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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/8

17. Wahlperiode

15.09.2017

 

8. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 15. September 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 3

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 3

Änderung der Tagesordnung. 3

1   Für Nordrhein-Westfalen wieder nachhaltige Entwicklung ermöglichen – Landesplanung praxisgerecht ausgestalten und Chancen für Wohlstand, Beschäftigung und mehr Wohnungen schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/525. 3

Henning Rehbaum (CDU) 3

Jörn Freynick (FDP) 4

Michael Hübner (SPD) 5

Christian Loose (AfD) 6

Horst Becker (GRÜNE) 7

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 8

Horst Becker (GRÜNE) 10

Ergebnis. 10

2   Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Sicherung der Unterrichtsversorgung: Besoldung der Lehrkräfte muss auf den Prüfstand!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/516

In Verbindung mit:

Ungerechte Besoldung in der Grundschule beenden

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/532. 10

Jochen Ott (SPD) 10

Sigrid Beer (GRÜNE) 11

Frank Rock (CDU) 12

Franziska Müller-Rech (FDP) 14

Helmut Seifen (AfD) 15

Ministerin Yvonne Gebauer 16

Jochen Ott (SPD) 17

Ergebnis. 19

3   Gesetz über das Verbot der Gesichtsverschleierung in öffentlichen Gebäuden in Nordrhein-Westfalen (Verschleierungsverbotsgesetz Nordrhein-Westfalen – VerschleierungsVerbG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/522

erste Lesung. 19

Markus Wagner (AfD) 19

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU) 20

Andreas Bialas (SPD) 21

Nichtförmliche Ermahnung  
des Abgeordneten Markus Wagner 22

Dr. Werner Pfeil (FDP) 22

Verena Schäffer (GRÜNE) 23

Minister Herbert Reul 23

Ergebnis. 24

4   Klimawandel ernst nehmen – Kohleausstieg jetzt! – Gesundheitsschutz vor Lobby-Interessen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/531. 24

Wibke Brems (GRÜNE) 24

Romina Plonsker (CDU) 26

Guido van den Berg (SPD) 28

Dietmar Brockes (FDP) 30

Dr. Christian Blex (AfD) 31

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 32

Dr. Patricia Peill (CDU) 35

Michael Hübner (SPD) 37

Dietmar Brockes (FDP) 38

Christian Loose (AfD) 39

Wibke Brems (GRÜNE) 39

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 40

Ergebnis. 40

5   Gebührenfreie frühkindliche Bildung für alle Kinder durch Bundesmittel: Schwarz-Gelbe Hoffnungen ruhen allein auf Martin Schulz und der SPD!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/507

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/613. 41

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 41

Jens Kamieth (CDU) 43

Marcel Hafke (FDP) 44

Alexander Langguth (AfD) 45

Josefine Paul (GRÜNE) 46

Minister Dr. Joachim Stamp. 47

Ergebnis. 48

6   Mit Hebammen und Entbindungspflegern gut versorgt von Anfang an

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/535

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/614. 48

Josefine Paul (GRÜNE) 48

Katharina Gebauer (CDU) 49

Angela Lück (SPD) 50

Susanne Schneider (FDP) 51

Dr. Martin Vincentz (AfD) 52

Minister Karl-Josef Laumann. 54

Ergebnis. 55

7   CDU und FDP steuern mit Vollgas ins Diesel-Fahrverbot!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/513

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/615

In Verbindung mit:

Diesel-Garantie bis 2050 – Vertrauen in Verbrennungsmotoren wiederherstellen und Unsicherheiten aus der öffentlichen Debatte herausnehmen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/518. 56

Carsten Löcker (SPD) 56

Dr. Christian Blex (AfD) 58

Henning Rehbaum (CDU) 60

Bodo Middeldorf (FDP) 61

Arndt Klocke (GRÜNE) 62

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 64

André Stinka (SPD) 67

Ergebnis. 68

8   Wahl eines stellvertretenden Mitglieds der Medienkommission der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)

Wahlvorschlag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/651. 69

Ergebnis. 69

Entschuldigt waren:

Gordan Dudas (SPD)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)   
(ab 12:30 Uhr)

 


Beginn: 10:03 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 8. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt natürlich auch allen unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung hat sich ein Abgeordneter entschuldigt; sein Name wird in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert heute Herr Dr. Stefan Berger von der Fraktion der CDU. Herzlichen Glückwunsch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von allen Fraktionen)

Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich Folgendes bekannt: Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Tagesordnung um den Tagesordnungspunkt 8 „Wahl eines stellvertretenden Mitglieds der Medienkommission der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)“, Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksache 17/651, zu erweitern, und zwar ohne Debatte. – Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Wir treten nunmehr in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Für Nordrhein-Westfalen wieder nachhaltige Entwicklung ermöglichen – Landesplanung praxisgerecht ausgestalten und Chancen für Wohlstand, Beschäftigung und mehr Wohnungen schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/525

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Rehbaum das Wort. Bitte sehr.

(Beifall von der CDU)

Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Situation in Nordrhein-Westfalen bei der Regierungsübernahme war nicht gut. NRW leidet unter einer hausgemachten Wachstumsschwäche. Bei Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Sozialquote und Kinderarmut zieht Nordrhein-Westfalen den Bundesdurchschnitt erheblich nach unten. Der Grund dafür ist eine Investitionsschwäche in unserem Land.

Die anhaltende Wachstumsschwäche ist das Ergebnis falscher rot-grüner Schwerpunktsetzungen und

(Beifall von der CDU und der FDP)

das Ergebnis einer Politik, die verhindert hat, anstatt unternehmerische Freiräume zu schaffen und Möglichkeiten zu eröffnen.

Trotzig wie ein kleines Kind hat Rot-Grün Ende 2016 einen neuen Landesentwicklungsplan beschlossen, der den Mangel an Industrie- und Gewerbeflächen noch verschärfte –

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Marcus Pretzell [AfD])

und das, obwohl seit mehreren Jahren die Situation in größeren Teilen des Landes dramatisch ist. Seit 2010 sind in Nordrhein-Westfalen 3.789 ha Wirtschaftsfläche verloren gegangen. Das ist ein Armutszeugnis und zeigt die schleichende Deindustrialisierung Nordrhein-Westfalens durch Rot-Grün.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Rot-Grün will Folgendes bis heute nicht verstehen: Wer möchte, dass Unternehmen wachsen und Arbeitsplätze schaffen, darf sie nicht bremsen, gängeln und bevormunden, sondern muss sie mit offenen Armen empfangen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Rot-Grün hat jahrelang Unternehmen, die wachsen und Jobs schaffen wollten, im Regen stehen gelassen und weint jetzt dicke Krokodilstränen über die strukturelle Arbeitslosigkeit an Rhein und Ruhr.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Diese Doppelmoral sind die Menschen leid. Nicht zuletzt deshalb ist Rot-Grün abgewählt worden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mittelstand und Handwerk sind nicht Teil des Problems, der Wachstumsschwäche in Nordrhein-Westfalen, sondern Teil der Lösungen für eine gute Zukunft.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Rot-Grün war das Problem und der dicke Hemmschuh.

Wir brauchen also einen Neustart in der Wirtschaftspolitik. Wir wollen eine Entfesselung der unternehmerischen Schaffenskraft und eine neue Willkommenskultur für Unternehmen, Investitionen und Wachstum.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Dreh- und Angelpunkt dieser Politik muss ein Landesentwicklungsplan sein, der den Weg freimacht und Unternehmen unkomplizierte Möglichkeiten bietet, sich anzusiedeln, vor Ort zu expandieren, vor Ort Arbeitsplätze zu schaffen und vor Ort zur Wertschöpfung beizutragen. Die NRW-Koalition will einen Landesentwicklungsplan, der seinen Namen verdient.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dietmar Bell [SPD]: Ihr traut euch gar nicht daran!)

Neben Gewerbeflächen brauchen wir auch Wohnbauflächen. Der rot-grüne LEP hat die negative Entwicklung in Nordrhein-Westfalen noch beschleunigt. Großstädte platzen aus allen Nähten. Im ländlichen Raum breitet sich die Landflucht aus. In Städten wie Köln, Düsseldorf, Aachen oder Münster sind Normal- und Geringverdiener die Verlierer der rot-grünen Flächenverknappung.

(Zuruf von den GRÜNEN: Quatsch!)

Es gibt keinen bezahlbaren Wohnraum mehr.

(Michael Hübner [SPD]: Herr Rehbaum, Sie sind ein bisschen länger dabei!)

Zwischen 200.000 und 400.000 Wohnungen fehlen in diesem Land. Dabei ist die Sache doch ganz einfach – noch einmal zum Mitschreiben –: Wohnungsmangel bekämpft man durch den Bau von Wohnungen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Aber nicht durch den LEP!)

Wer Wohnungen bauen will, muss Grundstücke bereitstellen.

(Michael Hübner [SPD]: Und das macht der LEP, oder was?)

Genau das verhindert der LEP von Rot-Grün. Mit dieser Blockade neuer Wohngebiete muss endlich Schluss sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auf dem Land ist es eine Schicksalsfrage, ob ein Dorf noch die kritische Größe hat, um Kindergarten, Schule, Feuerwehr und Nahversorgung zu halten. Die letzten innerörtlichen Baugrundstücke sind in der Regel abverkauft. Gerade im Umland der wachsenden Großstädte gibt es aber eine große Nachfrage an Baugrundstücken auch in kleinen Orten.

Leider dürfen Dörfer unter 2.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen durch Beschluss von Rot-Grün weder Wohnbaugebiete noch Gewerbegebiete ausweisen, sei die Nachfrage auch noch so groß.Sie haben diesen Orten ohne Not die Entwicklungsmöglichkeiten genommen. Sie haben die Menschen in den Dörfern abgeschrieben und bitter enttäuscht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wohnungsmangel in den Städten, Stillstand auf dem Land, frustrierte Unternehmer, die investieren wollen, aber keine Flächen angeboten bekommen, Unternehmen, die in benachbarte Bundesländer abwandern, Wachstumsschwäche, Arbeitslosigkeit, Kinderarmut – das ist die Bilanz rot-grüner Landesplanung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich komme zum Schluss: Der LEP muss wieder Entwicklungen, Unternehmensansiedlungen, Betriebserweiterungen, Wohnungsbau zur Entlastung unserer Großstädte und Wohnungsbau zur Stärkung unserer Dörfer möglich machen. Dafür braucht man Flächen, aber nicht da, wo es die jeweilige Landesregierung für richtig hält, …

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit.

Henning Rehbaum (CDU): … sondern da, wo der Bedarf ist. Die NRW-Koalition will den Aufbruch in eine wachstumsfreundliche Landesplanung. Die Zeit drängt. Packen wir es an!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Rehbaum. – Für die FDP erteile ich Herrn Freynick das Wort.

Jörn Freynick (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im vergangenen Februar ist der neue Landesentwicklungsplan in Kraft getreten. In einem gut fünfjährigen umfangreichen Verfahren wurde der aus dem Jahr 1995 stammende vorherige LEP an die Ziele der damaligen rot-grünen Koalition angepasst.

Eine Fortschreibung war unbestritten notwendig, wenn man an den fortschreitenden demografischen Wandel, die Globalisierung oder auch die Digitalisierung denkt. Bei einer zukunftsfesten Fortentwicklung des damals geltenden LEP hat die rot-grüne Vorgängerregierung aber den Gleichklang von ökonomischen, sozialen und ökologischen Zielen aufgegeben. Das Bewahren, die Sicherung und der Erhalt des Erreichten wurden zur Maxime erkoren. Dies kommt besonders bei der Beschränkung der Flächeninanspruchnahme auf langfristig netto null im LEP zum Ausdruck.

Diese Weichenstellung war und ist höchst problematisch. Nordrhein-Westfalen ist in den letzten sieben Jahren rot-grüner Regierung systematisch von der Wachstums- und Wohlstandsentwicklung in den anderen Bundesländern abgekoppelt worden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit Ausnahme des Jahres 2014 war das Wirtschaftswachstum von NRW im Bundesländervergleich stets unterdurchschnittlich.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Die sparsame Flächennutzung muss weiterhin absoluten Vorrang haben. Fakt ist aber auch: NRW muss wieder aufholen und gegensteuern. Nordrhein-Westfalen braucht einen Neustart in der Wirtschaftspolitik, eine Entfesselung, damit Innovationskräfte wieder freigesetzt und Innovationen sowie Investitionen wieder durch eine wirtschaftsfreundliche Willkommenskultur und bessere Rahmenbedingungen ermöglicht und nach NRW geholt werden können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch am LEP sind dazu Korrekturen notwendig, und zwar dringend. Landesplanung muss wieder Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen, Standortsicherung sowie Standortentwicklung gewährleisten. Dazu zählt ein klares Bekenntnis zum Industriestandort und zur Sicherung der Wertschöpfungsketten.

Die kommunalen Entwicklungspotenziale müssen wiederhergestellt werden, um unsere lebenswerten Städte zu erhalten. Das bedeutet Flexibilität bei Flächenpolitik und Stärkung der kommunalen Entscheidungshoheit über die Ausweisung von Gewerbeflächen und Siedlungsflächen anstelle von schematischen Bedarfsberechnungen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe es eingangs erwähnt: Verfahren zur Änderung des Landesentwicklungsplans sind langwierig und benötigen Vorlaufzeit – Zeit, die dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen bei seiner Aufholjagd nicht üppig beschert ist. Unternehmen, aber auch Kommunen und Regionalräte, die sich in laufenden Planungsverfahren befinden, benötigen jedoch kurzfristige Rechts- und Planungssicherheit.

Wir wollen ein zügiges LEP-Änderungsverfahren. Hierbei kann nicht jeder einzelne Satz des LEP neu geschrieben werden. Ich möchte betonen: Es muss auch nicht jeder Satz neu geschrieben werden; denn der LEP enthält auch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die zumindest in begrenztem Umfang Raum für eine flexible und praxisgerechte Anwendung des LEP lassen. Dass dies geschieht, soll kurzfristig mit Verordnungen und Erlassen sichergestellt werden.

Der LEP muss wieder zukunftsorientiert sein. Der Gleichklang von ökonomischen, sozialen und ökologischen Zielen muss wiederhergestellt werden. Daher bitte ich Sie, dem Antrag der NRW-Koalition zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Freynick. – Für die SPD hat nun Herr Kollege Hübner das Wort. Bitte schön.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rehbaum, ich muss schon sagen: Sie sind gar nicht aus dem Wahlkampfmodus herausgekommen. Sie haben sich in Ihrem Beitrag in keiner Weise damit auseinandergesetzt, wozu ein Landesentwicklungsplan eigentlich dient.

Ich möchte jetzt kein Proseminar veranstalten, aber ich möchte einige Ihrer getroffenen Annahmen widerlegen, die allenfalls oberflächlich dazu dienten, der ehemaligen Landesregierung eine verfehlte Wirtschaftspolitik zu unterstellen.

Herr Rehbaum, das Wirtschaftswachstum lag zuletzt – deutlich messbar – 0,1 % unterhalb des Bundesdurchschnitts. Man kann jetzt sagen: Das ist uns zu wenig. – Wir haben in den letzten Jahren eine deutliche Aufholjagd geschafft. Unser Fraktionsvorsitzender hat Ihnen gestern deutlich erklärt, dass wir zuletzt gerade in der Industrieproduktion mit 5 % überaus erfreuliche Werte hatten.

Ich finde, das ist ein Thema, das Mut macht. Es macht der Wirtschaft Mut. Es hat Mut gemacht, in den letzten Jahren eine Aufholjagd auf den Weg zu bringen, die zu einem guten Ergebnis geführt worden ist, wie wir zuletzt allen Kennzahlen entnehmen konnten. Dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ist allein Ihrer Wahlkampfrhetorik geschuldet.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn Sie sagen, der LEP sei Dreh- und Angelpunkt für Wachstum, dann ist das genauso falsch wie die Behauptung, dass das angekündigte Entfesselungsgesetz in Zukunft irgendetwas mit messbarer Wachstumsintensität zu tun haben werde. Denn Sie müssten mir dann gleich in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorführen, dass beispielsweise der Wechsel von einer Hygieneampel zu einem „Frikadellen-Schein“, den es auch gibt, in irgendeiner Art und Weise zum Wachstum beitragen kann. Das ist nicht der Fall, und dazu wird es auch nicht kommen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir haben – das haben Sie in den letzten Monaten und Jahren kritisiert – den LEP angepackt. Die gesetzliche Grundlage dafür ist das Landesplanungsgesetz; das wissen Sie. Wenn Sie das Landesplanungsgesetz anwenden wollen, sind bestimmte Verfahren einzuhalten. Es ist richtigerweise geschildert worden, dass so ein Verfahren durchaus auch mal vier oder fünf Jahre dauern kann. Sie wissen ganz genau, dass es da zu Tausenden von Einwendungen kommt, die abgewogen werden müssen. Das ist auch passiert.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Darauf, dass der Flächenverbrauch selbstverständlich eine Rolle spielt, hat der FDP-Kollege richtigerweise hingewiesen.

Wir hatten 1.400 Stellungnahmen von privaten und von institutionellen Einwendern zu lesen, zu denen eine Abwägung herbeigeführt werden musste. Ich will noch einmal sagen: Das hat nicht dazu geführt, dass es auch nur in einem einzigen Fall nicht zu einer Unternehmensansiedlung gekommen ist. Warum? –Dafür hat meistens die örtliche Kommune die Verantwortung

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

– nicht meistens, sondern immer. Das ist eine Frage der örtlichen Flächenausweisung und nicht ein Thema der Landesentwicklungsplanung.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Aber ich will Ihnen noch einmal sagen, wie die schwarz-gelbe Koalition in der Vergangenheit, in den Jahren 2005 bis 2010, damit umgegangen ist. Sie haben gesagt: Wir finden einen Standort für ein Kraftwerk; uns interessiert nicht, welche Aussagen die Landesentwicklungsplanung dazu macht. – Das war bei Datteln 4. Die Ministerin hieß damals Christa Thoben. Für uns war es äußerst langwierig, diese Verfehlung aufzuholen.

Nun wenden Sie mit Ihrer Regierung, Herr Ministerpräsident, nicht das langwierige Verfahren an, sondern Sie sagen: Wir, die schwarz-gelbe Koalition, haben eigentlich gar keine genaue Vorstellung davon, was wir wollen, aber wir wollen irgendwie ein bisschen wirtschaftsfreundlicher um die Ecke kommen. – Das sagen Sie mit diesem Antrag. Deshalb werden wir dem auch nicht zustimmen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie nehmen überhaupt keine Position ein, sondern wollen wirtschaftsfreundlich rüberkommen und sagen: Die Landesregierung macht das so, wie sie es für richtig hält. Das ist ein Rückfall in alte Zeiten von Christa Thoben, wo Sie mit einer schwarz-gelben neoliberalen Einschätzung erklärt haben:

(Zurufe von der CDU)

Wir wissen besser, wo etwas vor Ort hinzustellen ist. – Und Sie wussten es eben nicht besser. Deshalb sind Sie damals gescheitert. Ich glaube, dass Sie mit dieser Position …

Präsident André Kuper: Herr Kollege Hübner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Michael Hübner (SPD): … wieder scheitern werden. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Präsident André Kuper: Herr Kollege Hübner, es gab eben eine Zwischenfrage des Kollegen Hovenjürgen. Gestatten Sie die Frage?

Michael Hübner (SPD): Ich gestatte sie. – Josef, mach!

Josef Hovenjürgen (CDU): Lieber Kollege Hübner, ist Ihnen denn bekannt, dass der Wirtschaftsminister, den Ihre Partei bis zum 14. Mai stellte, erklärt hat, dass das, was der LEP und beispielsweise das Landesnaturschutzgesetz beinhalten, wegverhandelt werden müsse, weil es wirtschaftsunfreundlich sei und das Wachstum in Nordrhein-Westfalen hemme? War das eine Fehleinschätzung Ihres Wirtschaftsministers, und teilen Sie diese Auffassung nicht?

Michael Hübner (SPD): Lieber Kollege Hovenjürgen, Sie habe gerade auch wieder den Versuch gemacht, irgendetwas zu verschleiern.

(Zurufe von der CDU – Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie nennen den Landesentwicklungsplan und schieben direkt das Landesnaturschutzgesetz hinterher. Der Zwischenruf wird noch dadurch ergänzt, dass das in irgendeiner Art und Weise durch die durchgrünte Gesellschaft kommt.

Kollege Hovenjürgen, dass der Landesentwicklungsplan irgendeine Ansiedlung verhindert hat, ist nicht richtig. Das konnten Sie in der Vergangenheit auch nicht belegen; es war nicht belegbar.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Daher wollen Sie in der Wirtschaftspolitik weiterhin eine absolute Phantomdiskussion führen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Hat Herr Duin recht?)

– Herr Duin hatte in der Vergangenheit gerade mit seiner wirtschaftsfreundlichen Kompetenz immer recht. Wir stimmen dem ausdrücklich zu. Wir haben in den letzten Jahren eine Riesenaufholjagd geschafft. Gerade der Landesentwicklungsplan hat dazu gedient, wirtschaftsfreundliche Ansiedlungen auf den Weg zu bringen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und Horst Becker [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Danke, Herr Hübner. – Für die AfD hat Herr Loose das Wort. Bitte schön.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kommen wir nun zu dem Antrag von Herrn Lindner und seinen Freunden. Schade, dass Herr Lindner heute nicht hier ist. Denn eigentlich konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass dieser Antrag von ihm ist, weil er komplett inhaltsleer ist; das kennen wir so gar nicht von ihm.

(Zuruf von der AfD: Doch, doch!)

– Ja, wobei wir in den letzten beiden Tagen gelernt haben, dass die Altparteien so ihre Probleme mit Fakten und Inhalten haben. Sie reagierten mehr oder weniger allergisch und haben dann etwa mit Beleidigungen reagiert.

Aber kommen wir zu Ihrem Antrag: Was genau wollen Sie denn in welcher Zeit, mit welchem Personal, mit welchen Maßnahmen, zu welchen Kosten überhaupt erreichen? All das steht nicht in dem Antrag. Jetzt spreche ich vor allen Dingen für einige Zuschauer, insbesondere Controller, Leute, die schon mal Beschlussvorlagen geschrieben haben. Ich zitiere aus der Beschlussvorlage Ihres Antrags:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, kurzfristig Erlasse und Verordnungen auf den Weg zu bringen, um den Landesentwicklungsplan so praxisorientiert wie möglich anzuwenden und eine nachhaltige Entwicklung in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen.“

Aha! Sie wollen also kurzfristig etwas machen. Was heißt das bei Ihnen? Zwei Wochen, ein Jahr, fünf Jahre, oder soll ich den FDP-Maßstab – also nie – ansetzen?

Was soll eine Verwaltung mit dem Begriff „praxisorientiert“ anfangen? Das ist schon fast eine philosophische Frage, die vielleicht zu einem Philosophiestudium passt.

„Nachhaltig“ ist ein wunderbares Modewort. Ja, mit Mode kennt sich die FDP sicherlich aus.

Das Ganze klingt, als hätte es ein Praktikant geschrieben. Man hätte auch schreiben können, die Verwaltung solle irgendwas mit dem Landesentwicklungsplan machen, was sich hübsch anhört.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der CDU: Und was hören wir von Ihnen?)

Was höre ich dann hier von Ihnen? Im Grunde Wahlkampf! Sie reden darüber, was die Landesregierung vor Ihnen alles falsch gemacht hat, wie viele Flächen verloren gegangen sind. In Ihrem Antrag steht aber nicht, ob Sie mehr Flächen wollen oder – was die FDP fordert – eine sparsame Flächennutzung.

(Zuruf von der FDP)

Was denn nun? Mehr, weniger oder gar nichts? Sie wissen es ja noch nicht einmal selber.

(Beifall von der AfD)

Wenn es nur darum ginge, diesen Antrag formell in den Ausschuss zu bringen, dann hätten Sie das ohne Debatte machen können. So inhaltsleer etwas vorzugeben, das ist für Sie schon eine peinliche Nummer.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der FDP)

– Sie sind in der Regierung. Es ist Ihre Verantwortung. Es ist Ihr Antrag.

(Zurufe von der FDP)

– Sie hätten hineinschreiben müssen, was Sie möchten, lieber Kollege.

(Zurufe von der FDP)

– Ich kann zu den Luftblasen in Ihrem Antrag auch nicht viel sagen.

(Unruhe)

Wenn Sie einen Luftblasenantrag haben wollen, dann geben Sie das Ganze ohne Debatte in den Ausschuss, aber versuchen Sie nicht, es hier für den Wahlkampf aufzublähen.

Der Kollege von der SPD bringt sogar noch die Hygieneampel mit dem Landesentwicklungsplan zusammen. Der Nächste kommt mit dem Naturschutzgesetz. Es ist doch hanebüchen, was Sie uns heute hier erzählen.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der FDP: Was wollen Sie denn?)

– Wenn wir etwas wollen, stellen wir einen eigenen Antrag, und der hat dann auch Substanz, lieber Kollege.

(Zurufe von der CDU und der AfD)

Ich bitte Sie, Ihre leeren Hohlformen einfach an Ihren Praktikanten zurückzugeben, damit er einen ordentlichen Antrag schreibt. Den können wir dann auch unterstützen. – Vielen Dank.

(Zuruf von der CDU: Was für eine Arroganz!)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Loose. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Becker das Wort. Bitte schön.

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem vorliegenden Antrag muss man zunächst zur Kenntnis nehmen, dass Ihnen offensichtlich selber klar ist, dass Ihre großartigen Versprechungen, den LEP zu ändern, in absehbarer Zeit alleine verfahrenstechnisch nicht zu verwirklichen sind. Deswegen versteigen Sie sich zu der Aufforderung an die Landesregierung, den gültigen LEP – ich sage es mit meinen Worten – durch Erlasse und Verordnungen auszuhöhlen.

Wir werden sehen, inwieweit das rechtlich möglich ist, in welchem Spielraum Sie tatsächlich rechtlich vorgehen können, und darüber diskutieren.

Zunächst lohnt es sich aber, die Fakten zu betrachten; denn die Faktenfreiheit greift meiner Ansicht nach auch in dieser Frage um sich.

Wir haben ein nationales Nachhaltigkeitsziel, das besagt: „Nicht mehr als 30 ha Flächenverbrauch im Jahr“, übrigens auch ein Ziel, das die CDU in ihren Agrararbeitskreisen immer wieder fordert. Wenn man das auf die Flächen von Nordrhein-Westfalen herunterbricht, sind es in der Tat die 5 ha, die wir im Landesentwicklungsplan verankert haben. Zurzeit haben wir aber zwischen 9 und 10 ha Flächenverbrauch am Tag in Nordrhein-Westfalen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Inklusive Ausgleich!)

Ich will Ihnen an dieser Stelle zurufen, dass Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen Obergrenzen von 1,6 bis 3,6 ha im Landesentwicklungsplan haben. Das heißt, wir reden über Zahlen, die in Nordrhein-Westfalen deutlich zu hoch liegen und die – Sie haben das früher selbst unter Herrn Uhlenberg behauptet – deutlich gesenkt werden müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was aber ist Ihr angebliches Problem? Wir haben gestern zur Kenntnis nehmen können wie Herr Lindner Herrn Ott gefragt hat – übrigens mit wenig Fachahnung –, wie man den Wohnungsbau beispielsweise in Köln ankurbeln könne. Seine Antwort lautete: durch eine Änderung des LEP. – Der LEP erlaubt aber den Wohnungsbau in Köln. Das ist nicht das Problem.

Der LEP erlaubt den Wohnungsbau übrigens auch im Umfeld der Ballungsräume – ausdrücklich mit möglichen Ausnahmen –, setzt aber Grenzen an den Stellen, an denen durch den demografischen Wandel auch heute noch erhebliche Rückgänge zu verzeichnen sind.

Er setzt auch dort Grenzen, wo man – ich drücke es jetzt zugespitzt aus, umgangssprachlich – Wohngebiete auf der grünen Wiese ausweist, und zwar ohne Versorgungseinrichtungen, ohne Dienstleistungseinrichtungen, ohne ordentliche Verkehrsanbindung, auch ohne Schienen und öffentlichen Nahverkehr. Aber selbst da lässt er wiederum Ausnahmen zu.

Insofern: Wenn Sie das derart verallgemeinern, gehen Sie an der Wirklichkeit vorbei. Offensichtlich geht es Ihnen darum, dass Teile Ihrer Partei und auch Teile der FDP, was den Wohnraum angeht, wieder zur Beliebigkeit zurückkehren wollen, dem nicht fachlich gesteuerten Vorgehen nach dem Motto: Ich melde Bedarf an – egal, wo das ist –, weise Wohngebiete auf der grünen Wiese aus und berücksichtige die tatsächlichen Entwicklungen im Land nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ähnlich verhält es sich mit Ihrer Mär von der angeblichen Wirtschaftsfeindlichkeit. Herr Hübner hat eben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht ein einziges Vorhaben behindert worden ist. Er hat nicht darauf hingewiesen – das könnte man noch tun –, dass dieser LEP erstmalig ein eigenes Unterkapitel für die Wirtschaft hat und diverse Möglichkeiten und Schwerpunkte eingeräumt hat, was vorher nicht der Fall war.

Wenn wir das alles zusammenziehen und berücksichtigen, dass am Ende des Verfahrens in den verschiedenen Regionalkonferenzen auch von den kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich darum gebeten wurde, diesen LEP endlich zu verabschieden und Rechtssicherheit zu schaffen, muss man feststellen: Sie verunsichern die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die demnächst Regionalplanung machen müssen; ich nenne aktuell den Regionalplan Düsseldorf oder demnächst den Regionalplan Köln.

Sie machen nicht klar, wohin Sie wirklich wollen. Sie schieben den Kommunen ein Stück weit den Schwarzen Peter zu. Sie drücken sich um die Arbeit, die sich die SPD und die Grünen in der letzten Wahlperiode gemacht haben, nämlich Perspektiven für 15 bis 20 Jahre aufzuzeigen und gleichzeitig Instrumentarien vorzusehen, die trotzdem immer wieder Möglichkeiten bieten, notwendige Veränderungen vorzunehmen.

Ich bin gespannt darauf, welche Erlasse und Verordnungen Sie uns in der nächsten Zeit vorlegen werden. Wir werden das sehr kritisch beäugen. Ich sage Ihnen voraus: Ähnlich wie beim Windenergieerlass wird es trotz Ihrer großspurigen Ankündigungen sicher noch manche Überraschungen geben. Wir werden dann schon sehen, wo Sie am Ende landen. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Becker. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort. Bitte sehr.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe Herrn Kollegen Hübner und Herrn Kollegen Becker eigentlich nicht. An anderer Stelle wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, es ginge um Arbeitsplätze und es ginge um die Zukunft des Landes Nordrhein-Westfalen. In seiner gestrigen Rede verlangte Herr Römer geradezu ein Aufbruchssignal und erwartete, dass hier mehr bewegt werden müsste.

Jetzt legen die Koalitionsfraktionen einen Entschließungsantrag vor mit der Perspektive, dass das Land über den Landesentwicklungsplan neue Möglichkeiten für diejenigen im Wohnungsbau und bei Gewerbeerschließungen schafft, die vor Ort Verantwortung wahrnehmen wollen. Und schon tragen Sie ausschließlich Bedenken vor. Ich weiß nicht, wie das zusammenpassen soll.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Ich möchte Ihnen sagen: Wenn man sich mit den Informationen beschäftigt, die man erhält, wenn man ein Ministerium übernimmt, dann findet man auch das eine oder andere Gutachten, das in Auftrag gegeben wurde, das aber nie die Öffentlichkeit erreicht hat. Es gibt auch Gutachten, die berechtigterweise in Auftrag gegeben worden sind, wie ich gerne hinzufüge. So hatte man 2015 gesehen, dass Nordrhein-Westfalen entgegen dem Bundestrend in eine Wachstumsdelle hineinlief.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Die Gutachten zeigen, dass Nordrhein-Westfalen – und zwar strukturell – an mangelnder Investition und Innovation leidet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nordrhein-Westfalen ist zurückgefallen. Daran vorbeizureden, halte ich im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land für verantwortungslos, um das ganz klar hier mal festzuhalten!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir müssen zur Kenntnis nehmen – das steht genau im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Hübner, gesagt haben –:

(Michael Hübner [SPD]: Bitte!)

Sie haben versucht, möglichst enge Planungsvorgaben zu setzen, nicht sehend, dass sich die Wirtschaft außerordentlich dynamisch entwickelt.

(Zuruf von der CDU: So ist das!)

Wir hatten früher sehr lange Planungszeiträume. Die Kohle war über 100 Jahre da. Opel war über 50 Jahre da. Wenn Sie die modernen Betriebe sehen, möchte ich fast sagen: Die kommen und gehen.

(Michael Hübner [SPD]: Nennen Sie doch einmal eine Ansiedlung, die gescheitert ist!)

Sie müssen sich flexibel darauf einrichten. Das hat auch etwas mit der hier diskutierten Digitalisierung zu tun. Die führt dazu, dass wir ein exponentielles Wissenswachstum und immer kürzere Innovationszyklen haben. Unsere Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

Wenn Sie dann einen Hidden Champion im Sauerland haben, der in einer kleinen Wohnortgemeinde mit unter 2.000 Einwohner angesiedelt ist und sich auf einmal viel dynamischer als geplant entwickelt, dann können Sie doch nicht sagen: Das haben wir in unseren Planungen aber nicht berücksichtigt. – Das ist doch absurd!

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Nennen Sie doch mal einen Hidden Champion, Herr Minister Pinkwart!)

Deswegen sagen wir Ihnen ganz klar: Nordrhein-Westfalen muss daran arbeiten – das muss das gemeinsame Interesse des Hohen Hauses sein –, dass wir alle Spielräume im Rahmen der Abwägung zwischen Umweltschutz, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen sehr verantwortungsvoll nutzen.

(Michael Hübner [SPD]: Nennen Sie ein Beispiel und seien Sie nicht nur abstrakt! Sie drücken sich vor einer Antwort!)

Das wollen wir im Rahmen des Landesentwicklungsplanes tun, um eine flexible, zukunftsfähige und auf langfristige Planungssicherheit gerichtete raumordnerische Gesamtkonzeption für dieses Land zu entwickeln, die der Regional- und Bauleitplanung ausreichend Spielräume belässt und gleichzeitig unserer Wirtschaft ihrem Bedarf entsprechend ausreichende Entwicklungsspielräume ermöglicht.

(Unruhe)

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Es ist notwendig, dass wir uns nicht nur Planungsinstrumentarien geben, die gut funktionieren, sondern dass wir auch unsere Planungsprozesse genau unter die Lupe nehmen und uns fragen: Wie können wir auch mit Hilfe der Digitalisierung die Planungsprozesse so anordnen, dass wir nicht über fünf- bis siebenjährige Planungszeiträume reden müssen, sondern auch über kürzere Planungszeiträume, zumal wenn es um Anpassungen geht, die wir im Interesse des Landes vornehmen müssen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich kann Ihnen das an einem konkreten Beispiel sagen.

(Michael Hübner [SPD]: Ja, bitte! Da bin ich gespannt! Nennen Sie ein Unternehmen! Butter bei die Fische! – Weitere Zurufe)

– Ja, bleiben Sie doch mal ganz ruhig. – Ich kann Ihnen ein ganz konkretes Beispiel nennen, wo wir eine ganz konkrete Investitionsanfrage für Nordrhein-Westfalen haben. Die kommt von einem Unternehmen, das hier schon tätig ist und die Bedingungen kennt. Das Unternehmen sagt: Sie würden gerne einen Unternehmensteil – auch wegen des Brexit – nach Kerneuropa verlagern. Sie haben mehrere Standortoptionen.

Nach deren bisheriger Analyse stellt sich die Situation so dar: In den benachbarten Ländern geht das Unternehmen davon aus, in sechs Monaten eine Genehmigung zu erhalten, und bei uns geht es im Moment davon aus, dass das 24 Monate dauert.

Ich habe mit der Unternehmensleitung gesprochen. Ich habe mit der Regierungspräsidentin gesprochen. Ich habe mit den Mitarbeitern des Hauses gesprochen. Dann habe ich dem Unternehmen gesagt: Wir werden alles daran setzen, dass wir genauso schnell sind wie unsere europäischen Nachbarländer. Wir versuchen, das zu erreichen, meine Damen und Herren! Nur so werden wir den Standort wieder wettbewerbsfähig machen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 35 Sekunden überzogen. Gibt es weiteren Redebedarf? – Herr Becker für Bündnis 90/Die Grünen.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh, oh!)

Horst Becker (GRÜNE): Herr Minister! Sie haben eben gesagt, Sie könnten uns ein konkretes Beispiel nennen. Angesichts meiner Erfahrungen – Sie werden sich noch an die Zeit mit den konkreten Beispiele von Herrn Wolf erinnern – würde ich Sie im Namen des Parlaments bitten, noch einmal an das Redepult zu treten und Ross und Reiter zu benennen. Nennen Sie uns doch die Firma, den Ort und die Schwierigkeiten!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ansonsten besteht der Verdacht, dass es sich um ähnlich fiktive Beispiele handelt wie damals bei Herrn Wolf bei den angeblichen kommunalen Nagelstudios.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf: Unverschämt!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Es gibt derzeit keine weitere Wortmeldung mehr. Also schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/525 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möch-te, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen nun zu

2   Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Sicherung der Unterrichtsversorgung: Besoldung der Lehrkräfte muss auf den Prüfstand!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/516

In Verbindung mit:

Ungerechte Besoldung in der Grundschule beenden

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/532

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Mann, der hier schon steht, dem Abgeordneten Ott von der SPD, das Wort. Bitte sehr

Jochen Ott (SPD): Danke schön, Herr Präsident! – Guten Morgen, meine Damen und Herren! Nicht bezogen auf meinen Vorredner, aber auf das, was jetzt kommt, nämlich die Debatte, kann ich sagen, dass es ein guter Tag für die Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen ist, weil heute der parlamentarische Anfang einer Debatte genommen wird, die am Ende dazu führen wird, dass es eine Neuregelung der Lehrerbesoldung in Nordrhein-Westfalen geben wird. Die Frage wird am Ende nur sein: Wie gerecht wird sie sein? – Dazu wollen wir uns heute schon klar committen.

Auf Grundlage des 2009 in Kraft getretenen Lehrerausbildungsgesetzes durchlaufen jetzt alle Lehramtsanwärterinnen und -anwärter die gleiche lange universitäre Ausbildung, und demnach muss die Vergütung für die Kolleginnen und Kollegen jetzt auch gleich sein.

Die Leistung aller Lehrerinnen und Lehrer muss anerkannt werden; denn sie alle leisten einen wesentlichen Beitrag für die Entwicklung unserer Kinder. Das gilt natürlich auch für die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen; das gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen, die an den vielen Haupt- und Real- und Gesamtschulen unseres Landes ihren Dienst verrichten.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Situation wie in vielen anderen Bundesländern auch, dass das Gehalt der Lehrerinnen und Lehrer durch unterschiedliche Faktoren bestimmt ist: das Alter, die Schulform, die Frage, ob sie verbeamtet oder angestellt sind.

Insofern ist jetzt zwingend dafür zu sorgen, dass wir bei der Einstiegsbesoldung allen Kolleginnen und Kollegen den gleichen Lohn zahlen,

(Vereinzelter Beifall von der SPD)

allein schon deshalb, weil – wie die Ministerin zu Recht festgestellt hat – insbesondere an den Grundschulen ein großer Lehrermangel herrscht und daher die Gefahr droht, dass immer weniger Lehrer, die ihr Studium abgeschlossen haben, an die Grundschulen gehen – und das, wo gerade die Grundschulen für die Entwicklung und den Start der Kinder in die Schule von so großer Bedeutung sind.

Nach Angaben des NRW-Schulministeriums gibt es bei dem Gehalt der Berufseinsteiger einen Unterschied von etwa 350 € bis 450 €. Insofern muss man konstatieren, dass jetzt dringender Handlungsbedarf gegeben ist. Schon im Wahlkampf, im NRW-Plan, den die NRW-SPD vorgelegt hatte, war die Reform der Besoldung der Lehrerinnen und Lehrer angekündigt und gleicher Lohn für gleiche Arbeit geplant. Hannelore Kraft hat während ihrer Amtszeit zum Ausdruck gebracht, dass dies direkt nach der Wahl anzugehen sei.

Der Antrag der Grünen ist ein Antrag, dem wir gleich in der direkten Abstimmung zustimmen werden, weil es richtig ist, bei den Grundschullehrerinnen und -lehrern den Anfang zu machen. Aber es muss noch weit darüber hinaus gehen. Wir sagen deshalb unserer Schulministerin Yvonne Gebauer zu: Wir stehen hinter Ihnen bei Ihrem Versuch, diese Reform so schnell wie möglich umzusetzen. Wir wissen, dass Sie innerhalb des Kabinetts mit dem Finanzminister harte Diskussionen vor sich haben werden. Sie können sich sicher sein: Bei dem Ziel „Gleiche Besoldung für die Lehrerinnen und Lehrer“ steht die SPD-Fraktion an Ihrer Seite.

(Beifall von der SPD)

Wir werden bei dieser Gelegenheit auch darüber reden müssen, wie Weiterbildungsgarantie und wie das Jobticket für Lehrerinnen und Lehrer gewährleistet werden kann. Wir werden uns zudem Gedanken über die Lehrerarbeitszeit machen müssen, weil natürlich nicht nur die Frage des Lohns eine Rolle spielt, sondern auch die Frage der unterschiedlichen Arbeitszeiten. All das muss in den Blick genommen werden.

Insofern freuen wir uns auf eine Debatte im Ausschuss. Es wird dazu eine Anhörung geben. Ich bin mir ganz sicher – am Ende wird man feststellen: Der heutige Tag war der Beginn einer endlich überfälligen Änderung der Lehrerbesoldung für Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke schön, Herr Ott. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Beer jetzt das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen zu Beginn zwei Gründe für unseren Antrag nennen. Den ersten können Sie auf der Seite des Wissenschaftsministeriums lesen; die Aussage ist genau richtig:

„Die Gleichwertigkeit der Lehrämter ist durch die Einführung eines eigenständigen Grundschullehramts und der Angleichung der Ausbildungszeiten gegeben.“

Das ist die formale Begründung.

Zweitens sind wir uns neben der formalen Begründung sicher auch einig: Die Grundschullehrerinnen und -lehrer verdienen die Angleichung der Besoldung für ihre Arbeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

– Dafür darf man klatschen, denn dieser Applaus gilt all denjenigen, die engagiert über die Jahre ihre Arbeit machen.

(Ralf Witzel [FDP]: Warum haben Sie das denn nicht vorher schon längst umgesetzt?)

– Ist das eine offizielle Zwischenfrage, Herr Witzel?

(Ralf Witzel [FDP]: Sagen Sie doch mal was dazu!)

– Dazu will ich mal etwas sagen: Wenn Sie es in absehbarer Zeit – wie wir – geschafft haben, den Schuletat um 4 Milliarden € aufzustocken – da stützen wir Ministerin Gebauer –, dann können wir wieder miteinander reden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will eines betonen – das hat der Kollege Ott eben auch gesagt: Wir reden heute über die Grundschullehrerinnen und -lehrer, aber natürlich müssen wir auch über die Sek-I-Lehrkräfte reden. Das ist wichtig, und deswegen ist es gut, dass wir heute über die eine Sache schon mal abstimmen und das andere in die Anhörung mitnehmen. Da bin ich dezidiert der Meinung: Es geht nicht nur um die Neueinsteigerinnen und -einsteiger in den Beruf. Wir brauchen einen Stufenplan über die gesamte Legislaturperiode, und zwar für alle Lehrkräfte in der Grundschule und auch für alle Sek-I-Lehrkräfte.

Ministerpräsident Laschet hat in seiner Regierungserklärung zu Recht auf die Bedeutung der Grundschule hingewiesen. In einem ersten Schritt haben wir im letzten Haushalt schon die Besoldung der Schulleiterinnen und Schulleiter an Grundschulen und an Hauptschulen angehoben. Selbstverständlich müssen jetzt die Konrektorinnen und Konrektoren folgen. Das haben Sie auch im letzten Jahr lautstark eingefordert. Dazu finden wir einen einzigen, dürren Satz im Koalitionsvertrag – aber immerhin.

Umso enttäuschter bin ich, Herr Laschet, dass im Nachtrag nichts davon zu sehen ist. Das wäre das richtige Signal gewesen, diesen nächsten Schritt konsequent zu gehen. Ich hoffe, dass wir das im Zuge der Debatte nachbessern können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin ein wenig enttäuscht vom Koalitionsvertrag. Mit dem geschätzten Kollegen Kaiser habe ich gemeinsam auf manchem Wahlkampfpodium gesessen. Ich erinnere ausdrücklich an den Termin beim VBE: Hoch und heilig hat er im Namen der CDU versprochen, dass die Aufwertung der Grundschulbesoldung kommt. Im Koalitionsvertrag: nichts, nada, niente. Dabei brauchen wir die Aufwertung des Lehramts dringend.

Es ist doch eine Utopie: Die geschätzte Kollegin Gebauer soll mehr Lehrkräfte an den Grundschulen gewinnen, und sie soll den Lehrkräften vermitteln, dass sie am Gymnasium zwar mehr verdienen würden, dass sie jetzt aber ihre Leidenschaft für die Grundschule entdecken sollen, zugleich aber beim Gehalt Abstriche machen. Wenn wir mehr Studierende für die Grundschulen gewinnen möchten, ist die Wertschätzung für die Arbeit, die sich eben auch durch Besoldung ausdrückt, ein Moment bei der Studienwahl.

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung auf Paul Mikat, Vater der „Mikätzchen“, verwiesen. So wurden die Hilfslehrerinnen genannt, die in Sonderkursen ausgebildet wurden, um in den 60er-Jahren den Lehrermangel an nordrhein-westfälischen Volksschulen zu mildern. Die Maßnahme begründete sich auch durch die Kriegsbiografien und die sich daraus ergebenden mangelnden Abschlüsse.

Wir sollten jetzt gemeinsam auf die grundständige Lehrerausbildung setzen. Es ist richtig, jetzt wohldosiert für den Seiteneinstieg zu werben, Stellen zu kapitalisieren, damit Schulen vor Ort engagierte Pädagoginnen und Pädagogen aller Professionen gewinnen können oder auch schon mit Studierenden zusammenarbeiten, bis die Absolventinnenzahlen aufgrund der Delle, die mit dem verlängerten Verbleib an den Hochschulen zu tun hat, wieder ausgebügelt werden kann und wir viel mehr Absolventinnen und Absolventen haben.

Frau Gebauer, Sie wissen aber auch aus den Diskussionen im Ausschuss, dass wir bewusst darauf verzichtet haben, nach den „Mikätzchen“ „Löhrmännchen“ in die Schulen zu holen, und ich hoffe nicht, dass wir jetzt mit einer Welle von – ich weiß gar nicht, wie man das nennt – „Gebäuerchen“ oder „Gebauerinnen“ zu rechnen haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nein, wir brauchen eine grundständige Lehramtsausbildung. Die Grundschule braucht unterstützende Maßnahmen, aber wir wollen und haben keine sächsischen Verhältnisse. Dort gibt es regional bis zu 72 % Seiteneinsteigerinnen. Die bleiben nicht alle im Beruf, sondern die gehen zum Teil auch wieder heraus, weil sie eben doch nicht geeignet sind. Das wollen wir unseren Grundschulen nicht zumuten.

Wenn wir zukünftig mehr Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschulen gewinnen wollen, brauchen wir die Aufwertung der Besoldung. Wir sollten jetzt ein gemeinsames Signal setzen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Das ist das Signal, das auch die Grundschullehrkräfte nach all den Versprechungen, die auch der Ministerpräsident auf der Veranstaltung der GEW zum Bochumer Memorandum gemacht hat, erwarten. Diese Versprechen müssen auch eingehalten werden. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Beer. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Rock das Wort. Es wird seine Premiere sein.

Frank Rock*) (CDU): Herr Landtagspräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einleitend etwas zu meiner Biografie sagen: Ich selbst war im Mai noch Grundschulleiter und wundere mich jetzt über die Aussagen von Frau Beer, die ein Herz für die Grundschulen gefunden hat – heute, nachdem sie die Wahl im Grunde genommen genau wegen dieses Themas verloren hat.

(Beifall von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das hatte sie schon immer!)

Liebe Frau Beer, liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und SPD gelesen habe, habe ich geschmunzelt und sogar gelacht. Als ich die Anträge meinem Kollegium vorgelegt habe, waren die Reaktionen ähnlich. Ich möchte gerne eine Kollegin zitieren, die sagte: Damit kommen die jetzt? Die hatten doch in den letzten Jahren genügend Zeit, für die Angleichung und für die notwendigen Veränderungen zu sorgen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Das ist doch ein klasse Zitat! – Jochen Ott [SPD]: Und deshalb stimmen Sie jetzt dagegen?)

Das trifft den Nagel auf den Kopf. Mit dieser Meinung ist die Kollegin leider auch nicht alleine, sondern die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen in NRW, aber auch die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, erkennen, dass die Verantwortung für die Bildungspolitik der letzten Jahre, für die Besoldung und auch die Neuregelung der Eingangslehrämter ausschließlich bei Rot-Grün zu suchen ist und nicht bei der neuen NRW-Koalition.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Nach vorne diskutieren!)

Sie sind verantwortlich für die miserable Bildungspolitik der letzten Jahre.

(Jochen Ott [SPD]: Dann machen Sie das doch! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was machen Sie denn anders?)

Sie können uns – der Ministerin und der neuen Mehrheit – nicht wirklich erklären wollen, dass wir nach 80 Tagen in der Regierung die Verantwortung für Ihre Bildungspolitik zu tragen hätten.

Wenn es das Hohe Haus erlaubt, möchte ich den ersten Reichskanzler, Otto Fürst von Bismarck, zitieren, der vor 200 Jahren gesagt hat:

(Jochen Ott [SPD] entfernt sich von seinem Platz.)

– Herr Ott, Sie können gerne sitzen bleiben. Vielleicht können Sie davon auch noch etwas lernen.

(Heiterkeit von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das Zitat haut ihn vom Stuhl!)

„Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit.“

Ich möchte nicht behaupten, dass hier irgendjemand krank ist. Dennoch ist es beschämend, wenn man keine Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt und Versäumnisse darstellt. Wenn ich als Neuling die Plenardebatten der letzten Tage für mich bewerte, muss ich sagen: Verantwortung übernimmt hier keiner.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Nicht einmal Ihr Ministerpräsident?)

Kommen wir zurück zu den Anträgen. Sieben Jahre rot-grüne Schulpolitik kann man so beschreiben: inhaltslos, planlos und ziellos.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal was zur Sache! Zum Antrag!)

Zwei Punkte möchte ich dazu anführen, liebe Frau Beer; da spreche ich Sie persönlich an.

Gemeinsam mit der ehemaligen Schulministerin Frau Löhrmann tragen Sie Verantwortung für das Chaos bei der Inklusion. Sie haben Eltern verunsichert. Sie haben bei Kindern keine ausreichende Förderung zugelassen.

(Zuruf von der SPD: Reden Sie doch mal zum Antrag!)

Sie haben die Kolleginnen und Kollegen an den Rand der Belastbarkeit geführt und nicht unterstützt.

(Michael Hübner [SPD]: Warum sprechen Sie denn nicht zum Antrag? Sie wollten doch sachlich debattieren!)

Hier wird die NRW-Koalition in Zukunft richtige Schwerpunkte setzen und die Inklusion zukunftsfähig machen.

(Zuruf von der SPD: Zur Sache! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Wir reden über Grundschulen!)

Kommen wir zu dem Antrag. Ja, Sie haben recht: Das Lehrerausbildungsgesetz ist im Mai 2009 in Kraft getreten. Ich frage mich auch hier wieder: Wer trägt die Verantwortung für die letzten Jahre? Wer hat denn seit 2010 regiert? Wer hätte denn für eine gerechtere Besoldung sorgen können?

Nein, Sie haben sogar für noch mehr Ungerechtigkeit gesorgt, indem Sie vor der Wahl richtigerweise die Anhebung der Besoldung der Schulleitung vorgenommen haben, wovon ich persönlicher Nutznießer war. Aber die Stellvertretungen haben Sie ausgeschlossen, übersehen oder einfach ignoriert.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Meine Schulleiterkollegin in meinem Team konnte die Welt nicht verstehen, als Sie genau das beschlossen haben. Sie haben beim Thema „Gerechtigkeit“ versagt. Auch in Ihren jetzigen Anträgen ist davon nichts zu finden.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Präsident André Kuper: Herr Kollege Rock, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von der Kollegin Beer, was bei einer Premierenrede an sich nicht üblich ist. Möchten Sie die Zwischenfrage dennoch zulassen?

Frank Rock*) (CDU): Frau Beer, ich habe Ihre süffisante Art schon kennengelernt. Sicher dürfen Sie eine Zwischenfrage stellen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Oh!)

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident! – Danke schön, Herr Kollege. Ich finde, Sie führen sich gut ein. Ich möchte Sie etwas fragen. Sie haben zu Recht aus Ihrem persönlichen Erleben dargestellt, und ich kann den Ärger verstehen. Dass die Konrektoren nicht gleich mit bedacht worden sind, hat auch etwas mit den Verhandlungen mit dem Finanzminister zu tun. Ich wünsche Ihnen viel Glück dafür.

Wann kommt denn jetzt von Ihrer Seite aus das Nachziehen für die Stellvertretungen? Können Sie uns das sagen?

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP: Haben Sie mal Geduld!)

Frank Rock*) (CDU): Liebe Frau Beer, es ist schön, wenn Sie mir durch Ihre Zwischenfrage ein bisschen mehr Redezeit verschaffen. Ich freue mich, darauf reagieren zu können.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Die Ministerin hat deutlich gesagt, dass wir das zeitnah anpacken wollen. Wir werden diese Ungerechtigkeit beheben.

(Zuruf von der SPD: Das muss ja in den Haushalt!)

Dafür brauchen wir Sie nicht. Sie haben das sieben Jahre lang nicht getan und dann ganz kurz vor der nächsten Wahl ein altes Wahlversprechen eingelöst.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich sage das hier noch einmal sehr deutlich, Frau Beer: Zwei Wochen vor der Wahl habe ich und haben weitere Kollegen den Bescheid für die Höherbesoldung bekommen. Die stellvertretenden Schulleitungen haben alle nichts bekommen, Frau Beer. Das ist Ihre Art der Gerechtigkeit. So gehen wir mit unseren Kollegen nicht um.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ihr Antrag setzt noch einen drauf, liebe Frau Beer. Nach dem Lehrerausbildungsgesetz sollen die ab 2009 ausgebildeten Kollegen nach A13 besoldet werden – die anderen aber nicht bzw. erst später. Was glauben Sie denn, was Ihr Antrag in den Kollegien auslöst, wenn eine Kollegin, die 20 Jahre lang ihren Schuldienst verrichtet hat, feststellen muss, dass eine junge Kollegin, die direkt aus der Referendarzeit kommt, plötzlich besser besoldet wird als sie selbst? Das ist doch die Ungerechtigkeit par excellence! Das geht doch so nicht!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Was glauben Sie denn, wie sich die Kollegen fühlen, die sich 20 Jahre lang – um unsere Kinder gekümmert haben? Wertschätzung? – Mitnichten!

(Helmut Seifen [AfD]: Die haben ja auch keine Ahnung von Schule!)

Ihr Antrag sorgt weder für Ruhe noch für Zufriedenheit und, liebe Frau Beer, liebe Grüne und liebe SPD, er sorgt schon gar nicht für Gerechtigkeit. Aus diesem Grund werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Dennoch werden wir dafür sorgen, dass die stellvertretenden Schulleitungen zeitnah ihre berechtigte Höherstufung bekommen.

(Jochen Ott [SPD]: Erklären Sie das mal Ihren Kollegen!)

Wir werden uns dem Thema „Besoldung“ auch zukünftig widmen.

Liebe Kollegen der SPD, die Feststellungen, Behauptungen und Ideen in Ihrem Antrag, den wir noch im Ausschuss zu diskutieren haben, sind nicht neu, nicht ausgewogen und nicht zielführend. Sie wissen doch genau, dass die Einführung eines Jobtickets nicht einfach so zu beschließen ist. Vielleicht wollen die Kollegen das auch gar nicht. Außerdem greift die Angleichung der Lehrergehälter für Angestellte deutlich in die Tarifautonomie ein.

Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen, Herr Ott, und mit der SPD im Ausschuss. Wir freuen uns auf eine sachliche Debatte.

(Jochen Ott [SPD]: Das haben wir heute gemerkt, Herr Rock! Die Sachlichkeit haben wir gespürt!)

Zum Schluss möchte ich die großen Aufgaben und Herausforderungen, die uns im Bildungsbereich in den nächsten Monaten und Jahren erwarten, mit einem Zitat der „Rheinischen Post“ vom 13. September dieses Jahres darstellen – ich zitiere –: Die Ministerin muss erst mal den Mangel verwalten. – Ja, diesen Mangel haben wir nach sieben Jahren übernommen. Wir werden unsere Schulen mit Maß und Mitte weiterentwickeln und die Mängel nach und nach beheben. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch zur Premierenrede! – Ich darf nun Frau Müller-Rech von der FDP das Wort erteilen.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und der Grünen fordern heute, nur wenige Wochen nach ihrer Abwahl, die Besoldung der Grundschullehrerinnen und -lehrer anzuheben. Ich wiederhole meine Frage vom letzten Mal: Sie hatten sieben Jahre Zeit – warum haben Sie es nicht gemacht?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die neue Landesregierung ist seit wenigen Wochen im Amt. Sie kritisieren, dass sie die Besoldung von Grundschullehrern noch nicht angehoben hat. Herr Ott sprach von dem „heutigen Beginn der Debatte“. Jetzt wachen Sie auf? Guten Morgen! Sie mögen das für seriöse Politik halten – wir halten den Zeitpunkt Ihres Tätigwerdens für eine Farce.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir finden nach Ihrer rot-grünen Regierungszeit eine Großbaustelle der Marke „Berliner Flughafen“ vor. Dabei ist die Besoldungsfrage doch nur eine von vielen. Unbesetzte Schulleiterstellen, unbesetzte Stellvertreterstellen und der enorme Lehrermangel beeinträchtigen massiv den reibungslosen Ablauf an Grundschulen. Lehrerinnen und Lehrer springen täglich für fehlende Kollegen ein, damit nicht noch mehr Unterricht ausfällt. Quasi nebenher müssen sie dann auch noch das administrative bürokratische Tagesgeschäft ihrer Schule managen. Zudem fehlt es an den notwendigen Ressourcen, damit die Umsetzung von Inklusion und Integration auch gelingen kann.

Sie haben die Überforderung von Lehrern und Kindern, insbesondere an den Grundschulen, in Kauf genommen. Statt den Schulen lösungsorientierte Unterstützung zu geben, haben Sie sie in Ihrer Regierungszeit im Stich gelassen und sich keine Gedanken über die Auswirkungen Ihrer Entscheidungen und Nichtentscheidungen vor Ort gemacht.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen umfassende Veränderungen in der gesamten Schullandschaft. Unsere Kinder verdienen es, dass NRW auch in der Bildung den Tabellenkeller verlässt und sich für die Champions League bereit macht. Gerade der Bereich der Grundschule ist dabei enorm wichtig, weil hier die ersten Weichen für die künftige Entwicklung und Entfaltung der Kinder gestellt werden. Aus diesem Grund werden wir einen Masterplan Grundschule entwickeln, der nicht nur beste Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit der Lehrkräfte an Grundschulen gewährleistet, sondern auch den Beruf des Grundschullehrers wieder attraktiv machen soll.

Beispielhaft nenne ich vier Punkte, wie wir die Stärkung der Grundschulen angehen werden:

Erstens. Rund 1.000 unbesetzte Lehrerstellen halten wir für inakzeptabel. Das wollen wir dringend ändern und streben langfristig eine Lehrerversorgung von 105 % an.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zur kurzfristigen Dämpfung des Lehrermangels wollen wir Sek-I-Lehrer für zwei Jahre befristet in den Grundschulen einsetzen. Sek-II-Lehrkräfte, die in einer Grundschule einspringen, sollen nach zwei Jahren die Garantie für eine Anstellung an einer Gesamtschule oder an einem Gymnasium erhalten.

Zweitens. Wir wollen unsere Lehrerinnen und Lehrer von unnötigen Berichts- und Dokumentationspflichten befreien; denn Bürokratie ist der Sand im Getriebe unserer Schulen. Wir wollen verstärkt auf Schulverwaltungsassistenten setzen, um unsere Lehrerinnen und Lehrer wieder raus aus dem Büro und rein in die Klassenzimmer zu bringen.

(Beifall von der FDP)

 

Drittens. Im Hinblick auf Integration und Inklusion müssen unsere Grundschullehrer auf die konkreten Bedürfnisse der Kinder ad hoc eingehen können. Aktuell ist das mit der schlechten personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung schlicht unmöglich. Wir wollen die Klassengrößen schrittweise reduzieren und die Schüler-Lehrer-Relation verbessern.

Viertens. Die aktuelle Situation führt zur Zermürbung unserer engagierten Lehrer und einem unverdient schlechten Image des gesamten Berufsstands. Das Bild des Lehrers als Don Quichote, der gegen überfüllte Klassen, mangelnde Ressourcen und weitere Windmühlen kämpft, muss endlich aus den Köpfen unserer Gesellschaft verschwinden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nur mit motivierten Lehrern, die ihren Beruf mit Herzblut ausüben können, bringen wir unsere Bildungsnation wieder nach vorne. Um den Lehrerberuf wieder attraktiver zu machen, werden wir daher im Rahmen unseres Masterplans auch eine moderne Werbeoffensive starten.

Neben den von mir exemplarisch genannten vier Punkten gibt es noch sehr viel mehr an unseren Grundschulen zu tun. Wir werden die beschriebenen Probleme, die uns Rot-Grün hinterlassen hat, jetzt entschlossen angehen und die Diskussion auch zur Frage der Besoldung im Schulausschuss fortführen. Darauf freue ich mich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Müller-Rech. – Für die AfD hat Herr Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten schon gestern Anträge von SPD und Grünen vorliegen, die alleine den Zweck hatten, im jetzigen Wahlkampf punkten zu können.

Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Linksfraktionen,

(Zuruf: So viel Ehre!)

wenn Sie punkten wollen, dürfen Sie den Adressaten nicht das Gefühl geben, dass man sich über sie lustig macht. Mit diesem Antrag zeigen Sie doch endgültig, wie Sie die Lehrkräfte einschätzen. Sie glauben wohl, die beschäftigen sich sowieso nur mit Kindern und sind deshalb nicht ganz ernst zu nehmen: Wir wedeln vor den Wahlen jetzt mal mit ein paar Geldscheinen, und dann werden sie uns am nächsten Wahlsonntag wieder ihre Stimme schenken.

(Jochen Ott [SPD]: Sie haben keine Ahnung!)

Da muss ich Ihnen sagen: Es reicht jetzt mit der Art und Weise, wie Sie die Lehrkräfte in den Schulen für dumm verkaufen.

(Beifall von der AfD)

Sie haben ihnen in den letzten Jahren unglaubliche Belastungen zugemutet. Sie haben mit der Inklusion und mit der sogenannten individuellen Förderung von ihnen quasi die Quadratur des Kreises gefordert. Sie haben sie mit einem Wust von bürokratischen Verpflichtungen überzogen, sodass sie keine Luft mehr zum Atmen hatten. Sie haben es immer noch nicht begriffen: Es ist nicht das niedrige Gehalt, was die Grundschullehrer und die Lehrer an den anderen Schulen stört, sondern es sind die unsäglichen Arbeitsbedingungen, die durch Ihre Politik geschaffen worden sind.

(Beifall von der AfD)

Laut der letzten OECD-Studie liegt das Einstiegsgehalt der Lehrer in Deutschland im internationalen Vergleich an zweiter Stelle hinter Luxemburg. Aber die Höhe des Gehalts spielt keine Rolle, wenn die Arbeitsbedingungen zu belastend sind. 70,1 % der Lehrkräfte betrachtet die hohe psychische Belastung als die größte Herausforderung ihres Berufes.

Das können Sie nachlesen in der Umfrage des Verbandes der Bildungswirtschaft in seiner neusten Veröffentlichung. Die Ursachen werden gleich mitgeliefert: 65,5 % fühlen sich von der Aufgabe des inklusiven Unterrichts herausgefordert oder überfordert. 65,2 % halten die bürokratischen Vorgaben für eine übergroße Belastung. Hinzu kommen noch die Belastungen durch die Zunahme erzieherischer Herausforderungen in einem Ausmaß, wie man es aus früheren Zeiten nicht kannte.

Natürlich gibt es dafür auch gesellschaftliche Ursachen. Aber erst Ihre Inklusionspolitik mit der Brechstange hat zu einer Verschärfung der Situation vor allem in den Grundschulen geführt.

(Beifall von der AfD)

Diese Inklusion ist auf Schulen getroffen, die sowieso schon mit einem gerade von Ihnen immer wieder propagierten Autoritätsverfall und einem Erziehungsnotstand zu kämpfen hatten. Zwei Jahrzehnte oder noch länger haben Sie den Eltern suggeriert, Schule sei ein Spaßraum, quasi ein ständiger Kindergeburtstag, von dem die Kinder immer glückselig nach Hause kommen sollen. Die Propagierung dieser infantilen Wohlfühlpädagogik gerade durch Sie und durch die Linksideologen auf bestimmten pädagogischen Lehrstühlen hat die Arbeit der Lehrkräfte ungemein erschwert.

(Beifall von der AfD)

Wenn wir nicht so viele tüchtige und aufopferungsvoll arbeitende Lehrerinnen und Lehrer hätten, denen das Kindeswohl am Herzen liegt und die sich für das Wohl der ihnen anvertrauten Kinder krummlegen, dann sähe die Situation noch wesentlich schlechter aus. In der Schulpolitik hilft nur eine klare Kurskorrektur. Da spreche ich aus Erfahrung.

(Beifall von der AfD)

Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer, da sind Sie jetzt gefragt. Schütteln Sie den Mehlstaub linksideologischer Bildungsphrasen ab, der auch auf diesem Parlament liegt

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Meine Güte!)

und befreien Sie den Schulalltag von den Lasten linksideologischer Bildungsutopie. Die haben doch ins Elend geführt. Schauen Sie sich doch mal um! Sie haben doch keine Ahnung von Schule! Sie sitzen doch seit 20 Jahren hier.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Damit würden Sie den Schülerinnen und Schülern am besten helfen. Wickeln Sie die Inklusion ab. Lassen Sie das AOSF-Verfahren von der ersten Klasse an zu. Richten Sie wieder Förderschulen ein. Sorgen Sie dafür, dass Sozialarbeiter in den Schulen arbeiten, in denen es erforderlich ist. Weisen Sie an den Schulen Stellen für Beratungskoordinatoren aus, die in Schulverbünden oder großen Schulen die unterschiedlichen Beratungsangebote bündeln und vernetzen.

Ermutigen Sie die Leitungen und die Lehrkräfte, Autorität wieder als Instrument der Menschenführung einzusetzen, und befreien Sie endlich die Grundschulen von einer Form der Überindividualisierung und der Lernprozesse, welche die Lehrkräfte partiell überfordert und den Schülerinnen und Schülern nicht nutzt. Sorgen Sie dafür, dass in den Schulen endlich wieder das wertschätzende Klima einer humanen und anregenden Leistungsgemeinschaft herrscht.

Sehr geehrte Frau Ministerin, haben Sie Mut, sich Ihres eigenen Verstandes zu bedienen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Seifen. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Gebauer.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Satz vorweg: Wir wickeln die Inklusion nicht ab, sondern wir gestalten Sie zukünftig richtig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dankbar, dass sie der Unterrichtsversorgung und Besoldung der Lehrkräfte gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode die Aufmerksamkeit schenken und nun mutig schnelle Initiativen der neuen Landesregierung einfordern.

Es geht hier schließlich um die Attraktivität des Arbeitsplatzes Schule. Um diese Attraktivität ist es nach sieben Jahren Rot-Grün nicht gut bestellt. In diesem Jahr haben wir bei den Einstellungen eine Besetzungsquote von nur 53 %. Das ist Ihre Quote – das ist eine rot-grüne Besetzungsquote.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Im Interesse aller, nicht nur unserer Schülerinnen und Schüler, unserer Lehrerinnen und Lehrer, sondern ganz besonders im Interesse unserer Gesellschaft kann und wird dieser Wert für die neue Landesregierung kein Maßstab sein.

(Beifall von der FDP)

Wir haben bereits im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die Lehrerversorgung an unseren Schulen spürbar verbessert werden muss. Auch deshalb wird die Landesregierung eine schulscharfe Unterrichtsausfallstatistik einführen. Man muss zunächst die Fakten wirklich wissen wollen, wenn man erfolgreich handeln will. Zugleich erarbeiten meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Hochdruck eine Kombination aus kurzfristig und langfristig wirkenden Maßnahmen, um dem Engpass an Lehrkräften entgegenzuwirken. Einige dieser Maßnahmen habe ich bereits vorgestellt und sie sind bekannt.

Ich komme nun zur rot-grünen Frage einer zukünftigen Besoldung unserer Lehrerinnen und Lehrer. Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne eine Frage an Sie zurückgeben, nämlich die Frage: Was sagt Ihnen eigentlich die Zahl 1.876? – Ich dachte es mir schon. Ich schaue in erstaunte Gesichter. Diese Zahl sagt Ihnen wahrscheinlich nichts. Und „nichts“ ist auch das richtige Stichwort. Denn 1.876 Tage haben Sie nichts getan, aber auch gar nichts, um dieser Frage entgegenzuwirken.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Eine kleine Maßnahme gestehe ich Ihnen zu, nämlich das Wahlgeschenk kurz vor der Landtagswahl in Form der späten Anhebung der Besoldung von Schulleitungen an Grund- und Hauptschulen. Weitere Schritte sind in den vergangenen sieben Jahren aber nicht erfolgt.

Ja, es ist richtig, eine große Zahl der nach neuem Recht mit Bachelor und Master ausgebildeten Lehrkräfte schließt ihre Ausbildung im kommenden Jahr ab. Im Zusammenhang mit der Neubewertung der Eingangsämter für Lehrkräfte im Grundschulbereich und im Bereich der Sekundarstufe I ist sich die neue Landesregierung bewusst, dass dies eine unmittelbare Folge der Novellierung der Lehrkräfteausbildung aus dem Jahr 2009 ist. Und: Ja, auch wir kennen die juristischen Gutachten, die es dazu gibt.

Aber all das kannten auch Sie in den vergangenen Jahren. Es ist schon erstaunlich, wenn Sie, Herr Ott, sich hierhin stellen und davon reden, dass jetzt dringender Handlungsbedarf vorliege, und Sie, liebe Frau Beer, uns vorwerfen, wir hätten im Nachtrag tätig sein müssen. Was haben Sie denn diesbezüglich in den Haushalt 2017 eingestellt?

(Ralf Witzel [FDP]: Nichts! Gar nichts!)

Nichts, auch wiederum nichts!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben keine Vorkehrungen, keine Maßnahmen getroffen. Da wundere ich mich schon sehr, dass Sie, gerade wenige Wochen in der Opposition, jetzt gleich zu Beginn meiner Amtszeit kraftvoll etwas einfordern, wozu Sie in sieben Jahren Regierungshandeln nicht in der Lage gewesen sind.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Ich kann Ihnen sagen: Die neue Landesregierung geht die bestehenden und von der Vorgängerregierung hinterlassenen Ungerechtigkeiten und die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Bezahlung der Lehrkräfte an. Wir wissen um die Aufgaben, die zwingend anstehen, und wir werden handeln, weil wir das unseren Lehrerinnen und Lehrern schuldig sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt hat für die SPD-Fraktion noch einmal Herr Kollege Ott das Wort.

Jochen Ott (SPD): Wunderbar, die Reden von heute! Das Spiel dauert 90 Minuten, und ich freue mich schon jetzt, das Ganze in den nächsten Jahren zu verfolgen.

Herr Kollege Rock, um Ihnen mal eines klar zu sagen: Halten Sie es als Grundschullehrer und als Grundschulleiter eigentlich für richtig, dass wir gymnasial ausgebildete Kollegen jetzt für zwei Jahre in die Grundschulen schicken, die dort mit A13 hinkommen und nach gerade mal zwei Jahren die kleinen Kinder wieder verlassen – und die erfahrenen Kollegen mit A12 dürfen diese A13-Kollegen dann in der Grundschule einführen?

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Noch etwas: Halten Sie es pädagogisch tatsächlich für angemessen, so vorzugehen? Das ist es nämlich nicht.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wenn Sie hier einen Katzenjammer aufführen und davon reden, was wir in den Haushalt eingestellt hätten, sage ich Ihnen: Wenn Sie das Geld haben, um 140 B3- und B7-Beamte für die Landesspitze einzustellen, dann werden Sie wohl auch noch das Geld für die stellvertretenden Schulleiter in den Grundschulen haben! So viel Verlogenheit auf einmal!

(Beifall von der SPD – Unruhe)

Wenn Sie es gewollt hätten, hätten Sie es tun können. Stattdessen machen Sie hier weiter mit Ihren Wahlkampfreden. Das ist das, was mich nervt. Das sind nämlich Wahlkampfreden.

(Zurufe – Unruhe)

Zweitens. Diese rot-grüne Landesregierung

hat 16.000 zusätzliche Stellen geschaffen in den letzten Jahren, …

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Unruhe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Jochen Ott (SPD): …16.000 Stellen. Das müssen Sie erst mal nachmachen. Wir sprechen uns wieder.

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Der dritte Punkt. Am Wochenende haben wir bei „mittendrin“ erleben können, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): … welche Begeisterung zum Thema „Inklusion“ bei Ihnen, bei den Verbänden und bei den Eltern herrscht.

(Zuruf von der CDU: Die Redezeit ist abgelaufen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können sich sicher sein, dass die SPD-Fraktion diese Ministerin bei der Diskussion um die Anpassung der Lehrerbesoldung unterstützen wird. Denn darum ging es heute.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ott, die Redezeit!

Jochen Ott (SPD): Wir wollen im nächsten Jahr mit Ihnen gemeinsam dafür sorgen,

(Beifall von der SPD)

dass die Lehrerbesoldung in diesem Land gerecht wird.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Wir haben jetzt die Chance, das umzusetzen.

(Anhaltende Unruhe – Weitere Zurufe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege!

Jochen Ott (SPD): Ihnen sage ich noch ein Letztes.

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Wenn es bis heute so ist,

(Petra Vogt [CDU]: Redezeit! – Unruhe)

dass Kolleginnen und Kollegen im Gymnasium und in der Gesamtschule unterschiedlich besoldet werden, dann braucht es sehr viel mehr als nur eine Anpassung der Grundschullehrerbesoldung.

Ich freue mich auf die Expertenanhörung.

(Unruhe – Weitere Zurufe von der CDU)

Ich freue mich, wenn wir an dieser Stelle über diese Fragen diskutieren.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ott!

Jochen Ott (SPD): Und am Ende müsst ihr abstimmen und müsst ihr euch bekennen zur gleichen Besoldung für Lehrerinnen und Lehrer. Darauf freue ich mich jetzt schon.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ott!

(Unruhe – Glocke)

Herr Kollege Ott, kommen Sie bitte noch einmal an das Redepult zurück.

(Lachen von der CDU)

Erstens haben Sie überhaupt nicht darauf reagiert, dass ich mehrfach versucht habe, Ihnen deutlich zu machen, dass Sie die Redezeit

(Jochen Ott [SPD]: Ich konnte nichts hören!)

erheblich überschritten hatten.

(Lachen von der CDU)

Ich bin nicht dazwischen gekommen, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Das ging überhaupt nicht. – Deshalb würde ich dem Kollegen Hovenjürgen jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzintervention eröffnen, wenn er das möchte.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin, ich möchte das trotzdem gerne in Form einer Frage machen. – Herr Ott, 567 Stellen sind bei Ihnen eingerichtet worden. Attestiert hat das Ganze der liebe Kollege Finanzminister. Wie viele Lehrerinnen und Lehrer hätten dort – in dem von Ihnen beschriebenen Bereich – befördert werden können?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jochen Ott (SPD): Herr Kollege Hovenjürgen! Lieber Josef, ich will mal eines sagen: Wir haben hier einen Antrag eingebracht, der nicht zur direkten Abstimmung steht, sondern mit dem wir eine Debatte eröffnen, die mit einer Anhörung unterlegt wird und dafür sorgen soll, dass wir …

(Zurufe von der CDU und der FDP)

– Ich bin ja gefragt worden. Vielleicht darf ich mal darauf antworten.

(Lachen von der CDU und von der FDP)

Deshalb werden wir diese Debatte führen. Wir werden mit Experten gemeinsam über eine verfassungskonforme Bezahlung der Kolleginnen und Kollegen sprechen.

In dieser Debatte haben Sie natürlich in erster Linie Plattitüden aus der Wahlkampfzeit wiederholt und die Vorgängerregierung beschimpft. Des Weiteren hat uns die Ministerin in dieser Debatte gerade eine bemerkenswerte Zahl von Tagen genannt. Ich nenne Ihnen – und auch dir, lieber Josef – eine bemerkenswerte Zahl von Lehrereinstellungen, die Rot-Grün geschafft hat: 16.000. Wir werden in fünf Jahren darauf schauen, was ihr geschafft habt. Darauf freue ich mich schon jetzt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schaue aber vorsichtshalber in die Runde, ob das so bleibt. – Das bleibt so. Dann schließe ich jetzt erst einmal die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zur Abstimmung erstens über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/516. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/516 an den Ausschuss für Schule und Bildung. Der bekommt die Federführung. Die Mitberatung geht an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung stattfinden. Möchte jemand dagegen stimmen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir diesen Antrag jetzt erst einmal überwiesen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/532. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Die führen wir jetzt durch. Wer dem Inhalt des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen möchte, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer stimmt dagegen? – Die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion, die AfD-Fraktion. Möchte sich jemand im Haus enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/532 abgelehnt.

Damit sind wir am Ende von Tagesordnungspunkt 2. – Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

3   Gesetz über das Verbot der Gesichtsverschleierung in öffentlichen Gebäuden in Nordrhein-Westfalen (Verschleierungsverbotsgesetz Nordrhein-Westfalen – VerschleierungsVerbG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/522

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus meiner Sicht hat eine vollverschleierte Frau in Deutschland kaum eine Chance, sich zu integrieren. Ich hätte jetzt eigentlich erwartet, von der CDU-Fraktion stehende Ovationen zu bekommen. Das, was ich gerade gesagt habe, war nämlich ein Zitat Ihrer Kanzlerin Angela Merkel. Ich stelle aber fest, dass Frau Merkel selbst Sie nicht mehr von den Sitzen reißt.

(Zurufe von der CDU)

Ich kann das auch sehr gut verstehen. Dass meine Fraktion von Frau Merkel nicht von den Sitzen gerissen wird, versteht sich von selbst.

Ich gebe Ihnen aber noch eine Chance zur Beifallsbekundung. Bundesinnenminister de Maizière sagte – ich zitiere – im ZDF-Morgenmagazin:

„Wir sind uns einig, dass wir ein Gebot auch rechtlich vorschreiben wollen, Gesicht zu zeigen da, wo es für das Zusammenleben unserer Gesellschaft nötig ist: am Steuer, bei Behördengängen, vor dem Standesamt, in Schulen und Universitäten, im öffentlichen Dienst und vor Gericht.“

So weit also der Bundesinnenminister. Und sogar Herr Lindner – auch wenn der zum Thema „Burkaverbot“ in den letzten Jahren schon so ziemlich alles und das Gegenteil gesagt hat – ist dann schlussendlich doch auf die Wahrheit gekommen. Er hat sich der Realität und der AfD gebeugt und erklärt:

„Im Gericht, auf dem Amt und in der Schule muss die Burka abgelegt werden.“

Ich habe diese Zitate vorangestellt, weil es uns als AfD hier um Realpolitik geht. Wir wollen Sie einladen, im Ausschuss gemeinsam ein Gesetz zu erarbeiten, das die Vollverschleierung in Nordrhein-Westfalen weitgehend verhindert und den betroffenen Frauen ermöglicht, sich frei und ungehindert zu bewegen, das es den Frauen erlaubt, offen mit jedermann zu kommunizieren, das es den Menschen in unserem Land erlaubt, sich gegenseitig zu erkennen und zu identifizieren. Wir wollen eine Politik, die Gesicht zeigt.

(Beifall von der AfD)

Erinnern Sie sich noch daran, wer alles Gesicht zeigen wollte? Es war vor allem die selbsternannte Elite deutscher GutmenschInnen in ihrem Kampf gegen rechts, respektive gegen das, was sie dafür halten. Wenn es aber darum geht, dass muslimische Frauen ihr Gesicht zeigen dürfen, sind gerade diese Gutmenschen deutlich stiller.

Nachdem nun wenigstens CDU und FDP – aufgeschreckt durch die AfD – zumindest rhetorisch etwas kritischer mit der Vollverschleierung auf deutschen Straßen umgehen, lade ich Sie ein, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Die Basis unseres Gesetzentwurfes ist ein Antrag der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag,

(Zuruf von der AfD: Hört, hört, hört!)

wobei wir als AfD-Fraktion eigentlich noch weitergehende Verbote für richtig halten, die nicht nur, wie jetzt unser Gesetzentwurf, die öffentlichen Gebäude, sondern den öffentlichen Raum als solchen umfassen. Wir wollen es Ihnen also so einfach wie möglich machen, an dieser Stelle so schnell und so gemeinsam wie möglich voranzukommen.

(Beifall von der AfD)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit seinem Urteil vom 11. Juli 2017 das Verbot der Vollverschleierung für rechtens erklärt. Auch der Androhung und Verhängung einer Strafe bei Nichtbefolgung wurde zugestimmt.

In anderen Bundesländern wurden bereits unterschiedliche Gesetze zu dieser für Deutschland und Mitteleuropa neuen Problemstellung verabschiedet – einer Problemstellung, die im Übrigen erst durch Sie und Ihre verfehlte Migrationspolitik verursacht worden ist, und die uns nun zwingt, sich mit Burkas, Niqabs, Hijabs usw. auseinanderzusetzen und dafür Gesetze zu schreiben.

Ehrlich gesagt, hätte ich mir, hätten wir uns als AfD –und wohl auch für die allermeisten Deutschen – das gerne erspart!

(Beifall von der AfD)

Denn für uns Mitteleuropäer – wie eigentlich für die meisten Menschen auf dieser Welt – ist klar: In unserem Land geben wir uns die Hand und zeigen Gesicht.

Diese freie und offene Kommunikation ist maßgeblicher Bestandteil unseres freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens, das von christlich-abendländischen und humanistischen Werten geprägt ist.

Natürlich – Gott sei Dank – gehört auch die Toleranz für andere Kulturen und Religionen zu unserer Verfassung. Das Grundgesetz und die nordrhein-westfälische Verfassung schützen die freie Ausübung der Religion und damit auch religiöse Bekleidungsvorschriften.

Allerdings können Einschränkungen verfassungsmäßiger Rechte durch andere verfassungsimmanente Belange unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden. Ich habe schon darauf verwiesen: Andere Bundesländer und europäische Staaten machen uns vor, wie das verfassungsrechtlich sauber geschehen kann.

NRW muss nicht immer unterstes Mittelfeld sein; erst recht nicht beim Burkaverbot.

(Beifall von der AfD)

Um es ganz klar zu sagen: Die Burka gehört nicht zu Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Da seit dem Bundestagswahlkampf selbst Christian Lindner zumindest an Schulen und Gerichten keine Burkas mehr sehen möchte, sollte es ein Leichtes sein, mit einer Mehrheit aus CDU, FDP und AfD – ich komme zum Ende meiner Rede – ein Vollverschleierungsverbot in Nordrhein-Westfalen durchzusetzen.

Entweder folgen Sie jetzt Ihrer Wahlkampfrhetorik oder Sie machen deutlich, dass jeder, der gegen Burkas in öffentlichen Gebäuden ist, nur eine Partei wählen kann, nämlich die AfD. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Wagner. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Katzidis das Wort.

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Den Gesetzentwurf an sich begrüßen wir als CDU-Fraktion – aber nicht, weil es ein AfD-Gesetzentwurf ist. Es gibt drei Gründe dafür, warum wir den Entwurf an sich begrüßen.

Erstens: die Beschlusslage in unserer Partei, die Sie vorhin dargestellt haben. Das muss ich jetzt nicht noch mal wiederholen. Zweitens. Auch in unserem Koalitionsvertrag ist eine Aussage dazu enthalten. Allerdings ist das kein dringendes und flächendeckendes Problem, das in den ersten 100 Tagen einer Regierung gelöst, behoben oder verändert werden müsste. Nach unserer Auffassung hat das noch Zeit.

Der dritte Grund ist, dass es sich nicht um einen AfD-Gesetzentwurf handelt, sondern um einen Entwurf der CDU-Fraktion des Niedersächsischen Landtags vom 8. März 2017 Drucksache 17/7561, den Sie wortwörtlich abgeschrieben bzw. nur ein Wort verändert haben.

(Beifall von der CDU – Bodo Löttgen [CDU]: So ist es!)

So viel zur Substanz der Anträge der AfD. Inhaltlich können wir gerne im Ausschuss darüber diskutieren; deshalb werden wir der Überweisung zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Katzidis. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Bialas das Wort.

Andreas Bialas (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, wo ich die meisten Vollverschleierten sehe? – Auf den Werbeplakaten und Werbeträgern für die AfD! Dort sehe ich die meisten Vollverschleierten.

(Beifall von der SPD)

Ich komme relativ viel herum. Vollverschleierte Personen sehe ich im Jahr vielleicht ein oder zwei – übrigens ist eine davon eine deutsche Konvertitin. Um es ganz klar zu sagen: Ich will keine Vollverschleierung –

(Helmut Seifen [AfD]: Och nö!)

nicht im Büro und nicht auf der Straße. Genauso wenig mag ich alles andere, wobei Menschen nicht Gesicht zeigen. Das mag ich nicht beim Weihnachtsmann, nicht beim Osterhasen, nicht bei Hüpfehäschen im Stadion und auch nicht bei Leuten, die mit dem Motoradhelm auf dem Kopf durch die Innenstadt gehen.

Die Frage ist aber doch – der Innenminister hat das ebenfalls ausgesprochen –: Muss ich alles, was ich mir nicht wünsche, in ein Gesetz gießen? Gesetzlich und hochrichterlich sind bereits zahlreiche Fälle, in denen Vollverschleierung problematisch wirken könnte, geklärt oder in der Klärung. Das heißt, wir reden hier über ein Scheinthema mit einer Scheinnotwendigkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wissen Sie, wo tatsächlich die meisten Vollverschleierten zu finden sind? – In den Metropolen; und zwar als Touristen und Kunden für teures Shopping und für teure medizinische Behandlungen – übrigens häufig auch in Düsseldorf, in München oder im Voralpenland.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Man sieht sie nicht in Köln-Kalk, sondern auf der Kö und auf dem Ku’damm; nicht in der Nordstadt, sondern bei der Nordwand. Dort finden wir diese Personen, die als Gäste in unser Land kommen.

(Zurufe von der AfD)

Ich komme zu einem weiteren Punkt Ihrer Begründung, den sie gerade vorgetragen haben: die Gleichberechtigung der Frau – also zu diesem gigantischen Emanzipationsgedanken, den Sie geäußert haben. Auf Plakaten – „Bunt statt Burka“ – werben Sie mit Frauenbrüsten – das Plakat fokussiert auf Frauenbrüste –

(Zuruf von Andreas Keith [AfD] und Helmut Seifen [AfD])

und bei „Bikini statt Burka“ mit Frauenpopos in knappen Bikinis. Also das ist mal ein differenziertes, aufgeklärtes, progressives und nicht instrumentalisierendes Frauenbild! – Chapeau!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

In Ihrem Programm wollen Sie wieder die Scheidung nach dem Schuldprinzip und die Gesinnungskontrolle bei Alleinerziehenden. Sie stellen die staatliche Grundversorgung für viele der Ärmsten der Armen, nämlich alleinerziehende Frauen, infrage und wollen gerade diesen Frauen, die viel mehr Hilfe von uns brauchen, im Regen stehen lassen. Sie stellen sich gegen die Genderforschung und machen Propaganda gegen Werbemaßnahmen anlässlich des Equal Pay Day.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Solange Sie diesen Blick auf Frauen haben, sollten Sie nicht über Gleichberechtigung schwadronieren.

(Beifall von der SPD)

Was Sie wollen, ist eine frauenfeindliche und eine emanzipationsfeindliche Politik.

(Markus Wagner [AfD]: Kalter Kaffee, was Sie da erzählen! Helmut Seifen [AfD]: Reinste Polemik!)

Ihre Frauenpolitik, die auch die Vollverschleierten trifft, speist sich aus den Gedankengängen frustrierter alter Männer.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der AfD: Haben wir schon Karneval?)

Inhaltlich habe ich jetzt eigentlich alles gesagt. – Ich habe aber noch einen anderen Punkt. Kürzlich rief hier ein Mitglied Ihrer Fraktion zum Ministerpräsidenten, als dieser seine Rede hielt: Sie könnte man auch entsorgen! – Sie maßen sich an, Personen zu benennen, die entsorgt werden können.

(Markus Wagner [AfD]: Das hat die SPD doch erfunden! – Weitere Zurufe)

Welches Menschenbild dahinter steckt, ist recht klar. Dazu darf ich Ihnen sagen:

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben eine Doppelmoral, da könnte man kotzen!)

Herr Ministerpräsident Laschet ist unser Ministerpräsident. Das kann mir gefallen oder nicht, aber es ist so. Ich werde auf allen demokratischen Wegen dafür kämpfen, dass die SPD bei den nächsten Landtagswahlen wieder stärkste Fraktion wird und er dann kein Ministerpräsident mehr sein kann. Aber eines ist völlig unstrittig: Dem Amt des Ministerpräsidenten gilt es Respekt zu zollen – und der Person auch!

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Andreas Keith [AfD]: Und der Bundeskanzlerin auch!)

Das hat das Amt und das hat die Person verdient! Und das Gleiche gilt übrigens auch für die Bundeskanzlerin. Es ist unerträglich und geschmacklos, was wir hier erleben!

(Zurufe von der AfD – Gegenruf Dr. Günther Bergmann [CDU]: Schreien Sie mal nicht so rum hier!)

Ich weiß nicht, woraus sich Ihre Grundhaltung im Verhalten speist. Meine Mutter hätte gesagt: Das ist schlechtes Benehmen! – Und ich darf Ihnen sagen: Das ist keine preußische Tradition.

(Andreas Keith [AfD]: Deshalb sind Sie doch abgewählt worden!)

Ich füge hinzu: Es hat etwas mit schlechtem Benehmen zu tun, und es hat etwas mit einem wenig wertschätzen Menschenbild zu tun. Das ist erschreckend!

Deswegen halte ich es hier auch mit Kurt Schumacher: „Mit Ihnen politisiere ich nicht.“ Da fehlt mir das Niveau. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Herr Kollege Wagner, auch bei Zwischenrufen ist die parlamentarische Ordnung einzuhalten. Ich erteile Ihnen einen nicht förmlichen Ordnungsruf für den Ausdruck, den Sie eben verwandt haben. So gehen wir hier im Parlament nicht miteinander um, auch bei unterschiedlicher politischer Meinung. Hier herrschen Wort und Widerwort und nicht Beschimpfungen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion Herr Dr. Pfeil.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Gesicht zeigen – das können wir von jedem, der in unserer freiheitlichen Demokratie lebt, verlangen. Gesicht zeigen – richtig, Herr Wagner –, das ist auch eine Redewendung und der Name eines Vereins, der im Jahre 2000 gegründet wurde und sich mit Rechtsextremismusprävention beschäftigt. Beides ist wichtig. Beide Forderungen nach „Gesicht zeigen“ richten sich aber auch an unterschiedliche Adressaten. Beides ist für eine Demokratie lebenswichtig.

Wichtig ist zum einen die Forderung, Gesicht zu zeigen für eine weltoffene Gesellschaft. Diese richtet sich an unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir fordern von diesen Zivilcourage und richten uns gleichzeitig gegen nationalistische Forderungen und Angriffe.

Wichtig ist zum Zweiten die Forderung, dass die Frauen Gesicht zeigen, die aus islamischen Ländern kommend in unserer Demokratie leben und arbeiten möchten. Denn sie wollen dann zu einem Teil unserer weltoffenen Gesellschaft werden. Dazu sollten sie auch Gesicht zeigen.

Mit Verweis auf die Menschen- und Grundrechte wird zum Teil darauf abgestellt, dass eine freie Gesellschaft einer Frau nicht verbieten dürfe, sich anzuziehen, wie sie wolle, und davon sind Niqab und Burka mit umfasst.

Diese verfassungsrechtliche bzw. auf die Menschenrechte abstellende Diskussion könnte im Grundsatz entschieden sein, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wie Sie eben auch schon sagten, 2014 und jetzt erneut 2017 entschieden hat, dass ein Verbot der Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum rechtmäßig sein kann. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könne ein derartiges Gesetz in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein und dadurch die Rechte aus den Art. 8, 9 und 14 der MRK nicht verletzt werden.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es stellt sich doch auch bei uns in NRW die Frage, ob ein solches Gesetz notwendig ist oder sein könnte oder – was die Alternative wäre – ob es keinem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und damit unverhältnismäßig ist. Genau diese Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Gesetzgeber überlassen und sich nicht festgelegt.

Ist ein solches Verbot also notwendig für unsere demokratische Gesellschaft und für die Integration in NRW, oder besteht hierfür kein soziales Bedürfnis? Wenn es kein soziales Bedürfnis gibt, dann benötigen wir es nicht.

Diese Fragen sind zu klären, und das werden wir im Ausschuss tun. Hierzu, „meine lieben Freunde von der AfD“, genügt ein Plagiat aus Niedersachsen mit Sicherheit nicht, um eine Antwort darauf zu finden.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Abschließend möchte ich noch kurz auf den vorliegenden Gesetzentwurf eingehen. Wir werden ihn ja noch ausführlich in den Fachausschüssen beraten, aber so viel sei bereits jetzt angemerkt: Jedes Detail einer gesetzlichen Regelung muss für sich genommen mit Blick auf die Religionsfreiheit hohen und höchsten Anforderungen genügen und verhältnismäßig sein. Bei dem vorliegenden Regel-Ausnahme-Katalog scheint mir dies nicht gewährleistet zu sein.

Einerseits ist er zu eng. Andererseits wird er den integrationspolitischen Notwendigkeiten nicht gerecht. Denn er enthält eine Rückausnahme für sämtliche privaten Einrichtungen und damit zum Beispiel auch für privat betriebene Bildungseinrichtungen und Kitas.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Dr. Pfeil, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Der Kollege Seifen von der AfD würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Ja, ich bin aber auch sofort fertig.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Darf er die Frage trotzdem stellen?

Dr. Werner Pfeil (FDP): Ich sage nur noch: Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuss zu. – Die Frage kann er mir jetzt stellen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Dann machen wir eine Schlussfrage daraus. – Bitte schön.

Helmut Seifen (AfD): Recht herzlichen Dank, Herr Dr. Pfeil. – Mich würde interessieren: Inwiefern halten Sie es für ehrenrührig, dass eine Partei – welche auch immer – etwas aufgreift, das eine andere Partei sinnvollerweise woanders auf den Weg gebracht hat? Inwiefern ist das ehrenrührig?

Dr. Werner Pfeil (FDP): Ehrenrührig ist das nicht. Ich habe ja nur gesagt, dass es ein Plagiat ist. Es ist abgeschrieben. Mehr habe ich dazu gar nicht gesagt. Die Bewertung überlasse ich Ihnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Pfeil. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von einer Partei, die eine Frau aufgrund ihrer Herkunft entsorgen möchte, müssen wir uns, meine ich, nicht erzählen lassen, wie man a) wirklich Integration macht und wie man b) Frauenrechte stärkt. Ich glaube, dazu können Sie wenig beitragen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Aber es geht Ihnen ja hier gar nicht – das wird deutlich – um die Sachdebatte. In vielen Bereichen gibt es bereits heute gesetzliche Regelungen, zum Beispiel in Bezug auf die Gerichte. Wie gesagt, ich habe das Gefühl, um die Sachdebatte geht es bei diesem Gesetzentwurf eigentlich gar nicht.

Ich will noch einmal auf die Diskussion hinweisen, die wir hier am Mittwoch zum Thema „Wahlkampf“ und „Übergriffe im Wahlkampf“ geführt haben. Da habe ich schon gesagt, dass ich der Meinung bin, dass die AfD ganz maßgeblich zu der derzeitigen Polarisierung in der Gesellschaft beigetragen hat. Dieser Gesetzentwurf ist wieder ein Beleg für diese These und damit wirklich entlarvend.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann es kurz machen: Das Tragen einer Burka entspricht nicht unserem Verständnis von Gleichberechtigung, Integration und Weltoffenheit, sondern das ist Symbol der Unterdrückung.

(Beifall von Roger Beckamp [AfD])

Die Frage, wie unsere Gesellschaft mit Vollverschleierung umgehen soll oder kann, ist in den letzten Monaten und Jahren sehr häufig und breit diskutiert worden. Es hat auch schon Konsequenzen gegeben. Es herrscht eine große Übereinstimmung zwischen den Parteien, dass es da, wo das Zusammenleben beeinträchtigt ist oder wo es notwendig ist, das Gesicht anderer zu sehen, Veränderungen geben muss.

Dazu gibt es Vorschläge und sogar Beschlüsse, auch von der Bundesregierung. Seit Anfang des Jahres gibt es eine Reihe von Regelungen zu Teilbereichen, in denen das schon geklärt ist: Beamtenstatusgesetz, Soldatengesetz, Personalausweisgesetz, Bundeswahlgesetz, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Aufgabe der Länder ist es, jetzt ganz unaufgeregt zu prüfen, ob es darüber hinaus Bereiche gibt, in denen Ergänzungen notwendig sind.

(Zuruf von der AfD: Sehr richtig!)

Dem dienen aber nicht solche Showveranstaltungen.

(Zuruf von der AfD: Oh!)

Auch die Stoßrichtung und die Sprache dieser Showveranstaltungen dienen dem überhaupt nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der AfD)

Sich sachgerecht um Handlungsbedarf zu kümmern, damit sind wir einverstanden. Deswegen sollten wir das im Ausschuss tun. Vielleicht gelingt das, wenn weniger öffentliche Wirkung erzielt wird und man sich um die Sache bemüht. – Danke sehr.

(Beifall von der CDU, der FDP, der AfD und Andreas Bialas [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 3.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/522 an den Innenausschuss – federführend. Die Mitberatung liegt beim Integrationsausschuss und beim Rechtsausschuss. Möchte jemand der Überweisung widersprechen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Klimawandel ernst nehmen – Kohleausstieg jetzt! – Gesundheitsschutz vor Lobby-Interessen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/531

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Frau Kollegin Brems für die antragstellende Fraktion jetzt das Wort.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bilder der letzten Wochen aus den USA, aus Indien, aus Pakistan und aus vielen Teilen der Welt zeigen uns erschreckende Wetterphänomene mit verheerenden Ausmaßen. Millionen Menschen mussten ihre Häuser verlassen, waren lange Zeit ohne Strom. Tote sind zu beklagen.

Das alles wirkt total weit weg, aber auch bei uns kommt es zu immer mehr Starkregenereignissen, Dürreperioden und Hitzerekorden. Diese Wetterereignisse werden immer häufiger und immer stärker. Die Schadenshöhen der Stürme und Fluten in der Karibik und in Florida beliefen sich seit Ende August auf über 100 Milliarden $.

Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass die Umweltkosten der fossilen Stromerzeugung in Deutschland jährlich fast 50 Milliarden € betragen und dass in Zukunft etwa 20 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts für den Kampf mit den Folgen des Klimawandels verwendet werden müssen.

Glauben Sie eigentlich immer noch, dass Klimaschutz, dass Kohleausstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien viel zu teuer sind?

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Reaktionen auf diese Ereignisse der letzten Zeit sind sehr unterschiedlich. Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, titulierte das Auftreten von mehr und extremen Wetterereignissen als „Fake News“. Ich bin Elektrotechnikingenieurin. Nicola Beer, die Generalsekretärin der FDP, ist Anwältin. Christian Linder, der Spitzenkandidat der FDP, ist Politikwissenschaftler; das haben wir gestern noch einmal gehört. Da Herr Linder gestern schon für die FDP von Kompetenz geredet hat, meine ich: Die FDP sollte in Sachen Klimaschutz und erneuerbare Energien mal auf die Menschen hören, die Erfahrung damit haben, und sie sollte aufhören, Leugnern des Klimawandels nach dem Mund zu reden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt noch weitere Reaktionen. Ministerin Schulze Föcking – sie ist nicht da; sie fühlt sich auch nicht zuständig für das Thema „Klimaschutz“ – bezeichnete die ungewöhnliche Wärme im März dieses Jahres und den anschließenden Kälteeinbruch als Wetterkapriolen, die die Ernte beeinträchtigen. Kein Wort vom Klimawandel! Mich hat das, ehrlich gesagt, schon sehr erstaunt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch der Papst hat sich zu Wort gemeldet. Er nannte vor ein paar Tagen Menschen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen, dumm, stur und blind. Dem kann ich mich uneingeschränkt anschließen.

(Beifall von den GRÜNEN – Minister Karl-Josef Laumann: Wenn der Papst das sagt, ist es interessant!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brems, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Dr. Blex von der AfD-Fraktion will Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Wibke Brems (GRÜNE): Nein. – Nicht nur beim Klima, sondern auch bei der Gesundheit gibt es aus meiner Sicht besorgniserregende Tendenzen. Denn leider deutet sich an, dass diesem Ministerpräsidenten die Gesundheit der Menschen in NRW nicht so wichtig ist, wie es die Interessen der Kohlekraftwerksbetreiber sind.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Das zeigt sich an seinem Brief, den er zusammen mit anderen Ministerpräsidenten an Bundeswirtschaftsministerin Zypries geschrieben hat.

(Bodo Löttgen [CDU]: Stehen Sie zur Leitentscheidung oder nicht?)

Darin fordert er die Ministerin auf, gegen neue EU-Grenzwerte für die Kohlekraftwerke zu klagen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Er stützt sich auf ein Auftragsgutachten der Braunkohleindustrie. Dieses Gutachten vom Bundesverband Braunkohle, DEBRIV, empfiehlt eine Klage gegen die EU – allerdings nicht wegen der Grenzwerte, sondern aufgrund rein formaler Argumente.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wie einen Arbeitsnachweis schicken Sie diesen Brief dann auch noch an den Lobbyverband in Kopie.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Die Gefahren von Quecksilber scheinen Ihnen völlig egal zu sein. Von Quecksilber gehen hohe Gesundheitsrisiken vor allem für Schwangere und Kinder aus.

Wenn man meint, man könne die Grenzwerte besser hochsetzen, statt sie einzuhalten, ist das nur Augenwischerei.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brems, Entschuldigung.

Wibke Brems (GRÜNE): Das ist das Ignorieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das ist das Befeuern von Verschwörungstheorien. Sie nehmen bewusst in Kauf, dass unsere Gesundheit zerstört wird und unser Planet ebenfalls.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brems, Entschuldigung, dass ich Sie ein zweites Mal unterbreche. Jetzt möchte Ihnen Herr Hovenjürgen gern eine Zwischenfrage stellen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Das ist bestimmt qualifiziert! Das würde ich zulassen! – Heiterkeit von den GRÜNEN)

Wibke Brems (GRÜNE): Ja, auf jeden Fall. Bitte schön.

Josef Hovenjürgen (CDU): Werte Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Meine Frage an Sie lautet: Stehen die Grünen zu der gemeinsamen Leitentscheidung,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Boring!)

die von Ihrem Umweltminister zusammen mit dem damaligen Koalitionspartner SPD unterschrieben worden ist?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Politik strebt Veränderungen an, Herr Kollege!)

Wibke Brems (GRÜNE): Herr Hovenjürgen, ich bin etwas irritiert, weil es in meiner Rede gerade um andere Punkte geht. Aber natürlich sind wir das. Ich komme gleich auch noch dazu, dass wir natürlich trotzdem der Meinung sind, dass wir früher aus der Kohle aussteigen müssen. Das war für uns nie ein Widerspruch. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen, warum das so ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und von der FDP)

Ich finde – das zeigt sich anhand des Beispiels zum Thema „Quecksilber“, das ich gerade genannt habe, und anhand dessen, wozu ich gleich noch komme –: Sie haben sich mir nichts, dir nichts vor den Karren der Kohlelobby spannen lassen. Dafür sollten Sie sich, ehrlich gesagt, schämen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das Gleiche droht nun auch beim Klimaschutz. Schön ist zwar, dass die Landesregierung hier verkündet, sie könne das NRW-Klimaziel von 2020 erreichen. Aber vom WWF bekommen Sie ein ganz anderes Zeugnis ausgestellt:

Deutschland kann seine Ziele nicht erreichen, wenn der NRW-Koalitionsvertrag umgesetzt wird.

Der Ausstoß von Treibhausgasen wird bei Beibehaltung der aktuellen Bundespolitik bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 lediglich um 30 bis 31 % zurückgehen. Das Ziel der Bundesregierung liegt aber bei 40 %. Diese Bundesregierung wird ihr eigenes Klimaziel nicht nur knapp, sondern krachend verfehlen.

Klimaschutz ist wichtig. Da sind sich die demokratisch gewählten Parteien zwar einig, aber genauer hingeschaut zeigen sich hanebüchene Widersprüche, zum Beispiel in Ihrem schwarz-gelben Koalitionsvertrag.

Sie bekennen sich einerseits zum Pariser Klimaschutzabkommen. So weit, so gut! Kurz danach sind Sie dann aber der Meinung, der Strommix solle mal schön weiter genauso bleiben, wie er jetzt ist. So funktioniert das nicht. Wir müssen schon etwas ändern. Wir müssen handeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen als Allererstes die 20 klimaschädlichsten Meiler schnellstmöglich abschalten. Wir brauchen endlich einen Kohleausstieg. Das ist kein Widerspruch zu Ihrer Frage eben, Herr Hovenjürgen, sondern das ist ganz dringend notwendig. Das entspricht unserer Verantwortung, und das nicht an einem bestimmten Tag in 15 Jahren, wie es Herr Laschet gestern behauptet hat, sondern mit einem 15 Jahre langen Anpassungsprozess. Dieser Anpassungsprozess bedeutet Planungssicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Unternehmen und für die Region. Alle, die sich weigern, auch nur über einen Ausstieg nachzudenken, verhindern den dringend notwendigen Strukturwandel.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch wenn dann der Ausstieg gelingt, bleibt bis dahin und darüber hinaus noch sehr viel zu tun; denn wir werden noch lange mit den Lasten des Braunkohleabbaus zu tun haben. Die daraus entstehenden Folge- und Ewigkeitskosten sind wahrscheinlich enorm groß, aber immer noch nicht beziffert. Daher brauchen wir dringend ein unabhängiges Gutachten, das diese Kosten ermittelt. Anschließend ist es notwendig, Vorsorge für die Finanzierung zu betreiben. Das erwarten wir von der Landesregierung. Es kann doch nicht sein, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler hinterher die Zeche zahlen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie: Verschlafen Sie nicht die Zeichen der Zeit. Haben Sie Mut, und kümmern Sie sich um unsere Gesundheit. Nehmen Sie den Klimawandel ernst, und trauen Sie sich an den Kohleausstieg.

Mit einer weiteren Reaktion auf die letzten Wetterereignisse möchte ich schließen. Kanzleramtsminister Altmaier fragte vor ein paar Tagen auf Twitter: Wie viele Jahrhunderthurrikane muss es geben, bis die Klimawandelleugner merken, dass sie gerade das Leben ihrer Enkelkinder ruinieren? Ich frage in Ergänzung: Wie viele Jahrhunderthurrikane muss es geben, bis diese Bundesregierung und diese Landesregierung ihre Klimaziele ernst nehmen und aus der Kohle aussteigen? – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Plonsker.

Romina Plonsker (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier einen Antrag der Grünen-Fraktion vorliegen, in dem ein ganzer Blumenstrauß von Forderungen enthalten ist.

Die CDU-Fraktion bekennt sich klar zum Pariser Klimaschutzabkommen und selbstverständlich zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung. Gleichzeitig wollen wir in Nordrhein-Westfalen – das ist kein Widerspruch – Industrieland bleiben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb haben wir schon in der vergangenen Legislaturperiode klargemacht, dass wir verschärfte Regelungen und Bevormundungen, die über die ambitionierten Klimaschutzziele der Bundesregierung hinausgehen, strikt ablehnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Klimaschutz muss gemeinsam auf europäischer Ebene erfolgreich umgesetzt werden und darf kein regionales Klein-Klein sein. Hier unterstützen wir ausdrücklich unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Zur Lösung auf europäischer Ebene trägt auch der Emissionshandel bei. Sollten Sie fachkundig sein, wissen Sie, dass auch aufgrund des Emissionsdeckels, des sogenannten Cap, nationale Alleingänge wirkungslos bleiben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für uns ist wichtig zu betonen, dass wir technologieoffen, also mit allen Technologien, den Klimaschutz und die Energiewende vorantreiben werden. Wir befinden uns aktuell im Transformationsprozess.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das klare Ziel der NRW-Koalition ist, die Energiewende sicherer, kostengünstiger und ökologisch nachhaltiger zu gestalten und damit eine Energiewende gemeinsam mit und nicht gegen unsere Bürgerinnen und Bürger zu verwirklichen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dabei darf das Thema „Versorgungssicherheit“ nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern muss im Fokus der Energiewende stehen. Werte Kollegen der Grünen-Fraktion, selbst Sie wissen, dass der Strom nicht einfach nur aus der Steckdose kommt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Meine Güte!)

Selbst Sie wollen sicherlich, dass Strom zuverlässig und ständig verfügbar ist, auch bei einer sogenannten Dunkelflaute.

Zur Versorgungssicherheit ist aktuell ein umfangreicher Energiemix notwendig. Dazu gehören selbstverständlich auch Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke, auch wenn die Wahrheit für einige in diesem Hause schwer zu akzeptieren ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Speichertechnologien für alternative Energien sind noch nicht so weit ausgereift, dass wir dadurch eine zuverlässige Versorgungssicherheit herstellen können. Aktuell gibt es in Deutschland 59 Braunkohleblöcke mit einer Leistung von 20,2 GW und 89 Steinkohleblöcke mit einer Leistung von 26,9 GW. Knapp 50 % der Braunkohleblöcke und ein Drittel der Steinkohlekraftwerke stehen in Nordrhein-Westfalen. NRW ist also Energieland Nummer eins, und das wollen wir auch bleiben.

Nordrhein-Westfalen stellt gesicherte Kapazitäten für ganz Deutschland zur Verfügung. Dazu gehört als unser einziger heimischer, nicht subventionierter und zugleich preiswerter Energieträger auch die Braunkohle; denn bezahlbare Strompreise sind wichtig für unser Land, für unsere Bürgerinnen und Bürger und auch für unsere Industrie.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die konventionelle Energieerzeugung und die erneuerbaren Energien stehen somit nicht miteinander in Konkurrenz. Nur mithilfe von konventionellen Kraftwerken gelingt die Energiewende. Die NRW-Koalition und insbesondere auch die CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen halten daher an dem breiten Energiemix fest. Dazu gehört die fossile Strom- und Wärmeerzeugung, die als Brückentechnologie noch auf absehbare Zeit unverzichtbar sein wird.

Sehr geehrte Kollegen der Grünen-Fraktion, ich habe in Ihrem Antrag sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie von Planungssicherheit schreiben. Ich weise allerdings darauf hin, dass Sie die Planungssicherheit durch die Leitentscheidungen unter der Vorgängerregierung selber aufgehoben haben. Mit Ihren immer neuen Forderungen nach Ausstiegsdaten und Ausstiegsszenarien rauf und runter in Deutschland agieren Sie ganz im  Gegenteil von Planungssicherheit und Verlässlichkeit für alle Beteiligten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Planungssicherheit heißt auch, Entscheidungen über Wahlperioden zu akzeptieren. Deshalb erkennen wir, die NRW-Koalition, diese Leitentscheidung an. Kann es dann ernsthaft zu viel verlangt sein, dass Sie sich an Ihre eigenen Beschlüsse halten und damit Verlässlichkeit herstellen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt treiben Sie die nächste Sau durchs Dorf, indem Sie die vorzeitige Abschaltung von Kraftwerken fordern. Das ist alles andere als Planungssicherheit für die Akteure vor Ort. Damit spielen Sie auch mit den Ängsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den und um die Kraftwerke herum. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist unverantwortlich.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Sie sprechen in Ihrem Antrag außerdem von Strukturwandel und wollen einen Strukturbruch verhindern. Genau das sollte oberstes Ziel politischer Akteure im Rheinischen Revier und bei uns in Nordrhein-Westfalen sein. Aus den Erfahrungen des Strukturwandels im Ruhrgebiet wollen wir für die Zukunft des Rheinischen Reviers lernen.

Deshalb muss die Zeit nach der Braunkohle auch gut vorbereitet sein. Ein Strukturbruch muss auf verschiedenen Ebenen verhindert werden: aufseiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Unternehmen, der Kommunen, der Bürgerinnen und Bürger und von Natur und Umwelt. Der Strukturwandel muss landespolitisch durch entsprechende Flächenplanung und vor allen Dingen durch Unterstützung bei der Ansiedlung von Gewerbe begleitet werden. So kann sich eine Region auf die Zukunft vorbereiten.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Dies sollten Sie auch beachten, wenn Sie die Verantwortung für den Strukturwandel, wie in Ihrem Antrag geschehen, auf die Bundesebene abschieben wollen. Wir in Nordrhein-Westfalen können und müssen einen Beitrag zum Strukturwandel leisten. Dieser Verantwortung haben Sie sich aufgrund Ihrer grünen Flächenideologie in den letzten sieben Jahren nicht stellen wollen. Die NRW-Koalition wird eine andere Sprache sprechen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Sprache der Grünen finde ich allerdings auch durchaus fragwürdig. Wenn Sie einerseits hier im Landtag selbst die Kohle bestätigt haben, andererseits mit Bahnblockierern und Baggerbesetzern gegen die Kohle demonstrieren, ist das nicht glaubwürdig.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Kurzum: Ihre Diskussion über den vorzeitigen Kohleausstieg ist überflüssig. Sie schürt nur Ängste bei den Betroffenen und verursacht immer wieder hohe Unsicherheiten vor Ort. Daher wird die CDU-Fraktion Ihren Antrag ablehnen.

Ich versichere Ihnen aber Folgendes: Die NRW-Koalition wird kontinuierlich daran arbeiten, den Strukturwandel und die Energiewende gelingen zu lassen, damit kein Strukturbruch entsteht und wir eines Tages im Dunkeln stehen. Gemeinsam mit allen Akteuren vor Ort und einem breiten gesellschaftlichen Konsens – frei von ideologischem Handeln – wird uns das im Rheinischen Revier, in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland gelingen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glückauf!

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Plonsker. – Wie Sie gemerkt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, war das die erste Rede von Frau Kollegin Plonsker.

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will Frau Kollegin Plonsker meine Glückwünsche zu ihrer ersten Rede hier im Hohen Haus ausdrücklich ausrichten.

Ich hatte gehofft, dass sie noch ein bisschen mehr auf Armin Laschet eingeht, der vorgestern eine Regierungserklärung abgegeben und sich sehr klar, Herr Löttgen, zu dem Thema geäußert hat. Ich zitiere:

„Damit das hier – für das Protokoll – ein für alle Mal festgestellt wird, sage ich: Jedes Braunkohleloch, jedes Abbaggern bis zum Jahre 2045 in Garzweiler, in Hambach oder wo auch immer geht auf einen Beschluss rot-grüner Regierungen der letzten Jahrzehnte zurück.“

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Er hat das noch mehr betont und gesagt: Das waren Ihre Beschlüsse. – Das hat er mehrfach betont.

Ich sage Ihnen dazu, Herr Löttgen: Das ist zutreffend. Und ich sage auch: Das ist ein Zeugnis verantwortungsvoller Politik, die wir in Nordrhein-Westfalen betrieben haben.

(Zuruf von der CDU)

– So ist es.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zum Antrag der Grünen will ich Folgendes sagen: Wir haben das Problem, dass an dieser Stelle viel Bewegung in der grünen Politik ist. In Wahrheit haben wir es bei Ihnen, wenn ich es richtig überblicke, mit vier verschiedenen Beschlusslagen zu tun, Kollegin Brems.

Die erste Beschlusslage ist die Ihrer Bundespartei. Sie haben auf dem Bundesparteitag – bei Ihnen heißt das etwas anders – beschlossen, bis zum Jahre 2030 aus der Braunkohle aussteigen zu wollen. Kollege Priggen, der früher hier im Landtag saß, hat dazu zutreffend gesagt, der Beschluss sei Unfug, das könne man selbst unter einer grünen Alleinregierung nicht realisieren.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Dann haben die NRW-Grünen eine zweite Position auf Landesebene herbeigeführt. Da heißt es jetzt: Ausstieg bis zum Jahre 2037.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Das ist auch realistisch!)

Damit sind wir drei bis acht Jahre von 2040, 2045 entfernt. Wir reden über Einschätzungen in 20 Jahren, meine Damen und Herren. Das ist wohl des Pudels Kern an der ganzen Geschichte und zeigt, mit welcher Verve diese Auseinandersetzung geführt wird.

Kurz vor der Bundestagswahl legen Sie jetzt einen Antrag vor und sagen uns: 20 weitere Blöcke abschalten. – Das ist die dritte Position.

Die vierte Position, an die ich Sie leider erinnern muss, ist das reale Regierungshandeln, die reale Regierungspolitik.

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

– Kollege Bolte, erinnern Sie sich an die Leitentscheidung. Im Leitsatz 1, der von der Partei der Grünen, aber vor allen Dingen auch von Ihren Kollegen im Landeskabinett so beschlossen worden ist, steht – ich zitiere –:

„Braunkohlenabbau ist im Rheinischen Revier weiterhin erforderlich, dabei bleiben die Abbaugrenzen der Tagebaue Inden und Hambach unverändert …“

Das hat die grüne Partei in Regierungsverantwortung beschlossen.

(Zuruf von der FDP: So viel zum Thema „Planungssicherheit“!)

Welche dieser vier Positionen soll ich mir nun aussuchen, Frau Kollegin Brems? Das ist für meine Begriffe das wahre Problem. Da hat auch Frau Kollegin Plonsker eindeutig recht. Es delegitimiert Sie ein bisschen und macht Sie unglaubwürdig, wenn Sie etwa bei Demonstrationen, Klimacamps und Ähnlichem auftreten. Da muss man schon redlich bleiben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Laschet hat in seiner Regierungserklärung gesagt:

„Der Wandel ist kein Ausstiegswandel, sondern ein Einstiegsethos in unsere Gesellschaft.“

Herr Wirtschaftsminister Pinkwart, ich habe mich dann schon gewundert, warum das so wenig Einfluss auf Ihre Politik und Ihre ersten Ausführungen zu dem Thema genommen hat.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

In der „Aachener Zeitung“ vom 2. September 2017 ist zu lesen:

„Der neue NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sieht Chancen, das Klimaziel der rot-grünen Vorgängerregierung sogar zu übertreffen.

Es sei möglich, bis 2020 im Vergleich zu 1990 die CO2-Emissionen um mehr als 25 % zu reduzieren, sagte Pinkwart gestern. Dazu beitragen könne bei flankierenden Hilfen von EU und Bund eine Verringerung der Braunkohlekapazitäten über das bisher beschlossene Maß hinaus. Er könne sich vorstellen, noch mehr als nur fünf Kraftwerksblöcke herauszunehmen, sagte Pinkwart.“

Lieber Kollege Brockes – Wo ist er denn? Da hinten! –, ist das jetzt der entfesselte Ausstiegsethos der FDP? Herr Brockes, seit wann ist das Ihre Position? Mir war das eine völlig neue Positionierung der Freien Demokraten in dieser Frage. Sie haben gleich Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

(Beifall von der SPD)

Ich will die Zeit auch nutzen, um zu unserer Position etwas zu sagen. Wir brauchen jetzt keine Debatte um ein neues Kohleausstiegsdatum. Die Wahrheit ist, dass wir jetzt fünf Blöcke in die Sicherheitsbereitschaft geben, die dann sukzessive abgeschaltet werden; das bedeutet 15 % CO2-Einsparungen im Rheinischen Revier.

Hinzu kommt, dass der Tagebau Inden und das Kraftwerk Weisweiler bei Karl Schultheis vor der Tür abgeschaltet werden. Wenn man darunter einen Strich zieht, werden wir bis zum Jahr 2030 im Rheinischen Revier 40 % bis 50 % CO2-Reduktionen in der Braunkohle haben. Zeigen Sie mir einen anderen Sektor oder zeigen Sie mir bei der Mobilität, bei der Wärme, beim Wohnen oder bei der Landwirtschaft einen anderen Bereich, der solche CO2-Einsparungen liefert. Das gibt es nicht.

Wir haben an dieser Stelle eine klare Vorleistung, die erbracht wird. Ich denke, es ist richtig, zu sagen:

Lasst uns mal im Jahr 2030 schauen, wie weit wir dann mit dem weiteren Aufwuchs erneuerbarer Energien sind.

Lasst uns mal schauen, wie weit wir dann mit der Speichertechnologie sind, die in großen Teilen noch entwickelt werden muss.

Lasst uns schauen, wie weit wir mit dem Netzausbau sind, und lasst uns schauen, wie viel Kohle wir dann noch für die Stromerzeugung oder vielleicht auch für intelligentere Dinge benötigen – ich sage nur: stoffliche Nutzung von Braunkohle als Rohstoff für die chemische Industrie.

Das ist viel intelligenter, als diese Themen jetzt mit immer neuen Ausstiegsforderungen anzugehen.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die CDU-Position ist eine andere. Ich weiß nicht, wer von Ihnen das Sommerinterview der Bundeskanzlerin im ZDF angeschaut hat.

(Zuruf: Gute Güte, nein!)

Frau Merkel hat zur Feststellung, dass sie möglicherweise das 40-%-Ziel 2020, bezogen auf 1990, nicht einhalten könne, erklärt, man könne dann ja in der kommenden Wahlperiode über ein Kohleausstiegsdatum sprechen. Frau Plonsker, war das eine Einladungskarte an künftige Koalitionspartner? So viel zur Standhaftigkeit der CDU an dieser Stelle.

Da muss man klar Kante zeigen. Man muss deutlich machen, dass man den Reduktionsplan, der beschlossen ist und der bedeutet, dass 1.500 Arbeitsplätze hoffentlich sozialverträglich abgebaut werden, nicht mit immer neuen nationalen Klimaschutzzielen konterkariert. In Wirklichkeit stimmt unser Braunkohlefahrplan sehr gut mit den nationalen Klimaschutzzielen überein.

Was nicht zusammenpasst – da hat Frau Kollegin Plonsker völlig recht – sind die nationalen Klimaschutzziele und das europäische Handelssystem, weil der Kohleausstieg an dieser Stelle quasi zu einer Doppelregulierung führen würde. Wir würden mit jeder Kohlemenge, die wir mit nationalen Maßnahmen zusätzlich einsparen, dafür sorgen, dass Erzeugung und Emissionen in andere europäische Nachbarländer verschoben werden.

Wir würden außerdem – das wird wenig betrachtet – auch einen Preiseffekt auslösen, weil wir einen dämpfenden Effekt auf den CO2- Preis künstlich erwirken. Ich finde das doppelt kontraproduktiv und – ich muss es auch einmal so sagen – außerdem antieuropäisch, weil Sie hier bewusst europäische Steuerungsmechanismen hintertreiben.

Wir fordern deshalb klar: Ende Gelände für ideologische Symbolpolitik auf Kosten von Beschäftigten und deren Familien, die in Wahrheit gar nichts für den Klimaschutz bewirken. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Brockes das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr van den Berg hatte beklagt, dass vorhin nicht auf den Ministerpräsidenten eingegangen wurde. Ich mache das gerne.

Ministerpräsident Armin Laschet hat in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, dass unser Land in den kommenden fünf Jahren vor einer enormen Anzahl von Herausforderungen steht. Viele davon liegen gerade auch im Energiebereich. Hierzu gehören der Ausstieg aus der Steinkohleförderung im kommenden Jahr und die Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernkraft im Jahr 2022. Diese Liste lässt sich nach Belieben verlängern; denn die Große Koalition und insbesondere die SPD-Ministerinnen Frau Zypries und Frau Hendricks hinterlassen in dieser Legislaturperiode leider viele offene Baustellen in der Energiepolitik.

Es ist deswegen nur folgerichtig, dass sich der Landtag des Energielandes Nummer eins intensiv mit den aktuellen Herausforderungen in der Energie- und Klimapolitik beschäftigt. Hierzu gehören auch Fragen zur Zukunft der Kohleverstromung und wie gewährleistet werden kann, dass die Versorgung der Bürger und der Unternehmen mit Strom zu jeder Tages- und Nachtzeit gesichert bleibt.

Auf eine solche Debatte, Frau Kollegin Brems, hätte ich mich, ehrlich gesagt, gefreut. Den Grünen – das zeigte auch Ihr Redebeitrag eben – geht es aber um etwas anderes. Sie wollen hier eine Woche vor der Wahl Wahlkampf-Effekthascherei betreiben. Das ist der eigentliche Grund Ihres Antrags; deshalb auch die direkte Abstimmung.

Die Ein-Themen-Partei Bündnis 90/Die Grünen

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Oh!)

greift eine Woche vor der Bundestagswahl zu ihrem letzten Strohhalm.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Eine Woche vor der Bundestagswahl wollen Sie erneut versuchen, was Ihnen schon kurz vor der Landtagswahl nicht gelungen ist. Dort haben Sie mit Ihrem leider nicht anwesenden ehemaligen Umweltminister den damaligen Sechs-Punkte-Plan für den Kohleausstieg aus der Mottenkiste geholt und um ein paar Absurditäten bereichert.

Bemerkenswert dabei ist: Das haben Sie gemacht, obwohl Sie selbst – in Regierungsverantwortung – die Leitentscheidung für den Braunkohletagebau Garzweiler beschlossen und gleichzeitig die richtige Feststellung getroffen haben, dass der Braunkohleabbau energiewirtschaftlich erforderlich ist. Ja, Frau Kollegin Brems, so schnell ändert sich alles: Sie stehen heute schon nicht mehr zu dem stehen, was Sie früher beschlossen haben.

(Beifall von der FDP)

Heute wollen Sie das alles über den Haufen werfen: sofort 20 Kohlekraftwerke abschalten, davon zehn in Nordrhein-Westfalen, alles nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern, wenn es mir Wählerstimmen bringt?

Sie haben auch keine Antwort auf die Frage, wie wir zukünftig mit Strom versorgt werden sollen, wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet sind.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Quatsch!)

Wenn man mal die Szenarien aus den elf Eckpunkten von Agora Energiewende für einen angeblichen Kohlekonsens zugrunde legt – diesen sogenannten Kohlekonsens fordern Sie ja auch –, dann müssten demnach bis zum Jahr 2050 bundesweit 20 GW an Gaskraftwerken zugebaut werden. Das ist eine Entwicklung, die vollkommen illusorisch ist. Keiner wird Gaskraftwerke bauen, solange die mit Milliardenbeträgen über das EEG geförderten erneuerbaren Energien den Börsenpreis in den Keller treiben, weil sich der Betrieb eben nicht rechnet. Wie unglaubwürdig wollen Sie sich in der Energiepolitik eigentlich noch machen, meine Damen und Herren von den Grünen?

Darüber hinaus schrecken Sie wieder einmal nicht davor zurück, die Menschen in Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit Schwefeldioxid- und Quecksilberemissionen in Angst und Schrecken zu versetzen und dies zu instrumentalisieren. Mit Angst wollen Sie Politik machen. Das ist ein schlechter Unterstützer.

(Wibke Brems [GRÜNE]: Das ist ein Witz!)

Um es klar zu sagen: Für uns Liberale steht der Gesundheitsschutz an erster Stelle. Quecksilberemissionen sowie Schwefeldioxidemissionen müssen selbstverständlich gesenkt werden, aber doch bitte auf einer fachlichen, seriösen Grundlage.

Das genau ist doch die Streitfrage: Hat die EU-Kommission fachlich über jeden Zweifel erhabene Grundlagen zurate gezogen, als die neuen Grenzwerte bestimmt wurden? Wenn die Experten sagen, die EU-Kommission habe unausgewogene und fehlerhafte Daten zugrunde gelegt und die Festlegungen entsprächen nicht dem Gebot fachlicher Richtigkeit, dann muss das meines Erachtens verbindlich geklärt werden – notfalls über den Europäischen Gerichtshof.

Das jetzt anzuprangern, ist aus meiner Sicht scheinheilig, weil es doch Ihr früherer Umweltminister Remmel war, der mit einem Gutachten zur Quecksilberminimierung genau diese Grenzwerte gehoben hat, obwohl dem Gutachten nach seiner Veröffentlichung von der Fachwelt sofort die erforderliche fachliche Eignung aberkannt wurde.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, das NRW-Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass mit relativ einfachen und günstigen Mitteln die Quecksilberemissionen um 80 % bis 85 % reduziert werden können. Die Kosten würden den Strompreis um weniger als 1 % erhöhen. Um weniger als 1 % – irgendwoher kenne ich diese Debatte aus dem Energiebereich. Sie kommt mir bekannt vor.

Sie können das gerne so häufig wiederholen, wie Sie wollen, aber durch wird es auch nicht richtig. Ich verweise hier zum Beispiel auf das detaillierte Gutachten von Herrn Prof. Dr. Carter. Er belegt plausibel, dass nicht nur die Kosten systematisch unterschätzt wurden, sondern auch, dass die amerikanischen Grenzwerte nicht korrekt umgerechnet wurden.

Für CDU und FDP gilt: Selbstverständlich sind die fossilen Energieträger in der Pflicht, die steigenden Anforderungen des Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutzes zu erfüllen. Deshalb haben wir dies in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. Dafür werden wir sorgen, aber auf einer sachlichen und ideologiefreien Grundlage. Deswegen werden wir Ihren Antrag heute auch ablehnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Als nächster Redner erhält für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Blex das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Kein Computer ist in der Lage, das Wetter für die nächste Woche exakt vorherzusagen. Aber angeblich können wir das Klima bis auf ein Hundertstel Grad in 100 Jahren genau prognostizieren. Es wäre ein Wunder, wenn das auch für Wahlergebnisse möglich wäre!

Ob die Temperaturen steigen, gleich bleiben oder, wie aktuell, sinken – niemand weiß es tatsächlich. Dazu müssten wir nämlich eines tun: Die Sonne fragen. Diesen Anspruch erheben jedoch alle Berichte des IPCC. Dort wird die Vorstellung des angeblich vom Menschen gemachten Klimawandels aggressiv propagiert. Dabei ist der IPCC in Wahrheit eine interessengeleitete Klüngelrunde mit einem Treuhandfonds in Höhe von 5,3 Millionen €, die sich willfährige Wissenschaftler für ihre Zwecke aussucht und andere Wissenschaftler mundtot macht.

Richtig, die CO2-Konzentration ist in der Atmosphäre gestiegen. Aber seit Anbeginn der Aufzeichnungen betrug der Anstieg lediglich 80 ppm. 80 ppm – das erkläre ich Ihnen mal – stehen für ein Achtzigmillionstel. Das sind 0,008 %. Mit diesen 0,008 % rechtfertigen die Öko-Ideologen alles – von der Elektromobilität bis zum Windkraftausbau und jetzt auch noch den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen.

Es ist an der Zeit für mehr Realität. Offensichtlich schauen die öko-religiösen BessermenschInnen nicht auf das Weltgeschehen. Aufstrebende Entwicklungsländer wie China setzen – von dem starken Ausbau der Kernenergie einmal abgesehen – fast ausschließlich auf Kohlekraftwerke.

Laut der Internationalen Energieagentur trägt China mit einem Anteil von 25,6 % zur weltweiten CO2-Emission bei. Deutschland liegt im gleichen Ranking bei einem Anteil von 2,4 %. Das ist Deutschland. – Mit anderen Worten: Der Welt ist der Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen so ziemlich egal.

(Beifall von der AfD)

Das Pariser Klimaabkommen ist auch nicht so unumstritten, wie es medial dargestellt wird.

Zum Ende des Jahrhunderts soll die CO2-Emission auf null gesenkt werden. Auf null – das ist möglich, und es gibt bereits dekarbonisierte Volkswirtschaften: Das sind die die indigenen Stämme im Amazonas-Becken. Das ist das wahre Wunschbild der ökoreligiösen Bionade-Bourgeoisie für Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Dabei liegt es auf der Hand: Je mehr ein Land produziert und je höher der Lebensstandard ist, desto mehr CO2-Emissionen entstehen. Bevor auch nur ein Kohlekraftwerk in NRW abgeschaltet wird, wollen wir erst den unumstößlichen Beweis für die Versorgungssicherheit ohne Kohle sehen.

Sammeln wir daher die Fakten zur deutschen Braunkohle, zu deren Erkenntnis dieser Landtag bereits am Anfang des Jahres gekommen ist, als die GrünInnen einen Antrag zur Kostenermittlung der Braunkohle abgelehnt haben. Die Braunkohle ist ein heimischer Rohstoff und wird effizient und kostengünstig in unserem Land gewonnen. Eine Ewigkeitslast wie beim Steinkohlebergbau gibt es nicht: Bereits bei der Genehmigung des Tagebaus wird die Nachsorge umfangreich von unabhängiger Stelle überprüft.

Bevor auf den mehr als fragwürdigen Kernkraftausstieg ein noch fragwürdiger Kohleausstieg kommt, werden wir uns aus ökonomischer und technisch-physikalischer Vernunft gegen diesen Antrag wehren. An die Vertreter der GrünInnen: Da Ihnen ja das Wohl von Blumen und Sträuchern so sehr am Herzen liegt – machen Sie doch Ikebana statt Politik.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Dr. Blex. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort. Bitte schön, Herr Minister!

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es steht außer Frage, dass wir auf dieser uns geschenkten kleinen Welt bei wachsender Population und wachsendem Streben der Mehrzahl der Menschen nach Wohlstand mit unseren natürlichen Ressourcen sparsam und verantwortungsvoll umgehen müssen.

Das betrifft natürlich auch die Emissionen, und deswegen steht die Landesregierung zu den Vereinbarungen von Paris wie auch zu den Klimaschutzvereinbarungen, die sich die Bundesrepublik Deutschland und das Land Nordrhein-Westfalen gegeben haben.

Ich möchte hier für die Landesregierung noch einmal bekräftigen: Das Emissionsabbauziel, das von SPD und Grünen im Klimaschutzgesetz 2012 mit Mehrheit vom Landtag beschlossen wurde – die CO2-Reduktion im Vergleich zu 1990 bis 2020 um mindestens 25 % zu reduzieren, bis 2050 um mindestens 80 % –, wird von der neuen Landesregierung wie selbstverständlich weiterverfolgt.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dieses Ziel für Nordrhein-Westfalen nicht nur erreichen, sondern mit unserer Politik bis 2020 übererfüllen werden.

(Beifall von der FDP – Vereinzelter Beifall von der CDU)

Ich finde es in diesem Kontext, Frau Abgeordnete Brems, etwas verwunderlich, dass Sie eingangs in Ihrer sehr engagierten Rede von einer Leugnung des Klimawandels durch die Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen gesprochen haben. Das fand ich doch etwas befremdlich. Ich habe es für die Landesregierung in den letzten Wochen und Monaten hier wiederholt betont, was unsere Arbeitsgrundlage ist. Der Ministerpräsident hat es in seiner Regierungserklärung ebenfalls getan.

Wenn Sie uns entgegen der Fakten Leugnung vorwerfen, dann frage ich mich: Warum leugnen Sie denn dann, dass es Ihre Partei war – die Grünen, für die Sie ja auch gewählt worden sind –, die diese Beschlüsse zum Klimaschutz für Nordrhein-Westfalen durchgesetzt hat, und dass es auch Ihre Partei war, die die Voraussetzungen für die langfristige Nutzung der Braunkohle durch ihre Mitwirkung in Landtag und Landesregierung gelegt hat? – Das müssen Sie dann bitte mal erklären, wenn Sie anderen vorwerfen, sie würden etwas leugnen!

(Beifall von der FDP)

Ich habe auch die Sendung von Anne Will mit Cem Özdemir verfolgt, worin Herr Özdemir sich stark dafür aussprach, dass Deutschland aus der Braunkohle aussteigen müsste, um Klimaschutzziele zu erreichen. Das fand ich auch bemerkenswert: Wenn man hier so lange Mitverantwortung getragen hat – nicht nur in den letzten sieben Jahren, sondern auch in den Jahren davor –, dann so zu tun, als hätte man mit diesen ganzen Entscheidungen für das Land nichts zu tun.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Das ist das Gleiche wie bei der erneuerbaren Energie, wo Sie mit dem EEG und mit all dem, was Sie bisher dazu in eigener Mitverantwortung angelegt haben, eben keine konsistente Klima- und Energiepolitik für Deutschland entwickelt haben, sondern eine Politik gemacht haben, die dazu führt, dass wir die Windenergieanlagen im Norden herunterregeln müssen, um dann CO2-intensive Kraftwerke zuschalten zu müssen. Das ist doch Ihre Politik! Sie ist nicht konsistent, weil Sie sich immer dann aus der Verantwortung herausmogeln, wenn Sie selbst nicht mehr in der Regierung sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, wenn ich Sie bitte kurz unterbrechen darf: Es gibt zwei Wünsche nach einer Zwischenfrage, einmal von dem Abgeordneten van den Berg und einmal von der Abgeordneten Brems.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr gerne!

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Herr van den Berg!

Guido van den Berg (SPD): Herr Minister! Sie haben gerade noch einmal ausgeführt, dass Sie hoffen, die Klimaschutzziele, die NRW sich gegeben hat, übererfüllen zu können. In Ihren Interviews in der „Aachener Zeitung“ Anfang dieses Monats und im „Bonner General-Anzeiger“ haben Sie explizit ausgeführt, dass das durch die zusätzliche Abschaltung von Braunkohleblöcken, also über die schon beschlossene Sicherheitsbereitschaft mit fünf Blöcken hinaus, erfolgen soll. – Stehen Sie zu dieser Aussage – ja oder nein?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Abgeordneter! Das kann ich Ihnen sehr gern darlegen, wie ich es auch in meinem Pressestatement dargelegt habe. Das ist in dem Beitrag ganz offensichtlich etwas verkürzt worden.

Ich habe dort ausgeführt – das kann ich hier noch einmal bekräftigen, und das habe ich eingangs auch getan –: Das Ziel, mindestens eine 25-%-CO2-Minderung bis 2020 zu erreichen, kann das Land Nordrhein-Westfalen mit seiner bisher eingeleiteten Klimaschutzpolitik, mit allen Maßnahmen, die bisher ergriffen worden sind, erreichen.

Wir liegen – ich kann Ihnen das auch in Zahlen sagen – jetzt schon bei etwa 21 %, 22 %. Wir werden dann – das ist schon beschlossen – fünf Braunkohlekraftwerksblöcke im Rheinischen Revier mit insgesamt 1.500 MW herausnehmen in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft und nach vier Jahren abschalten; das wissen Sie. Das macht noch einmal 5 % aus.

Wenn Sie also zusammenrechnen, sind wir mit all dem, was jetzt schon bekannt ist, über die 25 % hinaus.

Im Übrigen möchte ich noch einmal erwähnen ...

(Guido van den Berg [SPD]: Also keine weiteren Blöcke?)

– Ich habe doch jetzt meine Antwort auf das gegeben, was Sie gefragt haben.

(Guido van den Berg [SPD]: Nein, noch nicht!)

Die Antwort lautet: Mit den bereits eingeleiteten Maßnahmen, mit der bereits beschlossenen Herausnahme der fünf Braunkohlekraftwerksblöcke – was ja wohl auch einvernehmlich geschehen ist – in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft werden wir das, was ich hier bereits vorgetragen habe, auf jeden Fall erfüllen können.

In meinem Statement habe ich darüber hinaus gesagt: Wenn der Bund ein Problem hat, seine Klimaschutzziele zu erfüllen – wir erfüllen unsere Klimaschutzziele, wir übererfüllen sie –, und wenn der Bund darüber hinaus seine Ziele nicht erreichen kann, sollen er und die EU nicht in der Weise reagieren, wie es gegenwärtig geschieht, indem man einfach mal eben neue Grenzwerte definiert

(Beifall von Bodo Löttgen [CDU])

und damit ganze Kraftwerksparks entgegen jeder Verabredung aus dem Netz nehmen will. Das würde auf der einen Seite gegen den Eigentumsschutz verstoßen und auf der anderen Seite den Beschäftigten und Regionen Existenzgrundlagen entziehen, weil es ohne jegliche Kompensation erfolgen würde.

Ich habe gesagt: Es ist selbstverständlich, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen mit allen anderen deutschen Kohleländern gegen eine solche Verfahrensweise aus Brüssel wehren muss, im Interesse des Landes und der Beschäftigten. Das werden wir auch tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann habe ich ergänzt: Sollten der Bund und die EU darüber hinaus meinen, zu fairen Bedingungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, mit den Betreibern, mit den Beschäftigten und anderen reden zu wollen, um darüber hinausgehende Schritte erreichen zu können, müsste man das prüfen. Das habe ich so gesagt. Ich habe deutlich gemacht: Das brauchen wir nicht für Nordrhein-Westfalen. Wir werden unsere Ziele erfüllen. Das halte ich auch für sachgerecht.

Ich möchte noch etwas zur Übererfüllung der Ziele sagen. – Sie kommen gleich zu Ihrer Frage, Frau Brems, aber das möchte ich noch einmal festhalten –: Wenn wir sehen, dass wir über 25 % liegen, dann kommen wir, und auch ohne weitere Schritte gehen zu müssen, auf den Pfad, den meine Vorvorgängerin Christa Thoben schon 2008 verfolgt und mit den Klimaschutzzielen der alten Landesregierung vorgegeben hat. Wir hatten uns nämlich damals das Ziel gesetzt, mindestens 30 % CO2 abzubauen.

Frau Abgeordnete Brems, sehr verehrte Mitglieder der Grünen Fraktion: Begründen Sie doch bitte mal, warum Sie in der letzten Legislaturperiode hinter dieses Klimaschutzziel zurückgefallen sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Jetzt rufen wir die zweite Zwischenfrage auf. Bitte schön, Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Minister, das klingt gerade wie eine umgekehrte Fragestunde, aber das klären wir ein andermal.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich weder Sie noch die Landesregierung als Klimawandelleugner bezeichnet habe, sondern lediglich meine Verwunderung darüber geäußert habe, dass Ministerin Schulze Föcking in ihrer Presseerklärung lediglich von „Wetterkapriolen“ spricht, aber kein Wort zum Thema Klimawandel verliert, und dass Ihre FDP-Generalsekretärin Nicola Beer das angebliche Auftreten von mehr Wetterereignissen als Fake News bezeichnet?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Darf ich antworten, Frau Präsidentin?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kenne beide Zitate nicht.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Dann lesen Sie aber gar keine Zeitung! Also bitte!)

– Entschuldigen Sie bitte. Ich kenne beide Zitate nicht.

(Arndt Klocke [GRÜNE] schüttelt den Kopf.)

– Wollen Sie mir jetzt zuhören oder nicht?

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Man kann auch Zuhören und Kopfschütteln gleichzeitig!)

Ich kenne beide Zitate nicht, ich kenne aber beide Persönlichkeiten. Ich weiß, dass die Kollegin Schulze Föcking im Kabinett – ebenso wie meine geschätzte Kollegin Beer – natürlich zu den Klimaschutzzielen von Paris steht. Beide treten dafür ein, dass Deutschland ein moderner, umweltfreundlicher Standort ist – aber eben auch ein Standort, in dem sich die Beschäftigten und die Unternehmen auf Planungssicherheit verlassen können.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wenn wir über Braunkohlekraftwerke und Klimaschutz reden, müssen wir insgesamt über eine ausgewogene Energiepolitik reden. Sie muss in einem Gleichklang stehen von Umweltfreundlichkeit, Bezahlbarkeit und – das möchte ich hier besonders hervorheben – von Versorgungssicherheit. Im Moment erleben wir, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz und mit ihm die Politik der Vorgängerregierung gerade im Bund nicht so angelegt war, dass wir der Versorgungssicherheit die hinreichende Aufmerksamkeit gewidmet hätten.

Wenn Sie aber mit Fachleuten reden, wissen Sie – das ist jetzt der Faktencheck –, dass unser Energieversorgungs-Sicherheitssystem immer mehr seismische Formen aufweist, weil immer stärker interveniert werden muss, um die Netze stabil zu halten.

(Zuruf von der SPD)

Das liegt auch in der Natur der Sache. Wenn Sie Erneuerbare, die eben nicht sicher Tag und Nacht zur Verfügung stehen, in das Netz einspeisen, müssen Sie für eine Stabilisierung des Netzes sorgen. Sie müssen für Puffer sorgen und entsprechende Speicher anbieten können. Darüber hat sich die Politik in der Vergangenheit nicht die Gedanken gemacht, wie sie notwendig gewesen wären, um die Stabilität des Netzes aufrechtzuerhalten.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

– Herr Remmel, schauen Sie sich doch bitte einmal die Stromversorgungsenergieträger vom Januar dieses Jahres an.

(Zuruf von der FDP: Genau!)

Schauen Sie sich bitte mal die dritte und vierte Januarwoche an.

(Beifall von der FDP)

Sie werden sehen – das ist eben auch die Zustandsbeschreibung für Deutschland im Jahr 2017 –, dass witterungsbedingt kaum Wind wehte. Selbst an der Nordsee war es relativ still. Es schien auch wenig Sonne. Das ist gelegentlich so im Januar in Deutschland. Beides kam zusammen. Über zwei Wochen hinweg hat man gesehen, dass die Erneuerbaren nicht in dem ausreichenden Maße zur Verfügung standen, um es mal sehr zurückhaltend auszudrücken.

Was hat in dieser Zeit geholfen? Natürlich hat die Biomasse geholfen, aber auch, dass wir noch Kernenergie haben; das sei hinzugefügt.

(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)

Dann aber sehen Sie, dass neben Steinkohle und Gas die Braunkohle das Rückgrat bildete.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Dies nicht zu erwähnen, hielte ich für verantwortungslos.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Was wir uns auf dem Energiemarkt leisten, erinnert mich in gewisser Hinsicht an das, was wir uns auf dem Banken- und Finanzmarkt geleistet haben.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Als es seinerzeit um die Entfesselung und Liberalisierung des Bankenmarktes ging, geschah das interessanterweise unter maßgeblicher Regierungsmitbeteiligung der Grünen in der damaligen Bundesregierung, wenn ich das noch einmal in Erinnerung rufen darf, und betraf die Gesetzesänderungen, die Sie zwischen 2002 und 2003 beschlossen haben. Aber das erwähne ich nur am Rande.

(Zuruf von den GRÜNEN: NRW hat dagegen gestimmt!)

– Es ist ja schon mal gut, wenn Sie dagegen gestimmt haben. Aber die Mehrheit Ihrer Partei hat es offensichtlich auf den Weg gebracht, und Sie haben es in der Bundesregierung vertreten. – Jedenfalls war dieses System nicht hinreichend reguliert; es war nicht hinreichend stabil. Vor allen Dingen hatten Sie keine Rückversicherungen angelegt.

Genauso läuft heute unsere Energiewirtschaft. Wir haben keine hinreichenden Versicherungen dafür, dass Erneuerbare, wenn sie mal nicht zur Verfügung gestellt werden können, auch einen Ersatz finden.

Das führt dazu, dass wir uns in der nächsten Zeit viel mehr Gedanken darüber machen müssen, dass wir stabile Netze bekommen und diese hinreichend ausgebaut werden; dass wir hinreichende Speichertechnologien bekommen und dass wir auch hinreichend konventionelle, möglichst moderne Kraftwerke bereithalten können, um immer dann Energie liefern zu können, wenn die Erneuerbaren nicht in hinreichendem Maße zur Verfügung stehen.

Dann müssen wir durch Innovation und Digitalisierung dafür sorgen, dass wir sowohl auf der dezentralen Ebene als auch auf der Gesamtnetzebene eine hinreichende Leistungsfähigkeit vorhalten.

Das alles muss auch mit hoher Qualität vorgehalten werden. Dafür wollen diejenigen, die dafür verantwortlich sind, auch erwarten dürfen, dass es einen fairen, marktgerechten Preis gibt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das liegt in doppelter Hinsicht im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir hatten gestern eine Stahldebatte. Ich will das nur mal erwähnen: Wir haben sehr viele energieintensive Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, mit Abstand die meisten im Bundesvergleich. Es muss doch in unserem Interesse in Nordrhein-Westfalen liegen, dass gerade diese Unternehmen verlässliche, bezahlbare und umweltfreundliche Energie bereitgestellt bekommen. Das ist eine ganz zentrale Voraussetzung, um die wir hier ringen müssen.

Deswegen haben wir als Energieland Nummer eins – über 40 % der Energie, die in Deutschland verbraucht wird, wird in Nordrhein-Westfalen umgewandelt – ein hohes Interesse daran, dass dieses Energieland auch in Zukunft funktionsfähig bleibt – für die eigene Industrie, aber auch für die Unternehmen und die privaten Verbraucher in Deutschland.

Wir haben deshalb ein hohes Interesse daran, dass wir Planungssicherheit für die Energieversorgungsbetreiber erhalten, damit sie in die Kraftwerke investieren und sie so schadstoffarm wie möglich gestalten können. Dafür sind sie dringend auf stabile Rahmenbedingungen und auf Planungssicherheit angewiesen.

Die Politik, die insbesondere von den Grünen, zum Teil aber auch von denjenigen gemacht worden ist, die jetzt in der Bundesregierung Verantwortung tragen, ist auf sehr kurzfristige Anreize hin ausgerichtet.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Aber Sie waren auch mal vier Jahre an der Regierung! 2009 bis 2013!)

Das verbaut vielen das Interesse daran, noch in moderne, konventionelle Energie zu investieren, die wir aber mindestens bis 2050 dringend brauchen.

(Beifall von der FDP)

Insofern sind Sie eigentlich mitursächlich dafür, dass wir auch auf Bundesebene nicht die CO2-Reduktion erreichen können, die wir dringend brauchen. Ihnen von den Grünen gebe ich noch Zeit bis zur Bundestagswahl. Bis dahin müssen Sie es sicherlich noch so sehen. Aber nach der Bundestagswahl steigen Sie doch bitte mit ein, damit wir etwas sachorientierter, etwas nüchterner und etwas mehr an den Interessen des Landes ausgerichtet über eine gemeinsame Energiepolitik beraten können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Professor Pinkwart. – Ich möchte auf einen Hinweis eingehen, der die Zwischenfragen betrifft. Ich habe sie mit Blick auf § 34 unserer Geschäftsordnung nicht mehr aufgerufen. – Jetzt hat für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau Dr. Peill zu ihrer ersten Rede das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Dr. Patricia Peill (CDU): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde haben wir schon sehr viel dazu gesagt, wie wichtig es uns ist, für den Klimaschutz, für die Energiewende und für den Strukturwandel einzutreten. Das steht in unserem Koalitionsvertrag zum Nachlesen. Wir haben es auch in allen Reden gehört.

Mir ist eine Sache in Ihrem Antrag aufgefallen: Sie verknüpfen da verschiedene Themen, die für mich keinen Sinn machen. Sie verbinden in Ihrem Antrag das Thema „Klimaschutz und Strukturwandel“ mit einem Aufruf zum sofortigen Kohleausstieg und damit zu einem vehementen Strukturbruch. Für uns ist Wandel etwas anderes. Wir gestalten Wandel eben nicht als Ausstiegsszenario, sondern als Einstiegsszenario, als Einstieg in einen geplanten und gut durchdachten Transformationsprozess.

Gehen wir doch einmal die Fakten durch, die Sie aufrufen. Sie mahnen uns an, Klimaschutzziele ernst zu nehmen. Fakt ist, wie wir jetzt schon viermal gehört haben: Wir bekennen uns zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens und haben dies auch im Koalitionsvertrag verankert. Dazu gehört auch die schrittweise Reduzierung der Braunkohleverstromung, wie es im Braunkohlefahrplan geregelt ist. Auch das hat Armin Laschet in seiner Regierungserklärung so gesagt.

Fakt ist auch: Wir erfüllen das Klimaschutzgesetz NRW, das eine 25%ige Reduzierung bis 2020 verlangt. Momentan haben wir schon Messungen, die eine Reduzierung von 22 % zeigen. Hinzu kommen noch die Abschaltung und die Überführung von fünf Kernkraftwerken in Frimmersdorf, Niederaußem und Neurath. Hierzu konnte man heute – sehr interessant! – in der Zeitung lesen, dass der Fraktionsvorsitzende des Kreises Düren sagt: Die Stilllegung zweier Blöcke im Kraftwerk Frimmersdorf

„zeigt uns deutlich, dass RWE großes Interesse daran hat, sich maßgeblich an der Klimaverbesserung im Sinne des Abkommens von Paris zu beteiligen.“

Hinzu – DAS muss ich Ihnen eigentlich nicht sagen – kommt noch die Abschaltung von Inden mit dem Werk in Weisweiler. Das heißt, im Ganzen werden wir im Jahre 2030 im Braunkohlebereich 40 % bis 50 % der CO2-Emissionen reduziert haben. Das bedeutet: NRW wird die Summe der gesetzten Klimaziele sogar übertreffen und übernimmt in Deutschland eine Vorreiterrolle. Daher ist Ihre Forderung nach einer weiteren Abschaltung von Kernkraftwerksblöcken zum Erreichen dieser Klimaziele nicht notwendig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie hier auch schon gesagt wurde, ist die Reform des europäischen Emissionshandelssystems auch ein zentrales Klimaschutzinstrument, um mit der Deckelung der Zertifikate eine Reduktion herbeizuführen.

Fakt ist: Wir sind in Europa in einem Verbund. Nationale Alleingänge und ein Alleingang von NRW führen hier zu nichts. Sie dienen dem Klima nicht; sie belasten nur die heimische Wirtschaft und gefährden massiv Arbeitsplätze. Auch dies war zu lösen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und mit diesem Wissen bin auch ich der Meinung, dass dieser Antrag eher dem Bundestagswahlkampf geschuldet ist, als dass er sich wirklich um den Klimaschutz kümmert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt komme ich zum Thema „Energiewende“ in Nordrhein-Westfalen als dem Energieversorgungsland Nummer eins. Fordern Sie hier wirklich – siehe Überschrift – „Kohleausstieg jetzt!“? – Wir befinden uns in einem sehr innovativen Transformationsprozess unseres Energiesystems. Wir wissen ganz genau, dass eine Politik des Entweder-oder mit der Forderung eines sofortigen Ausstiegs aus der Braunkohle in vielfacher Weise an der Wirklichkeit in unserem Land vorbeigeht.

Es ist schon bemerkenswert, dass sich die Haltung zu diesem Thema offensichtlich mit der gleichen Geschwindigkeit verändert hat, wie Sie auch die Regierungsverantwortung verloren haben. Es waren doch Ihre Verträge und Ihr Versprechen, auf die sich ganze Regionen verlassen, die den Ausstieg aus der fossilen Energie bis zum Jahr 2045 planbar machen wollen. Und nun dieser Antrag. Ist das politische Verantwortung?

Uns geht es bei der Energiewende um eine effiziente Vernetzung einer zunehmend von erneuerbaren Energien geprägten Energieversorgung und um den strukturierten Übergang von konventioneller in regenerative Energie. Wer alles ad hoc auf eine Karte setzt, ohne über die Konsequenzen und ohne über die betroffenen Familien und Arbeitsplätze nachzudenken, ist für mich nicht glaubwürdig.

Deswegen – so hat es der Minister gerade gesagt – geht es uns um den Vierklang der Dinge: Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Arbeitsplätze.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für uns ist das nicht die Konkurrenz der Systeme, sondern es geht um eine gut geplante und technologisch fundierte Staffelübergabe von Kohle und Gas hin zu erneuerbaren Energien. Der übernehmende Energieträger muss zu 100 % übernahmefähig sein, sonst – wie die Metapher es veranschaulichen möchte – verliert das gesamte Team.

Vergessen wir nicht: Es gibt noch viele große Herausforderungen, die zwischen unserem Wunsch und deren Realisierung stehen. Es geht um die Umsetzung des geplanten Netzausbaus. Es geht um die Einführung und Entwicklung von effizienter Speichertechnologie. Es geht um Lastenmanagement und um die Blindleistung, die die Grundspannung im Netz hält, die momentan ausschließlich von den fossilen Kraftwerken geleistet wird.

All das sind unverzichtbare Bestandteile einer gelingenden Energiewende, und das können auch Ideologen nicht leugnen. Frau Brems schreibt auf ihrer Webseite: NRW ist der beste Ort, die Welt zu retten.

Allerdings gibt es auch Tage, an denen der Strom – Herr Minister hat es gesagt – nicht zur Verfügung stand, wo der Wind nicht wehte und die Sonne nicht schien oder wo es schneite. Im internationalen Wettbewerb können unsere Industrieunternehmen und unser Mittelstand aber nicht bestehen, wenn sie nach Wetterlage produzieren müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Ein letztes Wort zum Strukturwandel. Diese Klimaschutzziele sind gleichbedeutend mit einem Rückgang der Kohleverstromung zugunsten der erneuerbaren Energien und damit einhergehend mit einem Strukturwandel in den Regionen und in den Tagebaunachfolgelandschaften.

Die CDU steht für Rechts- und Planungssicherheit. Das bedeutet auch, dass wir die genehmigte Betriebsdauer bis ins Jahr 2045 nicht infrage stellen. Es geht in den Tagebauregionen um Strukturwandel, und nicht um Strukturbruch. Wir werden diesen Wandel an der Seite der Menschen, der Wirtschaftsförderung und der Städte und Kommunen gestalten.

Um so viele neu zu schaffende Arbeitsplätze zu ermöglichen, brauchen wir Innovation, planbare Aussichten und Gründungswillen. Das kann man nicht von oben herab verordnen, sondern man muss es möglich machen. Für das Rheinische Revier werden wir daher eine nachhaltige Perspektive entwickeln und die Kommunen bei der Bewältigung des Strukturwandels unterstützen.

Ich möchte gerne schließen und zitiere hier unseren Fraktionsvorsitzenden: Durch Ihren Antrag, liebe Kollegen, fühlen sich die Menschen bei diesem Thema verlassen. Auf uns aber können Sie sich im Strukturwandel verlassen. – Daher werden wir diesen Antrag auch in den einzelnen Spiegelstrichen ablehnen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Peill, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. – Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Hübner das Wort. Bitte schön.

Michael Hübner (SPD): Danke schön, Frau Präsidentin. Ich möchte mich bei fast allen Fraktionen, auch beim Minister Pinkwart, für die außerordentlich differenzierte Diskussion zur Thema „Energiesicherheit“ ganz herzlich bedanken. Ich finde es richtig, dass wir uns die Zeit genommen haben, anlässlich des Antrags der Grünen dieses Thema nicht nur mit Fokus auf die Energiewende zu diskutieren, sondern auch unter dem Aspekt der Energiesicherheit, der uns immer ganz wichtig ist.

Herr Dr. Pinkwart, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen – andere Vertreter haben das auch gemacht; im Übrigen ausdrücklich meine Gratulation zur ersten Rede –, dass wir Energieland Nummer eins sind – völlig klar –, und dass wir uns ganz besonders um die Energiesicherheit bemühen müssen, um die Versorgungssicherheit für ganz Deutschland aus diesem Land heraus zu gewährleisten.

Das entspricht auch dem, was wir uns zuletzt erarbeitet haben. 30 % der Emissionen und 30 % der Energie kommen letztlich aus den Kraftwerken aus Nordrhein-Westfalen.

Ich fand aber auch – da muss ich einmal von dem Konzept ein bisschen abweichen – Ihre Ausführungen interessant, als Sie auf Nachfrage meines Kollegen van den Berg gesagt haben, dass Sie offenkundig in der Erwartung sind, Nordrhein-Westfalen werde die sich selbst gesetzten Klimaschutzziele von 25 % erreichen können.

Kollege van den Berg hat gerade auch noch einmal infrage gestellt, dass das mit diesen fünf Braunkohlblöcken geht, die jetzt mehrfacht genannt wurden. Danach haben Sie eingeschoben, Sie würden davon ausgehen, dass die Bundesrepublik Deutschland insgesamt aber vor größeren Herausforderungen steht und dass sie ihre Klimaschutzziele möglicherweise nicht erreicht.

Daraus und aus Ihrem Interview in Aachen habe ich geschlussfolgert, dass Sie die Erwartung haben, es könne einen weiteren Block in Nordrhein-Westfalen treffen, der in die Sicherheitsreserve überführt werden könnte. Da würden wir gerne wissen wollen, welcher Block das ist. – Sie haben gleich als Landesregierung noch die Chance, sich hierzu zu äußern.

Das hat uns ein bisschen verwundert, wissen wir doch, dass bei den fünf Blöcken – das Thema „Strukturwandel“ ist sowohl von uns als auch von der CDU angesprochen worden – alles sehr sozialverträglich auf den Weg gebracht worden ist mit den Beschäftigten, die auch erkennen, dass wir dort etwas tun müssen. Das ist auch so mit den Gewerkschaften vor Ort vereinbart worden.

Deshalb bin ich etwas verwundert. Das erzeugt bei mir ein wenig Unsicherheit, ob wir den Beschäftigten vor Ort demnächst sagen müssen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Klimaschutzziele nicht erreicht, vor allem, wenn das wieder auf Nordrhein-Westfalen abgeladen wird. Ich würde Sie bitten, dazu gleich noch eine Klarstellung zu geben.

Ein Thema, das Sie gestreift, aus meiner Sicht aber nicht vollständig beantwortet haben – zumindest nicht zu den aufgeworfenen Fragen –, ist der Netzausbau. Der Netzausbau – das wissen Sie auch – ist in der Tat, wenn Sie über die Volatilität der erneuerbaren Energien sprechen, ein ganz zentraler Punkt. Da muss man zusehen, dass die Versorgungssicherheit und die Netzinfrastruktur Hand in Hand gehen. Ich finde, da waren Sie ein bisschen oberflächlich.

Für uns ist klar, dass der Netzausbau in den nächsten Jahren eine zentrale Herausforderung hier in Nordrhein-Westfalen sein wird – nicht nur, weil wir mehr Windenergie aus dem Norden in den Süden leiten müssen, sondern auch – und gerade deshalb –, weil es in Belgien die beiden Atomkraftwerke gibt, die zukünftig abgeschaltet werden sollen. Das ist unser Wunsch, und das ist hoffentlich auch der Wunsch der Landesregierung.

Dazu gehört auch, dass wir eine Trasse nach Belgien auf den Weg bringen müssen; das ist die ALEGrO-Leitung. Wir würden uns wünschen, dass die Landesregierung etwas dynamischer in die Planungsprozesse eingreift. Das ist etwas, womit das Gesamtsystem in Deutschland stabilisiert werden kann.

Was allerdings überhaupt nicht zu Ihrer Politik passt, die Sie momentan auf den Weg bringen – daher bin ich dankbar für den Antrag von den Grünen, um das noch einmal klarzustellen –, ist die Ankündigung, die wir heute Morgen diskutiert haben. Der Erlass ist jetzt herumgeschickt. Es geht um die 1.500-m-Regelung im Windanlagenbau. Das passt gar nicht zu dem, was wir heute Morgen diskutiert haben.

Zur Energiewende gehört auch, nicht nur den Bestand sozialverträglich und im Dialog mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen zu gestalten, sondern dazu gehört auch, dass wir auf entsprechend mehr Energie erzeugen, und zwar mit erneuerbaren Energien. Wir brauchen auch eine Verkehrswende; wir brauchen mehr Elektrizität auf unseren Straßen, um das mal ganz deutlich zu sagen. Dazu benötigen wir nicht weniger, sondern mehr Energie. Sie blockieren den Erneuerbaren-Energien-Pfad, den wir gerade betreten haben, und schränken alles massiv ein.

Wir werden dafür sorgen, dass wir den Erlass im Wirtschaftsausschuss mit einer entsprechenden Anhörung würdigen. Ich bitte ganz herzlich darum, dass Sie auf den Sachverstand hören und sich noch einmal erklären lassen, dass Akzeptanz nicht nur etwas damit zu tun hat, ob das Windrad 1.500 m weit weg ist. Es kann unter emissionsrechtlichen Bedingungen auch viel näher dranstehen. Aktuell verfügen wir über ordentliche Abwägungsdirektiven, die über die Landesplanung und von emissionsrechtlicher Seite gegeben sind. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, noch einmal über diesen Erlass nachzudenken; denn er verursacht faktisch einen Stopp der erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Daran kann niemand ein Interesse haben. Das wollen wir nicht. Das kann nicht das Ziel der Politik der FDP sein, vor allen Dingen, wenn man aus Berlin hört, dass wir möglicherweise bei den Klimaschutzzielen – Sie haben es angedeutet – noch mal nachsteuern müssen. Das würde auf dem Rücken der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen ausgetragen. Das aber geht nicht, und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Ich möchte von Ihnen noch die Konkretisierung hören, welcher Block noch gefährdet ist. Sie haben das Thema vorhin aufgerufen. Ich finde, es wäre unverantwortlich, uns in Unkenntnis darüber zu lassen, welche Überlegungen in Ihrem Haus dazu getätigt worden sind. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Jetzt hat noch einmal der Abgeordnete Dietmar Brockes für die Fraktion der FDP das Wort.

Ich weise darauf hin, dass alle Fraktionen noch für eine zweite Runde nachgemeldet haben. – Bitte schön, Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank. Frau Präsidentin! Herr Kollege Hübner! Ihre Ausführungen gerade haben wieder deutlich gemacht, dass Sie völlig planwirtschaftlich und nur mit Subventionen auf eine Technologie setzen, um die Klimaziele zu erreichen. Wir, die neue Landesregierung, gehen technologieoffen und ohne Subventionierung daran, und wir werden alle Potenziale nutzen, um unsere Klimaziele in Nordrhein-Westfalen zu erreichen.

(Michael Hübner [SPD]: Haben Sie denn mit der Windkraftsubventionierung zu tun?)

Sie werden sehen, dass das erfolgreicher ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Aber ich habe mich eigentlich gemeldet, um auf das Beratungsverfahren dieses Antrags einzugehen. Denn die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat den Antrag zur direkten Abstimmung gestellt – ein umfangreicher Antrag, der es scheinbar nicht wert ist, im Parlament noch weiter diskutiert zu werden.

Das zeigt, dass es Ihnen hier und heute rein um Wahlkampf geht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deshalb – auch wenn Sie gleich die Punkte einzeln zur Abstimmung stellen – sage ich Ihnen klipp und klar für CDU und FDP: Ja, wir stehen zum Pariser Klimaabkommen! Ja, wir stehen zu unseren gesetzten Einsparzielen! Ja, wir stehen zu weiterem Gesundheitsschutz und wollen die Emissionen weiter reduzieren.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Aber wir werden hier nicht über Ihr Wahlkampfstöckchen springen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es bedarf Ihres Antrags nicht. Sie können das alles schön in unserem Koalitionsvertrag nachlesen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brockes. – Als nächster Redner für die Fraktion der AfD hat nun Herr Abgeordneter Loose das Wort. Bitte schön.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich auf den Einwurf von Herrn Hübner eingehen, der jetzt Arbeitsplatzsicherung fordert und von Herrn Pinkwart wissen möchte, welches Kraftwerk denn noch geschlossen wird.

Sie waren es doch, die mit der Leitentscheidung das Tagebauabbaugebiet verkleinert und dabei die Arbeitsplätze gefährdet haben.

(Beifall von der AfD)

Herr Dr. Pinkwart, Sie haben erkannt, dass die erneuerbaren Energien bei Sonnenflaute und Windflaute Probleme verursachen. Da haben Sie zum Glück mal bei uns etwas abgelesen. Sie haben aber nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Jetzt wollen Sie noch mehr erneuerbare Energien und sehr teure Speichertechnologien installieren, welche die Probleme beheben sollen, die erst durch die erneuerbaren Energien entstanden sind.

(Beifall bei der AfD)

Jetzt zum Antrag der Grünen. Energieproduktion hat immer Folgen für Mensch und Natur. Auch die Sonnenenergie und die Windkraft haben Probleme. Für Solarzellen verwenden wir Cadmium, Gallium oder Arsen. Bei der Windkraft wird Neodym verwendet, das in chinesischen Minen – das sind die tödlichsten der Welt – gewonnen wird.

Schauen wir uns – nachdem wir all das mit einbezogen haben – doch noch einmal den Tagebau an. Dort wird das Material oberirdisch unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards gewonnen. Da gibt es keine kleinen Grubenjungen in dunklen, gefährlichen Minen. Natürlich sieht das Ganze oberirdisch sehr industriell aus. Natürlich muss es eine Renaturierung geben. Die gibt es ja auch. Da werden über 1.900 ha Wald mehr wieder aufgeforstet, als vorher abgeholzt wurde. Fahren Sie doch mal in diese Gebiete.

Ihr Hauptargument ist jetzt das Quecksilber. Ja, die Kraftwerke in Deutschland stoßen 7 t Quecksilber pro Jahr aus. 7 t – das hört sich nach richtig viel an. Schauen wir uns das Ganze doch einmal weltweit an. Weltweit werden 7.500 t in die Luft geblasen. 5.200 t davon kommen aus Vulkanen oder aus Meeren. Das sind natürliche Quellen. Und jetzt wollen Sie uns erzählen, dass die 7 t in Deutschland das Giftigste der Welt sind?

(Beifall von der AfD)

Die Deutschen haben noch 2.200 t an Amalgam – davon 50 % Quecksilber – in den Zähnen. Die Industrie hat viel gemacht. Seit 1990 wurden die Quecksilberemissionen um zwei Drittel reduziert. Es kommt auch nicht darauf an, was emittiert wird, sondern auf das, was beim Menschen ankommt. Die Immissionen sind also entscheidend.

Schauen Sie sich das mal an: Was emittiert wird, befindet sich zunächst ein Jahr lang im Äther. Das heißt, dass gar nicht Deutschland das Problem ist, sondern das Problem sind die Chinesen. Insofern müssen Sie sich bitte mit den Chinesen einigen. Der Grenzwert in Deutschland – also das, was beim Wähler, beim Bürger ankommt – ist kleiner als 3 % des als gesundheitsgefährdend eingestuften Wertes.

Sie skizzieren uns hier Quecksilber als Schreckgespenst. Allein die nackten Zahlen zeigen, dass es Ihnen um das Schüren von Angst bzw. um eine Panikmache geht.

(Beifall von der AfD)

Sie sind sich nicht mal zu schade dafür, schwangere Frauen und Kinder auf Ihren Plakaten abzubilden. Das ist echt extrem schändlich! Ihren Propagandaantrag lehnen wir deshalb ab!

(Beifall von der AfD – Zurufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Brems das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte zeigt, dass es hier in diesem Haus eine ganz große Koalition für die Braunkohle gibt. Sie reicht von der FDP über die CDU bis hin zur SPD. Da ist es schon fast erstaunlich, dass wir Grünen es überhaupt geschafft haben, dass vor einigen Jahren beschlossen wurde, den Tagebau Garzweiler zu verkleinern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist aber schon länger klar, dass auch das nicht reicht, sondern dass es lediglich ein erster Schritt war. Denn wenn Sie sich alle hier so schön zu dem Pariser Klimaschutzzielen bekennen, dann müssten Sie auch wissen, dass dies bedeutet, dass alle Klimaziele überarbeitet und sogar verschärft werden müssen. Das steht in diametralem Gegensatz zu all Ihren Braunkohlebekenntnissen, die wir heute gehört haben. Sie müssen sich da schon entscheiden. Ich hoffe gerade auch für zukünftige Generationen, dass Sie sich für den Klimaschutz entscheiden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Landesregierung hat noch einmal Professor Pinkwart um das Wort gebeten, was er hiermit dann auch hat. Bitte schön, Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart*), Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Abgeordnete Brems, Sie sprachen von einer Koalition für die Kohle. Sie waren in einer Regierung und in einer Koalition, die sich ganz klar für die Kohle committed hat.

Das kritisiere ich nicht, vielmehr möchte ich es anerkennen. Ich weiß, dass es für Ihre Partei nicht so einfach war wie für die Sozialdemokratische Partei. Sie haben es aber getan, und Sie haben es sicherlich – das möchte ich Ihnen positiv unterstellen – in Abwägung der verschiedenen Interessenslage getan. Sicherlich haben Sie es auch mit Blick auf die Interessenslage des Standortes Nordrhein-Westfalen – für die hier Beschäftigten, das Wachstum, die Lebensbedingungen und die Umwelt – getan.

Daraus sollten Sie sich aber bitte nicht just an dem Tag, an dem Sie nicht mehr in der Verantwortung sind, in der Weise herausmogeln, wie Sie es hier schon die ganze Zeit tun. Ich halte das nicht für verantwortungsgerecht!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich möchte in der mir verbliebenen Zeit gerne noch auf die Fragen von Herrn Abgeordneten Hübner eingehen. Sie haben hier …

(Michael Hübner [SPD]: Sie sind die Landesregierung! Sie können so lange reden, wie Sie wollen!)

– Ja, wenn Sie wollen! Also, mir geht der Stoff bestimmt nicht aus.

(Beifall und Heiterkeit von der FDP)

Ich wollte es aus Höflichkeit gegenüber dem Hohen Haus gerne in der mir zur Verfügung stehenden Zeit schaffen.

Zu Ihren Fragen. Ich sage es noch einmal: Das Land Nordrhein-Westfalen wird die Klimaschutzziele bis 2020 mit den bereits eingeleiteten Maßnahmen erreichen.

Dazu gehört auch die Entscheidung, die wir jetzt in Bezug auf den Windkrafterlass getroffen haben. Ich gehe davon aus, dass wir die Klimaschutzziele sogar übererfüllen werden. Damit sind die fünf Blöcke gemeint, die dann – das ist schon längst so beschlossen – vom Netz genommen werden bzw. zunächst in die Sicherheitsreserve gehen. Dabei bleibt es auch. Das ist unser Ziel.

In Bezug auf die Windkraft hatte ich in dieser Woche schon Gelegenheit, Folgendes darzulegen: Bis 2010 gab es 3.000 MW Windkraftleistung in Nordrhein-Westfalen. In den letzten sieben Jahren sind 2.000 MW dazugekommen. Mit den von uns jetzt geplanten Maßnahmen werden in den nächsten Jahren mindestens noch einmal 4.200 MW dazukommen.

Ob es dem einen oder anderen gefällt oder nicht: Das ist die Lage, meine sehr verehrten Damen und Herren. Jedenfalls wird sich die Windkraftkapazität noch einmal nahezu verdoppeln. Sie wird auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der Anteil der Erneuerbaren steigen wird. Darüber hinaus wird dadurch auch ein Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele geleistet.

Darüber hinaus – ich hatte bereits Gelegenheit, das darzulegen – werden wir viel stärker daran arbeiten, auch andere Formen erneuerbarer Energien, die in der Zeit der Vorgängerregierung eher vernachlässigt wurden, für das Land nutzbar zu machen

Dazu zählt zum Beispiel die Fotovoltaik in Innenstädten. Aufgrund der fortgeschrittenen Innovationen können Sie Fotovoltaik mittlerweile zu einem Preis zum Einsatz bringen, der so konkurrenzlos günstig ist – so will ich es mal formulieren –, dass Sie auf Subventionen verzichten können. Diese Ressource wollen auch private Unternehmen, zum Beispiel Immobilienunternehmen, gerne erschließen, um ihren Mietern bessere Möglichkeiten zu eröffnen. Wir setzen aber auch auf Geothermie und andere Bereiche, die Sie etwas vernachlässigt haben.

Ich kann Ihnen versprechen, dass wir Nordrhein-Westfalen zu einem modernen Energieland machen wollen, das auf moderne konventionelle Kraftwerke und auf erneuerbare Energie, die bezahlbar, sicher und umweltfreundlich ist, aufbaut. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen habe ich nicht auf dem Zettel. Ist das richtig? – Ja.

Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/531. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu diesem Antrag Einzelabstimmung gemäß § 42 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung beantragt. Wir stimmen also jetzt einzeln über jeden Punkt ab. Das betrifft auch Punkt 4, der noch einmal in die Unterpunkte a) und b) unterteilt ist.

(Michael Hübner [SPD]: Und in c) und d)!)

Wir kommen also zu den Einzelabstimmungen.

Erstens stimmen wir über Punkt 1 unter Ziffer II des Antrags ab. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP sowie die AfD-Fraktion stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist Punkt 1 unter Ziffer II mit der Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Wir rufen zweitens Punkt 2 unter Ziffer II des Antrags auf. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die CDU, die SPD, die FDP und die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Nein, die sehen wir nicht. Damit ist Punkt 2 unter Ziffer II gegen die Stimmen der Grünen mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Wir stimmen drittens über Punkt 1 unter Ziffer III ab. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Fraktion der Grünen sowie die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und AfD stimmen gegen diesen Punkt. Damit ist auch dieser Punkt gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt.

Wir rufen viertens Punkt 2 unter Ziffer III des Antrags auf. Wer stimmt Punkt 2 unter Ziffer III zu?

(Michael Hübner [SPD]: Nein, arabisch 4 a)!)

– Nein, nicht arabisch 4 a). Bei mir steht Ziffer III, Punkt 2. Das ist doch richtig, oder?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja!)

– Das habe ich mir doch gedacht; denn meistens ist hier oben alles ordentlich und richtig notiert.

Stimmen wir also über Punkt 2 unter Ziffer III des Antrags ab. Wer stimmt dem zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die CDU, die SPD, die FDP und die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Niemand will sich einzeln enthalten. Damit ist dieser Punkt mit den Stimmen aller Fraktionen außer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Fünftens stimmen wir über Punkt 3 unter Ziffer III des Antrags ab. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und AfD stimmen dagegen. Damit ist dieser Punkt mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Sechstens stimmen wir nun über Punkt 4 a) unter Ziffer III des Antrags ab. Wer stimmt dem Punkt 4 a) unter Ziffer III zu? – Die Grünen stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP und AfD stimmen dagegen. Enthaltungen? – Die sehen wir von hier oben nicht. Damit ist auch dieser Punkt mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.

Wir stimmen siebtens über Punkt 4 b) unter Ziffer III des Antrags ab. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Grünen als antragstellende Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP und AfD stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Wir sehen keine Enthaltungen. Damit ist dieser Punkt gegen die Stimmen der Grünen mit breiter Mehrheit ebenfalls abgelehnt.

Achtens stimmen wir über Punkt 4 c) unter Ziffer III des Antrags ab. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Grünen stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – CDU, SPD, FDP und AfD stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Wir verzeichnen also eine breite Ablehnung auch dieses Punktes hier im Hohen Hause.

Wir stimmen neuntens über Punkt 4 d) unter Ziffer III des Antrags ab. Wer stimmt diesem Punkt zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt zu. Wer stimmt dagegen? – Es stimmen dagegen CDU, SPD, FDP und AfD. Gibt es Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen. Mit breiter Mehrheit ist damit auch dieser Punkt abgelehnt.

Zehntens stimmen wir über Punkt 5 unter Ziffer III ab. Wer stimmt Punkt 5 zu? – Die Grünen sowie die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und AfD stimmen dagegen. Damit ist auch Punkt 5 unter Ziffer III mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Wir kommen nun elftens zur Gesamtabstimmung nach § 42 Abs. 3 Satz 2 unserer Geschäftsordnung über den Antrag Drucksache 17/531, jedoch ohne die zuvor abgelehnten Teile des Antrags. Wer stimmt diesem so zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die CDU, die SPD, die FDP und die AfD. Wer enthält sich? – Niemand enthält sich. Damit ist der Antrag Drucksache 17/531 durch das Hohe Haus mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf:

5   Gebührenfreie frühkindliche Bildung für alle Kinder durch Bundesmittel: Schwarz-Gelbe Hoffnungen ruhen allein auf Martin Schulz und der SPD!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/507

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/613

Ich freue mich, dass jetzt Herr Dr. Maelzer für die SPD-Fraktion am Pult steht. Er wird erklären, warum die SPD will, was sie in dem Antrag aufgeschrieben hat. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In kaum einem anderen Land sind die Aufwendungen, die Familien für die frühkindliche Bildung ihrer Kinder aufbringen müssen, so hoch wie in Deutschland. Einen entscheidenden Faktor stellen dabei die Kitagebühren dar, welche die Familien in Nordrhein-Westfalen je nach Finanzkraft der jeweiligen Kommune unterschiedlich stark belasten.

Die SPD-geführte Landesregierung hatte damit begonnen, Familien ein Stück dieser Last von den Schultern zu nehmen. Das letzte Kitajahr vor der Einschulung ist in Nordrhein-Westfalen nun beitragsfrei. Die SPD wollte diesen Weg weitergehen.

CDU und FDP hingegen machen eine Vollbremsung. Wenn es um die Befreiung der Eltern von der „Kitamaut“ geht, sind sie nur bereit, zu handeln, wenn der Bund dafür Geld gibt.

Meine Damen und Herren, Herr Laschet hat am Mittwoch an dieser Stelle eine Regierungserklärung gehalten, von der nicht viele Sätze wert waren, lange im Gedächtnis zu bleiben. Eine Aussage ist mir aber gut in Erinnerung geblieben. Herr Laschet sagte: Ich warne vor einer Denkweise, in der die Landespolitik nicht auf die eigene Kraft vertraut, sondern reflexhaft nach dem Bund ruft. – Was für eine entlarvende Aussage!

(Beifall von der SPD)

Und: Was für eine Doppelmoral! Die Frage ist: Wann beginnt Schwarz-Gelb, sich an den eigenen Maßstäben zu messen?

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Qualität …)

Norbert Walter-Borjans hat Ihnen noch im Juni die Finanzentwicklung unseres Landes für die kommenden Jahre dargestellt. Nordrhein-Westfalen hat in jedem Jahr mit Überschüssen zu rechnen, in 2019 mit mehr als 1,2 Milliarden € und in 2020 sogar mit mehr als 2,8 Milliarden €. Unter der SPD wurden die Spielräume erarbeitet.

(Daniel Sieveke [CDU]: Welche?)

Wir würden diese Spielräume nutzen, um das KiBiz grundständig zu reformieren,

(Daniel Sieveke [CDU]: Machen Sie doch nicht!)

das heißt die Kitas auskömmlich zu finanzieren,

(Daniel Sieveke [CDU]: Machen Sie nicht!)

flexible Öffnungszeiten zu fördern und

(Daniel Sieveke [CDU]: Machen Sie nicht!)

den Erzieher-Kind-Schlüssel zu verbessern. Das heißt auch, dass wir die Eltern deutlich entlasten. Denn für uns hört Qualität nicht an der Kitatür auf. Für uns gehört die Lebensqualität von Familien ebenfalls dazu.

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: … abgewählt …)

Vertrauen Sie also auf die Kraft Nordrhein-Westfalens! Das Geld ist vorhanden. Man muss nur bereit sein, es auch für unsere Kinder, Erzieherinnen und Erzieher und Eltern einzusetzen.

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Das machen Sie ja nicht!)

Es würde ein Schuh draus, liebe CDU und FDP, die in dieser Stunde ein wenig erregt sind, wenn Sie wenigstens auf Bundesebene das Ziel hätten, für Beitragsfreiheit zu sorgen. – Herr Laschet, warum findet man denn dazu kein Wort im Wahlprogramm der Union? Ist die Stimme der NRW-CDU so schwach?

Noch spannender wird es bei Herrn Lindner. Hier im Landtag bejubelt er einen Koalitionsvertrag, in dem steht, dass Sie es begrüßen würden, wenn der Bund Geld für die Gebührenfreiheit zur Verfügung stellen würde. Wenn er das Landtagsgebäude verlässt, dann ist er FDP-Bundesvorsitzender und lehnt genau ein solches Ansinnen ab. Ich weiß nicht, ob man hier bereits von Persönlichkeitsspaltung sprechen kann. Ich würde es aber als zynische Doppelmoral bezeichnen.

(Beifall von der SPD)

Es gibt nur eine Möglichkeit, wie Sie Ihren Koalitionsvertrag umsetzen können, nämlich wenn die SPD nach der Bundestagswahl die Regierung stellt.

Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Sie haben einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wenn man den liest, könnte man meinen, Kitagebühren seien überhaupt kein Problem; die Beitragstabellen seien sozial ausgewogen; die höchsten Einkommen zahlten sogar relativ am meisten. Was für eine Verkennung der Wirklichkeit!

(Beifall von der SPD)

Das Deutsche Jugendinstitut hat es doch längst belegt: Trotz Einkommensstaffelung bei den Kosten für Kindertageseinrichtungen werden Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen sowie kinderreiche Familien ungleich stärker belastet. Dieser Effekt wird sogar noch weiter verstärkt etwa durch zusätzliche Gebühren für Mittagessen, Getränke, Bastelutensilien oder Ausflüge.

Wenn man einmal bereit ist, diese Studien zur Kenntnis zu nehmen, dann kann man nur zu dem Schluss kommen: Kitagebühren sind ein Problem, das die Teilhabechancen unserer Kinder untergräbt.

(Beifall von der SPD)

Aber vielleicht liegt es ja daran, dass Schwarz-Gelb nicht auf die Wissenschaft hört, eher vielleicht auf den Bund der Steuerzahler. Der hat die Kitagebühren von 57 Städten in Nordrhein-Westfalen verglichen. In Köln, in Kerpen, in Mönchengladbach und in Mülheim zahlen Eltern schon ab einem Einkommen von 12.271 € Kindergartenbeiträge. In Düren, Solingen und Wuppertal geht es bei 12.500 € los. Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, das sind Familien, die mit 1.000 € brutto im Monat zurechtkommen müssen. Solche Beitragstabellen bezeichnen Sie als sozial? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall von der SPD)

Der SPD-Arbeitskreis hat zuletzt Kitas …

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. – Danke.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Ich komme zum Schluss. – Lassen Sie mich nur noch das eine sagen: Wir haben zuletzt Kitas in Essen besucht. Dort haben wir zu hören bekommen, was die Realität bedeutet. Wir haben von Eltern erfahren, die eigentlich Wert auf ein ausgewogenes Frühstück ihrer Kinder legen, doch am Monatsende reicht es in der Brotdose leider nur noch für den Toast mit Erdbeermarmelade.

Die SPD will diese Familien entlasten, damit auch am Monatsende Apfelstückchen, Paprikaschnitze und ein belegtes Vollkornbrot zum Frühstück dazugehören. Dazu würde die Abschaffung der Kitabeiträge einen wesentlichen Beitrag leisten.

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Sieben Jahre habt Ihr das nicht hinbekommen!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Maelzer. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Kamieth das Wort.

Jens Kamieth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Dr. Maelzer, nicht die Kindergartengebühren sind das Problem, die verfehlte SPD-Politik ist das Problem.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dass Sie die Chuzpe haben, hier die Politik weiterführen zu wollen, die Sie in den letzten sieben Jahren vergeigt haben, das ist an Doppelzüngigkeit nicht zu überbieten. Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, der hier gerade zu beobachten ist. Gut drei Monate nach Abwahl der SPD-geführten Landesregierung in NRW und neun Tage vor der Bundestagswahl mit solch einem Antrag zu versuchen, Wahlkampf zu machen, das ist wirklich eine Frechheit. Das bringt mich wirklich in Rage.

Ich will auf einige Punkte noch genauer eingehen. Sie wollen mit Ihrem Antrag genau die verfehlte Politik fortführen, die Sie in den vergangenen sieben Jahren gemacht haben. Damit haben Sie eine dramatische Unterfinanzierung der Kitaträger herbeigeführt mit allen negativen Folgen, die wir erleben.

(Beifall von der CDU)

Sie sagen hier, Sie würden dieses und jenes machen. Schon 2010 stand in Ihrem Koalitionsvertrag eine Überarbeitung des Kitafinanzierungssystems. Dann kamen zahlreiche Ankündigungen. 2012 kam ein weiterer Koalitionsvertrag. Es gab Eckpunkte, Leitaspekte. Sie waren nicht in der Lage, tragfähige Kitagebühren auf den Weg zu bringen. Und jetzt fordern Sie so etwas? Das ist ein Unding!

Die Folge dieser rot-grünen Ankündigungspolitik ist eine äußerst angespannte finanzielle Situation der Kindertageseinrichtungen. Ich will Ihnen die Folgen näher benennen.

Die Kindertagesbetreuung in NRW ist chronisch unterfinanziert. Es drohen Kitaschließungen, und Träger kündigen an, Einrichtungen zurückzugeben. Erzieherinnen und Erzieher haben eine extrem hohe Arbeitsbelastung. In zahlreichen Kitas mussten die Öffnungszeiten verkürzt werden.

Das alles geht auf Kosten der Betreuungsqualität und damit auf Kosten der Kinder und Familien.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Angesichts dieser desolaten Lage wäre es unverantwortlich und sozial ungerecht, ohne Weiteres die sofortige allgemeine Beitragsfreiheit einzuführen. Schließlich sind die Leidtragenden Ihrer Politik gerade die Kinder, deren Eltern den Qualitätsmangel nicht ausgleichen können.

Zu Ihren Aussagen zum Thema „soziale Gerechtigkeit“: Sie schädigen gerade die Kinder, die Hilfe am meisten nötig haben.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Die NRW-Koalition steht hingegen nach sieben Jahren rot-grünem Stillstand für einen umfassenden Neustart in eine frühkindliche Bildung. Herr Dr. Maelzer, schon wenige Wochen nach der Regierungsübernahme schnürte die NRW-Koalition ein Soforthilferettungspaket in Höhe von einer halben Milliarde Euro aus Landesmitteln zum Erhalt der Trägervielfalt.

Das Kinderbildungsgesetz wird stufenweise überarbeitet, wobei wir auch die Erzieherinnen und Erzieher im Blick haben. Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Trägern werden wir ein auskömmliches und nachhaltiges Finanzierungssystem schaffen. Wir kümmern uns um die Bedürfnisse der Eltern, die eine bessere Qualität in der frühkindlichen Bildung wünschen, und vor allem um bedarfsgerechte Öffnungszeiten.

Meine Damen und Herren, lassen Sie sich nichts darüber erzählen, dass die Beitragsfreiheit das einzig Wichtige sei, was die Eltern fordern. Viele Eltern sind nicht damit überfordert, wenn sie die sozial gestaffelten Beiträge zahlen müssen. In den meisten Einrichtungen sind die besonders Einkommensschwachen ohnehin befreit. Und wir stehen natürlich dazu, dass das letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung beitragsfrei bleibt.

Ich betone, dass wir in NRW natürlich grundsätzlich die allgemeine Beitragsfreiheit für alle Kitajahre anstreben, aber das darf nicht – wie die SPD es billigend in Kauf nehmen will – zur dauerhaften Unterfinanzierung und zu Qualitätseinbußen führen.

(Beifall von der CDU – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

Wir setzen uns natürlich auch dafür ein, dass durch Bundesmittel eine rasche Umsetzung ermöglicht wird.

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Meine Damen und Herren, für uns steht Folgendes fest: Zuerst müssen die Kitafinanzierung und die Kitaqualität stimmen, und es muss genügend Betreuungsplätze geben. Dann, und erst dann, können wir auch die Beitragsfreiheit anstreben.

Lassen Sie mich das noch deutlicher machen: Was nutzt eine kostenfreie Kita ohne Personal und ohne Räume? Auch die kommunalen Spitzenverbände, das Institut der deutschen Wirtschaft und die Bertelsmann Stiftung sagen: Qualität vor Beitragsfreiheit. – Das ist das Gebot der Stunde.

Deshalb wird die CDU-Fraktion den vorliegenden Wahlkampfantrag der SPD ablehnen. Zugleich werbe ich für den Entschließungsantrag, den wir gemeinsam mit der Koalition auf den Weg gebracht haben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands danken. Als ich nämlich den Antrag gelesen habe, musste ich so herzlich lachen wie lange zuvor nicht. Das, was Sie dort hineingeschrieben haben, ist …

(Heiterkeit von der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Lachen von der SPD)

– Ich glaube, der Großteil Ihrer Fraktion leidet an einem vollkommenen Realitätsverlust.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es ist etwas schwierig, Ihren Antrag wirklich ernst zu nehmen. Nach sieben Jahren Regierungszeit – in den letzten 20 Jahren hat die SPD 15 Jahre lang regiert – hier einen solchen Antrag vorzulegen, das ist wirklich traurig, könnte man sagen.

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Ich hingegen finde es humorvoll. – Vielen Dank also dafür, dass Sie das gemacht haben.

Lieber Dr. Dennis Maelzer, wir müssen schauen, woher wir kommen. Sie haben sieben Jahre lang in Nordrhein-Westfalen regiert. Wenn Sie mal vor Ort in den Kitas gewesen wären und mit den Menschen im Land gesprochen hätten,

(Daniel Sieveke [CDU]: Genau! – Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

dann hätten Sie festgestellt, dass 80 % aller Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen defizitär arbeiten.

(Daniel Sieveke [CDU]: Genau!)

Die sind kurz vor dem Kollaps, die stehen kurz vor dem Aus.

(Frank Müller [SPD]: Welche denn?)

Das haben Sie zu verantworten. Sie sind deswegen abgewählt worden. Das ist die Realität in Nordrhein-Westfalen.

(Frank Müller [SPD]: Wo? Wie viele?)

Die Kitas haben andere Probleme als das Thema „Beitragsfreiheit“. Sie können keine flexiblen Öffnungszeiten anbieten, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet werden kann, insbesondere um Kinderarmut zu bekämpfen. Es fehlen 16.500 Erzieher im Land. Die Kitaleitungen müssen die Bürokratie bewältigen. Vertretungsregelungen funktionieren nicht, Freistellungen der Leitungen sind nicht vorhanden, es fehlen U3-Plätze.

Alles in allem kostet das 1,5 Milliarden €, die wir nun als Finanzierungslücke haben.

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Die SPD schlägt im Wahlkampf vor – und auch heute wieder; vielen Dank dafür –, die Beitragsfreiheit einzuführen. Wissen Sie eigentlich, was die Beitragsfreiheit kostet? Das hat Ihr Finanzminister damals durchgerechnet: Wir liegen da bei ca. 1 Milliarde €.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Nee!)

Wissen Sie, was wir mit 1 Milliarde € machen könnten?

(Jochen Ott [SPD]: Ja! Familien fördern!)

Wir könnten die ganzen Probleme, die Sie verursacht haben, lösen und für Bildung und Qualität in der Kita sorgen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mich wundert es im Übrigen nicht, dass die Sozialdemokratie in Umfragen bei 20 % liegt,

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

wenn Sie eine solche vollkommen verfehlte Politik machen, an den Menschen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland vorbei. Deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen, sich innerhalb der nächsten Wochen noch einmal zu besinnen und das zu unterstützen, was die schwarz-gelbe Landesregierung auf den Weg bringen wird.

Wir werden zuerst die Baustellen beheben, die Sie uns hinterlassen haben. Wir haben ein Kitarettungsprogramm mit einem Volumen von einer halben Milliarde Euro auf den Weg gebracht, um die Kitas davor zu bewahren, schließen zu müssen. – Das ist Schritt eins.

Schritt zwei wird sein, dass wir gemeinsam mit den Kommunen ein neues Kinderbildungsgesetz auf den Weg bringen werden, was Sie sieben Jahre lang nicht hinbekommen haben.

Der dritte Schritt wird sein, dass wir für Qualität und Flexibilität in den Kindertageseinrichtungen sorgen werden.

Das ist ein ambitioniertes Programm. Wir werden es umsetzen, weil die Kleinsten in unserem Land es nötig haben, dass sie endlich den richtigen Stellenwert erhalten. Deswegen bin ich dankbar, dass die schwarz-gelbe Koalition ein Zeichen gesetzt hat, indem der stellvertretende Ministerpräsident für dieses Thema zuständig ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Und noch einmal vielen Dank an die SPD. Es war wirklich ein humorvoller Antrag, ich habe ihn gerne gelesen. Aber tatsächlich ernst meinen können Sie ihn nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hafke. – Für die AfD-Fraktion spricht nun Herr Langguth.

Alexander Langguth (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege von der FDP hat gerade etwas gemacht, worüber ich mich sehr gefreut habe. Er hat davon gesprochen, dass es um das Kindeswohl geht.

Der Antrag der SPD-Fraktion ist zunächst einmal das, was viele Anträge während der Plenarsitzungen in den letzten drei Tagen waren: purer Wahlkampf. Ein zentraler Aspekt ist nichts weiter als Wahlkampf.

Es gibt aber doch – das ist das verhältnismäßig Neue an Ihrem Antrag heute – einen Paradigmenwechsel in der frühkindlichen Betreuung und Förderung.

(Zuruf von der SPD)

Nicht weniger als fünfmal taucht in Ihrem Antrag der Terminus der frühkindlichen Bildung auf, garniert mit der sogenannten Beitragsfreiheit, der Gebührenfreiheit. Ist aber die frühkindliche Bildung – diese Frage muss man sich erst einmal stellen – das, was Mütter und Väter, was Familien mit Begriffen wie „Kindergarten“, „Krippe“ und „Kita“ überhaupt verbinden, nämlich die verantwortungsvolle und liebevolle Betreuung ihrer Kinder? Offenbar nicht; denn Begriffe wie „Betreuung“ und „Kindeswohl“ tauchen nicht ein einziges Mal in Ihrem Antrag auf.

Wir müssen uns im Sinne der Kinder erst einmal die Frage stellen, was denn gefördert und was den Kindern Gutes getan werden soll. Möchten Sie Bildung für die Kinder, oder möchten Sie Betreuung für die Kinder? Beides klingt vordergründig erst einmal sehr positiv, schließt sich aber, wenn man sich die Definitionen der beiden Begriffe vergegenwärtigt, gegenseitig aus.

Kinderbetreuung – ich zitiere jetzt Wikipedia – ist der Begriff für pflegende und beaufsichtigende Tätigkeit Erwachsener gegenüber Kindern.

Frühkindliche Bildung, das, was Sie mit Ihrem Antrag hier machen möchten, ist – ebenfalls aus Wikipedia entnommen – die Formung des Menschen.

Das möchten wir nicht. Was Kleinkinder im Kindergartenalter und davor brauchen, ist Schutz, Anleitung, Pflege, Hilfe und vor allem schützende Betreuung, die den altersgemäßen Bedürfnissen der jungen Menschen gerecht wird.

(Beifall von der AfD)

Wir sehen in dem Antrag der SPD-Fraktion den unverhohlenen Ansatz zur Förderung der staatlichen Formung, Prägung und Beeinflussung unserer Kleinkinder.

(Zuruf von der SPD: Unverschämtheit!)

Der beabsichtigten frühkindlichen Bildung liegen Bildungsziele und Bildungspläne – auch das sollte Ihnen etwas sagen – zugrunde, die der Staat vorgibt und auf die die Eltern im Nachgang keinerlei Einfluss- oder Kontrollmöglichkeiten haben werden.

Da, wo familiäre Betreuung aus welchen Gründen auch immer – selbstverständlich kommt das vor – nur eingeschränkt möglich ist, sollte natürlich Fremdbetreuung einspringen, aber eben in Wahlfreiheit, ohne gesellschaftliche oder finanzielle Zwänge, und nicht, wie Sie das möchten, in der Charakteristik einer Bildungsinstitution.

Folgt man dem Antragsunterton, geht es um frühkindliche Bildung und nur um Fremdbetreuung. Mütter werden so in ihren natürlichen Mutterfähigkeiten bewusst verunsichert, um so weiteren Druck zugunsten einer möglichst frühen Fremdbetreuung der Kinder aufzubauen. Das Paradoxe an diesem Antrag ist, dass gerade Sie als die beiden linken Parteien in diesem Plenum sich als Interessenvertretung der Frauen verkaufen; das ist mit Ihre Lieblingsbeschäftigung.

(Zuruf von der SPD)

Sie sprechen den Müttern die Fähigkeit ab, ihre Kinder altersgerecht zu betreuen und sie selber zu fördern. Die SPD möchte nur die Fremdbetreuung finanziell großzügig ausstatten. Das ist ein ordnungspolitisch massiver Anreiz zur Fremdbetreuung und katapultiert die so wichtige Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung ins Abseits.

Der Staat müsste hingegen dafür sorgen, dass die Eltern möglichst gut ihren Elternpflichten überhaupt nachkommen können. Er hat gemäß Grundgesetz dazu in vielen Fällen auch, Gott sei Dank, eine Kontrollfunktion. Darüber hinaus hat er aber die Familien zu stärken und ordnungspolitisch nicht in ihre Entscheidungen hineinzuregieren.

(Beifall von der AfD)

Zu befürchten ist schließlich bei einer immer früheren und ausgedehnteren Zeit des gebührenfreien Kitabesuchs, dass aus diesem Angebot mittelfristig eine Kitapflicht wird. Meine Fraktion wird den Antrag dementsprechend ablehnen. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Langguth. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Anträge liest und sich die Debattenbeiträge von SPD, CDU und FDP anhört, dann hat man zuweilen den Eindruck, man wäre bei einer lustigen und unterhaltsamen Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl mit Elementen einer Sandkastenauseinandersetzung gelandet. Das ist durchaus unterhaltsam gewesen, aber ob das heute in diesem Hause zwingend notwendig war, ist eine andere Frage.

Was richtig ist, worauf die SPD auch hinweist, ist die Tatsache, dass Bildung keine Frage des Geldbeutels sein darf. Das gilt grundsätzlich für Kitas, das gilt darüber hinaus auch für Hochschulen. Bildung darf weder eine Frage des Geldbeutels noch der geografischen Herkunft sein. Weder die „Campus-Maut“ noch das grundsätzliche Festhalten an Kitagebühren wäre richtig.

Nichtsdestotrotz – da bin ich mir zumindest ein Stück weit einig mit der regierungstragenden Koalition, auch wenn sich die Einigkeit gleich wieder erledigt haben wird – ist Bildung vor allem eine Frage der Qualität.

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Beitragsfreiheit in Kitas muss mittel- und langfristig das Ziel sein. Ich habe auch Herrn Hafke so verstanden, dass wir uns darin sogar einig sind. Aber kurzfristig muss die Qualität im Mittelpunkt stehen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir Grüne haben in der letzten Legislaturperiode ein Eckpunktepapier zur nachhaltigen und auskömmlichen Finanzierung unserer Kitas in Nordrhein-Westfalen vorgelegt. Es ist durchaus ein offenes Geheimnis, dass Grüne und SPD in der Frage von Qualität und Beitragsfreiheit nicht immer zu 100 % übereinstimmen.

Doch so sehr der SPD-Antrag der nahenden Bundestagswahl geschuldet sein mag, liebe CDU-Fraktion, liebe FDP-Fraktion, darf man Ihnen die Fortsetzung dieser Landtagswahlpolemik und der Geschichtsklitterung nicht durchgehen lassen. Das desaströse Konstrukt der KiBiz-Finanzierung, so sehr sie sich heute auch davon distanzieren mögen, ist doch Ihr Werk!

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das haben Sie doch auf den Weg gebracht, genau mit den Punkten und den Fehlkonstruktionen, die heute dazu führen, dass Ihr neuer Kitaminister sagen muss: Ich muss ein Rettungspaket schnüren. – Das, was Sie in Ihrer letzten Regierungszeit angerichtet haben, fällt Ihnen heute auf die Füße.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie wissen doch ganz genau, dass es die Regierung Rüttgers und Ihr damaliger Kitaminister Laschet waren, die so viel Porzellan zerschlagen haben, dass es bis 2015 gedauert hat, bis die kommunalen Spitzenverbände überhaupt bereit gewesen sind, mit uns eine Vereinbarung zu schließen, um die Kitafinanzierung wieder auf solidere Beine zu stellen und überhaupt in die Diskussion über ein neues Kitagesetz einzutreten.

Das gehört doch einfach zur Wahrheit dazu, auch wenn Sie das heute irgendwie nicht mehr wahrhaben wollen. Sie – auch das gehört zur Wahrheit dazu – profitieren jetzt davon, dass sich die rot-grüne Landesregierung 2015 mit den kommunalen Spitzenverbänden geeinigt hat.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da muss ich Ihnen sagen: Das gönnen wir Ihnen auch. Nutzen Sie diese Chancen, und machen Sie gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden ein vernünftiges Gesetz! Sie haben schon sehr breit angekündigt, dass Sie die auf Ihrer Seite haben. Wir werden sehen, wie weit diese Einigkeit dann noch reicht.

Ja, natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass das SPD-geführte Familienministerium mit der Vorlage eines neuen Kindergartengesetzes nicht bis in die neue Legislaturperiode gewartet hätte; denn dann wären die Kitas nicht auf eine neue schwarz-gelbe Landesregierung angewiesen, die versucht, den Murks, mit dem Sie schon 2005 angefangen haben, irgendwie wieder hinzubiegen. Aber so ist es nun mal.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, dem neu aufgelegten Rettungspaket müssen nun neben dem ganzen Triumphgeheul auch zügig die weiteren angekündigten Schritte folgen. Minister Stamp hat vier Schritte angekündigt.

Den ersten Schritt hat er jetzt mit dem Kitarettungspaket vollzogen. Ich persönlich wundere mich ein bisschen, dass die von Ihnen gerade so hoch gehängte Qualität nur Schritt drei ist. Aber wir werden das konstruktiv begleiten, und Sie werden sich an Ihren vollmundigen Ankündigungen, die Kitafinanzierung jetzt auf solidere Füße zu stellen, messen lassen müssen.

Ich persönlich bin besonders gespannt, auf welcher Basis Sie das machen wollen. Werden Sie tatsächlich versuchen, dieses völlig verkorkste KiBiz-Gesetz weiter zu reformieren? Dann können Sie sich schon jetzt darauf einstellen, dass das Rettungspaket, das Sie gerade so vollmundig ankündigen, zum normalen Instrument Ihres Regierungshandels wird werden müssen.

Herr Hafke, Sie haben gerade die Gesamtheit der Herausforderungen, vor denen wir jetzt in der Kitapolitik stehen, schon mal aufgespannt. Ich will Ihnen zugestehen, dass man sich so relativ kurz nach einer Wahl immer noch auf die breite Brust schlägt. Aber wenn das Triumphgeheul erst mal verklungen ist, werden wir noch sehen, was substanziell für die Kinder, die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Eltern in NRW dabei herauskommt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe, als ich den Titel des Antrags gelesen habe, zunächst gedacht, es würde sich um einen Scherz handeln. Deswegen möchte ich auch genauso humoristisch antworten. Wäre der Kanzler von der SPD, gäbe es keine Kindergartenbeiträge mehr, so ist ja Ihre Formulierung. – Ich möchte an dieser Stelle die Kunstfigur und den Gelegenheitsphilosophen Bernd Stromberg zitieren: Wäre die Katze ein Pferd, würde sie den Baum hochreiten.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD – Zuruf von der SPD: Besser wäre es vielleicht, die Kleinen Anfragen zu beantworten!)

– Herr Zimkeit, dass Sie jetzt kommen, das war ja klar. Darauf habe ich mich schon gefreut.

(Zuruf von der SPD)

Herr Maelzer, ich muss ganz ehrlich sagen: Das Erste, was ein Politikberater lernt, ist, seinem Kunden Folgendes zu sagen: Wenn er auf einem politischen Feld völlig versagt hat, ist das Uncleverste, was er machen kann, genau auf diesem Feld lauter Anträge zu stellen, die permanent an dieses Versagen erinnern.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Und Sie stellen jetzt wieder den Antrag; das ist wirklich grandios.

(Zuruf von der SPD)

Dann erklären Sie uns hier, wir sollten jetzt die Beitragsfreiheit machen, und das wäre Ihr großer Plan gewesen. Von dieser Beitragsfreiheit ist doch in der mittleren Finanzplanung kein einziger Cent eingeplant gewesen. Das ist doch eine Unverschämtheit, was Sie hier erzählen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist doch ein Treppenwitz.

(Zuruf von der SPD)

Das Interessante ist, dass die Fachleute das selber so sehen. Ich muss jetzt nicht die historische Aufarbeitung der Schwierigkeiten der letzten Landesregierung, das Binnenverhältnis von SPD und Grünen – Kollegin Paul hat dazu eben schon Andeutungen gemacht –, bemühen.

Aber es ist doch jedem hier im Hause bewusst, dass vernünftige Kräfte auch auf Ihrer Seite gerne eine sinnvolle KiBiz-Reform gemacht hätten, dies aber von der damaligen Ministerpräsidentin schlichtweg abgelehnt worden ist. Deswegen haben wir sehr viel Zeit verloren. Deswegen ist das System unterfinanziert.

Und deswegen konzentrieren wir uns jetzt darauf, überhaupt erst mal die Träger zu retten, und – Frau Kollegin Paul, weil Sie es angesprochen hatten – als nächsten Schritt Planungssicherheit hinzubekommen.

Daher kommt die Qualität erst im dritten Schritt. Denn ich kann nicht die Qualität einer Einrichtung verbessern, die es nicht mehr gibt. Ich muss erst mal zusehen, dass es die Einrichtung weiterhin gibt und sie Planungssicherheit hat. Erst dann beschäftigen wir uns mit der Qualität und der Flexibilität, weil all das in vernünftigen Stufen geschehen muss. Aber wenn wir die frühkindliche Bildung wieder auf solide Füße stellen wollen, müssen wir in dieser Richtung weiter vorangehen.

Wenn wir an anderen Stellen Haushaltseinsparungen vornehmen können, werden wir ganz sicher junge Familien entlasten können. Das werden wir tun, keine Frage. Aber ich sage es noch einmal: Die frühkindliche Bildung und ihre auskömmliche Finanzierung haben an dieser Stelle Priorität. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor,

Damit kommen wir zur Abstimmung erstens über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/507. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt; deshalb sind auch mehr Personen hier. Das wollen wir nutzen. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die SPD-Fraktion stimmt geschlossen zu. Wer stimmt dagegen? – Es stimmen dagegen CDU, FDP, AfD und Grüne. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 17/507 der SPD-Fraktion mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Zweitens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/613. Wer stimmt diesem Antrag zu? – CDU und FDP, was zu erwarten war. Wer stimmt dagegen? – Die SPD und die AfD-Fraktion stimmen dagegen. Wer enthält sich?

(Zurufe von Josefine Paul [GRÜNE] und Verena Schäffer [GRÜNE])

Ich frage noch einmal: Wer stimmt dem Antrag zu? – CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und AfD.

(Zurufe von der CDU: Ah!)

Gibt es Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltung.

Sie haben eine klare Entscheidung gefällt. Auch wenn drei Fraktionen so gestimmt haben, dass sie gegen den Entschließungsantrag sind, haben CDU und FDP gemeinsam die Mehrheit hier im Hohen Haus, offensichtlich auch von hier aus. Gibt es dagegen …? – Nein, das ist nicht der Fall. Einstimmig war es nicht, aber es war mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen. – Herzlichen Dank.

Ich rufe auf:

6   Mit Hebammen und Entbindungspflegern gut versorgt von Anfang an

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/535

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/614

Die Aussprache ist eröffnet, und an das Pult tritt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Josefine Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident!

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bleiben Sie ruhig da, das ist jetzt ein wichtiges Thema. – Schwangerschaft, Geburt und die Gründung einer Familie sind eines der schönsten Abenteuer des Lebens. Mutter und Kind brauchen vor, während und nach der Geburt besondere Unterstützung, aber auch für Partnerinnen und Partner und Geschwisterkinder sind Schwangerschaft und Geburt eine neue Herausforderung und eine besondere Erfahrung.

Hebammen und Entbindungspfleger leisten einen wichtigen Beitrag bei der Begleitung von Mutter und Kind, aber auch bei der Begleitung von Partnerinnen und Partnern und eventuellen Geschwisterkindern. Werdende Eltern haben ein Recht auf die freie und informierte Wahl des Geburtsortes, doch die reale Situation in NRW sieht oftmals leider anders aus.

Für viele Schwangere ist es heute schwierig, eine Hebamme zu finden. Dabei sind Hebammen sowohl bei den Geburten in Kliniken als auch den Geburten in Geburtshäusern oder den ambulanten Geburten zu Hause sowie bei der Vor- und Nachsorge unerlässlich. Wir schließen jedoch Geburtsstationen, und vor allem haben wir ein Problem im ländlichen Raum. Überfüllte Kreißsäle und Mütter, die keine Hebamme finden – die freie Wahl des Geburtsortes nach dem SGB V droht unterlaufen zu werden.

In der vergangenen Legislaturperiode hat sich der runde Tisch Geburtshilfe, der von der früheren Gesundheitsministerin Barbara Steffens einberufen wurde, intensiv mit der Situation der Geburtshilfe in NRW befasst. Die Frage der steigenden Haftpflichtprämien, aber auch eine konstant hohe Kaiserschnittrate standen dabei im Zentrum der Beratungen. Insbesondere die steigenden Haftpflichtprämien haben die Rahmenbedingungen für Hebammen, aber auch für die Geburtshilfe allgemein massiv verschlechtert.

In den letzten 15 Jahren haben sich die Prämien verzehnfacht. Der Deutsche HebammenVerband konnte zwar die Vereinbarung über die Gruppenhaftpflicht für freiberufliche Hebammen bis 2021 verlängern und damit überhaupt noch einen Versicherungsschutz für freiberufliche Hebammen sicherstellen, doch an dem Problem der jährlich steigenden Prämien ändert das nichts. Es ändert auch nichts daran, dass sich viele Hebammen gezwungen sehen, aus der Begleitung von Geburten auszusteigen oder ihren Beruf ganz aufzugeben. Das ist eine Situation, die wir uns in Nordrhein-Westfalen nicht leisten können und auch nicht leisten wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der runde Tisch empfiehlt der Bundesregierung daher, eine langfristig tragbare Lösung für die Haftpflichtproblematik der Hebammen und Entbindungspfleger zu finden. Auch die Landesregierung muss sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass tragfähige Lösungen gefunden werden, die die Haftpflichtprämien senken und damit die Geburtshilfe in Nordrhein-Westfalen nachhaltig sichern.

Neben der Haftpflichtproblematik stellt auch die Bezahlung ein Problem dar. Wie in anderen Gesundheitsberufen auch, werden die vornehmlich Frauen – es ist sozusagen wieder mal ein Equal-Pay-Problem – nicht entsprechend ihrer hohen fachlichen Kompetenz und ihrer gesellschaftlich verantwortlichen Tätigkeit entlohnt. Auch hier besteht dringender Handlungsbedarf bei einem so wichtigen Beruf wie dem der Hebammen und Entbindungspfleger.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der runde Tisch hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Datengrundlage zur Versorgung mit Hebammenhilfe in NRW nicht ausreichend ist. Das daraus resultierende Forschungsprojekt „Geburtshilfliche Versorgung durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen“, auf das auch der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen hinweist, ist daher notwendig und wichtig. Eine Pilotstudie zur Hebammenversorgung in NRW wurde bereits während des runden Tisches in Auftrag gegeben.

Sie sehen, erste Schritte sind durch den runden Tisch initiiert worden, sind auf dem Weg. Das sind wichtige Schritte zur Verbesserung und zur nachhaltigen Sicherung der Geburtshilfe in Nordrhein-Westfalen, die durch Rot-Grün noch angestoßen worden sind. Unbestritten ist jedoch, dass es noch weiterer Schritte bedarf, dass noch weitere Schritte folgen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der neue Gesundheitsminister hat unseren Antrag in den „Westfälischen Nachrichten“ als „Das ist Heldenmut nach Ladenschluss“ abkanzelt. Mich wundert das ehrlich gesagt schon; denn die vorliegenden Anträge zeigen, mit welcher Ernsthaftigkeit sich die Fraktionen mit diesem Thema auseinandersetzen und dass es sich nicht als Wahlkampfarena anbietet.

Wir begrüßen ausdrücklich die Einrichtung einer Projektgruppe, wie sie Minister Laumann im selben Zeitungsartikel angekündigt hat. Verbunden damit ist auch unsere Hoffnung, dass diese Projektgruppe die Empfehlungen des runden Tisches weiter umsetzt.

Einiges ist bereits auf dem Weg, wie beispielsweise das Versorgungskonzept der Hebammenkreißsäle – sieben der bundesweit 17 befinden sich in NRW. Das ist ein Konzept, das sich bewährt hat. Es ist ein Konzept, das es nicht nur gilt, sicherzustellen, sondern auch auszubauen und weiterzuentwickeln. Wir setzen da auf Sie, Herr Minister, und auch auf die von Ihnen zu initiierende Projektgruppe, dass es hier eine Kontinuität auch über die Wahlen hinweg gibt.

Auch beim Thema „Kaiserschnittrate“ besteht weiter Handlungsbedarf. Fast jede dritte Frau entbindet in Nordrhein-Westfalen heute per Kaiserschnitt. Zum Vergleich: Die Empfehlungen der WHO liegen bei 15 %, und in unserem Nachbarland, den Niederlanden, liegt die Kaiserschnittrate sogar unter 15 %. Nun sind die Gründe für einen Kaiserschnitt vielschichtig, und natürlich kann eine solche Maßnahme auch medizinisch notwendig und geboten sein.

Trotzdem dürfen wir aber die Augen nicht davor verschließen, dass der massive Anstieg der Kaiserschnittrate in den letzten zwei Jahrzehnten bei Weitem nicht nur medizinische, sondern auch strukturelle, organisatorische und gar ökonomische Gründe hat, die diese Rate begünstigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vorliegenden Anträge zeigen, dass uns allen die gute geburtshilfliche Versorgung in Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Anliegen ist. Ich würde mich freuen, wenn sich durch die weiteren Beratungen im Ausschuss bzw. den Ausschüssen vielleicht sogar so viele Gemeinsamkeiten entwickeln lassen, dass wir gegebenenfalls sogar zu einer gemeinsamen parlamentarischen Initiative kommen. Ich glaube, das würde dem Thema der geburtshilflichen Versorgung in Nordrhein-Westfalen gerecht werden. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Für die CDU-Fraktion tritt nun Frau Gebauer an das Redepult. Ich spreche den Namen so richtig aus, ja?

(Katharina Gebauer [CDU]: Ja!)

Das haben Sie dann schon mal mit Ihrer Namensvetterin gemein. Ich freue mich, dass Sie an das Redepult treten. Es ist Ihre erste Rede. Toi, toi, toi!

Katharina Gebauer (CDU): Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jährlich werden in Nordrhein-Westfalen 150.000 Kinder geboren. Die neuesten Zahlen zeigen, dass die Tendenz steigend ist. Diese Zahlen sind mehr als erfreulich, vor allem, wenn wir daran zurückdenken, dass wir uns in der Vergangenheit eher um sinkende Geburtenzahlen Sorgen gemacht haben.

Aus diesem Grund ist es wichtig, sich dem Thema anzunehmen, wer Sorge dafür trägt, dass sich Familien vor, während und nach der Geburt gut versorgt fühlen. Vor noch nicht allzu langer Zeit habe ich selber mein erstes Kind bekommen. Ich weiß noch ganz genau, welche Fragen ich mir selbst gestellt habe. Ich hatte Glück, von Beginn meiner Schwangerschaft an eine Hebamme an meiner Seite zu wissen. Ich kenne aber auch viele Frauen, die vor der großen Herausforderung standen, eine Hebamme zu finden, besonders dann, wenn die Geburt für den 24. Dezember ausgerechnet war.

Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass Hebammen einen enormen Beitrag dafür leisten, dass Familien gut in die „Zukunft Familie“ starten können. Ohne die Hingabe und die Überzeugung, die hinter ihrer Arbeit steht, würden sich viele Familien in manchen Situationen überfordert fühlen. Es beginnt mit kleinen Dingen, zum Beispiel mit dem ersten Schnupfen bis hin zum ersten Fieber. Aber auch die Begleitung in der Schwangerschaftsvorsorge, in der sie der werdenden Mutter Ängste nehmen kann, und die Grundversorgung sind wichtige Aufgaben der Hebamme.

Dennoch müssen sich Hebammen Gedanken machen, wie sie ihren Lebensunterhalt finanzieren. Nun kennen wir alle die Problematik der Versicherungsprämien, die sich in diesem Fall nicht an der Schadenshäufigkeit orientieren, sondern an den kalkulierten Schadenshöhen, die sich wiederum aus der längeren Lebenserwartung eines Menschen, einer sich verändernden Rechtsprechung über die Zuerkennung von Ansprüchen und den Regressen der Sozialversicherungsträger errechnet. Das bedeutet in Zahlen ausgedrückt, dass die Versicherungsprämie für die Risikoabdeckung von rund 400 € im Jahr 2000 auf über 7.600 € im Jahre 2017 anstieg. Das ist ein Anstieg um fast das 20-fache.

2016 handelte die Bundesregierung, indem sie einen Sicherstellungszuschlag einrichtete. Er ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt einer flächendeckenden Versorgung für die Hebammenhilfe. Des Weiteren wurde mit dem GKV-Versorgungsgesetz nicht nur die Hebammenvergütung geregelt, sondern auch, dass die Kranken- und Pflegekassen in bestimmten Fällen keine Regressansprüche gegenüber der freiberuflichen Hebamme haben. Zusätzlich ist es auf Bundesebene gelungen, dass eine Verlängerung des Gruppenversicherungsvertrages bis Mitte 2018 gesichert ist.

Wenn Geburten überwiegend in Krankenhäusern durchgeführt werden, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir freiberuflich tätige Hebammen in der Vor- und Nachsorge stärken. Nebenbei bemerkt, ist eine flächendeckende Geburtshilfe in Nordrhein-Westfalen heute schon schwierig, da sich kleine Krankenhäuser die Frage der Wirtschaftlichkeit stellen müssen. Dieses Problem gibt es jedoch nicht erst seit dem 14. Mai 2017, sondern schon deutlich länger.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das heutige Thema ist nicht neu hier im Landtag. Die Fraktionen der CDU und der FDP haben hierzu in der vergangenen Legislaturperiode schon einige Anträge gestellt. Es gab auch schon einige runde Tische mit den Spitzenverbänden der Hebammen und zahlreiche Gespräche. Doch leider fielen die Inhalte bei der alten Landesregierung nicht auf fruchtbaren Boden.

Dass es Handlungsbedarf gibt, hat die neue Koalition schon in ihrem Koalitionsvertrag weit deutlich vor Ihrem Antrag thematisiert: Das Berufsbild der Hebamme und ihre wichtige Bedeutung für Eltern muss gestärkt werden. Wir werden uns für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Hebammen einsetzen.

(Beifall von der CDU)

Dass wir hier nicht untätig bleiben, zeigt unser Entschließungsantrag mit der entsprechenden Beschlussfassung, die alle thematischen Herausforderungen der Hebammen in den Blick fasst, nämlich: Anerkennung und Wertschätzung der Hebammen, Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Hebammen und die Prüfung von Möglichkeiten, dem Anstieg der Versicherungsprämie entgegenzuwirken. Hier möchten wir uns auch auf Bundesebene einsetzen.

Dies ist aus unserer Sicht der richtige Weg, damit Hebammen und Familien gut in die Zukunft starten können. – Ich freue mich auf einen guten Austausch im Ausschuss im Sinne der Familien und Hebammen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gebauer. – Herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede – zeitlich fast eine Punktlandung; das ist ein gutes Omen. – Damit kommen wir zur nächsten Rednerin. Das ist für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Lück.

Angela Lück (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits vor dem ersten Atemzug eines Menschen auf dieser Welt sind Hebammen und Entbindungspfleger da, um die Ungeborenen, die Mütter und Familien bedarfsgerecht und hochqualifiziert zu begleiten.

Persönlich habe ich in meiner Familie erfahren müssen, dass es für Schwangere oft schwierig ist und eine riesige Anstrengung bedeutet, eine Hebamme zu finden. Glücklicherweise ist es bei meinen vier Enkelkindern gelungen, dass jedes Mal eine Hebamme da war, die die ganze Familie die Zeit über vertrauensvoll begleitet hat und natürlich auch räumlich in erreichbarer Nähe war.

Ich konnte erleben, wie wichtig die fachliche und auch die emotionale Unterstützung der Hebamme vor, während und nach der Entbindung insbesondere für die Mutter, aber auch für die ganze Familie ist. Es war von unschätzbarem Wert, dass meine Enkelkinder mit der kompetenten Unterstützung einer einfühlsamen Hebamme auf ihrem Weg ins Leben begleitet wurden. Das sollte für die werdenden Familien in Nordrhein-Westfalen kein Glücksfall sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall von der SPD)

Den vorliegenden Antrag der Grünen begrüßen wir deshalb grundsätzlich. Wir werden ihn mit großem Interesse im Ausschuss diskutieren. Denn dies ist ein Thema, Frau Gebauer, das wir auch in der letzten Wahlperiode schon ausgiebig diskutiert haben und worauf sich der runde Tisch Geburtshilfe initiiert hat.

Im Abschlussbericht des runden Tisches von 2015 werden viele der hier im Antrag vorgetragenen Anliegen bereits deutlich formuliert. Jetzt ist es wichtig, dass die Ergebnisse des runden Tisches umgesetzt und politisch weiterentwickelt werden. Als Grundlage wird eine solide Datenbasis benötigt, und deshalb muss es künftig auch über das aktuelle Forschungsprojekt zur geburtshilflichen Versorgung durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen hinaus eine regelmäßige bundesweite und belastbare Datenerhebung geben.

Wir fordern zudem für alle Frauen, dass die Wahlmöglichkeit hinsichtlich Ort und Art der Geburt erhalten bleiben muss. Wer kein medizinisches Risiko hat, soll nicht gezwungen sein, das Kind in einer Klinik zur Welt zu bringen. Obwohl in Deutschland 98 % der Kinder im Krankenhaus geboren werden, muss es den Müttern möglich sein, auch außerhalb des Krankenhauses zu entbinden, und es muss vor allen Dingen den Hebammen möglich sein, auch außerhalb von Krankenhäusern zu praktizieren.

Außerdem muss natürlich jede Mutter neben der Entbindung auch bei der Vor- und Nachsorge eine Hebamme zur Verfügung haben. Ohne die flächendeckende Versorgung durch Hebammen ist das nicht zu gewährleisten. Daher unterstützen wir die Hebammen in ihren Bemühungen auf Bundesebene, eine kostendeckende Vergütung durchzusetzen. Das ist eine zwingende Voraussetzung zur Abdeckung des Berufshaftpflichtrisikos. Wir unterstützen auch die Forderungen des Deutschen Hebammenverbands nach Einrichtung eines Haftpflichtfonds zur Reduzierung von Beitragsrisiken.

Wir fordern aber auch von der Landesregierung – von Ihnen, Herr Minister Laumann –, bald tätig zu werden, denn die Zeit drängt – für die Mütter, aber auch für die Hebammen. Wir wüssten gerne, wann und mit welchen Personen die in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 30. August 2017 beworbene Projektgruppe zur Zukunft der Geburtshilfe in Ihrem Ministerium die Arbeit aufnehmen wird. Bis wann, denken Sie, soll die Projektgruppe Vorschläge zur Zukunft der Geburtshilfe in NRW erarbeiten? Und ab wann sollen diese in die Praxis umgesetzt werden?

Da Sie sich auch einen finanziellen Einsatz zum Erhalt der geburtshilflichen Versorgung in NRW vorstellen können: Wie sollte dieser Ihrer Meinung nach aussehen und ausgestaltet werden? Und da Sie sich – Frau Gebauer hat es schon aus Ihrem Koalitionsvertrag zitiert – ja deutlich für die Zukunft der Geburtshilfe in NRW einsetzen, möchte ich Sie noch einmal fragen: Wie planen Sie denn, die angekündigten Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Hebammen sicherzustellen? Werden Sie den Empfehlungen des runden Tisches folgen? – Da erwarten wir heute schon Antworten von Ihnen.

Der Entschließungsantrag von FDP und CDU geht auch auf einige Forderungen des vorliegenden Antrags der Grünen ein. Wir hoffen, dass wir im Ausschuss dazu ergebnisbringende Diskussionen führen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Lück. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Spätestens bei der Geburt eines Kindes wird jedem bewusst, welch wichtigen Dienst unsere Hebammen in unserer Gesellschaft leisten. Ich selbst habe drei Kinder und hatte bei jedem das große Glück, von fantastischen Hebammen begleitet zu werden.

Ich wundere mich schon, dass gerade jetzt die Fraktion der Grünen einen Antrag zur Problematik der Hebammen vorlegt. In der letzten Legislaturperiode haben wir darüber bereits debattiert, auch über den Antrag meiner FDP-Fraktion, der zur Grundlage einer Anhörung des Ausschusses wurde. Dabei wurden unsere Positionen von den Experten weitestgehend unterstützt. Und wie haben Sie reagiert, werte Kollegen von Rot-Grün? – Mit Ihren üblichen fadenscheinigen und ideologiegetriebenen Argumenten haben Sie diesen Antrag abgelehnt.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Die grüne Gesundheitsministerin hatte dann einen runden Tisch zur Geburtshilfe eingerichtet – doch von den seit Ende 2015 vorliegenden Empfehlungen des runden Tisches wurde faktisch nichts umgesetzt. Die Grünen kommen jetzt mit der Forderung, nachdem ihre grüne Ministerin in den letzten beiden Jahren nicht vorangekommen ist!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Im Gegensatz zu Ihnen muss ich Gesundheitsminister Laumann zustimmen, der dieses Handeln als „Heldenmut nach Ladenschluss“ bezeichnet hat.

Die NRW-Koalition aus FDP und Christdemokraten wird jetzt endlich handeln.

(Zurufe von den GRÜNEN: Ah!)

Wir richten eine Projektgruppe im Ministerium ein, die Daten erhebt und schaut, wie die Hebammen in NRW im ambulanten und klinischen Leistungsangebot aufgestellt sind, wie das Ganze tatsächlich in Anspruch genommen wird und wie sich die regionalen Gegebenheiten und Unterschiede abzeichnen. Wir werden alles tun, was im Rahmen der Handlungskompetenzen dieses Landes umsetzbar ist.

Hebammen üben ihren Beruf zwar mit viel Idealismus aus; sie müssen aber auch davon leben können. Dies ist jedoch durch den enormen Anstieg der Prämien zur Berufshaftpflicht infrage gestellt. Grund für diesen Anstieg ist aber nicht eine Zunahme der Versicherungsfälle, sondern der Kosten je Leistungsfall.

Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV machen Schäden mit mehr als 100.000 € Leistungsumfang bei Hebammen mehr als 90 % des gesamten Schadenvolumens aus. Ist ein Kind durch einen Geburtsfehler schwer geschädigt, leistet der Versicherer im Schnitt laut GDV 2,6 Millionen €.

Kaum noch ein Versicherer ist bereit, freiberufliche Hebammen in der Geburtshilfe zu versichern.

Die Bundespolitik ist in dieser Frage gefordert. Sie war in den letzten Jahren nicht völlig untätig. So hatte der FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr die gesetzliche Verpflichtung eingeführt, die Erhöhung der Haftpflichtprämien in den Vergütungen für freiberufliche Hebammen zu berücksichtigen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ändert aber nichts an den steigenden Prämien!)

Seitdem sind noch ein Sicherstellungszuschlag für Hebammen mit wenig begleiteten Geburten sowie die Deckelung der Regressforderungen der Sozialversicherungsträger hinzugekommen. Aber Letzteres wird in Ihrem Antrag auch wieder infrage gestellt. Diese Maßnahmen haben die Problematik der freiberuflichen Hebammen abgemildert und zumindest teilweise einen kleinen finanziellen Ausgleich geschaffen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Aber die Prämien steigen doch trotzdem weiter!)

Wir müssen aber noch grundsätzlicher herangehen, um den Anstieg der Prämien zu bremsen. Wie bereits in unserem FDP-Antrag gefordert, sollten wir überlegen, Haftungsobergrenzen festzulegen und Schäden über diese Grenzen hinaus aus einem öffentlichen Fonds auszugleichen. Diese Möglichkeit sollte auf Bundesebene noch einmal gründlich geprüft werden.

Auch über eine Verkürzung der Verjährungsfrist für geburtshilfliche Schadensersatzforderungen könnte nachgedacht werden. Kommt es bei einer Geburt zu Komplikationen, haften Hebammen dafür 30 Jahre lang. Hier sollte es doch möglich sein, auch medizinisch eine niedrigere Grenze zu begründen. Diese könnte darauf beruhen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt, wie zum Beispiel bei der U8 nach dem vierten Lebensjahr, eventuell später auftretende Beeinträchtigungen nicht mehr eindeutig auf einen Geburtsfehler zurückgeführt werden können.

Wenn wir hier Lösungen fänden, könnten wir das Problem der Haftpflichtprämien auch langfristig lösen. Im Gesetz steht: Bei jeder Geburt muss eine Hebamme anwesend sein. Sorgen wir dafür, dass wir das auch durchführen können.

Ein Aspekt ist mir und der FDP-Landtagsfraktion am Schluss noch wichtig. Wir wollen, soweit keine medizinischen Bedenken vorliegen, dass die Frauen selbst entscheiden können, wo sie ihre Kinder zur Welt bringen: zu Hause, in Geburtshäusern oder in einer High-Tech-Klinik. Diese Wahlfreiheit ist aber gefährdet, wenn immer mehr freiberufliche Hebammen ihren Beruf aufgeben. Diese Wahlfreiheit brauchen wir aber für unsere Mütter und für die Familien in unserem Land. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Fliegender Wechsel im Präsidium – jetzt heißt es: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Mai 2010 wurde eine Petition mit 186.000 Unterschriften durch den Deutschen HebammenVerband beim Bundestag eingereicht – im Mai 2010! Das ist die meistunterzeichnete Petition, die bis dato an den Bundestag gerichtet wurde.

Damals, 2010 – das betone ich extra –, wiesen die Hebammen bereits auf die existenzbedrohende Höhe der Haftpflichtprämien für ihren Berufsstand hin. Sieben Jahre rot-grüne Landesregierung, drei Jahre Schwarz-Gelb im Bund und vier Jahre Große Koalition – und das Problem besteht nach wie vor. Ich weise darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine denkbar komplexe Problemstellung wie etwa den Klimawandel handelt, sondern schlicht um die Höhe einer Versicherungsprämie. Und Sie fragen sich tatsächlich immer noch, warum sich so viele Menschen von Ihnen abwenden?

(Beifall von der AfD)

Immerhin findet sich das Thema nicht nur im Wahlprogramm der AfD, sondern auch im Wahlprogramm der Grünen und im Koalitionsvertrag von FDP und CDU. Es scheint also ausnahmsweise zumindest eine Einigung darüber zu geben, dass eine langfristig tragbare Lösung für die Haftpflichtproblematik der Hebammen gefunden werden muss. Keiner der bislang diskutierten Lösungsansätze – wie der Regressverzicht der Sozialleistungsträger oder die Einführung eines bürokratischen Staatsfonds – bieten eine nachhaltige Lösung für das Problem der drastisch steigenden Haftpflichtprämien.

Allerdings weist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhebliche Mängel auf, sodass wir ihn zwar gerne in den Ausschuss überweisen, ihn dort aber gemeinsam noch gründlich überarbeiten müssen. Es sind die alten Gedankengänge, die schon die letzten sieben Jahre die Problemstellungen nicht lösen konnten.

So ist neben den vielen Allgemeinschauplätzen, die sich über Zeilen eher wie ein emotionaler Erlebnisbericht aus der Geburtshilfe lesen, unter anderem die Rede davon, dass die Kaiserschnittrate gesenkt werden muss. Es wird nicht gesagt, man wolle Wege finden, diese invasive und womöglich traumatisierende Erfahrung im Rahmen dessen, was für die Gesundheit von Kind und Mutter am sinnvollsten ist, zu senken, oder dass ihm gerade in so sensiblen Bereichen der Philosophie des Low-Tech und des High-Touch eine große Bedeutung zukommen sollte. Nein, Sie schreiben: Die Quote muss gesenkt werden.

Zum einen gibt es gute Gründe, warum die Quote in den letzten Jahren gestiegen ist – im Übrigen weltweit. Dort liegt sie oft sogar noch deutlich höher als bei uns, nämlich in der Türkei und in Brasilien bei ca. 50 %, in Italien, Korea, Portugal und Ungarn bei immerhin rund 35 %.

Immer mehr Kinder mit einem sehr hohen Geburtsgewicht, eine steigende Altersstruktur der Gebärenden, die Zunahme von Mehrlingsgeburten unter anderem aufgrund von künstlicher Befruchtung sowie Risikogeburten, bei denen der Ausgang ungewiss ist und man weiteren möglichen Schaden von Kind und Mutter abwenden will, sind nur einige Punkte. Zum anderen werden sinkende Kaiserschnittzahlen nicht das Problem mit den Haftpflichtprämien senken.

(Beifall von der AfD)

Sie haben also entweder handwerklich schlecht gearbeitet, oder Sie wollen noch eine ganz andere Diskussion führen. So schreiben Sie weiter:

„Klar ist jedoch auch, dass Kaiserschnittgeburten für Kliniken in finanzieller Hinsicht attraktiver sind als eine natürliche Entbindung.“

Spätestens ab diesem Punkt bin ich wirklich persönlich fassungslos. Sie wollen doch nicht wirklich behaupten, Ärzte würden sich gegen das Wohl des Kindes und gegen das Wohl der Mutter für einen Kaiserschnitt entscheiden, weil dieser eventuell mehr Geld einbringen könnte?

(Beifall von der AfD)

Darüber hinaus ist die Grundannahme dieses finanziellen Fehlanreizes auch noch an den Haaren herbeigezogen. Eine Analyse auf Basis der Daten des Institutes für das Entgeltsystem im Krankenhaus zeigt zwar, dass die Fallerlöse für spontane Geburten je nach Bundesland um rund 1.000 € niedriger liegen als jene für Kaiserschnitte; zugleich sind aber auch die mittleren Fallkosten für eine Kaiserschnittentbindung um ca. 1.000 € höher als die einer vaginalen Geburt. Die Autoren weisen explizit darauf hin, dass sich daraus kein Anreiz für Kliniken ableiten lässt, die Kaiserschnittrate zu erhöhen.

Sehr geehrte Kolleginnen der Grünen, wenn wir Ärzte nachts am Patientenbett stehen, steht für uns die Gesundheit der Menschen im Mittelpunkt, und ganz sicher nicht der Erlös der Klinikgruppe.

(Beifall von der AfD)

Wer so argumentiert, bringt in unverantwortlichem Maße das Vertrauen in unsere Mediziner in Gefahr. Die Geburt ist ein natürlicher Prozess und sollte als solcher wahrgenommen werden. Aber es ist der Verdienst der Mediziner und der verbesserten medizinischen Versorgung, dass in den Industrienationen die Müttersterblichkeitsrate seit Beginn des 20. Jahrhunderts von 300 auf etwa 8 bis 12 pro 100.000 Geburten gesunken ist.

(Beifall von der AfD)

Das können Sie nicht einfach wegdiskutieren. Das können Sie nicht einer Ideologie opfern, die das Vertrauen in die moderne Medizin demontieren will. Nein, manchmal kann man eben nicht alles mit ein paar bunten Kügelchen heilen.

(Beifall von der AfD)

Was noch viel wichtiger ist: Mit diesen Nebenkriegsschauplätzen helfen Sie den Hebammen nicht im Geringsten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Laumann.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich diesen Antrag der grünen Fraktion gelesen habe, habe ich mir schon ein bisschen die Augen gerieben. Im Antrag ist die Rede von schließenden Geburtsstationen, von überfüllten Kreißsälen, von steigenden Kaiserschnittraten bei Müttern und von Müttern, die keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung finden. Das alles beantragt die grüne Fraktion, nachdem ihre Parteifreundin Barbara Steffens dieses Ministerium sieben Jahre lang verantwortet hat.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Wenn das Ihr Zeugnis über die Arbeit von Frau Steffens ist,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch albern!)

dann kann ich Frau Steffens nur sagen: Wenn man solche Freunde hat wie Sie, dann braucht man keine Feinde mehr.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Jetzt will ich zuerst mal ein paar Dinge zur Sache sagen. In allen Reden hat die Frage der Haftpflichtprämien für Hebammen eine Rolle gespielt. Ich hatte ja nun in meiner vorherigen Funktion in der Bundesregierung ein bisschen mit der Lösung des Problems zu tun.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Sie hatten mit dem Problem zu tun! Der Lösung sind Sie nicht näher gekommen!)

Ich will Ihnen nur sagen: Die Haftpflichtprämie liegt heute bei 7.639 €. Dafür gibt es einen Zuschuss in Höhe von 5.680 € durch die Krankenkassen, wenn die Hebamme wenigstens drei Geburten im Jahr betreut. Das heißt, wir liegen mit dem Prämienbeitrag nach Abzug des Krankenkassenzuschusses heute unter der Prämie des Jahres 2009. Ich wollte nur mal sagen, dass es diese Regelung gibt. Diese Regelung gibt es auch deswegen, weil sich unser Gesundheitsminister Hermann Gröhe für diese Sache persönlich sowohl bei den Krankenkassen als auch bei der Versicherungswirtschaft eingesetzt hat.

(Beifall von der CDU)

Natürlich hat es in Nordrhein-Westfalen den runden Tisch dazu gegeben. Natürlich sind am runden Tisch auch viele vernünftige Dinge besprochen worden. Aber man hat auch gesagt: „Wir machen jetzt erst mal nichts“, und dann: Berlin trägt die Verantwortung.

Man hat in Nordrhein-Westfalen dann eine Datenstudie in Auftrag gegeben, die uns aber erst Ende 2019 Daten liefern muss. Ganz 2018 und ganz 2019 liegen noch vor uns. Die Studie ist aber mit dieser Maßgabe vergeben worden.

Oder nehmen wir die Sache mit dem Hebammen-Kreißsaal. Im Ministerium ist keine Konzeption dazu gemacht worden, und es ist auch kein einziges Konzept dazu genehmigt worden. Nehmen wir die Entwicklung der Entschließung der Geburtshilfe. In Nordrhein-Westfalen ist die Planung der Geburtshilfe kein Bestandteil der aktuellen Krankenhausplanung. Kein Bestandteil!

Das heißt, die Frage, ob ein Krankenhaus Geburtshilfe macht oder nicht, ist allein die Entscheidung des Krankenhauses und wird im Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen nicht behandelt. Es wurde auch keine Entscheidung seitens der Regierung nach dem runden Tisch getroffen, nach der das jetzt Bestandteil der Krankenhausplanung werden muss. Das ist also die Lage, die ich vorfinde.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Deswegen wird sehr viel über diese Frage geredet. Man muss zuerst einmal wissen, was wahr ist und was nicht wahr ist. Eines ist klar: Die Landesregierung und ich wollen, dass jede schwangere Frau in Nordrhein-Westfalen eine vernünftige Begleitung durch eine Hebamme sowohl vor der Geburt als auch während der Geburt und in der nachgeburtlichen Versorgung hat.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Da sind wir doch auch gar nicht auseinander.

Um das sicherzustellen, muss man zuerst mal wissen, wie viele Hebammen es in Nordrhein-Westfalen überhaupt gibt. Das weiß kein Mensch. Kein Mensch kennt die Altersstruktur der Hebammen. Kein Mensch weiß, wie viele Hebammen in den nächsten Jahren aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden und wie viele Schülerinnen und Schüler wir dann brauchen, um diejenigen, die ausscheiden, zu ersetzen.

Wir wissen nur, wie viele künftige Hebammen wir in den Hebammenschulen in Nordrhein-Westfalen haben. Dann ist es doch richtig, wenn ein Minister sagt: Lasst uns zuerst mal sehen, dass wir diese Fragen möglichst schnell beantwortet bekommen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das hat doch Barbara Steffens auf den Weg gebracht!)

Dann ist ein weiterer Punkt ganz entscheidend: Wir müssen natürlich wissen, wie weit mittlerweile die Geburtsstationen von den Kliniken in ländlichen Räumen auseinander liegen. Sind sie zurzeit noch für alle mit den in den Richtlinien festgelegten Entfernungswerten zu erreichen? – Sollte das nicht der Fall sein, müssen die Geburtshilfen schnellstens in die Krankenhausplanung des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen werden.

Wenn man sie in die Krankenhausplanung des Landes Nordrhein-Westfalen aufnimmt, dann müssen wir auch – was ich ohnehin in der Krankenhausplanung möchte – im Krankenhausplan stärker die Strukturen vorgeben. Wenn ein Krankenhaus eine Geburtshilfestation betreibt, müssen wir sagen, was sie an Technik benötigt, was sie aber auch an Personal benötigt, um eine solche Geburtshilfe betreiben zu dürfen. Strukturqualität muss man in einem Krankenhausplan wohl noch vorgeben dürfen, und nicht nur die Planzahlen der Betten.

Das alles sind meine Ziele. Aber man muss in einer Landesregierung doch zunächst wenigstens die Zeit haben, um die Ist-Situation aufzunehmen und daraus zu schließen, was getan werden muss.

Ich habe gestern entschieden, dass wir die Projektgruppe einsetzen. Wir haben in diesem Fall das große Glück, wie ich finde, dass wir eine Hebamme gefunden haben, die 800 Kinder auf die Welt gebracht und auf dem zweiten Bildungsweg ein Jurastudium absolviert hat.

Ich persönlich möchte diese Frau damit betreuen, diese Projektgruppe zu leiten und möchte sicherstellen, dass sie quer über die Landesregierung Zugriffe auf die nötigen Zahlen, Daten und Fakten hat. Ich möchte, dass sie durch das Land reist und sich die Situation in den 16 Planungsgebieten für den Krankenhausplan anschaut.

Bevor Sie jetzt Schnellschüsse machen, müssen Sie mir schon zugestehen, dass ein solcher Prozess vielleicht ein Jahr oder ein gutes Jahr Zeit in Anspruch nehmen kann. Man kann nicht einfach blindlings in die Landschaft schießen und sagen: „Damit löse ich die Probleme“, wenn man keine vernünftige Datenlage hat.

Das werden wir alles machen. Und noch einmal – das ist das Wichtigste in dieser Frage –: Es ist doch völlig klar, dass wir die Begleitung durch Hebammen für schwangere Frauen, für Gebärende und direkt nach der Geburt haben möchten. Das ist im Übrigen eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Darauf haben die Frauen einen Anspruch.

Der zunehmenden Zahl von Kaiserschnitten ist doch nur dadurch zu begegnen – wenn man ihr begegnen will –, dass die Frauen in diesem Prozess eine vernünftige Begleitung durch eine Hebamme haben. Dass Krankenhäuser manchmal vor der Situation stehen, dass die Gebärenden unbedingt einen Kaiserschnitt haben wollen, ist doch auch kein Geheimnis. Das kann man doch nicht den Krankenhäusern in die Schuhe schieben. Im Rahmen dieses Prozesses kann ich doch nicht den Wunsch nach einem Kaiserschnitt verbieten!

Das können wir nur dadurch erreichen, dass die Schwangere durch eine gute Hebamme begleitet wird. Dann wird sich durch die Begleitung der Hebamme schon die richtige Entscheidung für diese Frau ergeben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Aber die kann doch nicht ein Gesundheitsminister vorgeben.

Dann will ich zum Schluss persönlich und ganz ehrlich zugestehen, dass dies ein Thema ist, das für einen Mann nicht so ganz einfach ist. Das ist auch die Wahrheit. Ich empfinde es wenigstens so.

Aber Sie können davon ausgehen, dass wir die Dinge konsequent anpacken wollen und dass wir das Problem auch lösen werden. Wir werden es nicht so lösen, dass wir alles auf Berlin schieben. Vielmehr müssen wir das, was wir in Nordrhein-Westfalen zu verantworten haben, auch in Nordrhein-Westfalen lösen. Dann kann man immer noch über die Punkte reden, die wir mit der Bundespolitik besprechen müssen. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Minister Laumann hat die Redezeit der Landesregierung um 3 Minuten und 12 Sekunden überzogen. Gibt es bei den Fraktionen den Wunsch nach zusätzlichen Rednerinnen und Rednern?

(Zuruf: Nein!)

Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/535 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Federführung. Die Mitberatung geht an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Der Entschließungsantrag Drucksache 17/614 soll ebenfalls entsprechend überwiesen werden. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? –Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

7   CDU und FDP steuern mit Vollgas ins Diesel-Fahrverbot!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/513

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/615

In Verbindung mit:

Diesel-Garantie bis 2050 – Vertrauen in Verbrennungsmotoren wiederherstellen und Unsicherheiten aus der öffentlichen Debatte herausnehmen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/518

Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Löcker, der hier schon wartet, das Wort. Bitte schön.

Carsten Löcker (SPD): Frau Präsidentin, herzlichen Dank für die Worterteilung. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nie zuvor ging es bei deutschen Autokonzernen derart hoch her. Auf der einen Seite tüfteln Ingenieure und Strategen an Elektroautos, selbstfahrenden Pkws und neuen Mobilitätsdiensten, auf der anderen Seite steckt die Branche aber in der größten Glaubwürdigkeitskrise ihrer Geschichte.

In dieser Woche findet die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt statt. Es ist zu hören, die Angst säße den Mitarbeitern und den Unternehmensführern der Konzerne im Nacken. Der Abgasskandal, der Verdacht unerlaubter Absprachen und drohende Fahrverbote für Dieselautos – eine lange Kette selbstverursachter Probleme und sicher auch Versäumnisse.

Nun habe ich Anfang dieser Woche den Änderungsantrag der schwarz-gelben Koalition zu unserem Antrag in die Hände bekommen und habe mir nach Durchsicht die Frage gestellt: Sind Sie eigentlich nur feige, meine Damen und Herren, oder haben Sie nichts verstanden? – Der alten rot-grünen Landesregierung in diesem Zusammenhang Versäumnisse vorzuwerfen, ist schon eher als Pfeifen im Walde zu werten. Das gilt auch für den Änderungsantrag, den Sie gestellt haben. Wie kommen Sie eigentlich dazu, uns vorzuwerfen, wir hätten in den letzten sieben Jahren versäumt, in den Umweltverbund zu investieren? – Viele Projekte wären in diesem Zusammenhang aufzuzeigen.

Es ist abwegig was Sie da versuchen. Da stellt sich die Frage: Wieso machen Sie das eigentlich? – Ich sage Ihnen was: Ihr Änderungsantrag ist die pure Hilflosigkeit. Er ist ein billiges Ablenkungsmanöver. Sie selber haben nichts in der Tasche. Davon war in den letzten zwei Tagen hier auch die Rede.

(Beifall von der SPD und von Norwich Rüße [GRÜNE])

Welche Handlungen notwendig sind, ist selbsterklärend. Da braucht man nicht groß herumzulamentieren. Das müsste alles in unserem Bewusstsein bereits eingesickert sein. Hier geht es ja nicht um Details, sondern um das Fundament und die Basis unserer Autoindustrie. „Made in Germany“, gerade bei Autos, steht seit über 100 Jahren für Zuverlässigkeit, für Vertrauen und Sicherheit in unserer Gesellschaft – „Manipulated in Germany“ dagegen sicher nicht.

Ich finde, dass der Oberbürgermeister aus Gelsenkirchen Frank Baranowski recht hatte, als er nach dem Treffen vor mehr als 30 Oberbürgermeistern mit Teilen der Bundesregierung erklärt hatte, dass der selbstauferlegte Maulkorb von Frau Merkel gegenüber der Automobilindustrie endlich abgelegt werden müsse.

(Beifall von der SPD)

Mit Frau Merkel – wie will man das ausdrücken – als „Schutzheilige der Automobilindustrie“ – das konnte man gestern wieder aus der Ferne betrachten –, ist es doch so, dass es eher die hochbezahlten deutschen Manager der Konzerne gewesen sind, und nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei den Abgasgrenzwerten systematisch geschummelt haben. Damit wurden Millionen Kunden betrogen, und damit wurde auch die Gesundheit der Bevölkerung in unserem Land aufs Spiel gesetzt. Deshalb darf man auch mal fragen: Kennen Sie einen Ingenieur, der ein dreckiges Auto bauen will?

(Bodo Löttgen [CDU]: Der was?)

– Der ein schmutziges Auto bauen will. Kennen Sie einen, Herr Löttgen?

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja!)

– Ich nicht. Kennen Sie einen Autohändler, der ein dreckiges Auto auf seinem Hof feilbieten will? Oder kennen Sie einen Käufer, der ein dreckiges Auto kaufen oder fahren will? – Ich kenne keinen.

Schauen Sie sich einmal auf den Autohöfen der Unternehmen um, was sich da in den letzten Tagen abgespielt hat. Es war doch ein ungeschriebenes Gesetz: Wer ein deutsches Auto kauft, kauft mit dem Gefühl, gute Qualität zu erhalten. Heute scheint das wohl nicht mehr zu gelten. Das zeigen die vielen Rückgaben an Dieselautos in den letzten Wochen sowie die deutlich gesunkenen Zulassungszahlen. Man kann auch sagen: Der gut organisierte und funktionierende Kreislauf, den wir einst hatten, ist mächtig gestört.

Deshalb an die Kollegen der AfD die deutliche Ansage: Wer die Vertrauenskrise damit beantworten will, eine Garantie für den Dieselmotor bis zum Jahr 2050 auszusprechen, so wie Sie das hier vorschlagen, der hat überhaupt nichts verstanden. Damit muss man sich nicht lange aufhalten. Diese Krise muss dafür genutzt werden – das ist meines Erachtens die einzige klare Ansage, die wir alle teilen –, einen Weg in die Moderne zu finden. Das muss doch unser Ziel sein! Und da hilft es auch nicht weiter, auf entsprechende Motoren zu setzen, die derzeit Probleme haben.

Wir brauchen den fortlaufenden Eintritt in ein verbrennungsmotorfreies Zeitalter. Die Überganslösung bestand bisher in gut funktionierenden Motoren im Benzin- und im Dieselbereich. Die Basis, die wir hatten, ist jetzt gestört. Das hat nicht irgendwer herbeigeführt, sondern das waren die Unternehmen – und zwar aus Gier, das muss man einmal deutlich sagen. Aus anderen Gründen kann das gar nicht geschehen sein, sonst hätte man sich nicht so dilettantisch verhalten.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen also keine Garantien, sondern einen nachhaltigen Masterplan. Diese Notwendigkeit – das sage ich ausdrücklich; das muss man auch wissen in dem Zusammenhang – zeigt bereits die Tatsache, dass die Einhaltung der CO2-Emissionen im Flottenverbrauch von 95 g je Kilometer schon ab 2020 einzuhalten ist. Nur durch den CO2-emissionsärmeren Diesel ist das überhaupt möglich. Insofern ist die Dimension ziemlich klar.

Es darf auch mal gesagt werden: Die angedrohte Strafzahlung in Höhe von 1 Milliarde €, die die EU für die Hersteller angekündigt hat, die dieses Ziel nicht erreichen, können wir nicht alle wollen. Das ist aus meiner Sicht auch eine Zumutung. Deshalb: Wir haben kein Problem mit Dieselmotoren, sondern mit einer ungenügenden, von Gier getriebenen Abgasnachregelung.

Der Tenor des zweiten Feinstaubgipfels war, Fahrverbote zu verhindern. Da sind wir uns alle einig. Alle Ergebnisse dieses Tages – das muss man klar und deutlich formulieren – haben eine Bemessungsgrundlage. Es muss verhindert werden, dass diese Fahrverbote kommen. Das liegt auf der Hand. Wir brauchen deutliche Impulse, damit die Transformation in Richtung emissionsfreie Antriebe überhaupt erreicht wird. Die Aufsichtsbehörde, der Bundesverkehrsminister, hat über Jahre hinweg den kritischen Kontrollblick auf die Automobilindustrie vernachlässigt. So viel Kritik ist notwendig. Das sage ich wohldosiert, aber auch ganz klar.

Heute müssen wir konstatieren, dass ein Mobilitätsleitfaden zum Erreichen der Zukunftsfähigkeit unserer Automobilindustrie fehlt. Die Konzernlenker haben den wichtigsten Industriezweig Deutschlands, unsere wirtschaftliche Basis, weltweit beschädigt. Auch das ist überall nachzulesen.

Damit muss jetzt endlich Schluss sein. Schauen wir also auf die Aktivitäten dieser Tage in Berlin. Was ist bisher erreicht, was haben wir geschafft? Die jetzt versprochenen 500 Millionen € Soforthilfe für den Diesel sind nun auf 1 Milliarde € aufgestockt worden. Ich füge hinzu: Nur läppische – ich wiederhole das gern noch einmal: läppische – 250 Millionen € kommen von den Verursachern, den Autokonzernen – aber das wird nicht reichen.

Alle wissen es: Die 1 Milliarde € Hilfe für die von der Grenzwertüberschreitung betroffenen Kommunen – das sagen alle – werden überhaupt nicht ausreichen. Das sage nicht nur ich, sondern das sagen auch die Teilnehmer. Von einem großen Durchbruch – so liest man in der Stellungnahme des CDU-Oberbürger-meisters der Stadt Aachen – kann überhaupt keine Rede sein. Es wurde noch nicht einmal eine Definition über die Verwendung der in Aussicht gestellten Soforthilfe vereinbart. Das kann uns doch nicht reichen. Auch deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

Nun hören wir, dass eine Koordinierungsstelle von Bund, Ländern und Städten eingerichtet werden soll, die über die Verwendung und Aufteilung der bereitgestellten Soforthilfe Einigkeit herstellen soll. Da darf man doch mit Blick auf die Anforderungen schon mal die Frage stellen: Wie lange soll das denn dauern?

Nein, wir sagen ganz klar: Dobrindt muss jetzt liefern und diesem unsäglichen Treiben ein Ende bereiten. Wir erwarten, dass auch Frau Merkel am nächsten Diesel-Gipfel teilnimmt. Das wäre doch mal schön! Ich sage Ihnen auch, warum wir das brauchen. Viel Zeit bleibt uns nämlich bis April 2018 sowieso nicht mehr. – Herr Rehbaum, Sie schauen so erstaunt. –

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Denn es ist angekündigt, dass dann die entsprechenden Fahrverbote durch Gerichte verhängt werden, sollte sich in dieser Zeit nicht signifikant etwas bewegt haben.

Ich will gerne hinzufügen: Wir wollen lieber auf Nummer sicher gehen und konkrete, definierte, unterstützende Maßnahmen zur Luftreinhaltung – und zwar über den Mobilitätsfonds, über die 1 Milliarde € hinaus –, auskömmlich von Bund und Land und Industrie finanziert, etablieren. Ich sage Ihnen auch warum: Damit uns der schlimmstanzunehmende Fall, die drohenden Fahrverbote, erspart bleibt. Es wird gerade so getan, als würde das, was alles entschieden worden ist, dazu beitragen, dass wir uns hier in Sicherheit wiegen können.

Ich glaube das nicht, das sage ich Ihnen ganz offen. Ich werde Ihnen gleich auch noch erklären, warum ich das so sehe. Ich fordere dazu auf, den Kuschelkurs der kooperativen Politik, die der Autoindustrie bequeme Massagesessel hinstellt, endlich zu beenden.

Wenn die Experten nämlich Recht behalten, dass die Software-Updates nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, dann führt an dem Weg der Hardware-Umrüstung überhaupt kein Weg vorbei, wenn wir nicht scheitern wollen.

(Beifall von der SPD und von Arndt Klocke [GRÜNE])

Deshalb werden wir unsere Forderung weiter aufrechterhalten, dass die Konzerne dafür sorgen müssen, dass diese Hardware-Updates möglich sind, und zwar kostenlos und kundenfreundlich für alle diejenigen, die davon betroffen sind. Das ist mehr als das, was bisher in Berlin vereinbart worden ist.

Da sich der Dieselmotor bewährt hat, ist das auch eine sinnvolle Investition. Der Dieselmotor ist nämlich effizient. Wenn alle technischen Möglichkeiten ausgelotet und genutzt werden – das ist gar nicht so schwer –, dann können wir auch sicher sein, dass wir die Brücke in Ruhe bauen können, über die wir in das kommende Zeitalter übertreten können. Dies einzufordern, wird ja wohl erlaubt sein.

Gestatten Sie mir zum Schluss, ein Schlaglicht auf die im Rahmen dieser Problematik in Aussicht gestellten Förderungen für den ÖPNV zu werfen. Die begrüßen wir natürlich, auch wenn sie unter diesen Umständen zustande gekommen ist. Alle Teilnehmer haben betont, dass der kommunale und öffentliche Nahverkehr stärker von Bund und Ländern gefördert werden müsse.

Das ist ja mal was wirklich was Neues! Das diskutieren wir schon seit 25 Jahren und in den letzten zwei Jahren in der ÖPNV-Enquetekommission. Wir alle sind uns einig, was wir gemeinsam tun müssen. Jetzt kommt das auf diesem Wege, wenn auch wie ich finde, mit 750 Millionen € nicht so wirklich gut ausfinanziert, angesichts dessen, was allein ein Elektrobus kostet: Der Euro-6-Diesel liegt bei 300.000 €, der Elektrobus bei 800.000 €. Nicht, dass wir den überhaupt schon hätten. Aber dass man jetzt so tut, als könnte damit sozusagen eine Innovation einleiten, die zur Entlastung führt – also, da muss ich mir wirklich die Augen reiben.

Man muss in diesem Zusammenhang noch eins klarstellen. Da der Anteil der Stickoxyd-Emissionen der Busflotten im Nahverkehr am Gesamtverkehrsaufkommen eher eine untergeordnete Bedeutung hat, allenfalls 10 % bis 15 %, drängt sich mir die Frage auf: Wenn eine massive Um- und Aufrüstung des ÖPNV sowie Software-Updates bei Pkws am Ende nicht zu der erhofften Stickoxyd-Senkung in Ballungsräumen führen, sondern schlimmstenfalls die Belastungen auch noch zunehmen – was machen wir denn dann?

(Zuruf von der FDP: Dann gehen Sie zu Fuß!)

Es muss doch erlaubt sein, nachzufragen, ob die entsprechenden Aktivitäten überhaupt ausreichen. Was machen wir denn, wenn das nicht funktioniert?

Deshalb gebe ich zum Schluss einer bestimmten Hoffnung Ausdruck – das richtet sich an unseren Herrn Verkehrsminister, von uns auch gerne „Stauminister“ genannt –: Herr Wüst, hoffentlich ist Ihr Dienst-Pkw mit einer Euro-6-Norm ausgestattet. Man kann sich wirklich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn auch noch Ihr Auto stehen bleibt.

In diesem Sinne bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Was waren wir Deutsche – von den Alt-68ern einmal abgesehen – noch vor wenigen Jahren stolz auf unsere Wirtschaft. Unsere Produkte wurden auf der ganzen Welt nachgefragt. „Made in Germany“ wurde zum weltweit führenden Qualitätssiegel, das für deutsche Wertarbeit steht.

Unsere Automobilindustrie ist hierbei von zentraler Bedeutung. Die drei größten deutschen Autobauer erwirtschaften rund 400 Milliarden € Umsatz pro Jahr. Und wäre ihr Umsatz das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, würden sie vor Österreich auf Platz 28 der Weltrangliste stehen.

Nun hat das Bild unserer deutschen Wertarbeit durch den sogenannten Dieselskandal einen erheblichen Schaden erlitten. Doch dieser Schaden ist zunächst oberflächlich, und er ist reparabel.

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass wir mit unserem Fachwissen, unserer Technologieaffinität und unserem Unternehmertum jegliche Herausforderung meistern können. Dazu zählt selbstverständlich auch die deutsche Dieseltechnologie.

Während sich dieser „Lackschaden“ noch reparieren lässt, verursacht das ständige Herumgehacke der Altparteien auf der Automobilindustrie viel tiefere Schäden an dem Grundgefüge unserer Wirtschaftskraft.

(Beifall von der AfD)

Ja, der Spaß der Grünen am Untergang führt uns in eine der schwersten und tiefsten Vertrauenskrisen, die Deutschland je erlebt hat.

(Beifall von der AfD)

Dabei ist die eigentliche Ursache des Abgasproblems nicht die Abschaltsoftware. Viele begnügen sich damit, die Fehler ausschließlich bei den deutschen Autobauern zu suchen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Die ganze Wahrheit ist, dass die völlig utopischen EU-Abgaswerte für Dieselfahrzeuge schon immer geringer waren, als nach dem jeweiligen Stand der Technik möglich war. Weil wegen des grünen und roten Wunschdenkens in der EU nicht mehr auf die ökonomische Vernunft gehört wurde, wurde den deutschen Autobauern gedroht – mit der Pistole auf der Brust –, vor die grüne Schießwand gestellt zu werden. Entweder sollten sie die absurd geringen EU-Grenzwerte irgendwie einhalten, oder es werde das Ende der deutschen Dieseltechnologie eingeläutet.

(Beifall von der AfD)

Mit Schützenhilfe der Deutschen Umwelthilfe, Ihrem Abmahnbüro, die auf Kosten des deutschen Steuerzahlers Millionen macht und dies mit dem Versagen des Staates rechtfertigt, wird mit dem Ziel der vollständigen grünen Deindustriealisierung ein Frontalangriff auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Vaterlandes geführt. Der Rufmord hat jetzt schon gravierende Folgen verursacht. Der Markt ist völlig eingebrochen. Millionen Euro an Volksvermögen wurden grundlos von heute auf morgen vernichtet. Die Zahl der Dieselverkäufe ist auf ein Rekordtief gefallen. Dieselfahrzeuge sind Ladenhüter geworden.

Wir müssen uns einmal vor Augen halten, was hier tatsächlich auf dem Spiel steht. Millionen Arbeitsplätze von Beschäftigten bei den Autobauern, Lieferanten und Händlern sind in Gefahr. Und wofür? Ich sage es Ihnen: Für ein paar Euro mehr für die klammen Kommunen beim nächsten Dieselgipfel.

Die roten und grünen Ökoradikalen wollen eine ideologisierte Verkehrswende und beschädigen so das Vertrauen in einen wichtigen deutschen Industriezweig. Dabei ist das Dieselverbot nur eine Zwischenstufe hin zur ökoreligiösen Utopie, welche die Grünen mit der Abschaffung aller Verbrennungsmotoren auf den Straßen bis 2030 erreichen wollen.

(Beifall von der AfD)

Das alles ist vollkommen fern jeglicher naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Fakten.

(Zuruf von der AfD: So ist es!)

Hinsichtlich dieses Schwachsinntermins bescheinigte selbst der grüne Ministerpräsident Kretschmann seinen Parteifreundinnen und Parteifreunden, dass sie keine Ahnung haben.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Meine Damen und Herren, niemand streitet ab, dass der Hauptverursacher der Stickoxidemissionen der Verkehr ist. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Stickoxidemissionen gerade im Verkehr über die letzten 25 Jahre allein um 65 % abgenommen haben. So betrugen die gesamten Stickoxidemissionen vor 25 Jahren noch 1,5 Millionen t. Derzeit sind es nur noch 0,5 Millionen t. Die Stickoxidemissionen wurden hauptsächlich im Verkehr reduziert.

In diesem Hohen Hause sitzen tatsächlich Volksvertreter, die der felsenfesten Überzeugung sind, dass die Deutschen durch eine Politik der Verbote zu einem ökoreligiösen Verhalten gezwungen werden müssen.

(Beifall von der AfD)

Trotz ihrer „grandiosen“ Wahlergebnisse wollen diese Ökoideologen nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

Mit dem Verbot der Verbrennungsmotoren steht und fällt auch unser Anspruch auf eine technologieoffene Forschungsentwicklung. Bei der Beurteilung eventueller Schädlichkeit von Stickoxiden der Dieselmotoren sollten die Erkenntnisse der Toxikologen beachtet werden. Der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid beträgt 40 Mikrogramm/m³ Luft. Dagegen beträgt die maximale Arbeitsplatzkonzentration 950 Mikro-gramm/m³ Luft. Vor 2012 betrug der MAK-Wert sogar 9.000 Mikrogramm/m³ Luft. Bei unseren südlichen Nachbarn in der Schweiz beträgt er immer noch 6.000 Mikrogramm/m³ Luft.

Stickoxid ist aufgrund seines molekularen Gewichts ein schweres Gas, das in Bodennähe bleibt. Als Gas entweicht es in alle Himmelsrichtungen. Bereits wenige Meter von den Messstellen entfernt, die direkt an den Straßen liegen, fallen die Messwerte stark ab. Eine lokale bzw. örtliche Begrenzung kann sachlich überhaupt nicht vermittelt werden.

Meine Damen und Herren, die Deutschen können es doch nicht mehr hören. Sie sind des angeblichen Dieselskandals schon überdrüssig geworden. Sie haben die Ankündigung von Verboten satt. Sie haben die ökoideologische Verbotspolitik satt. Und vor allen Dingen haben sie Rot und Grün satt.

  (Beifall von der AfD)

Die AfD ist die einzige Partei, die sich konsequent auf die Seite der Autofahrer und Autobauer gegen Fahrverbote stellt und eine Verhinderung von Verboten garantieren will.

(Beifall von der AfD)

Ein Fahrverbot ist ein politisches Instrument, niedergeschrieben durch Politiker in den Parlamenten und Stadträten – durch und durch politisch. Machen Sie sich nicht die Mühe, ein Fahrverbot medial als unvermeidbar oder alternativlos darzustellen. Das ist es mitnichten. Statt Fahrverbote zu erlassen, muss auf europäischer Ebene für die Erhöhung der Außengrenzwerte gestritten werden, und zwar auf Grundlage toxikologischer Erkenntnisse und nicht basierend auf ökoreligiösen Fantasien.

(Beifall von der AfD)

Bei dem Versuch, weiterhin das Schreckgespenst von Fahrverboten – aus welchen Motiven auch immer – aufrechtzuerhalten, tun Sie im Grunde nichts anderes, als dem deutschen Volk zu sagen, dass Ihnen in unserer Demokratie der politische Wille des Souveräns vollkommen gleichgültig ist. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Dr. Blex. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rehbaum.

Henning Rehbaum (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Löcker, ich habe mich darüber gefreut, dass Sie sich wünschen, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel am nächsten Dieselgipfel teilnimmt. Das zeigt uns, dass Sie Herrn Schulz schon vollständig abgeschrieben haben.

(Beifall von der CDU und der AfD)

Ich möchte zu Anfang klar und deutlich feststellen, dass die Gesundheit der Bürger ein hohes Gut ist. Es ist das höchste Gut, dem wir uns verpflichtet fühlen.

Gleiches gilt für unser Klima. Auch hier fühlen wir uns in der Pflicht. Wir stehen zu den Klimazielen von Paris; das haben wir heute schon mehrfach betont. Die Grünen haben dieses Thema nicht exklusiv für sich gepachtet, ebenso wenig die SPD. Es sei daran erinnert, dass es die CDU unter Helmut Kohl war, die den ersten Bundesumweltminister Deutschlands, den großartigen Klaus Töpfer, berufen hat.

(Beifall von der CDU)

Auch Angela Merkel hatte dieses Amt inne. Wir wissen also, worum es geht. Die Diskussionen um Luftbelastung durch Stickoxid beschäftigen uns ja schon ein bisschen länger.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Nicht umsonst mussten Städte Pläne zur Luftreinhaltung erarbeiten. Die Probleme wurden aber trotzdem immer gravierender. Die alte Landesregierung hat nichts unternommen und das Problem einfach auf die lange Bank geschoben, Herr Löcker. Hier hat man – wie in so vielen Bereichen auch – die Kommunen im Regen stehen lassen.

Ganz anders unser neuer Ministerpräsident Armin Laschet: Auf zwei Veranstaltungen des Nationalen Forums Diesel hat er sich mit dem Ziel, eine rechtssichere und effektive Lösung zu erarbeiten, engagiert eingebracht. Einmal mehr zeigen wir: Nordrhein-Westfalen hat Einfluss. Wir können etwas bewegen, und es muss Schluss sein mit der „Selbstverzwergung“ Nordrhein-Westfalens in Berlin.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir wollen Vertrauensschutz für die Bürger und Wettbewerbsfähigkeit für Unternehmen, die auf Transporter, Lkw, Entsorgungsfahrzeuge, Busse, SPNV-Triebwagen, Baumaschinen oder Zugmaschinen mit Dieselantrieb angewiesen sind. Der Diesel ist im Nutzfahrzeugbereich aktuell nicht zu ersetzen. Man muss ihn aber sauberer machen. Die Technik dazu ist vorhanden – auch hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wenn hier ein Bild vom Diesel als veraltete Technologie gezeichnet wird, muss man noch einmal in Erinnerung rufen, dass die Ökobilanz des Dieselmotors in 25 Jahren um 94 % verbessert wurde. Dieselmotoren emittieren rund 25 % weniger CO2 als Benziner.

Durch die Manipulation hat die Fahrzeugindustrie in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg dem Diesel einen Bärendienst erwiesen. Früher hätte man gesagt: Die haben einen Schlag in den Nacken verdient.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Schwarze Pädagogik!)

– Schwarze Pädagogik, richtig.

Was muss jetzt passieren? Die Industrie muss durch wirksame Maßnahmen ihre Zusagen für Pkw einhalten – ohne Wenn und Aber.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Die sind aber nicht konkret!)

Belastete Stadtteile müssen durch wirksame Maßnahmen entlastet werden. Erste Maßnahmen wurden bereits auf dem Dieselgipfel vereinbart.

Minister Wüst und sein Team im Verkehrsministerium sowie die Verkehrsunternehmen und -verbünde werden moderne, multimodale Mobilitätskonzepte entwickeln, die die Kombination von Bus, Bahn, Fahrrad und Pkw kinderleicht machen. Dazu kommt die Nachrüstung von Bussen im ÖPNV, die wir in Nordrhein-Westfalen bereits umsetzen. Die Paderborner Verkehrsbetriebe sind hierbei ganz weit vorne. Es ist also möglich, mit geringen Mitteln eine Flotte sauber zu bekommen.

(Beifall von der CDU – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das klingt gut!)

Was Bayern, Niedersachsen und Schwaben ebenfalls verpasst haben, ist für Nordrhein-Westfalen eine große Chance. Nordrhein-Westfalen muss die Schmiede für Elektrofahrzeuge werden. E-Mobilität, ÖPNV, die Dieselnachrüstung und ähnliche Bereiche sind kein Gedöns. Nein, es muss im Zusammenhang damit wirklich etwas passieren. Wenn es zu Gerichtsprozessen kommt – und das ist abzusehen –, dann müssen wir Fortschritte vorweisen können.

Sieben Jahre lang ist unter Rot-Grün nichts passiert, und wir sind sehenden Auges in die jetzige Situation hineingelaufen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Leute!)

Dabei ist bewusst in Kauf genommen worden, dass jetzt in den Städten massive Behinderungen für Anlieger, Pendler und Unternehmen drohen.

Die NRW-Koalition leitet wirksame Maßnahmen zur Senkung von Stickoxiden in den betroffenen Städten ein, will Nordrhein-Westfalen zu der Schmiede für Elektromobilität machen und stärkt den Besitzern und Nutzern von Diesel-Pkw und Nutzfahrzeugen den Rücken. Moderne Dieselfahrzeuge sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung bei der Einhaltung der Klimaziele von Paris.

(Beifall von der CDU)

Wir müssen Fahrverbote abwenden. Dafür werden wir uns mit aller Kraft einsetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Middeldorf. Es ist seine erste Rede hier im Parlament.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man den Antrag der SPD liest, dann könnte man tatsächlich meinen, Sie hätten in den letzten Jahren einige Anstrengungen unternommen, um Fahrverbote zu verhindern. Jetzt muss ich Ihnen sagen: Ich bin ja noch neu in diesem Hause. Aber gefunden habe ich bei meinen Recherchen nichts.

(Henning Rehbaum [CDU]: Eben!)

Ich habe keine Initiativen gefunden. Ich habe keine Programme gefunden. – Herr Kollege Löcker, Sie haben zwar eben das Gegenteil behauptet, aber den Beweis dafür sind Sie schuldig geblieben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Fakt ist doch, dass im Jahre 2010, nämlich gerade, als Sie die Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen übernommen haben, die EU-Richtlinie zu den Grenzwerten in Innenstädten in deutsches Recht übertragen worden ist. Seitdem haben Sie nichts, aber auch gar nichts unternommen, um drohende Fahrverbote abzuwenden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Bodo Löttgen [CDU]: So ist es!)

Der neuen Landesregierung vor diesem Hintergrund nach 77 Tagen im Amt vorzuwerfen, wir wären untätig, zeigt Ihre ganze Hilflosigkeit bei diesem Thema.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das gilt ja nicht nur für die Landesebene. Ihre Bundesumweltministerin arbeitet ja augenscheinlich nach derselben Devise. Kommunen und Autofahrer werden durch immer neue Gutachten massiv verunsichert und werden schon alleine durch die laufende Debatte auf kaltem Weg enteignet. Lösungen? Fehlanzeige, meine Damen und Herren!

Besonders bemerkenswert an Ihrem Antrag ist, dass sich nahezu alle Ihre Beschlussvorschläge ausschließlich auf Maßnahmen beziehen, die man auf Bundesebene umsetzen müsste.

(Zuruf von der SPD: Wo denn sonst?)

Ja, dann machen Sie es doch endlich! Sie regieren doch in Berlin. Setzen Sie es doch endlich um!

(Beifall von der FDP)

Wir wären ja dankbar, wenn Sie tätig würden.

(Sven Wolf [SPD]: Herr Middeldorf, nicht alleine!)

Wer sitzt denn im Aufsichtsrat von Volkswagen? Es war doch Ihr niedersächsischer SPD-Ministerprä-sident, der sich an entscheidender Stelle für die Rechte der Verbraucher hätte einsetzen können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das hat er aber nicht getan.

(Michael Hübner [SPD]: Im Aufsichtsrat? Sie haben ja ein Verständnis!)

Jetzt lamentieren Sie hier kurz vor der Bundestagswahl und wollen damit von Ihrer eigenen Untätigkeit ablenken. Das Schlimme daran ist ja, dass Sie durch Ihre Weigerung in der Vergangenheit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, die Situation nun massiv verschärft haben. Heute ist uns durch Ihr Nichtstun das Heft des Handelns fast vollständig aus der Hand genommen worden. Das zeigt, welch geringen Stellenwert Sie der Sicherung individueller Mobilität in Wahrheit beimessen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Auf allen Ebenen sind Sie für die augenblickliche Situation verantwortlich. Das ist Ihre rot-grüne Hinterlassenschaft.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Man könnte Ihnen vor dem Hintergrund fast dankbar sein für Ihren Antrag, weil die Menschen in diesem Land auf die Weise endlich vor Augen geführt bekommen, was Sie alles liegen gelassen haben.

(Beifall von der FDP – Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Den Versuch, Ihre Verantwortung jetzt auf die neue Landesregierung abzuwälzen, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

Fahrverbote sind unter allen Umständen zu vermeiden. Sie schränken die individuelle Mobilität ein, sie vernichten Vermögen, und – ich glaube, da sind wir uns einig – sie hätten auch wirtschaftspolitisch katastrophale Folgen, übrigens auch für die Entwicklung der betroffenen Städte.

Für viele Menschen ist die Anschaffung des Autos eine der größten Finanzentscheidungen ihres Lebens. Sie müssen darauf vertrauen können, dass ihre einmal getroffene Entscheidung, zu der die Politik sie ja in Sachen Diesel geradezu animiert hat, Bestand hat.

Ich will gleichzeitig sehr deutlich sagen, auch in Richtung der AfD: Selbstverständlich muss es darum gehen, die Gesundheit der Menschen in den belasteten Innenstädten zu schützen. Fahrverbote halten wir dafür aber für das allerschlechteste Mittel.

Unsere Handlungsmaxime dagegen ist: Wir wollen individuelle Mobilität sichern. Wir wollen und wir werden den Menschen nicht vorschreiben, wie, wann und wohin sie sich fortbewegen sollen.

Die neue Landesregierung handelt entsprechend, und zwar vor allen Dingen ideologiefrei und pragmatisch. Der Ministerpräsident hat sich frühzeitig mit den Oberbürgermeistern der betroffenen Kommunen an einen Tisch gesetzt und hat auf dem zweiten nationalen Dieselgipfel in Berlin erreichen können, dass der Bund noch einmal eine erhebliche Summe zur Lösung des Problems beisteuert. Ohne Verzögerung hat der NRW-Wirtschaftsminister zur Reduzierung von Emissionsbelastungen ein umfängliches Paket innovativer Mobilitätskonzepte aufgelegt, zum Beispiel ein Sofortprogramm zur Förderung von Elektromobilität.

Die NRW-Koalition geht jetzt noch einen Schritt weiter. Mit unserem Entschließungsantrag werden wir die Landesregierung beauftragen, ein Bündel weiterer Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Versäumnisse der letzten Jahre aufzufangen. Es geht jetzt darum, mit den Mitteln des Bundes solche Aktivitäten anzuschieben, die uns helfen, schnell und nachhaltig handeln zu können.

Wir sind uns dabei übrigens sehr bewusst, dass die Entscheidungen nun an vielen Stellen von Gerichten getroffen werden. Aber Anspruch unseres Handelns ist, dass sich das Land jetzt nicht weiter zurücklehnen darf, so wie Rot-Grün es über Jahre getan hat. Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um auch zur Not im Einzelfall zu Problemlösungen zu kommen.

Wir tun das unter einer wichtigen Prämisse: Bevor es zu einer Betroffenheit privater Fahrzeuge kommt, sind alle städtebaulichen und verkehrslenkenden Maßnahmen sowie alle Möglichkeiten bei öffentlichen Verkehren auszuschöpfen.

Dabei gilt auch für uns der Grundsatz der Technologieoffenheit. Ausdrücklich wollen wir im Vertrauen auf die Kompetenz und Kreativität unserer Ingenieure Raum schaffen für innovative und für unkonventionelle Lösungsansätze.

Deswegen werden wir übrigens auch den AfD-Antrag ablehnen. So wie wir kein Verbot von Technologien wollen, geben wir natürlich auch keine Garantien ab. Deshalb ist eine Verteufelung der Dieseltechnologie genauso falsch wie ein staatlich verordnetes Festhalten an bestehenden Antrieben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir suchen bei all unseren Bemühungen den Schulterschluss mit den betroffenen Kommunen. Das ist uns ganz wichtig. Es muss jetzt darum gehen, die vorhandenen Kenntnisse vor Ort systematisch zu nutzen und vor allem in konkrete Maßnahmen umzusetzen.

Meine Damen und Herren, CDU und FDP werden die Kommunen, die Pendler und die Unternehmen in unserem Land nicht im Regen stehen lassen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das werden wir ja sehen!)

Das zeigen wir mit den bereits angeschobenen Aktivitäten, und das zeigen wir mit unserem Entschließungsantrag. Wenn Sie als Opposition an echten Lösungen interessiert sind und nicht nur an Schaukämpfen, dann stimmen Sie diesem Antrag ebenfalls zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Middeldorf. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich rate bei diesem Thema zur ideologischen Abrüstung.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von der CDU und der FDP)

Den Entschließungsantrag, den die …

(Roger Beckamp [AfD]: Das sagt ein Vertreter der Grünen!)

– Nun lassen Sie mich doch erst mal ausreden. Ich versuche erst mal in die Rede reinzukommen.

Als ich mir den Entschließungsantrag aus den Reihen der Regierungsfraktionen angeschaut habe, konnte ich sehen, dass darin grundsätzlich viel Richtiges steht. Es fehlt jedoch ein konkretes Maßnahmenpaket.

Herr Middeldorf, es ist wohl Ihrem späten Einzug in den Landtag geschuldet, man muss es Ihnen daher nachsehen, aber dieses Schwarz-Weiß, das Sie vorhin vorgetragen haben … Ich weiß nicht, wer Ihnen die Rede geschrieben hat, Sie haben sie wahrscheinlich nicht selber geschrieben.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Um zu behaupten, dass die Vorgängerregierung rein gar nichts getan hätte, muss man schon ziemlich platt drauf sein. Es würde mir auch schwer fallen, das andersherum genauso zu tun.

Ich habe hier im Landtag in der Regierungszeit sieben Jahre lang Verkehrspolitik gemacht. Schauen Sie sich mal die Programme zum ÖPNV an. Erkundigen Sie sich mal bei Herrn Rehbaum oder bei Herrn Voussem, die beide gerade zuhören und die auch im Ausschuss waren: Auf so eine Idee würden sie nicht kommen. Schauen Sie sich an, was in den letzten Jahren und auch über die Regierungsperiode von Rot-Grün hinaus im Bereich der ÖPNV-Förderung passiert ist.

Denken Sie an den RRX, der auf die Schiene gesetzt und jetzt sukzessive umgesetzt wird. Schauen Sie sich das Programm für Radschnellwege an.

(Ralf Witzel [FDP]: Das löst doch das Kfz-Problem nicht!)

Schauen Sie sich die großen Dinge an, die im Bereich der Infrastruktursanierung umgesetzt wurden.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie lösen das Dieselproblem nicht!)

Das Thema ist so relevant und so wichtig! Deshalb ist es schade, dass es heute am Ende der Plenarwoche diskutiert wird, obwohl es auch die Debatte rund um die Regierungserklärung durchzogen hat und in den Medien große Aufmerksamkeit findet.

Sie spielen Schwarz-Gelb und Rot-Grün so ideologisch gegeneinander aus. Ich sage: Das Thema ist viel zu relevant für die Menschen, für die Frage der Mobilität und auch für die Frage der Gesundheit, als dass man sich so aufführen könnte, wie Sie das in Ihrer Rede gemacht haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vonseiten der Grünen begrüßen wir zum Beispiel das Paket, dass Herr Minister Pinkwart zum Thema „emissionsfreie Mobilität“ vorgestellt hat. Ich war ganz überrascht, als ich die kurzfristige Presseankündigung darüber bekam, dass Sie dazu etwas vorstellen. Das hätte man eher aus dem Umweltministerium erwartet, aber offensichtlich ist das jetzt bei Ihnen angesiedelt.

Sie haben sich mit Inbrunst vor die Presse gestellt und das auch inhaltlich richtig vorgetragen, aber vielleicht wäre es fair gewesen, mit einem Halbsatz zu erwähnen, dass dieses Programm und die Ausschreibung von Ihrem Amtsvorgänger Remmel auf den Weg gebracht worden sind. Ich dachte schon: Was für eine wichtige Entscheidung! Aus dem „Remmel-Krempel“, der laut Herrn Lindner ja komplett abgeräumt werden sollte, wird von Ihnen nun ein ganz wichtiges Programm fortgeführt und sogar persönlich vorgestellt. Wir begrüßen das eindeutig und finden es auch richtig, dass dafür mindestens 100 Millionen € in die Hand genommen werden.

Ironie beiseite: Das Dieselthema beherrscht momentan die öffentlichen Debatten in Deutschland, auch angesichts der IAA. Es steht im Mittelpunkt vieler Erklärungen. Der Dieselgipfel, der in Berlin stattgefunden hat, ist grundsätzlich auch richtig, jedoch sind die Ergebnisse zu kurz gedacht. Warum hat sich die Bundesregierung bisher nicht dazu durchringen können, die Autohersteller zu einer verbindlichen Hardwarenachrüstung zu verpflichten? Das wäre eine richtige Entscheidung gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Michael Hübner [SPD])

1.500 €! Ich weiß nicht, ob Sie gestern Abend die Sendung „Maybrit Illner“ gesehen haben. Manchmal bildet es durchaus, Talkshows zu sehen. Das ist in Deutschland selten der Fall, aber diesmal war die Sendung gut. Dort haben ein führender VW-Manager, ein Vertreter der Verbraucherzentrale und ein Kfz-Techniker vorgestellt, dass es ohne Probleme möglich ist, die Hardware nachzurüsten, dass es keine Schwierigkeiten für die Elektronik des Gesamtautos gibt. Eine Hardwarenachrüstung wäre möglich, und sie ist auch notwendig, um die angestrebte Schadstoffreduzierung zu erreichen. Man müsste sie verbindlich vonseiten der Bundesregierung beauftragen. Das ist möglich.

Die Blaue Plakette wird im Übrigen auch von Teilen der CDU gefordert. Ich habe in den letzten Tagen einige Erklärungen der IHK zu dem Thema gelesen. Die IHK Siegen fordert beispielsweise Hardwarenachrüstungen bei allen Pkws und die Einführung einer Blauen Plakette.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es sind doch nicht nur grüne Organisationen, die dahinterstehen, sondern das wird auch von Unternehmensverbänden und teilweise von CDU-geführten Landesregierungen gefordert.

Deswegen ist es Aufgabe der nächsten Bundesregierung – nicht mehr der jetzigen Bundesregierung; das ist vorbei, und hoffentlich ist der künftige Bundesverkehrsminister nicht derselbe wie in den letzten vier Jahren –, zu einer Lösung zu kommen, die die Automobilhersteller, die diese Katastrophe angerichtet haben, in die Pflicht nimmt. Hier muss Geld in die Hand genommen werden, und es darf nicht zulasten der Verbraucher abgewickelt werden. Das ist unsere ganz klare Forderung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin der Meinung, dass man diesbezüglich auch eine politische Einigung erreichen kann.

Wir sind offen für und gespannt auf die Vorschläge, die seitens der Regierung angekündigt worden sind. Den ersten Spiegelstrich Ihres Entschließungsantrags finde ich inhaltlich richtig. Die Frage ist: Wie wird das in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten mit Leben gefüllt?

Vielleicht hat der neue Verkehrsminister Wüst ja irgendwann seine Einarbeitungsphase beendet und stellt uns hier etwas vor. 100 Tage hat er Zeit, danach wollen wir aber etwas von ihm sehen. Wie sieht das Maßnahmenpaket, das Herr Kollege Rehbaum vorhin angekündigt hat, denn aus?

Klar ist: Es muss einen Mix aus Maßnahmen geben; denn der Verkehr der Zukunft wird ein Mobilitätsmix sein aus Individualmobilität, ÖPNV, Carsharing und Radverkehr – vor allem mit E-Bikes, die massiv nachgefragt werden. Die Infrastruktur muss daran angepasst werden.

Wir sind deshalb – das meine ich wirklich ernst – gespannt auf Ihre Vorschläge. Es ist ja auch keine rein landespolitische Frage, sondern es spielen vielfältige bundespolitische Förderprogramme und weitere bundespolitische Aktivitäten hinein. Gefragt sind auch die Kommunen; denn jede Kommune entscheidet mit, wie sich der individuelle Verkehr vor Ort ausrichtet.

Haben wir genug Geld in der Hand, um die Infrastruktur für den ÖPNV in den Städten zu sanieren? In den nächsten Jahren steht da einiges an. Haben wir genug Geld, um die Bahnbrücken zu sanieren, damit die Leute auch andere Mobilitätsmöglichkeiten haben, als mit dem Pkw zu fahren?

Abschließend will ich noch ein Thema nennen, das wir in den letzten Tagen gar nicht diskutiert haben. Ein relevantes Thema ist, ob wir es in den nächsten Jahren schaffen, Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammenzubekommen; denn ein Teil der Stauproblematik und ein Teil des Problems der schlechten Luft ist auch darin begründet, dass sich die Pendlerströme in Nordrhein-Westfalen in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt haben.

1995 waren in Nordrhein-Westfalen etwa 2,1 Millionen Menschen tagtäglich mit dem Pkw über 50 km auf dem Weg zur Arbeit unterwegs. Mittlerweile sind es 4,8 Millionen Menschen.

Auch das ist ein Teil, an den man herangehen muss im Bereich der Wohnraumförderung und der Quartiersentwicklung. Wir müssen schauen, ob wir es nicht schaffen können, Wohnen und Arbeiten näher zusammenzubekommen, damit sich nicht alle 4,8 Millionen Menschen tagtäglich auf den langen Weg zur Arbeit machen müssen. Da sind wir auf Ihre Vorschläge gespannt. Wir sind offen für die Diskussion.

Wir haben selbst heute keinen Grünenantrag vorgestellt. Ich finde aber, dass sich sowohl im Antrag der Regierungsfraktionen als auch im SPD-Antrag viel Vernünftiges findet.

Zur AfD muss man ehrlich sagen: Wer bis 2050 den Diesel und anderes fordert, Herr Blex – er ist nicht mehr anwesend –, den kann man nicht wirklich ernst nehmen. Da hätte am Ende Ihrer Rede nur noch gefehlt, dass Sie ausgeführt hätten, die Erde sei eine Scheibe. Das hätte Ihren Antrag noch abgerundet. Da ist so viel Unsinn drin, dass es wirklich nicht der Rede wert ist. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klocke, Sie haben zu Beginn Ihres Beitrags zur Sachlichkeit aufgerufen. Ich bedanke mich auch für Ihre sehr freundlichen Worte. Wenn Sie aber den Sprechern der Regierungsfraktionen vorwerfen, dass sie sich aufgrund des Beitrags von Herrn Löcker etwas energischer zu Wort gemeldet hätten, will ich doch an die Überschrift des Antrags der SPD-Fraktion erinnern. Dort heißt es: „CDU und FDP steuern mit Vollgas ins Diesel-Fahrverbot!“

Sie erwähnen freundlicherweise ein von mir vorgestelltes Programm, das ich weiterentwickelt habe, aber in Kenntnis der Vorläuferaktivitäten auf diese Weise vorgestellt habe. So stehen wir nach etwa 70 Tagen Regierungshandeln durchaus in Kontinuität.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wenn wir nach dieser kurzen Zeit schon mit Vollgas irgendwo in ein Dieselfahrverbot hineinfahren könnten, dann trauen Sie uns schon eine ganze Menge mehr zu.

(Arndt Klocke [GRÜNE]): Das ist aber doch nicht unser Antrag!)

– Herr Klocke, ja, aber das war doch die Debatte. Die Debatte bezog sich auf Anträge der SPD-Fraktion und der AfD-Fraktion. Da muss man ganz klar sagen: So geht es nicht! So einfach können wir uns das nicht machen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Dinge liegen schon etwas komplexer. Die niedrigeren Grenzwerte, die jetzt eingehalten werden sollen, sind auch nicht erst gestern beschlossen worden. Die sind vor einigen Jahren beschlossen worden. Vor diesem Hintergrund muss man sich kritisch fragen – auch die rot-grüne Landesregierung, lieber Herr Klocke –, ob Sie in den letzten Jahren tatsächlich alles Hinreichende unternommen haben. Das müssen wir uns immer kritisch fragen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]): Klar!)

Die von Ihnen angesprochenen Programme sind eingeleitet worden, aber sie sind sehr spät eingeleitet worden. Das muss man auch feststellen.

Herr Rehbaum hatte die Elektromobilität angesprochen. Im Zusammenhang mit der Elektromobilität hatte ich mir überlegt, wie wir hier in die Offensive kommen können. Deshalb haben wir das Sofortprogramm für die Elektroladestationen zusätzlich an den Start gebracht; denn im Moment haben wir in Nordrhein-Westfalen gerade mal 1.600 öffentliche Ladestationen. Wenn wir dieses Feld weiterentwickeln wollen, ist das ganz offensichtlich zu wenig.

Wir können nicht auf der einen Seite den Menschen sagen, der Diesel solle nicht mehr in die Innenstädte fahren dürfen, wenn wir ihnen auf der anderen Seite für Zukunftstechnologien noch keine Infrastruktur und Alternativen anbieten können. Das wäre völlig unverantwortlich!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deswegen können wir jetzt nur – da stehen wir alle, die wir irgendwann einmal in Verantwortung waren oder mitgewirkt haben, gemeinsam in der Pflicht – nach einem Maßnahmenmix suchen, womit wir Verlässlichkeit für die Verbraucherinnen und Verbraucher schaffen, womit den Umweltschutzzielen gedient ist und womit auch Innovation möglich wird. Das heißt für uns zunächst und vor allem, dass wir die Menschen jetzt nicht aufschrecken und sie auch nicht um ihr Eigentum bringen, indem wir Fahrverboten das Wort reden. Das kann nicht die Lösung sein. Vielmehr müssen wir uns selbst anstrengen und fragen, wo wir am besten ansetzen.

Ich fand sehr gut, dass wir uns überhaupt in der Diskussion befinden und dass es zwei Treffen auf Bundesebene gab, auch mit Beteiligung durch Länder und Kommunen. Da ist schon eine Menge erreicht worden; das müssen wir festhalten. Das ist noch nicht das Ende; ein zweiter Diesel-Gipfel ist angekündigt. Die ersten beiden Treffen haben immerhin schon zusätzliche Impulse gebracht, die wir in den letzten Jahren so nicht hatten.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Ich war gestern Abend vom WDR Hörfunk eingeladen, an einer Sendung in Aachen mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Fachvertretern teilzunehmen, die dort zu Wort kommen sollten. Da habe ich gelernt, dass wir, nachdem die Tram abgeschafft wurde, noch städtische Busse im Einsatz haben, die mit Diesel betrieben werden und zum Teil noch mit gelber Plakette durch die Städte fahren. Das ist nicht nur in Aachen so, sondern das finden Sie auch in anderen Städten.

Wenn jetzt – das will ich ad personam an den Ministerpräsidenten richten – dank des Ministerpräsidenten in dem zweiten Treffen der Bundeskanzlerin mit den Oberbürgermeistern erreicht wurde, ein Programm aufzulegen, mit dem wir sehr verantwortungsvoll – auch mit Blick auf die momentane Lieferfähigkeit anderer Antriebstechnologien und auch die Bezahlbarkeit moderner Antriebstechnologien – zunächst einmal die Städte in den Stand versetzen können, ihre alten Dieselbusse mithilfe von Katalysatoren umzurüsten, dann ist das doch genau das, was wir jetzt pragmatisch brauchen,.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dann müssen wir uns fragen, ob wir genügend Ladestationen haben. Da sind wir zum Handeln aufgerufen. Es gibt Schnellladestationen, Normalladestationen und auch Ladestationen, die man in privaten Haushalten fördern könnte. Da gehen wir jetzt ans Werk. Da gibt es ein Landesprogramm; auch der Bund hat ein Programm. Hier müssen wir die Städte ertüchtigen und motivieren, dass Sie daran teilnehmen, dass sie die Bundesmittel abrufen und die Infrastruktur verbessern.

Wir haben das Landesprogramm „Klimaneutrale Innenstadt“ modifiziert, Herr Klocke, weil wir den Eindruck hatten, wir sollten die Mittel, also die 80 Millionen €, viel zielgerichteter auf die Städte ausrichten, die jetzt durch die Grenzwertbelastung besonders unter Druck stehen.

Wir haben im ersten Call mit der Stadt Bonn bereits eine Gewinnerstadt gefunden, die genau diese Betroffenheit zeigt und ein sehr innovatives Konzept hat. Ich freue mich auch darüber, dass die Stadt Bonn mit neuen Mobilitätskonzepten direkt startet, weil sie im November den Klimagipfel beherbergt. Es wäre gut, wenn Bonn für Nordrhein-Westfalen und für Deutschland ein möglichst gutes Image vorweisen könnte. Weitere Städte werden im Wettbewerbsverfahren folgen.

Hier werden wir genau über das reden, was Sie angesprochen haben, Herr Klocke, nämlich neue Mobilitätskonzepte für den innerstädtischen Bereich. Natürlich brauchen wir auch in der Verbindung von Land und Stadt neue Möglichkeiten, um uns immissionsärmer in diesem Land bewegen zu können.

Ich möchte aber auch, was die Verantwortung auf Bundesebene, die Gipfel und auch die von Ihnen geübte Kritik, Herr Klocke, anbetrifft, noch eines sagen dürfen, weil Sie Ihre Kritik besonders an den Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin adressiert haben:

Ich verstehe ehrlich nicht – auch aus meiner Befassung der letzten zweieinhalb Monate und dem Versuch heraus, hier etwas angehen zu wollen –, warum in Baden-Württemberg ein grüner Ministerpräsident und ein grüner Oberbürgermeister von Stuttgart seit Jahren sehenden Auges – auch bei den besonderen Bedingungen, die man in Stuttgart kennt; die Tallage ist nichts Neues –, so agiert haben und nicht schon viel intensiver daran gearbeitet haben, eine solche Situation für die deutsche Automobilindustrie – fern von den Betrügereien, die stattgefunden haben – in der Autostadt Stuttgart zu vermeiden. Viele Maßnahmen, die ich hier angesprochen habe, hätte man in Stuttgart seit Jahren unternehmen können. Da hätte es im Übrigen auch nicht am Geld gefehlt, wenn ich das mal so sagen darf.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Aber von Herrn Kretschmann war im Kontext der gesamten Dieselthematik eher große Zurückhaltung zu vernehmen. Ich finde, hier sollten wir ehrlicher miteinander sein, der Sache zugewandt bleiben und ehrgeizig bleiben, die Ziele, die wir uns alle vorgenommen haben, auch mit redlichen Mitteln umzusetzen. Da ist eine Menge zu tun – in Nordrhein-Westfalen, in den Kommunen, aber sicherlich auch auf Bundesebene.

Ich möchte noch einen Gedanken zum Thema „Elektromobilität“ einbringen, die auch von Herrn Rehbaum angesprochen worden ist. Ich kann nur nachdrücklich unterstreichen: Ich denke, dass wir eine große Chance haben, gerade hier in Nordrhein-Westfalen und im Kontext einer solchen Diskussion, wie wir sie jetzt für den Autostandort Deutschlands führen, dass Nordrhein-Westfalen seine besonderen Fähigkeiten im Bereich der Elektromobilität noch stärker zur Entfaltung bringt – indem wir zum einen die Infrastruktur dafür bereithalten und indem wir uns zum anderen um die Frage kümmern: Was haben wir schon an unternehmerischem Potenzial?

Es ist wirklich ein Glücksfall – so können wir nur feststellen –, dass wir in Aachen ganz hervorragende Ingenieure haben, die schon neue Mobilität entwickelt haben und noch weiterentwickeln: Da gibt es den StreetScooter und den „e.GO Life“; weitere Kleinbusse sind im Gespräch. Wir haben aber auch das Unternehmen Ford, das in Köln darüber nachdenkt, seinen Konzern umzubauen. Dort wird versucht, die Europazentrale in Köln weiterzuentwickeln über Hybridantriebe hin zur Elektromobilität. Das wird große Umbaumaßnahmen im Konzern erfordern, auch am Standort. Auch das müssen wir in den nächsten Jahren begleiten.

Hierin liegt ein großes Potenzial in Nordrhein-Westfalen, auch aufseiten der kleineren und der mittleren OMs, wenn ich das mal so sagen darf, die die Autos bauen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie ...

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Das betrifft auch die Zulieferer. Wir haben viele Zuliefererbetriebe, die sich schon heute auf dieses Thema spezialisiert haben und hier ein Wachstumspotenzial sehen.

Wir haben aber auch Chemieunternehmen in Nordrhein-Westfalen, die zusammen mit Bosch und anderen daran arbeiten, mit neuen Grundstoffen leichtere Batterien zu entwickeln.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister …

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Und last not least – das möchte ich auch erwähnen – haben wir eine ganz tolle Elektrochemieforschung in Nordrhein-Westfalen. Ich will nicht ohne Stolz sagen, dass wir diese Elektrochemieforschung, die in Nordrhein-Westfalen wie in ganz Deutschland in den 70er-Jahren abgebaut worden ist, in der damaligen schwarz-gelben Koalition hier in Nordrhein-Westfalen sehr massiv wieder haben ausbauen können. Das gilt auch für Baden-Württemberg; das will ich noch hinzufügen.

Wenn Sie sich die Forschungslandschaft ansehen, erkennen Sie, dass Nordrhein-Westfalen im Bereich der Batterietechnologie mit Baden-Württemberg auf Augenhöhe steht. Es gibt in Deutschland kein anderes Bundesland, das diese Forschungsfähigkeiten hat. Das zusammengenommen sollte uns auch in dieser Debatte ein bisschen optimistischer stimmen, sodass wir sagen: Wir haben Gegenwartsprobleme, aber wir haben auch Lösungen für die Zukunft, wie wir es besser machen können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie. Geben Sie mir bitte ein kurzes Signal: Es gibt den Wunsch von Herrn Blex, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Möchten Sie die zulassen? – Bitte sehr.

Dr. Christian Blex*) (AfD): Herr Dr. Pinkwart, Sie haben eben sehr schön Ihre Hoffnung ausgedrückt, dass es mit der Forschung in der chemischen Energiespeicherung besser würde. Das ist auch richtig so. Wissen Sie aber, dass die Energiedichte von Akkus nur ein Zehntel von der von Brennstoffen beträgt? Wissen Sie, dass die Zyklenstabilität der Akkus überhaupt noch nicht gesichert ist? Und wissen Sie auch, dass der Quantensprung, den man hier bräuchte, in den nächsten 30 bis 40 Jahren überhaupt noch nicht absehbar ist?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Blex, Sie wissen auch: eine Frage!

(Vereinzelt Heiterkeit – Dr. Christian Blex [AfD]: Das gehörte zusammen!)

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Abgeordneter, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, wer von Ihnen in Berlin schon einmal die U55 genutzt hat, die kürzeste U-Bahn der Welt zwischen dem Berliner Hauptbahnhof und Unter den Linden.

Wenn Sie Unter den Linden aussteigen, sehen Sie schöne Schwarz-Weiß-Fotos von den Bahnhofsvorplätzen Berlins in 1895, 1900 und 1905. Zu sehen sind unter anderem der Hamburger Bahnhof und der Lehrter Bahnhof. Auf den Fotos von 1895 sehen Sie vor den Bahnhöfen Berlins überall nur Pferdedroschken. Auf den Fotos von 1905/1910 erblicken Sie nur noch motorisierte Fahrzeuge.

So ist es auch mit dieser neuen Technologie. Das ist destruktiv, was wir im Moment erleben, weil die Technologien in Teilen noch nicht so leistungsfähig sind wie die, die schon jetzt am Markt eingeführt sind. Die Reichweite ist noch nicht so gut, auch die Leistungsfähigkeit ist noch besonders. Aber eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen:

(Zuruf von der SPD)

Wenn eine Nation wie die Volksrepublik China, die pro Jahr fünfmal mehr Autos produziert als die Bundesrepublik Deutschland, die klare Vorgabe setzt, andere Antriebstechnologien in den Mittelpunkt ihrer Entwicklung zu stellen, wird es nicht lange dauern, bis solche Technologien massenfertig eine große Leistungsfähigkeit entfalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte sicherstellen, dass Deutschland in der Lage ist, saubere, verlässliche Diesel- und Ottomotoren herzustellen, die in der Welt keinerlei Grenzwerte fürchten müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte aber auch, dass Deutschland dabei ist, wenn es um neue Antriebstechnologien geht. Wenn wir bei diesen Technologien weiter vorne mit dabei sein wollen, wünsche ich mir, dass das vor allen Dingen mit Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen gelingt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart. – Ich habe jetzt noch eine Wortmeldung des Kollegen Stinka für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege.

André Stinka (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den Vorreden, die die regierungstragenden Fraktionen gerade abgeliefert haben, werden sie nicht gerne hören wollen, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe.

(Beifall von der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag heißt: „… steuern mit Vollgas ins Diesel-Fahrverbot!“. Ich könnte das ergänzen: „…steuern mit Vollgas dahin, Verbraucherinteressen mit Füßen zu treten“; denn in keiner Ihrer Wortmeldungen ist auch nur einmal die Verantwortung der Automobilkonzerne deutlich angesprochen worden

(Zuruf von der CDU: Mehrfach! – Zurufe von der FDP)

oder die Tatsache, dass Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher im Regen stehen gelassen wurden. Keiner von Ihnen, von der sogenannten neoliberalen Koalition, hat das hier erwähnt.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Kolleginnen und Kollegen, der Aufschrei macht es deutlich.

(Unruhe)

Sie werfen Nebelkerzen, wenn Sie von der mangelnden Bereitschaft der Kommunen, etwas zu tun, sprechen. Schuld sind die großen Automobilkonzerne, die den Verbraucher im Regen stehen lassen und ein bisschen weiße Salbe verteilen – mit einem Software-Update, das nicht einmal rechtssicher ist! Und Sie versuchen hier, mit Nachrüstsätzen und Elektromobilität bei Müllfahrzeugen in Städten davon abzulenken.

(Unruhe)

Wir Sozialdemokraten – so viel zum Thema Altparteien – setzen uns für die Interessen der Verbraucher ein, aber die Verbraucher stehen im Regen.

(Zurufe von der CDU)

Hier ist dringend eine Nachrüstung erforderlich.

(Beifall von der SPD)

Wenn der Kollege der FDP hier salbungsvoll seine erste Rede hält und sagt: „Ja, das ist alles schwierig und problematisch“, dann erinnere ich nur daran, dass Ihr Parteivorsitzender in der Diskussion noch die Grenzwerte von Luftschadstoffen infrage gestellt hat. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen gesund leben können. Darauf sind wir als Sozialdemokraten stolz.

(Zuruf von der CDU)

Die Menschen haben nicht die Möglichkeit, woanders hinzuziehen – und darum geht es hier in dieser Debatte. Niemand von CDU und FDP hat das auch nur einmal erwähnt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das stimmt nicht!)

Eine Nebelkerze nach der nächsten!

Sie kommen dann zu Ihrem wunderbaren Sofortprogramm „Elektromobilität“. Diejenigen, die schon länger in diesem Haus sind, wissen genau, dass es darauf ankommt, wie der Strom produziert wird. Sie aber blockieren die Windkraft und schreiben dann groß, dass Sie Elektromobilität fördern wollen – und das auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Pinkwart, Sie sprechen dann von einem geschlossenen Konzept. Das ist ein geschlossenes Konzept – das muss man deutlich sagen –, das die Verbraucher im Regen stehen lässt. Hier wird ein Ablasshandel mit den Automobilkonzernen betrieben,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

indem mit einem Softwareprogramm, für das es keine rechtliche Sicherheit gibt, die Emissionen um 10 % gesenkt werden, während Sie in Berlin beim ersten Dieselgipfel von Ihrer Kanzlerin im Stich gelassen wurden. Wo war sie denn? Im Gebirge; sie hat Urlaub gemacht, Herr Hovenjürgen! Da war sie. Da hat sie ihre Verantwortung wahrgenommen!

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)

Sie sprechen dann von Verantwortung. Das ist reinster Unfug! Sie werden nicht erleben, dass wir Ihnen diese Politik auf dem Rücken der Menschen durchgehen lassen.

(Unruhe)

Es gilt, sich für Verbraucherschutz und für Gesundheitsschutz einzusetzen.

(Zuruf von der FDP: Wer macht Verbraucherschutz in der Bundesregierung?)

Wer über den Standort Nordrhein-Westfalen spricht…

(Zuruf von Marcus Pretzell [AfD])

– Die AfD sollte sich besser gar nicht melden. Wenn es nach Ihnen ginge, hätten wir noch Grenzwerte aus der Steinzeit. Die gelten heute aber nicht mehr, Herr Pretzell.

(Beifall von der SPD – Unruhe)

Deswegen noch mal ganz deutlich: Es geht hier um die Menschen, die Industrie und eine Zukunftsperspektive. Was wir gehört haben, war ein Blick zurück mit weißer Salbe für die Konzerne.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stinka. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir dann am Schluss der Aussprache sind und zur Abstimmung kommen können.

Zunächst stimmen wir über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/513 ab. Die antragstellende Fraktion der SPD hat direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags abstimmen lasse. Wer dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/513 zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Wer stimmt gegen den Inhalt des Antrags? – Das sind die Abgeordneten der CDU, der FDP und der AfD. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich enthalten wollen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag Drucksache 17/513 mit dem festgestellten Ergebnis abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/615. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich der Stimme enthalten? – Das sind die Abgeordneten der AfD. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/615 angenommen.

Drittens lasse ich abstimmen über den Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/518. Die antragstellende Fraktion der AfD hat ebenfalls direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des


Antrags abstimmen lasse. Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der AfD. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich der Stimme enthalten wollen? – Das ist nicht der Fall. Der Antrag Drucksache 17/518 hat dann nicht die Mehrheit des Hauses gefunden und ist abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit, wie bereits angekündigt, noch zu Tagesordnungspunkt 8 – neu.

8   Wahl eines stellvertretenden Mitglieds der Medienkommission der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)

Wahlvorschlag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/651

Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen, sodass wir direkt zur Abstimmung über diesen Wahlvorschlag kommen können.


Wer dem Wahlvorschlag zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksache 17/651 mit den Stimmen der AfD bei Enthaltung der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen so angenommen und die darin genannte Person gewählt.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Sitzung angelangt.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 11. Oktober 2017, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Nachmittag, eine gute und sichere Heimreise und ein schönes Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 15:22 Uhr.

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.