Das Dokument ist auch im PDF und Word Format verfügbar.

Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/9

16. Wahlperiode

14.09.2012

9. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 14. September 2012

Mitteilungen der Präsidentin. 391

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/300

erste Lesung

Und:

     Mittelfristige Finanzplanung 2011 bis 2015 mit Finanzbericht 2012 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/301

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2012 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 – GFG 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/302

erste Lesung

Und:

Gesetz zur Errichtung eines Fonds des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktfondsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/176

erste Lesung

Und:

Für mehr Gerechtigkeit im kommunalen Finanzausgleich – gestaffelte fiktive Hebesätze einführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/816

Sowie:

Rückkehr zu einer das Recht und die Verfassung achtenden Haushaltspolitik in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/819. 391

Haushaltsgesetz 2012

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 391

Martin Börschel (SPD) 395

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 396

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 399

Ralf Witzel (FDP) 401

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 404

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 407

Ralf Witzel (FDP) 408

Martin Börschel (SPD) 409

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 410

Gemeindefinanzierungsgesetz 2012

Minister Ralf Jäger 411

Michael Hübner (SPD) 412

André Kuper (CDU) 413

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 414


Kai Abruszat (FDP) 415

Robert Stein (PIRATEN) 416

Minister Ralf Jäger 418

Ergebnis. 419

2   Neue Personalauswahl zerschlägt bewährte Struktur im Vorstand der NRW-Stiftung

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/849. 419

Klaus Kaiser (CDU) 420

Markus Töns (SPD) 421

Kai Abruszat (FDP) 422

Norwich Rüße (GRÜNE) 423

Oliver Bayer (PIRATEN) 424

Minister Johannes Remmel 425

Karl-Josef Laumann (CDU) 427

Hans-Willi Körfges (SPD) 427

Henning Höne (FDP) 429

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 430

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 430

3   Transparenz schaffen – Aktuelles Steuerabkommen mit der Schweiz stoppen!

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/814

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/867

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/879. 431

Stefan Zimkeit (SPD) 431

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 432

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 434

Ralf Witzel (FDP) 435

Nico Kern (PIRATEN) 436

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 438

Ralf Witzel (FDP) 441

Dietmar Schulz (PIRATEN) 441

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 441

Ergebnis. 442

4   Versicherte entlasten, unnötige Bürokratie vermeiden – Praxisgebühr abschaffen!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/817. 442

Susanne Schneider (FDP) 442

Michael Scheffler (SPD) 443

Peter Preuß (CDU) 444

Arif Ünal (GRÜNE) 445

Lukas Lamla (PIRATEN) 446

Ministerin Barbara Steffens. 447

Ergebnis. 448

5   Landesregierung darf Chancen für NRW aus dem Ziel-II-Programm nicht verspielen: Nordrhein-Westfalen muss eigene Akzente bei EFRE setzen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/822. 448

Ilka von Boeselager (CDU) 448

Rainer Schmeltzer (SPD) 449

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 450

Dietmar Brockes (FDP) 451

Daniel Schwerd (PIRATEN) 453

Minister Garrelt Duin. 454

Ergebnis. 455

6   Endspurt vor dem doppelten Abiturjahrgang: Gute Beratung und zeitnahe Antragsbearbeitung in den BAföG-Ämtern sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/813

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/872

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/887

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/904. 455


Karl Schultheis (SPD) 456

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 457

Dr. Stefan Berger (CDU) 458

Marcel Hafke (FDP) 459

Oliver Bayer (PIRATEN) 460

Ministerin Svenja Schulze. 461

Ergebnis. 462

7   Fragestunde

Drucksache 16/830. 462

Mündliche Anfrage 1

der Abgeordneten
Yvonne Gebauer (FDP)

Mit welchen Maßnahmen will die Ministerin für Schule und Weiterbildung sicherstellen, dass der Lehrerbedarf der Schulen gesichert wird?. 462

Ministerin Sylvia Löhrmann. 463

Mündliche Anfrage 2

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

Finanzminister beauftragt Fachanwälte mit der rechtlichen Interessenwahrnehmung der Portigon AG gegenüber dem früheren Risikovorstand der WestLB in der Angelegenheit von dessen verschwiegenem Seitenwechsel zur Helaba – Aus welchen Erwägungen heraus hält der Finanzminister bei diesem so gearteten Sachverhalt auch noch die Zahlung einer hohen Abfindung nach erfolgter Eigenkündigung dieses Topmanagers für gerechtfertigt?  466

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 467

Mündliche Anfrage 3

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

Medienbericht zur denkbaren Beteiligung von Finanzbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen am Datendiebstahl in der Schweiz – Welche einzelnen Erkenntnisse liegen dem Finanzminister zu der Frage vor, ob gezielt Aufträge zum Steuerdatendiebstahl seitens des Landes erteilt worden sind?  471

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 472

Nächste Sitzung. 473

Entschuldigt waren:

Hubertus Fehring (CDU)

Claudia Middendorf (CDU)

Norbert Post (CDU)

Hendrik Wüst (CDU)

Mario Krüger (GRÜNE) 
(ab 14:00 Uhr)

Holger Ellerbrock (FDP)

Daniel Düngel (PIRATEN)

Frank Herrmann (PIRATEN)


Beginn: 10:02 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich heute Morgen. Wir beginnen mit der neunten Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt den Besucherinnen und Besuchern auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt; wie immer werden ihre Namen in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

1   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/300

erste Lesung

Und:

     Mittelfristige Finanzplanung 2011 bis 2015 mit Finanzbericht 2012 des Landes Nordrhein-Westfalen

Drucksache 16/301

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2012 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 – GFG 2012)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/302

erste Lesung

Und:

Gesetz zur Errichtung eines Fonds des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktfondsgesetz)


Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/176

erste Lesung

Und:

Für mehr Gerechtigkeit im kommunalen Finanzausgleich – gestaffelte fiktive Hebesätze einführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/816

Sowie:

Rückkehr zu einer das Recht und die Verfassung achtenden Haushaltspolitik in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/819

Ich erteile dem Finanzminister, Herrn Dr. Walter-Borjans, zur Einbringung des Haushalts das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat vorgestern in ihrer Regierungserklärung von einem Dreiklang gesprochen, den wirklich dauerhaft konsolidierte Landesfinanzen voraussetzen. Da geht es um Zukunftsinvestitionen, es geht um gezieltes Sparen, und es geht um angemessene Einnahmen. Sie hat auch gesagt, dass das Sparen in diesem Dreiklang deutlich herauszuhören sein muss.

Diese Leitlinie gilt für die Legislaturperiode, die vor uns liegt. Sie galt aber auch schon für den Haushaltsentwurf 2012, den ich am 21. Dezember 2011 eingebracht habe.

Wirklich nachhaltige Konsolidierung – auch das hat die Ministerpräsidentin gesagt – gelingt allerdings nicht allein durch Kürzungen auf der Ausgabenseite. Wir sagen offen, was für eine Politik stabiler Finanzen nötig ist, die die Aufgabenerfüllung des Staates nicht als Last, sondern als Herausforderung sieht, eine Politik, die Nordrhein-Westfalen mit seiner engmaschigen Infrastruktur, mit seiner guten Bildungslandschaft, mit seiner öffentlichen Sicherheit, mit seinem sozialen Zusammenhalt in handlungsfähigen Städten und Gemeinden nicht weiter zur Disposition stellt, sondern in der Champions League hält. Das unterscheidet uns von dem, was die Opposition unter Konsolidierung versteht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Opposition – das hat die gestrige Debatte über die Regierungserklärung gezeigt – hat sich ganz auf Märchenstunden verlegt, auf das Prinzip der schlichten Behauptung als Ersatz für gehaltvolle Gegenentwürfe. Aber, Herr Laumann, das soll ja heute anders werden. Wenn ich den Radionachrichten glauben darf, dann gibt es heute ganz konkrete Vorschläge, was Sie anders machen würden.

CDU und FDP erzählen immer wieder gerne das Märchen vom ganz einfachen Sparen, bisher allerdings ohne einen einzigen konkreten Vorschlag.

(Zuruf von der FDP: Das stimmt doch nicht! – Weitere Zurufe von CDU und FDP)

Das war einer der Hauptgründe für Ihr Wahldesaster. Stattdessen gibt es ständig neue, sehr konkrete Forderungen nach Mehrausgaben. In der Sommerpause liest man, dass viel zu wenig für die Inklusion bereitgestellt wird. Man liest, dass die Universitäten zu wenig Geld bekommen. Es kam eine Pressemitteilung nach der anderen, die besagte, dass nicht eingespart, sondern Geld ausgegeben werden solle.

Es wird auch das Märchen von der gelungenen Konsolidierung im Jahr 2008 erzählt. Interessant ist, dass von 2009 und 2010 bei Ihnen nie die Rede ist. Da schoss die Kreditaufnahme nämlich wieder nach oben. Aber das war ja der Krise in der Weltkonjunktur geschuldet, für die Schwarz-Gelb nichts konnte. Der weltweite Boom des Jahres 2008 dagegen war das Werk der schwarz-gelben Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Rückgang der Neuverschuldung im Jahr 2008 war tatsächlich nicht nur die Folge sprunghaft gewachsener Steuereinnahmen. Er war auch zu einem guten Teil die Folge skrupelloser Lastenverschiebungen auf die kommunalen Haushalte.

Wohlklingend ist auch immer wieder das Märchen von den keine Kosten verursachenden Sparfüchsen in dem von Helmut Linssen geführten Finanzministerium. Die Wahrheit: Sein Projektbüro Haushaltskonsolidierung hat 6 Millionen € für externe Berater gekostet. So einfach sind die Märchen der Opposition gestrickt.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Am schaurigsten ist das Märchen von dem Rucksack voller Schulden, die wir der nächsten Generation hinterlassen, das Herr Laumann so gern erzählt.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Ja! – Zuruf von der FDP: Das ist kein Märchen!)

Diese Behauptung war nie so falsch wie jetzt, da es um unsere Generation geht. Richtig ist, dass die öffentlichen Haushalte immer tiefer ins Minus rutschen bzw. schon gerutscht sind, und zwar nicht nur der nordrhein-westfälische, sondern die öffentlichen Haushalte insgesamt. Richtig ist aber auch, dass das private Vermögen noch nie so explosionsartig angewachsen ist wie zu Zeiten dieser Generation. Diese Generation wird ihrer Nachfolgegeneration mehr hinterlassen als je eine Generation zuvor.

(Zuruf von der FDP: Schulden!)

Aber über 60 % davon sind in der Hand eines Zehntels der Bevölkerung. Ich neide den Wohlhabenden ihren Wohlstand nicht;

(Lachen von der FDP)

ich stelle nur fest, dass dieser Wohlstand ohne die von diesem Staat geschaffenen Voraussetzungen ebenso wenig möglich gewesen wäre wie die Sicherung dieses Wohlstands für die Zukunft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Kluge Vermögende haben längst erkannt, dass ein größerer Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Leistungen auch in ihrem ureigenen Interesse ist. Wer die Verschuldung stoppen und damit die Verantwortung für unser Land und auch für die nächsten Generationen nicht an der Garderobe abgeben will, der darf nicht nur von Leistungsabbau reden. Der muss über Effizienzsteigerung, aber auch über angemessene Einnahmen und über eine gerechte Verteilung dessen reden, was die gesamte Generation erwirtschaftet hat

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, unser Entwurf hat nicht Wunschdenken und auch nicht Geschichtsklitterung als Grundlage, sondern die ganz nüchterne Analyse dessen, was zu tun ist und womit das finanziert oder auch gegenfinanziert werden muss.

Dass wir damit schon im März auf einem guten Weg waren, hat seinerzeit selbst Herr Papke in Interviews und in Gesprächen attestiert. Damals gab es allerdings das Programm „Kurve kriegen“ noch nicht. Das Ergebnis kennen wir: Die FDP hat damals die Kurve nicht gekriegt und das anschließend als Gradlinigkeit verkauft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Da wir davon überzeugt sind, dass es sich bei dem, was in dem ursprünglichen Etatplan stand, um die richtigen Schwerpunkte gehandelt hat, lege ich heute eine aktualisierte Fassung des Entwurfs vom vergangenen Dezember vor. Wir behalten unsere Spar­anstrengungen bei, die in dem ursprünglichen Etatplan vorgesehen waren.

Um den entschlossenen Kurs hin zur Schuldenbremse im Jahr 2020 zu halten, müssen allerdings die Ressorts rund 750 Millionen € an globalen Minderausgaben erbringen. Das werden wir schaffen. Bei uns bedeuten globale Minderausgaben auch globale Minderausgaben, und globale Mehreinnahmen bedeuten globale Mehreinnahmen. Ich nenne die nicht „Finanztransaktionsteuer“, ohne zu wissen, ob sie kommt, wenn man nach den sehr „konkreten“ Formulierungen im Bundeshaushalt geht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nordrhein-Westfalen ist auf einem guten Weg. Trotz mancherlei Sonderlasten, die unser Land zu bewältigen hat, liegt die Neuverschuldung pro Kopf durchschnittlich unter dem Durchschnitt der anderen Länder. 2011 lag sie mit durchschnittlich 165 € pro Kopf deutlich niedriger als etwa in Niedersachsen mit 310 € oder in Hessen mit 199 €. Wir lagen auch deutlich unter dem Bund mit 212 €. 2012 muss der Bundesfinanzminister 10,3 % seines Haushalts mit Krediten finanzieren. In diesem Entwurf sind es 8,1 %.

Was sind die wesentlichen Veränderungen im Rahmen der vorgenommenen Aktualisierungen?

Wir hatten Anfang des Jahres in den Haushaltsberatungen zur dritten Lesung schon eine Absenkung von 360 Millionen € angekündigt. Damit haben wir nach der ersten Einbringung die Schlüsse aus dem positiven Vollzug des Haushalts 2011 gezogen und vorgeschlagen, die Nettoneuverschuldung von rund 4 Milliarden € auf 3,6 Milliarden € abzusenken. Diese angekündigte Absenkung machen wir mit dem jetzt vorgelegten Entwurf wahr.

Über die 360 Millionen € hinaus ist aber auch die 1 Milliarde € zu berücksichtigen, die wir auf der Grundlage des Gesetzes zur Restrukturierung der WestLB AG erbringen müssen.

Hinzu kommen weitere notwendige Anpassungen, etwa Mindereinnahmen aus der Bundesergänzungszuweisung oder aus dem Länderfinanzausgleich; denn wir haben eine bessere Finanzentwicklung als der Durchschnitt der anderen Länder.

Es kommt allerdings auch die Absenkung der Zinsausgaben hinzu, weil das Zinsniveau weiter gesunken ist.

Es gibt aber auch Mehrausgaben, etwa 107 Millionen € im Zusammenhang mit dem Kinderförderungsgesetz. Das ist die erstmalige Veranschlagung der vom Verfassungsgericht verlangten Erstattung an die Kommunen. In Ihrem Duktus, meine Damen und Herren von der CDU, würde das heißen: „Reparatur eines Verfassungsbruchs, eine schallende Ohrfeige seitens der Verfassungsrichter“ – allerdings verursacht von Schwarz-Gelb.

(Zuruf von der CDU: Sie kennen sich ja gut aus!)

– Sie hatten schon vorher lange Erfahrung damit, wie so etwas geht.

Damit hat der Haushaltsentwurf 2012 ein Gesamtvolumen von 58,8 Mil­liarden €.

In der neuen Legislaturperiode gibt es zudem ein Ministerium mehr. Aus dem ehemaligen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr sind zwei neue Ressorts geworden: das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr sowie das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Das machen wir ohne zusätzliche Belastungen für den Haushalt.

Weil wir an unseren Schwerpunkten festhalten, bleiben auch die Verbesserungen bestehen, wie sie im Ausgangsentwurf enthalten waren: für frühkindliche Bildung und Betreuung insgesamt 214 Millionen € mehr, wegen der Abschaffung der Studiengebühren als Kompensation 124 Millionen € mehr an die Hochschulen.

Mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz werden den Kommunen 8,4 Milliarden € zur Verfügung gestellt, 500 Millionen € bzw. 6,3 % mehr als 2011 und die höchste Finanzausgleichsmasse überhaupt. Darüber hinaus kommen weitere 8,1 Milliarden € an Zweckzuweisungen für die Kommunen aus dem Landeshaushalt. Damit ist fast jeder dritte Euro im Landeshaushalt direkt für die Kommunen bestimmt.

In den Zuweisungen sind auch die Ausgaben für das Stärkungspaktgesetz enthalten. Aber zum GFG wird der Kollege Ralf Jäger noch etwas sagen.

Zur Einnahmenseite: Für 2012 rechne ich weiterhin mit 43,1 Milliarden € an Steuereinnahmen. Was war das für eine Empörung, als ich diese Zahl im vergangenen Dezember vorgetragen habe. Nach acht Monaten haben wir nun 28,1 Milliarden € eingenommen, 1,6 Milliarden € mehr als im Vorjahreszeitraum. Wir haben für das Gesamtjahr ein Plus von 4,9 % unterstellt. Nach acht Monaten sind es zurzeit plus 5,9 %.

Ich finde es interessant, dass sogar das RWI, das die Arbeit der Landesregierung ja nicht immer nur mit den schönsten Flötentönen begleitet, feststellt und anerkennt, dass ein großer Teil eben auch in die Reduktion von Verschuldung fließt. Das ist aus unserer Sicht noch einmal eine Bestätigung, dass die Mittel ausgewogen verwendet werden.

Ich bin zuversichtlich, dass wir den Steuereinnahmenansatz, den wir im Haushalt stehen haben, erreichen werden. Dazu trägt auch ein schwieriger Schritt bei, nämlich dass wir die Grunderwerbsteuer von 3,5 % auf 5 % erhöht haben und deshalb in den ersten acht Monaten 250 Millionen € aus dieser Steuer mehr eingenommen haben als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum.

Meine Damen und Herren, Ihnen liegt ein Haushaltsentwurf vor, der ohne die WestLB-Struk­turie­rung mit einer Nettoneuverschuldung von 3,6 Milliarden € auskäme. Mit dieser Strukturierung sind es 4,6 Milliarden €. So oder so sind es aber 500 Millionen € weniger, als die Investitionsgrenze in der Verfassung zulässt.

Zeitgleich mit dem Haushalt 2012 legen wir auch die mittelfristige Finanzplanung vor. Wir setzen alles daran, die Neuverschuldung des Landes schrittweise mit dem Ziel abzusenken, 2020 bei null auszukommen. Die Finanzplanung zeigt: Wir sind auf einem guten Weg. Sie zeigt auch, wie abwegig das Rechenkunststück war, das uns Herr Laumann und Herr Krückel gestern geboten haben, als sie auf eine sehr einfache Rechenart zu einem Zeitraum von 36 Jahren bis zum Erreichen der Schuldenbremse gekommen sind.

Herr Laumann, Herr Krückel, wenn ich Ihrer Logik folgen würde, dann hätte die letzte Finanzplanung der schwarz-gelben Koalition einen Weg von 66 Jahren vorgezeichnet. Sie hatten nämlich anders als wir noch 6,6 Milliarden € neue Schulden geplant und wollten dauerhaft jährlich in der gesamten Finanzplanungsphase 100 Millionen € abbauen. Sie hätten also wenigstens gestern attestieren sollen, dass wir Ihren Zeitplan für den Verschuldungsabbau halbiert haben.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In der aktualisierten Finanzplanung sind jetzt übrigens auch Werte für die Altlasten aus der Phoenix-Garantie enthalten, entsprechend aktuellen Prognosen 900 Millionen € für 2014 und 605 Millionen € für 2015. Diese Einschläge verzögern natürlich noch einmal den Abwärtstrend, den wir vorgeschlagen haben: 3,46 Milliarden € bis 2014 und 2,65 Milliarden € bis 2015, um 800 Millionen € abgesenkt. Wir wären 2015 ohne Phoenix bei 2 Milliarden €.

Jetzt holt uns ein, was mit der Klage gegen den Nachtragshaushalt 2010 unterbunden wurde. Ich habe schon damals, meine Damen und Herren von der Opposition, gesagt: Sie haben mit Erfolg einen Nachtragshaushalt zerschossen, aber das Problem haben Sie nicht gelöst. Im Gegenteil: Sie haben es wie so vieles verschoben und weniger kalkulierbar gemacht. Und nun schlägt es in den nächsten Jahren ein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihre Strategie war schon damals durchsichtig. Es war ein Ablenken von dem, was Sie an Altlasten hinterlassen haben und jetzt als mangelnden Sparwillen der neuen Landesregierung darstellen. Das hat nicht nur die Landesregierung Ihnen nicht durchgehen lassen, das haben Ihnen auch die Wähler nicht durchgehen lassen.

Aber trotz der Sondereffekte sinkt die Nettoneuverschuldung, sodass 2020 mit diesen Effekten und mit den Anstrengungen, die wir unternehmen, erreichbar ist.

Bei der notwendigen Konsolidierung auf der Ausgabenseite wird das Effizienzteam die Landesregierung unterstützen und die bereits in der 15. Wahlperiode begonnene Arbeit fortsetzen. Die Entscheidung zur Zusammenlegung der Oberfinanzdirektionen ist ein Beispiel dafür, wie wir an Strukturen, wie wir an Förderprogrammen, wie wir an aufgabenkritischen Untersuchungen arbeiten und das in den nächsten Monaten auch verstärken werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir stehen mit dem Landeshaushalt vor der großen Herausforderung, die verfassungsrechtlich festgeschriebene Schuldenbremse einzuhalten, ohne die Erfüllung staatlicher Aufgaben zu vernachlässigen. Wer erzählt, dass eine hochentwickelte Industrieregion ohne verheerende Folgen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte allein auf der Ausgabenseite erreichen kann, der streut den Menschen und auch den Unternehmen im Land Sand in die Augen.

Die starke Position Nordrhein-Westfalens ist auch die Folge unserer Infrastruktur, unserer Bildung, unserer Sicherheit, unseres sozialen Zusammenhalts. Die Hauptquelle dafür sind Steuereinnahmen. Um die Schuldenbremse einzuhalten, ist eine Stärkung dieser Einnahmenbasis unerlässlich.

Dazu bereiten wir zusammen mit anderen Ländern Bundesratsinitiativen vor, die wir im Zuge der Haushaltsberatungen der nächsten Jahre mit Sicherheit intensiv beraten können.

Wir haben am 13. Mai den Auftrag erhalten, den begonnenen Weg weiterzugehen und Haushaltskonsolidierung zu betreiben, die ihren Namen verdient hat. Ich habe es gestern schon gesagt: In „Konsolidierung“ steckt das Wort „solide“. Das ist etwas anderes als „Augen zu und durch ohne Sinn und Verstand“. Dies würde nur wieder im Verschieben oder Verstecken der Lasten enden.

Konsolidierung ist die Kunst, mit Augenmaß zu erkennen, was eine hochentwickelte Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft braucht, um im Wettbewerb der Standorte weiter oben dabei zu sein. Es ist nicht nur eine Frage von Wirtschaft und Technik, sondern auch eine politische Herausforderung, die Qualität des Zusammenlebens der Menschen im Land zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Wir werden weiter Kurs halten. Dieser Haushaltsentwurf soll seinen Beitrag dazu leisten. Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Bevor ich die Beratung eröffne, möchte ich die Fraktionen darauf hinweisen, dass der Finanzminister die vereinbarte Redezeit um knapp zwei Minuten überzogen hat, die damit selbstverständlich auch den Fraktionen zur Verfügung stehen.

Als erstem Redner für die Fraktionen erteile ich Herrn Kollegen Börschel für die SPD-Fraktion das Wort.

Martin Börschel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Dramaturgie dieser Sitzungsverläufe hat es an sich, dass ich es eigentlich sehr, sehr kurz machen und sagen kann: Der Finanzminister hat nicht nur das Notwendige gesagt, er hat das Richtige gesagt. Er hat nichts gesagt, was man nicht unterstützen kann. Insofern kann er bei seinen weiteren Etatplanungen auf die volle Unterstützung der regierungstragenden Koalitionsfraktionen setzen.

Nichtsdestotrotz soll das hier natürlich auch ein Auftakt zu einer Debatte werden, die ich insbesondere in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion führen will.

Herr Kollege Optendrenk, es ist normal, dass jeder hier in diesem Haus Vorgänger hat. Manche Schatten der Vorgänger sind länger, manche kürzer. In Ihrem Fall wiegt das vermutlich besonders schwer. Trotzdem werden Sie sich an dem festhalten müssen, was Ihr Vorgänger im Amt des haushalts- und finanzpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion, aber auch Ihr Fraktionsvorsitzender Laumann noch vor wenigen Monaten im Landtag Nordrhein-Westfalen zum Haushaltsentwurf 2012 – wir haben gerade gehört, dass der im Wesentlichen in unveränderter Form schon einmal eingebracht und von Ihnen damals abgelehnt wurde – vorgetragen haben. Mit einigen dieser Punkte möchte ich Sie gerne konfrontieren.

Sie haben damals nämlich – und zwar noch in einem Eckpunktepapier; das war im März dieses Jahres – der Regierung zum Beispiel vorgeworfen, sie habe die Einnahmen vorsätzlich zu hoch geschätzt, und zwar um etwa 1 Milliarde €. Die Regierung hatte 43,1 Milliarden € als Steuereinnahmen angesetzt. Sie waren der Auffassung, 42,1 Milliarden € seien der korrektere Wert.

Mittlerweile wissen wir, dass sich die Steuereinnahmen in den ersten acht Monaten dieses Jahres sogar noch deutlich besser entwickelt haben, als die Regierung zugrunde gelegt hatte. Wir liegen um einen Prozentpunkt über den Steigerungen, die veranschlagt worden sind, nämlich bei insgesamt 5,9 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Insofern gehe ich davon aus, dass Sie Ihre Äußerung heute nicht aufrechterhalten werden, dass die Regierung die Steuereinnahmen vorsätzlich zu hoch angesetzt habe. Im Gegenteil: Es ist vollkommen im Plan, wenn nicht noch mehr.

Zweiter Punkt. Sie haben den Länderfinanzausgleich angesprochen und kritisiert, dass die Einnahmen um 250 Millionen € zu hoch geschätzt seien. Das korrespondierte damals allerdings nicht mit Ihren Überlegungen zu den Steuereinnahmen. Denn der Effekt ist eindeutig: Je mehr Steuern man einnimmt und je stärker die Finanzkraft eines Bundeslandes ist, umso weniger bekommt man aus dem Länderfinanzausgleich oder aus den Bundesergänzungszuweisungen. Oder man muss gar zahlen. Das ist völlig klar.

Es ist jetzt also logisch: Da sich die Steuerkraft Nordrhein-Westfalens so positiv entwickelt hat, wie sich das in den ersten acht Monaten dieses Jahres gezeigt hat, dann haben Sie im Nachhinein mit Ihrer damals unlogischen Behauptung recht, der Länderfinanzausgleich sei zu hoch angesetzt. Diese 250 Millionen € aus dem Länderfinanzausgleich sind jetzt abgesetzt worden. Auch dieser Punkt hat sich also schlicht und einfach erledigt.

Sie haben damals kritisiert – das haben Sie wirklich sehr groß aufgebauscht –, 1 Milliarde € Kosten für die Rettung der WestLB seien im Haushaltsentwurf nicht enthalten. Es bleibt dabei, dass es vollkommen richtig war – alleine schon, um unsere Verhandlungsposition nicht zu verschlechtern –, zum damaligen Zeitpunkt wegen mangelnder Etatreife die 1 Milliarde € für die WestLB nicht einzustellen. So oder so, jetzt ist sie drin. Das Restrukturierungsgesetz ist beschlossen. Insofern gibt es jetzt keine vernünftige Alternative. Auch dieser Punkt – das, was Sie damals kritisiert haben – hat sich also in ein laues Lüftchen aufgelöst.

Dann erinnere ich daran, dass Sie einige Einsparvorschläge gemacht haben. 716 Millionen € waren von Ihnen genannt worden. In der Addition kam das zwar nie hin; aber ich übernehme einmal Ihre Diktion. Diese 716 Millionen € bestanden aus drei großen Komponenten.

Zum einen wollten Sie die Studiengebühren wieder einführen. Das heißt, Sie wollten aus dem Haushaltsentwurf 249 Millionen € Kompensationsmittel an die Hochschulen streichen. Puff, weg! Ihr damaliger Spitzenkandidat Röttgen hat das im Landtagswahlkampf zurückgenommen. Sie halten diesen Einsparvorschlag nicht mehr aufrecht. Insofern ist auch dieser aus Ihrer Sicht vorgebrachte Kritikpunkt mittlerweile erledigt.

Dann haben Sie kritisiert, in diesem Haushaltsentwurf seien 142 Mil­lionen € für ein beitragsfreies Kindergartenjahr enthalten. Auch das ist weg, hat sich in Luft aufgelöst. Auch diesen Einsparvorschlag haben Sie schon im Landtagswahlkampf – der Ihnen ja „so viel gebracht hat“ – nicht mehr aufrechterhalten. Das heißt, auch diesen Kritikpunkt können Sie gegenüber dem jetzigen Haushaltsplanentwurf nicht mehr vortragen.

Letzter Punkt. Auch vom Sozialticket habe ich nie wieder etwas gehört. 30 Mil­lionen € zum Einstieg in ein landesweites Sozialticket sind im Haushaltsentwurf enthalten. Auch dazu gab es von Ihnen nie wieder Kritik. Auch das hat Ihr damaliger Landesvorsitzender und Spitzenkandidat Röttgen einkassiert. Auch das können und werden Sie hier nicht mehr aufrechterhalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn ich das jetzt noch summa summarum – das ist der langen Rede kurzer Sinn – mit dem zusammennehme, was Ihr Fraktionsvorsitzender Laumann noch gestern in der Debatte zur Regierungserklärung vorgetragen hat – er hat nämlich groß angekündigt, dass die CDU-Fraktion selbstverständlich Einsparvorschläge machen werde, Vorschläge für die Haushaltskonsolidierung machen werde, aber eben erst für den Haushalt 2013; kein Wort über den Haushalt 2012 –, dann haben Sie endgültig jedes Recht verwirkt, jetzt hier noch in alter und reinen Ritualen folgender Manier den Haushaltsentwurf der Regierung zu bekritteln. Alle Ihre Punkte haben sich in Luft aufgelöst, nichts davon ist geblieben. Deswegen bleibt Ihnen eigentlich – wenn Sie nur einigermaßen logisch agieren würden – nichts anderes übrig, als diesem Haushaltsentwurf zuzustimmen. Ich bin sehr gespannt, wie Sie das sehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der Haushaltsentwurf – damit kann ich, was die erste Runde angeht, schließen; ich bin natürlich auf die Widerwortdebatte sehr gespannt – setzt die richtigen Schwerpunkte: frühkindliche Bildung; Einstieg und weitere nachhaltige Schritte in die beitragsfreie Bildungskette; Rekordzuweisungen an die Kommunen in nie dagewesener Weise; Hilfspakete für die Kommunen, für die Ärmsten unter den Städten und Gemeinden. Es ist also alles, was wichtig ist und was die die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen für richtig halten, in diesem Haushaltsentwurf drin. Und alles, was Sie vorgebracht haben, ist zusammengefallen wie ein Kartenhaus.

Der einzige Unterschied, der vielleicht noch bliebe, wenn ich mir Ihr Eckpunktepapier vom 8. März 2012 ansehe, ist tatsächlich das Steuerabkommen mit der Schweiz. Sie haben vorgeschlagen, 200 Millionen bis 300 Millionen € als Einnahmen aus diesem Steuerabkommen einzuplanen. Dazu kann ich Ihnen sagen: Das kann nicht tatsächlich der einzige tragende Grund sein, jetzt am Ende ritualisiert noch gegen den Haushaltsentwurf 2012 zu Felde zu ziehen.

Ein Steuerabkommen, das längst totgeritten ist, das Ihr Koalitionspartner im Bund, die FDP, schon längst mit zu Grabe getragen hat – wir werden gleich noch darüber debattieren –, das trotz der rechtlichen Rahmenbedingungen, die man da schaffen will, immer noch scheunentorgroße Ausnahmetatbestände für Steuerhinterzieher auf dem Rücken und zulasten der ehrlichen Steuerzahler schafft, das wird Ihnen nicht gut bekommen. Das wird die CDU auf Dauer nicht halten. Insofern bin ich sehr, sehr gespannt, wie Sie die Kurve da noch kriegen wollen. – Einstweilen vielen Dank und bis zu einer zweiten Runde.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Börschel. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute, am 14. September 2012, in erster Lesung einen Landeshaushalt 2012. Dieses Datum alleine schon zeigt, dass die Landesregierung nach den Landtagswahlen nicht daran interessiert war und offensichtlich auch weiterhin nicht daran interessiert ist, diesen Haushalt mit einer ernsthaften Beratung des Landtags zu versehen oder eine solche zu ermöglichen.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, sonst hätten Sie einen bis auf kleine Veränderungen, die Sie eben geschildert haben, unveränderten Entwurf direkt nach der Regierungsbildung einbringen können, noch vor der Sommerpause.

(Beifall von der CDU)

Das Haushaltsjahr 2012 ist bereits zu zwei Dritteln vorbei. Damit haben die Beratungen heute nur noch historischen Charakter. Das beantwortet auch die Frage, warum unserer Fraktionsvorsitzender angekündigt hat, dass wir unsere Vorschläge zur strukturellen Haushaltsveränderung erstmals zum Haushalt 2013 und nicht zu einem zu bereits zwei Dritteln vollzogenen und im November schon fast abgelaufenen Haushaltsentwurf einbringen werden.

(Beifall von der CDU)

Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Oder anders ausgedrückt: Die Verfassung geht davon aus, dass sich der Landtag eine Landesregierung zur Ausführung des politischen Programms leistet und nicht umgekehrt. Wenn aber ein Haushalt erst so spät verabschiedet wird, dann ist die politische Steuerungsfunktion des Haushalts null.

(Beifall von der CDU)

Schon beim ersten Blick auf diesen Haushaltsentwurf fällt auf, dass diese Landesregierung mit Geld nicht umgehen kann.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Aber ihr!)

Sie ist – wenn man es überspitzt sagen wollte – ein typischer Fall für die Schuldnerberatung.

(Beifall von der CDU)

Sie beschäftigen sich am liebsten – Fachleute nennen das Vermeidungsstrategie oder Verdrängung – auch eine ganze Sommerpause lang gar nicht mit Ihrem Haushalt. Das war im letzten Jahr schon so. Damals haben Sie vermieden, möglichst zeitnah einen Haushalt 2012 ins Parlament einzubringen. Herr Minister. Sie haben es eben noch einmal gesagt: Sie haben im Dezember 2011 einen Entwurf für 2012 eingebracht, aber nicht vor dem 30.09., was normalerweise notwendig ist, damit ein Haushalt in Kraft treten kann, bevor das Haushaltsjahr beginnt.

(Beifall von der CDU)

Angeblich musste erst die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts über Ihren Nachtragshaushalt 2010 abgewartet und eingehend geprüft werden. Ich erinnere daran: Damals haben Sie in Münster eine historische Niederlage eingesteckt. Erstmals in der Geschichte des Landes hat das Gericht in den Haushaltsvollzug eingegriffen.

Wenn Sie sich bereits mit dem Haushalt 2010 an Recht und Gesetz gehalten hätten, hätten Sie sicher auch den Haushalt 2011 zeitnah einbringen und man hätte ihn 2011 verabschieden können. Dann gäbe es übrigens das Verfassungsgerichtsverfahren der Linken zur verspäteten Einbringung des Haushalts aus dem letzten Jahr auch nicht. Wir haben noch manche offene Fragen.

Wenn wir fragen, warum Sie sich ständig wegducken, so lautet die Wahrheit: Im Vergleich zum Ergebnis des Haushalts 2011 – das ist die einzig seriöse Vergleichszahl – steigt Ihre Nettoneuverschuldung im Haushaltsentwurf 2012, wie er uns heute vorliegt, um mehr als 50 %.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

In Zeiten, in denen solide wirtschaftende Länder Jahresüberschüsse vermelden, geht es in NRW weiter, ja, verstärkt in die falsche Richtung. Nordrhein-Westfalen macht mehr Schulden statt weniger, und das obwohl sich die Steuereinnahmen 2012 – Sie hatten es geschildert – auf Rekordkurs befinden.

Rechnen wir dazu, was das Land seit Übertragung der Kfz-Steuer auf den Bund als Kompensation noch dazubekommt, die aber nicht mehr als Steuereinnahme erscheint, sind es sogar fast 45 Milliarden €, die bis zum Jahresende als Steuern oder steuerähnliche Einnahmen in den Landeshaushalt fließen. Das sind gewaltige Summen mehr. Das sind 3 – oder wenn Sie so wollen – 5 Milliarden € mehr als 2008, als am Jahresende die Ausgaben unter den Einnahmen lagen, und zwar zugegebenermaßen in einem sehr guten konjunkturellen Jahr, aber eben auch, weil man sich eben nicht verweigert hat, strukturelle Änderungen vorzunehmen.

(Beifall von der CDU)

Die Gründe dafür, warum es nicht vorangeht, kann man seit dem 13. Mai wieder wie unter einem Brennglas vergrößert betrachten: Sie kümmern sich auf rund 200 Seiten in Ihrem Koalitionsvertrag um alle möglichen Themen,

(Martin Börschel [SPD]: Nur kein Neid!)

nur nicht um das Kernproblem, die desaströse finanzielle Lage des Landes.

Hinweise dazu finden sich nur unter ferner liefen. Das erinnert doch an manchen Schuldenmacher, der sich mit der eigenen Situation am liebsten nicht beschäftigt, die Realitäten ausblendet und über anderes redet.

(Beifall von der CDU)

Die Ministerpräsidentin hat wieder wortreich Begründungen dafür geliefert, warum es angeblich nicht nur schlechte, sondern auch gute Schulden gibt, so etwas wie präventive Schulden. Echte Prävention, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss die Probleme in den Griff bekommen, ohne auf Kosten der Zukunft und auf Kosten der nächsten Generation zu wirtschaften, die diese Schulden anschließend irgendwann bezahlen muss. Echte Prävention muss aus den laufenden Einnahmen ohne Neuverschuldung bezahlt werden. Und das ist auch möglich.

Dazu müssen Zukunftsinvestitionen gestärkt und eben der Gegenwartskonsum reduziert werden. Zu solchen Entscheidungen ist die Landesregierung aber weder fähig noch offensichtlich vor der Bundestagswahl willig.

(Beifall von der CDU – Martin Börschel [SPD]: Werden Sie doch einmal konkret!)

Sie versuchen, solche Entscheidungen ganz offensichtlich bis Herbst 2013 um fast jeden Preis zu vermeiden. Aber dabei vergessen Sie etwas: Das sind nämlich nicht Ihre Schulden, sondern das sind die Schulden, die Sie den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes aufladen. Mit den Haushalten 2010, 2011 und 2012 wird jeder nordrhein-westfälische Bürger zusätzlich Schulden von rund 700 € haben und damit 7.400 € Ende des Jahres. Wenn man das in Relation zum Bund stellt, dann muss man vielleicht auch sagen, dass Bund und Land schlecht miteinander vergleichbar sind. Denn der Bund hatte die Hauptlasten der Deutschen Einheit zu tragen, und das hat viel Geld gekostet.

(Minister Michael Groschek: Erzählen Sie das mal den Ländern! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das Kernproblem des Landeshaushaltes ist aber bei näherer Betrachtung diese Landesregierung selbst. Landesmutter spielen ist eben teuer.

Nach Ihrer Auffassung geht Haushaltskonsolidierung weitgehend nur, wenn mehr Steuern erhoben werden. Das wird dann gerne mit dem Mäntelchen der Steuergerechtigkeit versehen. Denn gegen Steuergerechtigkeit kann ja niemand sein – bestimmt auch hier kein Abgeordneter dieses Hohen Hauses.

Dabei weiß man – und Sie, Herr Finanzminister, wissen das ganz bestimmt auch –, dass eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte weitgehend nur über Steuerhöhungen schädlich für Wachstum und Arbeitsplätze ist. Trotzdem verfolgen Sie konsequent diese falsche Politik.

(Beifall von der CDU)

Sie denken zu statisch, als würden höhere Steuern automatisch immer zu höheren Einnahmen führen. Sie wissen, das ist falsch. Immer höhere Steuern reduzieren die Leistungsanreize und reduzieren so auch das wirtschaftliche Wachstum. Mit anderen Worten: Das Sozialprodukt wächst weniger stark, wenn sich der Staat ständig ein größeres Kuchenstück davon gönnt.

(Jochen Ott [SPD]: Wie bei Helmut Kohl! Genau!)

Dann haben Sie, Herr Finanzminister, weniger statt mehr Geld in der Steuerkasse, und – das ist noch viel schlimmer – das führt zu mehr Arbeitslosigkeit.

Aber was ist das für eine Gerechtigkeit, wenn durch Ihre Politik die Arbeitslosenzahlen steigen, nur weil Sie nicht in der Lage sind, rechtzeitig Strukturreformen anzupacken?

(Beifall von der CDU)

Schon Abraham Lincoln wusste: Man stärkt die Schwachen nicht, indem man die Starken schwächt. – Diese Erkenntnis ist aber bei Ihnen wohl noch nicht angekommen.

Sie geben das Steuergeld der fleißig arbeitenden Bürger weiter mit vollen Händen aus und verkünden, dass das Geld sinnvoll verwendet wird, weil es diese Landesregierung ausgibt. Dahinter steckt wohl die Vorstellung, dass der Staat am besten weiß, was für seine Bürger gut ist. Herr Minister, das haben Sie gerade wieder angedeutet, als Sie uns Ihre Staatsidee darstellten. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das ist nicht die Staatsidee der CDU. Und das ist auch nicht das Staatsverständnis des Grundgesetzes.

(Beifall von der CDU)

Es hat schon sehr gute Gründe, warum sich unsere Verfassung in den ersten 19 Artikeln mit den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger vor allem gegenüber dem Staat beschäftigt. Denn dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Freiheit des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten, vielfältigen Gefährdungen ausgesetzt ist. Dazu – und das ist heute und auch in der Regierungserklärung wieder deutlich geworden – gehört eben auch der Schutz vor staatlicher Bevormundung. Gut gemeint ist eben nicht immer gut.

(Beifall von der CDU)

Das Leben auf Pump führt übrigens auch in anderen Ländern nicht zur Genesung des Haushaltes, sondern macht die Probleme nur größer; dafür gibt es genug Beispiele.

Herr Finanzminister, Sie betreiben Nebenaußenpolitik. Die Ministerpräsidentin sieht gleichzeitig den Bund in der Pflicht, und am Ende wird behauptet, es werde schon alles gut. Eben haben Sie es so formuliert: NRW ist auf einem guten Weg.

Das ist fast ein Zitat von Johannes Rau aus dem September 1995. Damals betrugen die Schulden des Landes 100 Millionen D-Mark. Heute sind es 130 Milliarden Euro. Der gute Weg scheint etwas steinig zu sein.

(Beifall von der CDU)

Ich halte fest: Rot-Grün will den Landeshaushalt nicht konsolidieren, sondern hofft und setzt auf mehr Geld von den Bürgerinnen und Bürgern. Der gefräßige Staat redet viel über Prävention, wird aber auch mit den höchsten Steuern und Einnahmen nicht auskommen. Es fällt Ihnen immer noch etwas ein, wie man das Geld unter die Leute bringen kann.

(Beifall von der CDU)

Welche Haushalte wollen Sie dem Parlament eigentlich vorlegen, wenn die Steuereinnahmen nicht mehr so wachsen wie in den letzten beiden Jahren?

(Christian Lindner [FDP]: Und wenn die Zinsen steigen!)

Und wie wollen Sie die Schuldenbremse einhalten, wenn Sie so wirtschaften?

Herr Minister, Ihre drei Luftbuchungen im ersten Haushaltsentwurf 2012 haben Sie inzwischen korrigiert. Die von Herrn Börschel angesprochene „WestLB-Milliarde“ war seinerzeit ganz klar etatreif. Die rechtliche Verpflichtung bestand seit Dezember 2011. Dann war sie jenseits taktischer Erwägungen auch in den Haushalt einzustellen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Etatreif!)

Denn das Haushaltsverfassungsrecht ist nicht der Taktik der SPD untergeordnet.

(Beifall von der CDU)

Das Schlimmste ist: Die Milliarde steht auf Pump im Haushalt. Sie machen keine Anstrengungen, einzusparen. Sie haben den Ansatz für die Länderfinanzausgleichszuweisungen heruntergenommen; das war überfällig. Und wenn Nordrhein-Westfalen tatsächlich wieder vor der Schwelle zum Geberland stehen sollte, dann werden auch die Einnahmen, die Sie jetzt prognostiziert haben, am Jahresende zu hoch sein.

Es bleiben aber noch die 170 Millionen € aus den Schul- und Studienfonds. Dazu fehlt bis heute jede Rechtsgrundlage – eine Rechtsgrundlage, die man normalerweise braucht, damit man sagen kann, eine Einnahme sei etatreif. Diese Rechtsgrundlage werden Sie – und das wissen Sie auch – bis zum Jahresende nicht mehr schaffen können. Also ist auch dies eine weitere Luftbuchung, wie sie Rot-Grün auch schon zwischen 2000 und 2005 mehrfach vorgenommen hat.

(Beifall von der CDU)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grüne Landesregierung setzt damit ihre Politik der schleichenden Selbstvergiftung des Landeshaushalts über Schulden fort. Sie schwächt damit die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Diesen Weg wird die CDU nicht mitgehen. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben eine verantwortliche Politik, aber keine hemmungslose Schuldenmacherei verdient.

(Langanhaltender Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu Ihrer ersten Rede herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Optendrenk.

Sie fing mit dem wichtigsten Beitrag, den die CDU zum Haushalt zu leisten hat, an. Die CDU hat erklärt: Der Haushalt 2012 interessiert uns nicht, wir streichen die Segel, wir haben nichts dazu beizutragen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben hier sehr viel mit Zahlenspielereien operiert. Sie haben gesagt, der Finanzminister hätte die Verschuldung um 50 % erhöht, also von 3 Milliarden € auf 4,5 Milliarden €. Der frühere Finanzminister Linssen hat von 2008 auf 2009 die Neuverschuldung um 500 % erhöht. Bei solchen Zahlenspielereien müssen Sie die Daten dahinter nennen und sagen, was damit ist. Das hat der Finanzminister in seiner Einbringungsrede auch vorgetragen.

Sie haben den Haushaltsvollzug dann auch eben einmal mit dem Haushaltsentwurf verwechselt. Das ist auch nicht so schlimm. Sie haben schließlich die Behauptung aufgestellt, der Bund würde sich deswegen höher verschulden müssen, weil er die Hauptlast der deutschen Einheit trage. Herr Kollege, wir können gern im Haushaltsausschuss noch einmal intensiver darüber reden. Die Hauptlast der deutschen Einheit tragen aber die Sozialversicherungssysteme und anteilig bei der Lastenverteilung Kommunen und Länder in erheblichem Ausmaße.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte auf die Schwerpunkte dieses Haushaltes und auf den Unterschied einmal eingehen. Ich habe nämlich keine Lust, über pauschale Zuweisungen zu reden. Ich will es vielmehr konkret machen. Kollege Börschel hat ja schon verschiedene Punkte angesprochen.

Ja, Rot-Grün hat Schwerpunkte gesetzt. Der wesentliche Schwerpunkt ist die Finanzierung der Kommunen. Über 700 Millionen € – nimmt man die Reparaturzahlen hinzu, fast 1 Milliarde € – gibt Rot-Grün mehr für die Kommunen aus, als das Schwarz-Gelb gemacht hat. Das finde ich richtig, notwendig und zukunftsweisend.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils, das Schwarz-Gelb um die Ohren geschlagen bekommen hat, zusätzlich 107 Millionen € für die U3-Finanzierung ausgeben. Das Einheitslastenabrechnungsgesetz muss mit dem Haushalt 2013 ausfinanziert werden. Das ist auch eine Altlast der schwarz-gelben Landesregierung.

Ja, wir haben Schwerpunkte gesetzt, so in der Bildung, beim Thema „Inklusion“, beim Ausbau des Ganztags. Außerdem haben wir Gebühren abgeschafft, und zwar die Studiengebühren und die Kitagebühren im dritten Beitragsjahr. Das sind notwendige Schwerpunkte gewesen, um dieses Land zukunftsfähig zu machen.

Ansprechen möchte ich dann noch die Umweltverwaltung. Das bemängeln Sie auch immer. Es waren Ihr Umweltminister Uhlenberg und der Regierungspräsident in Arnsberg, die Brandbriefe an den Finanzminister geschrieben haben. Sie sind durch den Envio-Skandal in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden. Wollen Sie das wieder rückgängig machen? Dazu habe ich bis jetzt keine Aussagen gehört. Ich halte es für richtig und notwendig, dass diese Zahlen im Haushalt stehen.

Ich will auch einige Beispiele anführen, die Sie hier immer unterschlagen. Ja, wir haben auch Konsolidierungsschritte vorgenommen. Wir haben – das bemängeln Sie natürlich – die Grunderwerbsteuer erhöht. 450 Millionen € kommen auf diese Weise mehr in den Haushalt; 50 Millionen € davon gehen an die Kommunen. Die Steinkohlenbeihilfen sind in den Jahren 2011 und 2012 gesunken. Diese Landesregierung hat sich darum bemüht, zusätzliche Steuerprüfer einzustellen und generiert dadurch Mehreinnahmen.

Dann komme ich zu einem ganz wichtigen Punkt: Wir haben die schlimmsten Einschläge vom Bund verhindert. Es geht um das Stichwort Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb, die astronomische Höhen angenommen hätten, wenn dieser Koalitionsvertrag, der immer noch gültig ist, umgesetzt worden wäre. Wenn man die Zahlen des Bundesfinanzministers nimmt, wäre das mit Mindereinnahmen für Nordrhein-Westfalen zwischen 6 und 7 Milliarden € verbunden gewesen, wenn das Konzept der FDP umgesetzt worden wäre.

Ich will einen weiteren Punkt anführen, der auch zur Konsolidierung des Haushaltes beiträgt, obwohl er zunächst einmal Mehrkosten verursacht, nämlich die Umstrukturierung der WestLB. Das ist kein schönes Kapitel für das Land Nordrhein-Westfalen. Dieser Finanzminister hat aber konsequent umgesetzt, was angefangen worden ist. Man hat vorausschauend Risiken dargestellt. Man hat ein gutes Konzept umgesetzt. Die FDP hat, obwohl sie ursprünglich den Konzepten zugestimmt hat, sich vom Acker gemacht und will jetzt nichts mehr davon wissen, was sie 2008 mit Phoenix und anderen Maßnahmen bei der Umstrukturierung angelegt hat.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Das könnte, Herr Lindner, möglicherweise daran liegen, dass Sie 2007 und 2008 die WestLB noch verkaufen wollten, aber solange gewartet haben, bis ein Verkauf nicht mehr möglich war.

(Lachen von der FDP)

– Warum lachen Sie denn? Es war 2007 genauso absurd wie heute, das zu machen. Aber Sie packen das als Entschuldigung hier immer wieder heraus.

(Christian Lindner [FDP]: Damals haben Sie dem Landtag noch gar nicht angehört!)

Jetzt sehen wir uns die konkreten Haushaltsveränderungen an, Herr Kollege Lindner. Wir haben 400 Millionen € für die Gebührenbefreiung im Bereich der Kitas und bei der Studiengebühr eingesetzt. Sie vergessen immer zu sagen, dass wir 400/450 Millionen €, wovon 400 Millionen € im Landeshaushalt eingehen, bei der Grunderwerbsteuererhöhung hereinholen. Sind Sie jetzt dafür, dass die Grunderwerbsteuer nicht kommt? Dann müssten Sie 400 Millionen € bei Ihrer Konsolidierung abziehen. Oder rechnen Sie die mittlerweile in Ihre Konsolidierungsbeträge ein? Dann müssten Sie aber so viel Charakter haben und das den Menschen im Lande sagen. Sie sollten sich dann nicht hinter Zahlen verstecken, und Sie sollten sich auch nicht verstecken, wenn es um die Entscheidungen über solche Maßnahmen geht.

Nehmen wir die Erhöhung im Bereich der Kommunalfinanzierung. Ist die CDU dafür, dass GFG beim Stärkungspakt wieder abzusenken, was wir zusammen mit der FDP beschlossen haben? Da können Sie aus meiner Sicht auch keinen Konsolidierungsbeitrag erkennen. Wollen Sie das GFG absenken, Herr Kollege Optendrenk? Dann sagen Sie es und machen Sie einen Vorschlag zum Haushalt. Ich kann das aber nicht erkennen. Sie nehmen diese Beiträge mit. Es gibt keinen Konsolidierungsbeitrag von CDU und FDP. Stattdessen will die CDU sogar noch 350 Millionen € draufpacken. Die CDU schlägt also nicht weniger, sondern mehr Ausgaben vor.

So könnte ich die anderen Bereiche weiter durchgehen. Ich habe das gerade schon bei der Umweltverwaltung gemacht und mit der Nennung der anderen Beträge.

Noch Folgendes, was den Regierungsvergleich betrifft: Sie haben in keinem Jahr – ich könnte die Zahlen vorlesen, aber das mache ich dann im Haushaltsausschuss – Ihrer Regierungszeit die Steuermehreinnahmen zu 100 % zur Absenkung der Neuverschuldung eingesetzt. Es waren immer 40 bis 50 %, die von CDU und FDP davon ausgegeben wurden.

Ich gebe offen zu, dass das natürlich Gründe hat. So steigen die Pensionslasten, es gibt Mehrkosten beim Personal, die umzusetzen sind. Aber das lassen Sie als Entschuldigung für Rot-Grün auch nicht zu. Sie sagen sogar, die WestLB-Milliarde müsste eingespart werden. Sollen wir die WestLB-Milliarde dadurch einsparen, dass wir 20.000 Stellen im Schulbereich kürzen? Ist das Ihr Kürzungsvorschlag? Dann sagen Sie es bitte auch. Fabulieren Sie hier nicht im Landtag herum, sondern machen Sie konkrete Vorschläge und sagen Sie, wo die Politik hingehen soll.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Einen weiteren Punkt will ich ansprechen, weil das in der Plenardebatte in dieser Woche auch eine Rolle gespielt hat: Mehrfach hat die CDU sich hier massiv aufgekröpft, was eine Formulierung von Ministerin Schäfer zur Anzahl von Krippenplätzen betraf. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass sie über eine vorübergehende Maßnahme gesprochen hat, die im Übrigen völlig im Einklang mit dem KiBiz steht. Wollen Sie denn die Mehrkosten, die entstehen würden, wenn man auf diese Maßnahme verzichtete, im Haushalt darstellen? Oder ist das wieder eine Ihrer Schattenformulierungen, bei denen Sie kein Konzept haben und die Sie als pauschale Vorwürfe in den Raum stellen? Sie müssen konkret werden! Haushaltspolitik ist konkret und nicht Geschwafel in Sonntagsreden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben kein Konzept. Sie machen keine Vorschläge. Sie bleiben pauschal. Sie bleiben im Vagen. Wir werden das in den Haushaltsberatungen auch immer wieder im Einzelnen vortragen.

Eines will ich auch ankündigen – der Minister hat es auch schon gemacht –: Ja, wir werden weiter konsolidieren. Wir werden auch Einsparvorschläge machen. Wir werden Kürzungen in den Förderprogrammen vornehmen. Wir werden da etwas tun, wo Sie gegrast haben. So werden wir bei den Vollkostenzuschüssen auf Kreditbasis umsteuern.

Herr Kollege Schemmer und Herr Kollege Lau­mann, allein 500 Millionen € – der Kollege Römer hat es in seiner Rede auch vorgetragen – sind für den Eigenheimausbau draufgegangen. Das ist „Staat vor Privat“. Das ist steuerfinanzierte, schuldenfinanzierte Wachstumspolitik. Das ist Klientelpolitik. Es ist aber nicht zielgerichtet, nicht passgenau und geht zulasten des Landeshaushalts. Das ist die Politik von CDU und FDP.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, damit das nicht verloren geht. Diese CDU würde, wenn man ihre Vorschläge ernst nähme und umsetzte, den Landeshaushalt kurzfristig mal eben 1,1 Milliarden € zusätzlich kosten: 350 Millionen € für den Stärkungspakt Stadtfinanzen; mindestens 300, eher 400 Millionen €, wenn die kalte Progression im Bundestag so umgesetzt würde, wie sich das Finanzminister Schäuble vorstellt; 450 Millionen €, wenn wir die Erhöhung der Grunderwerbsteuer rückgängig machten. Das sind 1,1 Milliarden € Mehrkosten allein auf dem Konto der CDU. Sie sind die kleinsten Konsolidierer aller Zeiten, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wie haben Sie den Haushalt in Ihrer Amtszeit verbessert? Sie haben die Kommunen geschröpft – 3 Milliarden €. 2003 haben sich Herr Rüttgers und Herr Wolf an die Spitze des Personals gestellt, als Rot-Grün Kürzungen bei Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld vorgenommen hat, und uns gesagt: Das ist falsch; man darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten Einsparungen vornehmen. – 2005 bzw. 2006 hat Herr Linssen noch einmal 40 % zusätzliche Kürzungen draufgepackt.

Sie täuschen, Sie tricksen, Sie verschieben. Sie machen keine solide Politik. Gott sei Dank sind Sie deswegen massiv vom Wähler in Nordrhein-Westfalen abgestraft worden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ihr habt bei der Landtagswahl doch verloren!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Haushalt spiegelt tatsächlich die Schwerpunkte rot-grüner Politik wider. Er ist die Basis für eine solide, gut ausfinanzierte und zukunftsfähige Politik. Natürlich könnte ich mir noch mehr vorstellen, wenn in diesem Haushalt mehr drin wäre. Aber wir werden uns auf den schwierigen Weg der Konsolidierung begeben. Wir werden uns durch Nebelkerzenwerfereien von CDU und FDP nicht ablenken lassen. Wir werden Sie stellen. Wir werden konkrete Vorschläge machen. Wir werden uns auch sehr genau angucken, welche Bürgermeister Sie auf die Bäume treiben und welche Demonstrationen Sie anführen, wenn es um konkrete Kürzungsvorschläge geht, oder ob Sie den Weg mitgehen und nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen und dann sagen, wie es gehen soll. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns heute hier vorliegende Haushalt lässt in der Tat nur eine Schlussfolgerung zu, Herr Finanzminister: Sie brauchen ganz dringend einen Termin bei der Schuldnerberatung.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Denn Sie haben sich vergaloppiert. Sie finden den Weg aus Ihrem Schuldenlabyrinth erst gar nicht mehr heraus.

Herr Finanzminister, während viele andere Flächenländer im Westen wie im Osten unserer Republik längst ausgeglichene Haushalte haben oder wie Bayern bereits dabei sind, ihre Schuldenberge abzutragen, verteilen Sie in fröhlicher Sorglosigkeit immer mehr soziale Wohltaten auf Pump. Damit heizen Sie natürlich die Staatsschuldenkrise weiter an. In Zeiten historischer Rekordsteuereinnahmen, die Sie soeben per Pressemitteilung Ihres Hauses noch einmal dargelegt haben, treiben Sie den Staat mit immer mehr neuen Schulden tiefer in die Fesseln der Finanzmärkte hinein.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Finanzminister, Sie unterlassen aus Angst vor Widerständen die dringend notwendigen Strukturreformen wie Privatisierung und Bürokratieabbau. Daher bauen Sie das Defizit von knapp 5 Milliarden € nicht ansatzweise ab. Das ist die Konsequenz eines Umverteilungsstaates, bei dem es von der Gratis-Kita über das kostenlose Studium alles einfach für lau gibt. Die Expansion immer mehr sozialer Umverteilung hat mit generationengerechter Politik und Nachhaltigkeit nichts mehr gemein, aber dafür einen teuren Preis.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Finanzminister, weil Sie sich hier eben in bemerkenswerter Weise zur Frage von Geschichte geäußert haben – ich komme auf den 14. März 2012 gleich noch einmal zurück –, empfehle ich Ihnen, etwas früher anzufangen, aus Geschichte zu lernen. Im Mittelalter gab es Bauernaufstände in unserem Land, da die Bauern jeden Zehnten bei ihrer Obrigkeit abgeben mussten. Herr Finanzminister, heute würden die Steuerzahler Ihnen auf Knien danken, wenn Sie sich mit dem Zehnten zufrieden geben würden.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Das ist ein sehr gewagter Vergleich, Herr Witzel!)

Die FDP-Landtagsfraktion will, dass wir ehrgeizig sind und die Schuldenbremse tiefer durchtreten, damit wir den Haushaltsausgleich auch bis zum Ende dieser Wahlperiode erreichen, konkret also bis zum Jahr 2017.

Dass wir es ernst meinen mit einem ehrlichen Schuldenstopp, konnte jedermann heute auf den Tag genau vor einem halben Jahr und fast exakt zur selben Uhrzeit erleben, nämlich am 14. März 2012. Wir beraten den Haushalt für dieses Jahr heute im zweiten Anlauf; denn nachdem der erste rot-grüne Haushalt dieser Regierung vom Verfassungsgericht im Vollzug gestoppt worden war, haben wir den Haushalt 2012 im ersten Anlauf mit den Stimmen der Oppositionsmehrheit gekippt.

Ich erinnere mich gut, Herr Finanzminister – ich weiß nicht, wie gut Ihr Gedächtnis noch ist –: Als wir am 14. März 2012 den Landtag betreten haben, lagen schon Interviews von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Frau Löhrmann auf unseren Tischen. Sie haben damals gesagt, Sie hätten eigentlich keine Angst, dass der Haushalt scheitert. Die FDP würde da sicher schon helfen. Und Sie haben spekuliert, da kämen wohl auch nicht alle unsere Abgeordneten in den Saal.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Als Weiterbildungsministerin dieses Landes sollten Sie aber wissen: Lebenslanges Lernen wird immer wichtiger. Ich kann Ihnen deshalb nur raten, Frau Löhrmann: Es ist grundfalsch, wenn Sie zu oft von sich selbst auf andere schließen.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Bei Ihnen könnte man da allerdings Zweifel bekommen!)

Richtig ist, Frau Ministerin Löhrmann, wir haben uns in einem herausfordernden demoskopischen Umfeld befunden, aber es ist zutiefst unfair zu behaupten, dieser Umstand hätte jemals auch nur bei einem einzigen unserer 13 Abgeordneten dazu geführt, ein anderes Abstimmungsverhalten an den Tag zu legen, als es unsere Überzeugung im Umgang mit Ihrem Schuldenhaushalt hergibt.

(Zuruf von der SPD: Ha!)

Das ist eine Frage der Überzeugung und nicht der politischen Opportunität.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Deshalb will ich ausdrücklich anerkennend sagen: Wir haben bei aller Auseinandersetzung mit politischen Wettbewerbern auch wahrgenommen, Frau Ministerpräsidentin Kraft, dass Sie sich zusammen mit weiteren Mitgliedern der SPD-Führung auch im Umgang mit der damaligen Situation erkennbar anders verhalten haben als andere hier im Haus.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“ – das ist für uns Liberale kein Marketinggag, sondern eine zutiefst verankerte innere Überzeugung,

(Zuruf von der SPD)

für die alle unsere Abgeordneten auch die nächsten fünf Jahre dieser Legislaturperiode einstehen.

(Beifall von der FDP)

Diese Haltungsfrage ist auch der Grund dafür, dass wir den vorliegenden Schuldenhaushalt ablehnen. Die Entschuldung unseres Landes und das Setzen von Anreizen für persönliche Leistungsanstrengungen, beides sind für uns wichtige und gleichberechtigte Ziele. Sparsamkeit ist für uns Liberale kein Selbstzweck, sondern die notwendige Voraussetzung dafür, den Staatsinfarkt abzuwenden und bald wieder Handlungsoptionen für Zukunftsinvestitionen in ein modernes Industrieland zu gewinnen.

Frau Ministerpräsidentin Kraft, Sie haben gestern noch einmal ausführlich Ihr Leitbild dargestellt. Sie erheben die sogenannten guten Schulden zu Ihrer offiziellen Staatsphilosophie, und Sie haben ein erschreckend paternalistisches Staatsverständnis offenbart, als Sie gesagt haben: Mit uns gibt es keine Steuergeschenke.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer zulassen?

Ralf Witzel (FDP): Aber sicherlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Kollege Witzel. – Ich habe Ihre Rede gerade mit Interesse vernommen und will nur fragen, ob dieses Prinzip „Neuwahl vor neuen Schulden“ auch für die Bundes-FDP gilt und ob Sie diese Botschaft heute auch in diese Richtung transportieren wollen.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Frau Kollegin Beer, die Haltung, die ich Ihnen als Überzeugung der FDP dargestellt habe – im Umgang mit Staatsschulden, im Umgang mit einem Entschuldungskurs und zum Stichwort „paternalistisches Staatsverständnis“, zu dem ich gerade angesetzt habe –, gilt für die FDP auf allen Ebenen. Sprechen kann ich hier natürlich nur

(Jochen Ott [SPD]: Ah!)

für unser konkretes Verhalten, das wir im Landtag praktizieren. Das Ziel, Haushalte zu konsolidieren, ist ein Antrieb für uns auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Politik, wenn sich die Fragen stellen.

Frau Ministerpräsidentin Kraft ist leider nicht mehr zu sehen. Ich war gerade beim Stichwort „paternalistisches Staatsverständnis“. Wir haben beide Wirtschaftswissenschaften studiert, aber offensichtlich etwas ganz anderes gelernt.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Das, was sich ein Mensch fleißig erarbeitet, gehört zunächst einmal nicht dem Staat, der ihm dafür ein paar Brosamen zurückgewährt. Alle Freunde der Freiheit wissen: Der Ertrag der eigenen Arbeit gehört zunächst einmal jedem Menschen selbst.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Bei dieser Regierung und bei dem, was Sie, Herr Finanzminister, heute vorgelegt haben, ist ein Gegenentwurf zu Ihrer Politik nötiger denn je, und deshalb treten wir für die Grundlinien „Privat vor Staat“, „Freiheit vor Gleichheit“ ein. Wir brauchen zugleich eine funktionierende soziale Marktwirtschaft, die Leistungsanreize schafft. Erst sie ist die realökonomische Grundlage für jede Politik des sozialen Ausgleichs. Denn Erwirtschaften kommt vor Verteilen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Deshalb haben wir auch ein grundlegend anderes Staatsverständnis, wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht. Wir wollen selbstverständlich wie alle Fraktionen hier im Hause die Steuerhinterziehung bekämpfen, aber doch nicht dadurch, dass wir uns der Methoden von Kriminellen bedienen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ganz warm aus dem Drucker erhalte ich heute von Ihnen Ihr Antwortschreiben auf meine Fragen zur Steuer-CD. Sie teilen mir darin mit, dass Sie Mittelsmänner einsetzen, deshalb die Identität der Datendiebe nicht kennen und sie auch gar nicht wissen wollen.

Sie schreiben weiter, Sie interessieren sich auch nicht für die Frage, ob die Datendiebe ihre Millionenhonorare selbst versteuern. Wörtlich heißt es in Ihrem Schreiben: Da dem Land die Identitäten und Aufenthaltsorte der Verkäufer nicht bekannt sind, ist die Besteuerung der Verkaufserlöse nicht nachprüfbar.

Meinen Sie denn wirklich, Herr Finanzminister, der Datendieb bei der Schweizer Bank wird sich bei seinem ausländischen Finanzamt melden und dort den Hehlerlohn in seiner Einkommensteuererklärung anmelden?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was soll das denn jetzt? – Gordan Dudas [SPD]: Kennen Sie sich damit aus, Herr Witzel?)

Das ist doch wohl eine etwas unrealistische Vorstellung. Deshalb werben wir für die rechtsstaatliche Erkenntnis: Wo kein Hehler ist, ist auch kein Diebstahl.

(Beifall von der FDP)

Zu unserem Staatsverständnis gehört auch: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, wie das Milliardengrab der WestLB-Abwicklung mit wöchentlich neuen Horrorbotschaften zeigt.

Zu meinem Vorredner, weil Sie das Thema etwas historisch angelegt haben: Wir waren die erste Fraktion in diesem Hause – im Übrigen schon vor zehn Jahren –, die hier zu einem Zeitpunkt Anträge gestellt hat, als es noch möglich gewesen wäre, die WestLB gewinnbringend zu veräußern. Das hätte diesem Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen Milliardenbelastungen erspart.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Finanzminister, wenn Einsparungen für Sie kein Lippenbekenntnis sein sollen, dann schaffen Sie Ihr Ineffizienzteam ab, das Gutachterhonorare in Millionenhöhe verschlingt. Ihre Gutachteritis treibt schon die eine oder andere Stilblüte. Beenden Sie das grüne Lebensgefühl „Von der Wiege bis zur Bahre – Honorare, Honorare“.

(Heiterkeit und Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Echt witzelig!)

Insbesondere der Umweltminister, der jetzt dankenswerterweise da ist, hat, nachdem er Hunderte von Neueinstellungen getätigt hat, im letzten Jahr Millionen ausgegeben, um ein grünes Netzwerk von Ökoinstituten zu finanzieren. Sie bezahlen Menschen dafür, dass sie Literatur über Fluglärm lesen und Lösungen zu den wirklich „vorrangigen“ Fragen unserer Landespolitik erarbeiten. Ich nenne zum Beispiel Gutachten wie: Wie definiert man den Begriff „Mineralwasser“? Gibt es ein Rauchen auch ohne Tabak? Warum beißt das eine Schwein seinem Nachbarschwein so gerne in den Schwanz?

Frau Steffens – wo ist sie? –,

(Ministerin Barbara Steffens: Hier!)

halten Sie doch mal mit dem Gutachtentempo Ihres grünen Kollegen Remmel mit. Ich habe schon die nächsten Anregungen für Sie. Wie wäre es mit einer 50.000-€-Gutachtenvergabe an Herbert Grönemeyer. Er untersucht für Sie die Frage: „Wann ist ein Mann ein Mann?“,

(Beifall von der FDP – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

die GEMA-Rechte zum gleichnamigen Liedgut für die nächste „TatKraft“-Tour gleich inklusive.

Oder statt Schwanzbeißen bei Schweinen – laufen Sie nicht weg, Frau Steffens – lieber eine Untersuchung über Stutenbissigkeit im Landeskabinett, eine Feldstudie menschlicher Verhaltensweisen unter Gender-Aspekten.

(Beifall von der FDP – Regina Kopp-Herr [SPD]: Jetzt ist aber gut! – Zuruf von der SPD: Geschmackloser geht es nimmer!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits diese wenigen Beispiele zeigen: Der ehrliche Steuerzahler ist bei Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen stets der Dumme. Nordrhein-Westfalen braucht daher endlich wieder eine Regierung, die öffentliche Verschwendungssucht stoppt und für die Einsparwille mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen von Herrn Witzel gerade waren sehr erhellend. Er gibt den finanzpolitischen Sherlock Holmes der FDP. Ich frage mich nur, wer sein Dr. Watson ist.

(Martin Börschel [SPD]: Jekyll und Hyde!)

Ich darf zu Anfang für die Piratenfraktion klipp und klar feststellen: Die Legislative des Landes, unser Parlament, befindet sich heute, am 14. September 2012, in der ersten Lesung zum Haushalt 2012. Mit anderen Worten: Das Haushaltsjahr ist im Grunde abgelaufen, und Sie eröffnen heute das Beratungsverfahren für den Haushalt 2012.

Liebe Kollegen, wenn Verfassungsbezüge diskutiert werden, sollte jeder hier im Parlament zuhören.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Piratenfraktion bezeichnet solch eine Veranstaltung als Hängepartie. Daher können wir das Verfahren nur mit großen Bauchschmerzen begleiten. Aus der Sicht der Piratenfraktion werden mit diesem Verfahren die demokratischen Beteiligungs? und Entscheidungsrechte des Parlaments in einer Weise strapaziert, wie es in ganz Deutschland seinesgleichen suchen dürfte.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die von uns Piraten immer wieder eingeforderte Transparenz will ich erst gar nicht bemühen. Sie stellen uns vor vollendete Tatsachen, die Sie im Laufe des Jahres geschaffen haben, und zwar durch die Anwendung der Instrumente der vorläufigen Haushaltsführung; man nennt das auch Nothaushaltsrecht.

Die Bürger im Lande, die zahlreichen Initiativen und Institutionen, die Kommunen und alle anderen Zuwendungsempfänger sind dringend auf planungssichere Förderentscheidungen des Landes angewiesen. Sie haben zu Recht den Anspruch darauf, dass rechtzeitig, also vor Beginn des jeweiligen Haushaltsjahres, die notwendigen Entscheidungen des Parlaments über den Haushalt getroffen werden. Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen – Art. 81 Abs. 3 – und die Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen – § 1 und § 30 – sehen dafür einschlägige Regeln vor.

Ich darf daran erinnern, dass Sie dem Parlament den ursprünglichen Haushaltsplan 2012 bereits viel zu spät vorgelegt haben, exakt am 19. Dezember 2011, also quasi unterm Weihnachtsbaum, mit einem Kerzchen drauf. Auf die Einzelheiten will ich hier nicht weiter eingehen.

Wir als Piratenfraktion können und wollen Ihnen das nicht durchgehen lassen, denn wir stehen für Transparenz und Teilhabe.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Leidtragenden sind die auf Förderentscheidungen angewiesenen Menschen im Land.

Mit einem derartigen Verfahren wird die parlamentarische Budgetpflicht ausgehebelt. Sie sieht vor, dass das Parlament den Haushaltsplan vor Beginn des jeweiligen Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz feststellt. Das Budgetrecht gehört zum Kernbestand der parlamentarischen Befugnisse und ist im Rahmen der parlamentarischen Gestal­tungs? und Kontrollrechte in keiner Weise verzichtbar. Die Verfassungsorgane sind nicht in der Lage, ihren Pflichten nachzukommen, den Haushaltsplan 2012 durch Verabschiedung des Haushaltsgesetzes rechtzeitig, das heißt: vor Beginn des Haushaltsjahres, festzustellen.

Die Piratenfraktion wird alles dafür tun, damit Schaden von unserem Land Nordrhein-Westfalen abgewendet wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Wichtige Maßnahmen und Investitionsvorhaben werden durch eine solche Vorgehensweise, also die Anwendung des Nothaushaltsrechts, verzögert oder können nicht durchgeführt werden. Das hat bekanntermaßen kontraproduktive Wirkungen auf die regionalen Wirtschaftskreisläufe.

Darüber hinaus werden die umfangreichen Aufgaben zur Wahrnehmung der staatlichen Ausgleichsfunktionen in unverantwortlicher Weise vernachlässigt, und die soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft nimmt Schaden.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass die Landesregierung den Haushaltsplan nicht nur 2012 viel zu spät vorgelegt hat, sondern schon 2011 wurde der Haushalt erst Ende Mai desselben Jahres verabschiedet.

Wir als Piratenfraktion fordern deshalb die Landesregierung bereits heute auf, zukünftig ein ordnungsgemäßes und demokratisches Haushaltsberatungsverfahren sicherzustellen.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit meinen wir natürlich und insbesondere den Beratungsfahrplan und die geplante Haushaltsverabschiedung für das Haushaltsjahr 2013. Die Piratenfraktion, meine Damen und Herren von der Landesregierung, nimmt die einschlägigen Regeln der Landesverfassung ernst.

(Beifall von den PIRATEN)

Nun zu einigen weiteren Grundsatzfragen im aktuellen Haushalt: Ich will den von der Landesregierung gerade vorgelegten Haushalt 2012 nicht vorschnell und abschließend bewerten; wir sind in der ersten Lesung. Dennoch scheint er mit eine Kapitulation vor der verfehlten Finanzpolitik auf Bundesebene zu sein. Haushaltsloch und Steuermindereinnahmen sind nicht wie eine Naturkatastrophe über uns gekommen. Hier gab es politische Entscheidungen. Ich verweise auf die Politik der intellektuellen Vordenker der deutschen Sozialdemokratie wie Clement und Steinbrück.

Die Nettoneuverschuldung liegt im Jahr 2012 bei 4,6 Milliarden €. Die für die Neuverschuldungsgrenze maßgebliche Summe der eigenfinanzierten Investitionen beträgt laut Etatplan 5,1 Milliarden €. Damit unterschreiten Sie die zulässige Kreditgrenze um 500 Millionen €.

Nach erster Durchsicht des Haushaltsplans stellt die Piratenfraktion allerdings fest, dass es keine offensichtlichen Kürzungen im Personal- und im Sozialbereich gibt. Wir Piraten begrüßen das ausdrücklich. Und dafür haben Sie auch unsere Unterstützung.

(Beifall von den PIRATEN)

Dennoch – diese Anmerkung richte ich besonders an Herrn Finanzminister Walter-Borjans –: Machen wir uns nichts vor: Ihre Zahlen glänzen nicht. Sie zählen nur. Man könnte auch sagen: Die haushalterische und finanzpolitische Saldenmechanik stimmt. Aber stimmen auch die Investitionen in die Zukunft unserer Bürger, in die Zukunft unserer Kinder, in die Zukunft unserer Infrastruktur?

Herr Finanzminister, mit Ausbringung einer globalen Minderausgabe beschreiten Sie erneut einen reichlich intransparenten Weg, Einsparungen im Haushalt 2012 vorzunehmen. Das können wir als Piratenfraktion nicht gutheißen. Das ist mit unseren Transparenzgrundsätzen schlicht nicht vereinbar.

(Beifall von den PIRATEN)

Diese ungewöhnlich hoch dotierte globale Minderausgabe liegt bei immerhin rund 750 Millionen €. Und das Parlament hat keinen Einfluss darauf, wo und in welcher Höhe diese Einsparungen erwirtschaftet werden. Diese globale Größe entzieht sich völlig der Steuerung durch das Parlament und wird dem Souverän mithin erst im Haushaltsvollzug ex post, also nachträglich, bekannt gegeben.

Der Haushalt ist aus unserer Sicht so auf Kante genäht, dass er eine Bodensatzabschöpfung in einer Höhe von gut 1,2 % des Haushaltsvolumens schwerlich abwerfen kann. Diese Zielgröße ist nicht akzeptabel. Sie strapaziert damit vor allem die Grundsätze der Haushaltswahrheit und ?genauigkeit in eklatanter Weise.

Ich sage hier für die Piratenfraktion ganz deutlich: Mit dieser globalen Minderausgabe geraten Sie auch bedenklich in die Nähe der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Seitens der Rechnungshöfe in Deutschland und in der einschlägigen Literatur ist man sich in der Akzeptanz der globalen Minderausgabe zwar weitgehend einig, aber ausdrücklich nur, soweit sie sich in der Dimension der sogenannten Bodensatzabschöpfung bewegt. Diese Grenze wird bei etwa einem Prozent des Budgetvolumens gesehen. Sie aber liegen mit rund 750 Millionen € eindeutig darüber.

Das Land Nordrhein-Westfalen schiebt große aufgelaufene Schuldenberge in Höhe von rund 136 Milliarden € vor sich her. Die finanziellen Handlungsspielräume sind demzufolge immer enger geworden, und zwar in Sonderheit durch eine reichlich kurzsichtige und interessengeleitete Steuersenkungspolitik auf Bundesebene.

Die finanziellen Handlungsspielräume sind aber auch durch den hier im Land zu verantwortenden Schuldenaufbau in den vergangenen Legislaturperioden enger geworden. Ich will hier und jetzt nicht einen Schuldigen für die Schulden suchen oder benennen. Aus Sicht der Piratenfraktion geht es darum, wie man es langfristig besser machen kann. Und aus Sicht der Piratenfraktion geht es vor allem darum, wie man systematisch und nachhaltig die Zukunft für die Menschen in Nordrhein-Westfalen verbessern kann.

(Beifall von den PIRATEN)

Die kurzfristigen Rezepte sind alle gescheitert. Mit großen Worthülsen verliert die Politik den letzten Rest an Glaubwürdigkeit.

Wer will schon vorsätzlich und ohne Not Schulden machen? – Wohl kaum jemand, den man unvoreingenommen befragt.

Warum haben wir dann in Nordrhein-Westfalen diese hoch aufgelaufenen Schuldenberge in Höhe von rund 136 Milliarden €? Aus Dummheit oder Sorglosigkeit im Umgang mit Geld?

Warum liegt der Bund bei einer Gesamtverschuldungsquote von etwa 80 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt? – Aus Verschwendungssucht? Wer hat diese Schulden verursacht? Ist deren Höhe im Verhältnis zur jährlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich eigentlich vertretbar?

Viele Politiker, die heute vehement und in der ersten Reihe den Abbau der Schulden fordern, haben in der Vergangenheit lange Zeit in Abstimmungen immer wieder für eine Kreditfinanzierung der Länder- und Bundeshaushalte votiert, auch hier in Nordrhein-Westfalen. Haben diese Politiker das leichtfertig und ohne triftigen Grund gemacht?

Ich würde als neugewählter Pirat sagen: Vielleicht haben die Betreffenden es nur gut gemeint. Aber dann haben sie es leider schlecht gemacht.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir den Staat, hier die Landesregierung und das Parlament, als aktiv handelnden Teil im Gesamtgefüge einer Wirtschafts- und Finanzpolitik insgesamt verstehen, müssen wir unser Augenmerk auch auf die mittelfristigen und nachhaltigen Auswirkungen von Ausgaben und Investitionen richten.

Wir als Piraten verstehen darunter grundsätzlich zum Beispiel Ausgaben und Investitionen in die diskriminierungsfreie Nutzung der öffentlichen Infrastrukturen – die Nutzung der Gemeingüter muss für alle Bürgerinnen gelten –, in den freien Zugang zu Information und Wissen, in die Förderung des Bürgerengagements sowie der Selbstorganisation und Selbstverwaltung, in die Förderung aller Strukturen der sozialen und solidarischen Ökonomie, in die Förderung der Partizipation aller Bürger nicht nur an der lokalen Politik, sondern auch der Landespolitik als gleichberechtigte Partner – Stichwort: open government –, in den fahrscheinlosen öffentlichen Personennahverkehr, in die kostenfreie Bereitstellung von IT für alle Schüler, in die Bildung der nachwachsenden Generationen und damit in Bildung für alle ohne Gebühren oder Beiträge von der Kita über die Schule bis zur Hochschule.

Ich weiß, die FDP ist da anderer Meinung. Aber das ist sehr eindimensional. Das ist „meine“ FDP:

(Beifall von den PIRATEN)

Die konkreten Investitionen von heute sind im Ergebnis der gesellschaftliche Reichtum von morgen. Hier sprechen wir von notwendigen Ausgaben für die Zukunftsvorsorge, die sich mittelfristig selbst finanzieren. Hier wird es sicherlich auch Gemeinsamkeiten zwischen uns Piraten und der Landesregierung geben.

Wir als Piratenfraktion sind der Auffassung: Die Pflicht zum Abbau von Schulden darf eine Entlastung der Bürger und neue politische Schwerpunktsetzungen zugunsten einer Gemeinwohlorientierung für alle nicht verhindern.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein ausgeglichener Staatshaushalt kann jedoch kein Selbstzweck sein und sagt auch nichts über die allgemeine Wohlstandsentwicklung. Die Entstehung von Staatsschulden ist immer auch eine Folge wirtschaftlicher Entwicklungen oder politischer Entscheidungen. Starke konjunkturelle Krisen führen in Deutschland immer zu deutlichen Defiziten der öffentlichen Gesamthaushalte. Ebenso kann analog zu einer verfehlen Ausgabenpolitik auch eine verfehlte Einnahmepolitik ein strukturelles Defizit erzeugen.

Wie man es auch dreht und wendet: Die Summe der Schulden ist insgesamt zu hoch und muss reduziert werden. Die volkswirtschaftliche Kehrseite der Medaille aber lautet: Die Summe der Guthaben ist insgesamt zu hoch und muss reduziert werden. Bedauerlicherweise wird aber in den üblichen Debatten nur der erste Satz wiederholt und ständig reklamiert – eindimensionales Denken.

Der vielversprechendste und noch am ehesten mit Maß und Ziel beschreitbare Weg zu einer Verbesserung der Einnahmenseite liegt nach unserer Auffassung in einer kräftigen Vermögensbesteuerung. Das ist zumindest in der Geschichte schon einmal mit großem Erfolg praktiziert worden: Als die USA in einer ausgesprochen schwierigen ökonomischen Situation waren, proklamierte Franklin Delano Roosevelt seinen „New Deal“. Im Zuge dessen setzte die Roosevelt-Administration eine drastische Anhebung der Vermögensteuern durch. Das führte zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung und zu einer wesentlich egalitäreren US-Gesellschaft bis weit in die 70er-Jahre. Dann kam Reagan.

Die Länder müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit ausreichender Finanzkraft ausgestattet werden. Für durchgreifende Verbesserungen auf der Einnahmeseite liegen die Entscheidungskompetenzen ausschließlich in den Händen der CDU/FDP-geführten Bundesregierung. Wenn dort ein Steuersenkungskonzert nach dem anderen veranstaltet wird, dann muss man sich über die Finanzierungskrise der öffentlichen Haushalte nicht mehr wundern. Es liegen Berechnungen vor, die schon in den Ausschussanhörungen dieses Hauses genannt worden sind. Danach kommen in der Dekade von 2000 bis 2010 jährlich ca. 50 Milliarden € allein durch Steuerrechtsänderungen an staatlichen Steuerausfällen zusammen. Soviel zur Relevanz und Dimension der Entscheidung auf Bundesebene.

Es muss endlich die Vermögensteuer angepackt werden. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer müssen novelliert werden. Bei der Einkommensteuer muss man einmal über den Spitzensteuersatz nachdenken. Die Körperschaftsteuer muss in den Blick gerückt werden und so weiter.

Eine höhere Besteuerung derjenigen, die sich finanziell keine großen Sorgen machen müssen, ist nicht nur vertretbar, sondern aus Gerechtigkeitsgründen geradezu geboten. Insgesamt ließen sich damit auf einfache Weise und ohne ökonomische Verwerfungen jährlich ca. 75 Milliarden € an Mehreinnahmen erzielen, die für eine sinnvolle gesellschaftliche Verwendung eingesetzt werden könnten.

(Beifall von den PIRATEN)

Auf Nordrhein-Westfalen entfiele davon ein so wesentlicher Teil, dass endlich die erforderlichen Zukunftsinvestitionen für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation unserer Bürgerinnen und Bürger finanziert werden könnten. Da hätten wir Piraten eine ganze Menge Konstruktives anzubieten.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Finanzmarktkrise ist allgegenwärtig. Warum werden Milliarden an verlorenen Finanzhilfen für die Banken bereitgestellt, die von allen Bürgern zu zahlen sind, aber keine Finanztransaktionssteuer eingeführt? Warum sollen Umsätze an den Finanzmärkten nicht besteuert werden, wo doch auf alles Steuern erhoben wird, sogar auf Milch 7 %? Man begibt sich freiwillig und fahrlässig dieser Einnahmequelle Finanztransaktionssteuer. Das ist nicht weiter zu verantworten. Private Schulden werden auf diese Weise vollständig sozialisiert. Wo bleibt der Grundsatz: „Wer bestellt hat, soll auch bezahlen!“?

(Beifall von den PIRATEN)

Wer der Allgemeinheit finanzielle Lasten in dieser Dimension aufzwingt, ist ihr auch eine Erklärung schuldig. Wieder einmal sollen ehrliche Steuerzahler für die Verluste der Banken und deren unverantwortliche Zockerei mit Risikopapieren geradestehen. Meine Damen und Herren von der Landesregierung, machen Sie sich keine Illusionen. Auch hier in Nordrhein-Westfalen kann man der Öffentlichkeit mit rationalen Maßstäben nicht erklären, dass für die immensen Verluste der ehemaligen WestLB und deren Bad Bank Milliarden an Finanzierungsmitteln aus dem Haushalt mobilisiert werden müssen. Allein im aktuellen Haushalt 2012 werden die Bürgerinnen und Bürger mit 1 Milliarde € in Haftung genommen.

Uns Piraten drängt sich der Eindruck auf, dass für die Banken immer reichlich Geld da ist. Angesichts der engen finanziellen Handlungsspielräume wird dann erst in zweiter Linie geschaut, was für soziale Projekte und Zukunftsinvestitionen übrig bleibt.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir erwarten von der Landesregierung in diesem Zusammenhang eine ernsthafte und seriöse Auseinandersetzung mit den Vorschlägen der Piraten. Wir werden unser Verhalten zum Haushalt 2012 schlussendlich von deren Berücksichtigung abhängig machen. Wir werden Sie, Frau Ministerpräsidentin Kraft, und Ihre Landesregierung beim Wort nehmen und prüfen, ob Ihren Worten auch Taten folgen. Entscheidend ist für uns, ob der von Ihnen verkündete Anspruch dann auch der Wirklichkeit entspricht. Dabei kommt es sicher nicht immer auf den letzten Euro an. – Vielen herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel, es gibt nicht nur Schuldnerberatungen im Land, sondern auch gute Therapeuten für notorische Wirklichkeitsverweigerer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihre Art zu zitieren ist kein Einzelfall in Ihrer Fraktion. Ich muss ganz deutlich sagen, ich finde es interessant, wie Sie sich Ihre Wahrheit durch Weglassen und Halbsätze selbst zurechtschneidern. Sie haben eben behauptet, diejenigen, die Daten veräußern, unterlägen keiner Steuer. Sie haben aus der Antwort auf eine von Ihren 25 Kleinen Anfragen, die Sie mittlerweile gestellt haben, zitiert.

(Ralf Witzel [FDP]: Da kommen noch weitere!)

Es heißt darin: Da dem Land die Identitäten und Aufenthaltsorte der Verkäufer nicht bekannt sind, ist die Besteuerung nicht nachprüfbar. Die Erfüllung der steuerlichen Pflichten liegt im Verantwortungsbereich des anbietenden Verkäufers und insbesondere dann, wenn er gar keinen Wohnsitz in Deutschland hat.

Es müsste dann aber auch noch der Satz gesagt werden: Bei Auszahlung des Kaufpreises an die Anbieter wurde jeweils ein Steuerabzug entsprechend § 50 a Einkommensteuergesetz vorgenommen.

(Zuruf von der SPD: So ist das! – Weitere Zurufe)

Das sollten Sie der Vollständigkeit halber hinzufügen. Diese ewige Halbwahrheit, aus der Sie sich das zusammenschneidern, was verstanden werden soll, ist nicht zu ertragen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ihnen ist doch völlig egal, was vor Ihnen gesagt worden ist. Sie müssen Ihr Manuskript durchziehen. Darin steht, dass Millionen für Berater zu Ineffizienzthemen ausgegeben würden. Ich habe Ihnen vorhin noch erklärt, in Ihrer Regierungszeit waren es 6 Millionen €. Es wurde nicht von uns gerechnet, aber es wurde für diese vier von uns geplanten Stellen, befristet auf zwei Jahre, 1 Million € zusammengerechnet. Vergleichen Sie doch einfach. Überlegen Sie sich, ob Sie einen Satz in Ihrem Manuskript streichen, bevor Sie etwas reden, was mit dem, was vorher gesagt worden ist, überhaupt nichts mehr zu tun hat.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Lassen Sie mich nur noch einen Punkt zum Schluss nennen. Sie haben das Beispiel mit dem Bauernaufstand im Mittelalter gebracht. Das ist wunderbar. Die haben einen Aufstand gegen einen Zehnten gemacht. Da wollen Sie also hin? Dann müssen Sie sich auch einmal angucken, was die Leute damals für eine Gesundheitsversorgung, für eine Infrastruktur, für eine Bildung und für eine öffentliche Sicherheit hatten.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wenn das Ihr Staatsverständnis ist, dann kommen Sie mit 10 % hin.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 4:23 Minuten überzogen hat. Zur Information an die übrigen Fraktionen: Es liegt mir noch eine Wortmeldung vor. Herr Kollege Witzel von der FDP-Fraktion hat sich gemeldet.

(Minister Guntram Schneider: Herr Witzel kommt jetzt!)

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, wir kommen ja gleich noch in einem Extra-Tages­ordnungspunkt auf die Erörterung der Sachverhalte, die die Steuer-CDs betreffen. Lesen Sie das alles im Protokoll nach! Wir haben ja zum Glück ein Wortprotokoll auch von dieser Sitzung. Ich habe mich zu der Frage geäußert, wie Sie im Ausland, in der Schweiz und in anderen Ländern, mit diesem Sachverhalt umgehen. Die Antwort, die Sie mir dazu gegeben haben, habe ich zitiert. Wir werden das Thema ja gleich in größerem Kontext beleuchten.

Viel interessanter als das, was Sie hier gesagt haben, finde ich das, was Sie nicht gesagt haben

(Minister Guntram Schneider: Er hat telepathische Fähigkeiten!)

zu den vielen Haushaltsrisiken, die für die nächsten Jahre für Nordrhein-Westfalen bestehen und die Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung nicht abbilden. Sie wissen, dass die 1 Milliarde, die jetzt an Aufwendungen für die WestLB entstehen, wie das rechtlich konstruiert ist – auch nach einschlägigen haushaltsrechtlichen Vorschriften formal zu Recht –, als Investition gebucht wird. Sie haben aber auch mit Ihrem Haus in der letzten Woche im Ausschuss eingeräumt, dass das nicht automatisch für alle zukünftig eintretenden Verluste so ist. Nicht all das, was an Defiziten aufwächst, wenn die WestLB beispielsweise Klagen, Prozesse verliert, ist immer automatisch eine Investition, auch haushaltsrechtlich nicht. Es wäre ja auch absurd, wenn alleine zur Befriedigung konsumtiver Zwecke, weil man eine Verpflichtung zu erfüllen hat, die eigentlich auch nie faktisch-realwirtschaftlich investiven Charakter hat, alles auf der Investitionsseite gebucht würde.

Dazu wissen Sie ja, Herr Finanzminister, dass ganz erhebliche Haushaltsrisiken durch die WestLB-Abwicklung entstehen. Durch die Zahlen, die Ihnen heute bereits bekannt sind, wissen Sie, dass die vergleichsweise harmlosen Ansätze, die Sie dazu in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen haben, das aller Voraussicht nach nicht werden abdecken können.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Sie haben in der Ausschusssitzung letzte Woche öffentlich dargestellt, dass damit zu rechnen ist, dass spätestens 2014 die 5 Milliarden € für Phoenix verbrannt sind, woraus weitere Belastungen resultieren. Wir haben gerade die Abschlussbilanz der WestLB bekommen. Die Portigon AG, die jetzt als Rechtsnachfolger firmiert, kann für die nächsten Jahre schon heute sicher sagen – wer gibt das schon Jahre vorher bekannt? –, dass sie mindestens in den nächsten zwei Jahresabschlüssen noch in mittlerer dreistelliger Millionen-Größenordnung weiterhin Verluste wird ausweisen müssen. Darin sind all die Prozessrisiken, die aus unterschiedlichen laufenden Klageverfahren resultieren, noch gar nicht enthalten.

Sie selber, Herr Finanzminister, wissen bei dem Kenntnisstand, den Sie heute bereits ganz sachlich betrachtet haben, dass das, was Sie an Vorsorge für die WestLB einkalkuliert haben, bei Weitem nicht ausreichen wird und dass das Manöver der Abwicklung die Steuerzahler leider noch viel stärker belasten wird, noch viel teurer zu stehen kommen wird, als Sie heute annehmen.

Deshalb war unser Ansatz sehr zielführend, als unser Fraktionsvorsitzender Sie gestern ausdrücklich ermuntert hat, sich doch offensiver, als es bislang geschieht, nicht nur der Frage anzunehmen, wie man die Verluste verbucht, die die WestLB verursacht, sondern sich auch einmal Gedanken zu machen, wie wir stärker das tun können, was auch andere Landesbanken machen, nämlich Strategien zu entwickeln, wie wir Gelder auch einmal umgekehrt aus Prozessverfahren werthaltig für das Land Nordrhein-Westfalen als Eigentümer zurückbekommen. Bei den ersten Ansätzen ist noch viel Luft nach oben.

Sie gucken ja nicht so gerne nach Bayern. Aber schauen Sie sich einmal an, mit welchem Mut die Bayern jetzt ihre Klageverfahren gegen Goldman Sachs, Bank of America und andere Emittenten von Schrottpapieren in den USA in Angriff nehmen. Dabei werden hohe Beträge zustande kommen, die der Landeskasse wieder zufließen und für Entlassungseffekte sorgen. Diesen Aspekt sollten Sie erheblich forcieren und da auch einmal Konflikte eingehen, auch wenn man sich einmal mit großen Playern am Markt anlegt. Da gibt es noch viel Potenzial nach oben.

Was Sie auch gar nicht thematisiert haben, Herr Finanzminister, ist die Frage: Wie entwickelt sich eigentlich zukünftig die Perspektive für Ihren Haushalt, wenn wir nicht mehr diese historische Niedrigzinsphase haben, wenn die Zinsen wieder steigen, was ja auch angesichts der aktuellen europäischen Rahmenbedingungen für die nächste Zeit nicht ganz ausgeschlossen ist. Was bedeutet das dann für das Land und nachgelagert für die Kommunen für die Liquidität und für die Kosten, die sie dann für die Kapitalaufnahme zu tätigen haben? Das sind große Risiken. Auch dazu fehlen die nötigen Schlussfolgerungen in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung.

Das, was Ihre mittelfristige Finanzplanung enthält, ist allerdings der Aufwuchs des Landeshaushalts. Wenn wir uns das über die Jahre ansehen, stellen wir fest, dass immer weitere Milliarden draufkommen, dass Sie die Staatstätigkeit immer mehr ausdehnen wollen, auch wenn sie heute in Nordrhein-Westfalen schon größer ausfällt als in anderen Bundesländern. Das sollte Ihnen auch zu denken geben.

Bei diesen Rahmenbedingungen und bei diesen Risiken müssen Sie schon die Frage beantworten: Welche neuen Steuern wollen Sie eigentlich alle noch einführen, und welche bestehenden Steuern wollen Sie alle noch weiter erhöhen, um die Lasten dann zu tragen, wenn die konjunkturellen Bedingungen sich nicht mehr so gestalten wie heute.

Deshalb muss Schluss sein mit dieser Verteilungsmentalität. Die Mitglieder der Landesregierung ziehen ja gerne durchs Land, weihen Einrichtungen ein und überreichen bei dieser Gelegenheit auch immer Schecks. Sie vermitteln dabei den Eindruck, sie gäben ihr Geld. Was sie über den Tisch reichen, was sie über den Tresen geben, ist aber das Geld der Steuerzahler, und das ist verdammt knapp. Deshalb müssen wir schauen, dass wir mit diesem knappen Gut sinnvoller und verantwortungsbewusster umgehen.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Sie müssen sich dem Benchmarking der anderen Bundesländer stellen. Warum schaffen – ob im Westen oder im Osten, ob im Süden oder im Norden – Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Baden-Württemberg – alles Bundesländer mit einer höchst unterschiedlichen Struktur; Sie werden ja Mecklenburg-Vorpommern nicht mit Bayern und Sachsen nicht mit Baden-Württemberg vergleichen – es in ganz anderer Weise, den Ausweg aus dem Schuldenstaat zu finden,

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

und zwar mit anderen Konzepten, als Sie es hier in Nordrhein-Westfalen tun? Die haben übrigens auch alle unterschiedlich kolorierte politische Mehrheiten in ihren Ländern. Aber dort, wo in den Ländern der Wille besteht, zu handeln, da schaffen andere das, anders als Sie in Nordrhein-Westfalen. Deshalb bleiben wir bei unserer Einschätzung, Herr Finanzminister. Das ist auch eine Frage Ihrer Glaubwürdigkeit.

Sie haben heute – ich habe das eben zitiert – eine ganz druckfrische Pressemeldung Ihres Ministeriums herausgegeben, in der nachlesbar steht, dass Sie 5,9 % Einnahmenzuwachs bei den Steuereinnahmen haben. Sie selber geben als positive Nachricht Rekordsteuereinnahmen bekannt, von denen Sie realistischerweise nicht ausgehen können, dass sie dauerhaft bestehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ralf Witzel (FDP): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Wir haben, Herr Finanzminister – das muss Ihnen im Ergebnis dieser Debatte klar sein –, in Nordrhein-Westfalen kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem. Deshalb gilt unverändert: Sie müssen mehr sparen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Börschel.

Martin Börschel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Bemerkungen möchte ich doch noch machen. Herr Kollege Witzel, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, warum die Politikansätze der rot-grünen Regierung richtig sind – kein Kind zurücklassen, frühkindliche Bildung, Bildung ein ganzes Leben lang –, dann haben Sie diesen eben fortgesetzt erbracht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist doch vollkommen logisch, dass wir uns in der heutigen Debatte möglichst auf konkrete Dinge beschränken sollten. Wir haben eben von Ihnen ein langes Plädoyer und ein großes Referat über Ihr neoliberales Staatsverständnis, gespickt mit kruden historischen Vergleichen, gehört. Auch ein bisschen Slapstick war dabei. Ob das wirklich lustig sein sollte, war mir nicht ganz klar. Es gibt jedoch fortgesetzt eine absolute Realitätsverweigerung. Sie haben sich schlicht und einfach mit diesem Haushalt 2012 nicht beschäftigt. Und Sie verweigern sich jedem einzelnen konkreten Vorschlag, übrigens wie die Kollegen der CDU auch. Das zeigt doch einfach nur, dass Sie heute die Leistung schlicht nicht erbracht haben, die eigentlich in einer solchen Diskussion notwendig ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben einen ziemlich gewagten Vergleich angestellt, indem Sie den Studienerfolg der Ministerpräsidentin mit dem Ihren verglichen haben. Meine Höflichkeit verbietet es, hierauf eine wirkliche Antwort zu geben. Aber ich meine, Studienerfolge sind eben mal so und mal so. Ich habe an dem der Ministerpräsidentin jedenfalls keinen Zweifel in Anbetracht dessen, was sie hier vorgetragen hat.

Sie haben dem Finanzminister vorgeworfen, Herr Kollege Witzel, viel interessanter als das, was er gesagt habe, sei das gewesen, was er nicht gesagt habe. Das trifft eigentlich nur auf Sie zu. Denn es gab keinen einzigen konkreten Punkt zu Haushaltsfragen, eben nur die Elogen über Staatsverständnis, Neoliberalismus und das, was Sie eigentlich immer schon mal sagen wollten. Nur weil wir gezwungen sind, Ihnen zuzuhören, macht es die Sache keineswegs besser.

(Beifall von der SPD)

Ausgerechnet zum Thema „WestLB“ uns Belehrungen zu machen, das ist wirklich so etwas von deplatziert und falsch. Wenn Sie ein künftiges Geschäftsmodell der WestLB mit dem Bund und dem Finanzminister diskutieren und schauen wollen, wie andere Bundesländer das machen, dann erinnere ich Sie daran, dass es die WestLB gar nicht mehr gibt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Habe ich doch gerade gesagt: WestLB-Abwicklung durch Rechtsnachfolger Portigon AG!)

Das mag Ihnen vielleicht entgangen sein, aber die Westdeutsche Landesbank AG ist schlicht nicht mehr vorhanden. Portigon hat jetzt ein Geschäftsmodell, das wir zusammen mit anderen weiterentwickeln. Aber ausgerechnet Sie waren es doch in der damaligen Koalition mit Ministerpräsident Rüttgers, der die WestLB verkaufen wollte. Sie haben es aber nicht auf die Reihe bekommen. Sie wollten die Braut erst aufhübschen. Was daraus geworden ist, das sehen wir jetzt: Milliarde um Milliarde muss jetzt in Haushalte eingestellt werden, weil Sie es nicht geschafft haben, Ihren eigenen Vorhaben Taten folgen zu lassen. Und vor lauter Aufhübschen ist aus der Braut eine ziemlich alte Lady geworden, die wir am Ende nicht mehr vernünftig am Markt halten konnten.

(Beifall von der SPD – Zurufe)

Sie persönlich haben durch Klagen vor dem Landesverfassungsgerichtshof genau das verhindert, was Sie jetzt vom Finanzminister fordern, nämlich Vorsorge. Der Finanzminister hat doch versucht, die Vorsorgelasten in Haushalten so abzubilden, dass wir ein für alle Mal sehen, transparent, offen, für jeden ehrlich erkennbar, welche Lasten noch auf uns zukommen. Sie haben das verhindert. Also beklagen Sie doch jetzt nicht mit aufgesetzten Krokodilstränen, dass das nicht geschehen kann, was Sie selbst verhindert haben.

(Beifall von der SPD)

Ihr einziger Punkt zu einem wirklichen Geschäftsmodell der WestLB – Ihr Fraktionsvorsitzender Lindner hat das übrigens vor einigen Wochen tatsächlich einmal mehr im Munde geführt – war die Vertikalisierung von Sparkassen und Westdeutscher Landesbank oder eben jetzt Portigon. Das muss man sich einmal vorstellen. Der Mühlstein um den Hals der Sparkassen, nämlich die Vertikalisierung, dass die WestLB ihnen das Geschäft weggenommen hätte, das führen Sie immer noch immer Mund. Deutlicher kann man doch nicht zeigen, dass Ihre Konzepte von gestern sind.

Deswegen die herzliche Bitte: Lassen Sie es sein und werden Sie endlich konkret, aber nicht den alten Käu von gestern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Fraktionsvorsitzender hat gesagt, ich dürfte mich nur melden, wenn ich das Niveau von Herrn Witzel unterbiete.

(Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)

Weil ich möchte, dass wir über Haushaltspolitik wieder ernsthaft und qualifiziert reden, möchte ich nur einen Punkt herausgreifen. Sie haben ja das ach so witzige Beispiel von den Gutachten über das Schwanzbeißen in den nordrhein-westfälischen Ställen geliefert. Vielleicht hätten Sie sich einmal mit der Materie auseinandersetzen sollen.

(Ralf Witzel [FDP]: Es gibt noch viele weitere Auftragsvergaben!)

Es geht nämlich hierbei darum, Herr Kollege Witzel – hören Sie bitte den Moment zu! –, ob Ställe nach EU-Recht zu schließen sind. Wenn nämlich in den Ställen Schwanzbissigkeit vorherrscht, dann müssen diese Ställe nach EU-Tierschutzrecht geschlossen werden. Das Umweltministerium hat daraufhin diese Studie in Auftrag gegeben, um sicherzustellen, dass diese Ställe nicht geschlossen werden müssen. Sind Sie dafür, dass dieses Gutachten nicht in Auftrag gegeben wird und damit zwei Drittel bis drei Viertel der nordrhein-westfälischen Ställe geschlossen werden? Ach wie witzig, Herr Kollege Witzel! Und ach wie witzig, dass Sie die Stutenbissigkeit im Kabinett untersuchen lassen wollen. Das ist ein Niveau, Herr Kollege, das ich unterirdisch und wirklich ekelhaft finde.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Wir kommen ja unter dem Tagesordnungspunkt zum Thema „Steuerabkommen“ noch auf weitere Ekelhaftigkeiten zu sprechen, aber jetzt noch nicht.

Noch ein Punkt, was das Steuerabkommen anbetrifft. Hierauf hat ja auch der Finanzminister hingewiesen. Auch da haben Sie ja durch Weglassungen versucht, ein gewisses Bild darzustellen. Mittlerweile habe ich aber einen ganz anderen Eindruck von Ihnen. 2008 hat Finanzminister Linssen ebenfalls eine Steuer-CD kaufen lassen. Er hat damals auf Nachfrage – wir haben das unterstützt – darauf hingewiesen, er habe da keinen Spielraum, ob er diese kauft oder nicht, weil er nach Abgabenordnung – ich könnte den Brief heraussuchen – gehalten sei, jedem Hinweis auf Steuerhinterziehung nachzugehen. Er hat es so gedeutet, er sei quasi verpflichtet, diese CD zu kaufen.

Wenn Sie jetzt versuchen, den Finanzminister zu kriminalisieren – einige Piraten haben auch Anzeige erstattet; darüber werden wir nachher auch noch einmal sprechen – und den Anschein zu erwecken, dass das Aufdecken von Steuerstraftaten Hehlerei sei und man eine konsequente Ermittlung zu unterlassen habe, wenn man nicht jedem Vorgang nachgehe, drängt sich mir folgender Verdacht auf: Sie haben eine Studie in Auftrag gegeben – die Herr Lindner gestern zitiert hat –, in der es darum geht, ob man eher für Schuldenabbau oder, in Ihren Worten, eher für soziale Wohltaten ist.

Ich habe mir einmal die Kommentarleiste angeschaut. Ein Kommentar lautete – alle Kommentare waren vernichtend, zumindest die, die ich gelesen habe; es waren ungefähr 40 oder 50 –: Dieses Gutachten wundert uns gar nicht, weil diese FDP die Partei der Schutzpatrone, der Automatenaufsteller und der Steuerhinterzieher zu sein scheint. – Das haben Sie heute eindrucksvoll bestätigt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist der erste Teil dieses Tagesordnungspunkts erledigt. Wir sind am Schluss der Beratung.

Zur Einbringung des Entwurfs für das Gemeindefinanzierungsgesetz erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute über den Entwurf für das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012. Mit diesem Gesetz werden wir den Kommunen in Nordrhein-Westfalen weiter helfen, ihre Handlungsfähigkeit und ihre Gestaltungsfähigkeit zurückzubekommen. Das war die Leitidee der Gemeindefinanzierungsgesetze in den Jahren 2010 und 2011, und es ist auch die Leitidee in dem Gesetzentwurf des Jahres 2012.

Es ist Schluss damit, dass der Landesfinanzminister seine klebrigen Finger in die kommunalen Kassen steckt und diese zur Konsolidierung des eigenen Haushalts räubert.

(Beifall von der SPD)

Es ist Schluss damit, dass das Gemeindefinanzierungsgesetz zur Konsolidierung des Landeshaushalts 300 Millionen € vorsieht. Auch das ist in dem Entwurf für das Gemeindefinanzierungsgesetz des Jahres 2012 geheilt.

Es ist auch Schluss damit, dass die Schlüsselzuweisungen das Geld zwischen den 396 Kommunen nach völlig veralteten Datensätzen des Jahres 1999 verteilen. Wir haben darauf geachtet, dass wir das ifo-Gutachten und die Empfehlungen der ifo-Kommission, an der alle Fraktionen beteiligt waren, konsequent umsetzen. Damit wird die Wirklichkeit der Soziallasten in den Kommunen abgebildet. Wir werden diese Daten zeitnah und aktuell zugrunde legen, wenn es darum geht, die Soziallasten in den Kommunen durch Schlüsselzuweisungen des Landes auszugleichen.

Ein wichtiger Punkt ist die deutliche Erhöhung der Finanzausgleichsmasse. Im Entwurf für das GFG 2012 steigt das Finanzierungsvolumen, das den Kommunen in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung steht, um noch einmal 500 Millionen €. Damit erhalten die nordrhein-westfälischen Kommunen ein Plus von 6,31 %. In der Summe sind das 8,4 Milliarden €: die höchste Summe in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen für unsere Kommunen. Das ist auch gut so; denn sie brauchen es dringend.

Weitere 350 Millionen € stellen wir im Rahmen des Stärkungspaktes zur Verfügung. Damit wird klar: Diese Landesregierung stellt den Kommunen nahezu 9 Milliarden € zur Verfügung, damit sie ihre wichtigen Aufgaben finanzieren können. Auch das ist gut so.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegt Ihnen auch ein Antrag der FDP-Fraktion zur Einführung einer Staffelung der fiktiven Realsteuerhebe­sätze vor. Ich darf darauf aufmerksam machen, die FDP sagt selbst – nach dem Gutachten von Prof. Droege –, dass hier eine wohlbegründete Entscheidung zu erfolgen habe. Tatsache ist, dass das nicht im Rahmen der Beratung über einen Antrag, der eben mal auf den Tisch gelegt wird, beschlossen werden kann.

Gleichwohl – das bietet diese Landesregierung an – werden wir auch diese Frage der Gerechtigkeit der fiktiven Hebesteuersätze gutachterlich überprüfen lassen. Dies haben wir so mit den kommunalen Spitzenverbänden abgesprochen; denn es geht uns darum, das Gemeindefinanzierungsgesetz gerecht zu gestalten. Neben der Berücksichtigung der aktuellen Daten bei den Soziallasten ist auch die gutachterliche Bewertung verschiedener Komponenten im Gemeindefinanzierungsgesetz ein Weg, um am Ende diese Transparenz und diese Gerechtigkeit herzustellen.

Meine Damen und Herren, dieses GFG ist ein gutes Gesetz für die nordrhein-westfälischen Kommunen. Wir gehen ganz konsequent unseren Weg weiter, ihnen durch finanzielle Entlastung die Gestaltungsfähigkeit und die Handlungsfähigkeit zurückzugeben. Damit unterscheiden wir uns eklatant von der alten Landesregierung. Wir beraten den Entwurf für das GFG auf Augenhöhe mit den Vertretern der Kommunen, berücksichtigen ihre Probleme und versuchen, diese im Rahmen unserer Möglichkeiten zu lösen.

Als Letztes habe ich eine Bitte an das gesamte Plenum: Die kommunale Finanzausstattung ist nicht ausreichend. Wir haben darüber häufig genug beraten. Die eigentliche Ursache liegt darin, dass den Kommunen bundesweit – auch in Nordrhein-Westfalen – Sozialaufgaben aufgebürdet werden, die sie mit ihrer Finanzausstattung schlichtweg nicht finanzieren können.

Es ist gut, dass diese Bundesregierung ab 2014, was die Lösung der Frage betrifft, wie wir die Kommunen in der Grundsicherung entlasten können, für die Leistungen an Menschen aufkommt, die zu wenig Rente erhalten. Das ist gut, aber es ist zu wenig, und es kommt zu spät. Die Regelung im Fiskalpakt, nämlich die Absichtserklärung, auch die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung über den Bundeshaushalt mitzufinanzieren, ist wichtig, weil der Bund mit seiner Gesetzgebungskompetenz in seinem eigenen Haushalt die Dynamik der eigenen Beschlüsse spüren muss.

Ich glaube, dass wir 2011 in diesem Plenum richtiger­weise gemeinsam beschlossen haben, dass derartige Leistungen zukünftig vom Bund zumindest mitzutragen sind. Das sollten wir auch weiterhin gegenüber Berlin thematisieren. Es geht um unsere Kommunen, um deren Finanzausstattung und um deren Gestaltungsfähigkeit. Es muss unser Auftrag sein, auch in Berlin für deren Rechte einzutreten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister.

Ich eröffne die Beratung. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat möchte auch ich mich ausdrücklich bei Herrn Minister Jäger für die Einbringung des Entwurfs des 2012er Gemeindefinanzierungsgesetzes bedanken. Er hat viele wichtige Aspekte angesprochen. Ich will das nur noch ergänzen; denn wir befinden uns mindestens schon in der dritten Aussprache zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2012.

Wir haben den Entwurf im Dezember letzten Jahres eingebracht und hatten am 14.03. dieses Jahres morgens noch die Gelegenheit, das eine oder andere Wort darüber zu verlieren, bevor wir den Landtag dann einvernehmlich aufgelöst haben.

Ich möchte noch einmal herausgreifen den Soziallastenansatz und die Abmilderungshilfe.

Zum Soziallastenansatz: Sie können dem Gemeindefinanzierungsgesetz entnehmen, dass rechnerisch nach der Regressionsanalyse der Soziallastenansatz eigentlich bei 17,76 Bedarfssatzpunkten liegen müsste. Wir haben im Jahre 2011 bereits festgestellt, dass er auf 15,3 Bedarfssatzpunkte in dem Jahr hätte steigen müssen.

Wir haben uns dann dazu entschieden – das ist auch völlig richtig in der Vorlage des Ministeriums –, zu sagen, wir belassen es bei den 15,3 Bedarfssatzpunkten und ergänzen das um eine Abmilderungshilfe für die Städte, die überraschenderweise darunter zu leiden haben. Aber um Planungssicherheit zu geben, belassen wir es bei der Höhe von 15,3 Punkten.

Ich halte das Verfahren für absolut richtig. Es ist zwar rechnerisch etwas höher, aber da sind wir auch den Kommunen verpflichtet, Rechtssicherheit zu schaffen und vor allen Dingen Planungssicherheit zu schaffen. Deshalb ist es auch das richtige Signal, bei den Punkten entsprechend zu bleiben.

Das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 – da muss ich Herrn Minister Jäger ausdrücklich unterstützen – beendet im Ergebnis auch den kommunalen Raubzug durch die Gemeinden, den Schwarz-Gelb in den Jahren von 2005 bis 2010 begangen hat. 3 Milliarden € – die sind hier schon öfter genannt worden – sind den Kommunen bewusst entzogen worden. Wir haben Konsolidierungsbeiträge als kommunale Familie für den Landeshaushalt leisten müssen. Das ist beendet worden. Das ist auch gut so.

Die Abmilderungshilfe wird ja letztlich nur für das Jahr 2012 zur Anwendung kommen. Es war aber ein gutes Signal. Jetzt sind wir alle im Verfahren dazu verdammt, das 2012er GFG möglichst schnell zu verabschieden. Denn alle Kämmereien haben damit geplant, genauso wie mit den Eckdaten, die für das Jahr 2013 bereits bekannt sind. Da bitte ich Sie alle recht herzlich um ein zügiges Verfahren, um eine zügige Anhörung zu dem Thema „GFG 2012“.

Ich möchte damit schließen, dass ich mich auch ausdrücklich der Meinung von Ralf Jäger anschließe zum Thema der fiktiven gestaffelten Hebesätze. Darüber haben wir in der Tat schon häufiger beraten. Dass das nicht so ganz einfach ist, wissen Sie, glaube ich, auch. Mit dem Ansatz, den Sie hier gewählt haben, einmal eben mit einem Antrag dafür zu sorgen, kann man vielleicht im Heimatkreis ein bisschen Werbung machen und Stimmung erzeugen.

Aber gestehen Sie uns zu, dass wir dem Antrag heute in der Art und Weise natürlich nicht zustimmen können und ihn auch nicht zustimmungsfähig finden, weil die Probleme, die Sie da aufgeführt haben, ja in der Tat schwierig sind, weil es ja auch bei gestaffelten fiktiven Hebesätzen dazu kommen würde, dass die großen kreisangehörigen Städte vermutlich stärkere Profiteure werden und die kleineren kreisangehörigen Städte eher benachteiligt werden. Dann ist die Frage, in welcher Höhe, bei welchen Grenzen Sie das einsetzen werden. Es gibt viele weitere Fragen. Aber ich denke, das wissen Sie alles selbst und es handelt sich hier eher um einen Show-Antrag.

Also, meine Damen und Herren: In Summe lassen Sie uns ein schnelles Verfahren wählen, so schnell es möglich ist. Die Planungssicherheit haben die Städte verdient. Die Politik gegenüber den Städten hat sich in den letzten zweieinhalb Jahren kolossal verändert. Wir setzen das mit diesem GFG fort.

Ich bitte um zügige Beratung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Kuper.

André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Städte in Nordrhein-Westfalen befinden sich in einer hundsmiserablen Finanzlage. Wenn nur noch 35 von 396 Städten einen echten Haushaltsausgleich schaffen, dann ist das eine Katastrophe. Mit einem kameralistisch ermittelten Minus von rund 2 Milliarden € sind wir im Bundesvergleich mittlerweile Vorletzter.

Da muss man sich fragen: Geht das allen Kommunen in Deutschland so? Dann wird man feststellen: Nein. So ist es nicht. Wir liegen hier in Nordrhein-Westfalen gegen den Bundestrend, wo ein positives Echo von 2,5 Milliarden € erwartet wird.

Es gibt durchaus Kommunen, zum Beispiel in Ländern wie Baden-Württemberg, die in diesem Jahr mit einem Gesamtsaldo leben können. In mehr als der Hälfte der Bundesländer wird bei den Kommunen ein positives Echo ausgewiesen. Also muss man die Ursachen in NRW tiefer hinterfragen. Dann ist es zu einfach, dann ist es zu kurzsichtig und auch zu durchsichtig, meine Damen und Herren, nur den Bund als Schuldigen in NRW auszumachen.

In meiner langjährigen Funktion als Vorsitzender des Städte- und Gemeindebundes und da speziell des Finanzausschusses in Düsseldorf wie auch in Berlin kenne ich aus den dort gemachten Analysen mehrere Ursachen der kommunalen Finanzkrise in NRW,

a) beispielsweise den in NRW höchsten bundesweiten Kommunalisierungsgrad. Das heißt, wir sind das Bundesland mit den vergleichsweise meisten auf die Kommunen übertragenen Aufgaben.

b) Natürlich gehören dazu auch die Sozialkosten, wobei der Bund und die Bundesregierung die Not der Kommunen sehen und sie allein im Jahre 2013 um 3,1 Milliarden € entlasten, wobei aber auch da zu klären ist, warum und ob in Einzelfällen die Kosten pro Fall in NRW teilweise höher sind als in anderen Bundesländern.

(Beifall von der CDU)

c) sind es sicherlich die immensen Schulden und d) auch die Einführung des NKF mit allen Abschreibungen, aber auch mit den Pensionslasten, welche natürlich die Fehlbeträge der Kommunen erhöhen.

e) ist es aber auch das Verhalten der Politik oder Aufsichtsbehörden, wo letztlich durch Rücksichtnahme, Zögerlichkeit oder politische Entscheidungen die Vorgaben der Haushaltssicherung oder der Nothaushalte nicht richtig oder nicht rechtzeitig umgesetzt wurden.

f) sind es sicherlich auch im Einzelfalle die Entscheidungen in Kommunen, wo aufgrund fehlender Kostentransparenz Investitionen getätigt wurden, die heute die Ergebnisrechnung belasten.

Es lassen sich noch viele Gründe anfügen.

Daher ist es dringend geboten, dass Sie sich als Regierungsfraktionen intensiver mit dieser Themenpalette beschäftigen. Sie sollten dort an vielen Hebeln ansetzen, Sparpotenziale heben, anstatt immer nur allein nach dem Bund zu rufen. Angesichts der bundesweiten Vergleichswerte ist deutlich: Auch wir müssen unsere Aufgaben und Hausaufgaben in NRW machen.

Eines steht fest: Mit diesem GFG lösen Sie nicht die Finanzprobleme der kommunalen Familie. Mit diesem GFG verteilen Sie Mangel, aber ungleich. Sie zeigen Ihr Herz für die kreisfreien und großen Städte im Land, aber dafür entziehen Sie Ihre Zuneigung den mittleren und den kleinen Kommunen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit der heutigen Debatte wird die Frage nach einem transparenten, nachvollziehbaren und gerechten GFG nötig. Die heutige Berechnungsmethode der Schlüsselzuweisungen ist nicht gerecht. Beseitigen Sie den Zirkelschluss, der insbesondere in den Anwendungsbedingungen der Regressionsanalyse liegt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum zum Beispiel im GFG bei der Bedarfsermittlung steigende Ausgaben automatisch berücksichtigt werden, während auf der Gegenseite – also bei der Ermittlung der zu berücksichtigenden Finanzkraft der Kommunen – mit fiktiv berechneten Werten jeweils eine halbe Milliarde Einnahmen aus Steuern unberücksichtigt bleibt. Was soll das?

Dann sollten Sie sich und uns – besonders auch Ihren Wählerinnen und Wählern – die Frage beantworten, warum Ihnen ein Bürger in kreisangehörigen Städten bei den Zuweisungen durchschnittlich 281 € Wert ist und ein Bürger in kreisfreien Großstädten durchschnittlich 472 €. Sie sollten auch die Frage beantworten, warum Sie innerhalb der letzten Jahre bei gleichen Steigerungsraten für Steuerkraft und Soziallasten dem kreisangehörigen Raum 3,4 % und dem kreisfreien Raum 48,7 % mehr gegeben habe. Nutzen Sie doch die Chance mit dem vom Land selbst in Auftrag gegebenen Gutachten zur Weiterentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs als Schritt in die richtige Richtung.

Ich komme zum Schluss. Entwickeln Sie endlich ein ganzheitliches und ressortübergreifendes Konzept zur Beseitigung der kommunalen Finanzkrise. Oder ist Ihnen doch nicht jeder Bürger gleich viel wert? Wo ist die Politik mit Herz? Es ist dringend Zeit zum Handeln. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt sind wir wieder bei der Haushaltspolitik. Der Kollege Kuper hat vorgetragen, das GFG sei die Verteilung des Mangels. NRW müsse seine Hausaufgaben machen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Was heißt das denn auf Deutsch? Soll mehr Geld ins GFG, Herr Kollege? Hat die CDU-Fraktion Vorschläge, das GFG aufzustocken? Haben Sie einen Deckungsvorschlag für diesen Vorschlag? Oder ist das wieder diese pauschale Schuldzuweisung ohne Hinterlegung von Fakten, ohne einen konkreten Vorschlag zur besseren Ausgestaltung?

Das werde ich Sie jetzt bei jedem einzelnen Punkt mantrahaft fragen, weil ich es für die Koalition nicht zulassen möchte, dass Sie auf der einen Seite den Bürgermeistern erzählen, man könne in Nordrhein-Westfalen Geldsäcke irgendwohin verfrachten, während es auf der Seite niemanden gibt, der den Kontoabgang irgendwie bestätigen und ausgleichen müsse. Das lassen wir Ihnen einfach nicht mehr durchgehen.

Ich möchte noch einen Punkt anfügen, der bei der Frage der Finanzausstattung sowohl des Landes als auch der Kommunen unmittelbar eine Rolle spielt. Wir hatten im Sommerloch ja eine sehr interessante Auseinandersetzung um das Ehegattensplitting. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion hat gesagt, Hintergrund dieser Auseinandersetzung sei gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht zu Recht entschieden habe, dass eingetragene Lebens­partnerschaften im Steuerrecht – das bezog sich jetzt nicht auf die Einkommensteuer, sondern auf eine andere Steuerart – gleichzustellen sind. Dazu sagte Herr Laschet, er finde das richtig, es würde aber einiges an Mehrkosten auslösen, wenn man ansonsten am Ehegattensplitting nichts ändern würde. Daraufhin sagte Herr Laumann, das finde er nicht richtig, denn eine steuerliche Gleichstellung sei nur für die klassische Familie zugelassen, wo die Frau – ich glaube, in seinem Familienbild ist es der Mann, der für die Frau sorgt – für den Mann sorgt. Das Verfassungsgericht werde das nicht zulassen.

Jetzt kommen wir zu dem Vorschlag, der vielleicht auch einmal politisch interessant werden könnte und der zu Mehreinnahmen und zu mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland führen würde, nämlich die Abschaffung oder Reduzierung des Ehegattensplittings und die Einzelbesteuerung der Menschen. Das würde nämlich 23 Milliarden € an Mitnahmeeffekten zumindest abschmelzen. 42,5 % dieser 23 Milliarden € würden an die Länder gehen. Also würde auch Nordrhein-Westfalen davon profitieren. 15 % bekämen die Kommunen unmittelbar.

Vielleicht klären Sie das mal innerhalb der CDU. Wir als Grüne sind sehr wohl für eine gerechte Besteuerung. Das heißt, die Alleinerziehende soll aus unserer Sicht nicht stärker besteuert werden als die Frau – das ist völlig in Ordnung, jeder hat sein eigenes Bild –, die im Rahmen des Zusammenlebens mit einem Mann besteuert wird.

Ich komme zum Thema „Struktur des GFG“. Das GFG ist – das hat der Innenminister vorgetragen – letztlich unverändert gegenüber den Ausgangsdaten von 2012. Allerdings ist es in der Masse deutlich angewachsen. Auch das ist natürlich eine Folge von Steuermehreinnahmen, aber auch Folge der Weiterführung der Besserstellung durch die – jetzt sogar noch höheren – Einbeziehung der Grunderwerbsteuer und auch Folge des Verzichts auf den Konsolidierungsbeitrag der Kommunen beim Landeshaushalt.

Das bejubeln Sie seitens der CDU nicht, sondern Sie tun wieder so, als wenn wir das GFG geschröpft hätten, als wenn wir es reduziert hätten. Sie fangen auch noch eine Neiddebatte an, die fachlich – das ist jetzt mehrfach ausgetragen worden – schlichtweg unsinnig ist.

Natürlich ist es richtig, was der Innenminister gesagt hat: Wenn wir die Pflicht der Kommunen, die Sozialausgaben zu reduzieren, weiter vorantreiben können – das war ja ein Verdienst der Opposition und der Länder im Bundesrat, dass es im Rahmen der Fiskalpaktverhandlungen eine weitere Entlastungsstufe bei der Grundsicherung gibt; das ist von der Bundesregierung ja nicht freiwillig zugestanden worden – kann es ab 2014 zu einer weiteren Entlastung kommen.

Zu all dem müssen CDU und FDP immer wieder gezwungen werden, getrieben werden. Schon die erste Zusicherung war ja gegen den Willen des Bundesfinanzministers Schäuble, bei der Grundsicherung im Alter für eine Entlastung zu sorgen. Auch das ist im Rahmen des Hartz-IV-Kompromisses erst vom Bundesrat, also von den Bundesländern, gegen den Willen der Bundesregierung erstritten worden. Sie tun immer so, als wenn Sie selbst darauf gekommen wären. Nein, es gab Druck aus den Ländern. Und das war auch Folge des gemeinsamen Beschlusses dieses Landtages, in diese Richtung zu arbeiten.

Meine Fraktion und diese Koalition stützen das GFG. Wir halten es für den richtigen Weg. Wir sind sehr froh, dass dort mehr hineinfließt.

Das möchte ich noch mitgeben: Die Beitragsveränderungen an den Zuschüssen des Landes innerhalb des GFG gehen ausschließlich auf Steuerkraftveränderungen und nicht auf politische Veränderungen an der Struktur des GFG zurück.

Insofern freue ich mich auf die Beratung und hoffe, dass es eine breite Zustimmung geben wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die Fraktion der FDP spricht nun Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Jäger, ich habe der Regierungserklärung der Frau Ministerpräsidentin am Mittwoch genau gelauscht.

(Minister Ralf Jäger: Das ist gut! Und hoffentlich auch etwas gelernt!)

Sie hat etwas zum Thema „Ländliche Räume“ gesagt. Ich zitiere:

„Auch die ländlichen Räume in Nordrhein-Westfalen sind wirtschaftsstark, lebenswert und wichtige Standorte vieler kleiner und mittlerer Unternehmen.“

Weiter hat sie ausgeführt:

„Durch eine gezielte nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums wollen wir daher Beschäftigung und Wertschöpfung dort erhalten.“

(Beifall von der FDP – Minister Ralf Jäger: Das ist so etwas von richtig!)

– Das ist völlig richtig! Ich frage mich nur, wie das gelingen soll, wenn Sie mit diesem Gemeindefinanzierungsgesetz dem ländlichen Raum zeitgleich den finanziellen Boden unter den Füßen entziehen. Denn das ist Tatsache.

(Beifall von der CDU)

Da lohnt auch ein Blick in das GFG 2011. Schon da haben wir es mit 135 Millionen € zulasten des ländlichen Raums zu tun gehabt. Im GFG 2012 sind es wieder mehr als 100 Millionen € zulasten des ländlichen Raumes.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn innerhalb von nur zwei Jahren fast eine viertel Milliarde Euro innerhalb des Systems zulasten des ländlichen Raums umverteilt wird, dann kann man nicht von einem fairen, ausgewogenen Gemeindefinanzierungsgesetz sprechen. Das ist unsere Überzeugung.

Herr Minister Jäger, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ich will Ihnen noch drei Punkte im Zusammenhang mit dem GFG aufzeigen:

Erstens kritisieren wir den fehlenden Reformwillen bei der gesamten Struktur der Kommunalfinanzierung. Sie wissen ganz genau, dass das heutige System des kommunalen Finanzausgleichs viele Webfehler hat. Sie wissen ganz genau, dass das GFG in seiner heutigen Form keine Zukunft mehr hat. Aber anstatt jetzt den großen Wurf anzugehen, doktern Sie herum, drehen an ein paar Stellschrauben des bestehenden Systems, verschieben die Auseinandersetzung, trauen sich offensichtlich nicht, das Thema anzugehen.

Der zweite Punkt: Sie nehmen dilettantische Anpassungen an einzelnen Punkten vor, statt das Gesamtsystem anzugehen. Ich nenne als Thema die Einwohnerveredelung. Auch das bringt weitere Unwuchten.

Der dritte Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist natürlich der Soziallastenansatz: Wir müssen uns mal vor Augen halten, was das eigentlich heißt. Es ist so, dass der Ansatz derart deutlich ausgeweitet worden ist, dass er nun für die Verteilung von rund einem Drittel der gesamten GFG-Mittel verantwortlich ist. Ein Drittel der GFG-Mittel sind für den Soziallastenansatz! Meine Damen und Herren, das ist nicht fair, das ist nicht ausgewogen. Das ist eben keine gerechte kommunale Finanzierung.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Kai Abruszat (FDP): Ich gestatte gerne eine Zwischenfrage.

Vizepräsident Oliver Keymis: Der Kollege Stein von der Fraktion der Piraten möchte eine Zwischenfrage stellen.

Kai Abruszat (FDP): Oh, gern, wunderbar.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Kollege.

Kai Abruszat (FDP): Wenn Sie das bitte nicht auf meine Redezeit anrechnen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Die Zeit rechnen wir nicht an.

Kai Abruszat (FDP): Die Uhr tickt nämlich schon unerbittlich.

Robert Stein (PIRATEN): Herr Abruszat, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Ich habe jetzt natürlich an Sie die Frage, wie Sie das letztendlich finanzieren wollen – wie Sie mich das gestern auch gefragt haben. Anscheinend bemängeln Sie ja, dass zu wenig Geld vorhanden ist. Wo sind da konkret Ihre Lösungsansätze?

Kai Abruszat (FDP): Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen das zu erklären, weil es mir auch Gelegenheit gibt, meine Redezeit etwas auszuweiten.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Herr Kollege Stein, wir haben darüber ja auch schon mal im Kommunalausschuss diskutiert. Es geht vor allen Dingen um die Frage einer gerechten Systematik. Wenn ich eine gerechte Systematik haben will, brauche ich Mut zu einer GFG-Novelle, zu einer GFG-Reform, die diesen Namen verdient. Deswegen muss ich natürlich bei der Fragestellung, wie ich das Geld gerecht und ausgewogen verteile, neue Parameter finden.

Anders als Ihre Fraktion hat die FDP-Fraktion einen Antrag eingebracht, der ja im Kommunalausschuss behandelt werden wird, wenn Sie der Überweisung zustimmen. Dann unterhalten wir uns über gestaffelte, fiktive Hebesätze, über neue Stellschrauben in diesem GFG. Insofern freue ich mich, wenn wir diese Debatte im kommunalen Ausschuss fortsetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Ihnen noch etwas zu unserem Antrag sagen. Herr Minister Jäger, es hat mich gefreut – das meine ich wirklich mit allem Ernst –, dass Sie unseren Antrag eben in Ihrer Einbringungsrede zum GFG zumindest als Aufschlag zu einer Debatte angesehen und als Beitrag zu einer solchen Diskussion qualifiziert haben. So ist der Antrag auch gemeint: Wir wollen konkret Beiträge leisten, das Gemeindefinanzierungssystem insgesamt transparenter und auch gerechter zu machen.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

Es würde bei der Steuerkraftermittlung ausreichen, verschiedene fiktive Hebesätze zugrunde zu legen, die nach Gemeindegrößen gestaffelt sind und das tatsächliche Steuereinnahmepotenzial der Kommunen abbilden. Das ist realitätsnah. Dann würden auch die vielen Verwerfungen, die wir in den grenznahen Gebieten von Nordrhein-Westfalen haben – zum Beispiel zu Rheinland-Pfalz oder auch zu Niedersachsen – nicht mehr auftreten. Verwerfungen haben wir nämlich, weil es im nordrhein-westfälischen Grenzgebiet Städte gibt, die wegen der fiktiven Hebesätze bei der Gewerbesteuer bei weit über 400 Punkten liegen, während die Gewerbesteuer im niedersächsischen Grenzgebiet bei 300 Punkten liegt. Das macht kommunale Wirtschaftsförderung natürlich auch sehr schwer.

Insofern, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist dieser Antrag der FDP-Fraktion ein, glaube ich, wichtiger Beitrag, dieses Thema insgesamt anzugehen. Ich freue mich auf die Beratungen und die Anhörung im Ausschuss sowie die weiteren Debatten hier im Haus. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Kollege Stein.

Robert Stein (PIRATEN): Werter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer, Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne! Liebe 499 Menschen im Stream! Ich möchte zunächst auf die Ausführungen von Herrn Abruszat zu meiner Frage eingehen. Mir kommt es ein bisschen so vor, als würden wir fragen: Wie viel hast Du? – Minus zehn! Und Du? – Minus 110. – Prima! Geben wir beiden minus 60. – Das aber kann nicht dauerhaft die Lösung sein.

Deswegen brauchen wir natürlich den Ansatz der Konnexität. Eine faktische Möglichkeit wäre, darüber zu reden – hier im Land können wir allerdings nicht viel anstoßen –, in der Tat im Bund moderate Steuererhöhungen zu fordern. Denn wir müssen im Sinne unserer Kommunen und Gemeinden eine nachhaltige, strukturelle Entlastung schaffen.

Gestern haben wir hier im Plenum über das Verfahren zur Kreisumlage gesprochen. Unsere Meinung dazu haben Sie zur Kenntnis genommen.

Heute sprechen wir über das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012. Und wie ich bereits gestern kritisch ausgeführt habe – ich wiederhole das –, betrachten wir die finanzielle Lage der Kommunen mit großer Sorge.

Die in Teil 2 § 2 beschriebene Höhe des Verbundsatzes ist aus unserer Sicht zu niedrig angesetzt. Historisch betrachtet entwickelt sich diese Quote immer weiter nach unten.

Zur Stärkung der kommunalen Finanzausstattung ist es aus unserer Sicht notwendig, über eine generelle Anhebung dieses Satzes nachzudenken. Klar, die finanziellen Mittel sind klamm; ich verweise hier wieder auf die Forderung in Richtung Bund. Die könnten wir hier auch gerne mal gemeinsam stellen. Wir könnten ja mal geschlossen auftreten. Wir müssen uns ja nicht in Altparteiendidaktik üben und uns immer nur gegenseitig Sachen vorwerfen. Wir sollten auch mal nach vorne blicken.

(Beifall von den PIRATEN)

Natürlich begründen Sie die Festsetzung der Quote mit dem Verhältnis der finanziellen Situation des Landes und der Gemeinden. Diese lässt bei rein oberflächlicher Betrachtung auch den Schluss zu, dass die Quote nicht weiter geändert werden muss. Jedoch sind viele Kommunen kaum noch in der Lage, ihre Einnahmeseite zu steigern; ich habe das gerade ausgeführt. Die Möglichkeiten sind größtenteils ausgeschöpft. Trotzdem mussten 177 Kommunen zum Stichtag 31. Dezember 2011 ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen, Herr Jäger. Laut Ihren Erläuterungen können davon aktuell sogar nur 33 genehmigt werden. Das ist zumindest Ihre Aussage dazu, werte Landesregierung.

Und das ist auch die Situation hier im Land: Auch die Kassenkredite steigen im Vergleich zu den Vorjahren an. Sachinvestitionen werden in NRW hingegen pro Kopf zu wenig aufgewendet wie sonst nirgendwo in der Bundesrepublik im Jahre 2011. Das sage übrigens nicht ich, sondern das sind die Zahlen des Bundesministeriums der Finanzen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein weiterer Punkt, den ich in diesem Zusammenhang auch sehr erwähnenswert finde, ist die Höhe der Schul- und Bildungspauschalen in § 17. Viele Zahlen wurden angepasst. Die meisten Zahlungen wurden sogar erhöht – aber gerade dieser wichtige Posten nicht. Stutzig werde ich genau deswegen, weil ich der Regierungserklärung entnehmen konnte – Frau Kraft ist jetzt leider nicht da –, dass Bildung natürlich an erster Stelle des Regierungshandelns steht. Die Zahlen sagen aber etwas ganz anderes aus! Der Ausbau der Kitas gerät nämlich ins Stocken! Die Quote der unter Dreijährigen in Kitas liegt hier im Land bei 15,9 %! Im Bundesvergleich ist das angesichts der Quote von 25,9 % nichts!

(Beifall von den PIRATEN)

Auch die Inklusion – jetzt wird es ganz spannend – wird die Schulen weiterhin finanziell fordern. Zusätzliche Baumaßnahmen werden in diesem Zuge fällig. Ich bezweifle sehr, dass die angesetzten Mittel insgesamt dafür ausreichen werden. Und einfach zu sagen und zu suggerieren, Paralympics seien Inklusion, das reicht wirklich nicht aus, Frau Kraft!

(Beifall von den PIRATEN)

Paralympics in der heutigen Form sind das krasse Gegenteil von Inklusion! Ein gemischter Wettstreit wäre Inklusion! Dieser Altparteien-Fail hätte bei uns zu einem Shitstorm ungeahnten Ausmaßes geführt, hätte das jemand von uns gesagt!

(Beifall von den PIRATEN)

Noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: Sie weisen in der Begründung des allgemeinen Teils in Punkt 2.1 darauf hin, dass die Umstellung vom kameralen auf das doppische Rechnungswesen seit dem 1. Januar 2009 abgeschlossen ist. Leider kann ich dann nicht nachvollziehen, warum bisher keinerlei Zahlenwerk für die Ergebnisrechnung und die Bilanzen vorliegen. Wir hatten das schon geklärt. Ein adäquateres Bild der finanziellen Situation aller Kommunen kann man mit Sicherheit erreichen, wenn diese Zahlen transparent veröffentlicht werden.

Wir als Oppositionspartei haben hier übrigens schon geliefert. Gestern haben wir die Visualisierung des Landeshaushalts veröffentlicht. Wie lange haben wir für diese Aufgabe gebraucht? – Eine Woche. Wie lange haben die Parteien hier im Landtag schon Zeit gehabt, diese einfache Aufgabe zu erledigen? – Mehrere Jahre.

(Beifall von den PIRATEN)

Unsere Meinungen und Wünsche zu der Veröffentlichung der Zahlen habe ich schon gestern in meinem Statement zum NKF geäußert. Ich wollte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: NKF, Transparenz, Piraten! – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Stein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss es noch einmal sagen: Wir haben gerade wieder festgestellt, dass es im Plenarsaal lauter ist als in der Vergangenheit. Wissen Sie auch, warum? Ich erkläre es Ihnen schnell. Vorher hatten wir mehr Holz und mehr Polster im Raum. Beides ist nicht mehr da, und deshalb ist der gesamte Geräuschpegel wesentlich höher als vorher. Das ist eine Feststellung, die wir hier oben seit vorgestern machen. Ich darf Sie daher bitten, Ihre Gespräche leiser oder möglichst gar nicht hier im Raum zu führen. Es ist für den Redner bzw. für die Rednerin und für das Präsidium wirklich schwierig, der Debatte zu folgen. Es wird Ihnen im Saal möglicherweise auch so ergehen. Insofern bitte ich nochmals um Ihr Verständnis. Das hat sich durch die baulichen Veränderungen einfach neu ergeben.

Als nächster Redner spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bedauerlicherweise kann ich in den Reihen der CDU Herrn Kuper jetzt nicht sehen. – Ach, da ist er. Ich würde nämlich gerne auf einiges eingehen, was Sie dargestellt haben.

Ich bedaure Sie in Ihrer Rolle insofern, als Sie nun neuer kommunalpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion sind, diesem Parlament neu angehören und Ihre Kolleginnen und Kollegen Sie offensichtlich nicht darüber unterrichtet haben, was für eine Kommunalpolitik diese Fraktion zwischen 2005 und 2010 betrieben hat.

(Beifall von der SPD)

Damit wir auch in Zukunft auf einem guten Niveau miteinander diskutieren können, müssen Sie sich das jetzt noch mal anhören, Herr Kuper.

In den Jahren 2005 bis 2010 – also in nur fünf Jahren – haben sich die Liquiditätskredite der nordrhein-westfälischen Kommunen mehr als verdoppelt, nämlich von 10 Milliarden auf über 20 Milliarden €. In diesen fünf Jahren hat die alte Landesregierung den kommunalen Kassen 3 Milliarden € zur eigenen Konsolidierung entzogen und – und das ist das Schlimmste – mangels Mutlosigkeit zu einer Ungerechtigkeit im GFG beigetragen, die ohnegleichen gewesen ist.

Die alte Landesregierung hat im Rahmen des GFG die kompletten Schlüsselmassen nach Datensätzen des Jahres 1999 verteilt. 1999 gab es SGB II bzw. Hartz IV übrigens noch gar nicht. Das heißt, das Geld ist nicht nach den tatsächlichen Belastungen der jeweiligen Kommune verteilt worden, sondern, weil der Mut fehlte, diese Datenanpassung vorzunehmen, nach Datensätzen, die zu Ungerechtigkeiten und Verwerfungen geführt haben.

Herr Kuper, diese Landesregierung lässt es sich nicht gefallen, dass die Mutlosigkeit der alten Landesregierung, die zu völligen Verwerfungen in der kommunalen Familie geführt hat, die wir jetzt aufgelöst und aufgebrochen haben, jetzt Anlass für Sie ist, wir würden zwischen den Gemeindearten unterscheiden.

Um es deutlich zu sagen: Diese Landesregierung kennt die Probleme der Kommunen, seien es kleine, seien es große, seien es mittelgroße oder seien es die Kreise. Das unterscheidet uns von der Vorgängerregierung. Wir nehmen diese Probleme nämlich ernst, und wir reden mit den Kommunen darüber.

(Beifall von der SPD)

Ich bin Herrn Abruszat sehr dankbar, dass er noch einmal die Frage aufgeworfen hat, ob es einer grundsätzlichen Reform bedarf. Ich will darauf hinweisen, dass ein Vorgängerparlament im Jahre 2007 einmütig das Wirtschaftsinstitut ifo beauftragt hat, das Gemeindefinanzierungs­gesetz in Nordrhein-Westfalen einer erneuten Begutachtung zu unterziehen. Dieses ifo-Gutachten lag im Jahre 2008 vor. Es ist dann aus der Mitte des Parlaments eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe gebildet worden. Darin war Ihre FDP-Fraktion genauso vertreten wie unsere SPD-Fraktion, die sich damals übrigens in der Opposition befand.

Wir sind die Vorschläge des ifo-Gutachters durchgegangen und haben gesagt: Das, was in dem Gutachten an Modernisierungsveränderungen vorgeschlagen worden ist, das tragen wir gemeinsam. Das Ergebnis ist, dass die Soziallasten zwischen den 396 Kommunen gerecht verteilt werden müssen – so, wie wir es heute tun.

Herr Abruszat, ich sage Ihnen ganz deutlich: Diese Leistung war eine Leistung des gesamten Parlaments. Sie sollten das nicht damit infrage stellen oder diskreditieren, dass es da einen Reformbedarf gebe, der sich über Jahre angestaut habe. Das Gegenteil ist der Fall.

Trotzdem sage ich: Wir sind niemals am Ende des Prozesses, weil sich die Welt permanent verändert und sich auch die kommunalen Belastungen ständig wandeln. Aber das Wesentliche, was die kommunale Finanzausstattung so schmälert, nämlich die Soziallasten, irgendwie wieder aus den kommunalen Finanzausgleich herauszurechnen, wäre ungerecht, unsolidarisch und falsch, Herr Abruszat.

(Beifall von der SPD)

Deshalb sage ich noch einmal: Es muss der gemeinsame Auftrag der Fraktionen sein, klarzumachen, was wir gemeinsam im Jahre 2011 festgestellt haben: Wenn in Berlin nur ein Halbsatz in einem Gesetz beschlossen wird, hat das ganz klare Konsequenzen für die Kosten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Und das muss aufhören. Der Berliner Haushaltsgesetzgeber muss die Dynamik seiner Gesetzgebung selbst im Haushalt spüren und sich deshalb an den Soziallasten der Kommunen beteiligen, übrigens nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Der guten Ordnung halber muss ich sagen, dass die Landesregierung ihre Redezeit ein wenig überzogen hat, sodass auch diejenigen, die nur ein bisschen überzogen haben, noch Gelegenheit hätten, einige Minuten zu sprechen. Ist jemand da, der das Wort wünscht? – Das ist nicht der Fall. Damit wären wir am Ende der Beratung.

Bevor ich in die Abstimmung übergehe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gestatte ich mir, die Debatte an dieser Stelle kurz zu unterbrechen. Ich möchte nämlich auf der Zuschauertribüne einen Gast begrüßen.

Ich freue mich sehr, dass der ehemalige Ministerpräsident des Staates Israel, Herr Ehud Olmert, heute hier zu Besuch ist. Ich darf Sie sehr herzlich begrüßen.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Sehr geehrter Herr Olmert, ich freue mich, dass Sie heute den Landtag Nordrhein-Westfalen besuchen. Sie werden begleitet von unserer Präsidentin und unserem ehemaligen Vizepräsidenten, Herrn Moron. Ich freue mich, dass das Hohe Haus mit diesem sehr freundlichen Applaus diese Begrüßung unterstrichen hat.

Ihr Besuch ist Ausdruck der besonderen Beziehungen unseres Landes zu Israel. Er ist auch Ausdruck unserer gemeinsamen Freundschaft, die wir weiter ausbauen wollen. Ich darf Ihnen versichern, das ist eine Herzensangelegenheit aller Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses.

Nochmals: Herzlich willkommen und danke für Ihren Besuch!

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in unserer Tagesordnung fort.

Jetzt steht die Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2012 an. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf Drucksache 16/300 sowie die Mittelfristige Finanzplanung 2011 bis 2015 Drucksache 16/301 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an die zuständigen Fachausschüsse mit der Maßgabe zu überweisen, dass die Beratung des Personalhaushalts einschließlich aller personalrelevanten Ansätze im Haushalts- und Finanzausschuss unter Beteiligung seines Unterausschusses „Personal“ erfolgt. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.

Wir kommen zur Abstimmung über das Gemeindefinanzierungsgesetz. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/302 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit haben wir einstimmig überwiesen.

Wir entscheiden nun über die Überweisung des Gesetzentwurfes der Landesregierung Drucksache 16/176. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung dieses Gesetzentwurfes an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer stimmt dieser Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch hier einstimmig überwiesen worden.

Wir entscheiden dann über den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/816. Hierzu empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Antrages an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss erfolgen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist auch das einstimmig so beschlossen.

Schließlich stimmen wir ab über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/819. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt diesem Antrag der Fraktion der CDU zu? – Die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion und zwei Mitglieder der Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie sechs Mitglieder der Piraten. Damit hat eine Mehrheit des Hohen Hauses diesen Antrag abgelehnt – bei einigen Enthaltungen, die wir hier zählend zur Kenntnis genommen haben. – Ich bedanke mich für diese herrliche Abstimmung.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir kommen damit zur Aktuellen Stunde. Ich rufe auf:

2   Neue Personalauswahl zerschlägt bewährte Struktur im Vorstand der NRW-Stiftung

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/849

Die CDU hat mit Schreiben vom 10. September 2012 gemäß § 90 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.

Für die CDU-Fraktion hat sich unser Kollege Herr Kaiser zu Wort gemeldet. Während Herr Kaiser den Weg zum Rednerpult zurücklegt, darf ich darauf hinweisen, dass während der Aktuellen Stunde keine Zwischenfragen möglich sind. So schreibt es unsere Geschäftsordnung vor. – Herr Kaiser, Sie haben das Wort.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mehr als einem Vierteljahrhundert gibt es die Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege. Seit ihrer Gründung im Jahre 1986 zum 40-jährigen Bestehen des Landes Nordrhein-Westfalen konnte diese gemeinnützige Stiftung rund 230 Millionen € zur Unterstützung von mehr als 2.500 Projekten beisteuern. Es gibt also viel Gutes über die NRW-Stiftung zu berichten. Sie ist beliebt in allen Landesteilen.

Auch in den vergangenen Tagen war die Stiftung Gegenstand einer breiten Medienberichterstattung. Leider fiel die Berichterstattung diesmal alles andere als positiv aus. Grund hierfür war aber keineswegs die Arbeit der Stiftung; Grund hierfür war die neue personelle Ordnung der NRW-Stiftung durch die Landesregierung. So haben Sie, Frau Kraft, Ihren ehemaligen Wirtschaftsminister Voigtsberger zum neuen Präsidenten der NRW-Stiftung berufen.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Nicht ich, das Gremium!)

Dabei ist das nicht zu kritisieren. Auffällig ist nur, dass von allen fünf neu Berufenen keiner aus Westfalen kommt.

(Zurufe von der CDU: Unglaublich!)

Bei genauem Hinsehen wird natürlich klar, dass durch die Neuberufungen in den Gremien die reine rot-grüne Farbenlehre durchgesetzt wurde. Ob Sie einen ausgeschiedenen Minister trösten oder versorgen müssen, ob Sie parteipolitisch durchpflastern, ist natürlich Ihre Entscheidung. Dies hat allerdings nichts mehr mit dem von Ihnen nach 2010 hier im Parlament oft formulierten neuen politischen Stil zu tun, sondern ist wieder die alte sozialdemokratische Schule der Machtarroganz.

(Beifall von der CDU)

Das wirft ein Bild auf Ihren Politikstil, Frau Kraft. Ich bin sicher, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen darüber eine eigene Meinung bilden. Dazu brauchen wir als Opposition gar nichts zu sagen.

Was uns aber auf die Palme bringt, ist etwas anderes. Die Folge Ihres parteipolitisch motivierten Manövers ist, dass es unter den fünf neu Berufenen keinen Westfalen gibt. 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden da nicht mehr berücksichtigt.

(Beifall von der CDU)

Das ist keine Petitesse, liebe Frau Kraft; das ist schlichtweg ein Skandal.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Oh!)

Es ist eine Arroganz gegenüber einem Landesteil, der erheblich zu Nordrhein-Westfalen und zum Gelingen Nordrhein-Westfalens beiträgt. Dass Ihnen ein solcher Fehler unterläuft, habe ich mir eigentlich gar nicht vorstellen können, muss ich ehrlich sagen. Für mich war eigentlich undenkbar, dass Sie einen so dicken Fehler bei einer Sache wie dieser haben durchgehen lassen.

Als Westfale halte ich die Verbannung der letzten beiden westfälischen Vertreter aus dem Stiftungsvorstand für ein Unding. Ich bin weiß Gott nicht der Einzige, der das so sieht. In Westfalen regt sich unabhängig von der parteipolitischen Zugehörigkeit Widerstand gegen diese Entscheidung. Die Empörung geht bis in den letzten Vorstand der lokalen Heimatbünde und Vereine.

Kritik kommt sogar aus den Reihen der SPD. Bernhard Daldrup, Sprecher der Münsterland-SPD, kommentiert die Personalentscheidung in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 7. September 2012 mit den Worten – ich zitiere –: „Glücklich bin ich darüber nicht.“

In derselben Zeitung äußert sich auch Ihr Generalsekretär, Herr Stinka, mit den Worten – ich zitiere –: „Mir ist daran gelegen, dass sich das Klima nicht weiter verschlechtert.“ Offensichtlich hat er gemerkt, dass hier etwas vor die Wand gefahren worden ist.

Die Realität sieht aber anders aus. Das Klima hat sich bereits verändert. Die Menschen sind verärgert.

Frau Kraft, ich empfehle Ihnen dringend, diese Entscheidung zu revidieren und diesen Affront gegenüber Westfalen wieder auszuräumen. In Wahrheit ist das doch ein Stück zurück zu dem Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen.

Es ist einfach eine Unsensibilität, wenn gesagt wird, das sei alles lapidar. Es ist nicht lapidar. Unser Kollege Thomas Sternberg, der heute nicht da ist, kann Ihnen dezidiert nachweisen, was die Folge ist, wenn Westfalen in Nordrhein-Westfalen nicht richtig berücksichtigt wird und wenn plötzlich der Blick ein Stück weit verengt wird.

Mein Kollege Volkmar Klein, der jetzt im Bundestag ist und früher unser haushaltspolitischer Sprecher war – da wäre er heute Morgen sicherlich schon aktiv gewesen – hat einmal gesagt – ich zitiere ihn –: Der häufig gehörte Satz, der Unterschied zwischen Rheinland und Westfalen spiele heutzutage glücklicherweise keine Rolle mehr, dient in der Regel zur Einleitung eines Beschlusses zugunsten des Rheinlandes.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Damit das nicht Wirklichkeit wird, müssen wir heute darauf hinweisen und, ohne moralisierend aufmerksam zu machen, einfach sagen: Das geht so nicht.

Liebe Frau Kraft, wenn Sie hier schon die parteipolitischen Überlegungen in den Vordergrund stellen, möchte ich Ihnen als Christdemokrat ein Angebot machen, weil Sie in Westfalen vielleicht nicht so zu Hause sind. Wir als Christdemokraten können Ihnen genügend fachkundige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie Bündnisgrüne aus Westfalen nennen, die in diesem Gremium erfolgreichst arbeiten können. Wenn Sie da Nachhilfe brauchen, nennen wir Ihnen gerne entsprechende Personen. Denn uns ist es nicht wichtig, das parteipolitisch aufzurüsten. Uns ist wichtig, dass Westfalen nicht benachteiligt wird. Deshalb unser Appell: Führen Sie diesen Irrtum schnell zurück! Sorgen Sie dafür, dass Ihre Entscheidung korrigiert wird! Das duldet keinen weiteren Aufschub.

(Beifall von der CDU)

Frau Kraft, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie mit dieser Entscheidung zum Aufreger jeder Generalversammlung aller westfälischen Heimat- und Kulturvereine werden wollen. Diesen Fehler umgehend zu korrigieren, würde Größe zeigen, Frau Kraft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die SPD-Fraktion nimmt Kollege Töns zu dieser Frage Stellung.

(Zuruf von der CDU: Geben Sie sich zu erkennen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Markus Töns (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kaiser, Sie haben gerade vom Politikstil gesprochen. Ich glaube, Sie haben dem Parlament 2005 bis 2010 auch angehört und können sich sicherlich noch an den Politikstil Ihres Ministerpräsidenten und Ihrer Landesregierung erinnern. Da wurde ein ganz anderes Bild abgegeben. Wir sind heute deutlich offener, transparenter und in der Politik klarer, als Sie das in fünf Jahren je waren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber, Herr Kaiser und Herr Laumann, das ist so eine Sache mit den Identitäten. Sie haben mir eben zugerufen: Geben Sie sich zu erkennen! – Ich gebe mich zu erkennen; ich bin ein Westfale. Aber ich bin auch ein Ruhrgebietler.

(Zurufe von der CDU)

Wo bin ich denn jetzt verortet, im Ruhrgebiet oder in Westfalen?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nur westfälisch!)

– Nur westfälisch. Natürlich ist das Ruhrgebiet nicht nur westfälisch. Ich will Ihnen mal erzählen – das ist ganz interessant –, in meinem Wahlkreis gibt es eine Besonderheit. Es gibt einen Stadtteil Rotthausen, der bis zur neuen Grenzziehung im Rheinland lag. Durch meinen Wahlkreis – das ist wohl der einzige in Nordrhein-Westfalen, ich wüsste nicht, dass es noch einen gibt – zieht sich also interessanterweise die westfälisch-rheinische Grenze. Mittlerweise zählt Rotthausen auch zu Westfalen. Dass die schon Karneval gefeiert haben, als wir im Rest der Stadt noch nicht so viel damit anfangen konnten, ist vielleicht eine Besonderheit. Aber das muss man so sehen.

Was ist denn mit der Identität? Was sagen den Siegerländer, Sauerländer oder Emsländer dazu? Oder fragen Sie doch mal einen Kölner, ob er sich tatsächlich gemeinsam mit einem Düsseldorfer als Rheinländer identifiziert. Wo bleibt das Ruhrgebiet? Ich habe das eben schon gefragt. Müssten wir jetzt eigentlich einen Sitz für das Ruhrgebiet fordern? Welch eine Frage ist das denn? Aber wir im Ruhrgebiet, auch im westfälischen Teil des Ruhrgebiets, haben vollstes Vertrauen in den Stiftungsvorstand.

Der Antrag der CDU hat leider einen ernsten Hintergrund. Anscheinend ist an Ihnen die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 30 Jahren spurlos vorübergegangen.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Dass NRW weitaus mehr ist als die Summe seiner Landesteile, ist in der CDU wohl nicht angekommen. Sie erinnern sich sicherlich, ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, das „Wir in Nordrhein-Westfalen“ von Johannes Rau haben Sie wohl komplett vergessen oder nie wahrgenommen, zumindest wenn man die künstliche Aufregung über das Präsidium der NRW-Stiftung betrachtet. Es ist schon erstaunlich, wenn eine Partei, die noch nicht einmal eine verbindliche Frauenquote hinbekommt, plötzlich so eine Art Westfalenquote fordert.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD – Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])

Aber vielleicht sind das die traumatischen Erfahrungen, die Sie als Westfale gemacht haben, Herr Laumann. Die traumatischen Erfahrungen, die Sie haben machen müssen, stammen wahrscheinlich aus der Zeit des Zusammenschlusses der beiden Landesverbände der CDU. Jetzt stehen auch noch zwei Rheinländer an der Spitze Ihres Landesverbandes. Das ist ein Skandal. Ich habe nicht gehört, dass Sie da aufgeschrien haben; aber es ist doch ein Skandal, wenn man das so betrachtet.

(Beifall von der SPD)

Das haben Sie noch nicht überwunden, Herr Laumann. Das ist traumatisch; das ist bitter; das kann ich verstehen. Aber übertragen Sie diese Erfahrung doch bitte nicht auf ganz Nordrhein-Westfalen! Das passt nun wirklich nicht. Aber wenn wir uns schon auf dieses Niveau begeben, nun gut.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Sie begeben sich auf dieses Niveau!)

Schauen wir uns also an, wie viele Westfalen denn in der NRW-Stiftung noch tätig sind! Von 31 Mitgliedern des Stiftungsrates kommen 12 aus Westfalen. Von 48 Mitgliedern des Kuratoriums des Fördervereins kommen 18 aus Westfalen, darunter der Regierungspräsident aus Arnsberg und der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Auch im Förderverein sind vier Westfalen vertreten. Dazu kommt noch die Geschäftsführung: auch westfälisch. Der Ehrenvorsitzende Kniola ist ebenfalls Westfale und außerdem Dortmunder. Da müsste ich als Gelsenkirchener schon wieder aufschreien. Das tue ich aber nicht, weil ich glaube, dass er gute Arbeit leistet. Auch Sie selbst, Herr Kollege Laumann, sind Mitglied des Kuratoriums.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wollen Sie uns hier ernsthaft erzählen, ausgerechnet Sie könnten die Interessen der Westfalen nicht vertreten? Trauen Sie den Mitgliedern des Vorstandes nicht? Trauen Sie den Mitgliedern des Stiftungsrates nicht? Trauen Sie dem Kuratorium nicht? Am Ende trauen Sie sich wahrscheinlich selbst nicht. Dafür hätte ich an mancher Stelle Verständnis. Aber das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, Herr Laumann.

Wenn wir schon dabei sind, wo bleibt eigentlich der Aufschrei der Rheinländer? In der Stiftung Wohlfahrtspflege stehen mit den Kollegen Garbrecht und Laumann nun zwei Westfalen an der Spitze, die westfälischer nicht sein können.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])

Ist nun zu befürchten, dass von den 25 Millionen, die die Stiftung Wohlfahrtspflege zur Verfügung hat, kein Cent mehr ins Rheinland fließt? Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass Kollege Garbrecht aus Bielefeld kommt. Da wir alle die Bielefeld-Verschwörung kennen, nehme ich mal an, dass ein Rheinländer dahintersteckt, der vermutet, dass Bielefeld gar nicht existiert.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Also: Meine Fraktion hat vollstes Vertrauen in die beiden Kollegen, und ich bin mir sicher, dass sie verantwortungsvoll und umsichtig die wichtige Aufgabe der Förderung der nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen in ganz Nordrhein-Westfalen wahrnehmen.

Wir teilen also Ihre Besorgnis nicht, meine Damen und Herren. Vielmehr bin ich etwas irritiert, dass wir uns in Zeiten, in denen es wahrlich genug Stoff für politische Debatten hier im Hause gibt, eine komplette Aktuelle Stunde über vermeintliche landsmannschaftliche Rivalitäten unterhalten müssen. Das ist schon kleines Karo, Herr Laumann. Sie sind ja Westfale. Das ist nicht ein Sturm im Wasserglas, das ist ein Sturm im Pinnchen, um es deutlich zu sagen.

Lassen Sie mich deshalb mit einem versöhnlichen Wort des – zugegeben – Rheinländers Jürgen Becker enden. Er hat gesagt: Völker dieser Welt, schaut auf Nordrhein-Westfalen. Hier leben Rheinländer und Westfalen zusammen. Es ist zwar furchtbar, aber es geht doch. – In diesem Sinne: Glück auf!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Töns. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen aufpassen, dass das Ganze nicht in eine gewisse Lächerlichkeit abgleitet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich habe großes Verständnis dafür – auch und gerade als Ostwestfale, der sich ohnehin immer benachteiligt fühlt, weil er ganz weit weg wohnt –,

(Zurufe: Oh! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich nicht!)

sage aber noch einmal mit allem Ernst: Es gibt in der Tat wichtigere Probleme.

(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Eines ist aber auch klar, Frau Ministerpräsidentin: Johannes Rau wäre das nicht passiert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich bin fern davon, Ihnen zu unterstellen, dass Sie bei der Personalauswahl bestimmte landsmannschaftliche Dinge bewusst nicht berücksichtigt haben. Das glaube ich nicht. Dennoch ist der von Ihnen kreierte Personalvorschlag unsensibel.

Eigentlich könnten wir die Aktuelle Stunde jetzt beenden, wenn Sie erklären würden: Das war ein Versehen, ich habe mich an der Stelle vielleicht nicht richtig um die Sensibilität bemüht. – Auch eine Landesregierung macht mal etwas falsch. Als Oppositionspolitiker weiß ich, dass das mal vorkommen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU] – Hans-Willi Körfges [SPD]: Während der eigenen Regierungszeit!)

Deswegen wäre es ein Gebot der Klugheit, zu erwägen, die satzungsmäßigen Regeln der NRW-Stiftung noch einmal zu diskutieren – nicht hier, sondern in den dafür vorgesehenen Gremien.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ich habe die Satzung dabei!)

Vielleicht sollte man die Satzung so ausgestalten, dass bei zukünftigen Benennungen des Stiftungsvorstandes neben der ausreichenden fachlichen Kompetenz von Vorstandsmitgliedern auch an regionale Ausgewogenheit gedacht wird.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dann entstehen keine unangenehmen Verwerfungen oder solche Debatten, wie wir sie heute führen. Dann ersparen wir uns die Zeit dafür und können über viele wichtige schöne Dinge in diesem Hohen Hause diskutieren. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abruszat. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema der Aktuellen Stunde möchte ich drei Anmerkungen machen. Die erste Anmerkung ist: Liebe CDU-Fraktion, wenn Ihnen das Thema „Westfalen und Rheinländer ausgewogen verteilt in einer Stiftung“ wirklich wichtig ist, warum kam dann in der Sitzung des Stiftungsrates kein Aufschrei von Ihnen, warum haben Sie sich da nicht geäußert? Das ist nicht passiert. Da gab es nicht eine Bemerkung zur Zusammensetzung, es gab auch keine Gegenstimme. Sie haben das einstimmig mit uns beschlossen.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Genau an der Stelle wäre der richtige Ort für Kritik gewesen. Die ist ausgeblieben.

(Klaus Kaiser [CDU]: Hier ist das Parlament!)

– Die zweite Anmerkung, die ich machen möchte, Herr Kaiser: Wenn eine Aktuelle Stunde mit dem Thema kommt, dann schaut man sich natürlich die anderen Stiftungen und Gremien des Landes an; der Kollege Töns hat es schon erwähnt. Ich habe mir die Stiftung Wohlfahrtspflege angesehen. Das ist in der Tat interessant. Auf der Webseite des Kollegen Garbrecht lautet ein Artikel: „Zwei Westfalen an der Spitze“.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wen meint er mit den zwei Westfalen an der Spitze? – Damit meint er zum einen sich selbst – als Bielefelder ist er jetzt Vorsitzender des Stiftungsrates, das ist sehr schön –, zum anderen meint er den ehemaligen Vorsitzenden, den CDU-Kollegen aus Birgte im Münsterland, der jetzt stellvertretender Vorsitzender ist.

Wenn man sich die weitere Zusammensetzung des Stiftungsrates der Stiftung Wohlfahrtspflege ansieht, dann entdeckt man ein ziemlich schlimmes Ungleichgewicht zulasten der Rheinländer. Ich würde der CDU-Fraktion empfehlen, demnächst eine zweite Aktuelle Stunde zu beantragen. Ich nenne Ihnen auch schon eine passende Überschrift dafür. Ich empfehle Ihnen das Motto: Zieht Westfalen das Rheinland über den Leisten – keine Wohlfahrtspflege mehr im Rheinland?

Die dritte und letzte Anmerkung: Meine Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde steht für mich in einem etwas größeren Zusammenhang. Ehrlich gesagt – als Münsterländer erlebe ich das vor Ort auch immer wieder – nervt mich die ewige Leier von der Benachteiligung Westfalens und des Münsterlandes ein bisschen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin 2010 in den Landtag gekommen. Seitdem verfolgt mich der ewige Klagegesang, der westfälische Landesteil würde systematisch nach hinten gestellt. Damals hatte ich eigentlich eine andere Erwartung. Ich habe gedacht, wir sitzen hier nicht als rheinländische und als westfälische Abgeordnete, sondern ich persönlich sitze hier als Abgeordneter des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Als ich hierherkam, hatte ich die Hoffnung – im Rat und im Kreistag habe ich es noch ein bisschen anders und häufiger solch ein kleinkariertes Denken erlebt –, hier würden wir uns davon trennen, hier hätten wir das nicht. Aber, meine Damen und Herren von der CDU, mit Ihrer Aktuellen Stunde haben Sie mir diese Hoffnung wieder ein Stück weit genommen.

Wenn Sie schon von Benachteiligung schreien, möchte ich Sie bitten, sich genauer zu informieren. Wenn man sich ansieht, wie die NRW-Stiftung ihre Mittel verteilt hat, dann gibt es doch überhaupt kein Ungleichgewicht: 51 % der Mittel nach Westfalen, 49 % ins Rheinland.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU] – Zuruf von der FDP: Noch ist ja Westfalen drin!)

Das Schöne ist: Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass das in Zukunft anders wird; Sie alle sicher auch nicht. Ich bin mir nämlich ganz sicher, dass der neue Vorstand und der neue Stiftungsrat auch in Zukunft dafür sorgen werden, dass alle Landesteile – die Lipper seien jetzt noch extra erwähnt – hinreichend bedacht werden.

Auf den Stiftungsrat – das finde ich ebenfalls spannend – gucken wir auch einmal kurz. Als Partei besteht die Möglichkeit, wenn es einem so wichtig ist, Westfalen da reinzubringen. Ich schaue mal, wer mit CDU-Parteibuch hier aus dem Landtag da sitzt.

Da sitzt die Kollegin Fasse für die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald – das ist auch in Ordnung so –, und sie entstammt ja Ihrer Fraktion. Es wäre doch eine Supermöglichkeit gewesen zu sagen: Wenn wir schon eine Kollegin aus dem Rheinland, vom Niederrhein haben, dann nehmen wir doch jetzt jemanden aus OWL oder aus Westfalen dazu. Das tun Sie aber nicht.

Da sitzt der Kollege Deppe. Den schätze ich sehr. Es ist ja sehr schön, dass er da sitzt. Aber es wäre doch Ihre Chance gewesen, noch einen Westfalen für die Zukunft zusätzlich da reinzubringen. Schade: Chance für Westfalen gehabt, Chance vertan.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie werfen uns permanent vor, wir würden das Land spalten, indem wir Westfalen nach hinten setzen. Genau das tun Sie nämlich in Wirklichkeit, weil Sie mit Ihrem ständigen Gerede von Benachteiligung, womit sie regional auftreten, versuchen, vor Ort regionale Vorbehalte auszunutzen. Sie versuchen, Ängste zu bedienen, und Sie wollen daraus vor Ort politischen Honig saugen.

Ich sage Ihnen auch in diesem Zusammenhang: Genauso machen Sie es seit 2010 bei den GFG-Mitteln. Sie haben das früher in der Schuldebatte gemacht. Da haben Sie auch immer davon geredet, der ländliche Raum werde benachteiligt. Und Sie machen das heute hier mit der Aktuellen Stunde wieder.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Die CDU hat doch verhindert, dass die Schulen in Westfalen wachsen konnten!)

– Das stimmt. Sie hat es gegen die Region getan. Das ist wohl wahr.

Ich will zum Vorstand zurückzukehren. Das Entscheidende ist: In einer solchen Stiftung – das ist anders als hier im Landtag – kommt es entscheidend darauf an, dass die Vorstandsmitglieder Kompetenzen einbringen, dass sie eine gute Mischung verschiedener Kompetenzen darstellen, dass unterschiedliche Altersgruppen widergespiegelt werden, unterschiedliche Lebensläufe und Lebenserfahrungen.

Wenn ich mir da den neuen Vorstand angucke, dann kann ich nur sagen: Es ist sehr gut gelungen, das so hinzubekommen. Deshalb habe ich als Mitglied des Stiftungsrates auch vollstes Vertrauen, dass dieser Vorstand seine Arbeit erfolgreich machen wird. Ich freue mich darauf, ihn dabei die nächsten Jahre begleiten zu dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Augenzeuge dieser unglaublichen Wahl wird Ihnen gleich noch das Mitglied, Herr Rohwedder, mitteilen, was wirklich geschah. Die Spannung möchte ich noch etwas hochhalten.

Ich soll jetzt eigentlich eine Gegenrede zu den Grünen halten. Ich könnte der FDP folgen und sagen: Unsensibel ist es schon. Aber ansonsten wollen wir mal sehen.

Ich habe 19 Jahre in Bielefeld und 14 Jahre in Düsseldorf gelebt und fühle mich hier von der CDU sowohl als Ostwestfale als auch als Wahl-Düsseldorfer ungefragt in Beschlag genommen. In Ostwestfalen fühlt man sich von einem Dortmunder oder einem Bochumer wahrscheinlich auch nicht besser vertreten als von einem Aachener. Und was sollen die Leute in Lippe, Detmold oder Lemgo von der Diskussion halten? Mit einer Quotenregelung kommt man da nicht weiter.

Man kann das vielfältige NRW nicht in einem fünfköpfigen Vorstand abbilden. Auch ein 50-köpfiger Vorstand wäre wahrscheinlich keine Lösung. Denn wir müssen auch darauf achten, dass Theater, Museen und Denkmalpflege und Politik, Wissenschaft, Frauen, Männer, Akademiker, Arbeiter, Angestellte gleichmäßig berücksichtigt sind. Ich weiß, das wird alles tatsächlich versucht. Proporz ist vielleicht ein Kompromiss, aber nicht unbedingt immer eine Lösung.

Die Besetzung des Vorstands kann nicht die Stellschraube für gerechte Verteilung der Fördermittel oder für gerechte Aufmerksamkeit sein,

(Beifall von den PIRATEN)

allenfalls ein Indikator. Wenn sich im Vorstand eine bestimmte Personengruppe auffällig tummelt, dann stimmt auch etwas mit dem Auswahlverfahren nicht. Dieses Problem löst man dann allerdings nicht dadurch, dass man darauf achtet, zwei Westfalen dabei zu haben.

Qualifikation statt Proporz: Das wünsche ich mir nicht nur an dieser Stelle.

Ich gehe derzeit gutgläubig davon aus, dass die Qualifikation tatsächlich bei der Vorstandswahl im Vordergrund stand – wenn nicht, dann möchte ich entsprechend appellieren.

Der falsche Weg in der Kritik daran ist, sich aus demselben Instrumentenkasten zu bedienen und dort zum Hammer zu greifen. Wenn Sie da Westfalen fordern oder ein „Mimimi“ anstimmen, weil vielleicht dieser oder jener – nach welcher Farbenlehre oder wie auch immer – berücksichtigt wurde oder nicht, dann hilft das der langfristigen Ausgewogenheit und Qualifikation keinen Schritt weiter.

Dass es womöglich doch allein um Postengeschacher geht, zeigt mir der zunächst logische und nachvollziehbare Hinweis, Rheinländer könnten die Kultur der Westfalen nicht vertreten.

Aber wer vertritt hier welches Westfalen? Ostwestfalen bis nach Minden, Soester Börde, den Teil mit dem Ruhrgebiet? Jede Region hat zu Recht seine Vertreter, auch hier im Parlament. Das Münsterland hat Herrn Schemmer, der dafür sorgt. Er wurde sogar in der Regierungserklärung genannt. Herzlichen Glückwunsch dazu! Aber ich weiß nicht, ob er sich mit gleichem Engagement für Siegen oder den Hochsauerlandkreis einsetzt.

Die Vielfalt Nordrhein-Westfalens macht auch Spaß. Man könnte jetzt hier schön mit Klischees, mit denen man auch im Karneval gut oder in einem gepflegten westfälischen Kabarett punkten kann, für Heiterkeit sorgen. Herr Witzel ist schon in diese Richtung gegangen. Das brauchen wir aber gar nicht. Denn Herr Laumann hat zur Aktuellen Stunde auch eine Pressemitteilung geschrieben und für Pressezitate gesorgt. Und diese Pressemitteilung ist lustig. Der Landesregierung wird eine organisierte Spaltung des Landes vorgeworfen.

(Lachen von Hans-Willi Körfges [SPD])

Sie will demnach bewusst Rheinländer gegen Westfalen ausspielen. Allein, das Motiv fehlt.

(Beifall von den PIRATEN)

Wer den Aufwand auf sich nimmt, die Spaltung des größten Bundeslandes zu organisieren, der muss doch irgendeine Motivation haben. Klassisch wären religiöse Gründe.

(Heiterkeit – Beifall von den PIRATEN)

Hat Frau Kraft vielleicht vor, die WestLB-Milliarde oder mehr durch den Verkauf weiter Landesteile zu finanzieren? Oder möchte man einfach nur mehr Bundesländer haben und deshalb das Land spalten? Möchte man den Tourismus fördern, weil Marketing-Studien gezeigt haben, dass der Zwist zwischen Köln und Düsseldorf die Bekanntheit steigert, weil er so amüsant ist? Will man das vielleicht auf größere Landesteile übertragen? Ich weiß es nicht.

Sie tragen hier einen konstruierten Shitstorm ins Parlament. Den sollte man nicht füttern. Aber eine organisierte Spaltung des Landes mit augenscheinlichen Belegen ohne Hintergrund einfach in den Raum zu stellen, das ist grandios. Vielleicht ist es auch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Herr Laumann, Sie verknüpfen in Ihrer Pressemitteilung das Thema mit einem zweiten Thema, um die Vermutung einer organisierten Spaltung des Landes zu untermauern.

Herr Minister Groschek hatte der Stadt Düsseldorf in der WDR-Lokalzeit und gegenüber der Presse Luxusghettoisierung vorgeworfen. Ich weiß nicht, ob er das Wort selbst überhaupt verwendet hat. – Er ist leider gerade nicht da.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Fakt ist, in Düsseldorf entstehen so gut wie keine Sozialwohnungen. Der Anteil an geförderten Mietwohnungen in Düsseldorf ist von 20,5 % im Jahr 1990 auf 6,8 % im Jahr 2010 gefallen. In den kommenden zehn Jahren enden bei weiteren 3.641 Sozialwohnungen die Mietpreis- und Belegungsbindung.

Eine breite Öffentlichkeit in Düsseldorf sowie die Düsseldorfer Piraten haben Herrn Groscheks Hinweis erfreut zur Kenntnis genommen, warten wir doch in Düsseldorf darauf, dass sich das Land um das Problem kümmert. Wenn Düsseldorf wächst, finanziell Schwächeren jedoch keinen Wohnraum bietet, sondern diese in umliegende Städte verweist, also Verantwortung verlagert, dann ist das kein Eingriff in die Planungshoheit, wenn sich der Herr Bauminister einmischt. Ich hoffe, Herr Groschek hört es nachher noch. Beim Areal Ulmer Höh hat er eine direkte Möglichkeit dazu.

Das war jetzt ein kleiner Exkurs, der eigentlich gar nicht zu der Aktuellen Stunde passt. Die CDU hat in ihrer Pressemitteilung aber genau diesen Zusammenhang hergestellt, um zu beweisen, dass eine organisierte Spaltung des Landes vorliegt. Das waren also die beiden Beweisstücke.

Ich fand das alles sehr lustig. Ich habe mich ein bisschen damit auseinandergesetzt. Herr Rohwedder wird Ihnen gleich noch sagen, wie die Wahl ausging. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Remmel das Wort. Bitte schön.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Vorfeld der Debatte habe ich mich angesichts des Antrags der CDU-Fraktion die ganze Zeit gefragt, ob man nun lachen oder weinen soll.

Weinen auf der einen Seite, weil es sicherlich mehr als 100 gute Gründe gäbe, hier im Parlament im Rahmen einer Aktuellen Stunde oder sonstiger Debatten über die Notwendigkeit der Stärkung unserer NRW-Stiftung zu reden – über die vielfältigen guten Leistungen und über die Anforderungen und Herausforderungen, die in Zukunft auf diese Stiftung zukommen. Es gäbe also wirklich viel bessere Gründe, um über die Zukunft der Stiftung zu reden.

(Zurufe von der CDU)

Lachen auf der anderen Seite, weil der Antrag die Gelegenheit dazu gibt, auf den Kern und die Aufgabe der Stiftung aufmerksam zu machen. Ich möchte aus der Satzung zitieren, was eigentlich Aufgabe der Stiftung ist:

„Die Stiftung hat die Aufgabe, dazu beizutragen, dass unter Natur- und Landschaftsschutz stehende oder dafür geeignete Flächen, Naturdenkmäler, Baudenkmäler, Bodendenkmäler und bewegliche Denkmäler sowie Kulturgüter, die für die Schönheit, Vielfalt und Geschichte des Landes und das Heimatgefühl und Landesbewusstsein seiner Bürger Bedeutung haben, erhalten, gepflegt und für die Bürger erfahrbar gemacht werden.“

Das ist ein großartiger Stiftungszweck, wie ich finde. Er verdient unsere uneingeschränkte Unterstützung und Förderung.

Zur Umsetzung dieses Zweckes kommt es entscheidend auf die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an. Deshalb heißt es in der Satzung weiter:

„Sie soll die Bereitschaft von Bürgern und Gruppen zur Mitarbeit an dieser Aufgabe wecken und fördern.“

Es ist von Bürgerinnen und Bürgern die Rede, bewusst nicht im kleinen Karo von Rheinländerinnen, Westfälinnen, Lipperinnen oder Münsterländerinnen. Die Stiftung und die Satzung sind weiter als das kleine Karo, das heute in der Debatte eine Rolle spielt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Stiftung setzt eben auf Erfahrung, Kompetenz und Engagement, auf die Handschrift derer, die für die Stiftung arbeiten und diese Stiftung mit Leben füllen. Sie setzt auf Qualität, auf Förderung der empfohlenen Projekte und auf eine ordentliche regionale Verteilung.

Wenn man schon kleines Karo betreibt, dann lassen Sie uns die Zahlen auf den Tisch legen. Was ist in der Stiftung bisher wie gelaufen? Ein paar Zahlen dazu will ich Ihnen nennen.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])

Von 1986 bis 2011 sind 226 Millionen € vergeben und 2.450 Projekte gefördert worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ich will Ihnen auch die Verteilung nennen. Von den 2.450 Projekten sind 1.191 im Rheinland gefördert worden und 1.259 Projekte in Westfalen. Es waren also 64 Projekte mehr in Westfalen.

An Geldmitteln flossen in 2011 1,8 Millionen € ins Rheinland und 4 Millionen € – also 2,2 Millionen € mehr – nach Westfalen. In 2012 flossen bisher 700.000 € ins Rheinland und 2,3 Millionen € – also 1,7 Millionen € mehr – nach Westfalen. Während der gesamten Zeit der Stiftung hat das Rheinland mit 49 % an der Gesamtförderung teilgenommen und Westfalen mit 51 %, also 2 % mehr als im Rheinland.

(Zurufe von Karl-Josef Laumann [CDU])

So können wir weitermachen. Von den fünf Stiftungspräsidenten waren bisher drei Westfalen und zwei Rheinländer. Die Ehrenpräsidenten: drei Westfalen, null Rheinländer. – Ich erspare mir jetzt den Hinweis auf weitere Zusammensetzungen, aber eine Zahl sei mir noch gestattet. Der Förderverein der NRW-Stiftung vergibt bekanntlich den sogenannten Wegweiserpreis. Hier werden gute Ideen honoriert. Elf Wegweiserpreise sind bisher vergeben worden, davon drei ins Rheinland und acht nach Westfalen.

Ich könnte an dieser Stelle weitermachen, einschließlich der Tatsache, dass die Ministerpräsidentin vorgeschlagen hat, mit Herrn Uhlenberg und meinem ehemaligen Kollegen Herrn Kuschke noch zwei weitere Westfalen in den Stiftungsrat aufzunehmen. Wenn ich erwähne, dass die ehemaligen Ehrenpräsidenten an den Vorstandssitzungen teilnehmen, dann sind das mit Herrn Kniola und Herrn Borchert auch Westfalen.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])

Die Perspektive, dass auch zukünftig westfälische Interessen in der Stiftung gut vertreten sind, ist umfassend vorhanden.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Mir wäre allerdings eher daran gelegen, würden wir über die Herausforderungen für die Stiftung und ihre Aufgaben diskutieren. Dann nämlich sind wir bei der Frage, wie wir unser Naturerbe bewahren. Bei den vom Aussterben bedrohten Pflanzen und Tieren – das sind immerhin 45 % in Nordrhein-Westfalen – wird nicht zwischen westfälischen und rheinischen Pflanzen und Tieren unterschieden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und wenn wir bei der Frage sind, wie wir das Heimatgefühl stärken, auch gerade in einer jungen Generation – denn ohne Heimat, ohne zu wissen, wo man herkommt, kann man auch die Herausforderungen der Zukunft nicht bewältigen und keine neuen Ideen angehen –, dann kommt es eben auch nicht darauf an, ob wir Rheinländer oder Westfalen sind. Wir haben eine Heimat, die heißt Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich denke, das ist die Entwicklung, die wir anstoßen sollten.

Der letzte Punkt betrifft die Frage, wie wir unsere Kulturlandschaft erhalten. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft unterscheidet sich auch nicht nach westfälisch oder rheinisch. Wir haben überall diesen Strukturwandel, und wir brauchen Kulturlandschaft, um uns heimisch und heimatlich zu fühlen. Auch deshalb sollten wir diese Barrieren und Grenzen nicht aufbauen.

Ich habe also die herzliche Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam an den Zukunftsaufgaben und an den Herausforderungen arbeiten! Ich fände es wirklich angemessen, wenn zukünftig in vielen Ausschüssen des Landtags die Förderpolitik und die Politik der Stiftung insgesamt thematisiert würden, aber wir uns nicht in kleinem Karo hier jeweils etwas vorrechneten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Als nächstem Redner erteile ich für die CDU-Fraktion ihrem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Laumann, das Wort.

Karl-Josef Laumann (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einmal erwähnen, dass wir über den Vorstand einer Stiftung sprechen, die in diesem Land den Auftrag hat, den Naturschutz, den Denkmalschutz und die Heimatpflege zu fördern. Alle drei Themen spielen natürlich in den Regionen eine Rolle. Daran besteht kein Zweifel: Heimatpflege zum Beispiel ist immer eine regionale Angelegenheit.

Zweitens. Wir reden über eine Stiftung, deren Vorstand – und das ist die übliche Praxis, die ich auch gar nicht kritisiere – von der Ministerpräsidentin oder dem Ministerpräsidenten, das heißt: nach Vorbereitung in der Staatskanzlei, vorgeschlagen wird.

Ich finde, wenn man dann fünf Menschen für eine solche Stiftung vorschlägt, aber keinen einzigen Repräsentanten der Heimatpflege, der Denkmalpflege oder des Naturschutzes aus Westfalen bedenkt, dann ist es schon in Ordnung, dass man das nicht so laufen lässt, sondern thematisiert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich hätte es im Übrigen genauso thematisiert, wenn es umgekehrt gewesen wäre,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das glaube ich nicht!)

weil es darum geht, mit einer Stiftung vor allen Dingen dem ehrenamtlichen Naturschutz, dem ehrenamtlichen Denkmalschutz und der ehrenamtlichen Heimatpflege Impulse zu geben. Da ist es eben wichtig, dass sich dort auch die regionalen Identitäten wiederfinden.

Ich bin ganz zufrieden damit, wie die Debatte darüber in der letzten Woche und heute gelaufen ist. Niemand von der SPD, den Grünen und aus der Staatskanzlei würde es vermutlich zugeben, aber ich bin ganz sicher, dass man es heute nicht noch einmal genauso machen würde.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Ich bin damit zufrieden, dass für diese Frage sensibilisiert worden ist. Das ist im Übrigen auch der Auftrag, den eine Oppositionsfraktion hat.

Der Unterschied zwischen der Stiftung Wohlfahrtspflege und dieser Stiftung ist: Die Mitglieder, die die Stiftung Wohlfahrtspflege als Parlamentsstiftung im Stiftungsrat verantworten, werden von den einzelnen Fraktionen benannt. Da entscheidet jede Fraktion, wen sie in den Stiftungsrat schickt. Bei der NRW-Stiftung hingegen fällt die Entscheidung gebündelt einer Stelle zu, und diese sollte dann schon auf Proporz achten. Der Proporz bei der Stiftung Wohlfahrtspflege beruht demgegenüber auf einer Fraktionsentscheidung, bei der man nicht an die Heimatorte der Benannten denkt.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Außerdem, rein nachrichtlich: Die Mitglieder der Stiftung Wohlfahrtspflege wohnen in Bielefeld, in Münster, in Essen, in Köln und in Hagen. Da haben wir per Zufall auch eine Mischung quer durchs Land hinbekommen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aber nicht durch Ihr Zutun!)

Ich will Ihnen auch heute sagen: Unterschätzen Sie nicht, wie dieses Thema in den jeweiligen Verbänden diskutiert wird.

(Werner Jostmeier [CDU]: Ganz genau!)

Unterschätzen Sie nicht, wie wichtig – weil die Stiftung bislang auch eine wirklich gute Arbeit gemacht hat – diese Stiftung für diese Verbände ist.

Ich will heute nur den Wunsch äußern, dass man dann, wenn sich wieder einmal Spielräume in diesem Bereich ergeben, daran denkt, diese Spielräume vielleicht so zu nutzen, dass dieses Gerede über die Stiftung aufhört.

(Beifall von der CDU)

Dann ist, finde ich, sehr viel erreicht.

Wenn hier so viel über Sachkompetenz geredet wird – das möchte ich am Ende bescheiden anfügen –: Bei 8 Millionen Menschen, die in Westfalen leben, hätte man bestimmt auch einen finden können, der den Sachverstand hat, in einem solchen Stiftungsvorstand mitzuarbeiten,

(Beifall von der CDU)

zumal es um regionale Fragen geht. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Laumann. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Körfges. Bitte schön.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Laumann, erster Ratschlag an Ihre Adresse: Wenn Sie wollen, dass das Gerede über die NRW-Stiftung aufhört, machen Sie doch einfach Schluss damit!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der CDU)

Ich habe gerade in den doch sehr relativierenden Äußerungen – Kollege Kaiser hatte da noch eine größere Hausnummer im Angebot: Skandal – gewisse Tendenzen zum Rückzug erkennen können. Wir nehmen dankbar zur Kenntnis, dass Ihnen offensichtlich zwischenzeitlich klar geworden ist, dass die Kampagne, die Sie hier versuchen, um über den Spaltpilz in Nordrhein-Westfalen eigene mangelnde politische Kompetenz zu übertünchen, nicht fruchtet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Zu Recht hat der Minister auf die Arbeit der Stiftung hingewiesen. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Grundlagen für die Arbeit dieser Stiftung – ich halte es einmal hoch – in der Satzung der NRW-Stiftung geregelt sind. Der letzte Stand der Satzung ist der 17. September 2007 – der Zeitpunkt, zu dem sie überarbeitet worden ist. Für alle diejenigen, die im Zurückrechnen nicht so fit sind, erkläre ich, zu welchem Zeitpunkt diese Satzung überarbeitet worden ist: zu einem Zeitpunkt, als leider für kurze Zeit Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und Grüne keine Mehrheit in diesem Hause hatten und Sie das maßgeblich bestimmt haben.

In dieser Satzung ist – ich finde, sehr weise – eine Hierarchie der einzelnen Organe der NRW-Stiftung aufgestellt worden. Nicht ohne Grund steht in § 3 ff. dieser Satzung als Erstes der Stiftungsrat mit wesentlichen Kompetenzen und mit wesentlichen fachlichen Zuordnungen. Das stellt sicher – davon bin ich fest überzeugt, und ich habe unabhängig von deren parteipolitischer Zugehörigkeit hohes Vertrauen in alle Mitglieder dieses Stiftungsrats –, dass im Interesse des gesamten Landes gute Arbeit geleistet wird. Dem sollten Sie auch vertrauen. Immerhin gehören dem Stiftungsrat viele Christdemokratinnen und Christdemokraten an.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Darüber hinaus fragt man sich natürlich, was Sie bewogen haben mag – ein politischer Erfolg kann es nach dem, was wir bis jetzt erlebt haben, schon nicht mehr werden –, eine solche Debatte vom Zaun zu brechen.

Ich gebe offen zu, ich rede hier als Rheinländer über ein Thema, das offensichtlich den westfälischen Teil der CDU besonders betrifft. Es ist ja mit einer gewissen Anerkennung zu vermerken, dass Sie festgestellt haben, dass die Kollegen Bernhard Daldrup und André Stinka die authentischen Stimmen aus Westfalen sind. Das können wir nur unterstreichen. Sie sind in der Bevölkerung beliebt und hoch anerkannt.

(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie scheinen aber persönlich ein erhebliches Problem mit Rheinländern zu haben. Das kann durchaus an der jüngeren Vergangenheit liegen. Aber ich darf Ihnen versichern: Wir sind nicht alle so wie die Herren Röttgen und Laschet.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bezogen auf Zuverlässigkeit will ich jetzt einmal ein kleines Highlight des heutigen Tages in den Blick rücken. Aufgrund Ihres Antrags debattieren wir heute im Rahmen der Aktuellen Stunde über ein Thema, das ganz offensichtlich die CDU und die Welt bewegt, und wer unentschuldigt nicht anwesend ist, das ist der Vorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen. Der befindet sich nämlich, wie man der Zeitung entnehmen kann, auf einer Reise, um Wirtschaftskompetenz in Nordrhein-Westfalen zu erlangen. Das zeigt, wie ernst das Thema in Ihren eigenen Reihen genommen wird, nämlich ganz offensichtlich überhaupt nicht.

Meine Damen und Herren, ich will deutlich machen, dass wir die Vermutung unterstreichen können, die eben der Kollege von den Grünen geäußert hat, dass es Ihnen nämlich um etwas ganz anderes geht. Ich bin Herrn Abruszat sehr dankbar dafür, dass er Johannes Rau zitiert hat. Einer der Leitgedanken von Johannes Rau war: versöhnen statt spalten. Wir erkennen zum wiederholten Mal – auch hier und heute – in Ihren politischen Ansätzen eine Tendenz, die genau das Umgekehrte beinhaltet,

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Sie spalten doch!)

und zwar den Versuch, aus eigenen parteipolitischen Interessen heraus den Spaltpilz in unser Land zu treiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich mache das jetzt mal über den hier in Rede stehenden Tagesordnungspunkt hinaus an zwei anderen Dingen, die ganz offensichtlich auch Ihr verehrter Fraktionsvorsitzender im Münsterland immer intensiv betreibt, klar.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Si tacuisses!)

Die CDU eröffnet eine Auseinandersetzung Stadt gegen Land, festgemacht zum Beispiel an den Regelungen des GFG. Die CDU versucht, große und kleine Kommunen gegeneinander auszuspielen, und Sie versuchen jetzt, einen Konflikt, den es in Nordrhein-Westfalen allenfalls noch in kabarettistischen Beiträgen gibt, nämlich den Konflikt zwischen dem Rheinland und Westfalen, zum politischen Leitmotiv zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist aber kein Kabarett, sondern so, wie Sie das hier aufführen, ist das Realsatire.

Ich weise an dieser Stelle ausdrücklich die Vermutung zurück, dass es hier um eine Benachteiligung einer Region, eines Teils unseres Landes geht. Im Gegenteil! Wir sollten nichts tun, das das Vertrauen in die inhaltliche, fachliche und auch moralische Kompetenz derjenigen untergräbt, die wir in Verantwortung in solche Gremien entsenden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

NRW ist ein selbstbewusstes Land mit starken Regionen. Der Zusammenhalt in diesem Land ist Markenzeichen unseres Landes geworden. Das drückt sich auch und gerade in der Arbeit unserer Stiftungen aus.

Verehrter Kollege Laumann, ich bin bezogen auf die Stiftung Wohlfahrtspflege bei Ihnen genauso wie bei Günter Garbrecht sicher, dass auch da die Belange aller Landesteile, obwohl zufällig zwei Westfalen an der Spitze dieser Stiftung stehen, gleichberechtigt berücksichtigt werden. Insoweit erlaube ich mir allerdings anzumerken, dass Ihre Zweifel daran, dass in der NRW-Stiftung vergleichbar vorgegangen wird, nichts anderes sind als billiger politischer Klamauk. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herrn Kollege Körfges. – Als nächstem Redner erteile ich für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Höne das Wort.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Körfges, dafür, dass das für Sie hier alles eine Petitesse ist, haben Sie sich aber ganz schön ausführlich damit beschäftigt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch ich habe mich ein bisschen gewundert – mehrere Vorredner haben ebenfalls darauf hingewiesen –, dass man ein solches Thema zum Anlass für eine Aktuelle Stunde nutzt. Wie der Kollege Laumann bin auch ich überzeugter Westfale und Münsterländer. Sie haben ja schon im Vorfeld dieser Debatte Ihren Namen in allen Zeitungen lesen können und Ihre Sorge über das komplette Vergessen eines Landesteils zum Ausdruck gebracht. Ich finde – das gilt auch für den Kollegen Kaiser –, das wäre auch mit ein bisschen weniger Pathos gegangen.

Gerade als Neuling in diesem Hause glaube ich – auch das ist eben schon angeklungen –, dass es durchaus wichtigere Themen gibt als die, mit denen wir uns jetzt für eine gute Stunde beschäftigen. Der Landeshaushalt, über den wir heute schon gesprochen haben, die finanzielle Situation der Kommunen – auch sie wurde thematisiert –, der Ausbau der U3-Betreuung usw. –: Das sind eigentlich die drängenden Probleme in diesem Land, auf die die Menschen von der Politik völlig zu Recht Antworten erwarten. Ich meine, denen sollten wir etwas mehr Aufmerksamkeit schenken.

Auch wenn man dieses Thema – jedenfalls meiner Meinung nach – nicht unbedingt für eine Aktuelle Stunde nutzen muss, ist es doch so, dass die Personalentscheidungen, die hier gefällt wurden, die Menschen bewegen. Es ist sicherlich richtig, dass ein gewisses Heimatempfinden und der Wille, repräsentiert zu werden – rein subjektiv; das ist nicht messbar; das ist eine emotionale Angelegenheit –, auch in dieser Debatte deutlich geworden sind.

Dabei haben Sie, Herr Kollege Rüße, hier so getan, als gäbe es nirgendwo sonst ein solches Regionalgefühl. Vor wenigen Wochen haben Sie in der „Westfalenpost“ im Zusammenhang mit den Vorstandswahlen Ihrer Fraktion allerdings noch zum Ausdruck gebracht – ich zitiere –: „Die meisten Abgeordneten kommen aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet. Und so sieht der Vorstand auch aus.“ Es ist also nicht so, als stände das bei Ihnen nirgendwo zur Debatte.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dass es ein besonderes westfälisches Identitätsempfinden gibt, wird durch eines deutlich, nämlich dadurch, dass es eine Stiftung Westfalen-Initiative gibt. Diese Initiative macht sich – ich zitiere – „die Schärfung der Identität und die Stärkung der Eigeninitiative der Westfalen zur Aufgabe“.

Nachdem ich mit meinem Kollegen Kai Abruszat eine Kleine Anfrage zur Besetzung des Stiftungsvorstands formuliert hatte – das war der Level, auf dem wir das Thema behandelt haben –, habe ich darüber auch mit dem Vorsitzenden der Westfalen-Initiative, Herrn Hölker, gesprochen und ihn darüber informiert. Umgehend kam die Rückmeldung, dass das auch in seinem Umfeld wahrgenommen worden sei und dass er und seine Mitstreiter in der Stiftung diesen Vorgang insgesamt als Unding empfänden. Auch das zeigt noch einmal, dass das ein hochemotionales Thema ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Sommerpause habe ich als Parlamentsneuling damit begonnen, mich mit den Bürgermeistern, den Landräten und den Vertretern der Verbände in meiner Umgebung – im Wahlkreis und im Münsterland – zu treffen. Ich kann Ihnen sagen, nahezu jedes Gespräch endet mit ein und demselben Appell. Der lautet: Vertreten Sie uns gut in Düsseldorf, damit wir nicht vergessen werden!

Ich bin sicher, dass dies auch viele rheinländische Kollegen mal zu hören bekommen. Nichtsdestotrotz können wir feststellen, dass dieses Gefühl und die Angst, ins Hintertreffen zu geraten, vorhanden sind. Darauf müssen die Politiker eingehen. Das „wir“ meint nicht so sehr die Stadt Coesfeld oder die Gemeinde Reken, sondern die gesamte Region, in der viele Menschen das Gefühl haben, ein Stück weit vergessen zu werden. Dieses Gefühl wird durch eine solche Personalentscheidung verstärkt.

Die kurze Kernbotschaft dieser ganzen Debatte ist einfach: Ich hätte mir gewünscht, dass die Landesregierung etwas mehr Rücksicht auf genau dieses Empfinden nimmt. Damit kann man das eigentlich schon zusammenfassen.

(Zuruf von der SPD: Danke!)

Die NRW-Stiftung leistet einen wertvollen Beitrag zur Förderung von Brauchtum und Kultur in ganz NRW, und sie verfügt über eine enorme finanzielle Ausstattung. Darum finde ich es auch wichtig – Herr Minister Remmel hat es gerade ebenfalls angesprochen –, dass sich die Politik mit den Projekten insgesamt beschäftigt, und zwar inhaltlich, und nicht so sehr mit der Personalausstattung.

Ich gehe davon aus und vertraue darauf, dass der Stiftungsvorstand die weiteren Projekte jetzt qualifiziert und objektiv angeht und sich seiner Verantwortung für Nordrhein-Westfalen bewusst ist. Das ist unserer Meinung nach auch wichtig, um die Stärke des Landes, das aus den einzelnen Landesteilen zusammengefügt ist, zu ermöglichen und erhalten.

Johannes Rau hat gesagt – er ist schon vielfach zitiert worden –, dass die Stärke dieses Landes in den Eigenschaften der Menschen liegt: in der Zuverlässigkeit der Rheinländer, der Leichtfüßigkeit der Westfalen und der Großzügigkeit der Lipper. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Als nächstem Redner erteile ich für die Piratenfraktion Herrn Kollegen Rohwedder das Wort.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin durch die Ministerpräsidentin für die Piratenfraktion in den Stiftungsrat berufen worden, habe an dieser Sitzung teilgenommen und kann sagen, dass ich mich wundere und den Eindruck habe, dass die Saure-Gurken-Zeit für die CDU, da sie hier mit einer solchen Sache aufläuft, noch nicht vorbei ist.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Punkt 2 der Tagesordnung dieser Sitzung sah die Berufung weiterer Mitglieder vor. Es wurde der Kollege Uhlenberg mit in den Stiftungsrat berufen. Er war neben dem Kollegen Deppe – ich hatte das Vergnügen, während dieser Stiftungsratssitzung neben dem Kollegen Deppe sitzen zu dürfen – mindestens der zweite Christdemokrat dort. Ich weiß nicht, ob weitere Mitglieder des Stiftungsrates, die als Vertreter anderer Organisationen dort anwesend waren, ebenfalls CDU-Parteibücher in der Tasche hatten. Ich finde das auch nicht so relevant.

Auf jeden Fall waren genug Christdemokraten anwesend, um bei der Wahl des Vorstands ein Wort zu dem Punkt, den Sie jetzt kritisieren, zu sagen, nämlich dass nur Rheinländer vorgeschlagen und gewählt worden sind. Warum haben Sie denn da nichts gesagt?

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Sie hätten auch dagegen stimmen oder sich enthalten können. Aber die Wahlergebnisse waren einstimmig. Alle Wahlergebnisse waren einstimmig. Alle Beschlüsse wurden dort einstimmig gefasst. Daher wundere ich mich, dass Sie jetzt, hinterher, damit herauskommen.

Auch was die Bestellung von Stiftungsratsmitgliedern für Dringlichkeitsentscheidungen betrifft: Die vier bisherigen Mitglieder wurden bestätigt, und ein neues wurde gewählt. Von ihnen weiß ich noch nicht einmal, ob das Rheinländer oder Westfalen, Chinesen oder Araber waren. Ich habe keine Ahnung. Auch sie sind einstimmig benannt worden.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Ich selber bin etwas überrascht, dass hier gesagt wurde, es seien 14 – ich glaube, die Zahl 14 wurde genannt – Westfalen anwesend gewesen. Vielleicht ist das der Versuch, mich zu einem Westfalen zu machen, weil ich in Dortmund wohne. Ich kann Ihnen sagen, ich begrüße es zwar auf das Allerschärfste, dass so etwas versucht wird, bleibe aber, auch wenn ich im Landtag von Nordrhein-Westfalen sitze, Südschleswiger.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)

Nichtsdestotrotz werde ich tun, was ich kann, damit die Sitzungen des Stiftungsrates und die Arbeit der Stiftung zum Erfolg führen. Damit habe ich kein Problem. Ich halte die Herkunft nicht für ein entscheidendes Kriterium dafür, ob jemand im Stiftungsrat oder im Vorstand der Stiftung sitzt. Die Herkunft ist keine Qualifikation und auch keine Disqualifikation. Die Kompetenz kommt woandersher. – Danke, das war’s.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerpräsidentin Kraft. Sie haben das Wort.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Laumann, Sie haben richtig vermutet, dass ich nicht über regionale Dinge nachgedacht habe, als ich die Besetzung vorgeschlagen habe. Ich wäre allerdings auch davon ausgegangen, wenn es dort etwas zu diskutieren gegeben hätte, dass das in dem dazugehörigen Gremium, nämlich im Stiftungsrat, vorgebracht worden wäre. Wie der Kollege Rohwedder ja gerade beschrieben hat: Alle Vorschläge sind einstimmig durchgegangen, obwohl dort Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichsten Organisationen und auch der Fraktionen des Landtages mit dabei waren.

Insofern bin ich schon etwas überrascht über das, was daraus entstanden ist. Ich meine, Sie hätten auch nur einmal kurz anrufen können, ganz simpel. Bisher hatten wir auch in vielen Dingen kurze Wege.

Ich habe überhaupt kein Interesse daran, dass eine so wichtige Stiftung, die in der Tat im weitesten Sinne dafür verantwortlich ist, dass das Gemeinwesen in Nordrhein-Westfalen gestärkt wird, dass wir unsere gemeinsame Geschichte, unsere Heimat miteinander auch in Zukunft erhalten können, durch eine solche Diskussion überlagert oder belastet wird. Ich glaube, es hätte uns gut angestanden, wenn wir das auf anderem Wege geklärt hätten als in einer Aktuellen Stunde.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich habe übrigens – auch das darf ich an dieser Stelle einmal sagen – zwei zusätzliche Westfalen für den Stiftungsrat vorgeschlagen, nämlich den Kollegen Uhlenberg und unseren früheren Kollegen Kuschke. Auch das ist richtig. Ich habe auch nicht den ganzen Vorstand sozusagen neu vorgeschlagen, sondern dort gab es Ersatzerfordernisse. Herr Borchert ist von diesem Amt, das er jahrelang sehr erfolgreich innegehabt hat, zurückgetreten und ist jetzt Ehrenvorsitzender. Er wird auch in den entscheidenden Gremien weiterhin dabei sein, wie das bei der NRW-Stiftung auch bisher der Fall war.

Aber eines sage ich hier ganz deutlich: Regionale Identitäten sind ein Teil dieses Landes. Das habe ich gelernt. Als ich 2000 in den Landtag kam, ging es mir ungefähr so wie dem jungen Kollegen, von dem ich vorhin gehört habe, er würde das gar nicht nachvollziehen können, dass man sozusagen regionale Identitäten bei bestimmten Fragen in den Vordergrund stellt. Ich habe das auch gelernt und festgestellt, dass es an bestimmten Stellen auch sinnvoll ist.

In der Tat: Hier geht es um eine Stiftung, die in großem Umfang heimatverbundene Projekte definiert und entscheidet und auch darüber entscheidet, ob sie stattfinden oder nicht. Deshalb sage ich Ihnen hier und heute, weil „Heimat“ für mich ein ganz zentraler Begriff ist, weil ich ja sehr viel auch über den Zusammenhalt der Gesellschaft rede, gerade hier in unserem Land, dass wir das selbstverständlich zukünftig in den Blick nehmen. Wir haben vereinbart – Herr Rohwedder wird sich erinnern –, dass wir auch die Satzung überarbeiten wollen. Wenn uns das allen dann mehr Sicherheit gibt, habe ich auch nichts dagegen, das in der Satzung entsprechend zu ändern. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Meine Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Deshalb schließe ich die Aktuelle Stunde.

Ich eröffne die Beratung zum Tagesordnungspunkt

3   Transparenz schaffen – Aktuelles Steuerabkommen mit der Schweiz stoppen!

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/814

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/867

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/879

Ich eröffne die Beratung und erteile für die erste der beiden antragstellenden Fraktionen, für die SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Zimkeit das Wort. Bitte schön.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Ich helfe jetzt erst einmal dem Kollegen Mostofizadeh: Nach dem Ergebnis der Prüfung machen sich die Handelnden, wenn es zum Datenkauf kommt, nicht strafbar, und die gekauften Beweismittel sind in Strafverfahren verwertbar. Damit liegen die Voraussetzungen vor, um in den Besitz der Daten zu kommen.

So, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, der NRW-Finanzminister. Er fährt fort: Der Staat ist grundsätzlich verpflichtet, jedem Verdacht auf Steuerhinterziehung nachzugehen. Würde er dies nicht tun, wäre dies Strafvereitelung im Amt.

Dies hat von diesem Platz hier – noch von einem anderen Pult – der Landesfinanzminister Helmut Linssen am 4. Februar 2010 gesagt.

Ich finde, diese Einschätzung war richtig und nachvollziehbar. Ich finde es sehr gut und richtig, dass Norbert Walter-Borjans diese Linie konsequent weiterverfolgt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Da nach Medienberichten selbst die Schweiz Steuerdaten aus Liechtenstein kauft, sollten wir doch hinter diese Form der Verfolgung von Straftätern nicht zurückfallen.

SPD und Grüne wollen mit dem heute vorliegenden Antrag noch einmal unterstreichen, dass das Anliegen, Steuerhinterzieher konsequent zu verfolgen und Steuerflucht zu verhindern, nicht nur ein wichtiges Anliegen der Landesregierung ist, sondern dass die Landesregierung dabei die Unterstützung dieses Landtages hat.

Allerdings machen die Diskussionen der letzten Tage und die vorliegenden Entschließungsanträge leider deutlich, dass CDU, FDP und Piraten gemeinsam der Schutz des Steuergeheimnisses in der Schweiz wichtiger ist als die Verfolgung von Steuerflüchtlingen aus Deutschland. Bei der FDP geht dies so weit, dass die Bundesjustizministerin in aller Eile ein Gesetz zum Schutz von Daten von Steuerflüchtlingen auf den Weg bringen will. Allerdings war dies ihrer Partei so peinlich, dass sie diesen Vorschlag schon wieder zurückgezogen hat.

Bemerkenswert ist allerdings, dass die Piratenpartei in diesem Hause diesen Vorschlag jetzt wieder aufgreift und sozusagen versucht, neoliberaler zu sein als die FDP.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Ich glaube, wir haben hier bei der Sitzordnung in diesem Haus einen Fehler gemacht. Die Piraten sollten vielleicht in ihrer Mehrheit nicht dort sitzen, sondern hier rechts auf dieser Seite.

(Zurufe von den PIRATEN)

Ein Fortschritt ist allerdings, dass die Piratenpartei sich mittlerweile parlamentarisch mit diesem Thema auseinandersetzen will und sich nicht weiter hinter Strafanzeigen versteckt. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, für wie absurd ich es halte, diese politische Auseinandersetzung hier im Hause juristisch zu verfolgen. Ich will noch deutlicher sagen: Ich halte es für unerträglich, zu versuchen, den Finanzminister zu kriminalisieren und damit Kriminelle zu schützen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das war nicht die Partei!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stamp zulassen?

Stefan Zimkeit*) (SPD): Ja.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Kollege, könnten Sie uns – weil der Begriff hier immer in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen fällt – kurz skizzieren, was Sie unter dem Begriff „neoliberal“ verstehen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Stefan Zimkeit*) (SPD): Wie viel Redezeit kann ich dafür in Anspruch nehmen? – Ich mache es einmal platt und verkürzt: Für mich gehört zum Neoliberalen dazu, dass man die Interessen von Vermögenden, die ihre Steuern hinterziehen, höher anrechnet als das Gemeinwohl in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was die CDU in dieser Frage angeht, so wechselt sie – wie in vielen Szenen – ständig ihre Positionen. Was unter Finanzminister Linssen richtig war, ist jetzt plötzlich unter Finanzminister Walter-Borjans falsch. Bei der CDU war hier gestern von einer Null-Toleranz-Politik die Rede. Bei Finanzangelegenheit scheint diese Null-Toleranz-Politik aber nur gegenüber Hartz-IV-Empfängern zu gelten, die jeden Cent nachweisen müssen, und nicht gegenüber Millionären, die ihr Geld ins Ausland schaffen.

Ich bin der Auffassung, wir müssen das vorliegende Steuerabkommen verhindern. Dieses Abkommen ist ungerecht, weil es Steuerflüchtlinge schützt. Es stellt Steuerflüchtlinge finanziell besser als ehrliche Steuerzahler. Es lässt Steuerbetrüger in der Anonymität, und es erschwert die Arbeit unserer Steuerfahnder. Deswegen muss dieses Steuerabkommen verhindert werden, und es muss ein besseres Steuerabkommen erarbeitet werden.

Die USA haben gezeigt, dass das möglich ist. Manchmal ist es vielleicht auch gut, mit der Kavallerie zu drohen; denn die USA haben den notwendigen Druck entwickelt, ein Steuerabkommen hinzubekommen, das sich an den Interessen der ehrlichen Steuerzahler orientiert. Ich frage mich: Warum war die Bundesregierung dazu nicht in der Lage?

In diesem Zusammenhang will ich noch auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Es geht nicht nur um die Frage der Steuerhinterziehung. Dies ist in diesem Zusammenhang schlimm genug. Bei dem in der Schweiz lagernden Geld geht es mutmaßlich auch um Schwarzgeld. Wir haben es hier nicht „nur“ – in Anführungsstrichen – mit der Bekämpfung von Steuerflüchtlingen zu tun, sondern auch mit der Bekämpfung von Geldwäsche. Deswegen muss jedes Abkommen verhindert werden, das dazu führt, die Arbeit unserer Steuerfahnder zu erschweren, und das auf dem Rücken der ehrlichen Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen ausgetragen wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich dem Herrn Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor etwa einem Jahr schon einmal über dieses Steuerabkommen diskutiert. Damals hatten wir noch eine andere Situation. Das Verfahren war im Gange. Man hatte möglicherweise noch die Hoffnung, dass etwas verändert werden könnte. Jetzt ist es so, dass der Bundesfinanzminister es unterschrieben hat. Es liegt zur Genehmigung im Bundesrat vor. Veränderungen sind aus meiner Sicht in diesem Verfahren so nicht mehr möglich. Deswegen gibt es nur die Frage hopp oder top. Stimmt man diesem Abkommen zu, oder lehnt man es ab? Genau, wie Herr Zimkeit es vorgetragen hat, können wir für unsere Fraktion nur sagen: Wir können dieses Steuerabkommen nur ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will ganz kurz drei Punkte anführen. Der Finanzminister hat gestern schon auf die Frage der Selbstanzeigen im Rahmen von Datenkauf und Steuer-CDs hingewiesen. 2008 wurde hier im Landtag mit Unterstützung von CDU und FDP die erste Steuer-CD gekauft. Die Begründung hat Herr Zimkeit eben vorgelesen. Es ist schon ziemlich merkwürdig, um es einmal vorsichtig auszudrücken, wie Sie jetzt in Ihrem Antrag versuchen, zu beschreiben, dass ein Mal kein Mal ist. Also entweder gibt es eine vergleichbare Rechtslage – dann gilt sie immer, ist auch nicht austauschbar oder veränderbar –, oder sie gilt nicht. Ihr Rechtsempfinden und Ihre Rechtsauslegung sind in dem Zusammenhang, gelinde gesagt, zumindest merkwürdig.

Aber sehen wir uns das Abkommen an. Was passiert, wenn dieses Abkommen tatsächlich ratifiziert, wenn es Gesetz wird? Man dürfte nur noch 500 Nachprüfungsanträge pro Jahr für ganz Deutschland stellen. Das ist weniger als ein Fall pro Finanzamt. Wir haben ungefähr 550 Festsetzungsfinanzämter. In der Zeit seit 2008 – als die großen Diskussionen über die Steuerhinterziehung stattfanden – gab es allein 26.000 Selbstanzeigen in Deutschland. Diese Zahl kann der Finanzminister vielleicht noch besser belegen. Sie geht immer dann in die Höhe, wenn es darüber eine öffentliche Diskussion gibt: Ist der Verhandlungsdruck groß, oder ist er klein? Kann man sich über die Zeit retten oder nicht?

Es befinden sich nach Schätzungen der Deutschen Steuergewerkschaft zwischen 100 und 150 Milliarden € unversteuertes Geld in der Schweiz.

Wenn man dafür einen normalen Ertragssatz nimmt, würden wir allein daraus, wenn es ordentlich versteuert würde, mindestens 2 bis 3 Milliarden € pro Jahr an Steuern einnehmen. Die Schweiz garantiert uns einmal für zehn Jahre rückwirkend 1,8 Milliarden €. Es ist nicht einmal ein gutes Geschäft, was da gemacht wird. Was aber, wenn man nach vorne sieht, viel wichtiger ist: Es ist eine Katastrophe für diejenigen, die Steuerfahndung betreiben wollen und die für Steuergerechtigkeit in unserem Land sorgen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielleicht noch einige Bemerkungen zum Antrag von CDU und FDP. Zunächst einmal geht es um die Geschmackslosigkeit, die ich vorhin schon angesprochen habe. Den Finanzminister sozusagen in den Geruch zu bringen, er habe Mitschuld an dem Selbstmord eines inhaftierten Häftlings, finde ich, gelinde gesagt, unerträglich. Dies ist ein unerträglicher Unsinn, den Sie in den Antrag hineingeschrieben haben.

Zweitens behaupten Sie, es sei die populistische Emotion einiger Politiker. Nein, meine Damen und Herren, es geht um Steuergerechtigkeit in Deutschland. Es geht nicht darum, hier Populismus auszutreiben. Das ist pure Ideologie, die von Ihrer Seite aus hier betrieben wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie behaupten, es würde ein staatlich garantierter Absatzmarkt für Hehlerei geschaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn zuerst da? Die Steuerhinterziehung oder der Absatzmarkt für Daten? Wenn es keine Steuerhinterziehung gäbe, müssten wir nicht auf diesem Wege dafür sorgen, überhaupt an Daten zu kommen.

Eines muss man doch auch einmal zur Versachlichung sagen: Keine dieser Daten, die auf einer CD sind, werden unmittelbar verwendet. Die Steuerbehörden – sowohl die Ermittlungsbehörden als auch die Fahndungsbehörden – machen eigene Anstrengungen und führen eigene Ermittlungsverfahren durch. Sie tragen diese dann vor, um in Gerichtsverfahren oder in anderen Prozessen sozusagen Strafbefehle oder anderes zu erwirken.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, tun doch so, als wenn unmittelbar darauf ermittelt worden wäre. Sie erzeugen ein falsches Bild. Sie missachten die Rechtslage und schmeißen mit Ideologie nur so um sich. Das ist unerträglich und der Sache nicht angemessen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulz von der Fraktion der Piraten zulassen?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Wenn Sie die Zeit anhalten, ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wie Sie wissen, wird Ihnen die Zeit nicht angerechnet.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Aber die Uhr läuft durch.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Davon sollten Sie sich nicht irritieren lassen, Herr Kollege.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Bitte schön .

Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Kollege Mostofizadeh, eine kurze Frage zwischendurch: Sie sprachen eben an, dass die Schweiz nur 2 Milliarden zahlt und wir ohne das Abkommen 1,8 Milliarden bekämen.

Egal, welche Steuerforderung von der Schätzung her im Raum steht: Wie wollen Sie bis zum nächsten Datenankauf die Verjährung von Millionen und Abermillionen Steuerschulden unterbrechen?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege, danke für die Frage. – Wenn man mit dem Teufel den Beelzebub austreiben möchte, kann man so fragen und das insinuieren, was Sie vorhaben.

Ich könnte es mir leicht machen und sagen: Dieser faule Bundesfinanzminister hätte doch schon vor vielen Jahren ein anderes Steuerabkommen mit der Schweiz abschließen können, das das Gebot der Transparenz gebietet, das umsetzt, was die Amerikaner …

(Zuruf von der FDP)

– Antworte ich oder Sie? Wenn das die gleiche Qualität hat wie das amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz, hätten wir die Probleme nicht. Dann müssten wir keine Daten kaufen, keine CDs anlegen.

Das aber ist nicht der Fall. Die Schweiz wäre schön blöd, später ein Abkommen abzuschließen, das aus ihrer Sicht eine mindere Qualität hätte, also zum Beispiel für mehr Transparenz sorgen würde.

Im Übrigen hat jede Steuerzahlerin und jeder Steuerzahler, der in Deutschland abhängig beschäftigt ist, sein Einkommen nachzuweisen und dem Finanzamt gegenüber nachprüfbar zu machen. Auch unsere Bezüge werden den Steuerbehörden gemeldet; da kann man nicht tricksen. Jeder Euro ist bereits bekannt.

Nur: Sie wollen jetzt dafür sorgen, dass das für Vermögende und diejenigen, die es ins Ausland transferieren, nicht gilt, also schon bei der Datenerfassung Unterschiede zwischen den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland gemacht werden. Das halten wir schlichtweg nicht für angemessen.

Insofern kann ich Ihnen sagen: Das ist ein sehr misslicher Umstand. Den hätte ich gerne anders. Das ist überhaupt keine Frage. Die Verjährung zu verhindern, liegt möglicherweise nicht in meiner Macht. Klar ist aber auch: Wenn wir uns dem Abkommen anschließen, haben wir für alle Ewigkeiten die Chance verspielt, mit der Schweiz ein Abkommen zu bekommen, das der Rechtsstaatlichkeit Genüge tut.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Im Prinzip wollen die Piraten gar nichts! Die wollen so weitermachen! – Lachen von den PIRATEN)

Ich komme zum Schluss meines Beitrags: Nicht der Finanzminister bewegt sich in einem bedenklichen Graubereich, sondern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie machen nicht deutlich, wohin die Reise gehen soll. Sie lassen sich mit einem Linsengericht abspeisen, und was noch viel schlimmer ist: Sie wollen unseren Steuerbehörden verwehren, auf der Basis vernünftiger Daten und Transparenz ermitteln zu können. Damit meine ich nicht die Daten auf den CDs, sondern die Daten, die die Vereinigten Staaten gegenüber der Schweiz erstritten haben und die nach EU-Richtlinie europäischer Standard sein und EU-weit durchgesetzt werden sollten. Dem verweigern Sie sich. Das wollen Sie hier durchsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Dr. Optendrenk das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich: Seit Monaten trägt der Finanzminister des Landes die Rolle des Wahrers von Recht, Gesetz und Moral wie eine Monstranz vor sich her. Ich gebe zu: Diese Rolle spielen Sie gut! Die Inszenierung läuft immer nach dem gleichen Schema ab: Auf der einen Seite stehen die Bösen, und auf der anderen Seite stehen Sie.

Wer versucht, darauf hinzuweisen, dass es in der Politik wie im richtigen Leben nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern viele Schattierungen, der wird sofort als Unterstützer des Bösen identifiziert, möglicherweise sogar als Unterstützer von Steuerhinterziehern.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, man kann diese Rolle sicherlich noch eine ganze Weile durchhalten. Aber ich glaube, sie ist weder Ihrem Amt als Finanzminister des größten Bundeslandes angemessen noch ist sie in der Sache richtig.

(Beifall von der CDU)

Ich bin sicher, dass wir in diesem Hohen Hause niemanden finden, der nicht den Satz unterschreibt: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sie muss daher vom Staat verfolgt und bestraft werden.

(Beifall von der CDU)

Denn der Steuerhinterzieher verhält sich nicht nur gesetzeswidrig, sondern auch unsolidarisch.

(Zuruf von der SPD: Aber!)

Aber

(Zurufe von SPD und GRÜNEN: Oh!)

es ist schon bemerkenswert, welche Risiken und Nebenwirkungen Sie, Herr Minister, nicht nur in Kauf nehmen, sondern geradezu mit direktem Vorsatz herbeiführen, wenn es um die Art und Weise geht, wie man das denn umsetzt.

Das beginnt durchaus auch mit der Verschärfung des Klimas hier in der Sommerpause in Bezug auf andere Fraktionen des Hauses, sie seien quasi die Partei der Steuerhinterzieher. Das geht mit Ihrem Verhalten auch gegenüber dem Bund weiter. In einem Bundesstaat darf sich ein Land seiner Pflicht zur Bundestreue nicht entziehen.

(Beifall von der CDU – Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Wo sind Sie denn jetzt?)

Das gilt für alle Bundesländer. Außenpolitik ist Sache des Bundes, nicht des Landes. So steht es nun einmal im Grundgesetz. Und das gilt gerade auch in völkerrechtlich relevanten Angelegenheiten.

(Beifall von der CDU – Lebhafte Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Es wäre schön, wenn wir jenseits des politischen Schlachtenlärms – auch wenn das bei diesem emotional aufgeladenen Thema in diesen Plenartagen wohl kaum noch möglich ist – uns eben auch einmal mit dem rechtlichen Rahmen und nicht nur dem Steuer- und dem Strafrecht beschäftigen würden, sondern auch mit der ganz schlichten Kompetenzordnung des Grundgesetzes als dem Fundament unseres Staates.

Es gilt, Herr Minister, dass man darüber natürlich in der Sache streiten kann und muss, ob das Steuerabkommen mit der Schweiz in seiner vorliegenden Form gut genug ist oder besser sein könnte, ob man sich etwas anderes hätte vorstellen können. Aber darum geht es offensichtlich nicht mehr. Es ist klar: So, wie es ausgehandelt worden ist, kann es entweder abgeschlossen werden, oder es wird auf absehbare Zeit keines abgeschlossen. Denn der Verweis auf Europa ist der Verweis auf die lange Bank.

Es ist allerdings schon ein sehr besonderes Staatsverständnis, zu meinen, man könne wie ein deutscher Neben-Finanzminister im Ausland auftreten, um Nachverhandlungen anzustrengen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu schon 1952, also vor 60 Jahren, unter dem Stichwort „Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten“ seine Bemerkungen gemacht, und die waren eindeutig. Um es klar zu sagen: Das Grundgesetz gilt auch für Landesminister.

(Beifall von der CDU)

Als Herr Steinbrück, einer der Kanzlerkandidaten der SPD, seinerzeit mit der Kavallerie in die Schweiz einrücken wollte, hat er unser aller Anliegen einer umfassenden Besteuerung von Schwarzgeld keinen Dienst erwiesen. Unter zivilisierten Nationen sind völkerrechtliche Verträge nach wie vor der richtige Weg, Konflikte zu lösen. Populistische Wahlkampfrhetorik ist natürlich immer leichter als konstruktive Mitarbeit; dazu hat Herr Priggen gestern in anderem Kontext durchaus nachdenkenswerte Bemerkungen gemacht.

Aber es ist zu billig, alles nur der täglichen Schlagzeile oder der vermeintlichen Gerechtigkeit unterzuordnen. Auch Sie als Koalitionsfraktionen sollten dieses Vorgehen beenden. Sonst steht am Ende keine Heldenfigur im Scheinwerferlicht, sondern leider vielfach nur der arme deutsche Michel. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Witzel. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine schlichte Selbstverständlichkeit für alle Fraktionen hier in diesem Haus, dass wir Steuerhinterziehung verurteilen, dass wir Steuerhinterziehung nicht als Kavaliersdelikt betrachten. Steuerhinterziehung ist vielmehr ein Angriff auf das Gemeinwohl, der in aller Form zu ahnden ist.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Wir haben es hier bei diesem konkreten Sachverhalt mit einem Kompromiss zu tun; das bestreitet auch niemand. Niemand bestreitet den Kompromiss­charakter. Das ist nicht die Positionsbeschreibung pur, die jeder Akteur einzeln für sich vornehmen würde, sondern es ist das Ergebnis langer Verhandlungen zwischen Staaten über das, was auf dem Tisch liegt. Wir kommen für uns in der Bewertung zu dem Ergebnis, dass es besser ist, diese Grundlage anzunehmen, als es scheitern zu lassen und viele weitere Jahre der Rechtsunsicherheit in Kauf zu nehmen.

Mit dieser Auffassung sind wir nicht alleine. Es gibt auch führende Sozialdemokraten, die das so sehen, zum Beispiel den Hamburger Finanzsenator der dortigen absoluten SPD-Mehrheit. Er sagt zu dem Steuerabkommen – ich darf Peter Tschentscher zitieren –:

„Je länger wir warten, desto mehr Fälle verjähren. Und desto mehr Sünder kommen ungestraft davon.“

Das kann nicht unser Ziel sein.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Er führt zu den Steuer-CDs aus: Damit würde aber nur ein kleiner Teil der Straftaten aufgedeckt. Oft seien diese verjährt. Auch werde die Datenqualität angesichts gestiegener Sicherheitsvorkehrungen der Banken nicht besser. – Auch da hat der Hamburger SPD-Finanzsenator aus unserer Sicht recht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des SPD-Kollegen Zimkeit zulassen?

Ralf Witzel (FDP): Ja, jederzeit.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön, Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Sie haben gerade den Hamburger Finanzsenator zitiert. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass er in diesem Interview mit dem „Spiegel“ auch gesagt hat, dass dieses Steuerabkommen so nicht beschlossen werden könne, wenn es nicht geändert werde?

(Achim Tüttenberg [SPD]: Also wieder ein halbes Zitat! Wie heute Morgen! – Weitere Zurufe)

Ralf Witzel (FDP): Der Hamburger Finanzsenator kommt in wesentlichen Punkten zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie wir, was die Bewertung der Probleme, die auf dem Tisch liegen, angeht. Und wie er sich am Ende des Tages im Bundesrat verhalten wird, wollen wir alle gemeinsam abwarten. Dann verhandeln wir gegebenenfalls neu.

Natürlich hat dieses Thema auch eine außenpolitische Dimension. Denn die Regierung unterstützt im Ergebnis – jedenfalls laufen die Prozesse so – ein Geschäftsmodell, das darauf setzt und in Kauf nimmt, dass im Ausland Straftaten begangen werden. Unser Bild entspricht dem eines Deutschlands, dem die Welt vertraut,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

und deshalb ist das aus unserer Sicht nicht der richtige Umgang, wie befreundete und benachbarte Staaten miteinander verfahren sollten.

Das Thema hat eine rechtsstaatliche Dimension, und dazu können gerade die Kollegen von SPD und Grünen nachlesen, was der langjährige Innenminister einer sozialliberalen Koalition, Gerhart Rudolf Baum – er wird von den Grünen heute immer noch regelmäßig als Experte für Grundrechtsfragen eingeladen –, in den letzten Tagen mit Blick auf die Diskussionen, die der Deutsche Juristentag in Kürze dazu führen wird, veröffentlich hat.

Das ist die Kernbotschaft: Der noch so legitime Zweck heiligt deshalb noch nicht jedes Mittel im Vorgehen. Wenn eine Handlung in Deutschland strafbar ist, dann muss uns das interessieren, auch wenn es vergleichbare rechtliche Regelungen im Ausland gibt. Und wenn diese Straftat, die in der Schweiz verübt wurde, in Deutschland verübt worden wäre, dann wären die Steuerbehörden gezwungen gewesen, Ermittlungsverfahren einzuleiten, um dem entsprechend nachzugehen.

Sie, Herr Finanzminister, erwarten bei der Verfolgung von Steuerdelikten Rechtshilfe von der Schweiz. Sie leisten aber selber keine Amtshilfe bei der Verfolgung von Schweizer Datendieben. Das sind Punkte, mit denen man umgehen muss und mit denen wir auch seitens der Schweiz konfrontiert werden. Die Fragen, die sich daraus ergeben, muss man beantworten.

Natürlich hat das Abkommen auch eine finanzielle Dimension. Wir können nach allen Schätzungen davon ausgehen, dass wir allein für die Landeskasse Nordrhein-Westfalen mit einem Einmalbetrag in Milliardenhöhe rechnen können und dass in den Folgejahren jährlich locker rund 500 Millionen € in unseren Landeshaushalt fließen. Angesichts der Sicherheitsmaßnahmen, Herr Finanzminister, die Schweizer Kreditinstitute für ihre Datensicherheit ergriffen haben, spricht von der Plausibilität her vieles dafür, dass eine Vollerfassung aller Tatbestände zu einem erheblich höheren Aufkommen für den Landeshaushalt führen wird als die heutige Ermittlungsarbeit von Kommissar Zufall.

Deshalb werben wir dafür, die richtige Abwägungsentscheidung zu treffen – nicht deshalb, weil man alles perfekt finden muss, was der jetzige Vertragstext vorsieht, sondern weil wir klar sagen: Wir dürfen nicht Datendiebstahl gegen Steuerhinterziehung ausspielen. Es ist besser, wir nehmen dieses Abkommen so an, als dass wir viele weitere Jahre in einem rechtlich nicht geregelten Raum agieren. Dafür werben wir, und so lautet auch unser Entschließungsantrag, der zur Abstimmung ansteht. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piratenfraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Kern das Wort.

Nico Kern (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebes Publikum hier im Saal und am Stream! Wir erleben in diesen Tagen und Wochen eine hoch emotionale Debatte zum Thema „Ankauf von Steuer-CDs durch das Land NRW“. Diese Emotionalität geht leider zulasten der Sachlichkeit in der Debatte. Deswegen möchte ich eines gleich zu Beginn ganz klar herausstellen – das wurde eben schon mehrmals auch von anderer Seite getan –: Wir alle hier im Saal sind uns doch darin einig, dass Steuerhinterziehung im Großen wie im Kleinen die Gesellschaft schädigt und nicht toleriert werden darf.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch wir Piraten tun dies nicht. Aber – und das ist der große Unterschied zum Antrag von Rot-Grün – wir Piraten stehen zum Rechtsstaat.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit haben Sie, Herr Kollege Zimkeit, Ihre Probleme.

Ein Rechtsstaat zeichnet sich eben dadurch aus, dass die Exekutive nicht alles machen kann, was theoretisch möglich und für manche wünschenswert ist, sondern dass sie an Recht und Gesetz gebunden ist.

Sie dagegen, Herr Minister, haben den rechtsstaatlichen Weg verlassen. Sie haben sich mit dem Kauf der Steuer-CDs auf ein zwielichtiges Terrain begeben und lassen sich für diese Nummer auch noch als Robin Hood feiern. Das ist zweifellos populär, Herr Minister, aber überlassen Sie doch diese Nummer lieber Errol Flynn – dem stehen die grünen Strumpfhosen besser.

(Beifall von den PIRATEN)

Was machen Sie tatsächlich, Herr Minister? Durch Ihre wiederholten Ankäufe und öffentlichen Ankündigungen, weiterhin Steuer-CDs kaufen zu wollen, schaffen Sie einen Schwarzmarkt für Datenhehlerei. Sie stiften damit quasi zu kriminellen Taten an.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit begibt sich der Staat auf die gleiche Stufe wie Kriminelle. Ich lehne das ab. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Auch das wurde heute schon mehrfach gesagt.

(Beifall von den PIRATEN)

Dass Sie gestern zu Ihrer Rechtfertigung – heute ist das auch schon wieder geschehen – den CDU-Bundesfinanzminister heranziehen mussten, da der gleich gehandelt hätte wie Sie jetzt, ist äußerst schwach.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Ist Herr Schäuble jetzt Ihr Gradmesser für ethisch-moralisches Handeln? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Sowohl die Gesetze der SPD als auch die der CDU wurden und werden ständig vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Und jetzt testiert der eine Verfassungsbrecher dem anderen Verfassungsbrecher die Rechtmäßigkeit seines Handelns?

(Unruhe bei der SPD)

Da haben die Testate von Ratingagenturen ja mehr Überzeugungskraft!

Wenn man Ihr Handeln schon nicht aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ablehnt, so wie ich das tue, dann ist es mindestens erforderlich, dass eine gesetzliche Grundlage für Ihr Handeln vorhanden ist. Auch die fehlt, Herr Minister. Gleichzeitig verfehlen Sie Ihr Ziel, Steuergerechtigkeit herzustellen.

(Zurufe von der SPD)

Der Ankauf von Steuer-CDs entspricht einer Steuerlotterie. Eine gleichmäßige Besteuerung aller Steuerpflichtigen bekommen Sie so nicht hin.

Herr Finanzminister, warum nutzen Sie eigentlich nicht das Geld der Steuerzahler dafür, dringend benötigte Arbeitsplätze in der Steuerfahndung zu schaffen?

(Beifall von den PIRATEN)

Warum statten Sie die Finanzämter dieses Landes nicht adäquat aus? Warum gehen Sie nicht den Weg, der eines Rechtsstaates würdig ist?

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nico Kern (PIRATEN): Ich würde jetzt gerne …

Vizepräsident Oliver Keymis: Im Zusammenhang vortragen. Bitte schön.

Nico Kern (PIRATEN): … im Zusammenhang vortragen. Danke schön.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Priggen und Herr Römer, Sie können ja gleich antworten. Hören Sie doch bitte auf, die Öffentlichkeit dreist zu täuschen. Sie wissen ganz genau, dass die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Ankaufs von Steuer-CDs nicht geklärt wurde,

(Beifall von den PIRATEN)

im Gegenteil äußerst umstritten ist. Schon gar nicht wurde diese Frage vom Bundesverfassungsgericht geklärt. Lesen Sie einfach den Antrag von CDU und FDP. Darin ist die entsprechende Passage der Entscheidung des Gerichts zitiert. Ansonsten erklären Sie mir doch bitte mal, warum diese Problematik auf der nächsten Justizministerkonferenz Thema sein wird, wenn da alles ganz klar ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Dann gibt es in Berlin noch eine Bundesjustizministerin einer ehemaligen Bürgerrechtspartei, die den sinnvollen Vorschlag gemacht hat, den Ankauf von Steuer-CDs durch den Staat zu verbieten – genau wegen der rechtsstaatlichen Probleme, die ich hier anspreche.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein Wochenende und eine FDP-Präsidiumssitzung später wird die Bundesjustizministerin öffentlich zurückgepfiffen. Wenn es also darauf ankommt, spielen Rechtsstaat und Grundrechtsschutz auch in der Partei des Kollegen Lindner, in der FDP, offensichtlich keine Rolle mehr.

Denn eines ist klar: Auch Unschuldige werden auf den Steuer-CDs erfasst, und ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht wird verletzt.

(Beifall von den PIRATEN)

Was wir Piraten vor diesem Hintergrund wollen, ist eigentlich relativ einfach. Hören Sie auf, den Rechtsstaat in Sonntagsreden zu preisen und ihn anschließend durch den Kauf von Steuer-CDs in den Schmutz zu ziehen! Wir unterstützen Frau Leutheusser-Schnarrenberger in ihren Bemühungen, Datenhehlerei zu verbieten. Die Bundesregierung muss aber auch für ein ordentliches Steuerabkommen mit der Schweiz eintreten. Das jetzige Abkommen ist in der Tat eine Farce für steuerehrliche Bürger dieses Landes, da Steuerhinterziehung prämiert wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Von der Landesregierung fordern wir: Lehnen Sie zum einen das jetzt ausgehandelte Steuerabkommen im Bundesrat ab. Statten Sie zum anderen die Steuerfahndungen vor allem personell mit Mitteln aus, die sie benötigen, um ihre gute Arbeit noch besser zu machen. Dann brauchen Sie nicht weiter Geschäfte mit Kriminellen zu machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich komme zum Schluss. Herr Finanzminister, ich glaube Ihnen, dass Sie gute Absichten zum Wohle des Landes haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Was mich aber massiv stört, ist Ihr gestörtes Verhältnis zu Rechtsstaat und Demokratie.

(Lachen von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Gestern haben wir an dieser Stelle wieder schöne Worte über die Wichtigkeit von Demokratie und Parlamentarismus gehört, auch und gerade vonseiten der Koalitionsfraktionen. Es gibt aber keine größere Missachtung der Demokratie, als sich über deren Regeln hinwegzusetzen.

Herr Minister, was Sie sich nicht eingestehen können, ist die Tatsache, dass Ihnen eine gesetzliche Grundlage für Ihr Handeln fehlt. Das moniert sogar der Teil des juristischen Schrifttums, der Ihnen eigentlich wohlgesonnen ist.

Die Politik ist also aufgerufen, eine Entscheidung zu treffen, wie sie den Konflikt zwischen möglichst umfassender Steuererhebung und Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auflösen will. Das ist eine so wichtige Entscheidung, dass sie in einer Demokratie nur vom zuständigen Parlament und nicht von einem einzelnen Minister getroffen werden kann. Wir Piraten bleiben dabei: Auch ein Minister steht nicht über dem Gesetz. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kern. – Für die Landesregierung hat nun der Finanzminister, Herr Dr. Walter-Borjans, das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kern, das Erste, wogegen ich mich heftig verwahre, ist Ihre Behauptung, dass mir die Strumpfhosen schlechter stehen als Errol Flynn.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Das kann man so einfach nicht stehen lassen. Man müsste sich das nämlich erst einmal ansehen.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Wenn Sie meinen, dass das nicht ein Finanzminister entscheiden soll, dann kann das vielleicht auch vom Parlament entschieden werden.

Zweiter Punkt. Zwar wird hier von jedem von Ihnen der schöne Satz vorgetragen, wir seien doch alle gemeinsam der Auffassung, dass Steuerhinterziehung nicht sein darf; das sei doch eine Gemeinsamkeit in diesem Hause. Ich sage: Das ist es offenbar nicht. Das ist es definitiv nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Unverschämt!)

Wenn Herr Optendrenk erklärt, wir unterschieden immer zwischen dem, was wir machten – das sei das Gute –, und dem, was andere machten – das sei das Böse –, dann muss ich sagen: Ich unterscheide zwischen der Wahrheit und dem, was Sie daraus machen.

Sie waren doch selbst Büroleiter meines Vorgängers. Wenn ich mir angucke, dass Sie jetzt schreiben, Sie hätten damals eine einmalige Aktion mit dem Einkauf einer CD gestartet, frage ich mich zwei Dinge: Erstens. Ist die Einmaligkeit rechtsstaatlich besser als das häufigere Kaufen? Zweitens. Warum haben Sie denn eine Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund geschlossen, wie bei Käufen von CDs vorzugehen ist, wenn das für ein einziges Mal gewesen ist und Sie diesen Beschluss erst anschließend gefasst haben?

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schwerd?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nichts lieber als das.

(Allgemeine Heiterkeit)

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Kollege.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Ich bin überrascht, dass ich hier zum Doktor befördert worden bin. Vielen Dank dafür.

(Zurufe)

– Das ist gefährlich? Aha. Dann muss ich aufpassen.

Eine Frage. Sie hätten uns das Leben sehr viel einfacher gemacht, wenn es in diesem Antrag nicht eine Vermischung dieser verschiedenen Themen gäbe: zum einen der Ankauf an sich

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: Ich habe den Antrag doch gar nicht gestellt! – Nadja Lüders [SPD]: Er hat keinen Antrag gestellt! – Weitere Zurufe von der SPD – Gegenruf von Frank Herrmann [PIRATEN]: Lasst ihn doch ausreden!)

– dürfte ich die Frage stellen? – und zweitens …

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, die Hinweise beziehen sich darauf, dass eine Frage in der Regel auch als Frage formuliert sein sollte und deshalb nicht eine Aufzählung stattfinden kann. Sie sollten bitte eine Frage stellen. Dann kann der Minister darauf antworten. Das ist die Regel.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Ich komme einfach nicht zum Fragezeichen. Das ist das Problem.

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann probieren Sie es bitte noch einmal.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Wäre es nicht sinnvoller gewesen, uns das Leben einfacher zu machen, indem Sie die einzelnen Aussagen dieses Antrags auseinandergezogen hätten, …

(Zuruf von der SPD: Das müssen Sie uns fragen, nicht ihn! – Weitere Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte lassen Sie den Kollegen seine Frage jetzt zu Ende formulieren. Danach erhält der Minister die Gelegenheit zur Antwort. – Bitte schön, Herr Kollege.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Wäre es nicht besser, dass wir die Themen einzeln besprechen würden und nicht miteinander vermischt, und zwar insbesondere auch die Fragestellung, ob das Abkommen als solches ein gutes ist oder nicht? Das könnten wir durchaus einzeln diskutieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Durch die Zurufe ist ja schon deutlich gemacht worden, dass es kein Antrag der Landesregierung ist, sondern ein Antrag von zwei Fraktionen. Ich kann nur sagen, dass ich die drei darin genannten Punkte allesamt unterstütze. Sie können gerne gleich noch mal diskutieren, inwiefern man zu dem einen Ja und zu dem anderen Nein sagen kann.

Ich möchte jetzt nur gerne mal erläutern, warum wir denn überhaupt in der Situation sind, dass wir über ein Abkommen diskutieren können. Dafür gibt es einen einzigen Grund, und zwar die Tatsache, dass CD-Käufe stattgefunden haben. Deshalb hat es nämlich die Sorge von Schweizer Finanzinstituten gegeben, viel billiges Geld zu verlieren – ausgelöst durch die Verunsicherung von betuchten Menschen hier in Deutschland, die ansonsten unbescholten in ihren Klein?, Mittel- und Großstädten leben und ungerne irgendwann mal wie der Postchef vor einer Kamera stehen wollten. Sie sind plötzlich unsicher geworden und drohten ihr Geld abzuziehen. Daraufhin ist die Schweiz aktiv geworden und hat gesagt: Wir müssen das regeln, und zwar so, dass es anschließend auch weitergehen kann. – Denn sonst hätte das Abkommen aus Schweizer Sicht keinen Sinn. Und dieser Sinn wird mit diesem Abkommen wunderbar erfüllt.

Das ist der Punkt, um den es gegangen ist. Deswegen haben Steinbrück und Eichel keine Chance gehabt; das ist vollkommen klar. Damals hatte die Schweiz überhaupt keinen Anlass, an einen Tisch zu kommen. Das war der Punkt.

Herr Optendrenk, jetzt reden Sie nicht nur von der Einmaligkeit, sondern auch von der Bundestreue. Was glauben Sie eigentlich, warum der Bundesrat bei diesem Abkommen mitspricht? Es geht darum, dass wir als Teil des Bundes mitentscheiden, weil die Länder existenziell davon betroffen sind.

(Zuruf)

– Wir bilden doch den Bund. Deshalb sind wir in diesen Prozess eingebunden. Schließlich geht es hier um eine Frage, die die Länder existenziell belastet.

Lassen Sie mich noch mal erläutern – das habe ich auch schon mehrfach getan; dafür bin ich bereits gescholten worden, weil das als arrogant empfunden wurde; man muss es aber noch mal sagen –, was denn eigentlich der Inhalt dieses Abkommens ist. Es hat drei Facetten.

Erste Facette: die Vergangenheitsbewältigung. Wir reden davon, dass über 150 Milliarden € in der Schweiz liegen, die zu einem großen Teil – Schweizer Banker sagen selbst: mindestens 80 % – schon hier in Deutschland nicht der Einkommensteuer unterworfen worden sind. Es geht nur zum Teil darum, dass auch die Zinsen in der Schweiz nicht versteuert worden sind. Es soll eine Lösung gefunden werden, mit der am Ende etwa die Hälfte dessen, was man hier als Einkommensteuer bezahlt hätte, pauschal und anonym abgegolten sein und straffrei gestellt werden soll.

Sie, Herr Witzel, haben gesagt: Wir wollen Rechtshilfe, wollen sie aber nicht gewähren. – In diesem Abkommen steht, dass Mitarbeiter Schweizer Banken, die am Datenverrat teilgenommen haben, weiter belangt werden können, während die anderen freigestellt werden sollen. Das ist Teil des Abkommens; das ist die Wahrheit. Gucken Sie sich das Abkommen mal an!

Der zweite Punkt betrifft die Gegenwart. In der Gegenwart ist vereinbart worden – und das schon als Nachbesserung; ursprünglich hatte man bis Ende Mai 2013 Zeit –, dass man bis Ende Dezember 2012 Zeit hat, sein Geld in Sicherheit zu bringen. Dazu muss man nicht unbedingt nach Singapur oder zu den Cayman-Inseln. Man muss nur eine andere Anlageform in der Schweiz wählen und schon ist man raus aus dem Abkommen.

Haben Sie als Kind schon mal Verstecken gespielt? Wenn Sie sich in die Ecke gestellt, bis 20 gezählt, zurückgeguckt und gesehen haben, dass da noch jemand gestanden hat, dann war klar, dass der das Spiel nicht begriffen hatte.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist genau der Punkt, über den wir reden. Hier wird bis zum Ende des Jahres weggesehen und geglaubt, dass anschließend die Betrüger über Jahrzehnte alle noch da sitzen, um 10 Milliarden € an die Bundesrepublik Deutschlands zu zahlen, weil das kein Versteckspiel sein sollte, sondern sie sich ein gutes Gewissen verschaffen wollten. In welchem Land leben Sie denn – und zwar egal, ob in der Schweiz oder in Deutschland?

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde es interessant, dass Herr Schäuble in seinen Bundeshaushalt nicht 30 % der 10 Milliarden €, von denen er öffentlich sagt, dass sie kommen werden, eingestellt hat, sondern 30 % von den garantierten 1,7 Milliarden €. Das ist nämlich auch das Einzige, was realistisch wäre. Das ist in der Tat ein Betrag, auf den sich die Schweiz einlassen musste, weil sie irgendwo ja auch ein Stückchen bieten musste.

Der dritte Punkt betrifft die Zukunft. Ich finde, die kommt in dieser Diskussion viel zu kurz. Wenn sich anschließend die Lesart der Schweiz durchsetzt, dass jeder Erwerb von Informationen ein aktiver Erwerb ist und damit ausgeschlossen wird, dann ist das so – ich komme zu dem zweiten schönen Bild –, als wenn in einer Straßenbahn auf einem Schild steht: Hier wird definitiv kein Fahrschein kontrolliert. – Was passiert dann? Dann wird die Zahl der Schwarzfahrer zunehmen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Nein, nein!)

Wenn das nicht so ist, haben die das Spiel auch nicht verstanden.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben 150 Milliarden € in der Schweiz. Überlegen Sie mal, wenn nur 10 Milliarden € zusätzlich hinzukommen, weil nicht mehr kontrolliert wird und der Ängstlichere unter den Menschen, die wir uns als Zielgruppe vorstellen, sich sagt: „Das kann ich jetzt auch noch machen“, dann haben diese Menschen mit ihren 10 Milliarden € im Zweifel schon wieder 4,2 Milliarden € an Einkommensteuer in der Tasche und in die Schweiz gebracht und möglicherweise auch noch 1,9 Milliarden € Umsatzsteuer hinterzogen, wenn es sich um Geld aus Geschäften handelt, was üblicherweise zutrifft, wenn man die Steuer nicht über den Lohnzettel abgezogen bekommt. Damit haben Sie also schon 6 Milliarden € Verlust für den deutschen Fiskus, wenn nur 10 Milliarden € auf diese Art verschwinden. Bei 20 Milliarden € verdoppelt sich der Verlust. Open End; es ist nichts geregelt.

Was sich manch einer vorstellt, wie viel ihm diese Nachzahlung aus der Vergangenheit wert sein kann, hört sich viel an, weil diese Hinterziehung ein so dramatisches Ausmaß hat. Die 1,7 Milliarden € oder von mir aus auch die 3 Milliarden €, die nachgezahlt werden, sind viel Geld. Aber es werden viel mehr Milliarden sein, die in der Zukunft unerkannt entkommen können. Genau das ist die Absicht, die von Schweizer Seite mit dem Abkommen verbunden ist. Davon lebt der Schweizer Finanzsektor. Deswegen gibt es keinerlei Bereitschaft, uns an dieser Stelle entgegenzukommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb – das muss ich ganz klar sagen – ist das ein Spiel, das anders ist als bei vielen anderen internationalen Verträgen, bei denen man nach einem Kompromiss sucht, der am Ende beiden etwas bringt. Wir haben hier ein Verhalten eines Finanzsektors, das so gestrickt ist, dass es auf dem Schaden des Fiskus in anderen Ländern basiert. Das kann man nicht ändern, indem beide etwas davon haben, sondern das kann man nur ändern, indem dieser Sektor, der sich so verhält, anschließend den Schaden hat. Sonst haben wir ihn selbst. In diesem Fall haben wir ihn selbst.

Deswegen gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird dieses Abkommen so geändert, dass die darin enthaltenen Lücken nicht mehr existieren und klar ist, dass anschließend sauber versteuert wird – das, was in diesem Abkommen behauptet wird, ist falsch –, oder es muss eben scheitern. Das kann sein, weil sowohl die Schweizer Finanzministerin als auch der deutsche Bundesfinanzminister mittlerweile ein Gesichtswahrungsproblem haben.

Die Situation, die wir jetzt haben, habe ich noch nie als ideal oder optimal bezeichnet. Aber sie ist für uns weniger schmerzhaft als für die Schweiz. Bei uns kommen die Selbstanzeigen, bei uns kommen die Fahndungserfolge. Die haben dazu geführt, dass wir alles in allem bundesweit seit 2010 um die 3 Milliarden € zusätzlich eingenommen haben. Die Schweiz wird sich wieder an den Tisch setzen, das sage ich Ihnen voraus. Wenn nicht, ist dieser nicht optimale Weg immer noch besser als dieses Abkommen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat etwas mehr Redezeit in Anspruch genommen als vorgesehen. Deshalb könnten sich aus den Fraktionen noch Rednerinnen oder Redner zu Wort melden. – Ein Redner hat sich bereits zu Wort gemeldet, und zwar Herr Witzel von der FDP-Fraktion.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh! – Jochen Ott [SPD]: Der hat kein Zuhause!)

Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, das, was Sie hier gerade sehr artikuliert vorgetragen haben, beantwortet zwei entscheidende Fragen nicht. Sie haben die Frage nicht beantwortet, warum man sich nicht über alle Details von Kompromissen, die Staaten bilateral schließen, auseinandersetzen kann. Auch ich finde nicht alles optimal. Darüber haben wir aber schon an anderer Stelle diskutiert.

(Zurufe von der SPD: Ui!)

Warum Sie allerdings die flächendeckende Vollerhebung, die dafür sorgt, dass jeder in einem gewissen Umfang herangezogen wird, für weniger wirksam halten als das Zufallsprinzip, ist nicht nachvollziehbar. Ich würde es nur dann verstehen, wenn der Keller des Finanzministeriums schon voller neuer Daten-CDs läge, denn dann könnten Sie sagen: Ich habe im Prinzip schon alles.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die zweite entscheidende Frage, die Sie schon beantworten müssen, Herr Finanzminister, auch wenn Sie ansonsten alles, was im Zusammenhang mit dieser Debatte steht, nicht gerne veröffentlichen, lautet: Wo ist für Sie die Grenze, eine CD nicht zu kaufen? Sie haben selber die Kenntnis, dass die Schweizer Banken ihre Datenschutzbestimmungen verschärfen. Was ist, wenn es zukünftig notwendig ist, mit Schusswaffengewalt, mit Erpressung oder anderen Methoden an die Daten zu kommen?

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Wo ist bei der Beschaffung der Daten für Sie die Grenze,

(Unruhe – Glocke)

bei der Sie sagen: „Die kaufe ich jetzt nicht mehr“?

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Tosender Applaus von der FDP!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Von der Piratenfraktion hat sich der Kollege Schulz zu Wort gemeldet.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Minister, leider Gottes ist die Frage, wie die Verjährung von Millionen Steuerschulden unterbrochen werden soll, wenn man das Abkommen ablehnt und kein besseres findet – und es liegt kein besseres vor –, nicht beantwortet worden.

Entscheidend ist doch Folgendes: Wir reden auf der einen Seite von Rechtsstaatlichkeit oder vom Treten der Rechtsstaatlichkeit mit Füßen. Wir reden auf der anderen Seite von fiskalischen Aspekten. Fiskalische Aspekte sind Einnahmen von Steuergeldern im Bund und insbesondere im Land Nordrhein-Westfalen. Es ist nach wie vor nicht gewährleistet, dass der Ertrag in NRW auf der Steuerseite durch die Inaussichtstellung eines Ankaufs von Steuer-CDs höher ist als mit einem Abkommen, welches vielleicht auch noch der Nachbesserung bedarf. Ich sehe derzeit keine Initiative, wie es auf Bundesebene, auf europäischer Ebene oder in einem bilateralen Abkommen mit der Schweiz – gegebenenfalls durch eine Bundesratsinitiative der SPD – nach vorne getragen werden und verbessert werden kann. Die Kleine Anfrage, wie die Unterbrechung stattfinden soll, ist noch unterwegs.

Wenn wir zudem den Datenschutz, der eben schon gesprochen worden ist, berücksichtigen, muss ich sagen: Ich bin höchst gespannt darauf, wie die Datenschützer des Bundes und der Länder auf diese Geschichte antworten. Mir jedenfalls liegt bis heute keine Stellungnahme der Datenschützer des Bundes und der Länder vor. Wir haben sie bisher auch nicht gefunden. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung hat sich Herr Minister Dr. Walter-Borjans noch einmal zu Wort gemeldet.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich möchte darauf hinweisen, dass hier im Plenum offenbar noch ein paar Missverständnisse vorhanden sind, was die Ausgestaltung des Abkommens angeht.

(Zuruf von der SPD: Bei einigen!)

– Entschuldigung, in Teilen des Plenums!

Es geht darum, dass es keine flächendeckende Vollerfassung der hinterzogenen Steuern gibt. Künftig sollen – und zwar auf Treu und Glauben durchexerziert von denen, die bisher die Programme entwickelt haben, wie man an der Steuer vorbeikommt – anonym lediglich die Erträge auf Kapital versteuert werden.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Ja!)

Das heißt, wenn Sie in Deutschland 1 Million € einnehmen und diese nicht versteuern, dann hinterziehen Sie 420.000 € Einkommensteuer. Wenn Sie diese Million in die Schweiz bringen und demnächst 2 % dafür kriegen, dann müssen Sie 20.000 € versteuern. Das ist das Einzige, was in diesem Abkommen steht. Das gilt, solange es sich um Zinsen handelt. Wenn es um Stiftungen oder andere Formen von Anlagen geht, ist es schon wieder weg. – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist die Möglichkeit, den Teil, den Sie noch versteuern müssen, bis zum Jahresende wegzutragen, egal wohin, in eine andere Form, in ein anderes Land. Dann müssen wir uns darüber unterhalten: Was von dem ist heute noch da, was vor zehn Jahren da war zuzüglich der Zinsen, die darauf gezahlt worden sind, die nachbesteuert werden müssten?

Wenn Sie mir erzählen, wir würden da jetzt Millionen und Milliarden verspielen, dann sage ich Ihnen: Mir wäre in der Tat ein anständiges, wirksames Abkommen, das sofort in Kraft tritt, lieber. Das ist allemal besser. Bevor ich mich aber auf das einlasse, was uns da auf den Tisch gelegt worden ist, sage ich: Dann geht der kleine Teil an Steuern auf den nicht verschwundenen Zinsertrag von vor zehn Jahren eben verloren. Und wer mir erzählt, ich würde dabei mit der Existenz des Haushalts von Nordrhein-Westfalen oder des Bundes spielen, der weiß wirklich nicht, was in dem Abkommen steht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/814. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Ich frage: Wer stimmt dem Antrag so zu? – SPD, Grüne und vier Stimmen von den Piraten. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und sieben Stimmen von den Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung der restlichen Stimmen der Piraten ist der Antrag mit Mehrheit angenommen.

Zweitens entscheiden wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/867. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Erwartungsgemäß die CDU? und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und ein Teil der Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Wiederum ein Teil der Piratenfraktion, diesmal ein paar Stimmen mehr; ich sehe es genau. So ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen drittens zur Entscheidung über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/879. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die Fraktion der Piraten fast komplett. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, FDP und CDU stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen im Hohen Haus? – Bei zwei Enthaltungen aus der antragstellenden Fraktion und einer dritten aus der CDU-Fraktion ist dieser Antrag dennoch mit großer Mehrheit abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Beratung zu Tagesordnungspunkt 3.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt

4   Versicherte entlasten, unnötige Bürokratie vermeiden – Praxisgebühr abschaffen!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/817

Ich eröffne die Beratung und erteile für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Schneider das Wort.

(Unruhe – Glocke)

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ihnen allen wünsche ich von Herzen Gesundheit.

(Zurufe: Danke!)

Sollte der eine oder andere von Ihnen aber doch einen Arzt aufsuchen müssen, empfehle ich zumindest den gesetzlich Versicherten hier 10 €, die Praxisgebühr, bereitzuhalten.

Vielleicht empfinden Sie diese Abgabe einfach als lästige Pflicht. Eine repräsentative Umfrage zeigt aber, dass diese 10 € nicht nur als lästige Pflichtabgabe gesehen werden, sondern vielmehr großes Erregungspotenzial bei der Bevölkerung binden. Das entsprechende „Wut-Barometer“, das auf der Homepage der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zu sehen ist, zeigt, dass die Praxisgebühr auch acht Jahre nach ihrer Einführung durch Rot-Grün für 85 % der Bevölkerung das größte Ärgernis darstellt.

(Beifall von der FDP)

Andere vermeintliche Aufreger wie zum Beispiel die Stärkung der Europäischen Union zulasten Deutschlands oder die Manager-Boni kommen erst dahinter.

Vor dem Hintergrund der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenkassen, deren Finanzpolster inzwischen 20 Milliarden € beträgt, hält die FDP-Fraktion es für sachlich richtig und auch finanzierbar, diese Gebühr abzuschaffen.

(Beifall von der FDP)

Wir erwarten in schwierigen Zeiten von den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie bereit sind, sich den Umständen anzupassen und gegebenenfalls den Gürtel enger zu schnallen. Gerade deshalb muss Politik auch dazu verpflichtet sein und verpflichtet werden, in besseren Zeiten den Bürgern unnötige Belastungen zu ersparen oder diese zurückzunehmen.

(Beifall von der FDP)

Das Ergebnis aus dem eingangs angeführten „Wut-Barometer“ deckt sich mit der Reaktion auf eine Kampagne zur Abschaffung der Gebühr, die von der Kassenärztlichen Vereinigung bundesweit gestartet wurde. Diese Kampagne – sie läuft noch bis Oktober – wird auch von der KV Nordrhein unterstützt. Dort waren wenige Wochen nach Beginn der Kampagne 100.000 Unterschriften eingegangen. Bundesweit unterschrieben von Ende Mai bis August bereits 800.000 Menschen gegen diese Abgabe.

Der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. Peter Potthoff, erklärte, dass diese Menge an Rückmeldungen alle Erwartungen übertroffen habe, obwohl man mit viel Protest gerechnet hätte. Der Bundesvorsitzende des Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, machte deutlich, dass es auch acht Jahre nach Einführung der Gebühr noch tagtäglich zu Diskussionen zwischen Patienten und Praxispersonal käme. Eine besondere Belastung ergebe sich nicht nur durch die Verwaltung, sondern außerdem durch Mahnverfahren bei nicht erfolgter Zahlung.

Auch der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, äußerte sich ablehnend – ich zitiere: Krankenkassen und Gesundheitsfonds stehen derzeit finanziell sehr gut dar. Es gibt keinen Grund, den Kranken sinnlos in die Tasche zu greifen,

(Beifall von der FDP)

sagte der Vorsitzende einer großen gesetzlichen Krankenkasse.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Praxisgebühr hat sich nicht bewährt, weil sie Patientinnen und Patienten mit insgesamt 2 Milliarden € pro Jahr finanziell zusätzlich belastet. Die Praxisgebühr hat sich nicht bewährt, weil sie nicht nur erhebliche Mehrkosten verursacht, sondern auch durch den hohen organisatorischen Aufwand sehr viel Zeit bindet – Zeit, die Arzthelferinnen und Ärzte lieber für kranke Menschen verwenden würden.

(Beifall von der FDP)

Die Praxisgebühr hat sich nicht bewährt, weil sie ihre ursprünglich von Rot-Grün geplante Zielsetzung verfehlt hat. Die Hoffnung, die hohe Zahl der Arztbesuche insbesondere durch Bagatellfälle zu reduzieren, hat sich nicht erfüllt.

(Ministerin Barbara Steffens: Ja, dann könnt ihr sie ja abschaffen!)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt die Chance, von Nordrhein-Westfalen aus ein klares Signal nach Berlin zu senden.

(Ministerin Barbara Steffens: Haben wir schon!)

Damit können wir einen Beitrag dazu leisten, dass unter das Ärgernis Praxisgebühr endlich ein Schlussstrich gezogen werden kann. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und von Lukas Lamla [PIRATEN])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Scheffler.

Michael Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag, den wir gerade beraten, rennt die FDP bei uns offene Türen ein. Ich denke, Sie wissen, dass Rot-Grün für die Abschaffung der Praxisgebühren ist. Wir haben im Landtagswahlkampf gemeinsam dafür Unterschriften gesammelt, haben dafür im Übrigen auch viel Zuspruch bei den Menschen in Nordrhein-Westfalen erhalten. Und wir haben auch in der Koalitionsvereinbarung festgelegt und festgehalten, dass wir uns für die Abschaffung der Praxisgebühr einsetzen wollen.

Aber nach dem Plädoyer, das wir eben von der Kollegin Schneider hier gehört haben, frage ich mich schon, meine Damen und Herren: Warum setzt die FDP das eigentlich in Berlin nicht um?

(Beifall von der FDP und Lukas Lamla [PIRATEN])

Wir hatten im Bundestag verschiedene parlamentarische Initiativen. Die Praxisgebühr könnte schon Geschichte sein, wenn die FDP den Mut gehabt hätte, mit der Opposition zu stimmen. Meine Damen und Herren, ich sage aber auch ganz klar, die FDP wollte sich nicht mit Angela Merkel anlegen. Sie wollte die schwarz-gelbe Chaoskoalition in Berlin nicht aufs Spiel setzen. Das müssen Sie sich schon in Ihr Stammbuch schreiben lassen.

Verehrte Kollegin Schneider, es ist nicht so, dass Rot-Grün damals für die Einsetzung der Praxisgebühr gesorgt hat. Diese Initiative ist im Zuge der Gesundheitsreform 2003 von der CDU ausgegangen. Die CDU hat damals eine generelle Selbstbeteiligung der Kranken in Höhe von 10 % gefordert, mindestens jedoch 5 € für jeden Arztbesuch. Dabei sollte es gleichgültig sein, ob das ein Hausarzt oder ein Facharzt ist und ob es ein Erstbesuch oder ein Folgetermin ist.

Ich will in Erinnerung rufen, dass sich ganz besonders der heutige bayerische Ministerpräsident See­hofer für die Praxisgebühr stark gemacht hat. Als Kompromiss kamen die 10 € pro Quartal heraus. Man könnte heute also auch durchaus von einer Seehofer-Gebühr sprechen, wenn wir über diese bürokratische Praxisgebühr reden. Ich kann Ihnen sagen, wir als SPD haben damals als Alternative schon ganz klar das Hausarztmodell ins Feld geführt, statt einer bürokratischen und nutzlosen Praxisgebühr.

Meine Damen und Herren, wir können ganz klar festhalten, die Praxisgebühr hat als Lenkungsinstrument versagt. Sie hat in der Tat keinerlei steuernde Wirkung. Es gibt auch nicht weniger Arztbesuche bei uns in Deutschland. Wir sind mit 17 oder 18,1 Arztkontakten im Jahr immer noch Spitzenreiter. In die Arztpraxen hat die Praxisgebühr zusätzliche Bürokratie gebracht. Für Kranke ist sie eine Strafgebühr. Das sage ich ganz deutlich. Sie hält arme Menschen vom Arztbesuch ab. Deswegen gehört sie weg.

(Beifall von der SPD und der FDP)

An die Kolleginnen und Kollegen von der CDU gerichtet sage ich auch, die CDU muss ihre Blockadehaltung endlich aufgeben. Wir wollen als SPD die Praxisgebühr ersatzlos streichen. Ich sage Ihnen auch, was wir stattdessen wollen. Unser Ziel ist es, zu den paritätisch finanzierten Beitragssätzen zurückzukehren. Wir möchten auch die von den Mitgliedern allein zu entrichtenden Beiträge in Höhe von 0,9 Beitragspunkten streichen. Wir wollen eine solidarische Bürgerversicherung dagegen setzen und die unsozialen Zusatzbeiträge abschaffen. Wir möchten den Krankenkassen ihre Beitragsautonomie zurückgeben. Wir halten 15,5 Beitragspunkte für zu hoch, um das in aller Klarheit zu sagen.

Des Weiteren wollen wir Hausärztinnen und Hausärzte stärken. Das ist für uns der Schlüssel zu mehr Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen. Die Zahl der Hausärzte nimmt jedes Jahr ab. Es entscheiden sich immer weniger Medizinstudierende für den Beruf des Hausarztes oder der Hausärztin. Das hat etwas mit der Honorierung zu tun. Fachärztinnen und Fachärzte werden wesentlich besser honoriert. Das erleben wir gerade bei den Verhandlungen der Kassenverbände und der Arztverbände.

Es stellt sich für uns die Frage, ob der FDP-Antrag nur Show ist oder ob er ernst gemeint ist. Schließlich ist der frühere FDP-Landesvorsitzende – Ihr Vorgänger, Herr Lindner – nun der amtierende Bundesgesundheitsminister. Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen, Ihr Antrag im Parlament mutet schon fast hilflos an. Liegt es daran, dass die Praxisgebühr eines von vielen Streitthemen im Chaos der schwarz-gelben Bundesregierung ist? Im Bundestag gibt es jedenfalls eine Mehrheit für ihre Abschaffung. Ich sage aber noch einmal, die CDU hat mehrfach erklärt, dass sie dagegen ist. Nun hätte die FDP im Bundestag die Gelegenheit gehabt, für die Abschaffung zu stimmen. Aus Angst, die schwarz-gelbe Streitkoalition damit zum Scheitern zu bringen, hat die FDP jedoch die Zustimmung verweigert. Deshalb richte ich an dieser Stelle auch einen klaren Appell an die Kolleginnen und Kollegen der FDP im Deutschen Bundestag:

Haben Sie den Mut, mit uns als Oppositionsparteien im Bundestag zu stimmen und geben Sie den Versicherten ihr Geld zurück. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Scheffler. – Es spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Scheffler, es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Praxisgebühr 2003 unter Rot-Grün eingeführt worden ist. Ich erinnere mich noch genau an die Debattenlage als die Praxisgebühr im Jahr 2003 auf nachdrücklichen Wunsch des Bundeskanzlers Schröder im Rahmen seiner Agendapolitik von der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeführt worden ist.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Geschichtsklitterung sondergleichen!)

Genau die Argumente, die seinerzeit gegen die Einführung der Praxisgebühr ins Feld geführt wurden, sind heute die Argumente, die für die Abschaffung genannt werden. Der einzige Unterschied ist, dass die Kassen damals leer waren. Heute sind sie dank der positiven wirtschaftlichen Entwicklung prall gefüllt. Die Kassen haben einen Überschuss von 13,8 Milliarden € erzielt.

Es gibt aber noch einen weiteren zu beachtenden Unterschied. Während es bei der Einführung der Praxisgebühr um die Generierung von Einnahmen ging, geht es heute darum, die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitssystems nachhaltig zu sichern. Es liegt in unserer aller Verantwortung, das Geld der Beitragszahler zusammenzuhalten und die Gesamtlast der Sozialversicherungsbeiträge im Zaum zu halten. Es darf natürlich nicht sein, dass die Alternative zur Abschaffung der Praxisgebühr die Einführung eines Zusatzbeitrages wird, wenn die wirtschaftliche Entwicklung nicht so weiter läuft wie man das jetzt annehmen darf.

Es gibt sicher Möglichkeiten, den Versicherten einen Teil ihrer Beitragsleistung in Form von Erfolgsprämien, Prämien oder sonstigen Erstattungen zurückzugeben. Das wird auch tatsächlich so gemacht. Es gibt also vernünftige Wege für die Krankenkassen, ihre Versicherten zu entlasten.

Bekanntlich finanzieren sich die Krankenkassen aus einem Mix aus Beiträgen, staatlichen Zuschüssen und Zuzahlungen. Dieses System hat sich bewährt. Die Praxisgebühr ist eine Komponente, aus denen sich die Einnahmen der Kassen speisen, und bringt jährlich rund 2 Milliarden € ein. Sie ist zudem sozialverträglich ausgestaltet, da die Patienten durch eine Überforderungsklausel geschützt werden.

Im Übrigen ist es jedoch so, dass wir uns gerade in Nordrhein-Westfalen im Bereich der Gesundheit mit weitaus drängenderen Themen befassen müssen als mit der Abschaffung der Praxisgebühr. Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerung ist es wichtig, bereits heute finanzielle Rücklagen zu bilden, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Krankenhäuser müssen Tariferhöhungen auffangen, die von den Krankenkassen mitfinanziert werde. Die Krankenhäuser benötigen mehr Geld für ihre Arbeit. Ich möchte an das Stichwort Krankenhausförderung erinnern. Eine gute medizinische Versorgung im ländlichen Raum muss sichergestellt werden.

Es ist aus unserer Sicht also leichtsinnig, eine Einnahmequelle von 2 Milliarden € im Jahr dauerhaft zu streichen, ohne zu sagen, wie das Geld im Zweifel aufgebracht werden kann. Wir erwarten von den Krankenkassen ein nachhaltiges Wirtschaften. Das kann nur funktionieren, wenn die Einnahmen der Kassen nicht der Beliebigkeit ausgesetzt werden.

Nach Ansicht der CDU darf es eben keine unüberlegten Schnellschüsse geben. Es kommt darauf an, eine gute medizinische Versorgung der Menschen langfristig sicherzustellen und einen hohen Qualitätsstandard beizubehalten und zu finanzieren. Es gilt auch hier das Sprichwort. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!“.

Einzelne Maßnahmen zu fordern, ohne das Ganze im Blick zu haben, sind kurzsichtige Manöver. Das ist zu einfach. Wir sind wie unsere Unionskolleginnen und -kollegen im Deutschen Bundestag der festen Überzeugung, dass es im Interesse der Patienten und Versicherten ist, in der aktuellen guten finanziellen Lage der Krankenkassen nicht überstürzt zu handeln, sondern auf eine vorausschauende Finanzpolitik zu setzen.

Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der FDP-Fraktion ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich nehme die Quintessenz vorweg:

Erstens. Die Praxisgebühr belastet insbesondere Menschen mit geringem Einkommen.

Zweitens. Die Praxisgebühr führt zu unnötigem bürokratischem Aufwand in den Arztpraxen.

Drittens. Die Praxisgebühr hat als Steuerungsinstrument versagt.

Viertens. Die Praxisgebühr gehört daher abgeschafft.

Keines der im Jahr 2004 gesteckten Ziele ist mit dieser Praxisgebühr erreicht worden. Die Zahl der Arztbesuche ist praktisch gleich hoch geblieben.

Meine Damen und Herren, allerdings benachteiligt die Praxisgebühr insbesondere Menschen mit wenig Geld. Knapp 12 % der Bevölkerung gehen nach Angaben des Virchow-Bundes nicht oder zu spät zum Arzt, weil für sie diese Praxisgebühr eine zu hohe finanzielle Belastung darstellt. Nicht zuletzt bleiben dadurch natürlich viele Krankheiten unerkannt, was schließlich zu weitaus höheren Folgekosten führen kann.

Hinzu kommt, dass für die Praxen und die Praxismitarbeiterinnen und ?mitarbeiter die Praxisgebühr zu einer hohen bürokratischen Belastung geworden ist, die auch Zeit beansprucht, die schließlich bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten völlig fehlt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir haben deshalb wiederholt die Abschaffung der Praxisgebühr gefordert. Im Frühjahr haben die Grünen hierzu einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Hier und heute werden wir dem FDP-Antrag zustimmen, weil wir die Forderung grundsätzlich teilen.

Zunächst scheint etwas Bewegung auf dem bundespolitischen Parkett notwendig. Denn im Bundestag verhindern leider die FDP und die Union derzeit noch eine Abstimmung über die dort vorliegenden Anträge zur Abschaffung der Praxisgebühr. Aus diesem Grunde freue ich mich natürlich besonders, dass die FDP-Fraktion diesen Antrag hier gestellt hat.

Meine Damen und Herren, die Abschaffung der Praxisgebühr ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Die Rückführung anderer Selbstbeteiligungen ist aber auch zwingend mit einer Änderung in der Finanzierung der GKV verbunden. Dazu gehört als erster Schritt die Abschaffung der Zusatzbeiträge, die die Versicherten einseitig belasten. Dazu gehört in einem weiteren Schritt aber auch, dass wir die solidarische Krankenversicherung und Pflegeversicherung in Richtung einer Bürgerversicherung weiterentwickeln. Nur dadurch ist es möglich, eine flächendeckende medizinische, psychotherapeutische und pflegerische Versorgung in der Bundesrepublik auf einem hohen Niveau sicherzustellen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Ünal. – Für die Fraktion der Piraten spricht nun Herr Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Arztpraxen und Krankenhäusern und liebe Patienten! Im Jahre 2003, dem Jahr immer knapper werdender finanzieller Polster der Krankenkassen, musste eine Lösung her, am besten ein Gesetz. Das Ganze nannte man dann „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Das hörte sich erst einmal toll an, war es aber anscheinend nicht, denn sonst müssten wir uns heute nicht darüber unterhalten.

Unter einer ganzen Reihe von kleinen Maßnahmen und Reförmchen gab es eine Sache, die für ganz besonders viel Aufsehen gesorgt hat, nämlich die „geregelte Zuzahlung beim Arztbesuch“, auch „Praxisgebühr“ genannt. Die genauen Details sollten inzwischen allen bekannt sein.

Jetzt gibt es diese Praxisgebühr schon seit ca. acht Jahren. Zum Teil führt diese Regelung zu wirklich seltsamen Absurditäten. Lassen Sie mich ein Beispiel aufführen.

Eine Person stürzt mit einem Fahrrad, verletzt sich am Fußgelenk und wird vom Rettungsdienst in eine chirurgische Notfallambulanz gebracht. Dort angekommen wird dieser Verletzte zuerst nach seiner Krankenversicherungskarte gefragt und ihm dann die Zahlungsaufforderung für die 10-€-Notfallgebühr überreicht.

(Zuruf von der SPD: Sie waren wohl noch nie im Krankenhaus!)

Anschließend legt dieser Mensch eine Odyssee durch das ganze Krankenhaus hin, um diese 10 € an der Krankenhauskasse zu bezahlen, ehe er, wieder zurück in der Notfallambulanz angekommen, erst dann nach dem genauen Unfallhergang gefragt wird. Zur Erinnerung: Der Fuß ist immer noch kaputt.

Diese Geschichte habe ich jetzt nicht etwa erfunden oder irgendwo gehört. Nein – vielleicht wissen es einige von Ihnen –, noch bis vor ein paar Monaten wir ich selbst als Rettungsassistent im Rettungsdienst tätig. Ich durfte Verletzte in ein Krankenhaus bringen und anschließend dort dem massiv unterbesetztem Pflegepersonal in der Notaufnahme bei der Aufnahme der Patienten in den Computer helfen, weil das Personal mit Verwaltungskram umfänglich ausgelastet war.

Dieses Gesetz sollte die Eigenverantwortung der Versicherten stärken und sogenannte Bagatellfälle, sprich blaue Flecken und triefende Nasen, aus den Arztpraxen verbannen, um die Behandlungskosten zu senken. Stattdessen sorgte es für einen massiven Verwaltungsoverflow und generierte es zusätzliche Kosten durch Personaleinsatz.

(Beifall von den PIRATEN)

Heute kann man Dank mehrerer Studien sehr zuverlässig sagen: Die Anzahl der Arztbesuche ist signifikant nicht weniger geworden. Insofern muss man feststellen: Die Praxisgebühr hat ihren Zweck verfehlt.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Gebühr generiert zwar fast 2 Milliarden € zusätzlicher Einnahmen, aber das sind nur 0,2 Prozentpunkte des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung. Stellt man diese Einnahmen den Verwaltungskosten der Krankenhäuser und Arztpraxen sowie den Kosten für entsprechende Mahnverfahren und den vielen weiteren versteckten Kosten gegenüber, wird erst recht deutlich, welch eine negative Bilanz das Ganze hat.

(Beifall von den PIRATEN)

Diese Praxisgebühr ist ein Bürokratiemonster. Es bindet wertvolle medizinische Kapazitäten. Die Aufgabe der Pflegekräfte und Ärzte ist nicht das Geldeintreiben, sondern die Behandlung und Versorgung ihrer Patienten!

(Beifall von den PIRATEN)

Einige Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben inzwischen gelernt, in diesem System zu leben, und wurden zugleich kreativ. So werden Überweisungen auf Vorrat zu Hause gebunkert oder einfach größere Verpackungseinheiten der Medikamente gefordert, um nicht jedes Quartal zum Arzt rennen zu müssen, um ein albernes Rezept zu holen. Diese Tatsache wiederum führt dazu, dass chronisch kranke Patienten wie zum Beispiel Diabetiker keine engmaschige Kontrolle mehr über ihre Zuckerwerte erfahren und schlimmstenfalls noch kränker werden, als sie schon vorher waren. Diese Praxisgebühr erzeugt also nicht nur zusätzliche Kosten durch Verwaltung, sie macht sogar die Menschen kränker, als sie vorher waren.

(Beifall von den PIRATEN)

Trotz der eindeutigen Faktenlage hält die Bundesregierung an dieser Regelung fest. Sie ist scheinbar nicht bereit, sich auch nur ein bisschen zu bewegen. Die gesetzlichen Krankenkassen und Gesundheitsfonds stehen derzeit finanziell ganz gut da. Das wissen wir ja alle. Es gibt also keinen Grund, die Kranken weiterhin so zu belasten.

Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen verwundert, dass dieser Antrag von der FDP im NRW-Landtag gestellt wird. Denn wenn ich mich recht erinnere, dann gehört der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr der FDP-Bundestagsfraktion an. Vielleicht sollten Sie ab und zu mal mit ihm telefonieren und sich austauschen, denn ich denke, die Zuständigkeit ist ganz klar geregelt.

(Beifall von den PIRATEN – Christian Lindner [FDP]: Er hat dieselbe Meinung wie wir! Das kann man in der Zeitung nachlesen!)

– Herr Lindner, grüßen Sie schön zurück.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns an dieser Stelle einmal über Parteigrenzen hinweg sehen. Lassen Sie uns mit gesundem Menschenverstand zumindest ein Stück dazu beitragen, dass diese Regelung ein Ende hat. Ich habe daher meiner Fraktion empfohlen, diesem Antrag zuzustimmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Lamla. – Wie ich eben erfahren habe, war das Ihre erste Rede hier. Herzlichen Glückwunsch dazu! Wir freuen uns über diesen Einstand.

(Allgemeiner Beifall)

Als nächste Rednerin darf ich die Ministerin für Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Steffens, ans Pult bitten.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich schön, dass wir in Nordrhein-Westfalen auch als Landesregierung vonseiten der FDP und mit Zustimmung der Piraten für unseren Kurs eine Unterstützung erfahren. Genau in diesem Sinne haben wir in diesem Jahr auf der Gesundheitsministerkonferenz einen entsprechenden Antrag gestellt. Leider haben nur elf von 16 Ländern diesen Antrag zur Abschaffung der Praxisgebühr unterstützt. Das heißt, es fehlten uns zwei Länder, damit dieser Beschluss angenommen wird.

Natürlich ist es schön, wenn von überall Signale ausgehen, dass wir die Praxisgebühr abschaffen wollen und müssen, denn diese Praxisgebühr ist unsinnig und unsozial. Das Argument „unsozial“ fehlt mir allerdings ein Stück weit in dem Antrag der FDP. Deswegen möchte ich darauf eingehen. Vielleicht ist ja dieses Argument eines, das dazu beiträgt, dass die CDU in sich geht, um über den Antrag nachzudenken und einem solchen Anliegen auch als Signal an Frau Merkel zuzustimmen.

Herr Preuß, die Historie war nicht ganz so, wie Sie das dargestellt haben. Die Frage ist, warum damals die Praxisgebühr eingeführt wurde. Es ging darum, die Anzahl der Praxisbesuche zu steuern und zu reduzieren. Es ging in erster Linie nicht darum, eine neue Einnahmequelle für die Krankenversicherungen zu generieren – das hätte man mit Prozentpunkten leichter erreichen können –, sondern es ging darum , dass Menschen seltener und in Fällen, in denen es vielleicht nicht notwendig ist, nicht in die Arztpraxen gehen.

Aber gerade bei Menschen mit geringem Einkommen hat es zum Gegenteil geführt. Es gibt eine Umfrage zu dieser Steuerungswirkung vom Spitzenverband Bund, die auch als Bericht dem Deutschen Bundestag vorgelegt worden ist. Danach haben 13 bis 18 % der Befragten deutlich gesagt, dass sie aufgrund der Praxisgebühr schon einmal einen notwendigen Arztbesuch nicht durchgeführt haben. Das heißt, Menschen, die krank sind, gehen in Deutschland am Ende des Quartals, des Monats nicht zum Arzt, sondern warten bis zum nächsten Quartal, warten, bis wieder Geld auf dem Konto ist. Das führt dazu, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Das führt zur Chronifizierung. Das wissen wir aus den Studien. Deswegen ist diese Praxisgebühr nicht nur unsozial, sondern sie führt auch wirtschaftlich gerade bei diesen Personen zu Mehrkosten im Gesundheitssystem, jenseits des ganzen Elends, das letztendlich damit erzeugt wird.

Deswegen verstehe ich nicht, dass Sie daran festhalten wollen mit der Begründung, dass ansonsten Geld im System fehlt, obwohl Sie doch wissen, dass derzeit Geld im System vorhanden ist.

Die zweite Argumentation, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist: Auf der einen Seite sagen Sie, wir bräuchten eine Rücklagenbildung, und auf der anderen Seite werden wir am kommenden Freitag im Bundesrat die Diskussion darüber führen, dass Herr Schäuble in die Rücklagen greift, 2 Milliarden € herausnimmt und damit die Rücklagen der Krankenversicherungen wieder senkt. Daneben zwingt Herr Bahr die Kassen, die Rücklagen an die Versicherten auszuzahlen. Auch darüber muss man sich im Klaren sein: Ja, wir brauchen Rücklagen, aber in einer anderen Form, und es darf nicht in die Kassen gegriffen werden.

Deswegen werden wir uns als Landesregierung von Nordrhein-Westfalen weiterhin auf allen Ebenen und an allen Stellen für die Abschaffung der Praxisgebühr einsetzen, damit die Menschen in diesem Land unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen jederzeit den medizinischen Bedarf, den sie haben, wirklich decken können, ohne abwägen zu müssen, wofür sie das Geld am Ende des Monats ausgeben. Ich wäre froh, wenn Sie zumindest in Ihren internen Beratungen noch einmal auf die Argumente und die Gründe eingehen würden und dann vielleicht auch Frau Merkel überzeugen könnten.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Was die FDP betrifft, so wäre es natürlich wünschenswert, wenn dieses Signal von Nordrhein-Westfalen nicht nur Herrn Bahr oder Frau Flach erreichen würde, sondern wenn Sie, liebe FDP, Ihren Leuten in Berlin dann auch so den Rücken stärkten, dass dieses Thema einmal zu einem wirklichen Konflikt mit Frau Merkel und der CDU würde; denn auf der Bundesebene, egal ob in der Gesundheitsministerkonferenz oder im Bundestag, wird immer nach dem Motto „Wir wollen das nicht, aber wir machen keine harte Auseinandersetzung“, verfahren, und das nützt den Menschen gar nichts.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung.

Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen daher zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/817. Ich darf fragen, wer dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion seine Zustimmung geben möchte. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen zu diesem Antrag? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion mit den Stimmen von FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion angenommen.

(Beifall von der FDP)

Wir treten ein in die Beratung über den nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe auf:

5   Landesregierung darf Chancen für NRW aus dem Ziel-II-Programm nicht verspielen: Nordrhein-Westfalen muss eigene Akzente bei EFRE setzen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/822

Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die antragstellende CDU-Fraktion Frau Kollegin von Boeselager das Wort. Bitte schön.

Ilka von Boeselager (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Die Europäische Union berät derzeit über die europäischen Strukturmittel und die Förderprogramme für die Jahre 2014 bis 2020. Wir sind der Meinung, dass wir die Landesregierung darauf hinweisen müssen, dass sie hier eine besondere Verantwortung für das Land Nordrhein-Westfalen hat.

Unsere Frage ist: Verkauft sich Nordrhein-Westfalen unter Wert?

Warum sagen wir das? – Weil wir schon im letzten Jahr mit Nachdruck darauf hingewiesen haben, dass man das Parlament über die Wünsche der Landesregierung im Hinblick auf die Strukturfördermittel unterrichten soll. Der damalige Minister Voigtsberger ist aber nicht darauf eingegangen.

Herr Minister Duin, Ihr Eckpunktepapier, das Sie zur Konsultation gestellt haben, bestätigt unserer Meinung nach diese Verweigerungshaltung. Zusätzlich zu den drei thematischen Prioritäten, die die Kommission mit 80 % der verfügbaren Mittel ausstatten möchte, nennen Sie – aus Ihrer Sicht – drei weitere thematische Ziele, und das war‘s. Sie liefern nicht einmal eine Begründung für Ihre Auswahl, nehmen auf unsere Voraussetzungen in Nordrhein-Westfa­len keinen wirklichen Bezug und sagen nicht, wohin der Zug eigentlich fahren soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unseres Erachtens ist das zu wenig.

Die zukünftige EU-Förderung ist für unser Bundesland enorm wichtig; denn mit diesem Geld sind große Modernisierungschancen verbunden. In der EU-Strukturpolitik drückt sich nicht zuletzt europäische Substanz aus.

Das Eckpunktepapier erhärtet die Befürchtungen, dass die Landesregierung von den Wettbewerbsverfahren um die europäischen Strukturgelder wieder mehr abrücken will. Herr Wirtschaftsminister Duin hat in der ersten Sitzung des Begleitausschusses zu dieser Thematik am 7. September zwar betont, dass er der Konkurrenz um beste Lösungen prinzipiell eine Rolle zudenkt, aber die Überlegungen zu der Bevorzugung einer Metropolregion zeigen gleichzeitig, wie der Weg wirklich ausgeschildert werden soll. Auf den Wegschildern, die Sie aufstellen, steht viel zu oft „Bewertungskriterien im Sinne der Ziele der Landesregierung“.

Wir wenden uns entschieden gegen eine stärkere direkte Vergabe nach undeutlichen Kriterien der Bedürftigkeit; denn das ist das Portal, durch das die Landesförderung wieder auf ideologische Spielwiesen zurückgebracht wird. Mit der direkten Vergabe nach Maßgaben der Landesregierung würden wieder – ich sage: auf breiter Front – die eigenen Spielwiesen unterstützt.

Wir haben damals mit Technologiewettbewerben oder sozialen Modellprojekten optimale Voraussetzungen eingeführt, um den besten Ideen und Konzepten im Land zum Durchbruch zu verhelfen. Ich denke, es besteht hier wirklich die Notwendigkeit, nicht von diesem Verfahren abzurücken. Die Prioritäten des EFRE-Programms, das für uns hier in Nordrhein-Westfalen optimal ist, sind immer noch Verhandlungsmasse.

Vier Dinge sind unserer Ansicht nach sehr wichtig, und zwar erstens, auf eine gute Lösung hinzuwirken in puncto Eigenanteil, sodass auch bei angespannten Haushaltssituationen noch von der Fördermöglichkeit Gebrauch gemacht werden kann.

Es ist auch wichtig, gerade in diesem Land, das im europäischen Kernraum liegt, die Verkehrsstrukturnetze zu priorisieren. Jetzt wird man natürlich vonseiten des Ministeriums einwenden: Ja, das ist aber sehr schwierig, weil das eigentlich nicht vorgesehen ist. – Aber dafür müssen wir uns nun einmal verstärkt einsetzen. Wir haben immerhin vier Millionen Pendler in unserem Land und wir brauchen ein funktionales Verkehrsnetz, gerade auch weil wir durch die Osterweiterung ein europäisches Drehkreuz geworden sind. Dazu gehören auch die Schiene und natürlich auch der Güterverkehr. Das hat für uns in Zukunft eine riesige Bedeutung.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen?

Ilka von Boeselager (CDU): Ja; ich sehe hier auch, dass die Redezeit zu Ende ist. Ich fasse mich sehr kurz.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass auch der demografische Wandel als ausdrückliches Ziel identifiziert werden sollte und dass wir auch insofern mit europäischen Strukturmitteln für die Zukunft mehr gestalten können.

Ich will es dabei bewenden lassen, obwohl ich noch viel mehr dazu sagen kann. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin von Boeselager. – Als nächster Redner spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Schmeltzer.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als ich diesen Antrag gelesen habe, habe ich tatsächlich noch einmal über die Rolle des Parlaments nachdenken müssen. Ich glaube, es heißt, das Parlament kontrolliert die Landesregierung, aus dem Parlament kommen Anträge, Anfragen, aber auch Gesetzentwürfe. Aber all dies, Frau von Boeselager, unterstellt doch, dass Sach- und Fachverstand vorausgesetzt wird und dass bei der Formulierung eines Antrags Gehörtes aus Sitzungen, Veranstaltungen oder gar aus Debatten berücksichtigt wird und dass Papiere, Vorlagen, Schreiben gelesen und auch zur Kenntnis genommen werden.

Das alles scheint von den Verfassern dieses Antrages außer Acht gelassen worden zu sein. Sie bewiesen das ja dadurch, dass Sie eben gesagt haben, das Verfahren von Minister Duin hätten Sie nicht verstanden. Wenn Sie es ganz gelesen hätten, wenn Sie sich eventuell sogar beteiligt hätten, wenn Sie sich mit der Angelegenheit auseinandergesetzt hätten und vielleicht auch einmal nachgefragt hätten, dann hätten Sie es nicht nur verstanden, sondern hätten sicherlich auch Ansätze gefunden, sich tatsächlich sachlich und fachlich einzubringen. Wir warten ja auf das, was dann da kommt.

Fangen wir mit einer einfachen Tatsache an. Schon in der Sitzung des EFRE-Begleitausschusses fragte der Kollege Lohn, den ich jetzt leider nicht sehe – Sie habe ich auch nicht gesehen – nach der Ergänzung zur Förderung von Verkehrsinfrastruktur. Die Frage ist sehr einfach und deutlich beantwortet worden. Noch dort wurde schon auf die von der EU-Kommission vorgelegten Bestimmungen verwiesen, die ohnehin schon im Vorfeld auch von Ihnen, auch von Herrn Lohn hätten nachgelesen werden können. Dort steht ausdrücklich – ich zitiere –: In stärker entwickelten Regionen unterstützt der EFRE keine Investitionen in Infrastruktureinrichtungen, die grundlegende Dienstleistungen für die Bürger in den Bereichen Umwelt, Verkehr und Informations- und Kommunikationstechnologien bereitstellen.

Das heißt also, Sie hätten es nachlesen können. Sie hätten sich diese Formulierung im Antrag sparen können, weil es schon von vornherein ausgeschlossen wird. Bei allem Verständnis dafür, dass wir mehr Geld für Verkehrsmaßnahmen bräuchten: Eine EU-Förderung wird nach den Bestimmungen ausdrücklich ausgeschlossen, was Sie hätten wissen können.

Aber lenken Sie nicht über den Umweg EU von den Verfehlungen Ihrer Bundesregierung ab, die das Land NRW bewusst bei Infrastrukturmaßnahmen seit Jahren benachteiligt.

(Beifall von der SPD)

Wenn ich schon den Bund anspreche: Ist es nicht so, dass die Bundesregierung für die Partnerschaftsvereinbarung zuständig ist? Es ist so. Die jeweiligen Mitgliedstaaten sind zuständig.

Sie behaupten, dass die Landesregierung beabsichtige, in der Förderperiode 2014-2020 vom Wettbewerb abzurücken, und wieder Leuchtturmprojekte fördern wolle. Sie haben das eben noch einmal untermauert. Wo nehmen Sie das her? Auch das ist im EU-Begleitausschuss vom Minister – nicht so wie man es Ihnen aufgeschrieben hat; Sie selber konnten es ja dort nicht hören – dargelegt worden, dass sehr wohl die Wettbewerbe bei uns eine Rolle spielen werden. Er hat einiges dazu gesagt.

Fakt ist aber auch – und das muss man zur Kenntnis nehmen –, …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter Schmeltzer, entschuldigen Sie, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von Boeselager zulassen?

Rainer Schmeltzer (SPD): Immer gerne.

Ilka von Boeselager (CDU): Ist Ihnen bewusst, Herr Kollege, dass sich alle Europaabgeordneten dafür einsetzen, dass gerade jetzt noch versucht werden muss, die Mittel auch für die Verkehrsnetze zu erweitern?

Außerdem möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen klar, dass sich viele an dem Konsultationsverfahren des Ministers beteiligt haben, unter anderem auch ich?

Rainer Schmeltzer (SPD): Wunderbar. Das zeigt ja schon einmal, dass Sie zumindest den Brief gelesen haben und die Fragen auch beantwortet haben und sich eingebracht haben.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass auf der europäischen Ebene Europaabgeordnete Vorhaben beabsichtigen. Mir ist aber auch sehr bewusst, dass wir Mitte September haben, dass das Konsultationsverfahren auf einer Basis läuft, die derzeit Fakt ist, und dass das Konsultationsverfahren am 26. September veröffentlicht wird. Mir ist sehr wohl auch die Zeitschiene bewusst, dass bis zum Ende dieses Jahres diese Partnerschaftsvereinbarung auf der Bundesebene mit den Mitgliedstaaten geschlossen werden muss und dass deswegen Absichten von Europaabgeordneten sicher gut gemeinte Dinge sind, aber in dem Verfahren derzeit wenig eine Rolle spielen können, weil wir mit den Fakten arbeiten müssen und nicht mit Absichten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bei allem, was da jetzt angedacht ist: Bei den Wettbewerbsverfahren müssen wir beachten, dass wir Fakten berücksichtigen müssen. An diese Fakten werden wir herangehen. Dort, wo Wettbewerbe sich als sinnvoll und praktikabel erweisen, werden wir Wettbewerbe machen.

Fakt ist aber auch – das hat die auslaufende Periode gezeigt –, dass die Verfahren dergestalt vereinfacht werden müssen, dass der maximale Ansatz der Fördergelder diese Projekte auch erreicht.

Sie haben ja darauf hingewiesen, Frau von Boeselager, was Sie in Ihrer Regierungszeit eingeführt haben. Darauf nehme ich gerne Bezug.

Sie haben bei den Wettbewerben eine derart hohe Bürokratie – von Frau Thoben immer wieder gerne erwähnt – entwickelt, dass dadurch die Fördergelder in den Projekten nicht 1:1 angekommen sind, sondern etliche Millionen auf dem Verwaltungswege versackt sind. Da müssen wir entschlacken.

In Ihrem Antrag sprechen Sie ausdrücklich EFRE an. Sie kritisieren viele Punkte, unter anderem, dass die Landesregierung nicht willens und in der Lage sei, die Möglichkeiten der europäischen Strukturpolitik für NRW zu nutzen. In dem gleichen Absatz schreiben Sie aber, dass Sie von dem operationellen Programm 2014-2020 der Landesregierung indirekt Kenntnis erlangt hätten. Dem haben Sie aber gerade selber mit Ihrer Zwischenfrage widersprochen, mit der Sie eben bestätigt haben, dass Sie direkt Kenntnis genommen haben. Das Konsultationsverfahren des Ministers ist natürlich auch an Sie gegangen. Wenn Sie mitgemacht haben, ehrt Sie das. Jetzt warten wir nur noch auf Ihre Beteiligung. Die Präsentation werden wir am 26. sehen.

Es gibt sicher viel über diesen Antrag zu diskutieren. Sicher ist aber auch viel an Aufklärungsarbeit in Ihre Richtung zu betreiben. Deswegen freue ich mich jetzt schon auf die Beratung in den Ausschüssen, insbesondere wenn wir über den von Ihnen angesprochenen Passus betreffend den notwendigen Strukturwandel debattieren. Denn den hatte Frau Thoben schon ausdrücklich als abgehandelt angesehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, Ihr Antrag ist überschrieben mit dem Titel „Landesregierung darf Chancen für NRW aus dem Ziel-II-Programm nicht verspielen: …“. Ich sage Ihnen: Mit diesem Antrag verspielt Ihre Fraktion leider die Chance, sich ernsthaft an der Debatte zur Strukturpolitik zu beteiligen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Er ist an vielen Stellen – der Kollege Schmeltzer hat das gerade ausgeführt – einfach sachlich falsch. Teilweise beinhaltet er Banalitäten. Er setzt die falschen Prioritäten und malt Benachteiligungen und Angstszenarien an die Wand, die überhaupt nicht der Realität entsprechen. Ich kann Ihnen vorneweg sagen: In dieser Form ist der Antrag für uns einfach nicht zustimmungsfähig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie fordern zum Beispiel in Ihrem Antrag unter Punkt 4 die Landesregierung auf – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –, „sich ebenso dafür einzusetzen, dass auch in der Förderperiode 2014 bis 2020 Mittel aus dem EFRE-Programm zur Bewältigung des Strukturwandels zur Verfügung stehen“.

Liebe Frau von Boeselager, diese Landesregierung muss von Ihnen hier nicht dazu aufgefordert werden. Denn nur der intensiven Arbeit dieser Landesregierung und der Regierungsfraktionen ist es doch zu verdanken, dass trotz einer Neuaufteilung der Mittel und trotz der Schaffung einer neuen Zwischenkategorie im Vorschlag der EU-Kommission die Förderung der für uns so wichtigen Kategorie „wettbewerbsfähige Regionen“ weiter vorgesehen ist. Diese Regierung hat doch maßgeblich dafür gesorgt, dass eine Weiterführung der Förderung aus Strukturmitteln der EU auch für Nordrhein-Westfalen nach 2013 gesichert ist. Da brauchen wir doch Ihre Aufforderung nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Stichwort „Wettbewerb“ – Kollege Schmeltzer hat das auch schon angesprochen –: Während der Koalitionsverhandlungen sind Ihre Kollegen aus dem Europaparlament durch Brüssel gelaufen und haben die Mär gestreut, Rot-Grün wolle alle Wettbewerbsverfahren abschaffen. Das haben wir nie vorgehabt; das ist einfach Unsinn. Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt doch schon, dass wettbewerbliche Auswahlverfahren auch in der neuen Förderperiode ein zentrales Instrument zur transparenten Auswahl von Projekten bleiben.

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass es immer wieder teilweise massive Kritik an den Wettbewerbsverfahren gegeben hat und gibt. Sie sind oftmals zu langwierig. Die Verfahren sind zu kompliziert und passen manchmal nicht auf die Zielgruppen. Deswegen werden sie derzeit in all ihren Phasen evaluiert. Das Ergebnis wird bald vorliegen. Es wird im Ziel-II-Begleitausschuss vorgestellt werden. Wir werden es da diskutieren können. Danach – da bin ich mir sehr sicher – müssen die Wettbewerbsverfahren überarbeitet werden. Erst dann macht es Sinn, mit Wettbewerbsverfahren weiterzumachen. Das ist ein absolut vernünftiges, professionelles Vorgehen ohne ideologischen Schaum vorm Mund. So wird das gemacht. Dann können wir auch wieder mit Wettbewerbsverfahren hier in Nordrhein-Westfalen Strukturpolitik machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte. Gestatten Sie eine Zwischenfrage, ich glaube, von Herrn Kollegen Lohn? – Ich darf in dem Zusammenhang bitten, dass die Abgeordnetenkollegen, die eine Frage stellen möchten, sich zu diesem Zweck auf ihren Platz setzen, weil sonst manchmal von hier vorne aus nicht klar zu identifizieren ist, wer eine Frage stellen möchte. – Würden Sie eine Frage zulassen?

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Nein, ich möchte einmal im Zusammenhang vortragen. Wir können das nachher bilateral klären. – Im Fabelreich angesiedelt ist auch die Befürchtung, jetzt würde in Nordrhein-Westfalen nur noch das Ruhrgebiet gefördert werden und andere Regionen seien von der Förderung ausgeschlossen. – Das ist nicht der Fall. Sie können sicher sein, dass gerade die grüne Fraktion darauf achtet, dass alle die Möglichkeit der Förderung bekommen werden. Einen Ausschluss von Regionen wird es nicht geben.

In einem Punkt aber haben Sie unsere Unterstützung, und zwar beim Thema „Konversion“. Der Abzug der britischen Streitkräfte und die Reform der Bundeswehr werden in vielen Teilen Nordrhein-Westfalens zu erheblichen Problemen führen. Wir sind auch dafür, den betroffenen Städten und Gemeinden neben anderen Unterstützungsmaßnahmen auch die Förderung aus dem EFRE-Programm zu ermöglichen. Da sollten wir zusammen an einem Strang ziehen und gemeinsam marschieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, der vorgelegte Entwurf der Eckpunkte des operationellen Programms für den EFRE nutzt die ihm auferlegten Möglichkeiten voll aus. Ich bin absolut zuversichtlich, dass die rot-grüne Landesregierung am Ende des Prozesses ein für alle Regionen und alle Akteure zufriedenstellendes Programm aufgestellt haben wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion ergreift nun Herr Kollege Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass die CDU-Fraktion heute hier diesen Antrag eingebracht hat, sodass wir hier im Hohen Hause über die Strukturmittel, über das Ziel-II-Programm und deren Umsetzung in Nordrhein-Westfalen, diskutieren können.

Bei allen Online-Konsultationen, die es gibt und die sicherlich gut sind, ist es, glaube ich, wichtig, dass wir eben hier im Hohen Haus die Debatte offen führen, sodass auch die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, wie die Positionen dazu sind.

Meine Damen und Herren, wenn man sich den derzeitigen Diskussionsstand ansieht, gibt es in der Tat zwei gravierende Punkte, bei denen die jetzige Landesregierung Chancen für unser Land eben nicht nutzt, indem sie Veränderungen durchführt.

Zum einen soll mit der neuen Förderperiode das endgültige Aus für die Wettbewerbsverfahren beschlossen werden. Bereits in der laufenden Periode haben Sie, Frau Ministerin, keine neuen Verfahren mehr gestartet. Das ist de facto ein Aussetzen der Wettbewerbe, auch wenn Sie das anders definieren und erklären, Sie würden evaluieren. Sie verzögern, Sie machen keine neuen Wettbewerbe. Damit sorgen Sie de facto dafür, dass die Mittel in anderen Bereichen ausgegeben werden.

(Beifall von der FDP)

Das ist nicht richtig. Wettbewerbe und Wettbewerbsverfahren sind sicherlich anstrengend. Aber, meine Damen und Herren, diese Anstrengungen lohnen sich, weil sie die besten Ideen nach vorne bringen und eben nicht danach entschieden wird, was der Landesregierung gerade genehm ist.

Kollege Engstfeld hat es angesprochen: Wettbewerbsverfahren sind kompliziert und lang. Aber das betrifft nicht die Wettbewerbe selbst, Herr Kollege. Anhand der Diskussion haben Sie nachvollziehen können, dass das bürokratische Genehmigungsverfahren, das folgt, der Casus cnactus ist, aber nicht der Wettbewerb.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann müssen Sie sich an Frau Thoben wenden. Die hat es eingeführt!)

– Ich hätte von der alten Landesregierung schon längst erwartet, Herr Kollege Schmeltzer, dass sie Verbesserungen durchführt, Bürokratie abbaut, sodass wir diejenigen, die Anstrengungen unternommen haben, schneller zum Ziel bringen können und sie Unterstützung erhalten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir werden es jedenfalls nicht zulassen, dass die Mittel nach rot-grünem Gutdünken vergeben werden.

Der andere kritische Punkt ist ebenfalls angesprochen worden, meine Damen und Herren: Von den elf Zielen werden fünf Ziele ausgeschlossen. Man kann sagen: Elf Ziele sind zu viel, man muss sich konzentrieren. Aber wenn man dann gerade zwei Themenfelder, die für Nordrhein-Westfalen von enormer Wichtigkeit und Bedeutung sind und bei denen wir mit der Finanzierung Probleme haben, herausnimmt, hat man ganz klar falsche Prioritäten gesetzt.

Herr Minister Groschek ist zwar nicht anwesend, aber ich hätte – insofern muss ich mich schon wundern – erwartet, dass das Verkehrsministerium sehr viel stärkere Anstrengungen an den Tag legt, um auch gegenüber der Kommission den enormen Infrastruktur- und Verkehrsausbaubedarf in Nordrhein-Westfalen und weshalb man uns aus diesem Bereich nicht herausnehmen darf, deutlich zu machen. Nordrhein-Westfalen ist das Transitland Nummer eins, meine Damen und Herren. Wir beklagen ja alle zu Recht, dass wir auf diesem Feld unterfinanziert sind. Deshalb darf man eine solche Chance eben nicht verstreichen lassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Brockes, Kollege Schmeltzer würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Ist das möglich?

Dietmar Brockes (FDP): Es hätte mich gewundert, wenn die nicht gekommen wäre. Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das ist ein eindeutiges Ja. Bitte, Herr Kollege Schmeltzer.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Kollege Brockes, damit uns nicht immer wieder nachhaltig der Irrtum unterläuft anzunehmen, dass dem so ist, wie Sie es gerade gesagt haben: Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Artikel 3 der EFRE-Verordnung diese Förderung der Infrastruktur mit EFRE-Mitteln ausdrücklich ausgeschlossen ist und dass die schwarz-gelbe Landesregierung, die die Bürokratie, die Sie eben beklagt haben, aufgebaut hat, auch nie ansatzweise in Erwägung gezogen hat, dies in die Förderung aufzunehmen?

Dietmar Brockes (FDP): Lieber Herr Kollege, was den ersten Punkt Ihrer Frage angeht, so muss ich ganz klar sagen: Das ist eines von elf Zielen. Angesichts dessen muss man als Landesregierung der EU-Kommission deutlich machen, wie wichtig auch dieses elfte Ziel für das Land Nordrhein-Westfalen ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich kann nicht einfach einknicken und fortfahren, wenn ich weiß, wie wichtig diese Mittel gerade auch für unser Land sind.

Was war Ihre zweite Frage, Herr Kollege?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Warum Schwarz-Gelb das nicht längst gefordert hat!)

– Danke.

Sie gehören ja auch schon längere Zeit dem Begleitausschuss an und wissen, dass dieses Thema dort immer Diskussionspunkt war. Wir haben das Wettbewerbsverfahren damals eingeführt und für dieses moderne und fortschrittliche Verfahren großes Lob seitens der EU-Kommission geerntet. Deshalb hat es bereits Anstrengungen gegeben, die aber bei Weitem nicht ausreichen. Sie sind seit mehr als zwei Jahren in der Regierung, sodass ich von Ihnen erwarte, dass Sie dieser Verantwortung nachkommen und endlich konkrete Maßnahmen ergreifen, statt erst einmal alles auszusetzen, damit Sie die Mittel für andere Bereiche einsetzen können, die Ihnen viel näher sind.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, als Letztes möchte ich ansprechen, dass eine zweite Chance vertan wird, soweit es um den Ausbau der Kommunikation geht. Für den Breitbandausbau ist die Staatskanzlei zuständig. Frau Ministerin, ich kann nicht nachvollzeihen, dass man dieses Ziel nicht in den Katalog aufgenommen hat, obschon in der Staatskanzlei allen bewusst sein muss, dass wir die Breitbandversorgung für den ländlichen Raum massiv ausbauen müssen, bisher Probleme haben, den Kommunen die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, um, was die Internetversorgung in der Fläche angeht, den Interessen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.

Deshalb, meine Damen und Herren – ich komme zum Schluss – freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Dringender Handlungsbedarf ist gegeben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Bildungsbedarf ist bei Ihnen gegeben bei diesem Thema!)

Wir signalisieren bereits unsere Unterstützung in Richtung Union. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst ein paar Worte dazu, warum ich diese Rede nicht zu Protokoll geben wollte.

Wir hatten heute über eine Stunde Zeit, um über den Proporz zwischen Westfalen und Rheinländern im Vorstand der NRW-Stiftung zu reden. Wir sollten dann auch Zeit haben für einen konstruktiven Dialog über Wirtschaft und Finanzen dieses Landes.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Sonst betreiben wir hier nur noch Polittheater, statt für die besten Lösungen für dieses Land zu arbeiten. Das 57-Sekunden-Meldegesetz im Bund ist ein trauriges Beispiel dafür, wohin so etwas führen kann. Bitte stellen Sie in Zukunft nur Anträge, zu denen es auch etwas zu sagen gibt. Ich bitte um Ihr Verständnis dafür. – Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, Frau von Boeselager, vielen Dank für die Stellung dieses Antrags, dem wir einige Punkte entnehmen können, die wir für bedenkenswert halten. Ich stimme Ihnen zu, dass besonders große Leuchtturmprojekte nicht automatisch den besten Nutzen für dieses Land bringen. Aus der Projektsteuerung weiß man, dass große Projekte mit übermäßiger Komplexität überdurchschnittlich oft scheitern oder ihre Ziele nicht erreichen. Wettbewerbe hingegen ermöglichen ein Verfahren, in dem nicht das Prestige, sondern die Leistungsfähigkeit eines Projekts im Vordergrund steht. Wettbewerbe führen bei richtiger Auswahl der Kriterien und bei funktionierender Erfolgskontrolle tendenziell zu besseren Ergebnissen.

Ich würde aber gerne einen zusätzlichen Punkt ansprechen. Das ist die Bürgerbeteiligung. Im Rahmen von Wettbewerben ist die Einbindung der Bürger leichter möglich. Sie können am Vorschlags- und Bewertungswesen und am Abstimmungsprozess teilnehmen. Eine offene Plattform würde es erlauben, die vorhandenen EFRE-Mittel im Sinne der Bürger zu verteilen. Wir bitten die Landesregierung, die Wettbewerbe entsprechend zu gestalten.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Der zweite uns wichtige Punkt ist die Transparenz. Bitte stellen Sie sicher, dass die Vergabe dieser Mittel nachvollziehbar geschieht und dass der jeweilige Erfolg der Maßnahme transparent dargestellt wird. Dies würde erlauben, mit wachsender Erfahrung in Zukunft noch besser jene Projekte zu fördern, die einen Erfolg erwarten lassen.

Wenn Sie schon einzelne Leuchtturmprojekte durch die Landesregierung durchführen lassen wollen,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wo steht das denn?)

dann erwarten wir, dass Transparenz und Bürgerbeteiligung ebenfalls den größtmöglichen Stellenwert eingeräumt bekommen.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Dadurch erhöhen Sie in der Bevölkerung die Akzeptanz solcher Projekte.

Die getroffene Auswahl der EFRE-Ziele durch die EU-Kommission und die Landesregierung ist im Grundsatz zu begrüßen, auch wenn die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen ein sehr allgemein gehaltenes Ziel ist.

Der Forderung der CDU, auch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen in die Liste förderungswürdiger Ziele aufzunehmen, können sich die Piraten anschließen – allerdings lediglich im Hinblick auf nachhaltige Strukturen und die CO2-arme Gesellschaft, die auch als Ziele im Katalog stehen.

So finden wir den Ausbau des Individualverkehrs nicht förderungswürdig, wohl aber das Schienennetz und den öffentlichen Personennahverkehr. Wir würden uns hier einen Modellversuch zum fahrscheinlosen Nahverkehr wünschen.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Der Plan, den Zugang zur Information- und Kommunikationstechnik hingegen nicht zu den förderungswürdigen Zielen zu zählen, kritisieren wir ausdrücklich. Gerade in den ländlichen Bereichen Nordrhein-Westfalens ist der Anschluss an das breitbandige Internet keineswegs selbstverständlich. Beispielsweise in der Eifel und im Siegerland gibt es Gemeinden, für die es ein echter Standortnachteil ist, keinen breitbandigen Internetzugang anbieten zu können. Die Ansiedlung eines Unternehmens, welches zum Beispiel Support für Software anbieten muss, ist nicht möglich. Wir möchten anregen, auch den Breitbandausbau im Rahmen der EFRE-Förderung zu ermöglichen.

(Beifall von den PIRATEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist doch in der Planung! Das ist doch drin!)

Ebenso halten wir es für wichtig, dass auch Gemeinden, die der Haushaltskontrolle unterliegen, in den Nutzen des EFRE-Programms kommen können, also auch dann, wenn sie sich den Eigenanteil der Förderung nicht leisten können. Denn sonst erreicht die Strukturförderung gerade diejenigen nicht, die sie am nötigsten haben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Duin das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Ihnen zu Beginn meiner Amtszeit auch im Ausschuss zugesagt, dass wir auf sehr kollegiale Art und Weise zusammenarbeiten werden, und ich möchte an dieser Zusage gerne festhalten. Das hat aber eine Voraussetzung: dass wir redlich argumentieren und dass wir redlich mit diesen Dingen umgehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieses Anliegen ist durch die Beiträge gerade auf eine schwere Probe gestellt worden. Wir sollten uns den Antrag und die Wortbeiträge noch einmal kurz vor Augen führen.

In dem Antrag wird davon gesprochen, dass wir die EU-Förderung für Nordrhein-Westfalen auf eine robuste Grundlage stellen sollen. Meine Damen und Herren, robuste Grundlage heißt erst einmal: Welches Volumen steht uns zur Verfügung? – Uns standen in der jetzt noch laufenden EFRE-Förderperiode ungefähr 1,3 Milliarden € zur Verfügung. Nun verhandeln die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat in Brüssel darüber, wie viel Geld künftig für diese Programme zur Verfügung steht. Es ist allerdings die Bundesregierung in Berlin, die nicht dem Kommissionsvorschlag zustimmt, 1,11 % des Bruttonationaleinkommens – das ist die Formel, nach der das berechnet wird – zur Verfügung zu stellen, sondern den Anteil auf 1 % zu drücken.

Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit klarstellen: Eine robuste Grundlage wollen wir alle. Aber es kann nicht sein, dass diejenigen, die die Bundesregierung stellen, ihre Bundeskanzlerin nach Brüssel schicken, damit diese dafür sorgt, dass möglichst wenig Geld ausgegeben wird, und dass sich dieselben hier in Düsseldorf und im ganzen Land hinstellen und beklagen, dass so wenig Geld aus Brüssel in diese Region fließt. Das ist nicht in Ordnung. Entweder – oder!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Man kann sich nicht im Wahlkreis hinstellen und sagen: „Die da in Brüssel gehen mit unserem Geld nicht ordentlich um“, und gleichzeitig klagen, dass die Landesregierung zu wenig Geld in die Regionen leite. Man muss konsequent argumentieren.

Dasselbe gilt für das Thema „Partnerschaftsvereinbarung“. Sie wissen ganz genau – der Kollege Schmeltzer hat schon darauf hingewiesen –, dass nicht ein Bundesland diese Partnerschaftsvereinbarung mit der EU abschließt, sondern dass es der Bund ist, der der Kommission einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, sobald er die operationellen Programme aus den Ländern kennt.

Was in dieser Debatte auch nicht redlich ist, ist das Thema „Wettbewerb versus angebliche Leuchttürme“. Sie haben von mir in diesen vergangenen zwei Monaten in keiner Sitzung, in keiner öffentlichen Stellungnahme auch nur ein einziges Mal das Wort „Leuchtturm“ gehört. Wenn Sie dann einen solchen Pappkameraden hier aufbauen nach dem Motto: „Da sollen wieder Leuchttürme gefördert werden“, und das Thema „Wettbewerb“ werde vernachlässigt, dann ist das das Gegenteil von dem, was ich landauf, landab öffentlich und im Ziel-II-Begleitausschuss zu diesem Thema erkläre und was auch schriftlich niedergelegt ist.

(Beifall von der SPD)

Wir werden ohne Wenn und Aber das Instrument des Wettbewerbs stärken. Wir werden ohne Wenn und Aber – ich persönlich kümmere mich um solche Dinge – Bürokratie bei den Verfahren entschlacken. Ich will nämlich, dass sowohl in den Kommunen als auch bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen gerne auf diese Programme zurückgegriffen und nicht davon Abstand genommen wird, weil man bei ihnen nicht mehr durchsteigt. Das müssen wir ändern. Das ist unsere Verantwortung. Ich kümmere mich persönlich um dieses Thema der Vereinfachung der Verfahren.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie in dem Antrag einen Großteil des Textes darauf verwenden, dass Sie den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wollen, dann kann hier zwar jeder diese Argumente nachvollziehen, aber es ist schon durch verschiedene Redner darauf hingewiesen worden, dass in Artikel 3 der Dokumente, die dem zugrunde liegen, ausdrücklich steht, dass eine Förderung für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nur dann geht, wenn sie nicht zu den stärker entwickelten Regionen in Europa gehören. Egal, welche Unterschiede wir im Land in der Entwicklung haben: Dieser Punkt ist für Rumänien und vergleichbare Infrastruktursituationen gedacht und nicht für Nordrhein-Westfalen. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist übrigens auch in Ihrer Regierungszeit keine Infrastruktur durch EU-Förderprogramme gefördert worden, weil das aufgrund der vertraglichen Grundlage nicht förderfähig ist. Deshalb bauen Sie dann hier nicht solche Pappkameraden auf.

Dasselbe gilt für das Thema „Konzentration“. Wir wollen uns eben nicht an allen elf Dingen beteiligen, sondern es ist notwendig, wenn effektiv gefördert werden soll, die Mittel entsprechend zu konzentrieren.

Wir müssen eine bessere Verzahnung hinbekommen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag, dass die 52-%-Quote für den ESF im Rahmen des Wettbewerbs zu hoch sei. Wir wollen aber doch gerade, dass nicht ESF, ELER für den ländlichen Raum und EFRE immer getrennt voneinander behandelt werden. Wenn wir wirklich eine Landesentwicklung für die ganz verschiedenen und unterschiedlichen Landesteile betreiben wollen, müssen wir diese drei getrennten Fonds zusammen bearbeiten.

Ich komme dann zu dem Thema „Breitband“: Natürlich ist es ein dringendes Anliegen, den Breitbandausbau insbesondere im ländlichen Raum voranzubringen. Aber dann machen wir das bitte auch in dem dafür zuständigen Bereich. Das ist der ELER, das ist nicht der EFRE. Also verwechseln Sie hier nicht Äpfel mit Birnen. Insgesamt ist das Thema richtig, aber es muss aus dem Bereich finanziert werden, wo es hingehört. Man soll nicht den EFRE zum Steinbruch für alle möglichen Forderungen machen. Das würde nicht zum Ziel führen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich komme zum Ende. – Ich stimme damit überein – das habe ich auch im Ziel-II-Begleitausschuss schon einmal gesagt –, dass wir das Thema „Konversion“ in den Blick nehmen. Ich bin mit den Europaabgeord­neten aller Parteien – ich habe erst vor Kurzem mit Herrn Liese von der CDU ausführlich darüber gesprochen – darin einig, dass wir uns gemeinsam anstrengen, damit das Thema „Tourismus“ in die Programme mit aufgenommen werden kann, weil es in vielen Teilen dieses Landes eine so große Bedeutung hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich komme damit zum Schluss. Es ist mein dringender Appell, bei der Ausarbeitung des operationellen Programms – das haben wir im Übrigen in größtmöglicher Offenheit getan – an einem Strang zu ziehen und keinen Kleinkrieg zu veranstalten, über den die sich in Brüssel kaputtlachen und sich fragen, was hier in Nordrhein-Westfalen eigentlich los ist. Wir werden das nicht weiter befördern, sondern wir wollen gemeinsam mit allen Akteuren in diesem Land dieses operationelle Programm in der kommenden Wahlperiode zu einem Erfolg machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Wir kommen zum Schluss der Beratung und zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/822 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Europa und Eine Welt sowie an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr und nach einer Vereinbarung aller Fraktionen an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir verlassen damit den Tagesordnungspunkt 5 und kommen zum Tagesordnungspunkt

6    Endspurt vor dem doppelten Abiturjahrgang: Gute Beratung und zeitnahe Antragsbearbeitung in den BAföG-Ämtern sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/813

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/872

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/887

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/904

Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die antragstellende SPD-Fraktion dem Kollegen Schultheis das Wort, der auch schon hier steht. Bitte schön, Herr Kollege.

Karl Schultheis*) (SPD): Herr Präsident, ich hatte mich vorbereitet, damit wir die Zeit ökonomisch nutzen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD und die Grünen haben den Antrag vorgelegt, weil wir gemeinsam die Aktivitäten der Studentenwerke und auch des Ministeriums und der Ministerin persönlich in dieser Angelegenheit unterstützen möchten und deutlich machen wollen, dass sich der Landtag klar zu diesen Aufgaben bekennt, gerade im Hinblick auf den doppelten Abiturjahrgang die Studentenwerke handlungsfähig zu halten, damit die BAföG-Anträge zeitnah bearbeitet werden können.

Die drei Entschließungsanträge, die hierzu vorliegen, verlangen aber noch einige Anmerkungen auch zum Schluss eines sehr vollen Debattentages. Nicht der Entschließungsantrag der Piraten, aber die beiden Entschließungsanträge von CDU und FDP sind aus meiner Sicht ein Angriff auf die Intelligenz anderer Menschen und auf das Gedächtnis anderer Menschen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Herr Hafke, wir kommen darauf zurück.

Wenn man Revue passieren lässt, was die schwarz-gelbe Koalition den Studentenwerken angetan hat, ist festzustellen, dass für viele der Punkte, die Sie heute anmahnen, Ihr eigenes politisches Handeln, Herr Hafke, die Ursache ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich schildere Ihnen einmal die Haushaltsentwicklung. Ich habe sie noch gut im Kopf. 2005, als Schwarz-Gelb die Regierung übernommen hat, standen den Studentenwerken 49 Millionen € zur Verfügung. Im Haushalt 2006 waren es noch 41,5 Millionen €. 2007 waren es 38,9 Millionen €. 2008 waren es auch 38,9 Millionen €. 2010 waren es immer noch 38,9 Millionen €. 2011, nach dem Regierungswechsel, standen den Studentenwerken wieder über 46 Millionen € für ihre Studierenden zur Verfügung.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD])

Sie haben die Zuschüsse für die Studentenwerke um 20 % abgesenkt. Wir sind dafür eingetreten – das war der Antrag schlechthin; SPD und Grüne haben ihn in jeder Haushaltsberatung vorgelegt –, dass dieser Ansatz wieder erhöht wird. Sie haben diesen Antrag immer wieder niedergestimmt. Insofern muss man Sie darauf verweisen, dass Sie hier ein sehr schlechtes Gedächtnis haben, meine Damen und Herren der Opposition.

(Beifall von der SPD)

Nun kommt die CDU daher – ich nehme einmal an, dass Herr Dr. Berger das geschrieben hat; Sie erfüllen damit auch voll unsere Erwartungen, was Ihre zukünftige Arbeit im Wissenschaftsausschuss angeht –

(Marcel Hafke [FDP]: Reden Sie doch einmal über das Thema!)

und macht Deckungsvorschläge für zusätzliche Stellen, indem das Netzwerk Frauenforschung sowie die Ausgaben für Gleichstellung in den Hochschulen infrage gestellt werden. Diese Deckungsvorschläge halte ich wirklich für unanständig. Schließlich geht es darum, die Gleichstellung von Männern und Frauen in unseren Hochschulen und in unserer Gesellschaft insgesamt voranzubringen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Noch interessanter ist der Entschließungsantrag der FDP. Als es um die Novellierung des Hochschulgesetzes ging, das dann unberechtigterweise den Namen „Hochschulfreiheitsgesetz“ erhalten hat, hat gerade der Kollege Christian Lindner immer auf den Paradigmenwechsel hingewiesen. Ich will einfach einmal etwas zitieren, was ich zu nett finde; denn alle Anträge, die SPD und Grüne gestellt haben, wenn es darum ging, dass Hochschulen zusammenarbeiten sollen, sind von Ihnen niedergestimmt worden. Sie haben das in der Manier, in der Sie auch gestern hier aufgetreten sind, immer sehr wortstark vorgetragen. Ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten aus dem dritten Absatz auf Seite 2 Ihres Antrages. Dort heißt es:

„Es ist deshalb so notwendig, wie es selbstverständlich sein sollte, dass auch von Seiten der Landespolitik umfassende Lösungen erarbeitet werden. Die Landesregierung muss endlich ein integriertes Gesamtkonzept erstellen, das die Hochschulen hinsichtlich der Gesamtheit an finanziellen und organisatorischen Anpassungen unterstützt.“

Das haben Sie immer zurückgewiesen. Ich werde Ihnen die Anträge zusammenstellen, bei denen Sie dagegen votiert haben.

Auch Ihre Äußerungen zur Regierungserklärung der Ministerpräsidentin im Hinblick auf die Hochschulpolitik, die Sie gestern vorgetragen haben, hatten diesen Tenor. Ich würde mich ja freuen, wenn es so wäre, Herr Lindner; denn das ist ein Punkt, den wir bei der Novellierung des Hochschulgesetzes hier mit bedenken müssen.

Der Punkt 3 Ihres Antrags ist noch besser. Erst kürzlich haben wir hier einen Antrag vorgelegt, in dem es darum geht, die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung bei ihren Aktivitäten in Berlin bezüglich der Ausstattung der Hochschulpakte zu unterstützen. Das haben Sie abgelehnt. Hier fordern Sie nun, die Ministerin solle in Richtung Berlin tätig werden – was sie längst macht. Das müssten Sie auch wissen.

Ich kann Sie nur auffordern, den Punkt 3 Ihres Antrags hier auch zu erfüllen und unsere Ministerin und das Land Nordrhein-Westfalen in Berlin entsprechend zu unterstützen, damit die Mittel aufgestockt werden und wir hier in Nordrhein-Westfalen mehr Studienplätze aufbauen können.

(Beifall von der SPD)

Es wird darauf ankommen, an der richtigen Stelle das Richtige zu tun. Wir werden dann begleitend beobachten, was Sie in Zukunft hier tun werden. – Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Dr. Seidl das Wort.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um einem Mythos vorzubeugen, den die FDP immer gerne in den Raum stellt, sage ich es noch einmal ganz deutlich: Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, das Ministerium und die Politik arbeiten derzeit mit Hochdruck an der Bewältigung der Herausforderungen, die die steigende Studierneigung und der doppelte Abiturjahrgang in 2013 mit sich bringen.

Das tun wir nicht erst seit gestern. Seit 2005 haben wir kontinuierlich Druck gemacht – gerade auch, als Herr Pinkwart noch an der Regierung war –, dass der doppelte Abiturjahrgang in den Fokus rückt.

Seit 2007 sind über den Hochschulpakt über 700 Millionen € in die nordrhein-westfälischen Hoch­schulen geflossen, um zusätzliche Kapazitäten aufzubauen. Dazu gehört der Bau neuer Hörsäle, Seminarräume, Bibliotheken und Labore. Man sieht überall an den einzelnen Standorten die Bautätigkeiten.

Für die soziale Infrastruktur sorgen die zwölf nordrhein-westfälischen Studentenwerke. Auch hier hat sich in den vergangenen Jahren eine ganze Menge getan. Wir haben die Wohnheime in einem umfangreichen Sanierungsprogramm aus Mitteln des Konjunkturpakets II wieder attraktiv gemacht. Gleichzeitig haben wir zusätzliche Plätze geschaffen. Dafür haben wir mehr als 120 Millionen € in die Hand genommen.

Die allgemeinen Zuschüsse an die Studentenwerke für die soziale Infrastruktur haben wir schon in 2011 um 13 % erhöht. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Das war auch wirklich notwendig. Denn damit wurden die Studentenwerke, nachdem die schwarz-gelbe Landesregierung in 2006 die Mittel um sage und schreibe 8 Millionen € gekürzt hat, erst wieder in die Lage versetzt, in den Bereichen Gastronomie und Wohnen ihre Angebote zu sichern und bedarfsorientiert zu erweitern.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Studentenwerke bei der Beratung und bei der Bearbeitung von BAföG-Anträgen mit den ständig steigenden Antragszahlen noch Schritt halten können. In der Tat steigen die Zahlen zurzeit. Nordrhein-West­falen liegt, was die Belastung der Mitarbeiterinnen in den BAföG-Ämtern angeht, im Ländervergleich an der Spitze. Damit ist aus unserer Sicht die Grenze des Zumutbaren erreicht.

Gerade vor diesem Hintergrund begrüßen wir sehr, dass die Studentenwerke bereits im laufenden Jahr Personalaufstockungen von rund 20 Vollzeitstellen vorgenommen haben. Da am Ende des Jahres der Vertrag über die Erstattung der Verwaltungskosten, mit denen die BAföG-Sachbearbeiterstellen finanziert werden, ausläuft, werden wir dafür sorgen, dass der Anschlussvertrag für die kommenden drei Jahre aufgestockt und aufgabengerecht ausgestaltet wird.

Wir brauchen Planungssicherheit für die Mitarbeiter in den Studentenwerken, aber auch für unsere Studierenden, für die BAföG die Grundlage der Existenzsicherung im Studium bedeutet. Darüber hinaus soll das Ministerium den Studentenwerken Hilfen an die Hand geben, wie die Verfahren unbürokratischer und einfacher ablaufen können.

(Beifall von Rolf Beu [GRÜNE])

So können Antragsbewilligungen beispielsweise über Vorschusszahlungen, die klar im BAföG-Gesetz geregelt sind, sehr viel schneller abgewickelt werden.

Im Übrigen wäre es sicher hilfreich, wenn die zurzeit noch bei der Bezirksregierung Köln geprüfte Möglichkeit, BAföG online zu beantragen, bald umgesetzt werden könnte. Die BAföG-Ämter würden entlastet, und die Studierenden hätten ihr Geld schneller auf dem Tisch.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zu Ihrem Entschließungsantrag, Herr Dr. Berger. Da zeigt die CDU wieder einmal ihr wahres Gesicht, indem sie das Geld für die Studentenwerke aus der Frauenförderung herausziehen will. Das ist doch strukturkonservativ bis zum Gehtnichtmehr.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dabei bestätigte uns erst kürzlich der Wissenschaftsrat wieder, dass die fehlende Geschlechtergerechtigkeit eines der gravierendsten Defizite in der deutschen Hochschullandschaft ist. Das ist doch rückwärtsgewandt. Genau da wollen Sie jetzt den Rotstift ansetzen. Das nenne ich „zukunftsweisend“.

Ihre Forderung zur Dezentralisierung der BAföG-Bearbeitung zeigt doch, dass Sie eigentlich von den Abläufen in den Studentenwerken überhaupt keine Ahnung haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn wir haben nichts anderes als eine dezentrale Bearbeitung der Anträge bei den zwölf Studentenwerken.

Zu Ihnen, Herr Hafke: Es ist wohl eine Binsenweisheit, dass man mit Blick auf den doppelten Abiturjahrgang ein Gesamtkonzept braucht.

Beim Antrag der Piraten freue ich mich, dass er in diesem Fall eine deutlich linke Handschrift trägt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns im Endspurt vor dem doppelten Abiturjahrgang, und wir müssen alle Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen, um den jungen Menschen die Aufnahme des Studiums so leicht wie möglich zu machen.

Vor diesem Hintergrund werbe ich für unseren Antrag und hoffe auf Ihre Unterstützung. Die Anträge von FDP, CDU und den Piraten lehnen wir ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Seidl. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Berger. Bitte schön.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die Initiative der rot-grünen Fraktionen ganz kurz umschreiben: Sie bringt wenig und kommt zu spät.

(Beifall von der CDU)

Wenn man sich dem Thema „doppelter Abiturjahrgang“ nähert – Frau Seidl hat es eben erwähnt –, waren es gerade Sie, die schon in den Jahren 2007/2008 darauf hingewiesen haben, dass im Jahre 2013 möglicherweise mehr Studierende in Nordrhein-Westfalen auflaufen.

(Zuruf von der SPD: Aber Sie haben gekürzt!)

Sie haben das seit Jahren moniert und kommen erst jetzt, ein Jahr vorher, mit einem Antrag,

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch nicht!)

obwohl jeder seit Jahren weiß, dass im Jahr 2013 mehr Studenten da sein werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Frau Ministerin Schulze hat das nie anerkannt. Die Kultusministerkonferenz hat Ihnen schon Anfang des Jahres nachgewiesen, dass mehr Studenten da sein werden als in den Zahlenwerken des Haushalts. Das CHE hat Ihnen sogar noch höhere Zahlen prognostiziert und geht von über 130.000 Studienanfängern 2013 aus. Wer schon so lange im Amt ist wie Sie – seit drei Jahren – und in dieser Zeit das Thema ausblendet, nichts tut, außer einem Monitoring über das, was die schwarz-gelbe Landesregierung auf den Weg gebracht hat, Frau Schulze, der macht zu wenig und kommt bei diesem Thema viel zu spät.

(Beifall von der CDU)

Zum Antrag selbst!

(Zuruf von der SPD: Sie waren doch gar nicht da!)

Frau Schulze hat eine Pressekonferenz mit den Studentenwerken durchgeführt. Das ist löblich, sich mal zusammenzusetzen; dagegen ist nichts zu sagen. Im Ergebnis, als die Studentenwerke geklagt haben, dass mehr Personal für die Bearbeitung von BAföG-Anträgen gebraucht wird, hat Frau Schulze nicht erklärt, was sie selber zu tun gedenkt, sondern die Fraktionen aufgefordert, im Landtag einen Antrag zu stellen, der nebenbei auch noch nebulös bleibt, um dann ein Pingpong-Spiel zu kreieren, um sich selbst für diese Initiative im Landtag nochmals medial zu feiern. Aber das Landtagspräsidium hat das durchschaut. Der Antrag hat in der Hitliste der Prominenz die rote Laterne bekommen und wird am dritten Tag des Plenums als letzter Antrag behandelt.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE], der bei der SPD und den GRÜNEN Lachen auslöst.)

Eine Landesregierung müsste eigentlich anders vorgehen. Frau Ministerin Schulze, auch Sie müssten aus sich selbst heraus sagen, was Sie wollen, welche Initiativen Sie anstreben. Diese Kraft müssten Sie haben. Aber ich glaube, Sie haben sie nicht. Sie kommen auch hier – man sieht es an der Tagesordnung – zu spät.

(Beifall von der CDU)

Wir schlagen wenigstens konkret – im Gegensatz zu Ihnen – 50 zusätzliche Stellen vor. Wir verweigern uns auch nicht, zu sagen, wo das Geld herkommen soll. Für uns ist Monitoring alleine viel zu wenig. Wir glauben, dass eine Beobachtung zwar gut und nett, aber im Zuge der zu erwartenden Studentenzahlen zu wenig ist.

(Beifall von der CDU)

Deswegen sagen wir: Wir wollen 50 zusätzliche Stellen. Für die dafür notwendigen Ausgaben von immerhin 2,5 Millionen € haben wir als Opposition einen Deckungsvorschlag gemacht, der in Ihren Anträgen nirgendwo steht. Sie nehmen ja gerne für 50 zusätzliche Stellen noch mehr Schulden auf. Wir hingegen machen klare Vorschläge. Natürlich haben wir uns angeschaut, wo wir im Haushalt umschichten können. Unser Vorschlag ist, Geld aus der Genderforschung, nicht aus der ?förderung zu nehmen. Das ist etwas anderes. Das hat nichts mit dem Verständnis zu tun, das Sie mir eben unterstellen wollten. Forschung zu kürzen ist etwas anderes, als Förderung zu kürzen.

Wir wollen letztlich mehr BAföG, schnelleres BAföG und im Moment weniger Genderforschung. Wenn das Thema erledigt ist, kann man sich gerne wieder über eine Aufstockung in diesem Bereich unterhalten. Ich bitte Sie, bei diesem Punkt genau zu trennen. Ich sehe, dass Sie es gar nicht tun wollen. Deswegen fordere ich Sie nochmals auf: Machen Sie einen geeigneten Vorschlag im Haushalt, wo das Geld herkommen soll! Dann können wir uns gerne konstruktiv darüber unterhalten.

Herr Schultheis, noch ein Wort: Ja, ich habe jetzt die Position des Sprechers. Belegen Sie mich bitte nicht mit Begriffen, bevor ich überhaupt etwas gesagt habe.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Aber recht hat er gehabt!)

Wir haben fünf Jahre vor uns. Ich möchte konstruktiv mit Ihnen arbeiten, das biete ich Ihnen an. Ich hoffe, dass wir in nächsten fünf Jahren gut miteinander klarkommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Berger. – Als nächstem Redner erteile ich für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Hafke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über die BAföG-Anträge. Das ist ohne Frage wichtig. Zufrieden mit der Debatte bin ich aber bislang nicht. Dass völlig substanzlose Anträge vorgelegt werden, ist das Erste, was mich stört.

Lieber Herr Schultheis, lassen Sie mich direkt vorwegsagen: Lautstärke ist in diesem Parlament noch lange kein Argument und lenkt eher von Ihrer Inhaltsleere und von Ihrer Konzeptlosigkeit ab, die wir hier heute präsentiert bekommen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Karl Schultheis [SPD]: Damit kennen Sie sich ja aus!)

Das Zweite ist das Herauspicken von Einzelproblemen. Ja, wir haben Probleme mit der BAföG-Bearbeitung. Wir haben aber auch Probleme bei Personal, Beratung und Raumkapazitäten, bei den Mensen und dem Wohnraum. Die steigenden Studierendenzahlen machen in vielen Bereichen Anpassungen nötig. Die Hochschulen können sich doch auch nicht einzelne Probleme herausgreifen und sagen: Den Rest lösen wir morgen oder irgendwann mal. – Das tun sie nicht. Die Hochschulen stellen sich mit umfassenden Konzepten auf die kommenden Studierenden ein. Das können wir wohl auch von der Landesregierung erwarten.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Wir haben als einzige Fraktion das große Ganze in den Blick genommen. Aus unserem Entschließungsantrag, Herr Schultheis, können Sie sich gerne Inspirationen für ein Gesamtkonzept holen. – Das als Vorbemerkung.

Jetzt zu den BAföG-Anträgen. Natürlich brauchen die Studienanfänger des doppelten Abiturjahrgangs die Aussicht auf eine gute Beratung und eine zeitnahe Bearbeitung ihrer Anträge. Aber das nur festzustellen, Herr Schultheis, reicht nicht. Wie das Ganze gemacht werden soll, das verraten Sie uns in Ihrem Antrag nicht.

(Karl Schultheis [SPD]: Steht im Antrag!)

Es ist ein reiner Showantrag, der die entscheidenden Fragen nicht mal stellt geschweige denn beantwortet.

Ich kann mich in diesem Zusammenhang noch gut an die Debatte Anfang des Jahres erinnern. Damals titelten die Zeitungen: „BAföG-Engpass bringt Studenten in Not.“ „Viele Studierende in NRW warten seit Monaten auf ihr Geld.“ Wie man bei diesen Schlagzeilen von guten Bedingungen in den Ämtern sprechen kann, ist mir ein absolutes Rätsel.

Die Probleme sind schon lange bekannt. Die BAföG-Ämter sind seit gut einem Jahr überlastet. Das haben Ihnen die Studentenwerke bei der Vorstellung der Jahresbilanz Ende August noch mal deutlich gesagt. Sie haben Ihnen auch gesagt, dass es absehbar weitere Probleme geben wird.

Das alles kommt doch nicht überraschend. Wir reden hier schon lange über die Herausforderungen durch die steigenden Studierendenzahlen und den doppelten Abiturjahrgang. Ich finde es, wie gesagt, schon falsch, überhaupt einzelne Punkte herauszugreifen, anstatt ein integratives Konzept vorzulegen. Wenn Sie das aber schon machen, dann machen Sie es doch bitte richtig und schreiben Sie in Ihren Antrag, wie Sie die Probleme genau lösen wollen, oder – noch besser; das können Sie ja angeblich so gut – schreiben Sie ein Konzept bzw. bringen direkt einen Gesetzentwurf ein.

(Beifall von der FDP)

Seit zwei Jahren weigern Sie sich, umfassende Vorbereitungen hinsichtlich des doppelten Abiturjahrgangs zu treffen. Es genügt nicht, allein nach noch mehr Geld aus Berlin zu rufen. Es müsste Ihr Anspruch sein, die Entwicklung einzuschätzen und durch präventive Maßnahmen zu steuern. Prävention ist doch – so habe ich es zumindest in den letzten Jahren mitbekommen – eines der Lieblingsworte dieser Regierung. Stattdessen laufen Sie den aktuellen Entwicklungen hinterher, agieren planlos und bringen dann solche unkonkreten und hilflosen Anträge auf den Weg.

(Beifall von der FDP)

Wegen dieser mangelnden Substanz kann der Antrag von uns keine Zustimmung erhalten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Marcel Hafke (FDP): Von Herrn Schultheis?

Vizepräsident Oliver Keymis: Von Herrn Kollegen Schultheis.

Marcel Hafke (FDP): Der hatte eben fünf Minuten Zeit, etwas Konkretes abzuliefern. Das hat er nicht gemacht. Deswegen können wir das gerne bei anderer Gelegenheit vertiefen.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Meine Güte!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage.

Marcel Hafke (FDP): So sieht es aus. – Noch kurz zum Entschließungsantrag der Piraten: Ich freue mich sehr, dass nun auch die Piraten inhaltlich mitarbeiten. Das ist heute einer Ihrer ersten Anträge. Herzlich willkommen im Parlamentarismus!

Wenn Sie zukünftig auch gehaltvolle Anträge einbringen würden, würde ich mich noch mehr freuen. Ihre Forderung, bereits in den Haushalt 2012 Mittel einzustellen, ist vielleicht gut gemeint, aber wenn der Haushalt im Dezember verabschiedet wird, ist er zu elf Zwölftel ausgegeben. Das hilft also keinem mehr. Auch hier wegen der mangelnden Substanz keine Zustimmung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer am Stream und an den Videoplattformen! Die Zahl der Studierenden hat in den letzten Jahren bundesweit deutlich zugenommen. Wir Piraten begrüßen dies und wünschen allen viel Erfolg dabei.

Allein im Zeitraum zwischen 2008 und 2010 ist die Zahl der geförderten Studierenden bundesweit von 333.000 auf 386.000 und damit um 16 % gestiegen. Wir müssen in NRW zudem den einmaligen Andrang auf die Hochschulen durch die Verkürzung der Oberstufenzeit von drei auf zwei Jahre mitrechnen. Die Zahl der neuen Studierenden für das Wintersemester 2013/14 wird voraussichtlich um 20 % steigen. Das sieht die FDP in ihrem Antrag auch so. Im CDU-Antrag kommt aus Gütersloh die Zahl 130.000 statt 110.000.

Dies war abzusehen und ist eine Altlast aus der G8-Schulreform. Doch haben es die früheren Landesregierungen, und zwar alle, entgegen ihrer Ankündigungen versäumt, sich frühzeitig mit den langfristigen Folgen ihrer Schulpolitik zu beschäftigen. Das Ministerium hat sogar noch am 20. August in einer Antwort auf den offenen Brief der ASten geschrieben, dass bereits Vorsorge getroffen worden sei.

Wenn es mir gestattet ist, Herr Präsident, möchte ich jetzt gerne Alexander Klenk, den Vorsitzenden der Juso-Hochschulgruppe Köln, aus einer aktuellen Pressemitteilung zitieren.

„Es ist eine Unverschämtheit, Verlautbarungen abzugeben, dass sich um Probleme gekümmert wird, und dann passiert nichts. Wissenschaftsministerin Schulze weiß seit über sieben Monaten, dass sich die Lage bei den BAföG-Ämtern zuspitzt und verspricht Verbesserungen. Im Landeshaushalt ist davon nichts zu sehen.“

Es ist schade, dass das Ministerium mutmaßlich keinen Handlungsbedarf sah und sich nun auch von der eigenen Basis auffordern lassen muss. Wir haben hier zwei Probleme: ein grundlegendes und langfristiges Problem der Verteilungsgerechtigkeit und der Bürokratie in den BAföG-Systemen sowie ein kurzfristiges Problem mit der Personaldecke in den zuständigen Ämtern.

Jeder Student wird ermutigt, einen Antrag zu stellen. Dabei ist das BAföG eine in engen Grenzen gefasste konditionale Leistung, die nicht jeder Antragsteller erhält. Das Antragsverfahren an sich ist eine komplexe und umfassende bürokratische Hürde, die zudem die Mitwirkung von Dritten, den Eltern, erfordert. Diese mühevoll gestellten Anträge mitsamt Nachweisen müssen natürlich sorgfältig geprüft und bearbeitet werden – ein Vorgang, bei dem man gleich an zwei Stellen ansetzen kann:

Erstens kann man den bürokratischen Aufwand erheblich reduzieren, wenn man die damit verbundenen Einschränkungen und Bedingungen wegnimmt. Ich spreche hier vom Konzept des elternunabhängigen BAföGs, welches Sie laut Ihrem Koalitionsvertrag auch teilweise angehen wollen.

Zweitens kann man das Verfahren modernisieren und ein automatisiertes Verfahren über das Internet einführen. Hierzu gibt es Ansätze bei den bayerischen Studentenwerken mit einem Online-Antrag. Auch bei der elektronischen Steuerklärung kann man sich Ideen holen. Das Modellprojekt in Köln ist gut, aber es kommt leider nicht rechtzeitig. In Bayern funktioniert es bereits. Da muss man Bayern auch mal loben.

Die Studierenden beginnen mit dem Studium einen komplett neuen Lebensabschnitt, befinden sich in einem völlig neuen Umfeld und stehen unter enormem Druck. Sie müssen sich um Seminarplätze, Scheine und Anmeldungen kümmern und stehen vor der Frage, wie sie ihr Studium finanzieren sollen.

Unser Entschließungsantrag setzt das richtige Signal, die finanziellen Sorgen vieler Studierenden zu lindern, indem sie nicht mehrere Monate auf die Bearbeitung ihres BAföG-Antrags warten müssen. Nach Angaben der nordrhein-westfälischen Studentenwerke dauert die Bearbeitungszeit von Anträgen heute schon zwei bis sieben Monate.

In Ihrem Antrag – jetzt meine ich SPD und Grüne –, der den aktuellen Stand nicht abbildet, erwähnen Sie, dass es in Einzelfällen gelegentlich zu einer längeren Bearbeitungszeit kommen kann.

Dazu möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten noch einmal ein Zitat anfügen. Kai Uwe Joppich vom AStA der FH Dortmund hat hierzu gesagt:

„Es ist eine Frechheit, hier von Einzelfällen zu reden und ein Schlag ins Gesicht der Studierenden, die nach Bearbeitungszeiten von vier Monaten oder länger verzweifelt sind und nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.“

Wenn man Studierenden BAföG anbietet, dann muss man auch dafür sorgen, dass es zu Beginn des Studiums verfügbar ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Unterstützung braucht man entweder sofort oder gar nicht. Wenn die Bearbeitung eines BAföG-Antrags länger als ein Semester dauert, dann ist das BAföG damit im Grunde abgeschafft.

Ich bitte Sie daher, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, um das kurzfristige Problem zu lösen. Und ich fordere Sie auf, das langfristige Problem ebenfalls anzugehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bayer. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es erst einmal gut, dass der Landtag sich mit diesem wichtigen Thema beschäftigt. Denn es ist ein wichtiges Thema, wie wir mit dem doppelten Abiturjahrgang und in diesem Zusammenhang auch mit den BAföG-Emp­fängerinnen und -empfängern umgehen.

Ja, wir haben uns jetzt fünf Jahre darauf vorbereitet – übrigens nicht nur das Land und die Hochschulen, sondern natürlich auch die Studentenwerke und die Kommunen. Ich habe im Landtag bereits mehrfach vorgestellt, was die Landesregierung alles tut, damit wir mit dem doppelten Abiturjahrgang auch wirklich klarkommen.

Es ist so, dass wir da insgesamt 11,8 Milliarden € ausgeben – übrigens nicht Hälfte Bund, Hälfte Land, sondern 10,5 Milliarden € kommen hier aus Nordrhein-Westfalen.

Meine Damen und Herren von der jetzt nicht so zahlreich besetzten Opposition, ich mache weiterhin Druck beim Bund, weil ich es für eine Frage der Generationengerechtigkeit halte, dass die Studierenden in Nordrhein-Westfalen genauso vom Bund und Land gemeinsam finanziert werden wie die Studierenden in Bayern und in anderen Ländern, die den doppelten Abiturjahrgang schon hinter sich haben. Da sperrt sich die Bundesregierung im Moment. Ich würde mich freuen, wenn ich da noch mehr Unterstützung auch von Ihrer Seite hätte.

(Beifall von der SPD)

Den Antrag der FDP könnte man ja schon so verstehen.

Meine Damen und Herren, was ist jetzt der Unterschied zwischen CDU und FDP und SPD und Grünen? Der Unterschied ist ganz einfach: CDU und FDP haben sich die Spaltung in ihr Programmheft geschrieben. Sie haben uns in der Aussprache zur Regierungserklärung erklärt, es ginge wieder um Umwelt gegen Arbeit. In dem Antrag finden wir jetzt Folgendes: BAföG-Empfängerinnen werden gegen Frauen, gegen die Geschlechterforschung ausgespielt. – Sie erzählen uns heute wieder etwas von „Privat vor Staat“. Meines Erachtens geht das mit Volldampf zurück in die Vergangenheit.

Was haben Sie getan? Sie haben Studiengebühren eingeführt. Höhere Hürden kann man für Leute, die kein Geld haben, überhaupt nicht aufbauen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Sie haben 20 % bei den Studierendenwerken herausgekürzt. Sich hier als Robin Hood hinzustellen und in Wirklichkeit der Sheriff von Nottingham zu sein, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was haben SPD und Grüne getan? Das ist ganz einfach.

(Zuruf von der FDP)

– Wollen Sie sich noch ein bisschen aufregen, oder darf ich weiterreden? – Was haben SPD und Grüne getan? Wir haben die Studiengebühren abgeschafft. Wir haben die Kürzungen bei den Studentenwerken zurückgenommen. 20 % hatten Sie da gekürzt. Wir haben das rückgängig gemacht.

Es geht hier nicht um Bürokratie. Es geht darum, dass Studierende das Geld wirklich brauchen. Wenn man einen BAföG-Antrag stellt, dann macht man das nicht aus Spaß, sondern weil man auf das Geld angewiesen ist. Unser Ziel ist es, dass die Studierendenwerke in die Lage versetzt werden, die Anträge möglichst schnell zu bearbeiten.

Machen Sie sich mal keine Sorgen: Die Studentenwerke brauchen keine Detailregelung. Sie sind das soziale Rückgrat der Hochschullandschaft. Sie wissen ganz genau, wie das geht.

Wir haben uns mit den Studentenwerken zusammengesetzt, was dazu geführt hat, dass es jetzt schon innerhalb des Jahres 20 Stellen mehr für die Bearbeitung der BAföG-Anträge gibt. Und wir werden auch in den nächsten Haushalten dafür sorgen, dass die Studentenwerke mehr Geld bekommen, um dem doppelten Abiturjahrgang wirklich gerecht werden zu können.

Meine Damen und Herren, um was geht es im Kern? Im Kern geht es darum, dass die Studierenden schnell ihr Geld erhalten. Darum kümmern wir uns als Landesregierung. Deswegen begrüße ich den Antrag von SPD und Grünen sehr. Das ist ein Thema, das bei dieser Landesregierung wirklich in guten Händen ist. Ich würde mir eine breite Zustimmung zu diesem Antrag auch wirklich wünschen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Wir sind am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Grüne haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Antrag Drucksache 16/813 zu? – Die SPD, die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP und die Fraktion der Piraten. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit angenommen.

(Vereinzelt Beifall)

Zweitens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/872. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Wir stimmen drittens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/887. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und die Piratenfraktion. Enthält sich jemand? – Die Fraktion der FDP und fünf Pirat(inn)en enthalten sich. Dennoch ist die Entscheidung eindeutig: Der Antrag ist abgelehnt.

Viertens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/904 ab. Wer stimmt dem Antrag zu? – Die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der Piraten, SPD und Grüne. Gibt es Enthaltungen? – Die CDU enthält sich.

(Zurufe)

– Fünf haben sich enthalten. Gleichwohl ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Wir sind damit am Ende des Tagesordnungspunktes 6 und kommen nun zu Tagesordnungspunkt

7   Fragestunde

Drucksache 16/830

Mit dieser Drucksache liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 1 bis 3 vor.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 1

der Frau Abgeordneten Yvonne Gebauer von der Fraktion der FDP auf:

Mit welchen Maßnahmen will die Ministerin für Schule und Weiterbildung sicherstellen, dass der Lehrerbedarf der Schulen gesichert wird?

In Nordrhein-Westfalen können viele Lehrerstellen nicht besetzt werden. Laut einer dapd-Umfra­ge kritisierten am 8. September 2012 unterschiedliche Lehrerverbände, dass es nicht gelänge, die vorhandenen Stellen an den Schulen zu besetzen. So erklärte laut dapd-Meldung der Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen, aufgrund einer starken Konkurrenz zu anderen Schulformen mangele es an den Berufskollegs an Lehrern. Auch der Philologenverband teilte mit, dass die Schulen nicht alle ausgeschriebenen Stellen besetzen könnten, da insbesondere im Bereich der Mangelfächer wie zum Bespiel Mathematik, Physik oder Kunst nicht genügend Bewerber zur Verfügung stünden. Hiervon sei ganz besonders der ländliche Raum betroffen. Der Verband Erziehung und Bildung erklärte darüber hinaus, dass in großer Zahl Sonderpädagogen fehlen würden. So ginge die rot-grüne Landesregierung von lediglich 3.000 zusätzlich benötigten sonderpädagogischen Stellen aus, nach Einschätzung des VBE jedoch würden bis zu 10.000 zusätzliche sonderpädagogische Fachkräfte benötigt. Udo Beckmann forderte daher, dass es mehr Studienplätze geben müsse.

Zwar teilte das Ministerium für Schule und Weiterbildung auf Anfrage mit, dass zu Beginn des Schuljahres 2012/2013 „nur“ 462 Stellen nicht besetzt werden könnten. Jede unbesetzte Stelle stellt jedoch die Schulen vor große Probleme und schränkt die Fördermöglichkeiten für die nordrhein-westfälischen Schülerinnen und Schüler ein.

Mit welchen Maßnahmen will die Ministerin für Schule und Weiterbildung sicherstellen, dass der Lehrerbedarf der Schulen gesichert wird?

Frau Ministerin Löhrmann, ich muss jetzt mal die neue Technik bedienen. – Sie können nun Ihre Antwort starten. Bitte schön.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die Fragestellung ganz ernst nehmen würde, dann müsste ich jetzt auf Kollegin Schäfer, Kollegin Steffens oder andere verweisen. Ich will sie aber konstruktiv aufnehmen und davon ausgehen, dass Sie wissen möchten, wie wir den Lehrerbedarf decken, und nicht, wie wir ihn sichern.

Frau Kollegin Gebauer, Ihre Frage konstatiert ausgehend von einer dapd-Umfrage, am 8. September 2012 hätten unterschiedliche Lehrerverbände kritisiert, dass es nicht gelänge, die vorhandenen Stellen an den Schulen zu besetzen.

Ich möchte dem Duktus Ihrer Anfrage folgend in drei Schritten antworten. Erstens nenne ich, um eine gemeinsame Basis herzustellen, die Zahlen und Fakten des letzten Einstellungsverfahrens. Zweitens sage ich kurz etwas zu den genannten Problemen aus Sicht der Lehrerverbände. Drittens gebe ich Ihnen einen Ausblick über die Maßnahmen der Landesregierung zur Lehrkräftegewinnung an den Schulen.

Zum ersten Punkt – Zahlen und Fakten –: Die Zahl der Einstellung in den öffentlichen Schuldienst in Nordrhein-Westfalen liegt auch 2012 auf unvermindert hohem Niveau. In den Jahren 2000 bis 2004 wurden jahresdurchschnittlich 6.700 Lehrkräfte eingestellt. 2005 bis 2009 waren es 6.300, 2010 waren es gut 6.700, 2011 waren es aufgrund der von Rot-Grün zusätzlich geschaffenen Stellen 8.600. Im laufenden Jahr waren es bisher knapp 6.700 Lehrkräfte.

Die Zahl der Stellen, die im Einstellungsverfahren nicht besetzt werden konnten, ist in 2012 besonders gering ausgefallen. Während 2009 noch 1.400 Stellen, 2010 rund 950 Stellen und 2011 knapp 900 Stellen nicht besetzt werden konnten, sind es aktuell knapp 350. Damit die Zahlen richtig eingeordnet werden können, gebe ich den Hinweis, dass ich in der Schuljahrespressekonferenz die Zahl 462 genannt habe, wir aber inzwischen erfreulicherweise noch einige Nachbesetzungen vornehmen konnten.

Der Anteil der Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger an allen Neueinstellungen ist von 15,5 % in 2010 auf aktuell 5,8 % gesunken. Das zeigt: Wir schaffen es in letzter Zeit wirklich, die ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, um unseren Bedarf zu decken, und müssen weniger auf Seiteneinsteiger zurückgreifen.

Zum zweiten Punkt – zitierte Einzelprobleme –:

Zur Mitteilung des Philologenverbandes, dass insbesondere in Mathematik, Physik oder Kunst nicht genügend Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung stehen: Die Fächer, in denen die Personalgewinnung gerade in regionalen Randlagen teilweise schwierig ist, sind bekannt. Für die Schulform Gymnasium gilt jedoch, dass sich der Lehrerarbeitsmarkt mit dem doppelten Entlassjahrgang im Sommer 2013 grundsätzlich wandeln wird. Die zeitweise sehr knappe Bewerberlage wird sich deutlich entspannen, wenn wir auch nicht alle Schwierigkeiten lösen können.

Zur Erklärung des Verbandes der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen, aufgrund einer starken Konkurrenz zu den anderen Schulformen mangele es den Berufskollegs an Lehrkräften: Ja, das ist so. Selbstverständlich konkurrieren die Wirtschaftsschulen mit den allgemeinbildenden Schulen um Lehrkräfte mit der Lehramtsbefähigung für die Sekundarstufe II. Dies führt, wenn es um sogenannte Mangelfächer geht, zu einer Verschärfung der Problematik. Allerdings wird auch hier die durch den doppelten Entlassjahrgang an Gymnasien verursachte Entspannung zu spüren sein.

Zur Zahl der fehlenden sonderpädagogischen Fachkräfte: Die von der Fragestellerin in diesem Zusammenhang genannte Zahl von bis zu 10.000 zusätzlichen Lehrkräften beschreibt nicht einen derzeitigen Mangel an Lehrkräften im Bereich der sonderpädagogischen Förderung. Es handelt sich vielmehr um die Wunschvorstellung des Verbandes Bildung und Erziehung zum künftigen Mehrbedarf für die Inklusion. Dieser wird allerdings von der Landesregierung nicht in dieser Höhe gesehen.

Ich komme zum dritten Punkt – zu den Maßnahmen zur Lehrkräftegewinnung –: In Nordrhein-Westfalen haben wir eine Reihe von sinnvollen und zielführenden Maßnahmen, um die Lehrkräftegewinnung für die Schulen zu unterstützen. Die Vorgängerregierung hat das Frühbucherverfahren eingeführt, mit dem Bewerberpotenzial frühzeitig an das Land Nordrhein-Westfalen gebunden wird. Das hatte positive Effekte. Deswegen führen wir das fort.

Ebenfalls hat die Vorgängerregierung das vorgezogene Listenverfahren eingeführt, über das Schulen in schwer zu versorgenden Regionen bereits vielfach Lehrkräfte gewinnen konnten.

Im April haben Frau Kollegin Schulze und ich ein Fünf-Punkte-Programm zur Sicherung des Lehrernachwuchses an Berufskollegs vorgestellt, das mit seiner Mischung aus kurz- und längerfristigen Maßnahmen in den kommenden Jahren seine Wirkung entfalten und zur Lehrkräfteversorgung in den technisch-gewerblichen Fachrichtungen beitragen wird. Zusätzlich haben die Wissenschaftsministerin und ich eine wissenschaftliche Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge zur Erhöhung des Berufskolleg-Lehrkräftenachwuchses machen soll.

Die Landesregierung hat im Rahmen der Schulgesetznovelle „Gesetz zur Sicherung eines qualitativ hochwertigen und wohnungsnahen Grundschulangebots in Nordrhein-Westfalen (8. Schulrechts­änderungsgesetz)“ Maßnahmen zum besonderen Erwerb des Lehramts für sonderpädagogische Förderung vorgestellt, die gerade im Inklusionsprozess kurzfristig einen wichtigen Beitrag zur Lehrerversorgung im Bereich der sonderpädagogischen Förderung leisten werden. Dazu wird in Art. 3 in § 20 des Lehrerausbildungsgesetzes nach Abs. 9 der Abs. 10 eingefügt. Der Gesetzentwurf wurde gestern in erster Lesung beraten. Zu diesem Baustein des Gesetzes habe ich gestern auch erfreulicherweise keine Kritik vernommen.

Zudem werden wir über eine Erhöhung der Studienkapazitäten im Bereich Sonderpädagogik diskutieren müssen.

Meine Damen und Herren, es geht in der Mündlichen Anfrage um die Sicherung der Lehrkräfteversorgung an den Schulen. Die Lehrkräfteversorgung bzw. der sogenannte Lehrermangel in bestimmten Lehrämtern, Fächern und Fachrichtungen ist seit mehr als zehn Jahren Thema nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in den meisten Bundesländern. Dabei haben die Länder in der Regel ähnliche fach- und lehramtsspezifische Schwierigkeiten zu bewältigen.

Für Nordrhein-Westfalen gilt: Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber in den sogenannten MINT-Fächern, teilweise in den musischen Fächern Kunst und Musik, in einigen technisch-gewerblichen Fachrichtungen der Berufskollegs, insbesondere Kfz-Technik, Maschinentechnik und Elektrotechnik, sowie in einigen sonderpädagogischen Fachrichtungen, insbesondere emotionale und soziale Entwicklung, ist geringer als der Lehrkräftebedarf.

Die Daten der vergangenen Jahre und die unzweifelhaft sehr gute Bilanz des aktuellen Einstellungsverfahrens sollen nicht über bestehende Probleme hinwegtäuschen. Sie verdeutlichen aber, dass das Problem der Lehrkräfteversorgung nicht der einen oder anderen Regierung zugeordnet werden kann, sondern ein Dauerproblem ist, das sich einfachen Lösungen entzieht.

Die Landesregierung informiert mit der veröffentlichten Prognose dezidiert über die Chancen im Lehrerberuf. Ich werbe, wann und wo immer ich kann, für den Lehrernachwuchs. In welchem Umfang die jungen Menschen diese Beratung annehmen und ihr Studienverhalten danach ausrichten, entzieht sich jedoch weitgehend dem Einfluss der Landesregierung. Wir alle können dazu beitragen, indem wir gut über unsere Lehrerinnen und Lehrer und ihre wichtige Aufgabe sprechen. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es gibt eine Nachfrage von Frau Kollegin Schmitz. Bitte schön, Frau Schmitz.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank für das Wort. – Sehr geehrte Frau Ministerin, die Landesregierung hat angekündigt, dass bis 2015 500 Stellen an Berufskollegs gestrichen werden sollen. Gerade an dieser Schulform fehlen Pädagogen. Fürchten Sie nicht, dass diese Ankündigung mögliche interessierte Pädagogen demotiviert?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Kollegin Schmitz, ich bin Ihnen dankbar für die Frage, weil ich dann noch mal klarstellen kann, was auch die Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung gesagt hat.

Es handelt sich hier nicht um die Streichung von Stellen bei gleichzeitigem Beibehalt von Schülerinnen- und Schülerzahlen im Berufskolleg oder gar Qualitätsabbau, sondern es handelt sich um eine gewünschte Entwicklung dahin gehend, dass wir zunächst 500 Stellen in die allgemeinbildenden Schulen zusätzlich investieren, indem wir – der Kollege Schneider und ich – in gute Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung investieren, um dann zu erreichen, was die FDP in der letzten Legislaturperiode im Übrigen ausdrücklich gefordert hat, dass die Jugendlichen nicht in vollzeitschulischen Ausbildungen sind, sondern direkt in eine Ausbildungsstelle einmünden, damit sich Systeme nicht selbst sozusagen rekrutieren. Wenn wir weniger Schülerinnen und Schüler in den Berufskollegs haben, brauchen wir naturgemäß auch weniger Lehrerinnen und Lehrer.

Diese Maßnahme ist im Übrigen auch nicht neu, sondern diese Entwicklung wurde bereits in der letzten Legislaturperiode besprochen. Sie ist dem Parlament auch im Zusammenhang mit einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Weisbrich zugeleitet worden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Die Kollegin Gebauer hat eine Frage. Bitte schön, Frau Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Erst mal herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Ministerin Löhrmann. Ich habe jetzt gelernt, dass die Fragestunde berühmt und beliebt ist – das kann ich mir auch vorstellen: am Freitagnachmittag um 16:27 Uhr. Aber als wir die Frage gestellt haben, wussten wir nicht, dass sie hier am Freitag um diese Uhrzeit behandelt wird.

Frau Ministerin Löhrmann, meine Frage geht dahin: Wie bewerten Sie denn – Sie haben die Zahlen von Herrn Beckmann vorhin schon angesprochen – die Einschätzung von Herrn Beckmann, dass für die Umsetzung der Inklusion 10.000 Stellen statt der von der Ihnen geplanten 3.000 Lehrerstellen erforderlich sind. Dazwischen ist ja nun doch eine sehr große Diskrepanz.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Kollegin Gebauer, ich bewerte die Vorstellung so, dass Lehrerverbände gerne Maximalforderungen stellen und jede Landesregierung abwägen muss, wo sie Prioritäten setzt. Diese Landesregierung hat eine Prioritätenentscheidung getroffen. Uns ist klar, dass wir in Inklusion zusätzlich investieren werden, auch personell, was die Fortbildung anbetrifft und was die Begleitung des Prozesses angeht. Aber es ist nicht möglich, dauerhaft eine Doppelbesetzung vorzunehmen. Das haben SPD und Grüne aber auch nicht versprochen. Insofern ist es eine sehr radikale Forderung.

Es gibt daneben die Forderung, von jetzt auf gleich bestimmte Klassengrößen zu verkleinern. Auch das können wir nicht alles direkt machen. Wir haben einen schrittigen Prozess mit Investitionsschwerpunkten in Sachen Bildung verabredet. Maximalforderungen können wir nicht erfüllen.

Die Forderung einer durchgängigen Doppelbesetzung, auf die das rekurriert, was Herr Beckmann gefordert hat, teilen zum Beispiel auch nicht anerkannte Gutachter, die wir beauftragt haben, uns bei diesem Prozess zu begleiten und zu beraten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Frau Gebauer hat eine zweite Frage. Bitte schön, Frau Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Herzlichen Dank. – Frau Ministerin Löhrmann, ich bleibe bei dem Thema „Inklusion“. Meine Frage lautet: Wie können wir zukünftig bei einem deutlichen Mangel an Sonderpädagogen die Qualität der sonderpädagogischen Förderung sicherstellen, wenn aus der geplanten berufsbegleitenden sonderpädagogischen Lehramtsausbildung leider eben doch nicht genug Fachkräfte hervorgehen?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Liebe Frau Kollegin Gebauer, zunächst einmal weise ich darauf hin, dass der Bedarf an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen nicht davon abhängt, an welchem Förderort die Kinder unterrichtet werden. Das hat also vom Grundsatz her nichts mit dem Thema „Inklusion“ zu tun.

Dann weise ich darauf hin, dass Lehrkräfte jetzt fehlen und nicht in die Schulen kommen. Überlegen Sie mal, wann die hätten ausgebildet werden müssen und welche Regierung die Verantwortung dafür trägt, dass für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen nicht hinreichend Kapazitäten geschaffen wurden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich erlaube mir, darauf einmal hinzuweisen. Diese hätten nämlich vor ungefähr sieben Jahren ausgebildet werden müssen, wenn wir eine fünfjährige Studienzeit für die erste Phase der Lehrerausbildung und eine bis dato zweijährige Ausbildung für die zweite Phase unterstellen. Man hätte also 2005 mit der Ausbildung beginnen müssen, um die Lehrkräfte zu bekommen, die man heute braucht. Das haben Sie versäumt.

Das Gleiche gilt im Übrigen für den Bereich Berufskollegs, der ja auch angesprochen worden ist. Der Personalratsvorsitzende der Berufskollegs hat sich bei mir ausdrücklich bedankt – er ist nicht zufrieden, er möchte gerne mehr –, dass die Kollegin Schulze und ich den Fünf-Punkte-Plan erarbeitet haben, weil endlich jemand das Problem angeht und versucht, das Problem des Lehrernachwuchses im Bereich der Berufskollegs zu lösen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Frau Schmitz hat eine zweite und damit ihre letzte Frage. Bitte schön, Frau Schmitz.

Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin, laut Untersuchung der DGB-Jugend wurde erklärt, dass viele Auszubildende über große Klassen, über Unterrichtsausfall und über viel fachfremden Unterricht an Berufskollegs klagen. Glauben Sie, dass die von Ihnen angekündigten Maßnahmen zur Lehrergewinnung in gewerblich-technischen Fächern an Berufskollegs tatsächlich ausreichen, um diese Probleme mittelfristig zu beheben?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ich glaube, dass wir mit dem Fünf-Punkte-Plan, den wir verabredet haben, mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen dazu beitragen werden, den Bedarf an Lehrkräften zu sichern, dass wir es aber nicht von heute auf morgen schaffen werden, alle Probleme zu lösen.

Die Frage der Klassengrößen hat mit der Lehrergewinnung nicht unmittelbar etwas zu tun, sondern das ist eine Frage, in welchem Maße der Landesgesetzgeber bestimmte Parameter für die Schulen festsetzt. Dazu gibt es bekanntermaßen in allen Bereichen große Schwankungen. Die Durchschnittswerte sind in Nordrhein-Westfalen nicht schlechter als anderswo. Es gibt leider immer wieder große Klassen, und dafür gibt es woanders kleine Klassen. Das können wir nicht zwingend von Landesseite aus steuern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Als nächster Fragesteller hat sich Herr Stamp von der FDP gemeldet. Bitte schön, Herr Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Ministerin, ich habe eine Frage zur Besetzung der Stellen. Sie sprechen auf der einen Seite davon, dass im Schuljahr 2012/2013 wenige Stellen nicht besetzt seien. Auf der anderen Seite sind jedoch vor Beginn des Schuljahres von zumindest einer Bezirksregierung Mitteilungen an Schulen versandt worden, wonach Schulen nur dann mit Stellenzuweisungen rechnen dürfen, wenn sie mit mehr als 3 % der Grundstellen unterbesetzt sind. Das heißt, an den Schulen ist Unterrichtsausfall unvermeidbar, da nicht einmal die Bedarfsdeckungsquote von 100 % erreicht wird. Wie passen diese Schreiben mit Ihrer Kommunikation zusammen, dass in diesem Schuljahr die Besetzung der Lehrerstellen sehr gut verläuft?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Stamp, ich habe bei der Schuljahresauftaktpressekonferenz als auch jetzt hier die Stellenbesetzungen genannt, die wir statistisch nachgewiesen und die uns die Schulen und die Bezirksregierungen genannt haben. Das wiederhole ich gerne: Das Quorum der neu eingestellten Lehrer war sehr hoch. Wir haben 350 nicht besetzte Stellen. Die Schulen bekommen Stellen zugewiesen. Sie entscheiden dann in eigener Verantwortung, ob und wie sie sie besetzen. Manchmal entscheiden sich Schulen auch, eine Stelle mit einem Bewerber nicht zu besetzen, wenn sie die Chance sehen, vielleicht in einem halben Jahr, im weiteren Verlauf des Schuljahres die Stelle nachzubesetzen. Das sind die Zahlen, die mir vorliegen.

Dass wir systematisch angelegte Verfahren hätten, die darauf abzielen, dass wir den Unterricht nicht decken könnten, geben die Rückmeldungen, die ich bekommen habe, nicht wieder. Wenn Sie ein entsprechendes Schreiben haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir das zur Verfügung stellten. Dann gehen wir dem nach, ob sich die Informationen mit denen, die wir haben, decken.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Ihre dritte und letzte Frage stellt Frau Gebauer. Bitte schön.

Yvonne Gebauer (FDP): Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben schon vorhin die erfreuliche Entwicklung bei den Stellen, die nicht besetzt werden konnten, berichtet. Die letzte Zahl haben Sie von 462 auf 350 herunter korrigiert. Inwieweit sind Sie darüber informiert, dass über diese 350 Stellen hinaus Stellen vorhanden sind, die zwar besetzt sind, tatsächlich aber die Personen, die diese Stellen nominell besetzen – das ist jetzt ein bisschen schwierig –, den damit verbundenen Unterricht vor Ort gar nicht erteilen?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Kollegin, das ist keine Frage der Bewirtschaftung auf Landesebene. Wenn eine Lehrerstelle mit einer Lehrkraft besetzt ist, dann ist die Stelle besetzt. Das ist im Verfahren auch so üblich. Dass es durch Krankheit, Mutterschutz, Fortbildung im Einzelnen sein kann, dass eine Lehrkraft nicht genau diesen Unterricht erteilt, das ist eine völlig andere Frage, die mit Ihrer Fragestellung, mit welchen Maßnahmen wir den Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern decken wollen, nichts zu tun hat.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Beantwortung der Mündlichen Anfrage 1.

Bevor ich die Mündliche Anfrage 2 aufrufe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mitzuteilen, dass der Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika, Mr. Stephen Hubler, kurzzeitig hier zu Gast ist. Herzlich willkommen hier im Hohen Hause!

(Allgemeiner Beifall)

Sie haben gleich, wie ich hörte, hier noch eine Verabredung. Danke, dass Sie uns auf diese Weise Ihre Aufmerksamkeit schenken. Auf ein baldiges Wiedersehen hier im Hohen Haus!

Ich rufe nun die

Mündliche Anfrage 2

des Abgeordneten Ralf Witzel von der Fraktion der FDP auf:

Finanzminister beauftragt Fachanwälte mit der rechtlichen Interessenwahrnehmung der Portigon AG gegenüber dem früheren Risikovorstand der WestLB in der Angelegenheit von dessen verschwiegenem Seitenwechsel zur Helaba – Aus welchen Erwägungen heraus hält der Finanzminister bei diesem so gearteten Sachverhalt auch noch die Zahlung einer hohen Abfindung nach erfolgter Eigenkündigung dieses Topmanagers für gerechtfertigt?

Auf Beantragung der FDP-Landtagsfraktion hat sich der Haushalts- und Finanzausschuss des Landtags am 6. September 2012 eingehend mit den bemerkenswerten Begleitumständen des vom Betroffenen lange Zeit geheimgehaltenen beruflichen Wechsels des früheren WestLB-Risikovorstands Thomas Groß zur Helaba AöR befasst.

Der Finanzminister hat in der Sitzung deutlich gemacht, dass er den von der FDP dringend eingeforderten öffentlichen Aufklärungsbedarf gut nachvollziehen kann und die Wahrnehmung der Interessen der Portigon AG als Rechtsnachfolger der WestLB AG daher auch an Fachanwälte übergeben hat. Nach eigenem Bekunden teilt Dr. Norbert Walter-Borjans die Befürchtung der FDP, dass in der Causa Groß „möglicherweise nicht nur eine charakterliche Frage damit verbunden ist, sondern auch eine ökonomische“. Der Finanzminister betont: „Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, die merkwürdigen Umstände dieses Wechsels zu klären“ (RP vom 7. September 2012) und legt Wert darauf, dass in die nun bevorstehenden fachanwaltlichen Ermittlungen ausdrücklich auch die Frage einbezogen wird, „ob aktienrechtliche Bestimmungen berührt sind.“ (WAZ vom 7. August 2012)

Leider hat sich Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans trotz der zugesagten dringend notwendigen Aufklärung bislang nicht näher zu der drängenden Frage einer etwa noch erfolgten Abfindungszahlung an den früheren WestLB-Risiko­vorstand geäußert. Trotz mehrfach zu genau diesem Aspekt gestellten Nachfragen wollte der Finanzminister diese Zahlung ausdrücklich nicht ausschließen, vor der Bekanntgabe einer Abfindungshöhe aber zu diesem Komplex noch Erkundigungen einholen.

Das von der schwarz-gelben Koalition bereits 2009 im Landtag beschlossene „Gesetz zur Schaffung von mehr Transparenz in öffentlichen Unternehmen im Land Nordrhein-Westfalen“ (Transparenzgesetz) sieht ausdrücklich neben der laufenden Vergütung auch die Verpflichtung zur Offenlegung der Abfindungszahlungen und von Pensionsansprüchen vor.

§ 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 VergütungsOG umfasst unter der Überschrift „Offenlegung von Vergütungen bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen“ explizit auch

     „Leistungen, die den genannten Mitgliedern für den Fall einer vorzeitigen Beendigung ihrer Tätigkeit zugesagt worden sind.“

Es ist daher berechtigt, wenn auch der Landtag vom Finanzminister eine Darlegung verlangt, in welcher Höhe der frühere WestLB-Vorstand eine Abfindungszahlung erhalten hat.

In der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses am 6. September 2012 hat der Finanz­minister bereits präventiv darauf hingewiesen, dass eine Abfindungsregelung gegebenenfalls auch für die bestellende Gesellschaft Portigon AG vorteilhaft sein kann, was so ohne weitere Kenntnis der internen Gegebenheiten bei der Portigon AG von außen nicht nachvollziehbar ist.

Ferner hat Dr. Norbert Walter-Borjans in der besagten Sitzung Überlegungen zu denkbaren Konsequenzen eines Kontrollwechsels angestellt. Dieser Sachverhalt ist aber bei der Rechtsnachfolge im Übergang der WestLB AG auf die Portigon AG nicht gegeben, da in diesem Fall nicht ein neuer Dritter Unternehmensanteile erwirbt und damit neue Gestaltungsoptionen der AG erlangt. Im hier vorliegenden Fall hat bloß ein langjähriger, bereits vorhandener öffentlicher Eigentümer der Landesbank seinen Besitzanteil ausgebaut, indem jener Unternehmensanteile eines anderen öffentlichen Anteilseigners übernommen hat.

Eine Abfindung wird von einem Unternehmen üblicherweise dann an Organisationsmitglieder entrichtet, wenn diese gegen ihren eigenen Willen eine berufliche Position auf Wunsch des Unternehmens verlieren sollen und auf diese Weise eine Entschädigung für die ihnen dadurch entstehenden Nachteile (wie vorübergehende Beschäftigungslosigkeit, Einkommenseinbußen etc.) erhalten sollen. Die hier angesprochenen Tatbestände liegen bei der Eigenkündigung des Risikovorstandes erkennbar nicht vor.

Vor dem Hintergrund der alle von Finanzminister Dr. Walter-Borjans zu Recht selbst geäußerten charakterlichen und ökonomischen Aspekte im Zusammenhang mit der konkreten Causa Groß stellt sich die Frage, ob die in Rede stehende Abfindungszahlung an den ausgeschiedenen CRO im Lichte der heutigen Erkenntnisse aus Sicht des Finanzministers tatsächlich zulässig und gerechtfertigt erscheint.

Aus welchen Erwägungen heraus hält der Finanzminister bei diesem so gearteten Sachverhalt auch noch die Zahlung einer hohen Abfindung nach erfolgter Eigenkündigung dieses Topmanagers für gerechtfertigt?

Das ist eine lange Frage, und die Antwort darauf gibt jetzt der Herr Finanzminister. Herr Dr. Walter-Borjans, Sie haben das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Herr Präsident! Herr Witzel! Meine Damen und Herren! Es trifft nicht zu, dass ich im Zusammenhang mit dem Wechsel des früheren Risikovorstands der WestLB, Thomas Groß, zur Helaba Fachanwälte beauftragt habe. Zutreffend ist vielmehr, dass ich im Haushalts- und Finanzausschuss darüber berichtet habe, dass der Aufsichtsrat der Portigon AG die Begleitumstände des Wechsels von Herrn Groß zur Helaba juristisch prüfen lässt. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass es auf meine Veranlassung zu dieser Beauftragung gekommen ist; denn ich habe ebenso wie die Fragesteller ein großes Interesse daran, dass der Sachverhalt so aufgeklärt wird, dass keine Frage zurückbleibt.

Es ist zutreffend, dass Herr Groß auf der Grundlage seines Vorstandsvertrags gekündigt hat – dieser Vorstandsvertrag datierte aus dem Jahr 2008 – und am 15. August 2012 aus dem Vorstand der Portigon AG, also der Fortsetzungsgesellschaft der WestLB, ausgeschieden ist. Auf der Grundlage seines Einstellungsvertrags aus dem Jahr 2008 erfolgten Zahlungen der Portigon AG an Herrn Groß im Zusammenhang mit der Auflösung des Dienstverhältnisses.

Eine Offenlegung der Vergütung kann ich mangels Ermächtigungsgrundlage nicht vornehmen. Das Vergütungsoffenlegungsgesetz greift deshalb nicht, weil die Portigon AG kein öffentlich-rechtliches Unternehmen ist, sondern eine Aktiengesellschaft. § 65 a der Landeshaushaltsordnung statuiert bei privatrechtlichen Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand lediglich eine Hinwirkungspflicht, dies im Anhang des Jahresabschlusses zu veröffentlichen. Auch bundesrechtliche Regelungen wie die Institutsvergütungsordnung oder das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung sind nicht einschlägig.

Soweit ich als Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft Kenntnis von Einzelheiten der an Herrn Groß geleisteten Zahlungen erhalten habe, unterliege ich der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht nach den §§ 93, 116 und 404 Aktiengesetz. Außerdem sind Persönlichkeitsrechte von Herrn Groß betroffen.

Die gebotene Abwägung des Geheimhaltungsinteresses eines Dritten mit dem Informationsinteresse des Parlaments kommt zu dem Ergebnis, dass eine öffentliche Beantwortung nicht erfolgen kann. Anders könnte der Fall aber – so würden ich oder auch das Finanzministerium die Regeln auslegen – bei der Weitergabe der Information unter Herstellung der Vertraulichkeit liegen. Da die gleiche Frage bereits im Haushalts- und Finanzausschuss gestellt worden ist, empfiehlt die Landesregierung insgesamt, die Möglichkeit einer vertraulichen Beantwortung an dieser Stelle zu behandeln.

Ich sage also noch einmal ganz deutlich: Ich werde mich an aktienrechtliche Vorschriften halten. Ich werde die Informationen, die mir aus meiner Tätigkeit als Aufsichtsrat bekannt sind, nicht missbrauchen. Aber ich habe ein hohes Interesse daran, dass Fragen, die in diesem Zusammenhang auftreten, beantwortet werden und dass auch alle Möglichkeiten, das Parlament dabei einzubeziehen, genutzt werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine Frage dazu. Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Minister Dr. Walter-Borjans, vielen Dank für Ihre erste Antwort. Uns verbindet in der Tat das gemeinsame Interesse, die für uns beide offenkundigen Ungereimtheiten aufzuklären. Deshalb habe ich eine Nachfrage zu Ihren ersten Ausführungen, und zwar zu der Plausibilität bereits gezahlter Abfindungsleistungen – wobei wir die Frage nach der Höhe erst einmal zurückstellen.

Mir liegt hier, dem „Bundesanzeiger“ entnommen, die Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung vor, die vorsieht, dass Leistungen an Vorstandsmitglieder auf maximal 500.000 € pro Jahr beschränkt werden. Würden zusätzliche Abfindungsleistungen fällig, würde ein Verstoß gegen § 5 Punkt 4 a bis c der Verordnung vorliegen. Deshalb die Frage an Sie: Kann es rechtlich überhaupt sein, dass über die reguläre Jahresvergütung hinaus weitere Zahlungen an ein ausscheidendes Vorstandsmitglied erfolgen?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ohne auf konkrete Zahlen einzugehen – Sie haben das eingeräumt und uns noch einmal das Angebot gemacht, dass wir Sie in vertraulicher Sitzung darüber unterrichten –, muss ich sagen: Auch diese Frage ist vom Aufsichtsrat so gestellt worden und von der FMSA dahin gehend beantwortet worden, dass die Regelung, um die es geht, mit den Regelungen der Finanzmarktaufsicht nicht kollidiert. – Bitte?

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist auch Ihre Auffassung?)

– Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Es liegen noch zwei Fragen vor. Herr Kollege Stamp, Ihre Frage, bitte.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Minister, angenommen, es wäre eine Abfindung in ordentlicher sechsstelliger Höhe bezahlt worden, würden Sie sich dann für eine Rückforderung gegenüber Thomas Groß einsetzen?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich kann nur noch einmal sagen: In einer öffentlichen Debatte ist das schwierig, weil man immer etwas unterstellen muss, über das man keine Auskunft erteilen kann. Ich kann Ihnen nur sagen, man muss in diesen Fragen – an diesen Punkt bin ich nicht nur einmal gekommen – sehr sauber zwischen vertraglichen Vereinbarungen, die schon lange vorher geschlossen worden waren und die natürlich einzuhalten sind, und den Dingen unterscheiden, die man in einer bestimmten Situation gern machen würde oder die man nicht machen würde.

Ein weiterer Punkt ist, wir müssen in diesem konkreten Fall auch noch eine Unterscheidung treffen: Die Sachlage ist für sich genommen, nämlich was den Wechsel als solchen angeht, nicht zu beanstanden.

Wir haben in der Debatte über Verkäufe von Geschäftsfeldern aus der WestLB häufiger den Fall gehabt, dass interessierte Erwerber auch von außerhalb über die Geschäftsfelder hinaus durchaus ein Interesse signalisiert haben, damit auch zuständiges Personal zu übernehmen, inklusive Vorstandsmitglieder, weil wir ja hier auch nicht in der Situation sind, dass jemand in ein anderes Unternehmen wechselt und von da dann in Konkurrenz zur Portigon tritt, sondern das Geschäftsfeld ist ja eben abgegeben worden. Das hatten wir in einem anderen Fall auch. Das hat sich dann am Ende nicht ergeben.

Insofern ist der Tatbestand als solcher, dass mit dem Übergang des Verbundgeschäftes auf die Helaba auch der Risikovorstand mit wechselt, nicht das Thema, das mich jedenfalls oder das den Aufsichtsrat hellhörig gemacht hätte. Denn das, was verbleibt, braucht zwar auch noch einen Risikovorstand – wir haben ja wieder einen eingestellt in die Portigon –, aber die Portigon macht ja kein Neugeschäft mehr. Insofern gibt es da Fragen mehr.

Aber die Frage, die sich schlicht und ergreifend stellt, ist, ob in diesem zurückliegenden Zeitraum bis zum Bekanntwerden dieser Entscheidung möglicherweise Interessenkonflikte eine Rolle gespielt haben könnten. Auch da kann ich keine Vorverurteilungen vornehmen. Daraus ergibt sich, ob möglicherweise Handlungen auf der Grundlage des geschlossenen Vertrages anders zu bewerten sind oder nicht. Aber es gibt einen Vertrag. Der Vertrag ist aufgelöst worden. Es gibt dafür festgelegte Konditionen. Wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass diese Grundlagen für die Vertragserfüllung gegeben waren, dann kann man sich über Verträge ärgern, aber dann kann man sie nicht ändern. Das muss man dann eindeutig zur Kenntnis nehmen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Wedel hat eine Frage. Bitte schön.

Dirk Wedel (FDP): Herr Minister, Sie hatten ja gerade dargestellt, dass sich bei der Abwägung des verfassungsrechtlichen Informationsanspruches des Parlaments gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen die Abwägung ergibt, dass die Höhe der Abfindung nur in vertraulicher Sitzung offenbart werden könnte.

Das führt mich zu der Frage, ob es zutreffend ist, dass die Höhe der Vergütung nach einfachgesetzlichen Vorschriften zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin noch veröffentlicht werden muss.

Im Anschluss daran habe ich die Frage: Wenn denn ohnehin noch zu einem späteren Zeitpunkt die Höhe der Vergütung veröffentlicht werden muss, worin liegt dann die Verletzung des Persönlichkeitsrechts bei einer Veröffentlichung zum derzeitigen Zeitpunkt?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Sie haben recht. Das ist am Ende zu veröffentlichen. Das erfolgt dann vom Unternehmen einmal jährlich im „Bundesanzeiger“. Die Modalitäten der Offenlegung der Gehälter bzw. Abfindungszahlungen sind dezidiert in den landesrechtlichen Vorschriften geregelt.

Es ergibt sich daraus der Schluss, dass mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen eine explizite Ermächtigungsgrundlage notwendig ist, um diese Information publik zu machen.

Daran ändert eben auch nichts, dass die erbetenen Informationen spätestens mit Veröffentlichung im „Bundesanzeiger“ durch die Portigon publik werden. Das mag pragmatisch betrachtet keinen Unterschied machen, wann und durch wen die gewünschten Informationen öffentlich gemacht werden. Rechtlich besteht aber eben ein Unterschied. Während die Portigon sich auf einschlägige Regelungen zur Offenlegung berufen kann, ist das der Landesregierung nicht möglich.

Aber ich sage noch einmal: Ich sehe einen Weg darin, das Parlament im zuständigen Ausschuss unter Wahrung der Vertraulichkeit auch vorher zu informieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Nückel hat eine Frage.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Minister, im Zusammenhang mit den Leistungen an Vorstandsmitglied Thomas Groß steht ja auch die Frage des Übergangs der Pension im publizierten Barwert, glaube ich, von 700.000 €. Für mich ist jetzt die Frage: Übernimmt die Erfüllung dieser Verpflichtung jetzt die neue Gesellschaft Helaba oder die bisherige Portigon AG?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Auch das sind Dinge, die sich aus dem Vertrag eindeutig ergeben und die ich im Einzelnen in der Größenordnung und in der Art der Abwicklung gerne in der angesprochenen Haushalts- und Finanzausschusssitzung mit Ihnen besprechen möchte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Stamp hat seine zweite und letzte Frage. Bitte schön, Herr Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Finanzminister, ich habe jetzt eine Frage, bei der es nicht um den Inhalt des Vertrages geht, sondern mich würde im Zusammenhang mit der Abfindung interessieren, auf welchem Wege Sie von der Kündigung durch Thomas Groß oder die Helaba erfahren haben. Wann haben Thomas Groß und die Helaba erstmals Ihnen gegenüber den Wechsel bekannt gegeben? Wann haben Sie davon erfahren?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich habe nicht gleichzeitig von der Kündigung und dem Wechsel erfahren, sondern es ging darum, dass ich zunächst einmal von der Kündigung erfahren habe zu ursprünglich Ende Juli. Wir haben daraufhin in einem Gespräch mit Herrn Groß noch einmal darauf hingewirkt, dass sichergestellt ist, dass der Halbjahresabschluss von ihm noch durchgeführt wird.

Zu diesem Zeitpunkt war keinerlei Information vorhanden, wohin sich möglicherweise dann Herr Groß verändern würde. Es hat die Bereitschaft seinerseits gegeben, bis zum 15. August im Unternehmen zu bleiben, um eben diese Tätigkeiten noch ausfüllen zu können. Das ist der Fall gewesen. Im Augenblick kann ich Ihnen kein genaues Datum nennen. Es war etwa 14 Tage später, als ich vom damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden informiert wurde, dass Herr Groß mitgeteilt habe bzw. dass auch die Helaba mitgeteilt habe, dass Herr Groß jetzt künftig als Risikovorstand bei der Helaba sein wird.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wedel hat eine zweite und letzte Frage. Bitte, Herr Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Minister. Sie hatten gerade ausgeführt, wenn ich das richtig verstanden hatte, dass die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die Veröffentlichung der Höhe der Abfindung erfordern und dass die ja nicht gegeben sei und man deswegen darauf warten müsse, bis das Ganze im „Bundesanzeiger“ veröffentlicht wird.

Habe ich das dann richtig verstanden, dass Sie den Informationsanspruch des Parlaments aus Art. 30 der Landesverfassung selbst jedenfalls nicht als hinreichende Ermächtigungsgrundlage ansehen?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich habe ja gesagt, dass ich es für nötig halte und dass auch unser Haus es für nötig hält, das im Rahmen der Vertraulichkeit zu machen. Ich habe nicht gesagt, dass Sie sich gedulden müssen, bis es im „Bundesanzeiger“ veröffentlich wird, sondern bis wir hier die Möglichkeit haben, in einer vertraulichen Runde diese Vertragskonditionen noch einmal zu diskutieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine zweite Frage. Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich habe mitbekommen, dass Sie bereit sind, hier all das zu beantworten, was Sie für das Auditorium des Plenums für beantwortungsfähig halten. Ich möchte Sie deshalb mit meiner zweiten Nachfrage zu einer Äußerung befragen, die heute im „Handelsblatt“ nachzulesen ist. Sie werden dort wörtlich zitiert: Ich gehöre nicht zu denen, die hohe Bankgehälter noch höher machen wollen, aber ich gehöre auch nicht zu denen, die sich nicht an vertragliche Verpflichtungen halten.

Es wird aus dem Kreis der Alteigentümer nachhaltig behauptet, es könnten keine entsprechend klaren Verpflichtungen zur Abfindung bei Eigenkündigung bestehen. Solche Verpflichtungen gäbe es dort nicht. Ich möchte nachfragen, ob ich Sie richtig verstanden habe: Die Abfindungszahlung an Herrn Groß war nicht Gegenstand einer offenen Entscheidung, sondern eine vertragliche Zwangsläufigkeit oder Notwendigkeit. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Die Antwort, die Sie gerade zitieren, ist auf die Frage hin erfolgt, ob ich mich aktiv dafür eingesetzt hätte, dass Herrn Groß auch ein Übergangsgeld, eine Abfindung gezahlt würde. Dazu habe ich – dazu mag sich jeder sein eigenes Urteil bilden – gesagt: Wo läge jetzt mein Motiv, mich aktiv einzusetzen? Es gibt eine Grundlage von Verträgen. Es gab auf beiden Seiten Rechtsberater und Rechtsanwälte, die sich mit der Materie beschäftigt und auf dieser Grundlage die vorhandenen Verträge ausgelegt und eine Lösung vorgelegt haben, der am Ende der Aufsichtsrat zugestimmt hat. Da war – das haben Sie zitiert – meine Aussage, dass ich sicher nicht zu denen gehört habe, die gesagt haben: Legt da noch mal ein Stückchen drauf, das fände ich ganz richtig.

Wir haben das alles aber zu einer Zeit besprochen, in der weder von einer Kündigung noch von einem Wechsel zur Helaba die Rede war, sondern es ging wirklich um Vertragsgestaltungen insgesamt. Ich kann nur noch einmal sagen: Ich habe mich nicht aktiv eingesetzt. Wir haben aber am Ende als Aufsichtsrat diese Vertragskonditionen, wie sie gelten, eben auch mitgetragen – mit Rückfrage bei FSMA und all diesen Dingen –, weil sie sich aus den Vertragsgestaltungen, die vorher da waren, ergeben haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Es liegt eine dritte und letzte Frage von Herrn Witzel vor. Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, eine letzte Nachfrage meinerseits: Ich habe gerade Ihren letzten Beitrag so verstanden, dass Sie die Unterstellungen klar zurückgewiesen haben, Sie hätten sich noch persönlich dafür eingesetzt, dass dort ein „goldener Handschlag“ besonders üppig ausgestaltet worden wäre. Entsprechend ist auch Ihre heutige Äußerung im „Handelsblatt“ zu verstehen.

Mir stellt sich – ich will gar nichts aus Gremieninterna von Kapitalgesellschaften wissen – die Frage: Sie haben als Eigentümer auch eine Eigentümerverantwortung. An sich haben Sie als Landesregierung auch zu dem Sachverhalt eine Meinung. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass man sich darum bemühen sollte, sich in Gesamtwürdigung aller heute bekannten Umstände zur Causa Thomas Groß jetzt dafür einzusetzen, dass die gezahlten Leistungen zurückgefordert werden oder dass die Titel – in der Gesamtschau dessen, was heute an Begleitumständen dieses lange Zeit geheim gehaltenen Vorstandswechsel erfolgte – noch einmal streitig gestellt werden?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Man muss, glaube ich, da noch einmal – wie ich es schon am Anfang gemacht habe – eine Trennungslinie zwischen Emotionen sowie – ich sage das jetzt mal so – subjektiver Befindlichkeit und wirklich objektivem Umgang mit der Frage ziehen. Ich habe immerhin durchaus hörbar außerhalb des Aufsichtsrates auch gesagt, dass ich die Entscheidung und die Art dieser Kommunikation der Entscheidung charakterlich bewertet einmal dahingestellt sein lasse. Daraus könnte man natürlich den Schluss ziehen, zu sagen: Wenn man da irgendwo einhaken kann, kann man das machen. Ich trenne da aber eben auch und sage gleichzeitig: Da gilt nicht irgendeine Gefühlslage, sondern da gilt die Frage: Was für Verträge gab es?

Inwiefern auf dieser Grundlage ein Schritt in die Richtung erfolgen könnte, wie Sie sie beschrieben haben, hängt wirklich davon ab, ob nachweislich auch etwas falsch gemacht worden ist. Das ist genau der Punkt, den ich gerne beantwortet hätte. Das ist das, worauf wir im Aufsichtsrat Wert legen und was jetzt in der Bearbeitung ist.

(Ralf Witzel [FDP]: Auch das ist Gegenstand der Prüfung?)

– Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt keine weiteren Fragen zu diesem Themenbereich.

Ich rufe nun die

Mündliche Anfrage 3

des Abgeordneten Ralf Witzel von der FDP-Fraktion auf. Das Thema lautet:

Medienbericht zur denkbaren Beteiligung von Finanzbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen am Datendiebstahl in der Schweiz – Welche einzelnen Erkenntnisse liegen dem Finanzminister zu der Frage vor, ob gezielt Aufträge zum Steuerdatendiebstahl seitens des Landes erteilt worden sind?

SPIEGEL-Online berichtet am 6. September 2012 in dem auch der Landesregierung bekannten Artikel „Steuer-CD: Datendieb bei Schweizer Bank soll Deutscher sein“ von einem möglicherweise mehr denn je brisanten Fall des Datendiebstahls. Eine neue Dimension der ohnehin hoch problematischen Vorgänge wäre erreicht, wenn die dort getätigten Aussagen zutreffend sein sollten.

Im Kern wird offen die Frage erörtert, ob es erst durch die konkrete Beauftragung von Diebstahl seitens nordrhein-westfälischer Steuerbehörden zu strafbaren Handlungen in der Schweiz gekommen ist und für die Bereitschaft des Täters zur Begehung dieser Delikte eventuell sogar persönliche Notlagen ausgenutzt worden sind. SPIEGEL-Online spricht in diesem Zusammenhang von dem seitens der Schweizer Bundesanwaltschaft recherchierten brisanten Vorwurf, „dass der deutsche Staat an der Datenbeschaffung aktiv beteiligt gewesen sein könnte.“ In diesem Kontext wird auch ausdrücklich auf die Staatsanwaltschaft Münster als Empfänger der illegal beschafften Daten verwiesen.

Inhaltlich geht es um den zuletzt bekannt gewordenen Fall des Datendiebes im privaten Bankhaus Julius Bär, der im Verdacht steht, im Auftrag von deutschen Steuerfahndern gezielt gehandelt zu haben. Der Informatiker O. konnte mittlerweile gefasst werden und äußert sich nun zu den Vorgängen aus seiner Sicht.

Der Bericht führt dazu wörtlich aus:

„Brisant ist die Verteidigungslinie, auf die sich O. nun offenbar zurückzieht. Er soll gegenüber den Ermittlern angegeben haben, dass er zum Diebstahl der Bankkundendaten angestiftet worden sei. Glaubt man den Spekulationen, machten ihn erhebliche Steuerschulden in Deutschland für die Steuerbehörden faktisch erpressbar. Noch ist völlig offen, ob O. tatsächlich im Auftrag agierte, oder ob es sich dabei nur um eine verzweifelte Ausrede handelt. Sollten die Untersuchungen diesen Verdacht allerdings erhärten, dann birgt der Fall Zündstoff. Denn dann stellt sich auch die Frage, wie hoch in der Hierarchie der Steuerfahnder oder gar des Ministeriums von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans die Verantwortung für den Auftrag reicht. Der SPD-Politiker ist ein klarer Verfechter der Politik, gestohlene Bankkundendaten zu erwerben und das Steuerabkommen scheitern zu lassen. Dies führte im August gar dazu, dass Walter-Borjans selber von einem Genfer Anwalt wegen Diebstahls und Hehlerei angezeigt wurde.“

Den Angaben von SPIEGEL-Online zufolge ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft „zu verbotenem wirtschaftlichen Nachrichtendienst“, da hier anscheinend ein Wirtschaftsverbrechen mit Auslandsbezug begangen worden wäre und Geschäftsgeheimnisse nach ihrer Entwendung fremden amtlichen Stellen übermittelt worden seien.

Für die FDP-Landtagsfraktion gilt eindeutig: Steuerhinterziehung ist ein Angriff auf das Gemeinwohl und daher sowohl zu verurteilen als auch unter voller Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden gesetzlichen Möglichkeiten zu bestrafen. Ebenso gilt: Es gibt Schranken staatlichen Handelns, an die sich jedenfalls ein Rechtsstaat zu halten hat. Der Zweck heiligt daher nicht jedes Mittel.

Aufgrund der großen auch staatspolitischen Brisanz der in dem zugrundeliegenden Artikel aufgestellten Behauptungen hat das Parlament ein Anrecht darauf, von Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans vollständig unterrichtet zu werden, in welchem Umfang ihm oder den nordrhein-westfälischen Behörden die in diesem Beitrag vorgetragenen Sachverhalte bekannt sind und wie er die Plausibilität der Darlegungen bewertet.

Welche einzelnen Erkenntnisse liegen dem Finanzminister zu der Frage vor, ob gezielt Aufträge zum Steuerdatendiebstahl seitens des Landes erteilt worden sind?

Herr Minister Dr. Walter-Borjans, Sie haben das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich könnte es ganz kurz machen und sagen: Keine. Ich kann aber dazu noch sagen: Weder ich noch die Steuerverwaltung sehen es als unsere Aufgabe und Teil unseres Repertoires an, Aufträge zu Steuerdatendiebstahl zu erteilen. Es gab zu keiner Zeit Anweisungen von mir persönlich oder aus dem Finanzministerium, nicht vorhandene Informationen erst noch zu beschaffen, beschaffte zu erweitern bzw. entsprechende Aufträge gegenüber den Informanten zu erteilen. In keinem Fall wurde offensiv für den Ankauf von Daten durch die Finanzverwaltung geworben.

Das ist auch die Informationslage, die ich von all denen habe, die in der Steuerfahndung tätig sind. Sie tragen dazu bei, Betrugsdelikte – und zwar Kriminalität des schwereren Ausmaßes – aufzudecken. Zu denen muss ich immer wieder sagen: Ich lasse nicht zu, dass die jetzt in dieses Licht gestellt und zu Tätern gemacht werden. Das sind Geschichten, die immer wieder in Medien vornehmlich auf der Schweizer Seite lanciert werden. Ich habe aber nicht nur kein Interesse daran, ich muss auch aufgrund der Erfahrungen aus den letzten zwei Jahren sagen: Wir hätten es auch nicht nötig.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine Frage. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, Sie haben an der Formulierung der Fragen und der Sachverhaltsdarstellung gesehen, dass wir uns keine Argumentationen zu eigen machen, die wir gar nicht persönlich beurteilen können. Gleichwohl werden Sie verstehen, dass die Opposition, wenn von einschlägigen und seriösen Medien Berichterstattungen vorliegen, nachfragt, für wie plausibel Sie das halten.

Deshalb möchte ich Ihnen eine Nachfrage stellen zu den kritisch angesprochenen Sachverhalten betreffend das Verhalten der Steuerfahndung der nordrhein-westfälischen Finanzbehörden, wie es beim „Spiegel“ dargestellt worden ist.

Habe ich es soweit richtig verstanden: Dazu liegen Ihnen keine Erkenntnisse vor?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich respektiere sehr, dass Sie das Recht der Fragestellung wahrnehmen, und muss Ihnen sagen: Nein, mir liegen keine Kenntnisse über Sachverhalte dieser Art vor.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. Es gibt eine zweite Frage von Herrn Witzel. Bitte, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Minister, dazu direkt die Nachfrage: Sollte sich herausstellen, dass das nicht nur unbelegte Spekulationen sind, die im „Spiegel“ als Quelle erwähnt sind, sondern es sich so wahrheitsgemäß ereignet haben sollte – das betrifft gerade die Aussage des Festgenommenen –, was wären die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen würden?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich will dazu keine Spekulationen vornehmen. Das wäre dasselbe, als wenn wir spekulieren würden, was wäre, wenn die von der Schweiz behaupteten Verfehlungen zuträfen, die dazu führen, dass man zu der schweren Keule eines Haftbefehls gegriffen hat, die normalerweise nur dann eingesetzt wird, wenn man damit rechnen muss, dass sich der Betroffene in den Untergrund davonmacht. Diese Fälle haben wir nicht. Ich habe keinen Anlass dazu, an der Loyalität und dem legalen Verhalten meiner Mitarbeiter zu zweifeln.

Es gibt klare Regeln, nach denen sich Beamte und die Fahndung zu richten und an die sie sich zu halten haben. Wir haben rechtliche Regelungen. Es ist heute bereits diskutiert worden: Wir haben gerade in dem Bereich, über den wir uns jetzt unterhalten, eine Reihe von Gerichtssprüchen. Die Beamten sind gehalten, sich auf der Basis zu bewegen, kein Recht zu brechen. Es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass das nicht der Fall ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wedel hat eine Frage. Bitte, Herr Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Minister, in dem „Spiegel“-Bericht sind Behauptungen aufgestellt worden. Ich will eigentlich nur fragen, ob Sie Kenntnis davon haben, ob entsprechende Behauptungen in Strafanzeigen, die in NRW bearbeitet werden, eine Rolle spielen.

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Ich habe einen Teil der letzten Frage nicht verstanden: Ob die Behauptungen, die aufgestellt worden sind und transportiert werden über „Spiegel-online“ zu Strafanzeigen bei uns geführt haben?

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Dirk Wedel (FDP): Die Frage war präzise, ob die Behauptungen Gegenstand irgendwelcher Strafanzeigen sind, die hier in NRW anhängig sind.

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Die sind mir nicht bekannt. Mir sind zum einen die Behauptungen bekannt, die den Strafanzeigen in der Schweiz zugrunde liegen und zu dem Haftbefehl gegen drei Fahnder geführt haben.

Mir ist darüber hinaus bekannt, dass es in der Bundesrepublik, also hier bei uns, Anzeigen gibt. Zum einen ist dies eine Anzeige eines Steueranwalts mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz. Das ist eine Sammelanzeige gegen alle: angefangen bei Helmut Linssen über mich bis zum früheren Oberfinanzpräsidenten, allen Fahndern usw. Ich finde es sehr bemerkenswert, dass eine Wirtschafts- und Steuerpublikation in Deutschland mit Sitz – wenn ich es richtig sehe – in Düsseldorf eine Anzeige, basierend auf diesen Behauptungen, als Musteranzeige ins Netz gestellt hat, die Sie herunterladen, ausfüllen und einreichen können – womit ich den Staatsanwaltschaften nicht zu viel Arbeit machen möchte. Es reicht vielleicht, wenn das schon jemand gemacht hat.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Zu einer dritten und damit letzten Nachfrage erteile ich dem Kollegen Witzel das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, ich habe in der Tat noch eine letzte Frage zu unterschiedlichen Medienhinweisen zu dem in Rede stehenden Thema. Ich halte Sie durchaus für jemanden, der sensibel im Umgang mit Informationen aus Medien ist und medienerfahren das ernst nimmt, was der „Spiegel“, „Financial Times Deutschland“ und andere berichten.

Zumindest sind immer wieder die Behauptungen aufgestellt worden, es gäbe durchaus Anregungen und Anstiftungen, bestimmte Daten zu beschaffen. Ich frage Sie: Sind Sie, basierend auf der Berichterstattung von „Spiegel“ oder zuvor der „Financial Times Deutschland“, der Fragestellung innerhalb der Steuerverwaltung nachgegangen, ob es solche Hinweise, Beauftragungen oder Anstiftungen gegeben hat? Hat es Aktivitäten von Ihnen in Reaktion auf die Presseveröffentlichungen gegeben?

Dr. Norbert Walter-Borjans*), Finanzminister: Aktivitäten in der Hinsicht, dass ich in der Verwaltung nachgeforscht habe, ob daran etwas ist? – Natürlich habe ich in dem Moment, als damals im Wesentlichen im Zusammenhang mit den Haftbefehlen die Frage aufgekommen ist beziehungsweise Vorwürfe aufgekommen sind, sowohl öffentlich als auch intern darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Grundlagen einzuhalten sind und ich davon ausgehe und keine Zweifel daran habe, dass sie eingehalten werden.

In allen Gesprächen, die ich mit meinen Fahnderinnen und Fahndern immer wieder führe, hat diese Frage natürlich auch einmal eine Rolle gespielt. Es ist völlig klar, dass die Personen, mit denen ich gesprochen habe und über die ich kommuniziere – wie zum Beispiel die Oberfinanzdirektionen –, klar erklären, dass das nicht das Repertoire der nordrhein-westfälischen Steuerverwaltung und Steuerfahndung ist.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Walter-Borjans, für Ihre Antworten.

Meine Damen und Herren, weitere Nachfragen liegen mir nicht vor.

Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde und zugleich am Ende unserer heutigen Plenarsitzung.

Die nächste Sitzung findet statt am Mittwoch, den 7. November 2012, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende sowie eine gute sitzungsfreie Woche.


Die Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen ist geschlossen.

Schluss: 17:08 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.