Landmann, wir danken Ihnen für Ihre Arbeit, auch wenn wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können, und wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Lamla.
(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das Gesetz ist blöd, aber vielen Dank für die Arbeit!)
Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit schon vor meiner Rede. Das Kulturfördergesetz – man kann es so sagen – ist eine geplatzte Blase. Es wurde der Kunst- und Kulturlandschaft als Mittel gegen den Druck aus Richtung der Finanzpolitik angekündigt. Viel wurde über Regelungen und die Absicherung von Kulturaufgaben im Land und in den Kommunen gesprochen, und viel wurde versprochen. Übrig geblieben ist nicht viel, teils aus nachvollziehbaren Gründen, die mit der Landesverfassung zu begründen sind. Dem Kulturfördergesetz die Zähne gezogen haben aber die rot-grünen Finanzpolitiker;
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)
denn sie haben das Gesetz zu einer Aneinanderreihung von schönen Worten und Notlösungen degradiert. Dazu gibt es eigentlich nichts Weiteres zu sagen.
Ich möchte aber etwas zu unseren eigenen Themenschwerpunkten sagen. Zusätzlich zur Beschlussempfehlung des Ausschusses, um die es jetzt geht, haben wir einen Änderungsantrag eingebracht. Ich werde einmal die wichtigsten Punkte durchgehen, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben und beim nächsten Anlauf dann vielleicht ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen.
Zuallererst zur Fokussierung auf Kinder und Jugendliche: Ja, die Fokussierung wurde im Verlauf zwar leicht abgeschwächt, aber unsere Forderung, die explizite Erwähnung der Erwachsenen- und Seniorenbildung, ist nicht umgesetzt worden, obwohl wir das mehrfach angeregt hatten. Wer das Ziel des lebenslangen Lernens ins Gesetz schreibt, der soll doch bitte nicht nur die Altersgruppen jenseits der Teenagerjahre mitnehmen, sondern sie auch benennen.
Genauso problematisch ist die exemplarische Aufzählung besonders förderungswürdiger Teile der Kulturinfrastruktur in NRW. Uns ist die Erwähnung und Würdigung der Spielstätten und Klubs, der musikalischen Subkulturen, der Off-Kulturen, ganz besonders wichtig. NRW ist und war in seiner jüngsten Geschichte berühmt für seine Subkulturen und die Innovationen, die von hier hervorgingen. Man denke einfach zurück an Kraftwerk, die aus Düsseldorf heraus die Musik weltweit revolutionierten. Dafür ist es wichtig, die musikalischen Subkulturen auch im Kulturfördergesetz als festen Teil der kulturellen Infrastruktur repräsentativ zu verankern. Hier gibt es bei uns Bühnen für aufstrebende Musikerinnen und Musiker, DJs und Produzenten. Eine Erwähnung findet aber nicht statt, obwohl wir dies mehrfach angeregt haben.
Der Kulturförderplan wurde konzipiert, um über die Legislaturperioden hinweg die Kulturhaushalte zu stabilisieren. So können Kulturakteure etwas besser mittelfristig planen. Die Aufstellung des Plans obliegt aber dem Ministerium im Einvernehmen mit dem Landtag. Oberflächlich betrachtet, ist dieses parlamentarische Prinzip auch demokratisch legitimiert. Aber wollten wir nicht eigentlich Partizipation, also die Beteiligung derer, die davon betroffen sind? Unter diesen Umständen kann man die hier eingebrachten Regelungen nur ablehnen; denn es wäre erstrebenswert, die Organisationen und Verbände der Kulturlandschaft direkt und viel stärker bei der Aufstellung des Kulturförderplans zu beteiligen. Dasselbe gilt für die kommunalen Spitzenverbände. Wir wollen mehr Partizipation derer, die von dem Förderplan wirklich betroffen sind. Das ist aber anscheinend nicht gewollt.
Wir haben auch versucht, bei den Fördervereinbarungen, die das Ministerium mit einer Kommune abschließen kann, die kommunal geförderten Kultureinrichtungen nebst den kommunalen Einrichtungen zu berücksichtigen. Aber auch dies ist anscheinend nicht gewollt. Stattdessen bevorzugt die Neuregelung im Beschlussvorschlag die bereits Etablierten und benachteiligt die Neugründungen, also gerade die Einrichtungen, die keine Landesförderung bekommen können oder wollen.
Genauso unmöglich ist anscheinend auch die gesetzliche Absicherung der Kunst- und Kulturgüter im landeseigenen Betrieb. Ich frage mich an dieser Stelle: Hat die Landesregierung aus dem Aufschrei der Kunst- und Kulturszene in NRW nach den Warhol-Verkäufen nichts gelernt? – Anscheinend nicht! Wir haben verschiedene Vorschläge gemacht – auch zusammen mit den Fraktionen von FDP und CDU –, um wenigstens einen beschränkten Schutz durch Beteiligung von unabhängigen Gremien im Gesetz festzuschreiben. Das ist anscheinend auch nicht gewollt.
Mein Fazit lautet: Rot-Grün zieht hier sein Ding durch. Andere Meinungen und Ideen zählen nicht. Man hätte ganz viel mehr aus dem Kulturfördergesetz machen können. Das war aber anscheinend so nicht gewollt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich freue mich wie die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sehr darüber, dass wir heute das erste allgemeine Kulturfördergesetz in der Bundesrepublik Deutschland verabschieden können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn es am 1. Januar 2015 in Kraft tritt, wird es mit Sicherheit den kulturpolitischen Diskurs in Nordrhein-Westfalen noch einmal mehr verändern. Zwar setze ich seit der Regierungsübernahme schon auf einen intensiven Dialog mit Kunst- und Kulturschaffenden. Die Art und Weise, wie kulturpolitische Entscheidungen fallen und wie sie kommuniziert werden, wird sich dann aber noch einmal verstärken.
Allerdings werden diese Veränderungen nicht gleich am 1. Januar 2015 eintreten. Damit sich diese Diskurskultur optimal entfalten kann, brauchen wir nämlich die Diskussion über den Kulturförderplan, die Diskussion über den Landeskulturbericht und die Diskussion über die Fördervereinbarung. Das heißt: Wir brauchen das Engagement von uns allen; denn Sie alle sind in dieser Diskussion beteiligt – über die Landesregierung, das Parlament, die Kommunen, die Kulturschaffenden und die Kulturverantwortlichen.
Herr Lamla, ich weiß nicht, was Sie meinen. Mehr Partizipation geht schon gar nicht, finde ich.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Doch, das geht, Frau Ministerin!)
So, wie wir über diese Dinge sprechen, ist das schon gut.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Insofern denke ich, dass dieses Gesetz nicht nur der Abschluss eines langen Entwicklungsprozesses ist, sondern auch die tatsächliche Grundlage für einen Neuanfang.
(Beifall von Walburga Benninghaus [SPD])
Wir können uns noch gut daran erinnern, dass dieser Diskussionsprozess mit den Regionalkonferenzen begann, die allseits sehr gelobt wurden. Das stand am Anfang. Es hat für die Aktivitäten des Landes und für die Kulturszene schon viele Erkenntnisse gebracht. Die beiden Verbändeanhörungen haben uns noch einmal wichtige Anregungen gegeben. Dann sind wiederum Veränderungen in diesen Entwurf eingeflossen, die wir heute verabschieden. Wir haben also einen spannenden Prozess hinter uns.
Wir haben aber auch einen spannenden Prozess vor uns. Ich kündige jetzt schon an, dass wir im Frühjahr des nächsten Jahres wieder Regionalkonferenzen durchführen werden, um in den kulturpolitischen Diskurs einzusteigen und genau die Dinge umzusetzen, die wir im Kulturfördergesetz angelegt haben. Dazu lade ich Sie alle sehr herzlich ein.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Insofern kann ich an dieser Stelle meinen Vorrednern von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nur zustimmen. Natürlich hätten wir uns an der einen oder anderen Stelle auch noch mehr gewünscht. Mit dem, was wir jetzt vorgelegt haben, haben wir aber in Nordrhein-Westfalen einen tatsächlichen Schritt nach vorn gemacht, der uns mit Sicherheit eine bundesweite Aufmerksamkeit bringen wird.
Jetzt liegt es an uns, was wir aus dem Kulturfördergesetz machen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir in Nordrhein-Westfalen etwas Gutes daraus machen; denn wir haben viele Unterstützerinnen und Unterstützer in der Kulturlandschaft.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Liebe Frau Schmitz, Sie behaupten, die Künste würden künftig nicht mehr ihren Freiraum haben. Bitte schauen Sie einfach einmal in das Gesetz. Dort heißt es im § 3:
„Ziele der Kulturförderung sind: … den in Nordrhein-Westfalen lebenden und arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern eine freie künstlerische Entfaltung zu ermöglichen, …“
Genau das ist der Sinn und Zweck dieses Gesetzes.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie können mich dafür auch als Zeugin nehmen. An keiner Stelle würde ich in meinem Amt oder in meiner Funktion irgendeiner Einschränkung der künstlerischen Freiheit auch nur eine Chance geben. Genau das ist das A und O, das wir bewahren müssen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Liebe Frau Schmitz, ich glaube, dass Sie das auch gar nicht ganz ernst gemeint haben. Da sind wir uns doch eigentlich auch einig.
Abschließend würde ich gerne noch einmal den Hinweis unterstreichen, den Herr Keymis Herrn Prof. Sternberg gegeben hat. Herr Prof. Sternberg, Sie haben in Bezug auf Herrn Landmann wörtlich gesagt – Ihre freundlichen und sehr lobenden Worte kann ich nur unterstreichen –: Ihm ging es immer um Qualität. – Da Herr Landmann seine Aufgaben über Jahre verantwortungsvoll wahrgenommen hat und seine Handschrift in diesem Kulturfördergesetz tatsächlich noch einmal niedergelegt hat, können Sie doch davon ausgehen, dass er das ebenfalls mit diesem Qualitätsanspruch getan hat.
Ich möchte ihm an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich dafür danken. Ich habe es in der Verabschiedung am Samstag auch schon gemacht und noch einmal sehr intensiv auf seinen Beitrag zu Kunst und Kultur in Nordrhein-Westfalen hingewiesen.
Insofern haben Sie sich selbst widersprochen. Eigentlich, Herr Prof. Sternberg, kenne ich Sie auch ganz anders.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich möchte meinen Redebeitrag ebenfalls mit einem Dank abschließen. Das ist vielleicht ungewöhnlich, aber ich möchte auch Frau Holsträter danken, die den ganzen Weg mit begleitet hat und in der zweiten Reihe wirkt.
Und: Ohne die tolle Zusammenarbeit mit den Fraktionen hätten wir das nicht so hinbekommen. Also Andreas Bialas und dem Arbeitskreis ganz herzlichen Dank und Oliver Keymis und dem Arbeitskreis ganz herzlichen Dank! Natürlich danke ich auch den Referenten und Referentinnen in der Fraktion, die mitgeholfen haben, und – nicht zu vergessen – Karl Schultheis als Vorsitzendem des Kulturausschusses.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich. Aber ich möchte Marc Herter meinen Dank aussprechen. Nadja Lüders sei in den Dank auch eingeschlossen. Herr Herter hat die ganze Veranstaltung „Operation Landmann“ genannt. Unser Anliegen war, heute, am letzten Arbeitstag von unserem Abteilungsleiter Herrn Landmann dieses Kulturfördergesetz auf den Weg zu bringen. Dank ihrer und eurer tatkräftigen Unterstützung ist das tatsächlich gelungen. Das macht mich glücklich, und das macht mich froh. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um zwei Minuten überzogen hat. Ich sehe aber keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben jetzt insgesamt vier Abstimmungen vorzunehmen.
Wir stimmen erstens ab über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten. Das ist die Drucksache 16/7622. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/7622 der Piraten abgelehnt mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und FDP bei Zustimmung der Piraten.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Das ist die Drucksache 16/7631. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag der FDP Drucksache 16/7631 abgelehnt mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der FDP und bei Enthaltung der CDU-Fraktion und der Fraktion der Piraten.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Das ist die Drucksache 16/6637. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in Drucksache 16/7556, den Gesetzentwurf Drucksache 16/6637 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7556. Wer der seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7556 angenommen mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der FDP und der Fraktion der Piraten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir kommen viertens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Das ist die Drucksache 16/7632. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/7632 der Fraktion der FDP abgelehnt mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU-Fraktion und der Piratenfraktion.
Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6636
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/7557 – Neudruck
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Scheffler das Wort.
Michael Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung sowie an den Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes bisher pauschaliert vom Land an die Kommunen, die Kreise und kreisfreien Städte weitergeleitet wurde, wird nun die Spitzabrechnung ermöglicht, das heißt, dass die Kosten erstattet werden, die im Vorjahr verausgabt worden sind. Diesen Vorschlag hat das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales im Übrigen schon bei den Verhandlungen zum Bildungs- und Teilhabepaket eingebracht, auch mit einem Gutachten hinterlegt. Dies ist seinerzeit leider vom Landkreistag abgelehnt worden.
Wir sind daher sehr erfreut, dass es bei der Anhörung zu dem vorgelegten Gesetzentwurf keine Einwände der kommunalen Spitzenverbände mehr gegeben hat, sondern dass die Vorgehensweise und der Vorschlag, den das Gesetz beinhaltet, von den kommunalen Spitzenverbänden einhellig begrüßt worden sind. Auch der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat heute Morgen dem vorgelegten Gesetzentwurf und auch dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag einstimmig zugestimmt.
Wir werden künftig als Land Nordrhein-Westfalen die Mittel so weitergeben können, wie sie vor Ort verausgabt worden sind. Wir haben natürlich die Erwartung, dass die Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket besser bei den Kindern und Jugendlichen ankommen.
Mit der übergangsweisen Finanzierung der Schu-lsozialarbeit – ich sage eigentlich immer lieber: Quartierssozialarbeit – haben wir eine wichtige Voraussetzung hierfür geschaffen. Für mich gehört dieses Thema nach wie vor eigentlich in das SGB II.
Ich denke, wir haben mit dem heute verabschiedeten Haushalt dem Land Nordrhein-Westfalen 48 Millionen € in die Hand gegeben, um 1.500 Stellen in Nordrhein-Westfalen bei den Kommunen zu sichern bei einer durchschnittlichen Kostenübernahme von 70 %. Das kann sich sehen lassen und ist nach wie vor eine gute Botschaft.
Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegten Änderungsantrag ermöglichen wir die Weiterleitung der Bundesmittel für die ganz stark von Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien betroffenen Kommunen. Der Bund stellt, wie wir wissen, insgesamt 25 Millionen € zur Verfügung. Das Land Nordrhein-Westfalen wird daraus 6 Millionen € zur Verfügung haben, die an die betroffenen Kommunen weitergeleitet werden sollen. Das BMAS hat am 9. Dezember die wichtige Voraussetzung mit einer entsprechenden Verordnung geschaffen, sodass wir in der Lage sind, diesen Änderungsantrag heute zu beschließen.
Für die Kommunen, die von der Zuwanderung betroffen sind, ist es ganz wichtig, dass die finanzielle Unterstützung kommt. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung sowohl zum vorgelegten Gesetzentwurf als auch zum Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Scheffler. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Nettekoven.
Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf Initiative der Kommunen und der CDU-Landtagsfraktion hat die Landesregierung nun einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des AG SGB II auf den Weg gebracht – für eine bedarfsgerechte Gestaltung der Mittelverteilung, für Bildung und Teilhabe auf Landesebene, damit den unterschiedlichen Ausgabequoten bei den Grundsicherungsträgern vor Ort Rechnung getragen wird.
Meine Damen und Herren, mit der Spitzabrechnung wird ein Stück mehr Gerechtigkeit in die Finanzierung des BuT gebracht, die andere Bundesländer, wie etwa das Land Hessen, bereits vorbildhaft gewährleisten.
Der Antrag der CDU-Fraktion aus dem Oktober 2013 setzte den Impuls dazu, dass die Landesregierung ihre ablehnende Haltung einer kommunalscharfen Abrechnung der Mittel des BuT-Paketes aufgegeben und nun einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Dieser Gesetzentwurf hat ein bisschen auf sich warten lassen, da zuvor noch ein Gutachten vorgelegt wurde. Nichts für ungut. Wenn Herr Minister Schneider jetzt hier wäre, dann würde ich ihm sagen: „Eile mit Weile“. Das wusste schon der römische Kaiser Augustus.
Daher möchte ich genau hier auch nicht über die Zeit sprechen, sondern das Ergebnis anerkennen. Denn das Ergebnis ist Finanzierungsgerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, für die wunderschöne kreisfreie Stadt Remscheid, die ich exemplarisch nennen möchte, bedeutet die Gesetzesänderung für das Jahr 2013 knapp 26.000 €. Ein weiteres Beispiel: Der Kreis Lippe, zu der auch die Stadt Detmold gehört, erhält 892.000 € für das Jahr 2013.
Die Ziele des Gesetzentwurfes: die Realisierung einer Verteilungsgerechtigkeit bei der Finanzierung des Bildungs- und Teilhabepaketes, Kompensation der kommunalen Ausgaben für das BuT durch Spitzabrechnung, die Berücksichtigung regionaler Unterschiede bei Ausgaben für das BuT, die Gewährleistung einer kommunalen differenzierten Abrechnung der Mittel für das BuT durch Änderung des Ausführungsgesetzes zum SGB II.
Meine Damen und Herren, es ist ein gutes Gesetz. Daher wird die CDU-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Ebenfalls zustimmen werden wir dem Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Verteilung der sogenannten Soforthilfe des Bundes in Höhe von 25 Millionen €, die sich für die Bewältigung der besonderen Herausforderung aus der Zuwanderung aus anderen EU-Staaten vor Ort ergeben. Auch dies stellt eine zielgerichtete Hilfe für die Betroffenen dar. Deshalb wird die CDU-Fraktion, wie eben gesagt, beidem zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nettekoven. Es gab wohl breite Übereinstimmung, insbesondere auch, was die Schönheit von Remscheid angeht. – Nun hat sich Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding gemeldet.
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, mit dieser Gesetzesänderung stellen wir von einer pauschalierten Zuweisung der Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket auf eine Spitzabrechnung um. Das ist in der Tat eine Belohnung für die Kommunen, die bislang die Mittel zweckentsprechend ausgegeben haben. Sie erhalten jetzt wirklich die Mittel, die sie an die Kinder und Jugendlichen weitergeben. Andere Kommunen haben die Mittel nicht immer zweckentsprechend verausgabt. Und das ist im Grunde die Ursache dafür, dass diese Gesetzesänderung notwendig ist, denn es sind in Teilen Mittel zweckentfremdet verwendet worden.
Ich möchte kurz an die Gesamtgeschichte erinnern: Die schwarz-gelbe Bundesregierung wurde vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, die Regelsätze für Kinder und Jugendliche in prekären Lebenssituationen existenzsicher auszugestalten. Daraufhin wurde das Bildungs- und Teilhabepaket entwickelt plus der zuführenden Schulsozialarbeit. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es tatsächlich ein Mittel zum Zweck war oder, anders ausgedrückt: Nur mit Hilfe dieser zuführenden Schulsozialarbeit hat tatsächlich auch ein Teil dieser Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket die Kinder und Jugendlichen erreicht.
Die Bundesregierung hätte natürlich auch die Regelsätze einfach anheben können. Aber vermutlich wäre das zu teuer geworden, denn dann hätte sie 100 % der Kinder und Jugendlichen erreicht. Im Moment sind es ja gerade einmal 30 %.
Es gab wohl auch Leute, die unterstellt haben, dass das Geld, wenn man es den Familien direkt auszahlt, also den Regelsatz erhöht, die Kinder nicht erreicht; mit anderen Worten: Die Familien würden das Geld verprassen.
Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket – das ist ganz gewiss – werden die Kinder und Jugendlichen tatsächlich nicht in vollem Umfang erreicht. Deshalb die vorliegende Gesetzesänderung. Städte und Gemeinden werden in Zukunft die Mittel bekommen, die sie auch wirklich zweckentsprechend ausgeben.
Für die Bundesregierung scheint das Bildungs- und Teilhabepaket eher eine Art Sparschwein zu sein. Wie anders ist es zu verstehen, dass der Aufschlag von ehemals 5,4 % auf die Kosten der Unterkunft auf 3,4 % reduziert wurde, was für Nordrhein-West-falen ein Minus von 70 Millionen € ausmacht? Die Begründung hierfür war bzw. ist, mehr Mittel würden nicht an die Kinder und Jugendlichen weitergegeben.
Anstatt ein Bildungs- und Teilhabepaket verwendungstauglich oder anwenderfreundlich auszugestalten, wird die Summe reduziert. Es wird gespart. Darüber hinaus wird die Weiterfinanzierung der zuführenden Schulsozialarbeit, die unabdingbar ist, um dieses Bildungs- und Teilhabepaket überhaupt wirksam werden zu lassen, verweigert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist die Art und Weise, wie der Bund das Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen in prekären Lebenssituationen sichert. Ich nenne das verantwortungslos.
(Beifall von den GRÜNEN)
Gut, dass wir in der Koalition in diesem Land anders ticken. Sie springt mit einem Förderprogramm über die nächsten drei Jahre mit 47 Millionen € pro Jahr ein, um die Schulsozialarbeit weiterführen zu können.
Meine Damen und Herren, neben der Spitzabrechnung, die wir heute mit diesem Gesetz auf den Weg bringen, gibt es mit dem 0,18-prozentigen Aufschlag auf die Kosten der Unterkunft, also insgesamt 25 Millionen €, eine Gesetzesanpassung für 2014, die leider nur einmalig vorgenommen wird.
Das ist eine Unterstützung der Kommunen, die besonders hohen Anforderungen an Willkommenskultur und Integrationsleistungen für die ankommenden Menschen aus Bulgarien und Rumänien gerecht werden müssen.
Wir stimmen dieser Gesetzesänderung und natürlich auch dem Änderungsantrag zu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und André Kuper [CDU])
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Alda.
Ulrich Alda*) (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, die noch da sind!
(Günter Garbrecht [SPD]: Hier!)
Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Herr Minister, Sie haben Herrn Minister Schneider vertreten. Fest steht: Die Inanspruchnahme der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket steigt, und das ist gut so. 136 Millionen € sind 2013 von Kreisen und kreisfreien Städten verausgabt worden –eine Steigerung um 16 Millionen €. Besonders stark abgerufen wurden die Mittel aus dem SGB II.
Ich weiß nicht, was die Kollegin vor mir kritisiert hat: die Regierung oder die Koalitionszusammenarbeit. Das kam nicht so ganz heraus. Fest steht jedenfalls: Wo so viele Mittel im Sozialbereich gebraucht werden, kann etwas im Land nicht stimmen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Um welche Änderungen geht es? Derzeit leitet das Land NRW die Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung, die der Finanzierung der Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes dienen sollen, zum Beispiel für Mittagessen, Klassenfahrten etc., pauschal an die Kommunen weiter. Die Weiterleitung der Bundesmittel erfolgt damit unabhängig von den tatsächlichen Kosten, die dort vor Ort anfallen.
Die Ausgaben zeigen in der Praxis eine unterschiedliche Verteilung und machen die Schwäche der Pauschale deutlich. Während der Startphase des Bildungs- und Teilhabepaketes hat es dabei Spannen von 20 % bis 120 % gegeben. Man muss allerdings auch darauf hinweisen, dass es damals erhebliche Startschwierigkeiten gab. Das war im Jahr 2011. Zum Beispiel musste damals noch Personal eingestellt werden, das noch gar nichts von seinem Glück wusste, dass es diese Stellen und insbesondere diese Mittel überhaupt gab.
Auch im Jahr 2013 lagen die Ausgaben in 31 Kreisen und kreisfreien Städten über der erhaltenen Bundesbeteiligung. In 22 Kommunen waren die Ausgaben geringer als die Bundesbeteiligung. Daher wurde die Pauschale von einigen Städten und Kreisen als ungerecht angesehen.
Die Anbindung der Pauschale an die Kosten der Unterkunft lässt nur bedingt den Rückschluss über die Inanspruchnahme der Bildungs- und Teilhabemaßnahmen zu. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass es dabei Ungerechtigkeiten gibt. Kommunen, die eine hohe Belastung durch Kosten der Unterkunft haben, sind nicht automatisch auch, wie viele unterstellen, diejenigen, die eine hohe Auskehrung der Bildungs- und Teilhabemittel zu verzeichnen haben.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf trägt zu einer sachgerechten trägerscharfen Abrechnung der Kosten für Bildung und Teilhabe bei. Kommunen haben in der Anhörung den Gesetzentwurf begrüßt, denn er führe zu mehr Gerechtigkeit in diesem Land.
Die FDP hat – vorhin hat es der Kollege von der CDU für sich in Anspruch genommen, aber eigentlich waren wir es – bereits im Oktober 2013 die Landesregierung …
(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])
– Günter, wir waren es, nicht ihr.
(Günter Garbrecht [SPD]: Wer war’s?)
– Wer war’s? Wer hat es erfunden?
(Zuruf von der SPD: Ihr nicht!)
Die FDP hat bereits im Oktober 2013 die Landesregierung nach einer sachgerechten, trägerscharfen Abrechnung der Kosten für das Bildungs- und Teilhabegesetz gefragt. Die Landesregierung teilte damals mit, dass sie derzeit die Möglichkeiten einer anderen Verteilung prüfen wolle.
Wir sehen nun das Ergebnis der Prüfung und die Umsetzung im vorliegenden Gesetzentwurf sowie den von den Regierungsfraktionen im Umlaufverfahren im laufenden Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Änderungsantrag. Dieser beinhaltet eine Regelung zur konkreten Verteilung der Sonderhilfe für – das sage ich im Hausgebrauch – Zuziehende aus Bulgarien und Rumänien.
Eine einvernehmliche Regelung im Bundesrat stand lange auf der Kippe, da die Grünen, Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding, das Maßnahmenpaket aus Einreisesperren, Fristen für EU-Arbeitssu-chende und Hilfen für die Städte blockiert haben.
Die Hilfen für die Städte sind im Bundesrat nun separat behandelt worden, denn ansonsten hätte man gar keine Leistungen hinbekommen. So konnten sie Zustimmung bei den Ländern finden.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Die Grünen haben etwas herausverhandelt!)
– Frau Löhrmann, bitte nicht von der Regierungsbank. Sie sind Gast in diesem Haus. Hier ist das Parlament.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])
– Günter, du darfst das. – Ein Scheitern hätte bei den betroffenen Städten großes Unverständnis hervorgerufen. Das Geld wird vor Ort dringend benötigt, um die Arbeit mit den und für die Menschen zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, wir haben uns bei der FDP verantwortungsvoll intensiv mit dem Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag beschäftigt. Auch und gerade als ehemaliger Kommunalpolitiker bin ich froh, dass nun endlich die rot-grüne Regierung ihrer Verantwortung gegenüber den Kommunen einigermaßen gerecht wird.
Nur unter diesem Aspekt können wir nicht gegen den Gesetzentwurf stimmen. Wir werden uns in diesem Fall nicht in die Enthaltung flüchten. Aber nur mit großen Bauchschmerzen über die besonderen Verhaltensweisen der Regierung zum Beispiel bei der Finanzierung der Schulsozialarbeit, die Sie, Frau Kollegin, gerade so schön gelobt hatten, stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.
Aber hoffentlich, Herr Minister, überreichen Sie diesmal nicht wieder einen Blumenstrauß, in dem eine Keule oder vielleicht sogar eine Granate ist. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den PIRATEN: Oh! Ui!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Kollege Alda. – Für die Fraktion der Piraten spricht Kollege Wegner.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Wenn man als Letzter zu einem Gesetzentwurf redet, dem eigentlich alle zustimmen, ist fast schon immer alles gesagt worden. Ich möchte auch nicht alles wiederholen.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf natürlich zu, vor allem weil wir auch die Spitzabrechnung sehr begrüßen. Wir können es auch nicht richtig erklären, warum sich die Kommunen die ganze Zeit immer dagegen gewehrt haben. Zumindest in der Anhörung haben Sie nichts mehr dagegen gesagt. Sie sind jetzt auch für die Spitzabrechnung. Also, was sollen wir dagegen sein?
Inhaltlich ist zum Gesetzentwurf alles schon gesagt worden. – Vielen Dank.
(Allgemeiner Beifall)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty in Vertretung für Herrn Minister Schneider.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entscheidend ist, dass die Hilfe dort bedarfsgerecht ankommt, wo sie auch benötigt wird. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf schafft dafür die nötigen Voraussetzungen. Bei so viel Einstimmigkeit und Einmütigkeit bleibt mir eigentlich als Gast in diesem Hause nur noch zu danken für die gute und zügige Beratung im Ausschuss. Ich bitte um Zustimmung.
(Allgemeiner Beifall)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/7557 – Neudruck –, den Gesetzentwurf Drucksache 16/6636 in der Fassung seiner Änderungen anzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7557 – Neudruck. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7557 – Neudruck – mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/6636 in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6092
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/7558
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7623
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7611
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Yüksel das Wort.
Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der demografische Wandel stellt erhebliche Herausforderungen für die Gesundheits- und Altenpolitik in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus dar. Wir alle kennen die Statistiken, dass 2025 über 40 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen über 65 Jahre alt sein werden. In dieser älter werdenden Gesellschaft steigt der Bedarf nach pflegerischen Kräften. Bereits heute lesen und hören wir überall vom Fachkräftemangel und Pflegenotstand; das ist in aller Munde. Die Anforderungen an die soziale Infrastruktur Nordrhein-Westfalens und Deutschlands bedürfen daher zukunftsorientierter Lösungen.
Mit der Einführung der Altenpflegeumlage 2012 hat das Land Nordrhein-Westfalen wichtige und erfolgreiche Impulse zur Steigerung der Altenpflegeausbildung gesetzt. Seitdem ist die Anzahl der Ausbildungsplätze um 45 % gestiegen. Im Dezember 2014 stehen in Nordrhein-Westfalen fast 17.000 Ausbildungsplätze im Pflegebereich, die wir jährlich mit 60 Millionen € unterstützen, zur Verfügung. Die rot-grüne Landesregierung hat seit 2010 also eine Verdoppelung der Ausbildungsplätze in der Altenpflege erreicht.
Bei dieser positiven Entwicklung dürfen wir nicht stehen bleiben und dürfen uns nicht ausruhen, sondern wir müssen weiterhin die richtigen Rahmenbedingungen für Ausbildungsplätze im Pflegebereich schaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf zur finanziellen Beteiligung an den Schulkosten für die Ausbildung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern und über die Berufsausübung der Gesundheitsfachberufe wird an die Entwicklung seit 2010 anknüpfen.
Ziel des Gesetzes ist es, die bisher freiwillige finanzielle Beteiligung des Landes an den anfallenden Schulkosten für den theoretischen Teil der Pflegeausbildung gesetzlich festzuschreiben.
Durch das Umlageverfahren werden den ausbildenden Pflegeeinrichtungen und ambulanten Diensten die tatsächlich geleisteten Ausbildungsvergütungen erstattet. Die gezahlten Umlagebeiträge können bei den von ihnen versorgten Pflegebedürftigen refinanziert werden. Angesichts der steigenden Ausbildungszahlen ist eine finanzielle Ausgleichsmasse allerdings erforderlich, um die finanzielle Belastung nicht direkt an die Pflegebedürftigen weiterzugeben.
Durch das Altenpflegeausbildungsgesetz wird die Finanzierung der Pflegeausbildung gesichert. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen nimmt seit Jahren zu. Daher wurde bereits 1988 das Schulgeld im Bereich der Pflegeausbildung abgeschafft und die Finanzierung durch das Land Nordrhein-Westfalen bereitgestellt, um die Attraktivität der Ausbildungen auch weiterhin zu garantieren.
Ich möchte kurz auf den Änderungsantrag der Piratenfraktion eingehen. Herr Wegner, Ihre Forderung nach einer Erhöhung der aktuellen Schulkostenpauschale ist zu begrüßen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Sie keine Haushaltsanträge gestellt haben.
Der Finanzminister hat das heute schon gesagt: Wir haben eine Zweiteilung. Auf der einen Seite erheben Sie den Vorwurf, wir würden nicht genügend sparen, und auf der anderen Seite stellen Sie Anträge, die den Haushalt um mehrere Millionen im zweistelligen Bereich belasten würden. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen.
Aus der Anhörung wissen wir auch, dass im Übrigen die schwarz-gelbe Vorgängerregierung den Betrag von 317 € auf 280 € gekürzt hatte.
Nordrhein-Westfalen zeigt durch den vorliegenden Gesetzentwurf die Priorität der Pflegeausbildungen und setzt klare Anreize, um eine hochwertige Ausbildung auch in Zukunft zu gewährleisten. Dies ist Ergebnis der Anhörung im Gesundheitsausschuss. Die Anpassung der Fördersätze wird durch den rot-grünen Antrag durch sachgerechte Prüfung und die Einführung verbindlicher Qualitätsstandards für die Altenpflegeausbildung gesichert. Eine Erhöhung des Betrages in Zukunft ist nicht ausgeschlossen.
Ebenso schreiben wir im vorliegenden Gesetz eine Prüfung der Sprachkenntnisse vor, um die notwendige Kommunikation im Pflegebereich sicherzustellen. Patienten und Angehörige brauchen direkte Ansprechpartner wie versorgende Mediziner, Krankenhäuser etc. fachkundige Pfleger.
Langfristig versuchen wir, die berufliche Pflegeausbildung zu einer generalisierten Berufsausbildung zu entwickeln, das heißt, die Alten- und Krankenpflegeausbildung zusammenzuführen. Die früheren Grenzen zwischen den Pflegeberufen und -bereichen verschwimmen immer mehr. Daher bedarf es langfristiger Anstrengungen, das System und die Struktur der Pflegeausbildung und des Pflegeberufs den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen anzupassen.
Der vorliegende Gesetzentwurf und der rot-grüne Entschließungsantrag sind daher zu begrüßen, um auch weiterhin eine menschenwürdige Pflege und Betreuung zu gewährleisten. Rot-Grün ist weiterhin auf einem guten Weg.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Burkert.
Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausbildung der Altenpfleger ist ein Dauerbrennerthema. Wir benötigen Kräfte in der Altenpflege. Das ist notwendig. Aber wir haben ein Problem, die Seminarplätze aufrechtzuerhalten. Herr Yüksel, es ist richtig, wie Sie gerade gesagt haben, dass 2007 die Summe von 317 € auf 280 € verringert wurde. Aber gleichzeitig ist das 1.000-Plätze-Programm aufgelegt worden, das zum damaligen Zeitpunkt auch von Ihnen nicht kritisiert wurde. Das waren nämlich die Altenpflegehelfer, die aus der Differenz finanziert werden konnten. Das Programm war und ist erfolgreich.
(Beifall von der CDU – Ministerin Barbara Steffens: Nicht erfolgreich!)
Wir haben gleichzeitig damals gesagt, dass wir in den nächsten Jahren 29.000 zusätzliche Altenpfleger ausbilden wollen. Allerdings konnten wir damals nicht die Pflegeumlage starten, nachzulesen im Protokoll vom 25.01.2007.
(Günter Garbrecht [SPD]: Das haben Sie behauptet! – Inge Howe [SPD]: Stimmt gar nicht! Und natürlich haben wir widersprochen!)
– Lesen Sie es doch nach! Sie haben dem damals nicht widersprochen, nachzulesen im Protokoll vom 25.01.2007.
Meine Damen und Herren, damals hat Frau Howe – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – gesagt:
„Das heißt, hier muss dringend etwas getan werden im Bereich der Pflegeausbildung. Sie sagen selber ja auch, dass in diesem Bereich in den nächsten vier Jahren 29.000 neue Jobs entstehen könnten. Aber sie müssen finanziert werden, und zwar auch mit Landesmitteln.
(Beifall von der CDU)
Die Pauschale ist inzwischen von 337 € auf 280 € gekürzt worden.
(Ministerin Barbara Steffens: Ja, von Ihnen!)
Das führt dazu, dass die Defizite in der Ausbildung nicht mehr zu kompensieren sind und dass die Fachseminare immer weiter abgebaut werden.“
– Recht so, Frau Howe. Das Gleiche haben wir jetzt auch.
(Inge Howe [SPD]: Aber wir sollen das reparieren, was Sie beschlossen haben!)
Ich finde Ihren Entschließungsantrag hochinteressant. Ich habe mir erst die Augen gerieben, als ich ihn gelesen habe. Sie schreiben da: Es muss geprüft werden, ob mögliche Spielräume im Haushalt 2016 ...
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Garbrecht zulassen?
Oskar Burkert (CDU): Im Moment nicht. Ich wollte erst im Zusammenhang reden.
Die Spielräume haben wir einfach nicht mehr. In der Fachanhörung, die wir hatten, haben alle Vertreter der Seminarschulen gesagt: Wir können nicht mehr. Wir gehen auf dem Zahnfleisch. Im Vergleich mit der damaligen Zeit hat sich nichts geändert. Wenn Sie sagen, 2016, dann wissen Sie: Dann werden wir die Generalisierung haben, dann werden wir die Zusammenführung von Altenpflege und Krankenpflege haben. Aber was machen wir denn in dieser Zeit, wenn diese Seminare vom Netz gehen? Dann haben wir wieder riesige Kosten, um diese Seminare wieder ans Laufen zu bringen. Damit tun wir uns keinen Gefallen. Ich kann Ihnen nur recht geben, Frau Howe: Hier muss das Land den Übergang regeln. Ich glaube, das sollten Sie noch einmal überdenken. Ich glaube allerdings, Sie werden es nicht tun. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Burkert, würden Sie noch einen Moment hierbleiben? Es liegt eine Kurzintervention des Kollegen Garbrecht vor.
Günter Garbrecht (SPD): Herr Kollege, wenn Sie eine Zwischenfrage nicht zulassen, dann müssen Sie schon mit einer Kurzintervention rechnen. – Ich würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten, dass trotz der angespannten Situation der Altenpflegeseminare, die wir auch zur Kenntnis genommen haben, diese aber in der Lage sind, die Ausbildungsleistungen, die mit der Einführung der Umlagefinanzierung erheblich gestiegen sind, zu bewältigen. Wie können Sie diese Steigerung der Ausbildung der Altenpflegeseminare insgesamt mit dem Horrorgemälde, das Sie jetzt an die Wand gemalt haben, in Verbindung bringen?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, bitte schön.
Oskar Burkert (CDU): Herr Garbrecht, Sie haben die Anhörung selber geleitet, und Sie haben gehört, was die Vertreter aus den Seminarschulen uns gesagt haben, dass sie nicht mehr können. In Mönchengladbach ist ein Brandbrief an die Seniorenheime versandt worden: Wenn Ihr nicht die Differenz zu 360 € in den Seniorenheimen tragt, dann müssen wir schließen. Das ist auch eine Frage der Qualität.
Ja, wir wissen, dass einige Schulen sehr viele Schüler aufnehmen. Aber die Frage ist – das erleben Sie draußen im Lande auch, wenn Sie mit den Vertretern der Seniorenheime und der ambulanten Pflegeeinrichtungen sprechen –, dass die Qualität teilweise auch zu wünschen übrig lässt. Und wir brauchen Qualität in der Altenpflegeausbildung. Das ist ja auch Ihr Ziel, das Sie in dem Gesetz festgeschrieben haben.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion die Grünen spricht der Kollege Ünal.
Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu einer guten Pflege gehört eine ausreichende Zahl gut ausgebildeter Pflegekräfte. Der Bedarf ist groß und wird angesichts des demografischen Wandels in den kommenden Jahren zunehmen.
So leben derzeit in NRW rund 550.000 Menschen mit Pflegebedarf. Die Prognosen gehen davon aus, dass im Jahre 2030 dieser Bedarf auf 700.000 Menschen steigen wird. Dies wird sich auch auf den Bedarf nach Pflegekräften auswirken. In der Pflege sind in NRW ungefähr 95.000 Fachkräfte beschäftigt. Die Prognosen gehen davon aus, dass es bis 2030 eventuell einen Bedarf von 130.000 Fachkräften in der Pflege geben wird.
Der Pflegepersonalnotstand ist eigentlich kein neues Phänomen. In den Jahren 2006 bis 2010 haben sehr viele Pflegeeinrichtungen, sehr viele Organisationen und Gewerkschaften regelmäßig auf dieses wachsende Problem in Nordrhein-Westfalen aufmerksam gemacht. In der Regierungszeit von Schwarz-Gelb wurde allerdings die Ausbildungsumlage durch den damaligen Sozialminister Herrn Laumann mehrfach verhindert und abgelehnt – mit der Folge, dass sich in diesen Jahren ein erhebliches Defizit bei den Ausbildungsplätzen angehäuft hatte.
Allein in 2009 fehlten dem System 2.500 Ausbildungsplätze in der Altenpflege. Rot-Grün hat in 2011 mit der Einführung der Altenpflegeumlage auf diesen Personalnotstand in der Pflege reagiert und damit einen wichtigen Schritt zur Beseitigung des Fachkräftenotstandes in NRW getan.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Entwicklung in den letzten Jahren war wirklich sehr erfreulich. Zum Ende der schwarz-gelben Regierung in NRW 2009 standen 9.300 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Jetzt in 2014 haben wir in NRW 16.500 Ausbildungsplätze.
(Beifall von den GRÜNEN)
Für 2015 ist geplant, 17.800 Ausbildungsplätze auszuweisen. Im Haushalt 2015 haben wir dafür 64 Millionen € bereitgestellt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Garbrecht zulassen?
Arif Ünal (GRÜNE): Ja natürlich, gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Günter Garbrecht (SPD): Ich habe mich gar nicht für eine Zwischenfrage gemeldet!
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ach so, okay. Ist auch in Ordnung.
Arif Ünal (GRÜNE): Dann fahre ich fort.
Auch der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Herr Laumann, lobt heute die Einführung der Ausbildungsumlage in NRW und die Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze. Das ist richtig, und das ist bundesweit vorbildlich. Man muss anerkennen, dass wir – bundesweit einmalig – die Zahl der Plätze derart erhöht haben.
Das Ziel auf Bundesebene lautete nur, die Anzahl der Ausbildungsplätze um 10 % zu erhöhen. Wir haben sie innerhalb von vier Jahren verdoppelt, und das muss man neidlos anerkennen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Altenpflegeausbildung in NRW hat natürlich ihre Auswirkungen im Landeshaushalt. Wir haben bei dieser Ausbildung die bislang freiwillige Leistung in Höhe von 280 € nun als Pflichtleistung in diesem Gesetz vorgeschrieben. So gesehen kann man diesem Gesetzentwurf eigentlich mit gutem Gewissen zustimmen.
Herr Kollege Yüksel hatte erwähnt, dass zu einer guten Pflege natürlich auch Kommunikation gehört. Zur Überprüfung der notwendigen Sprachkompetenzen ist ein einheitliches Verfahren notwendig. Das streben wir – in Absprache mit anderen Bundesländern – auch auf Bundesebene an.
Schließlich haben wir noch den Weg hin zu einer gemeinsamen Pflegeausbildung in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege vor uns. Hier muss die Ausbildung aller Pflegeberufe perspektivisch vereinheitlicht und solide finanziert werden.
Allerdings sind noch zahlreiche Fragen zur inhaltlichen Ausgestaltung sowie zur Finanzierung der neuen Ausbildung zwischen Bund und Ländern offen. Damit die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Berufsbilder in der Ausbildung angemessene Berücksichtigung finden, wäre unserer Auffassung nach auch die Differenzierung im letzten Ausbildungsjahr ein gangbarer Weg. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.
Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz wird die landesseitige Schulkostenpauschale nun gesetzlich festgeschrieben. Das ist eigentlich eine gute Entscheidung, nachdem die Zuwendungen zur Förderung der Ausbildung für die Alten- und Familienpflege sowie der Altenpflegehilfe bisher nur im Rahmen einer Richtlinie – und damit freiwillig – geregelt wurden.
Das Gesetz der Landesregierung enthält nach Meinung der FDP-Fraktion aber auch kritische Elemente, darunter vor allem die nicht unerhebliche finanzielle Belastung, die die Festschreibung der Schulgeldpauschale auf die Landeshaushalte in den nächsten Jahren haben wird.
Wir sind uns sicherlich einig, dass wir mehr Altenpflegerinnen und Altenpfleger benötigen. Wir haben hier in NRW, wenn wir dem Gros der Prognosen Glauben schenken, in den nächsten 35 Jahren mit einer Verdoppelung der Zahl der Pflegebedürftigen zu rechnen. Von daher ist es wichtig und richtig, die Altenpflegeausbildung zu stärken.
Dennoch dürfen wir die Kosten und vor allem auch die Kostenrelation nicht außer Acht lassen. Laut Haushalt stehen für 2015 bis zu rund 18.000 Plätze zur Verfügung. Auf einen Platz bezogen macht das durchschnittlich 3.360 € an Schulkosten aus. Zum Vergleich: Das Statistische Bundesamt rechnet für die Schülerinnen bzw. Schüler an Berufsschulen des dualen Systems mit Ausgaben von rund 2.100 €. Es wäre also nicht ganz falsch, darüber nachzudenken, ob die Altenpflegeausbildung sich nicht zukünftig im berufsbildenden System wiederfinden sollte.
(Beifall von der FDP)
Es stellt sich weiterhin die Frage, ob es Unterschiede in den qualitativen Anforderungen der Altenpflegeausbildung gegenüber der Gesundheits- und Krankenpflege gibt, die eine getrennte Finanzierung rechtfertigen würden. Nach Ansicht von Experten ist das nicht der Fall. Die Kolleginnen und Kollegen in den Pflegeeinrichtungen tragen ebenso eine sehr hohe Verantwortung, weil eben nicht nur alte, sondern auch multimorbide Menschen versorgt werden müssen. Sie sind die ersten, die Veränderungen des Gesundheitszustandes erkennen, richtig zuordnen und das richtige Handeln einleiten müssen. Insofern ist ein qualitativer Unterschied in den Ausbildungsgängen nicht zu begründen, und damit die unterschiedliche Finanzierungssystematik eigentlich auch nicht.
Ich nehme daher an und setze mich dafür ein, dass das heute zu beschließende Gesetz keine allzu lange Haltbarkeit aufweisen wird. Wir sollten uns alle auf den Weg machen, eine generalistische Ausbildung umzusetzen.
(Beifall von der FDP)
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, das Gesetz hat einen weiteren Schwachpunkt: Qualität und Finanzierung gehören zusammen und sollten nie losgelöst voneinander betrachtet werden.
Von daher ist es mir gänzlich unverständlich, dass die Landesregierung bisher noch nichts zur Qualität in der Ausbildung gesagt hat. Zunächst wird die Schulkostenpauschale fixiert und erst im Nachgang über Qualität und Ausbildungsstruktur geredet. All das soll Teil einer Rechtsverordnung des Ministeriums werden.
Ich halte es für essenziell, sich zunächst über Standards zu unterhalten und an diesen die staatlichen Fördersummen festzumachen.
(Beifall von der FDP)
Eine entscheidende Frage ist auch: Wie lange bleiben die Absolventinnen und Absolventen im gewählten Beruf? Wir kennen die Abbruchquoten in der Ausbildung, die bei rund 30 % liegen. Wir wissen aber gar nichts über die Verweildauer dieser Personen hinterher in der Altenpflege. Wenn das Land Finanzmittel in eine Ausbildung steckt und das Ziel verfolgt, dem Altenpflegekräftemangel zu begegnen, sollte es auch einmal evaluieren, was aus seinen Geldern geworden ist. – So viel zur Nachhaltigkeit von Finanzmitteln.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, zum Schluss möchte ich es nicht versäumen, all den Menschen zu danken, die tagtäglich sowohl in der Krankenpflege als auch in der Altenpflege einen wertvollen Dienst in unserer Gesellschaft leisten. – Ihnen allen danke ich fürs Zuhören.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion der Piraten spricht Kollege Wegner.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und der Letzte auf der Tribüne!
(Minister Michael Groschek: Aber nicht der Allerletzte! – Heiterkeit)
Aus unserem Änderungsantrag geht wahrscheinlich schon klar hervor, was wir an diesem Gesetz kritisieren. Es sind nur drei Ziffern, die Zahl 340. Wir möchten dort gerne 540 € stehen haben. Warum? Ganz einfach. Krankenpflegeseminare erhalten pro Schüler 540 € pro Monat. Altenpflegeseminare erhalten seit 2006 nur 280 €. Davor haben sie 317 € erhalten. Diese 280 € reichen nicht aus, um die Qualität der Ausbildung sicherzustellen. Selbst die Qualitätsansprüche, die die Schulen 2006 hatten, sind heute mit 280 € nicht mehr zu erreichen.
Von den Sachverständigen ist immer die Zahl 360 genannt worden. Wenn man auf die 280 € die Inflationsraten der letzten Jahre draufrechnet, kommt man knapp auf die 360 €, die alle Experten gefordert haben. Das heißt, diese 360 € wären das Minimum und entsprächen ungefähr den 280 € von 2006.
Damit sind wir genau an dem Punkt, den Sie, Frau Ministerin Steffens, angesprochen haben, als Sie gefragt haben: Ich weiß gar nicht, warum die 280 € nicht reichen. – Ja, sie haben auch damals – 2006 – schon nicht gereicht. Aber sie haben die Schulen zumindest am Existenzminimum gehalten. Sie haben noch die Möglichkeit gesehen, mit diesem Betrag eine minimale Ausbildung zu garantieren. Jetzt sind allerdings schon acht Jahre ins Land gegangen, nächstes Jahr ist das neunte Jahr, also fast zehn Jahre. Die 280 € von heute sind also nicht die 280 € von damals.
Es kann nicht sein, dass wir in diesem Land die Ausbildung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern ungefähr – ich mache es einfach am Geld fest – halb so gut gestalten wie die von Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern. Ein wenig ist das auch schon in den regierungstragenden Fraktionen angekommen, nur gehen uns Ihre Forderungen an die Landesregierung in Ihrem Entschließungsantrag nicht weit genug.
Vieles ist eigentlich klar. Deswegen ist dieses Gesetz mit 280 € von uns keinesfalls zu akzeptieren. Wie gesagt, wenn dort 360 € stehen würden oder von den regierungstragenden Fraktionen ein Änderungsantrag in diese Richtung kommen würde, könnte man sich überlegen, dem Antrag noch zuzustimmen, obwohl selbst das noch zu wenig wäre. Denn die Qualität der Altenpflegeausbildung sollte uns genauso viel wert sein wie die Qualität der Krankenpflegeausbildung. Ich kann es einfach keinem Altenpflegeschüler erklären, warum dem Land seine Ausbildung nicht genauso viel wert ist wie die Ausbildung eines Krankenpflegers.
(Beifall von den PIRATEN)
Somit möchte ich Sie bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Wir werden dem Gesetzentwurf, falls unser Änderungsantrag nicht angenommen werden sollte, natürlich nicht zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte ist schon einiges gesagt, aber vieles durcheinandergebracht worden. Deshalb möchte ich noch mal kurz klarstellen: Warum brauchen wir diesen Gesetzentwurf, und wo stehen wir?
Für Schwarz-Gelb war es damals ganz einfach, die Höhe der Förderung der Altenfachseminare von 317 auf 280 € zu kürzen, weil es keine gesetzliche Grundlage gab. Schwarz-Gelb hat damals verkündet, jeder Schüler und jede Schülerin in diesem Land bekäme auch einen Schulplatz für eine Altenpflegeausbildung. Aber dies war nie mit Geld hinterlegt, und es gab keinen faktischen Rechtsanspruch, sondern nur warme Worte, aber keine Ausbildung. Genau deswegen hat Schwarz?Gelb damals keine Umlage eingeführt, und daher sind es auch nicht mehr Schülerinnen und Schüler geworden.
Jetzt haben wir zu Beginn 2010 und dann auch 2011 gemeinsam mit der Pflege diskutiert: Was braucht Pflege als Erstes, was nicht im Bund geregelt werden muss, sondern was wir regeln können? Dabei war klar: Für die Pflegefachkräfte, die in den Altenpflegeeinrichtungen arbeiten, ist es das Dringendste und das Notwendigste, ihre starke Arbeitsbelastung zu reduzieren. Dafür ist es notwendig, dass sie mehr Kolleginnen und Kollegen haben.
Der Fachkräftemangel war aber 2010 schon festgestellt. Wir mussten entscheiden, wofür wir mehr Geld in die Hand nehmen: Erhöhen wir Ihre 280 € wieder auf 317 €, oder schaffen wir mehr Ausbildungsplätze?
Wir haben uns für Letzteres als ersten Schritt entschieden, weil es notwendig ist, dass wir die geburtenstarken Jahrgänge mitnehmen, dass wir mehr Fachkräfte ausbilden, damit erstens nicht diejenigen, die im System vorhanden sind, noch schneller in diesem System verbrennen, und wir zweitens perspektivisch die Chance haben, Pflege überhaupt sicherzustellen.
Deswegen erfolgte die Aufstockung auf die Schulplätze, wie wir sie heute haben. Wenn Sie sich unseren Ansatz für 2015 ansehen, werden Sie feststellen, dass es 17.850 Schulplätze sind. Das ist gegenüber den 10.000, die 2010 in diesem Land vorhanden waren, eine Steigerung, wie es sie in keinem anderen Bundesland gibt. Wahrscheinlich ist die Steigerung in allen anderen Bundesländern zusammen so viel, wie wir sie alleine in Nordrhein-Westfalen erreicht haben. Von daher war es der richtige und der wichtige Weg, als ersten Schritt dieses Mehr an Fachplätzen einzurichten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das Zweite, was ich überhaupt nicht verstehe, Herr Burkert, ist, dass Sie sich hierhin stellen und sagen, die Fachseminare stehen alle mit dem Rücken zur Wand, sie stehen alle kurz vor der Insolvenz, und Sie erwähnen ein 1.000-Plätze-Programm von damals, was für Ihre Veränderung notwendig war. Das 1.000-Plätze-Programm, das Sie angesprochen haben, war ein Programm der Bundesagentur für Arbeit, was Umschulungsmaßnahmen für Menschen zur Pflegefachkraft beinhaltete. Dieses Programm ist alleine von der BA finanziert worden, dafür ist kein Landesgeld eingesetzt worden.
Nein, Sie haben von damals 317 auf 280 € gekürzt und haben, damit die Seminare kein Minus machen, die Platzzahl im einzelnen Kurs erhöht. Das heißt, wir haben nicht ein Minus gegenüber damals, sondern wir haben den Stand von damals von Ihnen festgeschrieben bekommen, und den wollen wir jetzt als Rechtsanspruch gesetzlich sichern, damit jeder Schüler und jede Schülerin, die diese Ausbildung machen wollen, auch diesen Platz bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben gesagt, die Seminare stehen mit dem Rücken zur Wand. Aber für diese zusätzlichen Plätze, die wir von 10.000 auf die heutige Platzzahl erhöht haben, haben sich nicht nur über 30 neue Seminare beworben und gegründet, sondern auch die bestehenden Seminare haben sich eingebracht und alle diese Ausbildungen der Schüler und Schülerinnen übernommen. Wenn das Geschäft doch so wenig lukrativ ist, dann frage ich mich, warum wir 30 neue Fachseminare haben, die starten, um damit in die Insolvenz zu gehen. Da ist Ihre Argumentation überhaupt nicht logisch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Logisch ist es aber, dass wir natürlich in Zukunft über die Qualität, die Veränderung und den Prozess bezüglich einer generalistischen Ausbildung reden müssen.
Eins möchte ich aber zu der Einlassung der Kollegin Schneider sagen: Frau Schneider, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie wissen bei dem Gesetz nicht, ob das eine zu hohe finanzielle Belastung für den Landeshaushalt ist, und gleichzeitig vorschlagen, dass wir das in die Berufsbildung, also in das Ressort der Kollegin Löhrmann verschieben, dann haben Sie meines Erachtens das mit den Kosten eines Landes noch nicht begriffen. Denn wenn wir das in den Berufsbildungsbereich überführen würden, würden wir ein Mehrfaches dessen an Kosten für die Ausbildung übernehmen müssen, also eine Vervielfachung des Ansatzes im Haushalt. Das wäre nicht billiger, das wäre teurer, und auch das wäre nicht unbedingt der Schritt in die richtige Richtung.
Ich freue mich in Zukunft auf die Qualitätsdebatte, die wir gemeinsam auch im Zusammenhang mit der Generalistik führen. Aber dieses Gesetz brauchen wir, damit jeder, der in die Pflege will, auch wirklich definitiv den Schulplatz bekommt. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen somit zur Abstimmung, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/7623. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/7623 der Fraktion der Piraten abgelehnt mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Piraten bei Enthaltung der CDU- und der FDP-Fraktion.
(Unruhe)
Zweitens stimmen wir ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/6092. – Ich darf doch um Aufmerksamkeit bitten. – Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/7558, den Gesetzentwurf Drucksache 16/6092 mit den von ihm beschlossenen Änderungen anzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über diese Beschlussempfehlung Drucksache 16/7558. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/7558 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/6092 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU und der Piraten bei Enthaltung der FDP-Fraktion in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/7611. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen?
(Zuruf von den PIRATEN: Oh, sechs Stimmen!)
– Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/7611 angenommen mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Nein-Stimmen von CDU und Piraten und Enthaltung der FDP-Fraktion.
Ich rufe auf:
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7429
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister Groschek hat sich bereit erklärt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1) Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen somit zur Abstimmung.
(Unruhe)
– Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch für die letzten Minuten der heutigen Sitzung um Ihre Aufmerksamkeit – bei aller Freude auf einige Weihnachtsfeiern, die heute Abend anstehen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/7429 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7430
Auch hierzu hat sich der Minister bereit erklärt, seine Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 2) Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/7430 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
14 Gesetz zur Aufhebung von Normen aus dem Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzrechts
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/7474
Herr Minister Remmel hat auf eine mündliche Einbringungsrede verzichtet und sie zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 3) Ich danke Herrn Minister Remmel. Eine weitere Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/7474 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
15 Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Finanzierungsbeteiligung an den Kosten für Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (Verordnung zum Schwangerschaftskonfliktgesetz-Ausführungs-gesetz – AG SchKG VO) – Landtagsbeteiligung
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/7559
Eine Debatte hierzu ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt in Drucksache 16/7559, das Einvernehmen zum Erlass der Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Finanzierungsbeteiligung an den Kosten für Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz – Vorlage 16/2530 – zu erteilen. Wir kommen zur Abstimmung über das Einvernehmen zu der Verordnung Vorlage 16/2530. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist das Einvernehmen zur Verordnung 16/2530 einstimmig hergestellt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
16 Abkommen über die Finanzierung des „Deutschen Zentrums Kulturgutverluste“
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung
zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 16/7405 – Neudruck
Beschlussempfehlung
des Hauptausschusses
Drucksache 16/7562
Eine Debatte ist nicht vorgesehen. Der Abgeordnete Marsching möchte aber nach § 47 der Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Herr Kollege Marsching, Sie haben das Wort.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Ich mache es kurz, damit ich den Kolleginnen und Kollegen nicht den Feierabend versaue. Es geht um das Abkommen über die Finanzierung des „Deutschen Zentrums Kulturgutverluste“. Meine Fraktion wird diesem Staatsvertrag mehrheitlich zustimmen.
Allerdings werden sowohl der Kollege Sommer als auch ich diesem Staatsvertrag nicht zustimmen, und zwar mit folgender Begründung: Es gab die Einbringung hier im letzten Plenum. Wir haben das Ganze ohne Debatte an den Hauptausschuss übergeben. Im Hauptausschuss haben wir den Tagesordnungspunkt aufgerufen. Alle vier übrigen Fraktionen – bis auf uns Piraten in meiner Person – haben nicht zu diesem Punkt geredet. Das Ganze wurde ans Plenum zurückgegeben. Jetzt verhandeln wir diesen Punkt erneut ohne Debatte.
Wir kritisieren weiterhin, dass Staatsverträge mit sehr kurzer Frist hier ins Plenum bzw. direkt in den Hauptausschuss gegeben werden, dass sie ohne Debatte weitergereicht werden und am Ende hier sogar, wie in diesem Fall, ohne Debatte über sie abgestimmt werden soll.
Wir finden weiterhin, dass sowohl die Menschen in NRW – über die Datenbank des Landtags – als auch die Fraktionen im Landtag das Recht haben, sich über Staatsverträge zu informieren, und zwar vollumfänglich und mit ausreichender Zeit. Das ist in diesem Fall nicht gegeben. Deswegen werden sowohl der Kollege Sommer als auch ich diese Abstimmung jetzt negativ bescheiden. – Vielen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung hat sich Frau Ministerin Schäfer gemeldet.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich mache es kurz. Ich will nur sagen, dass es sich bei diesem Staatsvertrag um eine Zuwendung des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von 1.500 € zu einer Stiftungsgründung geht. Diese betrifft das „Deutsche Zentrum Kulturgutverluste“. Die Bundesregierung stellt 4 Millionen € bereit. Wir investieren sozusagen nichts weiter als den Beitrag in die Stiftungsgründungsurkunde. Ich denke, man kann mit Fug und Recht vertreten, dass das hier plenar schnell abgehandelt wird.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Wir betrachten das Verfahren als Witz!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/7562, dem Antrag 16/7405 – Neudruck – der Landesregierung auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag gemäß Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung zu entsprechen. Wir stimmen somit ab über die Zustimmung zu dem Abkommen über die Finanzierung des „Deutschen Zentrums Kulturgutverluste“. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit hat der Staatsvertrag Drucksache 16/7405 – Neudruck – mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP – bei drei Neinstimmen, einigen Enthaltungen und einigen Zustimmungen der Fraktion der Piraten – die Zustimmung bekommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
17 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht
26
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/7560
Die Übersicht 26 enthält fünf Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 Geschäftsordnung bzw. § 79 Abs. 2 Geschäftsordnung alter Fassung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 26. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit haben alle Fraktionen der Drucksache 16/7560 zugestimmt. Es sind also die darin enthaltenen Abstimmungsergebnisse in der Übersicht 26 der Ausschüsse bestätigt worden.
Ich rufe auf:
Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.
Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist auch nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse Übersicht 16/28 damit bestätigt sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.
Das Plenum wird wieder einberufen für morgen, Donnerstag, den 18. Dezember, um 10 Uhr.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend und gegebenenfalls eine schöne Weihnachtsfeier.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 19:30 Uhr
_______________________________________
*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr:
Dieser Gesetzentwurf hat ein pragmatisches Ziel: Wir wollen zwei Gesetze, die sich eindeutig bewährt haben und dauerhaft erforderlich sind, von einer gesetzlichen Befristung befreien.
Zum einen handelt es sich um das „Gesetz zur Überleitung der bisher von den Landschaftsverbänden wahrgenommenen Aufgaben im Bereich der Straßenbauverwaltung“. Mit diesem Gesetz wurde zum 01. Januar 2001 der Landesbetrieb Straßenbau als Straßenbaubehörde für Nordrhein-Westfalen gegründet. Darüber hinaus wurden die Bewilligung der Bundes- und Landeszuwendungen zur Förderung des kommunalen Straßenbaues und des öffentlichen Personennahverkehrs, die Linienbestimmung für Landesstraßenplanungen sowie die Planfeststellung und Plangenehmigung für Landes- und Kreisstraßen sowie für Gemeindestraßen im Außenbereich den Bezirksregierungen übertragen.
Die Übernahme der bis zum 31. Dezember 2000 durch die Landschaftsverbände wahrgenommenen Aufgaben im Bereich der Straßenbauverwaltung in die staatliche Verantwortung des Landes sowie die im Gesetz festgelegte Aufgaben-verteilung zwischen Landesbetrieb und Bezirksregierungen haben sich bewährt.
Zum anderen handelt es sich um das Straßen- und Wegegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen. Das Gesetz regelt, wie eine öffentliche Straße entsteht, die Einteilung der öffentlichen Straßen in verschiedene Kategorien mit der Folge der Bau-, Unterhaltungs- und Finanzierungslast verschiedener Träger wie Land, Kreise, Gemeinden, Umfang und Inhalt der Straßenbaulast und schließlich auch Rechte und Pflichten Privater, soweit sie entweder als Grundstückseigentümer betroffen sind oder in einem Nachbarschaftsverhältnis/Anliegerverhältnis zur Straße stehen oder die öffentliche Straße für eigene Zwecke nutzen. Letztlich dienen alle Anforderungen sowohl an die öffentlichen Träger, die öffentliche Verwaltung als auch an Private der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Bereitstellung und Erhaltung öffentlicher Straßen und dem Schutzgut der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Die Regelungen haben sich bewährt und sind dauerhaft erforderlich.
Die Streichung von Berichtspflichten für diese zwei Gesetze bedeutet nicht, dass wir als Landesregierung zukünftig auf die Prüfung und Evaluierung dieser Gesetze verzichten werden. Ganz im Gegenteil: Auch künftig werden wir die Wirksamkeit dieser Gesetze sorgfältig beobachten. Sollte sich daraus ein Bedarf für Änderungen oder Reformen ergeben, werden wir diese, wie bisher auch, losgelöst von bestehenden Berichtsverpflichtungen auf den Weg bringen.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr:
Zur Beratung steht an ein Artikelgesetz.
Es geht um die Anpassung einer Zuständigkeitsregelung im Rahmen der Marktüberwachung harmonisierter Bauprodukte.
Der Landtag ist mit diesem Thema schon einmal in Berührung gekommen, und zwar im Zusammenhang mit einer Änderung des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik – kurz DIBt genannt –, einer gemeinsamen Einrichtung des Bundes und der Länder in Form einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Vornehmlich sorgt das Institut für die einheitliche Erfüllung bautechnischer Aufgaben, wie zum Beispiel Erteilung europäischer technischer Zulassungen für Bauprodukte oder Erteilung allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassungen für Bauprodukte und Bauarten.
Seit Inkrafttreten des ersten Änderungsabkommens zum DIBt-Abkommen hat das Institut auch die Aufgabe, die für die Marktüberwachung von harmonisierten Bauprodukten zuständigen Behörden der Länder fachlich zu beraten und die Marktüberwachungsverfahren zu koordinieren.
Lassen Sie mich noch einmal in kurzen Worten darstellen, worum es bei dieser Marktüberwachung überhaupt geht:
Auch bei Bauprodukten wird die Einhaltung einschlägiger europäischer Normen durch das Anbringen des CE-Kennzeichens dokumentiert. Damit erzeugt der Hersteller beim Inverkehrbringen des Produkts beim Verwender das Vertrauen auf die Konformität mit den europäischen Vorgaben. Im Rahmen der Marktüberwachung wird die korrekte Kennzeichnung sowie in geeigneten Fällen auch die materielle Übereinstimmung des Produkts mit diesen Vorgaben überprüft. Damit dient die Marktüberwachung auch der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Binnenmarkt.
Die Marktüberwachung erfolgte zunächst nur auf konkreten Hinweisen beruhend und damit reaktiv.
Seit 2010 haben aufgrund von EU-Vorschriften aber zusätzlich stichprobenartige Kontrollen auf der Grundlage der von den Bundesländern erarbeiteten Marktüberwachungsprogramme zu erfolgen. In diesen wird festgelegt, welche Bauprodukte im jeweiligen Kalenderjahr auf diese Weise überprüft werden. Diese Aufgabe wird bislang für ganz Nordrhein-Westfalen von der Bezirksregierung Düsseldorf wahrgenommen. Die Zuständigkeitszuweisung erfolgte in der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Energieeinsparungsgesetz, dem Bauproduktengesetz und der Verordnung (EG) Nr. 765/2008.
Wegen des Aufgabenzuwachses aufgrund der Abarbeitung von Marktüberwachungsprogrammen hat die Bauministerkonferenz eine Aufgabenaufteilung zwischen dem DIBt und den Marktüberwachungsbehörden der Länder beschlossen.
Das DIBt soll danach über seine bisherige Funktion als Koordinierungsstelle hinaus auch Vollzugskompetenzen im Rahmen der Marktüberwachung erhalten (sogenannte gemeinsame Marktüberwachungsbehörde). Das Institut soll damit in den Fällen die Befugnis und auch die Zuständigkeit für ein Einschreiten gegenüber Marktteilnehmern (wie z. B. Herstellern oder Händlern) erhalten, in denen die materielle – also von der Beschaffenheit her gesehene – Nichtkonformität eines Bauprodukts mit europäischen Vorgaben festgestellt wird.
Der damit erforderlichen zweiten Änderung des Abkommens über das DIBt hatte der Landtag bereits im November 2012 zugestimmt. Der Bund und nunmehr auch alle anderen Länder haben ihre Zustimmung erteilt; das Abkommen ist in seiner geänderten Fassung am 1. Juni 2014 in Kraft getreten.
Dieser neuen Kompetenzaufteilung muss durch eine entsprechende Zuständigkeitsregelung Rechnung getragen werden. Dies soll mit dem Ihnen im Entwurf vorliegenden Gesetz – dort Artikel 1 – geschehen. Durch Rechtsverordnung kann eine solche Regelung nicht getroffen werden, da das allgemeine Organisationsrecht des Landes dafür keine Rechtsgrundlage bietet. Dieses sieht nämlich nur eine Zuständigkeitsübertragung auf Institutionen vor, die sich in der Behördenstruktur des Landes befinden.
In Artikel 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs wird die bisherige umfassende Zuständigkeitszuweisung an die Bezirksregierung Düsseldorf, die durch Verordnung erfolgte, als Folgeänderung korrigiert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz:
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Wiederherstellung der Rechtssicherheit. Zuständigkeiten in den Bereichen Umweltschutz und Verbraucherschutz werden in NRW in Zuständigkeitsverordnungen geregelt.
Mit dem Gesetz zur Kommunalisierung von Aufgaben des Umweltrechts hat der Landesgesetzgeber im Jahr 2007 die Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz und die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf Gebieten des Verbraucherschutzes jedoch als sogenannte Vollregelung in einem Artikelgesetz normiert.
Obschon der Gesetzentwurf von der Landesregierung stammte, die genannten Regelungen ausdrücklich als Verordnung bezeichnet wurden und explizit auf Verordnungsermächtigungen gestützt wurden, könnte der Eindruck entstehen, dass es sich bei den beiden Verordnungen formal um Gesetze handele.
Aus Gründen der Rechtssicherheit sollen die beiden Normen nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, also in der gleichen Art des Normsetzungsverfahrens, in dem sie entstanden sind, aufgehoben werden.
Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass die infrage stehenden Zuständigkeitsregelungen durch die Landesregierung zeitgleich in einem parallelen Verfahren als Verordnungen erneut erlassen werden sollen, um eine Zuständigkeitslücke zu vermeiden. Die wesentlichen Regelungsinhalte sollen dabei beibehalten werden. Jedoch soll der Normierungsanlass genutzt werden, um Aktualisierungs- und Modifizierungsbedarf bei den Zuständigkeiten im Umwelt- und Verbraucherschutz aufzugreifen.