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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/52

16. Wahlperiode

20.02.2014

52. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 20. Februar 2014

Mitteilungen der Präsidentin. 5063

Änderung der Tagesordnung. 5063

1   Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Landesregierung verursacht Chaos beim Inklusionsprozess – Kinder, Schulen und Kommunen werden im Stich gelassen – Qualität und Finanzierung sind bis heute ungesichert

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5083. 5063

Ministerin Sylvia Löhrmann. 5063

Christian Lindner (FDP) 5066

Norbert Römer (SPD) 5069

Armin Laschet (CDU) 5072

Reiner Priggen (GRÜNE) 5073

Monika Pieper (PIRATEN) 5076

Peter Biesenbach (CDU) 5077

Marc Herter (SPD) 5079

Sigrid Beer (GRÜNE) 5081

Monika Pieper (PIRATEN) 5082

Ministerin Sylvia Löhrmann. 5083

Peter Biesenbach (CDU) 5086

Christian Lindner (FDP) 5086

Ministerin Sylvia Löhrmann. 5088

2   Auf eine erneute Erhöhung der Grunderwerbsteuer in Nordrhein-Westfalen verzichten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5031. 5088

Ralf Witzel (FDP) 5088

Michael Hübner (SPD) 5089

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 5090

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 5091

Dietmar Schulz (PIRATEN) 5092

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 5093

Ergebnis. 5095

3   Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfa-len und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes – 14. Rundfunkände-rungsgesetz –

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4950

erste Lesung. 5095

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 5095

Alexander Vogt (SPD) 5097

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 5098

Oliver Keymis (GRÜNE) 5100

Thomas Nückel (FDP) 5102

Daniel Schwerd (PIRATEN) 5104

Alexander Vogt (SPD) 5105

Thorsten Schick (CDU) 5107

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 5109

Ergebnis. 5110

 

 

 

4   Chemische Industrie muss Motor des Industriestandortes Nordrhein-West-falen bleiben: Landesregierung muss heute Grundlagen für Wachstum von morgen schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5040. 5110

Hendrik Wüst (CDU) 5110

Guido van den Berg (SPD) 5111

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 5112

Dietmar Brockes (FDP) 5113

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 5114

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 5116

Ergebnis. 5117

5   Untersuchungsausschuss ist wichtiger Schritt zur Aufklärung der Spionageaffäre

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5029. 5117

Daniel Schwerd (PIRATEN) 5117

Thomas Stotko (SPD) 5117

Gregor Golland (CDU) 5119

Monika Düker (GRÜNE) 5121

Dr. Robert Orth (FDP) 5121

Minister Ralf Jäger 5122

Daniel Schwerd (PIRATEN) 5122

Dr. Robert Orth (FDP) 5123

Ergebnis. 5123

6   Kassenkredite gefährden die kommunale Selbstverwaltung – Das Land hat die Kommunen vor ausufernder Verschuldung zu schützen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5033. 5123

Ergebnis. 5123

7   Chancen nutzen – Kommunale Kooperationen verbessern

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5039. 5123

Ergebnis. 5123

8   Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-West-falen (Meldeauflagen als polizeiliche Standardmaßnahmen)

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5038

erste Lesung. 5123

Theo Kruse (CDU) 5123

Andreas Kossiski (SPD) 5124

Verena Schäffer (GRÜNE) 5125

Dr. Robert Orth (FDP) 5126

Dirk Schatz (PIRATEN) 5126

Minister Ralf Jäger 5128

Ergebnis. 5128

9   Von Bürgern und Unternehmen zu viel gezahlte Rundfunkbeiträge müssen vollständig zurückerstattet werden – Anstehende Ministerpräsidentenkonferenz für spürbare Senkung des Rundfunkbeitrags nutzen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5035. 5129

Thomas Nückel (FDP) 5129

Alexander Vogt (SPD) 5130

Thorsten Schick (CDU) 5130

Oliver Keymis (GRÜNE) 5131

Daniel Schwerd (PIRATEN) 5133

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 5134

Ergebnis. 5135

10 Nordrhein-Westfalens analoges und digitales Kulturerbe gemeinsam bewahren! – Status Quo ermitteln, Zukunftsvision entwickeln, Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen bündeln

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5027. 5135

Lukas Lamla (PIRATEN) 5135

René Schneider (SPD) 5136

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 5137

Oliver Keymis (GRÜNE) 5138

Ingola Schmitz (FDP) 5139

Ministerin Svenja Schulze. 5140

Ergebnis. 5141

11 Verbraucherinnen und Verbraucher im Netz schützen – Freiheit des Internets sichern!

Große Anfrage 8
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3704

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/4930. 5141

Matthi Bolte (GRÜNE) 5141

Inge Blask (SPD) 5143

Christina Schulze Föcking (CDU) 5143

Henning Höne (FDP) 5144

Frank Herrmann (PIRATEN) 5146

Minister Johannes Remmel 5147

Lisa Steinmann (SPD) 5148

Thorsten Schick (CDU) 5149

Matthi Bolte (GRÜNE) 5151

Frank Herrmann (PIRATEN) 5151

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 5152

Ergebnis. 5153

Verabschiedung des Abteilungsleiters Dr. Wolfgang Gärtner 5153

Nächste Sitzung. 5153

Entschuldigt waren:

Minister Garrelt Duin

Ministerin Ute Schäfer  
(ab 15 Uhr)

Minister Guntram Schneider

Frank Börner (SPD)

Inge Howe (SPD)

Eva Steininger-Bludau (SPD)

Ilka von Boeselager (CDU)

Dr. Wilhelm Droste (CDU)

Norbert Post (CDU)     
(ab 15 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 13 Uhr)

Karlheinz Busen (FDP)

Stefan Fricke (PIRATEN)

Dr. Joachim Paul (PIRATEN)

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)


Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 52. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich insgesamt zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung will ich Sie darüber unterrichten, dass wir, wie bereits gestern mitgeteilt, die heutige Tagesordnung ändern werden. Die Landesregierung hat bekanntlich für heute als Tagesordnungspunkt 1 eine Unterrichtung angemeldet, die in Übereinkunft mit den Fraktionen mit der ursprünglich als Tagesordnungspunkt 1 vorgesehenen Aktuellen Stunde verbunden wurde. Die Rednerreihenfolge und die jeweiligen Redezeiten ergeben sich aus der aktuellen Tagesordnung.

Zweitens. Auf Wunsch der antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben die Fraktionen übereinstimmend das Beratungsverfahren in Tagesordnungspunkt 6 und Tagesordnungspunkt 7 geändert. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, eine Aussprache heute nicht durchzuführen. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgen. – Ich sehe hiergegen keinen Widerspruch. Dann verfahren wir entsprechend.

(Unruhe)

– Ich würde mich sehr freuen, wenn der Geräuschpegel jetzt mit Eintritt in die Tagesordnung sinken würde. – Ich rufe jetzt nämlich auf:

1   Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Landesregierung verursacht Chaos beim Inklusionsprozess – Kinder, Schulen und Kommunen werden im Stich gelassen – Qualität und Finanzierung sind bis heute ungesichert

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5083

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 18. Februar dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem zuerst genannten Thema zu unterrichten.

In Verbindung damit behandeln wir die Aktuelle Stunde, die die Fraktion der FDP mit Schreiben vom 17. Februar dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik beantragt hat.

Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch Frau Ministerin Löhrmann, der ich jetzt das Wort erteile.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung im Oktober 2013 durch Art. 4 § 3 Abs. 1 des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes dazu verpflichtet, im Rahmen einer gesonderten Untersuchung unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände zu ermitteln, ob und welche finanziellen Auswirkungen für die Kommunen im Zusammenhang mit den Veränderungen des regionalen Schulangebots durch dieses Gesetz entstehen.

Diese Regelung war das Ergebnis einer Verständigung zwischen dem Land und den kommunalen Spitzenverbände, die letztlich dem gemeinsamen Willen entspringt, die UN-Behindertenrechtskon-vention zum Wohle der betroffenen Kinder und Jugendlichen schrittweise und so gut wie möglich umzusetzen.

Angesichts der näher rückenden Umsetzungsphase hatten sich die Beteiligten mit dem 31.01.2014 einen sehr anspruchsvollen zeitlichen Rahmen gesteckt. Über Verlauf und Stand der Gespräche möchte ich Sie heute informieren.

Unverzüglich nach der Verabschiedung des Gesetzes noch im November vergangenen Jahres haben wir einen entsprechenden Arbeitsprozess mit allen Beteiligten begonnen. Im Vorfeld hatten sich die Vertreterinnen und Vertreter des Landes und der kommunalen Seite über die Grundlagen für die Gespräche, die Gründung einer Arbeitsgruppe und deren Arbeitsweise verständigt. Diese Gruppe hat auf Arbeitsebene insgesamt sieben Mal unter Vorsitz von Herrn Staatssekretär Hecke getagt, erstmals am 19.11. letzten Jahres, letztmalig am 04.02. dieses Jahres.

Gegen Ende der Erarbeitungsphase haben wir auch mehrere flankierende und begleitende Gespräche auf politischer Ebene mit den Hauptgeschäftsführern, aber auch den Vorständen der kommunalen Spitzenverbände geführt. Nach meinem Eindruck waren diese Gesprächsrunden durchweg sachbezogen und konstruktiv. Hierfür bin ich ausgesprochen dankbar, vor allem auch den Fraktionsvorsitzenden der Regierungsfraktionen, die sich engagiert in die Gespräche eingebracht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zur Abschätzung der auf Schulträgerseite möglicherweise entstehenden Kosten hat mein Ministerium von der in der Gesetzesbegründung beschriebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Gutachter zu beauftragen. Im Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden hat die Landesregierung daraufhin Herrn Prof. Klemm mit der Aufgabe betraut. Er war im Übrigen auch einer der von den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagenen Experten.

Ziel des Gutachtens war es, eine bildungsökonomische Bewertung vorzunehmen. Herr Prof. Klemm war ausdrücklich nicht damit beauftragt, Aussagen zur rechtlichen Einordnung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes im Hinblick auf das Konnexitätsprinzip zu treffen. Beide Seiten – Land und Kommunen – hatten sich nämlich darauf verständigt, in Kenntnis ihres Dissenses zur Konnexitätsfrage zunächst die Chance einer einvernehmlichen Lösung im Vorfeld einer rein juristischen Bewertung zu ergreifen. Diese gemeinsame Zielsetzung schloss dabei im weiteren Verlauf die Möglichkeit der formellen Anerkennung oder Teilanerkennung der Konnexität durch das Land nicht aus.

Als zu untersuchende Gebietskörperschaften haben die Beteiligten die Stadt Krefeld und den Kreis Minden-Lübbecke ausgewählt. In der Arbeitsgruppe herrschte Einvernehmen darüber, dass diese Kommunen zwar nicht im wissenschaftsstatistischen Sinne repräsentativ für das ganze Land sind. Mit der bewussten Auswahl eines kreisangehörigen und eines kreisfreien Raumes sollte gleichwohl die Grundlage für eine Abschätzung der Gesamtkosten auf Landesebene geschaffen werden.

Neben der Auswahl der Bezugskommunen stand die Auswahl der relevanten Kostenblöcke im Mittelpunkt. Ohne Präjudizierung der Konnexitätsfrage wurden auf ausdrücklichen Wunsch der kommunalen Spitzenverbände auch mögliche Personalmehrkosten für nicht lehrendes Personal – zum Beispiel Schulpsychologen – in die Aufwendungen für sozialrechtliche Ansprüche auf Integrationshelfer untersucht. Damit war – ich stelle dies ausdrücklich klar – für beide Seiten keine Vorentscheidung über die unterschiedlichen Auffassungen zur rechtlichen Relevanz dieser Kostenblöcke verbunden. Ich habe ja gestern im Rahmen der Fragestunde ausführlich über die aktuelle Rechtsprechung in dieser Frage berichtet.

Meine Damen und Herren, Herr Prof. Klemm hat in nur wenigen Wochen und dennoch mit großer Sorgfalt in den ausgewählten Kommunen die in den kommenden drei Schuljahren zu erwartenden Kostenentwicklungen in den Blick genommen, und zwar aufgeteilt in zwei Kostenblöcke. Kostenblock I umfasst Mehraufwendungen der Schulträger durch zusätzlichen Raumbedarf, Herstellung von Barrierefreiheit, Schülerbeförderung und Bereitstellung zusätzlicher Lehrmittel – also klassische Schulträgeraufgaben.

Kostenblock II umfasst Ausgaben für Integrationshilfe, Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und Ganztag.

Für den Kostenblock I hat der Gutachter auf der Basis der aus beiden Kommunen eigenverantwortlich zugelieferten Daten für das ganze Land und die kommenden drei Jahre Kosten in Höhe von 76 Millionen € und für den Kostenblock II Kosten in Höhe von 37,5 Millionen € ermittelt – wie gesagt, diese Zahlen immer für drei Jahre.

Prof. Klemm weist ausdrücklich darauf, dass, bedingt durch die Setzung dieses Zeitraums die zu erwartenden Entlastungseffekte insbesondere durch das Auslaufen von Förderschulen noch nicht sichtbar werden. Eine abschließende verlässliche Bewertung ob das 9. Schulrechtsänderungsgesetz dauerhaft Mehrkosten bei den Kommunen als Schulträger verursacht, ist daher zum jetzigen Zeitpunkt im Grunde noch nicht möglich. Darum gibt es längere Evaluationszeiträume.

Im Übrigen leiten sich die gewonnenen Ergebnisse nicht in allen Punkten aus dem Gesetzestext ab und beruhen zum Teil auch auf vom Gutachter selbst gesetzten fachlichen Annahmen. Diese Annahmen werden nicht in jedem Einzelfall vonseiten der kommunalen Spitzenverbände vorbehaltlos akzeptiert, etwa das Konzept der Schwerpunktschulen.

Darüber hinaus war Prof. Klemm in einigen Bereichen – sei es aus Zeitgründen, sei es aufgrund unzureichender Datenlage – gezwungen, Schätzungen vorzunehmen. Das sagt er aber immer selbst. Hieraus leiten sich unvermeidlich gewisse Ungenauigkeiten her. Dennoch waren die kommunalen Spitzenverbänden im Sinne eines konstruktiven Beratungsprozesses bereit, die erstellten Prognosen mangels Alternativen als Orientierung für die angestrebte Einigung zu akzeptieren.

Um den nachvollziehbaren Belangen beider Seiten Rechnung zu tragen, war und ist die Landesseite zu folgendem Angebot bereit, das sich an den Zahlen des Klemm-Gutachtens orientiert und juristische Positionen teilweise zurückstellt – Sie mögen an diesem Angebot die Einigungsbereitschaft des Landes erkennen –:

Erstens. Die Kommunen erhalten ab dem Schuljahr 2014/2015 eine pauschalierte Zuwendung in Höhe von 25 Millionen € jährlich für investive Maßnahmen zur Förderung der Inklusion. Deren Verteilung erfolgt auf der Grundlage des jeweiligen Anteils an den Schülerzahlen an allgemeinen Schulen. Um Planungssicherheit zu gewähren, bindet sich das Land sogar nicht nur für drei, sondern für fünf Jahre.

Zweitens. Der Forderung nach Anerkennung der Konnexität beim Kostenblock II kann das Land nicht entsprechen. Dies gilt insbesondere für etwaige bundesrechtlich begründete Individualansprüche gegen die kommunalen Träger der Sozial- und Jugendhilfe.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Gleichwohl erklärt sich das Land bereit, in multiprofessionelle Teams als zusätzliche Unterstützung zu investieren und ab dem Haushaltsjahr 2015 jährlich 10 Millionen € als freiwillige Leistung pauschaliert bereitzustellen. Wie sinnvoll solche multiprofessionellen Teams sind, haben zumindest die Mitglieder des Schulausschusses in der letzten Sitzung durch den Beitrag von Prof. Huber anschaulich bestätigt bekommen. Das ist wichtig für die systemische Unterstützung. Das wollen wir, das würden wir bereitstellen: 50 Millionen € obendrauf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Drittens. Die kommunalen Spitzenverbände haben in den Verhandlungen deutlich gemacht, dass ihre Mitglieder eine rechtliche Absicherung zugesagter Leistungen des Landes erwarten. Die Wunden der Regierung Rüttgers/Pinkwart scheinen wirklich sehr tief zu sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Anders kann ich mir das Misstrauen der kommunalen Spitzenverbände gegenüber dieser Landesregierung nicht erklären,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen und lebhafter Widerspruch von der CDU und der FDP)

die etliche Maßnahmen der Rüttgers-Regierung zurückgenommen hat

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

und die mit dem kommunalen Stärkungspakt von 4,6 Milliarden € reine Landesmittel ihren Beitrag dazu leistet, dass die Kommunen aus ihrer Verschuldungsfalle herauskommen. Diese Landesregierung hat gehalten, was sie gegenüber den Kommunen versprochen hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Trotzdem haben wir dieses Anliegen akzeptiert und ernst genommen. Wir haben daher angeboten, dem Landtag noch vor Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes – das ist ja erst der 1. August 2014 – entsprechende Gesetzentwürfe zuzuleiten, um all diese Maßnahmen, die 125 Millionen € und die 50 Millionen €, rechtlich leistungsmäßig abzusichern. Uns hätte interessiert, ob Sie dem dann zustimmen oder was Sie bieten würden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zur Erinnerung, meine Damen und Herren: Die Klagefrist für die Kommunen beträgt ein Jahr ab dem Zeitpunkt 1. August 2014, das heißt ein Jahr zusätzlich, anderthalb Jahre insgesamt. Die Kommunen haben also keinerlei Zeitnot, sich jetzt unbedingt entscheiden zu müssen, ob sie klagen oder nicht. Sie können die Entwicklung durchaus abwarten. Das möchte ich für die gesamte Öffentlichkeit noch einmal ausdrücklich deutlich machen.

Meine Damen und Herren, mit diesem Angebot zeigen wir, dass das Land trotz seines eigenen Konsolidierungsdrucks bereit ist, erhebliche zusätzliche Anstrengungen auch über seinen eigenen Zuständigkeitsbereich hinaus zu unternehmen. Wir investieren bereits mit den bis zum Jahr 2017 zusätzlich kalkulierten 3.200 Lehrerstellen rund 750 Millionen € in die Inklusion. Hinzu kommen weitere 100 Millionen € für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften aller Schulformen. Zusammen mit dem hier und heute erläuterten und nach wie vor stehenden Angebot an die kommunale Seite wird die Milliardengrenze überschritten, was Nordrhein-Westfa-len bereit ist, in die Inklusion zu investieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wie Sie der Presse entnehmen konnten, hat sich der Städte- und Gemeindebund in seiner Sitzung am 12. Februar 2014 nicht entschließen können, auf dieses Angebot einzugehen. Gerade im Hinblick auf die Kosten der Integrationshilfe stellt man dort Zusammenhänge her, auf die sich das Land nicht einlassen kann. Der Anspruch auf Integrationshelfer erwächst aus dem Sozialgesetzbuch des Bundes und richtet sich an die Kommunen als Träger der Sozial- und Jugendhilfe und eben nicht als Schulträger.

Offenbar hat auch der Vorstand des Landkreistages vorgestern zum Angebot des Landes zunächst negativ votiert. Der Städtetag hingegen hat sich gestern einstimmig dafür entschieden, unseren Vorschlag zu einem weiteren Gespräch anzunehmen. Ob der Landkreistag nun doch noch dazukommt, entzieht sich zumindest meiner Kenntnis. Wir, ich persönlich, die Fraktionen, die Landesregierung würden es sehr begrüßen, wenn wir uns nicht nur mit dem Städtetag, sondern mit allen kommunalen Spitzenverbänden treffen würden. Wir haben jederzeit deutlich gemacht, dass die Tür für Gespräche offen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie wichtig es ist, ernsthaft miteinander um eine Lösung zu ringen. Ich appelliere an alle Beteiligten, mit Augenmaß zu agieren, um gemeinsam doch noch zu einer Einigung zu kommen. Viele Beteiligte, insbesondere die Behindertenverbände – ich hoffe, Sie haben auch diese Pressemitteilung zur Kenntnis genommen –, werben dafür, dass wir uns einigen.

Ich habe auch mit Kommunalvertreterinnen und -vertretern gesprochen. Auch da sagen mir viele: Ja, wir wollen Unterstützung, aber wir wollen keinen Prinzipienstreit auf dem Rücken der Kinder. – Das sagen mir viele Kommunalvertreterinnen und Kommunalvertreter vor Ort.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

– Schön, dass Sie sich ein bisschen aufregen. – Die sagen: „Wir wollen keinen juristischen Streit ums Prinzip“,

(Zuruf von der FDP: Eben!)

sondern sie wünschen sich vom Land ein Signal der Unterstützung. Das habe ich wortwörtlich gehört.

(Armin Laschet [CDU]: Dann machen Sie’s doch! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Regen Sie sich doch mal wieder ab, Herr Laschet! – Meine Damen und Herren, ja, uns geht es um eine einvernehmliche und faire Lösung. Es liegt ein beachtliches Angebot zugunsten der Kommunen auf dem Tisch. Dieses Angebot ist mehr als ein Signal; das ist materielle Unterstützung für die Kommunen bei der Inklusion in Nordrhein-West-falen!

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ein Volumen von 175 Millionen € für einen zunächst garantierten Zeitraum von fünf Jahren mit der Bereitschaft – auch das will ich noch mal sagen –, die weitere Kostenentwicklung gemeinsam zu beobachten und, soweit erforderlich, nachzusteuern! Wir sind der festen Überzeugung, damit unserer Verantwortung für eine gelingende Inklusion in Nordrhein-Westfalen gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren, bei allem Verständnis für die Situation der kommunalen Haushalte können wir keinen Blankoscheck ausstellen. Das wäre aus Sicht der Landesregierung nicht verantwortbar. Wir können doch nun wirklich nicht für Leistungen eintreten, die der Bund den Kommunen übertragen hat. Das können wir verantwortlich nicht tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Hierzu interessiert mich insbesondere die Haltung von zwei Fraktionen, die Regierungserfahrung haben und für sich in Anspruch nehmen, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen. Herr Laschet, Herr Lindner, bekennen Sie Farbe! Wollen Sie den Kommunen für sozialgesetzliche Ansprüche, die auf den Bund zurückgehen, einen Scheck ausstellen und sagen: Das erkennen wir bedingungslos als konnexitätsrelevant an!? Das müssen Sie hier erklären, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der FDP)

Daran macht sich Regierungsfähigkeit fest,

(Kai Abruszat [FDP]: Ja eben!)

aber nicht daran, Herr Lindner, ob Herr Römer zwei oder drei Mal von Prinzipien gesprochen hat, und was ich zu dem sage, was Herr Römer gesagt hat. Die Koalition ist sich sehr einig in ihrem Angebot, sie ist sich sehr einig in ihrem Vorgehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Das macht es nicht besser!)

Meine Damen und Herren, eine Bitte zum Schluss: Im Zusammenhang mit Inklusion wird vielfach von Lasten gesprochen. Lassen Sie uns beusst von Leistungen sprechen, besser noch von Investitionen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich zumindest bin überzeugt: Das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen ist ein Gewinn für alle Kinder und ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Das ist im Übrigen in Nordrhein-Westfalen – das denken auch immer noch viele – keine Zukunftsmusik, sondern bereits heute in vielen Schulen und für 25 % der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf erlebte Praxis und gelebte Realität in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir fangen nicht bei null an; wir haben über 30 Jahre Erfahrung mit dem gemeinsamen Lernen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass diese positiven Erfahrungen für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen Selbstverständlichkeit und Normalität werden.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Es ist normal, verschieden zu sein. Auch darum geht es in diesem Hause bei diesem Thema. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lindner.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben heute eine Unterrichtung beantragt, aber Ihr Beitrag war ein Beispiel für politische Hilf- und Orientierungslosigkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Dass Sie tatsächlich noch die Chuzpe haben, Frau Löhrmann, die Regierungsfähigkeit von Union und FDP daran messen zu wollen, dass wir Ihnen Ihr verkorkstes Gesetz erklären sollen, das ist wirklich eine Frechheit.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von Ministerin Sylvia Löhrmann)

Wir haben den 20. Februar. Zum Sommer werden wir den Rechtsanspruch für Inklusion in Nordrhein-Westfalen dank Ihres politischen Willens realisieren. Ich hätte erwartet, dass Sie heute dem Landtag und damit der Öffentlichkeit sagen, was die Eltern, was die Schulen, was die Kommunen in den nächsten Wochen noch von Ihnen zu erwarten haben, damit die Inklusion nicht in einem Desaster endet.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Frau Ministerpräsidentin, nein, das hat Frau Löhrmann eben nicht getan. Frau Löhrmann hat hier über den Verfahrensstand bis heute – bis gestern Abend – berichtet. Frau Löhrmann hat die sattsam bekannten Angebote und Argumente noch einmal ausgebreitet. Sie hat noch einmal an die Kommunen appelliert, aber nicht die Konsequenz daraus gezogen, dass sich zwei kommunale Spitzenverbände bereits aus den Verhandlungen verabschiedet und ihr Angebot zurückgewiesen haben. Das ist doch der Stand.

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD)

Dann sagen Sie, die Tür sei weiter offen. Aber Sie haben Ihr abgelehntes Angebot nicht korrigiert – mit keinem Jota. Das hätte ich als Konsequenz aus dieser Diskussion von Ihnen erwartet, Frau Löhrmann.

(Zurufe von der SPD)

Wenn wir bilanzieren – das ist ja nicht die erste Debatte zum Thema „Inklusion“, die wir führen –, müssen wir sagen: Das grüne Prestigeprojekt der Inklusion in Nordrhein-Westfalen ist arg vom Scheitern bedroht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Idee war eine Inklusion ohne Qualitätsstandards. Das ist Ihnen in jeder Anhörung um die Ohren gehauen worden – sogar noch von den Sachverständigen, die Rote und Grüne selbst eingeladen haben.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Der Grund dafür – das werfe ich Ihnen, da Sie Pädagogin sind, nicht vor; ich glaube, dass Sie eine Sensibilität für qualitative Standards der Bildung haben –,

(Zurufe von der SPD: Ah! Hört, hört! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

dass Sie hier aber auf solche notwendigen Standards verzichtet haben, ist, weil Sie das Gesetz um die Vermeidung der Konnexität herumgebaut haben. Das war die Idee von Anfang an.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Jetzt haben Sie, Frau Löhrmann, Ihre Koalition und Ihren Koalitionspartner SPD in eine fatale Sackgasse manövriert. Denn jetzt zählt nicht mehr die Qualität, jetzt zählt die Quote. Jetzt geht es nicht mehr um das einzelne Kind und darum, dass die Inklusion in der Praxis gelingt,

(Armin Laschet [CDU]: So ist es!)

sondern jetzt geht es um die Papierform und darum, irgendwie damit durchzukommen.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Das sagen Ihnen nicht nur wir, sondern das ist doch auch längt die Diskussion unter den sozialdemokratischen und den grünen Kommunalpolitikern.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Ich zitiere einen einzigen beispielhaft für andere, nämlich Herrn García Limia, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD in Viersen.

(Heiterkeit von Marc Herter [SPD] – Zurufe von der SPD: Ui! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Verehrte Anwesende, ich weiß gar nicht, warum ihr euch so aufregt, liebe Genossinnen, liebe Genossen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU – Heiterkeit und Zurufe von der SPD)

Wenn ein Sozialdemokrat etwas Kluges sagt, zitiere ich ihn gern. Ich wünschte mir mehr Gelegenheiten dafür.

(Zustimmung von der FDP und der CDU – Lachen von der SPD)

Hier das Zitat Ihres Genossen aus Viersen:

„Offensichtlich zählt hier inzwischen nur noch, dass eine Umsetzung erfolgt, egal wie. Dies ist jedoch nicht im Sinne der Inklusion.“

Der Mann hat recht.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Gegen die Umsetzung der Inklusion nach Kassenlage wehrt sich die kommunale Familie sehr zu Recht. Die Kommunen sind nicht nur Anwälte ihrer eigenen Finanzen, Frau Löhrmann. Die Kommunen sind auch Anwälte der Bildungsqualität für behinderte Kinder und Jugendliche. Dafür haben sie Respekt verdient.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Bemerkenswert ist, Frau Löhrmann, dass Sie sich tatsächlich – ich bewundere Ihr Selbstbewusstsein –

(Lachen von der SPD, von den GRÜNEN und Ministerin Sylvia Löhrmann)

hier vorn hinstellen und an die Kommunen appellieren, jetzt dürfe die Inklusion doch nicht scheitern, die Kommunen müssten sich bewegen. – Da warnt die Brandstifterin vor dem Feuer,

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Zurufe von der SPD: Pfui! – Nadja Lüders [SPD]: Wer legt hier Feuer? – Weitere Zurufe)

so wie Sie es hier gemacht haben. Das ist nämlich Ihr Gesetz.

(Nadja Lüders [SPD]: Wie ist denn Ihre Lösung? – Weitere Zurufe)

Frau Löhrmann hat es selbst in den „Aachener Nachrichten“ am 9. Oktober bekannt. An diesem Tag hat diese Zeitung sie folgendermaßen zitiert, die Inklusion sei ein „Poker“ zwischen Land und Kommunen um die Finanzierung.

(Widerspruch von Ministerin Sylvia Löhrmann)

– Sie schütteln mit dem Kopf. Das steht so in den „Aachener Nachrichten“ vom 9. Oktober.

Heute, am 20. Februar, können wir sagen: Sie haben sich verzockt, Frau Löhrmann.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Widerspruch von der SPD und von den GRÜNEN)

– Kollegen von der SPD, schütteln Sie doch nicht mit dem Kopf. Die jüngere Geschichte hat das doch belegt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nicht als hohle Phrasen!)

Frau Löhrmann hat monatelang jede Konnexität geleugnet.

(Zustimmung von der FDP und von der CDU)

Sie hat sich hierhin, in die Öffentlichkeit und in den Ausschuss gestellt und gesagt, das alles sei gar nicht konnexitätsrelevant; das müssten die Kommunen sowieso machen.

Dann, vor der Bundestagswahl, hat Norbert Römer gesagt, man müsse doch noch einmal darüber sprechen. Da hat die SPD-Landtagsfraktion die Notbremse gezogen, weil Frau Löhrmann die Koalition in eine unmögliche Lage gebracht hat. Sie haben doch selbst erkannt, dass der Weg nicht weiter fortzusetzen war.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Jetzt spricht Frau Löhrmann hier von der Einigungsbereitschaft der Landesregierung. Der hochgeschätzte Kollege Reiner Priggen

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN: Oh! – Minister Johannes Remmel: Das war ein Todeskuss! – Weitere Zurufe)

– zur Feier des Tages hat er sich heute sogar eine Krawatte angezogen –

(Heiterkeit von der FDP – Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

äußerte allen Ernstes im „WDR“: Die Kommunen sollten jetzt für das Angebot „danke schön“ sagen.

(Zustimmung von Reiner Priggen [GRÜNE])

Er erwarte auch mal einen Dank der Kommunen dafür, dass sich die Landesregierung bewegt habe.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zustimmung von Reiner Priggen [GRÜNE])

Das passt zu einem Zitat von Norbert Römer, der neulich gesagt hat: In diesen Verhandlungen mit den Kommunen solle man pragmatisch agieren und sich von Prinzipien lösen.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Das erste Prinzip, von dem Sie sich lösen, ist offensichtlich das Konnexitätsprinzip.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Lachen von der SPD)

Das ist doch die Konsequenz.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie verfolgen nur ein Prinzip: Phrasendreschen!)

Wenn die Kommunen Kostenfolgen, die Ihr eigenes Gutachten nachweist, vom Land ersetzt haben wollen, sagt die rot-grüne Landesregierung, die Kommunen sollten „danke schön“ sagen. Ich entgegne, weil Sie Union und FDP angesprochen haben, für die Liberalen: Nein, in unserer Landesverfassung steht das strikte Konnexitätsprinzip.

(Zurufe von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Wenn die Kommunen darauf bestehen, dass ihnen Kosten im Interesse der Qualität für Kinder und Jugendliche ersetzt werden, müssen sie eben nicht „danke schön“ sagen. Das ist nämlich ihr gutes Recht. Das sollten auch Sie beachten.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Es geht um die langfristigen Kostenfolgen. So anerkennenswert es ist, dass es eine Bewegung für die ersten Investitionen gibt, muss man über den Tag hinaus denken und die nächsten Jahre in den Blick nehmen. Das ist die Lehre aus der kommunalen Finanzmisere der vergangenen Jahre, die bis in die Gegenwart anhält.

(Zurufe von Ingrid Hack [SPD] und Sigrid Beer [GRÜNE])

– Die haben nicht wir verursacht, Frau Beer, ich bitte Sie. – Wenn sich eine Partei …

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Sie sind ja eine Parlamentarische Geschäftsführerin mit beschränkter Haftung.

(Heiterkeit von der FDP und der CDU)

Wissen Sie, Frau Beer, wenn Sie jetzt sagen: „Sie waren das mit der kommunalen Finanzmisere“, dann sage ich Ihnen: Es sollte sich keine Fraktion hier im Saal – vielleicht mit Ausnahme der Piraten – davon freisprechen, durch Gesetzgebung in Bund und Land ebenfalls dazu beigetragen zu haben, dass die Kommunen in einer schwierigen Lage sind.

Insbesondere Ihre Fraktion sollte das nicht tun; denn Sie haben seinerzeit rot-grüne Hartz-Gesetze ohne Konnexität verabschiedet, die vor allem die schwierige Lage der Kommunen verursacht hat. Das soll man nicht vergessen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von der SPD – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lindner.

Christian Lindner (FDP): Um den Punkt geht es mir jetzt aber gar nicht; ich war ja einen Schritt weiter. Ich wollte nur sagen, dass man aus der Erfahrung heraus – wo jeder hier seinen Anteil hat, wir ebenso wie Sie –die langfristigen Kostenfolgen von Gesetzen mitbetrachten muss.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Eine Frechheit ist das! – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Es reicht nicht, nur für zwei, drei, vier oder fünf Jahre zu finanzieren. Man muss dauerhaft Verantwortung übernehmen, wenn man sich im Land mit einem Rechtsanspruch auf Inklusion schmücken will.

(Zurufe von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Anders wird es nicht gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Reizbarkeit heute Morgen, insbesondere bei der SPD,

(Zurufe von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

ist das deutlichste Zeichen dafür, dass Sie dabei sind, die Inklusion – Ihr Prestigeprojekt – vor die Wand zu fahren,

(Beifall von der FDP und der CDU)

sonst würden Sie hier nicht so reizbar agieren. Das kenne ich gar nicht.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Im Handbuch für Regierungsarbeit von Rot-Grün im Bund stand: Gerhard Schröder muss sich über die Opposition ein bisschen beömmeln, sie aber am meisten ignorieren. – Sie haben durch Ihre Reizbarkeit heute Morgen gezeigt –

(Zurufe von der SPD: Was? – Eine Frechheit!)

insbesondere die SPD –, dass Sie erkannt haben, dass die grüne Schulministerin Sie in eine unmögliche Lage gebracht hat und Sie, teilweise wider besseren eigenen Wissens, Frau Löhrmann hier mit frenetischem Beifall feiern müssen. Ich sage Ihnen: Das wird Ihnen bei der Kommunalwahl und bei Ihren Genossinnen und Genossen vor Ort noch übel aufstoßen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von der SPD – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall von der FDP – Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Ich bitte die Rednerinnen und Redner und die Kolleginnen und Kollegen, die Zwischenrufe tätigen, die Grenze zu den unparlamentarischen Ausdrücken einzuhalten.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Gilt das auch für die Redner? – Nadja Lüders [SPD]: Auch bei den Rednern?)

Nächster Redner ist Herr Kollege Römer für die SPD-Fraktion.

Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Ministerin Löhrmann ausgesprochen dankbar dafür,

(Lachen von der CDU und der FDP)

dass sie dem Hohen Haus und auch der Öffentlichkeit dargelegt hat – ruhig und sachlich –, wie verantwortungsvoll, wie umsichtig

(Zurufe von der FDP: Oh!)

und wie konstruktiv diese Landesregierung und die beiden regierungstragenden Fraktionen mit den kommunalen Spitzenverbänden an einem wichtigen Thema arbeiten, nämlich daran, die schulische Inklusion in Nordrhein-Westfalen im Interesse der Kinder, der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer in einer Weise umzusetzen, dass sie auch gelingen kann. Das ist verantwortungsbewusstes Vorgehen, und so machen wir auch weiter.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der Unterschied zu dem, was der Kollege Lindner hier gerade – wenig fachlich fundiert, mit wenig Sachkenntnis – dampfplaudernd vorgetragen hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von der FDP)

Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Lindner, Sie sind immer noch im Karnevalsmodus. Kommen Sie da heraus!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Machen Sie es hier im Hohen Haus anders!

Die Landesregierung, die beiden Regierungsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen und die kommunalen Spitzenverbände haben sich in einer Vereinbarung dazu bereit erklärt, diesen Prozess verantwortungsbewusst anzugehen.

Ich weiß ja, dass Sie von der CDU und der FDP damals, im November letzten Jahres, auf die kommunalen Spitzenverbände sauer waren, weil Sie gehofft hatten, diese würden gleich zu Gericht gehen und sich nicht auf diesen Prozess einlassen. Sie sind aber verantwortungsbewusst;

(Zurufe von der CDU)

sie machen das, wie sich das gehört.

Und Herr Kollege Lindner, es geht nicht um ein grünes Prestigeobjekt; es geht darum, hier in Nordrhein-Westfalen die Konvention der Vereinten Nationen umzusetzen, im Interesse der Kinder, im Interesse der Eltern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und zwischen uns.

Dann will ich die kommunalen Spitzenverbände auch vor Ihrer Dampfplauderei in Schutz nehmen. Ich will Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, was wir gemeinsam vereinbart haben. Da heißt es in unserer Vereinbarung: Schulische Inklusion als gemeinsame Aufgabe.

(Zuruf von der CDU: Aber wie!)

Ich zitiere: Land und Kommunen bekennen sich zum Ziel der qualitätsvollen Umsetzung der durch Art. 24 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen völkerrechtlich normierten schulischen Inklusion in Nordrhein-Westfalen.

Herr Lindner, das ist etwas anderes als das, was Sie herablassend mit einem „grünen Prestigeobjekt“ hier in Nordrhein-Westfalen diffamieren wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist die Übernahme von Verantwortung und damit das Gegenteil von dem, was Sie hier machen.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Jetzt geht es darum – auch das werden Sie zur Kenntnis nehmen –, dass wir die Gespräche weiterführen. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis; dabei wiederhole ich noch einmal, was die Ministerin vorhin hier gesagt hat: Wir werden uns heute Mittag wieder mit Vertreterinnen mindestens eines kommunalen Spitzenverbandes zusammensetzen, um zu einem vernünftigen gemeinsamen Ergebnis zu kommen, wohl wissend, dass es unterschiedliche Interessenlagen gibt.

Herr Kollege Lindner, Sie reden von 175 Millionen € zunächst einmal für fünf Jahre. Aber wenn Sie zugehört hätten, bei dem was die Ministerin gesagt hat, wüssten Sie:

Das wird eine dauerhafte Aufgabe werden, Herr Kollege Lindner.

Weil Sie heute die Schublade „zahlen, zahlen, zahlen“ gezogen haben, würde ich von Ihnen gern wissen wollen, was Sie sagen, wenn Sie Ihre zweite Schublade „sparen, sparen, sparen“ ziehen und wenn wir darüber noch hinausgehen wollten, Herr Kollege Lindner. Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen. Wollen Sie, dass wir vernünftig mit Landesmitteln umgehen oder wollen Sie das nicht, Herr Kollege Lindner?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, wir haben unterschiedliche Interessen. Das ist doch keine Frage. Die kommunalen Spitzenverbände haben selbstverständlich die Interessen der 396 Städte und Gemeinden, der 30 Kreise und des einen besonderen Kreises in der Städteregion Aachen im Blick. Das ist auch deren Aufgabe. Ich mache denen überhaupt keinen Vorwurf, dass sie hart mit uns darum ringen, wie eine Kostenbeteiligung stattfinden kann.

Aber darüber, Herr Kollege Lindner, vergessen weder die kommunalen Spitzenverbände noch wir, dass es im Kern darum geht, diese Inklusion im Interesse der Kinder und der Familien zum Gelingen zu bringen. Das macht den Unterschied zwischen Ihnen und uns aus.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, ich nehme für uns in Anspruch: Wir haben und übernehmen auch diese Verantwortung. Wir haben auch Verantwortung für die Landesfinanzen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ja, Herr Kollege Lindner, Sie im Übrigen – wenn ich Sie bisher gehört habe – eigentlich doch auch. Normalerweise habe ich erwartet, dass Sie uns dafür kritisieren würden, dass wir so viel Geld in die Hand nehmen wollen, um den Kommunen zu helfen, die Inklusion zum Gelingen zu bringen. Das hätte ich von Ihnen erwartet, Herr Kollege Lindner.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Was liegt auf dem Tisch? Auf dem Tisch liegt ein, wie ich finde, gutes Angebot, mit dem wir uns einigen können. Selbstverständlich können und dürfen wir nicht Aufgaben als Land übernehmen, die nicht in unsere Verantwortung fallen. Das wissen die Kommunen auch.

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Ja!)

Schauen Sie einmal auf die Internetseite des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, ein kommunaler Verband, und der ist Dienstleister für seine Städte und Gemeinden. Er schreibt als Dienstleister für die Städte und Gemeinden auf seiner Internetseite – ich zitiere –:

„Aufwendungen für Integrationshelferinnen und Integrationshelfer für die individuelle Betreuung einer Schülerin oder eines Schülers, durch die die Teilnahme am Unterricht in der Allgemeinen Schule, der Förderschule oder der Schule für Kranke erst ermöglicht wird, zählen weder zu den vom Land NRW noch zu den vom Schulträger aufzubringenden Schulkosten, weil es diesen nicht als Pflichtaufgabe obliegt, den Schulbesuch durch Assistenzpersonal erst zu ermöglichen.“

Klare Aufgabenbeschreibung durch einen kommunalen Verband. Darum geht es doch.

Wir wollen dennoch – das hat die Ministerin gerade deutlich gemacht – auch in diesem Bereich freiwillig finanzielle Unterstützung als Land übernehmen. Dafür hätten wir von Ihnen Lob verdient und nicht Kritik, meine Damen und Herren von der Opposition.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mir ist klar, dass Ihnen auch ein weiteres Wahlkampfargument für die Kommunalwahl aus den Händen zu rieseln droht.

(Armin Laschet [CDU]: Fällt doch vom Himmel!

Ja, mir ist das klar. Ich habe auch mit Interesse zur Kenntnis genommen, wie Sie öffentlich und vor allen Dingen hinter verschlossenen Türen versucht haben, Einfluss zu nehmen auf das Verhalten Ihrer Vertreterinnen und Vertreter in den kommunalen Spitzenverbänden.

(Beifall von Rainer Schmeltzer [SPD] – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen jedoch auch eines, Herr Kollege Laschet: Die meiste Unterstützung, diesen Prozess so zu Ende zu bringen wie das Land das mit diesen finanziellen Mitteln, die wir angeboten haben, angelegt hat, habe ich aus der kommunalen Familie der CDU gehört, vor allen Dingen in den sogenannten ländlichen Bereichen. Die sagen mir: Herr Römer, es ist völlig richtig, was Sie gesagt haben.

(Armin Laschet [CDU]: Was?)

Die sagen: Ja, die kommunalen Spitzenverbände sollten nicht um der Prinzipien willen zu Gericht gehen, sondern sie sollten sich pragmatisch mit Ihnen darauf verständigen, dass es endlich finanzielle Hilfen gibt. Darauf warten sie, und sie warten nicht auf den Ausgang einer Klage vor dem Verfassungsgericht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir haben das angeboten, Herr Kollege Laschet.

Mir ist doch völlig klar, dass Sie jetzt schon Hosenflattern haben, weil es doch eventuell gelingen könnte,

(Lachen von Lutz Lienenkämper [CDU])

dass wir zu einer gemeinsamen Vereinbarung kommen können. Um zwölf Uhr wissen wir vielleicht ein bisschen mehr.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir reden weiter mit denen.

Meine Haltung ist bekannt. Ich sage in diesen Prozessen immer dazu: Lieber ein Gespräch mehr als eines zu wenig. Das ist kein Feilschen, sondern das ist das Ringen um einen vernünftigen, im Interesse aller gelingenden Kompromiss. Darauf kommt es an, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das werden wir weitermachen – heute und, wenn es notwendig ist, auch noch über einen längeren Zeitraum, weil wir bis zu Beginn des Schuljahres Klarheit haben wollen.

Sie können sicher sein: Diese Landesregierung, diese beiden Regierungsfraktionen wissen im Gegensatz zu Ihnen um ihre Verantwortung.

(Lachen von Lutz Lienenkämper [CDU])

Wir machen den Kommunen ein Angebot, das weit über das hinausgeht, was das Land nach Recht und Gesetz leisten müsste. Wir werden deshalb – das ist meine feste Überzeugung – auch denjenigen in den kommunalen Spitzenverbänden, die ebenfalls an einer pragmatischen Lösung interessiert sind, mit unserem guten Angebot viel Argumentationshilfe dafür geben, dass es innerhalb der kommunalen Spitzenverbände – hoffentlich – zu einer einheitlichen und dann gelingenden Auffassung kommt.

Ich bleibe zuversichtlich, werde Sie darüber informieren, wenn es gelungen ist, meine Damen und Herren. Bis dahin müssen Sie sich ein bisschen gedulden. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Laschet das Wort.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Römer, die FDP-Fraktion hatte heute eine Aktuelle Stunde beantragt. Die hätten wir machen können. Aber die Landesregierung hat entschieden, dass sie eine Unterrichtung macht, wahrscheinlich in der Erwartung, dass es etwas vorzutragen gäbe.

(Heiterkeit von der CDU)

Insofern, lieber Herr Römer: Wir wünschen Ihnen, dass das um zwölf Uhr gelingt. Wir wünschen Ihnen, dass es ein Ergebnis gibt. Dann machen wir morgen eine Sondersitzung. Dann kommt Frau Löhrmann noch einmal hierher. Dann kann sie vielleicht mal berichten, dass man ein Ergebnis hat. Das war heute nur Schau. Dafür hätten wir diese Unterrichtung heute nicht gebraucht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Viel Erfolg heute Mittag!

Ein Zweites: Das ist einfach zu billig. Ich habe ja selbst auch als Minister schwierige Verhandlungen

(Zurufe von Stefan Zimkeit [SPD], Hans-Willi Körfges [SPD] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

mit kommunalen Spitzenverbänden geführt. Wir haben ein Kinderbildungsgesetz gemacht.

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

– Da können Sie lachen.

(Zuruf von der SPD: Großartig!)

Der Unterschied ist nur, ...

(Zuruf: Das ist in Münster gelandet, Herr Laschet! – Weiterer Zuruf: Herr Laschet, da müssen Sie selbst schmunzeln! – Unruhe – Glocke)

– Es freut mich, wenn ich Ihnen in diesen Stunden, die für Sie so schwer sind, ein bisschen Freude machen kann.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD)

Aber zu diesem Gesetz haben alle drei kommunalen Spitzenverbände Ja gesagt. Ich wollte Ihnen ja nur klarmachen: Das kann man nicht, Herr Römer, wie Sie das hier eben geschildert haben,

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

parteipolitisch beeinflussen. Der Vorsitzende des Städte- und Gemeindebundes ist Sozialdemokrat und sagt Nein zu diesem Gesetz. Also hören Sie mit der Legendenbildung auf! Spalten Sie nicht die kommunale Familie, sondern liefern Sie!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber das, was wir im Moment erleben,

(Nadja Lüders [SPD]: Was sollen wir denn aus Ihrer Sicht liefern?)

sind Wochen der bildungspolitischen Offenbarungseide.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

– Sie sollten sich auch nicht über die Sorgen von Menschen lustig machen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Schauen Sie doch einfach mal in aller Gelassenheit in Ihre Laptops!

(Nadja Lüders [SPD]: Die dürfen wir ja nicht benutzen!)

Rufen Sie mal auf die Internetseite des Westdeutschen Rundfunks! Schauen Sie mal bei Facebook rein, wie sich im Moment Eltern über die gestrige Debatte zum Unterrichtsausfall äußern!

(Zurufe von der SPD)

Das war das erste Thema des Offenbarungseides.

Das zweite ist ein viel ernsteres Thema, weil es – da stimme ich Ihnen zu, Herr Römer – kein Prestigeprojekt ist, sondern ein Beschluss der Vereinten Nationen. Deshalb ist auch unser Anspruch an Sie, dass Sie das so machen, wie die Vereinten Nationen das vorgesehen haben. Am Ende muss es jedem einzelnen Kind besser gehen. Das, was Sie vorlegen, führt nicht dazu.

(Beifall von der CDU)

Frau Löhrmann redet nur über Quantitäten.

(Zurufe von der SPD)

Sie sagt, sie hat die Zahl der in der Regelschule untergebrachten Kinder erhöht. Das ist schön und gut. Aber was sagen wir denn dieser Mutter, die sich in „WESTPOL“ am letzten Sonntag geäußert hat? Die sagt: Ich stehe jetzt eigentlich im Regen und weiß gar nicht, was kommt, und weiß nicht, was im Zuwendungsbescheid steht. Nächste Woche sind Schulanmeldungen. Es ist noch völlig offen, an welcher Schule mein Kind beschult werden wird. Das ist total unbefriedigend.

Sie reden hier über irgendwelche Details, die Sie mit Klemm-Gutachten oder sonst was mit kommunalen Spitzenverbänden erörtern. Reden Sie mal über die Lehrer! Reden Sie über die Kinder! Reden Sie über die Mütter, die Sorgen haben in diesen Stunden!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben 128.000 Kinder in Nordrhein-Westfalen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Inklusion, die man macht, muss doch das Ziel haben, dass man auch in Zukunft Wahlfreiheit für die Eltern hat. Im Koalitionsvertrag haben Sie noch festgeschrieben: individuelle Wahlmöglichkeiten.

Aber jetzt sagen uns die Lehrerverbände und andere: Ihre Mindestgrößenverordnung führt dazu, gerade in den ländlichen Räumen, die Sie gerade zitiert haben, dass ein Drittel aller Förderschulen geschlossen wird. Wenn das geschieht, gibt es keine Wahlmöglichkeiten mehr.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb ist es erforderlich, diesen Prozess mit Geschick, mit Konsens mit allen, die das vor Ort machen – vielleicht noch mehr als beim Kinderbildungsgesetz, das ich eben zitiert habe –, zu gestalten. Hier ist der Konsens noch wichtiger, weil es um die Schwächsten in der Gesellschaft geht, um behinderte Kinder.

(Beifall von der CDU)

Das, was Sie machen, ist, mit der Brechstange Ihr System einfach quantitativ durchzusetzen

(Zurufe von der SPD)

und die Kommunen im Lande allein zu lassen mit den dauerhaften Kosten. Das ist das Problem, das Sie heute erörtern.

(Zuruf: Eine Frechheit ist das!)

– Sie rufen zu: Das ist eine Frechheit! – Ich würde Ihnen mal empfehlen, ernst zu nehmen, was einzelne Schulen Ihnen sagen. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht über Prinzipien streiten. Wir brauchen das Geld, um unsere Aufgabe zu erfüllen.

Was Sie aber machen, ist ein Prinzipienstreit. Deshalb sagen die kommunalen Spitzenverbände Nein zu Ihren Angeboten, weil sie wissen, auf Dauer verschieben Sie Lasten vom Land in die Kommunen. Das wäre noch ein normaler Streit zwischen Land und Kommune. Aber die Opfer sind die Kinder.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb widersprechen auch so viele Menschen in dieser Frage.

Ich hätte mir in diesen Wochen auch ein Wort des Innenministers gewünscht. Der Innenminister ist ja eigentlich der Minister, der auch die Interessen der Kommunen in einer Landesregierung artikulieren sollte. Und es müsste doch mal einer in diesen Verhandlungen sagen: Liebe Kollegen, liebe Frau Ministerin, liebe Frau Ministerpräsidentin, Konnexität ist keine Verhandlungsmasse, Konnexität ist ein Verfassungsrecht. – Das muss ein Innenminister hier mal vortragen. Stattdessen verhandeln Sie wie auf einem Basar.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt geht es darum – darauf bezieht sich der Streit –, das in ein konkretes Beispiel umzurechnen. Die meisten Menschen verstehen wahrscheinlich gar nicht, worüber hier im Moment eigentlich gestritten wird. An dieser Stelle geht es um die Frage, ob man anerkennt, dass es Folgekosten der Umsetzung der Inklusion im Schulbereich gibt. Das betrifft insbesondere die Inklusionshelfer.

Schauen wir uns das einmal für eine Stadt und einen ländlichen Kreis in Nordrhein-Westfalen an. Die Gutachter haben festgestellt, dass die Stadt Essen und der Kreis Borken zusammen jährlich 16 Millionen € für Personal und Betrieb aufbringen müssten, wenn das, was hier gefordert wird, nicht anerkannt würde.

(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie als Land die Standards nicht entsprechend setzen, wird die Folge sein, dass in diesen Städten, die oft notleitend sind,

(Zurufe von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Marc Herter [SPD])

am Ende nur auf Quantität geguckt wird. Dann werden die Kinder irgendeiner Schulform zugewiesen. Sie sitzen dann statt zu 28 zu 27 in der Klasse. Dem einzelnen Kind geht es aber schlechter als in einer guten Förderschule.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist unsere Kritik. Sie nehmen das, was die Vereinten Nationen Ihnen aufgetragen haben, nicht ernst.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Das geht von der Abschaffung der Sprachförderung für die Vierjährigen und der Tatsache, dass es keinen verpflichtenden Sprachtest mehr gibt, über den Unterrichtsausfall bis zur Inklusion und setzt sich am Ende auch bei den Hochschulen fort. Sie haben die gesamte Bildungskette vernachlässigt.

Das ganze Land – von Hochschullehrern bis zu Eltern von behinderten Kindern – wendet sich gegen diese Landesregierung, weil Sie in der Bildungskette mehr versagt haben als in jedem anderen Politikfeld! Und das ist unsere Kritik.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Laschet. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Fraktionsvorsitzende, Herr Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Obwohl ich gleich sehr viel Widerspruch zu Herrn Laschet habe, möchte ich an einer Stelle Danke sagen. Herr Laschet, Sie haben klargestellt, dass die Frage der Inklusion kein grünes Prestigeprojekt ist – Herr Lindner hatte das am Anfang ja als grünes Prestigeprojekt und zum Schluss als sozialdemokratisches Prestigeprojekt bezeichnet. Dass das klar ist, ist mir wichtig. Deswegen sage ich auch ehrlich Danke dafür.

Es ist richtig: Dabei handelt es sich um eine Arbeit, die wir für die Eltern machen, die wollen, dass für ihre Kinder das Beste erreicht wird. Das hat nichts mit Prestige zu tun. Wenn andere an der Regierung wären, müssten sie es genauso tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bei Teilen der eben geführten Debatte habe ich mich an mehrere Mütter erinnert gefühlt, die ich kennengelernt habe, als ich in meinem Aachener Wahlkreis eine Einrichtung besucht habe, in der Kinder mit Behinderung unter drei Jahren und im Kindergartenalter betreut werden. Diese Mütter kämpfen dafür, dass ihre Kinder eine Chance haben. Sie kämpfen dafür, dass ihre Kinder über die U3-Betreuung und den Kindergarten in der Schule eine Chance bekommen, am Leben teilnehmen zu können, vielleicht einen Beruf erlernen zu können und dann hoffentlich arbeiten zu können. Sie investieren viel Zeit, damit ihre Kinder diese Chance bekommen.

Es ist genau unsere Aufgabe, diejenigen, die das brauchen und die dafür kämpfen, zu unterstützen.

Es ist ein schwieriger Prozess. Das ist nicht zu bestreiten. Dies gilt gerade dann, wenn wir auch mit den Kommunen über Geld reden. Diese Landesregierung hat aber sehr viel für die Kommunen getan. Sie hat viel von dem, was in den Jahren vorher den Kommunen genommen wurde, wieder begradigt. Es ist richtig, dass wir jetzt miteinander ringen, was die Kosten der Inklusion angeht. Deswegen habe ich genauso wie Norbert Römer viel Respekt vor den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, mit denen wir verhandeln. Wir stehen aber in der Pflicht, sorgfältig mit den Geldern umzugehen, die wir zur Verfügung stellen, und im Einzelnen zu schauen, was wir überhaupt können.

Herr Kollege Laschet, weil Sie hier erzählt haben, Sie hätten schwierige Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt, kann ich Ihnen einen Hinweis nicht ersparen: Wir bezahlen jetzt die Zeche für das, was Sie in Ihrem Gesetz vergurkt haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Alleine 146 Millionen € dieses Jahr! Das ist das, was wir jetzt bezahlen. Insofern wäre ich da an Ihrer Stelle vorsichtig.

(Stefan Zimkeit [SPD]: So ist es!)

Ich finde es richtig, dass die Regierung eine Unterrichtung beantragt hat, weil es sehr wohl angemessen ist, sich im Parlament über das auszutauschen, was parallel und gleich ab 12 Uhr wieder in den Prozessen, in den Verhandlungen läuft. Darüber hat die Regierung informiert. Ich will das gerne für meine Fraktion aus unserer Sicht ergänzen, weil von Herrn Laschet und Herrn Lindner doch einiges sehr falsch dargestellt worden ist.

Wir haben das 9. Schulrechtsänderungsgesetz am 16. Oktober 2013 verabschiedet. Damit ist auch klar: Es tritt zum nächsten Schuljahr in Kraft. Da gibt es gar kein Wackeln. Das Gesetz tritt in Kraft.

Bevor wir es verabschiedet haben, haben wir einen langen, sehr intensiven Diskussionsprozess geführt, weil die Kommunen gesagt haben, es kämen ganz erhebliche Kosten auf sie zu. Sie konnten die Kosten aber nicht im Detail belegen.

Wir haben mit dem Gesetz gewartet und uns dann – das ist wichtig – auf einen gemeinsamen Prozess verständigt. Wir haben gesagt: Wir wollen die Kosten unter hohem Zeitdruck bis zum 31. Januar 2014 ermitteln. Wenn wir die Kosten ermittelt haben und eine Verständigung erzielt haben, sollen sie auch zur Verfügung gestellt werden.

Dafür haben die kommunalen Spitzenverbände uns zwei Gutachter vorgeschlagen. Wir haben dann einen der beiden Gutachter, die von ihnen vorgeschlagen wurden, genommen. Wir haben nicht jemanden genommen, den nur wir haben wollten, sondern einen der von den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagenen Gutachter.

Wir haben uns einvernehmlich für die beiden zu untersuchenden Gebietskörperschaften entschieden. Nicht Rot-Grün allein hat die ausgesucht, sondern wir haben das mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammen gemacht. Einvernehmlich war auch der Untersuchungsauftrag.

Das ist die Arbeitsstrecke gewesen.

Das Ergebnis des Gutachters liegt vor. Die Konnexitätsfrage hatte er nicht zu untersuchen. Das war nicht seine Aufgabe, sondern das ist Teil des Diskussionsprozesses, den wir führen.

Weil manche es entweder nicht richtig darstellen wollen oder es nicht wissen, will ich es wiederholen: Die Frage der Barrierefreiheit ist keine Frage, die mit dem Beschluss des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes anfängt. Liebe Leute!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist Thema in vielen, vielen Kommunen seit mehr als 20 Jahren, in den letzten Jahren bei allen Neubauten. Sie bauen kein WDR-Gebäude, keine Schule, keinen Bahnhof, keine Bushaltstelle mehr, ohne die Frage der Barrierefreiheit oder einer verbesserten Inklusion zu berücksichtigen. Das gibt es gar nicht mehr.

Heute werden fast 30 % aller Kinder inklusiv beschult. Wir haben lobenswerte Kreise wie etwa den Kreis Wesel, wo alle Grundschulkinder inklusiv beschult werden. Wer hat denn die Kosten für die entsprechenden baulichen Maßnahmen auch in den vergangenen Jahren getragen? Das war doch nicht das Land. Das haben die Kommunen gemacht. Dafür gebührt ihnen auch Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist doch nicht automatisch alles Aufgabe des Landes. Das ist doch die logische Schlussfolgerung an der Stelle.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Gutachter hat festgestellt: Über einen Zeitraum von drei Jahren entstehen Kosten in Höhe von 76 Millionen € für Gebäude und rund 37 Millionen € für Personalunterstützung. Normalerweise würde man am Ende eines solchen Prozesses diskutieren: Wie hoch ist euer Anteil, was übernehmen wir angesichts der Vorleistungen der vergangenen Jahre? Man würde sich verständigen. Das Land ist jetzt bereit, die Kosten komplett zu übernehmen. Darüber hinaus ist das Land bereit, auf die vom Gutachter ausgerechnete Summe noch knapp 60 Millionen € draufzulegen, also insgesamt 175 Millionen € in die Hand zu nehmen. – Nein: Es sind mehr als 60 Millionen!

(Heiterkeit – Lutz Lienenkämper [CDU]: Ist doch egal!)

175 Millionen € insgesamt! Das ist auch noch nicht alles. Das Land ist darüber hinaus bereit, zusätzliche Personalstellen zu übernehmen. Wir haben uns darauf verständigt, dass ein ganz erheblicher Teil der Demografiegewinne in die Schulen geht. Wir wissen nämlich auch, dass es ein Mehr an pädagogischer Betreuung braucht.

Bei einer Inklusionsquote von 17 % in den Jahren 2010 und 2011 hatten wir 532 Lehrerstellen bereitgestellt. Das steigern wir auf über 3.200 Stellen, um bis 2017 die Quote von 50 % zu decken; derzeit liegen wir bei 30 %. Das heißt: 2.700 zusätzliche Stellen! Das Land macht an der Stelle sehr viel, steckt sehr viel Personal hinein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir sind also bereit, die Gesamtkosten, die der Gutachter ausgerechnet hat, plus einen Zuschlag für insgesamt fünf Jahre zu übernehmen.

Wir sind zudem bereit, bei der personellen Unterstützung zusätzliches Personal zu finanzieren und dafür auch noch einmal rund 10 Millionen € im Jahr zu übernehmen.

Um es ganz klar zu sagen: Wir können nicht den individuellen Rechtsanspruch auf Integrationshelfer, der den Kindern bundesgesetzlich zusteht, übernehmen. Das können wir nicht.

Man muss auch fairerweise sagen: Der individuelle Anspruch auf einen Integrationshelfer, der einem Kind in der Schule hilft, fällt sowohl in der Förderschule wie auch in einer anderen Schulform an.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das heißt: Hier entsteht keine neue, zusätzliche Aufgabe. Der WDR hat heute Morgen in einem Rundfunkbericht so schön gesagt. Es geht um Personal, das den Kindern hilft, wenn sie zum Beispiel zur Toilette müssen. – Das müssen sie aber in einer Förderschule genauso wie in jeder anderen Schule.

Es ist nun einmal so: Diese Aufgabe, die Erfüllung des individuellen Rechtsanspruchs, ist Teil des Bundessozialgesetzbuches. Diese Aufgabe hat der Bund den Kommunen zugewiesen. Wir können diese Aufgabe nicht übernehmen, weil wir dann eine Mauer durchbrechen würden, indem wir als Land freiwillig eine Bundesaufgabe übernähmen, um den Kommunen zu helfen. Das geht nicht.

Wir unterstützen auch personell. 10 Millionen € pro Jahr sind auch da eine faire Zahl.

Auch die Verteilung über Pauschalen an die Kommunen, wie Kollege Römer sie vorhin vorgestellt hat, ist ein faires Angebot.

Deswegen kann man eigentlich nur an alle, die beteiligt sind, appellieren, ein bisschen zu vergessen, dass es den 25. Mai gibt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich glaube nämlich, das ist bei vielen, die hier tätig werden, ein Leitmotiv. Vielmehr sollte man nüchtern anerkennen, dass wir bereit sind, 175 Millionen € in die Hand zu nehmen, dass wir bereit sind, ein sehr faires Angebot zu machen.

Ich will mit dem Zitat einer Mutter von „mittendrin e. V.“, einem Elternverein, der sich um die Kinder kümmert, schließen. Die sagt zu unserer Debatte:

„Die aktuelle Ablehnung auch weitestgehender Zugeständnisse des Landes lässt jedoch Zweifel, ob eine Einigung im Kostenstreit um die inklusive Bildung überhaupt von allen Kommunalvertretern angestrebt wird. ‚Wir müssen den Eindruck gewinnen, dass es einigen Verhandlern gar nicht um mehr Geld für inklusive Bildung geht‘, sagt die Vorsitzende des Elternvereins „mittendrin e. V.“, Eva-Maria Thoms. Es wäre beschämend, wenn hier auf Kosten der betroffenen Kinder und Jugendlichen Stimmung für den Kommunalkampf gemacht würde.“

Herr Laschet, genau das haben Sie eben gemacht. Und das fand ich schäbig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Priggen. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten Frau Pieper.

Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zum Verfahren: Wir haben schon im Oktober unsere Bedenken geäußert, dass die Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden intransparent sind. Wir haben angemahnt, dass der Landtag angemessen informiert wird. – Und wieder erfahren wir die Ergebnisse aus der Presse. Das halten wir absolut inakzeptabel.

(Beifall von den PIRATEN)

Nun hat uns Frau Ministerin Löhrmann für die Landesregierung auf den Stand der Dinge gebracht. Immerhin! Dafür danke ich. Wir haben mit Spannung gewartet, was bis heute vielleicht noch passiert. Nun wissen wir: Es gibt ein Angebot der Landesregierung, und es gibt weitergehende Forderungen der kommunalen Spitzenverbände.

Wir wissen wohl auch alle, dass Frau Ministerin Löhrmann gehofft hat, uns heute etwas Besseres berichten zu können. Ich denke schon, dass man gehofft hat, dass es zu einem Abschluss kommt. Das ist leider nicht passiert.

Natürlich gibt es Interessen der Kommunen, und es gibt Interessen der Landesregierung. Diese Schwarzweißdiskussion, die hier jetzt aufgemacht wird, kann ich nicht verstehen. Natürlich werden die Kommunen versuchen, möglichst viel Geld zu bekommen. Natürlich hat die Landesregierung wenig Geld und muss gucken, dass sie nicht überfordert ist. Hier solche Lager aufzumachen – entweder oder –, das halte ich nicht für zielführend.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Debatte heute Morgen hat ein bisschen was von „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Eigentlich war alles schon gesagt, und die Positionen waren immer klar. Die gebetsmühlenartige Wiederholung Ihrer Forderung, liebe CDU und FDP, die Konnexitätsrelevanz jetzt endlich anzuerkennen, zeigt: Sie sind richtig ausdauernd. – Respekt! Einen konstruktiven Beitrag für die Lösung der zahlreichen Probleme vor Ort kann ich aber nicht erkennen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Was würde denn passieren, wenn die Konnexität anerkannt würde? Ihr Geschrei möchte ich dann hören: Die Schuldenbremse muss eingehalten werden! Das Land muss sparen! – Die Sprüche sind ja bekannt.

Ach ja, ich erinnere mich: Die CDU will Studiengebühren einführen und Lehrerstellen streichen. Wenn wir ehrlich sind, wollen Sie eigentlich auch die Inklusion bremsen. Und das ist nicht die Bildung der Zukunft.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich Frau Geesken Wörmann von der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter aus der Anhörung zitieren – mit Verlaub, Herr Präsident –:

„Ich kann vor weiteren Diskussionen um Konnexität usw. nur warnen: Der Mensch vor Ort versteht nicht, dass man sich in diesem Zusammenhang über diese Dinge unterhält und nicht über Inhalte. Ich kann nur davor warnen, denn damit wird man keinen Wahlkampf gewinnen.“

Aber genau das versuchen Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP!

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie machen hier Wahlkampf unter dem Deckmäntelchen vermeintlicher Anteilnahme für die Betroffenen.

Richtig ist aber, dass die Schulträger Unterstützung für den Ausbau der inklusiven Angebote brauchen. Wir haben deshalb schon im letzten Haushaltsverfahren vorgeschlagen, als Sofortmaßnahme zur Unterstützung der Schulträger beim Ausbau des gemeinsamen Lernens Landesmittel bereitzustellen. Weiter haben wir die Landesregierung aufgefordert, mit den kommunalen Spitzenverbänden Gespräche zu einem Landesprogramm zum Ausbau der schulischen Inklusion aufzunehmen.

Damals haben Sie uns ignoriert, wenn nicht gar belächelt. – Damals sagten Sie im Schulausschuss, Frau Zentis, Sie könnten den Anträgen der Piraten nicht zustimmen, denn das Land könne sich weder in Schulträgeraufgaben einmischen noch in Aufgaben, die nicht Landesaufgaben seien.

Das sehen Sie jetzt offensichtlich anders. Hätten Sie damals unseren Vorschlag angenommen und den Kommunen ein echtes Angebot gemacht, befänden wir uns jetzt nicht in dieser Misere.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wären sehr viel weiter, wenn dieser Weg gewählt worden wäre; denn dann stünden jetzt schon die Mittel für die Schulen bereit.

Die Frage der Kosten der Schulträger liegt schon länger auf dem Tisch. Vor gut einem Jahr haben wir das hier bereits klar formuliert. Das wollten Sie damals nicht wahrhaben, liebe Kollegen von Rot-Grün. Der Weg, den Sie stattdessen genommen haben, hat für Frust und Ärger gesorgt. Nun wird das Land doch noch einen beachtlichen Teil der Kosten übernehmen müssen. Ihre Vogel-Strauß-Politik ist gescheitert. Die Zeche zahlen Sie jetzt doch.

Dass Sie sich auf den Weg zu einem pragmatischen Kompromiss mit den kommunalen Spitzenverbänden gemacht haben, erkennen wir an. Das hätten Sie aber schon früher haben können, Herr Römer, wenn Sie sich damals ernsthaft mit unserem Vorschlag auseinandergesetzt hätten. Schön, dass Sie ihn jetzt doch noch aufgegriffen haben. Wenden Sie sich demnächst gerne an uns. Wir beraten Sie gerne. Für pragmatische Lösungen sind wir bekannt.

(Beifall von den PIRATEN – Lachen von der SPD)

Der aktuelle Stand kann uns aber nicht zufriedenstellen. Es wurde viel Zeit verloren. Die Frage steht im Raum, ob die Schulen vor Ort bis zum Beginn des nächsten Schuljahres noch von der Unterstützung durch das Land profitieren können.

Man muss festhalten, dass beim Jahrhundertprojekt Inklusion einiges schiefgelaufen ist. Der Verzicht auf die Kostenfolgeabschätzung nach KonnexAG im Gesetzgebungsverfahren war falsch. Rot-Grün hat die Kosten, die auf die Schulträger zukommen, bisher immer kleingeredet. Rot-Grün hat das Vertrauen in den Inklusionsprozess beschädigt, verlässliche Rahmenbedingungen bislang verweigert.

Herr Laschet, da bin ich ganz bei Ihnen: Es hilft nicht, nur über Geld zu reden. Wir müssen tatsächlich auch noch über Standards und Rahmenbedingungen sprechen. Das ist mindestens genauso wichtig wie das Thema „Konnexität und finanzielle Unterstützung“.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir sehen weiterhin die Gefahr einer Inklusion nach Kassenlage. Wir fürchten, dass die schulische Inklusion in verschiedenen Kommunen in unterschiedlichem Tempo und leider auch in unterschiedlicher Qualität umgesetzt wird. Deshalb haben wir uns schon im Gesetzgebungsverfahren für eine Anerkennung von Mehrkosten der Schulträger ausgesprochen und haben im Haushaltsverfahren entsprechende Anträge eingebracht.

Es ist nun wirklich Zeit – wenn man ehrlich ist, eigentlich schon zu spät. Nehmen Sie jetzt das Geld in die Hand, unterstützen Sie die Kommunen, und schaffen Sie endlich Verbindlichkeit, was die Rahmenbedingungen betrifft! – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Pieper. – Für die Fraktion der CDU hat nun Herr Kollege Biesenbach das Wort.

Peter Biesenbach*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Was Sie heute erleben, ist eine Schlacht, die hier ab und zu stattfindet, die aber beispielhaft ist – ich schaue gerade Herrn Römer an –, wenn die Regierungskoalition unter Druck steht. Dann wird viel Rauch entwickelt, viel Tünche und viel Schminke verteilt, aber letztendlich ist es doch Pappmaschee. Damit wären wir dann wieder bei den Karnevalswagen, die durch die Gegend fahren.

Frau Ministerin Löhrmann, ich beginne einmal mit Ihrer Aussage, es sei noch nicht sichergestellt, ob es tatsächlich dauerhaft Mehrkosten gebe. Ich kenne kein einziges Gutachten – wir haben deren mittlerweile mehrere –, das in Aussicht stellt, es könnte kostenneutral sein.

Selbst die Landesregierung mit SPD und Grünen hat vor einigen Monaten gesagt: null Kosten, die unter der Konnexität anfallen könnten, null Kosten, die wir übernehmen müssten. – Mittlerweile sind Sie bei 175 Millionen €. Das ist ein beachtlicher Fortschritt, aber es ist noch lange nicht das Ende.

Lieber Herr Römer, Sie sollten sich keiner Selbsttäuschung hingeben, wenn Sie sagen: Wir haben doch eine Vereinbarung. – Nein, Sie haben keine Vereinbarung. Die Vereinbarung, die Sie angeboten haben, ist ja gerade abgelehnt worden.

(Zuruf von Norbert Römer [SPD])

Zwei kommunale Spitzenverbände haben sie Ihnen bisher um die Ohren gehauen und mit dem dritten werden Sie heute Mittag um zwölf noch mal zusammensitzen; aber auch da keine falschen Hoffnungen, auch da keine Illusionen. Sie haben hier verräterischerweise gesagt, es könnte sich um 12 Uhr schon etwas ergeben. – Ja, klar. Um 12 Uhr sollen die Gespräche beginnen. Wenn Sie also schon um 12 Uhr die Ergebnisse kennen, dann ist doch klar, dass das eintritt, was die Oberbürgermeister jetzt bereits annehmen: Es gibt nicht einen einzigen Euro mehr. – Das wird das Ergebnis sein.

(Beifall von der CDU)

Und mit diesem Ergebnis werden die Kommunen dann auch nach Hause gehen.

(Marc Herter [SPD]: Sie wissen alles besser!)

Das Schöne ist doch, Herr Kollege, dass auch wir mit Oberbürgermeistern reden. Und was haben die uns gestern Abend gesagt? Die sagten: Wir stehen unter solchem Druck, wir können die Gespräche nicht noch einmal ablehnen. – Na klar! Die wollen doch deutlich mehr von Ihnen. Das ist die Goldene-Zügel-Politik nach dem Motto: Wenn ihr uns nicht gefällig seid, dann werden wir es euch an anderen Stellen abnehmen. – Aber warten Sie ab: Das wird nicht länger gelingen. Das ändert sich.

Es gibt noch weitere Ungereimtheiten und Unsauberkeiten in der Argumentation. Frau Löhrmann, Sie haben vorgetragen: Wir können nicht für Leistungen eintreten, die der Bund verursacht hat. – Herr Priggen ergänzt: Wir können doch nicht alle Kosten übernehmen. – Das will ja auch niemand. Das will auch niemand von den kommunalen Spitzenverbänden. Die möchten nur die Mehrkosten erstattet haben, die ganz einfach anfallen. In den Vorschlägen, die Ihnen die Spitzenverbände gemacht haben, heißt es doch ausdrücklich: Wir sollten einige Zeit abwarten. Dann wird festgestellt, wie die Mehrkosten gewachsen sind. Und nur die sollen einvernehmlich getragen werden. – Das ist ein Angebot, das Sie abgelehnt haben.

Frau Ministerpräsidentin, Sie sollten Ihren Staatssekretär einmal fragen, warum er den Kommunen denn deutlich sagt: Wir – er meint sich und die Landesregierung – wollen keine Risiken für den Landeshaushalt. – Na klar, die Risiken sollen die Kommunen tragen! Und wie es um deren Finanzen steht, weiß doch jeder in diesem Raum. Aber Hauptsache, Sie geben es ab, geben es ganz einfach weiter, und der Innenminister wird es mit Bilanztricks schon hinkriegen, dass die Kommunen ihren Ausgleich einige Zeit später bekommen.

Im Übrigen ist die Aussage, die Ausgaben seien durch den Bund verursacht worden, falsch.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Natürlich!)

Es geht um ein gesamtes Paket, bestehend aus Korb I und Korb II. Dazu zählen Lehr- und Lernmittel. Schreibt der Bund die vor?

(Marc Herter [SPD]: Schulträgeraufgabe!)

Dazu zählt die Ganztagsbetreuung. Schreibt der Bund die vor? – Dazu zählt die Schulpsychologie. Schreibt der Bund die vor? – Dazu zählt die Schulsozialarbeit außerhalb des Bildungs- und Teilhabepakets. Schreibt der Bund die vor? – Dazu zählen die Schülerbeförderungskosten. Schreibt der Bund die vor?

(Marc Herter [SPD]: Schulträgeraufgabe!)

Das sind doch alles Situationen, von denen Sie ein Stückchen träumen.

(Beifall von der CDU)

Und jetzt sagen Sie, das sei nicht konnex. Lesen Sie doch einmal die Urteile dazu. Herr Laschet selbst hat es doch erlebt. Er hat seinerzeit einmal ein Bundesgesetz wortwörtlich in ein Landesgesetz übertragen, und schon sagte das Gericht: Natürlich Konnexität!

Es ist ihr Schutzprinzip, meine Damen und Herren. 2004 haben Sie es in die Verfassung geschrieben. Und jetzt erleben die Kommunen, wie sie mit Ihren Zusagen umgehen können. Es gab vorher schon ganz andere, aber jetzt wird es ganz simpel deutlich.

Ich will an Zahlen zeigen, worum es eigentlich geht.

Der Korb II – da bieten Sie landesweit 10 Millionen an; die Verbände sagen, das reiche nicht aus – soll den gesamten Bereich der zusätzlichen Ausgaben abdecken. Das Gutachten Klemm geht davon aus, dass etwa 666 € im Schuljahr 2016/2017 für jeden Schüler, der durch die Schulrechtsänderung zusätzlich im gemeinsamen Unterricht unterrichtet wird, als Ersatz gezahlt werden. 666 €!

Ich habe ein Gutachten der Bergischen Universität Wuppertal – nicht von der CDU verursacht; sie steht auch nicht im Verdacht, uns in irgendeiner Form gefällig zu sein. Die rechnen aus, dass die durchschnittlichen Ausgaben je Inklusionsschüler 9.026 € im Schuljahr 2016/2017 betragen werden.

Das ist der Grund – Herr Kollege, da können Sie den Kopf schütteln –, warum die Kommunen sagen: Wir sind doch nicht bereit, diesen Unterschied – ihr sagt 666 €, und wir wissen, es sind über 9.000 € – zu tragen. Wir können ihn nicht tragen, und wir wollen ihn nicht tragen. Und warum nicht? Weil die Änderung der Schulorganisation – Herr Prof. Höfling spricht vom Schulsystemwechsel – eine Frage der Konnexität ist!

(Beifall von der CDU)

Erzählen Sie doch bitte heute niemandem, die Kommunen hätten Ihr großzügiges Angebot wegen der Zahlen abgelehnt. Auch das ist nachweislich falsch. Die Kommunen haben Ihnen gesagt: Auf Zahlen können wir uns einigen. – Der Unterschied lag nachher noch bei 10 Millionen € für den ersten Aufschlag. Sie haben nur gesagt: Wir möchten Revisionsklauseln, die so sicher sind, dass wir keine Risiken haben.

Sie wollten die erste Revisionsklausel bei den Investitionskosten haben. In drei Jahren sollte geprüft werden. Sie haben gesagt: in fünf Jahren. Na klar, dann ist der Berg weg, es kostet das Land weniger Geld, aber deutlich mehr die Kommunen. Die Kommunen wollten nur die Erstattung der Mehrkosten.

Für den Korb II bieten Sie 666 €, die Kommunen sprechen von 9.000 €. Da sagen Sie nicht einmal, dass Sie bereit sind, Revision zu machen.

(Marc Herter [SPD]: Das sagen Sie!)

Sie sagen: Wir können in sechs Jahren mal prüfen, wie die Kosten aufgewachsen sind, und dann bieten wir ein Gespräch an. – Was Kommunen von Ihren Gesprächen zu halten haben, das wissen die Stärkungspaktkommunen und das wissen die kommunalen Spitzenverbände; denn dort gab es kein Jota Bewegung.

Kein Risiko für den Landeshaushalt, alle Risiken für die kommunalen Haushalte! Das ist der Weg, den Sie anbieten. Und das ist auch die Art und Weise, wie Sie mit Ihren Bestimmungen, mit Ihren Prinzipien umgehen, auch mit der Konnexität.

Frau Kraft – das müssen Sie sich mal fragen lassen –: Wie kommen Sie dazu, zu sagen: „Wir wollen Kommunen partnerschaftlich begegnen“, wenn Sie die Kommunen zwingen wollen, in diesem Fall einen eklatanten Verfassungsbruch zu akzeptieren?

(Beifall von der CDU)

Und das nur, weil Sie das Kostenrisiko auf die Kommunen abwälzen wollen! Das ist die Frage.

Frau Kraft, Sie müssen auch die Frage beantworten: Wie weit geht denn Ihre Beteiligung bei den Plänen zur Inklusion? Hätten Sie nicht darauf hinwirken müssen, die Überlegungen so zu begrenzen, dass sie finanzierbar sind?

Wir haben doch ein allseits geschätztes System von Förderschulen. Und nun scheitert die Situation. Wir haben keine ausreichenden Mittel. Sie senken massiv die Standards ab, deutlich unter die Güte der jetzigen Förderschulen. Und Sie haben in wenigen Wochen eine Verfassungsklage der Kommunen am Hals. Aber das scheint Ihnen ja Spaß zu machen. Denn wir haben ja noch fünf Verfassungsklagen laufen, Herr Körfges. Ich habe noch nicht gezählt, wie viele Sie schon Wahlperioden verloren haben.

(Zurufe von der SPD)

Eine sechste ist angekündigt. Das ist die Situation, wenn es darum geht, wer die nächsten Mittel zählt. Eine weitere Klage ist hier angekündigt. Es scheint Ihr Hobby zu werden, in dieser Wahlperiode Verfassungsklagen zu sammeln, die Sie alle verlieren.

(Nadja Lüders [SPD]: Das sagt der Richtige!)

Nur, es macht ganz deutlich, wie Sie denken, wenn Sie behaupten: Wir lassen kein Kind zurück. Das ist das Prinzip der schrägen Ebene. Die geht bei Ihnen leider deutlich nach unten.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Biesenbach. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Herter das Wort.

Marc Herter (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Biesenbach, was das Sammeln von Verfassungsklagen angeht: Wir teilen nicht alle Leidenschaften der abgewählten schwarz-gelben Landesregierung. Verfassungsklagen, insbesondere kommunale zu sammeln, das war Ihr Hobby,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

die dann übrigens auch hinterher vor dem Verfassungsgericht zu verlieren.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Welche haben Sie denn gewonnen?)

Ich habe mit einer gewissen Spannung darauf gewartet, ob es heute von der FDP oder von der CDU einen Hinweis, einen Beitrag, einen konstruktiven gar, geben würde, was die Lösung des Problems angeht,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

und zwar im Sinne der Kinder, im Sinne der Eltern, vor allem aber – Sie haben das unter dem Blickpunkt der kommunalen Selbstverwaltung, der Konnexitätsrelevanz hier angemeldet – im Sinne der Kommunen.

Ich hatte gewisse Zweifel. Der reißerische Titel – erlauben Sie mir den Hinweis – und die verworrene Darstellung zwischen kommunalen Aufgaben und Landesaufgaben, die wir gerade noch einmal bei Peter Biesenbach – ich komme später darauf zurück – erlebt haben, ließen nichts Gutes erwarten. Ehrlich gesagt, die Zweifel wurden – insoweit sind sie verlässlich – eins zu eins bestätigt.

Ihnen geht es hier nicht um die Sache,

(Beifall von der SPD)

sondern Sie haben nicht widerstehen können, Ihr parteipolitisches Süppchen in dieser zugegebenermaßen noch nicht geklärten Angelegenheit zu kochen. Das hilft allerdings niemandem.

Ich habe großen Respekt vor denjenigen in den kommunalen Spitzenverbänden, auch in den Kommunen selbst, die mit viel Intensität dieses Ringen begleiten. Warum tun wir das gemeinsam? Weil wir eine Lösung haben wollen.

Frau Löhrmann hat als Schulministerin gesagt: Wir haben ein Interesse an einer gelingenden Inklusion vor Ort, in den Schulen, in den Gemeinden. Nein, es ist kein grünes Prestigeobjekt. Da schließe ich mich ausdrücklich dem Dank von Reiner Priggen an Armin Laschet an.

Herr Lindner, ich kann es Ihnen jetzt leider nicht ersparen: Was steckt dahinter für ein Menschenbild, eine solche Angelegenheit, ein Menschenrecht, das Recht auf Teilhabe,

(Christian Lindner [FDP]: Es geht nicht um das Recht auf Teilhabe, sondern es geht um das Gesetz!)

als Prestigeprojekt einer Partei diffamieren zu wollen, Herr Lindner?

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Schweinerei, was Sie da machen!)

Ehrlich gesagt, ich war im letzten Jahr im gemeinsamen Unterricht an einer allgemeinbildenden Grundschule. Ich habe es mir angesehen. Ich habe mir nicht nur angeguckt, nicht nur wieviel Assistenz von außen notwendig ist, sondern auch wie die Kinder dort miteinander umgehen und Assistenz auch von den Kindern gewährt wird, die im gemeinsamen Unterricht als nicht behinderte Kinder, nicht als Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind. Ehrlich gesagt, was ich da erlebt habe, das lag Meilen von dem entfernt, was ich hier an Diskussion erlebe, dass es sich bei den Kindern, die in einem gemeinsamen Unterricht integriert werden, nur um einen Kostenfaktor handelt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Um Meilen lag das entfernt. Und das waren Sechs- bis Achtjährige, um die es da ging.

Dann ist gerade gesagt worden, es handele sich um Pappmaschee, was da aufgebaut werde. Da müssen Sie sich schon einmal entscheiden: Ist das jetzt Pappmaschee, was da als Angebot im Raum steht, oder hat sich die Landesregierung gar nicht bewegt? Oder wollen Sie ein Abbremsen des Inklusionsprozesses? Sie müssen sich einmal entscheiden. Sie können nicht mit drei, vier, fünf unterschiedlichen Argumentationen, gerade wie es Ihnen passt, hier durch den Raum kurven.

(Beifall von der SPD)

Wir sind da verlässlich. Wir haben ein Angebot gemacht, 175 Millionen € über fünf Jahre, das liegt höher als die Forderungen von Prof. Klemm. Die Mondzahlen allerdings, die Peter Biesenbach gerade in den Raum gestellt hat, verwenden nicht einmal die kommunalen Spitzenverbände.

Ich verrate hier kein Geheimnis, Herr Biesenbach: Die beiden zahlenmäßigen Angebote des Landes und der Kommunen liegen um einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag auseinander.

(Zuruf von Peter Biesenbach [CDU])

Die kommunalen Spitzenverbände – Sie wollen die Zahlen hören, Sie kriegen sie – haben an dieser Stelle aufgerufen, 45 Millionen € pro Jahr, 25 Millionen in Korb I, 20 Millionen in Korb II. Die Landesregierung hat in ihrem letzten Angebot deutlich gemacht, dass 35 Millionen € – 25 Millionen € in Korb I, 10 Millionen € in Korb II – gewährt werden können.

Ihre Mondzahlen, die Sie in den Raum stellen, sind nur zu einem geeignet: Das eigene Publikum zum Johlen zu bewegen, aber nicht an dieser Stelle einen sachgerechten Kompromiss miteinander hinzubekommen.

(Beifall von der SPD)

Die 10 Millionen € für nicht lehrendes Personal in Korb II sind übrigens an dieser Stelle an keinem Punkt mit der Frage der Konnexität verbunden gewesen, übrigens von niemandem im Raum. Da geht es darum, Assistenz in Form von Schulsozialarbeitern, auch in Form von Schulpsychologen für eine gelingende Inklusion zur Verfügung zu stellen.

Wenn Sie dann hier sagen, das würde die Risiken einseitig zulasten der Kommunen verschieben, dann haben Sie dem, was Frau Löhrmann gesagt hat, dem, was Herr Römer gesagt, leider nicht zugehört. Die haben nämlich die entsprechenden Summen für die ersten fünf Jahre aufgerechnet. Sie haben aber beide deutlich gemacht, dass es sich um dauerhafte Verpflichtungen des Landes handeln wird.

Es ist nämlich unsere Auffassung von Verlässlichkeit an einer solchen Stelle, keine Strohfeuer zu zünden und hinterher zu sagen: Guckt doch mal, dass ihr das ausfinanziert bekommt.

(Christian Lindner [FDP]: Das glauben die Kommunen nicht!)

– Doch, das glauben die Kommunen sehr wohl. Sie können nämlich das Konnexitätsausführungsgesetz im Gegensatz zu Ihnen offenbar lesen. Deswegen glauben sie das.

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Das sieht man ja gerade!)

Wir erreichen dadurch Rechtssicherheit und Planungssicherheit, und, ehrlich gesagt, eine Einigung in letzter Minute.

Sie wäre mehr wert als eine Klage, die hinterher nur in einem enden würde, nämlich darin, dass sich die gleichen Verhandlungspartner mehrere Jahre später in der gleichen Zusammensetzung wieder zusammenfinden und die Diskussion über diese Fragestellung der Höhe wieder neu aufnehmen können.

Letzter Punkt von meiner Seite: Hier ist von Herrn Laschet über Rechtsunsicherheit gesprochen worden, die die Familien in der Frage hätten, ob sie denn nun eine entsprechende Assistenz, einen entsprechenden Integrationshelfer bekommen können oder nicht. Herr Laschet, ich hoffe, dass Sie das nicht so gemeint haben, wie Sie es gesagt haben. Ich will hier klarstellen: Die Ansprüche nach SGB VIII für die seelisch förderwürdigen Kinder und nach SGB XII für die motorisch förderbedürftigen Kinder

(Astrid Birkhahn [CDU]: Alle Kinder sind förderwürdig! – Armin Laschet [CDU]: Darum ging es doch gar nicht!)

stammen direkt aus den Sozialgesetzbüchern, und der Landesgesetzgeber …

(Armin Laschet [CDU]: Darum ging es doch gar nicht!)

– Das haben Sie hier so gesagt. Sie haben die Mutter zitiert, die sich nicht sicher sei, ob sie die Assistenz bekommen würde. Ich stelle hier klar: Niemand im Lande muss sich unsicher sein, ob er diese Rechtsansprüche aus dem SGB VIII oder SGB XII geltend machen und diese Assistenz bekommen kann oder nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Wenn wir an dieser Stelle in der Tat strittig über die Refinanzierung reden, dann möchte ich nicht, dass diese Familien dafür in Geiselhaft genommen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Sie haben an dieser Stelle deutlich gemacht, dass Sie keine weiteren Vorschläge haben, wie vorzugehen ist. Unsere Zweifel sind also nicht nur bestätigt worden, sondern Sie haben sogar eins zu eins aufgezeigt, dass unsere Zweifel berechtigt waren. Lediglich Frau Pieper hat an dieser Stelle deutlich gemacht, dass wir miteinander in der Verantwortung stehen, um den gesamten Prozess zum Gelingen zu führen. Ich würde mich freuen, wenn Sie daran teilnehmen würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herter. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Betrachtung der Debatte, die wir heute Morgen erlebt haben, möchte ich Herrn Lindner nur eine Sache sagen, und das gilt auch für die gesamte FDP-Fraktion: Dass sich ausgerechnet diejenigen, die hier im Parlament die Fragen der Inklusion gerade zwischen 2005 und 2010 in allen Anträgen und Belangen blockiert haben, zu Gralshütern des Inklusionsprozesses aufschwingen, ist wirklich ein Treppenwitz, den wir heute erleben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Lindner gehört zu den Mittätern, die das zu verantworten haben, dass hier die damalige CDU-Bildungsministerin das Wort „Inklusion“ zunächst nicht einmal in den Mund nehmen durfte. Sie wurde von der FDP ausgebremst, und dafür trägt Herr Lindner die Verantwortung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Die alleinige Verantwortung!)

Was ist Inklusion? – Inklusion ist nicht mehr und nicht weniger als das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung bzw. unterschiedlicher Herkunft. Und was macht die FDP bis zum heutigen Tag hier im Parlament? – Sie bekämpft das gemeinsame Lernen von Kindern in unseren Schulen.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der FDP)

Ich erinnere daran, was Frau Schmitz noch vor Kurzem hier zu den PRIMUS-Schulen erklärt hat. Jedes Mal diffamieren Sie das gemeinsame Lernen als Einheitsschule, als leistungslose Schule. Das ist Ihr Vortrag mit Herrn Lindner an der Spitze.

(Widerspruch von der FDP – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist eine Unverschämtheit! Unglaublich!)

Insofern ist das, was Sie hier sagen, unglaubwürdig, und das werden wir überall sagen. Sie sind nicht diejenigen, die das Wort in dieser Angelegenheit schwingen dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und noch eines, Herr Laschet und Herr Lindner: Sie haben nichts zu dem gesagt, was Sie im Haushalt mittragen würden. Wo waren diesbezüglich Ihre Erklärungen? – Nichts. Was Sie hier heute vorgetragen haben, war substanzlos.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der FDP)

Herr Laschet, was war denn der Aufschlag der CDU, nachdem wir dankenswerterweise 2010, als Sie Ihren Koalitionspartner los waren, weil Sie selbst in der Opposition waren, den gemeinsamen Antrag zur Inklusion hier verabschiedet haben?

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist unglaublich!)

Die CDU einen eigenen Entschließungsantrag im Rahmen der nächsten Beschlussfassung vorgelegt. 30 Millionen € standen in Ihrem Antrag. Dann müssten Sie doch eigentlich sagen: Klasse, was das Land hier macht! Da sind wir dabei, und das tragen wir auch im Haushalt mit, wenn es hinterher in der Vereinbarung aufgenommen wird. – Wir haben kein Wort von Ihnen dazu gehört. So machen Sie sich hier aber mit einem leichten Fuß vom Parkett. Sie haben hier heute nichts Substanzielles vorgelegt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Laschet, ich weiß ja, dass Sie eigentlich dagegen waren, den Schulkonsens zu beschließen. Aber wir haben mit der CDU in den Schulkonsens geschrieben, dass zum Schulsystem von Nordrhein-Westfalen auch die Förderschulen gehören, soweit sie trotz Inklusion noch erforderlich sind. Denn die Demografie hat schon längst auch in den Förderschulen ihre Zeichen gesetzt, und auch die meisten Förderschulen im Bereich Lernen waren schon längst unter der Mindestgröße, bevor wir die Mindestgrößenverordnung hier miteinander diskutiert haben. Das sollten Sie bitte nicht vergessen. Schließlich obliegt auch Ihnen die Verantwortung, diesen Schulkonsens mitzutragen und umzusetzen.

(Armin Laschet [CDU]: Aber mit Qualität!)

Das ist das fachliche Votum von Karl-Josef Laumann, Norbert Röttgen und Ihrer Fraktion gewesen,

(Armin Laschet [CDU]: Mit Qualität!)

und das haben wir hier gemeinsam so beschlossen. Machen Sie sich auch hier bitte nicht vom Acker.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da hier gerade von der FDP-Fraktion vorgetragen wurde, das Land würde nichts tun, will ich noch einmal daran erinnern: Es gibt nicht nur das jetzt vorliegende Angebot mit den 175 Millionen €, im Rahmen dessen wir sagen: Eigentlich sind das die Schulträgeraufgaben, und der Prozess ist im Gang.

Vielmehr wollen wir den Kommen trotzdem helfen und sie unterstützen. Deshalb sind wir sogar bereit, im Hinblick auf Korb I – das sind die originären Schulträgeraufgaben, die Herrn Biesenbach nicht mehr ganz präsent sind, aber darüber können wir noch einmal reden – zu sagen – und das tun wir, damit die Kommunen Sicherheit haben –, dass wir der Konnexität zustimmen. Das ist ein Zugeständnis, weil wir keine Prinzipienreiterei auf Kosten der Kinder betreiben wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn Sie das nicht anerkennen, dann ist das nur noch eine Verstellung und ein Hochjazzen Ihrerseits, weil Sie ein Thema für den Kommunalwahlkampf suchen und weil es Ihnen eben nicht darum geht, dass der Inklusionsprozess gelingt. Das wird dabei sehr deutlich. Sie haben hier nichts Substanzielles vorgelegt, und Sie haben auch nicht gesagt, welche finanziellen Aufwendungen Sie mitzutragen bereit wären. Inhaltlich entfernen Sie sich weit von all dem, was richtig und gut ist.

Von daher will ich noch einmal daran erinnern, dass neben diesen Mitteln, die den Kommunen dann zugutekommen, eben auch die Investitionen von insgesamt 850 Millionen € – betreffend die originären Landesaufgaben – über die Legislatur hinweg bestehen. Wer sagt, dass das, was das Land leistet, nichts ist, darf sich hier in diesem Parlament eigentlich nicht mehr verantwortungsvoll blicken lassen. Es ist auch wirklich eine Unverschämtheit, so durch das Land zu gehen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben doch vorgehabt, 10.000 Lehrerstellen überhaupt nicht mehr im Haushaltsplan auftauchen zu lassen. Die waren in der mittelfristigen Finanzplanung bereits weg. Wir in der Koalition haben sie wiedergeholt und stellen sie den Schulen zur Verfügung. Insbesondere stellen wir sie in einem großen Rahmen auch der Inklusion zur Verfügung – neben den allgemeinen Rahmenverbesserungen, die dann in Schule zu konstatieren sind.

Das war aus meiner Sicht ein enttäuschender Auftritt heute Morgen. Bei Herrn Lindner war es – das wissen wir – Show ohne Substanz. Bei Herrn Laschet war es, finde ich, ausbaufähig. Insofern kommt es, wenn wir hier in den Haushaltsdebatten stehen, vor allen Dingen darauf an, was sie dann wirklich unterstützen, wenn wir zu einer Vereinbarung mit den kommunalen Spitzenverbänden kommen. Wenn das Land etwas für die Kommunen tut, dann müssen Sie auch springen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Für die Piratenfraktion hat jetzt Frau Pieper das Wort.

Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, lieber Marc Herter, glaube ich, dass es nicht so gemeint war, als Sie von „nicht förderwürdigen Schülern“ sprachen.

(Marc Herter [SPD]: Habe ich nicht gesagt! Ich habe „bedürftig“ gesagt!)

– Okay, alles gut! – Worum geht es mir? Wir reden jetzt seit fast zwei Stunden über Konnexität und Kosten. Dabei könnte fälschlicherweise der Eindruck entstehen, dass der Erfolg inklusiver Beschulung allein vom Faktor Geld abhängt. Das ist falsch.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Es ist nicht zu leugnen, dass die Ausstattung der Schulen ein ganz wichtiges Element zum Gelingen des Prozesses ist. Dabei können wir es aber nicht bewenden lassen. Ich würde gerne das Augenmerk auch noch auf andere Themen richten. Wenn man den Rednern der anderen Oppositionsfraktionen zuhört, entsteht so ein bisschen der Eindruck, dass jetzt alle Schulen in zwei Jahren barrierefrei umgebaut werden müssen und dass jede Schule einen Aufzug braucht. So ist es ja nun nicht.

Nicht nur bei den Schulträgeraufgaben muss nachgebessert werden. Für den gemeinsamen Unterricht werden zu wenige Lehrer bereitgestellt.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Verschlechterung gegenüber den bisherigen integrierten Lerngruppen ist falsch. Wir haben gestern schon darüber gesprochen, Frau Ministerin Löhrmann. Es ist geradezu absurd, wenn die neuen Stellenzuweisungen für das gemeinsame Lernen zur Konsequenz haben, dass Vorreiterschulen mit langer Tradition in der Inklusion in Zukunft weniger Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen als bisher. Wir wollen mehr gemeinsames Lernen im Land und nicht weniger.

(Beifall von den PIRATEN)

Deshalb müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass Schulen, die bereits mit integrativen Lerngruppen arbeiten, die inklusiven Angebote nicht verringern müssen. Sie hatten gestern dazu ausgeführt, dass es dafür Stellen geben soll, damit gerade an den Gesamtschulen der Standard erhalten bleiben kann. Wir werden sehr genau beobachten, ob das auch so sein wird; denn wir können nur mit ausreichender Doppelbesetzung die Qualität sicherstellen. Das ist kein Luxus, sondern, wie ich finde, eine Mindestanforderung an Inklusion.

(Beifall von den PIRATEN)

Des Weiteren stellt sich immer noch die Frage der Budgetierung. Bislang ist immer noch nicht klar, wie die Verteilung der Sonderpädagogen aussehen soll. Welche Kriterien spielen eine Rolle? Wie sieht das Konzept aus? Die Schulen brauchen jetzt endlich Planungssicherheit für das nächste Schuljahr. Frau Ministerin Löhrmann, sagen Sie endlich, wohin die Reise gehen soll. Jede weitere Verzögerung führt zu weiteren Verunsicherungen und ist schädlich für den Prozess.

(Beifall von den PIRATEN)

Bei der Umsetzung vor Ort gibt es eigentlich aktuell genug Unsicherheiten. Viele Kolleginnen und Kollegen an den Förderschulen haben keine Planungssicherheit, an welcher Schule sie im nächsten Jahr unterrichten. Fragen von Abordnung und Versetzung stehen im Raum. Keiner kann ihnen dazu etwas sagen. Viele Kolleginnen und Kollegen an den allgemeinen Schulen wissen nicht, ob sie im nächsten Jahr eine inklusive Klasse unterrichten. Eltern sind verunsichert, weil sie immer noch nicht wissen, welche Schule ihr Kind im kommenden Schuljahr besuchen wird. Ich denke, die meisten von Ihnen können sich gut vorstellen, was das für Eltern bedeutet.

Hier muss jetzt konkrete Unterstützung geboten werden; wir kennen das aus den letzten Jahren. Ich finde, es ist eine Zumutung, dass Kollegen erst in den Sommerferien erfahren, wo sie im kommenden Schuljahr ihren Arbeitsplatz haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein großes Thema sind außerdem – wir haben gerade darüber gesprochen – die Inklusionsassistenten. Hier sehe ich auch die Kostenfrage als hochrelevant an. Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass der Bund da in die Pflicht genommen werden und dementsprechend Mittel zur Verfügung stellen muss.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])

Auch dazu muss ich Ihnen aber sagen: Woher das Geld kommt, ist den Betroffenen völlig egal. Wenn man jetzt mit Eltern betroffener Kinder spricht – ich war auf einer Veranstaltung mit Eltern autistischer Kinder –, bekommt man das kalte Grausen, wenn man sieht, was in diesem Land hier gerade passiert.

(Beifall von den PIRATEN)

Was diesen Eltern zugemutet wird, um an Unterstützung für ihr Kind zu kommen, ist eigentlich ein Skandal. Sie werden von Amt zu Amt geschickt. Dann schaltet sich eine Clearingstelle ein, und es werden möglichst viele Steine in den Weg gelegt. Dieses Verfahren zieht sich in Einzelfällen bis zu einem Jahr hin, und das Kind sitzt in der Schule und hat keinerlei Hilfe durch einen Inklusionsassistenten. Woran liegt das? Die Schulen haben ein enormes Informationsdefizit, denn man kommt nicht an einen Inklusionsassistenten, wenn die Schule nicht in der Lage ist, einen entsprechenden Antrag zu stellen und das zu unterstützen. Dann gibt es diesen Inklusionsassistenten nicht.

Es ist, finde ich, Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass die Schulen die notwendigen Informationen haben und Lehrer so fortgebildet werden, dass sie auch Hilfe leisten können. Da sehe ich noch eine sehr große Lücke, wo wir tatsächlich etwas für die betroffenen Schüler tun können, ohne dass es viel kostet. Das ist die Aufgabe der Landesregierung, auch wenn sie die Inklusionsassistenten nicht selber bezahlen muss.

(Beifall von den PIRATEN)

Bei allen Mängeln des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes und allen Schwierigkeiten bei der Umsetzung geht es darum, jetzt Sicherheit zu schaffen und die „graue Inklusion“ umzusetzen. Sie wissen, liebe Landesregierung und liebe Fraktionen von Rot und Grün: Wir werden das konstruktiv begleiten und sind weiterhin gern dabei. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Pieper. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Pieper, das nehmen wir ausdrücklich wahr, dass Sie sich konstruktiv in den Prozess einbringen wollen und unterstrichen haben, dass es nicht um Prinzipienreiterei, sondern um konstruktives weiteres Vorangehen geht, und dass Sie dabei für Pragmatismus und Verantwortungsübernahme werben. Das zeichnet Sie ausdrücklich aus in verschiedenen Fragen, aber insbesondere auch in dieser.

Herr Laschet, Sie haben das Beispiel aus dem Fernsehbericht zitiert. Ich habe den Bericht natürlich auch gesehen. Jetzt frage ich mal: Wissen heute Eltern, auf welche Schule ihr Kind im Sommer 2014 geht? Welche Eltern wissen das ganz genau? – Das wissen die wenigsten Eltern, weil wir im Moment die Schulanmeldungen haben und jetzt erst einmal festgestellt wird, ob die Eltern ihre Kinder an einer Gesamtschule anmelden wollen und ob eine Gesamtschule genug Plätze für die Kinder hat. In den letzten Jahren gab es leider viel zu wenige Plätze. Dann müssen die Kinder an Schulen, wo sie eigentlich nicht hinwollen. Viele Eltern wissen im Moment noch nicht, auf welche Schule die Kinder gehen. Das liegt in der Systematik begründet und hat überhaupt nichts mit der Inklusion zu tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben nämlich im Moment ein Phänomen: Ganz viele Vorgänge, die grundsätzlich in Schule stattfinden, schieben Sie auf die Inklusion, um vor Ort Stimmung dagegen zu machen und Wasser in den Wein zu gießen. Wir haben diesen Prozess umfassend angelegt. – Jetzt kommt eine Zwischenfrage, auf die ich mich freue, Herr Laschet.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, wir befinden uns in einer Art Mischdebatte zwischen Aktueller Stunde und Aussprache. In einer Aktuellen Stunde gibt es ja eigentlich keine Zwischenfragen. Sie können sie aber dennoch zulassen.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Ja. Aber ich kann es ja auch so noch einmal sagen, Herr Laschet.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich möchte einen Vorschlag machen. Ich finde, im Zuge eines Parlaments des Dialoges und Austausches lassen wir die Zwischenfrage zu. Herr Laschet fragt und Sie antworten. Auf die Art haben wir einen lebendigen Austausch zu einem uns allen wichtigen Thema. – Bitte schön.

Armin Laschet (CDU): Frau Ministerin, der Bericht hat ja auch die Sorgen und Nöte dieser Mutter beschrieben. Würden Sie anerkennen, dass es ein Unterschied ist, ob jemand, dessen Kind auf eine weiterführende Schule geht, nicht genau weiß, ob es da ankommt, oder ob in diesem Umbruchprozess, wo es um behinderte Kinder geht, bei vielen Eltern die Sorge besteht, ob die Kinder noch so gefördert werden, wie das bisher der Fall war? Meinen Sie nicht, dass das ein Unterschied ist? Sie banalisieren das!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Dafür bin ich nicht bekannt, Herr Laschet. Es gibt verschiedene Prozesse. Die Mutter – so habe ich das verstanden – möchte für ihr Kind auch in der Klasse 5 einen Platz im „gemeinsamen Lernen“ also inklusiv. Da kann ich Ihnen sagen, dass wir es in den letzten zwei Jahren auch ohne Gesetz geschafft haben, dass alle Eltern, die das für ihre Kinder wollten, einen Platz im „gemeinsamen Lernen“ gefunden haben. Ad 1.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dass Eltern im Moment Sorgen haben, das wissen wir. Dass Lehrerinnen und Lehrer Sorgen haben, das wissen wir. Wir arbeiten an verschiedenen Bausteinen zur gelingenden Umsetzung der Inklusion, die wir wie kein anderes Bundesland entwickelt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das werde ich Ihnen gleich auch noch einmal erläutern, weil Sie ja von Qualität gesprochen und unterstellt haben, es ginge uns nur um Quote.

Ad 2: Es ist für alle Eltern so, dass im Moment die Anmeldungen stattfinden und dann entschieden wird je nach Plätzen sowohl für Schulen mit Inklusion als auch für Förderschulen, welche Kinder an welchen Schulen einen Platz bekommen. Das gilt für ganz viele Eltern, dass sie das jetzt noch nicht wissen. Unser Ziel ist, dass die Eltern einen Platz im „gemeinsamen Lernen“ für ihr Kind finden. In den letzten zwei Jahren ist das gelungen. Das soll natürlich jetzt erst recht gelingen, da wir mit dem neuen Gesetz aus dem Elternwunsch ein Elternrecht machen, weil wir wollen, dass die Eltern aus der Bittstellerposition herauskommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der Hauptpunkt des Gesetzes.

Gleichzeitig wollen wir aber weder die Kommunen noch das bestehende System, noch das System in der Veränderung überfordern. Das ist der Punkt. Es ist aber nicht irgendeine Art von Benachteiligung, dass nur Kinder mit Handicap nicht wüssten, wo sie im neuen Schuljahr zur Schule gehen. Das haben in den vergangenen Jahren insbesondere ganz viele Gesamtschuleltern nicht gewusst, die ein längeres gemeinsames Lernen für ihre Kinder wollten. Mit dem Schulkonsens gibt es nun endlich eine Ausweitung, sodass es nun für die Kinder mehr Plätze in den Schulen gibt, in die ihre Eltern sie schicken wollen. Das ist mir ganz wichtig zu sagen.

Frau Pieper, auch Sie tun so, als hinge die Antwort auf die Frage, wo Lehrer nach dem 1. August eingesetzt werden, mit der Inklusion zusammen. Das war schon immer ein Problem. Ich habe erst drei Tage vor dem 13. August 1984, als ich an die Städtische Gesamtschule Solingen gekommen bin, erfahren, ob ich den Platz bekomme oder nicht. Auch das hatte nichts mit Inklusion zu tun. Hören Sie bitte auf, normale administrative Prozesse, die in einem Land wie Nordrhein-Westfalen immer schwierig sind, mit der Inklusion zu verknüpfen! Damit schüren Sie die Ängste und berechtigten Sorgen der Eltern, Familien und Lehrerinnen und Lehrer.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Minister Michael Groschek)

Ich bin aber dankbar für die Fragen, weil ich es dann erläutern kann.

Wir haben zum Beispiel auf Wunsch ein Personalentwicklungskonzept mit allen Hauptpersonalräten abgestimmt, das für alle Schulentwicklungsprozesse gilt und beim Schulkonsens und bei anderen Fragen abgearbeitet wird. Da arbeiten wir sehr konstruktiv mit den Hauptpersonalräten genau diese Dinge  ab, also Versetzungsnotwendigkeiten und anderes, damit das möglichst reibungslos funktioniert. Aber auch da hat es schon immer Schwierigkeiten gegeben. Auch das hat nichts mit der Inklusion zu tun. Das zu sagen, ist mir das Wichtigste an dieser Stelle.

Ein weiterer Punkt: Herr Lindner, Sie sagten, uns ginge es um eine Quote. Wir haben – das steht auch im Gesetz –, um zu kalkulieren, wie viele zusätzliche Lehrerstellen wir brauchen, gesagt: In Kenntnis des bisherigen Tempos, in Kenntnis des Gutachtens Klemm/Preuss-Lausitz können wir davon ausgehen, dass wir bis zum Jahr 2017/2018 eine Quote von etwa 50 % erreichen, aber nicht als eine Quote, die erfüllt werden muss, sondern als eine Quote, für die wir verlässlich im Landeshaushalt geplant zusätzliche 3.200 Stellen investieren. Allein dem dient diese Quote von 50 %,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

nichts anderem. Das habe ich immer betont. Deswegen sagen wir: schrittweise. Und deswegen ist es völlig klar, dass der Elternwunsch und die Elternentscheidung das Tempo des Inklusionsprozesses in Nordrhein-Westfalen bestimmen und niemand anders. Der Elternwille bestimmt das Tempo.

So, jetzt komme ich auf einen zentralen Unterschied. Herr Laschet hat sich eben anders geäußert, als es im Schulkonsens steht und als wir es hier gemeinsam beschlossen haben. Herr Laschet, Sie haben vergessen, dass schon Ihre Regierung oder zumindest die CDU dies wollte – im gemeinsamen Antrag von Dezember 2010 haben wir es festgelegt –: Die Umsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention heißt, dass die allgemeine Schule der erste Förderort wird, aber wenn die Eltern weiterhin die Förderschule wählen wollen, sollen sie diese Möglichkeit ausdrücklich haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

So haben wir es für NRW festgelegt, und genauso ist es im Gesetz auch umgesetzt worden.

(Armin Laschet [CDU]: Wo ist der Widerspruch?)

– Dann ist es ja gut, wenn wir keinen haben; da bin ich froh.

Sie haben die auslaufenden Förderschulen angesprochen. Offenbar haben Sie ja alle Gutachten intensiv studiert – auch das Gutachten des Landesrechnungshofs, wie ich hoffe. Er hat uns nämlich ins Stammbuch geschrieben, dass Schulaufsicht und Kommunen lange Jahre weggeguckt und die Mindestgrößenverordnung, die es schon gab, nicht umgesetzt haben, was unter pädagogischen und unter Effizienzgesichtspunkten nicht vernünftig ist, weil das unnötig Ressourcen bindet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Also: Da ist eigentlich zumindest mit der CDU viel mehr Gemeinsamkeit. Frau Beer hat eben schon an die zentrale Passage des Schulkonsenses erinnert, obwohl das damals gar nicht im Fokus stand, aber es ja schön, unterschriebene Papiere und Verabredungen zu haben, an die man sich hinterher halten kann: Förderschulen, soweit sie trotz Inklusion erforderlich sind. – Das Land schließt keine Förderschulen. Die Kommunen treffen die Entscheidungen in eigener Verantwortung in dem gesetzlichen Rahmen, meine Damen und Herren.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] – Zurufe von der CDU: Och!)

Das ist auch richtig so, weil wir – Rot-Grün – Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung haben. Deswegen schreiben wir zum Beispiel auch keine neuen Raumstandards vor, weil wir wissen, die Kommunen regeln das in eigener Verantwortung.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Das heißt Subsidiarität, das heißt kommunale Selbstverwaltung, und darauf setzen wir. Daher haben wir das Gesetz offen gestaltet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe Montag mit dem neuen Präsidenten der Architektenkammer gesprochen und ihn gefragt: Was halten Sie davon, dass wir jetzt wieder Musterraumprogramme machen sollen, die wir auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände nicht mehr verlängert haben? Er hat geantwortet: Um Himmels willen, er würde auch noch einmal mit denen sprechen, es gebe zum Beispiel Schulbaupreise für wunderbare Schulgebäude, von den Kommunen in eigener Verantwortung gestaltet; diese Kreativität würde wahrscheinlich nicht freigesetzt, wenn man irgendwelche Musterschablonen in die Welt setzten würde, die unbedingt einzuhalten wären.

Unser Vorgehen hat also auch etwas mit unserem Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung zu tun, meine Damen und Herren,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

und nicht damit, irgendwelche Standards nicht setzen zu wollen.

Ich komme zu einer der Kernfragen, zur Konnexität. Herr Biesenbach, Herr Laschet, Herr Lindner, da Sie sind ausgewichen. Sie haben nicht klar beantwortet, ob Sie für Korb II und für eine bundesgesetzliche Leistung, die es schon ewig gibt, als Land für Sozialhilfeleistungen eintreten und einen Blankoscheck ausstellen wollen, ja oder nein. Das hätte ich gerne gewusst.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Dann sagen Sie, Herr Biesenbach – daran will ich auch erinnern –, und tun so, als sei die CDU immer und überall für Konnexität. Kein anderes Bundesland hat die Konnexität anerkannt – weder in Korb I noch in Korb II. Niedersachsen nicht, als Sie das Gesetz dort gemacht haben, Bayern nicht, als Sie das Gesetz dort gemacht haben, und Hessen auch nicht, als Sie das Gesetz dort gemacht haben. Sie verlangen also von uns mehr, als Sie selbst, als Sie noch in Regierungsverantwortung waren, gemacht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das zeigt, wie unglaubwürdig Sie sind, meine Damen und Herren von CDU und FDP.

Ich will, gerichtet an die Adresse der möglicherweise zuhörenden Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, auf eine noch offene, schwierige Frage eingehen, die wir gestern in der Fragestunde erörtert haben. Wir haben höchstrichterliche, auch bundesrichterliche Rechtsprechung, dass die Finanzierung der Integrationshelfer, wenn es sich um einen Individualanspruch im Sinne des Teilhabegesetzes handelt, nicht zu den Schulkosten im engeren Sinne zählt, sodass es nicht Landesaufgabe und nicht Schulträgeraufgabe, sondern Aufgabe der Kommunen als Sozialhilfeträger ist, dies den Kindern zu bieten. Das ist die rote Linie, die wir nicht überschreiten können, weil es aus juristischen Gründen nicht richtig wäre und auch finanzpolitisch nicht zu verantworten wäre. Ich verweise auf die Rechtsprechung.

Wir wollen aber versuchen – gemeinsam mit den Kommunen, gemeinsam mit anderen Bundesländern –, auf Bundesebene zu erreichen, dass die Integrationshelfer gepoolt werden können, dass sie nicht für jedes Kind einzeln da sein müssen. Das würde nicht einmal mehr Geld kosten. Dann könnten wir den exorbitanten Anstieg, den wir schon heute im Förderschulsystem in diesem Bereich haben, senken und würden etwas Gutes tun für die Kostenträger.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auch aus pädagogischen Gründen ist es nicht sinnvoll, dass etwa bei fünf Inklusionskindern noch zusätzlich fünf Erwachsene im Raum sind. Das ist nämlich gar nicht im Sinne des Erfinders.

Daran sehen Sie, meine Damen und Herren: Wir haben in dieser Regierung für alle anstehenden Fragen Antworten und Lösungen entwickelt. Wir werben dafür, mit den Kommunen zu einem Ergebnis zu kommen, weil wir daran ein Interesse haben, die gelingende Inklusion in Nordrhein-Westfalen umzusetzen und fortzuführen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Ich betone noch einmal: Inklusion fängt nicht an, sondern wir gehen in eine neue Stufe. Das ist es allemal wert, weil das gemeinsame Lernen der Kinder eine Bereicherung für alle Kinder ist und jede Schule auf dem Weg ist, eine gute Förderschule zu werden. Das muss doch die Linie sein, statt alte Muster gegeneinander zu stellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Biesenbach zu einem weiteren, mit Blick auf die Uhr kurzen Redebeitrag das Wort.

Peter Biesenbach*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Löhrmann, meine Redezeit beträgt leider nur wenige Sekunden. Trotzdem kann ich Ihnen ein Zitat aus einem Urteil des Landessozialgerichts aus dem Dezember 2013 nicht ersparen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Gestern!)

Es ist erst wenige Monate alt und geht auf die Frage nach den Integrationshelfern ein.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Gestern war das in der Fragestunde!)

Ich zitiere:

„Ebenso wenig verkennt der Senat die Gefahr, dass ein primär auf positive politische Außendarstellung bedachtes, seiner Gewährleistungsverantwortung für einen funktionierenden inklusiven Schulbetrieb aber nicht gerecht werdendes Land die Kosten der Inklusion quasi durch die Hintertür über das Jugendhilfe- oder das Sozialhilferecht den Kreisen und Gemeinden aufbürdet.“

Das ist das Problem, um das es uns heute geht.

(Beifall von der CDU, der FDP und Robert Stein [fraktionslos])

Herr Römer, wenn Sie gleich mit dem Städtetag reden, haben Sie die Chance, konstruktiv zu arbeiten, aber nur, wenn Sie die Revisionsklauseln annehmen. Dann habe ich auch den Eindruck, dass das Land eine sinnvolle Lösung will – aber nur dann. Wir werden heute Nachmittag wissen, ob Sie diesen Sprung wagen oder nicht. Es geht nur um Prinzipien, die Sie selbst gesetzt haben. Wir sind gespannt, aber nicht hoffnungsvoll.

(Beifall von der CDU, der FDP und Robert Stein [fraktionslos])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die FDP-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Lindner.

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Erste, was wir aus dieser Debatte gelernt haben, Frau Löhrmann, ist, dass Sie die Unsicherheiten sowohl bei Lehrkräften als auch bei Eltern als übliche administrative Schwierigkeiten sehen, obwohl es einen fundamentalen Prozess im nordrhein-westfälischen Schulsystem gibt, der den Charakter von Schulen und Schullandschaften vor Ort nachhaltig verändern wird.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zum Zweiten ist hier über meine Bemerkung gesprochen worden, dass dieses Gesetz ein grünes Prestigeprojekt sei. Herr Herter, bitte tun Sie nicht so, als hätten Sie letztes Jahr hier nicht viele Inklusionsdebatten verfolgt. Deshalb ist es unredlich, wenn Sie sagen, meine Fraktion sei gegen die Inklusion oder gegen die Teilhabe behinderter Menschen.

(Zurufe von der SPD)

Sie müssten sich ja hier die Ohren zugehalten haben bei den vielen Debatten der letzten Monate.

(Beifall von der FDP – Marlies Stotz [SPD] winkt ab.)

Dagegen sind wir nicht. Ihre Bemerkung war unter Niveau. Sehen wir einmal darüber hinweg.

Worum es uns geht und warum ich ein grünes Prestigeprojekt kritisiere, hat Frau Beer in dankenswerter Offenheit hier enthüllt, als sie den Zusammenhang zum Schulkonsens hergestellt hat.

(Kai Abruszat [FDP]: Ganz genau!)

Deshalb hat sich Armin Laschet da auch ein wenig von meiner Bemerkung distanzieren wollen.

(Zuruf von Marlies Stotz [SPD])

Aber das ist ja die Wahrheit: Es steht in einem Zusammenhang mit dem Schulkonsens. Wenn Sie davon sprechen, Sie wollten eine Inklusionsquote von 50 % bis 2017 erreichen, bedeutet das einen enormen Zeitdruck.

Frau Löhrmann, Sie haben in der letzten Schulausschusssitzung wörtlich von der Dezimierung der Förderschule gesprochen. Guntram Schneider ist in der „Kölnischen Rundschau“ mit dem Hinweis zitiert worden, bald gebe es überhaupt keine Förderschulen mehr. Das, verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, ist eben der ideologische Kern. Das ist der grüne Prestigecharakter dieses Gesetzes.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos] – Sigrid Beer [GRÜNE] winkt ab.)

83 % der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-West-falens sagen, sie wünschten sich eine Wahlfreiheit zwischen gemeinsamem Unterricht und Förderschule.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Die Menschen wissen, dass wir einen Schatz bei den Förderschulen haben. Das ist eine einzigartige pädagogische Ressource und Infrastruktur, die Sie mit Ihrem Inklusionsgesetz leichtfertig aufs Spiel setzen.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Das meinte ich mit meiner Bemerkung zum grünen Prestigeprojekt.

Was die bundesweiten Leistungsverpflichtungen zu den Integrationshelfern angeht und was wir diesbezüglich bieten würden – das war ja Ihr Versuch, in dieser Debatte in die Offensive zu kommen –, will ich Ihnen sagen: Mindestens politisch müssen Sie die mit Ihrer Gesetzgebung verbundenen bundesgesetzlichen Auswirkungen auf die Kommunen berücksichtigen. Da können Sie sich keinen schlanken Fuß machen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das machen Sie doch die ganze Zeit!)

Denn auf die Kommunen wirkt sich das unmittelbar aus. Da sind Sie politisch in der Verpflichtung.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Zum anderen haben wir bereits seit über einem Jahr vor einer Gesetzgebung ohne klare Qualitätsvorgaben gewarnt. Sie haben diese Warnungen nicht hören wollen.

(Beifall von der FDP und Robert Stein [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben seit Monaten Ihr hohes Tempo kritisiert. Sie haben es beibehalten. Wir haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass wir völlig unterschiedliche Situationen vor Ort haben. Frau Löhrmann, das wissen Sie in Wahrheit doch auch. Wie können Sie dann bei der Gesetzgebung politisch darüber hinwegsehen? Wir wissen: Es gibt Kommunen, die sehr weit bei der Inklusion sind – übrigens insbesondere im Elementarbereich –, mit eigenen Kräften.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wie viel Redezeit hat denn Herr Lindner? Er überzieht!)

Andere Kommunen stehen völlig am Anfang. Sie scheren die alle über einen Kamm.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ihre Zeit ist um!)

Das ist keine Politik, die im Sinne der kommunalen Familie Landespolitik freundlich gestaltet.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was ist mit der Zeit?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Koalition und die Landesregierung haben versucht, heute viele Nebelkerzen zu werfen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Herr Papke, er überzieht! – Gegenruf Christof Rasche [FDP]: Wie viel hat er denn überzogen?)

Sie werden aber nicht so viel Rauch produzieren, dass die Eltern Ihre großen Probleme in diesem Bereich übersehen werden.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Frau Ministerin Löhrmann hat noch einmal ums Wort gebeten und erhält es auch.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Da einige Aspekte noch angesprochen worden sind, möchte ich sie gerne richtigstellen.

Herr Kollege Biesenbach, wir haben gestern in der Fragestunde ausführlich erörtert – Sie waren offenbar nicht anwesend, was in Ordnung ist –, ob der Beschluss des Landessozialgerichts vom 20. Dezember 2013, der bestimmte Sorgen äußert, aber keine politischen Feststellungen trifft, mit unserem Gesetz, das hier in Rede steht, etwas zu tun hat.

(Zustimmung von Marc Herter [SPD])

Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, dass es in dem Beschluss um individuelle Rechtsansprüche geht, die Kommunen Kindern finanzieren müssen. Es ging nicht um die Anwendung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes, das bekanntermaßen erst zum 1. August dieses Jahres in Kraft tritt.

(Beifall von der SPD – Hans-Willi Körfges [SPD]: Das kann gar nicht sein!)

Insofern, Herr Biesenbach, wollen Sie etwas vermischen und schüren, weil Sie sich nicht substanziell darauf einlassen wollen, dass wir Vorsorge getroffen haben.

(Beifall von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])

Ich will Ihnen noch einmal sagen, dass wir selbstverständlich auch zur Frage der Integrationshilfe gemeinsam mit den Kommunen überlegen, wie wir einen vernünftigen Weg finden. Wir sind bereit, die Frage, ob die Sorge der Kommunen berechtigt ist, dass durch die Inklusion der Anspruch auf Integrationshilfe steigt oder nicht, in eine Untersuchungsklausel zu fassen, weil wir ein Interesse daran haben, zu einer Verständigung zu kommen.

Wir sind aber der Meinung, dass dies eher abschmelzend als aufwachsend ausfallen wird, weil wir – laut Kißgen-Gutachten und laut Zahlen der Gemeinden – schon jetzt den exorbitanten Anstieg im Förderschulsystem zu beklagen haben, im Übrigen gemeinsam mit den kommunalen Schulträgern. Auch hier haben wir einen Vorschlag überlegt, den wir demnächst mit den Kommunen in vernünftiger Art und Weise besprechen wollen.

(Zuruf von Peter Biesenbach [CDU])

Noch einmal zu Ihnen, Her Lindner: Das Gesetz ist etwas Neues, aber Inklusion und gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Handicap ist nichts Neues in Nordrhein-Westfalen. Offenbar ist es jedoch für Sie – und das nehmen wir zur Kenntnis – etwas fundamental Neues. Für viele andere Menschen in unserem Land ist es das erfreulicherweise nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Jetzt wird schon mit stumpfen Waffen geschossen!)

Noch einmal zurück zu den Förderschulen. Sagen Sie mal, wie ist das eigentlich bei den Hauptschulen gewesen, Herr Lindner? Die hatten ja auch kleine Klassen, dort fand gute pädagogische Arbeit statt. Es gab viel politischen Willen – auch von Ute Schäfer und anderen –, die Hauptschulen zu stabilisieren.

(Zurufe von der FDP)

Hat das geholfen, oder hat das nicht geholfen? Oder hat der Elternwille auch da zu einem Entwicklungsprozess geführt, den Sie aufgehalten haben, weil Sie in den Schulkonsens nicht eingetreten sind? So agiert die FDP doch hier!

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Eltern, insbesondere die Eltern von Kindern mit den Förderschwerpunkten Lernen und Emotionale Entwicklung wollen gerne, dass ihre Kinder mit anderen Kindern zusammen lernen. Deswegen wird es einen Abschmelzprozess der Förderschulen geben. Diese Tatsache hat Frau Gebauer hier zumindest bisher nicht bestritten. Dass es in Zukunft weniger Förderschulen geben wird, wird die Entwicklung sein, nicht zuletzt aufgrund der Demografie.

Wir machen eine Schulpolitik, die auch die demografischen Entwicklungen in den Blick nimmt, die aber insbesondere will, dass das gemeinsame Lernen von Kindern – was uns aufgetragen ist, was wir als SPD und Grüne aber gerne gestalten wollen – vernünftig weiter gestaltet wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aktuelle Stunde und die damit verbundene Aussprache über die Unterrichtung der Landesregierung.

Wir treten sodann ein in Tagesordnungspunkt

2   Auf eine erneute Erhöhung der Grunderwerbsteuer in Nordrhein-Westfalen verzichten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache
16/5031

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Witzel das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser spannenden Inklusionsdebatte haben wir jetzt eine weitere Stunde der Wahrheit und Klarheit in dieser Plenarwoche vor uns, wobei es um die Grunderwerbsteuer geht.

(Zuruf von den GRÜNEN: Der Wahrheit! – Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir wollen nämlich Ihr Bekenntnis als SPD und Grüne, dass es auch zukünftig in Nordrhein-Westfalen keine weitere Grunderwerbsteuererhöhung gibt.

Ihr Problem haben Sie hier in den letzten Plenarwochen verschiedentlich vorgetragen. Sie haben im Jahr 2020 eine Schuldenbremse zu erfüllen und wissen nach Ihren eigenen Prognosen nicht, wie Sie das mit Ihren bisherigen Instrumenten hinbekommen sollen.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Da Sie keine hinreichende strukturelle Aufgabenreduktion und Konsolidierung betreiben, weist der Bericht des Finanzministers selber eine Lücke von rund 1 Milliarde € für das Jahr 2020 aus – und das für den Fall, dass sich die Konjunktur weiter positiv entwickelt, Steuermehreinnahmen zu verzeichnen sind und ein Stabilitätsszenario vorliegt.

Die Bundesbank sagt Ihnen: Weil die Schuldenbremse keine unverbindliche Preisempfehlung ist, sondern verbindlich ist, brauchen Sie in Wahrheit noch einen Sicherheitspuffer obendrauf. – Sie arbeiten mit spekulativen Komponenten wie einer globalen Mehreinnahme von 300 Millionen €. Deshalb müssen Sie diese Lücke schließen.

Der Ansatz der Ministerpräsidentin ist noch einmal in ihrem Wochenendinterview deutlich geworden. Ich darf zitieren: „Ich halte höhere Steuern nach wie vor für notwendig, auch wenn sie in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzbar waren“, sagt Hannelore Kraft, natürlich mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen im Bund, nicht im Land.

(Zurufe von der SPD: Genau! – Richtig!)

Sie hätte mit den Grünen in der Koalition sicherlich alles an Steuererhöhungen durchsetzen können; im Bund war das offensichtlich noch ein bisschen anders. Da hat man sich auf implizite Steuererhöhungen verständigt; Stichwort: kalte Progression.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

– Aber man hat jedenfalls, Frau Kollegin Altenkamp, von expliziten Steuererhöhungen bei den Gemeinschaftssteuern abgesehen.

Nun brauchen Sie alternative Instrumente, und deshalb unterhält sich die Koalition darüber, was man nun bei den Landessteuern macht. Das ist verschiedentlich in Medienberichten dargestellt worden. Das größte Volumen haben Sie da natürlich bei der Grunderwerbsteuer.

Sie haben im Jahr 2011 eine Steuersatzerhöhung um 43 % vorgenommen. Das hat dazu geführt, dass in den drei Jahren – vom Jahresende 2010 bis Jahresende 2013 – die Steuereinnahmen hier von 1 Milliarde € auf 1,7 Milliarden € gesteigert wurden. Sie haben auf der Ist-Einnahmeseite in den letzten drei Jahren also eine Erhöhung um 70 % realisiert. Leider sind diese Einnahmen bereits von Ihnen verfrühstückt für Gratis-Kita und Gratis-Studium.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Deshalb ist es uns wichtig, dass wir uns einmal über die Frage unterhalten, wie es eigentlich mit Zahllast und Traglast aussieht. Da gibt es ja zwei Konstellationen:

Entweder Sie treffen mit einer Grunderwerbsteuererhöhung denjenigen, der für die eigenen vier Wände sorgen will; das heißt, Sie richten sich gegen junge Familien und gegen Arbeitnehmer, für die die SPD eigentlich viele Jahre für sich in Anspruch genommen hat, Politik zu machen und auch Arbeitnehmerhaushalten eigene Vermögensbildung in kleinerem Rahmen zu ermöglichen.

Oder Sie treffen vordergründig Unternehmer und Vermieter, die natürlich das, was ihnen hier an Mehrkosten entsteht, umlegen werden auf höhere Mieten und höhere Verbraucherpreise. Sie mischen damit einen gefährlichen Cocktail an; denn Sie sorgen im Ergebnis dafür, dass Wohneigentum teurer wird und dass sich Mieten entsprechend erhöhen.

Dann aber sind Sie die Ersten, die hier stehen und nach einer Mietpreisbremse rufen,

(Beifall von der FDP)

die für eine Eigenheimförderung mit Steuergeld sorgen wollen und die Wohn-Riester einführen. Sie wollen also mit staatlichen Gegensteuerungsinstrumenten steuerfinanziert aktiv werden, um die Fehler Ihrer eigenen Politik und Entscheidung zu korrigieren.

Wir halten das für den falschen Weg, und zwar in Übereinstimmung mit allen namhaften Instituten. Werfen Sie einmal einen Blick in das Protokoll über die Anhörung zu Ihrer letzten Grunderwerbsteuererhöhung! Was haben RWI und Industrie- und Handelskammern dazu gesagt? Das ist nachlesenswert. Das sollte Ihnen eine Warnung sein.

Wir wollen deshalb von diesem Parlament heute das Bekenntnis: Es kommt nicht zu einer weiteren Grunderwerbsteuererhöhung. Dieses sollten Sie als SPD und Grüne heute hier auch so erklären. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hübner das Wort.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Witzel, ich habe sehr beachtet, welche Volten Sie gerade von der Bundespolitik und ihrer Übertragung auf die Landespolitik gedreht haben.

Ich will eines herausgreifen. Ich will Hannelore Kraft ausdrücklich zustimmen, dass es ein richtiger Ansatz war, mit dem wir in die Koalitionsverhandlungen in Berlin gegangen sind, nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite zu betrachten. Von daher hat sie am vergangenen Wochenende eine völlig richtige These vertreten, woraus Sie zitiert haben. Von daher ist dem auch zuzustimmen.

Wir würden in der Tat viele Fragen in die gesamtgesellschaftliche Verantwortung stellen, wie wir es beispielsweise – ich glaube, auch mittlerweile mit Ihrer Zustimmung – bei der Eingliederungshilfe machen. Da sagen wir zu Recht: Es kann doch nicht wahr sein, dass wir das auf dem Rücken der Kommunen und deren Haushalte austragen, sondern das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und dafür sind allgemeine Deckungsmittel zu verwenden. Wenn das in einer absehbaren Zeit vernünftig umgesetzt worden wäre bzw. umgesetzt würde, dann hätten wir auch in der Koalition in Berlin viel gewonnen.

Ich denke, dass der Ansatz, den wir in Berlin gewählt haben, ein richtiger ist, nicht nur die Ausgaben-, sondern auch die Einnahmenseite zu betrachten.

Gleiches haben wir – darauf haben Sie zu Recht hingewiesen – vor ein paar Jahren bei der letzten Grunderwerbsteueranpassung natürlich vorgenommen. Ich will jedoch auch da auf einen kommunalpolitischen Aspekt aufmerksam machen, der heute Morgen in der Debatte bereits eine Rolle spielte. Den Griff in die kommunalen Kassen muss ich Ihnen für Ihre Zeit in der Landesregierung immer noch anlasten. Sie wissen, dass Sie auch bei der Grunderwerbsteuer für den Landeshaushalt richtig zugelangt haben, nämlich roundabout 150 Millionen € pro Jahr, indem Sie den Kommunen den Vier-Siebtel-Anteil an der Grunderwerbsteuer dauerhaft entzogen haben.

(Martin Börschel [SPD]: So ist das!)

Sie haben es dauerhaft entzogen. Wir haben es den Gemeinden zurückgegeben.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

– Mit Recht, Herr Kollege Körfges, völlig zu Recht eingeworfen. Auch bei der Anpassung der Grunderwerbsteuer von dreieinhalb auf fünf Prozentpunkte – die fünf Prozentpunkte gelten im Übrigen mittlerweile in acht Flächenländern, sind also relativ üblich – haben wir das den Kommunen zur Verfügung gestellt, und zwar in Gänze. Es kommt den Kommunen in Gänze zugute.

Die Einnahmeberechnung von 1,6 Milliarden €, die Sie gerade gemacht haben, entspricht dem auch. Davon gehen vier Siebtel wieder komplett an die Kommunen. Es war ein Erfolg dieser Landesregierung, dass wir das wieder erreicht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Eine Spitze will ich Ihnen trotzdem zurückgeben. Wenn das Ihre Bewerbungsrede für die Tea-Party-Bewegung in den Vereinigten Staaten war,

(Martin Börschel [SPD]: Die nehmen auch nicht jeden!)

dann ist sie kräftig misslungen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die das vielleicht nicht alltäglich verfolgen: Bei der Tea-Party werden Sie dadurch Mitglied, dass Sie für einmal, für immer, für die Zukunft und für tausend Jahre ausschließen, dass es überhaupt jemals Steuererhöhungen gibt. Das werden wir natürlich nicht tun; wir werden sehr angemessen beurteilen, wie ...

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

– Das Aufnahmeprozedere könnte er vielleicht versuchen, Frau Freimuth.

Man kann so etwas natürlich nicht heute für alle Zeit ausschließen. Aber ich will eines sagen: Es steht aktuell nicht auf der Tagesordnung. Das wissen Sie auch.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Sie versuchen hier gerade, im Vorfeld des 25. Mai ein Thema zu besetzen. Das ist Ihnen kräftig misslungen. Von daher werden Sie Verständnis dafür haben, dass wir Ihnen heute nicht zustimmen werden. Daraus können Sie aber nicht ableiten, dass nächste Woche eine Grunderwerbsteuererhöhung ansteht. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Übernächste Woche dann aber!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um mögliche Steuererhöhungen geht, dann gibt es in der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen wohl nur einen Grundsatz, welcher lautet: Abwarten, bis die nächste Chance da ist, den Bürgerinnen und Bürgern tiefer in die Tasche zu greifen. Oder, anders ausgedrückt: Die Katze lässt das Mausen nicht.

Es mag sein, dass das versuchte Dementi von Herrn Hübner eben hier im Landtag dies ein wenig verschleiern sollte. Es ist nur nicht die passende Gelegenheit, es zu verkünden. Denn erst einmal haben wir Kommunalwahl am 25. Mai, und bis dahin steht es halt noch nicht auf der Tagesordnung. Es könnte ja irgendjemanden erschrecken oder geradezu verschrecken.

(Beifall von der CDU)

Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, jeder, der sich jetzt angehört hat, was Herr Hübner hier präsentiert hat, weiß – um im Bild zu bleiben –: Die Katze sitzt schon mit wachem Auge im Gebüsch und wartet auf den Sprung nach dem 25. Mai.

(Martin Börschel [SPD]: Die Bilder sind immer das Schönste! Das ist zwar nicht wahr, aber schön!)

Es gibt dann hier nicht wieder so schnell eine Wahl. Deshalb kann man das in aller Ruhe mit der eigenen Gesetzgebungskompetenz machen. Sie werden irgendein Argument finden, warum sich die Lage verändert hat, und sich dann dem, was Kollege Witzel gesagt hat, anschließen. Sie werden dann nämlich feststellen: Hm, mit der mittelfristigen Finanzplanung, mit der Schuldenbremse kommen Sie doch nicht rum, ohne dass Sie sich einen oder anderthalb Prozentpunkte Grunderwerbsteuererhöhung dazunehmen. Es ist völlig klar: Sie werden es jetzt dementieren, aber nach dem 25. Mai sehen wir uns hier wieder.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wenn Sie es sich ein wenig genauer anschauen – das weiß der Kollege Hübner genauso wie der Finanzminister –, dann sind die Eckpunkte zum Landeshaushalt 2015, die Sie vorgestellt haben, sicherlich kein wirklich struktureller Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Sie betreiben sie eben nicht auf der Ausgabenseite. Da die Steuererhöhungen in Berlin bis 2017 erst einmal ausbleiben, bleibt Ihnen irgendwann nichts anderes übrig, als doch die Landessteuern zu erhöhen. Denn schließlich kann man nicht jedes Jahr einen Schul- und Studienfonds auflösen.

Wenn man weiß, dass ein Punkt Grunderwerbsteuer Ihnen mehr als 300 Millionen € bringt, dann ist es doch völlig klar, worauf Sie hier warten: Schön im Gebüsch sitzen bleiben bis nach dem 25. Mai, bis nach der Kommunalwahl, und dann schauen, ob man in Zukunft nicht die 1,7 Milliarden €, die das Land 2013 eingenommen hat, vielleicht noch um 300 Millionen aufstocken kann.

Wenn man sich dann insgesamt mal anschaut – Herr Minister, ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören –, warum Sie das Problem haben, sieht man, dass es im Kern an den Altschulden liegt, die das Land über 40 Jahre aufgehäuft hat und die Sie einfach weiter aufhäufen, ohne dass Sie ernsthaft etwas daran tun wollen, weil Sie es eben nicht strukturell angehen.

Sie bringen mittlerweile jeden Tag 11 Millionen € zur Bank. Diese 11 Millionen bringen Sie genau zu den Banken, die die Koalitionskollegen doch sonst immer so kritisch sehen.

(Beifall von der CDU)

Warum machen wir uns denn nicht einmal an die Arbeit, diese Lasten zu reduzieren? Stattdessen betreiben Sie weiterhin die Politik der eingeschlafenen Hand in dieser Landesregierung. Wenn dann Ihre Hand mal wieder wach wird, dann greifen Sie ganz schnell wieder in die Taschen der Bürger. Das ist aber keine Zukunftsgestaltung. Das ist Politikverweigerung.

Deshalb sind wir sicher: Nach dem 25. Mai, dem Tag der Europawahl und der Kommunalwahlen, werden wir uns hier wiedersehen. Dann reden wir über die nächste Steuererhöhung der Regierung Kraft. Da bin ich mir sicher.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Optendrenk, ich hatte eigentlich gedacht, dass es hier in Nordrhein-Westfalen so funktioniert wie im Bund. Dort hat die CDU auch verkündet: Alle Mehrausgaben kann man durch eine bessere Konjunktur hinbekommen. – Nur für Nordrhein-Westfalen gilt das nicht. Wir sehen ja an Ihren Rentenbeschlüssen, wie hervorragend das in Berlin funktioniert.

Herr Kollege Witzel, ich will Ihnen auch eines vorweg sagen: Ich kann Ihnen weder bestätigen, dass wir die Grunderwerbsteuer senken, noch dass wir sie erhöhen. Ich kann Ihnen ein paar andere Punkte bestätigen.

Ich kann Ihnen die Tatsache bestätigen, dass CDU und FDP den höchsten Einkommensteuersatz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland festgesetzt haben.

(Beifall von der SPD)

Ich kann Ihnen bestätigen, dass in Ihrem Haushaltskonzept noch 500 Millionen € Mehreinnahmen aus dem Schweizer Steuerabkommen eingerechnet waren. Jetzt stellt sich aber heraus: Wenn es ein vernünftiges Steuerabkommen mit der Schweiz gibt, kommt es zwar zu erheblichen Mehreinnahmen gegenüber jetzt, aber zu noch dramatisch höheren gegenüber dem, was Sie ausgerechnet haben.

Ich kann Ihnen noch etwas bestätigen. Ich kann Ihnen bestätigen: Wenn Rot-Grün in Berlin regiert hätte, wäre zumindest, wenn es nach den Grünen gegangen wäre, die Mövenpick-Steuer wieder eingeführt worden, die Sie fälschlicherweise abgeschafft haben.

Ich kann Ihnen auch bestätigen, dass wir die Gewerbesteuer für zwingend erforderlich halten und sie weiterhin lebensfähig machen wollen, im Gegensatz zu dem, was die FDP vorschlägt.

Ich kann Ihnen zudem bestätigen, dass die Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen gegen den erklärten Willen der FDP weiterhin abgeschafft bleiben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich kann Ihnen zusätzlich noch etwas bestätigen – denn die Summe ist noch ein bisschen höher als der Kollege Hübner, der sehr bescheiden ist, bestätigt hat –:

(Heiterkeit von der SPD)

Tatsächlich sind es über 200 Millionen €, die jährlich von der Grunderwerbsteuer als kommunaler Anteil an die Kommunen gehen, was Sie mit der schwarz-gelben Koalition 2006 in Nordrhein-Westfalen abgeschafft haben.

Ich kann Ihnen auch noch bestätigen, dass wir den Landeshaushalt vor 2 Milliarden € Mehrausgaben, die die FDP vorhat, beschützen werden.

Wir werden nicht zustimmen, die Besoldung um 700 Millionen € zu erhöhen.

Wir werden nicht zustimmen, 400 Millionen € im Bundesrat bei Steuergesetzen – Stichwort „Progression“ – durchzuwinken.

Wir werden auch nicht zustimmen, die Grunderwerbsteuer um anderthalb Punkte abzusenken, was Sie ja vorgeschlagen haben, was den Landeshaushalt 450 Millionen € kosten würde.

Dazu, was die Inklusion Ihnen wert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie ja heute gar keine Summe auf den Tisch gelegt. Auch mit dem Thema gehen wir verantwortungsvoll um.

Die FDP hat ja zu Beginn der Debatte gesagt: Jetzt kommt wieder die Stunde der Wahrheit, die Stunde des Bekenntnisses. – So viel Glockengeläut in diesem Parlament ist sehr schön für eine liberale Partei.

Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, halte es lieber mit Zahlen und Fakten. Da unterscheidet uns von Ihnen eine ganze Menge. Sie machen hier großes Geläut. Wir machen Sacharbeit. Das hat sich eben gezeigt. Das hat sich in der Haushaltspolitik gezeigt.

Insofern werden wir diesen Antrag der FDP-Fraktion natürlich ablehnen. Er ist nicht sachdienlich. Er ist Show. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich das Parlament um Ablehnung dieses Antrages.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schulz das Wort.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier im Saal und zu Hause am Stream! Eine Steuerdiskussion ist auf der einen Seite immer eine Einnahmendiskussion und auf der anderen Seite – wie wir auch zuletzt in Bezug auf die Inklusion hörten – eine Ausgabendiskussion. Ausgabenpolitik wurde heute eigentlich wenig berührt, wenngleich im Hintergrund immer stand: Inklusion kostet Geld.

Alle Aufgaben, die das Land zu erfüllen hat, kosten Geld. Natürlich bedarf es insoweit auch der Ehrlichkeit der Politik dahin gehend, dass finanzielle Lasten nicht in die Zukunft zu verschieben sind. Da sind wir selbstverständlich, Herr Finanzminister, auch bei der Frage der Neuverschuldung, deren Ende ja, zumindest was die Schuldenbremse angeht, irgendwann auch einmal absehbar ist.

Auf der anderen Seite muss man einfach im Auge haben, dass richtigerweise die Grunderwerbsteuer eine besondere Landessteuer ist. Da kommen wir einmal zu den Fakten der letzten Jahre.

Bei der Grunderwerbsteuer hatten wir ein Ist in 2012 in Höhe von 1,567 Milliarden €. Wir haben einen Ansatz, der im Ist noch nicht ganz klar ist, für 2013 von 1,58 Milliarden € gehabt. Wir haben einen Ansatz für 2014 in Höhe von 1,6 Milliarden €, was gegenüber 2013 eine Mehrkalkulation von 20 Millionen € bedeutet.

Das beinhaltet wahrscheinlich auch – wir reden ja heute sehr viel über Vermutungen, Annahmen und Orakel – konjunkturelle und zinsbedingte Mehreinnahmen in diesem Bereich der Grunderwerbsteuer.

Es könnte natürlich auch noch mehr sein. Es könnte natürlich sein, dass die Zinspolitik der Europäischen Notenbank wie auch der Zentralbanken im Übrigen noch einmal regelrecht einen Entfesselungseffekt ausübt, um bei einer bestimmten Wortwahl der FDP zu bleiben, was den Immobilienmarkt angeht.

Der Antrag der FDP spricht sehr stark von einer Belastung der privaten Haushalte. Die Rede von Herrn Witzel bezog sich aber natürlich auch auf institutionelle Anleger bzw. gewerbliche Händler von Immobilien, Investoren und Großunternehmen im Bereich der Immobilienbranche.

Ich denke, dass wir in Deutschland eine Gesetzeslage haben, die auch für den Fall, dass es zu einer Grunderwerbsteuererhöhung kommen sollte, uferlose Mehrausgaben verhindert.

Wir müssen hier und heute einfach sagen, dass wir gar keine Notwendigkeit für eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer in Nordrhein-Westfalen sehen. Auch an dieser Stelle müssen wir nämlich einmal bei den globalen Mehreinnahmen bleiben. Diese waren für 2013 mit 160 Millionen € kalkuliert und sind für 2014 mit 300 Millionen € kalkuliert. Wenn wir es richtig sehen, sind sie gar nicht eingenommen worden bzw. sind die Sondereffekte dann in die globale Mehreinnahme umgebucht worden.

In einer der letzten Debatten haben wir hier im Hause von Herrn Finanzminister gehört, dass ein Teil dieser globalen Mehreinnahme für 2014 bereits erwirtschaftet ist, und zwar durch die Einnahmen aus der Auflösung der Schul- und Studienfonds. Zumindest hat er das an diesem Platz so gesagt. Das sind 80 Millionen €, wenn ich es recht in Erinnerung habe.

Als Piratenfraktion sagen wir natürlich: Sowohl globale Mehreinnahme als auch globale Minderausgabe sind Intransparenzposten im Haushalt. Wir möchten sie gerne belegt haben. Das ist ganz klar. Hier muss also geäußert werden, wie die Mehreinnahmen erwirtschaftet werden sollen und wie die Minderausgaben, bitte schön, belegt werden können.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern keinen Sand in die Augen streuen und auch keine Augenwischerei betreiben. Vielmehr wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern sagen, was Sache ist.

Selbstverständlich – da sind wir durchaus bei dem Antrag der FDP, der aus unserer Sicht allerdings zu früh kommt und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen zu reißerisch ist, sodass wir ihn hier nicht mittragen können – erwarten wir hier auch ehrliche Aussagen. Herr Hübner, Sie sagen, die erneute Erhöhung der Grunderwerbsteuer stehe in Nordrhein-Westfalen heute und auch nächste Woche nicht auf der Tagesordnung. Es ist natürlich ein Anliegen der Piratenfraktion, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wissen, wann sie kommt, wenn sie kommt.

Wenn sie nicht kommt, soll es bitte auch gesagt werden, damit die Menschen kalkulieren können und entscheiden können, ob sie noch dieses Jahr ein Häuschen kaufen oder es nächstes Jahr weiterhin tun können, ohne eine Mehrbelastung tragen zu müssen. Das ist für junge Familien in der Tat eine ganz wesentliche Aussage, die hier vonseiten der Landesregierung, aber auch der regierungstragenden Fraktionen einmal getroffen werden sollte.

Daher hoffen wir von der Piratenfraktion, dass wir mit den regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung einen verlässlichen Partner innerhalb des konstruktiven Zusammenhalts des Hohen Hauses, …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Denken Sie an die Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): … der Fraktionen übergreifend behalten können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst hat Herr Lindner bedauerlicherweise auf Maskerade verzichtet. Ich hätte gerne einmal gesehen, in welche Rolle er geschlüpft wäre. Allerdings würde ich empfehlen, dass Sie bei diesem Antrag ebenfalls auf Maskerade verzichten; denn nichts anderes ist diese Diskussion, die Sie hier völlig zur Unzeit vom Zaun brechen.

Sie beginnen eine Diskussion über die Grunderwerbsteuer und fragen immer wieder, ob es entsprechende Pläne gebe. Ich kann Ihnen sagen: Die Landesregierung hat keine Pläne. Das ist eine Entscheidung des Landtags.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Die Landesregierung hat keine Pläne! Das ist wahr! Die Landesregierung ist planlos!)

– Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Sie wollen sich mit dieser Maskerade vor einer Zielgruppe schöner machen, vor der Sie nicht bestehen können. Das sind gerade die jungen Familien. Sie wollen hier den Eindruck erwecken, diese Landesregierung und diese Regierungskoalition würden jungen Familien nicht entgegenkommen.

Dann sagen Sie doch bitte auch, dass es richtig ist, das letzte Jahr des Kindergartens beitragsfrei zu stellen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Dann bezeichnen Sie die Abschaffung von Studiengebühren nicht als „Spielwiesen“.

Dann sprechen Sie sich mit uns für eine Korrektur der Steuerpolitik dahin gehend aus, dass die Spitzensteuersätze erhöht werden und im unteren Bereich Möglichkeiten entstehen.

Das wollen Sie doch alles gar nicht.

(Beifall von der SPD)

Sie reden immer vom schlanken Staat. Auch heute haben wir das schon mehrfach gehört. Interessanterweise war dieses Thema auch Gegenstand eines Artikels in der „Welt am Sonntag“ vom Wochenende. Dort ist nachzulesen, wie deutlich der Ruf nach dem Sparen auf der einen Seite und die immer wieder erhobenen neuen Forderungen auf der anderen Seite auseinanderfallen.

Sie reden also vom schlanken Staat. Sie wollen aber nicht den schlanken Staat. Sie wollen einen mageren Staat. Sie wollen einen schwachen Staat. Sie wollen einen Staat, der nicht in der Lage ist, für genau diese Zielgruppe der jungen Familien Leistungen zu erbringen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Um das ein bisschen aufzupeppen, kommen Sie mit der Grunderwerbsteuer und machen sich an einer globalen Mehreinnahme von 300 Millionen € fest. Herr Schulz hat darauf hingewiesen, dass durch die verzögerte Auflösung der Schul- und Studienfonds schon 80 Millionen € globale Mehreinnahme zustande gekommen sind. Ich konnte diese Einnahme nicht für 2014 transparent und konkret machen. Ich hatte sie für 2013 transparent und konkret gemacht. Sie haben sie ins Jahr 2014 verschoben.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Es gibt noch zwei Studienfonds!)

Im Übrigen geht es auch nicht um ein Strohfeuer. 300 Millionen € sind gerade einmal 0,5 % der Einnahmen des gesamten Landeshaushalts. Man kann immer davon ausgehen, dass in dieser Größenordnung Einnahmen anfallen, die man am Anfang des Jahres nicht genau festlegen kann. Lassen Sie mich nur daran erinnern, dass wir im letzten Jahr über 200 Millionen € aus dem Zementkartell bekommen haben und im Jahr davor 200 Millionen € von Schweizer Banken erhalten haben. Ich möchte in Aussicht stellen, dass es aus ähnlichen Bereichen sicher auch noch globale Mehreinnahmen gibt, die ich allerdings nicht mit einer festen Titelbezeichnung in den Haushalt schreiben kann. Die globalen Mehreinnahmen haben mit dieser Debatte aber überhaupt nichts zu tun.

Lassen Sie uns – das wäre mein Rat – über einen staatlichen Auftrag dahin gehend reden, was ein Land zu tun hat. Sie selbst fordern immer wieder alles Mögliche. Lassen Sie uns dann auch darüber reden, wie man es denn finanziert, und zwar gerecht finanziert. Dann kommen wir auf eine ganze Reihe unter anderem steuerpolitischer Fragen.

Das an dieser Stelle festzumachen, um sich vor einer Zielgruppe ins rechte Licht zu setzen, der Sie an anderer Stelle immer wieder die Zusagen einer Landesregierung wie der unseren verweigern, ist aber nicht fair. Es ist dieser Zielgruppe gegenüber auch nicht gerecht.

Deswegen ist dieser Antrag nicht mehr als das, was ich am Anfang gesagt habe, nämlich Maskerade. Auch wenn wir Karneval haben, muss das im Landtag nicht positiv beschieden werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Herr Minister, bleiben Sie bitte vorne, denn Herr Kollege Witzel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet, erhält jetzt das Wort für 90 Sekunden unter der Voraussetzung, dass er sich eindrückt. – Anschließend hat Herr Minister bekanntlich 90 Sekunden zur Entgegnung. Zunächst aber Herr Kollege Witzel, bitte.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, Sie haben im Haushalts- und Finanzausschuss erklärt, es habe keinerlei Beauftragung durch Ihr Haus gegeben, an solchen Konzepten für eine weitere Grunderwerbsteuererhöhung zu arbeiten. Es wird, wenn Sie das vortragen, sicherlich so sein.

Bei der letzten von Rot-Grün zusammen mit der Linkspartei initiierten Grunderwerbsteuererhöhung war es ein Antrag der Koalitionsfraktionen. Deshalb sind Sie von unserem Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner und von mir gefragt worden,

(Zuruf von der SPD: Fragen!)

wie Sie es finden, wenn eine solche Initiative von Koalitionsfraktionen vorliegt. Wie verhält sich die Landesregierung dazu?

Sie haben uns schriftlich geantwortet, Sie fänden diese Frage befremdlich. Deshalb möchte ich die hier noch einmal stellen: Die Landesregierung äußert sich in allen politischen Debatten. Sie hat eine Meinung und eine Haltung.

Nachdem Sie bereits 70 % Mehreinnahmen aus der Grunderwerbsteuer in den letzten drei Jahren im Jahresvergleich 2010/2013 haben – erst letzte Tage haben Sie 1,7 Milliarden € mitgeteilt –: Wollen Sie in dieser Legislaturperiode an das Instrument ran? Halten Sie es für richtig, dass es zu einer erneuten Grunderwerbsteuersatzerhöhung kommt?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Soweit die Kurzintervention von Herrn Kollegen Witzel. Jetzt hat Herr Minister das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Witzel, ehrlich gesagt finde ich es zunächst einmal befremdlich, dass Sie immer nach Konzepten fragen, und das bei einer Rechnung, die einfacher nicht sein kann:

Wir haben 1,6 Milliarden € bei 5 % Grunderwerbsteuer im Haushalt stehen. 1 % sind deshalb 320 Millionen € oder – wenn es 1,7 Milliarden € sind – 340 Millionen €. Anders als Sie geben wir davon ein Siebtel an die Kommunen weiter.

Jeder kann sich ausrechnen, was 1 % ist. Dafür brauche ich niemanden zu beauftragen. Das ist jedem präsent. Daraufhin kann jeder seine eigenen Entscheidungen treffen. Mehr als Dreisatz braucht man dafür nicht.

Zum zweiten Punkt: Wir haben einen Haushalt vorgelegt, von dem ich sage: Die dort enthaltenen Größen sind erwartete Größen, die nicht darauf basieren, dass man dafür eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer benötigt. Wir haben aber immer auch gesagt: Wir glauben, dass die Aufgaben, die das Land zu erledigen hat, finanziert werden müssen.

Deswegen unterstreiche ich noch einmal das, was die Ministerpräsidentin am Sonntag in einem Interview gesagt hat: Wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzdecke, die für das zur Verfügung steht, was wir an Aufgaben zu erledigen haben, reicht. Es gibt Ansätze, die wir vor der Bundestagswahl und nach der Bundestagswahl genannt haben. Auch wenn sie jetzt noch nicht so durchgesetzt sind, werden wir abwarten, wie ein Bundesfinanzminister mit dem, was er rechnet und zwischendurch erkennen lässt, zurande kommt.

Das sind die Grundlagen dafür, über Haushaltsplanung zu reden – auch auf Landesebene.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Soweit die Kurzintervention und die Entgegnung. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung:

Die antragstellende FDP-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt.

(Zuruf von der SPD: Wo ist denn die FDP?)

Wir kommen also zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5031. Wer dem FDP-Antrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Kollege Stein.

(Unruhe und Zurufe von der SPD)

Ich darf fragen, wer diesen Antrag ablehnen möchte. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Enthält sich ein Kollege oder enthalten sich Kollegen der Stimme? – Das ist nicht der Fall. – Damit ist der Antrag Drucksache 16/5031 mit der festgestellten Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf

3  Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes – 14. Rundfunkänderungsgesetz –

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4950

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die Landesregierung Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung schlägt dem Landtag die Novellierung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes vor. Wir reagieren damit auf aktuelle Bedarfe und tragen den veränderten Rahmenbedingungen für Medien in einer digitalen Gesellschaft Rechnung.

Kernelemente der vorgeschlagenen Novellierung sind Vielfalt, Partizipation und Transparenz, alles Grundsätze, deren Umsetzung mit konkreten Anforderungen bereits im Koalitionsvertrag vereinbart ist.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine effektive und effiziente Medienaufsicht.

Wir brauchen Strukturen, die Vielfalt gerade auch im lokalen und regionalen Bereich durch starke private Angebote ermöglichen.

Wir brauchen Regulierungsmodelle, die die fortschreitende Digitalisierung berücksichtigen und auch in einer konvergenten Medienwelt noch zielführend sind.

Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger und damit die Nutzerinnen und Nutzer der Medien noch mehr in die Gestaltung der Medienordnung einbeziehen. Das stärkt die regulatorischen Ansätze, schafft Akzeptanz und fördert zugleich die Medienkompetenz.

Der Gesetzentwurf, mein Damen und Herren, kann sicherlich nicht Antworten auf alle Fragen von morgen geben. Aber er stellt heute schon wichtige Weichen für eine zukunftsfähige Medienordnung in Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte deutlich machen, dass sich die Landesregierung ihre Forderungen nach Transparenz und Partizipation selbst zu eigen macht, denn Grundlage für diesen Regierungsentwurf bildete zunächst ein Arbeitsentwurf, der im Frühjahr letzten Jahres im Rahmen einer vierwöchigen Online-Konsultation öffentlich diskutiert werden konnte.

Die Beteiligungszahlen waren mit über 2.600 Besucherinnen und Besuchern der Webseite, über 900 abgegebenen Bewertungen und fast 600 Kommentaren für eine Spezialmaterie wie diese sehr erfreulich. Die Konsultation und darüber hinaus eingegangene Stellungnahmen und Anregungen wurden ausgewertet und in die Erstellung des Gesetzentwurfs einbezogen.

Worum geht es in der Novellierung konkret? Ich will hier auf einige wichtige Schwerpunkte eingehen: Das Gesetz stärkt unsere Medienaufsicht in Nordrhein-Westfalen. Dies umfasst unter anderem die weitere Zusammenführung der bisher zwischen der Bezirksregierung Düsseldorf und der Landesmedienanstalt geteilten Aufsicht über Internetangebote in der Hand der LfM, der Landesanstalt für Medien. Dies umfasst aber etwa auch die Sicherung der Unabhängigkeit und Kompetenz der Medienkommission als staatsfernes und plurales Aufsichtsgremium, indem ihr ein Zugriff auf notwendige finanzielle und personelle Ressourcen eingeräumt wird.

Als Grundlage für Akzeptanz und stärkere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern werden zugleich die Transparenz und die Wahrnehmbarkeit der Gremienarbeit bei der LfM verbessert. Sitzungen der Medienkommission sollen zukünftig grundsätzlich öffentlich sein. Alle für die Entscheidungen der LfM wichtigen, wesentlichen Dokumente und Informationen sollen im Internet veröffentlicht werden.

Partizipationsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern werden auch insoweit unterstützt, als die bereits sehr erfolgreich von der LfM durchgeführte Medienversammlung nunmehr explizit als ihre Aufgabe im Gesetz verankert wird. Die Medienversammlung soll mindestens einmal jährlich von der LfM durchgeführt werden. Sie soll Mediennutzerinnen und Mediennutzer zusammen mit Akteuren der Medienbranche kontinuierlich in den Diskurs über die Gestaltung der Mediengesellschaft einbinden.

Im Rahmen unserer Onlinekonsultation lag ein Schwerpunkt der Stellungnahmen bei den Bürgermedien. Der Gesetzesvorschlag geht insofern über die Vorschläge im ersten Arbeitsentwurf hinaus, weil er auf die sichtbar gewordenen Bedürfnisse der Bürgermedien eingeht. Nach dem Vorbild des sehr erfolgreichen Bürgerfernsehprojekts „nrwision“ soll auch im Hörfunkbereich ein solcher Lehr- und Lernsender möglich werden.

Zugleich sollen die Bürgermedien die Möglichkeit erhalten, über den Aufbau einer gemeinsamen bürgermedialen Partizipationsplattform Beiträge nachhaltig und sendezeitunabhängig anzubieten. Ausgehend von der traditionellen Verbreitung im lokalen Hörfunk finden die Bürgermedien auf diese Weise auch in der digitalen Welt ihr Zuhause.

Darüber hinaus werden insbesondere die Möglichkeiten zur Förderung durch die LfM an die bestehenden Bedarfe angepasst. Zudem erhalten die Bürgermedien einen Sitz in der Medienkommission der LfM.

Meine Damen und Herren, in vielen Punkten geht NRW mit dem Gesetzesvorschlag neue Wege und nimmt hierbei auch im Länderkreis eine Vorreiterrolle ein. Herausragendes Novum ist die bereits im Koalitionsvertrag vorgesehene Einrichtung einer Stiftung für Vielfalt und Partizipation. Die LfM wird mit dem Gesetzentwurf beauftragt, eine solche Stiftung einzurichten und hierzu eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu gründen. Aufgabe der Stiftung ist die nachhaltige Unterstützung des Lokaljournalismus. Es gibt in diesem Bereich – das haben die Gespräche mit Beteiligten immer wieder bestätigt – dringende Bedarfe.

Für die Landesregierung ist klar: Vielfalt in lokalen und regionalen Medien ist für den demokratischen Willensbildungsprozess unerlässlich und muss daher auch in Zeiten des digitalen Wandels erhalten bleiben. Der Landesregierung ist es daher umso wichtiger, dass die Stiftung staatsfern und unabhängig von Einzelinteressen agieren kann. Die Stiftung ist daher bei der LfM angesiedelt.

Die LfM selbst hat angekündigt, jährlich 1,6 Millionen € aus ihrem Etat für die Stiftung zur Verfügung zu stellen. Neben Rundfunkbeiträgen sollen nach den Vorstellungen der Landesregierung die Aufgaben der Stiftung zukünftig jedoch auch durch private Gelder, etwa Spenden, mitfinanziert werden können. Ziel ist es dabei nicht, den lokalen Medien ein Korsett an Hilfeleistungen aufzudrängen oder aufzuzwängen, vielmehr soll die Stiftung für die Beteiligten selbst Plattform des Dialogs über Bedarfe und mögliche Best-Practice-Modelle sein.

Als wichtige weitere Veränderung, meine Damen und Herren, stärkt der Gesetzentwurf gezielt den privaten Hörfunk als zweite Säule der dualen Rundfunkordnung. Der Status quo der dem WDR und dem Deutschlandradio zur Verfügung stehenden UKW-Frequenzen wird zum Stichtag 31. Dezember 2013 gesetzlich abgesichert. Ausgehend davon, dass der Grundversorgungsauftrag durch den WDR und das Deutschlandradio im UKW-Bereich damit hinreichend erfüllt wird, sollen alle weiteren für eine Rundfunknutzung zur Verfügung stehenden analog-terrestrischen Übertragungskapazitäten zukünftig von privaten Anbietern genutzt werden können.

Auf diese Weise wird die Grundlage für das Entstehen neuer Hörfunkangebote geschaffen, die zur Vielfalt in NRW beitragen können. Nachrangig zur flächendeckenden Versorgung mit lokalem Hörfunk sollen die Frequenzen dabei vor allem einer landesweiten privaten Hörfunkkette zugutekommen. Ein neues Angebot könnte auf der Grundlage vorhandener Übertragungskapazitäten gegebenenfalls schon im Jahr 2015 starten. Die Entscheidungshoheit über den sinnvollen Einsatz der Frequenzen liegt – ebenfalls aus Gründen der Staatsferne – bei der LfM.

Neu ist insofern die ausdrückliche Verankerung der Anreizregulierung als Regulierungsmodell. Die LfM soll bei der Entscheidung über die Nutzung von Übertragungswegen gemeinsam mit den Akteuren Kriterien und Mechanismen entwickeln, durch die der Erhalt und das Entstehen von Public-Value-Inhalten, das heißt Inhalten, die für die Meinungsbildung von besonderem Interesse sind, gefördert werden kann.

Ein solcher Regulierungsansatz gewährt der Landesmedienanstalt mehr Freiräume, stärkt die Verantwortlichkeit der Veranstalter und stützt zugleich die Vielfalt im Interesse der regulatorischen Zielsetzung.

Mit dem Ansatz der Anreizregulierung kann zudem der Konvergenz der Medien zukünftig auch regulatorisch stärker Rechnung getragen werden. Sie schafft perspektivisch die Grundlage dafür, auf die bisherige Unterscheidung zwischen linearen und nichtlinearen Rundfunkinhalten verzichten zu können.

Technischer Fortschritt erlaubt eine effiziente Nutzung von Übertragungswegen. Um die hierdurch entstehenden Chancen für Vielfalt besser zu nutzen, eröffnet das Gesetz Möglichkeiten zur weitergehenden schrittweisen Digitalisierung des Kabelnetzes.

Die Interessen aller Beteiligten, insbesondere der Bürgerinnen und Bürger sind hierbei hinreichend zu berücksichtigen. Die stufenweise Digitalisierung soll daher auf der Grundlage eines Digitalisierungskonzepts erfolgen, das von der LfM für verbindlich erklärt werden kann.

Meine Damen und Herren, dies sind nur einige wesentliche Punkte aus dem Vorschlag der Landesregierung. Ich bin überzeugt, dass der Gesetzentwurf die Grundlage für eine moderne und zukunftsfähige Medienordnung schafft und freue mich sehr auf die weitere Diskussion im Parlament und mit dem Parlament.

Ich möchte noch anfügen, dass die Website der Onlinekonsultation bis mindestens September dieses Jahres online verfügbar ist. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kann so auch weiterhin darauf zurückgegriffen werden. Alle Kommentare und Bewertungen sind über eine Open-Data-Schnittstelle herunterladbar. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Frau Ministerin. – Als nächstem Redner erteile ich für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Vogt das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Heute steht auf unserer Tagesordnung das „Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes“.

Zugegeben, das klingt erst einmal recht sperrig, aber es betrifft uns alle. Technische Entwicklungen, Digitalisierungen, neue Funktionalitäten und Anwendungen auf Endgeräten, mit denen vor zehn Jahren noch niemand gerechnet hat: Tablets, Smart-TV, Smartphones, wir sprechen von linearer und nonlinearer Mediennutzung. Viele Rahmenbedingungen haben sich so schnell wie nie zuvor geändert. Chancen und Risiken durch eine immer stärkere Vernetzung treten immer schneller zutage. Wir alle nutzen diese Möglichkeiten und sind Teil dieser Entwicklung.

Diese Entwicklung stellt nicht nur uns als Mediennutzer, sondern auch Unternehmen und das Land NRW vor neue Herausforderungen. Das Landesmediengesetz mit all seinen Regelungen muss diese neuen Gegebenheiten berücksichtigen. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem gerecht.

Der rot-grüne Koalitionsvertrag hat wichtige Eckpunkte unserer politischen Auffassung für den Bereich der Medien in NRW festgehalten. Mit dieser Novellierung des LMG können wir zahlreiche unserer Vorstellungen umsetzen. Der Gesetzentwurf hat zum Ziel, Vielfalt zu sichern, Partizipation zu stärken und Transparenz zu schaffen.

Meine Damen und Herren, NRW ist Medienland Nummer eins. Wir haben 25.000 Medien- und Kommunikationsunternehmen, 425.000 Mitarbeiter in dem Bereich, die einen Umsatz von 126 Milliarden € im Jahr erwirtschaften. Bei uns finden wir 40 Regionalzeitungen, einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, vielfältige private Lokalradios, top TV- und Filmproduzenten und erfolgreiche TV-Sender. Darüber hinaus sind wir der umsatzstärkste Games-Standort. Auf all das können wir stolz sein. Und es gilt, das zu bewahren und auszubauen.

Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf: Die Landesregierung hat für die bisherige Entwicklung der Novelle neue Wege beschritten. Schon im Frühjahr letzten Jahres wurde ein erster Arbeitsentwurf ins Netz gestellt. Vier Wochen lang konnten Interessierte den Text kommentieren und Vorschläge einbringen. Allein dieses Verfahren war ein voller Erfolg: weit mehr als 500 Vorschläge online, dazu viele schriftliche Eingaben.

Dass sich diese Art der Onlinekonsultation gelohnt hat, hat sich gezeigt. Gelohnt hat sie sich übrigens nicht nur für die Regierung, sondern auch für uns als Parlamentarier. Wir können im weiteren Beratungsverlauf auf diese Eingaben zurückgreifen. Frau Dr. Schwall-Düren hat gerade ja noch mal betont, dass uns diese Informationen bis zum Herbst zur Verfügung stehen.

An dieser Stelle schon mal einen herzlichen Dank an alle an diesem Prozess Beteiligten! Ich glaube, dass diese Art der Onlinekonsultation ein Beispiel dafür sein kann, wie man andere Gesetzesinitiativen bürgernah, transparent und offen einbringen kann.

Nun liegt uns ein Gesetzentwurf vor, in den schon eine Reihe von Vorschlägen, die im Rahmen dieser Konsultationen gekommen sind, eingeflossen sind. Ich möchte auf einige zentrale Punkte eingehen.

Ein ganz zentraler Punkt ist die Medienvielfalt. Insbesondere in den lokalen Medien finden wir eine besorgniserregende Entwicklung. Die „Westfälische Rundschau“ ist nur ein Beispiel dafür, wie dramatisch die Situation auf dem lokalen Medienmarkt ist.

Was bedeutet es denn, wenn lokale Medienvielfalt wegbricht? Weniger Vielfalt heißt weniger Demokratie vor Ort, weniger journalistische Kontrolle und weniger Kommunikationsmöglichkeiten für Vereine, Verbände, Kirchengemeinden und alle anderen, die in einer Stadt Informationen an die Menschen bringen wollen.

(Beifall von der SPD)

Aber auch das gesamte Mediensystem ist betroffen. Weniger lokaler Journalismus betrifft auch überregionale Medien. Viele Themen und Skandale, die lokal aufgedeckt werden, finden ihren Weg in die überregionalen Zeitungen, manchmal bis hin zur Tagesschau.

Sie sehen die Relevanz des Themas „Stärkung von Lokaljournalismus“.

Das neue LMG schafft zur Stärkung des lokalen Journalismus die Möglichkeit einer Stiftung für Vielfalt und Partizipation. Diese Stiftung, die bei der Landesanstalt für Medien angesiedelt sein soll, ist ein Anfang, die Stärkung des Journalismus im Lokalen voranzubringen. Weitere Partner sollen hinzukommen, die in den Dialog über die Zukunft des Journalismus einsteigen sollen.

Ja – ich betone es ausdrücklich; einige Oppositionspolitiker werden ja nicht müde, das zu überhören –, die Stiftung muss staatsfern organisiert sein. Frau Dr. Schwall-Düren hat dies gerade betont. In jeder Rede, in jedem Konzept stand das bisher. Leider werden einzelne Leute nicht müde, ihre Pressemitteilung immer wieder anders zu formulieren und diesen Umstand geflissentlich zu ignorieren.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Thorsten Schick [CDU])

Meine Damen und Herren, zur Verbesserung der Medienaufsicht sieht der Gesetzentwurf vor, die Telemedienaufsicht von der Bezirksregierung Düsseldorf auf die LfM zu übertragen. Die Aufsicht über Internetangebote wird somit dort gebündelt.

Transparenz und Effektivität der Arbeit der Medienkommission soll weiter verbessert werden. So sind die Sitzungen der Medienkommission ab Inkrafttreten des Gesetzes grundsätzlich öffentlich. Ergebnisse der Sitzungen sollen anschließend ins Netz gestellt werden.

Ein ganz wichtiger Bereich der gesamten Medienlandschaft – das gilt nicht nur für junge Menschen – ist die Medienkompetenz. Hier leisten die LfM und auch das Grimme-Institut gute Arbeit. Diese soll fortgesetzt werden.

Eine nun gesetzlich verankerte Veranstaltung ist in diesem Rahmen die Medienversammlung, die mindestens einmal im Jahr durch die LfM organisiert werden soll und einen Austausch zwischen Mediennutzern und Medienakteuren bietet.

Ein weiterer Schritt zu mehr Partizipation ist die Stärkung der Bürgermedien. Hier sieht das Gesetz einen Lehr- und Lernsender ähnlich wie „nrwision“ für den Hörfunkbereich vor.

Auch eine sendezeitunabhängige Onlineplattform wird ermöglicht. Die Vorschläge in diesem Bereich sind sehr zeitgemäß und berücksichtigen auch die technische Entwicklung.

Zeitgemäß ist auch die vorgesehene Stärkung des privaten Hörfunks in unserer dualen Rundfunkordnung, aus der eine neue landesweite Hörfunkkette entstehen kann – sofern die LfM die Frequenzen zuteilt.

Die LfM erhält zudem die Möglichkeit, über die sogenannte Anreizregulierung Inhalte von besonderem gesellschaftlichem Interesse bei der Entscheidung über die Zuteilung von Übertragungswegen mit zu berücksichtigen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, der vorliegende Text ist ein guter und zukunftsfähiger Gesetzentwurf für den Medienstandort NRW. Ich freue mich mit Ihnen auf die weitere Diskussion im Ausschuss. Wir werden ein gutes Gesetz verabschieden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nun liegt also der Text des Gesetzes vor, wie es sich die Regierung wünscht. Nun sind wir als Parlamentarier und Gesetzgeber am Zug.

Im vergangenen Jahr gab es ja schon mal eine Konsultation über einen etwas anderen Text. Die ist ziemlich gefloppt. Es haben sich zwar eine Menge Leute daran beteiligt, aber das hat sich auf eine besondere Betroffenengruppe konzentriert.

Zu dem jetzigen Text hat es auch schon einige heftige Proteste gegeben. Man lese einmal nach, was die Internetplattform „Ruhrbarone“ dazu geschrieben hat, insbesondere was die Kommentatoren auf diesem Journalistenblog dazu geschrieben haben.

Wir treten heute in die Beratungen ein. Das heißt, im Moment kann man nur ein paar Linien nennen, keine Details. Eines wird allerdings deutlich: Der Entwurf steht eindeutig nicht auf der Höhe der Zeit. Er spiegelt auch nicht den Stand der aktuellen Medienentwicklung wider. Und Ihre Rede vorhin, Frau Ministerin, hat das – mit Verlaub – auch gezeigt.

Eine zweite Frage, die ich stellen möchte, ist, welches Staatsverständnis dieser Gesetzentwurf widerspiegelt. Ich bleibe bei den Stichworten, die Sie, Herr Vogt, gerade aufgegriffen haben: Vielfalt, Partizipation und Transparenz. Bei Vielfalt und Transparenz sind wir uns schnell einig. Aber was heißt eigentlich Partizipation? Heißt Partizipation, dass man am Geldsegen der Rundfunkgebühren partizipiert? Wir haben das Thema „Rundfunkgebühren“ ja heute noch. Rundfunkgebühren sind keine Verfügungsmasse von Medienpolitikern.

Wie partizipieren junge Menschen heute eigentlich an den Medien der Informationsgesellschaft? Ganz sicher nicht mehr über den Bürgerfunk, das schöne, alte, gemütliche Thema des vergangenen Jahrhunderts, eine bestimmte Form von Rundfunk, in dem Musik abgespielt wird, gelegentlich unterbrochen durch Wortbeiträge. Das kann man ruhig weitermachen. Ich hab gar nichts gegen die Leute. Nur, ein innovatives Medienthema ist das ganz sicher nicht.

Ich habe selber mal vor 20 Jahren für etliche Jahre eine anerkannte Medienwerkstatt geleitet, kenne das Thema also sehr gut. Wir hatten eine Medienwerkstatt mit tollen Bandmaschinen, Schnittplätzen und was es damals alles gab – längst eingemottet, längst museumsreif. Denn junge Menschen in der politischen Bildung fahren heute selbstverständlich ein You-Tube-Filmchen hoch und liken das bei Facebook. Unendlich viel mehr Menschen werden das zu Gesicht bekommen, als Bürgerfunker jemals mit ihrem Wirkungskreis erreichen.

Meine Damen und Herren, die Medienwelt hat sich radikal verändert. Ich glaube, der Entwurf spiegelt hier einen überholten und veralteten Medienbegriff wider. Nicht nur junge Menschen, auch andere, aber besonders sie, nutzen Radio und Fernsehen längst anders, als man das im traditionellen Programmschemadenken glaubt.

Meine Kinder zum Beispiel sehen Fernsehen in der Form, wie sich klassische Programmfernsehmacher das vorstellen, bestenfalls noch bei Live-Übertragungen von Sportveranstaltungen. Ansonsten sehen sie selbstverständlich zeitversetzt Fernsehen. Das wird das Normalste von der Welt.

Auch Radio funktioniert als Begleitmedium über den Tag, aber wird längst durch Spotify und Mediatheken ergänzt. Information kommt heute weitgehend über das Internet.

Die Welt hat sich erheblich verändert. Aber ist das Internet in dem Gesetz überhaupt angekommen?

Lesen Sie einmal die Antwort auf die Große Anfrage, die wir heute behandeln. Dann sehen Sie, dass dieser Gesetzentwurf wirklich noch aus dem vorigen Jahrhundert stammt.

Das gilt übrigens auch für den extrem ungenauen Rundfunkbegriff, der hier wieder in seiner ganzen Unklarheit übernommen wird, der aber angesichts der Entwicklung crossmedialer Plattformen dringend präzisiert werden müsste.

Ich bleibe bei der Frage: Was meint Partizipation? Mediennutzer und Mediennutzerinnen – eigentlich sind das ja alle, wenn ich das richtig sehe; ich wüsste nicht, wer Medien nicht nutzt – sind heute nicht mehr auf die huldvolle Zuweisung von Rechten und Mitteln durch den Staat angewiesen. Die machen das ganz frei und ganz alleine.

Meine Damen und Herren, nun zu dem Thema „Stiftung“. Im alten Entwurf waren in § 116 Rundfunkgebühren in Höhe von 1,6 Millionen € genannt. Jetzt muss man ein bisschen suchen. In § 88 findet sich unter Abs. 8 ein unklarer Hinweis auf die Förderung von Vielfalt und Partizipation durch eine privatrechtliche Gesellschaft. Man weiß gar nicht so richtig, was da eigentlich los ist; das wird ein bisschen versteckt. Aber man kann auf den Seiten 104 und 105 nachlesen; da steht das dann.

Die Medienkommission hatte zwar eine Form gesucht, mit der man dieses Stiftungswesen wenigstens halbwegs retten könnte. Aber nein, auch hier finden wir wieder diese unsäglichen Recherchestipendien. So soll allen Ernstes der Staat Journalisten Geld geben, damit diese dann Politikern unangenehme Nachfragen stellen. Stellt man sich so unabhängigen investigativen Journalismus vor? – Ich nicht. Staatsferne sieht anders aus.

Zum Thema „Aus- und Fortbildung für Journalisten“: Die gibt es doch, und die wird auch gut gemacht. Soll mit ein paar Mitteln der Fortbildungsmarkt durcheinandergebracht werden?

Außerdem haben wir genug gute Journalisten. Das ist gar nicht das Problem. Es fehlt an Arbeitsplätzen für unabhängige Journalisten. Ich meine Arbeitsplätze bei Zeitungsmachern, die Gewinnmöglichkeiten auch im Internet finden. Das ist das Hauptproblem.

Glauben Sie ernsthaft, mit einer Summe von 1 bis 2 Millionen € könnte der Lokaljournalismus in Nordrhein-Westfalen gerettet werden?

Einige grundsätzliche Dinge sind festzuhalten, meine Damen und Herren: Rundfunkgebühren sind keine Verfügungsmasse der Politik. Rundfunkgebühren sind kein Spielgeld des Medienstaatssekretärs.

(Beifall von der CDU)

Journalismus muss staatsfern sein. Alle Versuche, sich als Landesregierung einzumischen, müssen zurückgewiesen werden. Sie bahnen hier den Weg zu einem staatsnahen Journalismus.

Sorgen Sie lieber dafür, dass Rahmenbedingungen entstehen, unter denen unabhängige Verleger auch im Internet Geld verdienen können. Dann werden sie auch Redakteure einstellen und einen lokal vielfältigen Journalismus gewährleisten.

(Beifall von der CDU)

Der Entwurf zeigt unseres Erachtens ein falsches Staatsverständnis. Man lese einmal den Text auf den ersten Seiten in seinem verqueren Behördendeutsch. Wir haben die Ausdrücke vorhin gehört. Frau Ministerin, Sie sprachen von regulatorischen Zielsetzungen. Auf der ersten Seite ist die Rede von möglichen regulatorischen Bedarfen. „Regulatorische Bedarfe“ – eine wunderschöne Wortzusammenstellung.

Ja, es geht bei diesem Gesetz um eine Form der Regulierung. Man möchte mit dem Gesetz steuern, bestimmen – und dann großzügig Partizipation gewähren. Das ist ein grundsätzlich anderes Staatsverständnis als unseres. Aber das ist in der Politik dieser Regierung immer wieder zu sehen – das erleben wir auch beim Hochschulgesetz –: Subsidiarität ist für diese Regierung ein völlig unbekanntes Fremdwort. Zentralisierung, Steuerung, Abhängigkeit – das sind leitende Begriffe. Selbstständige, eigenverantwortliche, starke Einrichtungen sind Ihnen ein Graus. Sie möchten herrschen, bestimmen und dann huldvoll verteilen. Das ist aber nicht unsere Politik. Ich freue mich auf die Beratungen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Prof. Sternberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Oliver Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg, das Wort „huldvoll“ ist Ihnen in Ihrer Rede mindestens zweimal untergekommen. Das Wort „huldvoll“ erinnert mich allerdings an eine Zeit und an ein Staatsverständnis, mit dem das, was wir hier zu diskutieren haben, überhaupt nichts zu tun hat.

(Thomas Nückel [FDP]: Oh doch!)

Wer etwas anderes meint, der muss sich, glaube ich, auch mal fragen lassen, was eigentlich sein Staatsverständnis ist. Er müsste sich auch mal fragen, wie die Novellen aussahen, die 2007 und 2009 von der damaligen Landesregierung auf den Weg gebracht wurden. Ich habe das Gefühl: Auch damals wurde einiges reguliert. Ich erinnere mich daran, dass auch damals vieles in ein sehr kompliziertes Gesetz gegossen wurde, von dem die meisten – das zeigt auch das besondere Interesse heute hier im Saale – doch eher Abstand halten, weil es ein Spezialthema ist, Medienpolitik zu gestalten.

Medienpolitik in Gesetzesform zu gestalten, ist ein besonderes Spezialthema. Deshalb glaube ich, dass man mit den pauschalierten Vorwürfen, die Sie hier aus diesem Thema zu schlagen versuchen, nicht weiterkommt. Sie sagen, da herrsche ein Staatsverständnis vor, dass huldvoll Geld verteilen wolle. Sie sagen, hier gehe es darum, dass kein staatsferner Journalismus mehr möglich sei, sondern staatlich gelenkter Journalismus möglich sei.

Ich frage mich im Ernst: Was für ein Staatsverständnis haben Sie eigentlich? Welcher Staat ist das, vor dem Sie solche Angst haben? Das macht mir wirklich Sorge, Herr Kollege Sternberg. Und um die, die dazu „Oh ja!“ schreien, mache ich mir auch gleich Sorgen. Ich finde, dass wir in einem ausgesprochen gut geregelten, demokratisch legitimierten, sich insgesamt seiner verantwortungsvollen Rolle bewussten Staat leben, der den Bürgerinnen und Bürgern sehr viele Freiheiten, sehr viele Möglichkeiten bietet. Es ist eben kein Staat, vor dem man Angst haben muss, so wie Sie das hier deutlich machen. Ich bin etwas verwundert darüber.

Da Sie die ganze Zeit Ihr Staatsverständnis ansprechen, stelle ich meines jetzt einfach dagegen.

Ich lebe gerne in diesem Staat. Ich bin froh, dass er vieles reguliert. Auch ich bin über manche Regulierung nicht glücklich. Ich finde auch, dass manches zu reguliert ist. Aber das sind Fragen, die wir im Einzelfall diskutieren können.

Hier sprechen wir über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Landesmediengesetzes; ich nenne mal die Kurzform; der schöne Titel ist von Frau Ministerin und anderen Vorrednern schon mehrfach zitiert worden. Dieser Entwurf ist, wie ich finde, sehr wohl zeitgerecht und sehr wohl auf die digitale Welt angepasst. Das war schließlich der Sinn der Übung, sofern ich es richtig verstanden habe: dass sich die Regierung diese Novellierung vorgenommen hat, nachdem wir als Koalitionsfraktionen, SPD und Grüne, sie in unseren Koalitionsvertrag als Aufgabe hineingeschrieben haben. Wir haben gesagt, dass wir das wollen, und die Regierung aufgefordert, einen solchen Entwurf vorzulegen.

Deshalb darf ich an dieser Stelle ausdrücklich all denen danken, die dieses getan haben. Das ist zuvörderst natürlich die zuständige Ministerin, aber das sind auch der Staatssekretär, Herr Dr. Eumann, und sein Team sowie das Team der Staatskanzlei, die sich mit diesen Fragen intensiv befasst haben und uns heute diesen Entwurf vorlegen. Nochmals: Danke!

Es ist heute unsere Aufgabe als Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Entwurf intensiv zu beraten. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, dass wir uns jetzt gegenseitig vorhalten, wer welches Staatsverständnis hat. Vielmehr müssen wir uns um die Details kümmern.

Und die Details sind interessant. Ich finde es zum Beispiel falsch, Herr Kollege Sternberg, davon zu sprechen, dass das Bürgerradio eine völlig veraltete Form ist. Es gibt ganz viele Leute, die immer noch gerne in sogenannten Radiowerkstätten arbeiten und dieses Format – Sie haben das in Ihre eigene Novelle hineingeschrieben – auch an die Schulen herantragen.

Dort wird Radio auf die althergebrachte Art gemacht: Man recherchiert ein Thema, man geht mit dem Mikrofon herum, man sammelt Meinungen und Stimmungen ein und macht daraus Berichte, die man dann senden will.

Wir sollten nicht glauben – das ist eben nicht so; dies ist der große Irrtum im Umgang mit dem Internet –, Herr Sternberg, dass das, was wir ins Internet setzen, in dem Augenblick allgemein bekannt wird. Das ist nicht so. Das Internet ist nach wie vor ein Abrufmedium. Sie müssen draufklicken, um das zu hören, zu sehen oder abzurufen, was Sie wollen. Das ist der Unterschied zu einem Radio: Wenn Sie das einschalten, bekommen Sie etwas gesendet. Das Verhältnis von Sender zu Empfänger ist ein völlig anderes als das zwischen Internetnutzern und Leuten, die etwas ins Internet einstellen. Das muss man, glaube ich, versuchen zu verstehen.

Ich habe gerade gelesen, dass 280.000 Menschen in Deutschland twittern. Widerspricht jemand? – Nein. Bei allem Respekt vor diesen Menschen: In Deutschland leben 80 Millionen Menschen; das Twittern hat für mich daher noch nicht die entscheidende Relevanz – auch wenn es sicher eine hat.

Man muss sich aber darüber klar sein, dass das Internet eine unserer Plattformen ist. Es ist eine wichtige und eine – davon bin ich genauso überzeugt wie die meisten hier im Hohen Hause –, die noch wichtiger wird. Es ist aber nicht die einzige.

Ich weiß, dass gerade, wenn man den lokalen Bezug in der medialen Verbreitung sucht, nicht unbedingt das Internet die erste Stufe ist, sondern eine lokale Zeitung oder sogar ein lokales Radio. Das ist der Grund, warum unsere Lokalradioangebote im Schnitt relativ erfolgreich sind. Das wird hier keiner bestreiten.

Vor dem Hintergrund wäre es schön und wichtig, wenn wir – Ansätze dafür sind im Entwurf erkennbar – deutlich machen würden, dass die Bürgermedien bestehen bleiben. Ich bin dankbar für den Vorschlag der Plattform, wo man das sozusagen konvergent anbieten, ausbauen und die Bürgerteilhabe im wahrsten Sinne des Wortes leben kann. Wir sollten aber auch dafür sorgen, dass die Menschen, die vor Ort in Bezug auf die Themen, die sie bewegen, Sorgen haben, eine technische Plattform haben, um diese auch verbreiten zu können. Deshalb bin ich froh, dass wir mit Blick auf den klassischen Bürgerfunk eine Verankerung der Förderung desselben gefunden haben. Wir werden im Zuge der Diskussion über dieses Gesetz hierzu sicher auch noch das eine oder andere miteinander austauschen.

Ich glaube nämlich, richtig verstandene Teilhabe heißt, dass sich Menschen in die Prozesse, die in der Regel vor Ort und lokal wahrgenommen werden, aktiv einbringen können. Das wird dadurch, dass lokale Zeitungsangebote sich auf dem Rückzug befinden, eigentlich immer schwieriger. Deshalb glaube ich, dass Bürgermedienangebote – auch Bürgerradio in ganz klassischem Sinne auf entsprechenden Frequenzen in der Region – nach wie vor ihre Bedeutung in der Region haben und nach unserer hoffentlich klugen Gesetzesbefassung und Entscheidung noch stärker haben werden.

Insofern bin ich an der Stelle ganz anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Sternberg. Ich halte es für das Projekt der Teilhabe. Es betrifft aber auch viele andere Bereiche. Wir haben hier schon eine Reihe von Hinweisen auf die technischen Entwicklungen und Anpassungen bekommen, die vorgenommen werden.

Es ist natürlich gut, wenn wir unser Zwei-Säulen-Modell in Nordrhein-Westfalen stärken, indem wir der privaten Säule eine weitere, stärkere Möglichkeit eröffnen, ohne dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebot auf seinen Frequenzen in irgendeiner Weise zu nahe zu kommen.

Ich fand auch den „Open-Government-Prozess“, den die Regierung im vorigen Jahr eingeleitet hat, sehr beispielhaft. Ich übersetze das einmal ins Deutsche: „Offenes Regieren“. Wir zeigen in einem vierwöchigen öffentlichen Prozess, wie wir das Ganze anlegen wollen.

Entschuldigen Sie, Herr Kollege Sternberg, ich habe eben gesagt, dass in Deutschland 280.000 Menschen twittern. Sie haben recht: Wenn in einem Land wie Nordrhein-Westfalen ein paar Tausend Menschen an solch einem Konsultationsprozess teilnehmen, dann ist das in Relation zu den 18 Millionen Einwohnern Nordrhein-Westfalens nicht bedeutend.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marsching zulassen?

Oliver Keymis (GRÜNE): Ja klar, wenn er will.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Michele Marsching (PIRATEN): Wenn ich nicht wollte, würde ich nicht drücken. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich musste kurz googeln; das hat etwas gedauert. Aber Sie haben ja quasi dazu aufgefordert, die Zahl infrage zu stellen. Von daher: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Deutschland 800.000 Menschen Twitter benutzen und gleichzeitig 27 Millionen Deutsche einen Facebook-Account haben?

Oliver Keymis (GRÜNE): Das nehme ich gerne zur Kenntnis, finde das auch sehr beeindruckend. Trotzdem widerspricht das der Argumentation nicht. Ich hatte die Zahl 280.000 vor einigen Tagen in der Zeitung gelesen; aber Ihre Zahl wird stimmen. Ich bin gerne bereit, das so zur Kenntnis zu nehmen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich wollte nur die Zahl korrigieren!)

Auch 800.000 sind im Verhältnis zu 80 Millionen keine beeindruckende, aber eine schöne Zahl. Das will ich nicht in Abrede stellen oder bedeutungsmäßig schmälern.

Ich glaube aber, dass wir bei der Betrachtung von Medienpolitik, Herr Kollege Marsching, ein breiteres Sichtspektrum brauchen als nur eines auf das Internet bezogene. Das Internet ist eine für mich entscheidende, wichtige Arbeitsplattform; aber es ist nicht die einzige. Ich kenne noch eine ganze Menge Menschen, die durchaus auch das lineare Programm, also das sowohl im Fernsehen als auch im Hörfunk zeitlich in einer bestimmten Reihenfolge gesendete Programm, wahrnehmen. Man kann doch nicht so tun, als ob keiner mehr Radio hört. Das stimmt nicht. Millionen Menschen hören Radio, viele Millionen Menschen schauen Fernsehen. Ganz besonders beeindruckend ist nach wie vor am Sonntagabend um 20.15 Uhr die Gemeinde der „Tatort“-Zuschauer – zumindest wenn die dazu erhobenen Quoten stimmen.

Also, machen wir uns nichts vor: Die Welt verändert sich an bestimmten Stellen sehr schnell; aber die Menschen haben durchaus auch Bedarf an der alten, etwas langsameren Welt. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetzentwurf genau mit diesem Übergangs- und Spannungsverhältnis umgehen und eine entsprechende Diskussion führen müssen.

Ich will zu guter Letzt auf das entscheidende Stichwort hinweisen: Wir versuchen ja eigentlich, mit diesem Gesetzentwurf auch ein Stück Freiheit zu sichern, indem wir Meinungsfreiheit erhalten sowie Medienvielfalt fortschreiben und sichern. Ich glaube, dass es genau auf dieses Spannungsfeld auch beim Landesmediengesetz ankommt.

Deshalb freue ich mich auf die weitere Debatte im Ausschuss und auf die wahrscheinlich stattfindende Anhörung. Weiter freue ich mich auf einen hoffentlich weisen Beschluss irgendwann im Sommer des Jahres 2014. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die Fraktion der FDP spricht Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Marsching, haben Sie gerade etwas bemerkt? Die Zahl, die Sie genannt haben, hat Herrn Keymis überhaupt nicht beeindruckt. Übrigens war dies auch das Problem bei der Konsultation. Die Landesregierung hat teilweise überhaupt nicht beeindruckt, was dort wiedergegeben wurde. Ich habe das Gefühl, dass Dialog für sie ist, wenn zwei Menschen nebeneinander stehen und jeweils mit sich selbst reden.

(Heiterkeit und Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Da ist sie endlich: die Novelle des Landesmediengesetzes. Einige hatten sich ja beklagt, dass es damit so lange gedauert hat. Mir scheint, die Landesregierung hätte sich dafür vielleicht doch noch ein bisschen mehr Zeit nehmen und mehr darin investieren müssen.

Der große Wurf für das digitale Zeitalter ist dieses Gesetz nun wirklich nicht, auch wenn die Laudatoren uns das versprechen. Der hier vorgelegte Gesetzentwurf ist das Werk einer – Herr Keymis, ich muss das sagen – „analogen Romantik“, natürlich immer wieder mit dem auch analogen, aber durchschiebenden Drang der rot-grünen Koalition garniert, dem Medienbereich Zügel anzulegen. Kontrollmöglichkeiten und Einflussnahme – das ist Ihre Vision. Es gibt keine Perspektiven.

Der Humus für das langsam wachsende Gängelband – so muss man es, denke ich, nennen.

Ministerin Dr. Schwall-Düren beansprucht, die Leitmotive des vorgelegten Entwurfs dieser Novelle seien „Vielfalt“ und „Partizipation“. Das Vorhaben sei eine „moderne und zeitgemäße Antwort auf die veränderten Rahmenbedingungen“. Das sind vollmundige Ankündigungen. Leider zeigt sich, dass der vorgelegte Gesetzentwurf das gesteigerte Selbstbewusstsein der Landesregierung nicht rechtfertigt. Es sind nämlich eigentlich nur zwei Aspekte, die von der Landesregierung in dieser Novelle vorrangig verfolgt werden:

Erstens. Sie will ihren Einfluss auf die Medien vergrößern.

Zweitens. Sie will althergebrachte Strukturen bewahren und vor Wettbewerb schützen.

Beides wird der Innovationskraft des Landes nicht helfen.

Die Zügel enger legen – ich glaube, das ist ohnehin Leitmotiv hier in Nordrhein-Westfalen. Da befindet sich Nordrhein-Westfalen in vielen Bereichen auf einer schiefen Ebene: Eingriffe in die Wirtschaft, Beschneidung der Freiheit der Hochschulen, jetzt die angekündigte Einflussnahme bei den Medien. Die Landesregierung legt ein erstaunliches Maß an Bevormundung in den Bereichen an den Tag.

Fangen wir mit einer Kleinigkeit bei der Novelle an: die Angleichung der Amtszeit von den vom Landtag entsandten Vertretern in der Medienkommission an die Legislaturperiode. Ich glaube, es ist Ihnen ein Dorn im Auge, dass ja nicht selten auch vom Landtag nicht MdLs, eben Nicht-Berufspolitiker benannt wurden. Aber durch Ihre neue Regelung sinkt natürlich die Unabhängigkeit der Mitglieder gegenüber der regierenden Mehrheit. Das zum Thema „Staatsferne“.

Zur „Stiftung Vielfalt und Partizipation“ – ich weiß gar nicht, ob man es überhaupt „Stiftung“ nennen darf –: Dabei geht es Ihnen nicht wirklich um strukturelle Maßnahmen zur Stärkung der Medienvielfalt. Das zeigt die Fördersumme in Höhe von 1,6 Millionen €. Damit werden die Probleme der Zeitungen ebenso wenig behoben wie die Probleme bei der Generierung von Umsetzen im Online-Bereich. Aber es soll der Landesregierung höchstwahrscheinlich reichen, um sich durch die Finanzierung einiger dann Privilegierter eine günstige Berichterstattung zu verschaffen.

Die Landesregierung versucht, Strukturen aufzubauen, um Gefälligkeitspolitik mit der Gießkanne zu machen. Sie öffnet das Einfallstor – es ist sicherlich erst ein kleiner Ansatz – für eine Entwicklung, mit der bislang unabhängige Medien im Printbereich in öffentlich-rechtliche Strukturen überführt werden sollen. Denn ich glaube, das ist das Endziel.

Dazu kommt, dass die Landesregierung diese Gefälligkeitspolitik nicht einmal mit ihrem eigenen Geld betreibt. Nein, sie bürdet das den Rundfunkgebührenzahlern auf. Das ist geschickt, trickreich, aber auch infam. Und außerdem ist es, denke ich, vom Rundfunkstaatsvertrag nicht gedeckt. Der für die Landesmedienanstalten bestimmte Anteil ist nämlich zweckgebunden für Rundfunkaktivitäten. Die Stiftung soll aber für alle Medien da sein. Deshalb sicher auch die harte Kritik aus dem Hause des Westdeutschen Rundfunks.

Allen Bekundungen von Staatsferne zum Trotz besteht die Gefahr, dass mit und von Funktionären besetzte Gremien am Ende über die Vergabe von Geldern entscheiden werden. Zu befürchten ist, dass nach und nach Regeln entwickelt werden – für die Durchsetzung von gerechten Sprachregeln, Quoten für dieses und jenes Thema. Ich glaube, die Büchse der Pandora ist geöffnet, um immer weiter in den Medienmarkt einzugreifen. Dieser noch kleine Ansatz hat nicht viel mit der Idee der freien Presse gemein.

Die Ministerin spricht von einer Stärkung der Aufsichtsgremien, doch in Wahrheit werden nun 1,6 Millionen € aus sinnvollen und wichtigen Projekten der Landesanstalt für Medien, für Medienkompetenz, auch für Bürgermedien gefährdet und auf dem Altar politischer Versprechen geopfert. Ich meine, Sie waren überrascht, dass Journalisten auch aus dem Umfeld des Netzwerks Recherche eigentlich nicht im Zusammenhang mit der Stiftung genannt werden wollen und die Subvention lokaler Online-Angebote als ordnungspolitischen Dammbruch ansehen.

Mit der Gießkanne milder Gaben wollen Sie digitale Publikationsstrukturen – so steht es im Gesetzentwurf – für lokale und regionale journalistische Angebote fördern. Die werden aber den freien Angeboten – die wachsen ja langsam wie kleine Blumen aus der Wiese – Konkurrenz machen. Wie sollen freie Blogs wirtschaftlich gegen subventionierte Online-Medien bestehen? Auch hier kommt Ihre Retterkonstruktion ins Wanken.

Sie wollen Schulungen und Bildungsmaßnahmen fördern. Geschenkt! Aber wird nicht gerade dadurch das Versagen in der Hochschul- und Bildungspolitik dokumentiert? Übrigens haben wir bereits eine hohe Dichte an privaten Weiterbildungsträgern.

Ich komme zum zweiten Themenbereich, der Reform der Aufsichtsstrukturen.

Der Gesetzentwurf zeigt auch hier keine belastbaren Konzepte auf, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen an die digitale und konvergente Medienrealität angepasst werden können. Stattdessen versuchen Sie, überholte Strukturen und Besitzstände von gestern ins Morgen zu retten.

Nehmen Sie etwa die Vorrangregelung aus § 14 des Gesetzentwurfs. Letztendlich versucht man damit, lokale Radiomonopole zu zementieren. Das ist ein Punkt, über den wir im weiteren Verfahren sprechen müssen. Denn ich sehe die Gefahr, dass gerade dadurch innovative Entwicklungen im privaten Radiobereich abgewürgt werden. Zwar kann man der Auffassung sein, es soll alles so bleiben, wie es ist, aber die digitale Welt funktioniert anders. Neue Angebote entstehen täglich auf der ganzen Welt und finden ihre Verbreitung. Und gleichzeitig schnarcht das Zweisäulenmodell in Nordrhein-Westfalen vor sich hin.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht irgendwann aufwachen, und keiner hört mehr hin. Radio- und Streaming-Apps auf Smartphones lassen grüßen.

Ich will nicht nur negative Punkte nennen. Es gibt durchaus einige richtige Anknüpfungspunkte, so die Erkenntnis, dass die Telemedienaufsicht bei den Bezirksregierungen nicht gut aufgehoben ist. Okay! Dass die Medienkommission öffentlich tagen soll, ist auch schön. Und ich finde es toll, dass Sie bei einem Punkt nichts tun, nämlich beim 33er. Trotz Ankündigung und Feindbild über Jahre hinweg werden Sie dort nichts ändern. Das finde ich gut. Angekündigt hatten Sie es. Ich finde es gut, dass Sie das in die Schublade gesteckt haben.

Das Thema „Bürgerfunk“ werden wir sicherlich im Ausschuss noch behandeln. Die Relevanz spiegelt sich ein bisschen in den Einschaltquoten wider. Sie ist nicht groß. Angesichts der zunehmenden Zahl von Webradios muss man wirklich fragen, ob die vorgesehene Plattform zeitgemäß ist.

Es gibt also Vieles kritisch zu besprechen. Wir stimmen natürlich der Überweisung zu. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Mediennutzer auf der Tribüne und am Stream! Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren, als Sie im Frühjahr 2013 den Arbeitsentwurf des Landesmediengesetzes veröffentlichten und die Online-Konsultation starteten, gingen wir davon aus, dass wir vielleicht noch im Jahr 2013 in die parlamentarischen Beratungen einsteigen. Sie hatten ursprünglich angekündigt, den Gesetzentwurf vor der Sommerpause vorzulegen. Jetzt ist es Februar 2014, und wir legen los. Schon an dieser zeitlichen Verzögerung merkt man, dass offensichtlich noch ordentlich nachgesteuert wurde und die Landesregierung mit unterschiedlichsten Beteiligten nachverhandelt hat.

Auch bei der Durchsicht des Gesetzentwurfs wird deutlich, dass zwischen dem Arbeitsentwurf aus dem Frühjahr 2013 und dem Regierungsentwurf teils erhebliche Unterschiede bestehen. Man kann gewissermaßen die Frontlinien sehen, die dazwischen verlaufen. Das ist ja nicht schlimm, dazu sind Arbeitsentwürfe da.

Zumindest aus meiner Sicht, was den ersten Teil des Verfahrens angeht, hat sich gezeigt, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit lohnt, auch wenn offensichtlich war, dass Menschen aus dem Umfeld des Bürgerfunks, der Bürgermedien sich vor allem zu Wort melden werden. Diese sind einigermaßen organisiert, sodass das zu erwarten ist. Aber grundsätzlich ist das Verfahren von Online-Konsultationen begrüßenswert.

Ich will mich nicht mit galaktisch-globalen Leitmotiven aufhalten, sondern vom Verfahren zu einigen Inhalten des Gesetzentwurfs kommen:

Wir sind uns alle über die große Bedeutung freier, unabhängiger Medien für eine funktionierende Demokratie einig. Eine vielfältige Medienlandschaft, egal auf welchem Kanal sie sendet, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Bürgerinnen und Bürger sich informieren, sich eine Meinung bilden und sich einmischen können. Wie wir die politischen Rahmenbedingungen gestalten, um diese Vielfalt und Unabhängigkeit herzustellen und abzusichern, dazu werden allerdings unterschiedliche Meinungen deutlich.

Nehmen wir zum Beispiel die berühmt berüchtigte „Stiftung Vielfalt und Partizipation“! Der Arbeitsentwurf des Gesetzes war klar. Er besagte für den geplanten § 116 Abs. 3 c, dass jährlich 1,6 Millionen € aus dem Haushalt der Landesanstalt für Medien in diese Stiftung gepumpt werden sollen. Auch die Aufgaben waren im Arbeitsentwurf definiert: Aus- und Weiterbildung von Journalisten im lokalen und regionalen Bereich. Eine Stiftungsprofessur im Lokaljournalismus sollte eingerichtet werden. Recherchestipendien sollten vergeben werden. Und – etwas nebulös –, die Akzeptanz lokaler und regionaler Berichterstattung sollte gefördert werden.

Schaut man aber in den jetzt vorliegenden Regierungsentwurf und vor allem in dessen Begründung, kann man sich vorstellen, dass es hinter den Kulissen in den letzten Monaten ordentlich rundgegangen sein muss. Jetzt finden wir im Gesetzentwurf unter § 88 Abs. 8 nur noch eine Gesellschaft des Privatrechts; von einer Stiftung ist nicht mehr die Rede. In der Begründung steht der Begriff Stiftung in Anführungszeichen. Alles klar.

In diesem Kontext werden wir vor allem darüber reden müssen, was tatsächlich von dieser Anführungszeichen-Stiftung gefördert werden soll. Ich habe, ehrlich gesagt, größte Bedenken, was Recherchestipendien angeht. Wir müssen sicherstellen, dass solche Stipendien vollkommen unabhängig vergeben werden und auch möglicherweise für uns Politiker unangenehme Themen recherchiert werden.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Thomas Nückel [FDP])

Es dürfen nicht schon im Vorfeld Themen aussortiert sein.

Wie sieht die Förderung von Akzeptanz des Qualitätsjournalismus praktisch aus? Die Idee mit der Stiftungsprofessur ist offensichtlich fallen gelassen worden. – Gut so. Wenn wir in den Beratungen über die Anführungszeichen-Stiftung Vielfalt und Partizipation sprechen, müssen wir immer im Blick behalten, dass sich die LfM aus Rundfunkbeiträgen finanziert und die Möglichkeiten entsprechend begrenzt sein müssen.

Ein weiterer Punkt, den wir sicherlich kontrovers diskutieren werden, sind die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen von § 59 zur Beteiligung von Verlagen an Betriebsgesellschaften im lokalen Hörfunk. Bei allem Verständnis für die angespannte Finanzlage von Kommunen, die sich am Lokalfunk beteiligen, ist es keine Lösung, Zeitungsverlagen zu ermöglichen, Lokalradios zu 100 % zu übernehmen. Das führt zu noch mehr Medien- und damit Meinungsbildungskonzentration. Das geht nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte aus den vielen inhaltlichen Änderungen, mit denen wir uns befassen werden, eine weitere herausgreifen: die Änderungen, die die Medienkommission der LfM betreffen. Zunächst zur Zusammensetzung der Medienkommission: Sie schlagen vor, dass zukünftig ein Kommissionsmitglied aus dem Bereich der Bürgermedien kommen soll. Das ist prinzipiell richtig. Bürgermedien sollten da vertreten sein.

(Beifall von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Allerdings ist aus unserer Sicht die Internetcommunity noch vollkommen unzureichend in der Medienkommission repräsentiert. Derzeit sind die zwei IT-Verbände BITKOM und Eco zwar in der Kommission vertreten. Diese vertreten jedoch ausschließlich die Unternehmenssicht. Wir Piraten finden, dass darüber hinaus die Netzbürger, die Nutzer, einen eigenen Platz in der Medienkommission bekommen müssen. Darüber müssen wir im Ausschuss sprechen.

(Beifall von den PIRATEN)

Als Pirat muss ich die Grundsatzfrage stellen, wenn es um die Zusammensetzung der Medienkommission geht. Für die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten fordern wir bekanntlich, dass gar keine Parteienvertreter in die Gremien gehören. Das könnte auch für die Medienkommission gelten. Wir werden also im Ausschuss darüber diskutieren, wer tatsächlich Mitglied der Medienkommission der LfM sein soll.

Zum Abschluss etwas Positives: Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Sitzungen der Medienkommission in Zukunft grundsätzlich öffentlich stattfinden und nur noch in begründeten Ausnahmefällen nicht öffentlich getagt werden soll.

Genauso begrüßen wir, dass zukünftig die wesentlichen Unterlagen der Medienkommission öffentlich sein werden, also Tagesordnungen, Beschlüsse und Berichte. Damit geht dieses Gesetz zumindest an dieser Stelle einen wichtigen Schritt in Richtung Transparenz, wie wir Piraten sie schon lange fordern.

(Beifall von den PIRATEN)

Liebe Kollegen, es gibt noch einige weitere Punkte. Wir werden zum Beispiel über Fragen der Medienaufsicht und Medienregulierung, über einen fairen Wettbewerb zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten, über gute Rahmenbedingungen für Onlinejournalismus, über Medienkonvergenz sprechen müssen. Das wird bestimmt eine spannende Expertenanhörung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. Der Kollege war leider etwas spät mit der Wortmeldung; sonst hätte ich sie gerne zugelassen.

(Thorsten Schick [CDU] begibt sich ans Rednerpult.)

Entschuldigung, Herr Kollege Schick, ich habe Sie noch nicht aufgerufen. Immer schön der Reihe nach. – Für die SPD-Fraktion hat sich Kollege Vogt gemeldet. Bitte schön.

Alexander Vogt (SPD): Auch Herr Schick möchte sich unbedingt zum Gesetz äußern; aber wir müssen halt die Reihenfolge einhalten. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch mal zu Wort gemeldet, weil Herr Sternberg, Herr Nückel und auch Herr Schwerd an der einen oder anderen Stelle Kritik geübt haben.

Gehen wir ein paar Punkte durch. Herr Nückel, wenn Sie davon sprechen, dass lokale Radiomonopole zementiert würden, muss ich mir schon die Frage stellen: Welchen Blick haben Sie auf die Radiolandschaft in Nordrhein-Westfalen? Wir haben in Nordrhein-Westfalen die einmalige Situation, dass wir im Vergleich zu allen anderen Bundesländern ein System geschaffen haben, bei dem wir auf einem Zweisäulenmodell vernünftig organisiert in ganz vielen Städten Lokalradios haben, die neben den Printausgaben auch lokale Vielfalt sichern. Wenn Sie da von „lokalen Radiomonopolen“ sprechen,

(Thomas Nückel [FDP]: Von einem!)

die weg müssen, haben wir dazu eine klare andere Meinung. Wir müssen diese lokalen Radiostationen stärken, damit sie neben den Printausgaben auch weiterhin in den Städten existieren, sodass Kommunikation innerhalb der Städte ermöglicht wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Sternberg, in Sachen Onlinekonsultation kann ich mich damit abfinden, dass Sie und Herr Nückel sich richtig ärgern.

(Thomas Nückel [FDP]: Nein!)

Wir hatten 2009 eine schwarz-gelbe Landesregierung. Damals gab es auch eine Novelle zum Landesmediengesetz,

(Zustimmung von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])

und auch Sie haben eine Konsultation auf den Weg gebracht.

(Widerspruch von Thomas Nückel [FDP])

– Nicht Sie, Herr Nückel, aber Ihre Partei.

(Thorsten Schick [CDU]: Die Fraktion!)

– Die schwarz-gelbe Landesregierung hat eine Konsultation auf den Weg gebracht, die auch im April lief – allerdings 2009 –, also im gleichen Monat und im gleichen Zeitraum: zwei Wochen in den Ferien, insgesamt vier Wochen. Das war genauso wie bei uns. Das Ergebnis Ihrer schwarz-gelben Konsultation waren 40 Anregungen. Bei Rot-Grün waren es 591.

(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU] und Thomas Nückel [FDP])

Dass Sie natürlich verärgert sind, dass Sie es nicht hinbekommen haben, mit den Menschen zu kommunizieren, und dass sich Leute an Ihrem Gesetzentwurf beteiligen, ist eine traurige Sache.

(Zuruf von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])

Daher kann ich verstehen, dass Sie darüber so sauer sind, dass wir hier eine so gute Onlinekonsultation auf den Weg gebracht haben.

(Beifall von der SPD)

Herr Schwerd hat sich gerade auch zur Onlinekonsultation geäußert. Mich wundert schon, dass gerade Sie kritisieren, dass der Gesetzentwurf erst jetzt und nicht ein halbes Jahr früher eingebracht wird. Wir hatten unwahrscheinlich und unerwartet viele Eingaben, die vernünftig ausgewertet wurden. Die Konsultation wurde vernünftig durchgeführt. Dass Sie gerade das kritisieren, finde ich komisch. Denn Sie haben doch immer Onlinekonsultationen gefordert, und die Landesregierung hat diese Konsultation gut und gewissenhaft durchgeführt.

Kommen wir zur Stiftung. Vielleicht äußert Herr Schick gleich ein paar Ideen. Ideen kamen von Ihnen bisher nicht. Herr Nückel und Herr Sternberg sind offenbar mit der Situation im lokalen Zeitungsmarkt und im Lokaljournalismus völlig zufrieden.

(Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Das habe ich nicht gesagt!)

Sie nehmen anscheinend überhaupt nicht zur Kenntnis, was nicht nur bei der „Westfälischen Rundschau“, sondern auch in anderen Bereichen passiert, dass nämlich Zweitzeitungen wegbrechen, dass es Kooperationen zwischen Verlagen gibt und dass es dort zu einer dramatischen Einschränkung von Meinungsvielfalt kommt.

Die Politik hat die Aufgabe, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen und Ideen zu entwickeln. Eine Idee davon ist die Stiftung für Vielfalt und Partizipation. Die Möglichkeit besteht, darüber einen Diskursprozess anzustreben – nicht mit kompletten Vorschlägen, bei denen wir genau wüssten, wie wir das Gesamtsystem im Lokaljournalismus auf dem bisherigen Stand aufrechterhalten, sondern vielmehr um Ideen zu entwickeln.

Genau dabei verweigern Sie sich. Nicht ein einziger Vorschlag kam von Ihnen, der bei der Antwort auf die Frage geholfen hätte: Wie kann lokaler Journalismus – in welcher Form auch immer – gestärkt und aufrechterhalten werden?

(Zurufe von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU] und Thomas Nückel [FDP])

– Wenn Sie das Problem nicht sehen,

(Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Aber nicht mit 1,6 Millionen €!)

ist das eine Sichtweise der CDU, die auch Ihre Kommunalpolitiker sowie die wenigen Kommunalpolitiker der FDP betrifft. Sie alle geht es an, dass wir keine ausreichende Medienvielfalt in den Kommunen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Thomas Nückel [FDP]: Sie ändern doch nichts daran! Das ist doch eine Nebelkerze!)

Sie stellen die Stiftungsidee und die Angliederung an die LfM immer wieder infrage, indem Sie behaupten, die Staatsferne sei nicht gegeben. Das wundert mich schon, weil Herr Nückel und Herr Schick, der gleich noch einmal reden wird, Mitglieder der Medienkommission sind, bei der LfM mitarbeiten und sich selbst nicht zutrauen, diese Unabhängigkeit zu gewährleisten, um als Landesanstalt für Medien die Stiftung auf den Weg zu bringen. Wenn Sie sich nicht in der Lage sehen, dort unabhängig und im Sinne der Bevölkerung gemeinsam mit den anderen dort vertretenen gesellschaftlichen Gruppen zu agieren, müssen Sie sich schon überlegen, was Sie beide in diesem Gremium machen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zum letzten Punkt, den Bürgermedien: Herr Sternberg, dass Sie generell Bürgermedien infrage stellen oder den Gesetzentwurf nicht gelesen haben, finde ich schon ziemlich schwierig.

Sie stellen sich hierhin und sagen: Bürgerfunk sei von gestern, das alles brauche man nicht mehr.

(Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Habe ich doch überhaupt nicht gesagt!)

Wir reden im Gesetzentwurf ausdrücklich von „Bürgermedien“. Im Gesetzentwurf steht, dass es eine Onlineplattform geben soll und dass es im Onlinebereich Verbreitung von Inhalten geben soll, die von Bürgern produziert wurden. Diese Dinge sind zeitgemäß.

Weiterhin soll es einen Lehr- und Lernsender auch für den Hörfunkbereich geben, um Medienkompetenz zu vermitteln, wie es „nrwision“ in Dortmund macht. Sehen Sie sich diesen Sender an; die machen es im TV-Bereich gut.

(Zustimmung von Thorsten Schick [CDU])

– Herr Schick war anscheinend schon mal da. Warum kann man so etwas nicht im Hörfunkbereich machen? Wo ist da Ihre Kritik?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])

Ich höre von Ihnen keine Vorschläge. Ich höre nur Kritik. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Wir werden sehen, ob von Ihnen der eine oder andere konstruktive Vorschlag kommt oder weiterhin eine Verweigerungshaltung besteht, die die Realität in NRW nicht wahrnimmt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Vogt, ich bitte Sie, noch hierzubleiben. Es liegt der Wunsch einer Kurzintervention des Herrn Abgeordneten Nückel von der FDP-Fraktion vor, dem ich hiermit das Wort erteile. Bitte schön.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Herr Vogt, ich glaube, dass Sie uns vorspiegeln wollen, dass mit diesen Maßnahmen Lokaljournalismus gerettet und die Vielfalt erhalten würde. Das ist aber nicht der Fall.

Sie können das Geld mit der Gießkanne verteilen: Hier und da geben Sie Journalisten mal 5.000 €. Aber damit können Sie Lokaljournalismus nicht retten und fördern, es sei denn, Sie haben damit später noch etwas anderes vor. Das ist mein Verdacht.

Die Vielfalt im lokalen Bereich hat nicht erst gestern gelitten. Schon in den 70er-, 80er- und in den 90er-Jahren wurden Lokalredaktionen eingestellt. Damals hat es die SPD nicht gestört, vielleicht weil es zumeist konservativere Blätter waren, die verschwanden. Wir werden jetzt das Redaktionssterben mit solchen Maßnahmen auch nicht aufhalten.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Staatsferne sagen. Wir haben das Problem, dass in den Kommissionen Vertreter von Verbänden sitzen, die häufig über ein Parteibuch verfügen. Außerdem sind es Verbände, die von Steuergeldern abhängen. Insofern muss man mit dem Begriff „Staatsferne“ sehr vorsichtig umgehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Vogt, bitte schön, Sie haben das Wort.

Alexander Vogt (SPD): Herr Nückel, wir haben gesagt, dass diese Stiftung ein erster Schritt sein soll. Dort soll eine Diskussionsplattform entstehen, wo von außen – und eben nicht aus der Politik – Wissenschaftler, Journalisten, Journalistenverbände, Unternehmer mit an den Tisch geholt werden. Gemeinsam soll dann geprüft werden, was man im lokalen Bereich machen und entsprechend auf den Weg bringen kann.

Im Übrigen hat keiner versprochen, mit 1,6 Millionen € den Lokaljournalismus in Nordrhein-Westfa-len zu retten.

(Zuruf von Thomas Nückel [FDP])

– Sie hören anscheinend nicht zu! Ich habe gesagt: Das ist ein erster Schritt. Dass eine solche Stiftung als weitere Finanzierungssäule einmal weiterentwickelt werden könnte, dass unabhängige Stifter hinzukommen könnten – dafür gibt es in anderen Ländern Beispiele –, das ist natürlich durchaus eine Möglichkeit, wie es weitergehen könnte.

Jetzt handelt es sich zunächst um einen ersten Schritt, angesiedelt bei der Landesanstalt für Medien. Wenn Sie bessere Vorschläge haben, bringen Sie diese ein, stellen Sie Anträge. Aber bisher haben wir dazu nichts von Ihnen gehört.

Noch ein Satz zum Thema „Zeitungssterben in den 80er-Jahren“: Wenn das Ihr Verständnis ist, wenn Sie den Leuten unterstellen, es sei ihnen egal, wenn Zeitungen sterben, nur weil eine Zeitung eine bestimmte Haltung oder politische Ausrichtung hat, dann zeugt das zwar von Ihrer Einstellung zu diesem Thema im Hinblick auf bestimmte Blätter, …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege!

Alexander Vogt (SPD): … aber Ihre Einstellung zum politischen Journalismus entspricht weder meiner, noch der der SPD-Fraktion oder der der Landesregierung.

(Beifall von der SPD)

Das wirft ein komisches Bild auf Sie, wenn Sie solche Sachen behaupten.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Landtagsfraktion spricht nun der Abgeordnete Schick. – Bitte schön.

Thorsten Schick (CDU): Herr Präsident! Selbstverständlich entschuldige ich mich für meinen Übereifer. Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich in Richtung von Herrn Vogt sagen: 40 Anmerkungen bei uns, 591 bei Ihnen; das hatten Sie vorhin angesprochen. Dazu sage ich: Zufriedene Menschen äußern sich nun einmal etwas weniger.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Insofern sollte es Ihnen vielleicht etwas zu denken geben, dass es so viele Anmerkungen waren.

Nächster Punkt. Sie sprachen von fehlenden Ideen und würdigten dann den Lehr- und Lernsender. Der Lehr- und Lernsender ist ein Projekt der schwarz-gelben Landesregierung. Da sieht man, welche Ideen dort geboren wurden.

Wenn wir uns den Erfolg einmal näher anschauen, dann bin ich ganz nahe bei dem, was Herr Professor Sternberg gesagt hat. Unter anderem ist gerade ein Video, das auf YouTube weiterverbreitet worden ist, ganz besonders erfolgreich. Dieses von der LfM geförderte Video zeigt Julia Engelmann bei einem Poetry Slam und hat über fünf Millionen Klicks.

Es ist also längst aus einer Nische heraus und zeigt, in welche Richtung das Ganze gehen muss. Gefragt ist nicht mehr der Bürgerfunk der alten Zeit – so wie es Herr Professor Sternberg bereits angemerkt hat –, sondern der Trend geht hin zu völlig neuen Formaten, und das auf einer Plattform, die CDU und FDP damals hervorgebracht haben.

(Zurufe von Alexander Vogt [SPD] und Nadja Lüders [SPD])

Hierher kommen die Ideen – also bitte nicht mit dem Finger auf uns zeigen! Das beweist im Gegenteil, dass Sie solche Ideen nicht haben. Auch die Zwischenrufe zeigen, dass Sie außer Getöse wenig zu bieten haben.

Wir kommen zum Blick auf den Gesetzentwurf. Da fällt einem vor allen Dingen eines auf, und das ist die lange Begründung. Ob der Roman zum Gesetz jedoch hinterher dafür sorgt, dass daraus ein ganz großer Wurf wird, dahinter mache ich mal ein Fragezeichen.

Ich komme zunächst zu dem – Herr Nückel hat es angesprochen –, was im Wesentlichen unangetastet geblieben ist: Das ist § 33 Landesmediengesetz.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Schick, wollen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rahe von der SPD zulassen?

Thorsten Schick (CDU): Das darf der Herr Rahe, klar.

Ernst-Wilhelm Rahe (SPD): Vielen Dank für die Zulassung dieser Frage. – Herr Schick, Sie haben vorhin gesagt, der Lehr- und Lernsender sei eine Idee der schwarz-gelben Landesregierung gewesen. Ist Ihnen bekannt, dass es ein Modellprojekt der Landesanstalt für Medien war, das den Lernsender in Gang gesetzt hat?

(Vereinzelter Beifall von der SPD – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Thorsten Schick (CDU): Selbstverständlich hat die Landesanstalt für Medien das Projekt hinterher umgesetzt;

(Zurufe von der SPD: Ah!)

aber die Impulse kamen natürlich aus der schwarz-gelben Landesregierung. Wenn die Stiftung aus Ihrer Sicht erfolgreich läuft, werden Sie doch hinterher auch nicht sagen, verantwortlich dafür sei die Landesanstalt für Medien gewesen. Vielmehr werden dann der Staatssekretär und die Ministerin immer wieder reklamieren, dass sie dafür federführend gezeichnet haben. Es gibt allerdings einen Unterschied, nämlich dass die Stiftung floppen wird, während der Lehr- und Lernsender erfolgreich war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich komme noch einmal zurück zu § 33 Landesmediengesetz. Damals hieß es vonseiten des medienpolitischen Sprechers der SPD und des heutigen Staatssekretärs, das sei ein „bürokratisches Monster“. Mittlerweile lässt es sich mit diesem Monster wohl ganz gut kuscheln, ansonsten hätten Sie in dem Gesetzentwurf etwas geändert.

Sie haben ja noch nicht einmal die Änderungsanträge, die Sie damals hier im Parlament eingebracht haben, der Ministerin an die Hand gegeben, um sie in den Gesetzentwurf einarbeiten zu lassen.

(Zuruf von der FDP: Das gibt es doch gar nicht!)

Ich richte Herrn Krautscheid aus, dass sein Gesetz doch wesentlich besser war, als Sie damals gedacht haben.

Nun zum Roman im Anhang des Gesetzes. Sie führen aus, dass die Medienkommission gestärkt werden müsste. Ich hatte nie das Gefühl, Herr Rahe, dass die Medienkommission ein schwaches Gremium ist. Im Gegenteil: Ich sehe da viele kompetente Menschen, die sich für die Belange der Medien in Nordrhein-Westfalen intensiv einsetzen.

Nach 25 Jahren ist die Kommission den Kinderschuhen entwachsen; aber es spricht natürlich nichts dagegen, eine Stärkung im Gesetz festzuschreiben. Nur, Frau Ministerin, Reden und Handeln müssen dann übereinstimmen. Sie können nicht links blinken und rechts fahren. Das führt zum ganz lauten Knall, und das haben wir auch im entsprechenden Verfahren gemerkt.

Ich glaube, die Vertreter in der Medienkommission – das haben die Diskussionen gezeigt – fühlen sich auf den Arm genommen. Denn wenn man über Stärkung spricht und jemandem sagt, man vertraue ihm, dann jedoch auf der anderen Seite das Budgetrecht in der Form einschränkt, dann fühlen sich diese Personen auf den Arm genommen und keinesfalls gestärkt.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Sie können selbstverständlich die Stiftung – in Anführungsstrichen – ins Leben rufen, Sie können sie hier mit Ihrer Mehrheit durchsetzen, aber bitte verkaufen Sie die Menschen und die Kommissionsmitglieder nicht für dumm!

(Beifall von der CDU)

Diskutiert wird im weiteren Verfahren sicherlich auch noch § 14 des Landesmediengesetzes, also die Vergabe der Frequenzen für den Hörfunk. Es gibt einige kritische Stimmen aus dem WDR heraus. Ich bin sicherlich nicht der Einzige, der entsprechende Mails bekommen hat. Es gibt Hörfunkveranstalter außerhalb von Nordrhein-Westfalen, die mit den Regelungen nicht einverstanden sind.

Doch ich möchte hier noch einmal den Fokus auf das lenken, was im Zwei-Säulen-Modell geleistet wird, also vonseiten der Betriebsgesellschaften und vonseiten der Veranstaltergemeinschaften. Wer eine derart dichte Kette mit der Versorgung von lokalen Nachrichten sicherstellt, der leistet einen sehr großen publizistischen Mehrwert und hat es sicherlich verdient, dass er durch die Gesetzgebung entsprechend unterstützt wird.

Insofern ist das ein Bereich, auf den ich mich in der Beratung freue. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Landesregierung hat sich noch einmal Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren zu Wort gemeldet.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Opposition waren spannend, aber nicht widerspruchsfrei. Man kann dies an mehreren Punkten deutlich machen, ob es um die Staatsferne ging, ob es um die Stärke der Medienkommission ging, ob es den Übergang in die digitale Gesellschaft betrifft.

Herr Nückel, Sie haben hier ein Zerrbild unserer Medienpolitik gezeichnet, weshalb man schon fast Angst bekommen musste, dass wir demnächst einen Staatsstreich vorbereiten. Dabei sind Sie in der Tat ein Teil der Medienkommission, die in vielen unserer aufgeworfenen Fragen eine Rolle spielt. Ich komme darauf zurück.

Im Wesentlichen haben Sie drei Kritikpunkte vorgetragen.

Erstens sagten Sie, dass die digitale Gesellschaft in diesem Landesmediengesetz nicht angemessen aufgegriffen wird. Dabei haben Sie völlig übersehen, dass wir in Fragen der Anreizregulierung in eine sehr fortschrittliche Richtung gehen, die neue Möglichkeiten eröffnet.

Zweitens haben Sie völlig überhört oder überhören wollen, dass die schrittweise Digitalisierung des Kabelnetzes zur Erreichung von mehr Vielfalt beitragen kann.

Drittens haben Sie beim Bürgerfunk – das muss ich auch in Richtung Herrn Sternberg sagen – einfach überhören wollen, dass wir gerade dem Bürgerfunk den Zugang zu modernen Verbreitungswegen und sendezeitunabhängigen Plattformen geben wollen.

Von daher läuft diese Kritik ins Leere.

Auch die Widersprüche zwischen Herrn Sternberg und Herrn Schick hat man mit Händen greifen können. Auf der einen Seite wird „nrwision“ gelobt, doch wenn wir sagen, das bieten wir jetzt für den Bürgerfunk an, wird das kritisiert. Sie meinen, das, was aus dem öffentlichen Bereich kommt, kann auch unabhängig vom Geld gemacht werden. Aber ich darf Ihnen sagen: „nrwision“ wird durch die Landesmedienanstalt finanziert. Gehen Sie einmal zu den Bürgerfunkern und erzählen denen, sie sollen einen solchen Lehr- und Lernsender mit eigenen Mitteln aufbauen – obwohl das wirklich Leute sind, die das zum großen Teil ehrenamtlich machen.

Ich will etwas zur Regulierungsfrage sagen. Herr Sternberg, auf der einen Seite haben Sie Regulierung diffamiert, auf der anderen Seite wird wiederum von Herrn Schick unser Zwei-Säulen-Modell gelobt. Zu Recht wird es gelobt. Doch dieses Zwei-Säulen-Modell zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten funktioniert nur, weil wir Regulierung haben.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ich denke, spätestens seit der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise ist auch dem Letzten deutlich geworden, dass der Markt nicht die beste aller Welten schafft, sondern der Markt auch versagen kann

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und dass die Regulierung hier notwendig ist, um Freiheit zu garantieren, um den Menschen Zugang zur Kultur und zur Berichterstattung zu geben, die wirklich unabhängig von Marktinteressen ist. Insofern kann ich diese Kritik an Regulierung in keinster Weise nachvollziehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will zu dem letzten Punkt kommen, zu der Staatsferne. Hier habe ich nun wirklich den Eindruck, es wird ein Popanz aufgebaut und ein Pferd geritten, das schon lange tot ist.

Wenn Sie auf der einen Seite den Eindruck erwecken, dass mit einem Budget von 1,6 Millionen €, die dieser Stiftung bürgerlichen Rechts zur Verfügung stehen sollen, die Lokalmedien kaputtgemacht werden sollen, dann ist das absolut lächerlich.

Wenn Sie auf der anderen Seite sagen – das war Herr Sternberg –, dass es hier um „Staatsknete“ geht, gleichzeitig jedoch kritisieren, dass die Gebühren der Beitragszahler genutzt werden, dann weiß ich nicht: Sind es jetzt die Beitragszahler oder ist es der Staat?

(Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Der Staat guckt zu!)

Wenn außerdem diese Stiftung, Herr Sternberg, bei der LfM angesiedelt ist, bei der Sie in der Medienkommission sitzen, dann haben Sie doch alle Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass nicht Herr Eumann bestimmt, welche Recherchen demnächst im Sinne der Regierung durchgeführt werden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube, Sie sollten hier wirklich auf dem Teppich bleiben. Lassen Sie uns das Gesetz vernünftig beraten. Ich habe den Eindruck, wir sind auf einem guten Weg, und wir haben im Dialog mit den Akteuren schon viel erreicht. Diesen Dialog kann der Landtag und wird der Landtag – da bin ich sicher – fortsetzen, und wir werden am Ende ein gutes Ergebnis haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich darf Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mitteilen, dass die Landesregierung die Redezeit um 3:30 Minuten überzogen hat.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Gibt es noch weiteren Redebedarf in den Fraktionen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann sind wir am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4950 an den Ausschuss für Kultur und Medien. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung Folge leisten? – Ist jemand dagegen oder möchte sich enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

4   Chemische Industrie muss Motor des Industriestandortes Nordrhein-Westfalen bleiben: Landesregierung muss heute Grundlagen für Wachstum von morgen schaffen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache
16/5040

Ich eröffne die Aussprache, und für die antragstellende CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Wüst.

Hendrik Wüst (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben anhand der McKinsey-Studie schon im alten Jahr über das Thema „Wachstumsimpulse“ debattiert. Ich erinnere noch einmal daran. Da wurde beschrieben, dass Nordrhein-Westfalen bei durchschnittlichem Wachstum – wie zum Beispiel in Bayern – 3,2 Milliarden € mehr Steuereinnahmen allein für das Land und die Kommunen aufbringen könnte.

Hohe Wachstumspotenziale bietet insbesondere die Chemieindustrie. Das liegt schlicht daran, dass wir in Schwellenländern wie beispielsweise China und Indien eine aus bitterer Armut erwachsene Mittelschicht sehen, die völlig neue Bedürfnisse hat.

Stichwort Ernährung: Allein bis zum Jahr 2020 wird sich der Bedarf an Nahrungsmitteln auf diesem Planeten verdoppeln. Um diesen Nahrungsmittelbedarf zu decken, brauchen wir Dünger, Pflanzenschutzmittel. Das ist schlicht Chemie.

Wir haben in den beschriebenen Regionen einen großen Bedarf an Konsumgütern, an individueller Mobilität. Der Bedarf an Kunststoffen und Basischemie wird dadurch größer.

Wachsende Mittelschichten haben auch einen wachsenden Bedarf an medizinischen und pharmazeutischen Produkten.

Das sind alles Chemieprodukte, die irgendwoher kommen müssen. Unsere Chemieindustrie aus Nordrhein-Westfalen könnte diese Bedürfnisse bedienen. Während im Jahr 2011 noch 52 % der chemischen Produkte für das Ausland hergestellt worden sind, geht Prognos davon aus, dass wir im Jahr 2030 schon bei 60 % sind. Die Frage ist also: Wollen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass unsere Chemieindustrie von den beschriebenen Wachstumsmärkten profitiert?

Chemieindustrie, Pharmaindustrie in Nordrhein-Westfalen ist eine unserer Schlüsselindustrien und gemeinsam mit den metallverarbeitenden Industriezweigen Nummer eins in Sachen Umsatz. Wir haben 480 zumeist mittelständisch geprägte Chemie- und Pharmaunternehmen und über 100.000 Beschäftigte dort. Die chemische Industrie steht am Anfang der Wertschöpfungskette wie auch viele andere energieintensive Industrien, weswegen das Thema „Energie“ hier so wichtig ist.

Wir haben insgesamt 1,42 Millionen Beschäftigte in der Industrie in Nordrhein-Westfalen. Wir können für die, wir können für uns die Chancen der eben beschriebenen Wachstumsregionen nutzen.

Da reicht es aber eben leider nicht, einen lange angekündigten und mehrfach verschobenen Chemiegipfel zu machen, der dann mit einigen wenigen Zeitungsartikeln so dahinplätschert und bei dem man nicht davon ausgehen muss, dass am Ende wirklich etwas herauskommt. Wir müssen im besten Sinne aktive Standortpolitik für Industrie in Nordrhein-Westfalen machen, um die Chancen zu nutzen und die Chemieindustrie hier zu erhalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dazu gehört insbesondere bezahlbare Energie, bezahlbarer Strom. Dazu gehört auch die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Dazu gehört die Stärkung des Forschungs- und Wissenschaftsstandorts, unnötige Belastungen eigener Art durch ein NRW-Klimaschutzgesetz zu vermeiden, die Infrastruktur zu verbessern und auch den Verbundstandort zu stärken.

Ich sage das heute auch ganz ausdrücklich, weil das Thema „CO-Pipeline“ in den letzten Tagen noch einmal hohe Wellen geschlagen hat. Für unsere Fraktion, für die CDU-Fraktion hier im nordrhein-westfälischen Landtag, hat der Schutz von Leben und Gesundheit Vorrang vor allen wirtschaftlichen Interessen. Das ist völlig klar. Ist eine Pipeline nicht sicher, kann sie nicht in Betrieb genommen werden. Ist sie aber sicher, dann darf der Betrieb nicht aus politischen Gründen verhindert werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Zweifel müssen darüber in einem Rechtsstaat dann eben Gerichte entscheiden.

Es ist mit Verlaub ein Unding, dass die Landesregierung ein Gutachten zu betriebswirtschaftlichen Fragen der CO-Pipeline erstellt. Das hat mit Sicherheitsfragen nichts zu tun. Wirtschaftliche Fragen sollten Unternehmer und Unternehmen und nicht der nicht zuständige Minister Remmel klären.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sicherheit ist das oberste Prinzip. Aber wir haben die Chance, mit den Pipelines den Nachteil unseres Verbundstandorts auszugleichen und die chemische Industrie in die Lage zu versetzen, die eben beschriebenen Potenziale zu nutzen. Chemische Industrie kann ein Baustein sein, die Wachstumslücke, die wir hier ja immer wieder beklagen, in Bezug auf andere Bundesländer zu schließen.

Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen allen im Ausschuss über die Bedingungen, wie wir das erreichen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vieles Richtige gesagt worden, Herr Wüst, zur Zustandsbeschreibung der chemischen Industrie und zu ihrer Bedeutung, die sie in unserem Land und für unseren Industriestandort hat.

Die wichtigste Aufgabe, die wir, glaube ich, als Industriepolitiker allemal haben, ist es, die Wertschöpfungsketten, die es gibt, die geprägt sind durch diesen Verbundstandort, nicht reißen zu lassen und nach Möglichkeit vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle noch zu ergänzen und sinnhaft weiterzuentwickeln.

Richtig ist auch, dass Energie eigentlich momentan das Schlüsselthema ist, das die chemische Industrie interessiert. Wir hatten heute Morgen erst eine Einladung von CURRENTA. Dort ist das noch einmal sehr deutlich geworden. Denn gerade für die chemische Industrie ist Energie nicht irgendeine Kostengröße, sondern sie ist häufig die zentrale Größe. Nicht selten ist sie wichtiger als die Lohnsummen in den Unternehmen.

Deswegen ist es besonders beachtenswert, dass es gerade der chemischen Industrie gelungen ist, eine Abkopplung zwischen Energiepreisentwicklung und Produktivität in den letzten Jahren zu erreichen. Ich glaube, das ist positiv herauszustreichen.

Diese Effizienzrevolution, die da gelungen ist, hängt eben mit dem spezifisch deutschen System, das es nur in wenigen anderen Ländern gibt und das vielleicht noch in Japan und jetzt in China wächst, der Verbundstrukturen zusammen, einer Verbundstruktur, bei der Abfälle nicht nur Abfälle sind, sondern Abfälle gleichzeitig als Rohstoffe wieder genutzt werden, sie die Vor- und Zwischenprodukte direkt für andere an anderen Stellen werden.

Alle mahnen uns letztendlich – das ist das Entscheidende –, jetzt darauf zu achten, dass das nicht durch das am 18. Dezember 2013 durch die EU-Kommission eingeleitete Beihilfeverfahren auf eine schiefe Bahn gerät; denn das stellt eine große Gefahr für uns alle dar – und für die chemische Industrie allemal.

Es ist aber auch – Herr Wüst, es hätte Ihnen gut angestanden, das an dieser Stelle auch einmal deutlich zu sagen – ein schlechtes Zeugnis von vier Jahren Regierungspolitik im Bund, dass dieses Thema uns jetzt in dieser Härte ereilt. Wir hatten zwar viele Ankündigungen zu Strompreisbremsen etc. Das Wichtigste und Zentralste wäre aber gewesen, die deutsche Energiewende auch endlich europafest zu machen. Das haben wir versäumt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Was mich an dem CDU-Antrag am meisten stört, ist die immer noch praktizierte Gleichsetzung, Klimaschutz sei eine Belastung für die chemische Industrie und die Industrie allgemein. Diese Gleichsetzung ist nun wahrlich eine Fiktion aus dem letzten Jahrhundert. Ich frage mich wirklich, wann es der CDU in Nordrhein-Westfalen gelingt, hier industriepolitisch auf die Höhe der Zeit zu kommen. Diese Feindbilder bringen uns nicht weiter. Chemische Industrie definiert sich selber als Ermöglicher von Prozessen, als Effizienzbringer und als Beitraggeber zur Energiewende bei Dämmstoffen und bei vielem anderen mehr. Warum Sie hier so agieren, ist für mich nicht nachvollziehbar.

In der auf dem Chemiegipfel formulierten Erklärung sagen es die Chemieverbände, die Landesregierung und die anderen Akteure auch alle gemeinsam. Darin steht:

„Maßnahmen des Klimaschutzplanes sind so zu gestalten, dass sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen verbessern.“

Sie begreifen das also selber als Chance. Von Ihnen wird hingegen so getan, als sei Klimaschutz eine Sache, die die Industrie behindert. Meine Damen und Herren, so kann man das nicht angehen.

(Beifall von der SPD und Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE])

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit einen weiteren Punkt sehr deutlich ansprechen, Herr Wüst. Dass Sie auch die Mitbestimmung benennen, ist löblich. Allerdings tun Sie das wieder in der klassischen Weise nach dem Motto: Es ist gut, dass wir sie haben; sie sorgt für Stabilität, dafür, dass nicht gestreikt wird etc.

Gerade in der chemischen Industrie ist die Mitbestimmung aber viel mehr. Die Betriebsräte, die in der chemischen Industrie unterwegs sind, schauen genau auf Investitionszyklen. Sie schauen genau darauf, was man tun muss, damit ihr Unternehmensstandort sich weiterentwickeln kann. Sie haben das genau im Blick. Sie gucken nicht nur auf die Konkurrenten in anderen Unternehmen, sondern auch auf ihre Konzernstrukturen und darauf, was sie tun müssen, damit die nächste große Investition für 25 Jahre an den hiesigen Standort kommt. Das muss man an dieser Stelle auch einmal wertschätzen. Ich will das ausdrücklich unterstreichen.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie benennen in Ihrem Antrag ganz viele Punkte. Sie glauben, dass Landesstraßen das wichtige Thema sind, um Infrastruktur nach vorne zu bringen. Wenn ich mit den chemischen Betrieben vor Ort rede, sprechen sie mich meistens auf die Autobahnbrücke des Bundes bei Leverkusen an. Sie greifen das Hochschulfreiheitsgesetz wieder auf. Sie wollen den Tierschutz zurückdrängen. Mich hat gewundert, Herr Wüst – Sie hören zwar nicht zu; ich sage es aber trotzdem –, dass Sie nicht auch noch den Nichtraucherschutz und das Ladenöffnungsgesetz in Ihren Katalog aufgenommen haben. Das hätte noch gefehlt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit, Herr Kollege.

Guido van den Berg (SPD): Herr Wüst, es reicht nicht aus, immer den gleichen Warenhauskatalog vorzulegen. Sie müssen ein schlüssiges Konzept für die chemische Industrie in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen, anstatt einfach nur das herunterzubeten, was Sie immer sagen. So werden Sie als CDU-Fraktion kein industriepolitisches Profil gewinnen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt Frau Kollegin Dr. Beisheim.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wüst, prinzipiell teile ich genauso wie Herr Kollege van den Berg Ihre Sorgen um die Zukunft des Industriestandorts hier in Nordrhein-Westfalen. Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie zu Beginn Ihres Antrags die Bedeutung der chemischen Industrie gerade für Nordrhein-Westfalen hervorheben.

Liest man Ihren Antrag aber weiter, stellt sich – Herr Kollege van den Berg hat es schon angedeutet – eine gewisse Enttäuschung darüber ein, dass eigene Impulse durch Sie schlichtweg fehlen.

(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Im Beschlussteil Ihres Antrags befindet sich wieder einer dieser bunten Sträuße von angeblich falschen Rahmensetzungen der Landesregierung, die diesmal die Zukunft des Chemiestandorts Nordrhein-Westfalen gefährden sollen.

Im Mittelteil erwähnen Sie zu Recht Megatrends wie den demografischen Wandel, den Wandel bei der Mobilität oder den Klimawandel. Diese sind bei der Erstellung von Zukunftsszenarien unverzichtbar. Doch die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, Herr Wüst, sind in großen Teilen aber einfach Unfug.

Lassen Sie mich mit Punkt 8 zur Verkehrsinfrastruktur beginnen. Diesen Punkt kann man schnell unter der Kategorie „absichtliches Foulspiel“ einfach abhaken.

Weiter geht es mit Punkt 5. Ich kann nicht auf jeden dieser Punkte eingehen. Das möchte ich auch gar nicht. In Punkt 5 beschäftigen Sie sich aber mit Maßnahmen zur Fachkräftesicherung.

Zum einen kann ich Ihnen auch als Frau nur erklären – Sie weisen ja gerade an dieser Stelle wieder darauf hin, dass Sie Frauen aktivieren möchten –: Man kann den Ansatz nicht so benutzen, wie Sie das tun, indem Sie Frauen als reines Arbeitsreservoir betrachten. Der Schlüssel ist im Endeffekt, dass Sie endlich begreifen, dass die Ausgestaltung einer familienfreundlichen Arbeitswelt für Frauen und Männer mehr ist als der bloße Ausbau unternehmenskonformer Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum anderen sprechen Sie über die gezielte Werbung ausländischer Fachkräfte. Hier erinnere ich an den Ausspruch von Max Frisch: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen.“ Sie scheinen aus dieser Debatte schlichtweg nichts gelernt zu haben; denn wer Menschen nur nach Leistungsmerkmalen bewertet, wie Sie es hier tun, der verliert die Chance auf eine Gesellschaft, die Stärken aus ihrer Vielfalt zieht.

Punkt 4 – zum Schluss möchte ich darauf eingehen – hat es wirklich in sich. Sie fordern beschleunigte Genehmigungsverfahren gerade auch für Pipeline-Projekte. In Anbetracht der bisher nachgewiesenen Planungsfehler und des intransparenten Vorgehens des Anlagenbetreibers beim Beispiel der CO-Pipeline ist das schon eine Ungeheuerlichkeit.

Jenseits aller Polemik möchte ich Ihnen als juristischer Laie sagen: In unserem Rechtsstaat gilt nicht das Recht des Stärkeren. Es ist richtig, die Durchsetzung der Interessen der Einzelnen mit ausreichenden Rechtsmitteln auszustatten. An diesem hohen Rechtsgut sollten wir alle festhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Außerdem sollte eine hohe Akzeptanz von großen Industrieprojekten einem beschleunigten Verfahren vorgezogen werden. Zudem ist die Bestandskraft der Genehmigung bei einer umfangreichen Öffentlichkeitsbeteiligung höher und bringt damit einem Betreiber einer Anlage mehr Sicherheit.

Sie haben es schon angedeutet: Seit gestern liegt uns ein Gutachten vor, nämlich das Gutachten der Landesregierung zu CO-Pipeline. Ich möchte betonen, dass die Zahlen dort vom Unternehmen selber zugeliefert worden sind. Es ist wirklich erstaunlich und scheint so, dass der Ausbau der CO-Erzeugungseinheiten an beiden Standorten tatsächlich wirtschaftlicher sein könnte als der Transport durch die Pipeline. Dieses Ergebnis sollte Bayer doch endgültig zum Umdenken bringen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Letztlich ist der Antrag ein fadenscheiniger Versuch, im Umfeld der anstehenden Gerichtsentscheide das Thema CO-Pipeline erneut in den Landtag einzubringen. Denn wir alle – gerade die, die aus den Regionen und Städten kommen, die von der CO-Pipeline betroffen sind – wissen: 2014 ist das Jahr der Entscheidung. Auch die hier anwesenden Initiativen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Versuch aufs Schärfste zu verurteilen ist.

Ich werde jetzt diesen Strauß nicht zurückgeben, Herr Wüst. Wir sehen uns im Ausschuss. Bis dahin wünsche ich Ihnen: Mögen Ihre Gedanken heller werden! – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade in den Ausführungen der Vorrednerinnen und Vorredner schon einiges Gute und Positive über den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen gehört. Deshalb könnte man sagen, das reicht jetzt, und direkt in den Antrag einsteigen.

Ich denke aber, dass es wichtig ist, heute und an dieser Stelle so stark zu betonen, dass der Chemiestandort enorm wichtig für unser Land ist. Denn wenn Sie die Debatten außerhalb dieses Hohen Hauses verfolgen, werden Sie häufig den Eindruck haben, als sei die Chemie ein lästiges Übel dieser Gesellschaft. Dabei ist es eben gerade die Chemieindustrie, die viele Lösungen für unsere gesellschaftlichen Probleme liefert. Ich möchte eines nur als Beispiel nennen.

(Der Abgeordnete hält ein Smartphone hoch.)

– Ohne die chemische Industrie, die Innovationen, die von ihr ausgehen, wäre ein solches Produkt wie das Smartphone, das ich in der Hand halte, gar nicht denkbar/machbar. Deshalb lohnt es sich, meine Damen und Herren, sich hier für den Chemiestandort einzusetzen.

Denn Nordrhein-Westfalen stellt alleine ein Viertel aller Arbeitsplätze in Deutschland in der chemischen Industrie und ein Drittel des bundesweiten Umsatzes, wobei die Bundesrepublik Deutschland der größte Chemiestandort weltweit ist. Meine Damen und Herren, deshalb lohnt es sich, hier darüber zu reden.

Es ist Gott sei Dank in der Politik nicht das erste Mal. Man könnte die Frage stellen: Warum noch dieser Antrag? Wir haben eine Enquete-Kommission zur Zukunft der Chemie. Wir haben den Chemiegipfel des Wirtschaftsministers gehabt. Das reicht doch langsam! – Nein, auch dieser Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Union macht Sinn, denn er verdeutlicht, dass zwischen dem, was in den Sonntagsreden – dazu muss ich leider auch den Chemiegipfel zählen – gesagt wird, und dem, was diese Landesregierung in der Realität macht, ein meilenweiter Unterschied liegt. Da ist leider eine riesengroße Diskrepanz.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Leider ist Minister Groschek gerade gegangen. Ich nehme als Erstes ein Thema auf, das Herr Minister Duin – vermutlich ist er noch auf der Japanreise unterwegs und kann deshalb heute nicht anwesend sein – im Papier zum Chemiegipfel selbst angestoßen hat, nämlich das Thema „Verkehr“.

Es wird beklagt, dass wir zu wenig Bundesmittel haben. Dabei weiß doch jeder in diesem Haus, der sich die Verkehrsdebatten der letzten Tage angehört hat, dass Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren unter Rot-Grün nicht in der Lage war, die Mittel, die für Nordrhein-Westfalen zur Verfügung standen, abzurufen, weil man nicht genügend Planung betrieben hat, auch keine Vorratsplanung, um die jedes Jahr überschüssigen Mittel nach Nordrhein-Westfalen zu bringen. So sieht die Realität in unserem Land aus.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU] – Widerspruch von der SPD)

Dass Verkehrspolitik wichtig ist, haben wir leider in den vergangenen Monaten an der Rhein-Brücke der A1 bei Leverkusen sehen können. Direkt vor den Toren des CHEMPARKs ist durch den Ausfall der Brücke ein Schaden in Höhe von insgesamt 250 Millionen € entstanden. Das ist ein Beispiel.

Das andere Thema wurde eben genannt: die CO-Pipeline. – Meine Damen und Herren, diese Pipeline beruht auf einem Beschluss dieses Hohen Hauses, der damals einstimmig gefasst worden ist. Sowohl Minister Remmel als auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen Herr Priggen gehörten diesem Hohen Hause damals an und haben diesem Gesetz zugestimmt. Ich habe bis heute nicht gehört, dass die Landesregierung vorhat, dieses Gesetz zurückzunehmen.

Sonst hat man sich immer auf die Position zurückgezogen: Ja, das liegt vor Gericht, die Landesregierung hält sich da raus, da mischen wir uns nicht ein. – Doch was macht der zuständige Umweltminister? Er gibt bewusst ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag,

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Auftragsgutachten?!)

um die Gerichte zu beeinflussen und dafür zu sorgen, dass eine Position gefasst wird, die dem Chemiestandort Nordrhein-Westfalen schadet. Das ist fahrlässig, meine Damen und Herren. Das ist leider die Realität dieser rot-grünen Politik.

(Beifall von der FDP)

Da, Herr Kollege Markert, nutzt es nichts, wenn die Grünen versuchen, sich über eine Enquetekommission bei der Chemieindustrie lieb Kind zu machen. Die Realität ist eine andere. Das wird auch in den aufgeführten Punkten des Antrags deutlich.

Leider reicht meine Zeit nicht aus, um auf die Energiepolitik einzugehen, wo gerade bei dem für den Chemiestandort wichtigen Punkt der Kraft-Wärme-Kopplung …

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit.

Dietmar Brockes (FDP): … der grüne Minister eine andere Position eingenommen hat als der Rest der Landesregierung.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Mit dem Wasserentnahmeentgelt, mit dem Klimaschutzgesetz, mit dem Verbandsklagerecht, mit dem

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja?)

Hochschulrückschrittsgesetz, Herr Kollege Schmeltzer, machen Sie eine Politik, die ganz klar zulasten des Chemiestandortes Nordrhein-Westfalen geht. Das können wir nicht gutheißen. Deshalb werden wir dem Antrag der Union zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Schmalenbach.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Das war ein echter Brockes! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau! Dafür gibt es einen Eingangsapplaus!)

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident.

(Beifall von Dietmar Bell [SPD])

Die chemische Industrie ist zweifellos eine der wichtigsten Industrien für unser Bundesland – viel zu wichtig, um vor dem Hintergrund parteipolitisch motivierte Positionierungsspielchen zu betreiben. Wenn man sich den Antrag anschaut, so findet man ein Sammelsurium von Positionen und Forderungen. Aus der Feder der CDU sind es in weiten Teilen keine neuen Forderungen. Bisher war all das relativ erfolglos und wird es vermutlich erst einmal bleiben. Wir jedenfalls werden sicher nicht diejenigen sein, die diese Sorte von Anträgen befürworten. Wir können den Forderungen des Antrags nicht zustimmen. Selbstverständlich befürworten wir die Überweisung an den Ausschuss.

Ich möchte anmerken, dass wir auch unter Beteiligung der CDU in der Enquetekommission II das Thema „Zukunft der chemischen Industrie“ ausführlich behandeln. Dort sind wir schon weiter als Ihr Antrag. Vielleicht wäre es gut gewesen, Ihre Vertreter an dem Antrag zu beteiligen; denn dort versuchen wir, möglichst fernab parteipolitischer Färbung neutral zu agieren, um der Wichtigkeit dieser Industrie gerecht zu werden. Stattdessen also das übliche Spiel hier im Plenum: Das eigentliche Thema ist nur ein Vehikel, um mal wieder ein Sammelsurium an eigenen Positionen in die Öffentlichkeit zu blasen.

Aber mal etwas konkreter: Das Klimaschutzgesetz soll weg – schon wieder. Warum eigentlich?

(Hendrik Wüst [CDU]: Weil es immer noch da ist!)

Um den Standort NRW für die chemische Industrie zu sichern? Wirklich? Erklären Sie mir das bitte! Das erschließt sich mir einfach nicht. Gerade Maßnahmen gegen den Klimawandel können wichtige Geschäftsmöglichkeiten schaffen. In einer Welt, in der wir die Auswirkungen des Klimawandels bereits zu spüren bekommen, ist es eine gute Strategie, sich für das Klima einzusetzen, wenn nicht gar die einzige Option.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Produktionsprozesse und Produkte im Hinblick auf den Energieeinsatz zu optimieren, ist ein Weg, der gegangen werden muss. Er führt uns in die Zukunft, er bedeutet den Fortschritt, den wir brauchen –

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

für den Klimaschutz, für die Effizienz und am Ende womöglich sogar für den Export der dafür entwickelten Technologien. Hallo, Wirtschaftspolitik!

Die Bekämpfung des Klimawandels ist langfristig eine Wachstumsstrategie. Auch hier gilt: global denken und lokal handeln. Nicht auf den Letzten warten, sondern aktiv die Richtung bestimmen, ist unser Ansatz. Deutschland und gerade NRW müssen an der Stelle „voRWEg gehen“.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wer meint, das EEG müsse reformiert werden, um den Industriestandort NRW zu stärken, der hat den Sinn des Gesetzes nicht verstanden. Es ist kein Standortstärkungsgesetz, es wurde gegen den Widerstand der CDU auf den Weg gebracht, um den erneuerbaren Energieträgern eine Chance auf dem Energiemarkt zu geben, die sie ohne nicht hätten. Dieses Ziel muss unbedingt erhalten bleiben, denn die Erneuerbaren sind die einzige langfristig sichere Energiequelle, die wir haben. Das steckt für logisch denkende Menschen schon im Namen.

Nicht fehlen darf natürlich die CO-Pipeline. Auch die wurde unter Ministerpräsident Rüttgers auf den Weg gebracht und dann von Gerichten gestoppt. Statt zu fragen, wie man den Rohstoff Kohlenmonoxid dort herstellen kann, wo er gebraucht wird, soll endlich die Pipeline – trotz aller Fehler beim Bau und im Verfahren – in Betrieb gehen. Das eigentliche Problem ist wie so oft: Statt vorher auf die Bürger zuzugehen, das Projekt zu erklären, die Bedenken zu entkräften und bereit zu sein, auch Alternativen zu denken, setzt man einfach voraus, dass das Projekt am Ende auch gegen die Bürger durchzusetzen ist. Das ist nicht das, was wir unter Bürgerbeteiligung verstehen. Tut mir leid!

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schmalenbach, ich darf kurz unterbrechen. Der Kollege Ellerbrock möchte eine Zwischenfrage stellen.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Jetzt gerade nicht. – Vor allem ist es keine Methode, die Zukunft hat. In der vernetzten Welt findet der Informationsaustausch immer schneller statt. Die Bürger organisieren sich deutlich schneller gegen solche Projekte. Get used to it!

Das Ergebnis ihrer Haltung zur CO-Pipeline finden Sie heute unter anderem in der „Rheinischen Post“. Dort wirft man Ihnen vor, der Antrag sei – ich zitiere – „scheinheilig und menschenverachtend und Rückfall in die Frühzeiten der Industrialisierung.“ – Das ist das Ergebnis Ihres Antrags, und zwar ganz unmittelbar.

Vielleicht achten Sie zukünftig mal darauf, wenn Sie Ihre Strategie weiterfahren und Anträge für die Presse machen, den Bürgern des Landes dabei nicht ins Gesicht zu schlagen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Habe ich es richtig verstanden, die Zwischenfrage jetzt zum Schluss? – Dann hätte der Herr Kollege Ellerbrock jetzt die Möglichkeit, die Zwischenfrage noch zu stellen. Bitte sehr.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Kollege, es ist, glaube ich, unstrittig, dass die Kommunikationsstrategie von WINGAS und Bayer grottenschlecht war. Darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Ich glaube, daraus haben alle Beteiligten gelernt.

Man muss vielleicht auch infrage stellen – das will ich konzedieren –: War die Strategie der Bezirksregierung, zu sagen: „Friede mit den Kommunen und Vorschläge für die Leitungslegung der Kommunen; bitte nicht einen großkronigen Baum gefährden, stattdessen lieber näher am Schwimmbad und durch die Wohnsiedlung“, richtig?

Bei dem Fall jetzt, den Sie zitieren, geht es ja eigentlich um das Rohrleitungsgesetz, die Enteignungsgrundlage.

(Dietmar Bell [SPD]: Frage!)

– Ach, Herr Kollege, interessant Ihr Beitrag! – Danke schön.

Das Rohrleitungsgesetz hebt auf das Allgemeinwohl ab. Dort ist zum ersten Mal verankert, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen dem Allgemeinwohl dient. Darum geht es eigentlich. Könnten Sie das bei Ihrem nächsten Beitrag vielleicht berücksichtigen?

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Das werde ich gerne tun, auch wenn ich dazu dann wahrscheinlich einen ganz anderen Aufschlag machen müsste.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Nein!)

Es tut mir leid, dem ewigen Herunterbeten bezüglich der Arbeitsplätze – Arbeitsplätze über alles – können wir so nicht folgen. Wir denken uns eine Gesellschaft von morgen, die anders aussieht, in der vor allem die Erwerbsarbeitsplätze eine ganz andere Bedeutung haben werden. Deswegen finden wir das ewige Referenzieren auf die Arbeitsplätze als, tut mir leid, populistisch.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Herrn Minister Duin Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der CDU, Sie legen einen Antrag vor, der sich – das muss man sagen – gut liest und der absolut zu Recht die wichtige Position der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen noch einmal herausstreicht. Das ist gut so.

Man muss aber auch sagen, das Gute, dass Sie beschreiben ist nicht neu. Die Schlussfolgerungen, die Sie ziehen, sind jedoch alles andere als gut. Denn Sie nehmen – das kann man feststellen, wenn man sich die eigentlichen Forderungen ansieht – alles aufs Korn, was Sie immer schon einmal sagen wollten. Das hat mit der chemischen Industrie so viel zu tun wie mit jedem anderen Bereich. Sie wollten immer schon einmal sagen: Weg mit dem Klimaschutzplan! – Sie wollten immer schon einmal sagen: Weg mit der Novelle des Hochschulgesetzes! Weg mit dem Verbandsklagerecht und wirksamen Tierschutz! – Es fehlt nur noch die Tariftreue. Die habe ich vermisst,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die gehört auch dazu!)

die müsste eigentlich auch noch dazu. Das wollten Sie sicher auch schon immer sagen.

Über Raucherschutz und Ladenschluss haben wir schon geredet, und vor allem über die Forderung, mehr Geld zu brauchen – auch klar – dieses Mal für die Landesstraßen. Das begründen Sie dann damit, dass das Bundesgeld nicht abgerufen worden sei. Warum? Weil die Planungskapazitäten und die Vorratsplanungen nicht vorhanden sind. Und wir wissen alle, woher das kommt. Weil die Stellen in der Zeit der schwarz-gelben Koalition gestrichen worden sind.

(Beifall von der SPD)

Bei den Bundesverkehrswegen, um die es ging, geht es auch gar nicht um die Kofinanzierung. Es geht zwar um die Planungsunterstützung, aber nicht um die Kofinanzierung, sondern um den Teil der Infrastruktur, auf den die chemische Industrie dann wirklich auch angewiesen wäre.

Der Abgeordnete Guido van den Berg hat es ja schon beschrieben. Sie tun so – wie heute Morgen mit den jungen Familien und der Grunderwerbsteuer; jetzt ist es die chemische Industrie mit all dem, was Sie ablehnen –, als fühle sich die chemische Industrie in Nordrhein-Westfalen nicht wohl. Das darf ich nicht nur in Vertretung des Kollegen Duin so sagen, sondern ich kann es auch aus eigener Erfahrung, aus vielen Gesprächen, die ich gerade auch im Kölner Raum mit der chemischen Industrie immer wieder habe, so bestätigen: Dieser Eindruck täuscht. Es ist ein ganz anderer Eindruck.

Aber diese chemische Industrie weiß auch einerseits, wie sensibel es ist, in einem so dicht besiedelten Raum wirtschaftlich tätig zu sein und zu produzieren, aber andererseits auch, wie chancenreich es ist. Herr Brockes hat davon gesprochen, dass die chemische Industrie viele wichtige wertvolle Lösungen für unsere Gesellschaft liefert. Das tut gerade die bei uns ansässige Industrie auch deshalb, weil sie viele der Probleme kennt. Das ist ganz anders, als wenn Sie in Weltregionen produzieren, in denen das alles überhaupt keine Rolle spielt.

Deswegen meine ich, dass dieses Wechselspiel zwischen der chemischen Industrie und einer anspruchsvollen Politik, was Infrastruktur, was Bildung und Forschung, aber auch was Umweltschutz angeht, eine ganz wichtige Größe ist. Das weiß die chemische Industrie auch zu schätzen. Das hat ja gerade der Chemiegipfel, zu dem mein Kollege Duin vor wenigen Tagen zum ersten Mal eingeladen hatte, auch deutlich gemacht: Bei Vertretern der Industrie – groß und klein –, bei Arbeitnehmervertretern und Verband bestand großes Einvernehmen darüber, an welchen Punkten und mit welcher Zielsetzung Politik und Chemie gemeinsam handeln müssen.

Da sind auch die Themen „Energie“, „Akzeptanz“ und „Verkehrsinfrastruktur“ angesprochen worden – alles wichtige Grundlagen für eine erfolgreiche Arbeit der chemischen Industrie, die sie aus der Massenchemie an anderen Orten in der Welt heraushebt. Die chemische Industrie, die gesamte Wirtschaft und die Menschen in NRW können sicher sein: Die Landesregierung wird auch künftig ihr Gewicht in der Energiedebatte in Berlin und in Brüssel voll in die Waagschale werfen, um die Ziele zu erreichen, die sicherstellen, dass Industrie bei uns arbeiten kann, und trotzdem die Ziele im Auge zu behalten, die auch mit erneuerbaren Energien und der Förderung der erneuerbaren Energien verbunden sind.

Es gab keine strittigen Punkte. Ich kann nur sagen: Der Dialog der Landesregierung mit der chemischen und der pharmazeutischen Industrie ist kontinuierlich und gut. Es soll weitere dieser Gipfel geben, bei denen diese Dinge, die angesprochen werden müssen, auch gemeinsam angesprochen und gelöst werden. Und unterschiedliche Auffassungen, die es dann immer wieder an der einen oder anderen Stelle gibt, werden unmittelbar offen und konstruktiv besprochen. Dafür braucht man einen solchen Antrag nicht. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit können wir abstimmen.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5040 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung Folge leisten? – Ist jemand dagegen – oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

5   Untersuchungsausschuss ist wichtiger Schritt zur Aufklärung der Spionageaffäre

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache
16/5029

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion spricht nun der Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben auf der Bundesebene im Bundestag einen Antrag eingebracht, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, der sich mit der Affäre rund um die westlichen Geheimdienste und deren Spionage befassen soll. Nun haben sie im Bundestag nicht die ausreichende Mehrheit, diesen Untersuchungsausschuss selbst einzuberufen. Also sind sie auf die Zustimmung der sehr großen Koalition angewiesen.

Diese Zustimmung liegt jetzt prinzipiell vor. Darüber wurde auch bereits einmal im Bundestag debattiert. Daher haben wir jetzt erstmals die Chance auf der Bundesebene, diesen Untersuchungsausschuss zu sehen.

Für uns aus Nordrhein-Westfalen ist das ein gutes Signal. Denn wir haben hier im Plenum schon öfters darüber debattiert. Es wurde immer wieder von allen möglichen Rednern aufseiten der Landesregierung darauf hingewiesen, wie wichtig sie Aufklärung auf der Bundesebene finden. Die findet nun in einem ersten Schritt statt. Man kann also diesen Untersuchungsausschuss nur begrüßen.

(Beifall von den PIRATEN)

Unseres Erachtens ist Edward Snowden der Kronzeuge dieses Verfahrens. Er hat über einen Kontraktor unmittelbar beim NSA gearbeitet. Er ist derjenige, der aus diesem Grunde die tiefsten Einblicke in die Arbeitsweise dieses Geheimdienstes gewinnen konnte. Und er ist derjenige, der diese Dokumente überbracht hat, von denen wir jeden Tag ein paar neue in den Medien lesen können.

Es ist unbedingt erforderlich, ihn anzuhören, damit auch endlich diese Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen aufhören und wir prüfen können, welches die politischen Folgen sind, die wir aus diesen Aussagen zu ziehen haben.

Und – auch das ist eine Selbstverständlichkeit –: Jemand, der vor einem Untersuchungsausschuss aussagt, darf dadurch keine Nachteile fürchten. Es muss klar sein, dass er das frei von Verfolgung, frei von der Gefahr der Auslieferung tun können muss.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wollen damit ausdrücklich dem Bundestag oder dem Untersuchungsausschuss nicht vorschreiben, wie er das zu tun hat. Das ist, wie Sie sehen, nicht die Intention des Antrages und deshalb darin auch nicht enthalten.

Aus diesem Grund freuen wir uns, wenn Sie heute mit uns gemeinsam ein Signal an den Bundestag senden, dass die vier Bundestagsfraktionen jetzt zügig zueinander kommen, damit dieser Untersuchungsausschuss endlich eingerichtet werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Stotko.

Thomas Stotko (SPD): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schwerd, Ihr Antrag regt dazu an, allgemeine Aussagen zum Föderalismus und Parlamentarismus zu machen, denn nach unserer Einschätzung sind beide für unsere Verfassung konstitutiv. Ich hoffe, wir gemeinsamen halten beide nicht nur für rechtlich, sondern auch für politisch unverzichtbar.

Der Stellenwert von Parlamenten wird nach meiner Meinung in Deutschland ohnehin zu kontrovers diskutiert. Meine persönliche Meinung als junger Parlamentarier, auch nach dem Lebensalter, ist, dass unsere junge Bundesrepublik gerade mit Föderalismus und Parlamentarismus gut gefahren ist.

(Zuruf von der CDU)

– Manche sind noch jünger. – Es liegt natürlich an uns, an den Bildern der Parlamente zu arbeiten. Und das bringt mich zu Ihrem Antrag. Wir können nicht auf der einen Seite als Landesparlamentarier den Föderalismus kultivieren, ihn als wichtiges Element der Verfassung, des Grundgesetzes nach unserer Einschätzung als Parlamentarier eines Landes hochhalten, teilweise unter Ablehnung von Bundesgeldern, und auf der anderen Seite sollen wir hier dem Bund vorschreiben, was er machen soll. Das kann ich nicht richtig verstehen.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Eine eigene Meinung ist auch erlaubt!)

Das Gleiche gilt übrigens auch für den Parlamentarismus. Mit welcher Begründung wollen wir uns denn in die Belange des Deutschen Bundestages einmischen? Warum wollen wir den über 600 Kolleginnen und Kollegen nach dem Einsetzungsbeschluss über einen Untersuchungsausschuss absprechen, dass sie da ordentliche Beweisanträge stellen?

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Stotko, wenn ich einmal unterbrechen darf. Bitte entschuldigen Sie, aber Kollege Schwerd würde gerne eine Zwischenfrage loswerden.

Thomas Stotko (SPD): Ich habe zwar gerade erst angefangen, aber wenn das so dringend ist, na klar.

Vizepräsident Daniel Düngel: Das scheint so zu sein. Sie lassen sie zu.

Thomas Stotko (SPD): Na klar.

Vizepräsident Daniel Düngel: Dann darf der Kollege Schwerd reden, bitte schön.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr van den Berg, vielen Dank, dass Sie das zulassen.

(Thomas Stotko [SPD]: Herr Kollege Schwerd, ich bin der Kollege Stotko, nicht der Kollege van den Berg!)

– Entschuldigung. Ich bin ein bisschen aufgeregt.

(Thomas Stotko [SPD]: Äußerlich passt das auch nicht.)

– Tut mir leid! Ist das eigentlich Böswilligkeit oder liegt es daran, dass Sie den Antrag nicht gelesen haben, dass Sie uns hier unterstellen, wir würden dem Parlament oder dem Untersuchungsausschuss irgendwelche Vorschriften machen?

Ich lese in diesem Antrag überhaupt nichts davon, wie der Untersuchungsausschuss da seine Arbeit machen soll oder welche Anträge er stellen soll oder nicht.

Thomas Stotko (SPD): Herr Kollege Schwerd, neben der Tatsache, dass ich es schwierig finde, wenn ich die Zwischenfrage eines Kollegen zulasse, der davon spricht, dass er aufgeregt sei, mir dann aber sagt, ich sei bösartig – na ja, das lasse ich jetzt so stehen, ich könnte etwas dazu sagen –, treffen Sie in Ziffer 2 die Feststellung, Herr Snowden sei der Kronzeuge dieses Untersuchungsausschussverfahrens. Damit sagen Sie: Der muss geladen werden. Das haben Sie übrigens gerade in Ihrer Rede auch gesagt. Damit schreiben Sie vor, dass der Deutsche Bundestag den Zeugen Snowden hören soll.

Nehmen Sie es mir nicht übel: Ich bringe es Ihnen gerne einmal bei. Ich habe in der vorletzten Periode als Obmann einen Untersuchungsausschuss gemacht. Das, was Sie fordern, ist eine Einmischung in die Arbeit des Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag.  

Ich komme gerne aufs Thema grundsätzlich zurück. Das ist das, was ich gerade versucht habe, Ihnen zu erklären. Sie nehmen den 600 Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag das Recht ab, dass sie selber entscheiden können, ob sie das und wie sie das machen wollen. Sicherlich glauben Sie als Piraten, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, dass es in den letzten 65 Jahren und den nächsten 65 Jahren ohne Sie nicht gehen würde. Die Bürger haben sich im letzten Jahr anders entschieden und Sie nicht in den Deutschen Bundestag gewählt. Dafür können wir hier nichts.

Ich sage Ihnen nur: Im Deutschen Bundestag können sie es ganz alleine. Sie werden den Untersuchungsausschuss dort auch richtig machen. Ich erlaube mir als Landesparlamentarier – ich nehme mir das Selbstbewusstsein heraus – zu sagen: Auch wir in Nordrhein-Westfalen können unsere beiden aktuellen Untersuchungsausschüsse, BLB und WestLB, sehr gut ohne den Deutschen Bundestag machen. Ich möchte von denen auch nicht, dass sie einen Beschluss fassen, dass im BLB- oder WestLB-Untersuchungsausschuss irgendwelche Zeugen gehört werden müssen. Das entscheiden wir hier als Parlamentarier mit unserem Selbstverständnis der Demokratie, im Übrigen auch mit freiem Gewissen.

Herr Kollege Schwerd und alle, die dazwischenrufen: Wie fänden Sie es denn, wenn der Deutsche Bundestag beschließen würde, Nordrhein-West-falen müsse einen Untersuchungsausschuss über die Äußerungen des Vizepräsidenten Düngel zum Thema „krankes System“ einrichten?

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Machen wir! – Weitere Zurufe von den PIRATEN: Kein Problem!)

– Sie können ja einen Antrag stellen. Ich versuche Ihnen nur zu erklären, ich würde den Kollegen im Deutschen Bundestag sagen: Das geht euch gar nichts an, auch wenn ich von seinen Äußerungen null halte, um das einmal ganz deutlich zu sagen.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Reden Sie zu dem Antrag!)

Aber auch inhaltlich, Herr Kollege Kern: Ein Untersuchungsausschuss zum Thema Strafanzeige gegen Finanzminister, weil sie sich um Steuergerechtigkeit kümmern, den fände ich auch einmal spannend. Ihre Strafanzeige wird da auch freundlicherweise ins Leere laufen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Kommen Sie zum Thema! – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Kommen Sie zur Sache!)

Inhaltlich fordern Sie vier Punkte.

Sie wollen einen Untersuchungsausschuss zum Thema Snowden. Er kommt, diese Forderung hat sich erledigt. Das haben Sie bis jetzt wohl nicht wahrgenommen, behaupte ich einmal.

Zweitens. Sie wollen einen sicheren Ort für eine Aussage von Edward Snowden. Den sicheren Ort hat er jetzt schon. Die EU ist der festen Auffassung, sie kann ihm keinen sicheren Ort innerhalb Europas bieten. Warum das Nordrhein-Westfalen jetzt können sollte, erklärt sich mir nicht so richtig. Nicht einmal die EU kann die Auslieferung verhindern.

Das Dritte: Sie sagen, uns ist es eigentlich egal, er soll nach Deutschland kommen und in Deutschland seine Aussage auf die Gefahr hin machen, dass er dann in die USA ausgeliefert werden muss. Ihr Antrag ist Nonsens, gefährdet Edward Snowden und wird deshalb von uns abgelehnt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Aus Ihrer Blickrichtung richtig!)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Golland.

(Zurufe von der SPD)

Gregor Golland (CDU): Kein Vorabbeifall hier, meine Damen und Herren. Sie haben gleich noch genug Gelegenheit dafür.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-West-falen hat bereits im Sommer letzten Jahres unmissverständlich klar gestellt, dass die uferlose Sammlung von allgemeinen Verbindungsdaten in Deutschland und Europa durch ausländische Geheimdienste nicht unserem Verständnis von Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit entspricht.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren Entschließungsantrag vom 10. Juli 2013 mit der Drucksache 16/3521. Deshalb begrüßen wir die Bereitschaft des Deutschen Bundestags zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der die im Raum stehenden Vorwürfe aufklären soll, ausdrücklich.

Der Untersuchungsausschuss soll unter anderem klären, in welcher Art und welchem Umfang fremde Nachrichtendienste eine verdachtsunabhängige massenhafte Erfassung von Daten über Kommunikationsvorgänge und deren Inhalte von, nach und in Deutschland betrieben haben. Darüber hinaus soll der Ausschuss nach dem Willen der Koalitionsfraktionen prüfen, durch welche Maßnahmen rechtlicher, organisatorischer oder technischer Art sichergestellt werden kann, dass – ich zitiere – „der garantierte Schutz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation von, nach und in Deutschland bestmöglich verwirklicht wird“, meine Damen und Herren.

Ich bin mir sicher, dass dem Aufklärungsinteresse der Mehrheitsfraktionen im Deutschen Bundestag auch eine große Mehrheit der Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags ohne Einschränkung zustimmen kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass auch der vorliegende Antrag der Piratenfraktion zustimmungsfähig wäre.

Erstens. Wer von einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags vernommen wird oder nicht, entscheidet der Deutsche Bundestag und nicht die Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags.

(Beifall von der CDU)

Insofern kann ich mich Herrn Stotko anschließen – Herr Stotko, hören Sie genau zu –, der eben zu Recht darauf verwiesen hat, dass Sie sich einmal wieder in Angelegenheiten einmischen, die Sie schlichtweg nichts angehen und für die Sie auch nicht zuständig sind, meine Damen und Herren. Zum x-ten Male an Ihre Fraktion: Kümmern Sie sich endlich um die Probleme der Menschen in Nordrhein-Westfalen,

(Marc Olejak [PIRATEN]: Wirtschaftsspionage!)

und versuchen Sie nicht, die Bühne hier für Bundespolitik, für die Sie nicht zuständig sind und für die Sie nicht gewählt sind, zu missbrauchen.

(Beifall von der CDU)

Zweitens. Ob Herr Snowden zur Aufklärung tatsächlich etwas beitragen kann, ist überaus fraglich. Wie der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen im „Handelsblatt“ vom 29.01.2014 feststellt, sind die Dokumente des NSA-Enthüllers Snowden nämlich – Zitat Maaßen – „voller Hinweise, aber ohne Beweise“. Was wir zur Aufklärung der NSA-Aktivitäten benötigen, sind aber gerade handfeste Beweise und keine Vermutungen.

Drittens. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass auf amerikanischer Seite zumindest allmählich Verständnis für die Sorgen der Deutschen vor einer Totalüberwachung durch US-Geheimdienste wächst. Ob der vorliegende Antrag und die anderen reflexartigen Initiativen und Forderungen der Piraten zum Umgang mit Edward Snowden – Stichwort: Bundesverdienstkreuz – dazu beitragen, dass dieses Verständnis weiter wächst, meine Damen und Herren, darf bezweifelt werden.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Bei Ihnen auf jedem Fall!)

Dem Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes an einem effektiven Schutz ihrer Daten ist damit jedenfalls nicht gedient.

Viertens die wichtigste Erkenntnis: Deutschland muss sich wirksam gegen Spionage jeglicher Art schützen, offenbar auch gegenüber Verbündeten und Freunden.

(Zurufe von den PIRATEN: Oh!)

Erste zaghafte Stimmen deuten hier in die richtige Richtung. Dem Verfassungsschutz BND und MAD müssen dafür materiell und personell deutlich mehr Mittel gegeben werden.

(Lachen von den PIRATEN – Marc Olejak [PIRATEN]: Feuer mit Feuer bekämpfen!)

Eine effektive und effiziente Gegenspionage erfordert neben einem klaren Bekenntnis zur Wahrung und Durchsetzung eigener nationaler Interessen erheblich mehr Mittel, als dafür bisher aufgewendet werden und wurden.

Hier müssen wir den Realitäten ehrlich ins Auge sehen. Wir werden fremde Spionagetätigkeit weder mit einem Untersuchungsausschuss, so sinnvoll dieser auch ist, noch mit neuen Gesetzen verhindern können. Das konnten wir in der Vergangenheit schließlich auch nicht. Aber wir können achtsamer sein und unsere eigene Abwehr in diesem Bereich stärken.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Golland, wenn ich einmal stören darf …

Gregor Golland (CDU): Ich komme gleich zum Schluss.

Vizepräsident Daniel Düngel: Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Möchten Sie diese nicht zulassen?

Gregor Golland (CDU): Das machen wir am Schluss.

Vizepräsident Daniel Düngel: Okay.

Gregor Golland*) (CDU): Es ist unsere Aufgabe als Politik, die Sicherheitsbehörden entsprechend zu unterstützen und die Rahmenbedingungen dafür zu bestimmen. Deutschland muss seine Bürger und Einrichtungen besser schützen. Wenn wir das in Zukunft hinbekommen, dann haben wir im Gegensatz zu den Piraten die richtigen Schlüsse aus diesen Veröffentlichungen gezogen. Daher wird die CDU-Fraktion den vorliegenden Antrag der Piraten ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Wenn ich Sie richtig verstanden haben, möchten Sie die Zwischenfrage jetzt zulassen.

Gregor Golland (CDU): Ja.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Sommer hatte sich gemeldet. Bitte sehr.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Golland, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich habe nur eine kurze Verständnisfrage. Sie berichteten gerade darüber, dass es ziemlich unsäglich sei, dass die bundesdeutsche Bevölkerung von fremden Geheimdiensten abgehört und überwacht wird, und riefen dann dazu auf, dass wir unsere eigenen Dienste personell und materiell so ausstatten müssten, dass diese die Überwachung übernehmen könnten. Habe ich das an der Stelle richtig verstanden? Und haben Sie an der Stelle auch wirklich den Militärischen Abschirmdienst ins Spiel gebracht? Das ist eine reine Verständnisfrage an der Stelle. – Danke.

Gregor Golland (CDU): Also, es ist natürlich keine reine Verständnisfrage. Sie können schließlich zuhören. Es ist eine rein rhetorische Frage, die mich provozieren soll.

Das ist natürlich völliger Unsinn. Ich habe nicht gesagt, dass unsere Dienste unsere Bürger überwachen sollen. Wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie vernommen, dass unsere Dienste unser Eigentum und unsere Bürger vor fremder Spionagetätigkeit schützen sollen, und dafür müssen sie materiell und personell besser ausgestattet werden. Nichts anderes habe ich gesagt.

(Beifall von der CDU)

Natürlich gehört zu diesen Instrumenten Verfassungsschutz und BND auch der Militärische Abschirmdienst; denn Deutschland hat auch militärische Geheimnisse, die geschützt werden müssen. Das ist selbstverständlich, und das gibt es auch in anderen westlichen Demokratien und Ländern dieser Erde. Ich glaube, wir können uns nicht darauf verlassen, dass Untersuchungsausschüsse oder Piraten verhindern, dass wir ausspioniert werden. Das kann man nur, wenn man effiziente Sicherheitsbehörden hat, und dafür werden wir uns weiterhin einsetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition im Deutschen Bundestag hat bereits angekündigt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, nach der Konstituierung des NSA-Untersuchungsausschusses einen Antrag einzubringen, Edward Snowden als Zeugen zu laden. Anfang März wird der Parlamentarische Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen, und selbstverständlich begrüßen das auch wir. Ich glaube, in dem Punkt sind wir uns alle im Haus Gott sei Dank einig; dies gilt sogar für Herrn Golland. Insofern ist das gut.

Allerdings liegt in Berlin auch seit Juli 2013 ein Auslieferungsersuchen der USA vor.

Von daher ist zwar die Rechtslage klar: dass Edward Snowden nach dem Aufenthaltsgesetz zur Wahrung der politischen Interessen des Landes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt bekommen kann. Die Frage ist aber: Kann die Auslieferung dauerhaft verhindert werden? Wir Grüne meinen: Wenn man will, kann man Edward Snowden Sicherheit in Deutschland gewähren. Das muss aber der Fall sein, bevor man ihn nach Deutschland holt. Unter den Bedingungen sind auch wir dafür, ihn als Zeugen vorzuladen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist eine Haltung, die bei uns völlig klar ist.

Die Fragestellung des Bundestagsuntersuchungsausschusses ist auch klar und richtig; denn es geht um folgende Fragen: In welchem Umfang überwachen amerikanische und britische Geheimdienste die Kommunikation in Deutschland? Vor allem: Was wissen die deutschen Behörden darüber? Wusste die schwarz-gelbe Bundesregierung etwas von den Abhörmaßnahmen? Und vor allen Dingen: Was wurde getan, um sie zu verhindern? Gab es denn – das ist, wie ich finde, die spannendste Frage – tatsächlich diesen Ringtausch? Ließ man die ausländischen Dienste also gewähren, um rechtswidrig selber Nutzen daraus ziehen zu können? – Des Weiteren geht es um ein Gebiet, dessen Dimensionen noch längst nicht klar sind: In welchem Maße findet auch Wirtschaftsspionage statt? Wie groß ist hier der wirtschaftliche Schaden für unser Land? Vor allen Dingen: Wie kann man das verhindern?

All das ist eine wichtige Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Daher ist es gut, dass er eingerichtet wird. Edward Snowden ist da sicher ein wichtiger Zeuge.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten es aber in der Tat für falsch, einen Beschluss des Landtages darüber herbeiführen zu wollen, wie die Beweiserhebung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu erfolgen hat. Der Landtag beschließt nicht über Beweisanträge im PUA des Bundes. Dies ist im Untersuchungsausschussgesetz des Bundes geregelt. Dort heißt es in § 17 Abs. 2 zur Beweiserhebung:

„Beweise sind zu erheben, wenn sie von einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses beantragt sind, es sei denn, die Beweiserhebung ist unzulässig oder das Beweismittel ist auch nach Anwendung der in diesem Gesetz vorgesehenen Zwangsmittel unerreichbar.“

Dies sind die Voraussetzungen für die Beweiserhebung im Untersuchungsausschuss des Bundestages – und nicht Beschlüsse des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Wir möchten daher aus Respekt vor der unabhängigen Arbeit des Untersuchungsausschusses in Berlin heute auch nicht beschließen, dass der Landtag ungefragt Empfehlungen abgibt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat eine große Spannweite. Der „große Golland“ und der „Parlamentsjüngling Stotko“ haben hier eben vor mir geredet. Ich kann dazu nur sagen: In wesentlichen Teilen bin ich der gleichen Ansicht wie der Kollege Stotko. Wir haben hier ein Thema, bei dem es uns nicht ansteht, anzuempfehlen.

Ich würde mich dagegen verwahren, wenn andere Parlamente uns sagen würden, auf der Grundlage welcher Themen wir mit den Mitteln eines Untersuchungsausschusses operieren sollen, meine Damen und Herren. Das ginge mir zu weit. – Das ist doch kein politisches Statement mehr, sondern hier wollen wir doch quasi in anderer Leute Arbeit hineinregieren.

Wenn es Ihnen um die politische Debatte geht, kann ich nur sagen – das hatten wir hier schon mehrfach –, dass auch ich dafür bin, dass wir das alles ordentlich untersuchen, dass wir Schlüsse daraus ziehen sollten, dass wir über die Datensammelwut der Amerikaner besorgt sind. Das ist nicht die Frage.

Ich bin aber der Meinung, dass Sie mit diesem Antrag heute einfach neben dem Thema liegen. Deswegen möchte ich die Debatte auch nicht künstlich verlängern. Die Kolleginnen und Kollegen haben eigentlich das Nötige dazu gesagt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank Herr. Dr. Orth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Ich kann für die Landesregierung auch nur erklären, dass es ihr aus Respekt vor dem Deutschen Bundestag nicht zusteht, den dort vertretenen Fraktionen und Abgeordneten Empfehlungen zu geben, wie sie einen Untersuchungsausschuss einzurichten haben und welche Beweisanträge zu erheben sind. – So weit, so gut.

Das Einzige, was mich an diesem Antrag erfreut, ist ein Satz, den ich auch gern zitieren möchte:

„Gleichwohl bedürfen die Dokumente und die in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe gegenüber den Nachrichtendiensten befreundeter Staaten einer ausführlichen parlamentarischen Würdigung, um ihren Wahrheitsgehalt und ihre technische und politische Bedeutung zu klären.“

Meine Damen und Herren, dieser Satz lässt auf zweierlei Dinge schließen: Erstens. Die Piratenfraktion verabschiedet sich davon, jeden Zeitungsartikel und jede Zeitungsmeldung per se für bare Münze zu nehmen. Zweitens. Wie alle übrigen Fraktionen im Landtag und die Landesregierung auch verlässt sie sich bei diesem Thema zukünftig auf Tatsachen und nicht auf Vermutungen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Piraten hat noch einmal Herr Schwerd um das Wort gebeten.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Ich bin ein bisschen sprachlos. Wie kann man sich denn hierhin stellen und sagen, dass es auf Bundesebene unbedingt Aufklärung geben muss, wenn man sich noch nicht einmal dazu bereit erklärt, zu begrüßen, dass es einen solchen Untersuchungsausschuss gibt? Nirgendwo steht hier irgendetwas davon, irgendjemandem etwas vorzuschreiben.

(Minister Ralf Jäger: Sie fordern die Einvernehmung!)

– Nein, wir fordern nicht die Einvernehmung, sondern wir würden ihn als Zeugen benennen.

Herr Golland, wir sollen uns um die Menschen in Nordrhein-Westfalen kümmern. Die Frage ist allerdings: Wer kümmert sich im Moment um die Menschen in Nordrhein-Westfalen, was diese Spionageaffäre angeht? Das tut im Moment niemand. Genau darum wollen wir uns kümmern.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Jäger, Sie sprechen immer von Zeitungsartikeln, denen wir glauben oder nicht glauben. Wir beziehen uns überhaupt nicht auf Zeitungsartikel, wir beziehen uns auf Originaldokumente, die vorliegen und die zu prüfen sind. Sie sind diejenigen, die deren Beweiskraft immer in Zweifel gezogen haben. Nutzen Sie doch mal die Gelegenheit oder begrüßen Sie doch jetzt mal die Gelegenheit, dass das hier geklärt werden soll.

Herr Stotko unterstellte, dass die Vernehmung von Edward Snowden auf jeden Fall in Deutschland stattfinden solle. Auch das steht nicht in diesem Antrag. Es ist ja die Frage, ob er in Deutschland überhaupt sicher wäre.

Bei der Gelegenheit: Es ist schön, dass Sie die Asylfrage angesprochen haben. Wir Piraten sind immer noch die einzigen, die hier im nordrhein-westfälischen Parlament Asyl für Edward Snowden gefordert haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich finde es armselig, dass sich hier keine andere Partei damit auseinandersetzt.

An die CDU muss ich das jetzt gar nicht adressieren; da erwarte ich nichts.

Die SPD verhält sich hier wie der Wurmfortsatz der Großen Koalition, als würde sie ihre eigene Meinung am Eingangstor abgeben.

Von den Grünen bin ich nicht so enttäuscht. Ich habe eigentlich nichts anderes erwartet. Wir wissen, dass bei den Grünen politischer Wille und politisches Wirken besonders weit auseinanderfallen. Aber mein Appell an Sie: Es ist Ihr Koalitionspartner. Reden Sie mit ihm! Wirken Sie auf ihn ein! Es hat wenig Zweck, wenn ich mit denen rede. Das ist Ihr Job. Machen Sie den!

(Beifall von den PIRATEN)

Bei der FDP weiß man nicht, ob sie dafür ist, dagegen ist oder sich enthält. Beziehen Sie doch endlich mal Stellung, und das sollte eigentlich aufseiten der Bürgerrechte sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Herr Dr. Orth hat noch einmal das Wort für die FDP.

Dr. Robert Orth (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da meine Fraktion jetzt mehrfach angesprochen wurde, meine ich, doch noch mal kurz Stellung nehmen zu müssen.

Ich habe den Eindruck, Ihr Erinnerungsvermögen reicht nicht sehr weit zurück. Wir haben hier diverse Anträge zum Thema „NSA“, diverse Anträge zu Herrn Snowden, diverse Anträge zur Vorratsdatenspeicherung etc. diskutiert. Da haben wir sehr häufig Ihre Ansichten vertreten. Aber anderen Parlamenten vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, das hat nichts mit Bürgerrechten, sondern das hat etwas mit Bevormundung zu tun, und da sind wir nicht bei Ihnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Möchte sonst noch jemand die vorhandene Redezeit nutzen? – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Debatte zum Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5029. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer möchte sich enthalten? – Niemand. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 16/5029 abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

6   Kassenkredite gefährden die kommunale Selbstverwaltung – Das Land hat die Kommunen vor ausufernder Verschuldung zu schützen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache
16/5033

Die Fraktionen haben sich bekanntermaßen darauf verständigt, eine Aussprache heute nicht durchzuführen.

Wir kommen damit sofort zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5033 an den Ausschuss für Kom-munalpolitik. Dort soll dann auch die abschließende Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Die antragstellende Fraktion der FDP ist mit dieser Verfahrensweise einverstanden; sie hat diese beantragt. Möchte jemand dagegen stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

7   Chancen nutzen – Kommunale Kooperationen verbessern

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache
16/5039

Auch hier haben sich die Fraktionen mittlerweile darauf verständigt, eine Aussprache heute nicht durchzuführen.

Wir kommen daher sofort zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5039 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung im Plenum erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

8   Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (Meldeauflagen als polizeiliche Standardmaßnahmen)

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache
16/5038

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Kruse das Wort.

Theo Kruse (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen war in den letzten Wochen und Monaten mehrfach Schauplatz brutaler Auseinandersetzungen im Umfeld von Fußballspielen. Auffällig ist, dass diese Krawalle zunehmend außerhalb der Stadien stattfinden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Massenschlägerei von ca. 300 Hooligans am 18. Januar 2014 in der Kölner Innenstadt, bei der unter anderem einer Person das Gesicht mit einer Eisenstange zertrümmert wurde, oder auch die Erstürmung des Bielefelder Weihnachtsmarktes durch vermummte Anhänger, bei der am Nikolaustag 2013 insgesamt 21 Polizeibeamte und ein Polizeipferd verletzt wurden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die nordrhein-westfälische Landesregierung mit dem zuständigen Fachminister, mit Herrn Jäger, steht diesen Gewaltexzessen aus unserer Sicht mehr oder weniger hilflos gegenüber und schlägt Maßnahmen vor, die sich bereits in der Vergangenheit als untauglich erwiesen haben. So regt Herr Minister Jäger unter anderem an, dass die Vereine künftig nur noch personalisierte Tickets ausgeben und ihre Ordnungsdienste gefälligst besser schulen sollten.

Diese Maßnahmen sind aus unserer Sicht nicht einmal ansatzweise dazu geeignet, Fankrawalle wie die bereits angesprochenen Vorfälle in der Kölner Innenstadt oder in der Bielefelder Innenstadt zu verhindern. Wir wollen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass polizeibekannte Gewalttäter künftig erst gar nicht zum Spielort anreisen dürfen. Damit bliebe sowohl den friedlichen Fans als auch den Vereinen und nicht zuletzt der Polizei eine Menge Ärger erspart.

Aus diesem Grund legt die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf vor, der die Einführung einer speziellen Eingriffsermächtigung für die Verhängung sogenannter Meldeauflagen in das nordrhein-westfälische Polizeigesetz vorsieht. Hierbei handelt es sich – so die Definition des Bundes­verwaltungs­gerichts; mit Erlaubnis der Präsidentin darf ich zitieren – „um Gebote der Polizei- oder Ordnungsbehörde an die Betroffenen, sich einmal oder mehrmals täglich entweder zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums unter Vorlage eines gültigen Personaldokuments bei einer Polizeibehörde einzufinden“.

Damit wir uns richtig verstehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Es gibt voraussichtlich kein Allheilmittel gegen Gewalt. Aber die CDU-Fraktion ist schon der Auffassung, dass mit dem Instrument der Meldeauflagen effektiv verhindert werden kann, dass polizeibekannte Gewalttäter – und nur um die geht es – überhaupt zu Fußballspielen anreisen und in den Städten und Stadien randalieren. Denn wer sich zum Beispiel am Samstagnachmittag um 15:30 Uhr bei seiner örtlichen Polizeibehörde in Düsseldorf einfinden muss, kann nicht zeitgleich in Köln, Bielefeld oder Dortmund eine Straftat begehen.

Derzeit wird bei der nordrhein-westfälischen Polizei von dem Instrument der Meldeauflagen jedoch nur zurückhaltend Gebrauch gemacht, weil unser Polizeigesetz keine klare Rechtsgrundlage enthält.

Nicht zuletzt deswegen sind in den letzten Wochen aus der Polizei immer wieder Forderungen an die Politik gerichtet worden, endlich eine entsprechende Regelung zu schaffen. So forderte beispielsweise der stellvertretende Landesvorsitzende der GdP am 29. Januar 2014 in einem Interview mit dem WDR, das Instrument der Meldeauflagen müsse endlich auf rechtlich gesicherte Füße gestellt werden.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass eine vergleichbare Rechtsgrundlage bislang nur in Rheinland-Pfalz existiert, dort von der SPD auf den Weg gebracht.

Wir sind uns einig, Herr Minister Jäger – ich denke, auch die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag sieht dies so –, dass es darum geht, die einmalige Fankultur in Deutschland insgesamt und natürlich auch in Nordrhein-Westfalen mit der höchsten Dichte an Vereinen der Bundesliga und der Zweiten Bundesliga zu erhalten. Der Staat, der Gesetzgeber muss aber auch Farbe bekennen und Flagge zeigen. Deswegen gehe ich davon aus, dass unser Gesetzentwurf eine breite Mehrheit finden und somit einen aus unserer Sicht nicht ganz unwichtigen Beitrag dazu leisten wird, den Fußball und seine vielen Tausend friedlichen Fans in Nordrhein-Westfalen vor Gewalttätern zu schützen.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. Selbstverständlich stimmen wir der Empfehlung zur Überweisung unseres Gesetzentwurfs zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Kruse. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Kossiski.

Andreas Kossiski (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Vor knapp einem Monat stand während der 48. Plenarsitzung die Drucksache 16/4820 auf der Tagesordnung mit der Überschrift: „Fußball vor Gewalt schützen – Straftäter endlich wirksam ausschließen“. Eine der Forderungen dieses FDP-Antrags lautete, notwendige polizeiliche Meldeauflagen konsequent zu verhängen und durchzusetzen.

(Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])

In der Plenardebatte am 29. Januar hat der Kollege Lohn von der CDU-Fraktion auf eine Zwischenfrage dem Hohen Haus erklärt: Die Meldeauflagen funktionieren. – Sein damaliges Fazit:

„Grundsätzlich sind sie erfolgversprechend.“

Sein Wortbeitrag endete wie folgt – ich darf zitieren –:

„So sieht die Rechtslage nach dem Polizeigesetz aus. Das geht schon. Man muss nur die Erkenntnisse haben und zusammenführen.“

Ich wollte Sie nur deshalb an diese kleine Begebenheit erinnern, weil sie verdeutlicht, wie hier seit längerer Zeit gerade vonseiten der CDU und der FDP debattiert wird, wenn es um das Thema „Gewalt rund um den Fußball“ geht. Da werden Argumente je nach Lust und Laune vorgetragen, offensichtlich so, wie es gerade zu passen scheint.

Seit Ende 2012 wurde hier mehrfach die Forderung vorgetragen, die Polizei müsse konsequent sogenannte Meldeauflagen verhängen. Demnächst wird sich der Innenausschuss zum wiederholten Male damit beschäftigen. – Nun überrascht die CDU mit der These, für solche Meldeauflagen lägen überhaupt keine rechtlich einwandfreien Regelungen vor, und nimmt als Argument dafür auch die Worte des stellvertretenden GdP-Landesvorsitzenden Michael Mertens aus dem WDR-Interview, das Sie, Herr Kruse, zitiert haben.

Die Rechtsauffassung des von mir sehr geschätzten Kollegen Mertens nehme ich zur Kenntnis; aber die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes sehe ich als wesentlich kompetenter an. Gestatten Sie mir diesen kleinen Hinweis.

Werte Kolleginnen und Kollegen der CDU, vor gerade mal vier Wochen im Plenum die Rechtsgrundlage für Meldeauflagen nach dem Polizeigesetz zu erklären und jetzt mit diesem Antrag so zu tun, als bedürfe es einer zusätzlichen Rechtsgrundlage, ist doch etwas verwirrend.

Mir ist es nicht möglich, in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit alle juristischen Zusammenhänge darzulegen, um Ihnen von der CDU die Sorge zu nehmen, unserer Polizei würde rechtlich Unmögliches abverlangt, wenn sie auf der Grundlage von § 8 des Polizeigesetzes NRW Meldeauflagen erteilt. Ich bin mir aber sicher, dass wir dazu in den Ausschussberatungen ausreichend Zeit haben werden.

Bis dahin darf ich Sie aber beruhigen: Sowohl nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichte als auch das Bundesverwaltungsgericht haben sich schon längst mit der hier im Raum stehenden Frage auseinandergesetzt, ob es für die Erteilung von Meldeauflagen einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedürfe. Die Antwort war ziemlich eindeutig: Nein, eine polizeirechtliche Generalermächtigung reicht aus.

Darüber, ob es trotz dieser Sicht der Dinge gesetzgeberischer Aktivitäten bedarf, können wir sehr gerne in den betroffenen Ausschüssen in Ruhe diskutieren. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab eine Selbstverständlichkeit festhalten: Wenn wir über das Thema „Gewalt im Fußball“ diskutieren, was wir in letzter Zeit des Öfteren getan haben, dann sprechen wir über einige wenige Personen, die den Sport für ihre Zwecke missbrauchen, die gewalttätige Auseinandersetzungen mit Fangruppierungen anderer Vereine gezielt suchen. Wir sind uns wohl einig, dass Gewalt im Stadion und im Umfeld von Spielen nicht zu tolerieren ist, dass es unterschiedliche Mittel und Maßnahmen sowohl präventiv als auch repressiv geben muss und dass Politik, Polizei, Vereine und Fans eine gemeinsame Verantwortung dafür tragen, dass Fußballspiele friedlich ablaufen. – Das vorab.

Zum Thema „Meldeauflagen“: Auch Meldeauflagen können durchaus ein Instrument der repressiven Seite sein. Allerdings – das ist gerade schon ausgeführt worden – werden schon heute Meldeauflagen angewandt und verordnet. Wir reden also nicht über ein neues Instrument. Bereits heute ist die Anwendung von Meldeauflagen durch die Generalklausel im Polizeigesetz möglich.

Die Überlegung der CDU, dafür einen Paragrafen zu schaffen, finde ich von der Gesetzessystematik her nicht verkehrt. Darüber kann man diskutieren.

Ich glaube, wir sind gut beraten, Maßnahmen, die aus der Generalklausel im Polizeigesetz abgeleitet werden und schon heute zum Instrumentenkasten der Polizei gehören, transparent und nachvollziehbar im Polizeigesetz zu regeln – zum einen aus Bürgerrechtsperspektive, zum anderen aber auch aus der Perspektive einer bürgernahen Polizei, die für Transparenz steht. Das ist eine spannende Debatte, die wir auch im Ausschuss führen sollten.

Nur – das möchte ich hier auch festhalten –, diese eigenständige Regelung im Polizeigesetz ist rechtlich nicht zwingend notwendig, weil das Instrument schon heute auf Grundlage der Generalklausel angewandt werden kann.

Wir Grüne stehen dafür, dass diese Regelung in der Generalklausel auch nicht abgesenkt werden darf. Die Hürden sind zu Recht hoch, weil wir hier über einen Grundrechtseingriff sprechen.

Der CDU – das hat Herr Kruse in seiner Rede sehr deutlich gemacht – geht es vor allen Dingen darum, das Instrument der Meldeauflagen auszuweiten. Das finde ich auch aus Bürgerrechtsperspektive problematisch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meldeauflagen sind kein Allheilmittel; das wurde gerade schon gesagt. Es gibt auch andere polizeiliche Maßnahmen wie die Bereichsbetretungsverbote, die viel häufiger zum Einsatz kommen. Meldeauflagen werden wirklich kaum verhängt, eben weil die Hürden so hoch sind. Sie brauchen eine Gefahrenprognose für die jeweilige Einzelperson, um die Meldeauflage überhaupt erteilen zu können. Herr Wehe hatte im Innenausschuss ausgeführt, dass die Polizei ungefähr einen Zeitraum von 14 Tagen einrechnen muss, um das Instrument der Meldeauflagen überhaupt anwenden zu können. Insofern reden wir über eine Maßnahme, die gar nicht häufig genutzt wird.

Herr Kruse, ich finde an dieser Stelle auch Ihre Begründung schwierig, sowohl die, die Sie hier mündlich vorgebracht haben, als auch die aus Ihrem Gesetzentwurf.

Sie führen das Beispiel Köln an. In Köln hat es am 18. Januar eine verabredete Auseinandersetzung zwischen Hooligangruppen gegeben. Wir haben diesen Fall, weil er uns alle aufgrund der angewandten Gewalt so fassungslos gemacht hat, im Innenausschuss sehr intensiv nachbereitet. Und im Innenausschuss ist auch deutlich geworden, dass die Polizei vorher gar keine Erkenntnisse darüber hatte, dass sich gewalttätige Personen verabredet haben, sich in Köln zu schlagen.

(Zuruf von Theo Kruse [CDU])

Insofern hätte das Instrument der Meldeauflagen hier gar nicht gegriffen. Es konnte nicht greifen, weil das einfach viel zu kurzfristig war. Daher ist Ihr Beispiel Köln völlig fehl am Platz.

(Zuruf von Theo Kruse [CDU])

Ihre Begründung stimmt also nicht so ganz.

An Ihrem Gesetzentwurf finde ich außerdem problematisch, dass Sie ihn allein aus dem Bereich Fußball begründen. Das Polizeigesetz gilt aber nicht nur für diesen einen Bereich, sondern umfassend. Wir müssen uns im Ausschuss auch angucken, in welchen anderen Bereichen möglicherweise Meldeauflagen genutzt werden könnten, damit wir nicht zu Fallkonstellationen kommen, in denen wir sie gar nicht wollen. Sie können keine reine „Lex Fußball“ machen.

Wir müssen auch über die Hürden sprechen, die Sie hier angeführt haben, und darüber, ob der Regelungsort richtig ist; Sie haben § 10 vorgeschlagen.

Ich glaube, dass wir noch viel zu diskutieren haben, finde die Debatte aber durchaus interessant. Ich freue mich auf Diskussionen im Ausschuss und auf eine hoffentlich sehr spannende Anhörung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniela Jansen [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon gesagt, dass wir in letzter Zeit mehrfach über dieses Thema gesprochen haben. Insofern freue ich mich, dass, je häufiger wir darüber sprechen, vonseiten Rot-Grün immer mehr Verständnis für das Mittel aufkommt. Wir hatten ja in den ersten Debatten hierzu immer das Problem, dass man sich noch nicht dazu bekannt hat. Inzwischen bekennt sich auch Rot-Grün dazu, dass Meldeauflagen durchaus ein geeignetes Mittel sein können.

„Können“ ist auch genau richtig. Wir von den Liberalen setzen darauf nicht als Allheilmittel. Aber es gibt Situationen, in denen Meldeauflagen sinnvoll sind, nämlich immer dann, wenn man sowohl den Fußball als auch die Fans punktuell vor Gewalt schützen möchte, wenn man weiß, dass bestimmte gewalttätige Kriminelle anreisen wollen, um ein Spiel zu stören, um sich da auszutoben.

Deswegen haben wir allerdings auch Probleme mit dem Gesetzentwurf der CDU, denn damit soll ganz generell und vor allen Dingen für einen sehr langen Zeitraum ein Instrument für die Polizei geschaffen werden.

Ich möchte nicht, dass die Polizei demnächst immer mal für einen Monat den einen oder die andere aus dem einen oder anderen Grund – beispielsweise bezogen auf Fußballspiele – mit Meldeauflagen versieht. Das muss punktuell sein; das muss vor allen Dingen sehr kurzfristig sein. Wir können den Menschen, die zum Beispiel aus Gladbach kommend in Köln arbeiten, auch nicht erklären, dass ihre Meldeauflage sich über das ganze Wochenende erstreckt, sodass sie nicht einmal mehr ihre Arbeitsstätte erreichen können.

All diese Punkte werden wir sicherlich auch in der schon eingeleiteten Anhörung diskutieren. Ich bin ganz offen dafür, aber ich würde mir wünschen, wenn die CDU mehr Präzision in diesen Gesetzentwurf brächte.

(Widerspruch von Thorsten Schick [CDU])

Dann würden wir uns auch leichter tun, positiv zu votieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Zuschauer! Die CDU möchte die Meldeauflagen als sogenannte Standardmaßnahme ins Polizeigesetz schreiben. Diesem Vorhaben muss man nicht zwingend negativ gegenüberstehen. Wenn ich den Entwurf anschaue, bezweifle ich jedoch, dass die CDU dieselbe Intention verfolgt wie wir.

Natürlich ist auch mir das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2007 bekannt, das besagt, dass Meldeauflagen keiner speziellen gesetzlichen Regelung bedürfen. Herr Kruse, die Rechtsgrundlage existiert und ist auch durch Gerichte abgesegnet.

Allerdings handelt es sich um eines der Urteile, denen ich persönlich inhaltlich nicht zustimme und bei denen es uns als Gesetzgeber trotzdem offensteht, anders zu handeln. Denn das Urteil verbietet uns nicht, dennoch eine gesetzliche Regelung zu erlassen.

Das ist unter gewissen Umständen vielleicht auch sinnvoll – nicht jedoch die Intention, die die CDU da verfolgt.

Unabhängig davon, wie man zur Maßnahme der Meldeauflage grundsätzlich steht, ist es leider Fakt, dass sie regelmäßig angewendet und vor Gericht grundsätzlich als rechtmäßig anerkannt wird.

Das Problem ist aber: Es ist schwierig, an Zahlen zu kommen, um uns als Gesetzgeber einen Überblick über die Lage und die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen verschaffen zu können. Herr Biesenbach – er ist nicht anwesend – hat eine Kleine Anfrage gestellt, um überhaupt mal an Zahlen zu kommen. Die haben wir nicht. Im Grunde haben wir zurzeit nur die Aussagen der Sicherheitsbehörden, nach denen diese Maßnahme sinnvoll sei. Aber die sagen ja auch, dass die Vorratsdatenspeicherung sinnvoll sei, obwohl jede Menge Zahlen vorliegen, die genau das Gegenteil beweisen, und auch die Fachwelt außerhalb der Sicherheitsbehörden im Grunde derselben Ansicht ist.

Von daher sollte einem gewissenhaften Gesetzgeber eine einseitige Meinung niemals ausreichen, um Entscheidungen zu treffen.

Ich möchte mich jetzt aber gar nicht aus dem Fenster lehnen und die Sinnhaftigkeit pauschal abstreiten. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Meldeauflagen in gewissen Fällen hier und da durchaus hilfreich sein können. Wie dem auch sei – Fakt ist: Die Maßnahme wird regelmäßig angewendet. Meldeauflagen sind inzwischen faktisch eine Standardmaßnahme; dann können sie auch förmlich zu einer werden.

Auch inhaltlich macht das dem Grunde nach Sinn. Ich nehme als Beispiel den Platzverweis, geregelt in § 34 PolG. Niemand würde heute mehr bestreiten, dass der Platzverweis keiner spezialgesetzlichen Regelung bedarf. So ist es ja auch. Ich kenne momentan kein Polizeigesetz, das den Platzverweis nicht als Standardmaßnahme regelt.

Der Platzverweis soll Personen davon abhalten, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein. Die Meldeauflage ist im Prinzip nichts anderes als ein umgekehrter Platzverweis. Sie soll Personen dazu zwingen, sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort aufzuhalten.

Von der Eingriffsintensität ist das meiner Meinung nach sogar noch höher einzustufen als der Platzverweis. Während ich beim Platzverweis einen bestimmten, in der Regel kleinen Bereich nicht mehr aufsuchen darf, kann ich aber wenigstens ansonsten überall hingehen.

Meldeauflagen hingegen zwingen mich dazu, mich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort einzufinden – in der Regel die örtliche Polizeiwache –, sodass ich faktisch nirgendwo anders hingehen kann. Selbst außerhalb der Meldezeiten bin ich für den Meldezeitraum – also für den Bestandszeitraum des Bescheides – gezwungen, mich in einem Bereich aufzuhalten, der es mir zumindest grundsätzlich ermöglicht, pünktlich wieder auf der Wache zu sein.

Von der Eingriffsintensität ist das meiner Meinung nach wesentlich höher zu bewerten als der Platzverweis. Von daher verstehe ich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes ehrlich gesagt nicht.

Aber – jetzt komme ich zum Teil, der der CDU-Fraktion vermutlich nicht so gefallen dürfte – zusätzlich zum eben Ausgeführten hat die Kodifizierung als Standardmaßnahme insbesondere auch den Zweck, solche Maßnahmen aus dem Bereich der Generalklausel herauszunehmen und der Verwaltung somit einen klar definierten Handlungsrahmen zu geben. Das macht Ihr Entwurf aber gerade nicht. Bis auf diesen kleinen Zusatz, der einen Richtervorbehalt nach einem Monat vorsieht, gibt Ihr Entwurf im Grunde nur den Status quo wieder und geht eigentlich sogar noch darüber hinaus.

Deshalb glaube ich, dass Sie im Grunde eine andere Intention verfolgen. Ihnen geht es im Prinzip nur darum, Ihr repressives Image zu pflegen. Es gibt in Ihrem Entwurf keinen zusätzlichen, einschränkenden Handlungsrahmen. Genau den aber vermissen wir, und wir würden ihn auch verlangen.

Was sind zum Beispiel die Voraussetzungen, die in die Wahrscheinlichkeitsprognose, ob tatsächlich eine konkrete Gefahr vorliegt, einbezogen werden dürfen? Reicht ein einfacher Eintrag in der Datei „Gewalttäter Sport“ aus? Es gibt inzwischen viele nachweisliche Fälle, dass hier Personen eingetragen wurden, die dort eigentlich nichts zu suchen haben.

Reicht ein Strafverfahren aus, das nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, bei dem also noch nicht einmal genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestand? Oder sollte im Vorfeld nicht zumindest eine konkrete Sanktion gegen den Betroffenen verhängt worden sein, zum Beispiel eine rechtskräftige Verurteilung oder Sanktionen wie Strafbefehle oder ähnliches?

Auch stellt sich mir die Frage: Wie lange muss sich eine Person ihr vergangenes Verhalten überhaupt vorwerfen lassen? Darf eine Behörde eine Meldeauflage mit Ereignissen begründen, die – ich überspitze es mal ein bisschen – zuletzt vor fünf Jahren stattgefunden haben?

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dirk Schatz (PIRATEN): Oder muss der Zeitraum enger gefasst werden? Das alles sind Fragen, zu denen wir uns als Gesetzgeber äußern könnten und äußern sollten, die Ihr Entwurf aber nicht vorsieht. Von daher freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kruse, Ihr Gesetzentwurf geht von einer falschen Voraussetzung aus. Meldeauflagen sind eine gängige Praxis auch der nordrhein-westfälischen Polizei zur Bekämpfung von Gewalt beim Fußball.

Die Schwierigkeit, Meldeauflagen rechtssicher und rechtmäßig zu erlassen, ergibt sich nämlich nicht aus einer mangelnden Gesetzesgrundlage. Das Bundesverwaltungsgericht – es ist schon zitiert worden – und die Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen haben mehrfach klargestellt: Die Generalklausel der Polizei ist eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Einer weiteren Eingriffsnorm, so das Bundesverwaltungsgericht, bedarf es nicht.

Ich verstehe Ihren Wunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass Sie Meldeauflagen möglicherweise erleichtern möchten. Das scheitert aber zurzeit eben nicht an den gesetzlichen Grundlagen im Polizeigesetz, sondern es scheitert an den hohen rechtlichen Hürden, die immer – egal wo diese Eingriffsnorm verankert ist – vorhanden sind.

Denn eine Meldeauflage – ganz gleich, ob sie auf der Generalklausel beruht oder auf einer Standardmaßnahme, wie Sie sie formuliert haben möchten – ist immer ein tiefer Eingriff in Grundrechte, insbesondere in das Grundrecht der Freizügigkeit. Es bedarf einer besonderen Abwägung der Verhältnismäßigkeit. Egal wie und wo wir es im Gesetz formulieren, ist das eine zwingende Voraussetzung der aktuellen Rechtsprechung.

Das heißt nach dieser Rechtsprechung: Wir müssen jeden Einzelfall im Besonderen daraufhin prüfen, ob die Voraussetzungen objektiv vorliegen, eine Meldeauflage zu verhängen. Das gilt auch aktuell; das ist auch durch die jetzige Rechtslage so ausgestaltet.

Im Übrigen ist in jedem Einzelfall ebenfalls zu prüfen, ob nicht mildere Auflagen heranzuziehen sind, die das gleiche Ziel erreichen, wie beispielsweise Betretungsverbote, die im Übrigen viel häufiger ausgesprochen werden können als Meldeauflagen.

Insofern ist Ihr Gesetzentwurf ein bisschen so etwas wie ein Gebrauchtwagen mit neuer Lackierung. Um es klar zu sagen: Ihr Gesetzentwurf schafft keinen Vorteil, Herr Kruse. In dieser Form hilft er der Polizei nicht weiter. Sie müssen selbst feststellen: Mit diesem Gesetzentwurf werden wir nicht eine einzige Meldeauflage mehr aussprechen können als bisher.

Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Diese Meldeauflagen sind ein tiefer Grundrechtseingriff. Sie können im Rahmen einer Verhältnismäßigkeit genutzt werden. Aber sie sind auch nur ein kleiner Baustein bei der Bekämpfung der Gewalt beim Fußball.

Ich glaube, dass wir – das habe ich auch in der Debatte im Januar schon deutlich gemacht – viele kleine Puzzlestücke brauchen, um diesem Phänomen Herr zu werden.

Wir brauchen unter anderem einen konstruktiven und vor allem einen ehrlichen Dialog mit allen am Fußball Beteiligten. Das sind die Fans, das ist die Liga, das sind die Vereine, das ist der Verband. Und keiner – auch die Polizei nicht – darf aus seiner Verantwortung entlassen werden, zu dem Thema „Sicherheit im Fußball“ im Rahmen seiner Möglichkeit Beiträge zu leisten.

Wir brauchen qualifizierte und zertifizierte Ordner in den Stadien.

Zudem brauchen wir eine klare Strafverfolgung der Intensivtäter. Dafür setzt sich Nordrhein-Westfalen aktuell ein. Wir haben in der Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe eingerichtet mit dem Ziel, bundesländerübergreifend diese Intensivtäter zu verfolgen.

Ich hoffe, alle diese Maßnahmen zusammen werden einen Beitrag dazu leisten, dass die Sicherheit beim Fußball erhöht werden kann und damit die hohen Einsatzzahlen, auch der nordrhein-westfä-lischen Polizei, zu reduzieren sind. Trotzdem freuen wir uns natürlich auf einen Gedankenaustausch im zuständigen Fachausschuss. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das bleibt so. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/5038 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Sportausschuss und an den Rechtsausschuss. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann sind wir so verfahren.

Ich rufe auf:

9   Von Bürgern und Unternehmen zu viel gezahlte Rundfunkbeiträge müssen vollständig zurückerstattet werden – Anstehende Ministerpräsidentenkonferenz für spürbare Senkung des Rundfunkbeitrags nutzen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache
16/5035

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Nückel das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einigen Wochen haben wir an dieser Stelle bereits über die Mehreinnahmen beim „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“, ein Zungenbrecher – ich muss mich beim Stenografischen Dienst entschuldigen, aber das Wort ist so –, gesprochen. Für diejenigen, die fragend schauen: Das ist die ehemalige GEZ. Die hat man damals aus Imagegründen umbenannt.

Anlass für die Debatte vor einigen Wochen war ein Antrag der CDU-Fraktion, der die Landesregierung zu Recht aufforderte, eine Absenkung des Beitrags in Angriff zu nehmen. Voraussetzung dafür sollte sein, dass die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten – KEF – tatsächlich feststellt, dass die GEZ in der laufenden Gebührenperiode auch wirklich mehr einnimmt – eigentlich war das damals bereits sicher –, denn durch die Umstellung der gerätebezogenen Rundfunkgebühr auf eine haushalts- und betriebsstättenbezogene Rundfunkabgabe wurde die Zahl der Beitragspflichtigen vergrößert. Die Höhe des Beitrags blieb mit 17,98 € gleich. Mehr Beitragspflichtige zahlten also den gleich hohen Betrag, manche auch doppelt oder mehrfach.

Dadurch steigt natürlich das Gebührenaufkommen. Jetzt haben wir die Gewissheit und damit auch eine neue Situation. Diese bedingt, dass sich der Landtag heute noch einmal mit diesem Thema befassen muss. Erstens liegen die Zahlen nun offiziell auf dem Tisch. Die KEF hat ausgerechnet, dass ca. 1,146 Milliarden € zu viel eingenommen wurden. Zweitens lassen die Äußerungen verschiedener – ich nenne sie einmal – Granden der medienpolitischen Diskussion erahnen, dass die den Bürgern zustehende Erstattung ihrer zu viel gezahlten Beiträge in weite Ferne rückt.

Denn in den letzten Wochen hatte man irgendwie den Eindruck, dass sich einige nur noch Gedanken darüber machen, wofür man die Mehreinnahmen des Rundfunkbeitrags verwenden könnte, damit ja nicht eine Entlastung dabei herauskommt.

Die SPD liefert hier ein besonderes Schauspiel. In anderen Parteien wird von der zwingend erforderlichen Rückgabe der Mehreinnahmen wenigstens durch möglichst viele unterschiedliche Äußerungen von möglichst vielen unterschiedlichen Verantwortlichen abgelenkt. Bei der SPD ist es so, dass sogar Einzelpersonen verschiedene Meinungen abgeben. Die in der Medienpolitik bekannte Binnenpluralität ist demnach wohl sogar auf die Meinungsbildung einzelner Sozialdemokraten übertragen worden.

Von einer Rolle rückwärts und einer sich – ich zitiere – selbst dementierenden SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sprach etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Da schrillen natürlich die Alarmglocken der Beitragszahler.

Ich möchte noch einmal den Sachverhalt darlegen: Die KEF hatte den Finanzbedarf der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für die laufende Gebührenperiode ermittelt, also für die Gebührenperiode 2013 bis 2017. Die KEF darf ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht mehr Geld bewilligen, als die Sender an Bedarf gemeldet haben. Sämtliche Einnahmen, die über diesem Bedarf liegen, müssen zwingend zurückerstattet werden. Sie stehen also weder den Rundfunkanstalten, die das dankenswerterweise bestätigt und betont haben, noch den Ministerpräsidenten der Länder als Verfügungsmasse zu.

Bei allen Debatten über mögliche Strukturreformen, die mit dem Geld finanziert werden könnten, handelt es sich allerdings um Nebelkerzen. Denn die Kosten von Strukturreformen müssen bei der Ermittlung des Finanzbedarfs der nächsten Gebührenperiode, also der ab 2017, eingepreist werden. Baustellen gibt es da genug, vielleicht das Thema „Beitragsfreiheit“, aber natürlich auch das Problem des Finanzierungssystems an sich.

Darüber hinaus existieren natürlich auch über das jetzige Modell erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Aber das hat alles nichts mit den jetzt zu viel eingenommenen Beiträgen zu tun. Die Einnahmen müssen nach Ansicht der FDP unmittelbar und schnellstmöglich an die Gebührenzahler zurückgegeben werden. Eine Senkung des Beitrags ist dafür ein probates und zweckdienliches Mittel. Dafür kann die anstehende Ministerpräsidentenkonferenz im März genutzt werden.

(Beifall von der FDP)

Dann ließe sich eine Absenkung ab 1. Januar 2015 realisieren. Klar muss dabei jedoch sein, dass sämtliche Mehreinnahmen zurückerstattet werden, nicht nur die Hälfte. Denn das Geld gehört den Beitragszahlern, und ARD und ZDF sind sicherlich nicht die Sparkasse. – Danke.

(Beifall von der FDP – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: So macht das die „heute-show“!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Es ist keine acht Wochen her, da haben wir hier an gleicher Stelle über den gleichen Inhalt eines Antrags beraten, damals von der CDU.

(Ralf Witzel [FDP]: Und nichts ist passiert!)

Jetzt diskutieren wir, obwohl sich die Rahmenbedingungen überhaupt nicht geändert haben, über einen inhaltsgleichen oder sehr ähnlichen Antrag der FDP.

Das neue Beitragsmodell für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk orientiert sich seit Januar 2013 nicht mehr an den einzelnen Empfangsgeräten, sondern an Betriebsstätten und Wohnungen. Das System ist insgesamt transparenter und gerechter geworden.

Aber eine solche große Umstellung eines Systems zeigt natürlich auch, dass eventuell an einzelnen Stellen nachgebessert werden muss.

Wenn wir uns nämlich die Zahlen ansehen, sagt die Prognose der KEF, es soll zu etwa 1,1 Milliarden € Mehreinnahmen in der Beitragsperiode 2013 bis 2016 kommen. Vor diesem Hintergrund hat der Landtag im Dezember 2013 beschlossen, dass die Mehreinnahmen auch zur Beitragssenkung zur Verfügung stehen sollen. Aber anders als die FDP fordert haben wir auch beschlossen, dass zwei weitere Gegebenheiten in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen.

Erstens soll die Evaluation abgewartet werden. Mit dem 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde beschlossen, dass eine ausführliche Überprüfung des neuen Systems noch in diesem Jahr stattfinden soll. Möglicherweise benachteiligte Gruppen müssen dann entlastet werden. Kommunen, Unternehmen und andere Gruppen haben Diskussionsbedarf angemeldet. Ich hatte die FDP bisher auch immer so verstanden, dass auch sie Wert auf die Evaluation und mögliche Nachbesserung legen würde.

Zweitens. Wir wollen einen schrittweisen Ausstieg aus der Werbung. Ein Teil der Mehreinnahmen ist hierzu einsetzbar. Meine Damen und Herren, Herr Nückel, am 15. Februar 2011 – das ist noch gar nicht so lange her – wurde in den Landtag ein Antrag eingebracht mit dem Titel „Für einen werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk – Mehr Qualität statt Kommerz soll das Programm bestimmen“. Von wem ist dieser Antrag? – Der Antrag ist von der FDP.

(Zuruf von den GRÜNEN: Hört! Hört!)

Herr Witzel hatte gerade einen Zwischenruf gemacht. Sie, Herr Witzel, standen hier vorne – auch das ist noch gar nicht lange her – und haben mit den Worten diesen Antrag begründet – ich erlaube mir, das zu zitieren –: Wir sind der Auffassung, dass es Möglichkeiten gibt, schrittweise und sukzessive in ganz realistischer Art und Weise den Umfang der Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückzufahren und damit Zeitungsverlagen, Onlinediensten sowie privaten Rundfunkveranstaltern mehr vom Werbekuchen zu lassen und zugleich aus Sicht des Zuschauers und des Zuhörers im öffentlich-rechtlichen Programm nicht zu einem Qualitätsverlust zu kommen.

(Beifall von der FDP)

Ich muss sagen: Das ist etwas umständlich formuliert. Über die Begründung kann man streiten. Aber von der Zielsetzung her ist das durchaus eine Perspektive, die Werbefreiheit erlaubt, die Sie ja mit Ihrem heutigen Antrag ablehnen. Wie schnell doch die FDP vergisst!

(Zurufe von der FDP)

Diese Chance der Werbereduzierung ist mit den Mehreinnahmen gegeben.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch darum keine vorschnelle Senkung. Wir brauchen eine vernünftige Evaluation. Wir wollen den schrittweisen Ausstieg aus der Werbung. Und ja: Wir haben auch eine Beitragssenkung im Blick, so wie wir es im Dezember hier beschlossen haben.

Der FDP-Antrag greift zu kurz. Wir lehnen diesen ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schick.

Thorsten Schick*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Vogt, wenn Sie feststellen, dass der FDP-Antrag eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem vergangenen Antrag hat, dann ist das ja nichts Schlechtes. Wer nahe bei uns ist, ist nahe an der Wahrheit. Vielleicht sollten Sie häufiger mal etwas von uns übernehmen. Das würde Ihnen inhaltlich in der einen oder anderen Frage helfen.

(Beifall von der CDU – Zurufe)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Debatte um die Höhe der Rundfunkgebühren – man merkt es ja jetzt auch – mehr Emotionen auslöst als das normale Programm der öffentlich-rechtlichen Sender.

Sachlich lässt sich allerdings festhalten: Das neue Gebührenmodell kann nicht dazu führen, dass auf einmal alle möglichen Wünsche erfüllt werden, die bislang nicht realisiert werden konnten.

Das Verfahren ist eindeutig. Seit 1975 ermittelt die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, kurz KEF, Vorschläge für die Gebührenfestsetzung. Diese werden dann von den Ministerpräsidenten und den Landesparlamenten beschlossen.

Sollte es wie im Augenblick durch eine Neuordnung der Rundfunkfinanzierung zu Mehreinnahmen kom-men, müssen diese selbstverständlich zu einer Reduzierung der Belastungen für die Beitragszahler führen. Das hat unsere Fraktion bereits in einem Antrag im Dezember 2011 festgehalten.

Es ist allerdings auch richtig, dass mit der Umstellung der Gebührenerhebung Schieflagen aufgetreten sind. Es gibt Menschen, die Gebühren zahlen, die eigentlich freigestellt werden müssten. Genauso gibt es Unternehmen, die durch die neuen Regelungen stark steigende Gebühren aufbringen müssen. Hier laufen im Augenblick Prozesse. Rossmann und Sixt sind nur zwei Namen.

Ein erster Vorschlag der KEF liegt seit dem 18. September des vergangenen Jahres auf dem Tisch. Wie bereits angeklungen, schlägt die Kommission vor, den Beitrag zum 1. Januar 2015 um 73 Cent zu reduzieren und auf 17,25 € im Monat festzusetzen.

Die andere Hälfte der prognostizierten Zusatzerlöse soll nach dem Willen der KEF dazu dienen, den möglichen Anstieg von Rundfunkbeiträgen in der nächsten Gebührenperiode, also ab dem Jahr 2017, abzufedern.

Zu diesem ersten Vorschlag konnten sich die Länder und die Anstalten äußern. Den endgültigen Bericht der KEF wird es dann in der kommenden Woche rechtzeitig einen Tag vor dem Eintritt in die heiße Phase des Karnevals geben. In Mainz wird er vorgestellt, aber rechtzeitig, wie gesagt, vor der Karnevalszeit, sodass man die notwendige Ernsthaftigkeit und eine vernünftige Entscheidungsgrundlage erwarten kann.

Heute schon festzustellen, dass der volle Umfang der Mehreinnahmen, sprich 1,15 Milliarden €, dann den Beitragszahlern direkt erstattet wird, halte ich für etwas verfrüht. Lassen Sie uns erst das endgültige Ergebnis abwarten. Dann können wir uns entsprechend äußern. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.

Oliver Keymis*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Herr Marsching, ich habe einen Arbeitsauftrag an Sie. Googeln Sie doch bitte mal den Umsatz der Firma Rossmann 2012. Und? – 6,6 Milliarden € Umsatz macht die Firma. Stimmt das?

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das lädt hier zu langsam!)

– Schade. Es ist eh die Frage, ob wir den Laptop immer aufgeklappt lassen dürfen.

(Heiterkeit – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Sie haben die ja damit quasi beantwortet!)

Ich wollte die 6,6 Milliarden € Umsatz bloß mal ins Verhältnis setzen zu den Einnahmen, die wir durch den sogenannten Rundfunkbeitrag in Deutschland erzielen. Die liegen bei etwas über 7 Milliarden €. Noch einmal im Vergleich: Rossmann macht 6,6 Milliarden Umsatz.

Ich will das nur deshalb in den Zusammenhang stellen, weil eben der Name dieser Firma fiel – gegen die wir alle nichts haben; jeder soll machen, was er will; ich könnte noch zehn andere Firmen nennen. Der Chef dieser Firma klagt jetzt gegen den Rundfunkbeitrag, weil er durch die Umstellung von der Gebühr auf den Rundfunkbeitrag, wenn ich das richtig nachvollzogen habe, Mehrkosten im Rahmen von etwa 150.000 oder 200.000 € zahlen muss. Ich erwähne das nur, weil das in etwa deutlich macht, über welche Größenordnungen wir hier reden.

Das alles sind für mich keine Kriterien, die uns dazu veranlassen sollten, zu fragen: Was machen wir mit den vermuteten, bisher prognostizierten Mehreinnahmen? Meine Fraktion und ich sind gemeinsam der Meinung, dass es vor allem darum geht, den Rundfunkbeitrag stabil zu halten. Das war die entscheidende Voraussetzung. Wenn es irgendwann in unserer Zeit möglich wäre, den Beitrag sogar zu senken – wir haben es in unserer Entschließung im Dezember 2013 so formuliert –, würden wir das auch sehr begrüßen. Vorher müssen wir aber die Evaluation abwarten. Die Auswertung der Umstellungsfolgen kennen wir frühestens ab Ende 2014. Dann wissen wir auch, wo wir in Bezug auf die eingenommenen Rundfunkbeiträge möglicherweise werden nachjustieren müssen.

Das sollten wir – Herr Schick hat es gerade schon so ähnlich formuliert – zunächst einmal abwarten. So haben wir es uns auch politisch in den Landtagen vorgenommen.

Ansonsten beteiligen sich im Moment viele Leute am Ruderwettbewerb. Wer rudert zurück, nachdem er nach vorne gestoßen ist? Das prägnanteste Beispiel für mich ist Herr Staatssekretär Beermann, der Chef der Staatskanzlei im Freistaat Sachsen. Er hat sich ganz deutlich für die Senkung ausgesprochen. Inzwischen rudert er mit großen Zügen zurück und sagt: Vorsicht; man darf alles nicht so heiß essen, wie man es vorher gekocht hat. – Das trifft auf ihn selbst auch zu. Er hat natürlich erkannt, dass man die vermuteten Mehreinnahmen möglicherweise sinnvoller für die Gesellschaft nutzt, indem man den Beitrag jetzt nicht um 73 Cent senkt.

Das ist doch Augenwischerei, Herr Nückel. Was haben die Menschen denn davon, wenn sie 73 Cent weniger im Monat ausgeben? Gleichzeitig wird am Bahnhof das Brötchen um 20 oder 40 Cent teurer. Das merkt doch keiner. Was Sie da erzählen, ist dummes Zeug. Seien Sie sicher: Die Menschen wissen, was sie am öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Die Leute sehen das gerne. Viele schauen sich das an. Millionen hören und sehen jeden Tag öffentlich-rechtliche Angebote. Das ist auch gut so.

(Thomas Nückel [FDP]: Millionen auch nicht!)

– Millionen tun es auch nicht. Auch sie zahlen übrigens den Beitrag, weil das eine Gemeinschaftsleistung der Menschen für unser Land ist. Das Verfassungsgericht hat uns schon sehr früh viele gute Gründe aufgeschrieben, warum das gut ist.

Die Menschen werden von den 73 Cent im Monat nichts haben. Sie haben aber etwas von einer breiten Meinungsvielfalt und einem qualitätsgesicherten Programmangebot in all den verschiedenen Farben – von ARD über das ZDF bis zu den Digitalangeboten.

Richtig ist, dass die großen öffentlich-rechtlichen Angebote sparen müssen. Sie sparen auch. Sie konzentrieren die Digitalsender. Sie weiten aber auch Angebote aus. Sie diskutieren über das Mehrangebot für die Jugend – linear und non-linear. Ich finde es gut, dass man überlegt, welche gesellschaftlichen Bedürfnisse es gibt und wie man sich ihnen anpassen kann.

Das gilt auch für die von vielen nicht geliebte Samstagabendshow. Ich kenne eine Menge Menschen, die sie gerne gucken. Das ist doch nicht schlimm. Das ist doch auch gut. Das ist doch auch qualitätsvoll gemachte Unterhaltung.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Doch, das ist schlimm!)

– Manchmal auch nicht. Geschmacklich können wir uns darüber streiten.

Die Breite dieses Angebots muss gesichert werden, Herr Nückel. Dafür dienen die Beiträge zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir sind der Meinung, dass es sich dabei um ein System handelt, das sich bewährt hat. Deshalb kommt es darauf an, dass wir dieses System sichern.

Herr Nückel, die Werbefreiheit, die Sie selber in einem Ihrer Anträge auch schon angestrebt haben – Kollege Vogt hat darauf hingewiesen –, würde nach den Berechnungen der KEF 1,25 € Mehrkosten verursachen. Wenn wir die Werbung im Öffentlich-Rechtlichen abschaffen, kostet es also 1,25 € mehr.

Ich fände es völlig irre, wenn wir den Leuten das jetzt zumuten würden. Erst gehen wir nach Ihrem Vorschlag um 73 Cent herunter. In zwei Jahren gehen wir dann wieder um 66 Cent herauf. Kurz darauf erhöhen wir noch einmal um 34 Cent, weil wir dann wieder darauf kommen, dass wir … Das ist doch alles Quatsch.

Wir bleiben realistisch und bleiben bei dem, was möglich ist. Das bedeutet: Wir belassen es vorläufig bei dem Rundfunkbeitrag von 17,98 €, überprüfen in Ruhe, welche Möglichkeiten das ergibt, und konzentrieren uns dann auf Qualitätssicherung, auf Verbesserungen, auf Angebote für junge Leute und auf sukzessive Werbefreiheit. Damit bekommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein ähnliches Alleinstellungsmerkmal wie die BBC in England. In Zukunft ist das in der Breite der digitalen Angebote seine Chance, glaube ich. Diese Chance wollen wir gemeinsam nutzen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Bleiben Sie gleich hier vorne. Herr Kollege Marsching, dem Sie ja einen Arbeitsauftrag erteilt haben,

(Oliver Keymis [GRÜNE]: Jawohl, Frau Präsidentin!)

hat jetzt die Gelegenheit zur Kurzintervention.

Michele Marsching (PIRATEN): Herr Kollege Keymis, Ihr Datenevaluierungsservice will natürlich noch kurz die Ergebnisse ausspucken. Leider habe ich eben das Jahr nicht mitbekommen. Wenn Sie 2012 genannt haben, sind es 5,95 Milliarden € Umsatz, die Rossmann vermeldet hat. Im Jahr 2013 waren es 6,61 Milliarden €. – Nur für Sie.

Oliver Keymis*) (GRÜNE): Super. Herr Marsching, herzlichen Dank für diesen Hinweis. Es war 2013 – 6,6 Milliarden €. Da sehen Sie einmal, wie stark der Umsatz von 2012 auf 2013 gestiegen ist. Wie hoch war er 2012 noch einmal?

(Michele Marsching [PIRATEN]: 5,95!)

– 5,95. Stellen Sie sich das einmal vor. Ist das eine Milliarde mehr?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Keymis …

Oliver Keymis*) (GRÜNE): Dagegen ist der Rundfunkbeitrag, wenn ich es ehrlich sagen darf, wirklich ein bescheidenes Ereignis. Glückwunsch an die Firma Rossmann.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Daher sollten wir versuchen, die Dinge in unserem Sinne auf dem Wege zu halten, den wir hier gerade besprochen haben. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Ihnen ist bekannt, dass das Verwickeln des Plenums in ein Zwiegespräch nicht ganz den Geschäftsordnungsregeln entspricht.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war aber spannend!)

Für die Piraten spricht jetzt der Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erteile jetzt erst einmal keine Arbeitsaufträge – außer vielleicht den Auftrag RTFP, wie man sagen könnte, nämlich „read the fine Parlamentsprotokoll“ aus Dezember und Januar; denn eigentlich haben wir darüber schon geredet, und zwar mehr als einmal. Ich könnte im Grunde meine alte Rede nehmen und neu halten.

Die Anträge der CDU und FDP, die hier gestellt werden, überschlagen sich darin, dass die Rundfunkbeiträge sofort gesenkt werden müssen. Diesmal kommt dieser Antrag von der FDP.

Momentan zahlt jeder Haushalt in Deutschland 17,98 € im Monat für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten hat ausgerechnet, dass die Öffentlich-Rechtlichen jetzt doch nicht so viel Geld brauchen. Daher schlägt die Kommission vor, den Rundfunkbeitrag zum 1. Januar 2015 um 73 Cent abzusenken.

Seither übertrumpfen sich CDU und FDP mit Forderungen, dieser Empfehlung der Kommission am liebsten gestern nachzukommen und das Geld den Beitragszahlern zurückzugeben – meinetwegen auch vorgestern.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist das!)

So eine Schlagzahle à la „FDP fordert Senkung des Rundfunkbeitrags“ macht sich natürlich gut. Man will nicht hinter der CDU zurückstehen. Das sind die beliebtesten Geschenke an Wähler: Geld, das man nicht selber ausgeben muss.

Leider können wir Piraten diese allgemeine Beitragssenkungspartystimmung bei den Rundfunkbeiträgen nicht so richtig nachvollziehen. Wem nützt eine Beitragssenkung von 73 Cent pro Haushalt? Wenn Sie zu zweit in einem Haushalt leben, sind es 37 Cent pro Monat und Person. „Entlastung“ kann man das kaum nennen.

Liebe FDP, Sie waren in den vergangenen Jahren Teil der Bundesregierung. Wenn es mit der Entlastung der Menschen so ernst gewesen wäre, hätte man da wirksame Maßnahme ergreifen können. Steuererleichterungen für Hoteliers fallen nicht darunter.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der FDP: Oh!)

– Ich kann das auch. – Was könnte man mit dem Geld aus den Rundfunkbeiträgen denn tun? Wir Piraten sind davon überzeugt: Die Gesellschaft profitiert mehr davon, wenn wir das Geld vernünftig und nachhaltig bei den Öffentlich-Rechtlichen einsetzen. Denn bei den Öffentlich-Rechtlichen ist längst noch nicht alles so, wie es sein sollte.

Wie wäre es beispielsweise mit der Werbefreiheit vor 20 Uhr? Wie wäre es damit, die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen konsequenterweise auf Barrierefreiheit zu trimmen, damit auch Menschen mit Behinderungen von dem Programm profitieren können? Wie wäre es, verstecktes Sponsoring abzuschaffen? Wie wäre es, mehr Inhalte unter freien Lizenzen zur Verfügung zu stellen?

Oder wie wäre es, insbesondere die freien Mitarbeiter, die beim WDR und den anderen Programmen ja einen Großteil der Arbeit machen, so zu bezahlen, dass sie vernünftig davon leben können? Gerade hier scheint mir einiges im Argen zu liegen.

(Beifall von den PIRATEN)

Alle diese Dinge sind sinnvoll und wichtig, kosten aber zweifellos Geld. Die Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag wären ein hervorragender Anfang, um viele dieser Forderungen umzusetzen.

Und, ja, wenn der Rundfunkbeitrag sozial gerecht ist, wenn alle Menschen – unabhängig von einer Behinderung – Zugriff auf die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen haben, wenn Sponsoring nicht mehr nötig ist und wenn freie Mitarbeiter angemessen bezahlt werden, ja, dann müssen wir die Mehreinnahmen zurückgeben – meinetwegen dann auch diese 73 Cent. Diese Abwägung fehlt im vorliegenden Antrag völlig.

Auf der anderen Seite enthält der Antrag auch Punkte, denen wir zustimmen. Leider will die FDP über diese inhaltlichen Fragen nicht im Ausschuss debattieren. Sehr schade!

(Zuruf von Thomas Nückel [FDP])

Ich empfehle meiner Fraktion die Enthaltung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich will es kurz und deutlich sagen: Die Landesregierung lehnt den FDP-Antrag im Ergebnis ab, auch wenn wir uns ebenfalls für eine Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler einsetzen.

Hier ist von den Vorrednern schon im Einzelnen darauf eingegangen worden, in welcher Situation wir uns im Augenblick befinden. Ich erlaube mir, noch einmal deutlich zu machen, dass es sich bei dem KEF-Bericht um eine Prognose handelt und die Anstalten noch nicht das Geld eingenommen haben, das die FDP jetzt bereits zurückgeben will. Voraussichtlich werden die Anstalten mehr einnehmen. Aber es sei der Vollständigkeit halber erwähnt: Die Öffentlich-Rechtlichen gehen immer noch von einem geringeren Zuwachs aus als die KEF. Es kann also derzeit nicht um eine Rückerstattung gehen.

Die FDP schlägt aber in der Tat eine allgemeine Beitragssenkung vor. Das ist im Ergebnis etwas, wo die Landesregierung durchaus mitgeht, aber erst nach Durchführung der schon mehrfach angesprochenen sorgfältigen Evaluierung.

Die Länder und auch dieses Haus haben nämlich beschlossen, dass in dieser konkreten Evaluierung die Finanzierungsanteile der Haushalte, der Wirtschaft und der öffentlichen Hand am Beitragsaufkommen ermittelt werden sollen und es am Ende der Evaluierung erforderlich sein kann, einzelne Gruppen von Beitragszahlern zu entlasten, wenn diese durch die Neuregelung unverhältnismäßig mehr belastet wurden. Wenn wir jetzt schon eine Rückerstattung beschließen, wird jeglicher Spielraum genommen, um nach dem Abschluss der Evaluierung tatsächlich die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Mich überrascht schon sehr, dass sich ausgerechnet die FDP durch ihren Wunsch nach sofortiger Senkung des Beitrags nahezu aller Instrumente zur Entlastung der Wirtschaft oder sonstiger Gruppen begeben möchte.

Darüber hinaus – das haben Herr Voigt, Herr Keymis und Herr Schwerd auch schon deutlich gemacht – haben wir uns in Nordrhein-Westfalen darauf verständigt, die Werbung und das Sponsoring stufenweise zu reduzieren. Offensichtlich ist es ja so, dass es vor Kurzem auch noch Meinung in der FDP war, dass Ihnen das ein wichtiges Thema ist.

Wir müssen also die Evaluierung abwarten. Anschließend können wir seriös die Senkung des Rundfunkbeitrags und die Entlastung von Bürgern und Gruppen unter Berücksichtigung der sonstigen heute schon mehrfach angesprochenen Zielstellungen in Angriff nehmen.

Deswegen müssen wir den Antrag der FDP heute ablehnen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, wenn Sie noch einen Augenblick hier bleiben würden! Es gibt den Wunsch des Herrn Abgeordneten Nückel nach einer Kurzintervention. Ich erteile ihm hiermit das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Ich glaube, Sie verwechseln etwas. Sie formulieren jetzt schon Wünsche, beispielsweise das Korrigieren der Unwuchten, die es bei der jetzigen Finanzierungssystematik gleichwohl gibt, die die FDP, bevor das in NRW beschlossen wurde, kritisiert hat und deren Folgen, die jetzt eintreffen, sie schon vorher skizziert hat.

Ich glaube, Sie verstecken sich hinter einem möglichen Evaluierungsergebnis und wollen sozusagen die Wünsche, die daraus entstehen werden, aber auch weiter gehende Wünsche, die eigentlich erst für die nächste Gebührenperiode ab 2017 eingepreist werden können, mit dem Polster finanzieren, das in der jetzigen Gebührenperiode eingenommen wird.

Das halte ich für äußerst unehrlich. Dieses Polster soll offenbar nur helfen, um den Anstieg des Rundfunkbeitrags 2017, von dem Sie ja alle ausgehen, weil wohl noch sehr viele Wünsche kommen werden, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk alles machen soll, zu glätten und keine unbequeme Diskussion über die dann existierenden Rundfunkgebühren zu bekommen. – Danke.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, bitte schön.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Lieber Herr Nückel, in der Tat müssen wir auch die zeitliche Perspektive ins Auge fassen, wann welche Maßnahmen ergriffen werden können. Dazu gehören Maßnahmen, die die Optimierung des Angebots, zum Beispiel die angesprochene Barrierefreiheit, betreffen. Dazu gehören Maßnahmen, die die zunehmende Werbefreiheit betreffen. Dazu gehören Maßnahmen, die den Finanzausgleich zwischen den Rundfunkanstalten betreffen.

Dazu können Maßnahmen gehören, die die Entlastung von bestimmten Gruppen von Beitragszahlern betreffen. Aber das können wir heute nicht seriös sagen. Ich sage heute nicht: „Es ist schon sicher, dass diese oder jene Gruppe in einer bestimmten Höhe heute oder morgen entlastet wird“, sondern das muss die Evaluierung ergeben.

Wenn wir heute schon, ohne dass die Evaluierung vorliegt, Beschlüsse fassen, die langfristig wirken, dann können wir in der nächsten Stufe nicht entsprechende Entlastungen herbeiführen. Deswegen sollten wir seriöserweise die Evaluierung abwarten und dann zu Entscheidungen kommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5035. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/5035 mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der CDU und der Piraten sowie bei Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

10       Nordrhein-Westfalens analoges und digitales Kulturerbe gemeinsam bewahren! – Status Quo ermitteln, Zukunftsvision entwickeln, Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen bündeln

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache
16/5027

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten dem Herrn Kollegen Lamla das Wort.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier auf der Tribüne und zu Hause! Das Land Nordrhein-Westfalen besitzt eine reiche Kulturlandschaft, die es zu fördern und zu erhalten gilt. Bibliotheken, Museen, Archive, Dokumentationszentren – viele dieser Institutionen sammeln und bewahren wichtiges und unwiederbringliches Kulturgut und machen dies der Öffentlichkeit, aber auch der wissenschaftlichen Forschung zugänglich.

Bund, Länder und Kommunen tragen die gemeinsame Verantwortung für den Fortbestand und den Ausbau des reichen kulturellen Erbes auch in NRW. Die Landesregierung hat in den letzten Jahren begonnen, sich dieser Verantwortung zu stellen, indem sie beispielsweise die Landesinitiative Substanzerhalt und das Landesprojekt „Digitales Archiv NRW“ ins Leben gerufen hat. Diese Projekte können einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des analogen und des digitalen Kulturerbes leisten und werden von uns Piraten deshalb nicht infrage gestellt.

Wir haben bereits in den letzten Monaten mit einigen Nachfragen im Ausschuss und einigen Kleinen Anfragen darauf hingewirkt, diesen Themenkomplex stärker in den Blick zu nehmen. Die Antworten und die Berichte der Landesregierung auf unsere Initiativen waren dabei mal mehr und mal weniger aussagekräftig.

Für den sehr aufschlussreichen Bericht des Präsidenten des Landesarchivs im Dezember im Ausschuss möchte ich mich bedanken, er war wirklich sehr erhellend. Der Bericht untermauert jedoch den Eindruck, der sich bei uns in den vergangenen Monaten verfestigt hat: Es wurden zwar viele vernünftige Initiativen gestartet, aber die wenigsten scheinen sich wirklich der Dimension bewusst zu sein, die bei dieser Thematik auf uns zukommt.

Ich habe schon in den vergangenen Haushaltsberatungen gesagt: Ich habe den Eindruck, dass bei Weitem nicht genug Mittel für den Bereich der Digitalisierung von Kulturgut und dessen Erhaltung in die Hand genommen werden. Da stimme ich ausdrücklich dem Kollegen Keymis zu, der – wie im Ausschussprotokoll vom Dezember zu lesen ist – gesagt hat, man müsse angesichts der Fülle der Aufgaben überlegen, wie die Personalausstattung der zuständigen Institutionen auszusehen habe, der auch anmerkte, es seien schon genug Millionen „verballert“ worden, die jetzt für die konkrete Arbeit fehlten.

Auch Herr Kollege Bialas sprach in dem Zusammenhang von der Notwendigkeit, sicher, verlässlich und nachhaltig planen zu können. Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg bedankte sich bei den Piraten dafür, dass sie das Thema nochmals in den Ausschuss gebracht hätten. Ich freue mich ganz ehrlich darüber, weil ich glaube, dass wir da wirklich nah beieinander sind. Ich habe auch ein sehr gutes Gefühl, dass wir gemeinsam einen Beitrag zum Erhalt unseres kulturellen Erbes in NRW leisten können.

Meine Damen und Herren, in den Verwaltungen des Landes und der Kommunen entstehen stündlich neue Unterlagen, auch heute, die zumindest teilweise als archivwürdig gelten und unser kulturelles Erbe sind. Museen, Archive und Bibliotheken digitalisieren täglich in großen Mengen Unterlagen, um sie der Bevölkerung unkompliziert online und barrierefrei zugänglich zu machen. Bibliotheken nehmen immer neue analoge und digitale Publikationen in ihren Bestand auf. Der Bestand an analogen und digitalen Kulturgütern wächst unaufhaltsam.

Diese Kulturgüter müssen wir erhalten und gemäß den rechtlichen Rahmenbedingungen auch der Öffentlichkeit zugänglich machen. Um das aber tun zu können, müssen wir zumindest einen groben Überblick darüber haben, welche Menge vorliegt. Welche Mengen analogen Kulturgutes gibt es bereits? Welche Mengen liegen digital vor? Über welche Mengen reden wir, wenn wir für die kommenden zehn, 20, 50 Jahre planen wollen? Wie viel kommt neu hinzu? Wie entwickelt sich das? Welche analogen Unterlagen sollte man zusätzlich digitalisieren, um sie zum Beispiel auf Onlineplattformen zu präsentieren und zugänglich zu machen?

Wir machen mit diesem Antrag einen Aufschlag, um diese Fragen in den kommenden Monaten zu beantworten. Wir sollten dazu eine Expertenanhörung durchführen, um gemeinsam zu beraten und zu erfahren, welche Maßnahmen wir hier im Landtag und bei der Landesregierung ergreifen müssen, um allen Institutionen, die unser Kulturerbe bewahren, echte Planungssicherheit zu gewährleisten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schneider.

René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lamla, Sie haben das mit so viel Energie gerade hier vorgetragen, dass ich beinahe meinen Einsatz verpasst hätte.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Ich habe jetzt nicht zugehört!)

– Sie haben das gerade mit so viel Energie vorgetragen, dass ich beinahe meinen Einsatz verpasst hätte.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Echt? Danke schön!)

Danke für diesen Antrag, in dessen Mittelpunkt der Wunsch steht, das kulturelle Erbe unseres Bundeslandes für die Zukunft zu bewahren.

Dieser Wunsch, meine Damen und Herren, ist natürlich nicht neu. Und so gibt es bereits zahlreiche Instrumente, mit denen der Gesetzgeber dafür gesorgt hat, dass Schriftstücke und Bücher, Zeitungsausschnitte und Notenblätter, Urkunden und andere wichtige stumme Zeitzeugen erhalten bleiben.

Für das analoge Kulturgut gibt es in Nordrhein-Westfalen einen langjährig angelegten Bestandserhaltungsplan, der vor allem ein Massenentsäuerungsprogramm für kommunales Archivgut umfasst, aber auch zahlreiche andere Maßnahmen für Werke der bildenden Kunst, Filme, alte Buchbestände. Dieses Programm ist langjährig finanziert.

Die Digitalisierung analoger Kulturgüter hat dabei gleich mehrere Vorteile. Wir stoppen, zumindest beim digitalen Klonen, den Verfall. Wir sparen Platz bei dessen Lagerung und schaffen es zudem, unser kulturelles Erbe – wir haben es gerade gehört – einem breiteren Publikum zu erschließen. Denn das, was ich auf den Servern habe, kann ich im Netz veröffentlichen. Das ist eine der größten Chancen dieser Digitalisierung.

Der Berliner Appell, auf dessen Grundlage die Piraten heute ihren Antrag stellen, den wir noch im zuständigen Ausschuss grundlegend beraten, thematisiert vor allen Dingen die Herausforderungen der zunehmenden Digitalisierung. Denn so einfach es klingt, Dinge zu fotografieren oder zu scannen, um sie auf die Festplatten zu bannen, so kompliziert ist die dauerhafte Sicherung.

„Obsoleszenz“ nennen die Fachleute beispielsweise das Phänomen, wenn Hard- und Software mit den Jahren nicht mehr nutzbar sind und damit auch die Daten nicht mehr auszulesen sind. Hinzu kommt das Problem, dass die Lebenszeit von Speichermedien immer kürzer wird. Bücher tragen ihre Informationen mehrere hundert Jahre, eine DVD nur rund 30 Jahre, eine Festplatte bei Benutzung vielleicht gerade einmal fünf Jahre.

Mit solchen und ähnlichen Fragestellungen hat sich das Pilotprojekt „Digitales Archiv NRW“ in den vergangenen Jahren befasst – dies übrigens im internationalen Austausch, sodass mittlerweile auch europäische Lösungen vorliegen. Das ist in diesem Bereich ziemlich wichtig.

Der Berliner Appell stammt im Wesentlichen von Facheinrichtungen und deren Interessenvertretern. Diese profunden Kenner haben zwölf Punkte benannt, die wir bei näherem Hinsehen in NRW bereits alle fest in den Blick genommen haben und angegangen sind.

Wir sind uns über die Gefahr eines Verlustes bewusst, weil digitale Inhalte äußerst fragil sind, keine Frage. Deshalb kann man nicht einfach so nebenbei digitales wie analoges Kulturgut bewahren. Man muss es als Daueraufgabe begreifen. Das tun wir, und das tun auf nationaler Ebene beispielsweise auch die Nationalbibliotheken in Leipzig und Frankfurt am Main. Wir selbst haben mit dem Pflichtexemplargesetz erst kürzlich und mit dem Archivgesetz auch die digitale Speicherung geregelt. Zunehmend geht es um die Archivierung von Kulturgütern, die bereits in digitaler Form schon vorliegen. „Born digital“ nennt man diese, und das Internet ist voll davon.

Darum scheint mir auch vor dem Hintergrund von Punkt 6 des Appells, dem öffentlichen Diskurs, die Frage wichtig zu sein, welche Auswahlkriterien wir für die digitale Langzeitarchivierung anlegen. Denn das Datenvolumen alleine im Internet verdoppelt sich alle zwei Jahre. Das alles zu archivieren, noch dazu in redundanten Systemen, die aufgrund der physikalischen Beschaffenheit von Datenträgern – ich sagte es gerade schon – regelmäßig erneuert werden müssen, scheint mir eine Sisyphusarbeit.

Auch wenn die Speichermöglichkeiten parallel zum wachsenden Internetaufkommen Schritt zu halten versuchen, brauchen wir eine klare Festlegung, was wir bewahren wollen und was wir letztlich bewahren können.

Ansonsten geht es uns wie dem König aus der Legende. Dem wurde ein Schachspiel geschenkt. Aus Dank sagte er dem weisen Mann, der ihm das geschenkt hatte: Du hast einen Wunsch frei. Und – Überraschung! – der weise Mann wünschte sich nicht Gold oder Edelsteine, sondern nur Weizenkörner. Genauer gesagt, verlangte er ein Weizenkorn auf dem ersten Schachfeld, zwei auf dem zweiten, vier auf dem dritten, acht auf dem vierten usw. – immer das Doppelte auf jedem weiteren Schachfeld. Der König, relativ großzügig, sagte: Alles klar, das machen wir. Er ließ die geforderte Weizenmenge ausrechnen, und es kamen über 18 Trillionen Weizenkörner zusammen, mehr als auf dieser Welt an Ernte zu schaffen ist.

Zum Vergleich: Die Menge an Daten, die im Internet erstellt, vervielfältigt und konsumiert wird, wird 2020 bei etwa 40 Zettabytes liegen, also 10 hoch 21 Bytes.

Wenn die Datenmengen im Netz derart rasant wachsen, sollten wir nicht einem technischen Hochmut erliegen und wahllos alles sammeln. Es muss Archivierungsmodelle geben, die den Datenstrom kanalisieren. Das ist nicht ohne Brisanz. Denn – wie formulierte ein Nutzer meiner Facebook-Seite? –: „Durch Selektion der zukünftigen Geschichtsquellen lässt sich Deutungshoheit über die Gegenwart gewinnen.“

Dennoch darf aber die Nachfrage erlaubt sein, ob alles Publizierte auch wirklich bewahrenswert ist. Ich möchte nicht die Mona Lisa aus dem virtuellen Gedächtnis löschen oder die fotografischen Werke eines Jim Rakete. Doch wird die Frage erlaubt sein, ob alles Zellvlies dieser Welt oder jedes noch so verwechselbare Katzenbild im Netz gespeichert gehört,

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Katzen sind Kultur!)

um damit der Nachwelt einen kulturellen Trend zu dokumentieren. Vielleicht reichen auch schon einige Dutzend, mir persönlich würden auch noch weniger reichen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

René Schneider (SPD): Denn, und damit möchte ich meine Rede schließen, wie hat es der italienische Diplomat Enrico Cialdini im 19. Jahrhundert formuliert: „Erinnerungen versüßen das Leben, aber nur die Vergesslichkeit macht dies möglich.“ – In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein herzliches Glück auf.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern schon über Archivierung, über Archive gesprochen. Herr Lamla, wir sind Ihnen dankbar, dass Sie das auf die Tagesordnung gebracht haben – ganz ohne Frage ein wichtiges Thema.

Die kulturpolitischen Sprecher der CDU-Fraktionen der Bundesländer haben vor wenigen Wochen in Marbach eine Resolution zur Sicherung, Digitalisierung und Erhalt des kulturellen Erbes formuliert und veröffentlicht. Dort haben wir auch über den Erhalt von Digitalisaten gesprochen.

Ich möchte allerdings heute besonders auf das Thema der Aufbewahrung und Sicherung der digitalen Stücke eingehen. Das ist eigentlich auch das Spannende an Ihrem Antrag. Denn bei den analogen Stücken haben wir doch mittlerweile sehr viel Erfahrung. Da läuft sehr viel, und unsere Archive leisten da sehr gute Arbeit. Das tun sie auch bei der Digitalisierung. Aber da kommen noch weitere Probleme hinzu.

Damit es auch denen, die sich normalerweise nicht damit beschäftigen, etwas vertrauter wird, wollte ich Sie einmal fragen, ob Sie auch schon vor 20 Jahren einen elektronischen Kalender gebraucht haben. Ich habe das gemacht. Das war übrigens kein Outlook-Kalender; Outlook kam erst 1997. Versuchen Sie einmal, den Kalender von damals zu öffnen. Ich bin heute heilfroh, dass ich ihn damals Ende des Jahres ausgedruckt habe. Oder nehmen Sie eine Textdatei aus den 80er-Jahren. Vielleicht haben Sie damals sorgfältig die Textdatei auf einer Floppy-Disk zu Ihren Unterlagen gelegt. Versuchen Sie, die Floppy-Disk einmal zu öffnen. – Nur das als kleiner Hinweis darauf, wie das bereits bei privaten Dingen ist. Da ist es vielleicht nicht so schlimm.

Aber wie ist das mit der Bewahrung von Erinnerungen in größeren Dimensionen in einer gewaltig beschleunigten Welt? Deshalb noch einmal ein anderes Beispiel, nur zur historischen Erinnerung: Sagt Ihnen der Name BTX noch etwas? Der erste Online-Bildschirmdienst wurde 1983 mit Staatsvertrag in Deutschland eingeführt und hatte eine Lebensdauer bis zur offiziellen Abschaltung am 31.12.2001. Gibt es von diesem Dienst und von den Inhalten irgendetwas, was erhalten wurde und was heute archiviert wäre? Schon das Wort kennt ja kaum noch einer.

Im Internet droht uns Ähnliches, wenn die Politik auf allen Ebenen nicht etwas gründlicher über Möglichkeiten und Finanzierung von dessen Archivierung etwas gründlicher nachdenkt.

Ein paar Hinweise dazu: In Nordrhein-Westfalen ist da auch noch nicht alles geregelt. Da sind eine Menge politischer Fragen. Ich denke, das läuft auf mehreren Stufen ab. Eine erste Stufe sind die relativ unproblematischen Dinge, die es als Zwilling gibt: Bücher zum Beispiel, Bücher analog und digital, Zeitungen mit Online-Varianten. Das kann man alles wunderbar machen. Da braucht man nur einen Verlag mit einer Bibliothek oder mit einem Archiv zu verkoppeln. Dann schicken die ihre Online-Dinge dahin. Dann wird das archiviert – relativ problemlos.

Die zweite Stufe ist schon viel schwieriger. Da haben wir im Internet Angebote, die geradezu anarchisch wuchern: Wiki-Seiten, Blog-Seiten, wer wählt da wie aus, was wird archiviert, und wo wird es archiviert? Da wird es schon viel, viel schwieriger. Übrigens, wer das macht, ist ziemlich klar: Das machen Archivare, denn Archivare – das muss man auch lernen – sind nicht Leute, die Dinge nur bewahren, sondern Leute, die Dinge wegwerfen können. Archivare werfen weg. Ich würde mich überhaupt nicht dafür eignen.

Dann gibt es noch eine dritte Stufe des Problems. Das ist die Frage, ob man nicht ganz generell einen Schnitt durch den gesamten Internetbereich und eine Gesamtsammlung machen müsste. Wie das gehen soll und wer das machen sollte, ist völlig offen.

Diese Fragen gelten aber auch für Rundfunk und Fernsehen. Wie werden die Archive im Rundfunk gesichert? Wie ist es da mit der Relevanz von Angeboten, die nach gegenwärtiger Rechtslage nach sieben Tagen aus dem Netz genommen werden müssen? Wäre nicht das Gegenteil genau richtig, nämlich dass man sie dauerhaft und über Jahre zugänglich hielte,

(Beifall von den PIRATEN – Lukas Lamla [PIRATEN]: Korrekt!)

auch einen erlaubten dauerhaften Zugriff ermöglichte? Denn Archivierung ist ja eine öffentliche Aufgabe. Aber – jetzt geht es los – dann kommen die Probleme mit dem Urheberrecht. Wie bei vielen Inhalten ist es so, dass Sie zwar privat abspeichern dürfen, aber eine Institution darf keineswegs alles abspeichern. Die müssen im Grunde jedes Mal eine Urheberrechtseinwilligung haben, damit sie die Inhalte abspeichern können.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Ist das nicht absurd?)

– Ein Riesenproblem für Archive oder Einrichtungen in der Abspeicherung digitaler Erzeugnisse! Da werden wir auch im Urheberrecht etwas machen müssen.

Meine Damen und Herren, die Piraten fordern in ihrem Antrag, dass wir den Berliner Appell unterzeichnen. Moment! Sie wollen, dass die Landesregierung den Appell unterzeichnet. Ich habe mich gefragt: Warum eigentlich nicht der Landtag? Der Landtag könnte das ja auch tun. Denn ich denke, dieser Berliner Appell ist vernünftig, er ist richtig. Er hat eine sehr vernünftige Aussage und ist von einer stattlichen Anzahl sehr kompetenter Leute und wichtiger Einrichtungen unterzeichnet. Der Appell ist aller Ehren wert.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Wir können ja einen Entschließungsantrag machen!)

Sie haben in Ihrem Antrag recht: Die Ebenen der Zuständigkeiten müssen sauber geschieden werden. Das Land sollte das tun, was Aufgabe des Landes ist. Und da Archivierung und Kulturgüterschutz unsere Sache ist, sind wir auch betroffen. Und im Urheberrecht sollten wir Anregungen geben und auch über den Bundesrat mitarbeiten.

Warum wir uns allerdings – da bin ich bei einer Frage zu Ihrem Antrag –, wie Ihre Ziffer III.6 sagt, nicht auch an den Kosten beteiligen sollten, ist mir schleierhaft geblieben. Denn ganz ohne eine finanzielle Wahrnehmung unserer Kompetenzen wird es nicht gehen. Aber da reden wir ja über kleines Geld. Die Summen für Denkmalschutz, für Archivierung, für Kulturgüterschutz, für Kultur insgesamt sind so niedrig, dass sie zwar kaum etatrelevant sind, aber gerne für die Schuldenbremse ins Feld geführt werden. Übrigens hat damals bei den …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): … Beratun-gen zum Pflichtexemplargesetz Vizepräsident Oliver Keymis gesagt – Zitat, damit möchte ich schließen ?:

Die technische Entwicklung wird uns natürlich immer neu herausfordern. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das in Zukunft im Rahmen der weiteren Entwicklungen immer mit weiteren Kosten verbunden sein wird. Da müssen wir realistisch und ehrlich sein.

Ich denke, so ehrlich sollten wir sein. Wir stimmen dem Antrag zu.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Sternberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete Oliver Keymis.

Oliver Keymis*) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Kollege Sternberg, für das Zitat. Es stimmt so, wie ich das gesagt habe; zu dem stehe ich auch. Aber den Schluss, den Sie daraus ziehen, dass man dem Antrag gleich zustimmen muss, den kann ich daraus nicht ableiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich hatte angenommen, Sie würden beantragen, den Antrag zu überweisen. – Der Überweisung stimmen wir auch zu. Insofern ist das geklärt. Wir wollen uns zunächst schon darüber unterhalten, worum es da geht. Ich habe mit großem Interesse die vielen guten Worte gelesen, die drinstehen. Aber es ist ein Problem, wenn wir in den Forderungskatalog eintreten. Da muss man dann so ehrlich sein und das auch aussprechen.

Wenn ich lese, was der Landtag unter II. beschließen soll, was wir jetzt alles machen müssen – „bekennt sich zu seiner politischen Verantwortung“, „verlässliche Zusammenarbeit“, „Bewahrung sowohl des analogen als auch und insbesondere des digitalen kulturellen Erbes“, die „aktuellen technischen Möglichkeiten“ nutzen, die Chancen, die es gibt, gilt es „zu unterstützen und auszubauen“, und dann sind auch noch „in finanzieller Hinsicht … große Herausforderungen“ irgendwie zu bewältigen –,

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Klingt gut, machen wir so!)

dann sind das schon ziemliche Wunschträume. So ehrlich müssen wir sein, vor allem wenn wir im Hohen Haus an anderen Stellen immer darüber diskutieren, was wir alles zu sparen haben. Dann ist das natürlich eine enorme Herausforderung, rein finanzieller Natur.

Dessen sind wir uns bewusst. Da ist übrigens das Digitale Archiv NRW, eben schon erwähnt, ein Pilotprojekt, das uns in kleinen Zügen deutlich macht, was da auf uns zurollt. Ich bin allerdings, wie der Kollege das eben sagte, der Meinung, dass die Frage, ob man wirklich alles aufbewahren muss, eine ist, die wir uns auch stellen müssen. Man muss eine Auswahl treffen. Das halte ich auch für das entscheidende Problem. Das ist übrigens dann auch etwas, was personalintensiv ist.

Insofern haben Sie mich richtig zitiert, Herr Lamla, als Sie gesagt haben: Sie haben doch damals, als wir Herrn Bischoff, den Präsidenten des Landesarchivs NRW, zu Gast hatten, auch schon darauf hingewiesen, dass es Personal und Leute braucht. – Klar, auch er braucht für sein digitales Projekt mehr Personal, nämlich Leute – das hat Herr Kollege Sternberg auch gesagt –, die dann auswählen, was wirklich archiviert werden kann und muss.

Die technischen Fragen sind geklärt worden. Ich habe übrigens noch nicht raus, wie viele Nullen die Zahl 1021 hat. Aber das bekommen wir noch nachgeliefert.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Fragen Sie Herrn Marsching!)

– Nein, heute nicht mehr. Ich habe genug gefragt an der Stelle, aber das können wir uns noch einmal aufschreiben.

Auf jeden Fall ist es eine Herausforderung, der wir uns stellen; das ist richtig.

Ich finde auch, dass der Berliner Appell eine ganze Menge richtiger und wichtiger Forderungen enthält, und es ist schön, wenn sich viele dazu bekennen.

Sie müssten dann aber auch sagen, woher das viele Geld kommt; denn so etwas ist mit sehr viel Aufwand verbunden. Darüber müssen wir uns dann auch ehrlich unterhalten. Wenn wir gemeinsam solche Forderungen auf der Basis Ihres Antrags im Kultur- und Medienausschuss diskutieren wollen, dann müssen wir auch sagen, wer letzten Enes die Rechnung bezahlt. Zu diesem Punkt – da bin ich mir ganz sicher – werden wir noch eine Reihe anstrengender Gespräche zu führen haben, vor allem vor dem Hintergrund dessen, dass der Haushalt insgesamt eng gestrickt ist und der Kulturbereich nicht so üppig ausgestattet ist, dass wir genug Geld hätten, um all diese Forderungen, die Sie hier unter Punkt III definieren, sofort spielend zu erfüllen.

Wir werden der Überweisung zustimmen. Wir werden uns dieser kritischen Diskussion, die es dazu zu führen gilt, gerne stellen. Ob man dafür wieder eine Anhörung durchführen muss, weiß ich nicht. Womöglich kann man es auch im Rahmen eines Fachgesprächs behandeln, zu dem wir die zuständigen Expertinnen und Experten einladen. Schließlich führen wir schon eine Vielzahl an Anhörungen durch, und auf Dauer stellt sich dann vielleicht die Frage, ob uns die Expertinnen und Experten, die wir dauernd einladen, noch ernst nehmen, zumal nicht immer das herauskommt, was wir uns und was sich auch die Expertinnen und Experten wünschen. Ich habe schon Ermüdungserscheinungen vernommen, und deswegen warne ich davor, bei jedem Antrag mit einer Anhörung zu operieren. Aber ein Fachgespräch unter Beteiligung des Landesarchivs NRW und des Digitalen Archivs NRW fände ich sinnvoll.

Also, es ist ein wichtiges Thema und ein interessanter Antrag. Aber was die Realisierungschancen angeht, so müssen wir diese mit sehr viel Realismus betrachten und ehrlich bleiben. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schmitz.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Es sind 21 Nullen, was übrigens auch logisch ist!)

Ingola Schmitz (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

„Das Land NRW besitzt eine reiche Kulturlandschaft, die es zu schützen und zu erhalten gilt.“

So beginnt die Einleitung des Antrags der Piraten, und dies möchten wir mit Nachdruck unterstreichen.

(Beifall von den PIRATEN)

So weit, so gut, so richtig und so unumstritten. Und in der Tat: „Bund, Länder und Kommunen tragen die gemeinsame Verantwortung für Fortbestand und Ausbau des reichen kulturellen Erbes“, wie es weiter heißt. Ob das Land Nordrhein-Westfalen seiner Verantwortung ausreichend nachkommt, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Die permanenten Kürzungen der Landesregierung im Kulturhaushalt belegen, dass für die SPD und Grünen Kulturpolitik eben keine Priorität hat.

Gleichzeitig sägen sie am zweiten Standbein der kulturellen Vielfalt in Nordrhein-Westfalen, das uns Liberalen ganz besonders am Herzen liegt und aus unserer Sicht sogar kräftiger ausgeprägt ist als die staatliche Kulturförderung, nämlich das private freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Leider wird allerdings auch dieser Bereich von der Landesregierung vernachlässigt. Ich erinnere beispielhaft an die Abschaffung des kulturellen Ehrenamtspreises

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So ist es!)

oder an das Thema „Denkmalpflege“, bei dem die Landesregierung großen Schaden anrichtet.

(Beifall von der FDP)

Aber kommen wir noch einmal zurück zur reichen Kulturlandschaft, die erhalten und gefördert werden soll. Meine Damen und Herren, sehen Sie mir die eben formulierte Kritik an der Landesregierung nach. Als Oppositionsfraktion ist es unsere Aufgabe, den Finger in offene Wunden zu legen. Die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen aus dem Kulturausschuss werden tief in ihrem Inneren zugestehen, dass sie nicht ganz fehl am Platze ist.

Klar ist aber auch, dass wir Kulturpolitiker uns über Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam für die Bewahrung unseres kulturellen Erbes und für entsprechende Rahmenbedingungen einsetzen. Der hier vorliegende Antrag der Piraten trägt aus meiner Sicht allerdings in der Sache nicht dazu bei, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Die FDP-Fraktion kann ihn deshalb in dieser Form auch nicht unterstützen.

Denn erstens ist der Antrag auf einem extrem abstrakten Niveau.

(Lachen von den PIRATEN)

Es fällt mir schwer, genau herauszulesen, was Sie eigentlich konkret fordern. Als Beispiel darf ich Ihre erste Forderung zitieren. Sie wünschen sich, dass die Landesregierung

„gemeinsam mit allen auf landes- und kommunaler Ebene beteiligten Akteuren verlässliche Angaben“

ermittelt,

„welche Arten und Mengen der unterschiedlichen analogen und digitalen kulturellen Ausdrucksformen in allen Bereichen bereits vorhanden sind und welche Mengen zukünftig entstehen und zu erhalten sind …“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Wünschen und Forderungen, die auch wir an die Landesregierung stellen: In die Zukunft schauen kann sie nun wirklich nicht.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Und wir wollen auch kein staatliches Zentralregister für kulturelle Ausdrucksformen.

(Beifall von der FDP)

Daran knüpft mein zweiter Kritikpunkt an. Ihr Antrag offenbart ein geradezu planwirtschaftliches Verständnis von Kultur. Es ist doch nicht Aufgabe der Landesregierung, zu bestimmen und zu katalogisieren, was aus ihrer Sicht eine erhaltenswerte kulturelle Ausdrucksform ist, abgesehen davon, dass sie das gar nicht könnte.

Abschließend noch mein dritter Kritikpunkt: Auch eine übermäßige Naivität wohnt dem Antrag inne. So fordern Sie die Entwicklung und den Einsatz erheblicher Personalressourcen und Finanzmittel. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, schön wäre es in der Tat. Aber bei aller Wertschätzung: Dann und wann sollten Sie den Ausguck oben auf Ihrem Mast auch einmal in Richtung Realität schwenken.

(Beifall von der FDP)

Zum Schluss sei Ihnen aber zugestanden: Einige Punkte, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen, sind durchaus diskussionswürdig. Als Beispiel habe ich das Stichwort „Digitales Archiv“ genannt; das haben schon andere erwähnt. Darüber sprechen wir auch regelmäßig im zuständigen Ausschuss, dann gerne auch im Rahmen dieses Antrages. Der Überweisung stimmen wir zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze in Vertretung für Frau Ministerin Ute Schäfer.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landesregierung ist es sehr wichtig, das reiche kulturelle Erbe in Nordrhein-Westfalen zu bewahren und es für zukünftige Generationen zu sichern. Die zentralen gesetzlichen Grundlagen – das Archivgesetz und das Pflichtexemplargesetz – bilden die digitale Realität gut ab. Sie gelten bundesweit als vorbildlich.

Mit der „Landesinitiative Substanzerhalt“ hat die Landesregierung ein ebenfalls bundesweit beachtetes Programm zur Erhaltung des analogen Kulturerbes aufgelegt. Insgesamt hat Nordrhein-Westfalen seit 2006 über 20 Millionen € für den Erhalt von Kulturgut zur Verfügung gestellt, davon mehr als 8 Millionen € für die Massenentsäuerung und etwa 2,5 Millionen € für Schutz- und Restaurierungsmaßnahmen in den Landesbibliotheken. Über die 20 Millionen € hinaus sind im Etat des Landesarchivs jährlich ca. 1,4 Millionen € für Digitalisierungsmaßnahmen vorgesehen.

Nordrhein-Westfalen ist das bisher einzige Land, das mit dem „Digitalen Archiv NRW“ daran arbeitet, eine landesweite Infrastruktur zu schaffen, um digitales Kulturgut langfristig zu sichern – eine Infrastruktur, die Land und Kommunen gleichermaßen nutzen können und die spartenübergreifend allen Kultur- und Gedächtniseinrichtungen im Land zur Verfügung stehen soll. Die gemeinsame Verantwortung von Land und Kommunen wird damit sowohl für das analoge wie auch für das digitale Kulturgut bereits umgesetzt.

Ein Rahmenplan „Landesinitiative Kulturgutschutz“ – so wie im Antrag der Piraten gefordert – scheint zunächst einmal ein nachvollziehbarer Vorschlag zu sein. Die Erfahrungen im Projekt „Digitales Archiv NRW“ zeigen jedoch, dass Mengen- und Kostenplanungen schon für sehr viel kürzere Zeiträume als zehn Jahre sehr aufwendig und wenig belastbar sind. Ich halte es deshalb derzeit für sinnvoller, mit den vorhandenen Ressourcen funktionsfähige technische Lösungen zu entwickeln, wie wir das beim „Digitalen Archiv NRW“ tun. Parallel werden wir die weitere Entwicklung – vor allen Dingen im technischen Bereich – beobachten, um veränderten Anforderungen zeitnah begegnen zu können. Damit ist die öffentliche Hand finanziell bereits sehr stark gefordert.

Auch auf der Bundes- und Europaebene setzen wir uns bereits seit Längerem für den Substanzerhalt ein. Bund und Länder tragen gemeinsam die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes. Diese zentrale Einrichtung gibt es seit 2011. Mit hohen Millionen-Beiträgen finanzieren Bund und Länder außerdem die Deutsche Digitale Bibliothek.

Unsere Positionen und Aktivitäten zum Erhalt von Kulturgut auf allen Ebenen stimmen dabei in vielen Punkten mit den Forderungen des „Berliner Appells“ überein. Ihn als Landesregierung zu unterzeichnen ist jedoch wenig sinnvoll. Schließlich richtet sich der Appell auch an die Länder. Wir würden damit in fast allen Punkten an uns selbst appellieren.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist gut aufgestellt, wenn es um den Erhalt unseres kulturellen Erbes geht. Der Substanzerhalt wird auch weiterhin in enger Kooperation mit den Kommunen ein wichtiges Anliegen für die Landesregierung bleiben. Das werden wir noch einmal ausführlicher im Ausschuss diskutieren können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/5027 an den Ausschuss für Kultur und Medien. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wir dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

11       Verbraucherinnen und Verbraucher im Netz schützen – Freiheit des Internets sichern!

Große Anfrage 8
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3704

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/4930

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Herrn Abgeordneten Bolte das Wort.

Matthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit der heute vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage 8 erstmals einen vollständigen Überblick über die beeindruckende Vielfalt, die sich bei einem umfassenden Blick auf das Thema „Verbraucherschutz im Internet“ ergibt. Es gibt viele Themen, viele Akteure und viele Perspektiven. Das ist überaus spannend, und ich bin mir sicher, dass die Lektüre gerade für Kolleginnen und Kollegen, die gerne Neuland entdecken, interessant und empfehlenswert ist. Sie werden viele spannende Punkte entdecken. Ich kann Ihnen auch zugleich ankündigen, dass wir die Antwort auf die Große Anfrage selbstverständlich auch als Basis für weitere parlamentarische Initiativen hier im Hause nutzen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Punkte möchte ich – gerade weil die Antwort so umfangreich und facettenreich ist – besonders hervorheben. Zum ersten will ich die Themen hervorheben, die viele Bürgerinnen und Bürger in der Vergangenheit beschäftigt haben und die auch die öffentliche Diskussion über den digitalen Verbraucherschutz immer wieder dominieren.

Allein 5.400 Beratungsfälle bei oftmals unberechtigten Abmahnungen durch die Verbraucherzentrale NRW sprechen, was diesen Bereich angeht, eine deutliche Sprache. Ähnlich ist es beim Thema „Abo-fallen“, wo es auch viele Betroffene gibt. Letzteres konnte mit der Button-Lösung in der Vergangenheit angegangen werden. In beiden Bereichen sind Initiativen nur zustande gekommen, weil die rot-grünen Länder – insbesondere auch Nordrhein-Westfalen – Druck über den Bundesrat gemacht haben. Das war notwendig, weil sich CDU und FDP lange Zeit nicht aufraffen konnten und weil in den vier Jahren der schwarz-gelben Bundesregierung Verbraucherinnen und Verbraucher eben keine starke Lobby hatten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es hat sich – wie diese beiden Beispiele zeigen – für die Verbraucherinnen und Verbraucher etwas verändert und verbessert. Das aber, was am Ende herausgekommen ist, beinhaltet noch die eine oder andere Hintertür. Es ist wichtig, dass es da Beratung durch starke Institutionen gibt, wie wir sie hier in Nordrhein-Westfalen haben.

Die Verbraucherzentralen NRW hatten im Jahr 2012 – diese Zahlen haben mich wirklich beeindruckt – 365.000 persönliche Anfragen, 250.000 telefonische Anfragen, 220.000 Veranstaltungskontakte und 120.000 Rechtsberatungen. Das zeigt die Vielfalt dieser Beratungsleistungen.

Wenn man sich das anschaut, sieht man, dass 40 % dieser Beratungskontakte den Bereich Telekommunikation betrafen. Das zeigt, wie relevant das Thema ist, das wir mit unserer Großen Anfrage aufgegriffen haben.

Dies zeigt aber nicht nur die Relevanz, sondern auch, wie gut es ist, dass die rot-grüne Landesregierung diese starke Institution, die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, weiter fördern und die Förderung sogar noch ausbauen wird.

Meine Damen und Herren, wir haben das Ziel, das wir schon lange verfolgen, dass unter der rot-grünen Landesregierung Nordrhein-Westfalen zum Medienkompetenzland Nummer eins wird, denn Medienkompetenz und Datenschutzkompetenz sind der Schlüssel zur digitalen Teilhabe. Dass wir es hinbekommen, gleichberechtigte Teilhabe am Internet endlich für alle zu gewährleisten, ist ein weitreichender gesellschaftlicher Anspruch und für uns zugleich ein Auftrag. In einer Zeit, in der sich immer mehr gesellschaftliche Prozesse ins Netz verlagern, dieser Wandel in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vor sich geht, können wir es uns nicht leisten, einzelne Bevölkerungsgruppen außen vor zu lassen. Die Nutzerquote in der älteren Generation liegt bei um die 40 %. Das langt nicht. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Landesregierung – auch das geht aus der Antwort auf unsere Große Anfrage hervor – hier einen Schwerpunkt bei der Förderung der Medienkompetenz setzen will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Freiheit gehört auch Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer. Das gilt für den Bereich Phishing. Mittels des Phishing-Radars konnten 4.600 betrügerische Seiten aufgedeckt werden. Das gilt auch für den Bereich Identitätsdiebstahl, der uns in den vergangenen Wochen noch einmal drastisch vor Augen geführt wurde. 16 Millionen manipulierte E-Mail-Konten sind schon schlimm genug, aber es geht gar nicht, dass eine eigentlich sehr vertrauenswürdige Bundesbehörde wie das BSI über Monate diese Information vor der Öffentlichkeit zurückhält.

Meine Damen und Herren, interessant an der Antwort auf unsere Große Anfrage finde ich, wie die Landesregierung die Möglichkeiten der Digitalisierung für die Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen möchte. Die Appetitlich-App in Duisburg und Bielefeld als Modellkommunen zur Ergänzung der Gastroampel ist nur ein Beispiel. Dazu gehört aber auch die klare Ansage, für Verbraucherinnen und Verbraucher relevante Informationen unter Open-Data-Kriterien zu veröffentlichen. Das sind gute und wichtige Schritte.

Lassen Sie mich zum Schluss dieser ersten Runde kommen. Wir haben immer klar gesagt: Nutzerinnen und Nutzer haben einen Schutzanspruch. Verbraucherpolitik hat einen Schutzauftrag. – Wir begegnen den Herausforderungen des Verbraucherschutzes im Internet mit einem angemessenen Maß an Regulierung, wo dies sinnvoll ist, und mit Unterstützung und Beratung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, wo immer dies möglich ist. Das zeigt: Verbraucherschutz ist ein wichtiger Teil der Netzpolitik der Landesregierung. Die digitale Dimension des Verbraucherschutzes hat eine hohe Priorität bei dieser Landesregierung.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich mich, Herr Minister, bei Ihrem Haus für die umfangreiche Antwort herzlich bedanken. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meiner Fraktion, die an der Ausarbeitung dieser Großen Anfrage mitgewirkt haben, danke ich. Nun freue ich mich auf die Debatte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Blask.

Inge Blask (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank, Herr Minister Remmel, für die Beantwortung der Großen Anfrage „Verbraucherinnen und Verbraucher im Netz schützen – Freiheit des Internets sichern!“ Bitte geben Sie diesen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter, denn 125 Seiten sind eine stolze Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Informationen über die Chancen und Risiken bei der Nutzung des Internets sind beim digitalen Verbraucherschutz von zentraler Bedeutung. Die vorliegende Antwort der Großen Anfrage enthält eine Darstellung der vielfältigen Maßnahmen zur Aufklärung und Kompetenzvermittlung in Nordrhein-Westfalen. Einer besonderer Bedeutung kommt der Landesanstalt für Medien, LfM, und deren Aktivitäten zur Steigerung der Medienkompetenz, dem Grimme-Institut sowie den Aufklärungs- und Beratungsmaßnahmen der Verbraucherzentrale Nordrhein-West-falen mit ihren 59 Beratungsstellen zu. Diese informieren, beraten Verbraucherinnen und Verbraucher auch bei individuellen Rechtsproblemen, die sich aus der Nutzung des Internets ergeben, und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass Verbraucherschutz im Internet häufig auf dem zivilrechtlichen Weg durchgesetzt werden muss.

Auffällig waren – der Kollege hat es bereits genannt – in den vergangenen Jahren die sogenannten Abofallen. Hier handelte es sich um Internetangebote, bei denen die Unternehmen die Entgeltpflichtigkeit verschleiern wollten. Mit der neuen Verbraucherschutzregelung in § 312 g des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde die sogenannte Button-Lösung eingeführt. Das heißt, man muss jetzt eindeutig auf einen „Kauf“-Button klicken, sodass man sich bewusst ist, dass man jetzt einen Kauf tätigt. Seitdem sind viele dieser unseriösen Seiten im Internet nicht mehr zu finden. Vor der gesetzlichen Regelung haben bei den Verbraucherverbänden bundesweit monatlich bis zu 12.000 Anfragen dazu vorgelegen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative sehr dafür eingesetzt, dass es zu dieser Button-Lösung kommt.

Aber auch mit Problemen aufgrund des sogenannten Phishings oder mit Fragen bei Urheberrechtsverletzungen müssen sich Verbraucher auseinandersetzen.

Im Bereich des E-Commerce teilt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen mit, dass insbesondere im Bereich des Erwerbs digitaler Güter per Download Probleme bestehen. Die Thematik des Erwerbs und der späteren weiteren Nutzung von digitalen Produkten, die in ihrer unkörperlichen Form per Download oder per Internet bezogen werden, waren bereits Gegenstand der Verbraucherschutzministerkonferenz im Mai 2013. Das MKULNV hat dort einen Beschluss unterstützt, der darauf abzielt, analoge und digitale Güter hinsichtlich des Erwerbs und der damit einhergehenden Rechte gleichzustellen.

Die Formen des Mobile Payment werden zunehmen und eine besondere Anforderung an den Datenschutz stellen. Wie bereits dargestellt, unterstützt die Verbraucherzentrale die Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen auch mit Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Jahre 2013 belief sich die institutionelle Förderung des Landes auf 12,25 Millionen €. Und da sich die Kommunen mit 50 % an der Finanzierung beteiligen, sind das noch einmal 8 Millionen € mehr.

Verbraucherpolitische Fragen im Zusammenhang mit Internet und der Telekommunikation sind ein Schwerpunkt der von der Verbraucherzentrale aufgegriffenen und behandelten Themen.

Dazu gehört zum Beispiel das Thema Urheberrechtsverletzungen.

Zum Weltverbrauchertag 2012 hatte die Verbraucherzentrale unter dem Motto „Unbedacht Klick gemacht“ landesweit über die Folgen eines unüberlegten Klicks auf Tauschbörsenangebote informiert.

Weitere Aktivitäten und Schwerpunkte in diesem Bereich waren zum Beispiel Abmahnungen von Telekommunikationsunternehmen, die mit Flatrate-Tarifen geworben haben, die aber real Beschränkungen beinhalteten; die Information und Beratung über die Button-Lösung im E-Commerce, über die Sicherheit in sozialen Netzwerken sowie über die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes.

Man kann bei dieser äußerst umfangreichen Beantwortung wirklich nur einen Schwerpunkt setzen; das habe ich getan. Ich denke, wir haben uns mit den Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen für die Verbraucherzentrale sehr gut für die nordrhein-westfälischen Verbraucherinnen und Verbraucher eingesetzt und das Wesentliche für sie getan. Das ist gut eingesetztes Geld gewesen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Schulze Föcking.

Christina Schulze Föcking (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unabhängig vom Inhalt danke ich auch namens der CDU-Landtagsfraktion allen, die an der Beantwortung der zahlreichen Fragen beteiligt waren.

Eines ist ganz klar: Das Internet des Jahres 2014 ist definitiv den Kinderschuhen entwachsen. Es ist aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken und für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit. 20 durchschnittliche Haushalte produzieren heute so viele Daten wie das gesamte Internet im Jahre 1995. Gerade weil das Internet Bestandteil unseres täglichen Lebens ist, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese virtuelle Welt mit unserer realen in Einklang bringen können.

Selbstverständlich kommt es auch auf die Eigenverantwortung der Nutzerinnen und Nutzer an. Die zahlreichen Aktivitäten der Verbraucherzentrale und anderer Mittler unterstützen die User dabei. Diese Unterstützung ist auch bitter nötig. Denn ebenso unübersichtlich wie das Internet selbst sind die Herausforderungen, die daraus entstehen. Wir begrüßen daher das breite Engagement der Verbraucherzentralen, der Landesmedienanstalt und vieler anderer Akteure in diesem Bereich.

Im Internet wird viel Geld verdient, und es wird ein großer Aufwand betrieben, um an das Geld der Nutzerinnen und Nutzer zu kommen. Allein die Firma Samsung hatte 2012 einen Werbeetat von 401 Millionen $. Apple investiert 333 Millionen $, um seine Geräte und Dienste zu vermarkten. Gestern Abend kam über den Ticker: Facebook zahlt für WhatsApp 19 Milliarden €.

Schaut man sich dagegen die 20-Millionen-€-Förderung für unsere Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen an, so wird schnell klar: Hier wird ein ungleicher Kampf geführt. Die Verbraucherzentralen tun, was in ihren Möglichkeiten steht, und ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich dafür.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber auch wenn der Kampf ungleich scheint, sollten wir nicht in unseren Anstrengungen nachlassen. Die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher sind wichtig und für uns nicht verhandelbar.

(Beifall von der CDU)

Wir müssen aber aufpassen, nicht an denen, die wir erreichen wollen, vorbeizuarbeiten. Das YouTube-Video der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen „Geschäft gegen illegale Downloads“ beispielsweise wurde in einem Jahr 228-mal heruntergeladen, das Video „Finanzkompetenzen in der Schule“, eingestellt vor sieben Monaten, 224-mal, das Video „Was kostet ein Pferd?“, eingestellt vor zwei Monaten, über 8.105-mal. Es kommt nicht auf die Fülle der Maßnahmen, sondern auf die Zielgenauigkeit an.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

Abgesehen davon sprechen wir so selbstverständlich vom Internet, als wären wir überall in NRW nur einen einzigen Klick davon entfernt. Um die Möglichkeiten des Netzes jedoch wirklich nutzen und ausschöpfen zu können, bedarf es entsprechender Kapazitäten.

(Zuruf von der CDU: So ist das!)

An dieser Stelle will ich gerne einmal festhalten, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Breitbandausbau sehr weit hinterherhinken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Während etwa in Bayern 2 Milliarden € bis 2017 in den Breitbandausbau gesteckt werden, sind es bei uns lediglich 9 Millionen € pro Jahr. Während Bayern aufgrund seiner guten Finanzpolitik aus dem Vollen schöpft und seinen Vorsprung vergrößert, haben die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen das Nachsehen.

Das Internet ist aber seit Jahren auf Höhenflug. Immer mehr Menschen sind online; immer mehr Waren werden über das Netz verkauft, immer mehr Informationen global ausgetauscht. 78 % der Deutschen nutzen regelmäßig das Internet.

Und die Landesregierung schreibt in dieser Großen Anfrage allen Ernstes, dass sie die Relevanz des Themas erkannt hat und gerade eine Organisationseinheit „Digitale Gesellschaft“ im Europaministerium die Arbeit aufgenommen hat. – Wunderbar. 78 % der Deutschen sind da deutlich weiter.

(Beifall von der CDU)

Man darf daher sehr gespannt sein, wie die Landesregierung ihre angekündigte Strategie „Open.NRW“ umsetzt.

Verbraucherschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Viele Fachressorts sind zuständig – Länderkompetenzen –, aber im Wesentlichen sind die Kompetenzen des Bundes betroffen. CDU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag auf Bundesebene ambitionierte Ziele formuliert. Wir wollen einen zügigen Abschluss der EU-Datenschutzverordnung.

Wir in Nordrhein-Westfalen müssen sehr genau klären, an welcher Stelle wir als Land konstruktiv tätig werden können, um diese Politik sinnvoll zu ergänzen. Das, was wir landesrechtlich unterstützend tun können, sollten wir auch tun. Wir sind gut beraten, in dieser Frage an einem Strang zu ziehen. Das sind wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern in diesem Land schuldig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schulze Föcking. – Für die FDP spricht Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Es ist schon bemerkenswert, dass die grüne Landtagsfraktion mit der vorliegenden Großen Anfrage einen federführend grünen Minister nach seiner Meinung zum Verbraucherschutz im Netz befragt. Da liegt der Verdacht nahe, dass man sich gerne gegenseitig die entsprechende grüne Welt skizziert und bestätigt.

(Beifall von der FDP – Lachen von den GRÜNEN)

Deswegen lohnt es sich, die vorliegende Antwort besonders kritisch anzuschauen.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Das ist aber ganz tief in die Trickkiste gegriffen!)

Denn grundsätzlich, lieber Kollege Matthi Bolte, hat die grüne Fraktion mit dieser Großen Anfrage eine Thematik von sehr großer Bedeutung und sehr großer Relevanz aufgeworfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dafür – das sage ich ganz deutlich – sind wir dankbar. Dem Dank an den Minister, das Haus, die Beteiligten für die Beantwortung möchte ich mich anschließen, auch wenn wir nicht die Fragesteller waren. Unabhängig davon, ob man mit allem übereinstimmt oder nicht, ist die Antwort mit 125 Seiten ein großes Werk und eine gute Grundlage für die weitere parlamentarische Arbeit.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer mehr Bereiche unseres Lebens – das haben die Vorredner schon gesagt – finden nicht nur offline, sondern eben auch online statt: mehr Information und Kommunikation, Diskussion, Partizipation und – das ist auch ein wichtiger Punkt – immer mehr wirtschaftliche Transaktionen. Diese Entwicklungen gibt es auch nicht erst seit gestern. Umso erschreckender ist es, wenn das für manche aktiven Politiker noch immer Neuland ist.

Wenn zum Beispiel immer mehr Einkäufe im Internet stattfinden, muss die Politik dafür sorgen, dass die im analogen Geschäft völlig selbstverständlich geltenden Verbraucherrechte angemessen in die digitale Welt übertragen werden. Hiervon sind wir – ich glaube, da besteht Einigkeit – noch ein Stück weit entfernt. Verbraucherschutzminister Remmel und die Politik auf allen Ebenen müssen hier noch Hausaufgaben erledigen.

Es stellt aber eine große Herausforderung dar – und das gilt es anzuerkennen –, im politischen Betrieb mit der Geschwindigkeit mitzuhalten, die die Entwicklungen im Internet mit sich bringen. Umso wichtiger ist es darum aus unserer Sicht, verstärkt auf Verbraucheraufklärung und ?information zu setzen. Das ist ein sehr großer Hebel, mit dem wir ein Stück weit der Herausforderungen der Geschwindigkeit der Weiterentwicklung des Internets Herr werden können.

Da will ich mich ganz ausdrücklich dem Lob der Vorredner für unsere Verbraucherzentralen anschließen. Es gibt dort sehr viele tolle Projekte und eine sehr starke Arbeit. Es ist gut, dass wir parteiübergreifend so stark dahinterstehen.

Wir haben bei der Balance der Mittel durchaus Differenzen, auch wenn wir bei den Zielen wahrscheinlich sehr nah beieinanderliegen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage öfters ein recht pessimistisches Verbraucherbild zeichnet, das unterschiedlicher als unser Verbraucherbild nicht sein könnte. Leider geht die Landesregierung zu häufig von einem Verbraucher aus, der vor allem schutzbedürftig ist.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Darum heißt das „Verbraucherschutz“! – Daniel Düngel [PIRATEN]: Richtig!)

Wir können den Menschen doch nicht jederzeit einen Lebenswegweiser an die Seite stellen. Wir müssen doch darauf hinarbeiten, dass wir selbstbewusste, eigenbestimmte, mündige Verbraucher haben. Das sollten wir stärken. Das meine ich mit dem präventiven Hebel der Verbraucherinformation.

(Beifall von der FDP und Frank Herrmann [PIRATEN])

Sehr geehrte Damen und Herren, wir dürfen darum nicht suggerieren, dass wir einen vollkommenen Schutz durch Regulierung und durch Regeln bieten können. Absolute Sicherheit gibt es leider nicht – weder analog noch digital. So ehrlich müssen wir an dieser Stelle sein.

Aber das ist kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Da muss man nicht resignieren. Diese Erkenntnis muss aber dazu führen, dass wir beim Verbraucherschutz zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Transparenz, Aufklärung, Unterstützung und Eigenverantwortung kommen. Ich finde, wir können und wir sollten den Verbrauchern da mehr zutrauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte gerade: Beim Ziel sind wir uns oft einig. Über den Weg dahin streiten wir. Lassen Sie mich dazu einige Punkte ansprechen.

Beispielsweise wollen wir Transparenz. Wir wollen aber keine Transparenz, die zum öffentlichen Pranger führt. Das Thema „Lebensmittelhygieneampel“ ist gerade schon angesprochen worden.

Warum unterhalten wir uns nicht darüber, wie wir insbesondere Folgeproben und Folgekontrollen nach Beanstandungen überprüfen können? Warum unterhalten wir uns nicht über die Frage eines Hygieneführerscheins?

Präventiv ist also zu fragen: Wie sind die Leute eigentlich ausgebildet, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen? Erschreckend ist in meinen Augen, dass eine Fahrradprüfung für Schülerinnen und Schüler an der Grundschule einen ähnlichen Aufwand mit sich bringt wie ein Hygieneführerschein, um mit Lebensmitteln zu hantieren.

Es wäre wirklich an der Zeit, dass sich die Landesregierung an dieser Stelle stärker um eine Bundesratsinitiative bemüht. Das wäre unserer Meinung nach effektiver Verbraucherschutz.

(Beifall von der FDP)

Wir glauben aber auch, dass an einigen Stellen Reden und Handeln bzw. – in diesem Zusammenhang – Antworten und Handeln bei der Landes­regierung nicht zusammenpassen. Drei Beispiele dafür will ich Ihnen gerne nennen.

Erstens: Breitbandausbau. Sie betonen in der Anfrage die Relevanz des Ausbaus der flächendeckenden Breitbandinfrastruktur. So weit einverstanden! Auch da herrscht, glaube ich, Einigkeit. Aber – die Kollegin Schulze Föcking hatte es gerade schon gesagt – bis auf ein paar warme Worte ist da wenig passiert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es gab einen Antrag der Oppositionsfraktionen, der darauf abzielte, europäische Fördermittel auch für den Breitbandausbau besser zu nutzen. Der wurde von den Koalitionsfraktionen leider abgelehnt. Alternative Ideen aus Ihren Reihen haben wir bislang leider nicht wahrgenommen.

 (Beifall von der FDP und der CDU)

Zweitens. Die Landesregierung beklagt völlig zu Recht den Zugriff der NSA und weiterer Geheimdienste auf die Daten unserer Bürger. Da bin ich ganz bei Ihnen. Das ist ein Skandal, den wir wohl noch längere Zeit aufarbeiten müssen.

Auf Bundesebene allerdings wird von der SPD die Einführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zumindest hingenommen, wohl eher forciert. Ich darf an die Debatte und die namentliche Abstimmung erinnern, die wir hierzu im November des letzten Jahres hatten.

Damit sind Sie, obwohl Sie die NSA kritisieren, mitverantwortlich für eine der größten Gefahren für einen effektiven Verbraucher- und Datenschutz unserer Zeit. Ihr Reden und Ihr Handeln klaffen an dieser Stelle leider auseinander.

(Beifall von der FDP)

Drittens. Die Landesregierung weist auf die besondere Bedeutung der Ausbildung der Medienkompetenz hin. Das ist eigentlich sehr gut, denn das ist ein solcher präventiver Ansatz, wie ich ihn eben genannt hatte. Dabei spielt die Landesanstalt für Medien sicherlich eine besondere Rolle.

Die Landesregierung sollte die LfM dann aber auch in Ruhe ihre Arbeit machen lassen, damit die Medienkompetenz der Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt werden kann.

Stattdessen – so steht es im Entwurf für die Novelle des Landesmediengesetzes – soll es die Stiftung „Vielfalt und Partizipation“ geben, die finanziert werden soll. Die Konsequenz – so ist ja zumindest zu befürchten – ist ja, dass dann Projekte für mehr Medienkompetenz entsprechend zurückstecken müssten.

Das Thema der Großen Anfrage ist aktuell, es ist sehr wichtig, es ist ein Querschnittsthema. Hier gibt es noch viel zu tun, sowohl für den Landtag als auch für die Landesregierung und für die Politik auf den anderen Ebenen.

Dass sich die Grünen jetzt mit dieser Großen Anfragen selber und gegenseitig gute Arbeit bescheinigen, ändert daran nichts. Sich selbst auf die Schultern zu klopfen, ist aber auch noch nicht ausreichend für die Verbesserung des Verbraucherschutzes im Internet.

Ich freue mich auf die kommende Arbeit in den zuständigen Ausschüssen und die Entwicklung weiterer effektiver Maßnahmen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Höne. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer zu Hause und im Stream! Der Verbraucherschutz im Internet ist eine wichtige Aufgabe; der Verbraucherschutz in der Offline-Welt auch. Verbraucherschutz ist grundsätzlich wichtig; da gibt es keinen Unterschied zwischen on- und offline.

Ich finde es zunächst einmal positiv, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen die Mühe gemacht haben, die Große Anfrage zu stellen, ebenso, dass sich die Landesregierung die Mühe gemacht hat, diese so umfassend in einem 125-Seiten-Werk zu beantworten.

Dennoch ist es eigenartig – Herr Höne hat eben schon darauf angespielt –, wenn eine Regierungsfraktion quasi die eigene Landesregierung fragt, wie toll diese Landesregierung doch ihre Aufgaben zum Verbraucherschutz im Internet wahrnimmt. Da müssen die Warnlampen angehen.

(Beifall von den PIRATEN, von der CDU und der FDP – Zuruf von der FDP: Merkwürdig! – Zurufe von den GRÜNEN)

Ein Beispiel: Da wird ein E-Mail-System mit eingebauter Behördenmitschnittstelle – ich meine damit De-Mail – einfach mal als „sicher“ bezeichnet. Die butterweiche Fragestellung ermöglicht der Landesregierung problemlos, die bisherigen Prospektaussagen zum Behördenprodukt De-Mail zu wiederholen.

Ein anderer Punkt: Medienkompetenz. Dieses Wort kommt sage und schreibe auf den 125 Seiten der Antwort der Landesregierung 141-mal vor. 141-mal das Wort „Medienkompetenz“ – aber keine Aussage dazu, dass heute noch immer Menschen ihre Lehrerausbildung abschließen können, ohne belegt haben zu müssen, dass sie Medienkompetenz überhaupt vermitteln können. 141-mal das Wort „Medienkompetenz“, aber keine Verankerung dieses Themas in den Lehrplänen der Schulen!

Sie schreiben, man sollte in den Kitas anfangen mit der Vermittlung von Medienkompetenz. Das ist gut. Aber wer soll das Wissen dort vermitteln? Es kennt sich doch niemand aus. Den Betreuern dort per Wochenend­seminar die Befähigung zu vermitteln, Medienkompetenz zu lehren, das funktioniert nicht.

Ich sehe hier in der Antwort zur Großen Anfrage in erster Linie eine Bankrotterklärung und eine Kapitulation vor dem Thema, und das 141-mal.

Dabei ist Medienkompetenz der Kern- und Knackpunkt des Verbraucherschutzes im Internet. Gesetzliche Regulierungen, erst recht auf Landesebene, haben eben nur sehr begrenzt Wirkung. Das Internet hat keine Grenzen, und das ist auch gut so.

Unserer Überzeugung nach ist der Weg der Aufklärung und Befähigung der Menschen, mit den Anforderungen der Internetnutzung umzugehen, der richtige Weg. Dies beinhaltet auch Wissensvermittlung, wie man sich am besten schützt, auch vor Betrug und Datendiebstahl.

Bei der Antwort auf die Frage 183 zum Beispiel sagt die Landesregierung, dass sie technischen Schutzlösungen, zum Beispiel datenschützenden Browser-Add-ons, skeptisch gegenübersteht, da die technisches Verständnis erfordern. Aber genau darum geht es doch bei der Vermittlung von Medienkompetenz! Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, dass Sie Wert auf die Vermittlung von Medienkompetenz legen, und auf der anderen Seite annehmen, dass die Leute damit überfordert sind, ein einfaches Browser-Add-on zu installieren. So unfähig sind die Menschen in unserem Land nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Zum zweiten Teil des Titels Ihrer Großen Anfrage – „Freiheit des Internets sichern“ – habe ich leider weder eine Frage noch eine Antwort gefunden. Hier noch mal eine klare Aussage zum Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung oder ein paar Vorschläge, wie mit der andauernden Überwachung umzugehen ist, hätte ich schon erwartet. Leider Fehlanzeige!

Ich möchte es mit der Kommentierung der Großen Anfrage an dieser Stelle bewenden lassen. Ich sehe viele Aufgaben vor uns liegen, um den Verbrauchern und letztlich allen Bürgern die Fähigkeit zu vermitteln, mit den Risiken des Internets umzugehen und die Chancen unserer digitalisierenden Gesellschaft zu nutzen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich den Dank von allen Fraktionen auch wieder mit Dank annehmen. Das mache ich sehr gerne. Ich würde ihn aber nicht nur an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses weitergeben. An der Beantwortung dieser Anfrage waren ja auch viele andere Häuser der Landesregierung – vom Europaministerium über das Innenministerium bis hin zum Justizministerium – beteiligt.

Das macht deutlich, wie vielschichtig und wie breit das Thema „Verbraucherschutz im Internet“ aufgestellt ist und aufgestellt sein muss, um wirksame Maßnahmen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Weg zu bringen.

Der Titel der Großen Anfrage macht schon deutlich, worum es geht. Die zwei großen Schwerpunkte sind zum einen der Schutz vor Gefahren – also die klassische Aufgabe des Staates, des Gemeinwesens – und zum anderen die Wahrung von Freiheitsrechten. Beides ist, glaube ich, handlungsleitend und zugleich ein Auftrag für zukünftige Anstrengungen.

Es geht nicht nur um Schutz vor kriminellen Angriffen oder strafbaren Handlungen. Häufig haben wir es mit Abzockermachenschaften zu tun, die sich am Rande der Legalität bewegen. Beispiele sind die Abo-Fallen im Internet, in die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Vergangenheit häufig getappt sind.

Herr Höne, dann ist es eben doch wichtig, hier eine gesetzgeberische Maßnahme zu treffen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich denke, mit unserer Forderung nach der Button-Lösung haben wir für Abhilfe gesorgt. So ist klar geregelt, dass ein Vertrag nur dann gültig ist, wenn genau dieses große Segment angeklickt wird. Damit ist dann für alle Seiten klar: Hier ist ein Vertrag geschlossen worden.

Die rückläufigen Beschwerdezahlen bei der Verbraucherzentrale bestätigen, dass das der richtige Weg ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine besonders ärgerliche Abzockmethode sind die missbräuchlichen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen. Es kann nicht sein, dass Verbraucherinnen und Verbraucher an den Rand des finanziellen Ruins getrieben werden, weil sie einmal einen falschen Klick im Netz gemacht haben.

Die Landesregierung hat bereits Anfang 2013 im Rahmen einer Bundesratsinitiative auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf hingewiesen. Der Bundestag hat inzwischen reagiert. Ich bin nicht sicher, ob das ausreichend ist. Ich hätte mir hier eine stringentere Lösung für die Verbraucherinnen und Verbraucher gewünscht.

Es ist von Ihnen allen schon angesprochen worden: Ich kann mich dem nur anschließen und dafür werben, dass diese breite politische Unterstützung auch dauerhaft erhalten bleibt und vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch verstärkt wird. Verbraucherschutz braucht Beratung, und Beratung braucht Menschen und Institutionen.

Ich glaube, wir können uns in Nordrhein-Westfalen jeweils wechselseitig auf die Schulter klopfen, dass wir hier eine solch gut aufgestellte Landschaft von Verbraucherzentralen haben, die auch noch weiterentwickelt wird. Drei neue Verbraucherzentralen sollen dazukommen. Was diesen Bereich angeht, sind wir bundesweit einzigartig – Verbraucherschutzland Nummer eins. Das ist auch dringend notwendig, denn es geht um gleiche Augenhöhe. Um am Markt, auch im Internet, gleichberechtigt teilnehmen zu können, ist es wichtig, dass einem Menschen zur Seite stehen, die einen beraten, wenn es schwierig wird.

„Medienkompetenz“ ist ein weiteres Stichwort, gerade unter dem Vorzeichen des demografischen Wandels. Insbesondere ältere Menschen sind vor den Gefahren im Internet nicht sicher. Sie sollen und müssen fit gemacht werden. Auch dazu hat die Landesregierung einiges auf den Weg gebracht, beispielsweise virtuelle Stammtische, mit dem Ziel, ältere Internetnutzer fit zu machen und besser vorzubereiten.

Lassen Sie mich jetzt zu dem zweiten wesentlichen Punkt kommen, der in der Großen Anfrage thematisiert wird: die Freiheit im Internet. Hier kommt es aus meiner Sicht entschieden darauf an, die eigenen Daten und damit auch die Privatsphäre jeweils wirksam zu schützen.

Zur Durchsetzung der Datenschutzrechte brauchen Verbraucherinnen und Verbraucher starke Partner an ihrer Seite. Deshalb – das wäre vielleicht auch eine gemeinsame Initiative, die aus dem Landtag unterstützt werden könnte – begrüße ich die Ankündigung des neuen Verbraucherministers auf Bundesebene, Herrn Maas, Verbraucherverbänden zukünftig ein umfassendes Klagerecht bei Verstößen gegen Datenschutzvorschriften einzuräumen.

Hier wird gleiche Augenhöhe hergestellt. Ich bin gespannt auf den Regierungsentwurf, der für April 2014 angekündigt ist. Das wäre die nächste Gelegenheit, das, was in der Großen Anfrage thematisiert worden ist, in der Praxis umzusetzen und zu unterstützen.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu der Diskussion um den Breitbandausbau, der im Hinblick auf die Notwendigkeit wohl von keinem hier im Saal bestritten wird.

Allerdings muss ich wiederholt die Frage zurückgeben: Wie soll es denn bezahlt werden? Es ist eine keine Landesaufgabe; es ist eine freiwillige Aufgabe.

Damit sind Sie heute Morgen schon bei der Inklusion aufgefallen: Sie fordern mehr Ausgaben, sie fordern mehr Geld, ohne zu sagen, wo das Geld herkommen soll. Wir haben nicht das Portefeuille, das andere Bundesländer, beispielsweise Bayern, an dieser Stelle öffnen können.

Zur Ehrlichkeit, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, gehört auch, auf die eigenen Versäumnisse in diesem Zusammenhang hinzuweisen. 2009 gab es in diesem Land nämlich die Gelegenheit, über die Benennung von weißen Flecken in Sachen LTE-Ausbau den Breitbandausbau so zu lenken, dass erst der ländliche Raum zum Zuge kommt und danach die Städte. Das haben Sie versäumt, denn Sie haben die weißen Flecken nicht gemeldet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sei‘s drum, aber das gehört zur Wahrheit, wenn wir darüber reden, wie wir das Ganze in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen.

Man kann in der Tat darüber reden und muss es vielleicht auch tun, ob wir hier zusätzliches Geld in die Hand nehmen müssen, um eine Infrastrukturinvestition auf den Weg zu bringen, deren Notwendigkeit wohl keiner bestreitet.

In diesem Sinne: Danke für die Anregungen! Ich hoffe auf fruchtbare Erledigung der Tagesordnung, die mit der Großen Anfrage auch noch um verschiedene Punkte erweitert worden ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Nun spricht für die SPD-Fraktion die Kollegin Steinmann.

Lisa Steinmann*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen hier im Saal und hoffentlich noch im Stream! Denn um Sie alle geht es.

Es ist vieles gesagt worden; die Frage ist, was bleibt. Doch im Verlauf der Debatte sind mir noch einige Punkte aufgestoßen, zu denen ich als Medienpolitikerin noch den zweiten Begriff, nämlich das Thema „Verbraucherschutz im Internet“, nach vorne bringen und auch die Perspektive aus dem zweiten Haus, das diese Anfrage im Wesentlichen inhaltlich mitverantwortet, beleuchten möchte.

Zunächst auch von meiner Seite herzlichen Dank an die Landesregierung! Die Antwort auf die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen – Matthi Bolte hat es beschrieben – stellt die Vielfalt der Institutionen dar, die an dem Thema „Verbraucherschutz“ arbeiten und forschen und zeigt auf, wie unterschiedlich die Herausforderungen in puncto Medienkompetenz sind. Sie geben uns mit Ihrer Antwort einen Überblick. Vor allem erkennen Sie den Stellenwert von Netzpolitik im politischen Kontext und auch die Relevanz in allen Bereichen an: in puncto Verbraucherschutz genauso wie in puncto Bildung usw.

Meine Kollegin Inge Blask hat bereits einige Facetten und die besonderen Herausforderungen aus Sicht der Verbraucherschützerinnen genannt, den Kaufbutton, das Mobile Payment, E-Commerce.

Kurzum, Herr Remmel: Die Förderung von Verbraucherzentralen und das geplante Mehr an Beratungsstellen sind gut und wichtig. NRW ist in diesem Punkt gut aufgestellt.

Als Medienpolitikerin möchte ich aber noch kurz ergänzen: Dem Schutz der Anwender ist vor allen Dingen zur Seite zu stellen die Ausbildung und Stärkung der Medienkompetenz. Frau Schulze Föcking ruft nach Eigenverantwortlichkeit. Nur, die Eigenverantwortlichkeit bedarf auch einer Grundvoraussetzung, nämlich der Kompetenz, des Verständnisses.

Die Förderung und der Ausbau medienpädagogischer Projekte sind Grundlage. Wir wollen diese flächendeckend vorantreiben. Denn auch das Internet kennt nicht die Unterscheidung zwischen Großstadt und ländlichem Raum und bietet eigentlich gerade auch hier große Chancen.

Wenn Sie, Herr Höne und Frau Schulze Föcking, von dem Breitband­ausbau sprechen: Da sind wir, glaube ich, ganz nahe beieinander; da wünschen wir uns mehr. Aber ob die Phishing-Mail sie im Breitband oder auf langsamem Wege erreicht: Der Radar ist für alle Beteiligten und alle Opfer gleichwohl zielführend.

In puncto Medienkompetenz noch eine Ergänzung zu den Ausführungen von Matthi Bolte, der betont hat: Die Ausbildung der Medienkompetenz betrifft alle Generationen; Kinder und Jugend müssen hier gefördert werden; auch die Eltern müssen mit ihren Ängsten aufgefangen werden und die Generation U 50. Wichtig ist aber auch, den Zugang zu Medien und die Befähigung im Umgang mit Medien unabhängig zu sehen von sozialer Stellung.

Die Pluspunkte der Landesregierung für die eigene Arbeit sind uns aufgefallen, das Bekenntnis, alle Daten und Informationen, die für den Verbraucher relevant sind, nach Open-Data-Kriterien zu veröffentlichen und dabei vor allem die technischen Anwendungen und Lizenzen zu nutzen, die zur Weiterverwendung dienlich sind. Das ist Teil unserer Open-Government-Strategie für mehr Mitbestimmung und Nachvollziehbarkeit.

Meine Damen und Herren, wir haben zahlreiche Elemente geschaffen, mit denen wir NRW bedeutsam machen. Hier sei noch mal der Medienpass genannt, aber auch die Vernetzung und Erforschung des Themas am Beispiel Medienkompetenz und dort die Zusammenarbeit von LfM und Grimme.

Meine Damen und Herren, ich denke, ich muss dem nicht viel hinzufügen. Die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen gibt uns meines Erachtens einen guten Überblick und gutes Futter, aus dem wir noch zahlreiche parlamentarische Initiativen ableiten können. Das heißt, das Thema „Netzpolitik“ als Querschnittsaufgabe wird uns weiterhin maßgeblich treiben und antreiben.

Ein frohes und buntes Treiben wünsche ich Ihnen für die nächsten zwei Wochen, der sitzungsfreien Zeit: mit ein bisschen Helau und viel Alaaf. In diesem Sinne ein schönes Wochenende und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Steinmann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Thorsten Schick.

Thorsten Schick*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage enthält durchaus einige Informationen, die für unsere Arbeit wichtig sind. Allerdings werden andere Themen nur gestreift oder spielen eine untergeordnete Rolle, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher aber von großer Bedeutung sind.

Ich nenne hier den Bereich „Big Data“. Hier werden Daten analysiert, ausgewertet und gespeichert. Nur um diese Dimension einmal deutlich zu machen: Heute werden alle zehn Minuten so viele Daten gespeichert, wie sie die gesamte Menschheit im Laufe ihrer Geschichte bis in die 80er- Jahre hinein aufgezeichnet hat.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Datenmengen entstehen nicht durch unsere E-Mails, Fotos oder sonstigen Daten, die wir produzieren, sondern sie entstehen durch die Datensammlungen von Suchmaschinen von Versicherungen oder Behörden, die Daten aufarbeiten und sammeln.

Dieser Trend ist nicht aufzuhalten. Daten sind einer der wichtigsten Rohstoffe der Zukunft. So sehen es zumindest viele Unternehmen, die sich davon attraktive Geschäftsfelder erhoffen. Was mich immer ein bisschen betroffen macht, ist die Goldgräberstimmung, die da auszubrechen scheint. Goldgräberstimmung steht nicht unbedingt für hohe Moral. Deshalb sind wir hier besonders gefordert. Wichtig ist, immer deutlich zu machen, welche Chancen und welche Risiken mit dem Sammeln von Daten verbunden sind.

Wenn man sich anschaut, was in England und den USA beispielsweise beim Thema „Innere Sicherheit“ passiert, dann stellt man fest, dass dort Daten gesammelt und analysiert werden. Mithilfe von Logarithmen kann man dann ausrechnen, zu welchem Zeitpunkt eine bestimmte Straftat an einem bestimmten Ort hoch wahrscheinlich ist. In Memphis und Manchester werden Polizeieinsätze längst nach diesem Verfahren koordiniert. Die Resultate sind bestechend. Die Aufklärungsquote geht rauf, die Quote der Straftaten geht runter.

Ein weiterer positiver Effekt lässt sich für den Bereich der Medizin erkennen. Wenn über einen längeren Zeitraum Gesundheitsdaten kontinuierlich eingespeist und hinterher ausgewertet werden, ist schon lange Zeit im Voraus erkennbar, welche gesundheitlichen Risiken in einigen Jahren auftreten.

Aber ich sagte, es gibt genauso gut Risiken. Wir müssen uns nur das Beispiel der SCHUFA vor Augen führen. Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Ausfall eines Kredites und der Nachfrage einer bestimmten Person nach der eigenen SCHUFA-Auskunft.

Das ist zwar valide. Andererseits hat aber jede Person das Recht, eine Schufa-Auskunft über sich einzuholen. Wenn das hinterher dazu führt, dass die eigene Bewertung bei der Schufa sinkt und in der Folge Kredite für diese Person teurer werden, dann ist das ein Missstand, den ich anprangern möchte.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Wir können uns die Risiken natürlich immer wieder vor Augen führen. Dem Sammeln von Daten können wir aber nur begrenzt Einhalt gebieten. Selbstverständlich ist Google in der Lage, allein anhand unseres Tippverhaltens festzustellen, ob wir gerade sitzen, gehen oder beispielsweise im Bett liegen. Die entsprechenden Logarithmen liefern dafür zuverlässige Wahrscheinlichkeiten. Auch Tippgeschwindigkeit und Tippfehler liefern sehr viele Informationen über die Verbraucher.

Fazit: Wir können den Trend nicht aufhalten. Deshalb müssen wir rechtliche Rahmenbedingungen setzen.

Ich habe gerade die Chancen angesprochen. Herr Remmel, jetzt komme ich zu dem Punkt, den Sie gerade wegzuwischen versucht haben. Ich kann Sie da aber nicht aus der Verantwortung entlassen. Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass alle Menschen entsprechend schnell angebunden sind. Das gilt gerade für den ländlichen und den kleinstädtischen Bereich.

(Beifall von der CDU)

Herr Remmel, Sie haben die Frage gestellt, was wir tun würden. Piraten, FDP und CDU haben den Antrag gestellt, EFRE-Mittel dort für den Breitbandausbau zu verwenden. Diesen Antrag haben die Fraktionen von SPD und Grünen abgelehnt. Insofern liegen hier doch entsprechende Vorschläge vor.

Ich sage Ihnen noch ein Zweites, Herr Remmel. Sie brauchen einen entsprechenden Masterplan. In anderen Bundesländern gibt es so etwas. Dort existieren Pläne, wie man Leerrohre verlegt. Ferner gibt es dort ein Aufbruchmanagement. Alles das müssen Sie noch leisten. Das tun Sie nicht. Man kann Geld haben und dann den Breitbandausbau voranbringen. Man kann aber auch Ideen haben. Das Schlimme ist, dass Sie weder Geld noch Ideen haben. Deswegen stockt es an dieser Stelle ganz gewaltig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben hier den Hinweis auf LTE für den ländlichen Raum gegeben. Das mag für eine Übergangszeit eine ganz charmante Lösung sein. Jedem ist aber bekannt, dass LTE auf Dauer nicht die Datenvolumina in den ländlichen Raum bringen wird, die dort abgerufen werden.

Von dieser Warte aus ist das Thema „Breitbandausbau“ ein ganz dicker Bock, den Sie in Ihrer politischen Arbeit geschossen haben.

Ich nenne Ihnen noch einen weiteren Punkt. In der Beantwortung der Großen Anfrage wird breit ausgeführt, was die Landesanstalt für Medien alles an Medienkompetenzprojekten und an Aufklärungsarbeit für eine sichere und kompetente Nutzung des Internets leistet. Gleichzeitig wird heute darüber diskutiert, dass die Landesregierung den Griff in die Kasse der Landesanstalt für Medien plant. 1,6 Millionen € sollen dort für ein Stiftungsprojekt herausgenommen werden und dann der LfM nicht mehr zur Verfügung stehen.

Insofern hätte ich gerne gewusst: Wie stehen Sie denn zu diesem Stiftungsprojekt? Schließlich stehen diese Gelder hinterher nicht mehr für einzelne Projekte zur Verfügung, um etwa die Medienkompetenz von Jugendlichen und anderen Menschen zu fördern.

Das bedeutet zum Beispiel weniger Geld für die Initiative Eltern+Medien. Diese Initiative hat in der Vergangenheit kostenfreie Elternabende organisiert, an denen Eltern teilnehmen, die unsicher sind, was ihre Kinder im Internet machen, und dann unter fachlicher Beratung erfahren, wie sie sich verhalten können. Das ist in Zukunft infrage gestellt. Genauso sind das Projekt Medienscouts NRW und das Medienkompetenz-Netzwerk NRW infrage gestellt.

Auch bei den Publikationen, die die LfM bisher in großem Maße herausgegeben hat, ist fraglich, ob sie weiter in dieser Form aufgelegt werden können. Das sind Publikationen wie „Das Netz vergisst nichts!“ oder die Infos zum Datenschutz für Jugendliche.

Daher bin ich der Fraktion der Grünen dankbar dafür, dass sie diese Große Anfrage gestellt hat; denn es wird klar, dass die digitale Entwicklung unter Ihnen als Verbraucherschutzminister in denkbar schlechten Händen ist. Diese Diskussion hat meines Erachtens deutlich gemacht, dass Ihre Achillesferse dort offenliegt und Sie ganz dringend nacharbeiten müssen. Das haben die Verbraucher in Nordrhein-Westfalen verdient.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schick. – Nun spricht für die grüne Fraktion noch einmal Herr Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Inhaltlich haben wir unterschiedliche Punkte ausgetauscht. Was mich jedoch dazu bewogen hat, hier noch einmal nach vorne zu gehen, war die Einlassung des Kollegen Herrmann nach dem Motto: In dem Moment, in dem man einer regierungstragenden Fraktion angehört, darf man hier keine Anfragen stellen. – Kollege Herrmann, ich frage mich wirklich: Was um alles in der Welt ist das für ein Parlamentsverständnis?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich gebe doch nicht meine Parlamentarierrechte in dem Moment ab, in dem Regierungsmitglieder meiner Partei angehören. Also wirklich! Das kann man im Übrigen bei allen Philosophen nachlesen, die sich mit Gewaltenteilung beschäftigt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich jetzt doch noch einige inhaltliche Anmerkungen machen.

Kollege Höne, Sie haben uns unterstellt, ein pessimistisches Verbraucherbild zu haben, und bemängelt, dass wir den Verbraucher oder die Verbraucherin als schutzbedürftig ansehen. Ja, meine Güte! Deswegen heißt das doch auch Verbraucherschutz. Schauen Sie sich einmal an, was wir in Befähigung, in Aufklärung und in Kompetenzmaßnahmen investieren. Das ist eine ganze Menge. Es ist doch keine Bevormundung, wenn ich Menschen fit im Umgang mit Medien mache. Meine Güte!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das Thema „Breitband“ wurde gerade auch vom Kollegen Höne von der FDP angesprochen. Wer über Breitband spricht, sollte über Netzneutralität nicht schweigen. Ich erinnere auch an das, was Sie in der Bundesregierung gemacht haben, als Sie versucht haben, die Drosselkom nachträglich zu legalisieren. Das ging auch überhaupt nicht. Daher sollten Sie sich an dieser Stelle nicht beschweren.

Wenn Frau Schulze Föcking sich hier für die europäische Datenschutzreform ausspricht, finde ich das wunderbar. Sie sollten das auch einmal Frau Merkel erzählen, die da seit Monaten und Jahren auf der Bremse steht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Antwort auf die Große Anfrage und auch in der hier geführten Debatte ist deutlich geworden, dass wirksamer Verbraucherschutz mehrere Dimensionen hat, nämlich Schutz vor Gefahren, Wahrung von Freiheitsrechten im Internet und Befähigung der Menschen. Genau das passiert hier im Land. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bolte. – Nun spricht für die Piratenfraktion noch einmal Herr Herrmann.

Frank Herrmann PIRATEN): Vielen Dank! – Herr Bolte, das kann ich so natürlich nicht stehen lassen. Natürlich dürfen Sie Kleine und Große Anfragen stellen. Keine Frage!

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Danke schön!)

Ich wollte nur darauf hinweisen: Wenn man den Regierungspartner befragt, muss man natürlich ganz genau auf die Antworten schauen, die dazu kommen. Das werden wir in weiteren Beratungen sicherlich noch tun.

Zur Medienkompetenz will ich noch einmal einen Punkt zitieren, weil herausgestellt worden ist, dass Sie auf diesem Gebiet viel tun und viel gemacht haben.

Die Nummer der Frage habe ich gerade nicht, aber es steht auf Seite 118: Es geht um das Thema „Medienkompetenzvermittlung im Lehrplan“. Es steht dort unter e) Gymnasiale Oberstufe/Sozialwissen-schaften:

„Die Schülerinnen und Schüler erläutern fallbezogen die Funktion der Medien in der Demokratie“.

Ich sage Ihnen: Das ist ganz großes Kino für Medienkompetenzvermittlung im Jahr 2014. Das hatte ich damals auch schon in der Schule. Das ist eine ganze Zeit her.

Ich glaube, wir sind weit davon entfernt, die digitale Welt irgendwie in den Lehrplänen abzubilden. Dazu müssen wir noch viel tun. Wir haben das gemacht und eine Bildungsoffensive 2020 beantragt, bei der wir viel in diese Richtung fordern. Damit werden wir uns in den nächsten Monaten beschäftigen.

Ich hatte es eben bereits gesagt: Wir freuen uns darauf, die Antworten weiter auseinanderzunehmen und werden die Aufgaben angehen. – Danke. Tschüss.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren Abgeordnete! Die Debatte heute hat es gezeigt: Das Thema ist sehr aktuell. Erst in der vergangenen Woche hat der Deutsche Bundestag wieder intensiv über Chancen und Risiken des Internets diskutiert, als er die Einsetzung des Ausschusses „Digitale Agenda“ beschlossen hat.

Netzpolitik ist in der Mitte des Parlaments angekommen, wie der Abgeordnete Lars Klingbeil sagte. Die Diskussion vor einer Woche machte noch einmal deutlich: Die Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche. Täglich wird über neue Facetten berichtet. Perspektivisch kann es deshalb nicht ausreichen, nur tagesaktuell zu reagieren, sondern es muss Plattformen und Initiativen geben, um die digitale Welt proaktiv einen Schritt vorauszudenken.

Meine Damen und Herren, die vorliegende Antwort zeigt die Rollenvielfalt, in der einzelne am Internet teilnehmen: als Konsumenten, Privatleute, Verbraucherinnen und Verbraucher, als Bürgerinnen und Bürger, als Mütter und Väter, als Lernende und Lehrende, als Arbeitnehmer und Gründer.

In den letzten Wochen und Monaten wurden schon viele intensive Debatten im Kontext von Datenschutz und IT-Sicherheit geführt. Ich möchte heute einige Aspekte aus dem großen Strauß von Themen aufgreifen, in denen wir in Nordrhein-Westfalen schon unterwegs sind.

Erstens. Netzneutralität: Über dieses netzpolitische Top-Thema wurde bereits im Ausschuss für Kultur und Medien, aber auch im Wirtschaftsausschuss intensiv diskutiert. Die Rundfunkkommission der Länder hat das Thema ebenfalls auf ihrer Agenda, da Medienvielfalt auch zukünftig unabhängig von Übertragungswegen gewährleistet sein muss. Damit leisten wir in und durch NRW einen wichtigen Beitrag, dieses kontrovers diskutierte und komplizierte Thema voranzubringen. Ich bin sehr froh, dass sich die Koalitionspartner im Bund für eine verbindliche Verankerung der Netzneutralität im Telekommunikationsgesetz aussprechen, ebenso wie wir in Nordrhein-Westfalen dies bereits 2012 in unserem Koalitionsvertrag getan haben.

Zweitens. Internationalität: Das Internet kennt keine Grenzen. Als Europa-Ministerin interessieren mich die Aspekte der Internationalität des Internets und die Suche nach dem richtigen Ort, Maß und Zusammenspiel von Regelungen natürlich ganz besonders. Wir müssen uns dabei mit europäischen Grundsatzüberlegungen auseinandersetzen, zum Beispiel mit der brandaktuellen Mitteilung der Kommission „Internetpolitik und Internet-Governance – Europas Rolle bei der Mitgestaltung der Internet-Governance“. Wir sollten schauen, was wir im Umgang mit dem Netz von unseren europäischen Nachbarn lernen können.

Drittens. Ja, Medienkompetenz: Dass Sie diesen Begriff hunderteinundvierzigmal in der Antwort auf die Große Anfrage finden, zeugt davon, wie wichtig uns das Thema ist. Hier gibt die Antwort auf die Große Anfrage in der Tat einen breiten Überblick über die Informations- und Beratungsmöglichkeiten sowie die wichtigen Aktivitäten der LfM und des Grimme-Instituts.

Richtig ist: Vieles wäre darüber hinaus sinnvoll und auch wünschenswert. Aber hier zu behaupten, dass in Zukunft Maßnahmen beschnitten werden, ist völliger Unsinn, weil die Zusammenarbeit von LfM und Grimme verstärkt wird. Herr Schick, einfach in den Raum zu stellen, dass Angebote verschwinden werden…

(Zuruf von Thorsten Schick [CDU])

– “Können“, aha! Das haben Sie vorhin aber nicht gesagt. Das möchte ich hier feststellen.

Übrigens: Sie haben noch einmal die Stiftung angesprochen. Medienkompetenz ist nicht nur eine Frage der Nutzer, sondern es ist auch eine Frage der Produzenten von Inhalten. Insofern müssen wir auch dort auf der Höhe der Zeit sein.

Ich freue mich, dass in Kooperation mit dem Landtag im November erneut der „Tag der Medienkompetenz“ stattfindet. Er wird übrigens vom Grimme-Institut durchgeführt.

Meine Damen und Herren, jede und jeder einzelne muss sich im Laufe seines Lebens mit immer neuen Fragen auseinandersetzen. Das fängt in der Schule an. Dort haben wir den Medienpass installiert. Wir tun also auch dort etwas. Auch die Landesregierung ist hier gefordert.

In der gesamten Digitalpolitik geht es nicht nur darum, einmal Fragen zu erkennen und Antworten zu finden, es ist vielmehr wichtig, die digitale Gesellschaft und sich daraus ergebende Veränderungen als Normalität zu akzeptieren, aufmerksam technische, gesellschaftliche und rechtliche Entwicklungen zu verfolgen, in völlig unterschiedlichen Bereichen Positionen und Lösungen zu erarbeiten sowie auf neuen oder veränderten Handlungsbedarf zu reagieren und dies kontinuierlich und abgestimmt.

In diese Debatte werde ich als Medienministerin mich auch zukünftig intensiv einbringen, genau wie


die Kolleginnen und Kollegen die Aktivitäten in ihren Bereichen voranbringen werden.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen:

Erstens. Wir in Nordrhein-Westfalen haben erkannt, dass die Digitalisierung einen grundlegenden Wandel und damit vielfältige Veränderungen ausgelöst hat.

Zweitens. Wir in Nordrhein-Westfalen haben unter anderem mit der LfM und Grimme die Institutionen, die sich diesen Herausforderungen und Fragen stellen können, und zwar State of the Art.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Oh!)

Drittens. Wir in Nordrhein-Westfalen arbeiten fortwährend und konsequent an den Instrumenten zur Bewältigung der digitalen Herausforderungen. Wir machen das gerne und mit Ihnen gemeinsam, so wie zum „Tag der Medienkompetenz“ im Landtag.

Ich freue mich auf den weiteren Diskurs. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und auch von mir ein schönes Wochenende.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren. – Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit schließe ich die Aussprache und stelle fest: Die Große Anfrage 8 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist erledigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor Sie jetzt alle aufbrechen, möchte ich zu einer kurzen persönlichen Erklärung ansetzen, die sich nicht auf mich bezieht, sondern auf einen lang gedienten Kollegen von uns, der dem Landtag über viele, viele Jahrzehnte – so kann man es sagen – gedient hat. Er hat heute insofern einen ganz besonderen Tag, weil es sein letzter Plenartag ist, zumindest in der aktiven beruflichen Zeit. – Möglicherweise kommen Sie ja noch mal gucken, Herr Dr. Gärtner. Ein paar Plätze sind immer mal wieder frei.

Ich möchte Ihnen, Herr Dr. Gärtner, im Namen des Hohen Hauses gerne danken für die Tatsache, dass Sie nunmehr seit 1982 und damit mehr als drei Jahrzehnten der Landtagsverwaltung und damit den Abgeordneten des Hohen Hauses gedient haben. Ich glaube, es ist eine lange Zeit, die Sie überblicken, nicht nur weil Sie aus dem alten Landtag mit in den neuen gezogen sind. Eben wurde mal gesagt: Das Internet vergisst nichts. Da ging mir durch den Kopf: Wenn Sie Herrn Dr. Gärtner etwas fragen, er hat auch nichts vergessen.

(Heiterkeit)

Mindestens so viel wie das Internet weiß er ohnehin, über den Landtag wahrscheinlich mehr als das Internet, vor allen Dingen über die vielen Kleinigkeiten, die im Hohen Hause stattgefunden haben. Eine lange Zeit, mehr als acht Legislaturperioden – davon träumen ja manche.

(Heiterkeit und Beifall)

Herr Dr. Gärtner, so lange haben Sie den Landtag begleitet. Im Namen des Hohen Hauses möchte ich Ihnen ausdrücklich unseren Dank aussprechen.

(Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen.)

Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute. Bleiben Sie uns erhalten mit der Arbeit, die Sie noch für uns leisten werden. Ich freue mich auch persönlich, dass ich das heute sagen durfte. – Herzlichen Dank.

(Langanhaltender Beifall)

Vielen Dank, auch für die freundliche Geste, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 26. März 2014, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen eine engagierte, arbeitsreiche und erlebnisreiche sitzungsfreie Zeit und einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:49 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

 

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.