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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/15

17. Wahlperiode

30.11.2017

 

15. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 30. November 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 3

1   Abholzung des Hambacher Waldes verhindern – Rechtsfrieden im Rheinischen Revier sichern

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1319. 3

Monika Düker (GRÜNE) 3

Romina Plonsker (CDU) 5

Guido van den Berg (SPD) 6

Ralph Bombis (FDP) 8

Christian Loose (AfD) 10

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 11

Guido van den Berg (SPD) 13

Thomas Schnelle (CDU) 15

Wibke Brems (GRÜNE) 16

Dietmar Brockes (FDP) 17

Dr. Christian Blex (AfD) 18

Minister Herbert Reul 19

Michael Hübner (SPD) 20

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 21

2   Die Landesregierung muss die Arbeit der Integrationsräte würdigen, ihre Beteiligungsmöglichkeiten verbessern und die einheitliche Vertretung von Migrantinnen und Migranten durch die Integrationsräte erhalten!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1287

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1356. 22

Ibrahim Yetim (SPD) 22

Heike Wermer (CDU) 25

Stefan Lenzen (FDP) 26

Berivan Aymaz (GRÜNE) 28

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 29

Minister Dr. Joachim Stamp. 31

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU) 33

Hans-Willi Körfges (SPD) 34

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 34

Minister Dr. Joachim Stamp. 35

Ergebnis. 35

3   Neue Impulse zur nachhaltigen Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit: Finanzierung sichern, Instrumente reformieren, Langzeitarbeitslosigkeit reduzieren

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1283

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1338. 36

Marco Schmitz (CDU) 36

Stefan Lenzen (FDP) 37

Josef Neumann (SPD) 38

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 39

Sven Werner Tritschler (AfD) 40

Minister Karl-Josef Laumann. 41

Ergebnis. 42

4   Geschlechtergerechtigkeit durch den Kinder- und Jugendförderplan sicherstellen – öffentliche Mittel geschlechtergerecht verteilen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1280. 42

Josefine Paul (GRÜNE) 42

Margret Voßeler (CDU) 43

Susana Dos Santos Herrmann (SPD) 44

Alexander Brockmeier (FDP) 45

Thomas Röckemann (AfD) 46

Minister Dr. Joachim Stamp. 48

Ergebnis. 49

5   Bologna-Prozess reformieren. Rückkehr zu bewährten Studienabschlüssen auch in NRW

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1284. 49

Helmut Seifen (AfD) 49

Raphael Tigges (CDU) 51

Dietmar Bell (SPD) 52

Moritz Körner (FDP) 52

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 53

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 54

Ergebnis. 55


Entschuldigt waren:

Minister Herbert Reul

(von 11:30 Uhr bis 13:30 Uhr)

Eva Lux (SPD)

Gabriele Hammelrath (SPD)

Henning Höne (FDP)    
(ab 11:15 Uhr)

 


Beginn: 10:01 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Ich darf Sie alle herzlich zu unserer heutigen, 15. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen heißen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Besuchertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zwei Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert heute unser Kollege Herr Daniel Sieveke von der Fraktion der CDU.

(Allgemeiner Beifall – Beifall von der Regierungsbank)

Herzliche Glückwünsche und alles Gute im Namen aller Kolleginnen und Kollegen!

Ich rufe auf:

1   Abholzung des Hambacher Waldes verhindern – Rechtsfrieden im Rheinischen Revier sichern

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1319

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 27. November 2017 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin vonseiten der antragstellenden Fraktion der Grünen Frau Düker das Wort. Bitte schön.

Monika Düker (GRÜNE): Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Da ich eine Ahnung habe, was in den Redemanuskripten der Kolleginnen und Kollegen steht, die gleich ans Redepult gehen – auch Herr van den Berg wird nachher noch sprechen –, antizipiere ich das sofort:

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es geht jetzt darum, Herr van den Berg, vor allen Dingen Recht und Gesetz umzusetzen, und alle, die sich vor Ort an den Protesten beteiligen und sich solidarisieren, legitimieren irgendwie die Gewalt gegen Polizei, RWE-Mitarbeiter.

Ich sage Ihnen daher ganz bewusst zuallererst: Ja, wir Grüne solidarisieren uns ausdrücklich mit den Protesten der über 10.000 Menschen, die mittlerweile an den Waldführungen teilgenommen haben, die bei den Mahnwachen mitgemacht haben, sich an den Demonstrationen beteiligt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und: Ja, wir solidarisieren uns ausdrücklich mit den Aufrufen, den eindringlichen Bitten, den Appellen von mehr als 52 Organisationen, die alle bislang vom Ministerpräsidenten unbeantwortet geblieben sind.

(Zurufe von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter diesen Organisationen stehen Hunderttausende von Menschen in diesem Land, die sich dafür einsetzen, dass man in dem Konflikt endlich politisch vermittelnd tätig wird – Herr Laschet, das ist der Appell an Sie –,

(Beifall von den GRÜNEN)

mit dem Ziel, die Rodung auszusetzen, wenigstens bis eine neue Bundesregierung über einen Fahrplan zum Kohleausstieg entschieden hat, der, wie wir alle wissen, kommen wird.

Wir wehren uns gegen die Kriminalisierung dieser Menschen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Dazu gehört auch: Wir fordern alle, die vor Ort friedlich protestieren und sich im besten Sinne zivilgesellschaftlich engagiert für Klimaschutz einsetzen, genauso auf …

(Widerspruch von der CDU)

 – Hören Sie mir doch erst einmal zu!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich hatte es geahnt, dass Differenziertheit heute schwer umsetzbar ist. – Wir fordern die Menschen, die sich hier zivilgesellschaftlich engagiert für den Klimaschutz einsetzen, auf, sich endlich klar und eindeutig von den gewalttätigen Aktionen zu distanzieren,

(Zurufe von der CDU und der FDP)

sie auch zu verurteilen

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

und vor allen Dingen – das ist so – keine Täter in ihren Reihen zu dulden. Denn klar ist:

Gewalt ist selbstverständlich kein Mittel einer demokratischen Auseinandersetzung.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Lieber Guido van den Berg, ich weiß, gleich erfolgt der zweite Diskreditierungsversuch, indem Sie behaupten, dass jede Tonne geförderter Braunkohle irgendwie auch eine grüne Tonne ist. Sie werden mal wieder – das wird gleich passieren – populistisch verzerrt den Versuch unternehmen, uns in Mithaftung zu nehmen. – Das ist erstens nicht richtig, und zweitens bringt uns die Rückschau, wer wann und wie welche bergrechtlichen Bescheide, Betriebspläne genehmigt hat, nicht weiter.

Worum geht es denn heute? – Es geht um die Lösung eines gesellschaftlichen Konfliktes, nicht nur bezogen auf die Durchsetzung von Recht und Gesetz. Es ist eben nicht mehr nur ein Job des Innenministers, vor Ort die Lage zu klären, sondern es ist vielleicht auch mal ein Job von Ihnen, Herr Laschet, in einem wichtigen gesellschaftlichen Konflikt vermittelnd tätig zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kampf, der da von RWE geführt wird, mutet anachronistisch und wie aus der Zeit gefallen an angesichts der Tatsache, dass der Kohleausstieg kommt, ja kommen muss, wenn man – das ist ja das Bemerkenswerte – die von CDU, SPD und auch FDP beschlossenen Klimaziele tatsächlich ernst nimmt.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das hat auch das Verwaltungsgericht in Köln so gesehen, das sind nicht irgendwelche grünen Spinnereien. Das Verwaltungsgericht Köln hat in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem BUND einen Vergleich vorgeschlagen – mit Verweis auf den nahenden Kohleausstieg –, nämlich die Abbaugrenzen des Tagebaus zu verschieben und den Hambacher Wald auszusparen oder wenigstens die Rodung so lange zu verschieben, bis eine neue Bundesregierung über den Kohleausstieg entschieden hat.

Ich frage mich, ehrlich gesagt, wie viele andere in diesem Land auch, warum die Landesregierung diesen Ball, den die Justiz eindeutig der Politik zugespielt hat, Herr Laschet, nicht aufgenommen hat, um hier Rechtsfrieden zu schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Warum tauchen Sie ab? Sie reagieren nicht auf all die Bittbriefe, auf die Appelle. Sie beantworten keine Presseanfragen.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Doch!)

Warum entziehen Sie sich dem? Sie hätten hier die einmalige Chance, im besten Sinne als Landesvater zu schlichten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie hätten einmal die Rolle des Landesvaters nicht in Talkshows, sondern im Real Life, hier vor Ort wahrnehmen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Warum machen Sie das nicht? Warum stellen Sie sich offenbar bedingungslos hinter eine RWE-Augen-zu-und-durch-Strategie? Das ist umso unverständlicher, als es doch Ihre Bundesregierung

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das sind doch eure Beschlüsse!)

und auch Ihre Vertreter, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gewesen sind, die den Klimaschutzplan 2016 verabschiedet haben.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU)

– In diesem Klimaschutzplan wird eindeutig definiert, bis 2030 mindestens 50 % Emissionsreduzierung – das haben Sie beschlossen, Herr Hovenjürgen, nicht wir – in der Kohleverstromung zu erreichen. Ich sage Ihnen ganz klar – dafür braucht man kein Physikstudium; wer rechnen kann, ist klar im Vorteil –: Das heißt, 180 Millionen t CO2 aus der Kohleverstromung müssen gegenüber 2014 eingespart werden. Dabei müssen auch im Rheinischen Revier die ineffizientesten und ältesten Kraftwerke abgeschaltet werden. Dann ist die Kohle aus dem Hambacher Wald nicht mehr nötig. Das ist Fakt. Es gefährdet auch nicht die Versorgungssicherheit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielleicht geht es RWE in diesem Machtkampf ja auch nur darum, sich den früheren Ausstieg möglichst lukrativ versilbern zu lassen.

Aber, Herr Ministerpräsident, im Interesse des Landes, im Interesse des Klimaschutzes und, wenn Sie so wollen, zur Bewahrung der Schöpfung, für die Bechsteinfledermaus und für den Mittelspecht,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die Fledermaus ist Ihnen wichtiger als die Menschen! – Weitere Zurufe von der CDU)

für dieses schützenswerte Naturerbe sollten Sie sich bei aller Zockerei überlegen, auf welche Seite Sie sich stellen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Was ist mit den Menschen, die dort arbeiten?)

Ich bitte Sie noch einmal eindringlich, …

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, die Redezeit.

Monika Düker (GRÜNE): … diesen Konflikt nicht den Gerichten zu überlassen und diesen Konflikt selbstverständlich nicht mit Gewalt zu lösen. Dieser Konflikt sollte auch nicht auf dem Rücken unserer Polizistinnen und Polizisten ausgetragen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hier geht es um Rechtsfrieden, und hier ist die Politik gefragt, eine vermittelnde Rolle einzunehmen. Nutzen Sie dieses Zeitfenster! Sprechen Sie mit den Akteuren! Eine Lösung ist möglich, wenn man sie denn will.

Ein Betrieb wie RWE, der Flüsse verlegen kann, der Autobahnen verlegen kann, der offenbar technisch alles möglich machen kann, wird es auch schaffen, den Hambacher Wald, dieses Naturerbe von unschätzbarem Wert, nicht zu roden. Wenn man will, ist hier eine Lösung möglich.

Präsident André Kuper: Die Redezeit ist deutlich überschritten, Frau Kollegin.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Ministerpräsident, handeln Sie und werden Sie endlich tätig, den Rechtsfrieden in der Region wiederherzustellen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Ministerpräsident Armin Laschet und Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. Sie haben Ihre Redezeit sehr deutlich um etwa eineinhalb Minuten überzogen. Ich werde das bei den anderen Fraktionen entsprechend aufschlagen, wenn es nötig wird. – Für die CDU erteile ich Frau Plonsker das Wort.

Romina Plonsker (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Düker, Ihre Erwartungen erfülle ich sehr gern. Denn statt sich seriös mit den Inhalten auseinanderzusetzen, schüren Sie, liebe Grüne, wieder Ängste bei den Menschen in unserem Land.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Viele Mitarbeiter, die in jenen Tagebauen aktiv sind, haben sich heute vor dem Landtag versammelt und demonstrieren für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Diese Menschen verunsichern Sie tagtäglich.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Frau Brems hat in einer der letzten Sitzungen des Wirtschaftsausschusses gesagt, dass ihr die Arbeitsplätze im Rheinischen Revier nicht egal sind. Dann verstehe ich nicht, warum Sie ständig die Ausstiegsszenarien befeuern. Denn nichts anderes ist ein Rodungsstopp im Hambacher Forst.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Nach den blumigen Worten möchte ich gern noch ein paar Fakten nennen: Der Tagebau Hambach ist seit 1987 in Betrieb. In mittlerweile drei Leitentscheidungen und in unzähligen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren wurde ein rechtlicher Rahmen gesetzt und die Planung konkretisiert. In der jüngeren Vergangenheit haben Gerichte viele Urteile auch über die Braunkohle gefällt.

Eines muss ich hier noch einmal betonen: Es geht vor allen Dingen um Recht und um Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der aktuelle Betriebsplan des Tagebaus Hambach ist bis 2020 zugelassen. Das, was jetzt die ganze Zeit beklagt wird, ist der neue, der dritte Rahmenbetriebsplan von 2020 bis 2030. Bereits nach den Plänen 2014 hat der BUND mehrfach Klage eingereicht, und seit Sommer 2017 geht es jetzt um den Hambacher Forst.

RWE argumentiert – und das ist auch die Haltung der Landesregierung –, dass für eine Fortführung des Tagebaus Hambach der Wald weichen muss. Dafür gibt es einen zeitlichen Rahmen; denn es darf bekanntlich nicht während des ganzen Jahres gerodet werden. Deshalb haben wir seit letztem Freitag eine neue und eine alte Lage – neu, weil am Freitag das Gericht ein neues Urteil fällte, und alt, weil der Rahmenbetriebsplan bestätigt wurde.

Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klage des BUND zurückgewiesen. Es darf also im Hambacher Forst gerodet werden. Die Bezirksregierung hat im Jahr 2014 rechtmäßig die Zulassung für den Tagebau erteilt. Es ist weder formal eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig noch steht der Rodung europäisches Umweltrecht entgegen.

Aber natürlich hat der Hambacher Forst eine Wertigkeit. Das spricht ihm hier auch niemand ab. Gleichwohl sind für die dort beheimateten Arten im europäischen Schutzgebietssystem Natura 2000 andere Gebiete gemeldet worden. Für den Artenschutz existieren bereits erprobte Verfahren, die auch eingehalten werden.

Dennoch ist am Ende ein Urteil gefällt worden. Seit August liegt der entsprechende Rodungsstopp beim OVG Münster vor. Somit wurde die Rodung vorgestern aus formalen Gründen vorläufig gestoppt.

Aber in dieser Frage wiederhole ich gerne: Es geht um das zentrale Gut unseres Staates, es geht um Rechtssicherheit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb hoffen wir auch auf eine zeitnahe Urteilsverkündung.

Eine Sache liegt mir jedoch besonders am Herzen – und da erfülle ich die Erwartungen von Frau Düker wirklich sehr gerne –: Rechtsfreie Räume dürfen wir in diesem Land nicht dulden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die begonnenen Rodungen mussten unter massivem Polizeischutz durchgeführt werden. Aktivisten haben bereits bei der Urteilsverkündung einen krassen Kampf angekündigt, und das lässt wirklich Schlimmes erwarten. Denn Gewalt und Androhungen sind immer eine rote Linie. Noch im Gerichtssaal – mehrfach in der Presse nachzulesen – wurde durch Ökoaktivisten verkündet: Auch Manager haben Adressen, und wir finden sie raus.

Dieses Maß an Verachtung ist unerträglich,

(Beifall von der CDU und der FDP)

vor allem, weil Sie, liebe Grüne, sich außerstande sehen, sich klar von den Fundamentalisten zu distanzieren. Das haben Sie gerade noch einmal gesagt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Haben Sie nicht zugehört? Es ist unverschämt, dass Sie nicht zuhören! Das ist eine Frechheit! – Arndt Klocke [GRÜNE]: Fünfmal in ihrer Rede hat sie sich distanziert! Hören Sie doch mal zu! – Monika Düker [GRÜNE]: Das ist ja so schön falsch!)

Nein, Sie werten diese Leute auch noch politisch auf, indem Sie ihnen den Rücken stärken. Das ist unverantwortlich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben eben ganz klar gesagt, dass Sie die Leute, die im Hambacher Forst aktiv sind, unterstützen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Wie schön falsch sind diese Klischees! – Arndt Klocke [GRÜNE]: Aus dem Setzkasten der 80er-Jahre!)

– Diese Leute, die im Hambacher Forst aktiv sind, Frau Düker, unterstützen die Terroristen im Hambacher Forst.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann gehen Sie doch mal raus, und unterstützen Sie die Kolleginnen und Kollegen, wenn ihnen Gewalt angedroht wird.

(Zuruf von den Grünen)

Wir halten den Erfolg der Energiewende gemäß den von der Bundesregierung gesetzten Klima- und Energiezielen im gegebenen verbindlichen Planungshorizont für möglich. Dafür braucht das Rheinische Revier kein abruptes Ausstiegsszenario, sondern den Einstieg in neue Technologien mit Maß und Mitte.

(Beifall von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das haben wir beim Sozialticket gesehen!)

Hierzu zählt neben einer Reduktion der Treibhausgasemissionen und einer bezahlbaren Umstellung der Energiesysteme auf erneuerbare Energiesysteme aber auch die gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Umsetzbarkeit der Energiewende.

(Beifall von der CDU)

Die Energiewende muss nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und vor allen Dingen sozial gelingen, insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für die Kommunen des Rheinischen Reviers. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Plonsker. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen van den Berg das Wort.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass ich im Gegensatz zu Frau Kollegin Düker heute Morgen nicht in die Glaskugel geguckt und prognostiziert habe, was andere vielleicht reden mögen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Bei der CDU hat es ja gestimmt!)

– Aber selbst wenn ich es getan hätte, liebe Monika Düker, hätte ich es nicht für möglich gehalten, heute von Ihnen als jemand beschimpft zu werden, der in der Frage, wer im Hambacher Forst unterwegs ist, nicht differenziert. Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass Sie mir an den Kopf werfen, ich würde populistisch verzerrt argumentieren.

(Martin Börschel [SPD]: Das ist auch unangemessen!)

Das hätte ich in der Tat nicht für möglich gehalten.

(Beifall von SPD, der CDU und den GRÜNEN – Arndt Klocke [GRÜNE]: Jetzt ist die Chance, es richtigzustellen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gewalt im Hambacher Forst geht von einer autonomen Szene aus,

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

von Menschen, die sich gar nicht so sehr um das Thema „Klimaschutz“ kümmern, sondern die unseren Staat und unsere Demokratie prinzipiell ablehnen.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau so ist es!)

Sie glauben, mit autonomen Gedanken, letztendlich mit Anarchie eine bessere Welt herbeizuführen. Das ist nicht unsere Position, und ich bin sicher, es ist auch nicht die Position der Grünen.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Aber eines muss man deutlich sagen: Leider hat sich die Gewalt selbst nach dem Rodungsstopp noch vermischt. Deswegen habe ich vorhin – liebe Monika Düker, vielleicht hören Sie an der Stelle einmal zu – an mehreren Stellen geklatscht, als Sie sich von der Gewalt distanziert haben.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist selbstverständlich!)

– Das ist selbstverständlich. Aber selbst nach dem Rodungsstopp sind gestern Kontaktbeamte der Polizei im Wald angegriffen worden,

(Dietmar Brockes [FDP]: Unsäglich!)

und zwar aus einer bürgerlichen Mitte heraus. Aus einer bürgerlichen Mitte heraus sind Autonome gekommen und haben einen Kontaktbeamten mit einem Fausthieb traktiert und bespuckt. Danach sind sie wieder in der Gruppe verschwunden.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

– Herr Klocke, beschäftigen Sie sich mit diesen Dingen. Das ist das Problem, das wir an der Stelle haben.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das ist eine Frechheit!)

Frau Kollegin Plonsker hat aus der „Aachener Zeitung“ zitiert, was im Gerichtssaal stattgefunden hat. Im Gerichtssaal haben Menschen skandiert: Auch Manager haben Adressen, die wir herausfinden. – Ich habe mit dem RWE-Mitarbeiter telefoniert, dem das dort wiederfahren ist. Es war nicht der einzige Spruch, den er sich anhören musste. Er musste sich auch anhören: Ein Baum, ein Strick, ein Schuss ins Genick.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Und jetzt mal zum Thema!)

Das war die Situation in einem deutschen Gerichts-saal.

Ich finde es richtig, dass die Grünen jede Gelegenheit nutzen – wie heute, das sollten Sie auch weiterhin tun –, sich davon klar zu distanzieren. Sie haben es vorhin in Teilen getan.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Als ich vorhin draußen vor dem Landtag bei den Bergleuten war, haben sie mir ein Flugblatt in die Hand gedrückt,

(Unruhe)

auf dem steht: Sind wir in Deutschland noch ein Rechtsstaat?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dem Antrag der Grünen steht, wir sollten den Rechtsfrieden in der Region sichern. – Ich sage sehr deutlich: Der Rechtsfrieden in der Region ist auch dadurch gestört, weil die Menschen das Vertrauen verloren haben, dass Straftaten in dieser Region ordentlich geahndet werden.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, bei den Ende-Gelände-Protesten – wir haben das letzte Woche im Innenausschuss aufgearbeitet, Herr Innenminister – sind 1.330 Störer in den Tagebau eingedrungen. Die haben zu diesem Zeitpunkt mindestens eine Straftat begangen, nämlich die des Hausfriedensbruchs.

(Zuruf: Genau!)

Von den Störern sind insgesamt neun Personen nach Aachen in die Gefangenensammelstelle gebracht worden; dort gab es mindestens vier Widerstandshandlungen. 140 Personen wurden nach Linnich gebracht, aber es erfolgte keine Identitätsfeststellung über Fingerabdrücke.

Was ist stattdessen passiert? Man hat Fotos gemacht und Videos gefertigt, Herr Ministerpräsident. Ich habe dann mehrfach nachgefragt, und der Innenminister hat sich beschwert, warum ich so viele Fragen im Innenausschuss stelle. Wissen Sie, wie viele der 1.330 Personen identifiziert worden sind? Eine einzige Person bis heute!

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Dann kann man nicht sagen: „Wir fahren eine Nulltoleranzstrategie“, sondern dann muss man handeln.

(Beifall von der SPD und der AfD – Zuruf von der SPD: Herr Löttgen, da können Sie ruhig weiterklatschen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Unruhe)

zwei Dinge stören mich an dieser Stelle massiv: Wir erleben auf grüner Seite eine Scheinheiligkeit.

(Unruhe)

Liebe Monika Düker, wahrscheinlich ist es schwer, das zu hören, aber ich muss es noch einmal deutlich sagen: Die grüne Fraktion hat noch vor sechs Monaten in Regierungsverantwortung an der Leitentscheidung des Tagebaus Garzweiler mitgewirkt.

(Unruhe – Zuruf von der CDU: Das ist vergessen!)

Der Entscheidungssatz 1 heißt:

„Braunkohlenabbau ist im rheinischen Revier weiterhin erforderlich, dabei bleiben die Abbaugrenzen der Tagebaue Inden und Hambach unverändert …“

Das ist die Politik der Grünen in Regierungsverantwortung.

(Beifall von der SPD und der AfD)

Jetzt sieht es anders aus.

(Zuruf von der CDU: Ach ja!)

So darf man nicht an die Dinge herangehen.

Genauso stört mich aber – und das sage ich auch in aller Deutlichkeit – die Scheinheiligkeit der CDU.

(Beifall von der SPD – Unruhe)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben mitbekommen: Sie waren bereit, in der Braunkohle 7 GW abzuschalten. Wir haben gehört, was uns Minister Pinkwart im Innenausschuss erzählt hat, nämlich dass die grünen Pläne zu 12 GW Stromimporten geführt hätten.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet, Herr Lindner habe auf dem Landesparteitag davor gewarnt, dass es dann echte Strukturbrüche und soziale Verwerfungen geben würde und diese Beschlüsse letztendlich eine Bestandsgarantie für den Pannenreaktor in Tihange gewesen wären. Ich zitiere aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“:

„Die Behauptung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die Verhandlungen hätten kurz vor dem Abschluss gestanden, sei offenbar seiner ‚Halbdistanz‘ geschuldet – ein feiner Seitenhieb darauf, dass Laschet nicht zum engsten Kreis der Verhandler gehört hatte.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest: Die CDU in Nordrhein-Westfalen wäre bereit gewesen, den Braunkohlebergbau in den Verhandlungen mit den Grünen zu opfern. Übersetzt sind das die 7 GW.

Die andere Variante, ist, lieber Herr Laschet, dass Sie in Wahrheit in Berlin gar nichts zu sagen haben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und der AfD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Für die FDP erteile ich Herrn Kollegen Bombis das Wort.

Ralph Bombis (FDP): Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Liebe Frau Düker, ich möchte gleich an drei Punkten deutlich machen, warum ich das, was Sie heute als Aktuelle Stunde aufgerufen haben, durchaus für ein fatales Signal halte.

Ich möchte aber eines vorausschicken: Ich denke, wir können festhalten, dass sich niemand, der aus der Region, der aus dem Rheinischen Revier stammt – erst recht nicht die Menschen, die politische Verantwortung tragen ,– nicht völlig bewusst darüber ist, dass die Rohstoffgewinnung dazu führt, dass Menschen ihr Zuhause verlieren, dass Menschen umgesiedelt werden müssen, dass historische Gebäude abgebaut werden und dass eben auch, wie in diesem Fall, Eingriffe in die Natur notwendig sind. Keiner, der im Rheinischen Revier Verantwortung trägt, nimmt das auf die leichte Schulter.

Es gibt freundschaftliche Verbindungen. Es gibt häufig genug familiäre Verbindungen. Diese Situation treibt uns alle um, aber die Menschen im Rheinischen Revier haben sie über Jahrzehnte ertragen. Sie haben das hingenommen und mitgetragen, weil es um ein hohes öffentliches Gut geht, nämlich um die Sicherheit der Versorgung unserer gesamten Gesellschaft mit Energie. Das verdient Anerkennung, die mir in Ihren Reden immer ein Stück weit fehlt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das bringt mich zu meinem ersten Punkt: Wenn wir über Versorgungssicherheit, über Energieversorgung sprechen, dann ist es schlicht nicht realistisch – und da können Sie sagen, was Sie wollen, Frau Düker –, dass Sie hier Szenarien an die Wand malen, die auf irgendwelche zügigen Ausstiege abzielen. Ich sage Ihnen klar: Wenn wir aus Steinkohle und Atomstrom aussteigen, brauchen wir die Braunkohle für die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit von Energie.

(Monika Düker [GRÜNE]: Da sind Sie der Einzige, der das noch behauptet!)

Wenn wir Ihrem Weg folgen würden, würde das bedeuten, Blackouts und damit die industrielle Grundlage in unserem Land zu riskieren, es sei denn – und dann sagen Sie das hier deutlich –, wir würden in Kauf nehmen, dass wir entweder russisches Gas

(Monika Düker [GRÜNE]: Oh nein!)

oder belgischen Atomstrom brauchen. Das wäre die Konsequenz, zumindest optional. Dann sagen Sie das hier auch.

(Beifall von der FDP und der CDU – Monika Düker [GRÜNE]: Das glauben Sie doch selbst nicht! – Arndt Klocke [GRÜNE]: Schade, dass es im Landtag keinen Faktencheck gibt!)

Meine Fraktion und die NRW-Koalition

(Weitere Zurufe)

sind vor diesem zumindest optionalen Szenario nicht bereit, auch nur einen Arbeitsplatz in Deutschland und erst recht nicht die Grundlage unserer Industrie zu gefährden, so wie Sie das bis 2017 mit den falschen Signalen immer wieder riskiert haben. Wir werden das nicht riskieren, Frau Düker.

(Beifall von der FDP)

Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: Sie haben in Ihrem Antrag auf die Aktuellen Stunde – es ist schon angeklungen – auf den Rechtsfrieden im Rheinischen Revier hingewiesen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das hat doch das Verwaltungsgericht gesagt!)

Meine Damen und Herren, wir haben einen Rechtsfrieden im Rheinischen Revier, wenn wir uns auf der vorhandenen rechtlichen Grundlage bewegen.

Wir haben klare Eigentumsverhältnisse. Wir haben einen Braunkohleplan der Landesregierung, der demokratisch vom Parlament verabschiedet worden ist – mit den Stimmen der Grünen. Der Kollege van den Berg hat darauf hingewiesen. Das ist Ihr Braunkohleplan. Das ist Ihre Rechtslage, Frau Düker. Da können Sie sich jetzt doch nicht herausreden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Diese klare Rechtslage ist gerichtlich bestätigt worden. Daran ändert auch der einstweilige Rodungsstopp, den das Gericht jetzt angeordnet hat, überhaupt nichts.

(Monika Düker [GRÜNE]: Und der Vergleichsvorschlag vom Verwaltungsgericht ist Ihnen ganz egal?)

– Vom Verwaltungsgericht ist doch ganz klar geurteilt worden.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das war ein Vergleichsvorschlag!)

– Es ist klar geurteilt worden, dass dieser Braunkohleplan in Ordnung ist.

Ich sage Ihnen, Frau Düker – auch das gehört dazu –: Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und alles das, was Sie selber vor sechs Monaten beschlossen haben, wieder infrage stellen,

(Monika Düker [GRÜNE]: Das macht das Verwaltungsgericht selbst!)

sind Sie es, die den Rechtsfrieden im Rheinischen Revier gefährden. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch ich sage, um Ihre Erwartungen zu erfüllen: Selbst wenn Sie sich hier hinstellen und Rechtsfrieden einfordern, sind Sie es, die den Rechtsfrieden vor Ort riskieren, indem Sie das Thema immer wieder so intonieren. Denn es geht doch nicht darum, dass es hier legitime und legale Proteste gegen die Rodung gibt. Aber die Leute, die dort im Hambacher Forst aktiv sind, sind doch keine engagierten Naturschützer, die sich auf dem Weg in die Illegalität bewegen.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Das sind keine Leute, die lokal verhaftet sind. Das sind Krawall- und Chaostouristen aus ganz Europa, die dort hinkommen. Sie überschreiten diese Grenze

(Beifall von der FDP, der CDU und der AfD)

und begeben sich ins Miteinander. Da ist eine klare Abgrenzung nicht erfolgt. Deswegen ist das zu kritisieren, Frau Düker.

(Monika Düker [GRÜNE]: 100.000 Mitglieder des BUND sind zu kriminalisieren? Das sind alles Kriminelle?)

So leicht können Sie sich dann nicht herausreden.

Ich sage Ihnen ganz klar – das ist der dritte Punkt, den ich an dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit ansprechen möchte –: Gewalt kann kein Mittel demokratischer Auseinandersetzung sein.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE] – Gegenrufe von der CDU und der FDP)

– Das sage ich an Ihre Adresse, aber auch an die Adresse der Öffentlichkeit. Ich sage es auch und ausdrücklich an die Adresse der Medien, die dort in der Vergangenheit auch nicht immer klar aufgestellt waren: Gewalt kann niemals legal sein.

(Christof Rasche [FDP]: Genauso ist es!)

Sie kann auch niemals legitim sein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP, der CDU und der AfD)

Gewalt ist kein Mittel einer legitimen Auseinandersetzung. Wenn wir uns auf diesen Pfad begeben, begeben wir uns auf einen sehr riskanten Weg. Denn dann unterwerfen wir die Frage, wann Gewalt legitim ist, den individuellen Vorstellungen Einzelner.

(Monika Düker [GRÜNE]: Reden Sie doch mal zum Thema, Herr Bombis!)

Dem sollten wir als Parlament eindeutig und einheitlich entgegentreten. Das, liebe Frau Düker, schaffen Sie nicht, indem Sie sagen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Es gibt hier klare Rechtslagen. Vertreten Sie sie mit. Dann sorgen Sie für den Rechtsfrieden im Rheinischen Revier. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Kollege Bombis. – Für die AfD hat der Abgeordnete Loose das Wort.

(Zurufe von der CDU und der FDP – Gegenruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nur weil der Hambacher Forst nicht abgeholzt wird? So ein Schwachsinn! – Gegenruf von der AfD: Gestern gab es eine Rüge für „Schwachsinn“!)

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für die leidenschaftliche Rede von Frau Plonsker und die guten Reden von Herrn van den Berg und Herrn Bombis explizit bedanken; denn sie haben mir wirklich in großen Teilen aus der Seele gesprochen.

(Beifall von der AfD)

Vorab ein kleiner Punkt: Wir haben heute mal wieder keine Aktuelle Stunde zur Terrorgefahr auf den Weihnachtsmärkten, die von der AfD beantragt wurde. Wir sind ja auch nicht im Präsidium vertreten; das entscheiden Sie selbst. Insofern machen wir immer wieder auf Ihre einseitigen Entscheidungen aufmerksam.

(Beifall von der AfD)

Stattdessen sprechen wir hier in einer Aktuellen Stunde über ein Thema, über das bereits seit Jahrzehnten gesprochen wird. Seit 1978 besitzt RWE die Rechte am Hambacher Forst. Das heißt: Seit 39 Jahren reden wir über dieses Thema.

Warum besprechen wir das Ganze heute also überhaupt? Der Grund ist, dass kriminelle Banden, die seit Jahren den Hambacher Forst besetzen, mit Ihrer Hilfe, liebe Grüne, ihr eigenes Recht durchsetzen wollen. Damit machen Sie sich zum Helfer dieser Kriminellen:

(Beifall von der AfD)

Kriminelle, die Polizisten mit Kot, mit Urin, mit Blut beschmieren oder bewerfen; Kriminelle, die Polizisten angreifen; Kriminelle, die die Mitarbeiter von RWE angreifen, wie auch gestern Abend geschehen.

Wenn Sie die Polizeipresse gelesen hätten, hätten Sie das auch wissen können, wie es Herr van den Berg schon gesagt hat. Im Verlauf des Gesprächs wurde der Beamte von einem unbekannten vermummten Täter aus einer bürgerlichen Gruppe heraus bespuckt und erhielt unvermittelt einen Faustschlag ins Gesicht. Anschließend floh der Täter wieder in die Gruppe. – Das ist die Gruppe, für die Sie sich einsetzen, liebe Grüne.

(Beifall von der AfD – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das ist doch Quatsch! – Gegenruf von Helmut Seifen [AfD]: Natürlich ist das so! Das ist kein Quatsch!)

Im August wurden sieben Polizisten bei den Angriffen durch die Kriminellen verletzt. Damals kam es auch zu Faustschlägen in das Gesicht von Beamten. Ein Beamter erlitt einen Nasenbeinbruch.

Kriminelle stellen Fallen mit angespitzten Ästen oder Nagelbrettern auf. Hier geht es gezielt darum, Menschen zu verletzen. Das ist ein absolut verabscheuungswürdiges Verhalten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Kriminelle werfen Steine auf Polizisten. Kriminelle bewerfen Mitarbeiter von RWE mit Steinen. So wurden im letzten Jahr auch Steine auf ein fahrendes Auto von RWE geworfen. Der Fahrer verlor die Kontrolle über das Fahrzeug. Das Fahrzeug überschlug sich mehrfach. Vier Insassen wurden verletzt. Ein RWE-Mitarbeiter hat nur mit sehr viel Glück sein Augenlicht behalten, weil die Glassplitter sein Auge zum Glück nicht getroffen haben, sondern ihn nur im Gesicht getroffen haben.

Geht Ihnen auch nur einmal durch den Kopf, was diese Personen erleiden müssen? Geht Ihnen nur einmal durch den Kopf, was die Angehörigen dieser Personen durch diese Anschläge erleiden müssen, was das für die gesamte Familie bedeutet? Ich glaube nicht, liebe Grüne. Denn sonst hätten Sie diesen Antrag nicht gestellt.

Diese Kriminellen laufen mit Transparenten durch die Gegend, auf denen sie RWE-Mitarbeiter zu Mördern erklären. Dort heißt es: „Klimakiller = Menschenkiller = RWE“.

Diese Kriminellen kommen häufig auch gar nicht aus dem Braunkohlerevier, wenn man den Angaben der Polizei glauben darf. Sie kommen aus ganz Deutschland, aus Europa oder aus der gesamten Welt. Es handelt sich, wie schon gesagt wurde, um Touristen, die hier Krawall machen.

Fotos, die von den Kriminellen in den sozialen Medien verbreitet werden, zeichnen ein anderes Bild, nämlich ein Bild von einem Kriminellen als einem heroischen Tabubrecher.

Diese Kriminellen glauben, dass sie über dem Gesetz stehen. Ich zitiere die Sprecherin der kriminellen Gruppierung „Ende Gelände“:

„Wenn die Gesetze die Zerstörung von Lebensgrundlagen schützen, dann müssen wir uns über sie hinwegsetzen.“

Gesetze gelten anscheinend immer nur für die anderen.

Darin werden diese Kriminellen auch noch von der Polizeiführung bestätigt. So ließen die Polizisten vor einigen Wochen auf Anweisung ihres Polizeichefs in Aachen 700 Kriminelle laufen, die das Tagebaugebiet der RWE gestürmt hatten. Statt die Personalien der Kriminellen aufzunehmen, wurden lediglich Fotos gemacht, weil die Personen sich geweigert haben, ihre Personalien herauszurücken. Was sagt das doch über unsere Polizeiführung aus!

Obwohl zu befürchten war, dass es zu massiven kriminellen Handlungen kommen könnte, waren nicht genügend Polizisten vor Ort. Es waren auch keine Anlagen vor Ort, um die Kriminellen bis zur Täterfeststellung festzuhalten. Das alles ist das Verhalten der Polizeiführung und der Regierung hier in unserem Land.

(Helmut Seifen [AfD]: Da ist der Innenminister gefragt!)

Und draußen stehen die Kumpel von der IG BCE und kämpfen um ihre Gesundheit und um ihre Arbeitsplätze. Diese Kumpel stellen in dem schon erwähnten Merkblatt die Frage: Sind wir in Deutschland noch ein Rechtsstaat?

Da rufe ich Sie auf, Herr Innenminister Reul: Handeln Sie endlich, und schützen Sie die Menschen in unserem Braunkohlerevier vor diesen Kriminellen!

(Beifall von der AfD)

Wir als Rechtsstaatspartei halten uns an den Beschluss zum Abbau der Braunkohle. Wer einen Frieden zu den Bedingungen der Kriminellen möchte, wird zum Handlanger dieser Kriminellen und bestärkt diese Kriminellen in ihren Taten. Wir verhandeln nicht mit Kriminellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Professor Pinkwart das Wort. Bitte schön.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es erstaunt schon, wie schnell manch einer sein eigenes Regierungshandeln aus dem Blick verliert.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Wir hatten das gestern ja schon einmal bei einem anderen Thema. Es scheint ein Häutungsprozess stattzufinden; man will sich nicht mehr daran erinnern, wofür man selbst einmal Verantwortung getragen hat.

Noch im letzten Jahr hat die damalige rot-grüne Landesregierung die Leitentscheidung zu Garzweiler II beschlossen und dem Landtag zugeleitet. In der Leitentscheidung ging es schwerpunktmäßig um die Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II. Ebenso hat die Leitentscheidung die energiewirtschaftliche und energiepolitische Notwendigkeit der beiden anderen Tagebaue Inden und Hambach bestätigt.

Dort heißt es – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten den Entscheidungssatz 1 –:

„Braunkohlenabbau ist im Rheinischen Revier weiterhin erforderlich, dabei bleiben die Abbaugrenzen der Tagebaue Inden und Hambach unverändert und der Tagebau Garzweiler II wird so verkleinert, dass die Ortschaft Holzweiler, die Siedlung Dackweiler und der Hauerhof nicht umgesiedelt werden.“

(Monika Düker [GRÜNE]: Das hat doch nichts mit dem Hambacher Forst zu tun!)

Das Schöne ist – im Gegensatz zu Ihrer Aktuellen Stunde, liebe Frau Düker – Ihre Homepage. Ihre Homepage ist viel besser als Ihre Aktuelle Stunde. Schauen Sie einmal nach, was auf der Homepage der Landtagsfraktion der Grünen steht – nämlich genau dieser Beschluss. Es ist schön, dass Sie ihn noch nicht gelöscht haben. Das bestätigt, dass Sie offensichtlich zu genau diesem Beschluss stehen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Monika Düker [GRÜNE]: Darum geht es doch gar nicht!)

Was Sie, sehr geehrte Abgeordnete der Grünen, von der neuen Landesregierung fordern, ist nicht weniger als die Abkehr von Ihrer eigenen vor einem Jahr getroffenen Leitentscheidung in einem zentralen Punkt. Ich frage Sie: Wo bleibt da der Vertrauensschutz für das betroffene Bergbauunternehmen, die Tausenden von Beschäftigten und die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die einen Anspruch auf Versorgungssicherheit in der Stromversorgung haben?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wo bleiben da die Berechenbarkeit und die Verlässlichkeit von staatlichem Handeln? Darauf haben alle Menschen im Rheinischen Revier und landesweit einen Anspruch.

Wir haben in der Debatte schon hervorragende Ausführungen zu der Frage der rechtlichen Klärungen, die jetzt anstehen, und zu Fragen des Rechtsfriedens gehört. Mein Kollege Reul wird sich später noch zu den Polizeieinsätzen äußern, damit wir hier auch Klarheit haben, wie wir mit solchen Fragen in einem Rechtsstaat umgehen.

Wenn jemand in einer Aktuellen Stunde Rechtsfrieden einfordert, dann sollte er sich in seiner Aktuellen Stunde doch vor allem zu denjenigen äußern, die den Rechtsfrieden gefährden, und nicht über eine Landesregierung, die doch auf Ihren Beschlüssen aufbaut, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ihr Antrag – darauf möchte ich hier näher eingehen – erstaunt vor allen Dingen im Hinblick auf die energiewirtschaftlichen Notwendigkeiten. Ihnen müsste klar sein, dass ohne die Kohlekraftwerksleistung die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährdet würde.

Das wissen übrigens Sie nicht nur deshalb,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Da bin ich einmal gespannt!)

weil Sie im vergangenen Jahr die Leitentscheidung getroffen haben, in der Sie ausführlich festgehalten haben – ich zitiere noch einmal Ihren Beschluss aus dem Jahr 2016 –, die Braunkohleverstromung aus dem Rheinischen Revier „sei unverzichtbar für die gesicherte Stromversorgung Deutschlands“.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von den GRÜNEN)

Jetzt geht es nämlich noch weiter: Es hat in 2016 – sehend, dass der Bund seine CO2-Minderungsziele für 2020 möglicherweise nicht erreichen könnte – noch einmal einen Anlauf gegeben,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Und jetzt einmal zum Wald!)

eine Reduktion von CO2 in den verschiedenen Sektoren herbeizuführen. Damals kam es mit Zustimmung Ihrer Landesregierung dazu, dass wir in Nordrhein-Westfalen fünf Blöcke in die Sicherheitsbereitschaft nehmen und bis 2023 dann auch stilllegen. Das sind 2,7 GW. Es waren Ihre Landesregierung und die Große Koalition in Berlin, die im vergangenen Jahr gesagt haben: Das ist das Maximale, was möglich ist, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das hat Herr Gabriel gesagt!)

– Sie haben es doch mit beschlossen. Tauchen Sie doch nicht immer weg. Sie tauchen ja permanent weg

(Zurufe von Monika Düker [GRÜNE] und Arndt Klocke [GRÜNE])

– Jetzt warten Sie doch einmal ab. Sie haben doch noch einmal Gelegenheit, zu sprechen. Es scheint Ihnen ja unangenehm zu sein, wenn man Sie mit der Wirklichkeit konfrontiert.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP – Monika Düker [GRÜNE]: Das ist nicht die Wirklichkeit, sondern die Vergangenheit! Schauen Sie doch einmal nach vorne!)

Wenn Sie, Herr Präsident, es erlauben – ich weiß, dass das im Landtag nicht immer gerne gesehen wird –, würde ich Ihnen gerne die Grafik der Stromproduktion in der dritten Januarwoche dieses Jahres zeigen. Wir befinden uns ja in einer kalten und dunklen Jahreszeit. Das sehen wir, wenn wir morgens hier reinkommen und abends rausgehen. Wenn ich darf, Herr Präsident, würde ich sie zeigen.

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart hält eine ausgedruckte Grafik hoch.)

Das ist die Grafik der Stromversorgung der dritten Januarwoche 2017. Vielleicht können Sie die unterschiedlichen Farben sehen und die ganz kleinen Spitzen da oben erkennen. Das sind Wind und Sonne – fast nicht erkennbar,

(Heiterkeit von der AfD)

weil in dieser dritten Januarwoche in Deutschland so gut wie kein Wind wehte und keine Sonne schien. Letzteres kennen wir vom Januar. Ersteres ist nicht immer der Fall. In dieser Woche war es aber sehr extrem. Wir hatten die sogenannte Dunkelflaute. Das, was zur Verfügung stand, waren neben Biomasse und Kernenergie vor allem die Braunkohle und die Steinkohle. Die Kernenergie nehmen wir jetzt auch noch heraus.

In Anbetracht dessen müssen wir uns doch fragen: Wollen wir zulassen, dass wir in solchen Wochen – und das waren nicht nur Minuten oder Stunden, sondern es war eine ganze Woche durchgehend so – die Energieversorgung auf Energiequellen aufbauen, die uns nicht zur Verfügung stehen?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist die Digitalpartei FDP! Herzlichen Glückwunsch!)

Das können wir nicht wollen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben in Berlin nicht als Vertreter der Landesregierung sondiert, sondern als Vertreter unserer Parteien. Aber natürlich haben Armin Laschet und ich, die wir in der Energiekommission waren, diese Gespräche immer auch im Interesse des Landes – aber nicht nur Nordrhein-Westfalens, sondern auch Deutschlands – geführt. Das zentrale Thema war für den Ministerpräsidenten und für mich dabei immer die Frage, wie wir die Versorgungssicherheit in den nächsten Jahren garantieren können.

Natürlich bauen wir mit Blick auf 2030 ff., wenn die Pariser Ziele zu erreichen sind, darauf, dass die Erneuerbaren einen wachsenden Anteil haben müssen. Das ist völlig selbstverständlich. Allerdings brauchen wir dann für die Erneuerbaren Voraussetzungen, die wir heute nicht haben. Wir haben noch keine stabilen Netze. Wir haben noch nicht die entsprechende Speichertechnologie. Wir haben noch nicht Power-to-X und, und, und. Das müssen wir aber schaffen, wenn wir die Konventionellen schrittweise zurücknehmen wollen.

Selbst dann werden wir einen Mix brauchen, weil wir nun einmal nicht in Afrika leben, wo die Sonne ständig scheint.

(Monika Düker [GRÜNE]: Oh nein! Was Sie da erzählen, ist doch von gestern!)

Wir haben auch nicht die Windverhältnisse wie an der See. Deshalb müssen wir, wenn wir dieses Land vernünftig versorgen wollen, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und unserer Beschäftigten auf längere Zeit einen fairen Mix haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen ist es auch in der Sache unverantwortlich, wie Sie vorgehen. Als Sie noch in der Regierung waren, haben Sie diese Themen ernst genommen. Jetzt wollen Sie sich davon verabschieden. Ich bitte Sie und fordere Sie auf: Denken Sie im Interesse der Menschen dieses Landes noch einmal über Ihre Position nach. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Minister. – Für die SPD erteile ich noch einmal Herrn Kollegen van den Berg das Wort.

(Guido van den Berg [SPD] sitzt noch auf seinem Platz.)

– Herr Kollege.

Guido van den Berg (SPD): Entschuldigung. Manchmal geht es schneller, als man denkt. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bleibt dabei: Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat entweder keinen Einfluss auf die Bundes-CDU, oder sie hat billigend in Kauf genommen, dass dort am Ende 7 GW standen, Herr Ministerpräsident. Sie wissen, dass das bedeutet hätte, den Stecker im Rheinischen Revier zu ziehen.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Das war doch noch gar nicht zu Ende verhandelt! Erzähl doch nicht einen solchen Unsinn!)

– Herr Ministerpräsident, der Wirtschaftsminister hat das im Wirtschaftsausschuss nicht als Unsinn dargestellt. Er hat uns im Wirtschaftsausschuss geschildert, dass zeitweise sogar 9 GW zur Diskussion standen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Herr van den Berg, Sie wissen das besser!)

Er hat uns auch geschildert, dass das Stromimporte in Höhe von 12 GW bedeutet hätte, Herr Ministerpräsident.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet – Josef Hovenjürgen [CDU]: Die von Ihnen geführten Häuser haben das nicht registriert!)

– Ja, natürlich müssen Sie intern klären, wer jetzt was gemacht hat. Am Schluss haben wir aber in allen Zeitungen gelesen, dass diese 7 GW keinen Streitpunkt dargestellt haben, Herr Generalsekretär. Das war kein Streitpunkt mehr.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das sind SPD-geführte Häuser!)

In der „taz“ war sogar zu lesen – das können Sie ja noch dementieren, Herr Pinkwart –:

„Sogar die FDP hielt 5 Gigawatt für definitiv und 2 weitere Gigawatt nach erneuter Prüfung für vielleicht machbar.“

(Ministerpräsident Armin Laschet: Das hat uns alles Frau Hendricks vorgegeben! – Michael Hübner [SPD]: Das haben die in den Jamaika-Gesprächen besprochen! Das meinen Sie doch nicht ernst!)

Das müssen Sie miteinander klären. Ich sage ganz deutlich: Man kann nicht hier sagen, dass man an der Seite der Bergleute steht, während in Berlin etwas anderes herauskommt. Das sagen wir als Sozialdemokraten.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Frau Hendricks!)

– Herr Kollege Hovenjürgen, ich weiß, dass das unangenehm ist.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das waren die Sozialdemokraten, Herr van den Berg!)

Man muss zu Beschlüssen und zu dem, was man dort fabriziert, auch stehen.

(Michael Hübner [SPD]: Lautstärke ist kein Argument, Herr Kollege! – Gegenruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich würde gerne noch etwas zu dem einstweiligen Beschluss des OVG sagen. Das OVG hat gesagt, wegen der Komplexität des Sachverhalts und zur Vermeidung irreversibler Zustände wolle es die Rodungsarbeiten an dieser Stelle stoppen. Wir als Sozialdemokraten sind sicher, dass sich das Gericht seiner Bedeutung und der Tragweite dieser Entscheidung in alle Richtungen bewusst ist. Wir als Sozialdemokraten halten es daher für richtig, wenn das Gericht bzw. der Senat in angemessener, aber auch überschaubarer Zeit hierüber entscheidet.

Frau Düker, Sie haben eben mehrmals dazwischen gerufen, man solle einmal über den Wald reden. – Liebe Frau Düker, niemand im Rheinischen Revier hat Spaß daran, Bäume zu fällen. Niemand im Rheinischen Revier ist mit der Kettensäge unterwegs, weil ihm das Freude macht. Der Bergbau im Rheinischen Revier so organisiert, dass so wenig Land wie irgend möglich in Anspruch genommen wird, um den fortschreitenden Tagebau zu gewährleisten.

(Bodo Löttgen [CDU]: So ist es!)

Die aktuelle Rodungsperiode endet im Februar. Ein Ausfall dieser Rodungsperiode würde zwangsläufig zu einem Einbruch der Kohleförderung führen. Das Gebiet, das dieses Jahr gerodet wird, ist der Vorfeldabschnitt, der letztlich im übernächsten Jahr bergbaulich in Anspruch genommen wird. Die zwei Jahre sind bislang immer zwingend genutzt worden, um das Gebiet vollständig zu räumen und dafür zu sorgen, dass zum einen Kampfmittelbeseitigung und anderes, zum anderen aber auch archäologische Arbeiten – Prospektionen und Grabungen – dort stattfinden können.

Der Ausfall der obersten Gewinnungssohle würde somit spätestens in ein, zwei Jahren, also etwas versetzt, zum Stopp der Braunkohleförderung in den tiefsten Sohlen an dieser Stelle führen.

Dann hat Frau Düker mehrfach gesagt, wir sollten auf das Vergleichsangebot des Gerichtes eingehen. – Das Vergleichsangebot des Verwaltungsgerichtes in Köln – das weiß jeder, der sich damit beschäftigt hat –, ist bergbautechnisch gar nicht umsetzbar. Der Tagebau Hambach ist 400 m tief, meine Damen und Herren. Es ist völlig undenkbar, dass man dort im Tagebau irgendwelche Inseln stehen lässt, den Tagebau in Schlangenlinien durchführt oder Umfahrungen und Ähnliches macht.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Sie wissen, dass Tagebaue Neigungswinkel haben. Am Schluss können Sie so einen Tagebau nicht mehr betreiben.

Mich ärgert, dass Sie so tun, als wäre das eine realistische Alternative, und uns als Menschen darstellen, die den Wald nicht schätzen würden.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Liebe Frau Düker, ich bin selbst ein Kind der Region. Ich habe im Hambacher Forst einen Teil meiner Kindheit verbracht; ich habe dort gespielt. Ich kenne die Region besser als viele andere, die darüber reden.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist doch nicht vergleichbar!)

Ich sage Ihnen, Herr Ministerpräsident: Der Bergbau hat bislang 8.354 ha forstwirtschaftliche Flächen in Anspruch genommen. Unsere Region ist aber auch stolz darauf, dass bislang 8.650 ha neue Waldflächen entstanden sind.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist kein Ersatz! Das wissen Sie auch!)

Dazu gehört meine Heimat um Alt-Kaster herum; dazu gehört der Villerücken, der von den Kölnern mittlerweile als Naherholungsgebiet genutzt wird; dazu gehören die Sophienhöhe und vieles andere mehr.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist doch etwas ganz anderes!)

– Frau Düker, ich habe den Eindruck, dass Sie das nicht wissen. Denn wenn Garzweiler, Hambach und Inden fertig als Tagebau abgewickelt sind, werden wir im Rheinischen Revier 1.900 ha Wald zusätzlich festgelegt haben. Wir werden Mitte des Jahrhunderts also 19 km2 mehr Wald im Rheinischen Revier haben als vorher. Tun Sie also nicht so, als wären wir die Waldfrevler hier im Hause.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, dass die nächste Woche im Rheinischen Revier – es sitzen auch Bergleute auf der Zuschauertribüne – ein besonderer Zeitpunkt ist. Nächste Woche finden nämlich die Barbarafeiern statt. Die Heilige Barbara – nur so viel zur Geschichte – stammte aus Nikomedien in Kleinasien und war Ende des 3. Jahrhunderts zum christlichen Glauben übergewechselt.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Ihr Vater tolerierte das nicht, lieber Mehrdad Mostofizadeh …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ich habe nichts gesagt!)

– Entschuldigung.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das war Herr Rüße! Aber das war auch nicht qualitativ!)

Ihr Vater tolerierte das nicht und hat letztendlich seine Tochter mit dem Schwert gerichtet. Er wurde dann auch bestraft; der Blitzschlag tötete ihn.

Ich fand die Worte des Pfarrers Martin Trautner aus Elsdorf, einer Anrainerkommune des Hambacher Forstes, sehr treffend. Er sagte dazu Folgendes:

„Die radikale Vehemenz und die gnadenlose Unerbittlichkeit, mit der Barbaras Vater den christlichen Glauben seiner Tochter bekämpfte, erinnern mich in fataler Weise an die gewalttätigen Übergriffe auf Mitarbeiter im Tagebau Hambach durch Aktivisten und sogenannten Braunkohlewiderstand. Man muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein, wenn man in anderen Menschen derart schlimme Feinde sieht, dass man sie an Leib und Leben gefährdet.“

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und der AfD)

Deswegen bin ich froh darüber, dass heute in allen Reden angeklungen ist, dass es keine friedliche Gewalt und auch keine legitimen Straftaten gibt; schließlich geisterte das manchmal in der Öffentlichkeit herum. Ich hoffe, Herr Klocke, dass sich das auch nicht ändern wird.

Mein Appell – auch an die Betriebsräte; einige von ihnen sitzen heute auf Zuschauertribüne – ist ganz klar: Lasst euch trotz dieser Angriffe nicht beirren. Bleibt bei der Gewaltfreiheit. Die Kraft der Argumente muss sich letztlich durchsetzen. – Herzlichen Dank und ein herzliches Glückauf!

(Beifall von der SPD, der CDU und der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr van den Berg. – Für die CDU hat nun der Abgeordnete Schnelle das Wort.

Thomas Schnelle (CDU): Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich keine Ausführungen mehr im Einzelnen zum Braunkohletagebau machen. Herr van der Berg, der viele Dinge zutreffend beschrieben hat, hat mich aber doch noch zu einer Aussage veranlasst.

Ich denke, es ist allgemein anerkannt, dass die Landesregierung mit Armin Laschet an der Spitze auch bei den Koalitionsverhandlungen sehr für das Rheinische Revier und die Braunkohle im Revier gekämpft hat.

(Beifall von der CDU)

Das haben wir in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften und den Unternehmen hier vor Ort gemacht. Sie können deren Vertreter fragen; sie werden Ihnen das mit Sicherheit auch bestätigen.

Aber es wurden dann auch Zahlen aus Ihren Häusern, aus dem Wirtschaftsministerium und dem Umweltministerium,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aus der Politik! So ist das!)

in die Koalitionsverhandlungen gereicht, die diese Ausstiegsszenarien befördert haben.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Genau so ist das!)

Damit haben Sie diesen Kampf von Armin Laschet konterkariert.

(Beifall von der CDU)

Insofern sollten Sie einmal bei Ihrer Bundes-SPD nachfragen, wie sie sich zu den Abbaugebieten hier verhält.

Frau Düker, ich komme aus einem Wahlkreis, der durch die Umsiedlung von Garzweiler II sehr negativ vom Braunkohleabbau betroffen ist. Ich habe daher auch großes Verständnis für die Proteste von Anwohnerinnen und Anwohnern bzw. Personen, die von der Umsiedlung betroffen sind.

Die Menschen in meinem Umfeld hätten sich aber auch gewünscht, dass Sie für sie so gekämpft hätten, wie Sie das jetzt für den Hambacher Forst tun. Damals haben Sie den Leuten versprochen: Mit uns wird es den Abbau nicht geben. – Bei der ersten Regierungsbeteiligung sind Sie aber umgefallen. Das muss man hier einmal ganz klar sagen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist ja eine Frechheit! Hätten Sie denn geklatscht, wenn wir uns durchgesetzt hätten? – Gegenruf von Arndt Klocke [GRÜNE]: Wahrscheinlich!)

– Das ist eine andere Frage. Ich habe hier aber Ihr Verhalten thematisiert.

Als ehemaliger Polizeibeamter, der bis Juni dieses Jahres teilweise im Tagebaugebiet eingesetzt war, hätte ich auch großes Verständnis für Ihren Antrag gehabt, wenn die Überschrift nur „Abholzung des Hambacher Waldes verhindern“ lauten würde. Sie haben diesen Satz aber bewusst mit der Aussage „Rechtsfrieden im Rheinischen Revier sichern“ verknüpft.

Ich habe gerade Ihre Äußerung zur Kenntnis genommen, dass Sie diese Gewalt verurteilen. Das nehme ich Ihnen in diesem Punkt aber so nicht mehr ab.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Mit der Überschrift Ihres Antrags verbinden Sie beide Entscheidungen. Damit ermöglichen Sie es den Gewalt-Chaoten im Hambacher Forst auch, zu argumentieren: Wir sind es nicht schuld, dass der Rechtsfrieden gestört ist; daran sind die Entscheidungen der Gerichte und Politik schuld. – Mit diesem Titel haben Sie das zu verantworten.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das sagt das Verwaltungsgericht Köln übrigens auch! Dann sind die auch schuld an der Gewalt!)

So. Die Gewalttaten, die im Hambacher Forst passiert sind, sind von vielen Kollegen aufgeführt worden. Es war für mich erstaunlich – Herr van den Berg hat es gerade vorgetragen –, dass auch nach Rodungsstopp noch ein Kontaktbeamter, der eigentlich für die Kommunikation zwischen Polizei und Demonstranten sorgen sollte, angegriffen und geschlagen wurde. Dann kann man verstehen, wenn in der Presse geschrieben wird, dass von der Nachricht des Rodungsstopps nicht alle Waldbesetzer erfreut waren, weil man nun keinen Anlass mehr hat, um Gewalt auszuüben.

Wie gesagt, ich denke, dass Sie diesen Zusammenhang zwischen Entscheidung und Rechtsfrieden im Rheinischen Revier zu verantworten haben. Das hat Ihr Antrag ausgedrückt.

Der Einsatz im Rheinischen Revier ist für die Kolleginnen und Kollegen ein enorm schwieriger Einsatz. Sie haben auf der einen Seite die gewaltbereiten Demonstranten, während auf der anderen Seite, hinter ihrem Rücken, Rodungen durchgeführt werden. Die Geländeverhältnisse sind sehr schwierig. Hier arbeiten die Kolleginnen und Kollegen bis an die Belastungsgrenze. Auch für die betroffenen Behörden in Aachen, in Düren und im Rhein-Erft-Kreis werden durch die Gewalttäter im Hambacher Forst erhebliche Überstunden aufgebaut.

Wir sollten den Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle dankbar sein und denen Dank zollen, die für unsere Entscheidungen den Kopf hinhalten.

(Beifall von der CDU und von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich habe zum Schluss noch eine Bitte an die grüne Fraktion: Sie sollten die gewaltbereiten Chaoten im Wald nicht länger als Aktivisten bezeichnen. Das verharmlost das dortige Verhalten und wird den gewaltbereiten Chaoten nicht gerecht. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schnelle. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! An die Vorredner und die Vorrednerin zuerst einmal ein Dank für das Vortragen der RWE-Argumente, die wir jetzt wieder gehört haben. Eigentlich hätten Sie Ihre Redezeit direkt an RWE abgeben können.

(Zuruf von der CDU: Das ist ja albern! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Wenn man sich ansieht, welche breite Koalition es hier für die Kohle gibt, dann zeigt das schon, in was für einer schwierigen Lage wir Grünen in den vergangenen sieben Jahren hier waren. Ich erkläre Ihnen und natürlich auch Herrn Pinkwart gern, wie Politik funktioniert. Politik bedeutet Kompromisse.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Ja, wir sind Kompromisse eingegangen. Aber wir haben auf der anderen Seite eben auch etwas Fantastisches erreicht. Mehr als 350 Millionen Tonnen CO2-Emissionen wurden durch die Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II vermieden. Sie sind unser grüner Erfolg.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das hätte es ohne uns Grüne in der Regierung nicht gegeben. Wir Grünen haben uns schon lange für den Kohleausstieg eingesetzt. Wir haben ihn hier in den letzten Jahren nicht erreichen können. Aber wir haben uns damit auch für eine frühere Beendigung der Braunkohletagebaue ausgesprochen. Den Ausstieg konnten wir als kleiner Koalitionspartner nicht durchsetzen. Wir haben aber diese Verkleinerung erreicht.

Wenn man sich anschaut, was wir vor uns haben, dann sind 6,4 % der Abgeordneten im Landtag für einen Kohleausstieg. Eigentlich soll der Landtag ein Spiegelbild dessen sein, was in der Bevölkerung los ist. Schauen wir uns einmal an, was in der Bevölkerung los ist: 76 % der Bevölkerung wollen einen Kohleausstieg.

(Monika Düker [GRÜNE]: Hört, hört!)

Sogar 70 % der FDP-Wähler wollen einen Kohleausstieg. Sie sollten sich einmal daran orientieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daran und am friedlichen Protest der vergangenen Wochen und Monate, als sich Zehntausende von Menschen in Bonn und an der roten Linie beteiligt haben, haben wir uns beteiligt, und mit ihnen haben wir uns solidarisch gezeigt. Das sollte auch bei Ihnen ankommen.

Noch einmal zum Thema „Gewalt“: Ich wiederhole gern, was meine Kollegin Frau Düker eben gesagt hat.

Gewalt kann und darf selbstverständlich kein Mittel einer demokratischen Auseinandersetzung sein. Das hat nicht nur meine Kollegin Düker eingangs gesagt. Das haben wir alle schon mehrfach an dieser und an anderen Stellen gesagt und uns ganz klar und deutlich von Gewalt distanziert. Dass Sie hier immer wieder anfangen, Herr Bombis und Frau Plonsker, und das erneut von uns fordern, ist einfach nur diffamierend und zeigt, dass Sie keine Argumente mehr haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schauen wir uns doch einfach einmal an, wie das Thema „Kohleausstieg“ an anderer Stelle diskutiert wird. Ich zitiere aus dem Bundestag den Kollegen Andreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion, der ganz klar sagt: Es ist ausgemachter Unsinn, wenn gesagt wird, beim Klimaschutz gehe es um eine linksgrüne Ideologie. Dann sagt er ganz klar zu dem, was bei den Jamaika-Verhandlungen auf dem Tisch lag, nämlich zur Abschaltung von 7 GW – ich zitiere ihn jetzt –: Egal, wer regieren wird, er darf nicht hinter den Vorschlag zurückfallen, der hier schon auf dem Tisch gelegen hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Monika Düker [GRÜNE]: Guter Mann!)

Das ist eine ganz klare Linie, die wir jetzt hier brauchen und die diese Landesregierung beachten sollte. Herr Pinkwart hat eben angefangen, Grafiken zu zeigen. Ich könnte das genauso machen. Ich habe sie auch dabei.

Es geht um die Zeiten, die Sie genannt haben. Ja, im Januar gab es wenig Wind- und Sonnenstrom. Es war aber nicht so, wie Herr Laschet immer behauptet, dass es zu der Zeit einen Stromimport gegeben hätte. Den gab es nicht. Im ganzen vergangenen Jahr gab es an drei Tagen einen Stromimport. – Sie brauchen gar nicht zu lachen. Schauen Sie sich die Sachen doch an! Das ist im Internet alles frei verfügbar.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Das ist einfach so.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Stromimporte waren nicht zu dieser Zeit. Da sagt Herr Laschet nicht die Wahrheit.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Es bestehen erhebliche Überkapazitäten. Die kann man abschalten. Die 7 GW, die auf dem Tisch lagen,

(Zurufe von der CDU und der FDP)

sorgen dafür, dass dieser Wald verschont werden kann.

Herr van den Berg, Wald ist nicht gleich Wald. Wenn man neuen Wald anpflanzt, können die Fledermäuse, die in dem Uraltwald leben, nicht direkt dort einziehen. Diese Fledermäuse brauchen alte Bäume.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Sollen die Fledermäuse jetzt jahrhundertelang einfach durch die Gegend fliegen? Das kann so nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Landesregierung kann natürlich immer weiter einfach zuschauen und so tun, als wäre sie an der Stelle unbeteiligt. Sie können gerne weiter gerichtlichen Entscheidungen von Instanz zu Instanz zuschauen. Und so wird das weitergehen, wenn hier nichts passiert. Sie können zuschauen, wie spätestens auf europäischer Ebene das Bergrecht endlich nicht mehr anderes Recht brechen wird.

Aber ganz ehrlich: Die Zeit für politische Entscheidungen ist doch nun wirklich reif. Das Nachkohlezeitalter ist eingeläutet. Das zeigt die Allianz der Länder und Regionen. Das zeigt die Allianz der Firmen, die sich dafür aussprechen. Sie sollten diese Zeichen der Zeit und den Willen der Bevölkerung endlich erkennen. Sorgen Sie für einen Kohleausstieg. Sorgen Sie für Rechtsfrieden in der Region. Und lassen Sie uns diesen wunderschönen Wald retten. – Herzlichen Dank!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die FDP spricht Herr Kollege Brockes.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Kernenergie!)

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Führen wir uns die gestrige Debatte noch einmal vor Augen, in der die Grünen hier im Landtag die Aufhebung des Rohrleitungsgesetzes gefordert haben. Bemerkenswert ist, dass die ehemals grüne Ministerin Frau Steffens hier am Rednerpult eine Initiative dieser Landesregierung gefordert hat, obwohl sie selbst sieben Jahre lang – sieben Jahre lang! – im Kabinett saß und nichts eingebracht hat und nichts von dieser Position umgesetzt hat.

Wenn man heute die Debatte verfolgt, wie die Grünen hier die Versorgungssicherheit in Nordrhein-Westfalen gefährden wollen, dann wird eines sehr gut deutlich: Sie suchen noch Ihre Positionen. Aber anscheinend wollen Sie sich zu einer linken Protestpartei weiterentwickeln, die nicht mehr zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen steht. Das, meine Damen und Herren, wäre eine Position, die äußerst schlecht für Nordrhein-Westfalen wäre.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Wenn Sie diesen Weg gehen wollen, gute Reise! Aber ich glaube nicht, dass Sie damit Erfolg haben werden, denn eben ist bereits deutlich geworden:

Es ist gerade einmal eineinhalb Jahre her, als unter der damaligen rot-grünen Landesregierung der Kollege Remmel, der heute nicht anwesend ist, die Kollegin Steffens, die heute bei dieser für die Grünen so wichtigen Debatte nicht anwesend ist, der Kollege Becker, der dem Kabinett angehörte und der ebenfalls nur kurz in den Plenarsaal geschaut hat,

(Monika Düker [GRÜNE]: Ich war auch mit dabei!)

diese Leitentscheidung im Kabinett mitgetragen haben. Sie ist eben bereits zitiert worden. Es wurde in dem ersten Satz ganz oben zu Beginn des Papiers gesagt, dass die Abbaugrenzen des Tagebaus Inden und Hambach erhalten bleiben.

Wenn man sich das vor Augen führt: Es ist bei Garzweiler, Holzweiler und den kleinen Siedlungen Dackweiler und Hauerhof bewusst ausverhandelt worden. Und heute beklagen Sie, dass der Hambacher Forst abgeholzt werden soll!?

(Monika Düker [GRÜNE]: Hambacher Wald! – Guido van den Berg [SPD]: Es heißt Hambacher Forst!)

Ja, dann frage ich Sie: Warum haben Sie sich damals nicht für den Erhalt des Hambacher Forstes eingesetzt und dies entsprechend in der Leitentscheidung festgehalten? Es ist wirklich schäbig, dies heute hier zu fordern, meine Damen und Herren, ohne selbst etwas in die Richtung getan zu haben.

(Beifall von der FDP)

Frau Kollegin Düker, ich finde es unverantwortlich, wenn Sie sich hier hinstellen und davon reden, dass RWE den Kampf führt.

Meine Damen und Herren, tagtäglich gehen im Moment Beschäftigte der RWE zur Arbeit – friedlich – und haben Sorgen, ob sie abends wieder gesund und heil nach Hause kommen. Sich hier hinzustellen und zu behaupten, dass sie kämpfen würden, wo es doch gerade andere sind – nämlich Terroristen –, die ihre Arbeitskraft und ihr Leben gefährden, ist einfach nur schäbig, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der AfD – Zurufe von Arndt Klocke [GRÜNE] und Guido van den Berg [SPD] – Weitere Zurufe)

– Ich möchte nur eines zu Ihnen sagen, lieber Kollege van den Berg; es wäre nett, wenn Sie auch zuhören würden. – Der Kollege van den Berg und ich haben in der Vergangenheit sehr häufig ähnliche Positionen gerade in der Energiepolitik vertreten. Sie haben eben gesehen, dass wir bei vielen Punkten, die Sie aufgeführt haben, geklatscht haben, weil wir einig sind.

Ich frage Sie: Kennen Sie den Brief Ihrer Generalsekretärin Frau Schulze und Ihres Landesvorsitzenden Herrn Groschek an die Verhandlungsrunde in Berlin, an Herrn Schulz? Dann frage ich Sie: Warum stehen dort in keinem Satz – in keinem Satz! – die Energiepolitik, die Braunkohlepolitik und der Industriestandort?

Warum ist das nicht die Position der NRW-SPD? Ich erwarte, meine Damen und Herren von der SPD in NRW, wenn Sie sich hier hinstellen und die Position der CDU in den abgelaufenen Verhandlungen zu Jamaika beklagen, dass Sie sich in den GroKo-Verhandlungen in Berlin dafür einsetzen werden,

(Guido van den Berg [SPD]: Welche Verhandlungen? – Weitere Zurufe von der SPD)

dass die Braunkohle so, wie Sie es eben gefordert haben, in Nordrhein-Westfalen erhalten bleibt! Wir werden Sie an Ihrem Handeln messen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Brockes. – Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Blex.

(Guido van den Berg [SPD]: Wer hat sich denn vom Acker gemacht?)

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Es ist eben angesprochen worden: Im Januar gab es eine „Dunkelflaute“. Frau Brems sorgt sich so um die Fledermäuse. Ich kann nur sagen: Die „Dunkelflaute“ war eine gute Flaute. Sie war gut für das Geld unserer Bevölkerung, die nicht für zwangssubventionierten Pseudoökostrom bezahlen musste. Und die Dunkelflaute war gut für das Leben der Fledermäuse, deren Lungen nicht von den Luftdruckschwankungen durch die drehenden Windkraftflügel zerrissen wurden.

(Beifall von der AfD)

Herr Wagner hatte in seiner Haushaltsrede – übrigens, weil eben die Jamaika-Koalition angesprochen wurde – darauf hingewiesen, dass die CDU im Pakt mit den Grünen aus rein opportunistischem Machterhalt bereit gewesen wäre, unsere Braunkohle zu opfern. Wir waren es, die zuerst darauf hingewiesen haben, und nicht die SPD.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Aber umso mehr freut es mich, dass Frau Plonsker in ihrer Rede unseren Duktus der Vernunft übernommen hat.

(Beifall von der AfD)

Es ist schön, dass Sie, Herr Pinkwart, die Ganglinien zur Kenntnis nehmen, an denen man erkennen kann, dass wir in Deutschland eine doppelte Stromversorgung haben. Wir haben eine volatile Stromversorgung, die niemand braucht, die technisch unnötig ist, und wir haben im Hintergrund – nur deshalb hatten wir keinen Blackout – weiterhin die konventionelle Stromversorgung, und die brauchen wir, und zwar mit Braunkohle. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall von der AfD)

Zum Antrag der Grünen: Wir befinden uns hier – das hatten wir schon gestern bei der Debatte über das Rohrleitungsgesetz – in einem laufenden Gerichtsverfahren. Da wurde das letzte Wort noch nicht gesprochen, aber die Grünen können in ihrer Hysterie und Panikmache nicht auf die Rechtsprechung warten. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat zur Vermeidung voreiliger Tatsachen im laufenden Verfahren die Rodungen vorerst gestoppt. Das ist bei Eilbeschwerdeverfahren übliche Praxis. An der Sache stört mich allerdings die Beliebigkeit, mit der das Recht für die eigenen Zwecke missbraucht wird.

Wie bereits mein Vorredner, Herr Loose, richtig ausgeführt hat, haben die umliegenden Gemeinden ihre Anteile an dem Waldgebiet 1978 an die damalige Rheinbraun AG verkauft und erhielten dafür sehr hohe Entschädigungen. Seither wird der Wald, der jetzt im Besitz der RWE Power AG ist, als grüner Kampfbegriff gegen die Braunkohleförderung verwendet. Denn die Wortneuschöpfung „Hambacher Wald“ ist ein Kunstwort. Dieser Begriff hat vor dem Aufschluss des Tagebaus überhaupt nicht existiert, aber vielleicht meinen die Grünen ja den Bürge-Urwald. Den gab es nämlich dort, aber den gibt es seit Jahrmillionen nicht mehr, denn er ist ja jetzt zu Braunkohle geworden.

Vor diesem Hintergrund der in meinen Augen geklärten Eigentumsverhältnisse begehen die Waldbesetzer immer wieder ökokriminellen Hausfriedensbruch. Hausfriedensbruch ist eine Straftat, und ein Delikt gegen die Freiheit ist mit keinen umweltpolitischen Zielen zu rechtfertigen.

(Beifall von der AfD)

Aber auch die Landesregierung untergräbt mit ihrer Handlungsunfähigkeit unsere Rechtsstaatlichkeit und toleriert jeden Tag aufs Neue, dass gegen geltendes Recht verstoßen wird. Nicht nur werden die Kriminellen ohne Feststellung ihrer Identität wieder nach Hause geschickt, sondern die Landesregierung gibt ihnen mit dem erweiterten Klagerecht auch noch ein weiteres Rechtsmittel für den ökoreligiösen Krieg gegen den Tagebau Hambach. Das ist in etwa so, als würde sich jemand in Ihren Garten einnisten, Sie mit Steinen bewerfen, Sie beschimpfen, Sie mit den Worten „Raus aus dem Garten!“ anschreien und Ihnen auch noch per Gerichtsverfügung verbieten, Blumen anzupflanzen, um dem Insektenschwund entgegenzuwirken.

(Beifall von der AfD)

Wenn die eigenen Argumente für den Kohleausstieg nicht mehr reichen, dann wird gar ein peruanischer Kleinbauer für den angeblich menschengemachten Klimawandel instrumentalisiert. Er wird von der anderen Seite des Globus mit deutschen Geldern eingeflogen, um mit der Schützenhilfe ökoradikaler NGOs eine Klage gegen deutsche Großkonzerne zu initiieren. Nach eingelegter Berufung in erster Instanz hat das Oberlandesgericht Hamm den zivilrechtlichen Anspruch des Klägers grundsätzlich für möglich gehalten und den Einstieg in die Beweiserhebung als wahrscheinlich angesehen.

Warum von allen Nationen auf dieser Welt müssen wir Deutsche für das Abschmelzen der Gletscher in den Anden bezahlen?

(Helmut Seifen [AfD]: Wegen der Grünen!)

Vielleicht ist es genau das, was sich die Grünen unter der Vorreiterrolle Nordrhein-Westfalens vorstellen. Ich habe darauf eine eigene Antwort: Das linksgrüne Lager hat Spaß am eigenen Untergang. Die Niederträchtigkeit der Antideutschen kennt keine Grenzen.

(Beifall von der AfD)

Rechtsmittel werden für die Selbstzerstörung genutzt, und geht die Selbstzerstörung nicht schnell genug voran, werden in der Regierungszeit neue Rechtsmittel geschaffen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung spricht jetzt der Innenminister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Man kann über die Frage, wie man Versorgungssicherheit im Energiebereich herstellen will, sehr verschiedene Meinungen haben – dazu ist auch viel gesagt worden –, aber in der Demokratie gibt es irgendwann eine Entscheidung. So ist das bei uns organisiert. Und hier in Nordrhein-Westfalen gab es – ich war nicht dabei – eine Braunkohleentscheidung. Dagegen haben Menschen geklagt. Das ist auch so in der Demokratie. Dann gibt es Gerichtsentscheidungen. Und nach den Gerichtsentscheidungen ist das geltendes Recht, und damit ist Sense. Dann ist Schluss.

Anschließend hat der Staat und haben staatliche Organe dafür zu sorgen, dass dieses Recht umgesetzt wird. Wenn man anderer Meinung ist, kann man protestieren, demonstrieren und auch Flugblätter verteilen – das kann man alles machen, ist alles in Ordnung –, aber man darf nicht mit Gewalt gegen die getroffenen Entscheidungen vorgehen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und der AfD)

Das ist die eigentlich neue Lage dieser Tage. Die Lage dieser Tage ist nicht, ob man für mehr oder weniger Braunkohle ist, sondern die Lage der letzten Tage ist, wie sich einige Menschen verhalten, weil sie dieses Recht nicht akzeptieren und meinen, sie hätten recht, und zwar um jeden Preis, auch um den Preis von Gewaltanwendung. Das geht nicht, und das darf auch nicht zugelassen werden.

Die Menschen, die jetzt im Hambacher Forst unterwegs sind – darauf haben einige Kollegen schon hingewiesen –, sind nicht mehr diejenigen, die dort seit langer Zeit sind, sondern es sind eingeflogene Krawalltouristen. Das ist die Wahrheit!

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Diese interessiert das Gelände im Grunde genommen gar nicht, sondern sie wollen Krawall um jeden Preis.

Ich will Ihnen einmal einige Beispiele nur aus diesen Tagen nennen:

Vermummte Personen bewerfen polizeiliche Aufklärungskräfte und Mitarbeiter mit Steinen. Es werden Barrikaden errichtet, teilweise angezündet, sodass Menschen ihr Gelände nicht mehr gefahrlos verlassen können. Ein Kontaktbeamter des Polizeipräsidiums Aachen, der dafür eingesetzt ist, zu deeskalieren, wird bespuckt, mit den Worten „Jetzt hau hier ab!“ beschimpft und bekommt einen Faustschlag ins Gesicht. Ein Zaun des Geräteabstellplatzes sowie eine Überwachungskamera werden beschädigt. Ein Wachhaus wird angekündigt. Die Mitarbeiter des RWE können nur unter polizeilichem Schutz abrücken.

Am 22. gab es – auch dieser Hinweis lohnt – eine Gerichtsverhandlung in Düren. Davon hat mir gestern der Landrat berichtet: Polizeibeamte werden als Zeuge während der Verhandlung durch Angehörige der Störerszene fortwährend beleidigt und mit Zwischenrufen gestört. Die Räumlichkeiten des Gerichts werden verdreckt. Die Gerichtsverhandlung wird laufend gestört. Störer skandieren.

Das ist ein deutsches Gericht, vor dem bestimmte ordentliche Abläufe stattfinden. Man kann anderer Meinung sein und das auch vortragen, aber an die Regeln muss man sich schon halten.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Darum geht es jetzt. Das müsste heute eigentlich diskutiert werden und nicht, ob ich für oder gegen Braunkohle bin. Das ist entschieden. Da haben Sie gewonnen oder verloren. Das ist jetzt Fakt. Jetzt geht es um die Frage: Wie gehen wir damit um?

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Die Polizistinnen und Polizisten haben eine Aufgabe. Sie tun ihre Pflicht im Namen des Staates. In unserer aller Namen erfüllen sie diese Aufgabe.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Die haben sich das nicht ausgesucht, sondern tun das in unserem Auftrag. Wir müssten denen eigentlich den Rücken stärken, statt Debatten darüber zu führen, ob sie das zu Recht tun oder nicht zu Recht tun.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Ich stimme denen zu, die gesagt haben, am meisten ärgert sie an dem Titel dieser Aktuellen Stunde „Rechtsfrieden sichern“.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE] – Zuruf von der AfD)

– Entschuldigen Sie, Frau Düker, Sie wissen, ich bin wirklich ein sehr friedlicher Mensch. Aber es ist nicht angemessen, in der Situation von „Rechtsfrieden herstellen“ zu reden und dann nicht die Polizisten zu meinen. Denen hätten Sie sagen müssen: Ihr seid im Auftrag unterwegs, den Rechtsfrieden zu sichern. Wir stärken euch den Rücken. Ihr macht es richtig. – Das hätten Sie sagen müssen.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Ich würde mir wünschen, dass dieser Landtag sagt: Ja, Rückendeckung für die Polizisten, weil sie ihre Aufgabe wahrnehmen, die wir ihnen gegeben haben. Wir fordern die Extremisten und Gewalttäter auf, endlich die Gewalt einzustellen. – Das hätte man sagen müssen und dafür sorgen müssen, dass der Rechtsfrieden gesichert wird und das umgesetzt werden kann, was die Gerichte entschieden haben.

Wir warten jetzt ab. Die Gerichte entscheiden neu. Ich bin ganz gespannt darauf, was passiert, wenn das Gericht dann nicht so entscheidet, wie das eine Minderheit will, und ob wir dann auch den Polizisten den Rücken stärken oder ob die ganze Soße wieder von vorne anfängt.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Innenminister. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Hübner das Wort.

Michael Hübner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die Debatte für mich zusammenfasse, muss ich sagen: Ich habe einen sehr interessanten Einblick gewonnen, wie die Jamaika-Koalition in Berlin wohl verhandelt hat. Hier wird eine ganz klare Trennschärfe zwischen CDU und Grünen auf der einen Seite und der FDP, die da allenfalls mitgeschwommen ist, auf der anderen Seite, aufgearbeitet.

Eine Haltung lässt der Ministerpräsident, der sich dafür auf die Reise nach Jamaika begeben hat, auf jeden Fall deutlich nicht erkennen, sondern er taucht komplett ab. So kann man die Debatte heute Morgen zusammenfassen. Das ist, Herr Ministerpräsident, nicht in Ordnung: Bei einem Thema, das für die Energiepolitik dieses Landes von entscheidender Bedeutung ist, tauchen Sie komplett ab.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Die neue Schärfe, die ich hier wahrnehme, Herr Brockes, entnehme ich auch Ihren Worten, mit denen Sie den Versuch gemacht haben, die sieben Gigawatt, die Sie ja schon als Partei konsentiert haben, in Berlin zu rechtfertigen

(Dietmar Brockes [FDP]: Hallo?)

und den Vorschlägen gegenüberzustellen, die aus unserem Wirtschaftsministerium in Berlin gekommen sind.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht vielleicht auch nicht immer nur darum, welche Blöcke abgeschaltet werden sollen, sondern es geht vielleicht auch um das Ziel, möglichst wenig Strom aus Braunkohle zu erzeugen, um die Energiesicherheit beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien auf Dauer auch nicht zu gefährden. Auch dieses Ziel verfolgen wir. Dafür haben wir zuletzt realistische Grundannahmen gehabt.

Herr Bombis, ich habe gerade gehört, es ist nicht Ihr Ziel, belgischen Atomstrom nach Nordrhein-Westfalen zu lassen.

(Ralph Bombis [FDP]: Ganz genau!)

Herr Bombis, ich darf Sie vielleicht darüber informieren, dass es gar keine Verbindung zwischen dem belgischen und dem nordrhein-westfälischen Netzsystem gibt. Von daher: Den Eindruck zu erwecken, dass es eine Möglichkeit gäbe, belgischen Atomstrom nach Nordrhein-Westfalen zu importieren, macht alleine schon deutlich, dass Sie in der Versorgungssicherheit und in der energiepolitischen Debatte ganz weit von den Menschen hier in Nordrhein-Westfalen entfernt sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Minister Pinkwart, ich habe sehr genau zugehört. Wir haben ja auch schon einmal den Diskurs hier im Plenum geführt und zuletzt auch im Wirtschaftsausschuss gehabt, als Sie geschildert haben, dass 5 GW oder 7 GW denkbar sind. Zuletzt haben Sie im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht – Herr Pinkwart, wenn Sie mir noch einmal Ihre Aufmerksamkeit schenken –, dass es bei den Jamaika-Gesprächen auch um 9 GW gegangen sein könnte.

Ich habe Sie schon einmal von dieser Stelle aus gefragt, welche Planungen denn Ihr Haus zu dem Thema hat und ob beim sozialverträglichen Abbau von Kraftwerkskapazitäten weitere Kraftwerkskapazitäten in die Reserve gesteckt werden sollen oder aber die nicht in die Reserve kommen, sondern einfach abgeschaltet werden. Inwieweit sich Ihr Haus dazu Gedanken gemacht hat, dazu würde ich mich über Aussagen von Ihnen freuen.

Meine Damen und Herren, für die SPD bleiben drei Punkte in der Debatte übrig, auch wenn ich das zwischenzeitlich anders gehört habe, dass nämlich das Verwaltungsgericht eine Entscheidung herbeigeführt habe.

Das Oberverwaltungsgericht hat in der Sache bisher nicht entschieden. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Das gehört auch zur Rechtssystematik, wie wir in diesem Land miteinander umgehen sollten. Das Oberverwaltungsgericht hat in der Sache nicht entschieden.

Es hat die Bitte ausgesprochen – die formale Bitte zugegebenermaßen –, um in der Sache vernünftig entscheiden zu können, zunächst einmal keine weiteren Fällungen mehr im Hambacher Forst – ich betone, es ist ein Forst, weil es forstwirtschaftlich genutztes Gelände ist – vorzunehmen. Dem wird natürlich entsprochen. Dem wird natürlich seitens RWE entsprochen. Das ist eines Rechtsstaats auch würdig, dass dann hier so gehandelt wird.

Also: Das Gericht hat in der Sache nicht entschieden. Für uns als Sozialdemokratie gilt die Leitentscheidung mit der entsprechenden Verminderung von Abbaumengen, die wir zwischen Rot und Grün verabredet haben.

Drittens. Weil das hier ja sehr aufgebauscht diskutiert worden ist, insbesondere zwischen den Grünen und der CDU: Rechtsbrüche, egal an welcher Stelle, bleiben im Landtag Nordrhein-Westfalen nicht akzeptabel, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Ich hoffe, dass es dafür weiterhin einen großen Konsens hier im Haus gibt. – Ich danke für die kurze Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die Landesregierung spricht noch einmal Minister Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hübner, ich will das von Ihnen Dargestellte noch einmal richtig einordnen. Die 9 GW, von denen wir im Fachausschuss gesprochen haben, bezogen sich auf die Forderung der Grünen in den Verhandlungen. Sie hatten 8 bis 10 GW oder 40 bis 50 Millionen t Minderung eingefordert – und das bis 2020. Das hätte eine abrupte Verabschiedung von der Kohleverstromung bedeutet. Das ließ sich durch keinen Sachverständigen begründen,

(Beifall von der FDP)

und es gelang nicht, den Nachweis zu führen, dass die Versorgungssicherheit dann noch hätte aufrechterhalten werden können.

Wir, der Ministerpräsident und ich, haben in diesen Gesprächen deutlich gemacht: Wenn überhaupt – das hat auch die Bundesnetzagentur bestätigt –, hätte es einen Trendkanal von 3 bis 5 GW gegeben, den man so hätte organisieren können, wie es im vergangenen Jahr schon geschehen ist. Um an jedem Tag zu jeder Stunde Versorgungssicherheit zu gewährleisten, hätte man etwas in die Sicherheitsreserve aufgenommen und bis Mitte des nächsten Jahrzehnts geschaut, inwieweit man das dann irgendwann wieder stilllegen kann.

Armin Laschet und ich haben in der Runde der Parteivorsitzenden den Vertretern der Grünen zusätzlich entgegengehalten, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen durch mehrfache Beschlüsse des Landtags folgende Erklärung abgegeben haben: Wenn die Belgier bereit sind, ihre Atomblöcke stillzulegen, wird sich Nordrhein-Westfalen dafür einsetzen – fußend auf einem Gutachten des früheren Umweltministers Remmel –,

(Zuruf: Aha!)

für Versorgungssicherheit zu sorgen.

(Michael Hübner [SPD]: Mit 1 GW!)

Es ist zutreffend, Herr Hübner: Noch liegt keine Leitung. Die wird aber gerade gebaut: mit 1 GW. Wir wollen es auf 3 GW ausweiten, um überhaupt das Angebot des Landtags unterlegen zu können. Das haben wir den grünen Kolleginnen und Kollegen auch deutlich gemacht.

Bei der Leistung, die wir bräuchten, um das belgische Kraftwerk vom Netz zu nehmen – das steht schon in dem B E T-Gutachten von Herrn Remmel –, wäre unsere bisherige Versorgungssicherheit nicht zu gewährleisten. Das hätte in die Rechnung des Bundes mit einbezogen werden müssen. Das haben wird dort auch reklamiert.

Deswegen haben wir gesagt: Das, was die Grünen für 2020 fordern, ist nicht machbar. Es ist schon ohne Belgien nicht machbar und erst recht nicht mit Belgien.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das haben wir dargelegt. Deswegen – das will ich auch noch sagen – haben wir uns über den Punkt nicht verständigen können.

Wir stehen zu der Festlegung, die Klimaschutzziele einzuhalten, und zwar die Klimaschutzziele für Nordrhein-Westfalen, die Grüne und SPD im Jahr 2012 mit dem Klimaschutzgesetz beschlossen haben. Die werden wir bis 2020 in Nordrhein-Westfalen auch einhalten. Wir wollen die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit von Energie gewährleisten. Auf der Grundlage haben wir verhandelt.

(Beifall von der FDP)

Ein letzter Gedanke: Herr Hübner, in den Gesprächen mussten wir erleben, dass sich Frau Hendricks nach der Bundestagswahl von den Projektionsberichten der Bundesregierung, denen sie noch im April des Jahres zugestimmt hatte, bezogen auf die notwendigen Minderungsziele verabschiedet hat, sodass wir von der Bundesregierung völlig unterschiedliche Darlegungen bekamen, wie viel CO2 bis 2020 eingespart werden muss.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Also, Herr Hübner, wenn Sie wirklich die drei Ziele der Energieversorgung so klar im Blick haben,

(Michael Hübner [SPD]: Ja!)

sorgen Sie in Ihrer eigenen Partei dafür, dass das durchgehend bei Ihren Ministerinnen und Ministern der Fall ist – hoffentlich auch bei den jetzt anstehenden Sondierungen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Damit würden Sie uns allen einen großen Gefallen tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor und sind in der Aktuellen Stunde auch nicht mehr möglich. Die dritte Runde ist bereits insofern beendet, als lediglich die CDU noch eine Redemöglichkeit hätte. Bisher ist aber kein Wunsch dazu angezeigt worden. Deshalb schließe ich die Aussprache zum Tagesordnung 1.

Die Aussprache war, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, überaus engagiert. Da wir auf Weihnachten zugehen, möchte ich gerne alle, die geredet haben, und alle Fraktionen bitten, die Aktuelle Stunde im Hinblick auf die Unterstellungen, die Zuschreibungen, die Vergleiche, die getätigt worden sind, Revue passieren zu lassen. Denn auch in sehr engagierten und sehr kontroversen Debatten sollten wir – damit meine ich ausdrücklich alle – die gute Gepflogenheit, einander zuzuhören und einander zu respektieren, nicht verletzen.

Ich rufe auf:

2   Die Landesregierung muss die Arbeit der Integrationsräte würdigen, ihre Beteiligungsmöglichkeiten verbessern und die einheitliche Vertretung von Migrantinnen und Migranten durch die Integrationsräte erhalten!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1287

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1356

Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Yetim das Wort.

Ibrahim Yetim (SPD): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab noch eine Bemerkung zu Herrn Brockes machen, der vorhin gesprochen hat, auch wenn er wohl schon weg ist. Herr Brockes hat sich auf einen Brief bezogen, den der NRW-Landesvorstand an unsere Parteispitze in Berlin geschickt hat, in dem es unter anderem darum geht, dass wir als NRW-Sozialde-mokraten bestimmte Punkte als sehr wichtig ansehen, wenn es überhaupt Gespräche oder Verhandlungen geben sollte.

Ich glaube, der Unterschied zur FDP und zu Herrn Brockes ist sehr deutlich. Wir haben eine klare Haltung, und wir haben klare Positionen. Wenn es überhaupt zu Gesprächen kommen sollte, sind das Themen, die wir in Deutschland voranbringen wollen.

Wenn ich mich daran erinnere, was die FDP über fünf Wochen lang mit diesem Land gemacht hat, dann stelle ich fest: reines Chaos. Sie geht in die Sondierungsverhandlungen, und was kommt dabei heraus? – Nichts.

Das zeigt sehr deutlich den Unterschied. Wir schreiben einen Brief, an dem ich als Mitglied des NRW-Landesvorstands auch beteiligt war, mit einer klaren Position. Sie gehen in Verhandlungen, verkriechen sich anschließend in die Büsche und sagen: Wir wollen keine Verantwortung – lieber keine Verantwortung als Arbeit. – Das war Ihr Motto, das sehr deutlich zu erkennen war.

(Beifall von der SPD)

Auch ein Zweites will ich Ihnen, Kollegen von der FDP, sagen. Das war ebenfalls sehr deutlich, und so etwas ärgert mich sehr.

(Zuruf: Thema!)

Der Bundesvorsitzende der FDP, Herr Lindner, hat es hier in Nordrhein-Westfalen vorgemacht. Er hat im Landtagswahlkampf erklärt, was man nicht alles für dieses Land tun könnte. Anschließend, als er die Möglichkeit hatte, hat er sich verkrochen. Genau dasselbe hat er jetzt auch in Berlin gemacht. Werfen Sie uns also nicht vor, dass wir unsere Positionen nach Berlin bringen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Jetzt komme ich zum Tagesordnungspunkt. Ja, das müssen Sie mir schon erlauben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der CDU: Hey!)

– Ja, ich weiß auch, das tut weh.

(Christof Rasche [FDP]: Das muss Ihnen wehtun!)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es den NRW-Integrationsrat nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Das war die Position von Ministerpräsident Laschet vor einem Jahr, als er noch Fraktionsvorsitzender war.

Wie passt es dazu, dass die Mitte-rechts-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, die Abschaffung der Integrationsräte zu ermöglichen?

Seitdem, Kolleginnen und Kollegen, herrscht bei den über 100 Integrationsräten in unseren Kommunen eine ziemlich große Verunsicherung. Seit über fünf Monaten werden diejenigen, die vor Ort wertvolle Integrationsarbeit leisten, im Unklaren gelassen.

Bei ihrem Jahrestreffen im Oktober haben die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Integrationsräte auf diese große Verunsicherung in den Kommunen hingewiesen. Sie haben ihre Ablehnung und ihre Sorge artikuliert, dass damit dem Thema „Integration“ vor Ort ein Bärendienst erwiesen wird.

Diese Sorge, Kolleginnen und Kollegen, ist umso mehr berechtigt, wenn man weiß, dass nicht das Integrationsministerium die Pläne der Landesregierung ausarbeitet, sondern Frau Scharrenbach, die heute nicht hier ist, die aber dieses Thema bearbeiten soll, die wahrscheinlich so viel Ahnung von dem Thema „Integration“ und der Arbeit der Integrationsräte in den Kommunen hat wie die Kuh vom Eislaufen.

(Beifall von der SPD – Unruhe von der CDU und der FDP – Zuruf von der CDU: Eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Wollen Sie ein anderes Beispiel haben? Das gebe ich Ihnen auch sehr gerne: Wahrscheinlich hat diese Ministerin so viel Ahnung davon wie Ministerin Schulze Föcking von der Schweinezucht.

(Erneut Zurufe von der CDU und der FDP)

Also hören Sie auf! Regen Sie sich nicht auf, sondern beginnen Sie mal, das Thema zu bearbeiten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich! – Zuruf von der CDU: So was Polemisches! – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Diese Landesregierung hat angekündigt, keinen Alleingang zu wollen, sondern in einen konstruktiven Dialog für ihre Absichten zu treten.

(Fortgesetzt Zurufe von der CDU und der FDP)

Die angebliche Dialogbereitschaft, die Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen, ist nach kurzer Zeit krachend gescheitert. Ich will Ihnen das mal aufschlüsseln: Erst verabschieden Sie Ihren Koalitionsvertrag, demzufolge Sie die Einrichtung der Integrationsräte auflösen wollen. Dann beginnt die anhaltende Verunsicherung über die Integrationsräte in den Kommunen und beim Landesintegrationsrat.

Am 21. Oktober nimmt Herr Minister Stamp an der Sitzung des Hauptausschusses des Landesintegrationsrates in Gelsenkirchen teil. Dort stellt er vage Pläne der Landesregierung vor. Das führte zur Verabschiedung einer Resolution, in der die Integrationsräte die Pläne der Mitte-rechts-Koalition als massiven Angriff auf die Partizipationsmöglichkeiten der Migrantinnen und Migranten bezeichnen.

Dann folgt ein Interview von Integrationsstaatssekretärin Güler, in dem sie die Integrationsräte als Kaffeekränzchen bezeichnet, die ihre Zeit damit verbringen würden, Straßenfeste zu organisieren. Wenn man weiß, wie schwer es ist, ein Straßenfest zu organisieren, und welchen Sinn das hat, nämlich die Zusammenführung, die Integration von Menschen, dann weiß man auch, was es zu bedeuten hat, wenn man diejenigen, die das ehrenamtlich machen, so in den Senkel stellt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Hinzu kommt: In demselben Interview greift die Integrationsstaatssekretärin den Vorsitzenden des Landesintegrationsrates, Keltek, an, den Mann, der vor einem Jahr über die Parteigrenzen hinweg als der Motor, der Vorreiter der Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen bezeichnet wurde. Sie wirft ihm vor, er würde nur eine Egoshow betreiben. Mit Egoshows kennt sich die FDP ja besonders gut aus.

Auf diese öffentliche Diskreditierung der ehrenamtlichen Arbeit durch das Integrationsministerium antwortete der Integrationsrat Köln mit einem offenen Brief, in dem er sich bestürzt und verärgert äußert. Diese nachvollziehbare Reaktion des Integrationsrates auf ihre eigene Polemik nimmt dann die Staatssekretärin zum Anlass, ihre Teilnahme an der Mitgliederversammlung der Integrationsräte am 11. November abzusagen.

Statt dort die Chance zur Positionserklärung wahrzunehmen, in den Austausch, in den doch so gewünschten Dialog einzutreten, wird genau dieser Dialog verweigert. Stattdessen schickt die Staatssekretärin einen über alle Parteigrenzen hinweg anerkannten Mitarbeiter des Integrationsministeriums hin und lässt diesen einen Brief verkünden, so wie sie es uns auch im Integrationsausschuss gesagt hat.

In dem Brief teilt sie mit, dass es ihr nicht sinnvoll erscheine, bei der Versammlung der Integrationsräte aus NRW die Diskussion über die Zukunft der politischen Partizipation in Nordrhein-Westfalen fortzusetzen. Es müsse erst die Bereitschaft bestehen, anzuerkennen, dass die Partizipationsstruktur auf kommunaler Ebene nicht so bleiben wird. Das heißt: Entweder macht ihr das, was ich will, oder ich rede gar nicht mit euch.

(Beifall von der SPD)

Diese Verweigerung der Diskussion hat dazu geführt, dass wir im Integrationsausschuss darum gebeten haben, den Brief, der auf einer öffentlichen Versammlung vorgetragen worden ist, zu bekommen. Als Parlamentarier haben wir das gefragt. Die Antwort des Integrationsministers auf diese Frage war: Nein, kriegt ihr nicht.

Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen, insbesondere diejenigen, die schon in der letzten Legislaturperiode dabei waren, die es genau wissen, was passiert wäre, wenn sich unsere Landesregierung geweigert hätte, den Abgeordneten einen Brief, den sie hat vortragen lassen, zu geben. Was für einen Tanz hätten dann der damalige integrationspolitische Sprecher Stamp oder auch die CDU veranstaltet?

Ich sage Ihnen: Wenn die Informationsrechte des Parlaments so beschnitten werden, werden wir andere Wege finden. Sie haben bei meinen Ausführungen schon mitbekommen – ich gehe davon aus –, dass wir bereits einen Weg gefunden haben, Teile dieses Briefes zu bekommen. Das ist auf jeden Fall keine Dialogbereitschaft.

Herr Minister, Sie reden immer davon, dass man Zuwanderinnen und Zuwanderer fest an die Hand nehmen müsse. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Nehmen Sie mal Ihre Staatssekretärin fest an die Hand, damit die Unruhe hier aufhört.

(Beifall von der SPD)

Mit dem heute vorgelegten Entschließungsantrag wird das Kommunikationschaos der Mitte-rechts-Koalition auch noch fortgeführt. Erst heißt es darin, die Landesregierung hätte klargestellt, dass es keine Abschaffung der Integrationsräte geben soll. In der Beschlussfassung aber wird genau diese Abschaffung ermöglicht. Da frage ich mich natürlich schon: Was wollen Sie eigentlich? Was ist Ihre Haltung zur Zukunft der Integrationsräte?

Übrigens haben Sie auch in diesem Antrag nicht die Chance genutzt, mal zu sagen, was Sie eigentlich wollen. Das hat nichts mit Verbindlichkeit zu tun, Herr Minister Stamp, das ist reines Chaos. Man sieht, dass Sie keine Integrationsstrategie haben.

Der Minister hat am 22. November im Integrationsausschuss erklärt, dass die Arbeit der Integrationsräte oft nicht ernst genommen wird oder auch verpufft. Herr Minister Stamp, ich kann Ihnen sagen: Es gibt gut und weniger gut arbeitende Integrationsräte. Aus dem, was Sie ausgeführt haben, ergeben sich für mich zwei Handlungsmöglichkeiten:

Die eine Handlungsmöglichkeit ist, die Integrationsräte abzuschaffen. Das ist anscheinend das, was die Mitte-rechts-Koalition will.

Die andere Möglichkeit ist, die Integrationsräte zu stärken. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir dazu kommen würden, unsere Energie darauf zu verwenden, zu überlegen, wie wir die Integrationsräte stärken können, wie wir Partizipation auf Augenhöhe und das Einbringen von eigenen Erfahrungen und Kenntnisse ermöglichen können.

Das Einbringen von eigenen Erfahrungen und Kenntnissen der Integrationsräte haben wir ganz aktuell in der Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, wahrnehmen können. Da haben die Integrationsräte, die dort ehrenamtlich tätig sind, eine wertvolle Arbeit geleistet. Ich glaube, das wird hier auch niemand verneinen können. Unsere Integrationsräte machen Nordrhein-Westfalen zu einem bundesweiten Vorbild für die politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten.

Statt diese zu diskeditieren fordern wir – um diese Unruhe bei den ehrenamtlichen Integrationsräten endlich zu beenden – den Landtag auf, die ehrenamtliche Arbeit zu würdigen, die wenigen direkten Partizipationsmöglichkeiten der Zuwandererinnen und Zuwanderer nicht zu beschneiden, den Ehrenamtlichen Planungssicherheit zu geben und das Modell der Integrationsräte gemeinsam mit dem Landesintegrationsrat weiterzuentwickeln, damit es verbindliche Beteiligungsmöglichkeiten gibt.

Herr Minister Stamp war zehn Jahre lang Mitglied eines Integrationsrates

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Ja!)

und weiß somit um die vorhandenen Stärken und Schwächen. Er kennt sie gut – und statt die Arbeit der Integrationsräte fortzuführen, weiterzuentwickeln und zu verbessern, sollen diese jetzt abgeschafft werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Nordrhein-Westfalen über viele Jahre über die Parteigrenzen hinweg in der Integrationspolitik gearbeitet und, wie ich finde, auch das eine oder andere wirklich sehr Gute auf den Weg gebracht. Deswegen sollten wir nicht zulassen, dass Parteipolitik oder auch persönliche Fehden,

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

die deutlich geworden sind, diese Gemeinsamkeit in Nordrhein-Westfalen schädigen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was haben Sie denn gemacht? Was haben Sie zu Anfang gemacht! – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Ich habe Ihnen gerade gesagt, was Ihre Staatssekretärin mit dem Vorsitzenden des Landesintegrationsrates macht. Sie greift ihn öffentlich an und macht seine Arbeit von über 20 Jahren mit einem Federstrich zunichte!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch eines vortragen; es handelt sich um ein Zitat aus einer Festschrift des Landesintegrationsrates, der letztes Jahr sein 20-jähriges Bestehen gefeiert hat. Dort heißt es:

Durch ihn ist es möglich, dass die so wichtige Arbeit der kommunalen Integrationsräte auf die landespolitische Ebene transportiert wird. Wo auch immer der Schuh vor Ort drückt, die Probleme werden gehört und fließen in die parlamentarischen Beratungen des Landtags mit ein.

Da hat er recht, der Herr Minister Stamp. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. Herr Kollege Yetim, da Sie selbst so freundlich waren, nach ungefähr 90 Sekunden Ihrer Rede darauf hinzuweisen, dass Sie jetzt zum eigentlichen Tagesordnungspunkt kommen, möchte ich Sie gerne auf § 36 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung aufmerksam machen und Sie bitten, sich diese Vorschrift noch einmal durchzulesen.

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wermer für die CDU-Fraktion.

(Beifall von der CDU)

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es steht außer Frage, dass wir die politische Mitgestaltung für Migrantinnen und Migranten als wichtigen Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe und notwendigen Baustein gelungener Integration ansehen.

Wer sich mit voller Überzeugung kommunalpolitisch engagiert und die Rahmenbedingungen des Zusammenlebens in seiner Umgebung aktiv mitgestalten möchte, ist in der Regel auch in unserer Mitte angekommen. Darüber sind wir uns in diesem Hohen Haus sicherlich einig.

Nun stellen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es aber so dar, als wolle die Landesregierung den Migrantinnen und Migranten jegliche Möglichkeit politischer Partizipation nehmen. Dem ist selbstverständlich nicht so, und das wissen Sie auch.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, die Chance auf sozialen Aufstieg eröffnen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Um dies zu erreichen, werden wir in der kommenden Zeit die bestehenden Integrationsmaßnahmen evaluieren, bündeln und zusammen mit neuen Ideen zur NRW-Integrationsstrategie 2030 zusammenfassen. Das haben wir klar und deutlich im Koalitionsvertrag stehen.

(Beifall von der CDU)

Es ist selbstverständlich, dass für einen funktionierenden Integrationsprozess auch die Selbstorganisation der Migrantinnen und Migranten angehört und einbezogen werden muss und soll. Aus diesem Grund fördert die NRW-Koalition institutionell auch den Landesintegrationsrat, der, wie Sie wissen, das Vertretungsorgan der Integrationsräte in NRW ist.

Ebenso, meine Damen und Herren von der Opposition, hat die Landesregierung deutlich gemacht, dass es keine Abschaffung der Integrationsräte sowie der kommunalen Mitwirkung von Migrantinnen und Migranten geben wird. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Wir sehen es als wichtig an, den Kommunen mehr Gestaltungsfreiheit bei der politischen Partizipation von Migrantinnen und Migranten zu geben.

(Beifall von der CDU)

Damit möchten wir die kommunale Selbstverwaltung und zugleich unsere gelebte Demokratie stärken.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das tun die Sozialdemokraten nicht!)

Denn die Kommunen haben unserer Ansicht nach den besten Überblick, welche Gremien zur Beteiligung von Migrantenvertretern vor Ort am geeignetsten sind,

(Beifall von der CDU)

um die Partizipation zu steigern und vor allen Dingen verbindlicher zu machen.

Schauen wir uns doch einmal die derzeitige Situation der Integrationsräte an. Wir merken, dass dort Handlungsbedarf besteht; denn es gibt erhebliche Unterschiede bei der Ausgestaltung und Einbindung der Räte in den einzelnen Orten. In einigen Fällen führt dies durchaus auch zu Stillständen in den Integrationsräten. Das wird den Menschen, die sich in diesen Räten engagieren – und zwar bewusst engagieren, um die Möglichkeit zu nutzen, Politik aktiv mitzugestalten –, jedoch nicht gerecht.

Hier heißt es, diese Menschen für Kommunalpolitik zu motivieren, statt sie zu demotivieren. Dies gilt speziell auch für die Migrantinnen in unseren Kommunen. Der Frauenanteil in den Integrationsräten fällt bislang sehr gering aus. Dabei sind es gerade die Frauen, die zu einem erheblichen Teil zur Integration beitragen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb müssen wir darauf achten, wie wir es schaffen können, auch ihre Ideen und Sichtweisen in die Arbeit der Migrantenvertretung mit einfließen zu lassen.

Dass es im Hinblick auf die politische Partizipation noch einiges zu tun gibt, erkennen wir nicht zuletzt an der geringen Beteiligung an den kommunalen Integrationswahlen. Gerade einmal um die 14 % der landesweit wahlberechtigten Migranten haben bei den letzten Wahlen im Mai 2014 ihre Stimme abgegeben.

In gerade einmal drei der 101 Kommunen wurden 20 % erreicht oder überschritten, und in einigen Kommunen waren es sogar weit unter 10 % der wahlberechtigten Migrantinnen und Migranten, die ihre Stimme abgegeben haben. Der Tiefstwert lag bei nur 4 %. Das ist eindeutig zu wenig, und das wollen wir ändern.

(Beifall von der CDU)

Es ist an der Zeit, dem geringen Interesse an kommunalpolitischen Themen entgegenzuwirken. Indem wir den Kommunen die Möglichkeit eröffnen wollen, selbst zu entscheiden, in welcher Form die kommunale Integrationsarbeit ausgestaltet wird – egal ob Integrationsrat oder -ausschuss –, können wir der individuellen Situation vor Ort gerecht werden.

Denn klar ist doch: Durch die Einbindung weiterer sachverständiger Akteure – beispielsweise Ratsmitglieder, sachkundige Bürger und natürlich auch Migrantenverbände – kann die Arbeit der Gremien auf ein festeres Fundament gestellt werden, und genau das ist unser Ziel.

(Beifall von der CDU)

Der direkte Austausch unter den vielen an der Integration beteiligten Akteure wird dazu beitragen, dass die Integrationsgremien handlungsfähiger werden und ihnen durch zahlreiche Multiplikatoren mehr Gehör verschafft wird. Außerdem muss die Arbeit, die in den Gremien geleistet wird, ernst genommen und wertgeschätzt werden. Wir wollen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den Kommunen und den Migrantenvertretern.

(Zuruf von der SPD)

Entgegen Ihrer Behauptung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, muss sich also niemand in Nordrhein-Westfalen darum sorgen, dass es in der Integrationspolitik Rückschritte geben wird oder dass wir die Abschaffung der Integrationsräte befürworten. Ihr Antrag ist deshalb unnötig.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir setzen uns dafür ein, dass die wichtige Integrationsarbeit, die in den Kommunen geleistet wird, fortgesetzt und weiterentwickelt werden kann; dementsprechend haben wir unseren Entschließungsantrag eingebracht. Wir werden auch in Zukunft eng mit den Kommunen zusammenarbeiten und den Dialog mit den Integrationsräten suchen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Wermer. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ganz kurz zu Beginn ein Wort an den Kollegen Yetim. Ich möchte die Redezeit nicht für irgendwelche gescheiterten Sondierungen verwenden oder die polemischen Äußerungen gerade bei den Ministervergleichen in irgendeiner Weise kommentieren. Es ist aber wichtig, eine Sache festzuhalten: Es geht uns hier nicht um eine persönliche Auseinandersetzung, sondern allein um das Thema, und dazu möchte ich jetzt gerne sprechen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die NRW-Koalition will unser Land zum Motor einer klar aufgestellten Integrationspolitik machen. Wir wollen allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Chancen auf einen sozialen Aufstieg eröffnen und eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.

Dabei setzen wir aber gerade bei der Integration sowie im Hinblick auf die Vermittlung von Sprache, Bildung und Arbeit auf mehr Verbindlichkeit und eine aktive Wertevermittlung. Diese Integrationspolitik verbinden wir mit einer strukturierten Einwanderungspolitik, mit Weltoffenheit und einer Ordnung, die alles miteinander in Einklang bringt.

Wir stehen zur politischen Beteiligung von Migrantinnen und Migranten in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Die Beteiligung vor Ort ist aber nicht nur ein wesentlicher Bestandteil einer gelingenden Integration, sondern wir müssen den Kommunen auch mehr Wahlmöglichkeiten geben. Ich sage daher ganz ausdrücklich: Wir schätzen die Arbeit der kommunalen Integrationsräte und des Landesintegrationsrates.

Es ist daher verfehlt, wenn Sie Behauptungen aufstellen, wir würden sie abschaffen, sogar ersatzlos. In der letzten Ausschusssitzung hat der Minister nicht zum ersten Mal klargestellt, worum es uns geht, nämlich um mehr Wahlmöglichkeiten bei den Kommunen, aber auch um eine verbindliche und klare politische Beteiligung der Migrantinnen und Migranten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unser Ziel ist es, bei den anstehenden Kommunalwahlen eine solche politische Mitwirkung vor Ort zu erreichen.

Die NRW-Koalition will gerade bei der Ausgestaltung der Beteiligung von Migrantinnen und Migranten prüfen, inwieweit wir das Ganze weiterentwickeln können. Für uns gehört dazu neben der verbindlichen Integrationspolitik ein stärkerer Einfluss auf politische Entscheidungen. Derzeit – das muss man klar sagen – haben die Integrationsräte eine rein beratende Funktion. Wir hingegen treten für eine echte Beteiligung ein, indem die Migrantenvertreter bei relevanten Entscheidungen dabei sind und mitentscheiden können.

Wir können nur dann eine tatsächliche Aufwertung der Integration in den Kommunen erreichen, wenn wir dort entsprechend nachsteuern. Wir haben den Integrationsausschuss deshalb mit ins Spiel gebracht, weil wir etwas mit substanziellen Rechten brauchen. Es ist vollkommen richtig, den Kommunen die Möglichkeit zu geben, vor Ort zu entscheiden: Brauchen wir einen Integrationsrat oder eher einen Integrationsausschuss? – Jeder von uns, der einmal Kommunalpolitiker war oder auch heute noch ist, kann sehr gut nachvollziehen, dass die Kommunen immer noch am besten beurteilen können, welches Gremium für die politische Beteiligung vor Ort geeignet ist.

Die CDU- und FDP-Landesregierung hatte 2009 mit der Neufassung von § 27 der Gemeindeordnung die früheren Ausländerbeiräte durch Integrationsräte ersetzt und gleichzeitig die Option zur Einrichtung von Integrationsausschüssen eingeführt.

Letztere unterschieden sich von regulären Ausschüssen dahin gehend, dass ihnen Menschen ohne passives Kommunalwahlrecht nur als sachkundige Einwohner mit beratender Stimme und nicht als stimmberechtigte Mitglieder angehören durften. Eine echte Mitwirkung von Migrantinnen und Migranten war demnach nicht über einen regulären Ausschuss zu erreichen, sondern nur über einen gesonderten Integrationsausschuss mit einer engen Anbindung an die Beratung des Rates und mit einer direkten Wahl von stimmberechtigten Migrantenvertretern.

Als die damalige rot-grüne Landesregierung 2014 die Pflicht zur Einrichtung von Integrationsräten in den Kommunen eingeführt hat, hat sich die FDP-Fraktion stattdessen dafür eingesetzt, eine Wahlfreiheit zwischen dem Integrationsrat und dem Integrationsausschuss zu schaffen und auch an diesem Ausschuss festzuhalten. Wir wollten die vorher bestehende Option nicht abschaffen, für die sich 16 Kommunen mit zumeist positiven Erfahrungen entschieden hatten. So haben wir seinerzeit die Stellungnahmen der betroffenen Kommunen und der kommunalen Spitzenverbände berücksichtigt, die sich für die Wahlmöglichkeit eines gesonderten Ausschusses ausgesprochen hatten. Diese Position war – das dürfte Sie nicht überraschen – für uns deshalb auch Grundlage des aktuellen Koalitionsvertrages.

Für Rot-Grün ging es in diesem Zusammenhang auch um die Zusammenlegung der Wahlen zu den Integrationsräten mit den Kommunalwahlen. Bei einer Wahlfreiheit zwischen einem Integrationsrat und einem Integrationsausschuss wäre diese Zusammenlegung natürlich nicht mehr möglich, da der neu gewählte Rat zunächst entscheiden muss, welches Gremium er denn einrichten möchte.

Sie wollten mit der verpflichtenden Einführung und der Zusammenlegung der Termine die Wahlen zu den Integrationsräten aufwerten. Zur Wahlbeteiligung hat meine Kollegin Wermer schon einiges ausgeführt.

Unsere Erfahrung ist jedoch eine andere, nämlich, dass die Wahlen im Kommunalwahlkampf letztlich im Fokus stehen und die eigentlichen Wahlen zu den Integrationsräten völlig untergegangen sind. Medienberichte und Plakate konzentrieren sich nun einmal auf den im Vordergrund stehenden Kommunalwahlkampf. Eine echte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Listen und den von ihnen vertretenen Inhalten wäre bei einer gesonderten Wahl zu Integrationsrat und Integrationsausschuss besser zu erreichen. So war die Steigerung der Wählerzahlen im Jahr 2014 auch überwiegend darauf zurückzuführen, dass sich die Zahl der Wahlberechtigten verdoppelt hatte.

Für uns bedeutet die Weiterentwicklung der Mitwirkung von Migrantinnen und Migranten in den Kommunen nicht unbedingt ein Zurück zum Optionsmodell von 2009. Wir wollen die Einbindung der jeweiligen Gremien in die Entscheidungen des Rates verbessern. Wir können uns vorstellen, dass auch in einem Integrationsausschuss der Vorsitzende unter allen Ausschussmitgliedern und nicht nur unter den Ratsmitgliedern gewählt wird.

Allerdings wird es kaum möglich sein, ein Gremium mit substanziellen Rechten zu schaffen, in dem die Ratsmitglieder am Ende überstimmt werden können. Insofern bietet gerade die Form eines Integrationsausschusses die Chance für mehr Entscheidungsrechte bei einer möglichst weitgehenden Beteiligung der Migrantinnen und Migranten. Diese wollen wir auch verwirklichen.

Wir werden für eine entsprechende Änderung aber auch noch einige schwierige kommunalrechtliche und auch verfassungsrechtliche Fragen klären müssen. Dazu stehen wir bereits im Dialog mit den Betroffenen. So habe auch ich mich letzte Woche intensiv mit dem Landesintegrationsrat ausgetauscht.

Hingegen befeuert der vorliegende Antrag der SPD nur Kontroversen und trägt nicht zu einer sachgerechten Lösung bei. Wir werden ihn daher ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wenn ich mir die Initiativen der Landesregierung ansehe – und die sind ja wirklich überschaubar –, habe ich den Eindruck, dass sie alles streichen und beiseiteschieben will, was ihr zu komplex, langwierig und unliebsam erscheint. Gerade in einer vielfältigen Gesellschaft reichen einfache Antworten auf differenzierte Sachverhalte aber nicht aus.

Als eine der ersten Amtshandlungen der Landesregierung wurde zum Beispiel das anonymisierte Bewerbungsverfahren mal eben so als Murks bezeichnet und abgeschafft. Auch fast fünf Monate später liegt trotz der vollmundigen Ankündigungen, rechtzeitig ein Alternativkonzept vorzulegen, dieses noch nicht vor. Die Landesregierung kann immer noch nicht wirklich sagen, wie sie der Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was macht die Landesregierung jetzt? Jetzt macht sie sich an die Integrationsräte heran, degradiert sie zu Kaffeekränzchen und gibt wieder einmal an, dass sie doch ein besseres Konzept zur politischen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten entwickeln wolle.

Die Folge der Verlautbarung – übrigens überwiegend über die Presse – ist ein tief zerrüttetes Verhältnis zu den zahlreichen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern, die sich zu Recht in ihrer jahrelangen Arbeit nicht mehr wertgeschätzt fühlen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die politische Teilhabe von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist eine der tragenden Säulen beim gesellschaftlichen Integrationsprozess. Sie ist ein viel zu drängendes gesamtgesellschaftliches Thema, als dass es mal eben so mit saloppen Äußerungen angegangen werden darf.

Wir brauchen eine seriöse Auseinandersetzung, wie Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in NRW haben, unabhängig von ihrer Herkunft und Staatsangehörigkeit adäquat am politischen Leben beteiligt werden können.

Zu einer ernsthaften Auseinandersetzung, Herr Minister Stamp, gehört natürlich auch, dass wir offen aussprechen, wo es bei den vorhandenen Instrumenten auch mal hapert.

Die Vorrednerrinnen, Frau Wermer und Herr Lenzen, hatten es angesprochen: Die niedrige Wahlbeteiligung zu den Integrationsräten von knapp 14 % ist ein Problem.

Schaut man sich allerdings die Entwicklung der Zahlen an, stellt man fest, dass sich die Wahlbeteiligung alleine schon durch die Zusammenlegung der Wahlen zu den Integrationsräten mit den Kommunalwahlen 2014 fast verdoppelt hat. Sie können zu Recht darauf hinweisen, dass auch die Zahl der Wahlberechtigten gestiegen sei. Aber damit kann man das nicht widerlegen, glaube ich.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Herr Minister Stamp, Sie können übrigens stolz darauf sein, dass Bonn die Stadt mit der höchsten Beteiligung bei der Wahl zu den Integrationsräten war. Das ist doch eigentlich ein Grund, als Bonner Integrationsräte zu stärken und nicht zu schwächen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bereits letzte Woche im Integrationsausschuss, aber auch hier – Frau Wermer, Sie haben es vorgetragen – wurde die geringe Anzahl von Frauen in den Integrationsräten, und zwar zu Recht, bemängelt. Ich fand und finde es allerdings sehr bemerkenswert, dass ausgerechnet dieser Kritikpunkt von der CDU-Fraktion vorgetragen wird.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mit derselben Vehemenz Ihre Kritik zum Ausdruck bringen würden, dass im neuen Bundestag gerade die Frauenquote den niedrigsten Stand seit 1998 erreicht hat. Zu diesem Negativtrend haben insbesondere die Fraktionen von CDU und FDP beigetragen, und zwar mit einem Anteil von nur 20 %, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch einen Hinweis. Während Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, sich immer noch der Einführung einer Quote verschließen, gibt es heute sehr wohl schon Listen in den Integrationsräten, die sich dieser Problemlage bewusst sind, sich quotiert aufgestellt haben und darüber hinaus sogar ganz klar auch die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender in ihren Wahlprogrammen verankert haben, zum Beispiel die Grün-Offene Liste im Kölner Integrationsrat. Auch das kann man sich, glaube ich, einmal als ein Beispiel zu Herzen nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb gehört zu einer ernsthaften Auseinandersetzung auch, dass man Migrantinnen und Migranten und ihren Organisationen eben nicht mit einer Doppelmoral begegnet, sondern selbst auch mit gutem Beispiel vorangeht.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich – Herr Sieveke, hören Sie ruhig zu – an dieser Stelle auch in aller Deutlichkeit sagen: Es hat mich zutiefst empört und wütend gemacht, dass nach der Verabschiedung der Armenien-Resolution 2016 im Deutschen Bundestag aus einigen Integrationsräten auch menschenverachtende Äußerungen bis hin zur Leugnung des Völkermordes getätigt wurden. Nicht selten waren übrigens grüne Politikerinnen und Politiker Ziel dieser nationalistischen Attacken.

Doch auch auf diese Entwicklung braucht es eine politische Antwort mit einer klaren Haltung – so, wie wir auch auf alle anderen antidemokratischen und nationalistischen Tendenzen reagieren. Die Antwort darauf kann nicht sein, ein demokratisches Gremium wie den Integrationsrat gänzlich infrage zu stellen oder abzuschaffen. Das geht nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn nur mit einer klaren politischen Haltung kann unsere Einwanderungsgesellschaft pluralistisch und demokratisch gestaltet werden, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen.

Integrationsräte sind für viele Menschen, die eingewandert sind, und für deren Nachkommen nicht nur irgendein politisches Gremium, sondern immer noch das einzige Gremium, für das sie ein Wahlrecht haben. Das ist das Besondere an ihnen – im Gegensatz zu den von der CDU und der FDP in ihrem Entschließungsantrag als Option vorgeschlagenen Integrationsausschüssen.

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der politischen Partizipation in den Gemeinden konnten 2013 die Integrationsräte in den Kommunen weiter gestärkt und ihre Rolle als Partizipationsgremium weiter ausgebaut werden. Das war ein wichtiger Schritt nach vorne. Solange es kein Kommunalwahlrecht für Angehörige von Drittstaaten gibt, haben Integrationsräte die besondere Aufgabe und Verantwortung, durch ihre direkt gewählten Mitglieder den Anliegen von Migrantinnen und Migranten eine Stimme zu geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir Grüne werden uns auch weiterhin für das kommunale Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger aus Nicht-EU-Ländern einsetzen, damit Menschen, die seit Generationen hier leben, endlich auch zu Bürgerinnen und Bürgern erster Klasse gemacht werden. Eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben vor Ort ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen unserer Einwanderungsgesellschaft.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch wenn ich mir Ihren Antrag etwas differenzierter gewünscht hätte, ist er vom Ansatz her richtig und unterstützenswert, da er darauf abzielt, Integrationsräte als Beteiligungsgremium zu stärken und auszubauen.

Den Entschließungsantrag von CDU und FDP lehnen wir ab, weil er eben nicht gewährleistet, dass überhaupt und wie in den geplanten Integrationsausschüssen in den Kommunen tatsächlich auch gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Migrantinnen und Migranten partizipieren sollen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der AfD Frau Abgeordnete Walger-Demolsky das Wort. Bitte.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Vorweg: Seit der Gründung der AfD haben wir ein Gesetz zur Regelung der Zuwanderung gefordert. Dazu gehört selbstverständlich auch jede sinnvolle Maßnahme zur Integration.

2010 wurden erstmalig flächendeckend in NRW Integrationsräte in den Kommunen gewählt. Die Wahlbeteiligung der damals rund 1,14 Millionen wahlberechtigten Ausländer lag bei knapp über 11 % und blieb dabei weit hinter den Erwartungen zurück. 2013 wurden die Wahlen in den Gemeindeordnungen neu geregelt.

2014 wurden die Integrationsräte dann – zeitgleich mit den Kommunalwahlen, aber dennoch mit einem großen logistischen Aufwand – neu gewählt. Diesmal gab es 1,8 Millionen Wahlberechtigte; denn man hatte das Wahlrecht auf einen Teil der deutschen Staatsbürger ausgeweitet. Wählen durften also nicht nur Ausländer, sondern auch Deutsche mit Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung oder Deutsche, die als Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft durch Geburt im Inland erworben haben.

Es gibt also seit 2014 eine große Zahl Deutscher mit einem besonderen Wahlrecht, das den sogenannten Bio-Deutschen aber vorenthalten bleibt. Das mag auch ein Grund sein, warum diese Integrationsräte in der Bevölkerung zum Teil gar nicht bekannt sind und zu einem anderen Teil mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle schon einmal feststellen, dass in sehr vielen Integrationsräten – trotz einiger Kritikpunkte am Konzept – zum Teil richtig gute Arbeit geleistet wird. Aber dazu komme ich später.

(Beifall von der AfD)

Trotz der deutlich vergrößerten Wahlberechtigtengruppe blieb auch 2014 die Wahlbeteiligung ernüchternd gering, nämlich bei 13,6 %.

Eine weitergehende Analyse der Zahlen, die vom Landesintegrationsrat NRW herausgegeben wurde – denn im Land hat man sich nicht die Mühe gemacht, die Daten zu sammeln –, war ebenfalls erstaunlich. Lag die Wahlbeteiligung 2010 immerhin noch in zehn Gemeinden über 20 %, waren es 2014 gerade noch drei Gemeinden mit einer Wahlbeteiligung von oder über 20 %. In 32 Gemeinden ist die prozentuale Beteiligung sogar gesunken, und zwar zum Teil sehr deutlich, beispielsweise in Gladbeck von über 27 auf 19 % oder in Kamen von über 32 auf 18 %. Es muss doch einfach einmal analysiert werden, warum das so ist. Da kann man nicht einfach weitermachen. Das ist nicht sinnvoll.

(Beifall von der AfD)

An mangelnder Unterstützung kann es auch nicht gelegen haben. Denn gemeinsam mit dem Landesverband der Volkshochschulen von NRW, der Landeszentrale für politische Bildung NRW, dem Landesintegrationsrat, dem damaligen Landesministerium für Arbeit, Integration und Soziales und den Kommunalen Integrationszentren wurden im Vorfeld der Wahlen an Volkshochschulen beispielsweise Informations- und Qualifizierungsreihen zum Thema „Die Politik in unserer Stadt mitgestalten“ oder zu Themen wie Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation für die Kandidaten angeboten.

Wahlberechtigte wurden weitgehend aktiv informiert. Für Rückfragen standen die Wahlbüros jederzeit hilfreich zur Seite.

Was die Wahlen gekostet haben, konnte mir kein Kreiswahlleiter sagen. Ich habe einige angerufen und gefragt. Eine solche Statistik wurde ebenfalls nicht geführt. Das finde ich äußerst bemerkenswert.

Daher halte ich es allerdings auch für unwahrscheinlich, dass der Kostendruck eine Kommune veranlassen könnte, Integrationsräte durch Integrationsausschüsse zu ersetzen, wenn Gemeinden die Wahlfreiheit bekämen. Das hatte Herr Yetim in der letzten Ausschusssitzung angemerkt. Ich glaube vielmehr, dass die mangelnde Legitimation durch die geringe Wahlbeteiligung eine solche Entscheidung maßgeblich beeinflussen wird – insbesondere bei den 40 Gemeinden, bei denen die Beteiligung noch unter dem Landesdurchschnitt von 13,6 % gelegen hat.

Ein weiterer Kritikpunkt ist in vielen Gemeinden die Verknüpfung der Listen mit Parteien, die eigentlich schon über die Fraktionen entsendet werden, oder auch mit Religionsgemeinschaften. Ein paar Beispiele sind die Liste der islamischen Kulturvereine, die allgemeine türkisch-islamische Liste oder auch die Liste der alevitischen Kulturvereine. Hier sehen wir also eine enge Verquickung, die die Trennung zwischen Kirche und Staat nicht wirklich fördert.

(Beifall von der AfD)

Trotz unserer Kritik am Wahlverfahren, an der mangelnden Legitimation und auch an den Listen, die aus unserer Sicht zum Teil problembehaftet sind, machen viele Integrationsräte einen guten Job. Ich habe zig Niederschriften der letzten Jahre gelesen und konnte feststellen, dass im Prinzip alle Diskussionen kommunale Themen und Fragen behandeln. Die Arbeitsweise schien mir der der kommunalen Ausschüsse dabei ohnehin sehr ähnlich zu sein – zumindest bei denen, bei denen ich es nachgelesen habe.

Wenn man dann in der Zeitung liest, man sei eine Art Kaffeekränzchen, das sich nur um Straßenfeste kümmere, kann ich die Empörung durchaus verstehen – übrigens auch die Empörung mancher Bezirksvertreter, die aufgrund geringer Entscheidungsbefugnis möglicherweise einer ähnlichen Beurteilung unterliegen. Hier wäre tatsächlich mehr Fingerspitzengefühl angesagt. Denn nicht jeder hat so ein dickes Fell wie wir, Herr Stamp.

(Beifall von der AfD)

Eine Neustrukturierung, klare Ziele und Arbeitsbereiche sowie die Möglichkeiten für die Kommunen, zwischen der Einrichtung von sinnvollen paritätischen Ausschüssen und der Beibehaltung der Integrationsräte zu wählen, halten wir für durchaus vernünftig. Ob nicht auch jeder Inländer das Recht haben sollte, durch aktives Wahlrecht an Integration beteiligt zu werden, wenn Integrationsräte gewählt werden, könnte einmal überprüft und überdacht werden.

In diesem Sinne sehen wir einer Novellierung durch die Regierung entgegen und werden dem Antrag der SPD nicht zustimmen.

Der Entschließungsantrag von CDU und FDP ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Antrag entbindet die Regierung aber nicht von der Aufgabe, die kompletten Rahmenbedingungen zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Walger-Demolsky.

Weil es gerade angefragt wurde, erlaube ich mir folgenden Hinweis: Die Abgeordnete hat, als sie an das Mikrofon herangetreten ist, das Präsidium mit „Frau Präsidentin!“ gegrüßt. Es ist aber offensichtlich schon mehrfach aufgefallen, dass dies manchmal nicht ins Mikrofon gesprochen wird und dann auch nicht vom Sitzungsdokumentarischen Dienst protokolliert wird. Ich erlaube mir den Hinweis, dass es hier im Haus geübte Praxis ist, dies ins Mikrofon zu sagen, damit es auch für das Protokoll erfasst werden kann.

Als nächster Redner hat nun für die Landesregierung Herr Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

„Die Beiräte sind zwar die einzigen demokratisch legitimierten Gremien von Einwohnerinnen und Einwohnern mit ausländischer Staatsangehörigkeit, aber sie erhielten im Laufe der Jahre aufgrund ihrer ausschließlich beratenden Kompetenzen immer weniger Rückhalt in der ausländischen Wahlbevölkerung. Dies spiegelt sich in der Wahlbeteiligung wieder, die sowohl im Laufe der Jahre als auch zwischen den Gremien sehr unterschiedlich ist und oft unter 5 % und selten über 20 % liegt.“

Das ist eine Feststellung aus dem Nationalen Integrationsplan unter der Verantwortung von Frau Özoğuz. Herr Kollege Yetim, liebe Abgeordnete der Sozialdemokratie, wir halten es an dieser Stelle wie Ihre Parteifreundin und haben uns deshalb vorgenommen, die Mitbestimmung in den Räten aufzuwerten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden das im Dialog mit dem Landesintegrationsrat, mit den Oppositionsfraktionen und mit den Migrantenselbstorganisationen tun.

Die Federführung liegt deswegen im Ministerium für Kommunales, weil dann natürlich für die Wahl 2020 eine Änderung der Gemeindeordnung notwendig wird. Deswegen haben wir diese Aufteilung so vorgenommen.

Es hat bereits erste Gespräche gegeben, die die Zielrichtung haben, zwei Alternativen für die Kommunen zu schaffen. Zum Ersten sollen sie dort, wo es funktioniert, die Integrationsräte beibehalten können. Zum Zweiten sollen sie die Möglichkeit haben, aufgewertete Integrationsausschüsse zu bekommen, die dann auch tatsächlich ein Mitspracherecht in der Kommune haben.

Frau Abgeordnete, es besteht sehr wohl ein Unterschied zwischen den Kompetenzen eines Integrationsrates und den Kompetenzen der Bezirksvertretungen; denn es gibt ganz bestimmte Bereiche, in denen die Bezirksvertretungen ganz alleine entscheiden können. Ich empfehle Ihnen, dass Sie sich einmal mit der Gemeindeordnung auseinandersetzen, bevor Sie hier Vergleiche vortragen, die schlichtweg nicht der Wahrheit entsprechen.

Uns geht es – und das haben wir von Anfang an gesagt – um eine Stärkung der Mitwirkung. Der Kollege Yetim hat es angesprochen: Ich bin selbst zehn Jahre lang Mitglied eines Integrationsrates gewesen – eines Integrationsrates, bei dem ich mir manchmal gewünscht hätte, er wäre wenigstens ein Kaffeekränzchen gewesen, und bei dem ich mir manchmal gewünscht hätte, dass man nicht die Zeit mit Diskussionen über Resolutionen vergeudet, die überhaupt keine politische Relevanz hatten.

Ich hätte mir eine ernsthafte Auseinandersetzung beispielsweise über die Frage gewünscht, wie wir in den Stadtteilen zu einem anderen Quartiermanagement kommen und wie die Beteiligung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den entsprechenden Vierteln auch tatsächlich relevant werden kann.

Das ist aber nicht der Fall gewesen, weil dieses Gremium schlichtweg nicht die Kompetenz gehabt hat.

Wir machen hingegen verbindliche Integrationsarbeit. Das lassen wir hier auch nicht infrage stellen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hören Sie auch einmal auf mit der Mär, wir hätten die Kommunen verunsichert. Wir haben vielleicht ein paar Funktionäre verunsichert, denen es im Grunde genommen nur darum geht, den Status quo beizubehalten, weil sie als Repräsentanten auf den Empfängen entsprechend begrüßt werden. Das ist aber nicht die Art und Weise, wie wir uns die Integrationsarbeit weiterhin vorstellen.

(Beifall von der FDP)

Insofern sage ich hier noch einmal ganz deutlich: Wir werden mit dem Landesintegrationsrat selbstverständlich weiter die Dinge diskutieren und in einem Austausch bleiben. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass ich es sehr kritisch sehe, wenn man eine Resolution vorlegt, in den Medien Dinge kritisiert, der Landesregierung Dinge unterstellt, die überhaupt nicht im Raum stehen,

(Nadja Lüders [SPD]: Wer hat das denn verursacht?)

der Minister anschließend dreieinhalb Stunden mit dem Gremium spricht,

(Nadja Lüders [SPD]: Wer hat das denn verursacht?)

es anhaltenden Beifall gibt,

(Michael Hübner [SPD]: Für wen?)

alle Vertreter kommen, um Selfies zu machen, und es überall Gruppenfotos gibt, aber anschließend, nachdem der Minister den Saal verlassen hat, die Mehrheit die Resolution beschließt. Das ist kein Umgang, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Übrigen haben sich Mitglieder des Landesintegrationsrates mittlerweile bei mir persönlich dafür entschuldigt.

Dass unsere Staatssekretärin dann die Konsequenz daraus zieht und in dieser Stimmungslage nicht an der Veranstaltung teilnimmt, war richtig und im Übrigen auch mit mir abgestimmt.

Sie brauchen hier also nichts zu konstruieren. Wir ziehen hier gemeinsam an einem Strang, und zwar in die richtige Richtung, nämlich für mehr verbindliche Integration in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Yetim, wenn Sie sagen, wir hätten hier noch gar nichts auf den Tisch gelegt, muss ich Sie fragen: Wo sind denn eigentlich Ihre Vorschläge? Sie sagen die ganze Zeit, wir sollten die Möglichkeiten der Integrationsräte verbessern. Wo sind Ihre Vorschläge? Wo denn?

(Frank Müller [SPD]: Gucken Sie einmal auf die Uhr, wann wir heute fertig sind! Wo sind denn die Vorschläge der Landesregierung? 14 Uhr Feierabend!)

Sie haben nichts vorgelegt.

Stattdessen – das muss ich ganz ehrlich sagen – haben Sie zu Beginn Ihrer Rede zwei Minuten lang unflätige Bemerkungen über die Kollegen der CDU und der Freien Demokraten gemacht. Das war für eine solche Debatte völlig unangemessen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie unterbreche. Frau Abgeordnete Lüders von der Fraktion der SPD würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Ja, gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Kollegin Lüders.

Nadja Lüders (SPD): Herzlichen Dank. – Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass das Vorgehen mit Ihrer Staatssekretärin Güler abgestimmt war. War das Interview der Staatssekretärin Güler im „Kölner Stadt-Anzeiger“ auch mit Ihnen abgestimmt?

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Liebe Frau Abgeordnete Lüders, es ist nicht so, dass die Staatssekretärin sich vorher das Okay des Ministers abholen muss, wenn sie sich in der Presse äußern will. Ich kann nur sagen, dass das, was sie in diesem Interview geäußert hat, auch Meinung der Hausleitung ist. So einfach ist das.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube auch, dass wir jetzt nicht den Fehler machen sollten, Dinge weiter über die Presse auszutauschen. Wir werden unseren Entwurf vorlegen. Dann werden wir ihn mit Ihnen, mit den Migrantenselbstorganisationen und mit dem Landesintegrationsrat diskutieren.

Wir werden mehr Offenheit zeigen als Rot-Grün beim letzten Gesetzgebungsverfahren in dieser Angelegenheit. Denn alle guten Argumente für die gut funktionierenden Integrationsausschüsse und dafür, diese als Option beizubehalten, sind von Ihnen damals einfach beiseitegewischt worden. Das war „Basta!“-Politik. Wir werden mit allen Beteiligten in einen Dialog dazu einsteigen, wie wir die Integration hier vernünftig weiterentwickeln.

Damit habe ich zu diesem Thema jetzt auch genug gesagt, denke ich. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Hoppe-Biermeyer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Mitgliedern aus Integrationsräten aus ganz Nordrhein-Westfalen getroffen. Auf ihre Arbeit angesprochen, habe ich extrem unterschiedliche Reaktionen erhalten. Die Bandbreite der Kommentare reichte von „reine Zeitverschwendung“ über „kann so bleiben“ bis „sollte mehr politisches Gewicht bekommen“. Die gute Nachricht zuerst: Die meisten wissen, dass Integration wichtig ist – übrigens auch die, die die Integrationsräte für reine Zeitverschwendung halten.

Integrationsräte hatten nicht immer diesen Stellenwert. Nach dem Anwerbestopp 1973 blieben viele Gastarbeiter in Deutschland. In knapp zwei Jahrzehnten waren 14 Millionen Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, von denen 12 Millionen wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Die hiergebliebenen 2 Millionen ehemaligen Gastarbeiter, von denen viele ihre Familien nachholten, und ihre Nachkommen bilden heute die größte Gruppe unter den Bürgern mit Migrationshintergrund in Deutschland.

Über Integration sprach in den 70er-Jahren aber fast niemand. Gezielte Integrationspolitik gab es vor 45 Jahren praktisch nicht. Integration war eher ein Zufallsprodukt. Die Folge: Viele aus der ersten Generation haben nie richtig Deutsch gelernt.

Sprache ist ohne Frage der wichtigste Schlüssel zur Integration. An dieser Stelle ist Integration in der Vergangenheit in mehreren Hunderttausend, wenn nicht gar Millionen Fällen gescheitert. Mit dem Wissen um die Fehler der Vergangenheit und um die Wichtigkeit der Integration heute können wir das jetzt besser machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie schildern in Ihrem Antrag sehr schön die chronologische Entwicklung von der Gründung von Ausländerbeiräten in den 70er- und 80er-Jahren über die Aufnahme der Ausländerbeiräte in die Gemeindeordnung bis zu den Integrationsräten heutiger Prägung. – Punkt.

Wenn ich Ihren Antrag richtig verstehe, endet mit den Integrationsräten diese Entwicklung. Sind die Integrationsräte also der Weisheit letzter Schluss? Ich glaube nicht.

Im letzten Satz Ihres Antrags sprechen Sie zwar von einem Prozess der Weiterentwicklung der Integrationsräte. Aber woher kann denn die Weiterentwicklung kommen, wenn doch alles so bleiben soll, wie es ist?

Auch sonst trägt der Antrag dick auf. Integrationsräte sind laut Ihrem Antrag das einzige Organisationsmodell für ein gleichberechtigtes Miteinander von Migrantinnen und Migranten sowie Ratsvertretern. Weiter heißt es, Migrantinnen und Migranten könnten in den Integrationsräten selbstbewusst und auf Augenhöhe mit den Ratsmitgliedern lokale Integrationspolitik mitgestalten.

Ich sehe nicht, wie man aus einer Wahl mit einer Wahlbeteiligung von deutlich weniger als 20 % selbstbewusst und auf Augenhöhe hervorgehen kann.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich versichere jedem einzelnen Mitglied in allen Integrationsräten in Nordrhein-Westfalen meine persönliche Wertschätzung für die geleistete ehrenamtliche Arbeit. Aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass Integrationsräte nicht überall gleich gut funktionieren können. Zu unterschiedlich sind die Kommunen,

(Zuruf von der SPD)

zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen, und zu verschieden sind auch die handelnden Personen.

(Beifall von der CDU)

Gerade unter dem Gesichtspunkt der kommunalpolitischen Teilhabe kann zum Beispiel ein Integrationsausschuss in größeren Kommunen das besser passende Gremium sein. Nach § 27 der Gemeindeordnung ist heute in einer Gemeinde, in der mindestens 5.000 ausländische Einwohner ihren Hauptwohnsitz haben, ein Integrationsrat zu bilden. In kleineren Gemeinden konnte auch bisher schon optional ein Integrationsrat gebildet werden.

Ich komme aus einer kleineren Stadt, die keinen Integrationsrat bilden musste und es – wie die meisten Kommunen in Nordrhein-Westfalen – auch nicht getan hat. In meiner Heimatstadt gibt es stattdessen einen Arbeitskreis Integration, der sich aus Haupt- und Ehrenamtlichen zusammensetzt. Aufgaben erledigt er ähnlich wie ein Integrationsrat. Dieses Modell funktioniert für uns hervorragend.

Andernorts gibt es andere gut funktionierende Gremien. Entsprechend sollten wir auch größeren Kommunen mehr Gestaltungsspielraum geben, wenn es darum geht, Migrantinnen und Migranten die kommunalpolitische Teilhabe zu ermöglichen.

Die NRW-Koalition aus CDU und FDP schlägt Ihnen dazu heute ein Optionsmodell vor. Die Kommunen sollen in Zukunft selbst entscheiden können, ob wie bisher ein Integrationsrat oder – neu – ein Integrationsausschuss besser zu ihnen passt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der wesentliche Unterschied zwischen Ihrem Antrag und unserem Antrag liegt im Vertrauen zu den Kommunen.

(Beifall von der CDU)

Im Gegensatz zu Ihnen trauen wir den Kommunen nämlich zu, selbst zu entscheiden, was für sie am besten ist. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoppe-Biermeyer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Körfges das Wort. Bitte schön.

Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn es eines weiteren Nachweises für die Richtigkeit unseres Antrags bedurft hätte, wäre das der letzte Redebeitrag gewesen. Sie sprachen von einem Modell. – Von einem Modell kann ich nichts erkennen. Das ist eher ein untauglicher Versuch, die Partizipation von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund einzuschränken.

(Beifall von der SPD)

Sie weisen zu Recht darauf hin, Herr Dr. Stamp, dass Sie Dinge, die wir vereinheitlicht haben, rückgängig machen wollen. Darüber kann man sich in den politischen Diskurs begeben. Ich nenne Ihnen jetzt aber ein paar Dinge, die für uns unverzichtbar sind.

Integration ohne Partizipation ist nicht möglich. Und echte Partizipation setzt Augenhöhe voraus.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist nach unserer festen Überzeugung nur dann gegeben, wenn Ratsmitglieder und direkt gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Migrantinnen und Migranten vor Ort Integrationspolitik miteinander gestalten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Auch da bin ich durchaus der Meinung, dass man über alles diskutieren kann. Aber wenn man dann in einen Dialog einsteigt, indem man ein Presseinterview gibt und die Arbeit der Integrationsräte pauschal als „Kaffeekränzchen“ verunglimpft, zeugt das von wenig diplomatischem Geschick und auch nicht von einem ernsthaften Willen zum Dialog, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Unsere Vorstellung von Partizipation orientiert sich auch an Wahlrechtsgrundsätzen. Diese sind ja auch nicht von Ort zu Ort unterschiedlich. Es kann doch nicht an der Postleitzahl liegen, wie sich Partizipation von Migrantinnen und Migranten in unserem Land gestaltet.

(Beifall von der SPD)

Wir wollen sicherstellen, dass Menschen, die auf Dauer bei uns leben, hier ihre eigenen Vertreterinnen und Vertreter wählen können. Wir hatten in der Tat bei dem, was wir vor dem Jahre 2013 hatten, Demokratiedefizite gehabt. Demokratiedefizite hatten wir übrigens auch bei der Frage, wie beliebig man Wahltermine festlegen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir wollen und werden an dieser Stelle unseren Anspruch nicht aufgeben. Wir wollen nicht zurück zu einer Struktur, die mit demokratischen Defiziten behaftet ist. Wir wollen, dass diejenigen, die für die Bürgerinnen und Bürger mit ausländischen Wurzeln sprechen, überall auch von diesen gewählt werden. Wir wollen unmittelbare Mitwirkung auf Augenhöhe und keine mittelbare Fürsprache.

(Beifall von der SPD)

Ich räume ein: Nichts ist so gut, dass man es nicht verbessern kann. Ja, wir wären dazu bereit, in einen Dialog darüber einzutreten, wie man die Integrationsräte in unserem Land noch besser mit rechtlichen Möglichkeiten ausstatten kann. In der Gemeindeordnung gibt es durchaus noch Möglichkeiten, das zu verbessern.

Wenn Sie aber jetzt die jeweilige Kommune wahlfrei entscheiden lassen, dann legen Sie die Form der Partizipation in die Hände von einzelnen Personen. Das ist – Herr Minister Dr. Stamp hat zu Recht darauf hingewiesen – in dem einen oder anderen Fall dann eben sehr unterschiedlich.

Wir wollen direkt gewählte, selbstbewusste und auch demokratisch legitimierte Vertreterinnen und Vertreter, die dann auf Augenhöhe den Dialog suchen und nicht von Fall zu Fall durch eine demokratische Entscheidung eines Stadtrates in ihren bisherigen Rechten beschnitten werden.

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten wir ganz ausdrücklich darum: Überlegen Sie sich gut, was Sie machen. Es geht nämlich um nicht mehr und nicht weniger als den Grundsatz: Gelingende Partizipation ist eine wichtige Voraussetzung für gelingende Integration. – Wer das will, darf nicht, und zwar ohne jedes Konzept, an den bisherigen Partizipationsmöglichkeiten herumschrauben – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Körfges. – Für die Fraktion der AfD erhält noch einmal Frau Walger-Demolsky das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich bin lernfähig und gucke diesmal nach vorne. – Sehr verehrte Damen und Herren! Wir hatten letztens schon einen Disput darüber, wie die Ausgestaltung in der Gemeindeordnung ist. Sie erinnern sich sicher noch an die Zwei-Drittel-Ein-Drittel-Regelung.

Auch hier möchte ich Ihnen ganz ausdrücklich widersprechen. Die Gemeindeordnung klärt eben nicht einheitlich, was die Beschlussfähigkeit eines Integrationsrates ausmacht. In Bochum gibt es durchaus Beschlüsse in eigener Entscheidungsbefugnis. Beispielsweise wurde am 5. Oktober 2017 über die Zuschüsse zur Förderung von Vereinen und Initiativen im Bereich der Integrationsarbeit entschieden, und zwar über eine Gesamtsumme von 6.714 € für fünf Vereine.

Das ist eigene Entscheidungsbefugnis. Viel höher sind die Entscheidungsbefugnisse von Bezirken auch nicht. Auch in Bezirken entscheiden wir in der Regel über irgendwelche Dinge, die dann erst vom Hauptausschuss oder vom Rat genehmigt werden. Fragen Sie einmal in den Bezirken an. Vielleicht muss man da etwas tun. Vielleicht muss man auch da etwas ändern.

Die eigene Entscheidungsbefugnis ist in Integrationsräten also auch heute schon dann gegeben, wenn die Stadt das zulässt. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung noch einmal Herr Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Walger-Demolsky, ich habe sowohl im Bonner Integrationsrat als auch als Stadtverordneter und beratendes Mitglied 13 Jahre lang in der Bezirksvertretung Bonn an Sitzungen teilgenommen.

Daher weiß ich, dass die Bezirksvertretung selbstverständlich eine ganz andere Relevanz in der Frage dessen hat, was vor Ort entschieden wird. Es gibt viele stadtteilbezogene Dinge, die die Bezirksvertretung alleine entscheiden kann.

Bei den Integrationsräten gibt es in den Kommunen natürlich – da haben Sie recht – unterschiedliche Arten und Weisen. Teilweise werden gewisse kleine Etats – eine Art Spielgeld – zur Verfügung gestellt, sodass man dem einen oder anderen Verein ein bisschen etwas geben kann und vielleicht einen kleinen Preis verleihen kann. Das ist aber keine wirkliche Mitarbeit in der Integrationsarbeit der Kommune. Diese Arbeit findet in ganz anderen Ausschüssen statt.

Deswegen bin ich der Meinung, dass wir neue Möglichkeiten für einen neuartig ausgerichteten Integrationsausschuss schaffen müssen, der dann auch von allen anderen Ratsgremien ernst genommen wird.

Wie gesagt, wollen wir das als Option anbieten. Denn wir alle, die wir Erfahrungen vor Ort gesammelt haben, wissen, dass vieles, was in den Kommunen gemacht wird, auch mit den handelnden Personen zusammenhängt.

Dort, wo sie funktionsfähige Integrationsräte haben, wollen wir funktionierende Systeme doch nicht kaputt machen. Deswegen wollen wir explizit anbieten, dass man es dort, wo das gewünscht wird, auch beibehalten kann.

Aber wir wollen auch gerade den vielen Mitgliedern mit Einwanderungsgeschichte aus den Integrationsräten, die selber sagen: „Das, was wir hier machen, ist ein Kaffeekränzchen“ – daher kommt doch das Zitat überhaupt; meine Begrifflichkeit in diesem Zusammenhang war „Folklore“ –, die Chance für ein verbindlicheres Gremium geben.

Herr Körfges, das ist eben der Unterschied. Wir wollen nicht so tun, als gäbe es etwas, was es in Wahrheit gar nicht gibt, sondern wir wollen mehr echte Teilhabe schaffen, und zwar mit anderer Verbindlichkeit. Das ist unser Ansatz. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

 

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. – Das bleibt auch nach einem Blick in die Runde so. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1287. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags abstimmen lasse.

Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der SPD und die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Sehe ich keine. Fraktionslose Abgeordnete sind nicht im Raum. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/1287 nicht die erforderliche Mehrheit gefunden hat und abgelehnt wurde.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/1356. Wer dem Inhalt des Entschließungsantrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Langguth. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/1356 angenommen.

Wir kommen zu:

3   Neue Impulse zur nachhaltigen Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit: Finanzierung sichern, Instrumente reformieren, Langzeitarbeitslosigkeit reduzieren

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1283

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1338

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Abgeordneten Schmitz das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Marco Schmitz (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren ist die Beschäftigung in Deutschland auf einem Höchststand angekommen, und auch in NRW wächst die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.

Nach den heute Vormittag von der Bundesagentur veröffentlichten Zahlen waren über 6,8 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind gut 152.000 mehr als im Vorjahresmonat. Dieses Wachstum drückt sich auch im Bedarf nach Arbeitskräften aus. Im September dieses Jahres waren bei der Agentur für Arbeit gut 165.000 offene Stellen gemeldet, auch da rund 16 % mehr als im Vorjahresmonat.

Zugleich ist die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit Jahren. Die Arbeitslosigkeit entwickelt sich derzeit in NRW über das Saisonal Übliche hinaus positiv. Mit der konjunkturell guten Situation steigt auch die Nachfrage nach gut qualifizierten Fachkräften am Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen. Ausgebildete Fachkräfte werden am Arbeitsmarkt immer begehrter und leider auch immer knapper.

Wir wollen uns auf diesen positiven Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt in NRW aber nicht ausruhen. Bis zum Jahr 2025 soll die Arbeitslosenzahl in ganz Deutschland halbiert werden und im ganzen Land Vollbeschäftigung herrschen. Dieses Ziel unterstützt die NRW-Koalition. Wir halten es für realistisch und werden unsere Politik danach ausrichten.

Neben guten Rahmenbedingungen, um neue Jobs zu schaffen und bestehende zu erhalten, müssen vor allem die rund 290.000 Menschen in den Blick genommen werden, die trotz der über Jahre anhaltenden sehr guten Situation am Arbeitsmarkt weiterhin keine Beschäftigung finden konnten. Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist daher eine der elementaren Aufgaben der NRW-Koalition in dieser Legislaturperiode.

Die Gründe für die mangelnde Teilhabe am Arbeitsmarkt sind vielfältig: Eine fehlende Ausbildung, gesundheitliche oder psychische Probleme, mangelnde Deutschkenntnisse, Verschuldung oder die Verantwortung für Kleinkinder erschweren Langzeitarbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt.

Langzeitarbeitslosigkeit von Eltern hat gravierende Folgen für die spätere Berufsbiografie der Kinder. Hier ist es wichtig, dass die Eltern einem geregelten Tagesablauf nachgehen, um ihren Kindern ein Vorbild zu sein.

Die eine große Lösung wird es leider nicht geben. Vielmehr ist es nötig, die bestehenden Angebote und Maßnahmen gezielt anzupassen und zu erweitern. Deshalb müssen die Strukturen und die Rahmenbedingungen der Arbeitsvermittlung in den Blick genommen werden. Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen brauchen häufiger mehrjährige und stringent aufeinander aufbauende Maßnahmen, um den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Die derzeitige Finanzierungskulisse steht dieser Erkenntnis oft im Wege.

 Deshalb wollen wir uns auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Jobcenter gerade für längerfristig angelegte Maßnahmen Planungssicherheit in den überjährigen Mittelzuweisungen bekommen.

Als kommunaler Geschäftsführer eines Jobcenters in Düsseldorf habe ich oftmals miterlebt, dass der Weg in den ersten Arbeitsmarkt bei Menschen, die schon länger arbeitslos sind, selten gerade, vielmehr häufig über Kurven und Umwege erfolgte. Es ist nicht die eine Maßnahme, die den Durchbruch ermöglicht, sondern oft sind der Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt viele kleine Zwischenerfolge vorangegangen. Die Leistungsbeurteilungen in den Jobcentern müssen diese Erkenntnis stärker widerspiegeln. Wir fordern, dass erreichte Zwischenziele – zum Beispiel Teilqualifizierung, aber auch eine Suchttherapie – eine höhere Bedeutung bei der Zielsteuerung in den Jobcentern bekommen.

Im Blick behalten müssen wir dabei vor allem die Personengruppen, die einer besonderen Betreuung bedürfen, und für die die allgemeinen Maßnahmen nicht passgenau sind. Insbesondere ist hier die Gruppe der Alleinerziehenden, der älteren Arbeitslosen und der Geflüchteten zu nennen.

Wichtig ist uns aber vor allem, dass die Menschen nahe am ersten Arbeitsmarkt ausgebildet werden. Wir unterstützen den Aufbau von mittelfristig geförderten Beschäftigungsprogrammen für Langzeitarbeitslose, die zum Beispiel über Lohnkostenzuschüsse die Vermittlung arbeitsnaher Beschäftigung ermöglichen.

Die geschaffenen Beschäftigungsmöglichkeiten dürfen aber zu keiner Verdrängung bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs führen. Der direkte Kontakt zum regulären Arbeitsmarkt und die Einbindung in die Betriebe sollen schrittweise die Integrationsfähigkeit in den ersten Arbeitsmarkt erhöhen. Dabei sollen den Vermittelnden und ihren Arbeitgebern flankierende Leistungen wie Beratung und Coaching zur Verfügung stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Menge zu tun, aber wir machen es für die Zukunft unserer Bürgerinnen und Bürger und vor allem für die zukünftigen Generationen. Ich freue mich auf spannende Diskussionen im Ausschuss und hoffe, dass wir, auch wenn wir politisch andere Wege gehen, im Interesse der langzeitarbeitslosen Bürgerinnen und Bürger in NRW zu einem guten Ergebnis finden. Packen wir es jetzt an, die Langzeitarbeitslosigkeit in unserem Land wirksam zu reduzieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schmitz. – Für die weitere antragstellende Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Lenzen das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Jahren bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit viel erreicht. Wir erinnern uns an den Höchststand von 2005 mit fast 5 Millionen Arbeitslosen. Bei den neuesten Zahlen liegen wir bei unter 2,4 Millionen, was einer Halbierung gleicht. Wir erleben – das haben wir bei meinem Vorredner auch schon gehört – Rekordzahlen bei der Beschäftigung sowohl in Deutschland als auch in NRW.

Es gehört aber zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen, dass dies ohne die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 und die dadurch erhöhte Flexibilität des deutschen Arbeitsmarktes kaum möglich gewesen wäre.

Die Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass beispielsweise die Zeitarbeit eine Einstiegsmöglichkeit gerade für die Arbeitslosen mit geringen Qualifikationen bietet und diese Arbeitslosen durch die flexible Beschäftigung eine Chance auf unserem Arbeitsmarkt erhalten.

Jedoch hat die Politik der Großen Koalition in Berlin aus unserer Sicht in den letzten Jahren zu einer Gegenbewegung geführt. Statt den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, steht dort mehr und mehr der Kampf gegen einen vermeintlichen Missbrauch von Arbeitsmarktinstrumenten wie der Zeitarbeit im Fokus. Diese Fehlentscheidungen in der Arbeitsmarktpolitik werden im Falle einer nachlassenden Konjunktur oder gar einer Rezession die schwächsten Arbeitnehmer umso härter treffen.

Zu den Schwächsten am Arbeitsmarkt zählen unter anderem die Langzeitarbeitslosen. Zwar ist auch die Langzeitarbeitslosigkeit infolge der Belebung des Arbeitsmarktes durch die Agenda-Reformen zunächst zurückgegangen, jedoch können wir seit 2009 beobachten, dass die Zahl relativ konstant bleibt. Wir haben also einen verfestigten Kern, der stehenbleibt.

Davon ist gerade Nordrhein-Westfalen besonders hart betroffen; denn in kaum einem anderen Bundesland gibt es so viele Langzeitarbeitslose wie in NRW. Es sind allein bei uns nicht nur knapp 290.000 Personen, sondern das macht auch fast 42 % aus, also einer der höchsten Anteile im Vergleich zu allen anderen Bundesländern. Demnach lebt jeder dritte Langzeitarbeitslose in Deutschland in unserem Bundesland. Diese hohe verfestigte strukturelle Arbeitslosigkeit ist eine Folge der verfehlten Politik der seit Mai abgewählten rot-grünen Landesregierung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zum Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft zählt auch, dass wir Chancen brauchen auf eine wirkliche Teilhabe auf und am Arbeitsmarkt. Wir müssen natürlich den Ursachen begegnen. Wir dürfen Langzeitarbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen lassen. Das heißt, wir müssen den Schwerpunkt auf Ausbildung und Qualifizierung legen, mit Instrumenten wie modularen Ausbildungen und einer verstärkten Förderung von Weiterbildung, um mehr Menschen eine Perspektive zur Qualifizierung zu eröffnen.

Ebenso müssen wir diejenigen, die eigene Anstrengungen unternehmen, auf ihrem Weg unterstützen. Das muss sich für sie lohnen. Deswegen müssen wir auch die Freibeträge und Anrechnungssätze für eigenes Einkommen im SGB II neu gestalten, sodass die Menschen selbst Schritt für Schritt aus eigener Kraft die Bedürftigkeit verlassen können und in Zukunft wieder auf eigenen Beinen stehen können.

(Beifall von der FDP)

Heute lohnt es sich kaum noch, eine Stunde mehr zu arbeiten, in der Annahme, man könnte dann mehr verdienen; denn nichts davon bleibt übrig. Es muss insbesondere attraktiver werden, vom Mini- in den Midijob zu wechseln und dort auch die Stundenzahl sukzessive auszuweiten. Deshalb brauchen wir eine gezielte Verbesserung der Hinzuverdienstgrenzen als einen zentralen Hebel zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit.

Zur Integration der Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt gehört auch, dass wir uns an die Menschen wenden, die aufgrund vielfältiger Vermittlungshemmnisse noch nirgendwo angekommen sind; bei denen wir es also noch nicht geschafft haben, sie mit den bestehenden Instrumenten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie sind faktisch abgekoppelt.

Dort setzen wir auf eine marktnahe Förderung von Beschäftigung, die zusammen mit Betrieben auf dem ersten Arbeitsmarkt organisiert wird. Wir wollen eben keinen auf Dauer angelegten sozialen Arbeitsmarkt fern von der Realität betrieblicher Abläufe.

Wir brauchen eine verlässliche Finanzierung, bei der bereits vorhandene Mittel vom Bund und von den Kommunen für passive Transferzahlungen gebündelt werden, sodass wir sie zur aktiven Förderung von Beschäftigung nutzen können. Diese Mittel können wir bei einer geminderten Produktivität der Betroffenen einsetzen und so auch wieder den Einstieg in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermöglichen. Für diesen Passiv-Aktiv-Transfer müssen wir auf Bundesebene die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, um so einen substanziellen Beitrag zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit zu leisten.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Unser Land wird sich beim Bund dafür einsetzen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lenzen. – Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Neumann das Wort.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Arbeit zu haben – das bedeutet nicht nur, Einkommen zu erzielen, sondern Arbeit ist ein wesentlicher Faktor zu einer vollwertigen Teilhabe an der Gesellschaft. Arbeit ist ein wichtiger Faktor für das Selbstwertgefühl jedes einzelnen Menschen.

Um nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeit zu finanzieren, brauchen wir die Passiv-Aktiv-Transferfinanzierung gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Als ich dies seinerzeit im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales vorgetragen habe, Herr Lenzen, haben Sie noch mit allen Mitteln dagegengesprochen und gemeint, das Einzige, was diesen Menschen helfen würde, sei der erste Arbeitsmarkt, und alles andere wäre unnütz.

Deshalb freue ich mich, dass Sie heute als Mitte-rechts-Regierung diesen Antrag stellen, zeigt er doch, dass Sie bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit einem enormen Lernprozess unterlegen sind.

(Beifall von der SPD)

Vielleicht waren Sie ja ein bisschen berauscht von den Jamaika-Sondierungen, in der Hoffnung, dass dort alles schnell umgesetzt würde. Nun ist der Kater eingetreten, und Sie müssen hier wieder sagen: Das muss jetzt doch noch der Bund regeln.

All das, was Sie uns jahrelang vorgeworfen haben, haben Sie heute hier vorgetragen. Aber das lege ich zur Seite.

Wir sind uns wohl darüber im Klaren, dass wir es ohne zusätzliche finanzielle Mittel bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, indem wir die Arbeit finanzieren, nicht schaffen werden, die 300.000 Menschen in Arbeit zu bringen.

Bei uns gibt es folgende Unterschiede zu Ihrem Konzept:

Wir setzen nach wie vor auf den sozialen Arbeitsmarkt.

Wir setzen nach wie vor auf die Erfahrungen, die die Kommunen in der Beschäftigungsförderung haben.

Wir setzen nach wie vor auf die Wohlfahrtspflege und die Kirchen, die die Menschen in diesem Prozess begleiten und entsprechende Angebote schaffen.

Wir setzen auf die Agentur für Arbeit und die Jobcenter, die seit Jahren in diesem Bereich Hervorragendes leisten.

Ja, wir setzen hier auf die Wirtschaft, das Handwerk und alle Handelnden, die mit Mut und mit der Möglichkeit, Zugang zu verschaffen und diese Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen, versuchen, die Menschen auf den Weg zu bringen und ihnen zu helfen.

Und wir setzen auf Gewerkschaften und Betriebsräte, die dieses gemeinsam mit den Arbeitgebern in den Betrieben ermöglichen können, wenn alle Beteiligten es wollen.

Ich bin froh, dass das eben von den Vorrednern vorgetragen wurde: Wir sprechen über eine Gruppe, die viele Vermittlungshemmnisse hat. Wir wissen, eine Vermittlung ist schwierig, und das Allheilmittel des ersten Arbeitsmarktes wird hier nicht einfach greifen.

Deshalb brauchen wir unterschiedliche Instrumentarien. Wir müssen auf bewährte Partnerinnen und Partner setzen, und wir müssen schrittweise je nach Einzelfall versuchen, den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt hinzubekommen. Das wird nicht mit der Brechstange gehen; das wird ein langwieriger Prozess sein.

Ich bin aber sehr froh darüber, dass wir uns hier im Hause jetzt einig sind, dass die Frage des Passiv-Aktiv-Transfers und seine Finanzierung eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels ist.

Dazu, dass Hinzuverdienstgrenzen in diesem Bereich die Lösung wären, sage ich: Im Gegenteil, Hinzuverdienstgrenzen werden eher die prekären Arbeitsverhältnisse im Markt zementieren, als dafür Sorge zu tragen, dass wir sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bekommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In der Frage sind wir wohl relativ weit auseinander, weil wir wissen, dass prekäre Beschäftigung und Hinzuverdienstgrenzen eher nachhaltig die Sozialkosten der Gesellschaft steigern werden, anstatt sie zu minimieren. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten.

Wir werden der Überweisung in den Ausschuss zustimmen und gemeinsam mit Ihnen versuchen, eine Lösung herbeizuführen, um für diese 300.000 Menschen bei uns im Lande eine nachhaltige Perspektive zu erhalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die grüne Fraktion spricht Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lenzen, Sie haben davon geredet – das haben Sie sich ja auch im Antrag nicht verkniffen –, die rot-grüne Regierung wäre abgewählt worden, weil sie in der Arbeitsmarktpolitik versagt hätte. Aber dann haben Sie in Ihrem Antrag ausschließlich Instrumente angeführt, die sich auf den Bund beziehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herzlichen Glückwunsch! Alles genauso machen, aber für eine neue Politik sorgen, das ist wohl nicht ganz ihr Ernst.

Eigentlich – da würde ich auch dem Kollegen Neumann zustimmen wollen – habe ich mich über den Antrag wirklich gefreut. Denn ich kann die Beschreibung des Kollegen Neumann aus dem Ausschuss nur unterstreichen.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Bei dem Wort „Aktiv-Passiv-Transfer“ gingen bei der FDP sofort alle Alarmleuchten an. Bei der CDU wusste man nicht so recht, was man davon halten sollte. Ihre Ablehnung war sehr klar.

Ich bin, Herr Kollege, froh darüber, dass Sie endlich eingesehen haben, dass es ein wichtiges Instrument – nicht das Instrument – ist, um nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeit zu finanzieren, wie es Kollege Neumann schon richtig gesagt hat. Das steht bei uns im Mittelpunkt.

Herr Schmitz, ich fand – offensichtlich ist das auch Ihrer Qualifikation geschuldet – die Analyse, die Sie über die Personen, über die wir hier reden, getroffen haben, sehr wichtig. Denn es geht ja darum – der erste Arbeitsmarkt als Allheilmittel ist ja das, was uns inhaltlich trennt –, dass wir über Menschen reden, die auch, wenn sie schon im Arbeitsleben drin sind, mit vielfältigen arbeitshemmenden Problemen zu kämpfen haben. Es geht los bei der Wohnungssuche, bei persönlichen Problemen, wie zum Beispiel – möglicherweise – Schulden, es gibt psychische Probleme usw. All das will ich völlig wertfrei und ohne moralische Gewichtung im Raum stehen lassen.

Wenn das so ist, sind die Probleme bei den meisten – das ist zumindest die Beobachtung –, wenn auch nicht bei allen, auch nach längeren Arbeitsphasen teilweise immer noch vorhanden, weil manche Probleme nicht kurzfristig zu lösen sind.

Deswegen teile ich die Auffassung nicht, dass über eine Maßnahme der Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt geschafft wird, sondern meine, dass es möglicherweise – hoffentlich nicht bei allen – ein längerfristiges Problem sein kann.

Es gibt mindestens zwei Varianten, damit umzugehen:

Die eine ist – das deutete sich bei Ihrem Wortbeitrag an, so habe ich ihn zumindest verstanden – zu sagen: Wir müssen die länger begleiten. – Da gibt es im ersten Arbeitsmarkt bei den Mitteln der Bundesagentur – da würde ich Ihnen auch zustimmen – im Moment keine ausreichenden Mittel, um das zu tun. Da sind wir ganz bei Ihnen, Sie zu unterstützen, damit das auf Bundesebene geändert wird.

Es gibt aber auch die zweite Erkenntnis, dass wir einen robusten – ich nenne es so, auch wenn es politisch-juristisch möglicherweise nicht so cool ist – zweiten Arbeitsmarkt benötigen. Das heißt, wir brauchen Projekte im sozialen Arbeitsmarkt, die es beispielsweise ermöglichen, wie es viele kommunale Träger vor Ort tun, dass Menschen mit Anleitern lernen, weiterhin zur Arbeit zu gehen, nicht unbedingt acht Stunden am Tag, sondern nur vier oder sechs, wenn sie es nicht anders können.

Die andere Variante, die ich ausdrücklich unterstützen würde – vielleicht finden wir da mal zueinander; dazu sollten wir die weitere Debatte nutzen; wir haben im Ausschuss die Möglichkeit, darüber zu reden –: Ich war sehr nahe bei Ihnen, zu sagen: Die öffentliche Hand kann auch Vergaben machen, in denen steht, dass Anbieter aus dem ersten Arbeitsmarkt, die Personen mit solchen Hemmnissen haben oder einstellen, einen gewissen Ausgleich bekommen. Das gibt unser Vergaberecht durchaus her. Warum soll man beispielsweise im Cateringbereich oder auch im Baubereich nicht Vergaben an Firmen machen, die Langzeitarbeitslose haben, die nicht so leistungsfähig sind, und die Firmen werden dann mit einem Punktesystem so begutachtet, dass sie solche Aufträge ausführen können?

Wir sollten die Ideologie deutlich abrüsten. Das ist eine klare Bitte an die FDP. Herr Kollege Lenzen, ich finde es gut, dass Sie beim Aktiv-Passiv-Transfer ein Stück weitergekommen sind. Jetzt wäre der nächste Schritt, Herr Kollege, auch beim Thema „sozialer Arbeitsmarkt“, bei dem der Minister die Mittel wie versprochen weitergeführt hat, auch inhaltlich ein Stück nach vorn zu kommen. Davon sind Sie, wie aus Ihrem Redebeitrag zu schließen war, noch ein ganzes Stück entfernt.

Wir reden über mindestens 300.000 Menschen mit ganz vielen Familien, die daran hängen. Die brauchen eine Perspektive. Die brauchen keine Perspektive von Projekt zu Projekt, sondern sie brauchen möglicherweise eine Perspektive über 20, 25, 30 Jahre. Da ist es allein mit Qualifizierung nicht getan. Es bedarf einer intensiven Begleitung und der Anerkennung, dass es unterschiedlich leistungsfähige Menschen in dieser Gesellschaft gibt. Darum müssen wir uns kümmern. Das ist unser Auftrag.

Deshalb freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss. Ich freue mich, dass ein Teil der Koalition ein Stück weitergekommen ist, und hoffe, dass der noch lahmende Teil nachziehen kann. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die AfD-Fraktion spricht nun Herr Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion unterstützt den Antrag der Regierungsfraktionen im Grundsatz. Jeder Bürger unseres Landes verdient eine Chance auf ein selbstbestimmtes und würdiges Leben. Diese Chance hat er nur, wenn er nicht dauerhaft auf Almosen angewiesen ist.

Unser NRW ist leider bei der Langzeitarbeitslosigkeit wieder einmal trauriger Spitzenreiter unter den Bundesländern. Es steht daher für uns außer Frage, dass das Ziel von Beschäftigungspolitik die Eingliederung in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt sein muss und nicht die Schaffung von Scheinarbeitsplätzen auf einem staatlich generierten zweiten Arbeitsmarkt, wie es der Entschließungsantrag fordert.

Hier liegt einiges im Argen. Die Hinzuverdienstgrenzen sind zu niedrig, und für viele Betroffene lohnt die Aufnahme einer Beschäftigung nicht, zumal im Niedriglohnsektor, um den es hier in der Regel geht. Zumindest wird das im Antrag angesprochen.

Dass der Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit meist nur über nachträgliche Qualifizierung führt, wird ebenfalls problematisiert, wenn auch nur halbherzig. Natürlich wird danach gerufen, dass hierfür neue Mittel bereitgestellt werden.

Meine Damen und Herren, das ist mutlos. Der Moloch der Bundesagentur für Arbeit hat reichlich Geld. Er ist nur eben ein Bürokratiemonster, das zerschlagen gehört. Er verwaltet sich in erster Linie selbst und schickt Menschen in sinnfreie oder zumindest sinnarme Beschäftigungsmaßnahmen, nur damit die Statistik nett aussieht.

Da fehlt es Ihnen eben an Mut. Das könnte vielleicht daran liegen, dass Ihre Freunde in den Unternehmerverbänden – soweit es die CDU betrifft – und bei den Gewerkschaften – was die SPD angeht – daraus eine echte Industrie gemacht haben und daran sehr, sehr gut verdienen. Hier hätten Sie Mut haben sollen und hätten die Ursachen klar benennen sollen.

Das zieht sich durch den Antrag. Sie befassen sich mit Arbeitslosigkeit und reden nicht über die in allen Statistiken unübersehbare Hauptursache, den Migrationshintergrund. Nach neuesten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit haben ganze 43 % der Arbeitslosen einen solchen. Hier ist die Entwicklung negativ. 2013 waren es noch 36 %.

Meine Damen und Herren von den Altparteien, Sie haben das Problem geschaffen und Sie machen es immer größer. Jetzt werden Sie gleich sagen, die haben ja zum großen Teil einen deutschen Pass. Auch da haben Sie recht. Aber Sie haben nicht nur zu viele reingelassen, Sie haben natürlich auch zu viele mit der deutschen Staatsbürgerschaft ausgestattet. Das können wir in der Tat nicht mehr ändern. Sie sollten an dieser Stelle einen Schlusspunkt setzen und weniger Zuzug, weniger Familiennachzug zulassen und natürlich Abschiebungen konsequent durchführen.

(Beifall von der AfD)

Denn eines muss ganz klar sein: Das Letzte, was ein Langzeitarbeitsloser braucht, sind Konkurrenten im Bereich geringqualifizierter Beschäftigung. Genau hier importieren Sie Arbeitskräfte ohne verwertbare Qualifikation, ohne Sprachkenntnisse, nicht selten sogar richtige Analphabeten. Sie legen damit nicht nur den Grundstein für eine ganz neue Generation von Menschen, die einer geregelten Erwerbstätigkeit nicht nachgehen, Sie schaffen damit einen neuen Zündstoff unter den Ärmsten der Armen in unserer Gesellschaft.

(Beifall von der AfD)

Die dürfen dann nämlich nicht nur um billigen Wohnraum, sondern auch gleich noch um die Arbeit in diesem Bereich mit denen konkurrieren, die noch nicht so lange hier sind.

Nicht nur deshalb ist der Antrag ziemlich dünn. Die Diagnose ist schon unvollständig, aber bei den Antworten bleibt er noch spärlicher. Hier sollte man, dort müsste man und am Ende ist sowieso für alles der Bund zuständig. – Meine Damen und Herren von der CDU, dort regieren Sie übrigens auch, und das seit zwölf Jahren. Warum kommt da nichts?

(Beifall von der AfD)

Es kann nicht sein, dass der alleinige Zweck des deutschen Föderalismus darin liegt, dass jeder jemanden hat, auf den er die Verantwortung abschieben kann. Nein, meine Damen und Herren, das ist zu wenig, zu mutlos, zu kraftlos, um wirklich zu überzeugen. Ich hoffe, da fällt Ihnen noch etwas mehr ein, vielleicht im Ausschuss. – Einer Überweisung stimmen wir natürlich zu.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tritschler. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laumann.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist nicht nur ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen, weil der Landtag tagt und über Arbeitsmarktpolitik redet, sondern auch, weil heute die neuen Arbeitslosenzahlen für Deutschland und für Nordrhein-Westfalen veröffentlicht worden sind.

Deshalb freue ich mich erst einmal darüber, dass ich Ihnen sagen kann, dass die Langzeitarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen seit September 2017 um 5.000 Leute abgenommen hat. Ich freue mich darüber, dass im Vergleich zum November 2016 im November 2017 die Langzeitarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen um 16.300 abgenommen hat. Selbst wenn wir von dieser Zahl diejenigen abziehen, die sich in Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarkts befinden, sind es immer noch weit über 10.000 Langzeitarbeitslose, die in den letzten zwölf Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden haben.

Ich finde, darüber sollte man sich einmal freuen, weil der Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen in Bewegung gekommen ist, und dies in die richtige Richtung.

(Jochen Ott [SPD]: Er spricht genauso wie im Wahlkampf!)

Wenn wir daran denken, dass wir die Gesamtarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen in den letzten zwölf Monaten um fast 27.000 Leute abbauen konnten, dann ist das mehr, als irgendein zweiter Arbeitsmarkt schaffen kann.

Nach den Veröffentlichungen werden zudem noch 165.723 freie Arbeitsstellen in Nordrhein-Westfalen gemeldet. Das ist ein Zeichen dafür, dass der Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen lebt und in Bewegung ist, und zwar in die Richtung, die wir uns alle wünschen: in Richtung von mehr Beschäftigung.

(Beifall von der CDU)

Der Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen zeigt sich damit auch in der Herbstperiode besonders robust. Natürlich weiß ich auch, dass wir das der guten Konjunktur in Deutschland zu verdanken haben. Andererseits aber fördert die neue Landesregierung mit einer klugen Politik, mit einem investitions- und innovationsfreundlichen Klima und weniger Bürokratie das Wirtschaftswachstum. Deswegen gehört es zu einer solchen Debatte auch, zu sagen: Es ist eine absolute Voraussetzung für einen guten Arbeitsmarkt, diese Politik weiter fortzusetzen.

(Beifall von der CDU)

Darüber hinaus freue ich mich natürlich sehr über den Antrag, den die Fraktionen von CDU und FDP eingebracht haben. Wir unterhalten uns aber auch über den Entschließungsantrag der Grünen und die Rede, die der SPD-Kollege hier gehalten hat. Denn es zeigt sich, dass im nordrhein-westfälischen Landtag in Bezug auf die Frage des Passiv-Aktiv-Transfers Einmütigkeit herrscht. Ich glaube nicht, dass das in einem anderen Bundesland auch der Fall ist.

Ich glaube, dass dieses Zeichen aus dem nordrhein-westfälischen Landtag, insbesondere vor der Hintergrund der spannenden Zeit in Berlin, wo hoffentlich bald eine Bundesregierung gebildet wird, ganz wichtig für diejenigen ist, die sich dann dort über den Arbeitsmarkt unterhalten werden.

Ich werde noch in dieser Woche die Modellprojekte in Gelsenkirchen und Essen genehmigen; Duisburg befindet sich auf der Arbeitsebene in der Abstimmung. Es handelt sich um echte Modellprojekte, nicht einfach um ABM, die den Langzeitarbeitslosen nah an Betrieben eine Beschäftigungsmöglichkeit bieten.

Es ist völlig richtig, dass es in diesen Projekten sehr spannend ist, wie Kommunen etwa bei Ausschreibungen auch die Arbeitsvolumen, die sie vergeben, so bündeln, dass es Betrieben des ersten Arbeitsmarktes sogar möglich ist, mit einer gewissen Förderung Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit in die Belegschaften aufzunehmen.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Genau!)

Das ist mir deswegen so wichtig, weil ich glaube, dass es für die langzeitarbeitslosen Menschen gut ist, wenn sie nicht unter sich bleiben, sondern in Belegschaften mit Arbeitskolleginnen und -kollegen integriert werden, die verfestigt und schon lange auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind. Das ist Integration und Milieuüberwindung, wie wir sie viel mehr in Nordrhein-Westfalen brauchen.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken anführen, der in dem Antrag von CDU und FDP auch eine Rolle spielt: Natürlich muss man sich die Zuverdienstmöglichkeiten im SGB II angucken. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ein SGB-II-Empfänger mit Zuverdienst zunächst einmal jemand ist, der sich noch zu einem kleinen Teil im Arbeitsmarkt befindet und auch über Erfahrungswerte im Arbeitsmarkt verfügt.

Darüber nachzudenken, ein hohes Eigeninteresse dafür zu wecken, wie man es durch mehr und qualifiziertere Arbeit gleitend aus der SGB-II-Förderung heraus schaffen kann, ist doch kein Weg hin zu prekärer Beschäftigung. Es ist vielmehr ein Weg aus der Beschäftigungslosigkeit und dem Beschäftigungsmangel in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Das ist das Ziel, das ich und die Fraktionen verfolgen, die meine Politik in besonderer Weise unterstützen.

Ich glaube, dass wir diese Unterstützung nach guten Beratungen im Ausschuss auch von den gutwilligen Menschen in der Opposition bekommen können. Dafür bedanke ich mich schon jetzt und freue mich auf die fachliche Diskussion, die wir in den nächsten Wochen über die Fragen der Arbeitsmarktpolitik unseres Landes führen werden. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Die Landesregierung hat die vereinbarte Redezeit um etwa 1:20 Minuten überzogen. Das ist aber insofern kein Drama, als bisher keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.

Wenn das so bleibt, kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/1283. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags mit der genannten Drucksachennummer 17/1283 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Eine abschließende Abstimmung erfolgt im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1338 wird entsprechend überwiesen. Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen? – Nein. Dann schließe ich daraus, dass alle dafür sind und der Antrag somit überwiesen wurde.

Ich rufe auf:

4   Geschlechtergerechtigkeit durch den Kinder- und Jugendförderplan sicherstellen – öffentliche Mittel geschlechtergerecht verteilen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1280

Für die antragstellende Fraktion hat nun Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man sich über den grundsätzlichen Weg der finanziellen Ausgestaltung des Kinder- und Jugendförderplans einig ist – und ich glaube, wir sind uns im Grundsatz einig, dass es durchaus richtig ist, diese Erhöhung vorzunehmen; die Ankündigung, ab 2019 eine Dynamisierung vorzunehmen, hören wir übrigens gerne –, dann bleibt mehr Zeit für inhaltliche Debatten und dafür, sich inhaltlich mit der konkreten Ausgestaltung des Kinder- und Jugendförderplans auseinanderzusetzen.

Herr Witzel, Sie haben mir vorhin zugerufen: immer nur Quoten. – Nein, wir haben diesen Antrag eingebracht, weil wir zur Erreichung des Ziels der Gleichstellung von Frauen und Männern in dieser Gesellschaft auch noch andere Maßnahmen im Gepäck haben.

Es geht eben nicht nur um Quoten, sondern auch um die Frage von Gender-Budgeting als Analyseinstrument, um die Ziele finanzpolitisch abbilden zu können. Das ist schließlich auch Ihr Fachgebiet. Dementsprechend geht es nicht immer nur um Quoten, sondern es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die diesem Ziel Rechnung tragen sollen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Diese Debatte ist aus unserer Sicht auch deswegen notwendig, weil die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit einen wesentlichen Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, darstellen. Die vielfältigen Angebote und Angebotsstrukturen ermöglichen Jungen und Mädchen, aber auch allen, die sich vielleicht nicht so definieren, gesellschaftliche Teilhabe. Sie sind ein wesentlicher Baustein, wenn es um die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung geht.

Die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sind zudem ein wesentlicher Träger nonformaler und informeller Bildungsprozesse.

Nicht zuletzt geht es um Demokratie, um Bildung und um demokratische Teilhabe. Alles das sind Bereiche, die für Mädchen und Jungen gleichermaßen wichtig sind, die man aber auch geschlechtersensibel in den Blick nehmen muss.

Diese Ansicht wird bestärkt durch § 4 des Dritten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, in dem der Grundsatz der Gleichstellung von Mädchen und Jungen bei der Ausgestaltung von Angeboten der Jugendhilfe festgeschrieben ist. Konkret bedeutet das, dass geschlechtsspezifische Belange von Mädchen und Jungen, die Verbesserung der Lebenslagen, aber eben auch der Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligung zu berücksichtigen und Rollenzuschreibungen und Stereotype aufzubrechen sind.

Die vorgelegten Eckpunkte des neuen Kinder- und Jugendförderplans tragen dem Rechnung. Ziel 4 der Förderung lautet: Vielfalt fördern und gesellschaftlichen Zusammenhalt schaffen.

Es geht aber – und das ist mir wichtig – nicht nur darum, die Förderung von Vielfalt und die geschlechtersensible Ausgestaltung von Förderung in einem Förderbereich als eine Förderposition zu verstehen, sondern es ist eine absolute Querschnittsaufgabe.

Dem muss deshalb auch in Anknüpfung an Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes – wir haben in einem anderen Zusammenhang schon viel darüber diskutiert – der gesamte Kinder- und Jugendförderplan Rechnung tragen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Allerdings – und dieses Schicksal haben eigentlich alle Querschnittsaufgaben – droht immer, dass am Ende für die Querschnittsaufgabe keiner mehr zuständig ist, man durch das Raster fallen könnte und in den Mühlen des Alltags zermahlen wird.

Wir schlagen daher ein Instrument vor, wie dieser Frage der Geschlechtergerechtigkeit und der geschlechtersensiblen Ausgestaltung des Kinder-und Jugendförderplans Rechnung zu tragen ist, nämlich ein Instrument zur Überprüfung, ob die Mittel und die Instrumente wirksam und in der Umsetzung messbar sind. Konkret schlagen wir das Instrument des Gender-Budgeting vor, weil entgegen allen blumigen Ankündigungen in den Kinder- und Jugendförderplänen und den einschlägigen Gesetzen keine evidente Evaluierung vorliegt, ob diese Grundsätze in der Realität eingehalten werden.

Wir alle wissen: Politische und vor allem finanzrelevante politische Entscheidungen haben Auswirkungen auf Frauen und Männer und auf Jungen und Mädchen, die im Einzelfall sehr unterschiedlich sein können. Wir haben über viele Bereiche diskutiert. Gerade was die öffentliche Infrastruktur angeht, gibt es sehr unterschiedliche Bedarfe. Diesen Bedarfen gilt es Rechnung zu tragen.

Außerdem muss bei der Verausgabung öffentlicher Mittel im Hinblick auf die geschlechtergerechte Verteilung ein Überprüfungsinstrumentarium implementiert werden, und das schlagen wir exemplarisch für den Kinder- und Jugendförderplan vor.

Warum tun wir das? – Wir sind der Auffassung, dass der Kinder- und Jugendförderplan Nordrhein-Westfalen ein Best-Practice-Modell werden kann und soll, um geschlechtergerechte Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen, aber auch darüber hinaus, voranzutreiben, und hoffen, dass wir hier weiterhin konstruktiv beieinander bleiben. Wir haben jetzt gesagt, wir finden den Aufschlag gut, und hoffen natürlich, dass Sie sich unserer Erweiterung anschließen.

Nehmen Sie sich des Gender-Budgetings für den Kinder- und Jugendförderplan an, und machen Sie es sich zu eigen! – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Voßeler.

Margret Voßeler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema Gleichstellung ist ein Thema, das wir alle miteinander sehr ernst nehmen sollten und auch wollen. Unserer Gleichstellungspolitik liegt deshalb der Ansatz zugrunde, dass wir in einer freien Gesellschaft leben, in der sich jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht frei entfalten und entwickeln kann.

Dennoch müssen wir selbstverständlich zur Kenntnis nehmen, dass es in einigen Bereichen immer noch strukturelle Probleme gibt. Die Gleichstellungspolitik der Union besteht im Kern darin, strukturelle Benachteiligungen, die aufgrund des Geschlechts bestehen, zu beseitigen.

Um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen, wurden gezielt Maßnahmen eingeleitet und Gesetze verabschiedet – zum Beispiel das Elterngeldgesetz für beide Elternteile, das Pflegezeitgesetz oder die gesetzlichen Regelungen für mehr Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und zur Mütterrente.

Nun wollen Sie, die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das Prinzip des sogenannten Gender-Budgetings im Kinder- und Jugendförderplan der 17. Legislaturperiode verankern, um somit sicherzustellen, dass in jeder Position analysiert werden kann, ob und wie die Mittel bezogen auf die Geschlechter verteilt werden.

Dazu sage ich nur: Danke schön. Meine Damen und Herren, aus unserer und aus meiner Sicht ist die Implementierung von Gender-Budgeting im Kinder- und Jugendförderplan kein geeignetes Instrument, um die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. Außerdem sehe ich in Ihren Vorschlägen einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand, wobei er den Trägern pauschal unterstellt, sie würden ihrem Auftrag nicht nachkommen und man müsse sie jetzt erst einmal überprüfen – und das alles, ohne dem eigentlichen Ziel näherzukommen. Allein schon deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Einerseits sagen Sie, Frau Paul, in Ihrem Antrag, dass der Kinder- und Jugendförderplan des Landes NRW ein gutes Beispiel für eine gelungene geschlechterdifferenzierte Förderplanstruktur sei, und stellen fest, dass dort die Mädchen- und die Jungenarbeit sowie Gender-Mainstreaming sowohl als Querschnittsaufgabe wie auch als eigenständige Förderpositionen verankert seien. – Hier stimme ich Ihnen zu.

Andererseits sagen Sie zwei Absätze später, insgesamt müsse resümiert werden, dass keine evidenten Evaluierungen vorlägen, die zeigten, ob in allen Förderbereichen des Kinder- und Jugendförderplans das Gender-Mainstreaming-Prinzip erfolgreich umgesetzt worden sei.

Erlauben Sie mir die Frage: Was denn jetzt? Ein gelungenes Beispiel oder nicht? Lob für die Träger oder Misstrauen?

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das hat nichts mit Misstrauen zu tun, Frau Kollegin!)

Aus meiner Sicht ist Ihre Argumentation hier absolut nicht schlüssig. Außerdem müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie mit Ihrer Forderung nicht gerade wieder dabei sind, Geschlechterstereotypen reproduzieren zu wollen. Woher kommt Ihre Denke? Woher kommen Ihre Erkenntnisse? Auch das mehrfache Lesen des Antrags lässt mich ratlos zurück.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist aber Ihr Problem!)

Wenn ich zum Beispiel lese, dass geschlechterhomogene Räume für Mädchen auch weiterhin unverzichtbar seien, ohne dabei stereotype Rollenvorstellungen zu reproduzieren und zu verfestigen, hört sich das erst mal schön hochtrabend an, hinterlässt aber bei mir den Eindruck, dass Sie bei den Trägern offensichtlich große Defizite bei der Mädchenarbeit sehen und die Mädchen in einer Art Opferrolle vermuten.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Nein!)

Wir von der CDU sind da weiter. Wir vertrauen den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe, dass sie ihren Verpflichtungen und ihrem Auftrag nachkommen. Wir vertrauen ihnen dabei, dass sie Problemlagen vor Ort und bei ihren Zielgruppen besser kennen als wir.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Da bin ich mir nach Ihrer Rede sicher, dass die das besser wissen als Sie!)

Wir werden die wichtige Arbeit der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe nicht mit zusätzlicher Bürokratie belasten. – Herzlichen Dank. Ich freue mich auf die Überweisung und die Diskussion. Vielleicht kommen wir da zu neuen Erkenntnissen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Voßeler. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Dos Santos Herrmann.

(Zuruf von der SPD: Das ist ihre erste Rede!)

– Ist das Ihre erste Rede, Frau Kollegin?

Susana Dos Santos Herrmann (SPD): Herr Präsident, ich glaube es fast selbst nicht, aber es ist so.

(Heiterkeit)

Vizepräsident Oliver Keymis: Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Dann viel Glück!

Susana Dos Santos Herrmann (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich vorwegsagen: Natürlich wird die SPD-Fraktion der Überweisung Ihres Antrags sehr gerne zustimmen. Wir freuen uns auf die Fachdebatte im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Da gehört sie hin.

Sie kommt – da gebe ich der Kollegin Paul absolut recht – genau zum richtigen Zeitpunkt: Jetzt, wo wir in die Debatte über den neuen Kinder- und Jugendhilfeplan des Landes einsteigen, müssen wir auch über diese Frage debattieren. Doch bei aller Übereinstimmung darf ich darauf hinweisen, dass auch hier der alte Struck‘sche Grundsatz gilt: Nichts verlässt das Parlament so, wie es hineingekommen ist. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Sie fordern in Ihrem Antrag, die Geschlechtergerechtigkeit fortzuentwickeln in der Arbeit, in der Aufstellung von Haushaltsplänen, in der konkreten Bearbeitung durch die Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

Das ist alles richtig; das unterstützt die SPD-Fraktion. Wenn man sich Ihren Antrag jedoch etwas genauer durchliest, kommt man zu dem Schluss, dass Sie das Genderprinzip nicht konsequent durchdeklinieren, sondern sich etwas zu stark auf die Mädchenarbeit konzentrieren. Wir halten Ihren Antrag an dieser Stelle für etwas zu kurz gesprungen.

Natürlich sind wir uns bewusst, dass wir auch in Zukunft darauf achten müssen, dass Mädchen während der kompletten Bildungskette, also sowohl im Kinder- als auch im Jugendalter, alle Möglichkeiten und Chancen zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit erhalten.

Der Duktus in Ihrem Antrag lässt aber leider den falschen Schluss zu, dass wir in den vergangenen Jahren nicht wirklich viel erreicht hätten. Gerade unter Rot-Grün, unter der SPD-geführten Landesregierung der letzten sieben Jahre war doch immer wieder festzustellen, dass die geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit im Bundesvergleich gut aufgestellt ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der von den Grünen eingeforderte geschlechtergerechte Diskurs in der Kinder- und Jugendarbeit wird bereits praktiziert. Die vom Land geförderten Arbeitsgemeinschaften der Mädchen- bzw. Jungenarbeit sowie die Fachstelle Gender leisten hier bereits eine wichtige Unterstützung, damit die Träger ihre Konzepte in der Kinder- und Jugendarbeit fortentwickeln können. Nicht zuletzt haben auch die früheren Ministerinnen Kampmann und Löhrmann in ihren Bildungsgrundsätzen das Genderprinzip durchgesetzt und klar definiert: Es gibt einen Auftrag.

Unsere Aufgabe besteht darin, dass das Ganze auch umgesetzt und weiterverfolgt wird. Selbstverständlich werden wir dafür auch mehr Geld brauchen; das hat die SPD im Wahlkampf gesagt. Wir sind für eine deutliche Erhöhung, damit diese Querschnittsaufgabe tatsächlich erfüllt werden kann: Gleiche Rechte, gleiche Chancen für Jungen und Mädchen. Das gilt es umzusetzen.

Genau daran wollen wir festhalten. Im Moment haben wir ein wenig den Eindruck, dass Sie sich zu sehr auf eine Seite fokussieren und das Genderprinzip im Grunde verlassen. Wir sind für das Genderprinzip. Wir wollen differenzierte pädagogische Angebote und Maßnahmen unterstützen. Wir wollen diese Vielfalt in der Kinder- und Jugendarbeit. Wir wollen uns nicht auf eine Seite fokussieren. In diesem Sinne freue ich mich auf die Debatte im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Dos Santos Herrmann, und herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede! Es war gar nicht so schlimm; das habe ich gemerkt. Es ist schön, wenn man auch im Plenum mal zu Wort kommt. In den großen Fraktionen dauert es halt ein wenig länger, bis alle neuen Abgeordneten einmal das Wort ergreifen konnten. Deshalb treten auch jetzt noch Mitglieder des Landtags ans Redepult, die ihre erste Rede halten, obwohl das Plenum in der 17. Legislaturperiode schon seit Juni dieses Jahres regelmäßig tagt.

Die Redeliste ist ebenfalls wunderbar durchgegendert; denn nachdem jetzt drei Damen gesprochen haben, kommen nun drei Herren. Ich rufe zunächst für die FDP Herrn Brockmeier auf. Bitte schön.

Alexander Brockmeier (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank, dass jetzt auch ein Herr zu diesem wichtigen Thema sprechen darf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit dem Konsens: Die Kinder- und Jugendarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Lebenswelt vieler Kinder und Jugendlicher in Nordrhein Westfalen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass genau diese Arbeit junge Menschen dabei unterstützt, sich selbst und ihre Persönlichkeit, aber auch ihren Umgang mit anderen Menschen zu entwickeln, zu vertiefen und zu verbessern.

Genau aus diesem Grund haben wir mit unserem Minister Joachim Stamp die Jugendarbeit nach vorne gestellt und mit der NRW-Koalition gleich zu Beginn ein Zeichen gesetzt, indem wir uns dieses Thema auf die Fahnen geschrieben haben. Als eine der ersten Regierungshandlungen hat die Koalition nämlich angekündigt, die Mittel für die Kinder- und Jugendarbeit zu erhöhen und zu dynamisieren. Das wurde schon ausdrücklich von der Opposition gelobt. Sie haben das in sieben Jahren nicht geschafft.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Wir schaffen es jetzt mit der NRW-Koalition, Verlässlichkeit und Planungssicherheit aufzubauen. Ich freue mich, dass die Grünen das positiv bewerten; Josefine Paul hat es schon angedeutet. Bei der SPD erkennt man das noch nicht so wirklich; da dauert der Erkenntnisprozess noch an. Von dort kamen in der Vergangenheit noch leicht wirre Anträge.

Jetzt aber zu Ihrer Forderung. Das Gender-Budgeting im Kinder- und Jugendförderplan werden wir ablehnen. Wir werden natürlich darüber diskutieren. Ich will gleich dazu kommen, warum wir das ablehnen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Zunächst möchte ich Ihnen noch sagen, warum wir die Mittelvergabe auch aus Prinzip für falsch halten.

Erstens geschieht das schon im Rahmen des Wirksamkeitsdialoges. Es gibt eine Evaluation genau mit dem Bezug der Geschlechterverteilung in der Kinder- und Jugendarbeit, so beispielsweise auch im 7. Bericht zum Wirksamkeitsdialog des Landesjugendrings aus dem vergangenen Jahr. Dort wird in Kapitel 2.3 die Gruppe der Teilnehmenden auf Geschlecht und Alter hin analysiert. Ein großer Teil Ihrer Forderungen findet bereits statt und ist deswegen obsolet.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Dann können Sie ja zustimmen!)

– Ja, aber es geht ja noch weiter.

Zweitens ist das Gender-Budgeting nicht nur nicht wünschenswert, sondern praktisch auch sehr schwierig umzusetzen. Wie wollen Sie denn die Förderung von Strukturen wie Landesgeschäftsstellen einem Geschlecht zuordnen? – Also, das was Sie hier fordern, ist ideologischer und handwerklicher Humbug.

(Beifall von der FDP und der AfD – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Natürlich kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die ideologische Debatte über das Gender-Budgeting nicht ersparen. Das Ziel, das dahinter steht, ist, dass man 50 % der finanziellen Mittel explizit für Jungen und 50 % der Mittel explizit für Mädchen ausgibt und entsprechend investiert.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Falsch! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Das ist völlig ideologisch und geht völlig an den Bedarfen der Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen vorbei.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen nämlich, dass jedes Kind dort gefördert und unterstützt wird, wo es dies auch braucht, anstatt die Mittelvergabe ideologisch zu gestalten, wie Sie es hier vorschlagen.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen die Mittel dort einsetzen, wo sie tatsächlich benötigt und gebraucht werden. Wir richten uns da nicht nach prozentualen Verteilungen, sondern nach den Bedürfnissen der Kinder in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP)

Es ist sinnvoll, dass es verschiedene Träger mit verschiedenen Angeboten gibt. Nur so kann den Bedürfnissen auch Rechnung getragen werden. Diese unterschiedlichen Strukturen in der Kinder- und Jugendarbeit kann man nicht mit stumpfer Gleichmacherei über den Haufen werfen.

Um dies zu verdeutlichen – es gibt auch Beispiele dafür –, steht wieder der Wirksamkeitsdialog des Landesjugendrings zur Verfügung. In Kapitel 2.3 wird genau untersucht, wie sich die Gruppe der Teilnehmenden nach Geschlecht und Alter zusammensetzt.

Darin wird beschrieben, dass sich die Geschlechterzusammensetzung bei den Mitgliedsverbänden des Landesjugendrings stark unterscheidet, und das ist ja auch Ihr Punkt. Während beispielsweise der Frauenanteil bei der Jugendfeuerwehr bei 21,2 % lag, machten Frauen 80 % der Teilnehmenden in den Angeboten der Sängerjugend in Nordrhein-Westfalen aus.

Ich zitiere immer gerne aus dem Wirksamkeitsdialog. Leute aus der Praxis haben das Ganze analysiert, und sie sagen: In allen Jahren gibt es Angebote von Verbänden, in denen beide Geschlechter zu gleichen Anteilen vertreten sind, aber auch solche, die vorwiegend weiblich oder vorwiegend männlich geprägt sind. Diese Verteilung macht die unterschiedlichen Interessen von Jungen und Mädchen deutlich. Sie zeigt aber gleichzeitig, dass diese unterschiedlichen Interessenlagen von den Verbänden insgesamt abgedeckt werden können.

Sie sehen, die Bedürfnisse der Jungen und Mädchen in unserem Land sind verschieden. Und genau auf diese Bedürfnisse in ihrer Vielfalt, in ihrer Ausprägung und in ihrer Differenziertheit wollen wir eingehen. Ein Gender-Budgeting macht eine bedarfsabhängige Finanzierung unmöglich

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das stimmt schlicht nicht!)

und widerspricht daher nicht nur unserer Auffassung, sondern vor allen Dingen dem, was die Jungen und Mädchen in unserem Land wollen und brauchen.

(Beifall von der FDP)

Wir freuen uns schon auf die Diskussion im Ausschuss. – Meine Redezeit ist ohnehin schon vorbei. Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Brockmeier. – Nun spricht für die Fraktion der AfD Herr Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Der Genderantrag der Grünen ist nichts anderes als die geschickt verpackte Festschreibung einer dauerhaften Einnahmequelle für Ihre Klientel, natürlich auf Kosten der hart arbeitenden Bevölkerung.

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

Von der reinen Lehre des sogenannten Gender- Mainstreaming ist schließlich noch keine Familie satt geworden.

(Beifall von der AfD)

Zunächst soll der Landtag also feststellen, dass Geschlechtergerechtigkeit ein hohes Gut und ein gesamtgesellschaftliches Ziel sei. Ich frage Sie, was eine solche Fragestellung soll. Geschlechtergerechtigkeit ist in Deutschland längst hergestellt.

(Beifall von der AfD – Lachen von der SPD und den GRÜNEN – Arndt Klocke [GRÜNE]: Wir haben noch nicht Karneval, Herr Kollege!)

Da kommt noch was. Sodann soll der Landtag feststellen – ich lese vor –, „dass es die Aufgabe nachhaltiger Jugendpolitik sei, stereotypen Rollenzuweisungen entgegenzuwirken und Mädchen und Jungen bei der Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit durch gendersensible Kinder- und Jugendarbeit zu unterstützen.“ – Selbst das Vorlesen fällt einem schwer.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Sie haben das super gemacht! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Die verschwurbelte grüne Antragssprache ist allerdings Bestandteil einer groß angelegten Täuschung. Meine Damen und Herren von den Grünen, was verstehen Sie denn unter dem Mischwort „gendersensibel“? – Schon bei dem englischen Begriff „gender“ sind sich die Experten nicht einig. Ich möchte hier keine scheinwissenschaftliche Diskussion über eine nicht benötigte Begrifflichkeit lostreten; deswegen habe ich lediglich Wikipedia bemüht.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Danach bezeichnet der englische Ausdruck „gender“ das soziale oder psychologische Geschlecht einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen. „Gender“ wird mithin als durch Menschen gemachte soziale Realität gesehen und nicht als natürlich gegebenes Faktum. – Auch das ist kaum zu verstehen.

Auf den Punkt gebracht bedeutet „gender“ von Menschen gemachte Ideologie. Nun ist Ideologie an und für sich Privatsache; sensible Ideologie erst recht. Was hat jetzt die Landesregierung NRW damit zu tun? – Das wissen wir alle: Die einst private Ideologie des Gender-Mainstreaming ist längst zur Staatsideologie und zur Pseudowissenschaft mutiert. Deren Schöpfer buhlen hier um Fördermittel in Millionenhöhe – Steuergeld für Träger, die ausschließlich geschlechtsspezifisch und am Gender-Mainstreaming orientiert sind.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Zu deren dauerhaften Alimentierung wurde schließlich der Tarnname „Gender-Budgeting“ erfunden – wohlklingend, ganz genau.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Jetzt komme ich zu Ihnen; vielleicht fühlen Sie sich angesprochen. – Wohlklingend, genau wie der des schwul-lesbischen Netzwerks „SCHLAU“, einem staatlich anerkannten Träger in NRW.

Im Zentrum von SCHLAU stehen dann auch Begegnungen und Gespräche zwischen Jugendlichen und deren lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*- und inter*sexuellen und queeren Teamer_innen. Durch diese Teamer_innen wird dann Wissen im Bereich – ich muss wieder ablesen – nicht heteronormativer Lebensweisen, zum Beispiel Queere, Pansexualität, A*Sexualität und A*Romantik vermittelt.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE] – Gegenruf von der AfD)

Das ist wieder Orwell’sches Neusprech, das der Verschleierung dient. Erst wenn man das ein paar Mal liest, erschließt sich die eigentliche Ungeheuerlichkeit. Menschen mit, sagen wir einmal, gewöhnlicher Sexualität kommen gar nicht erst vor.

(Lachen von den GRÜNEN – Frank Müller [SPD]: Das wird jetzt sehr spannend, wenn Sie über gewöhnliche Sexualität reden!)

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung wird von vornherein von der Mitarbeit bei SCHLAU ausgeschlossen – finanziert durch das Land NRW! Meine Damen und Herren Kollegen, das ist nicht nur empörend

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ihre Rede ist empörend!)

und nicht nur eine Art von sexueller Diskriminierung; das ist eine Art von staatlich geförderter sexueller Selektion.

(Lachen von Arndt Klocke [GRÜNE])

Wir von der AfD lehnen so etwas völlig ab.

(Beifall von der AfD – Frank Müller [SPD]: Was ist denn Ihre Idee von Sexualität?)

Es gibt schließlich sehr viel bessere Möglichkeiten, Kindern und Jugendlichen zu helfen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Damit könnte man in jeder Karnevalssitzung auftreten!)

Investieren wir doch – darauf komme ich immer wieder gerne zurück – in die Schulausbildung unserer Kinder!

(Zurufe von den GRÜNEN)

Bei der gleichzeitigen Entdeckung ihrer Sexualität werden die Kinder schließlich von den Eltern begleitet – und das ganz ohne staatliche Alimentierung.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Schauen wir daher genau darauf, was wir mit dem sauer verdienten Steuergeld unserer Bürger machen! Wir von der AfD tun das und werden den Antrag im Ausschuss sehr kritisch begleiten. – Schönen Dank.

(Beifall von der AfD – Frank Müller [SPD]: Sie haben gar keinen Spaß!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Röckemann. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Dr. Stamp.

(Monika Düker [GRÜNE]: Er erklärt uns jetzt die gewöhnliche Sexualität! – Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD – Unruhe – Glocke)

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, es gibt Themen, über die man auch mit einer gewissen Seriosität sprechen sollte. Bis heute dachte ich eigentlich, wir wären aus dem Alter heraus, in dem man, wenn das Wort „Sex“ fällt, anfangen muss, zu lachen.

(Helmut Seifen [AfD]: Sagen Sie das einmal den Grünen! – Britta Altenkamp [SPD]: Das hängt vom Sprecher ab!)

Das ist schon etwas merkwürdig. Ich denke, dass wir hier ein anderes Gremium als eine Zusammenkunft von spätpubertären Sprücheklopfern sind.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Von unserer Seite ist es ein klares politisches Statement gewesen, das LSBTI-Referat an die Familienabteilung unseres Ministeriums anzudocken. Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich finde es gut, dass wir heute die große Bedeutung einer geschlechtersensiblen Kinder- und Jugendarbeit würdigen und diskutieren. Das aktuelle Aufstellungsverfahren zum kommenden Kinder- und Jugendförderplan zeigt, dass eine geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit im Selbstverständnis aller Akteure fest verankert ist.

Deshalb wird auch in Zukunft der Kinder- und Jugendförderplan mit seinen Angeboten an den Lebenswelten junger Menschen orientiert sein. Der neue KJFP wird natürlich auch geschlechtersensibel ausgerichtet sein.

Dass wir den Kinder- und Jugendförderplan in diesem Punkt genau richtig ausgestalten, haben uns im Übrigen die Träger während des Beteiligungsgesprächs am 15. November 2017 noch einmal bestätigt.

Was die Zielvorstellungen betrifft, sehe ich daher keine großen Differenzen zur Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

An dem Antrag erstaunt mich aber schon, dass als Mittel das Gender-Budgeting benannt wird. Dieses Instrument formaler Gleichmacherei funktioniert im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit aus unserer Sicht nicht. Das Ziel des Kinder- und Jugendförderplans ist es doch nicht, Mädchen und Jungen exakt die gleichen finanziellen Ressourcen zuzuteilen. Unser Ziel muss es vielmehr sein, Jungen und Mädchen die gleichen Chancen zu eröffnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das verstehe ich unter einem geschlechtergerechten Kinder- und Jugendförderplan.

Jedes Kind, jeder Jugendliche ist eine individuelle Persönlichkeit mit eigenen Bedürfnissen und eigenen Problemlagen. Umso wichtiger ist es, dass die Jungen- und Mädchenarbeit ganz spezifische Angebote und Rückzugsräume anbietet, damit alle Kinder und Jugendlichen die Chance erhalten, ihre jeweiligen Stärken zu entfalten.

Um zu ermitteln, wie diese Gerechtigkeit gelingt, gibt es den hier schon verschiedentlich angesprochenen Wirksamkeitsdialog der Träger der Jugendarbeit. An diesem Wirksamkeitsdialog und anderen zur Verfügung stehenden Datenquellen können wir Folgendes erkennen:

Die Teilhabe von Mädchen liegt in der Jugendverbandsarbeit bei 50,1 % und in der kulturellen Jugendarbeit sogar bei 60 %. In der offenen Kinder- und Jugendarbeit sind Mädchen zwar im Verhältnis unterrepräsentiert; dafür gibt es aber mehr geschlechterhomogene Angebote für Mädchen als für Jungen.

Alles das können wir nicht über einen Kamm scheren und nach starren Normen ausrichten. Das bringt uns nicht weiter, sondern kann sogar kontraproduktiv sein, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht.

Nehmen wir als Beispiel die Arbeit einer Einrichtung der Offenen Jugendarbeit in einem sozialen Brennpunkt mit der hauptsächlichen Problemgruppe junger männlicher Personen, an der wir mit bestehenden Projekten vorbeugend arbeiten. Sollen wir diese Arbeit einfach beenden, weil das Budget für die Jungs aufgebraucht ist? Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen wollen wir überall ganz genau und ganz individuell hinschauen.

Ich frage Sie: Wollen wir wirklich von Düsseldorf aus den Trägern vor Ort engmaschig vorschreiben und zentralistisch diktieren, mit wem sie arbeiten sollen? Was für eine Haltung den Trägern gegenüber wollen wir damit ausdrücken?

Nein, wir haben mit unseren gemeinsamen Instrumentarien wie dem Wirksamkeitsdialog eine gute Grundlage, um zu erkennen, ob Mädchen und Jungen gleichermaßen und an den Bedarfen orientiert an Jugendarbeit partizipieren.

Im engen Austausch mit den Trägern – wie auch aktuell bei der Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendförderplans, an der übrigens selbstverständlich auch Akteure der Jungen- und Mädchenarbeit teilgenommen haben – bestehen ausreichend Möglichkeiten, die Angebote gemeinsam weiterzuentwickeln und erkannte Schwachpunkte aufzugreifen. Hier braucht es keine zusätzliche Bürokratie und keine bürokratische Überregulierung, sondern den intensiven Austausch mit den Akteuren. Diesen werden wir weiterführen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Würden Sie bitte noch einmal ans Pult zurückkommen, Herr Minister? Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde eine Kurzintervention angemeldet, die sich an Sie, Herr Minister, richtet, und zwar von Frau Kollegin Paul. Bitte schön, Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Jetzt habe ich mir nicht nur Ihre Ausführungen, Herr Minister, angehört, sondern auch die Ausführungen der Vorredner und Vorrednerinnen von CDU und FDP. Ich bin froh darüber, dass wir diesen Antrag an den Ausschuss überweisen, damit wir dort tatsächlich in die fachliche Diskussion einsteigen können. Denn das, was hier von Ihnen, aber auch von den Kolleginnen und Kollegen der NRW-Koalition vorgetragen wurde, ist in großen Teilen einfach faktenfreier Unsinn.

(Zurufe von der FDP: Oh! – Zuruf von der AfD: Frage!)

Denn das Instrument des Gender-Budgeting ist in allererster Linie nicht ein Verteilungsinstrument. Es ist in allererster Linie ein Analyseinstrument. Bei dieser Analyse geht es genau um das, was Sie, Herr Minister, zu Recht gesagt haben: Es geht darum, die Chancengerechtigkeit sicherzustellen.

Diese Chancengerechtigkeit kann man aber nur dann messen und auch feststellen, ob man gegebenenfalls nachregulieren muss,

(Ralf Witzel [FDP]: Es geht nur um Bürokratie bei Ihnen!)

wenn man ein Instrument wie das Gender-Budgeting an der Hand hat, das die Mittelvergabe und die Wirksamkeit der verausgabten Mittel auch tatsächlich überprüft.

Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt. Wir werden im Ausschuss auch eine Anhörung dazu betragen. Denn wir haben das Gefühl, dass noch ein wenig externer Sachverstand benötigt wird. Außerdem wollen wir die Träger selbst zu Wort kommen lassen und ihre Einschätzung dazu hören, ob es sinnvoll ist, an dieser Stelle mit Analyseinstrumenten nachzuregulieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Herr Minister, jetzt haben Sie anderthalb Minuten zur Replik. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident, so viel Zeit brauche ich nicht. – Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Es ist selbstverständliches Recht der Fraktion, eine Anhörung zu beantragen. Ich bin immer offen für neue Gedanken, gerade auch wenn sie von Experten vorgetragen werden. Ich glaube aber, dass unser Instrumentarium in der Form, wie wir es bisher angelegt haben, und unser Vertrauen in die sensible Arbeit der Trägerinnen und Träger richtig sind. Das werden wir dann mit den Trägern, die sicherlich Teil der Anhörung sein werden, gemeinsam besprechen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1280 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – sowie an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung stattfinden. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

5   Bologna-Prozess reformieren. Rückkehr zu bewährten Studienabschlüssen auch in NRW

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1284

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt Herr Abgeordneter Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Antrag ist ein weiterer Versuch der AfD, über einen der schlimmen Fehler vergangener Regierungen im Bildungswesen im Parlament zu debattieren – mit der Hoffnung, dass dies irgendwann einmal die Regierungsmehrheit animiert, auf den Weg der Vernunft zurückzukehren.

Meine Hoffnung setze ich in Ministerpräsident Armin Laschet, der ja unlängst sagte, seine Koalition wolle – Zitat – „nicht immer alles besser wissen“.

Vielleicht lernen Sie wenigstens aus den parteipolitisch unverdächtigen Darstellungen derjenigen, die von den Übeln dieser Universitätsmisere namens Bologna-Reform betroffen sind. So spricht der Leiter der Psychologischen Beratung der FU Berlin an den Universitäten von der Gehetztheit der Studentinnen und Studenten und vom Bulimielernen.

Studiengänge sind in ein viel zu enges Korsett an Regeln und Vorgaben gepresst. Jede Studienleistung ist examensrelevant und wird geprüft. In den drei Studienjahren gilt es, sogenannte Leistungspunkte oder Credit Points zu sammeln – 180 insgesamt, 30 pro Semester.

Der Prüfungsdruck begleitet einen durchs ganze Studium und wird zur Dauerbelastung. Dieser Prüfungsdruck erzeugt Angst und Verunsicherung. In Zahlen ausgedrückt: 20 % der Studenten kommen gut mit dem neuen System zurecht. 40 bis 50 % sind verunsichert und versuchen, irgendwie Schritt zu halten. Weitere 30 bis 40 % haben ernsthafte Schwierigkeiten.

Verunsichert sind nicht nur die Studenten und Studentinnen, sondern auch die Dozenten und Professoren, wissen sie doch manchmal selbst nicht, wie viele Credit Points sie wem für welche Leistung geben sollen.

Die Auswirkungen sind nicht nur am psychischen Zustand der Studenten und Studentinnen abzulesen, sondern zeigen sich auch an immer höheren Abbrecherquoten. Und wenn sie dann ihr Bachelorexamen absolviert haben, müssen sie sich erneut für einen Masterplatz bewerben, den viele gar nicht bekommen. Auch so kann man das Abitur entwerten.

Und nun, da die ersten Absolventen solcher Studiengänge im Berufsleben angekommen sind, müssen auch die früheren Befürworter des Bologna-Unwesens aus der Wirtschaft zugeben, sich vollkommen vergaloppiert zu haben.

Der ehemalige Personalvorstand der Telekom, Thomas Sattelberger – heute für die FDP im Bundestag –, beklagte bereits 2012, die Wirtschaft brauche kreative Geister und keine reinen – Zitat – „Lernautomaten“. Unternehmen seien auf der Suche nach Persönlichkeiten, nicht nur nach Absolventen.

Dem pflichtete der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz bei: „Ein Bachelor in Physik ist nie im Leben ein Physiker“, erklärte Professor Hippler. Anders als einst mit dem Diplom liege damit keine Berufsqualifikation vor, sondern allenfalls eine Berufsbefähigung.

Dass außerdem auch noch das Kernziel des Bologna-Prozesses, nämlich die Annäherung der europäischen Studiengänge aneinander, gescheitert ist, macht diese Bologna-Unternehmung nun zu einer vollkommenen Farce.

Sie werden in Ihren Erwiderungen vermutlich wieder die gleichen Saiten Ihrer Anti-AfD-Leier zupfen: Der Antrag sei rückwärtsgewandt und atme das Bewusstsein nationaler Alleingänge.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich verrannt hat – ob real oder metaphorisch gemeint –, dann tut man gut daran, sich durch einen Blick zurück zu vergewissern, an welcher Stelle des Weges man in unwegsames Gelände geraten ist.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Wer hält Sie denn davon ab, das zu tun?)

Wenn man eine Reform im ursprünglichen Sinne des Wortes vernünftig durchführen will, muss man sich erst der Ursprungsform versichern, damit man die Deformierung wieder ausbessern kann

Vielleicht darf ich im Reformationsjahr einmal an Martin Luther erinnern, der durch den Blick zurück auf die Urschrift des Christentums, das Neue Testament, die Deformation in der damaligen Kirche analysieren und öffentlich diskutieren konnte.

Der Blick zurück bedeutet nicht Rückwärtsgewandtheit, sondern bedeutet die Bereitschaft, sich auf das zurückzubesinnen, was zum Wesentlichen einer Form gehört. Zum Wesentlichen dringt der vor, der zu den Quellen zurückgeht. „Ad fontes“ war der Schlachtruf der Humanisten des 16. Jahrhunderts. „Ad fontes“ war der Grundsatz Luthers. Sie sollten ihn beherzigen.

Und Europa? Besinnen Sie sich darauf, dass Europa eine Sinfonie unterschiedlicher Kulturen und Traditionen ist, die erst dann ihre Klangfülle entfalten kann, wenn wir diese Kulturen und Traditionen achten, ehren und respektieren. Dazu gehört auch die deutsche Bildungstradition mit ihren bisher weltweit anerkannten Universitäten.

Ihre Parteifreunde in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben sich bereits besonnen und die Bereitschaft gezeigt, Konsequenzen aus dem Bologna-Desaster zu ziehen. Zeigen Sie einfach innerparteiliche Solidarität, aber beenden Sie vor allem die fürchterliche Situation für Studenten und Dozenten. – Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Tigges.

Raphael Tigges (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es hier wieder einmal mit einem Antrag der AfD zu tun, der ausschließlich rückwärtsgewandt ist.

(Heiterkeit und Zurufe von der AfD)

Uns wundert das nicht, da doch die Programmatik der AfD heißt: Früher war alles besser.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau! Ja!)

Was interessiert uns die Zukunft? Was interessieren uns Europa und die Welt?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Durch diesen Antrag versucht die AfD erneut, Brücken nach Europa abzubauen, anstatt sie zu intensivieren. Isoliert sollen wieder Einzellösungen für die Hochschulen in NRW geschaffen werden. Das ist eine antieuropäische Politik, die von der CDU-Fraktion ausdrücklich nicht mitgetragen wird.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Nordrhein-Westfalen hat eine europaweit einzigartige Hochschul- und Forschungslandschaft, die weit über die Landesgrenzen hinaus Ideengeber und Motor für gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Fortschritt ist. Dieses international sichtbare Profil wollen wir, die NRW-Koalition, weiter schärfen, um die besten Studenten für Nordrhein-Westfalen zu gewinnen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ihr Vorschlag wäre ein Rückschritt und würde die Attraktivität und den Fortschritt des Hochschulstandorts NRW gefährden.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Die Bologna-Reform hat den Hochschulstandort NRW im Herzen Europas noch attraktiver und wettbewerbsfähiger gemacht. Sie ist Teil eines europäischen Einigungsprozesses, dem sich die CDU ausdrücklich verpflichtet fühlt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die NRW-Koalition hat daher nicht nur den Anspruch, Motor dieses Prozesses zu bleiben, sondern insbesondere auch den gemeinsamen europäischen Hochschulraum dahin gehend fortzuentwickeln und unseren Studenten Internationalität zu ermöglichen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag mit negativer Prägung, dass 87 % der Studiengänge deutschlandweit zu einem Bachelor- und Masterabschluss führen. Ich muss sagen: Das finde ich gut. Das ist eine erfolgreiche Umsetzung der Bologna-Reform.

Die Reform hat für die Hochschulen auch eine Chance geboten, verkrustete Strukturen zu hinterfragen und aufzubrechen, Studienpläne zu entrümpeln und auf einen aktuellen Stand zu bringen. Auch neue Berufsfelder wurden angedockt und Studiengänge geschaffen, die mehr Praxisanteile integrieren. Gerade diese Praxisnähe in Kooperation mit den Hochschulen begrüßen doch unsere Unternehmen. Lernziele sind klarer an den Anforderungen der Wirtschaft ausgerichtet und erleichtern Absolventen den Einstieg in die Berufswelt.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Gerade am Wochenende wurde mir dies noch in Gesprächen mit Vertretern einer Fachhochschule, eines Berufskollegs und von international tätigen Firmen bestätigt und auch erwähnt, dass die Zahl der Studienabbrecher, die berufsbegleitend den Bachelor oder Master machen, gegen null geht.

Die Mobilität der Studenten in Europa wird durch Bologna erleichtert. Die Abschlüsse auf Basis einheitlicher Bewertungssysteme sind anerkannter, sie sind vergleichbarer geworden. Das hat auch zu einem großen Fortschritt der Akzeptanz bei ausländischen Arbeitgebern geführt.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Umgekehrt gilt das ebenso für ausländische Studenten bei uns.

Sie haben es geschildert: Der Bachelor ist das Grundstudium mit einem vollwertigen Abschluss nach rund drei Jahren. Der Master bietet auch eine Erweiterung mit Wahlmöglichkeiten zwischen Modulen. Dadurch ist vielleicht auch eine flexiblere Karriereplanung für die Studenten möglich.

Ich gebe durchaus zu: Kein System ist so gut, dass man es nicht auch verbessern kann. Daher sollte man konstruktive Kritik ernst nehmen und das System in Zusammenarbeit mit den Hochschulen fortentwickeln, aber nicht, wie Sie es wollen, rückabwickeln.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

– Ja, man muss sicherlich auch sehen, dass die heutigen Schulabgänger jünger sind und oftmals eine gewisse persönliche Reife für ein anstrengendes Studium fehlt. Das mag sein.

Für manch einen ist der Weg über eine Berufsausbildung mit anschließendem Studium vielleicht der richtige Weg. Daher müssen wir mit den weiterführenden Schulen daran arbeiten, die Studierfähigkeit der Schulabgänger zu verbessern, und Schülerinnen und Schüler bereits in den weiterführenden Schulen besser bei der Studien- und Berufswahl beraten und begleiten.

Meine Damen und Herren, wir werden die im Koalitionsvertrag klar festgeschriebene Fokussierung auf eine Verbesserung der Studienbedingungen, eine stabile Finanzierung der Hochschullandschaft, einen gelingenden Wissenstransfer und eine starke Internationalisierung umsetzen. Blicken wir also nach vorn und nicht zurück! – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tigges. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Bell.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich mache es heute relativ kurz: So viel Sehnsucht nach gestern war selten. Wir haben die Zukunft unseres Hochschulsystems im Blick,

(Markus Wagner [AfD]: Wir auch!)

um endlich wieder das in den Blick zu nehmen, was für die Hochschulen wirklich wichtig ist. Das ist keine Debatte zur Wiedereinführung alter Abschlüsse.

Deswegen halte ich es heute mit Bologna und mit der Austria-Rockband Wanda: „Wenn jemand fragt, wohin du gehst, sag, nach Bologna! Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag, für Amore, Amore!“

Wir werden der Überweisung dieses Antrags zustimmen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Körner.

Moritz Körner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe einen Bachelorabschluss, und ich habe einen Masterabschluss.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit Blick auf die Kollegen von der AfD-Fraktion möchte ich sagen: Das ist ein bewährter Studienabschluss in Deutschland.

(Beifall von der FDP)

Wenn ich Herrn Kollegen Seifen höre, wie er über die Universitäten spricht, dann kann ich nur fragen: Wann waren Sie denn zuletzt da? Das ist völliger Unsinn.

(Beifall von der FDP)

Ich habe letztes Jahr meinen Studienabschluss gemacht. Insofern weiß ich und kann bewerten – auch aus Gesprächen mit Kommilitonen –, wie die Situation ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Seifen?

Moritz Körner (FDP): Herr Seifen, bitte schön.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen. – Bitte schön, Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen. Natürlich sehen Sie mir mein Alter wahrscheinlich an und schließen daraus, dass …

(Moritz Körner [FDP]: Nein, das habe ich nicht, Herr Seifen!)

– Danke schön. Aber Sie können sich vielleicht vorstellen, dass ich Kinder habe. Die beiden Älteren haben nach dem alten, dem bewährten System studiert, die Jüngste nach dem neuen. Können Sie sich vorstellen, dass ich dadurch wenigstens etwas Erfahrung mitbringe, was das neue System angeht?

Moritz Körner (FDP): Die Erfahrung möchte ich Ihnen an der Stelle natürlich nicht komplett absprechen.

Sie haben von vier Kindern gesprochen: Zwei haben noch in den alten Studiengängen studiert und zwei in den neuen Studiengängen. Ich gehe davon aus, dass die beiden Letztgenannten wahrscheinlich studiert haben, als die neuen Studiengänge gerade eingeführt worden sind.

Seien wir doch mal ehrlich: Bei der Umstellung auf Bachelor und Master – ein komplett neues System – gab es natürlich Anfangsschwierigkeiten – ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer Frage – und Probleme. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen: Ein komplettes Zurückdrehen der Reform, nachdem dieses System eingeführt worden ist und viele Kollegen schon auf Bachelor und Master studiert haben, ist Unsinn, Herr Seifen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Blex?

(Zurufe)

Moritz Körner (FDP): Gern. Bitte schön.

(Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Also doch, ja?

Moritz Körner (FDP): Bitte schön, Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Herr Körner, unsere Kritik geht dahin, inwieweit man mit einem Bachelor- oder Masterabschluss berufsqualifiziert ist. Sie haben eben gesagt, dass Sie direkt von der Universität in die Politik gewechselt sind. Über wie viel Berufserfahrung verfügen Sie, um die Frage zu den Bachelor- und Masterabschlüssen überhaupt qualifiziert zu beantworten?

Moritz Körner (FDP): Herr Kollege Dr. Blex, ich finde, es ist gar nicht so schlecht, wenn jemand, der in letzter Zeit noch in Hörsälen gesessen hat, jetzt für die Qualität der Hörsäle hier im Landtag Verantwortung trägt. – Das zum einen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zum anderen hatte ich genügend Kommilitonen und bekomme auch mit, wie sie in der Lage sind, in Berufe einzusteigen.

Herr Wagner hat eben gesagt, die Wirtschaft wolle das auch nicht. Dazu möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber hat noch in diesem Jahr gesagt:

„Der Bachelor hat sich hervorragend … etabliert. Die deutsche Wirtschaft steht eindeutig … hinter der Einführung von Bachelor-Studiengängen …“

Insofern vertritt auch die Wirtschaft nicht mehr die Meinung, dass das ein Problem ist.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wenden wir uns mal Ihrem Antrag zu. Sie nennen in mehreren Punkten die Probleme beim Bachelor- und beim Masterstudiengang, unter anderem dass die Studienabbruchquote leicht gestiegen sei. Das stimmt. Aber nehmen Sie doch auch zur Kenntnis, dass 80.000 Studierende im Jahr 2005 angefangen haben. Mittlerweile sind es 125.000.

(Markus Wagner [AfD]: Das ist kein Mehr an Qualität!)

Die Studierneigung ist massig angestiegen. Das ist doch mit ein Grund dafür, warum die Studienabbrecherquote jetzt so hoch ist. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von der FDP)

Sie haben die Mobilitätsquoten angesprochen und nehmen sich eine Gruppe heraus, von der Sie sagen: Da ist sie nicht oder nicht so stark gestiegen. – Mittlerweile absolviert jeder zweite Masterstudierende ein Auslandssemester. Das ist genau die Mobilitätsquote, die wir da erreichen wollten. Deswegen haben wir sie da.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Auch wenn Ihnen das nicht passt: Internationale Erfahrung, Auslandsaustausch sind zentrale Berufsqualifikationen. Das schafft das Bachelor-Master-System.

Das gilt auch für die ECTS-Punkte. Mittlerweile werden Auslandsstudienleistungen sehr weitgehend anerkannt. Vor einigen Jahren ist die Debatte noch so geführt worden, aber mittlerweile sind wir viel weiter.

Sie sprachen eben vom Prüfungsdruck. Wo ist denn Ihr Antrag, zum Beispiel die Verschulung ein bisschen aufzuheben? Sie sagen einfach: komplett zurück zu Diplom- und Magisterstudiengang. – Das ist doch keine Lösung. Ihr Programm trägt den Titel „Zurück in die Zukunft“. Damit macht man aber keine anständige Politik.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Das geht überall so. Sie machen das bei jedem Thema. Es heißt: Studiengänge komplett zurück, Inklusion komplett zurück, keine Kinderbetreuung mehr,

(Beifall von der FDP)

Englischunterricht abschaffen. – Das machen Sie.

(Helmut Seifen [AfD]: Das haben wir nicht gesagt!)

Wo sind ganz konkret Ihre konstruktiven Vorschläge zur Verbesserung der Studiensituation und Betreuungsrelation? Wo sind Ihre Vorschläge zum Thema „Digitalisierung an den Hochschulen“? Wo sind Ihre konkreten Vorschläge in der Sache?

(Helmut Seifen [AfD]: Das war doch gar nicht das Thema!)

Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion dokumentiert mit ihrem Antrag hier wieder, dass sie zurück in die Vergangenheit will. Wir wollen die Hochschulen fit machen für die Zukunft.

(Beifall von der FDP, der CDU und den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Wir wollen zurück in die Zukunft!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Körner. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt der Zweite, der in dieser Debatte sprechen darf, der zu Bologna-Bedingungen studiert hat.

Ich habe 2005 in Bielefeld angefangen, Politikwissenschaft zu studieren, war damals im zweiten Jahrgang unter Bologna-Bedingungen. Wir hatten in diesem zweiten Jahrgang die zweite Studien- und Prüfungsordnung. Als ich nach sechs Semestern abgeschlossen habe, hatten wir die dritte, und die vierte war in Planung. Das ist das, was der Kollege Körner gerade richtigerweise als Umstellungsschwierigkeiten bezeichnet hat, wenn man das eine System auf das andere System umstellt.

Jetzt kann man aber nicht, wie es der vorliegende Antrag macht, die Vergangenheit in einer völlig unreflektierten Weise verklären. Gab es denn bei den alten Diplom-, Staatsexamen- und Magisterstudiengängen keine Probleme in der Studienqualität? Gab es keine Probleme beim Hochschulwechsel, bei der Auslandsmobilität? Gab es keine Studienabbrüche? Konnten alle Absolventinnen und Absolventen sofort problemlos in den Beruf wechseln? Konnten alle Absolventinnen und Absolventen sofort einen Beruf ergreifen?

Die alten Studiengänge hatten Jahrzehnte Zeit, sich zu entwickeln, und dennoch konnten zahlreiche Probleme nicht behoben werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

In bildungspolitischen Debatten ist es beliebt, Strukturfragen vor Inhalte zu stellen. Bologna ist doch sicherlich nicht die Wurzel allen Übels, und die Struktur ist nicht der einzige Faktor, von der ein gutes Studium abhängt. Da geht es um Finanzierung, um Betreuungsrelation, um Ausstattung, um Methoden und viele weitere Punkte mehr. Strukturfragen sind nur ein Baustein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten haben sich verändert. Das muss man mit ins Kalkül ziehen. Die heutige Studierendengeneration unterscheidet sich nicht nur quantitativ deutlich von der vor zehn oder 20 Jahren. Der Arbeitsmarkt ist ein anderer. Die Anforderungen an mindestens europäische Mobilität sind andere. Die gesellschaftlichen Erwartungen sind andere. Und es gibt heute viele Studierende, für die es eben genau das richtige Angebot ist, nach sechs Semestern einen vollwertigen Abschluss zu haben. Da kann man nicht einfach sagen: Wir gehen ein paar Jahrzehnte zurück, und dann wird alles gut.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

In ihrer Vergangenheitsfixierung verkennt die AfD, dass es für die Wiedereinführung der Bezeichnung „Diplom-Ingenieurin/Diplom-Ingenieur“ in Mecklenburg-Vorpommern aus keinem Fachverband Rückhalt gab. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Hochschulrektorenkonferenz, Stifterverband, die Fachhochschulen des Landes, die Vereinigung der Unternehmensverbände, alle waren gegen die Wiedereinführung der Bezeichnung „Diplom-Ingenieurin/Diplom-Ingenieur“ in Mecklenburg-Vorpommern. Die, die sich mit der Situation auskennen, vertritt die AfD jedenfalls nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir Grüne stehen für Europa. Wir stehen für mehr Europa, für ein besseres Europa und deshalb auch für den europäischen Hochschulraum.

Wo es Korrekturbedarf bei der Umsetzung der Bologna-Reform gibt, muss auch nach so langer Zeit noch konsequent korrigiert werden, insbesondere da, wo die Studienqualität gelitten hat, weil die Bologna-Reform zu rigide oder schlecht umgesetzt wurde. Alle Bachelor- und Masterstudiengänge müssen studierbar sein. Die Studienordnungen müssen von überflüssigem Ballast und zu früher, engführender Spezialisierung befreit werden.

Wir haben beispielsweise im Hochschulzukunftsgesetz die Möglichkeit geschaffen, im ersten Jahr nur Prüfungen ohne Benotung und lediglich mit dem Ergebnis „bestanden“ oder „nicht bestanden“ abzulegen. Das sind erste richtige Schritte gewesen, um die Studierbarkeit herbeizuführen. Alle Universitäten müssen prüfen, ob ein Studiengang zwingend in sechs Semestern absolviert werden soll oder ob nicht sieben oder acht Semester besser sind. Neben fachlichem Lernen muss auch Raum für Auslandsphasen, für Persönlichkeitsentwicklung bleiben.

Die Hochschulrektorenkonferenz und die Kultusministerkonferenz haben sich im Mai letzten Jahres gemeinsam für die vollständige Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master entschieden. Darüber hinaus haben sie sich für weitere Verbesserungen in der Studienqualität ausgesprochen.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Landesregierung warnen: Passen Sie auf, was Sie mit Ihrer ideologisch verblendeten Rückabwicklung des Hochschulgesetzes anstellen. Zahlreiche Änderungen durch das Hochschulzukunftsgesetz – auf eine habe ich gerade Bezug genommen – zielten genau darauf ab, das Studium studierbar zu machen und im Sinne des Bologna-Prozesses weiterzuentwickeln. Machen Sie das nicht kaputt! – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Gut, dass die Grünen keine Ideologie haben!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte-Richter. – Für die Landesregierung spricht nun die Ministerin für Kultur und Wissenschaft, Frau Pfeiffer-Poensgen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung steht uneingeschränkt zu den Zielen des sogenannten Bologna-Prozesses. Damit stehen wir an der Seite zahlreicher Akteure in den Hochschulen, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Die einzelnen Gruppen sind ja bereits ausführlich genannt worden.

Die gestuften Studiengänge haben sich eindeutig bewährt und werden von der überwiegenden Mehrheit der Studierenden positiv bewertet. Das gilt nicht zuletzt für den Bachelor als ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschluss.

Wie ich vorhin schon erwähnte, gab es bereits deutliche Positionierungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die sich dahin gehend äußern, dass sich der Bachelor hervorragend am Arbeitsmarkt etabliert habe, sie deswegen eindeutig und nachhaltig hinter der Einführung von Bachelorstudiengängen in den deutschen Hochschulen stünden und Bachelorabsolventen in den Unternehmen begrüßten.

In derselben Erklärung räumen die Arbeitgeberverbände übrigens mit den gängigen Vorurteilen auf, dass Absolventen mit dem Bachelor kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten, dass der Bachelor ein Schmalspurstudium sei, dass die Mobilität in den Bachelorstudiengängen nicht gestiegen, sondern gesunken sei und dass der Diplom-Ingenieur eine weltweit etablierte Marke sei und nicht aufgegeben werden dürfe. Das haben die Arbeitgeberverbände deutlich zurückgewiesen.

Zum letzten Punkt, dem des Diplom-Ingenieurs, heißt es in der Erklärung unter anderem:

„Weltweites Renommee genießt nicht der Abschluss Diplom-Ingenieur, sondern die Qualität der Ingenieurausbildung in Deutschland im Sinne von ‚Engineering made in Germany‘.“

Genau das ist der Punkt, um den es der Landesregierung geht. Wir wollen ein qualitativ hochwertiges Studium mit exzellenter Lehre, und wir wollen Absolventinnen und Absolventen, die mit dem im Studium erworbenen Wissen und Können überzeugen. An diesem Ziel sollten wir uns gemeinsam mit den Hochschulen orientieren und keine Debatte mehr zum Bologna-Prozess führen.

Die Regelungen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern betreffen, wenn man sich das einmal genau ansieht, absolute Einzelfallangelegenheiten.

Die Zahl der Studienanfänger ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Gleichzeitig liegt die Erwerbslosigkeit von Akademikern weiterhin deutlich unter der allgemeinen Erwerbslosigkeit. Die Auslandsmobilität der Studierenden hat zugenommen. Deutschland hat das europäische Mobilitätsziel inzwischen erreicht. Und auch die Anerkennungsraten der im Ausland erbrachten Studienleistungen haben deutlich zugelegt.

Angesichts dieser Resultate kann die Landesregierung keinen Grund erkennen, den im Antrag gemachten Vorschlägen zu folgen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1284 an den Wissenschaftsausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung stattfinden. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag einstimmig überwiesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 20. Dezember 2017, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag, einen schönen Abend, einen schönen 1. Advent. Kommen Sie gut nach Hause, wenn Sie denn nach Hause fahren können.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 14:22 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.