31. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 15. Mai 2013
1 Kein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2932
2 Anerkennungsgesetz Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1188
Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2975
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2978
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/2903
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2902
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2886
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2957
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
4 Keine Erdgasförderung mit der Hydraulic-Fracturing-Methode (Fracking)
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2893
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2958
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2962
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
5 Dienstleistungen im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit müssen umsatzsteuerfrei bleiben
Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2900 – Neudruck
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2959
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2883
7 Neuntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2897
Eilantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2933
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE)
des
Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
der
Abgeordneten
Ingola Schmitz (FDP) und
Josef Wirtz (CDU)
des
Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)
Beantwortung
in der
nächsten Fragestunde
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2880
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
11 Dienstrechtsanpassungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1625 – Neudruck
Änderungsanträge
der Fraktion der PIRATEN
Drucksachen 16/2948 und 16/2949
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2960
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/2904
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2950
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2961
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2979
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2899
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2884
14 Bestehende Steuergesetze durchsetzen, Anreizsysteme schaffen, Steuerschlupflöcher schließen
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2890
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
15 Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2723
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2894
Christina Schulze Föcking (CDU)
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2885
Reden zu
Protokoll
(siehe Anlage 1)
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2625
Auf die
nächste
Plenarwoche vertagt.
20 Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zum Zensusgesetz 2011
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2255
Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 16/2906
Reden zu
Protokoll
(siehe Anlage 2)
Antrag
des Finanzministeriums
gemäß § 64 Abs. 2 LHO
Vorlage 16/849
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/2901
22 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Beirats der NRW.BANK
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2907
23 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II und Wahl des Vorsitzenden
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2908
24 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE)
Entschuldigt waren:
Minister Garrelt Duin
(ab 17:00 Uhr)
Ministerin
Sylvia Löhrmann
(17:00 Uhr bis 19:30 Uhr)
Ministerin
Dr. Angelica Schwall-Düren
(ab 15:30 Uhr)
Brigitte D’moch-Schweren (SPD)
Eva Lux (SPD)
Thomas Kufen (CDU)
(bis 12:45 Uhr)
Henning Rehbaum (CDU)
Andrea Asch (GRÜNE)
(ab 18:30 Uhr)
Horst Becker (GRÜNE)
Beginn: 10:04 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der 31. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Unser gemeinsamer Gruß gilt wie immer auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich vier Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Wir haben wieder die angenehme Pflicht, heute zwei Geburtstagskindern unter uns zu gratulieren. Zum einen feiert Frau Kollegin Regina van Dinther aus der CDU-Fraktion ihren Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin!
(Allgemeiner Beifall)
In den Reihen der SPD-Fraktion feiert Herr Kollege Manfred Krick heute seinen Geburtstag. Auch Ihnen ganz herzliche Glückwünsche!
(Allgemeiner Beifall)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich gerne mitteilen, dass die Fraktion der Piraten mit Schreiben vom 15. Mai 2013 beantragt hat, die Tagesordnung der heutigen Sitzung um einen neuen ersten Tagesordnungspunkt zu ergänzen. Der Titel dieses Punktes soll lauten: „‚Achtung!!‘-serfolg für Panik-Minister Jäger: Bestandsdatenauskunft mit Horrorszenarien durchgedrückt“.
Nach § 19 Abs. 2 kann der Landtag vor Eintritt in die Tagesordnung beschließen, diese zu ergänzen. Frau Pieper, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Piratenfraktion, hat sich gemeldet, um den Geschäftsordnungsantrag zu begründen. Bitte schön, Frau Pieper.
(Unruhe)
– Soll es jemand anderes machen? – Herr Kollege Marsching. Das war uns falsch übermittelt worden. Aber das ist überhaupt kein Problem. Herr Kollege Marsching, bitte schön.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer hier und zu Hause! Im Namen der Piratenfraktion beantrage ich nach § 19 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen die Einführung eines neuen ersten Tagesordnungspunkts für die heutige Sitzung mit dem Titel „‚Achtung!!‘-serfolg für Panik-Minister Jäger – Bestandsdatenauskunft mit Horrorszenarien durchgedrückt“.
Vor zwei Wochen hat der Bundesrat die Bestandsdatenauskunft durchgewinkt. Damit können Behörden ohne wirkliche Hürden schon bei Ordnungswidrigkeiten sehr persönliche Daten wie PINs und PUKs von Handys oder Passwörter von E-Mail-Accounts, Facebook, Twitter usw. unkontrollierbar über eine elektronische Schnittstelle abfragen.
Im Laufe der letzten zwei Tage mussten wir erfahren, mit welchen Methoden Innenminister Jäger diese Mehrheit organisiert hat. Mit mehrfachem Warnruf „Achtung!!“ – zwei Ausrufezeichen – wurden schreckliche Szenarien an die Wand gemalt, die einträten, würde dieses Gesetz blockiert. Freiheitsliebende Menschen bringt es zum Würgen, mit welchen Argumenten hier Stimmung gemacht wurde.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich zitiere:
„Suizid und Amokdrohungen können nicht mehr wirksam aufgeklärt werden. Die Internetaufklärung bei den Islamisten und anderen Terroristen ist ebenso wie Kinderpornografie nicht mehr möglich.“
(Angela Lück [SPD]: Zur Geschäftsordnung! – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Das Innenministerium hat sich inzwischen für die Formulierung entschuldigt, den Vorgang somit eingeräumt. Dabei müsste der Herr Minister die Zahlen am besten kennen. 2011 wurden ganze 20 Maßnahmen im Bereich des dokumentierten Missbrauchs von Kindern durchgeführt – Sie nennen das euphemistisch „Kinderpornografie“ –, 54 Überwachungen zum Thema „Gefährdung der Sicherheit“, aber 6.600 im Bereich Drogenbesitz und -handel. Die meisten davon wären in Nordrhein-Westfalen Bagatelldelikte.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Marsching, darf ich Sie einen kleinen Moment unterbrechen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, dem Kollegen zuzuhören. Herr Kollege Marsching, Sie bitte ich, darauf zu achten, dass wir uns in einer Geschäftsordnungsdebatte befinden und dass Sie einen Antrag auf Aufsetzen eines Tagesordnungspunktes begründen und nicht schon in die inhaltliche Debatte einsteigen dürfen.
(Beifall von der SPD)
Michele Marsching (PIRATEN): Ich komme jetzt dazu.
Wir finden diesen Vorgang einfach ungeheuerlich. Wir wollen dem Minister mit dem neuen Tagesordnungspunkt die Möglichkeit geben, dem Parlament die Hintergründe für sein Handeln zu erläutern. Wir wollen von Herrn Minister Jäger erfahren, wieso er mit gezielten Falschinformationen und aufgebauschten Schreckensszenarien um sich wirft.
Wir bitten daher, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu nehmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Es hat sich Herr Kollege Herter aus der SPD-Fraktion gemeldet.
Marc Herter (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Marsching, Effekthascherei: Das ist das am ehesten dazu passende Wort.
(Robert Stein [PIRATEN]: Ja, das hat Herr Jäger gesagt: Effekthascherei!)
– Ja, genau, Herr Stein, Sie auch. – Effekthascherei ist das Wort, das dazu passt. Sie haben das auch dadurch deutlich gemacht, dass Sie gerade nicht zur Tagesordnung und zur Geschäftsordnung gesprochen haben, sondern meinten, Ihren dünnen Antrag hier auch noch inhaltlich darlegen zu müssen.
„Achtung“ ist übrigens ein gutes Stichwort: Achtung gegenüber unseren gemeinsamen Vereinbarungen zur Geschäftsordnung.
Der gesamte Vorgang war vor zwei Wochen im Bundesrat. Dazwischen liegt die Antragsfrist. Wäre Ihnen diese Angelegenheit so wichtig gewesen, Herr Marsching, hätte nichts dagegen gesprochen, einen ordentlichen Antrag in den Landtag einzubringen
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wir hätten eine Aktuelle Stunde beantragt! Die haben Sie aber abgelehnt!)
und das hier entsprechend zum Thema zu machen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Aber nein, so wichtig war das nicht.
Dann haben Sie noch eine Frist verpasst. An einer Stelle hätten Sie nämlich noch einen Eilantrag einbringen können. Das haben Sie wiederum verpennt.
(Zurufe von Torsten Sommer [PIRATEN] und Robert Stein [PIRATEN])
Jetzt wollen Sie das Parlament dazu nötigen, diese Versäumnisse, die allein in der Piratenfraktion liegen, …
Präsidentin Carina Gödecke: Ich bitte auch …
Marc Herter (SPD): … wieder geradezurücken. Das machen wir nicht mit.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Die Meldung ist von Montag! Das ist Ihnen klar, oder?)
Deshalb bitte ich das Hohe Haus, diesen Geschäftsordnungsantrag abzulehnen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.
Dann können wir jetzt über den Antrag der Piraten, einen zusätzlichen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, große Teile der CDU und FDP. Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Antrag der Piraten mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt. Damit bleibt es bei der Ihnen vorliegenden Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten können, habe ich aufgrund der Ereignisse in der letzten Plenarsitzung wieder eine nichtförmliche Rüge auszusprechen. Sie richtet sich an und gegen den Abgeordneten Stefan Zimkeit aus der SPD-Fraktion.
(Zurufe)
– Darf ich, bevor Sie darauf reagieren, vielleicht erst sagen, worum es geht?
Im Nachgang zu der letzten, der 30. Plenarsitzung am 30. April 2013 muss ich jetzt noch eine nichtförmliche Rüge aussprechen. Wie gesagt, sie betrifft Herrn Kollegen Stefan Zimkeit aus der Fraktion der SPD. Herr Zimkeit hat sich in der Plenarsitzung mit einem Zwischenruf während der Rede des Herrn Abgeordneten Oliver Wittke, CDU-Fraktion, zu dem einzigen Tagesordnungspunkt „Neue Entwicklungen beim Opel-Standort Bochum – Unterrichtung durch die Landesregierung“ unparlamentarisch verhalten. Die in der Sitzung verwendete Formulierung werde ich nicht öffentlich wiederholen – so wie ich das auch in Zukunft nicht tun werde. Der angesprochene Kollege weiß jetzt auch, was gemeint ist. Herr Kollege Zimkeit, ich ermahne Sie, derartige Ausdrücke zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen Sie im Wiederholungsfall mit einer förmlichen Rüge rechnen.
Jetzt steigen wir in heutige Tagesordnung ein.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
Aktuelle
Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2932
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 13. Mai 2013 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden FDP-Fraktion Herrn Kollegen Rasche das Wort.
Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde hat zwei Dimensionen.
Zum einen geht es um die verkehrspolitische Frage eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen: Sind 120 km/h ein geeignetes Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit oder ein wirksamer Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz?
Zum anderen fragen sich die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen nach dem Chaos in der SPD in der vergangenen Woche:
(Jochen Ott [SPD]: Das ist doch lächerlich!)
Wer steuert denn die SPD, lieber Herr Ott? Und in welche Richtung wird die SPD gesteuert? Oder sitzen vielleicht sogar die Grünen in der Verkehrspolitik am Steuer der SPD? Auch in Nordrhein-Westfalen hatte man manchmal diesen Eindruck.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, auf sensiblen, unfallgefährdeten Autobahnabschnitten besteht bereits heute ein Tempolimit. Knapp die Hälfte des deutschen Autobahnnetzes ist dauerhaft oder temporär geschwindigkeitsbeschränkt. Insbesondere haben sich dynamische/elektronische Verkehrssicherheits- und Leitsysteme bewährt, die auf Witterung und erhöhten Verkehr reagieren. Ein starres Tempolimit ist dagegen nicht geeignet, die Verkehrssicherheit in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen zu erhöhen.
Die Autobahnen sind die mit Abstand sichersten Straßen in Deutschland. Die deutschen Autobahnen sind die mit Abstand sichersten in der Welt. Nur 2 % der Unfälle mit Personenschaden in Deutschland haben ihre Ursache in einer unangepassten Geschwindigkeit auf Autobahnen. Nur 2 %! Die meisten Unfälle ereignen sich auf Autobahnen bei Fahrgeschwindigkeiten unterhalb von 120 km/h.
Ein Zusammenhang zwischen allgemeinem Tempolimit und dem Sicherheitsniveau auf Autobahnen lässt sich auch im internationalen Vergleich nicht feststellen.
(Beifall von der FDP)
Zahlreiche Länder mit Geschwindigkeitsbeschränkungen schneiden schlechter ab als Deutschland, zum Beispiel Belgien, Dänemark, Österreich und die USA. Ich könnte noch weitere Länder aufzählen.
Im Bundesland Hessen wurde im Jahre 2010 nach einer Überprüfung der Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den dortigen Autobahnen auf der Hälfte der untersuchten Abschnitte das Tempolimit aufgehoben. Danach hat sich die Unfallstatistik sogar verbessert. Der Verkehrssicherheit ist am besten gedient, wenn wir nur dort Vorschriften machen, wo es notwendig ist, und Schilder nur dort aufstellen, wo der Autofahrer und die Autofahrerin sie akzeptieren.
Aber auch unter Umwelt- und Klimaschutzgesichtspunkten lässt sich ein allgemeines Tempolimit nicht begründen, meine Damen und Herren. Dies hat sogar der frühere Umweltminister Sigmar Gabriel erkannt. Er hat die Wirkung von Geschwindigkeitsbegrenzungen, um den Klimaschutz voranzubringen, für sehr, sehr begrenzt gehalten.
Der beste Beitrag zum Klimaschutz ist die Vermeidung von Staus, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der FDP)
Deshalb müssen wir den Verkehrsfluss durch dynamische Verkehrsleitsysteme und den bedarfsgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur verbessern. Aber hier – das ist uns allen bekannt – stehen bedauerlicherweise die Grünen auf der Bremse.
Fazit zu diesem ersten Bereich: Es gibt keine sachliche Argumentation für die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen.
Zweiter Punkt, meine Damen und Herren: Kommen wir zum Chaos in der SPD. In der vergangenen Woche hat die SPD eine Debatte über die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen losgetreten.
(Jochen Ott [SPD]: Das ist doch Quatsch!)
Auslöser war nicht irgendein Hinterbänkler, Herr Kollege Ott, sondern immerhin der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel. Er sagte in einem Interview mit der „Rheinischen Post“: „Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll.“
Wer daraufhin meinte – wir haben das als FDP zunächst auch vermutet –, die SPD habe einen abgestimmten Vorstoß unternommen, sah sich allerdings getäuscht. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erklärte: Ich bin gegen ein Tempolimit von 120, weil ich eine Reaktivierung einer solchen Debatte nicht für sinnvoll halte. – Was ist denn das für eine Aussage? Ist er gegen dieses Tempolimit oder nur gegen eine Debatte zum Tempolimit vor der Bundestagswahl?
(Zuruf von Jochen Ott [SPD])
Das scheint doch – das erkennt jeder Bürger in Nordrhein-Westfalen – rein taktisch motiviert.
(Beifall von der FDP)
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte: „Tempolimits sind kein Selbstzweck. Auf Autobahnen sehe ich … keine Notwendigkeit für ein generelles Tempolimit.“ Da hat er ganz einfach recht.
NRW-Verkehrsminister Groschek sagte:
„Wir müssen erst einmal unsere Brücken und Straßen reparieren, damit sie überhaupt befahrbar sind. Über Tempolimits denke ich nach,“
(Beifall von der SPD)
„wenn wir den Investitionsstau hinter uns gelassen haben.“
Lieber Herr Minister Groschek, Klarheit sieht anders aus.
(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Lächerlich!)
Welche Haltung vertritt die SPD denn nun zum Tempolimit auf Autobahnen? Will man das Thema nur aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten? Heute kein Tempolimit, aber vielleicht später? Welche Bedeutung hat denn der Parteitagsbeschluss aus dem Jahre 2007, der selbst von SPD-Verkehrsministern auf Bundesebene anschließend nicht umgesetzt wurde? Damals hatte sich der Parteitag sehr knapp für Tempo 130 ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, dieser Streit – wir erleben ihn ja auch in vielen anderen Politikfeldern – zeigt vor allem die Orientierungslosigkeit der Sozialdemokraten in Deutschland.
Besteht diese Orientierungslosigkeit auch bei der SPD in Nordrhein-Westfalen? Oder sind die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen bereit – Herr Ott steht ja gleich hier am Mikrofon –, den Bürgerinnen und Bürgern klar zu sagen, wofür sie stehen? Also fragen wir doch hier und heute: Wie ist die Position der NRW-SPD zum Tempolimit auf Autobahnen? Stehen Sie da näher beim Parteivorsitzenden oder stehen Sie da näher beim Spitzenkandidaten?
(Beifall von der FDP)
Zudem ist natürlich interessant: Wie steht denn die rot-grüne Landesregierung in Gänze zur Einführung der allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen? Auch das interessiert dieses Hohe Haus.
Eine sachliche Argumentation für die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen gibt es nicht.
Herr Minister Groschek, Nordrhein-Westfalen kann von seinem Verkehrsminister in einer solchen Frage eine klare Position erwarten. Nutzen Sie diese Gelegenheit und sprechen Sie sich hier und heute klipp und klar gegen Tempo 120 und ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen aus! – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Rasche. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Ott.
(Christian Lindner [FDP]: Der hat jetzt etwas zu erklären!)
Jochen Ott (SPD): Ach, Herr Lindner.
(Christian Lindner [FDP]: Ach, Herr Ott!)
– Erklären müssen Sie, Herr Lindner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So eine Art von billigem Wahlkampf, wie er hier stattfindet, ist wirklich unerträglich.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Lachen von der FDP)
Für die FDP scheint es keine gravierenderen Probleme im Land Nordrhein-Westfalen zu geben. Das Interessante ist ja, dass der Zustand der deutschen Straßen an vielen Stellen schnelles Fahren gar nicht zulässt. Das wissen Sie auch.
Aber zu den Fakten!
Erstens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Hannelore Kraft hat die Position der nordrhein-westfälischen SPD am 28. März 2012 in der „WAZ“ eindeutig dargestellt. Die klare Position ist, dass es kein generelles Tempolimit gibt.
Zweitens. Die Landesregierung hat auf Vorschlag des Regierungspräsidenten Bollermann einen Modellversuch im östlichen Ruhrgebiet gestartet. Dieser Modellversuch im östlichen Ruhrgebiet soll klären und wissenschaftlich fundiert untersuchen, welche Auswirkungen das Ganze hat, ob die Lärmbelästigung zurückgeht, ob die Verkehrssicherheit erhöht wird, vor allen Dingen ob der Verkehrsfluss verbessert wird und welcher Beitrag zur Luftreinhaltung dadurch erreicht werden kann. Das Ziel ist, auch hier eine fundierte Grundlage zu erarbeiten.
Herr Rasche, Sie wissen natürlich ganz genau, dass es an vielen Stellen in Nordrhein-Westfalen Bereiche gibt, wo ein Tempolimit von großer Bedeutung ist. Nehmen wir zum Beispiel die von Ihnen fünf Jahre verhinderte Verlängerung von „Tempo 100“ am Heumarer Dreieck. Die Bürgerinnen und Bürger, die Anwohner dort haben bei Schwarz-Gelb vergeblich dafür geworben, das Tempolimit um nur zwei Kilometer zu verlängern, damit die Beschleunigungsphase – wenn die Autobahn schon mitten durch den Stadtteil geht – etwas hinausgeschoben wird. Das wäre eine sinnvolle Einführung des Tempolimits gewesen. Es gibt viele solcher Beispiele in Nordrhein-Westfalen, wo etwas zum Wohle der Menschen getan werden könnte.
Darüber hinaus gibt es viele Beispiele in Nordrhein-Westfalen, wo Starenkästen von schwarz-gelben Stadtregierungen abgebaut worden sind – mit gravierenden Folgen: Die Unfallzahlen sind massiv nach oben gegangen, und kurze Zeit später wurden genau diese Starenkästen wieder eingerichtet, so zum Beispiel auf der Zoobrücke in Köln.
Wir haben im Bergischen Land und im Sauerland an vielen Stellen – darüber wurde örtlich entschieden – Tempolimits von 50 und 70 km/h, weil die Menschen vor Ort sagen: Wir brauchen hier Verkehrssicherheit, und wir wollen hier vernünftig leben können.
Wir haben für über 230 Millionen € auf der A1 einen Tunnel gebaut, in dem nach der Fertigstellung desselben nur 80 km/h gefahren werden kann, weil mit Blick auf das Blenden durch Licht ein schnelleres Fahren die Unfallgefahr erhöht.
Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt an vielen Stellen im Land Nordrhein-Westfalen, in der Bundesrepublik sehr sinnvolle Tempolimits: aus Gründen des Lärmschutzes, der Luftreinheit, der Sicherheit und des Verkehrsflusses insgesamt.
Diese Landesregierung untersucht das wissenschaftlich. Deshalb sage ich hier für die SPD in Nordrhein-Westfalen ganz klar: Wir wollen einen differenzierten Umgang mit diesem Thema. Wir wollen eine dynamische Verkehrssteuerung. Das, was die FDP versucht, hier aufzuzeigen, ist grober Unsinn.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Jetzt zum Interview! Was Sie hier versuchen, ist schon dreist. Die Frage im Interview der „Rheinischen Post“ lautete:
„Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm auch Tempo 120 auf der Autobahn und Tempo 80 auf der Landstraße. Was halten Sie davon?“
Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin die Antwort Gabriels:
„Der Rest der Welt macht es ja längst so. Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und Todesfälle sinkt. Die Grünen allerdings wollen diese Geschwindigkeitsbegrenzungen, um den Klimaschutz voranzubringen.“
Weiter sagt er:
„Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass in der Politik alles Gute von oben kommt. Länder und Kommunen wissen besser, auf welchen ihrer Straßen wie schnell gefahren werden soll.“
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Aus diesen Äußerungen abzuleiten, dass er konkret „Tempo 120“ fordert, ist absurd, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich sage Ihnen: Das steht auch nicht im Wahlprogramm.
Noch ein Weiteres sage ich Ihnen: Der freie Journalist Zudeick hat am Sonntag im Presseclub – das sage ich an die Journalisten – eines festgestellt: Was hier stattgefunden hat, ist ein journalistischer Egotrip. – Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier versucht worden ist, mit billiger Überschriftenhascherei die SPD vorzuführen. Das ist nicht in Ordnung, das ist kein Qualitätsjournalismus, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Last, but not least zu Ihnen, lieber Herr Rasche, auch wenn Sie das immer sympathisch darstellen: Haben Sie Angst, dass bei der Wahlbevölkerung ankommt, dass Sie in Wirklichkeit Steuerhinterziehung für ein Kavaliersdelikt halten? Haben Sie Angst, dass Ihre Klientelpolitik für Reiche, für die Oberschicht langsam deutlich wird, dass Ihr kalter und herzloser Liberalismus jetzt endlich bei den Menschen angekommen ist?
(Christian Lindner [FDP]: Billige Wahlkampfpolemik! – Weitere Zurufe von der FDP)
Können Sie verantworten, dass Sie weiter Steuergeschenke machen, während Sie gleichzeitig den Zustand unserer Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen bejammern? Sie bejammern das immer und sagen: Der Staat muss investieren. – Gleichzeitig sorgen Sie für einen armen Staat, indem Sie dem Staat die Finanzmittel entziehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Oh ja, ich kann Ihre Angst sehr gut nachvollziehen. Ich kann aber nicht nachvollziehen, dass Sie uns die Zeit stehlen, indem Sie von all diesen Themen mit solchen Aktuellen Stunden in diesem Hause ablenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie hier veranstaltet haben, das ist einfach vulgärer Freiheitspopulismus. Auf solche Debatten können wir hier getrost verzichten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war gerade ein Beitrag zum Thema „Klamauk“. Ich hätte dann eigentlich doch empfohlen, den Punkt der Piraten vorzuziehen. Das wäre – das sage ich einmal so – garantiert nicht schlimmer als das geworden, was Sie, Herr Ott, gerade vorgetragen haben.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Auch das sage ich Ihnen: In der sachlichen Behandlung wich Herr Rasche positiv von dem ab, was wir gerade gehört haben.
(Jochen Ott [SPD]: Überraschend!)
Ich erinnere an das Jahr 1973 – Ölkrise –, als der damalige Bundesverkehrsminister Lauritz Lauritzen erstmalig ein vorübergehendes Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen durchsetzte. Die SPD war dabei geteilter Meinung: Die einen waren für eine Höchstgeschwindigkeit, die anderen waren dagegen.
Deshalb gibt es ja auch diese „sonnenklare“ Position im SPD-Bundestagswahlprogramm: Sie sagen nichts dazu! – So kann jetzt jeder bei der SPD sagen, was er will.
(Jochen Ott [SPD]: Sie sollten mal zuhören!)
– Deshalb kann man auch so herumeiern, Herr Ott, wie Sie es eben gemacht haben.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich komme noch einmal auf den November 2007 zurück, als es hier im Landtag einen Antrag der Grünen gab, in dem sie sich klar für ein Tempolimit aussprachen. Dann gab es einen Antrag von CDU und FDP: „Intelligente Verkehrsleitsysteme … Kein Tempolimit …“. Und was sagte die SPD unter ihrer damaligen Fraktionsvorsitzenden Frau Kraft im November 2007? – Sie sagte: Wir wissen noch nicht, was wir wollen, aber das dann auf jeden Fall.
(Jochen Ott [SPD]: Was ist das denn für ein Zitat? Können wir das nachprüfen?)
Der SPD fiel unter Frau Kraft seinerzeit nichts Besseres ein, als von der damaligen Landesregierung unter anderem Stellungnahmen zu einigen Sachverhalten zu fordern. So hätte sie gerne die Zahl der Autobahnkilometer in NRW ohne allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung gewusst, die Zahl der schwerwiegenden Unfälle auf diesen Strecken, die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten, die Zahl der ausländischen Pkw-Fahrer und die Zahl der Unfälle, deren Ursache möglicherweise in einem Zusammenhang mit einer fehlenden Geschwindigkeitsbegrenzung stand. Gleichzeitig – auch im November 2007 – beschloss die SPD auf ihrem Bundesparteitag jedoch das Tempolimit.
Ich nenne noch einmal die damals schon vorliegenden Fakten, nach denen gefragt wurde, obwohl sie schon bekannt waren: Rund 32 % der Kraftfahrzeugkilometer werden auf den Autobahnen gefahren, dort zählt man aber nur 12,6 % der Verkehrstoten, 7,5 % der Verunglückten und bei Unfällen mit Personenschäden gar nur 6,2 % – die Zahlen sind also weit unterdurchschnittlich. Das ist nun einmal so.
Unsere Autobahnen haben teilweise marode Brücken, und dort gibt es viel zu viele Baustellen, an denen oft niemand arbeitet, die aber trotzdem eingerichtet bleiben. Dennoch haben wir hier in Deutschland die sichersten Autobahnen. Im internationalen Vergleich liegen wir mit unseren Autobahnen an vorderer Stelle, sowohl in Europa als auch weltweit.
Was ist eigentlich wichtig in der Verkehrspolitik? – Wir wollen eine Verkehrspolitik, die für mehr Sicherheit sorgt. Das hat es zwischenzeitlich gegeben; ich erinnere an ABS oder die Gurtpflicht. Die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten ist in den letzten 40 Jahren um 80 % gesunken. Es gilt, die Gefahren im Verkehr insbesondere für ältere Menschen und für Kinder zu reduzieren.
Was sagt die Unfallstatistik in Europa? – Neben wenigen kleineren nordeuropäischen Ländern, die in der Statistik vor uns liegen, nehmen wir einen absoluten Spitzenplatz ein, und zwar vor Belgien, Frankreich, Italien und Österreich, also vor all den Ländern mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen. Noch einmal: Bei uns gibt es weniger Unfälle und weniger Verkehrstote.
Die schlichte Gleichung „Tempolimit gleich Verkehrssicherheit“ gilt so also nicht. Auf rund 40 % der Autobahnen gibt es aus den verschiedensten Gründen stationäre oder temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen. 60 % der getöteten Unfallopfer sind auf den tempolimitierten Landesstraßen zu verzeichnen. Dieses Netz gilt es zu verbessern: durch Ortsumgehungen, durch Kreisverkehre in Kreuzungspunkten mit Unfallhäufigkeit, durch bessere Fahrbahnbelege im Zuge der Instandsetzung. Aber hier mauert die Regierung Kraft.
(Beifall von der CDU)
Derzeit zählen wir die geringsten Neu- und Umbauten der letzten 50 Jahre – die Instandsetzung liegt gerade auf dem Niveau von 2009, noch unter Schwarz-Gelb.
Was sagt die Ministerpräsidentin und stellvertretende Bundesvorsitzende zum Thema „Tempolimit“? – Nichts. Als sich der grüne Koalitionspartner im März 2012 für ein Tempolimit auf Autobahnen aussprach, sagte Frau Kraft: Mit mir gibt es kein geregeltes Tempolimit. Wir glauben das nicht so ganz, denn angesichts der grünen Bevormundung – siehe Ladenschlussgesetz, Tariftreuegesetz, Dichtheitsprüfung, Rauchverbot – zeigt sich, dass es auch anders geht.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wie lange können wir noch davon ausgehen, dass es das generelle Tempolimit nicht geben wird? Ich komme noch einmal auf die Beschlusslage der SPD im Jahr 2007 zurück. Da hat die SPD auf ihrem Bundesparteitag das Tempolimit beschlossen.
(Jochen Ott [SPD]: Welches denn, Herr Schemmer?)
Im Bundestagswahlkampf sagt sie nichts dazu, weder pro noch contra. Kaum ist der Kanzlerkandidat mal eine Woche pannenfrei, legt der SPD-Parteivorsitzende mit dem Thema „Tempolimit“ los, und die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes sagt nichts dazu.
Bei zwei oder drei – über die Zahl können wir noch reden – Alphatieren in Berlin und einem nörgelnden Koalitionspartner hier vor Ort fehlt der Ministerpräsidentin schlicht die Beinfreiheit. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.
Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe FDP-Fraktion, man muss beim Blick auf Ihren Antrag klar sagen: Thema verfehlt! Warum sollte sich der Landtag in einer Aktuellen Stunde mit parteistrategischen Diskussionen der SPD auf Bundesebene beschäftigen?
Die Frage nach dem Tempolimit ist eine bundespolitische Frage; das ist eine Angelegenheit der Straßenverkehrsordnung. Dass sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen sich heute zur Prime Time, zur besten Debattenzeit mit diesem Thema beschäftigen muss, ist eine reine Wahlkampffrage.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Es geht darum, hier ein Thema aufzuziehen und Stimmung zu machen. Das ist nichts mehr als Wahlkampf; denn das Thema an sich gibt überhaupt nichts her.
Wenn ich den FDP-Antrag durchlese, erkenne ich den Versuch, wieder einmal am Freitag in die „heute-show“ zu kommen. Ich zitiere: Die deutschen Autobahnen sind die sichersten Straßen Deutschlands, und die deutschen Autobahnen sind auch die sichersten Autobahnen auf der ganzen Welt. – Tusch! Das klingt wie eine Karnevalsrede.
Es erinnert mich außerdem – wir wollen jetzt wieder sachlich werden – an Aussagen der FDP zum Thema „Kernkraft“ vor Fukushima, in denen es hieß: Die deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt.
(Zuruf von der FDP: Sind sie ja!)
Was steckt denn hinter dieser Aussage? Schauen Sie sich, lieber Herr Lindner und lieber Herr Rasche, die Zahlen einmal ganz konkret an; ich zitiere jetzt aus dem Statistischen Jahrbuch: Knapp 50 % der schweren Unfälle auf deutschen Straßen passieren auf den Autobahnen. Davon sind 42 % sogenannte Geschwindigkeitsunfälle. 70 % der tödlichen Unfälle ereignen sich auf Autobahnabschnitten, die keine Geschwindigkeitsbegrenzung haben.
(Zuruf von den GRÜNEN: Aha!)
Das sind doch eindeutige Zahlen, die belegen, dass auf Strecken – auch auf Autobahnen –, wo es eine begrenzte Geschwindigkeit gibt, die Zahl der Unfälle – insbesondere die schweren Unfälle – ganz klar zurückgeht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
15 % der deutschen Verkehrsopfer sterben auf deutschen Autobahnen. Um einmal Zahlen aus dem Jahr 2012 zu nennen: Auf deutschen Autobahnen hatten wir 441 Getötete auf Streckenabschnitten ohne Tempolimit. Von diesen Getöteten sind 220 deswegen ums Leben gekommen, weil sie mit nicht angepasster Geschwindigkeit auf einem Streckenabschnitt ohne Tempolimit gefahren sind. Zu sagen, die deutschen Straßen sind die sichersten der Welt und wir brauchen keine Temporeduzierung, weil sie sowieso nichts bewirken würde, ist faktisch einfach falsch. Die Zahlen – keine grünen Zahlen, sondern Zahlen des ADAC und Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch – sagen eindeutig etwas anderes.
(Beifall von den GRÜNEN)
In Nordrhein-Westfalen ist der Streckenabschnitt auf der A2 zwischen Gütersloh und Porta Westfalica ohne Tempolimit und ohne Lkw-Überholverbot. Hier fallen die meisten Unfälle in Nordrhein-Westfalen an, vor allen Dingen mit schweren Verletzungen und mit Todesfolge.
Zweiter Punkt des Antrags: Der ökologische Nutzen eines Tempolimits ist gering. Ich würde auch nicht sagen, der ökologische Nutzen ist das Hauptargument für ein Tempolimit. Die Hauptargumente für ein Tempolimit sind die Verkehrssicherheit, die Lärmreduzierung und der Verkehrsfluss.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber, wenn wir ein Tempolimit hätten, würden – Quellen: Statistisches Bundesamt und Umweltbundesamt – 10 % der Gesamtemissionen im Verkehrsbereich wegfallen. Wenn man sich die CO2-Absenkung in Deutschland – Privathaushalte, Industrie – seit 1990 ansieht, gibt es einen Bereich, der überhaupt keine CO2-Absenkung gebracht hat: der gesamte Verkehrsbereich. Im Verkehrsbereich sind die Emissionen in den letzten 20 Jahren konstant gewesen. Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, die wir international vereinbart haben, muss der Verkehr einen Anteil bringen, und ein Tempolimit wäre ein Beitrag, wenn auch, zugegeben, kein großer Beitrag.
(Beifall von den GRÜNEN)
Kommen wir zum eigentlichen Thema. Das eigentliche Thema ist die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur und ihre dringend notwendige Sanierung. Wenn wir das in den nächsten Jahren nicht angehen, fahren wir nicht 180, nicht 120, sondern vielleicht 30 und auf manchen Streckenabschnitten überhaupt nicht. An dieser Stelle, liebe FDP und liebe CDU, verweigern Sie jegliche Aussage.
(Christof Rasche [FDP]: Sie doch auch!)
Wir haben das im Ausschuss diskutiert. Es gab die Daehre-Kommission. Wir hatten den ehemaligen CDU-Verkehrsminister aus Sachsen-Anhalt im Ausschuss, der klar vorgetragen hat: Uns fehlen im Jahr 7,2 Milliarden €, um unsere Verkehrsinfrastruktur in Deutschland aufrechtzuerhalten. – Danach wurde bei der Debatte im Ausschuss klar, weder CDU noch FDP haben irgendeine konkrete Vorstellung, wie wir die zusätzlichen Milliarden finanzieren wollen. Die Lkw-Maut wollen wir nicht, die schadet der Wirtschaft. Die Pkw-Maut wollen wir nicht, die können wir dem Bürger nicht zumuten. Die City-Maut wollen wir nicht, die können wir dem Einzelhandel nicht zumuten. Grundsätzliche Steuererhöhungen wollen wir nicht, grüne Steuererhöhungsorgien lehnen wir auch ab.
Sie bereiten eine echte Wahllüge vor. Denn Sie müssen den Leuten nach der Bundestagswahl sagen – wenn das passieren sollte, was wir alle nicht hoffen, dass Sie weiterregieren –, wie Sie diese Sanierungen finanzieren wollen. Dazu haben CDU und FDP überhaupt keine Vorstellung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist die eigentliche verkehrspolitische Debatte, die ansteht – da hat Minister Groschek eindeutig recht – und zu der Sie grundsätzlich jegliche Aussage verweigern.
(Christian Lindner [FDP]: Wir sind klarer als Sie!)
– Nein, wir sind da sehr klar. Wir haben all das im Programm. Lieber Herr Lindner, Sie haben doch das Programm gelesen und kritisieren es ständig.
(Zurufe von Christian Lindner [FDP] und Christof Rasche [FDP])
– Ich nehme die Zurufe gerne entgegen. Es scheint, ich habe einen wunden Punkt getroffen; das freut mich.
SPD und Grüne haben im Koalitionsvertrag sowohl 2010 als auch 2012 in dieser Frage eine sehr klare Festlegung getroffen. Wir machen auf Landesebene all das, was möglich ist. In Nordrhein-Westfalen sind 30 % der Streckenabschnitte auf Autobahnen temporeduziert. Es gibt eine Studie im Regierungsbezirk Arnsberg, die wir bezüglich der Fragen Sicherheit, Verkehrsfluss, Lärm und Abgasemissionen auswerten werden. Danach werden wir weitere Entscheidungen treffen.
Das Land Nordrhein-Westfalen kann kein grundsätzliches Tempolimit verordnen. Das ist auch nicht das Ziel dieser Landesregierung. Von daher ist die Debatte heute auch an diesem Punkt eindeutig verfehlt. Liebe FDP und liebe CDU, Sie machen heute Wahlkampfklamauk; das möchte ich Ihnen noch einmal ganz klar sagen.
Am Ende meiner Rede möchte ich gerne den ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU zitieren, den ehemaligen Kollegen Heinz Hardt, der heute Vorsitzender der Verkehrswacht in Nordrhein-Westfalen ist und bei dem wir vor einigen Wochen noch zum Parlamentarischen Abend eingeladen waren. Herr Hardt sagt ganz klar: Ein Tempolimit von 130 oder 120 auf deutschen Autobahnen wäre eine deutliche Verbesserung für die Verkehrssicherheit, für den Verkehrsfluss und für den Lärmschutz.
Der Aussage des Kollegen Hardt kann ich mich nur ausdrücklich anschließen. Schade, dass er heute nicht mehr dem Parlament angehört. Wenn das der Fall wäre, würde er vielleicht seiner Fraktion an der Stelle die Leviten lesen. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Guter Mann!)
– Guter Mann, Herr Hardt, genau – ein schlechter Antrag der FDP, völlig überflüssig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Autofahrer im Saal, am Stream, bei Tempo 200 auf der Autobahn, die Sie vielleicht gerade zuschauen!
(Zuruf von Minister Johannes Remmel)
Egal, ob diese Aktuelle Stunde heute passt und ob Sigmar Gabriel sie als sinnvoll bezeichnet hätte, sie gibt uns Gelegenheit für folgende effekthascherische Warnhinweise: Achtung, ohne Tempolimit können Terroristen hier herumfahren wie in Afghanistan, Kommunisten wie in Nordkorea und Piraten wie in Somalia, also in Ländern, in denen es halt auch kein generelles Tempolimit gibt.
(Beifall von den PIRATEN)
Doch Achtung, wenn wir das Tempolimit einführen, können Terroristen viel leichter auf vorbeifahrende Pkw schießen oder zielen.
(Heiterkeit von den PIRATEN)
Ich hoffe, diese Schreckensszenarien haben Sie jeweils überzeugt. Das war mein polemischer Beitrag zur Aufregerdebatte Tempolimit.
Ich will natürlich auch die Gelegenheit nutzen, um die Position der nordrhein-westfälischen Piraten zu erläutern. Wir und unsere Wähler sehen in einem gedrosselten Internet eine größere Gefahr und Einschränkung der Freiheit als in einer gedrosselten Autobahnfahrt.
(Beifall von den PIRATEN)
Tempo 200 fahren zu können, ist ein tolles Feature und macht vielen Spaß. Jedoch handelt es sich nicht unbedingt um eine notwendige Zusatzfunktion, ähnlich wie eine Handykamera mit 12 Megapixeln, die auch Spaß macht. Aber warum den Spaß verbieten? – Unsere Position: Wir lehnen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab. Wir halten flexible Tempolimits, eine flexible Verkehrssteuerung und deren Ausbau für weitaus sinnvoller.
Man fragt sich vielleicht: Passt das zu unserem Programm, zu der Verkehrswende, die ich sonst hier propagiere: mehr Rad, mehr Bus, mehr Bahn, Güter auf die Schiene, Mobilität für alle? – Ja, denn Freiheit und Teilhabe, die zentralen Elemente unseres Programms, bedingen einander. Wir möchten die Menschen nicht einengen, gängeln und dann überwachen, nicht verbieten, sondern Anreize schaffen, Alternativen anbieten, die die Auswahl erweitern oder die Freiheit zur Wahl des Verkehrsmittels vielleicht gar erst ermöglichen. Wir möchten, dass jeder Mensch an der Gesellschaft teilhaben kann. Mobilität ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Das ist unsere Prioritätensetzung. Es gibt keine gesellschaftliche Notwendigkeit für Tempo 180, kein Grundrecht auf schnelles Fahren. Doch wer dies gerne auf eigene Kosten und auf freier Strecke tun möchte – freie Wahl.
Was ist mit Umwelt- und Klimaschutz? – Hier brächten höhere Spritpreise weit mehr als Tempo 120. Höhere Spritpreise würden automatisch für umweltgerechte Geschwindigkeiten und eine Verlagerung auf alternative Verkehrsmittel sorgen.
(Jochen Ott [SPD]: Zulasten der Ärmeren!)
Schnell fahren ist bereits jetzt ein teures Hobby. Richtig. Viele Hobbys sind teuer, und nicht jeder kann sie sich leisten. Wir sollten das Hobby erhalten, aber die Kosten gerecht abrechnen.
Wenn es darum ginge, die Umweltbelastungen zu reduzieren, müssten wir unser Augenmerk sowieso mehr auf den Lkw-Verkehr richten, der vom Tempo 120 überhaupt nicht betroffen wäre. Der Lkw-Verkehr ist auch Hauptakteur bei den entstehenden Kosten für die Verkehrsinfrastruktur. Wir fordern die Verkehrswende auch, um langfristig die Kosten der Verkehrsinfrastruktur zu reduzieren. Ein generelles Tempolimit ist kaum geeignet, die Kosten für Instandhaltung und Ausbau zu verringern, eher schon die Reduzierung von Verkehrsspitzen im Berufsverkehr in den Ballungsräumen.
Natürlich muss nicht jedes Autobahnteilstück für höchste Geschwindigkeiten ausgelegt sein. Das wäre im Endeffekt langfristig schon teuer. So ist es ja auch bereits heute: Wo die Straßen zu schlecht sind oder Brückenpfeiler zu dicht stehen, gibt es örtliche Tempolimits.
Wie ist es mit der Bedeutung für die Volkswirtschaft? Das wird auch oft angeführt. Der unbedeutender werdende Absatzmarkt Deutschland mag ein Sonderfall sein. Es wird immer mehr Weltautos geben, die trotz ansonsten guter Ausstattung das Feature „Schnell fahren“ gar nicht bieten, weil es in anderen Teilen der Welt überhaupt nicht gebraucht wird. Das ist ein weiteres Argument dafür, dass wir in Zukunft im Durchschnitt langsamer fahren werden, aber kein Argument in der Tempolimit-Debatte. Denn während es hier verboten ist, querfeldein zu fahren, werden in Deutschland immer mehr SUVs verkauft. Und Porsche verkauft ganz gut in Ländern, in denen man damit höchstens 120 fährt.
Das große Argument für ein generelles Tempolimit – das will ich natürlich nicht verschweigen – ist die Verkehrssicherheit. Dem kann man sich nicht verschließen. Die Piraten diskutieren dies seit Jahren sehr breit und ausgiebig. Wir haben die Unfallstatistiken hier gehört und auch im Antrag dazu etwas gelesen. Wir haben sie unterschiedlich interpretiert. Ja, Verkehrstote und Verletzte sind auch dann relevant, wenn wir sie nur auf einige wenige herunterrechnen. Es ist einfach, davon auszugehen, dass ein generelles Tempolimit gegen Verkehrstote wirkt. Das ist auch richtig.
Doch wir wissen, dass die katastrophalen Unfälle auf Autobahnen geschehen, weil der Geschwindigkeitsunterschied zu groß ist und die Geschwindigkeit nicht der Situation – Regen, Nacht, dichter Verkehr – angepasst wird. Auch hier hilft das allgemeine Tempolimit nicht. Flexible Tempolimits, unterstützt durch immer mehr fahrzeuggesteuerte Maßnahmen, hätten den gleichen Effekt wie ein generelles Tempolimit. Weniger Holzhammer, mehr Schraubendreher!
Wenn es darum ginge, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, dann wären Maßnahmen zur Reduzierung von Gefahrenstellen und Verkehrsregelungen im Bereich von Baustellen weitaus sinnvoller. Noch wichtiger wäre die Reduzierung des Verkehrs in den Innenstädten und auf Landstraßen sowie ein angeglichenes generelles Tempolimit auf einspurigen Landstraßen. Dies wurde ja auch schon erwähnt: Wenn auf engen Landstraßen Lkw 60 und Pkw 100 fahren dürfen, kommt es unter anderem zu gefährlichen Überholmanövern. Tempo 80 auf Landstraßen für alle – für Lkw und Pkw – würde weitaus mehr Unfälle vermeiden und viele Leben retten.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns davon abkommen, die Menschen permanent zu kontrollieren, auszuspionieren und mit Verboten und Restriktionen zu gängeln. Und lassen Sie uns dazu übergehen, ihnen in konstruktiver Weitsicht ein Angebot zu unterbreiten, welches ihnen ermöglicht, in freier Entscheidung auf Autos und Staus zu verzichten. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Groschek das Wort.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Rasche, vielleicht vorweg eine Bemerkung: Wer wie die Bundes-SPD steuert, ist nicht Gegenstand verkehrspolitischer Überlegungen in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])
Da sehen wir eine andere Prioritätensetzung. Wir glauben auch, Herr Rasche, dass das allgemeine Tempolimit auf Autobahnen weder in die Zuständigkeit fällt noch Zielsetzung der Landesregierung ist. Unsere Top-Themen sind andere. Über die möchten wir gerne mit Ihnen konstruktiv streiten, weil da das Land und der Bund dringend neue Antworten geben müssen.
Erstens. Die Frage ist: Wie bekommen wir den Reparaturstau in Nordrhein-Westfalen wie in Gesamt-Westdeutschland endlich abgearbeitet?
(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])
Die Frage ist: Wie bekommen wir endlich einen Perspektivwechsel weg von dem Denken in Sparten, was uns in den letzten 20 Jahren gelähmt hat, hin zu einem integrierten Verkehrskonzept, um Mobilität 2.0 zu organisieren?
(Beifall von der SPD)
Da fehlen uns die konkreten Finanzierungsinstrumente. Die Diskussion sollten wir gemeinsam führen.
Da gibt es ja ganz interessante Hinweise auch von Ihnen, jedenfalls was die CDU/CSU angeht. Herr Laschet verkündet hier: Wir brauchen keine zusätzlichen Mauteinnahmen; alles Quatsch; Geld ist genug vorhanden. – Herr Ramsauer hat jetzt wiederholt, dass die CSU darauf drängen wird, die gemeinsame Regierungsprogrammperspektive mit einer Pkw-Maut zu versehen.
Die FDP ist da ambivalent in ihrer Ablehnung. Da wäre vielleicht eine Klärung durch Sie hilfreich, wie denn ein Finanzierungsgerüst solide aufgestellt werden kann.
Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat sich jedenfalls dankenswerterweise hier glasklar positioniert. Ich finde, das ist ein vernünftiges Finanzierungsgerüst, auf dem wir aufbauen können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zweitens. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die eigentlichen Probleme im Bereich von Autobahnen eher im Staubereich liegen. Ja, wir handeln, um den Stau ganz praktisch und konkret Stück für Stück abzubauen. Wir haben eine integrierte Verkehrszentrale eingerichtet, die wir im Rahmen des finanziell Möglichen Zug um Zug weiter ausbauen wollen, um den Verkehr fließender zu gestalten, ihn zu steuern und zu lenken, und zwar so, dass Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen optimal genutzt wird.
(Beifall von der SPD)
Wir haben uns darauf verständigt, Engpassbeseitigung prioritär anstelle von Neubau zu setzen. Wir haben uns darauf verständigt, den Erhalt vor den Neubau zu setzen.
Herr Kollege Schemmer, ich finde, Sie sollten sich doch eingestehen, dass Sie mit Ihrer immer wiederkehrenden Positionierung „Wir brauchen mehr Neubau und Neubau und Neubau“ auch in der Union inzwischen völlig isoliert sind. Herr Ramsauer diktiert uns praktisch für den neuen Bundesverkehrswegeplan, Erhalt habe absoluten Vorrang vor Neubau, und Sie ignorieren sogar Ramsauer. Ich weiß nicht, wo Sie Verbündete für Ihre alte Politik in Richtung Neubau sehen, lieber Kollege Schemmer.
(Beifall von der SPD)
Drittens. Die Bundeskanzlerin und der Kanzleramtsminister haben bald eine große Gelegenheit, ein verkehrspolitisches Zeichen zu setzen, was für Nordrhein-Westfalen und Deutschland wichtig wäre. Die Bundeskanzlerin kommt im Laufe des Monats Mai zu Herrn Pofalla in den Wahlkreis, veranstaltet deutsch-niederländische Konsultationen, wird wahrscheinlich eine Finanzierungsvereinbarung zur Betuwe-Line – hoffe ich jedenfalls – anbieten. Das ist dann die Perspektive für Container. Wir brauchen jedoch nicht nur eine Perspektive für Container, wir brauchen auch eine für Pendlerinnen und Pendler.
(Beifall von der SPD)
Deshalb müsste die Kanzlerin auch Ja zur Finanzierung des Rhein-Ruhr-Express sagen. Der RRX muss kommen, und die Kanzlerin und Sie sollten sich heute dazu klar positionieren. Warum? – Weil das Stau vermeiden würde. Der Regionalexpress würde dazu führen, dass 30.000 Pkw von der Autobahn kommen und wir damit weniger Stau und mehr Sicherheit auf unseren Autobahnen hätten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Viertens. Ein Drittel der Autobahnen in Nordrhein-Westfalen sind sowieso schon temporeduziert und das situativ und variabel. Der Hinweis auf zusätzliche Gefahrenpunkte würde von uns sofort aufgenommen. Wir sind willens und dazu in der Lage, darauf sofort mit angemessenen Verkehrsüberwachungsinstrumenten oder auch mit verkehrslenkenden und temporeduzierenden Maßnahmen zu reagieren, wenn sich herausstellen sollte, dass jetzt noch tempofreie Streckenabschnitte besonders unfallgefährdend sind. Da gibt es Regelungsmechanismen, zu denen wir uns ausdrücklich bekennen. Ein allgemeines Tempolimit gehört nicht zu unserem landespolitischen Repertoire.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Christof Rasche [FDP])
Fünftens: Lärm. Ich glaube, bei jeder verkehrspolitischen Diskussion müssen wir über Lärmschutz reden, und zwar mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit, weil die Menschen da eine glasklare Erwartungshaltung haben. Deshalb finde ich richtig, dass wir uns darauf verständigt haben, in einem zweieinhalbjährigen wissenschaftlich qualifiziert begleiteten Untersuchungsprozess festzustellen, welche realen nachweisbaren Auswirkungen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeitsspitzen auf die Lärmbelästigung von Menschen haben. Rasen darf nicht das Recht zu krankmachendem Lärm implizieren. Hier muss das Menschenrecht vorgehen.
Deshalb sagen wir: Wir werden initiativ werden, wenn im Frühjahr 2015 die Situation so sein sollte, dass wissenschaftlich fundiert nachgewiesen ist, dass Lärmschutz über Geschwindigkeitsreduzierung im Ballungsraum geboten ist. Wir jedenfalls versprechen den Menschen, sie da zu schützen, wo reale Chancen zum Lärmschutz bestehen. Das wird eine große nordrhein-westfälische Perspektive sein, die sowohl vom Umweltministerium als auch vom Verkehrsministerium mit Maßnahmenpaketen schon jetzt abgearbeitet wird. Wir wollen, dass die Menschen auch nahe der Autobahn ebenso wie nahe an den Schienenstrecken möglichst ruhig schlafen können. Es muss dort Nachtruhe herrschen, wo es wirtschaftlich verantwortbar und verkehrspolitisch geboten ist.
Dazu steht die Landesregierung, und sie ist auch jederzeit zu einem sehr ernsthaften Dialog mit allen Vertretern des Landtags bereit, wenn es darum geht, konkrete Verkehrspolitik konstruktiv miteinander zu erörtern und nicht bundespolitischen Klimbim zu thematisieren. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Moritz.
Arne Moritz (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, das war jetzt wieder das typische Sowohl-als-auch-als-auch-nicht, auf der einen Seite die Aussage, aus Ihrer Sicht wäre es nicht nötig, auf der anderen Seite wieder viele Erläuterungen, warum es eigentlich doch nötig wäre.
Insofern fangen wir einmal da an, wofür Sie zuständig sind. Wenn es den Lärm betrifft, wissen Sie auch, dass der allermeiste Lärm beim Stop-and-go-Verkehr in der Stadt entsteht. Es ist rot-grüne ideologische Politik, dass der Verkehr beruhigt werden soll, führt aber gleichzeitig zu erhöhtem Lärmaufkommen. Da sollten Sie eher aktiv werden und Ihre ideologische Verkehrspolitik überwinden.
(Beifall von der CDU)
Sie haben wie Herr Ott dargestellt, wie Sie das Tempolimit in Nordrhein-Westfalen umsetzen möchten, nämlich über den schlechten Straßenzustand. Herr Ott hat gesagt, wir könnten sowieso nicht schneller fahren, weil die Straßen schlecht sind. Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie das momentan zur Priorität machen möchten.
Interessanter wäre zu wissen: Was passiert, wenn die Straßen im besseren Zustand sind? Kommen dann anschließend die Schilder hin, oder bleiben Sie bei dem, was Sie zwischendurch gesagt haben, dass Sie das Tempolimit ablehnen?
Herr Ott, was Ihre Rede betrifft: Sie haben mit Genehmigung der Präsidentin zitiert. Ich fände ich es fairnesshalber gut, wenn Sie das Zitat so wiedergeben würden, wie Herr Gabriel es gesagt hat, und nicht den entscheidenden Satz weglassen würden.
(Christof Rasche [FDP]: So ist das!)
Herr Gabriel hat gesagt:
„Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt.”
Seine Aussage zum Tempo auf Autobahnen heißt also: Ich halte es für sinnvoll.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Dann haben Sie den entscheidenden Satz weggelassen und direkt gesagt, Sie seien kein Anhänger der Theorie, dass in der Politik alles Gute von oben komme. Den entscheidenden Satz haben Sie weggelassen, nämlich worauf sich das bezog.
Herr Gabriel hat nämlich in seiner Rede gesagt:
„Die Frage, ob Tempo 80 auf der Landstraße sinnvoll ist, überlasse ich gerne den Ländern. Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass in der Politik …“
(Christian Lindner [FDP]: Aha! So wird hier gearbeitet! – Jochen Ott [SPD]: Guter Versuch!)
Es hätte die Diskussion hier vereinfacht, Ihren Bundesvorsitzenden korrekt wiederzugeben.
Was Herrn Klocke betrifft, so haben wir zur Kenntnis genommen, wo kein Tempolimit herrscht. Ich würde es für sinnvoll erachten, sich angesichts dessen die Strecke einmal anzuschauen. Denn auf der A2 in dem von Ihnen angegebenen Bereich herrscht durchaus ein Tempolimit. Dort befindet sich der berühmte Bielefelder Berg. Ich gebe Ihnen einen Tipp mit: Dort ist eine Blitzeranlage. Man sollte deshalb entsprechend langsam fahren,
(Jochen Ott [SPD]: Wie war das mit Wittke?)
nicht dass es Ihnen so wie einem Ihrer Kollegen geht, der vor einigen Tagen vor uns geblitzt worden ist.
Bei Gütersloh gibt es Straßenschäden und deshalb ein Tempolimit.
Ab Herford ist Tempo 120 vorgeschrieben.
Ihre Aussage, die Autobahn wäre deshalb so gefährlich, weil kein Tempolimit herrschen würde, lässt sich nicht halten. Ganz im Gegenteil: Auf der Strecke gibt es Tempolimit!
Als Letztes zu den Planungskosten selber! Natürlich ist es bekannt, dass Nordrhein-Westfalen nur 10 % der Straßenplanungen fertiggestellt hat, wie sie in Bayern schon vorliegen. Das führt zu der bekannten Konsequenz: Wenn zusätzliche Gelder aus irgendwelchen Paketen zur Verfügung stehen, fließen die nach Bayern, weil die Planungen dort abgeschlossen sind. Und Sie fließen wegen der unfertigen Planungen eben nicht nach Nordrhein-Westfalen, obwohl wir diese Gelder viel eher brauchen würden.
Als Letztes wurde festgestellt, dass die gefährlichsten Straßen in Nordrhein-Westfalen die Landstraßen sind. Insofern empfände ich es als sinnvolle Aufgabe, dort die Sicherheit entsprechend zu erhöhen und zusätzliche Gelder zu investieren. Schauen wir aber in die Statistik, müssen wir feststellen: In den Jahren 2011 und 2012 hat die Landesregierung in die ach so gefährlichen Landstraßen insgesamt 23 Millionen € weniger investiert. – Hier mehr zu tun, das wäre Ihre Aufgabe, und daran sollten Sie sich messen lassen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Moritz. – Die nächste Wortmeldung gibt es bei Herrn Kollegen Dr. Stamp von der FDP-Fraktion.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ott, Sie haben hier mächtig vom Leder gezogen und uns alles Mögliche an Schlagworten, was Ihnen eingefallen ist, entgegengeschleudert. Ich finde, dass das der Auseinandersetzung in diesem Parlament ein Stück weit unwürdig ist. Bisher habe ich Sie in Gesprächen eigentlich als Kollegen kennengelernt, der so etwas nicht nötig hat. Ich weiß nicht, ob Ihr Auftritt hier wirklich gelungen war.
(Jochen Ott [SPD]: Unwürdig ist Ihr Antrag!)
– Herr Ott, Sie bezeichnen unseren Antrag zum Tempolimit als billige Wahlkampfpolemik. – Damit zeigen Sie nicht nur mit einem einzelnen Finger, sondern mit dem ganzen Arm auf Ihren Parteivorsitzenden. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass er das Interview mit der „Rheinischen Post“ nicht autorisiert hat. Was soll dann diese Medienschelte? – Der Kollege hat es gerade zitiert. Ich glaube, dass das so eindeutig ist, dass wir darüber nicht weiter diskutieren müssen.
Völlig klar ist: Ihr Parteivorsitzender wollte einen Ballon steigen lassen. Jetzt stellt er fest, dass dieser Ballon zunehmend ein medialer Rohrkrepierer ist.
Herr Minister Groschek, Herr Klocke, Sie haben angesprochen, das Thema „Tempolimit“ sei kein Landesthema. – Im Landtagswahlprogramm der Grünen heißt es hingegen klipp und klar, dass sich die Grünen für Tempo 120 generell in Nordrhein-Westfalen aussprechen. So steht es mehr oder weniger wörtlich im Landtagswahlprogramm der Grünen.
Wir hier im Hause, aber auch die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen und vor allem die Unternehmen aus der Logistikbranche in Nordrhein-Westfalen haben einen Anspruch auf eine klare Aussage, wie der zuständige Minister zu diesen Dingen und dieser Diskussion steht. Deswegen ist das jetzt keine Wahlkampfpolemik, sondern eine Auseinandersetzung, die wir hier und heute führen müssen.
(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Das ist albern!)
Ich erwarte dazu von Minister Groschek eine eindeutige Aussage.
(Jochen Ott [SPD]: Noch klarer?)
Herr Minister, als Sie noch Generalsekretär der SPD waren, haben Sie sich stets sehr klar geäußert und waren immer sehr schnell dabei, wenn es um klare Bekenntnisse und klare Rücktrittsforderungen an Gott und die Welt ging, solange niemand aus der SPD betroffen war.
(Jochen Ott [SPD]: Den lieben Gott hat er noch nicht zum Rücktritt aufgefordert!)
Genauso können wir heute ein klares Bekenntnis von Ihnen erwarten, und zwar unter anderem zu Tempo 120. Außerdem hat Herr Gabriel sich zu Tempo 80 auf Landstraßen eingelassen und betont, ob ein solches Tempolimit sinnvoll ist, überlasse er gerne den Ländern, sprich: Nach den Worten von Herrn Gabriel handelt es sich dabei allemal um ein Landesthema.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Auch in diesem Zusammenhang haben die Logistikbranche sowie die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die auf die Landstraße und einen vernünftigen Verkehrsfluss dort angewiesen sind, einen Anspruch, klipp und klar zu hören, wie sich der Verkehrsminister zu dieser Aussage stellt. Dazu möchte ich von Ihnen – dazu haben Sie gleich noch die Gelegenheit – eine eindeutige Aussage haben. Herr Minister, halten Sie den grünen Spießern ein rotes Stoppschild entgegen!
(Jochen Ott [SPD]: Sonntagsreden ohne Inhalt!)
An der Stelle haben Sie unsere Solidarität. Erklären Sie sich hier und heute von dieser Stelle aus! Darauf haben das Haus und erst recht die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen einen Anspruch. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Herr Kollege Fricke.
(Jochen Ott [SPD]: Sie haben ja so eine tolle Rede gehalten! Ich bin beeindruckt!)
Herr Kollege Fricke.
(Lebhafter Wortwechsel zwischen Jochen Ott [SPD] und Christian Lindner [FDP])
– Verehrte Kollegen, jeder hat hier die Möglichkeit, zu sprechen und im Plenum ans Pult zu gehen. Nun spricht für die Fraktion der Piraten Herr Kollege Fricke. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Stefan Fricke (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürger! Verehrte Wahlkämpfer der FDP!
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Wenn man den von den verehrten FDP-Kollegen vorgelegten Antrag im Stile des Kommödchens kommentieren würde, könnte man den ihm anscheinend zugrunde liegenden Spruch „Freie Fahrt für freie Bürger!“ ummünzen in „Freie Wahl für freie Bürger!“ Dabei würde die FDP allerdings derzeit in die politische Bedeutungslosigkeit zurückfallen.
(Beifall von den PIRATEN – Christian Lindner [FDP]: Das sagen ausgerechnet die Piraten: 2 %!)
– Da dies hier aber kein Kabarett ist, werde ich versuchen, meinen Redebeitrag ein wenig ernster zu gestalten. Das ist hier leider nicht so ganz einfach; denn die Frage, warum wir im Landesparlament Zeit und Steuergelder damit verschwenden müssen, um über Themen zu parlieren, die absolut eindeutig nicht hierher gehören, sondern nach Berlin, lässt sich eben nur mit dem Mittel der Satire erträglich behandeln.
Aber Achtung: Im Hinblick auf die Bundestagswahl – die 5 % schaffen wir gewiss, liebe Kollegen – kann es nicht schaden, schon einmal mit den entsprechenden Themen zu üben. Von daher begrüße ich es ausdrücklich, wenn die SPD unseren Spuren folgt, in ihren Reihen endlich den Fraktionszwang aufhebt und den einzelnen Parteimitgliedern – egal wie hochrangig oder weniger hochrangig – das Recht auf freie Meinungsäußerung oder gerne auch das Recht auf Doppelzüngigkeit zugesteht. Ob unsere geschätzten sozialdemokratischen Kollegen jedoch jemals unsere Streitkultur erreichen werden, wage ich zu bezweifeln.
Dagegen ist mit Freude festzustellen, dass bei unseren Freunden von der grünen Fraktion eine formidable Weiterentwicklung besteht. Wenngleich Sie Ihre Manie des Nanny States immer noch nicht so richtig abgelegt haben, scheinen Sie den Realitäten des Lebens doch so langsam etwas näherzukommen. Wie hätten Sie sonst so enthusiastisch Gabriels Vorschlag zustimmen können? Angesichts dessen, dass Sie jahrzehntelang Tempo 100 als das Maß aller Dinge sahen, ist eine begeisterte Zustimmung zu Tempo 120 fast schon wie eine Wunderheilung zu bewerten.
(Beifall von den PIRATEN)
Eine derartige Diskussion, wie Sie durch den Antrag der FDP angezettelt wird, ist in und für Nordrhein-Westfalen irrelevant und sinnlos. Wo in unserem Bundesland gibt es auf Autobahnen auch nur Teilbereiche, die aufgrund der Verkehrsdichte oder des maroden Bauzustands nicht schon de facto, wenn auch nicht de jure, einem unausgesprochenen Tempolimit unterliegen? Kann mir einmal einer der geschätzten Kollegen der FDP sagen, wo man an einem beliebigen Wochentag und zu normaler Uhrzeit 200 oder mehr Stundenkilometer als angepasste Geschwindigkeit fahren kann?
Den Aspekt „Vorteile des Schienenausbaus“ hat mein Fraktionskollege Oliver Bayer bereits beleuchtet. Ich möchte nur noch ergänzen, dass der Ausbau der Schiene auch dazu beitragen kann, die Straßen zu entlasten.
Insgesamt kann ich nur sagen, dass wir Piraten hier ebenso wie bei allen anderen Themen auf ein Konzept des mündigen und verantwortungsbewussten Bürgers setzen.
(Beifall von den PIRATEN)
Aber das scheint eine Vorstellung zu sein, die nicht in das Weltbild der rot-grünen Bürgererziehungsfanatiker passt. – Vielen Dank und ein frohes Pfingstfest.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.
Arndt Klocke (GRÜNE): Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet und möchte vier Punkte ansprechen. Zunächst möchte ich auf Herrn Stamp von der FDP eingehen, der uns eben Wirtschaftsfeindlichkeit vorgeworfen hat.
Wie absurd dieser Vorwurf ist, zeigt sich darin, dass wir wirklich in allen anderen europäischen Nachbarländern und in allen G-20-Industriestaaten ein Tempolimit auf Fernstraßen haben.
(Zuruf von der FDP)
Denen geht es natürlich allen schlechter. Nur Deutschland geht es gut und die deutschen Autobahnen sind die sichersten: Ich schlage Sie wirklich für die „heute-show“ vor. Da oder in einer Karnevalssitzung hat ein solches Statement seinen Platz. Es hat aber keine Berechtigung mehr, wenn man sich Statistiken und internationale Vergleiche anschaut.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Niveau der Debatte ist leider ausgesprochen niedrig.
(Jochen Ott [SPD]: Deutsche Autobahnfalle!)
Herr Stamp, der zweite Punkt. – Rücksichtsvolles und besonnenes Fahren, bei dem man andere Verkehrsteilnehmer im Blick hat, ist das Gegenteil von Spießigkeit. Das war jetzt ein Wahlkampfspruch aus der aktuellen FDP-Wahllotterie. Ich finde, besonnenes Fahren auf deutschen Straßen ist vernünftig.
An die FDP mit Internetanschluss, an die Piraten gerichtet möchte ich auf den Spruch von Herrn Bayer eingehen. – Ich schätze es durchaus, dass wir gewisse Verbote im deutschen Straßenverkehr haben. Ich schätze es als Fußgänger oder Radfahrer, wenn die Ampel für die Pkw rot ist und ich hinübergehen kann, ohne dass sich jemand überlegt: Irgendwie fühle ich mich gerade so, als ob ich fahren und mich nicht von irgendwem gängeln lassen möchte. Ich fahre einfach über die Ampel, weil ich es eilig habe. – Die Straßenverkehrsordnung beinhaltet ganz klare Regularien. Ein Tempolimit auf Autobahnen könnte auch eines sein. Das würde weder dem Industriestandort bzw. Wirtschaftsstandort schaden noch sonst wem.
Als dritten Punkt möchte ich auf Herrn Moritz eingehen. Ganz kurz: Sie haben recht. – In meinem Skript steht, dass es sich um den Abschnitt von Bielefeld bis Porta Westfalica handelt. Er ist nämlich dreispurig. Dort gibt es kein Lkw-Überholverbot. Es gibt auch kein Tempolimit.
Was Sie eben mit dem Bielefelder Berg angesprochen haben, stimmt, auch wenn es keine Ecke ist, an der ich häufig vorbeifahre. Das ist ein Punkt an Sie, das muss ich ehrlich zugeben. Da haben Sie recht.
Es geht aber um den anderen Abschnitt.
In der Übersicht der Unfallschwerpunkte, die von den Regierungspräsidien im letzten Jahr herausgegeben wurde, ist der Teilabschnitt zwischen Bielefeld und Porta der unfallreichste. Zu meinem Bedauern hat das Detmolder Regierungspräsidium darauf reagiert und gesagt, in einem Versuch bis 2015 noch einmal beobachten zu wollen, ob es Maßnahmen in diesem Bereich geben muss, um die Unfallhäufigkeit zu reduzieren.
Ich finde, man hätte bei dieser Strecke gleich das Tempo reduzieren und ein glasklares Lkw-Überholverbot einführen können. Dann würde die Unfallzahl deutlich abgesenkt.
(Zustimmung von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Als Letztes komme ich noch einmal auf das zu sprechen, was Herr Stamp gesagt hat, und zwar diesmal betreffend unser Wahlprogramm und seinen Inhalt. Ich hoffe, es ist nicht zu viel der Ehre, wenn ich so häufig auf ihn eingehe. – Für das Handeln der Landesregierung ist ausschließlich der Koalitionsvertrag relevant. Wir haben in unserem Wahlprogramm NRW auch Aussagen zur Bürgerversicherung, zu innenpolitischen Themen usw. Dort ist überall der Bundesgesetzgeber gefragt.
Tempo 120 hatten wir schon im allerersten Wahlprogramm der Grünen, glaube ich. Das ist nun wirklich kein Aufregerthema. Das haben wir ständig vertreten; das ist nichts Neues. Aber im Koalitionsvertrag gibt es eine ganz klare Festlegung auf den Feldversuch des Regierungspräsidiums Arnsberg, der bis 2015 läuft und dann ausgewertet wird. Und es gibt ganz klare Aussagen zur Lärmreduzierung. Das hat der Minister eben angesprochen.
Schön, dass Sie auch aus grünen Wahlprogrammen zitieren. Es war der Versuch, heute eine kleine Wahlkampfveranstaltung durchzuführen. Sie ist pressemäßig aber wohl nicht ganz so gut besucht worden. Das tut mir allerdings für Sie nicht wirklich leid.
Tempo 120 wäre ein Angebot für mehr Verkehrssicherheit auf deutschen Autobahnen.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Das verstehen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger. Es gab im Europaparlament eine fraktionsübergreifende Initiative zum Thema Tempo 30 in Innenstädten. Sie wurde auch von den Liberalen und den Christdemokraten im Europaparlament mitgetragen. Ich glaube, bei diesem Thema wird es ähnlich wie bei anderen Themen, etwa bei der Kernkraft, sein: Irgendwann werden wir dieses Tempolimit haben, weil es vernünftig ist, weil es alle anderen europäischen Länder auch haben und weil es ein deutlicher Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit in diesem Lande wäre. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Herr Kollege, Sie haben auch das Ergebnis der Evaluation von Regierungspräsident Bollermann genannt! Wie glaubwürdig ist das dann für das Projekt? Entlarvend!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schemmer.
Bernhard Schemmer*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ständig neue Forderungen von Minister Groschek in den Bereichen Bauen, Wohnen, Verkehr und Stadterneuerung an Minister Ramsauer, nur um von den eigenen Problemen und Fehlern abzulenken.
(Beifall von der CDU)
Ich hatte von Ihnen zumindest eine klare Positionierung erwartet. Der grüne Koalitionspartner hat ja gesagt, wie er dazu steht. Ich erwarte von einer Landesregierung, von der Ministerpräsidentin, mindestens aber vom Verkehrsminister, dass einmal klar gesagt wird, wie man sich zum Thema „Tempolimit“ positioniert. Da wird von Ihnen, Herr Groschek, hier alles Mögliche erzählt. Da findet dann Grimms Märchenstunde statt. Der Flugverkehr hat noch gefehlt. Den hätten Sie in Ihre Rede eben noch einbauen sollen. Dann wäre es fast komplett gewesen. Also: Thema verfehlt – mangelhaft!
Beschäftigen wir uns doch einmal mit dem Besucher der Straßenschäden und der Brücken, nämlich mit Herrn Steinbrück. Ich erinnere daran – das werden selbst die meisten Sozialdemokraten hier nicht wissen –, dass er hier einmal ab 1995 Verkehrsminister gewesen ist, dann war er Finanzminister und schließlich Ministerpräsident. Von 2005 bis 2009 war er Finanzminister in der Großen Koalition. Er ist mir nie dadurch aufgefallen, dass er sich je in seinem Leben sonderlich um die Weiterentwicklung von Verkehrsinfrastruktur gekümmert hätte oder dass er den Reparaturstau, den es auf diesem Gebiet gibt, abgearbeitet hätte. Ich denke, gerade wenn er die Schlaglöcher und maroden Brücken besucht, will er PR zulasten seiner eigenen Fehler der Vergangenheit machen. Ich weiß es nicht.
Und dann kommt Herr Gabriel mit dem Tempolimit.
Jetzt muss Nordrhein-Westfalen als großes Land doch einmal erklären, was es will.
Zu Ihrer ständigen Forderung nach einer Maut, wofür auch immer: Bei 55 Milliarden € an Steuereinnahmen aus dem Kraftfahrzeugverkehrsbereich müssten doch mindestens 30 % für die Infrastruktur übrig bleiben, ohne den Bürger neu zu belasten. Ich denke, dass müsste möglich sein.
Dann werden zu den Lärm- und Geschwindigkeitsbegrenzungen wieder Untersuchungen angeführt. – Wir haben aber keine Erkenntnisprobleme, sondern Umsetzungsprobleme: Ihr Haus ist schlicht nicht fähig, die Umsetzung zu leisten.
Dann wird auch noch einmal der Lärmschutz angeführt. – Jeder weiß, dass 90 % des Lärms auf Autobahnen von Lkw und deren Fahrgeschwindigkeit in die Welt gebracht wird. Nur 10 % stammen von den Pkws. Da von einer Geschwindigkeitsbegrenzung eine Verbesserung zu erwarten, ist so falsch, wie man es sich nur vorstellen kann.
Beim CO2-Ausstoß stammen 13 % von Pkws. Bei einem Tempolimit würde sich der Wert um 2 % verbessern. 2 % von 13 % sind nicht ganz 3 Promille. 3 % weniger bei Investitionen ist zwar wenig, aber was ich in dem einen oder anderen Wortbeitrag hierzu gehört habe, könnten 3 Promille am Steuer oder hier am Rednerpult wohl auch ziemlich viel sein. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Breuer das Wort.
Reiner Breuer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Zeit, dass diese Debatte beendet wird. Es ist eine verkehrspolitische Geisterfahrt, die Sie hier veranstalten, meine Damen und Herren von CDU und FDP.
(Beifall von der SPD)
Sie wollen nämlich – das ist ja offenkundig geworden – von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken, die Sie auf Bundesebene zu vertreten haben. Sie führen doch die Menschen in Nordrhein-Westfalen in den Stau. Das muss man doch einmal deutlich sagen. Sie hindern die Menschen an der Mobilität, weil Sie nicht in der Lage sind, auf Bundesebene endlich eine saubere Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur hinzubekommen.
(Beifall von der SPD)
Ich frage Sie: Wo bleiben denn die Gelder zum Erhalt und zum Ausbau unserer Straßen? Wann kommt denn die Betuwe-Linie? Wann kommt denn der Eiserne Rhein? Wann kommt denn der RRX? Herr Schemmer, geben Sie doch endlich einmal darauf Antworten! Das ist Ihre Aufgabe!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie sollten auch einmal Ihr Verhältnis zur Maut mit Ihrem „Herrn Ramses“ klären. Sie haben gerade wieder ein eindrucksvolles Beispiel dafür gegeben, dass das nicht geklärt ist, wenn Sie schon wieder auf die Steuereinnahmen hinweisen.
Wir haben uns hier im Landtag klar und deutlich positioniert. Ich glaube, wir sind auch insgesamt gut aufgestellt, was die Frage der Verkehrsfinanzierung angeht. Das sind die eigentlichen Probleme, die wir hier in Nordrhein-Westfalen angehen. Das, was Sie hier veranstalten, sind doch Spökes. Das ist doch alles wirklich nicht seriös.
Sie wissen doch auch, dass man an den Komplex „Einrichtung von Tempolimits“ sehr viel differenzierter herangehen muss. Sie wissen um die Argumente aus der Wissenschaft und Forschung, dass natürlich Tempolimits dazu beitragen können, schwere Verkehrsunfälle zu vermeiden, dass sie dazu beitragen können, dass es weniger Verkehrstote auf unseren Straßen gibt. Sie wissen auch um die Fakten, dass natürlich die Umwelt entlastet werden kann, dass vermieden werden kann, dass die Bürgerinnen und Bürger durch Lärmspitzen belastet werden. Das alles wissen Sie.
Wir wissen das auch. Deswegen gehen wir differenziert an die Aufgaben heran. Aus diesem Grunde haben wir im Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen – darüber reden wir – vereinbart, einen Modellversuch durchzuführen. Der ist angelaufen. Wir werden ihn auswerten und werden dann gegebenenfalls die erforderlichen Schlussfolgerungen daraus ziehen.
Meine Damen und Herren, Sie haben heute wieder einmal rhetorisch Vollgas gegeben, und erwartungsgemäß haben Sie die populistische Höchstgeschwindigkeit weit überschritten. Ich hoffe, dass Sie sehr bald die Fahrerlaubnis entzogen bekommen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Breuer. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung, und ich schließe die Aktuelle Stunde.
Ich rufe auf:
2 Anerkennungsgesetz Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1188
Änderungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2975
Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2978
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/2903
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2902
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Jansen das Wort.
Daniela Jansen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf für ein Anerkennungsgesetz verfolgen wir zwei maßgebliche Ziele: zum einen ein klares, einheitliches und faires Verfahren zu definieren, das zu einer schnellen und systematischen Berufsanerkennung führt, und zum anderen den Fachkräftemangel zu beseitigen.
Nachdem durch das Bundesgesetz im letzten Jahr Handwerksberufe und IHK-Berufe geregelt wurden, war es an der Zeit, auch für die landesrechtlich geregelten Berufe ein transparentes Verfahren zu entwickeln.
Durch das Anerkennungsgesetz werden 165 Berufe erfasst, darunter Ingenieurinnen sowie Erzieherinnen und weitere Berufe aus dem Gesundheitswesen. Insbesondere in diesen Branchen klagen die Berufsverbände eigentlich über einen eklatanten Fachkräftemangel. Umso verwunderlicher war es, dass ausgerechnet Interessenvertretungen wie die Ingenieur- oder die Ärztekammer um Ausbezug und auch um Sonderregelungen für ihre Berufsstände gebeten haben.
Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Das Gesetz regelt den Rechtsanspruch auf ein anerkanntes Verfahren, nicht aber die Inhalte und das Niveau. Standards wie die Gleichwertigkeit der Abschlüsse bleiben unangetastet. Lassen Sie sich da also nicht vor den Karren spannen! Im Übrigen findet sich die Klarstellung im Gesetzentwurf – für die, die es nachlesen möchten: Art. 2 § 2 Abs. 6.
Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus der Anhörung zum Anerkennungsgesetz Herrn Balaban vom Landesintegrationsrat:
„Wir machen nun einen Weg frei, der für Deutschland sehr gut ist. Wenn die Abschlüsse anerkannt werden, wird das im Ausland Wellen schlagen. Das war bislang ein Hindernis für die Fachkräfte, nach Deutschland zu kommen … Durch die Anerkennung wird alles getan, um denen, die schon seit Jahren hier sind, Wertschätzung zu geben, und denen, die im Ausland sind und nach Deutschland kommen wollen, ein Signal zu geben.“
Genau das trifft das Wesen des Anerkennungsgesetzes: Wir schaffen zum einen die Grundlage, um in Zeiten eines wachsenden Fachkräftemangels ausländische Qualifikationen besser nutzen zu können, zum anderen geben wir den Menschen mit Migrationshintergrund die Anerkennung, die sie verdienen.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gehen sogar noch einen Schritt weiter: Mit dem Ausbau einer umfassenden Beratungsinfrastruktur soll allen Menschen die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Qualifikationen angemessen begutachten zu lassen. Wir wollen Kompetenzfeststellungsverfahren entwickeln, um allen Anspruchsberechtigten eine angemessene Beurteilung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen.
Wir lassen also die Interessierten nicht allein, sondern werden im Rahmen von angemessenen Verfahren ganz genau erörtern, welche Fähigkeiten anerkannt werden können. Dies gilt im Übrigen besonders auch für nichtformale Qualifikationen und Fertigkeiten, die im Laufe eines Berufslebens erworben werden; denn für uns gilt nicht nur: „Kein Kind zurücklassen!“, sondern auch, keinen Menschen zurückzulassen, dem vielleicht nur ein Zeugnis oder eine Teilqualifikation fehlen.
(Beifall von der SPD)
Wie beinahe immer geht es bei diesem Thema auch um das Geld. Wir fordern, eine Schwachstelle des Bundesgesetzes zu beheben; denn es gibt bisher keine gesetzliche festgelegte Beteiligung des Bundes an den Kostenfolgen für die eben genannte Beratungsinfrastruktur oder die Anpassungsqualifizierungen. Wir drängen daher darauf, dass die Bundesbildungsministerin ihre Zusage einhält, sich an der Finanzierung von Nachqualifizierung zu beteiligen. Es ist völlig widersinnig, dass mit viel Aufwand und wissenschaftlicher Begleitung immer neue Modellprojekte zur bundespolitischen Förderlinie „Perspektive Berufsabschluss“ finanziert werden.
Steigen Sie daher lieber mit Hilfe der Agentur für Arbeit in die konkrete Finanzierung von Nachqualifizierung ein!
Wir kennen nämlich die Probleme, und wir kennen die Menschen, die es betrifft. Es kann nicht sein, dass Menschen nach Abschluss des Verfahrens feststellen, dass ihnen noch ein kleiner Teil zur vollständigen Anerkennung fehlt, und dafür dann kein Geld da ist.
Ich rufe den Bund also zur Einhaltung der Zusage auf, sich an den Kosten für die Nachqualifizierung zu beteiligen.
(Beifall von der SPD)
Ein weiterer wichtiger Punkt: Viele der Menschen mit Migrationshintergrund und ohne anerkannte Berufsausbildung sind auf SGB-II-Leistungen angewiesen und scheuen somit das finanzielle Risiko eines Anerkennungsverfahrens. Wir erwarten daher, dass sowohl bei den Gebühren als auch bei den Hilfen zum Lebensunterhalt während einer laufenden Nachqualifizierung entsprechende finanzielle Hilfen bereitgestellt werden. Ob das KfW-Kredite sind oder ob die Instrumente der Agentur für Arbeit in Anspruch genommen werden können, bleibt zu prüfen. Es kann nämlich nicht sein – lassen Sie mich das zum Schluss ganz klar sagen –, dass Menschen mit ausländischem Berufsabschluss weiter von staatlichen Transferleistungen abhängig sind, obwohl sie als Fachkräfte hier dringend gebraucht werden.
Lassen Sie mich noch kurz zu zwei Anträgen Stellung nehmen: Dem CDU-Änderungsantrag, wonach eine automatische Information über den Stand des Anerkennungsverfahren an das Ausländeramt übermittelt wird, können wir nicht zustimmen – wir haben ihm im Ausschuss auch nicht zugestimmt –, weil es sich um eine Vermischung der Rechtskreise handelt und den bürokratischen Aufwand nur von dem einen auf das andere Amt verlagert.
Zu dem FDP-Antrag, den wir kurzfristig zugestellt bekommen haben: Der Ansatz ist grundsätzlich richtig, einen Rechtsanspruch zu schaffen. Aber wir haben im Antrag auch geschrieben, dass wir für eine Beratungsinfrastruktur sorgen. Ein Rechtsanspruch würde allerdings bedeuten, dass das nicht mehr über ESF-Gelder gefördert werden kann, da dann das Subsidiaritätsprinzip verletzt würde.
Meine Damen und Herren, das nun im Entwurf vorliegende, von NRW entwickelte Landesanerkennungsgesetz, das übrigens auch als Mustergesetzentwurf für die anderen Länder dient, ist ein gutes Gesetz für NRW und für die Bürgerinnen und Bürger, die bislang unter ihren Qualifikationen arbeiten müssen. – Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen. – Für die CDU-Fraktion spricht nun der Kollege Kerkhoff.
Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Anerkennungsgesetz kann einen Beitrag zur Fachkräftesicherung in diesem Land leisten; denn neben einer stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen ist auch die Gruppe der Migranten für die Sicherung des Fachkräftebedarfs in diesem Land von großer Bedeutung.
(Beifall von der CDU)
Ein Anerkennungsgesetz wird dies sicher nicht allein lösen können. Es ist allenfalls ein Baustein, aber ein sehr wichtiger. Wir senden als Gesetzgeber die Botschaft an viele tausend Menschen in diesem Land: Wir brauchen euch, und wir brauchen euch mit euren Fähigkeiten und Fertigkeiten, und wir schauen nicht darauf, wo ihr diese Fähigkeiten erworben habt. Uns ist es egal, ob der Ausbildungsort am Bosporus oder am Baldeneysee liegt; entscheidend ist, was ihr könnt.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wir wollen, dass diejenigen, die hier leben, sich mit ihren Fähigkeiten einbringen und entfalten können. Damit verbunden ist die Chance für viele Menschen, den sozialen Aufstieg zu schaffen, durch Leistung und Anstrengung sich selbst und der eigenen Familie eine Perspektive aufzuzeigen und ein besseres Leben zu ermöglichen. Das ist im Übrigen ein Grundmotiv christdemokratischer Politik.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf setzt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ein Bundesgesetz der christlich-liberalen Koalition in Berlin für die landesrechtlich geregelten Berufe um.
(Beifall von der CDU)
Wir hätten uns deshalb gewünscht, wenn NRW zu den ersten Bundesländern gehört hätte, die dieses Gesetz auf den Weg bringen. Abgesehen davon müssen wir feststellen, dass Sie keine Vorschläge und Anregungen zu diesem Gesetz, die wir in der Anhörung im Februar gehört haben, aufgenommen haben. Dort waren sämtliche Vertreter der Berufe, die es landesrechtlich umzusetzen gilt, zugegen und haben sich intensiv eingebracht. Ich will Ihnen auch sagen, dass wir uns Änderungen im Bereich der Anerkennung von Fachärzten gewünscht hätten. Dies haben Sie abgelehnt.
Es muss doch völlig klar sein: Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse darf nicht zulasten der Qualität gehen. Dies gilt gerade dort, wo es um Gesundheit geht. Deshalb gehört die Frage, wer sich Facharzt nennen darf, nicht ins Anerkennungsgesetz; denn hier gibt es ein funktioniertes und bewährtes Fachrecht, das die Grundlagen des Weiterbildungsrechts der akademischen Heilberufe regelt.
(Beifall von der CDU)
Das Prüfungs- und Anerkennungsverfahren ist Teil der ärztlichen Selbstverwaltung und hat sich bewährt. Wir sind der Meinung, wo Neurochirurg draufsteht, muss auch Neurochirurg drin sein. Das zu prüfen, ist Sache von Ärzten und ihrer Organisationen und kann nicht in irgendeiner Amtsstube der Bezirksregierung oder sonst wo festgelegt werden.
Wir bedauern es daher auch außerordentlich, dass die Landesregierung keinen intensiveren Kontakt zu den Ärztekammern gesucht hat, um zu einem qualitätsgesicherten Verfahren an dieser Stelle zu kommen.
(Günter Garbrecht [SPD]: Stimmt ja nicht!)
Meine Damen und Herren, Sie haben in diesem Gesetz weitgehend auf eigene landespolitische Akzente verzichtet. Das nehmen wir Ihnen nicht übel, im Gegenteil. Wir sind der Auffassung, dass Sie eine ganz hervorragende Vorlage aus Berlin hatten.
(Beifall von der CDU)
Bei der positiven Wirkung, die dieses Gesetz haben wird, sehen wir auch darüber hinweg, dass SPD und Grüne es wieder einmal nicht unterlassen konnten, in einem Entschließungsantrag nach mehr Unterstützung durch den Bund zu rufen. Dieser Reflex ist uns allen in diesem Hause bekannt. Er nutzt sich ab, ändert an dieser Stelle aber nichts zu unserer Zustimmung zu diesem Gesetz. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.
Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über das Anerkennungsgesetz Nordrhein-Westfalen. Gleich vorweg: Wir beraten schon lange darüber, und wir können froh und glücklich sein, dass wir dieses Gesetz jetzt abschließend beraten können. Ich freue mich ganz besonders darüber, dass sich die CDU diesem Gesetzentwurf anschließt.
Das ist ja auch kein Wunder; denn der demografische Wandel ist ein breit diskutiertes Phänomen. Erst heute konnten wir darüber lesen, und gestern haben wir mehr darüber erfahren. Es ging um die Demografiekonferenz, auf der nicht wirklich klar geworden ist, wohin die Reise geht. Immerhin: Die Kanzlerin hat etwas Nettes gesagt. Sie sprach vom europäischen Binnenmarkt und mehr Offenheit für Zuwanderung. Darum geht es auch in dem Anerkennungsgesetz.
Innenminister Friedrich hat natürlich gewarnt. Deswegen können wir uns nicht immer so sicher sein, was da eigentlich gewollt wird.
Tatsächlich geht es im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in Deutschland auch um die Frage des Fachkräftemangels. Und da ist das Anerkennungsgesetz ein Baustein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. In Nordrhein-Westfalen stellen wir uns dieser Herausforderung. Deswegen ist es auch eine gute Grundlage für die landesrechtlich zu regelnden Berufe, und zwar aller möglichen Berufe.
„1 Million Zuwanderer 2012“, so titelte die „Rheinische Post“ am 8. Mai 2013. Allein diese Zahl zeigt, wie wichtig ein solches Gesetz ist; denn die Menschen kommen mit ausländischen Berufsabschlüssen. Sie kommen mit Berufserfahrungen in vielen Bereichen. Sie sind die Fachkräfte, die in Deutschland so dringend gebraucht werden. Dazu kommen – so sind die bundesweiten Schätzungen – 300.000 Menschen, von denen bislang erst 30.000, also nur 10 %, einen Antrag auf Anerkennung ihres Berufsabschlusses gestellt haben. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit diesem Anerkennungsgesetz das Potenzial insbesondere der Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland leben, nutzen und dass deren Abschlüsse anerkannt werden.
Häufig ist es bei vielen, die langjährig in Deutschland sind, so, dass sie weit unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten bzw. gearbeitet haben oder – im schlimmsten Fall – mangels der Anerkennung ihrer Qualifikation arbeitslos sind. In Nordrhein-Westfalen betrifft das laut Auskunft des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales schätzungsweise um 60.000 bis 80.000 Personen. Das Anerkennungsgesetz leistet einen Beitrag für die Integration dieser Menschen und sichert gleichzeitig die Qualität in den betroffenen Berufen und unserer Meinung nach auch bei den Ärzten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Signalwirkung. Die Kompetenzen von Migrantinnen und Migranten werden wertgeschätzt, und das im wahrsten Sinne des Wortes; denn es ist in keiner Weise einzusehen, dass sich eine ausländische Ingenieurin in Deutschland ein Taschengeld als Reinigungskraft verdienen muss, wo sie doch eigentlich als Ingenieurin dringend gebraucht wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
In Deutschland werden formale Qualifikationen besonders wichtig genommen, auf jeden Fall wichtiger als in vielen anderen Ländern. Menschen mit Berufserfahrung, Wissen und Können, aber ohne formale Qualifikation – zum Beispiel der bergische Facharbeiter, ein feststehender Begriff, die IT-Expertin – haben es deshalb oft schwer, in ihre Berufe einzusteigen.
Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, diese Vorerfahrungen, dieses Wissen zu nutzen, stärker zu gewichten und in das Anerkennungsverfahren einzubeziehen. Das wollen wir ausdrücklich. Deswegen sieht unser Entschließungsantrag auch vor, dass wir innovative Verfahren entwickeln, um diesen Menschen eine Möglichkeit in den Berufseinstieg zu gewähren.
Ein ganz wichtiger Punkt im Zusammenhang mit Qualifikation und Berufsanerkennung ist die Frage der Nachqualifizierung. Menschen, die es nicht im ersten Schritt schaffen, dass ihr Beruf anerkannt wird, müssen die Möglichkeit haben, sich in diesem Beruf zu qualifizieren, die erforderliche Qualität nachzuweisen. Das geht auf unterschiedlichen Wegen, aber dazu wird auf jeden Fall eine Finanzierung benötigt.
Es ist glücklicherweise den Ländern im Bundesratsverfahren gelungen, dafür auch Geld vom Bund zu bekommen. Denn Nachqualifizierung, berufliche Teilhabe, Qualität gehören zur Willkommens- und Anerkennungskultur.
(Beifall von den GRÜNEN)
Bei der Bedeutung, die das Anerkennungsgesetz für die Menschen und für die Wirtschaft hat, liegt es natürlich nahe, Herr Dr. Stamp, über einen Rechtsanspruch auf Beratung nachzudenken. Das ist wichtig.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Nur: Leider ist es in allen Verhandlungen nicht gelungen, dafür eine Kofinanzierung zu bekommen. Jetzt haben wir das Problem – da meldet sich die Haushälterin in mir –, dass, wenn das Land Nordrhein-Westfalen diesen Rechtsanspruch definieren würde, erhebliche Kosten auf das Land alleine zukämen. Das können wir uns vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung leider nicht leisten. Dass ausgerechnet die FDP das jetzt so vorsieht, finde ich interessant. Ich würde mir aber wünschen, dass wir ehrlich über die Kosten reden.
Stattdessen machen wir etwas, was ich auch für sehr gut und wichtig halte: Wir richten ein flächendeckendes Beratungsnetzwerk ein, aber nicht mit Landesmitteln allein, sondern mit einer ESF-Kofinanzierung, die allerdings wegfallen würde, würden wir einen Rechtsanspruch begründen. Trotzdem können wir auf die 80 bis 90 Beratungsstellen für berufliche Entwicklungen stolz sein, die Migrantinnen und Migranten Unterstützung in ihren spezifischen Situationen geben können.
Ich freue mich, dass wir unter den ersten Bundesländern sind – leider nicht das erste aus Gründen der Diskontinuität –, die dieses Anerkennungsgesetz verabschieden. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, wie wichtig dieses Gesetz für alle Personen ist, die im Ausland erworbene Qualifikationen mitbringen.
Ich möchte schließen. – Ich finde, wir sollten das Thema nicht parteipolitisch behandeln. Deswegen bin ich froh, dass wir aus Nordrhein-Westfalen neue Impulse in dieses Anerkennungsgesetz hineingegeben haben, sodass wir gemeinsam darüber abstimmen können. In diesem Sinne möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten am Ende meiner Rede ausnahmsweise die Kanzlerin von gestern zitieren. Sie hat gesagt: Wir gelten als abgeschlossen. – Wir in NRW versuchen, mit unseren Mitteln im Anerkennungsgesetz ein klein wenig dazu beizutragen, dass Deutschland weniger abgeschlossen ist.
In diesem Sinne freue ich mich auf das Abstimmungsergebnis. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Landtagsfraktion spricht der Herr Kollege Alda.
Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP erachtet dieses Vorhaben sowohl arbeitsmarktpolitisch als auch integrationspolitisch als äußerst wichtig und begrüßt, dass die Landesregierung nunmehr ein Gesetz auf den Weg bringt, um die Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen für die Berufe zu regeln, für die das Land zuständig ist.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Die erleichterte Anerkennung beruflicher Bildungsabschlüsse, die im Ausland erworben wurden, ist aus unserer Sicht ein unverzichtbarer Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist es wichtig, dessen Folgen auf das Fachkräftepotenzial zu begrenzen.
Es ist eine ungeheure Verschwendung von fachlichem Potenzial, wenn Menschen, die in ihrem Herkunftsland gut ausgebildet wurden, hierzulande in Berufen tätig sind, die zum Teil weit unter ihrem Qualifikationsniveau liegen. Jedem von uns, jeder Kollegin, jedem Kollegen, wird es sicher schon passiert sein, dass er/sie irgendwo am Hauptbahnhof oder am Flughafen ankam und von einem afghanischen Arzt im Taxi gefahren wurde, womit ich jetzt nicht die Taxifahrer abwerten will. Aber das sind genau die Problemstellungen, die wir hier angehen müssen.
Somit herrscht hier sicher Einigkeit über die Notwendigkeit dieses Gesetzes. Ich danke Frau Kollegin Velte, die hier den Hinweis gegeben hat, das Thema nicht parteipolitisch auszuschlachten, sondern an einem Strang zu ziehen. Insgesamt wird das Anerkennungsgesetz NRW 165 Berufe erfassen. Dazu gehören Berufe wie Ingenieure, Architekten und Erzieher. Der Regelungsbereich des Landes umfasst sowohl reglementierte als auch nichtreglementierte Berufe.
Die Bundesregierung – darauf muss noch einmal extra hinweisen –, Schwarz-Gelb, hat für die Berufe, die in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen, ein Bundesanerkennungsgesetz erarbeitet. Dieses umfasst das sogenannte Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz sowie Änderungen an bestehenden Gesetzen und Verordnungen für die sogenannten reglementierten Berufe. Es ist am 1. April 2012 in Kraft getreten.
Zum Geltungsbereich zählen etwa die ärztliche Ausbildung, die Apothekerausbildung, die Krankenpflegeausbildung, aber auch Handwerksmeister. Außerdem bezieht sich das Gesetz auch auf die nichtreglementierten Berufe in der dualen Ausbildung. Insgesamt gilt dieses Anerkennungsgesetz des Bundes für 450 Berufsfelder.
Geschätzte Frau Kollegin Jansen, Ihre Kostenforderung an den Bund kann ich nur in der Beziehung nachvollziehen, dass Sie hier einer Regierungsfraktion angehören und nicht im Bund. Andererseits hat Frau Kollegin Velte bereits angeführt, dass Gelder für die Erwachsenenbildung mittlerweile nachgeschossen worden sind. Irgendwo muss da zwischen Ihnen eine Diskrepanz liegen. Seien Sie mir nicht böse, aber zumindest hörte es sich so an.
Das Anerkennungsgesetz erleichtert den beruflichen Einstieg und Aufstieg für viele Migranten in Deutschland. Das Gesetz, für das sich die FDP auf Bundesebene starkgemacht hat, sorgt dafür, dass sich mehr Menschen entsprechend ihrer Qualifikation einbringen können. Daraus resultieren viele tausend individuelle Erfolgsgeschichten und ein großer Erfolg für Deutschland.
Mehr als 30.000 Anträge auf berufliche Anerkennung haben Menschen mit ausländischen Berufsabschlüssen bereits gestellt. Besonders stark ist das Interesse bei Berufen im Gesundheitsbereich, in dem Deutschland dringend auf diese Fachkräfte angewiesen ist.
Wir von der FDP, aber auch die CDU-Fraktion und die Fraktion der Piraten hätten gehofft, dass in NRW die Ärztinnen und Ärzte aus dem Landesgesetz ausbezogen würden. Für den Ausbezug der Ärztinnen und Ärzte spricht die Tatsache, dass den Antragstellerinnen und Antragstellern die Entscheidung über die Ausgleichsmaßnahme – sprich: Anpassungslehrgang oder Eignungsprüfung – überlassen wird. Im Hinblick auf die wesentlichen Unterschiede in der Weiterbildung eröffnet diese Wahlmöglichkeit gravierenden Qualitätsverlusten Tür und Tor. Diese können bis hin zu einer Gefährdung von Leib und Seele der Patientinnen und Patienten führen. Schließlich macht es einen Unterschied, ob es sich um Ärzte oder Ingenieure handelt. Für Letztere können die Unternehmen eine Probezeit einrichten. Die Ärztinnen und Ärzte müssen hingegen schnellstmöglich am Patienten und damit auch an dessen Gesundheit und Leben eingesetzt werden.
Lassen Sie mich noch einen anderen Bereich herausgreifen, bei dem der Fachkräftebedarf von hoher Bedeutung ist. Auf dem Feld der dualen Ausbildungsberufe sind schon rund 4.000 Anträge bei den Kammern eingegangen, die für die Anerkennung der jeweiligen Berufsqualifikationen zuständig sind. Am häufigsten nachgefragt sind dabei Anerkennungen im kaufmännischen Bereich sowie in Metall- und Elektronikberufen. Gerade die beiden letztgenannten Berufe sind auch die großen Mangelfelder im dualen Bereich.
Mit dem Anerkennungsgesetz heißen wir Hochqualifizierte, die nach Deutschland kommen wollen, willkommen. Wir müssen für qualifizierte Zuwanderung attraktiver werden. Nach Dr. Hans Dietrich von Loeffelholz, Leiter der Migrationsforschung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, lag die Zahl der Zuwanderer 2012 bei 1 Million Menschen. Zieht man davon die Zahl der Auswanderer ab, bleibt ein Saldo von 270.000 Personen, darunter viele gut ausgebildete Personen. Diese gilt es dauerhaft in unserem Arbeitsmarkt zu halten.
Wenn Sie die Medien in letzter Zeit studiert haben, wissen Sie, dass die Zuwanderung auch wieder zuzunehmen scheint, vor allen Dingen aus den südeuropäischen Ländern.
Um die Schwelle für das immer noch komplizierte Anerkennungsverfahren zu senken, sollte ein Rechtsanspruch auf Beratung im Gesetz verankert sein. Dazu stellt die FDP-Fraktion einen Änderungsantrag, den mein Kollege Dr. Stamp gleich erläutern wird.
Grundsätzlich stimmen wir dem Gesetzentwurf zu – trotz Verbesserungsmöglichkeiten. Wir sollten es aber – ich beziehe mich auf die Kollegin von den Grünen – ohne parteipolitischen Streit machen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Sommer.
Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream! Beim hier diskutierten Anerkennungsgesetz Nordrhein-Westfalen steht für uns als Piratenfraktion die angestrebte Willkommenskultur natürlich an erster Stelle. Der vorliegende Gesetzentwurf ist auch ein Schritt in die richtige Richtung. Das kann man meines Erachtens daran festmachen, dass die Regelungen für hier lebende Menschen ausländischer Herkunft, speziell diejenigen, die schon etliche Jahre bei uns sind, zwar noch ausbaufähig, aber letztendlich schon sehr gut sind.
Für diejenigen, die sich noch auf dem Weg zu uns befinden, wäre eine Vereinfachung allerdings sinnvoll. Beispielsweise hätte man einen rechtlichen Anspruch auf Ansprechpartner in Ausländerbehörden gesetzlich verankern können. Das wäre zukunftsweisend gewesen. So aber bleiben wir bei diesem Personenkreis auf halber Strecke stehen.
Ein weiterer Punkt ist – das konnte auch in der Anhörung deutlich herausgearbeitet werden –, dass wohl nicht mit Hunderttausenden von Menschen zu rechnen ist, die in naher Zukunft nach Deutschland kommen werden, um ihre Bildungsabschlüsse anerkennen zu lassen. Eine Panikmache ist hier – „Achtung!!“; Herr Minister Jäger wird sich diese Debatte wahrscheinlich im Stream ansehen – wie auch an anderer Stelle ausdrücklich nicht angebracht. Dementsprechend kann damit keine Fachkräftesicherung auf breiter Basis stattfinden. Auf Nachfrage teilte uns beispielsweise die IHK Nürnberg, die im Sinne einer Gleichwertigkeit für ganz Deutschland für die Anerkennungsverfahren für die IHK-Berufe zuständig ist, mit, dass es seit Einführung des BQFG vor einem Jahr nur 23 Anträge gab. Solche Zahlen sprechen für sich, glaube ich.
Des Weiteren müssen wir sehen, dass noch entsprechende Fachgesetze zu ergänzen sind. Dies ist notwendig, damit wir unser derzeitiges hohes Fachniveau halten können. Auch wenn dem „Inschenjör nix zu schwör“ ist, darf der entsprechende Titel nicht entwertet werden. Gerade in diesem Bereich der hohen Qualifikation ist Deutschland weltweit mit führend. Ein Festhalten an diesem Niveau ist extrem wichtig – nicht zuletzt, um unsere Glaubwürdigkeit in diesem für die deutsche Wirtschaft notwendigen Bereich nachhaltig zu sichern. Deshalb ist in allen Bereichen eine Regelung vorzusehen, mit der die Vergleichbarkeit von Bildungsmaßstäben festgestellt werden kann. Es geht insbesondere um eine Gleichwertigkeit von Ausbildungen und Abschlüssen, die gegeben sein muss.
Wie die Anhörung gezeigt hat, gibt es Bereiche, in denen die Sicherung der Gleichwertigkeit lebenswichtig sein kann. Als Beispiel ist die Baustatik genannt worden. Die Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen wäre wohl sehr dankbar für eine entsprechende qualitätssichernde Verordnung; denn laut Aussage dieser Kammer ist man froh über jeden, den man anerkennen kann. Im Sinne der Sicherheit für die Allgemeinheit sollte aber schon eine Gleichwertigkeit gegeben sein.
Insofern würde ich gerne das nordrhein-westfälische Ingenieurgesetz als Maßstab für die Ingenieure zugrunde legen. In diesem Bereich gibt es aber auch noch keine bundeseinheitliche Regelung, die eine Gleichwertigkeit der Abschlüsse aus Drittstaaten garantieren würde. Insgesamt ist somit festzuhalten, dass es hier einer bundesweiten Abstimmung bedarf.
Eine solche bundesweite Abstimmung brauchen wir auch bei den Ärzten. Insbesondere bezüglich der fachärztlichen Ausbildung erscheint es uns sinnvoll zu sein, eine Ausbeziehung aus dem Anerkennungsgesetz vorzunehmen. Deshalb haben alle Oppositionsparteien gemeinsam einen Antrag in den Ausschuss eingebracht, der leider abgelehnt worden ist.
Einen solchen Ausbezug haben übrigens mittlerweile viele der anderen Bundesländer vorgenommen bzw. nehmen ihn in Zukunft in ihren Gesetzgebungsverfahren vor. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere auf das aus Sicht der Piratenfraktion bisher gelungenste Anerkennungsgesetz des Landes Hamburg verweisen.
Wenn man schon nicht einem inhaltlichen Argument Glauben schenken mag, kann man vielleicht ein formelles Argument zugrunde legen, um zum richtigen Ergebnis zu kommen. Leider sind die Fraktionen in diesem Punkt nicht übereingekommen.
Im Hinblick auf eine gelungene Willkommenskultur ist in der Diskussion um die Beratung und die Finanzierung von Nachqualifizierungsmaßnahmen dank der inzwischen zwei Entschließungsanträge sowie des Änderungsantrags Besserung in Sicht. Genaueres wird Ihnen meine Kollegin Simone Brand gleich noch dazu erläutern.
Ich möchte Frau Velte recht geben. Dieses Thema eignet sich in der Tat nicht für Wahlkampf oder parteipolitisches Gezänk. Es geht uns alle an, und wir müssen es gemeinsam lösen. Deshalb werden auch wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Schneider das Wort.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verabschiedung eines Gesetzes ist oftmals Wegmarke, um Bilanz zu ziehen. Zum Teil markiert sie auch einen Punkt, um zwischen Regierung und Opposition abzurechnen und politische Positionen zu vermarkten.
Dies ist hier beim Anerkennungsgesetz nicht angebracht. Ganz bewusst möchte ich meinerseits Danke sagen für die konstruktive Beratung im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens. Ich denke, alle Fraktionen haben sich in den Ausschüssen bemüht, das Gesetz sehr konstruktiv zu begleiten und sachliche Regelungen herbeizuführen, die auch geboten sind.
Wie Sie wissen, bin ich kein Freund von Einheitsbrei oder Konsenssoße. Die gab es hier auch nicht. Opposition und Regierungsfraktionen haben gerungen, um das Gesetz besser zu machen. Ich denke, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ich rede nicht gern von Stolz in der Politik. Aber alle Beteiligten können wirklich zu dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, wenn sie auch im Detail andere Wünsche haben, Ja sagen. Das hat ja auch die bisherige Diskussion gezeigt.
Es ist natürlich jetzt nicht die Zeit, zurückzufallen in gegenseitiges Schulterklopfen oder gar in politische Bräsigkeit. Wir müssen das Gesetz jetzt umsetzen, wenn Sie es beschließen. Es handelt sich bei diesem Gesetz um einen sehr wichtigen Zwischenschritt. Wir müssen mit diesem Gesetz wirklich zu einer ehrlichen Willkommenskultur kommen, die ja alle politisch Verantwortlichen in dieser Republik fast tagtäglich fordern. Auch hier hat sich – so denke ich – Gutes durchgesetzt.
Gelungene Integration wird gesellschaftlich immer bedeutender. Die bisherige Verschwendung von geistigem Potenzial bei Migrantinnen und Migranten war und ist ein gesellschaftlicher Offenbarungseid. Wir scheren bewusst aus dieser Linie aus. Wir geben Migrantinnen und Migranten eine faire Chance. Kein anderes Bundesland plant bislang, so viele Berufe in den Geltungsbereich eines Landesgesetzes aufzunehmen. Wir wollten bewusst keinen Schnellschuss unternehmen, sondern ein möglichst weitreichendes Gesetz entwickeln. Wir wollen ernst machen mit der Anerkennung der Qualifikationen von Migrantinnen und Migranten.
Lassen Sie mich hinzufügen: Gerade hier ging es um Qualität und nicht in erster Linie um Schnelligkeit. NRW ist meistens vorn, auch wenn es um Schnelligkeit geht. Aber die Qualität eines Gesetzes ist gerade hier in diesem sehr sensiblen Punkt aus meiner Sicht viel wichtiger.
Nun gilt es, das Gesetz stetig zu überprüfen und zu verbessern. Ziele sind die weitreichende Vereinfachung des Anerkennungsverfahrens und die Bündelung von Zuständigkeiten. Die Vereinfachung von Verfahren und die Nutzung des geistigen Potenzials von Migrantinnen und Migranten bedeuten aber nicht, dass die Qualität des Berufswesens gesenkt werden darf und soll. Im Gegenteil: Wir sichern für dieses Land den Nachwuchs und damit die hohe Qualität, zum Beispiel auch und gerade im Gesundheitswesen.
Selbstverständlich haben wir mit den Ärztekammern über diesen Punkt außerordentlich intensiv gesprochen. Informieren Sie sich bei Herrn Henke, dem Präsidenten der Landesärztekammer Rheinland, der ja auch jahrelang diesem Hohen Haus angehörte, über unsere Gespräche. Sie werden sehen, wir haben es uns gerade an diesem Punkt nicht leicht gemacht.
Selbstverständlich darf die Patientensicherheit in keiner Weise gefährdet werden. Es ist aber auch an der Zeit, einzugestehen, dass auch Bildungssysteme in anderen Staaten gute Medizinerinnen und Mediziner hervorbringen können und dies auch tun. Wenn Sie mal als Patient in einem Krankenhaus sind, werden Sie feststellen, wie viele Nationalitäten dort in der Ärzteschaft vertreten sind. Das sind doch alles keine Kurpfuscher. Ich denke, hier beginnt auch ein Stück weit die Diskriminierung von Menschen, die sich in ihrem Beruf sehr viel Mühe geben. Diese Diskriminierung sollten wir aus guten Gründen unterlassen.
Wir wollen nicht Qualifikationen aus dem Ausland pauschal anerkennen. Wir glauben aber, dass qualifizierte Arbeitskräfte mit jahrelanger Berufserfahrung keine volle Prüfung mehr absolvieren müssen. Es reicht aus, wenn nur die Inhalte nachgeholt und geprüft werden, die bislang noch nicht beherrscht werden. Wer die Qualität von ausländischen Bildungssystemen pauschal in Abrede stellt, müsste bei Migrantinnen und Migranten auch bei den Grundrechenarten beginnen. Wir halten dies, wie ich denke, gemeinsam für unsinnig.
Im Vorfeld wurde besonders davor gewarnt, den Bereich der medizinischen Weiterbildungen in das Anerkennungsgesetz NRW aufzunehmen. Diejenigen, die in diesem Zusammenhang die Patientensicherheit als Argument nutzten und massenhaft Kunstfehler prognostizierten, spielen mit der Angst der Menschen.
Integration, meine Damen und Herren, hat auch mit Vertrauen zu tun. Wir wollen Vertrauen fördern und entwickeln. Wir vertrauen darauf und wissen es auch, dass auch in anderen Staaten in vielen Berufsbereichen qualifizierte Persönlichkeiten ausgebildet werden. Wir vertrauen aber auch und gerade unseren zuständigen Stellen, die nach wie vor für die Anerkennung zum Beispiel im Fachkräftewesen zuständig sind.
Die Qualität des deutschen Berufswesens – das unterstreiche ich noch einmal dick – tasten wir nicht an.
Qualität ist sowieso das Merkmal, das für unseren Gesetzentwurf überragend gewichtig gewesen ist. Wir werden die Qualität des Anerkennungsprozesses verbessern, weil wir im Gegensatz zur Bundesregierung Migrantinnen und Migranten nicht allein lassen wollen. Daher haben wir die bestehenden Beratungsangebote zur beruflichen Entwicklung aufgewertet. Wenn dieses Gesetz beschlossen wird, stehen die über 80 Beratungsstellen zur beruflichen Entwicklung mit über 130 Beraterinnen und Beratern auch den Migrantinnen und Migranten zur Verfügung.
Wir haben die notwendige Beratung untergesetzlich geregelt, weil wir über dieses Gesetz keine zusätzlichen Belastungen für den Landeshaushalt entwickeln und herbeiführen wollen. Dies müsste eigentlich Ihren Beifall finden. Ich denke, Beratung ist in diesem Zusammenhang auch ohne zusätzliche Personalkosten im Landeshaushalt möglich. Das ist unsere Politik und unterstreicht auch unser Ziel der Konsolidierung der Haushalte, verbunden mit guter, kreativer Politik.
Wenn in anderen Bundesländern wie in Hamburg die Beratung gesetzlich geregelt ist, dann aus vielerlei guten Gründen. Gestatten Sie mir aber den Hinweis – ohne NRW über Gebühr zu benennen und zu loben –, dass Hamburg und Nordrhein-Westfalen schon von der Größe her zwei Kategorien sind. Hamburg, ein Stadtstaat, ist fast sechsmal größer als Dortmund und nicht zu vergleichen mit dem neunzehntgrößten Industrieland der Welt, nämlich Nordrhein-Westfalen.
Meine Damen und Herren, wir setzen mit dem Anerkennungsgesetz NRW eine Wegmarke. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Wir wollen allen Migrantinnen und Migranten die Chance auf Teilhabe am Berufsleben ermöglichen, um Integration generell zu fördern. Dies ist auch wirtschaftlich geboten. Darauf haben schon viele Vorrednerinnen und Vorredner hingewiesen. Herr Laschet hat – es war, glaube ich, gestern – in der „Süddeutschen Zeitung“ ausgeführt, wie wichtig die Zuwanderung auch aus Nicht-EU-Ländern ist.
Die Sicherung des Fachkräftepotenzials beginnt aus meiner Sicht allerdings damit, dass wir den Menschen, die schon unter uns leben und die integriert sind, die Möglichkeit geben, sehr schnell ihren Berufsabschluss anerkennen zu lassen, damit sie die Rolle in der Gesellschaft einnehmen können, die ihnen zusteht. Also nicht erst in ferne Länder schauen! Wir haben hier viele Potenziale bei den Migrantinnen und Migranten, die wir nutzen können, auch um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen.
Das Beispiel des Taxifahrers aus dem Iran, der ursprünglich Elektroingenieur war, begegnet mir bei jeder zweiten Fahrt vom Bahnhof in Dortmund zu meiner Wohnung. Das ist nicht diskriminierend bezogen auf die Taxifahrer, sondern weist auf, wie fahrlässig wir mit hohen Qualifikationen in unserer Berufswelt umgehen.
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz. Es ist, glaube ich, ein sehr wichtiges, auch wenn es nicht immer die Öffentlichkeit erreicht, die ihm eigentlich zukommt. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Howe.
Inge Howe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kerkhoff, Sie sprachen die Änderungen für Fachärzte an. Darauf werde ich gleich in meinem Redebeitrag inhaltlich noch näher eingehen. Aber ich kann Ihnen schon jetzt kurz sagen: Auch mit dem neuen Gesetz werden in den Amtsstuben keine anderen Standards festgelegt. Kontakte und Gespräche mit Ärztekammern und KVs hat es gegeben; das zeigt auch die Anhörung im AGS-Ausschuss.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Herr Alda, wie auch die Piratenpartei fordern Sie den Ausbezug der Fachweiterbildung der Ärztinnen und Ärzte sowie der Zahnärztinnen und Zahnärzte aus dem Gesetz. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich verstehe, dass Sie als FDP diese Position Ihrer Klientel vertreten, dass Sie das möchten.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Unverschämt!)
– Doch, das ist so! – Allerdings verstehe ich nicht, meine Herren, dass Sie auch hier noch – wie man im Krankenhausbereich, aus dem ich komme, sagt – mit dem Leichentuch wedeln müssen. Das ist an dieser Stelle nicht angebracht.
Ansonsten möchte ich auf die Änderungsanträge nicht mehr eingehen. Meine Kollegin, Frau Jansen, hat das bereits getan.
Meine Vorrednerinnen und Vorredner sind auch auf die inhaltlichen Hintergründe – demografischer Wandel und Fachkräftesicherung im Allgemeinen – eingegangen. Sowohl die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten als auch die integrationspolitischen Gesichtspunkte bei Anerkennungsverfahren für außerhalb der staatlichen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland erworbene berufliche Qualifikationen sind im Allgemeinen, wie wir gehört haben, unumstritten.
Damit geht auch die nachhaltige flächendeckende Sicherung einer guten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung einher. Denn wir alle wollen, dass sich qualifizierte wie erfahrene Fachkräfte aus dem In- und Ausland bei uns in Nordrhein-Westfalen dauerhaft niederlassen. Deswegen ist ein landesseitiges Anerkennungsgesetz notwendig: um im Hinblick gerade auf die ärztliche Versorgung und Pflege die notwendigen Weichen für die Zukunft zu stellen.
Im ärztlichen Bereich haben die KVs Befürchtungen geäußert, dass die Qualifikation durch das neue Gesetz leidet. Dabei geht es um die Anpassung an das EU-Recht – nicht mehr und nicht weniger. Die Ärzteschaft wie auch die Oppositionsparteien fordern deshalb den Ausbezug aus dem Landesgesetz. Doch ich sage Ihnen: Das ist nicht erforderlich. Der vorgelegte Entwurf regelt das Weiterbildungsrecht umfassend und gut.
Soweit es Abweichungen im derzeitigen Heilberufsgesetz gibt, handelt es sich um die vom Grundsatz der freien Wahl abweichende Verpflichtung zur Ablegung der Eignungsprüfung bei Ärztinnen und Ärzten sowie bei Zahnärztinnen und -ärzten. Das Wahlrecht wird auch hier ermöglicht.
Die Zuständigkeit der Ärztekammern für die Anerkennung fachärztlicher Weiterbildung nach § 6 Abs. 1 wird durch die Neuregelung in § 13 Abs. 6 nicht berührt. Die berufsständische Selbstverwaltung bleibt zuständig. Das gilt auch für die Durchführung und die Strukturierung der fachärztlichen Weiterbildung durch die Ärztekammern.
Nun zum Wahlrecht. Die strengeren Regelungen werden aufgehoben. Das wird allerdings nicht den vermuteten Qualitätsverlust zur Folge haben, da nach Abschluss des Anpassungslehrganges eine Defizitprüfung erfolgen wird. Dadurch kann festgestellt werden, ob und welche Defizite durch eine praktische Weiterbildung auszugleichen sind. Die Inhalte werden durch die Ärztekammern bestimmt. Somit können vorhandene Defizite behoben werden.
Allein das Abprüfen des gesamten Wissens – so wie bei der Eignungsprüfung – beweist noch lange nicht, ob der Antragsteller in der Praxis ein guter Arzt ist. Der zentrale Schlüssel für die Versorgung liegt in der sprachlichen Verständigung zwischen Arzt und Patient. Das betrifft insbesondere Migrantinnen und Migranten.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ihr integrationspolitischer Sprecher ist schon eingeschlafen!)
Zu dem in der Stellungnahme der Ärztekammer beschriebenen Defizit in Bezug auf den hohen technischen Standard in der Bundesrepublik kann ich nur sagen: Auch unsere Absolventen des Medizinstudiums müssen sich hierin einarbeiten; auch sie beherrschen das nicht von Natur aus.
Ich wiederhole: Die Kompetenz der Ärztekammern wird durch das neue Anerkennungsgesetz weder infrage gestellt, noch wird deren Kompetenz ausgehebelt. Wenn der Fokus darauf gelegt wird, dass die Fachweiterbildung in Deutschland sechs Jahre und länger dauert, dann müssen wir die ausländischen Kenntnisse, Vorerfahrungen und Berufserfahrungen ebenfalls zugrunde legen und anrechnen. Die Anpassungslehrgänge können maximal drei Jahre dauern, was in der Regel ausreichen dürfte. Doch mancher – das kann ich Ihnen sagen – lernt es nie, und das hängt nicht unbedingt von der Nationalität ab!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch in der Gesundheits- und Krankenpflege weisen gerade die Bewerberinnen und Bewerber aus Russland, die bei den Ärztekammern und bei den KVs besonders in den Fokus genommen worden sind, völlig unterschiedliche Ausbildungsgänge und Qualifikationen auf. Alle Bewerberinnen und Bewerber sind jedoch lernfähig und lernwillig, sodass ich der guten Hoffnung bin, dass alle sich bewähren und eine qualitativ gute Arbeit in Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, leisten werden.
Deshalb ist es populistisch, kontraproduktiv und integrationspolitisch falsch, aus welcher Haltung auch immer heraus die Öffentlichkeit dahin gehend verunsichern zu wollen, dass angeblich eine Schwemme von Wald- und Wiesenärztinnen und -ärzten mit verminderter Qualität aus dem Ausland droht. Bundesweit wurden laut aktueller Mitteilungen des Bundesgesundheitsministeriums lediglich 4 % der Antragsteller abgelehnt und nicht, wie in manchen Schreiben der KVs dargelegt, zwischen 40 % und 60 %.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsparteien: Eigentlich wollte ich Sie bitten, sich einen Ruck zu geben und dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Da Sie aber signalisiert haben, dass Sie diesen Entwurf durchaus mittragen, freue ich mich auf ein gemeinsames Abstimmungsergebnis und auf Ihre Zustimmung. Die Kranken, Pflegebedürftigen und nicht zuletzt die dringend benötigten qualifizierten Zuwanderinnen und Zuwanderer in den Gesundheitsberufen werden es Ihnen danken. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Howe. Bleiben Sie bitte am Pult, weil es vom Kollegen Alda von der FDP-Fraktion eine Anmeldung zu einer Kurzintervention gibt. – Herr Kollege Alda, bitte schön, 90 Sekunden.
Ulrich Alda (FDP): Ich danke Ihnen, Herr Präsident. – Frau Kollegin Howe, ich finde es schon anmaßend, dass ausgerechnet Sie uns Klientelpolitik zum Thema „Ärzte“ unterstellen, wo doch alle Vorrednerinnen und Vorredner, inklusive der Regierung, Parteipolitik zu diesem Thema ausgeschlossen haben.
(Beifall von der FDP und der CDU)
– Danke für den Beifall; aber der geht von meiner Redezeit ab. – Wahrscheinlich hängen Sie noch zu sehr im alten Kastendenken fest und können so der Debatte nicht folgen. Das halte ich gerade bei diesem Gesetzesvorhaben nicht für angebracht. – Danke.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort, 90 Sekunden auch für Sie.
Inge Howe (SPD): Sehr geehrter Herr Alda, ich glaube nicht, dass ich im Kastendenken verhaftet bin. Sie können aber nicht leugnen, dass die Ärzte Ihre Wählerschaft bilden. Und nichts mehr und nichts weniger habe ich vorhin gesagt.
Das hat weder etwas mit dem neuen Gesetz zu tun, noch hat es etwas mit der Qualifikation oder dem neuen Anerkennungsgesetz zu tun. So viel dazu. Ich bin lange genug im Gesundheitswesen tätig gewesen – 31 Jahre –, und ich weiß, wovon ich rede. Herzlichen Dank, Herr Alda!
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Howe. – Danke schön für die Kurzintervention, Herr Kollege Alda.
Nun kommen wir zur nächsten Rednerin. Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Güler.
Serap Güler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, bisher ist sehr gut deutlich geworden, dass wir uns eigentlich alle darüber einig sind, welche Bedeutung dieses Landesanerkennungsgesetz hat. Wir alle wissen, wie wichtig dieses Gesetz ist. Wir alle wissen, dass sehr viele Zugewanderte mit diesem Gesetz große Hoffnungen verknüpfen; allem voran die Hoffnung, endlich einem Beruf nachgehen zu können, der ihrer Qualifikation entspricht.
(Beifall von der CDU)
Gleichermaßen ist vor allem uns Integrationspolitikern auch klar, dass dieses Gesetz maßgeblich zu der von uns angeforderten Willkommenskultur beitragen wird. Das hatten Sie, Herr Minister Schneider, vorhin auch treffend formuliert. Deshalb ist es äußerst begrüßenswert, dass wir dieses Gesetz nun endlich in Nordrhein-Westfalen verabschieden können.
Die Weichen für dieses Gesetz hat die Bundesregierung gestellt. Das Bundesanerkennungsgesetz ist nun seit mehr als einem Jahr in Kraft. Die Jahresbilanz fällt durchaus positiv aus; da bin ich anderer Meinung als Sie, Frau Velte. Rund 30.000 Anträge sind eingegangen. Sie sagen, dass 30.000 Anträge nicht viel oder nicht genug seien. Darüber mag man streiten. Aber im Umkehrschluss heißt das nichts anderes – da die allermeisten Anträge, das wissen Sie, positiv beschieden worden sind –, als dass für fast 30.000 Zugewanderte eine neue berufliche Perspektive entsteht. Und das ist nicht wenig!
(Beifall von der CDU und der FDP)
Diese neue berufliche Perspektive wollen wir jetzt auch in Nordrhein-Westfalen schaffen. Deshalb wird meine Fraktion – wie der Kollege Kerkhoff es schon angekündigt hat – diesem Gesetz zustimmen. Weil es letztlich in großem Umfang – fast eins zu eins – eine Übernahme des Bundesgesetzes ist, werden wir es natürlich mittragen – jedoch nicht ganz ohne Kritik. Für die braucht man, ehrlich gesagt, auch nicht erfinderisch zu sein.
Man kann Ihnen, liebe Kollegen der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, an dieser Stelle einfach noch mal Ihre Kritik am Bundesanerkennungsgesetz vorhalten, beispielsweise im Rahmen der Plenardebatte vom 28. September 2011. Herr Ünal kritisierte damals das Gesetz als – ich zitiere – „handwerklich sehr schlecht“. Herr Minister Schneider bezeichnete das Gesetz als „mangelhaft“ und forderte einen Rechtsanspruch. – Herr Minister, eigentlich müssten Sie nach der Forderung, die Sie hier noch 2011 gestellt haben, dem nun vorliegenden FDP-Antrag zustimmen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich bin gespannt, ob Sie das tun; ich vermute, eher nicht.
Bezogen auf Ihre damalige Kritik stellt man sich heute unweigerlich die Frage: Warum haben Sie es eigentlich jetzt, als Sie die Gelegenheit dazu hatten, nicht besser gemacht? Wahrscheinlich weil es im Allgemeinen nicht besser ging!
Herr Kollege Kerkhoff hat es eben schon angesprochen: Das Gesetz ist gut. Es ist, wie ja bereits angemerkt, fast eine Eins-zu-eins-Übernahme des Bundesgesetzes. Was diesem Gesetz entscheidend fehlt, sind die eigenen Akzente.
Stattdessen legen Sie uns heute einen Entschließungsantrag vor, in dem Sie auf die Versäumnisse des Bundes eingehen und in dem Sie sich selbst dafür loben, dass Sie dem Bund finanzielle Zusagen abringen konnten. Welch eine grandiose Leistung: Handaufhalten und dafür ein Lob verlangen! Liebe Kollegen, das ist nicht lobenswert, das ist Ihr Verständnis von Politik.
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
Lobenswert wäre es eher gewesen, wenn Sie der Forderung des Sachverständigenrats für Integration und Migration gefolgt wären, wenn Sie sich die Kritik vieler Verbände im Rahmen der Anhörung hier im Landtag zu Herzen genommen und die Lehrerberufe doch mit ins Gesetz aufgenommen hätten.
Ich frage mich: Was ist denn hier der Unterschied zu den Ärzten? Sie, Herr Minister Schneider, Frau Kollegin Velte, Frau Kollegin Howe, haben beteuert, dass die Qualität bei der Anerkennung von Facharztabschlüssen nicht leiden wird. Sie, Herr Minister Schneider, haben in Ihrer Rede eben, wie ich finde, treffend gesagt, dass ein Mediziner aus dem Ausland kein schlechter Mediziner sein muss. Zu Recht! Doch ich frage mich: Warum gilt das eigentlich nicht für Lehrer?
(Beifall von der CDU – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Sie verweisen in diesem Zusammenhang oft darauf, dass die Anerkennung der Lehrerberufe bereits durch die Bezirksregierungen geregelt werde. Das ist gleichzeitig ein Verweis auf einen Beratungsdschungel. Für die Betroffenen wäre ein wenig mehr Transparenz an dieser Stelle hilfreicher.
Liebe Frau Ministerin Löhrmann, es schmeichelt uns natürlich außerordentlich, wenn Sie im Ausschuss erklären, dass das Lehrerausbildungsgesetz von 2009, das ja den Seiteneinstieg in den Lehrerberuf ermöglicht und in unsere Regierungszeit fällt, sogar vorteilhafter als das Landesanerkennungsgesetz ist. Das schmeichelt uns wirklich, entbindet Sie aber trotzdem nicht von Ihrer politischen Verantwortung. Sie sagen, dass weitere Verfahrensverbesserungen anzustreben sind. Ich sage: Sie hätten dieses Gesetzgebungsverfahren für Verbesserungen nutzen können. Ich bedaure sehr, dass das nicht passiert ist.
(Beifall von der CDU)
Es wäre ebenfalls lobenswert gewesen, wenn der federführende Ausschuss unserem Antrag zur Rückmeldung des Anerkennungsergebnisses an die Ausländerbehörden, vor allem um den bürokratischen Aufwand zu vermeiden, zugestimmt und ihn nicht abgelehnt hätte.
Frau Velte, Herr Minister Schneider und Frau Howe, Sie alle tragen hier vor, dass dieses Thema für parteipolitisches Gezänk nicht geeignet ist. Ihnen möchte ich entgegnen, allen voran Ihnen, Herr Minister, für die Aussage „Im Gegensatz zur Bundesregierung lassen wir Migrantinnen und Migranten nicht im Stich“: Auch Sie selbst sollten sich an Ihren eigenen Appell halten.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass ich die Kritik des bildungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion an dem Bundesgesetz schon sehr amüsant fand.
(Zuruf von Inge Howe [SPD])
So warf er Bundesministerin Wanka vor, die Kosten für das Anerkennungsverfahren seien viel zu hoch, sie würden oft 500 € betragen. Vielleicht klären Sie, lieber Herr Schneider, Ihren Parteikollegen mal darüber auf, dass auch hier in Nordrhein-Westfalen, in einem rot-grün-regierten Bundesland, die Kosten für die Anerkennung nicht geringer sind. Klären Sie ihn bitte gleichzeitig darüber auf, dass Sie wenig Einfluss darauf haben.
(Daniela Jansen [SPD]: Das steht in unserem Entschließungsantrag!)
Kurzum: Das Gesetz ist notwendig. Es ist überfällig. Es ist wichtig. Die Landesregierung hat es jedoch leider versäumt, an einigen Stellen eigene Impulse zu setzen. Das ist äußerst bedauerlich. Nichtsdestotrotz werden wir dieses Gesetz im Sinne der Zugewanderten in unserem Land natürlich mittragen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Güler. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Howe – ich will das noch mal persönlich sagen –, das war vorhin unanständig. Wir haben hier eine faire, in einzelnen Aspekten kontroverse Debatte. Vielleicht ist es an Ihnen vorbeigegangen, dass wir insgesamt konstruktiv zusammenarbeiten. Deswegen werden wir auch zustimmen; das hat der Kollege Alda schon ausgeführt. Es ist ein gutes Gesetz, auch wenn aus unserer Sicht ein noch etwas besseres Gesetz möglich gewesen wäre.
Ich möchte kurz erläutern, warum wir hier einen Änderungsantrag einbringen. Uns geht es um einen Rechtsanspruch auf die Beratung. Das wurde in der Anhörung von verschiedenen Organisationen eingefordert – Herr Minister, auch von Ihrem DGB –, weil das Bundesland Hamburg so hervorragende Erfahrungen damit gemacht hat. Das Totschlagargument „Hamburg ist nicht gleich NRW“ zieht an dieser Stelle nicht.
Es ist auch nicht so, Frau Velte, dass die FDP hier Mehrkosten verursachen will. Wenn Sie unseren Antrag genau gelesen hätten, dann hätten Sie gesehen, dass wir genau das nicht wollen.
Wir wollen vielmehr eine entsprechende Prioritätensetzung bei den vom Land geförderten Stellen in der Integrationsarbeit vor Ort. Wir wollen den Kommunen das auch tatsächlich mit auf den Weg geben, weil wir diese Beratung in der Integrationsarbeit für prioritär halten, weil uns die Verbände sagen: Es ist einer der ganz wesentlichen Schlüssel zu gelungener Integration, dass die Abschlüsse anerkannt werden; und es ist eines der größten Hemmnisse dafür, dass das bisher immer noch so schwach wahrgenommen wird.
(Beifall von der FDP)
In Hamburg klappt das! Deswegen sollten wir uns daran orientieren. Ich wäre froh, wenn Sie hier über Ihren Schatten springen würden – auch dann, wenn ein Impuls nicht von Rot-Grün, sondern von der Opposition kommt.
In persönlichen Gesprächen habe ich gehört, das ginge ja nicht, weil der Europäische Sozialfonds, den man vielleicht noch für zusätzliche Stellen bemühen möchte, nicht mehr fördern würde, wenn es den Rechtsanspruch gäbe. – Wir haben uns gestern noch mal schlau gemacht: In Hamburg werden mit Geldern des Europäischen Sozialfonds zusätzliche Stellen in der Beratung finanziert. Es geht also sehr wohl. Und selbst wenn dies nicht ginge, wäre ja auch noch eine Verschiebung möglich: dass man die Gelder des Sozialfonds für andere Projekte und die freiwerdenden Gelder dann wiederum für die Beratung nutzt.
Das ist also ohne nennenswerten finanziellen Mehraufwand zu bewerkstelligen. Deswegen wäre ich dankbar, wenn Sie über Ihren Schatten springen und unserem Änderungsantrag zustimmen würden.
(Zuruf von Inge Howe [SPD])
Wir werden uns in jedem Fall konstruktiv verhalten und freuen uns, dass wir, wie ich hoffe, in diesem Hause gemeinsam dieses Gesetz beschließen können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht nun Frau Kollegin Brand.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Beratung und Willkommenskultur sind die Stichworte, die mein Kollege eben erwähnte und mit denen ich beginnen möchte, bevor ich auf die einzelnen Anträge eingehe.
Ausdruck einer gelungenen Willkommenskultur ist, wenn wir im Ausland erworbene Hochschulabschlüsse und Qualifikationen auch in Deutschland als das anerkennen und wertschätzen, was sie sind, wenn wir hochqualifizierten Menschen den Weg zur Anerkennung so einfach wie möglich gestalten.
Ausdruck einer gelungenen Willkommenskultur ist aber auch, alle Menschen, die zu uns kommen, sei es aufgrund von Arbeitsinteressen oder aufgrund von Verfolgung im Heimatland, in einer Art und Weise zu empfangen, dass diese Menschen sich hier zu Hause fühlen.
Meine Damen und Herren, mit dem Anerkennungsgesetz werden wir die Weichen dafür stellen, dass in vielen Berufszweigen der Anspruch auf Anerkennung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse geschaffen wird, auch wenn wir bei der Feststellung der Gleichwertigkeit und den Kriterien dafür noch Optimierungsbedarf sehen. Um die Gleichwertigkeit feststellen zu können, bedarf es möglicherweise neben dem ausländischen Abschluss einer Vielzahl weiterer Unterlagen, Übersetzungen oder Nachqualifizierungsmaßnahmen.
Die Fragen lauten also: Wie gelangen die hochqualifizierten Menschen schnellstmöglich zu einer erfolgreichen Anerkennung ihres Abschlusses? Wer hilft den Menschen beim Kampf gegen die Bürokratie? Wer weiß die Chancen auf Anerkennung und die Folgen von unvollständigen Unterlagen abzuschätzen? Wer bezahlt eine möglicherweise notwendige Nachqualifizierung?
Wir haben diese Fragen gestellt. Aus integrationspolitischer Sicht und im Hinblick auf eine gelungene Willkommenskultur muss die Landesregierung Antworten auf diese Fragen geben.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Frage nach Umfang und Inhalt von Beratungsleistungen hat uns die Landesregierung, haben Sie uns, Herr Minister Schneider, gebetsmühlenartig mit dem Verweis auf die 50 neu geschaffenen Beratungsstellen der G.I.B. beantwortet, die bisher mit durchwachsener Telefonberatung glänzte. In welcher Form die Beratung nun stattfinden soll – neun Stunden stehen da, denke ich, im Raum –, wurde jedoch nicht gesagt. Einen Slalomlauf durch die verschiedenen Zuständigkeiten der Behörden haben Sie im Ausschuss leider nicht ausschließen können.
Daher begrüßen wir den Vorstoß der Koalitionsfraktionen mit dem Entschließungsantrag, unter anderem die Mitarbeiter in den Beratungsstellen weiterzubilden und zu schulen. Sie gestehen damit allerdings auch ein, dass die Mitarbeiter der Callcenter ihren Aufgaben derzeit noch nicht ganz gewachsen sind. Es wäre schön gewesen, wenn das bereits im Vorfeld Berücksichtigung gefunden hätte. Aber so ist es ja nun auch gut.
Auch die Finanzierung der Nachqualifizierung sprechen Sie an. Das gilt es ebenfalls zu loben. Der Bund ist ab September in die Pflicht zu nehmen.
Dennoch ist aus unserer Sicht wichtig, dass wir den Anspruch auf Beratung gesetzlich verankern. Der entsprechende Änderungsantrag der FDP geht in die richtige Richtung. Ihm hätte man sich fast anschließen können. Aber man kann es noch besser machen. Das haben wir mit unserem Änderungsantrag getan. Er ist besser, weil er weitreichender ist, und dementsprechend wärmstens der Zustimmung zu empfehlen.
(Beifall von den PIRATEN)
Der letzte – dritte – Punkt, der mir besonders wichtig ist und der Ausdruck einer ehrlichen Willkommenskultur ist: ein weltoffener Umgang in allen Belangen der Zuwanderung. Dabei helfen – „Achtung!!“ – Pauschalisierungen und Panikmache von Herrn Jäger ebenso wenig weiter wie die unsäglichen Statements von Herrn Friedrich oder die Äußerungen vom Deutschen Städtetag zum Thema „Armutsflüchtlinge“! – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Für die Landesregierung hat sich noch einmal Herr Minister Schneider zu Wort gemeldet.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich einige Äußerungen der letzten Redner nicht so stehen lassen kann.
Zunächst einmal zur Nachqualifizierung und zur Beratung: In der entscheidenden Sitzung des Bundesrates haben die sogenannten A-Länder, also die SPD- bzw. rot-grün regierten Länder, klargemacht: Es gibt zum Bundesgesetz nur dann Zustimmung, wenn erklärt wird, dass der Bund die Finanzierung der Nachqualifizierung und Beratung übernimmt.
Ein Kompromiss wurde dann dadurch hergestellt, dass die damalige Bundesbildungsministerin Frau Schavan erklärte: Der Bund wird sich dafür einsetzen, dass im Rahmen der Haushalte über die Bundesagentur für Arbeit die Nachqualifizierung und Beratung finanziell sichergestellt wird. Darauf haben wir uns eingelassen – das war auch richtig –, weil wir deutlich machen wollten: Wir wollen dieses Bundesgesetz, und an diesen Fragen soll es nicht scheitern. Jetzt werden wir überprüfen, ob der Bund diese Verabredung einhält oder nicht. Ich bin gespannt.
Natürlich kann die Opposition von einem Rechtsanspruch sprechen, der auf Landesebene hergestellt werden muss. Sagen Sie mir bitte, wie dies im Landeshaushalt darstellbar ist. Wer A sagt, muss auch B sagen. Sonst werden Sie unglaubwürdig. Sonst werden Sie uns in der nächsten Haushaltsdebatte vorwerfen, dass wir mit den Steuermitteln nicht seriös umgehen. Ich sage Ihnen: Das ist unglaubwürdig!
Sie können einerseits nicht laufend Forderungen stellen, ob in der Verkehrspolitik oder in diesem politischen Zusammenhang, und andererseits die vermeintlich unsolide Haushaltspolitik kritisieren. Beides passt nicht zusammen. Wir sind in allen Politikfeldern seriös. Deshalb ist das Thema „Sparen“ auch hier angesagt.
Ich freue mich, wenn Herr Dr. Stamp sagt: Es ist ein gutes Gesetz, ein besseres ist immer möglich. Damit bin ich bei Ihnen schon zufrieden.
Zum Thema „Lehrer“: Lehrer sind in Nordrhein-Westfalen Beamte. Wenn wir die Lehrer einbezogen hätten, dann hätten wir uns Gedanken über die Zukunft des Berufsbeamtentums machen müssen. Verehrte Frau Güler, diskutieren Sie das doch einmal in Ihrer Fraktion.
(Beifall von der CDU)
Ich bin gespannt, zu welchen Ergebnissen Sie kommen werden. Ich denke nicht, dass die CDU-Fraktion die Speerspitze bilden wird, wenn es um die Abschaffung des Berufsbeamtentums geht. Überschätzen Sie hier nicht Ihre Einflussmöglichkeiten. Das kann ich Ihnen nur mit auf den Weg geben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Letzter Punkt. Immer dann, wenn Finanzierungen nicht sicherzustellen sind, ruft man reflexartig nach dem Europäischen Sozialfonds. Ich nenne das den „Jäger-90-Effekt“. Den „Jäger 90“ gab es mal. Ich meine nicht unseren Innenminister, sondern das Flugzeug. Immer, wenn man in einem Politikfeld mit der Finanzierung nicht weiter wusste, wurde gesagt: Das sparen wir beim „Jäger 90“ ein.
Der ESF wird in der nächsten Förderperiode für NRW geringer ausfallen. Wir haben das große Thema „Bekämpfung von Armut“ vor uns. Das wird schon finanziell sehr schwer darstellbar sein, weil wir auf den ESF zurückgreifen müssen. Es gibt sonst keine anderen Möglichkeiten.
Im Übrigen sage ich Ihnen: Die Beratungsstellen zur beruflichen Entwicklung sind nicht identisch mit den kommunalen Integrationszentren. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich glaube, unter Einbeziehung der Beratungsstellen zur beruflichen Entwicklung werden wir auch untergesetzlich zu einem vernünftigen Beratungsangebot für die Migrantinnen und Migranten kommen, um sicherzustellen, dass jeder eine Anerkennung erhalten kann, wenn dies möglich ist. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bleiben Sie bitte am Pult. – Es ist eine Kurzintervention von der FDP-Fraktion, von Herrn Dr. Stamp, angemeldet.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Intervenieren Sie.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Dr. Stamp, bitte schön. 90 Sekunden!
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Minister, Sie machen es einem zunehmend schwerer, hier zuzustimmen, indem Sie das, was wir beantragt haben, in Bausch und Bogen ablehnen mit der Begründung, es würde zu Mehrkosten kommen.
Fakt ist: Es ist eine Frage der Priorisierung in der Integrationspolitik. Uns zu unterstellen, wir würden Mehrkosten im Sinne von haushalterischer Belastung produzieren, ist rundweg falsch. Es entstehen natürlich Opportunitätskosten. Es ist eine Frage, wo ich die Prioritäten setze. Aber es sind landesrechtlich geförderte Stellen in der kommunalen Integrationsarbeit, die wir in unserem Änderungsantrag benannt haben. Davon sind keine weiteren Haushaltsmittel betroffen. Insofern ist das eine Unterstellung, die so nicht richtig ist.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Dr. Stamp, ich unterstelle Ihnen gar nichts. Davon bin ich weit entfernt.
Es ist natürlich in der Haushaltspolitik immer das gute Recht, das Setzen von Prioritäten einzufordern. Wir setzen so viele Prioritäten, dass wir gar nicht wissen, wo es noch weitere geben soll. Unterm Strich führt dies zu Mehrausgaben, und im Zuge einer seriösen Finanzpolitik kann es die nicht geben. Deshalb müssen wir mit den vorhandenen Instrumenten auskommen, und dies werden wir auch. Soviel zu Ihrer Intervention.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Minister. Vielen Dank, Herr Dr. Stamp, für die Intervention.
Wir sind am Ende der Beratung und kommen zur Abstimmung. Es ist 12:35 Uhr, aber wir stimmen trotzdem ab, weil mir die Fraktionen signalisiert haben, dass sie es noch wünschen. Wenn es der allgemeine Wunsch aus dem Hohen Haus ist, tun wir das gern.
Wir führen jetzt vier Abstimmungen durch.
Erstens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/2978. Wer stimmt diesem Antrag so zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und CDU. Wer enthält sich? – Es enthält sich die FDP-Fraktion. Mit großer Mehrheit aus dem Hohen Hause ist damit der Änderungsantrag abgelehnt.
Zweitens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/2975. Wer stimmt diesem Antrag zu? – FDP-Fraktion, CDU-Fraktion und Piratenfraktion. Wer stimmt gegen diesen Änderungsantrag? – SPD-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Drittens stimmen wir ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/1188. Hier empfiehlt der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/2903, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer stimmt dieser Empfehlung zu? – Piratenfraktion, SPD-Fraktion, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, CDU-Fraktion und FDP-Fraktion. Stimmt jemand gegen diesen Vorschlag? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
(Allgemeiner Beifall)
In der vierten Abstimmung geht es um den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2902. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die Fraktion der Piraten, die SPD-Fraktion, die Grünen-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – FDP- und CDU-Fraktion stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit angenommen, und wir sind am Ende der Abstimmung.
(Minister Guntram Schneider: Sehr gut! Vielen Dank!)
Wir kommen nun zu
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2886
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2957
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Witzel das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Öffentliche Institute haben einen regionalen Versorgungsauftrag. Wir brauchen daher für Landesbanken keine grenzenlose Betätigung unter Palmen. Es ist gut, wenn die BaFin nun die Offshore-Aktivitäten in der Zukunft näher prüfen möchte. Das hat sie heute bekanntgegeben.
Die WestLB ist vom nordrhein-westfälischen Steuerzahler in den letzten Jahren oft genug mit Milliardensummen gerettet worden. Mit diesem Geld dürfen nicht Modelle zur Steuervermeidung initiiert und auch keine unregulierten Hochrisikogeschäfte offshore betrieben werden.
Der Finanzminister unseres Landes führt seit einiger Zeit einen wortgewaltigen Kampf gegen Kapitalflucht und zweifelhafte Geschäfte in Steueroasen. Herr Minister, dabei wenden Sie sich seit einigen Wochen auch in Ihren Interviews und Pressemeldungen erkennbar öffentlich insbesondere gegen zwei Destinationen, nämlich die Cayman Islands und die Bermudas. Das wirft natürlich die Frage auf: Warum in aller Welt sind gerade die WestLB und ihre Nachfolger dort aktiv? – Ein paar wenige Karibikinseln, die kaum eine eigene Infrastruktur haben, verzeichnen mehr Direktinvestitionen als die Bundesrepublik Deutschland.
In einem Punkt, Herr Finanzminister, haben Sie durchaus recht: Steuerhinterziehung und dubiose Geschäfte sind nur durch eine entsprechende Hilfe und Angebote von Institutionen möglich. Denn derjenige, der etwas zu verbergen hat, ist den letzten Jahren ja nicht mit einem Schlapphut und Koffer voller Bargeldnoten vorbei an Zollkontrolleuren in die Karibik gereist und hat dort am Bankschalter ein Sparbuch eröffnet. Die Aktivitäten in Steueroasen laufen – nach allem, was bekannt ist – mit Intransparenz, verschachtelten Konstruktionen, mit nicht identifizierbaren Privatpersonen, sondern institutionellen Investoren.
Sichergestellt werden muss, dass öffentliche Institute hierfür nicht die Infrastruktur bieten dürfen. Deshalb drängen folgende ganz zentrale Fragen nach einer Beantwortung: Was genau war das Geschäft? Was hat die WestLB offshore getan? Warum musste das, was sie als Geschäft betrieben hat, ausgerechnet in den klassischen Steueroasen geschehen? Welchen Vorteil hatte das für wen?
Der Vorstand, der heute im Bereich der Portigon AG zuständig ist, nennt zwei Gründe: Es heißt, dass das der Kapitalbeschaffung diente. – Klar, dort wurde Kapital beschafft und keine Kokosnüsse.
Als zweite Begründung wird angeführt: Es wurde etwas mit aufsichtsrechtlichen Vorteilen verbucht. – Das spricht allerdings schon eher dafür, dass Möglichkeiten von Steuer- und Regulierungsarbitrage genutzt worden sind.
(Beifall von der FDP)
Deshalb, Herr Finanzminister, sollten Sie vor dem Hohen Hause einige Fragen beantworten: Welche Steuereinnahmen wären eigentlich über all die Jahre und in unserem Land generiert worden, wenn diese Milliardengeschäfte nicht von windigen Vehikeln in der Karibik, sondern von Finanzplattformen in Deutschland angeboten worden wären? Welche Haftung muss der nordrhein-westfälische Steuerzahler für Patronatserklärungen eingehen, für hochriskante Finanzprodukte und das heute ganz frisch im aktuellen Portigon-Geschäftsbericht ausgewiesene Offshore Risk? Welche Schrottpapiere aus weitgehend unregulierten Offshore-Gebieten sind später im Phoenix-Portfolio gelandet?
Unsere Forderungen sind klar und richten den Blick nach vorne. Wir wollen eine vollständige Transparenz über das, was geschehen ist. Und wir wollen im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Verabredung für einen geordneten Rückzug aus dem Offshore-Geschäft treffen.
Schuldzuweisungen helfen dabei nicht weiter. In den letzten zwei Jahrzehnten hat das Offshore-Geschäft der WestLB in unterschiedlichsten Konstellationen stattgefunden. Es wurde von absoluten SPD-Mehrheiten begonnen. Die Strukturen wurden von rot-grünen Koalitionen aufgebaut. Seitdem gab es von allen danach folgenden Landesregierung fortgesetzte Geschäfte, die – nach dem, was wir aktuell im Ausschuss gehört haben – noch mindestens in das Jahr 2041 wirken werden.
Es wird Sie deshalb interessieren, dass eine große Aktivität des Aufbaus der Strukturen auch in der Verantwortung von Peer Steinbrück geschehen ist. Wann nämlich sind die heutigen Offshore-Töchter entstanden? – West Commodities Limited existiert seit Januar 2001 mit Sitz auf den Cayman Islands, Harrier Capital Management (Bermuda) gibt es bei der WestLB seit 2004. Peer Steinbrück war immer ein großer Freund von Finanzmarktderegulierung und hat seine Spuren in Nordrhein-Westfalen hinterlassen.
Die Bundesregierung hat gerade in der laufenden Legislaturperiode gehandelt. Es gibt 90 neue Doppelbesteuerungsabkommen, Nachverhandlungen bei zahlreichen bestehenden Abkommen, um die Standards der OECD zu erreichen. Dieser Weg muss fortgesetzt werden. Was hingegen beendet gehört, sind die Offshore-Aktivitäten öffentlicher Institute, und zwar zum frühestmöglichen Zeitpunkt, sobald das realistisch machbar ist. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Die SPD-Fraktion wird nun von Herrn Kollegen Zimkeit vertreten.
Stefan Zimkeit (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mit einem entscheidenden Unterschied beginnen, weil Herr Witzel gerade alle Landesregierungen über einen Kamm geschoren hat. Es gibt einen erheblichen Unterschied. Unter der von Ihnen geführten Landesregierung sind noch Neugeschäfte in diesem Bereich gemacht worden. Unter der jetzigen rot-grün geführten Landesregierung geschieht dies nicht mehr. Insofern gibt es hier einen ersten erheblichen Unterschied.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Auch wenn Sie nicht gerne in die Vergangenheit zurückschauen, möchte ich Sie gerne auf ein paar Dinge aufmerksam machen.
(Der Redner hält eine Broschüre hoch.)
Dies ist der Geschäftsbericht der Westdeutschen Landesbank aus dem Jahr 2007. Herr Witzel, Sie waren zu dieser Zeit schon im Landtag. Wenn Sie auf Seite 71 schauen, finden Sie dort Geschäftstöchter auf den niederländischen Antillen, in Delaware in den USA sowie auf den Cayman-Inseln, also in bekannten Steueroasen. Wenn Sie wirklich ein solches Aufklärungsinteresse haben, wie Sie es gerade dargestellt haben, frage ich mich, warum Sie all diese Fragen eigentlich nicht Herrn Linssen gestellt haben, für den Sie die politische Verantwortung getragen haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Da SPD und Grüne das vorher aufgebaut haben!)
– Sie müssen lauter dazwischenrufen, sonst verstehe ich Sie nicht.
(Ralf Witzel [FDP]: Herr Steinbrück hat das aufgebaut!)
– Ja, Sie haben aber die Gelegenheit gehabt, es zu ändern, und haben es nicht getan. Jetzt bauschen Sie es auf. Ich komme gleich dazu, warum das so ist.
(Christian Lindner [FDP]: Trotzdem hat Steinbrück es aufgebaut!)
Einen zweiten interessanten Punkt haben Sie und Herr Lindner angesprochen. Sie sagen, öffentlich-rechtliche Banken haben in solchen Steueroasen nichts zu suchen. Darüber kann man ja diskutieren. Aber ich frage Sie: Warum sollen sich nur die Landesbanken aus diesen Geschäften heraushalten, wenn es Geschäfte sind, die schlecht für den Staat sind, die unmoralisch oder auf andere Weise nicht gut sind? Warum trauen Sie sich nicht zu sagen, wir brauchen auch klare Regulierungen für die privaten Banken?
(Christian Lindner [FDP]: Regulierungen, ja!)
Da sind Sie der Schutzherr, damit private Banken Steuerhinterziehung weiter unterstützen können.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es stellt sich schlicht und einfach die Frage, warum Sie dieses Thema jetzt hochziehen und es jetzt, wo Sie nicht mehr handeln können, entdecken. Ich will es Ihnen sagen – es ist relativ einfach durchschaubar –:
(Der Redner hält ein Blatt Papier hoch.)
Wenn Sie von der FDP es nur schlecht erkennen, liegt es nicht an Ihren schlechten Augen, sondern daran, dass der Balken bei der FDP so gering ausgeprägt ist.
(Christian Lindner [FDP]: Das sagt die 23-%-SPD! Da lachen ja die Hühner!)
– Herr, Lindner, hier geht es nämlich um die Frage der Steuerkompetenz.
(Christian Lindner [FDP]: Da lachen ja die Hühner!)
Da finden Sie die SPD nicht bei 23, sondern bei 30 %, und die FDP finden Sie bei 4 %. Das ist der Grund, warum Sie dieses Thema hier hochziehen. Sie wissen genau, dass die Menschen Ihnen in Steuerfragen keine Kompetenz zumessen. Um davon abzulenken, versuchen Sie, dieser Landesregierung etwas anzuhängen, was sie nicht zu verantworten hat.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Diese Landesregierung ist beim Thema „Steuergerechtigkeit“ aktiv. Sie handelt: Sie hat die Großbetriebsprüfungen ausgeweitet. Sie unterstützt die Steuerfahnder unter anderem durch den Ankauf von Steuer-CDs. Sie bekämpft ernsthaft die Steuerhinterziehung in der Schweiz und beteiligt sich daran, Steueroasen trockenzulegen. – Dies alles geschieht in der Regel gegen den Widerstand der FDP. Somit ist vollkommen klar: Diese Landesregierung handelt für Steuergerechtigkeit. Die FDP versucht nur, von ihrer Inkompetenz abzulenken.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stein von den Piraten?
Stefan Zimkeit (SPD): Aber sehr gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett. – Bitte schön, Herr Kollege.
Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Zimkeit. – Herr Zimkeit, Sie werfen Herrn Linssen vor, dass er das Geschäft weiterbetrieben hatte. Ich möchte gerne auf die Zeit von Steinbrück zurückkommen. Zu seiner Zeit wurde das Offshore-Geschäft offensichtlich aufgebaut. Herr Steinbrück hat wiederholt betont, er habe an Aufsichtsratssitzungen der WestLB nie teilgenommen. Finden Sie nicht, dass er seine Aufsichtspflicht verletzt hat?
(Christian Lindner [FDP]: Gute Frage!)
Stefan Zimkeit (SPD): Er hat seine Aufsichtspflicht schon allein deswegen nicht verletzt, weil bisher kein Beweis erbracht worden ist, dass es zu illegalen Handlungen gekommen ist. Insofern kann er seine Aufsichtspflicht nicht verletzt haben.
Der entscheidende Punkt ist aber, wir müssen eine Gleichbehandlung von Landesbanken und Privatbanken haben. Wenn wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass solche Offshore-Geschäfte nicht stattfinden sollen, müssen wir gesetzliche Regelungen finden, die dies Landesbanken und Privatbanken untersagen und Steueroasen austrocknen. Das ist doch der entscheidende Punkt. Und das ist auch der Unterschied zum vorgelegten Antrag.
(Beifall von der SPD)
Ich will noch einmal sehr deutlich machen, dass wieder mit unbewiesenen Behauptungen und komischen Darstellungen gearbeitet wird. Wir sind es von Herr Witzel gewöhnt, dass er sich sein einmal gefertigtes Weltbild nicht durch Fakten zerstören lässt und stattdessen immer das Gleiche behauptet. Er hat zum wiederholten Male einen Antrag im Plenum vorgelegt, in dem er Forderungen aufstellt, die im HFA längst erfüllt worden sind. Das ist keine ernsthafte Herangehensweise.
Politisch sehen wir das gelassen. Wir wissen genau, dass die Leute Ihnen den Kämpfer für Steuergerechtigkeit nicht abnehmen. Es gibt aber doch ein anderes erhebliches Problem. Das ist in der letzten Sitzung des HFA vom Vorsitzenden der Portigon deutlich gemacht worden. Durch Falschbehauptungen und unbewiesene Behauptungen wird eine Kampagne gegen die WestLB und die Portigon geführt, die das Drittgeschäft erschwert und damit auf dem Rücken der Beschäftigten und gegen die Interessen des Landes ausgetragen wird. Das ist im HFA sehr deutlich gesagt worden.
(Beifall von der SPD)
Herr Witzel, damit waren Sie gemeint, falls Sie es nicht gemerkt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich sehr auf die Diskussion dieses Antrags im HFA. Deswegen stimmen wir der Überweisung zu. Wir werden dort noch einmal zwei Dinge deutlich machen. Dieser Antrag und das von Ihnen gewählte Vorgehen haben ein klares Motto, Herr Witzel. Es heißt: faktenlos, faktenlos, faktenlos.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Ja, Herr Lindner, beruhigen Sie sich doch. Ich nehme an, Sie regen sich so auf, weil Sie genau wissen, dass wir Ihre Schwachpunkte getroffen haben.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Nein, Herr Lindner, ich erkläre es Ihnen noch einmal. Wenn Sie zuhören würden, würden Sie nicht solche Falschbehauptungen aufstellen.
Ich habe hier keine Parteienumfrage gezeigt, sondern die Steuerkompetenz. Ich habe deutlich gemacht, dass Sie diese Steuerkompetenz eben nicht haben. Deswegen freuen wir uns auf die Debatte im Ausschuss. Dort werden wir noch einmal sehr deutlich machen: Diese Landesregierung steht für Steuergerechtigkeit, und Sie stehen für die Interessen von Privatbanken.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Zimkeit. – Es spricht als nächster Redner Herr Dr. Optendrenk für die Fraktion der CDU.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Treffen der G7 am vergangenen Wochenende sind wichtige Schritte zur Bekämpfung der weltweiten Flucht in Steueroasen besprochen worden. Dazu gehört auch, dass die deutschen Steuerbehörden in die Lage versetzt werden, eine große Zahl von Datensätzen aus diesen Steueroasen weltweit auszuwerten.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ach, jetzt doch?)
Für Steuerflüchtlinge in Deutschland wird die Luft dünner. Erst durch die internationale Kooperation wird es möglich, dass Steuern nicht vermieden oder Steuern in Zukunft nicht mehr hinterzogen werden können, indem man einfach das Vermögen von A nach B, C und D von einer Steueroase zur nächsten weiterverschiebt. Insofern ist die Entwicklung der letzten Wochen und Monate ein echter Durchbruch.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zimkeit?
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Natürlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett. – Bitte schön.
Stefan Zimkeit (SPD): Schönen Dank. – Sie loben ja zu Recht die Vorhaben, einen solchen Datenaustausch zu organisieren. Können Sie dann erklären, warum die Bundesregierung im Bereich Cayman Inseln einen Vertrag abgeschlossen hat, nach dem dieser Datenaustausch ausdrücklich nicht vorgesehen ist?
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich möchte gerne auf den aktuellen Stand der Dinge und darauf eingehen, was die Bundesregierung dazu getan hat. Ich muss hier nicht die Bundesregierung rechtfertigen. Ich wollte, wenn Sie gestatten, einfach einleiten in das, was das Thema in seiner ganzen Breite ausmacht.
Es zeigt sich, dass diese Erfolge nicht mit großem Medientamtam zu erzielen sind, sondern nur durch intensive Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Deutschland war und ist dabei gut beraten, auf eine intensive internationale Zusammenarbeit zu setzen. Dazu gehören auch die vom Kollegen Witzel angesprochenen Doppelbesteuerungsabkommen. Aber – wir wissen das alle – die reichen natürlich nicht aus.
Es gibt eine Vielzahl von Finanzplätzen mit bisher sehr eingeschränkter Kooperationsbereitschaft. Der Druck auf diese hat sich zum Glück in den letzten Monaten spürbar erhöht.
In einer globalisierten Wirtschaftsordnung wird es auch in Zukunft Wettbewerb durch unterschiedliche Steuervorschriften geben. Dies unterscheidet sich nicht von dem Wettbewerb im Bereich von Lohnstückkosten, von Erreichbarkeit oder Fachkräftequalifikation. Entscheidend ist aber: Jeder Wettbewerb braucht faire Rahmenbedingungen. Dazu gehört im Steuerbereich die Klarheit darüber, dass Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar ist und dass Steuerhinterziehung selbst auch strafbar ist und vom Staat geahndet wird. Wenn diese Spielregeln nicht international durchgesetzt werden, dann ist einem fairen Wettbewerb jeder Boden entzogen.
(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Das Thema der Vermögensverschiebung an Offshore-Finanzplätze ist auch deshalb in den Mittelpunkt der Diskussion in den letzten Wochen und Monaten gerückt, weil sich offenbar auch Beteiligte der öffentlichen Hand in Deutschland darin betätigt haben, Konstruktionen zu finden, wie unversteuertes Geld am Fiskus vorbei in Steueroasen transferiert werden konnte.
Um es jetzt deutlich zu sagen: Problematisch ist nicht, wenn jemand sein Geld an einem steuerlich günstigeren Standort investiert, sondern wenn er es nicht versteuert, dann ins Ausland transferiert und weder dort vor Ort noch in Deutschland, in seinem Heimatland, Steuern entrichtet, sich der Steuerpflicht dadurch entzieht.
Eine solche Konstruktion hat die alte WestLB offenbar schon in den 90er-Jahren intensiv zum eigenen Geschäftsmodell gemacht. Sie bot da zum Beispiel – ich zitiere – „Leistungsangebote im Rahmen der Zinsabschlagsteuer“ an. Theo Waigels Zinsabschlagsteuer sollte damals systematisch vermieden werden. Um es zu beschreiben: Die WestLB alter Couleur ermöglichte es zu Zeiten von Friedel Neuber ihren Kunden und den Kunden der Sparkassen systematisch, Kundengelder am Finanzamt, am Fiskus, vorbei an die WestLB-Töchter in der Schweiz und in Luxemburg zu transferieren. Die WestLB bot den Sparkassen für die Vermittlung entsprechender Kundengelder gar noch Provisionen an, damit man in Deutschland keine Steuern zahlt. Das war nicht nur Beihilfe zur Steuerhinterziehung, sondern das war möglicherweise auch noch eine systematische Anstiftung zu weiteren Straftaten. Staatsanwaltschaften und Gerichte haben das damals aufgegriffen. Ein Vorstand der Bank musste seinerzeit gehen, und der Vorstandsvorsitzende Friedel Neuber war auch sehr intensiv im Visier der Justiz.
Die politisch Verantwortlichen damals haben sich ausgeschwiegen und sich damit begnügt, kunstvoll irgendwelche Vorlagen an den Landtag zu schicken. Sie haben sich nie geäußert, haben nie Verantwortung übernommen, haben sich nie der Gremienverantwortung und ihrer eigenen Aufsichtspflicht gestellt. Dazu gehörten insbesondere die Finanzminister Schleußer und Steinbrück.
Deshalb ist es gut, dass hier im Plenum und demnächst auch im Untersuchungsausschuss dieses Thema intensiv aufgearbeitet wird. Herr Minister, Sie sind jetzt drei Jahre im Amt. Sie sind jetzt auch gefordert. Kehren Sie auch vor Ihrer eigenen Tür und nicht nur in der Schweiz. Schaffen sie Klarheit, schaffen Sie Transparenz und ducken Sie sich nicht weiter weg! – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Kollege Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin beeindruckt. So viel Einigkeit hätte ich diesem Parlament gar nicht zugetraut. Wir sind uns einig, dass die Steueroasen auszutrocknen sind. Wir sind uns einig, dass ein automatischer Datenabgleich die beste Methode ist, um dazu beizutragen, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung zu bekämpfen.
Nun bin ich ein bisschen erstaunt, dass diese Erkenntnis erst am heutigen Tage zu dieser Einigkeit führt, weil sich, als wir über das Steuerabkommen mit der Schweiz gesprochen haben, insbesondere CDU und auch die FDP vehement dagegen verwahrt haben, genau diese Elemente durchzusetzen. Sie haben uns beschimpft, wir würden auf Steuergeld verzichten, was Sie in Ihre Haushaltssanierungskonzepte eingearbeitet haben, um dieses Steuerabkommen möglich zu machen. Das ist doch schizophren. Das ist auch billig, doppelbödig und auch nicht der Sache angemessen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Kollege Optendrenk, Sie haben sehr sachlich den Sachverhalt geschildert. Ich bin Ihnen dafür ausgesprochen dankbar. Nur spiegelt sich das leider nicht in dem wider, was Herr Dr. Schäuble im Bund gemacht hat. Auf die Doppelbesteuerungsabkommen mit den Cayman Inseln und anderen ist schon hingewiesen worden, aber ausdrücklich das mit der Schweiz widersprach diesem Tenor, und zwar auch in einem anderen Punkt, den Sie ausgeführt haben, nämlich bei der Frage der europäischen Zusammenarbeit. Es wäre geradezu eine Lex Schweiz gewesen. Dieses Doppelbesteuerungsabkommen durchzusetzen, widerspricht der europäischen Richtlinie in diesem Zusammenhang und es widerspricht auch den Regulierungsbemühungen auf europäischer Ebene. Hinzugefügt sei auch noch, lieber Kollege von der FDP: Es ist doch Ihre Partei gewesen, die diese Ausweichmanöver – erinnert sei an das Thema „Cross-Border-Leasing in den Kommunen“, was landesweit angewandt worden ist – nicht bekämpfen wollte. Erst in den letzten Jahren sind sie mangels Masse und Sinnhaftigkeit eingestellt worden.
Noch ein Stichwort ist wichtig – Kollege Optendrenk hat es genannt –: Wir werden im Untersuchungsausschuss genau diesen Vorwürfen und Vorhalten nachgehen; das ist richtig. Aber – ich finde, das sollten wir tatsächlich unterscheiden – wir sollten jetzt nicht mit Scheinvorwürfen die aktuell tätige Portigon in ein schlechtes Licht rücken und ihr das Leben noch schwerer machen, als es ohnehin für sie ist. Die Portigon braucht nämlich Aufträge. Wenn die Portigon keine Aufträge bekommt, müssen wir das durch zusätzliches Steuergeld gegenfinanzieren. Es ist schlecht für das Land und nicht gut für die FDP, wenn wir das so handhaben, Herr Kollege.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zu den Jahren 2006/2007: Ich habe mich in Vorbereitung auf den Untersuchungsausschuss, auf den ich mich schon ungemein „freue“, seitenlang in die Thematik eingelesen und festgestellt, was aktuell noch aktive und damals agierende Landespolitiker gemacht haben. Herr Pinkwart hat 2006 gesagt: Wir müssen die Braut hübsch machen, damit wir sie verkaufen können. – Gemeint war die WestLB.
(Zuruf von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])
Es war keine Rede von dem Problem der Steueroasen Cayman Islands und Curaçao, und es war auch keine Rede davon, dass die WestLB das falsche Geschäftsmodell hat. All das hätte ich unterstrichen. Herr Pinkwart hat nur gesagt, die Zeche müssten im Zweifelsfall die Sparkassen zahlen, wenn das Geschäft nicht funktionierte.
(Ralf Witzel [FDP]: Falsch! Wir haben das fehlende Geschäftsmodell immer thematisiert!)
– Herr Kollege Witzel, wenn Sie wirklich erst am gestrigen Tag oder vor einer Woche gemerkt haben, dass die WestLB Institute auf den Cayman Islands oder auch in Curaçao hatte, kann ich nur sagen: Sie sind ein bisschen spät aufgewacht, oder Sie haben sich, wie es der Kollege Zimkeit gesagt hat, ein eigenes Weltbild gezimmert, das durch Fakten nicht erschüttert werden kann.
Insofern: Ihr Antrag ist schlicht überflüssig. Wir haben dem einen eigenen Entschließungsantrag entgegengestellt. Wir werden im Ausschuss intensiv darüber beraten.
Ich kann Ihnen nur mit auf den Weg geben – ich habe es schon dreimal gemacht –: Lassen Sie davon ab, aus parteipolitischem Interesse ein Bild zu zeichnen, das zum Ausdruck bringt, jetzt würden Steueroasen gezimmert, und jetzt sei die WestLB am falschen Zug. Nur ein kurzer Hinweis: Die WestLB gibt es gar nicht mehr, sondern wir haben jetzt die Portigon.
Jetzt muss es darum gehen, das, was schlecht war, abzuwickeln und eine Politik durchzusetzen, die für Steuergerechtigkeit und dafür sorgt, die Steueroasen auszutrocknen. Dabei müssen Sie mithelfen, statt immer quer im Stahl zu stehen, Herr Kollege.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Mostofizadeh. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Peer Steinbrück hat die Gesellschaft, um die es hier geht …
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Persönlich gegründet!)
– Nein, Herr Steinbrück hat sie nicht gegründet. Unter seiner Ägide als Finanzminister und als Aufsichtsratsmitglied der ehemaligen WestLB ist das Ding 2004 auf den Cayman Islands gegründet worden. Darum geht es hier unter anderem, aber auch um ehemalige oder bestehende Beteiligungen der früheren WestLB an irgendwelchen Gesellschaften im Ausland, insbesondere in sogenannten Steueroasen.
Lieber Herr Mostofizadeh, machen wir uns nichts vor: Das ist keine Marketingverkaufsveranstaltung für die Portigon. Das muss ich dem, was in Ihrem Entschließungsantrag steht, entgegenhalten, denn darin heißt es sinngemäß auch: Bitte behindert hier nicht in irgendeiner Form den Umbau und den Verkauf der Portigon AG! – Die Portigon ist eine Folge des Umbaus der WestLB beziehungsweise deren Zerschlagung.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Hier geht es doch ganz klar um Geschäfte, die die Portigon aktiv betreibt, und zwar auch seit dem Übergang und dem Umbau der WestLB. Darum geht es. Es geht nicht um die Portigon, sondern um die Auslandsbeteiligungen der Portigon, etwa über die WestLB do Brasil – sie steht hier maßgeblich in Rede –, und um das, was der Vorstandsvorsitzende der Portigon AG letzte Woche im Haushalts- und Finanzausschuss dazu ausgeführt hat, nämlich dass diese Beteiligung auf den Cayman Islands verkauft sei. Er sprach von „Signing and Closing“.
Genau da liegt das Problem – das ist das, was auch Kollege Witzel ansprach –: Die Risiken, die mit all diesen Auslandsbeteiligungen, die noch unter dem Dach der Portigon gehalten werden, verbunden sind, spielen eine Rolle.
(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)
– Doch, Herr Finanzminister, es ist so. Die betreffen all die Menschen, die zum Beispiel hier im Saal oder zu Hause vor den Bildschirmen sitzen – wie auch immer. Das betrifft den Steuerzahler.
Es geht um die Risiken, wenn festgestellt werden muss, dass zwischen Signing und Closing noch eine ganze Menge passieren kann und dass Closing im internationalen Mergers & Acquisitions-Geschäft etwas ganz anderes bedeutet als das, was etwa Herr Körfges noch letzte Woche im Haushalts- und Finanzausschuss erläutert hat. Er hat sich dabei auf das deutsche Abstraktionsprinzip bezogen.
Es ist nämlich nicht so, dass zum Beispiel der Verkauf der Finanzgesellschaft auf den Cayman Islands lediglich noch von der Genehmigung der brasilianischen Behörden abhängig sei. Das wäre nur ein Bestandteil der weiter gehenden Due Diligence, die zwischen Signing und Closing stattfindet. Es kann nämlich durchaus sein, dass dann, wenn die Genehmigung der brasilianischen Behörden erteilt ist, erst einmal die weitergehende Due Diligence, nämlich die Post Completion Due Diligence, stattfindet, durch die mögliche Risiken erst entdeckt werden, die zu einer Kaufpreisverringerung oder eventuell sogar zu einer Rückgängigmachung des Geschäfts führen.
Abgesehen davon hat die Portigon AG für diese Tochter auf den Cayman Islands per 31.12. letzten Jahres für Geschäfte – offenbar Risikogeschäfte dieser Gesellschaft auf den Cayman Islands – eine Patronatserklärung abgegeben. Wenn das also alles so risikofrei wäre, müsste man fragen, warum das so ist. Herr Voigtländer von der Portigon AG hat gesagt, das sei nun einmal üblich. – Das mag durchaus sein.
Auch üblich ist es vielleicht, dass das Land Nordrhein-Westfalen im Zuge des Umbaus der WestLB erhebliche Haftungsrisiken hat eingehen müssen: mit der Eckpunktevereinbarung, aus der heraus wir im letzten Jahr 1 Milliarde € Zuschuss beschlossen haben. Dabei wissen wir nicht, was demnächst noch aus dieser ganzen Geschichte auf uns zukommt.
Eines steht fest – das ist dem Finanzminister und dementsprechend auch der Landesregierung nicht vorzuwerfen –: Er ist durchaus bemüht, hier dafür Sorge zu tragen, dass bestimmte Steueroasen geschlossen werden. Dazu hat er sich letztendlich, nicht zuletzt letzte Woche in Brüssel, deutlich erklärt: im Zusammenhang mit einem Bericht und mit Bestrebungen der OECD dahin gehend, dass solche Steueroasen entweder dicht gemacht werden oder dass entsprechende Besteuerungsabkommen geschlossen werden. Das sehe ich auf der anderen Seite in den letzten Jahren auch aufseiten der Bundesregierung. – Das muss hier aber nicht diskutiert werden.
Entscheidend ist: Es ist hier Handeln angesagt, und dieses Handeln sehe ich hier nicht finalisiert, auch nicht mit den wirklich sehr geschliffenen Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der Portigon AG. Hier ist einiges im Unklaren.
Wie es der Entschließungsantrag der SPD ausführt, soll das ja entweder in diesem Hause bzw. in dem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden. Genau das ist der Punkt. Glauben Sie nur nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass wir hier nichts sagen dürfen, damit irgendwelche Geschäfte der Portigon AG Gefahr laufen, nicht abgeschlossen oder nicht durchgeführt werden zu können. Glauben Sie denn im Ernst, dass ein Unternehmen, das Aufträge an die Portigon AG erteilt, oder ein Unternehmen oder eine Gruppe, die irgendwann 2016 die Portigon AG kaufen sollen, die Portigon nicht auf Herz und Nieren prüfen? Das sollten Sie wirklich nicht glauben. Jede Aufklärung, die vorher erfolgt, kann der Sache nur dienlich sein. – Deswegen freue ich mich selbstverständlich auf die weiteren Beratungen dazu im Haushalts- und Finanzausschuss.
Bezüglich des Entschließungsantrags der SPD, der sich überwiegend auf Fragen der Portigon selbst bezieht und weniger auf die Unterfrage, die hier zur Debatte steht, nämlich die der Auslandstöchter in Steueroasen, kann ich der Fraktion insofern nur Enthaltung empfehlen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne, ich spreche Sie ganz besonders deshalb an, weil man sich erst einmal vorstellen muss, welche Fraktion eigentlich hier einen Antrag einbringt:
Es ist eine Fraktion, die bislang, wenn es um die Frage Steuern und Steuerhinterziehung ging, nur dadurch aufgefallen ist, dass sie für ihre Klientel Steuererleichterungen durchgesetzt hat und das dann Wachstumsbeschleunigung genannt hat, etwa bei der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels. Sie fällt dadurch auf, dass, wenn wir im Augenblick über das Jahressteuergesetz reden, sie als FDP im Bund zu verhindern versucht, dass wir einen Riegel vorschieben, wenn reiche Erben Gesellschaften bilden wollen,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
um über Scheinkonstruktionen an der Erbschaftsteuer vorbeizukommen.
Und diese Fraktion hat festgestellt, dass sie auf der Gegenfahrbahn der öffentlichen Meinung gelandet ist. Das führt jetzt dazu, dass diese Fraktion mit großen Krokodilstränen auf einmal erkennen will, da würden möglicherweise Steuern hinterzogen, es gebe Konstruktionen auf dieser Welt, die Menschen helfen, an der Steuer, am Fiskus vorbeizurutschen.
Dann wird uns ein Antrag vorgelegt, in dem steht:
„Kapitalflucht sowie die Ausnutzung von Steuer- und Regulierungsarbitrage darf der öffentlichen Hand nicht gleichgültig sein.“
(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)
Dieser Fraktion war das fünf Jahre lang in der schwarz-gelben Landesregierung von 2005 bis 2010 gleichgültig;
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
denn wir reden über Dinge, die nicht jetzt erst entstanden sind.
(Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Dann heißt es weiter:
„Zugleich konnten die jetzigen Institutionen bislang keinen unterstützenswerten sachlichen Grund darlegen, warum ihnen eine entsprechende legale Betätigung nicht auch im Euro-Währungsraum möglich gewesen sein soll.“
Danach hat diese Fraktion während fünf Jahren schwarz-gelber Regierung nie gefragt. Jetzt auf einmal merkt man: Man muss sich irgendwie äußern, man muss deutlich machen, dass man doch auch zu denen gehört, die dafür sorgen wollen, dass Steuern bezahlt werden, und dann stellt man solche Anträge.
Dann wird die amtierende Bundesregierung gelobt – das hat Herr Optendrenk von der CDU auch getan –, die ja jetzt dafür sorgen will, dass es einen automatischen Informationsaustausch gibt. Wenn wir es zugelassen hätten, dass diese Bundesregierung das Abkommen mit der Schweiz unterzeichnet, und dem auch zugestimmt hätten, wäre diese Bewegung nicht in Gang gekommen,
(Beifall von der SPD)
und die Schweiz hätte sich dem automatischen Informationsaustausch entziehen können. Das hat sie von dieser Bundesregierung sogar schriftlich bekommen. Österreich und Luxemburg haben nur darauf gewartet, dass sie sich hinter diesem Abkommen verstecken und sagen können: Wenn das automatischer Informationsaustausch ist, dann machen wir das auch so. – Dann wäre all das, wofür man sich gestern Abend schon loben ließ, obwohl es nur Absichtserklärungen sind, von vornherein überhaupt nicht in die Wege geleitet worden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Wenn Sie dann einen Antrag stellen, „dass gerade Unternehmen und Anstalten im Besitz öffentlicher Anteilseigner nicht dubiose Offshore-Infrastrukturen unterstützen dürfen“, sage ich Ihnen: Völlig richtig, aber das gilt doch wohl nicht allein für öffentlich-rechtliche. Das gilt doch wohl für private Banken ganz genauso. Oder ist hier „Privat vor Staat“ die Berechtigung der Privaten, dass sie dubiose Geschäfte machen dürfen und die anderen nicht?
(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist die FDP!)
Weiter heißt es im Antrag – solche Anträge haben ja immer einen langen Vorspann, in dem Philosophie erklärt wird und dass man die Speerspitze im Kampf gegen den Steuerbetrug sei – :
Der Landtag erwartet zeitnah eine vollständige Aufklärung der Landesregierung darüber, in welchem Umfang diese Oasen beteiligt gewesen sind.
Da kann ich nur sagen: Diese Fraktion hat fünf Jahre lang nicht nur nicht die Aufklärung erbracht, sondern sie hat sie auch nicht versucht zu erbringen,
(Beifall von den GRÜNEN)
während die Landesregierung, die jetzt vor Ihnen steht, die WestLB vom Markt genommen, die Gesellschaften entweder abgewickelt – oder sie befinden sich in Abwicklung – oder verkauft hat.
Wenn Herr Schulz uns nun sagt, das sei Signing und nicht Closing, dann muss man sich das so vorstellen: Eine Bank verkauft man nicht so einfach wie ein Auto. Selbst bei einem Autoverkauf kann es sein, dass das Auto verkauft, ein Kaufvertrag unterschrieben, aber das Auto erst einen Monat später abgeholt wird. Wir sind jetzt in der Phase, dass seit einem Jahr der Verkauf der Tochter der ehemaligen WestLB in Brasilien unterzeichnet ist, aber noch an einer Genehmigung durch brasilianische Behörden hängt. Das ist ungefähr so, als hätten Sie ein Auto verkauft, das aber noch nicht abgeholt worden ist und bei dem in der Zwischenzeit noch einmal die Sitze herausmontiert werden sollen.
Es ist so, dass nach dem getätigten Verkauf nun nur noch darauf gewartet wird, dass dieser Verkauf genehmigt wird.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Minister. Würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jostmeier zulassen, der heute wie Herr Kollege Optendrenk aussieht.
(Dr. Marcus Optendrenk [CDU] sitzt auf dem Platz von Werner Jostmeier [CDU].)
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Dann würde ich eine Zwischenfrage zulassen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wunderbar. Herr Kollege Optendrenk.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Minister, ich hätte zwei kurze Fragen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nur eine!)
Die erste: Stimmen Sie mir zu, dass es so ist, dass die Landesregierung die WestLB nicht freiwillig, sondern aufgrund einer EU-Entscheidung vom Markt genommen hat und dass wir uns deshalb heute ganz anders unterhalten?
Zweitens habe ich die Frage,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Eine!)
ob Sie dem Ausschuss bzw. dem Landtag die entsprechenden Unterlagen und Erklärungen trotzdem zur Verfügung stellen würden.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Da muss ich erst einmal nachfragen. Welche Erklärung?
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Die Erläuterungen, die zur vollständigen Transparenz hinsichtlich der Beteiligungen der WestLB in der Vergangenheit und Gegenwart erbeten worden sind.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Aber selbstverständlich.
Ich will nur sagen: Natürlich haben wir aufgrund einer Entscheidung der Europäischen Kommission entschieden, so zu verfahren, obwohl nicht von vornherein klar war, dass das bedeutet, dass die WestLB insgesamt vom Markt genommen wird. Das ist erst einmal eine Entscheidung, die wir getroffen haben, bei der wir uns vielerlei Herausforderungen zu stellen haben und das bewusst tun.
Vor diesem Hintergrund hätten Sie die Fragen, die Sie jetzt stellen, allerdings auch in Zeiten stellen können, als die WestLB nicht verkauft war bzw. nicht abgewickelt wurde. Da haben Sie das nicht getan. Dass man die Fragen zu stellen hat, das streite ich nicht ab. Ich bin der Letzte – ich habe das an dieser Stelle auch schon gesagt –, der nicht auch sagen würde, die WestLB ist eine Großbank wie alle anderen gewesen. Ich bin auch niemand, der einen Freifahrtschein für die WestLB ausstellt.
Herr Witzel hat da eine besondere Spezialität. Er fragt in jeder Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses, er stellt Anträge, macht Fragestunden. Wir haben noch genügend Gelegenheiten. Wir haben auch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ich war immer an Aufklärung interessiert. Fairerweise wurde von Ihnen bisher auch kein Vorwurf an mich gerichtet, weil ich in der Zeit, die Sie aus gutem Grund ständig beleuchten wollen, nicht im Amt gewesen bin.
Sie möchten das gerne auf Peer Steinbrück ziehen. Man muss den Eindruck haben, wenn Sie das alles aufzeichnen, dass Peer Steinbrück 200 Jahre Finanzminister dieses Landes gewesen sein muss. Er war es aber nur von 2000 bis 2002.
Wenn Sie sich einmal angucken, was 1988 entstanden ist, was 2001 aufgehört hat, was erst in Ihrer Zeit entstanden ist, dann muss man sich fragen: Meinen Sie, die Menschen merken es nicht, dass Sie hier wild auf der Suche danach sind, irgendetwas zu finden, was Sie dem Kanzlerkandidaten der SPD ans Bein binden können?
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie aufklären wollen, dann lassen Sie uns das gemeinsam tun. Da haben Sie mich an Ihrer Seite. Ich möchte gerne wissen, was es mit den einzelnen Beteiligungen auf sich hat. Wir haben heute auch noch eine Fragestunde. Es gibt eine Reihe von Erklärungen des Unternehmens, die sehr deutlich machen, dass das alles nicht zur Steuerhinterziehung eingerichtet worden ist. Fragen sind allemal erlaubt; die wollen wir alle stellen, und die wollen wir auch alle beantwortet haben. – Danke.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Minister. Seien Sie so nett und bleiben vorne am Rednerpult stehen. Denn – Stichwort: Fragen – Herr Kollege Witzel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet und erhält jetzt für 90 Sekunden das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Sie haben eben zu vielen unterschiedlichen Aspekten von Kapitalflucht und internationalen Steuerabkommen Position bezogen. Aber die im Kern von uns aufgeworfene Frage, wo denn nun die Gründe für und die Bezüge speziell bei der früheren WestLB zu Karibik-Engagements und anderen Offshore-Finanzplätzen waren, haben Sie nicht beantwortet.
Ich habe mir das in Erinnerung gerufen, was Sie im Plenum am 13.09. letzten Jahres vorgetragen haben, als Sie sehr ausführlich das Geschäftsmodell der Schweiz aus Ihrer Sicht beleuchtet haben, wobei Sie beschrieben haben, wie leicht und günstig man sich dort durch bestimmte Angebote refinanziert.
Ich stelle Ihnen die Frage und hätte gerne Ihre Einschätzung: Was sind denn die nachvollziehbaren legitimen Gründe, warum man sich ausgerechnet für Transfers in einer Größenordnung von Milliarden diese Steueroasen ausgesucht hat? Was ging denn da besser, was hier am Standort Deutschland nicht funktioniert hat, wodurch es hier in Deutschland nicht zur Versteuerung gekommen ist? Warum denn, wenn das alles so unproblematisch ist, diese Standorte?
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für Sie auch 90 Sekunden für die Antwort. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erste Feststellung, Herr Witzel: Sie sind, glaube ich, im falschen Tagesordnungspunkt. Wir beraten hier einen Antrag, den Sie stellen. Das ist nicht die Fragestunde. Die kommt danach. Da haben Sie die Fragen gestellt, die Sie gerade jetzt von mir beantwortet haben wollen. Das kann ich gerne machen, hat aber mit dem, wozu wir jetzt hier sprechen, nichts zu tun.
Zweiter Punkt: Wenn es so ist, kann ich Ihnen, wenn es die Kürze der Zeit zulässt, sagen: Ja, es gibt ein Unternehmen – darüber habe ich eben gesprochen –, das verkauft ist, das sich in der Übertragung befindet. Ich kann Ihnen nachher im Einzelnen darlegen, was dieses Unternehmen im Einzelnen getan hat.
Dann gibt es eines – das hat auch Herr Schulz erwähnt –, das praktisch den Namen mitgewechselt hat und auch Portigon geworden ist, weil es Anleihen, die bis 2001 begeben worden sind und bis 2041 laufen, abwickelt. Diese Anleihen sind da. Sie sind aufgenommen worden, sie sind von Institutionen, nicht von privaten Anlegern aufgenommen worden und werden jetzt über die Jahre abgewickelt – alles Dinge, die nicht in dieser Zeit entstanden sind, die auch keinen steuerhinterziehenden Hintergrund hatten und zu denen ich Ihnen vieles vortragen kann. Das geht nur nicht mehr unter diesem Tagesordnungspunkt. Dann, wenn die Frage ansteht, werde ich diese Fragen auch detailliert beantworten.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Gut, wunderbar, Herr Minister. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen, meine Kolleginnen und Kollegen, liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Schluss der Beratung angelangt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2886 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/2957 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
4 Keine Erdgasförderung mit der Hydraulic-Fracturing-Methode (Fracking)
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2893
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2958
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2962
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Piratenfraktion zunächst Herrn Kollegen Rohwedder das Wort.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und – ich bin sicher, dass es draußen auch einige Zuschauer gibt, weil dieses Thema so wichtig und interessant ist – im Stream! Am 9. November 2012 haben wir schon den Antrag Drucksache 16/1266 behandelt, in dem es um die Förderung unkonventioneller Gasvorkommen geht. Damals haben wir gesagt:
„Die Förderung unkonventioneller Gasvorkommen muss verboten werden. Es handelt sich um eine Hochrisikotechnologie, deren Folgen nicht kontrollierbar, nicht rückholbar, nicht reparierbar sind. Alle bisher erprobten Techniken sind zu risikoreich für Menschen, Umwelt und Ressourcen. Bei Unfällen gibt es keine Gegenmaßnahmen, die angewendet werden können.“
Wir haben dem damaligen Vorschlag trotz seiner Unzulänglichkeiten zugestimmt. Ich habe damals ausgeführt – mit Erlaubnis des Präsidiums zitiere ich mich einmal selbst –:
„Der Regierungsantrag ist uns ein bisschen zu zaghaft formuliert. Wir wollen ein klares Verbot, wie es andere europäische Länder, wie Frankreich und Bulgarien, gemacht haben, und wie es in einzelnen Bundesstaaten der USA schon gilt. Dennoch ist dieser Regierungsantrag als erster Schritt zustimmungsfähig.“
Ich habe noch eine kleine Ergänzung: Inzwischen sprechen sich schon einzelne Kreise, sogenannte Countys, in den USA gegen Fracking aus und erlassen einen sogenannten Fracking Ban.
Der Antrag Drucksache 16/1266 war also eine erstmalige Positionierung. Wie SPD und Grüne auch in ihrem aktuellen Entschließungsantrag Drucksache 16/2958 richtig benannt haben, sind eine Aktualisierung und eine Verbesserung nötig; denn das Thema ist weiter aktuell.
Mehrere Landesregierungen haben sich über den Bundesrat eingebracht. Es gibt einen Bundesratsbeschluss.
Mehrere Ansätze der Bundesregierung wurden immer wieder überarbeitet, zurückgezogen und neu in die Diskussion gebracht. Die Bundesregierung ist hilflos und wird vor der Bundestagswahl nichts mehr zustande bringen.
Auch die Wirtschaft positioniert sich. Jeder, der Wasser braucht – die Wasserversorger, die Brauereien, die Getränkehersteller –, ist klar gegen Fracking.
Vor anderthalb Wochen fand im hessischen Korbach ein Strategietreffen der deutschen Anti-Fracking-Bewegung statt. Innerhalb dieser Bewegung wird die Meinung vertreten, dass sich drei Parteien klar positioniert haben – die FDP als Fracking-Partei Deutschlands klar dafür, die Linken und die Piraten klar dagegen –, während die anderen Parteien herumeiern. Das ist jedenfalls die Einschätzung der deutschen Anti-Fracking-Bewegung.
Wie kann man jetzt über den Bundesrat weiterkommen? – Ein wesentliches Hindernis für ein Fracking-Verbot ist das Bergrecht. Ein wesentlicher Mangel des am 9. November 2012 im Plenum behandelten Antrags war, dazu nicht ausreichend Stellung zu beziehen.
Abhilfe schaffen wir hier durch unsere Forderung nach einer Abschaffung des Bergrechts, einer Einführung eines Bundesumweltgesetzbuches und einer dreidimensionalen Raumplanung.
Das Bergrecht ist in Deutschland sogenanntes höherwertiges Recht. Andere wesentliche Gesetze nehmen Bezug darauf. Das kann man zum Beispiel in § 19 Wasserhaushaltsgesetz nachlesen. Dadurch werden sonst geltende Regelungen und Rechtsstaatsprinzipien ausgehebelt.
Am 4. Juni 2013 verhandelt das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde des BUND gegen das Bergrecht. Die EU-Kommission prüft, ob es gegen EU-Recht verstößt. Auch ein reformiertes Bergrecht würde einem Bundesumweltgesetzbuch und einer dreidimensionalen Raumplanung im Wege stehen.
Deshalb ist der Zeitpunkt günstig, diesen Aspekt über den Bundesrat einzubringen. Die nächsten Sitzungen des Bundesrates finden am 7. Juni und am 5. Juli dieses Jahres statt.
Weder der Antrag Drucksache 16/1266 vom 30. Oktober 2012, die erstmalige Positionierung, noch der jetzige Entschließungsantrag von Rot-Grün Drucksache 16/2958 geht ausreichend auf das Bergrecht ein. Im neuen Antrag steht dazu genau gar nichts. Man hat nicht den Eindruck, dass die regierungstragenden Fraktionen im Landtag NRW sich wirklich klar positionieren wollen. Aber nicht verzagen! Wir geben Ihnen jetzt eine günstige Gelegenheit dazu.
Umweltverträglichkeit: Es ist das Bergrecht mit seinen hochmittelalterlichen Wurzeln, seinem feudalistischen, autoritären und obrigkeitsstaatlichen Hinhalten, das eine zeitgemäße, rechtsstaatliche Ordnung im Bereich der Förderung von Bodenschätzen verhindert.
Außerdem ist es eine deutsche Spezialität. Es ist doch auffällig, dass es kaum ein anderes Land in der Welt gibt, das ähnliche Gesetze wie das deutsche Bergrecht hat. Niemand braucht es offensichtlich.
Umweltverträglichkeitsprüfungen, Informationsfreiheit, Bürgerbeteiligung bis hin zu Referenden, Klagerechte auch für Verbände und Eigentumsschutz sind nur einige Stichworte. Das gibt es in der Gesetzgebung schon und wird gleichzeitig ausgeschlossen, sobald man einige Meter unter die Erdoberfläche geht. Formulierungen im Sinne von „sofern bergrechtliche Bestimmungen nicht entgegenstehen“ hebeln die Gesetze aus und machen das Bergrecht zum höherwertigen Recht, das Grundrecht bricht, wie Juristen sagen. Wie zeitgemäß und verfassungskonform ist denn ein Gesetz, das Grundrechte bricht?
Unsere Forderung nach Abschaffung des Bergrechts und Einführung eines Bundesumweltgesetzbuchs mit dreidimensionaler Raumplanung schafft Abhilfe. Kosmetische Änderungen helfen nicht weiter. Wenn man wirklich so weit reformiert, dass die gerade angeführten Kriterien erfüllt werden, ist nichts mehr vom Bergrecht übrig. Dann braucht man dieses Extragesetz nicht mehr. Deshalb ist es besser, jetzt konsequent Nägel mit Köpfen zu machen. Das ist – neben dem Fracking-Verbot – der entscheidende nächste Schritt in unserem Vorschlag. Deshalb bitten wir um Zustimmung. – Danke.
(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Als nächster Redner spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sie von der Fraktion der Piraten legen heute hier einen Antrag vor, in dem Sie das Fracking zur Erdgasförderung ablehnen. So weit erst einmal gut!
(Beifall von den PIRATEN)
– Sie haben das „so weit“ überhört. – Zwei Punkte in Ihrem Antrag sind meines Erachtens auch generell zustimmungsfähig. Die Heranführung bzw. Begründung in diesem Antrag ist aber fern von Gut und Böse. Das hat auch der Wortbeitrag gerade noch einmal gezeigt.
Dieser Antrag der Piraten ist ziemlich verwirrend; denn – Sie haben es eben gesagt – vor gerade einmal sechs Monaten, am 9. November 2012, hat die Piratenfraktion ihre Ablehnung schon einmal eindeutig ausgedrückt, und zwar durch ihr Stimmverhalten zu einem Koalitionsantrag, der den Titel „Weiterhin keine Genehmigung von Fracking-Technologie bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas – Wasserschutz sichern – Informations- und Wissensdefizite beseitigen“.
Eine zentrale Aussage des damaligen Antrags, der mit den Stimmen der Piratenabgeordneten verabschiedet wurde, gilt bis heute unverändert – sie wird in dem Antrag der Piraten auch gar nicht infrage gestellt –: keine Entscheidung über Fracking, solange die damit verbundenen Risiken nicht geklärt sind.
Die zentralen Aussagen, denen Sie damals Ihre Zustimmung gegeben haben, werden zum Teil in Ihrem heute vorliegenden neuen Antrag wiederholt. Ihr Antrag greift weitere Aspekte auf, die bereits im damaligen Antrag enthalten waren. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Sie auf die Bedeutung des Wasserschutzes hinweisen und wenn Sie kritisieren, dass die Schwellenwerte für die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben bei der Erdgasförderung viel zu hoch sind.
Fairerweise hätten Sie in Ihrem Antrag aber auch darauf hinweisen sollen – das muss ich kritisch anmerken –, dass die NRW-Landesregierung schon im Sommer 2011, also bevor Sie in diesen Landtag gewählt wurden, einen Bundesratsantrag eingebracht hat, bei dem es darum geht, die Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten obligatorisch zu machen.
Aber mit der Situation in Nordrhein-Westfalen und der Handlungsstrategie der Landesregierung befasst sich der Piratenantrag leider auch für den Zeitraum 2012 und 2013 überhaupt nicht. Das ist eine große Schwäche dieses Antrages.
Statt vorhandene Handlungsmöglichkeiten des Landes zu identifizieren und darauf bezogene Forderungen zu formulieren, flüchtet sich der Antrag geradezu aus der politischen Verantwortung. Da wird gefordert ganz allgemein – ich zitiere –, Maßnahmen zu ergreifen, um die Förderung von Erdgas überflüssig zu machen, also praktisch nach dem Ausstieg aus der Atomenergie auch aus der Gasversorgung auszusteigen. Das hört sich so an, als wenn ein kleines Kind bei den Regentagen morgens sagen würde: Mama, mach mal, dass Sommer kommt.
Da fordert der Antrag nicht nur die Reform des Bergrechts, die wir schon in den Bundesrat eingebracht haben, sondern zwei Punkte später auch gleich noch die Abschaffung des gesamten Bergrechts. Diese Art der Reform, nämlich die Abschaffung, meinen wir ausdrücklich nicht, sondern Reform ist für uns Reform.
Da fordern Sie nicht nur, die Risiken der Kontamination des Grund- und Oberflächenwassers durch giftige Stoffe auszuschließen, sondern wiederum zwei Punkte später gleich das vollständige Verbot der Fördermethode des Hydraulic Fracturing auch dann, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Fördermethode ohne giftige Stoffe umweltverträglich ausgestaltet werden kann.
(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])
– Herr Brockes, das taucht im Protokoll auf. Das hänge ich mir an die Wand.
Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber dieses Rumgeeiere zwischen Zustimmung zur Landespolitik und zusätzlichen Grundsatzanforderungen an Bundes- und Landespolitik ist fast genauso chaotisch wie das – Herr Brockes, jetzt können Sie wieder klatschen –, was CDU und FDP im Bund und in den Ländern in den letzten zwei bis drei Jahren zum Thema „Fracking“ geboten haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Doch das bleibt unerreicht. Zur Erinnerung: In den letzten Jahren vertrat die CDU/FDP-Bundesregierung die Position, dass es auf der Bundesebene überhaupt gar keine Regelung für das Fracking geben sollte. Solange CDU und FDP im Bundesrat noch eine Mehrheit hatten, haben sie im Bundesrat eben alles getan, um zu verhindern, dass der Antrag aus Nordrhein-Westfalen für eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei Vorhaben zur Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten eine Mehrheit fand.
Übrigens: Vorne an der Spitze der Bewegung damals war immer auch Niedersachsen, das heute – wie es den Medien zu entnehmen ist – als Mitverhinderer der Kabinettsbefassung in Berlin zitiert wird.
Als die Bundesratsmehrheit weg war, legten die Bundesminister Altmaier und Rösler dann einen sogenannten Gesetzesvorschlag vor, den „Spiegel Online“ am 26. Februar so vorstellte – ich zitiere –: Verwirrung über Gesetzesvorschlag – mit Hochdruck ins Fracking-Chaos. Ja, wie denn nun? Peter Altmaier und Philipp Rösler legen einen gemeinsamen Fracking-Gesetzentwurf vor. Der Umweltminister interpretiert ihn als Verbot der Schiefergasförderung. Der Wirtschaftsminister betont die Chancen der Methode. Was die Vorlage für die künftige Fracking-Praxis in Deutschland – besonders Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gelten als mögliche Förderländer – tatsächlich bedeutet, ist angesichts der gegensätzlichen Interpretationen allerdings völlig unklar. – Recht hat der „Spiegel“.
Vorgestern nun hat das Bundeskabinett diesen Gesetzesvorschlag von der Tagesordnung genommen. Einen Gesetzgebungsprozess wird es aller Voraussicht nach vor der Bundestagswahl nicht mehr geben, übrigens laut heutiger Presseberichterstattung mit der Begründung, es stünden noch weitere Gespräche an.
Annähernd drei Jahre hat diese Bundesregierung beim Fracking nichts, aber auch überhaupt nichts hingekriegt. Was sind diese drei Jahre Untätigkeit und Aussitzen im Verhältnis zu den Aktivitäten dieser Landesregierung? Diese drei Jahre der Bundesregierung waren einfach nur peinlich.
Wie Hohn muss es da klingen, wenn man an die in 2011 von Herrn Kollegen Wüst getätigten Vorwürfe der doch so langen Beratungszeit denkt, zu einem Zeitpunkt, als die parlamentarische Beratung inklusive Anhörungsverfahren und Auswertung im Gange war. Zu diesem Zeitpunkt waren sich nahezu alle in diesem Hohen Hause über die grundlegende Ablehnung einig. Nur dem parteipolitischen Scharmützel war es geschuldet, dass kein gemeinsamer Beschluss zustande kam.
Es hielt sich auch unwidersprochen die Meinung, dass laut Herrn Laumann eine gemeinsame Sache in Sachen Fracking mit den Koalitionsfraktionen grundsätzlich nicht machbar sei. Das war wohl auch der Grund, warum einvernehmliche Meinungen sich nicht in Beschlüssen wiedergefunden haben.
Heute scheinen wir doch einen Schritt weiter. Unser Entschließungsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, muss für Sie eigentlich zustimmungsfähig sein, ebenso wie der Inhalt Ihres heutigen Entschließungsantrages. Wir brauchen keine parteipolitischen Scharmützel. Deswegen stimmen wir Ihrem Entschließungsantrag zu, was wir eigentlich schon vor zwei Jahren gemeinsam mit Ihnen hätten machen können. Wir wollten es auch.
Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass Beobachter die Absetzung der Kabinettsbefassung in Berlin mit einem Schreiben von Karl-Josef Laumann an die Bundeskanzlerin in Verbindung bringen. Unabhängig davon, dass medialen Berichten zufolge der Schutz des Bodensees oder der Schutz des Bierbrauwassers aus Bayern ausschlaggebend gewesen sein sollen, war der Inhalt des Briefes des Kollegen Laumann trotzdem richtig.
Aber ich frage ihn, auch wenn er nicht da ist: Warum warten Sie denn erst, Herr Kollege Laumann, bis fünf Minuten vor zwölf, bevor Sie bei Ihrer Bundesregierung intervenieren? Warum lassen Sie so lange zu, dass die Herrschaften Altmaier und Rösler die Bevölkerung mit ihren völlig unzureichenden gegensätzlichen Aussagen verunsichern und in Sorge versetzen? Warum haben Sie nicht zu dem Zeitpunkt auf die Bundesregierung eingewirkt, als unser aller Positionen im Bundesrat beraten wurden? Passte das nicht in das parteipolitische Konzept?
Oder wie Herr Blasius in seinem Kommentar vom 11. Mai geschrieben hat – ich zitiere –: Die Sorgen der schwarzen Stammkundschaft in Westfalen und am Niederrhein gehen über alles. – Zitat Ende. Weiter sagt er, dass die Haltung der SPD konstruktiver wirkt. Recht hat er.
Oder wie der „Westfälische Anzeiger“ heute schreibt: Erst wenn eine Gefährdung des Grundwassers ausgeschlossen sei, halte die CDU-Fraktion die Gewinnung des sogenannten Schiefergases für denkbar, erklärte Laumann.
Damit liegt sie auf der Linie der rot-grünen Landesregierung. Dann hätten Sie schon längst tätig werden können.
(Beifall von der SPD)
Ich bin froh, dass dieses Thema in Nordrhein-Westfalen unter gemeinsamer Federführung von Wirtschafts- und Umweltministerium berechenbar und rechtssicher politisch bearbeitet wird.
Die Landesregierung hat mit dem Bundesratsantrag zu den Erlassen über Entscheidungen über Anträge zur Erdgasbohrung mit Fracking und mit der Vergabe des Risikogutachtens frühzeitig und angemessen auf die Herausforderungen und die vorhandenen Risiken reagiert. Der Wirtschaftsminister und der Umweltminister haben gemeinsam die richtigen Konsequenzen aus den von ihnen in Auftrag gegebenen Gutachten gezogen. Die sind alle nachzulesen und sind alle bekannt. Sie haben dann diese Schlussfolgerungen in einen Bundesratsantrag aufgenommen. Dieser wiederum wurde am 1. Februar mit großer Mehrheit im Bundesrat verabschiedet.
Da die Bundesregierung vor der Bundestagswahl ein eigenes Gesetzgebungsverfahren nicht mehr auf die Reihe bekommen wird, ist nun eines klar, nämlich das, was Karl-Josef Laumann in seinem Brief an die liebe Angela vergessen hat zu schreiben: Die Bundesregierung soll endlich die Beschlussfassung des Bundesrates übernehmen, umsetzen und einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen schaffen. – Dann wäre der Brief richtig gut gewesen und hätte noch mehr Zustimmung von uns bekommen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion erteile ich nunmehr Herrn Kollegen Hovenjürgen das Wort.
Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Schmeltzer, die Analyse des Antrags der Piraten teile ich. Auch ich hätte mir gewünscht, dass wir diesen Antrag intensiver beraten könnten. Dass er heute zur direkten Abstimmung gestellt wird, ist nicht vorteilhaft. Es sind Ansätze darin, die diskutierenswert und beachtenswert sind. Er kann aber in Gänze so nicht mitgetragen werden. Allerdings, lieber Kollege Schmeltzer, Ihre Flucht in Richtung Berlin und die Befassung mit der Koalition dort sollen natürlich auch ein Stückchen die Spreizung kaschieren, die wir innerhalb der rot-grünen Koalition zwischen Herrn Remmel und Herrn Duin haben.
(Beifall von der CDU)
Das alles gehört zum politischen Geschäft.
Die CDU-Fraktion bedarf an dieser Stelle überhaupt keines Nachhilfeunterrichts. Die CDU-Fraktion hier im Hause vertritt seit langer, langer Zeit die Auffassung, dass Fracking mit den jetzt auf dem Markt befindlichen technischen Methoden und Verfahren in den Anwendungen so nicht akzeptabel ist, dass das Risiko zu hoch ist und dass es deshalb abzulehnen ist. Dies haben wir – wie Sie das sicherlich auch tun – mit dem Wissen in die Gremien eingespeist, dass eine Entscheidung anstand. Unser Fraktionsvorsitzender hat dies mit Aufforderung seiner Fraktion in Berlin noch einmal in aller Deutlichkeit mit dem – aus unserer Sicht guten – Erfolg vorgetragen, dass wir eine Regelung, die wir für nicht weitgehend genug halten, erst einmal ausgesetzt haben.
Allerdings bleibt – das ist auch richtig zu beschreiben – ebenfalls festzuhalten, dass wir im Moment eine Rechtssituation haben, die keine Regelungsmöglichkeiten zulässt. Deswegen bedarf es der Reform des Bergrechts. Diese Reform muss so sein, dass wir letztendlich – neben der Tatsache, dass wir auf jeden Fall zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit einbauen müssen – auch andere Mechanismen finden, die dazu führen, dass wir zum Beispiel betroffenen Geschädigten zwingend mehr Einfluss einräumen, als sie bisher haben. Auch in dieser Hinsicht, lieber Herr Schmeltzer, sollten Sie, glaube ich, innerhalb Ihrer eigenen Fraktion – insbesondere auch bei den Kolleginnen und Kollegen im Unterausschuss „Bergbausicherheit“ – doch noch einmal appellieren, dass wir auf die Linie zurückkommen, auch den Betroffenen Stimme und Gehör zu verschaffen, und dass wir die dafür sorgen müssen, ihnen bei möglichen Schäden, die zum Beispiel auch beim Fracking anfallen könnten, Möglichkeiten zu geben, sich adäquat mit betroffenen Schädigern auseinandersetzen zu können.
Auch das gehört mit zur Wahrheit.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Übrigen noch auf eines hinweisen: Der Bodenschatz des Schiefergases bleibt. Er bleibt auch, wenn wir heute und im nächsten Jahr und vielleicht auch während der nächsten Jahre nicht fracken, eben solange, wie wir kein geeignetes Verfahren entwickeln können. Er geht uns nicht verloren. Es ist übrigens kein Verbrechen an der nächsten Generation, Rohstoffe übrig zu lassen, um nicht an jedes Rohstoffreservoir das Schild hängen zu müssen: „Leider schon verbraucht“.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Auch da macht es Sinn, auf Verfahren und Wege zu warten, die Gefährdungen von Menschen, der Umwelt und insbesondere auch des Trinkwassers ausschließen.
Deswegen auch an dieser Stelle noch einmal: Wir müssen nicht mit allem sofort an der ersten Stelle der Bewegung stehen. Wir sind ein dicht besiedeltes Land. In Nordrhein-Westfalen halten wir zum Beispiel das Münsterland und den Niederrhein für dünn besiedelt. Sie sind aber – um das auch noch einmal zu sagen – im Vergleich zu den Regionen, in denen in den USA gefrackt wird, immer noch dicht besiedelt. Insofern ist das natürlich mit anderen Gefährdungspotenzialen verbunden. Deswegen nehmen wir unsere Haltung so ein, wie es geschieht.
Es bleibt festzustellen: Die Bundesregierung hat einen Weg eingeschlagen, der zu einer Regelung führen sollte, die uns nicht weit genug ging. Wir haben mit einem Diskussionsprozess dafür sorgen können, dass hier noch einmal innegehalten wird und man noch einmal ins Gespräch kommt, um nach Lösungen zu suchen. Gerne werden wir dabei mithelfen, nach gemeinsamen tragfähigen Lösungen zu suchen.
Wie gesagt: Das ist für eine Ressource, die in unserem Land vorhanden ist, gut. Es ist aber auch unsere Aufgabe, Ressourcen schonend zu behandeln. Das ist übrigens werthaltige, nachhaltige Politik. Der fühlen wir uns verpflichtet. Insofern werden wir dem Fracking erst dann zustimmen, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hier erkennen wir übrigens auch noch eine Schwäche im Piratenantrag. Aus ihm liest man eher einen Generalausschluss des Fracking heraus. Wir können natürlich nicht ausschließen, dass technische Methoden und Verfahren entwickelt werden, die nicht zu Gefährdungspotenzialen führen. Dann muss man auch für neue Verfahren offen sein. Diese gibt es zurzeit nicht. Deswegen ist unsere Haltung an dieser Stelle konsequent: So geht es nicht.
Wir wollen die Zukunft ressourcenschonend gestalten. Die Ressourcen wollen wir für die nachfolgenden Generationen erhalten, und wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, sie unter sicheren Umständen zu heben. Das ist nachhaltige Politik. Wir werden uns an jedem Verfahren bzw. jeder Maßnahme beteiligen, die dazu führen, dass wir hier größere Sicherheitsaspekte erreichen.
Sie werden uns aber auch an Ihrer Seite wissen, wenn Sie gemeinsam – vielleicht können wir das im Schulterschluss machen – dafür sorgen, dass denjenigen, die das Bergrecht anwenden, Sensibilität gegenüber denjenigen Geschädigten beigebracht wird, die vom Bergrecht betroffen sind. Wir sollten ihnen die Sensibilität vermitteln, mit diesen Menschen umzugehen, ihnen mehr Gehör zu geben. Auch sollten wir die Möglichkeit schaffen, dass sich die Unternehmen nicht über Geschädigte hinwegsetzen und entscheiden können, wann, wie und ob entschädigt wird. Das sind sicherlich Dinge, die wir auch regeln sollten, damit Geschädigte in diesem Land das Gefühl haben, dass sie Unternehmen gegenüber nicht hilflos sind. Hier gibt es eine Tendenz im Unterausschuss „Bergbausicherheit“, die ich nicht besonders glücklich finde. Die Tendenz sollte sein, wieder zu einem einvernehmlichen Handeln zurückzukommen, nämlich den Menschen Gehör zu verschaffen und eine Stimme zu geben. Das wäre letztendlich hilfreich.
Wir sind froh, dass wir diese Entwicklung in Berlin erreichen konnten, und wir freuen uns, dass Karl-Josef Laumann diesen Weg mitgegangen ist und dafür gesorgt hat, dass das in Berlin so ablief. Herr Schmeltzer, Sie haben die Debatte heute eingeleitet. Sie haben sich hinter der Berliner Situation versteckt. Wir würden uns auch freuen, wenn Rot-Grün bzw. die beiden Minister klar erklärten, wie wir das hier in Nordrhein-Westfalen regeln können. Ich bin, wie gesagt, auf deren Wortbeitrag, gespannt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Brems das Wort.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Eine überwältigende Mehrheit des Parlaments hat bereits im letzten Jahr eine eindeutige Positionierung zum Thema „Fracking“ vorgenommen und dabei auch das Vorgehen der Landesregierung begrüßt.
Es gibt eine ganz klare Beschlusslage aus dem November 2012. Wir haben es eben gehört: Auch die Piraten haben damals zugestimmt. Jetzt sind die Piraten anscheinend der Meinung, dass diese Positionierung nicht mehr ausreicht und eine neue Positionierung nötig ist. Wir erklären gerne, warum wir den Antrag der Piraten ablehnen. Gleichzeitig haben wir dies zum Anlass genommen, zu unserem Antrag aus dem letzten Jahr noch eine Aktualisierung vorzunehmen.
In kurzen Worten: Der Antrag der Piraten ist unvollständig und unstimmig. Das möchte ich an ein paar Beispielen festmachen. Zunächst zum Thema „USA“: Der Kollege Rohwedder hat in seinen Ausführungen hier am Pult rechtliche Aspekte genannt. Die Situation in den USA ist in rechtlicher Hinsicht mit der in Deutschland und erst recht mit der in Nordrhein-Westfalen absolut nicht vergleichbar.
Zudem liegen bisher leider keine Ergebnisse von umfassenden Studien vor, die etwaige Zusammenhänge von Trinkwasserverschmutzung und Fracking bewiesen hätten. Die US-Umweltschutzagentur arbeitet an einer solchen generellen Beweisführung, hat aber bisher noch keinen Abschlussbericht vorgelegt. Ein derartiger Bericht wird auch nicht vor 2014 erwartet. Sicherlich gibt Trinkwasserverschmutzungen und weitere massive Problemen; allerdings handelt es sich immer nur um Einzelberichte.
Ein weiterer Aspekt: Ein Ergebnis der NRW-Studie lautete, dass die Erfahrungen aus den USA beispielsweise in geologischer Hinsicht nicht auf Nordrhein-Westfalen übertragbar sind. Daher sind Ihre Verweise auf die USA problematisch.
Zum Aspekt der Unvollständigkeit. Ich greife eines Ihrer Beispiele heraus: die möglichen betroffenen Gebiete in Nordrhein-Westfalen. Die Aufzählung ist unvollständig. Beispielsweise fehlen komplett das Münsterland und Ostwestfalen-Lippe. Entweder Sie haben hier unkorrekt recherchiert, oder das Fehlen dieser Regionen hängt damit zusammen, dass Ihre Fraktion leider keine Abgeordnete aus diesen Gebieten hat.
(Vereinzelt Beifall)
Zu Fracking gibt es einige Studien aus Deutschland, aus der EU und auch aus Nordrhein-Westfalen. Hierzu findet sich in Ihrem Antrag kein Wort, ebenso wenig dazu, welches die nächsten Schritte für Nordrhein-Westfalen sein sollen. Auch hier bestätigt sich wieder die Tendenz: Dieser Antrag ist einfach unvollständig und argumentiert nur in eine Richtung.
Zu guter Letzt noch der Aspekt der Zuständigkeit. In Ihrem Antrag stellen Sie die Forderung nach Klagemöglichkeiten. Das ist jedoch Sache des Bundesgesetzgebers. Hierüber können wir hier gar nicht entscheiden.
Ich gehe trotzdem gerne inhaltlich auf das Bergrecht ein. In den Kohlerevieren Nordrhein-Westfalens ist aufgrund der Erfahrungen von Betroffenen der Ausspruch entstanden: „Bergrecht bricht Menschenrecht.“ Auch wir Grünen sind daran interessiert, dass durch Änderungen des Bergrechts auf Bundesebene hin zu einem modernen Bergrecht des 21. Jahrhunderts solche Aussprüche aus dem Wortschatz der Betroffenen verschwinden können. Es wird sich zeigen, ob es im Bundestag ab September eine entsprechende Mehrheit geben wird.
Dann möchte ich gerne noch auf die aktuellen Entwicklungen beim Fracking im Bund zu sprechen kommen. Herr Schmeltzer hat eben schon einige Aspekte genannt. Bei dem Vorschlag von Bundesumweltminister Altmaier und Bundeswirtschaftsminister Rösler handelt es sich um einen gemeinsamen Vorschlag. Vielleicht kann man für Nordrhein-Westfalen die Kritik anbringen, es gebe Unterschiede zwischen Herrn Duin und Herrn Remmel – aber das, was man in Berlin beobachten kann, habe ich hier noch nicht erlebt. Da wird zu einem gemeinsamen Gesetzesvorschlag Herr Altmaier zitiert mit dem Satz: „Wir machen ernst mit dem Schutz der Umwelt“, und Herr Rösler mit: „Fracking bietet erhebliche Chancen“.
Und das für einen gemeinsamen Vorschlag! Das, so finde ich, zeigt eklatant, wo hier das Problem liegt:
(Zurufe von der FDP)
Entweder lügt einer von beiden, oder einer von beiden wurde, ohne es zu merken, über den Tisch gezogen.
(Zurufe von der CDU)
Gerade ist ein aktuelles Gutachten der grünen Bundestagsfraktion vorgelegt worden. Der Gutachter kommt klar zu dem Ergebnis, dass die Bundesregierung mit den angedachten Änderungen statt einer Einschränkung oder eines Verbots von Fracking vielmehr eine Rechtsgrundlage für die Förderung von Fracking schaffen würde.
Für mich gibt es nur zwei Interpretationen: Entweder ist Herr Altmaier über den Tisch gezogen worden, oder er vertritt als Umweltminister die Umweltinteressen nicht so, wie es eigentlich seine Aufgabe wäre.
(Zuruf von der CDU: Die Gesetze der Physik sprechen aber dagegen!)
Ich möchte gerne das Lob für Herrn Laumann aufnehmen, das schon angeklungen ist. Er hat sich durchgesetzt gegen Interessen auf Bundes- und auch auf Landesebene und hat erreicht, dass die Gesetzgebung, die Fracking Tür und Tor geöffnet hätte, verschoben wurde, vorerst zumindest. Ganz gestoppt ist das Ganze noch nicht.
Wir sollten alle gemeinsam darauf achten, dass auf Bundesebene nicht Tatsachen für das Fracking geschaffen werden, die wir alle – bis anscheinend auf die FDP – hier in Nordrhein-Westfalen nicht wollen. Wie es aussieht, hat die CDU in NRW mittlerweile den Weg aus dem Labyrinth gefunden, wie Sie mit Ihrem prägnanten Entschließungsantrag zeigen. Nun müssen Sie nur noch Ihren Kollegen im Bundestag den Weg aus dem Labyrinth zeigen und dort nicht nur die Verschiebung von Pro-Fracking-Gesetzen erreichen, sondern deren komplette Verhinderung.
Eins ist doch ganz klar: Wir können nicht die Droge der fossilen Energieträger, an denen die Menschheit hängt, durch eine andere Droge ersetzen und damit unsere Abhängigkeit verlängern. Das heißt, wir brauchen auch aus diesem Grunde die Energiewende. Für uns – im Gegensatz zu Frau Merkel – bedeutet aber eine gelungene Energiewende nicht nur, dass wir aus der Kernenergie aussteigen, sondern die Abkehr von fossilen Energieträgern bei Stromerzeugung, bei Wärmeversorgung und beim Verkehr.
Bis wir diese Mammutaufgabe gelöst haben, gilt für uns, wie es in unserem Antrag zum Schluss heißt, dass auch weiterhin alles unternommen werden muss, damit die wertvolle Ressource Wasser geschützt wird und Fracking unter Einsatz von schädlichen Substanzen in Nordrhein-Westfalen nicht zum Einsatz kommt. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächstem Redner erteile ich für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Brockes das Wort.
Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlass für die heutige Debatte ist ein Antrag der Piraten zum Fracking, der aufgrund der aktuellen Diskussion in Berlin sehr interessant ist. Als ich den Antrag auf der Tagesordnung gefunden habe, habe ich zunächst einmal gedacht: Schön, jetzt sind auch die Piraten endlich in der Energiepolitik angekommen. Aber, meine Damen und Herren, als ich dann den Antragstext gelesen habe, wurde ich leider eines Besseren belehrt.
Wir alle in diesem Hohen Hause sind uns wohl der Bedeutung des Themas bewusst. Für uns als Liberale ist klar: Die Sicherheit der Bevölkerung und der Schutz der Umwelt vor unumkehrbaren Schäden stehen bei der Nutzung unkonventioneller Erdgase an erster Stelle.
(Zuruf von den PIRATEN: Hört, hört!)
Trotz der beträchtlichen Potenziale soll die Nutzung nur dann möglich sein, wenn sie aus Umweltgesichtspunkten verantwortbar ist.
(Beifall von der FDP – Zuruf von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten, ist jedoch, ehrlich gesagt, eine Zumutung. Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ehrt uns!)
Seit Monaten sind wir in intensiven Diskussionen, auch mit dem Ziel, die Debatte ein Stück weit zu versachlichen.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Energiekonzerne!)
Auch wenn es dem einen oder anderen hier im Hause vielleicht nicht gefallen sollte, gehen wir mit dem Thema verantwortungsvoll um und suchen nach der besten Lösung, wie mit den Chancen und Risiken bei der Nutzung unkonventioneller Erdgase verantwortbar umgegangen werden kann. Das gilt auf jeden Fall für uns, die FDP-Fraktion. Deshalb möchte ich unsere Position erwähnen, die wir bereits im November 2012 mit dem Entschließungsantrag Drucksache 16/1383 deutlich gemacht haben.
(Beifall von der FDP)
Wir haben es uns erspart, den Antrag noch mal einzubringen, weil er nach wie vor aktuell ist.
Auch wenn man die täglich neuen Widersprüche in der Union in Berlin sieht, so eint uns doch die Erkenntnis: Nach derzeitigem Stand ist Fracking mit wassergefährdenden Stoffen nicht verantwortbar. Wir brauchen noch weitere Informationen, weitere Untersuchungen, um entscheiden zu können, ob und wie es weitergeht.
Meine Damen und Herren von der Union, wir werden Ihrem Antrag heute zustimmen,
(Beifall von Thomas Kufen [CDU])
auch wenn er an einer Stelle noch sehr ungenau ist. Denn ob ein Stoff giftig ist, hängt auch von der jeweiligen Konzentration ab.
(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])
Wir verstehen es so: Wir schließen aus, dass Stoffe eingesetzt werden, die den Grundwasserschatz gefährden würden.
Sie von den Piraten dagegen suchen sich jetzt nach Monaten der Diskussion das Angstthema „Fracking“ heraus, um es auszuschlachten und aus ihm politisches Kapital zu schlagen. Das beginnt damit, dass Sie passagenweise Meinungsäußerungen und wörtliche Zitate aus einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ vom 22. Oktober 2012 wiedergeben und als feststehenden, unumstößlichen Sachverhalt präsentieren. Das geht gar nicht, meine Kolleginnen und Kollegen.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Bemerkenswert ist auch, dass Sie im Internetzeitalter so lange gebraucht haben, um dies zu übernehmen.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Dafür haben Sie lange gebraucht! – Zuruf von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Sie sind sich auch nicht zu schade, auf die USA zu verweisen. Explosionen führen Sie auf Fracking zurück. Auch sei der Zusammenhang zwischen Fracking und Trinkwasserkontamination bereits wissenschaftlich belegt. Kollegin Brems hat ebenfalls deutlich gemacht, das dies noch nicht der Fall ist.
Lassen Sie mich deshalb eines ganz klar sagen: Die USA sind sicherlich in vielerlei Hinsicht ein Vorbild, aber in einem gewiss nicht: bei der Umweltgesetzgebung. In den USA war bisher mancherorts die Lagerung des Frackingabwassers in offenen Teichen erlaubt. Da braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass dies zu Trinkwasserverunreinigungen führen kann.
Ich möchte noch einmal betonen: Pauschale Vergleiche mit der USA sind unseriös. Denn sie sind kein Referenzmaßstab für unsere Umweltgesetzgebung und für den Rechtsrahmen,
(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])
der jetzt in Berlin erarbeitet werden muss.
(Beifall von der FDP)
Zu Ihrem Antrag möchte ich noch einen Punkt anmerken. Sie fordern – mal so eben – die Abschaffung des Bergrechts. Denn es verstoße angeblich gegen das EU-Recht.
Meine Damen und Herren, wir arbeiten seit Monaten im Unterausschuss „Bergbausicherheit“ fraktionsübergreifend daran – auch Kollege Schmalenbach macht mit –, eine Überarbeitung des Bundesberggesetzes auf den Weg zu bringen. Und Sie wollen nun das Bergrecht abschaffen. Was gilt denn jetzt? Welcher Weg ist der richtige? Wenn man Ihrem Vorschlag folgen würde, hätte dies evidente Folgen für die Bergbaubetreibenden, die von heute auf morgen in der Illegalität wären, aber auch für die Bergbaubetroffenen, die hierdurch rechtlos würden. Das kann doch nicht Ziel Ihres Antrags sein. Deshalb werden wir den Antrag der Piraten ablehnen.
Wir werden auch den Antrag von SPD und Grünen ablehnen, der sicherlich in Teilen anerkennenswert ist, aber zu kaschieren versucht, dass Sie noch keine gemeinsame Position zum Thema „Nutzung unkonventioneller Gase“ haben. Deshalb lehnen wir heute auch diesen Antrag ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Remmel das Wort.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Erdgasgewinnung aus unkonventionellen Lagerstätten“ beschäftigt uns in Nordrhein-Westfalen und in der Öffentlichkeit in der Tat bereits seit mehreren Jahren. Es kann auch niemand versprechen, dass die Diskussion mit der heutigen Plenardebatte zu Ende sein wird. Wir werden uns also auch in Zukunft damit auseinandersetzen und darüber diskutieren müssen – keine Frage.
Aktuell haben wir einen Antrag der Piraten vorliegen, über den wir befinden und zu dem wir uns eine Meinung bilden müssen. Ich finde, man muss immer fragen: Welche Bedeutung hat ein Antrag oder ein politischer Wunsch, eine Entschließung zu fassen, zu der jeweiligen Zeit? Welche Bedeutung hat dann dieser Antrag? Anders formuliert: Wenn man in hundert Jahren die Netzhistoriker, die es dann auch geben wird, befragen würde, zu welcher Zeit, wenn man unterschiedliche Schichten abtragen würde, dieser Antrag der Piraten aus der Zeit um 2010 entstanden wäre, würde man schnell zu der Einschätzung kommen: Ja, das muss irgendwann um den Jahreswechsel 2009/2010 gewesen sein.
Wir sind aber jetzt im Jahr 2013. Insofern gibt es einen Fortschritt in der Debatte, es gibt auch einen inhaltlichen und fachlichen Fortschritt. Dazu liest man in Ihrem Antrag allerdings nichts. Er ist seltsam sozusagen aus der Zeit gefallen. Ich will Ihnen das an drei Punkten erläutern.
Zum einen meine ich, es hätte Ihnen gut angestanden, die Debatte in Nordrhein-Westfalen nachzuvollziehen. Ich will nicht sagen, Sie hätten die Leistung der Landesregierung anerkennen sollen; das muss eine Oppositionsfraktion nicht unbedingt tun. Aber wir sind doch nicht mehr auf dem Stand von 2010. Wir haben ein umfangreiches Gutachten erstellt. Wir haben aus dem Gutachten die entsprechenden Schlüsse gezogen. Wir haben entsprechende Initiativen auf Bundesebene gestartet – nicht nur zur Implementierung einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung, sondern auch zu einer umfassenden Regelung. Dieser Antrag im Bundesrat hat eine große Mehrheit gefunden. Jetzt ist es doch an der Bundesregierung, dieses Ansinnen des Bundesrates auch entsprechend umzusetzen. Auch dazu gibt es in Ihrem Antrag keine Hinweise.
Aber auch aus anderen, inhaltlichen Gründen finde ich Ihren Antrag aus der Zeit gefallen. Er berücksichtigt einfach nicht, dass wir schon Rechtsetzungen durch bestehendes Recht haben. Es sind ja schon Aufsuchungserlaubnisse erteilt worden, also schon Rechte entstanden, nicht nur in der Bundesrepublik allgemein, sondern auch in Nordrhein-Westfalen. Wie gehen wir damit um? Da reicht es nicht, einfach nur das Bergrecht abschaffen zu wollen. Sie müssen vielmehr mit den derzeitigen konkreten Rechtstatbeständen umgehen. Sie müssen sich dazu verhalten. Sie müssen auch einen Vorschlag machen, wie wir damit umgehen sollen, und zwar rechtssicher. Dazu steht in Ihrem Antrag kein Wort.
Einen letzten Punkt will ich noch nennen. Man kann sich natürlich auf die Position verständigen, zu sagen: Wir halten die Fahne hoch; Fracking wird generell verboten. – Eine solche Position ist im Diskurs ja an vielen Stellen erhoben worden. Aber auch das reicht nicht aus. Wir werden uns der Frage stellen müssen, wie wir die Datendefizite, die Fachdefizite, die Forschungsdefizite, die Defizite im wissenschaftlichen Bereich aufarbeiten.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Auch hier hat die Landesregierung Vorschläge gemacht, wie wir uns diesem Weg nähern wollen. Sie wollen doch nicht Forschung und Wissenschaft verbieten – so habe ich jedenfalls Ihre Position bisher nicht wahrgenommen. Deshalb muss man auch hier Wege beschreiben, wie man die festgestellten Defizite, in vielfältigen Studien untermauert, denn beheben will.
Ihr Antrag ist daher jedenfalls nicht die Abbildung dessen, wo wir uns in der aktuellen Diskussion befinden. Diesen Punkt muss man hier auch in der Landtagsdebatte benennen: Der Stein des Weisen ist zurzeit nicht in der Mitte des Parlaments in Nordrhein-Westfalen zu finden, sondern die Bundesregierung muss erklären, was sie denn will.
(Beifall von Rainer Schmeltzer [SPD])
Es ist nun der zweite und dritte Anlauf, der auf der Bundesebene offensichtlich nicht gelingt. Es ist doch nicht so, dass wir uns im Landtag Nordrhein-Westfalen nicht einig wären. Wenn ich es richtig sehe, geht die Einigung sogar bis ganz auf die rechte Seite des Hauses. Ich habe Ihre Ausführungen eben, Herr Brockes, so verstanden, dass Sie sich der Grundformel, die wir hier gefunden haben – „Kein Fracking mit giftigen Chemikalien“; das ist die Haltung der Landesregierung, das ist die Haltung des Parlamentes –, als FDP in Nordrhein-Westfalen anschließen können.
Das würde aber heißen, dass Sie sich – Herr Lindner, ich fordere Sie auf, als stellvertretender Bundesvorsitzender dazu gleich Stellung zu nehmen – gegen Ihren Bundesvorsitzenden stellen.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
Denn die Bundesregierung vertritt derzeit die Position, Fracking mit giftigen Chemikalien außerhalb von Wasserschutzgebieten zuzulassen. Das vertritt die Bundesregierung, das vertritt insbesondere Herr Rösler. Da würde ich mich schon heute freuen, wenn Sie, Herr Lindner, hier für Nordrhein-Westfalen erklären könnten, dass Sie diese Position nicht teilen. Dann wären wir ein ganzes Stück weiter. Denn es ist insbesondere die FDP in Berlin, die eine einige Haltung der Bundesregierung verhindert.
Die CDU hat sich ja Gott sei Dank, auch durch den Brief des Kollegen Laumann und viele Initiativen aus anderen Bundesländern, in eine solche Richtung bewegt. Aber, Herr Hovenjürgen, es wäre an der Zeit gewesen, heute zu erklären, ob die Position, die Herr Laumann vertritt – oder Herr Laumann hätte es besser selber getan –, denn auch wirklich die gesamte CDU eint.
(Beifall von Rainer Schmeltzer [SPD])
Ich will schon noch mal fragen, ob das wirklich die Position der CDU in Nordrhein-Westfalen ist. Herr Laschet hat sich nämlich noch im September 2012 anders geäußert. Ich kann das gerne zitieren. Herr Laschet hat damals vorgeschlagen, man müsse ja auch einmal etwas für die Wirtschaft tun – so war der Grundsatz – und nicht immer nur für die Ökologie. Er hat vorgeschlagen: Probebohrungen außerhalb von Wasserschutzgebieten sollten wir zulassen. – Herr Hovenjürgen, es würde mich schon interessieren, wie die CDU heute dazu steht. Es wäre durchaus angemessen, dass an dieser Stelle Herr Laschet selbst oder auch Herr Laumann erklären würde: Wie ist die Position der CDU in Nordrhein-Westfalen zu Probebohrungen und auch zum Fracking außerhalb von Wasserschutzgebieten?
Ich vermisse also bei der Bundesregierung Wahrheit und Klarheit. Wenn es im Zusammenhang mit Fracking um den Schutz von Mensch und Umwelt geht, dann müsste das Kabinett auch endlich ein Gesetz vorlegen, in dem der Grundsatz „Kein Fracking mit giftigen Chemikalien“ umgesetzt wird. Diese Position ist die Position des Bundesrates in seiner großen Mehrheit. Die Bundesregierung müsste also einfach nur das Naheliegende tun und der Position des Bundesrates zur Mehrheit verhelfen. Wir erwarten das noch vor der Bundestagswahl. Denn die Menschen in Nordrhein-Westfalen, in der Bundesrepublik haben es einfach verdient, dass die Verantwortlichen – hier die Bundesregierung – klar erklären, was sie wollen. Zurzeit ist das nicht zu erkennen.
Wir in Nordrhein-Westfalen haben die Hausaufgaben gemacht. Die Bundesregierung hat das noch vor sich. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Für die CDU-Fraktion habe ich als nächsten Redner den Kollegen Wüst.
Hendrik Wüst (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich komme nicht umhin, Herr Remmel, mich zunächst mit dem auseinanderzusetzen, was Sie am Ende Ihrer Redezeit versucht haben zu sagen, nämlich: Die CDU ist da doch nicht so, wie sie sein müsste.
(Minister Johannes Remmel: Sie haben sich ja entwickelt!)
Wir haben hier einen Antrag vorliegen, der es an Klarheit nicht mangeln lässt. Dieser Antrag ist von der CDU-Landtagsfraktion beschlossen worden. Die CDU-Landtagsfraktion hat ihren Fraktionsvorsitzenden in der letzten Woche ermuntert, sich auch gegenüber der Bundesregierung klar zu positionieren. Im Übrigen ist auch unser Landesvorsitzender, Armin Laschet, Mitglied dieser Fraktion. Insofern brauchen wir von Ihnen keine Nachhilfe.
(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Auch das, was Sie zum Thema „Bundesregierung“ gesagt haben, dient vielleicht dem Versuch, Ihre Truppen für den Wahlkampf zu motivieren. Mit der Wahrheit hat es nichts zu tun. Denn auch in den Entwürfen der Bundesregierung sind die Umweltverträglichkeitsprüfung und das Vetorecht der Unteren Wasserbehörden enthalten. Also den letzten Teil Ihrer Rede, muss man unter „Wahlkampf“ verbuchen, sachdienlich war er nicht.
Ich bin den Piraten für diesen Antrag dankbar, weil er noch mal Gelegenheit gibt, dass sich alle bekennen. Ich bin auch dankbar für die Auseinandersetzung mit diesem Thema, das für die Piratenfraktion anfangs, als sie in den Landtag kam, vielleicht nicht auf der Agenda stand. Ich bin auch dankbar für die grundsätzliche, kritische Positionierung zu dem Thema.
Gucken Sie nicht so skeptisch! Ich lobe Sie gerade. Da kommt kein Aber –, auch wenn Sie am Ende natürlich ein bisschen über das Ziel hinausschießen, was uns eine komplette Zustimmung …
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Man muss immer aufpassen, wer einen lobt!)
– Ich lobe Sie; da brauchen Sie nicht so viel aufzupassen. – Hier und da schießen Sie über das Ziel hinaus. Das macht es für uns schwierig zuzustimmen. Aber die grundsätzliche Positionierung finde ich völlig in Ordnung; ich bin dankbar dafür.
Mir fiel bei Herrn Schmeltzer auf – es war fast abzusehen; deswegen hatte ich mich entsprechend präpariert, in meinen Kalender und das Archiv geschaut –, dass da ein bisschen was durcheinanderging. In der Werbung kennen wir den Spruch zu den Halsbonbons: „Wer hat’s erfunden? – Wir haben‘s erfunden!“, sagen die Schweizer.
Nun haben die Schweizer das Thema „Fracking“ nicht erfunden. Die CDU-Landtagsfraktion hat Anfang 2011 als erste Fraktion das Thema auf die politische Agenda gesetzt mit einem Antrag, der hier zum ersten Mal am 3. Februar 2011 beraten wurde. Es war ein Antrag der CDU-Fraktion, den ich damals federführend erarbeitet und hier eingebracht habe. Ich erinnere an meine damaligen Worte:
„Heute sprechen wir zum ersten Mal über dieses Thema; das wird aber sicherlich nicht das letzte Mal sein.“
Ich erinnere auch an die Findungsphase bei der SPD intern, aber auch zwischen Rot und Grün, die wir mit diesem Antrag ausgelöst haben. Ich halte mich daran, nicht aus Telefonaten zu zitieren. Aber es hat interessante Telefonate mit der Führung beider damals minderheitsregierungstragenden Fraktionen gegeben mit der Zielrichtung, wir mögen das Thema bitte verschieben, weil man noch Zeit brauche, weil die IG-BCE-Truppe in der SPD-Fraktion noch ein bisschen Zeit brauche und weil man untereinander noch ein bisschen Zeit brauche.
Das war ein neues Thema. Ich finde, es ist auch legitim, wenn man sich die Zeit nimmt, ein Thema aufzuarbeiten und zu erarbeiten. Ich gestehe auch zu, dass es in der Opposition einfacher ist, das zu tun als in der Regierung.
Nur heute, wo sich die Behörden organisiert haben – wir erinnern uns: die Bezirksregierung Arnsberg war damals als Bergbaubehörde auch neu in dem Thema –, schickte ein Bürgermeister schon mal Broschüren oder PowerPoint-Präsentationen von Exxon. Das hat sich alles gelegt. Es ist Fachkompetenz aufgeladen worden. Da ist viel passiert. Die Regierungen von Bund und Land haben Gutachten in Auftrag gegeben.
Ich finde, mittlerweile könnten die regierungstragenden Fraktionen etwas mehr liefern als die Beschimpfung des politischen Gegners,
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
zum Beispiel in den Aussagen, die ich hier mit Erlaubnis des Präsidenten versuche zu zitieren; ich sage bewusst: versuche. Auf Seite 2 heißt es:
„Der Landtag begrüßt das Vorgehen der Landesregierung, dass sie unter Einbeziehung der Wissenschaft in einem gemeinsamen Prozess mit den Unternehmen erarbeitet, welche konkreten Erkenntnisse die Erkundungen letztlich liefern müssen, um die Informations- und Wissensdefizite zu beseitigen und eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über mögliche nachfolgende Schritte zu schaffen; dies soll in einem transparenten und breiten Prozess erfolgen.“
Weiß hier irgendjemand, was die SPD jetzt will? Sind Sie jetzt dafür oder sind Sie jetzt dagegen? Herr Schmeltzer hat so geredet, als sei die einzige Fraktion, bei der das klar sei, seine Fraktion, alle anderen würden irgendwie wackeln.
Sie wollen noch irgendetwas erforschen und irgendetwas herausbekommen, was allen anderen klar ist. Fracking mit giftigen Stoffen ist für uns nicht möglich. Ich glaube, darin sollten wir heute Einigkeit demonstrieren.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Deswegen ist es gut und richtig, dem Entschließungsantrag der CDU, der pur, der klar, der schnörkellos und der ausschließlich zur Sache ist, der kein Wahlkampfgetöse macht und der keine Weitung hat, die man nicht braucht, zuzustimmen. Angela Merkel würde sagen: Herr Schmeltzer, die Zustimmung Ihrer Fraktion ist alternativlos. – Ich sage: Ich finde sie schön. – Vielen Dank.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Wüst, ich darf Sie bitten, noch am Rednerpult stehen zu bleiben, denn Herr Kollege Schmeltzer hat sich zu einer Kurzintervention angemeldet. – Herr Schmeltzer, bitte sehr, Ihre 90 Sekunden.
Rainer Schmeltzer (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Eigentlich wundert es mich, dass Kollege Wüst weglaufen wollte. Er hätte mit meiner Intervention rechnen können.
(Hendrik Wüst [CDU]: Stimmt!)
Es wäre schön, wenn die Bundeskanzlerin gesagt hätte: Ihre Zustimmung ist alternativlos. – Ich würde mir wünschen, sie hätte überhaupt schon mal was zu dem Thema gesagt. Doch da ist es genauso wie bei allen anderen Dingen: Erst mal nichts sagen und die Koalition streiten lassen.
(Beifall von Minister Johannes Remmel)
Herr Kollege Wüst, ich habe in meiner Rede nicht ein einziges Mal infrage gestellt, dass die CDU seinerzeit den Aufschlag mit dem Antrag gemacht hat.
(Minister Johannes Remmel: So ist es!)
Das würde ich auch nicht tun, weil es falsch wäre. Ich habe deutlich gemacht, was die Landesregierung geleistet hat – im Übrigen immer mit Ihrer stillen Zustimmung. Und ich habe versucht, deutlich zu machen, dass aufgrund politisch kleiner Inhalte im Begründungstext der jeweiligen Anträge seinerzeit eine Übereinstimmung nicht zustande gekommen ist, wir aber in der Sache, auch bei dem, was Herr Kollege Hovenjürgen eben gesagt hat, grundsätzlich einer Meinung waren.
Ich habe eben gesagt: Keine politischen Scharmützel unsererseits bei Ihrem Antrag! So etwas hatten wir im Oktober 2011 auch schon mal vor, da gab es aber leider politische Scharmützel, und da waren Sie der Wortführer.
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Schmeltzer. – Herr Kollege Wüst, Sie haben die Möglichkeit, 90 Sekunden nachzulegen. Die Zeit läuft.
Hendrik Wüst (CDU): Vielen herzlichen Dank. – Herr Schmeltzer, ich bin immer dankbar für Ihre Kurzinterventionen, weil Sie mir damit immer extra Redezeit geben.
Es ist schön, dass Sie den Eindruck verwischen wollen – der jedenfalls bei mir entstanden ist –, es sei hier auch um Parteipolitik gegangen. Sie haben erst drei Minuten Parteipolitik gemacht, um dann zu sagen: Das wollen wir gar nicht machen.
Ich bin sicher, dass noch stärker als Ihr Bedauern, dass Angela Merkel sich nicht geäußert hat, Ihre Dankbarkeit darüber ist, dass Peer Steinbrück sich dazu bisher nicht geäußert hat.
(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Der äußert sich erst, wenn er Kanzler ist im September!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion hat sich der Kollege Meesters zu Wort gemeldet.
Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Für uns als SPD ist klar – das haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner im Koalitionsvertrag festgehalten; das möchte ich an dieser Stelle noch einmal hervorheben –: Unkonventionelles Erdgas mit giftigen Chemikalien zu suchen und zu gewinnen, halten wir für nicht verantwortbar. Wasser ist unser Lebensmittel Nummer eins. Deshalb dürfen Trink- und Grundwasser nicht gefährdet werden.
Nach den Redebeiträgen, die ich bisher hier im Parlament gehört habe, muss ich feststellen, dass sich eigentlich alle Fraktionen unserem Koalitionsvertrag und dieser Aussage anschließen können.
(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])
In den vergangenen Jahren haben sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft intensiv mit der Energiewende, der Förderung erneuerbarer Energien und auch der Förderung unkonventioneller Erdgasvorkommen beschäftigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, mit Ihrem Antrag sind Sie jetzt auch in diese Diskussion eingestiegen. Ich kann in Ihrem Antrag allerdings absolut keine faktische Auseinandersetzung mit ebendieser politischen und gesellschaftlichen Diskussion und den Initiativen, die besonders in den letzten zwei Jahren geschehen sind, erkennen. Was Herr Rohwedder gesagt hat, zeigt: Er hat das Thema zwar verfolgt, aber entweder hat er es nicht verstanden oder er will es nicht verstehen. Ansonsten hätte er diesen Antrag so nicht stellen können. Denn der Antrag liest sich so, als wäre in der Vergangenheit nichts passiert.
Ich will nicht alles, was schon gesagt worden ist, wiederholen, aber doch feststellen: Es sind viele Initiativen gelaufen. Es hat hier im Parlament etliche Positionierungen gegeben, die durchaus auch in Ihrem Sinne sind. Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein Moratorium, das jegliche Probebohrungen untersagt. Auch das darf man nicht müde werden in der ganzen Diskussion festzuhalten.
Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit Schleswig-Holstein im Bundesrat einen Antrag gestellt, der vom Bundesrat am 1. Februar dieses Jahres beschlossen worden ist.
Deshalb erschließt sich mir absolut nicht, was Sie geritten hat, diesen Antrag zu verfassen. All das, was bislang unternommen wurde, ist ja nicht in irgendwelchen Hinterzimmern abgelaufen, sondern ist stets von den Medien sowie vielen interessierten und besorgten Bürgerinnen und Bürgern begleitet worden, die sich in Bürgerinitiativen entsprechend organisieren. Ich finde es deswegen mehr als ungewöhnlich, dass Sie den Eindruck erwecken, als sei das an Ihnen vorübergegangen, dass Sie zumindest so tun, als ob nichts geschehen sei.
Dass Sie die Sorgen der Menschen ernst nehmen, ist vom Grundsatz her richtig. Das will ich auch gar nicht kritisieren. Denn wir alle stehen gemeinsam in der Verantwortung, die Interessen der Menschen in unserem Land beim größtmöglichen Schutz des Trinkwassers zu wahren. Damit wir erfolgreich sind, müssen wir eine einheitliche Linie verfolgen.
Das skurrile Hin und Her, wie wir es bei den Bemühungen der Bundesregierung zum Fracking-Gesetz erlebt haben, ist nur kontraproduktiv. Die Nachricht, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf vorerst nicht im Kabinett behandelt und somit endgültig im Fracking-Labyrinth angekommen ist, haben wir alle zur Kenntnis genommen.
Dass dieser Entwurf zunächst einmal vom Tisch ist, ist erst mal ein gutes Signal. Denn statt der Aufforderung des Bundesrates zu folgen, hatte die Bundesregierung neben der obligatorischen Umweltverträglichkeitsprüfung ja nur beabsichtigt, eine unzureichende Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vorzulegen. Die festgestellten Daten- und Informationsdefizite wurden vollkommen ausgeblendet.
Von daher finde ich es gut, dass Herr Kollege Laumann unserer Position folgt und mit seinem scharfen Protest den Standpunkt Nordrhein-Westfalens CDU-seitig bei der Bundesregierung geltend gemacht hat. Ob seine Motive alleine dem Schutz des Trinkwassers gelten oder dem politischen Druck der eigenen Wählerklientel entspringen, und ob seine Intervention ausschlaggebend für die Entscheidung in der Berliner Chaoskoalition war, ist vom Ergebnis her ziemlich zweitrangig. Es ist gut, wenn wir in Nordrhein-Westfalen mit einer Stimme sprechen, um den Gefahren und Risiken einer Technologie wie dem Fracking gemeinsam und entschlossen zu begegnen. Das ist es, was zählt!
Herr Hovenjürgen, Sie haben ja ein bisschen gespreizt erklärt, wie die Dinge bei Ihnen entstanden sind, und dargestellt, dass die Situation nicht einfach ist. Sie haben auch für ein wenig Verständnis geworben und gesagt: Wir müssen uns nicht an die erste Stelle der Bewegung setzen. – Doch, Herr Hovenjürgen, das müssen wir! Wir müssen uns an die erste Stelle der Bewegung setzen, wenn es gilt, den Prozess gemeinsam anhand der vorliegenden Gutachten zu gestalten, die wir auf Bundes- und Landesebene haben. Ich lade Sie ganz herzlich ein, das zu tun. Unser Entschließungsantrag bietet Ihnen dazu die richtige Brücke.
Herr Brockes, Sie haben ausgeführt, dass Sie die beste Lösung suchen, wie man mit dieser Form der Gasgewinnung verantwortungsvoll umgeht. Sie haben auch die Fragen aufgeworfen, die beide Gutachten gleichermaßen thematisiert haben. Ich sehe daher die große Chance auch für Sie, nicht nur dem Antrag der CDU, sondern auch dem Antrag der Koalition zuzustimmen. Denn dieser Antrag dokumentiert ganz klar eine Linie. Er ist völlig dissensfrei. Ich sage Ihnen: Die Minister Rösler und Altmaier auf Bundesebene könnten sich ein Beispiel daran nehmen und sich eine Schnitte davon abschneiden, wie unsere Minister Duin und Remmel an einem Strang ziehen, um die Sache gemeinsam voranzubringen. Das, was Sie hier machen, finde ich kleinlich, parteipolitisch und der Sache absolut nicht angemessen.
Zuletzt möchte ich auf Herrn Wüst eingehen, der sagt, dass der Antrag der CDU an Klarheit nicht zu übertreffen ist. Ich gebe es zu: Der Antrag ist sehr puristisch gehalten. Er ist auch eindeutig und in der Sache richtig. Aber wenn der CDU-Antrag die Klarheit widerspiegelt, so spiegelt der SPD-Antrag die Wahrheit wider, weil er zur Klarheit auch noch den Rahmen darstellt, in dem wir uns bewegen, in dem wir uns bewegt haben und in dem wir uns weiter bewegen müssen. Es hilft nichts, das Thema geschichtlich aufzuarbeiten. Wir müssen das abarbeiten, was die Gutachten, die ich gerade schon erwähnt habe, an Fragen stellen und was sie an Gefahren aufzeigen, die der Einsatz toxikologischer Stoffe beim Fracking birgt. Das können wir doch gemeinsam beschließen. Das dürfte doch für Sie eigentlich überhaupt kein Problem sein.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Meesters.
Norbert Meesters (SPD): Ich komme zum Schluss. – Letztlich trennt uns in unserer grundsätzlichen Haltung zum Fracking nach meiner Einschätzung gar nicht so viel. Ich würde mich daher freuen, wenn wir gemeinsam den bisherigen verantwortungsbewussten Kurs für Nordrhein-Westfalen fortsetzen würden, wenn Sie uns dabei unterstützen und ein starkes Signal nach Berlin senden würden, dass der Beschluss des Bundesrates auch in der Gesetzgebung des Bundes umgesetzt wird. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Der nächste Redebeitrag kommt aus der FDP-Fraktion, und zwar vom Kollegen Höne. 1:48 Minuten stehen noch auf der Uhr.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Da kann er nicht viel Schaden anrichten!)
Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, diese Zeit gut zu nutzen
Zunächst eine Bemerkung an die Piratenfraktion: Ich stimme Herrn Minister Remmel vollkommen zu, wenn er sagt, dass Ihr Antrag völlig aus der Zeit gefallen ist. Ich habe mich in den letzten Minuten gefragt, ob dieses Aus-der-Zeit-gefallen-Sein vielleicht damit zusammenhängt, dass Sie sich auf Ihren Parteitagen doch immer sehr intensiv mit Zeitreisen auseinandersetzen, in dem Zusammenhang vielleicht etwas schiefgelaufen ist und Sie darum viel zu spät dran sind.
Herr Kollege Meesters, Sie haben gerade erneut darauf hingewiesen, wie einig sich die Minister Remmel und Duin in der Landesregierung sind. Ich zitiere dazu Rainer Kellers vom WDR. Er schrieb vor gar nicht allzu langer Zeit: Fracking spaltet Landesregierung. – Während Minister Duin sagte, er sei froh, dass der Bund jetzt auf NRW-Linie sei, sagte Herr Remmel, der Bund mache alles anders als Nordrhein-Westfalen, das könne man überhaupt nicht unterstützen, das sei ein Freibrief fürs Fracking, den man eben nicht wolle.
(Beifall von der FDP)
Daraus jetzt zu basteln, dass sich die Landesregierung hier einig wäre, das ist nun wirklich abenteuerlich.
Es gibt ein weiteres Beispiel. Vergangene Woche hat Minister Duin bei einer Veranstaltung der IHK in Duisburg erklärt, die Landesregierung werde den Bundesratsantrag von Schleswig-Holstein zum Thema „Fracking“ nicht unterstützen. Der führe dazu, dass man vorschnell die Erforschung von Fracking einstelle. Das sei eben nicht Meinung der Landesregierung. Der gestrige Beschluss der grünen Landtagsfraktion liest sich da aber meiner Meinung nach deutlich anders.
Ich will das kurz zusammenfassen. Die FDP ist der Meinung, wir brauchen weitere Informationen zum Fracking, um Chancen und Risiken wirklich abschätzen zu können. Wir sind der Meinung, dass Angst gerade bei neuen Technologien nun wirklich ein sehr schlechter Berater ist. Wir wollen nicht einfach den Status Quo halten, sondern Fortschritt zulassen. Wir dürfen die Tür auch nicht nur einen Alibispalt weit offen lassen, durch den de facto keine weiteren Erforschungen möglich sind, sondern wir müssen schon den Mut haben, zu sagen: Wir brauchen weitere Schritte, wir brauchen weitere Informationen.
Bis das der Fall ist, lehnt auch die FDP das Fracking ab. Wir haben zum Thema „Fracking“ auf dem Bundesparteitag in Nürnberg gerade beschlossen, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Die Zeit, Herr Kollege.
Henning Höne (FDP): … dass wir es ablehnen, wenn toxische Gefahren von den Verfahren und den eingesetzten Stoffen ausgehen. Hören Sie also auf, an dieser Stelle Unterschiede aufzubauschen, wo keine sind. Wir sollten vielmehr weitere Verfahren und weitere Schritte abwarten und dann gemeinsam schauen, wie wir das lösen können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. Da das mit den Zeitreisen noch nicht klappt, habe ich Ihnen, genauso wie dem Kollegen Meesters vorhin, einen kleinen Zuschlag gegeben. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Frau Kollegin Brems zu Wort gemeldet.
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Brockes, ich hatte eben das Gefühl, Sie sind so etwas wie ein Wolf im Schafspelz. Sie stellen sich hierhin und sagen, Umweltverträglichkeit stehe beim Fracking für Sie an erster Stelle. Entlarvend sind dann aber Ihre folgenden Ausführungen. Beim Lob an die Piraten, sie seien endlich in der Energiepolitik angekommen, zeigt sich nämlich: Für Sie ist Energiepolitik nur fossile Energiepolitik.
Dann sagen Sie, beim Fracking hänge die Giftigkeit von der Konzentration der Substanzen ab. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Es gibt Substanzen wie zum Beispiel Öl, wovon noch nicht mal ein einziger Tropfen etwas im Wasser zu suchen hat, unabhängig davon, ob es sich um ein Wasserglas oder um eine Badewanne handelt.
Gucken wir uns doch mal an, um welche Dimensionen es beim Fracking geht: Mehr als 4.000 kg umweltschädliche Substanzen werden bei einem einzigen Frack eingesetzt. Das zeigt schon, wie hoch das Gefährdungspotenzial ist. Sie bagatellisieren das Ganze mit solchen Aussagen.
Zu guter Letzt noch eine Anmerkung zu Herrn Wüst: Sie fordern die Landesregierung auf, hier endlich mehr zu liefern. Ich sage Ihnen nur: Es gibt zwei beschlossene Bundesratsanträge auf Initiative von Nordrhein-Westfalen. Bergrecht ist Bundesrecht. Die Bundesregierung muss endlich aufhören, Bundesratsentscheidungen zu ignorieren, und anfangen, unser Lebensmittel Nummer eins, das Wasser, endlich zu schützen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piratenfraktion haben wir jetzt den Kollegen Schmalenbach am Mikrofon.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Frau Brems, Herr Wüst, wir haben eine Einzelabstimmung beantragt. Sie können also Rosinen picken und damit zeigen, wo Sie stehen.
Herr Brockes, ich danke Ihnen für den Hinweis auf Berlin. Wir haben auch in der heutigen Debatte wieder sehr viel über Berlin geredet. Ich möchte mit einem Zitat beginnen: Im Hinblick auf die Anforderungen, welche der Gesetzgeber aus Gründen der Gefahrenabwehr und der Vorsorge vor Umweltgefährdungen gegenüber Fracking-Vorhaben etablieren müsste, ist festzustellen, dass die Gesetzentwürfe dem nicht gerecht werden.
(Unruhe)
Die Grünen werden das Zitat kennen. Es stammt aus dem Gutachten, das die Bundesgrünen zum Gesetzentwurf von Bundesumweltminister Altmaier eingeholt haben.
(Unruhe)
Es bringt die Umweltpolitik …
(Zuruf von den PIRATEN: Leiser!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf um ein wenig Ruhe bitten, auch was die Zwischenrufe angeht. Ich habe leider nicht gesehen, woher der kam, aber auch der war sehr unangenehm und laut. Seien Sie bitte ein bisschen leiser.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank.
Es bringt die Umweltpolitik des Bundesumweltministers Altmaier schön auf einen Punkt. Umweltminister Altmaier wird den Anforderungen, die wir alle an den Umweltschutz haben sollten, nicht gerecht. Das ist die Conclusio aus diesem Gutachten.
Herr Remmel ist nicht hier.
(Abgeordnete zeigen auf den im Plenarsaal befindlichen Minister.)
Sein Gutachten kommt zu dem Schluss, dass zwar außerhalb von Wasserschutzgebieten gefrackt wird, dass aber nicht sichergestellt wird, dass es keine Einwirkungen in die Wasserschutzgebiete gibt.
An Herrn Meesters habe ich die Frage, von welchem Strick er gerade gesprochen hat und was am anderen Ende ist. Ist eventuell eine Schlinge daran? Das würde mich auch mal interessieren.
Herr Hovenjürgen, wenn es neue Aspekte zum Fracking gibt, können wir gerne darüber reden. Solange für uns aber nicht klar ist, dass es ungefährlich machbar ist, kann für uns nur ein Verbot dabei herauskommen.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich habe gestern Abend ein schönes Zitat von meiner Freundin dazu bekommen:
(Zurufe: Ah! Oh!)
– Okay. Wenn Sie aufhören könnten zu raunen, dann kann ich das Zitat auch eben bringen, damit wir alle was davon haben: Fracking ist wie ein Huhn zu Tode zu foltern, um an das ungelegte Ei zu kommen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN – Zurufe)
Vizepräsident Daniel Düngel: Lieber Kollege Schmalenbach, ich glaube, zu dem Zitat gibt es noch Beratungsbedarf.
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Ansonsten vielen Dank für den Redebeitrag.
An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Es ist nach wie vor sehr laut. Gespräche können bitte draußen stattfinden.
Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Duin das Wort.
Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass in der Debatte bei all den gegenseitigen Zuweisungen von Verantwortlichkeiten auf der jeweiligen Ebene deutlich geworden ist, dass es im Kern eine Einigung gibt, nämlich dahingehend – das kommt in den verschiedenen Anträgen zum Ausdruck –, dass es zurzeit nach dem jetzigen Stand der Technik keine Erdgasgewinnung aus unkonventionellen Lagerstätten in Nordrhein-Westfalen geben soll. Damit wird aber deutlich – egal, welcher Antrag mit welcher Mehrheit auf den Weg gebracht wird –, dass die Linie, die die Landesregierung seit Anfang dieser Debatte verfolgt, vom Landtag mit breiter Mehrheit getragen wird.
Es ist aber auch deutlich geworden – das macht der CDU-Antrag, Herr Hovenjürgen und Herr Wüst, auch klar –, dass man, selbst wenn man es so knapp wie möglich machen will, zwei Sätze braucht, um darzustellen, wie die Haltung ist. Das erleben wir in der gesamten öffentlichen Debatte – es ist ja sehr spektakulär, wenn mit Zitaten gearbeitet wird –, dass sehr häufig entweder nur der erste Satz genommen wird, um eine Schlagzeile zu produzieren, oder eben nur der zweite Satz. Es ist aber nicht in der Weise schwarz-weiß, wie es in manchen Teilen der öffentlichen Debatte dargestellt wird.
Wir haben deswegen eine solide Grundlage – der Kollege Remmel gemeinsam mit mir und meinem Hause – für unser Vorgehen geschaffen, indem wir damals dieses Gutachten auf den Weg gebracht haben. Das Gutachten, das inhaltlich sehr nahe bei dem ist, was in Berlin in Auftrag gegeben wurde, sagt sehr deutlich, zu sehr vielen Aspekten gibt es noch Wissens- und Datendefizite. Insbesondere gibt es ein riesiges Risikopotenzial durch die Fluoride. Aus diesem Grunde ist für uns völlig klar: Ein Einsatz dieser risikobehafteten Fluoride ist in Nordrhein-Westfalen nicht verantwortbar, und es wird zu ihm nicht kommen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben dementsprechend – auch darauf ist in der Debatte schon hingewiesen worden – entsprechende Initiativen in den Bundesrat eingebracht. Es ist jetzt vielleicht gar nicht mehr an der Bundesregierung, sondern an den Fraktionen, die noch die Mehrheit im Bundestag haben, sich nun kurzfristig zu einigen, damit Klarheit herrscht und damit wir in diesem Sinne, der hier ja mehrheitsfähig ist, agieren können.
Ein paar Worte noch zu dem Antrag der Piraten: Darin wird ausgeführt, dass das Bundesberggesetz allgemein anerkannten und sonst geltenden Rechtsstaatsprinzipien widersprechen würde. In dem Antrag wird dessen generelle Abschaffung gefordert. Genauso soll die Anwendung der Fracking-Methode vorbehaltlos und dauerhaft verboten werden. Beide Positionen teile ich nicht.
Wir benötigen gesetzliche Grundlagen, die eine vollständige Beurteilung der bergbaulichen Vorhaben hinsichtlich der möglichen Umweltauswirkungen sowie der technischen und Arbeitssicherheitsaspekte sicherstellen. Diese Grundlagen müssen aber auch ein breites Mitspracherecht der Betroffenen an den Entscheidungen über die Realisierung der Vorhaben sichern. Herr Hovenjürgen hat vorhin schon einmal darauf hingewiesen. Daher kann das Bergrecht nicht abgeschafft werden, sondern es muss im zuvor beschriebenen Sinne konsequent weiterentwickelt werden. Daran arbeiten wir gemeinsam, wenn ich die Akzeptanzinitiative richtig verstehe, an der Sie auch beteiligt sind.
Auch halte ich nichts von einem pauschalen und dauerhaften Verbot der Fracking-Technologie, wenn nachgewiesen wird, dass sie umweltverträglich ausgestaltet werden kann, wie es einige Unternehmen für die Zeit in ein paar Jahren angekündigt haben. Aber diese Bedingungen müssen die Unternehmen liefern, diese Bedingungen müssen erst erfüllt werden.
Die Fracking-Technologie an sich wird nicht nur bei der Gewinnung von Kohlenwasserstoffen, sondern auch etwa bei Projekten der Tiefengeothermie eingesetzt. Wer ein generelles Technologieverbot – so habe ich den Antrag der Piraten verstanden – fordert, behindert und verhindert damit auch solche Projekte, die wir doch eigentlich wollen. Das ist eben ausdrücklich nicht die Linie der Landesregierung.
(Beifall von der SPD)
Deswegen werden wir unseren Weg fortsetzen. Herr Kollege Remmel hat ihn gerade schon einmal dargestellt. Wir werden die beschriebenen Risiken genau untersuchen. Wir wollen die vorhandenen Wissens- und die Informationsdefizite Schritt für Schritt beseitigen. Dazu wird die Landesregierung einen breit angelegten Dialogprozess initiieren – gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern, mit Kommunen, mit Verbänden, mit Behörden der Wissenschaft und mit den Unternehmen.
All das machen wir. Aus diesem Grund kommt kürzlich – ich nenne das, weil so viel aus Zeitungen zitiert worden ist – die „FAZ“ nicht zu Unrecht zu dem Ergebnis, dass die differenzierteste und klügste Haltung zu diesem doch insgesamt sehr emotional aufgeladenen Thema die Landesregierung von NRW hat. Ich finde, da kann man der „FAZ“ ausnahmsweise einmal recht geben. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Duin.
Ich bitte, folgenden Hinweis zu beachten: Die Piratenfraktion hat direkte Abstimmung über ihren Antrag Drucksache 16/2893 beantragt, und zwar Einzelabstimmung nach § 41 Abs. 2. Wir kommen somit zu elf Abstimmungen. Das bekommen wir aber gemeinsam hin.
Wir stimmen zuerst ab über Ziffer 1 des Forderungskataloges unter 3. Wer kann der Ziffer 1 zustimmen? – Die Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist Ziffer 1 des Forderungskataloges abgelehnt.
Wir stimmen über Ziffer 2 des Forderungskataloges ab. Wer ist für diese Ziffer? – Die Piratenfraktion und die CDU-Fraktion. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Enthält sich jemand? – Nein. Damit ist diese Ziffer auch mehrheitlich abgelehnt.
Wir stimmen ab über Ziffer 3 des Forderungskataloges. Wer ist für diese Ziffer? – Die Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch Ziffer 3 abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 4 des Forderungskataloges. Wer ist dafür? – Die Piratenfraktion, die CDU-Fraktion und FDP-Fraktion. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es hier Enthaltungen? – Nein. Damit ist auch Ziffer 4 abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 5 des Forderungskatalogs. Wer ist für diese Ziffer? – Die Piratenfraktion, die SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Nein. Damit ist Ziffer 5 des Forderungskatalogs angenommen.
Wir kommen zu Ziffer 6 des Katalogs. Wer ist für diese Ziffer? – Die Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Fraktion der CDU und der FDP. Damit ist auch Ziffer 6 abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 7 des Forderungskatalogs. Wer ist für diese Ziffer? – Die Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch diese Ziffer abgelehnt.
Wir kommen zu Ziffer 8 des Forderungskatalogs. Wer ist dafür? – Die Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch Ziffer 8 abgelehnt.
Wir kommen damit zur Gesamtabstimmung des Antrags Drucksache 16/2893 in der geänderten Fassung. Wer ist für diesen Antrag? – Die Piratenfraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/2893 mehrheitlich abgelehnt.
Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2958 ab. Wer kann dem Entschließungsantrag folgen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Die Piratenfraktion und die FDP-Fraktion sind dagegen. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion enthält sich. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/2958 angenommen.
Zum Schluss stimmen wir über den Entschließungsantrag Drucksache 16/2962 der Fraktion der CDU ab. Wer ist für diesen Antrag? – Das sind die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion, die SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Die Piratenfraktion ist dagegen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/2962 angenommen.
Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunkts 4 und kommen zu:
5 Dienstleistungen im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit müssen umsatzsteuerfrei bleiben
Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2900 – Neudruck
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2959
(Unruhe)
Wenn es etwas leiser geworden ist, darf der Kollege Jung für die CDU-Fraktion das Wort ergreifen.
Volker Jung (CDU): Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Im Grunde genommen verfolgen wir das gleiche Ziel: Wir alle wollen möglichst optimale Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Zusammenarbeit der Kommunen untereinander verbessert wird. Interkommunale Zusammenarbeit führt vielfach zu mehr Effizienz. Sie ermöglicht es, die öffentlichen Verwaltungen leistungsfähig und bezahlbar zu machen.
Gerade in Zeiten demografischer Herausforderungen gilt es für unsere Kommunen, den Spagat zwischen Kostensenkung auf der einen Seite und immer höheren Anforderungen auf der anderen Seite zu meistern. Dabei ist das Zusammenspiel von Kommunen ein wichtiger Schritt zu einer modernen Verwaltung.
Ich denke zum Beispiel an die beiden Hochstift-Kommunen Nieheim und Marienmünster im Kreis Höxter. Mit 6.400 bzw. 5.200 Einwohnern gehören sie zu den zehn kleinsten Städten in Nordrhein-Westfalen. Bis 2030 wird dort ein Bevölkerungsrückgang um mehr als 20 % prognostiziert. Was liegt dann näher, als dass die Bürgermeister dort intensiv über eine Verwaltungsgemeinschaft nachdenken?
Wir alle im Hohen Hause können sicherlich ermessen, wie schwer ein solcher Schritt schon allein aus emotionalen Gründen fällt. Groteskerweise scheitert diese Verwaltungsgemeinschaft aber nicht primär an den politischen Mehrheiten, sondern an den gesetzlichen Rahmenbedingungen wie einer Umsatzsteuerpflicht. Diese betrifft aber viele Formen der Zusammenarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Liste ist lang. Sie reicht von A wie Architektenleistungen bis Z wie Zweckverband VHS. Die kommunalen Spitzenverbände sprechen von rund 160 betroffenen Tätigkeitsfeldern. Eine Umsatzsteuerpflicht führt in aller Regel zur Unwirtschaftlichkeit. Da heißt es dann: Steuermehraufwand frisst Synergieeffekte. Den zu erwartenden Steuermehraufwand schätzen die kommunalen Spitzenverbände auf mehr als 200 Millionen € jährlich, Tendenz: steigend. Hinzu kommt ein erhöhter Personalaufwand. Daher lautet mein Fazit: Eine Umsatzsteuerpflicht verhindert interkommunale Zusammenarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon vor einem Jahr haben wir hier in einer ähnlichen Debatte einen Konsens herausgearbeitet. Die Steuerfreiheit muss auch in Zukunft gewährt bleiben.
Nun frage ich mich: Was ist seither ganz konkret passiert? Was haben Sie, Herr Finanzminister, im vergangenen Jahr unternommen, um die grundsätzliche Steuerfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit im Umsatzsteuergesetz zu verankern?
(Zuruf von der CDU: Nichts!)
Warum haben Sie, Herr Minister, offensichtlich nichts getan? Ist das Thema, so frage ich mich, vielleicht nicht öffentlichkeitswirksam genug?
Sie und Ihre Ministerkolleginnen und -kollegen aus den anderen Bundesländern scheinen auf keinen grünen Zweig gekommen zu sein. Die Finanzministerkonferenz hat am 18. April 2013 den ursprünglich vorgesehenen Beschluss zur Veröffentlichung der Urteile vertagt. Die nächste Finanzministerkonferenz findet genau heute in neun Tagen statt, am 24. Mai.
Verehrter Herr Minister, die Chance sollten Sie nutzen; denn das Zeitfenster ist knapp. Allein unsere politischen Signale reichen sicherlich nicht aus. Damit wird nicht verhindert, dass die Urteile mit einer Übergangsfrist veröffentlicht werden. Es wäre verheerend, wenn die Finanzminister das Urteil veröffentlichten, ohne einen verlässlichen Fahrplan zur Lösung der Umsatzsteuerprobleme aufzuzeigen.
Noch immer ist nicht geklärt, wie mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs umzugehen ist. Noch immer hat die Finanzministerkonferenz nicht geklärt, welche konkreten Maßnahmen die zu erwartenden negativen Folgen der Rechtsprechung verhindern sollen.
Die notwendigen Schritte zeigt unser Antrag auf:
Erstens. Die Landesregierung ist gefordert, in der kommenden Finanzministerkonferenz auf die Verankerung der Steuerfreiheit im Umsatzsteuergesetz zu drängen.
Zweitens. In der Mehrwertsteuerdurchführungsverordnung muss klargestellt werden, dass die Nichtbesteuerung der Leistungen zwischen den Kommunen zu keinen nennenswerten Wettbewerbsverzerrungen führt.
Sie, Herr Minister, haben es in der Hand, sich auf einen inhaltlichen Lösungsweg zu verständigen, bevor eine Veröffentlichung der Urteile erfolgt. Auf Zeit zu spielen und einseitig einen Nichtanwendungserlass herauszugeben, ist hier sicherlich die schlechteste aller Möglichkeiten. Einen Konsens in der Sache haben wir bereits. Deshalb lassen Sie uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, tätig werden und dem vorliegenden Antrag daher zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Hübner.
Michael Hübner (SPD): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe CDU-Fraktion, herzlich willkommen in der kommunalen Wirklichkeit! Ich sage das deshalb, weil in der Tat der Hinweis des Kollegen Jung richtig war, dass wir uns hier vor einem Jahr sehr intensiv über das Thema der öffentlich-rechtlichen Umsatzsteuerrelevanz von Dienstleistungen auch bezüglich der interkommunalen Zusammenarbeit unterhalten haben, übrigens auf Antrag und SPD und Grünen. Ich habe mir noch einmal angeschaut, wie die Abstimmung zustande gekommen ist. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem Protokoll:
„Bei einigen Enthaltungen aus der Piratenfraktion und Gegenstimmen aus der CDU- und FDP-Fraktion ist der Antrag damit angenommen.“
Das heißt: Auch wenn ich mir den Beitrag des Kollegen Sieveke, der im letzten Jahr dazu geredet hatte, zu Gemüte führe und lese, was er dazu gesagt hat, heißt das, dass Sie immerhin von einem Jahr auf das andere Jahr einen beträchtlichen Erkenntnisfortschritt gemacht haben. Dazu gratuliere ich Ihnen als CDU- als auch der FDP-Fraktion ganz herzlich und finde das gut und richtig. Denn das, was wir im letzten Jahr geleistet haben – als eines der ersten Parlamente in der Bundesrepublik Deutschland –, ist nämlich, darauf aufmerksam zu machen, dass die interkommunale Leistungserbringung und die Umsatzsteuerrelevanz aufgrund der EU-Rechtsprechung dazu führen wird, dass wir uns über kommunalen Gemeinschaftsarbeit in keiner Art und Weise mehr unterhalten müssen, weil alle Kommunen diesen Nachteil von insgesamt 19 % in der Effizienz nicht aufholen können.
Wir haben auch damals deutlich gemacht, dass es viele Beispiele gibt, nicht nur bei Ihnen im Kreis Höxter – selbstverständlich gibt es die da auch – sondern auch – ich habe damals dieses Beispiel aus dem bergischen Städtedreieck gebracht – in Remscheid, wo es sehr viele Back-Office-Leistungen gibt, die zusammen erbracht werden und zu deutlichen Effizienzsteigerungen für die drei Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen führt.
Dort gab es eine Abfrage des Deutschen Städtetages, dass die Umsatzsteuerrelevanz zu einem Nachteil von 600.000 € führen würde. Das löst, meine ich, Effizienznachteile aus, die in keiner Art und Weise begründet sind.
Ich sage auch an dieser Stelle deutlich, dass wir Ihren Antrag ablehnen werden, nicht, weil wir es begrüßen, dass FDP und CDU auf dem richtigen Weg sind und wir uns sicherlich im Kommunalausschuss zu gegebener Zeit auch dem Thema wieder nähern werden – das will ich ausdrücklich anerkennen –, sondern weil Sie zu kurz springen. Die Landesregierung hat in der Finanzminister- und Innenministerkonferenz im letzten Jahr deutlich gemacht, dass wir einen Lösungsansatz brauchen. Mittlerweile liegt ein ordentlicher Lösungsansatz vor, der auch im entsprechenden Entschließungsantrag benannt ist, zu dem ich im Übrigen um Zustimmung werbe. Das ist das Gutachten von Prof. Englisch. Dazu hat es dieses Jahr in Münster eine Veranstaltung gegeben, in der er ganz deutlich gemacht hat, dass es jenseits der Fragen der EU-Rechtsprechung sehr wohl möglich ist, die interkommunale Zusammenarbeit als auch andere Formen der öffentlich-rechtlichen Leistungserbringung umsatzsteuerfrei zu betrachten.
Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung: Das Thema wird uns weiter beschäftigen. Wir hoffen, dass der Ansatz, den der Finanzminister sicherlich mit auf den Weg nimmt, auch in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe durchsetzbar ist. Wir hoffen aber auch, dass es nicht zu weiteren Absurditäten kommt, weil niemand von uns, wenn man sich Bundesfinanzhofurteile im Detail beispielsweise zu Kindertagesstätten als Betriebe gewerblicher Art anschaut, ein Interesse daran hat, dass, wenn dort das Körperschaftsteuerrecht Anwendung findet, auch noch die Umsatzsteuer zur Anwendung kommt, nämlich bezüglich der Kindertagesbeitragssatzung, was dazu führen würde, dass den Bürgern in Beitragsrechnungen der kommunalen Kindertagesstätten die Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird. Daran dürfen wir kein Interesse haben.
Dazu möchte ich kurz und knapp sagen: Wenn uns das als politisch Verantwortliche passiert, dann haben wir richtig etwas gekonnt. Das darf nicht passieren. Das betrifft die interkommunale Zusammenarbeit, aber auch andere Formen der öffentlich-rechtlichen Leistungserbringung. Von daher herzlichen Dank für Ihren Anstoß. Bitte stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Krüger.
Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Liebe Zuschauer! Ich war schon etwas verwundert, Herr Jung, als ich Ihre Ausführungen verfolgt habe. Sie haben gesagt, wir verfolgten doch alle das gleiche Ziel. Sie haben ausgeführt, wir hätten doch einen Konsens herausgearbeitet. Ich weiß nicht, woher Sie diese Einschätzung nehmen, insbesondere wenn Sie sich Ihre Haltung – damit meine ich die Haltung der CDU-Fraktion – vom letzten Jahr zu Gemüte führen. Herr Hübner hat schon darauf Bezug genommen.
Ich will gerne noch einmal darauf eingehen und aus dem damaligen Protokoll das eine oder andere, das ausgeführt worden ist, zitieren. Da hat Herr Sieveke für die CDU-Fraktion davon gesprochen, es gebe ein Schreiben vom 2. April 2012, in dem der Bundesfinanzminister erklärt habe, es sei bereits eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Bund und Ländern eingerichtet worden. Nach der Sommerpause 2012 solle es erste Arbeitsergebnisse geben.
Und die Ablehnung unseres damaligen Antrages ist seinerzeit von Ihnen, sprich von Herrn Sieveke, begründet worden mit dem Hinweis: Wir wollten auf einen fahrenden Zug aufspringen. – Nun werden wir nicht auf einen fahrenden Zug aufspringen, einfach deshalb, weil ich als regelmäßiger Nutzer des SPNV weiß, dass das nicht gut ist und man nur zwischen die Räder kommt.
Aber ich will auf das eingehen, was vonseiten der FDP-Fraktion damals vorgetragen worden ist. Herr Abruszat, Sie sind ja gleich nach mir dran. Sie haben damals ausgeführt, der Antrag, den wir damals eingebracht haben, sei überflüssig.
(Kai Abruszat [FDP]: Es war ein Showantrag!)
Sie haben gesagt: Keine Institution auffordern! Die Fragestellungen werden schon längst bearbeitet! Insofern ist es ein Showantrag. – Heute schließen Sie sich dem Antrag der CDU an und machen deutlich, dass es sehr wohl Handlungsbedarf gibt.
Wenn man sich die Ergebnisse der Finanzministerkonferenz ansieht – ich will etwas zum Thema „Finanzminister NRW“ sagen; die Federführung hat immer noch, soweit ich es weiß, das Bundesfinanzministerium und nicht der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen –, dann fällt auf, dass lediglich festgestellt worden ist, dass man jetzt die Notwendigkeit sieht, die Landesinnenminister bzw. die kommunalen Spitzenverbände einzubeziehen. Das ist das Ergebnis nach einem Jahr Arbeit.
Führen wir uns einmal vor Augen, über welche Thematik wir uns unterhalten. Ich möchte es nicht auf den Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit reduzieren. Es geht auch um andere Bereiche wie zum Beispiel den Bund und seine verselbstständigten Einrichtungen und Beteiligungen, beispielsweise die Personalgestellung durch die Bundesagentur für Arbeit oder die Beziehungen zwischen Bund und Ländern, beispielsweise mit Blick auf die Kostenerstattung im Rahmen der Straßenbauverwaltung der Länder für die Bundesautobahnen bzw. Bundesstraßen oder auch zwischen Bund und Kommunen.
Denken Sie nur an die kommunalen Verwaltungen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe gemäß SGB II oder an Verwaltungsabkommen, Staatsverträge zwischen den Ländern, die möglicherweise auch in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt der Umsatzsteuer gesehen werden müssen. Oder denken Sie an die Personal- und Sachkostenerstattung zwischen Ländern und Kommunen beispielsweise für die Bereiche der Umwelt- und der Versorgungsverwaltung. Viele Beziehungen sind in diesem Zusammenhang möglicherweise berührt.
Besonders problematisch – das klammern Sie in Ihrem Antrag völlig aus – sind die Beziehungen zwischen den Kommunen und den freien Trägern. Wenn Sie sich vor Augen führen, was wir beispielsweise im Bereich der Jugendhilfe, im Bereich der Sozialhilfe vorfinden – ich nenne nur einige Punkte, die in diesem Zusammenhang zu sehen sind –, die Drogenberatung, die oftmals von freien Trägern durchgeführt wird, die Obdachlosenhilfe, die beispielsweise von freien Trägern durchgeführt wird, wobei wir häufig in diesem Zusammenhang die Situation haben, dass das Thema „Umsatzsteuer“ nicht geregelt worden ist bzw. entsprechende Lasten auftreten, dann wird deutlich, dass wir gerade im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip, das wir sehr hochhalten, einen erheblichen Handlungsbedarf haben.
Insofern ist auch Ihre Herangehensweise völlig verkehrt, eine Veränderung in § 4 Umsatzsteuergesetz vorzunehmen. Wenn Sie sich das näher ansehen, werden Sie feststellen, dass § 4 grundsätzlich von einer Steuerpflicht ausgeht und dann Ausnahmen formuliert. Das heißt, interkommunale Zusammenarbeit wird gezielt der Umsatzsteuerpflicht unterworfen, um sie anschließend umständlich herauszunehmen, wenn man Ihrem Vorschlag folgt. Das wollen wir nicht.
Da hat Prof. Dr. Englisch einen guten Vorschlag gemacht, indem er sich des Themas § 2 Abs. 3 annimmt. Hier wird ausgeführt, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art keiner Wettbewerbssituation und damit auch keiner Umsatzbesteuerung unterliegen. Dazu brauchen wir Ergänzungen. Ein entsprechender Vorschlag liegt vor. Es wäre gut, wenn dieser Vorschlag alsbald aufgegriffen und das Thema endlich bereinigt wird.
Ich glaube nicht, dass das vor der Bundestagswahl bereinigt wird. Das wird weiterhin ausgesessen. Insofern gibt es zwar eine gemeinsame Problembeschreibung, aber keinen Konsens bezogen auf eine Problemlösung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die mitantragstellende FDP-Fraktion – Sie merken schon den Fehler –, spricht jetzt Kollege Abruszat. Es tut mir leid, wir hatten die falsche Reihenfolge. Sie hätten eigentlich selbstverständlich nach dem Kollegen Jung Ihre Rede halten sollen. – Sie haben jetzt das Wort, Herr Kollege.
Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Die Gegenrede macht das Ganze etwas spannender. Im Kern geht es um folgende Frage: Wie lassen sich die Folgen der aktuellen Rechtsprechung zu Beistandsleistungen in einem robusten Mehrwertsteuersystem lösen? Das ist die entscheidende Frage.
Da sollten wir nicht künstlich Gegensätze aufbauen. Aber wir sollten in den Blick nehmen, was wir beim Umsatzsteuerrecht heute haben – unabhängig von der kommunalen Familie. Wir haben ein Europa mit offenen Grenzen. Wir haben ein Europa mit offenen Märkten. Wir haben in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Nachweispflichten. Wir haben verschiedene Formen der Vorsteuererstattung. Wir haben unterschiedliche Registrierungsanforderungen. Wir haben insgesamt ein sehr intransparentes System bei der Handhabung der Mehrwertsteuer. Das führt zu erheblichem Bürokratieaufwand, gerade auch bei unseren deutschen Exporten in den europäischen Binnenmarkt.
In diesem Kontext muss man auch das Thema der kommunalen Beistandsleistungen einsortieren. Denn darunter darf am Ende die kommunale Familie in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen nicht leiden. In diesen Gesamtzusammenhang muss man das einbetten.
Für meine Fraktion ist das im Übrigen keine ordnungspolitische Streitfrage. Denn für kommunale Beistandsleistungen – es sind einige Beispiele genannt worden – existiert in der Regel kein realer Markt. Deswegen gibt es in der Regel auch keine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten Dritter.
Deswegen kommt der heutige Antrag, der Sie noch einmal zu einem Entschließungsantrag, Herr Kollege Hübner, Herr Kollege Krüger, motiviert hat, zu einem richtigen Zeitpunkt. Sie haben vor einem Jahr hier im Landtag beschlossen, die Landesregierung solle Lösungswege aufzeigen – Lösungswege, wie im Interesse der Allgemeinheit die Besteuerung solcher Beistandsleistungen vermieden werden kann.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Sie haben dagegen gestimmt!)
Nachdem ich ein gutes halbes Jahr lang relativ wenig bis nichts gehört habe, habe ich drei parlamentarische Initiativen für unsere Fraktion mittels der Anfragen an den Finanzminister gestellt, um den Sachstand zu erfahren. Ich gestehe Herrn Minister Walter-Borjans gerne zu: Die Problematik ist ein juristisch vermintes Gelände. Sie braucht Sorgfalt, sie braucht Zeit. Und unsere 400 Kommunen in Nordrhein-Westfalen brauchen Planungssicherheit. Deswegen ist es gut, dass wir das heute diskutieren.
Es ist mehrfach gesagt worden, wie wichtig es ist, die Umsatzsteuerpflicht in den Blick zu nehmen, weil es ansonsten zu einem Ende zahlreicher guter Initiativen bei der interkommunalen Zusammenarbeit kommen würde. Am Ende geht es natürlich ums Geld. Es geht um eine Menge Geld, welches der kommunalen Familie entzogen wird. Gute Beispiele interkommunaler Zusammenarbeit leisten bekanntlich wichtige Beiträge zur Kostensenkung und damit auch zur Konsolidierung.
Lieber Michael Hübner, ich will an dieser Stelle auch gerne noch einmal das Beispiel des Bergischen Städtedreiecks nennen. Dort findet eine Zusammenarbeit in Form kommunaler Beistandsleistungen statt. Wir haben zum Beispiel eine gemeinsame Feuerwehrleitstelle. Wir haben ein Bergisches Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt. Wenn das der Umsatzsteuerpflicht unterworfen wird, werden diese interkommunalen Kooperationen in der Tat unattraktiv.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Morgen werden wir ja noch über das Thema „Stärkungspakt“ sprechen. Sämtliche der gerade angesprochenen Kommunen sind auch dieser Regelung unterworfen. Es wäre also ein Treppenwitz, wenn es uns nicht gelänge, beim Thema „Umsatzsteuer“ weiterzukommen.
(Beifall von Karlheinz Busen [FDP])
Meine Damen und Herren, wir brauchen neben der Königslösung aber auch einen Plan B. Wir müssen uns darüber unterhalten, wo unsere Rückfalllinie ist, und ein Kompensationsmodell diskutieren. Ob das von Ihnen eben vorgeschlagene Modell am Ende der Königsweg ist und auch in den Gremien mehrheitsfähig ist, muss man dann sehen. Fakt ist, dass wir einen Weg finden müssen, bei dem am Ende sichergestellt ist, dass es eine kommunalscharfe Neutralisierung der umsatzsteuerlichen Wirkung gibt. Das ist wohl völlig unstreitig. Natürlich kann das dadurch erfolgen, dass man einen Ausgleichsanspruch gewährleistet. Gegebenenfalls kann es auch durch eine Verlagerung der Steuerschuld oder Ähnliches mehr erfolgen.
Lieber Michael Hübner, lieber Kollege Krüger, deswegen war mir das ein bisschen zu kleines Karo; denn unser Antrag hat zum Ziel, dieses Thema im Landtag weiter zu in der Diskussion zu halten. Im Übrigen kann das Signal aus dem Landtag, dass wir das Thema der Umsatzsteuerpflicht auf der Agenda haben, doch auch eine Bestärkung für die Landesregierung sein, mit Unterstützung des Landtags nicht nur eine gute Verhandlungsposition zu erarbeiten, sondern das Ganze auch umzusetzen. Deshalb sollte man Anträgen nicht immer nur deshalb widersprechen, weil sie von anderen Fraktionen stammen. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat von Herrn EU-Kommissar Oettinger beginnen: „We are all sitting in one boat.“ Genau das ist der Punkt.
Alle, die wir hier im Hohen Hause versammelt sind, haben selbstverständlich auch das Wohl der Kommunen im Sinn. Um die Kommunen geht es letztendlich. Es geht um Kommunen, die in einem hohen Maße belastet würden. Das wurde schon ausgeführt. Herr Kollege Abruszat hat gesagt, dass eine Menge Geld entzogen würde. In der Tat würde denjenigen Kommunen, die auch im Stärkungspakt sind, denjenigen Kommunen, denen das Wasser ohnehin schon bis zum Hals steht, eine Menge Geld entzogen.
Das Bestreben und Bemühen aller hier im Hause versammelten Parteien geht in die Richtung, zu fordern: Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 2011 sollte nach Möglichkeit dazu führen, dass umsatzsteuerrechtliche Änderungen auf Bundesebene in der Weise eingeführt werden, dass eine Belastung der Kommunen am Ende bestmöglich vermieden wird. Mit anderen Worten: Wir sitzen hier nicht zuletzt deshalb zusammen, um deutlich zu machen, dass wir das, was der Bundesfinanzhof, das höchste Gericht in Fiskalfragen, gesagt hat, für falsch bzw. nicht für zielführend halten.
Wir könnten natürlich – das war auch in der Debatte im Juli vergangenen Jahres Gegenstand der Erörterung – darauf warten, dass eventuell bezüglich einzelner Geschäfte irgendwann der Europäische Gerichtshof in Bezug auf Wettbewerbsfragen entscheidet; denn ursprünglich ging es um die Frage, ob jedenfalls dann, wenn Kommunen gegenüber privatrechtlich agierenden Unternehmen in Wettbewerb treten, eine Umsatzbesteuerung notwendig und richtig ist. Teilweise ist das sogar schon der Fall. Teilweise hat der Bundesfinanzhof entsprechend entschieden. Teilweise haben auch schon die Untergerichte so entschieden. Genau darum geht es auch.
Über die Forderung im Antrag der CDU und der FDP, die Kommunen grundsätzlich von der Umsatzsteuerpflicht auszunehmen, sind sich alle einig. Letztendlich geht es natürlich noch um den Weg dorthin. Es geht auch um die Systematik, wie man gegebenenfalls auf der Bundesebene die Angelegenheiten des Umsatzsteuerrechts angeht.
Wir von der Piratenfraktion können uns eher der Überlegung anschließen, dass wir vom Grundsatz her tatsächlich die Ausnahmen – auch das war Gegenstand der Debatte im vergangenen Jahr – evaluieren müssen. Das heißt, dass wir auch im Interesse des Mittelstands und der Unternehmerschaft in einzelnen Gemeinden und auch gemeindeübergreifend feststellen müssen, wo Wettbewerb stattfindet. Dazu waren wir letztes Jahr alle bereit. In der Zwischenzeit hat das trotz der gutachtlichen Ausführung von Prof. Englisch nicht stattgefunden – jedenfalls nicht in dem Maße, dass wir heute sagen könnten, welche Tatbestände interkommunalen Handelns und Wirkens umsatzsteuerbelastet sein müssten, wenn denn eine Gemeinde oder mehrere Gemeinden zu örtlichen Unternehmen in Wettbewerb treten. Das sollten wir doch tatsächlich tun.
Wenn wir allerdings von der Systematik her den § 2 des Umsatzsteuergesetzes nehmen, der im Wesentlichen Unternehmen und Unternehmer betrifft, und dann öffentlich-rechtliche Körperschaften in Abs. 3 betrachten, müssten wir die Kommunen mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften oder öffentlich-rechtlich agierenden Unternehmen gleichsetzen.
Ich halte das für systematisch falsch und bin dementsprechend auch nicht dafür, die Landesregierung, wie es im Entschließungsantrag von SPD und Grünen heißt, aufzufordern, auf eine Änderung von § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes hinzuwirken.
Vielmehr halte ich es für wichtig und richtig, im Interesse der Gesamtgesellschaft festzustellen, zu welchen am Markt und in der Wirtschaft tätigen privaten Unternehmen Kommunen in Wettbewerb treten, um dann sagen zu können, welche Geschäfte von der Umsatzbesteuerung ausgenommen sind und welche nicht. Es gibt sicherlich Geschäfte, bei denen Gemeinden oder einzelne Kommunen nicht den Vorteil haben dürfen, in Wettbewerb treten zu können, ohne die Last der Umsatzsteuer tragen zu müssen.
Daher bedeutet die im Antrag von CDU und FDP formulierte Forderung, dass vom Grundsatz her die Kommunen auszunehmen sind, nichts anderes, als dass man dann diese Ausnahmen regelt, die es tatsächlich gibt. Wenn es nicht so viele sind, können wir sie in § 4 des Umsatzsteuergesetzes einfügen. Diesen Weg sollten wir in der Tat gehen. Dementsprechend sind wir der Auffassung, dass wir dem Antrag von CDU und FDP zustimmen können.
Vor dem Hintergrund der Ziffer 2 des Entschließungsantrags von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, der im Übrigen im letzten Jahr in Form des Antrags der Fraktionen von SPD und Grünen in Drucksache 16/122 ganz anders aussah …
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Dietmar Schulz (PIRATEN): … können wir uns an dieser Stelle nicht enthalten, sondern müssen die Zustimmung verweigern.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!
Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich komme zum Abschluss, Frau Präsidentin.
Leider ist es so, dass wir aufgrund der Finanzministerkonferenz am 24. Mai heute eine direkte Entscheidung brauchen. Ich hätte die Sache gerne im Haushalts- und Finanzausschuss und/oder auch im Kommunalausschuss wie auch – Achtung, Herr Minister Jäger – im Innenausschuss gesehen. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Bevor ich für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort erteile, möchte ich gerne die Vertreterinnen und Vertreter der Landesministerien darauf aufmerksam machen, dass Handys eine Stummschaltfunktion haben. Ich bitte Sie ganz herzlich, diese auch zu nutzen. – Herr Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist gar nicht mehr notwendig, deutlich zu machen, dass wir hier alle einem Missverständnis nicht unterliegen sollten, nämlich dass hier irgendjemand – jedenfalls nach all den Beiträgen, die ich gehört habe – der Meinung wäre, wir wollten interkommunale Zusammenarbeit erschweren.
Es ist die Absicht aller, die hier gesprochen haben, und es ist die Absicht der Landesregierung, dass wir es, wenn die Kommunen die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich besser zu organisieren, sich kostengünstiger zu organisieren, indem sie Aufgaben gemeinsam wahrnehmen, nutzen, nicht am Ende bestrafen dürfen, indem die Einzelarbeit von der Umsatzsteuer befreit ist, aber die Zusammenarbeit der Umsatzsteuer unterliegt.
Darüber haben wir diskutiert. Darüber ist auch nicht nur hier im Landtag diskutiert worden, sondern es gibt eine Arbeitsgruppe, die die Finanzminister der Länder insgesamt eingesetzt haben. Das ist ja auch immer noch einmal wichtig, sich das hier vor Augen zu führen.
Wir reden hier nämlich nicht über ein nordrhein-westfälisches Problem. Wir reden über ein Problem, das uns der Bundesfinanzhof sozusagen in Auslegung einer europäischen Regelung beschert hat, die für die gesamte Bundesrepublik gilt und die sich vor allen Dingen in der Bundesrepublik einfach auch anders darstellt als anderswo, weil bei uns eben nicht die Umsatzsteuer vom Staat eingenommen und im Zweifel dann auch wieder vom Staat bezahlt wird, sondern wir haben im Föderalismus unterschiedliche Töpfe.
Das ist in Europa offenbar schwer zu vermitteln. Deswegen ist es auch nicht einfach, die Umsatzsteuersystemrichtlinie der Europäischen Union so zu ändern, dass diese interkommunale Zusammenarbeit nicht behindert und vor allen Dingen auch nicht gefährdet wird.
Wir haben nicht nur in dieser von der Finanzministerkonferenz eingesetzten Arbeitsgruppe der Finanzstaatssekretäre mitgearbeitet, sondern Nordrhein-Westfalen hat auch aktiv Ideen eingebracht. Das ist hier mehrfach angesprochen worden, dass wir den Ansatz von Prof. Englisch auch in die Diskussion eingebracht haben. Erst dadurch hat sich ja auch auf der Bundesebene etwas geändert. Die Bundesregierung hat inzwischen zugesagt, die Thematik in Brüssel zu verdeutlichen und auf die besondere Bedeutung der Kommunen in Deutschland hinzuweisen.
Aber – daran führt kein Weg vorbei und das können wir auch nicht mit Anträgen aus der Welt schaffen – alle Maßnahmen müssen sich an den Vorgaben des EU-Rechts, also der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, ausrichten. Danach müssen entgeltliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand, auch wenn sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgen, der Umsatzsteuer unterworfen werden, wenn ansonsten Wettbewerbsverzerrungen zu gewerblichen Unternehmen entstehen.
Nun haben wir gerade aus den Ausführungen auch von Prof. Englisch gelernt, dass es machbar ist, die Definition so zu fassen, dass wir Möglichkeiten sehen, am Ende auch mit dieser Umsatzsteuersystemrichtlinie zu leben und gleichzeitig unsere Kommunen nicht zu belasten.
Nur wenn ich dann in einem Antrag der CDU und der FDP lese, dass die Landesregierung aufgefordert wird, statt eines Nichtanwendungserlasses die grundsätzliche Steuerfreiheit im Umsatzsteuergesetz zu verankern, sage ich: Das ist ein Bundesgesetz. Dann frage ich mich, wieso eigentlich nicht auf der Bundestagsebene die Regierungsfraktionen dieses Gesetz ändern, wenn das so einfach ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Warum richten Sie sich an den nordrhein-westfälischen Finanzminister, um sich zu beklagen, dass Ihre eigene Mehrheit im Bundestag bisher diesen Wünschen nicht nachgekommen ist?
Das gilt für den zweiten Punkt ganz genauso. Da muss ich einmal Ihre eigene Bundestagsmehrheit vor Ihnen in Schutz nehmen, indem ich sage: Das hat damit zu tun, dass die auch nicht einfach gesetzeswidrig etwas machen können, was am Ende der rechtlichen Beurteilung nicht standhält.
Das ist der Grund, warum es Zeit in Anspruch genommen hat und noch in Anspruch nimmt. Ich wiederhole es: Das liegt alles andere als an einer Behinderung durch Nordrhein-Westfalen oder Untätigkeit von Nordrhein-Westfalen. Wir haben uns eingebracht. Das tun wir weiterhin und hoffen, dass man diese Eckpunkte, die notwendig sind, bevor man zu einer Veröffentlichung der BFH-Urteile kommt, jetzt auch verankert. Das muss auch auf der Bundesebene geschehen.
Dann bin ich wieder einmal sehr gespannt, wie sich die FDP zu diesen Punkten auf der Bundesebene verhalten wird. Bislang klingt es so, als wäre das alles unstreitig, dass wir das gemeinsam zugunsten einer kommunalen Betätigung umsetzen wollen.
Ich kann nur sagen: Wir sind an dieser Sache dran. An Nordrhein-Westfalen scheitert an dieser Stelle gar nichts. Im Gegenteil: Wir haben das Ganze ein ganzes Stück befördert. Ich glaube, dass wir das zusammen mit den anderen Finanzministern und dem Bund auch hinkriegen können. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor, sodass ich die Beratung schließen kann.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/2900 – Neudruck – beantragt. Die führen wir jetzt durch.
(Unruhe)
– Ist etwas verkehrt? – Ich habe mich nur vergewissert, dass ich nicht irgendetwas Falsches gesagt habe. Deshalb habe ich gestockt. Aber ich habe jetzt verstanden, worüber die Unruhe entstanden ist. Nichtsdestotrotz würde ich jetzt gern die Abstimmung durchführen, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/2900 in der Fassung des Neudrucks. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der FDP und die anwesenden Mitglieder der CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Stimmenthaltungen?
(Jochen Ott [SPD]: Knappe Entscheidung! – Weitere Zurufe)
Entschuldigung, ich habe in der Tat nicht richtig geguckt. Sie haben zugestimmt. Wir korrigieren das im Protokoll. Zugestimmt hatte auch die Piratenfraktion. Enthaltungen gab es keine. Der Antrag ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis somit abgelehnt.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2959. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Wer stimmt dagegen? – FDP, CDU und Piraten. – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Entschließungsantrag mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.
Wir sind am Ende des Tagesordnungspunktes 5.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2883
Ich eröffne die Beratung. – Herr Kollege Abruszat ist für die antragstellende Fraktion bereits hier. Sie haben damit dann auch sofort das Wort.
Kai Abruszat (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie, verehrter Herr Minister Jäger, benutzen bei der Beschreibung der Finanzlage der Kommunen in Nordrhein-Westfalen immer gerne den Vergleich mit der Decke. Sie sagen häufig: „Die Decke ist zu kurz“. Sehr nett ist auch Ihr Zitat aus den „Westfälischen Nachrichten“ – das ist schon über zwei Jahre alt – vom 25. Januar 2011: „Die Decke ist zu kurz. Sie wird ständig hin- und hergezogen, und irgendeiner hat immer kalte Füße.“
Mal ist es der ländliche Raum, der sich benachteiligt fühlt, mal sind es die großen kreisfreien Städte. Wie groß aber muss denn, um Ihr Zitat aufzugreifen, die Decke eigentlich sein, damit niemand friert? Die Frage ist bisher unbeantwortet geblieben. Deswegen ist die Stoßrichtung unseres Antrags zu den Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen neu.
Bevor wir darüber reden, wie wir den zu kleinen Kuchen durch das Drehen an der einen oder anderen Stellschraube anders verteilen, müssen wir, finde ich, vielmehr die Größe des Kuchens zu der tatsächlichen kommunalen Bedarfssituation in Relation setzen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wir wollen das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ohne Denkverbote und Vorfestlegungen tun. Es ergibt sich aus der Logik, dass wir über Verteilungsfragen erst dann sprechen können, wenn wir eine schonungslose Bedarfsfeststellung vorgenommen haben.
Die Gelegenheit dazu ist günstig. Sie ist nicht nur günstig, sondern sie wahrzunehmen ist auch notwendig. Günstig ist sie deshalb, weil das aktuelle FiFo-Gutachten zum kommunalen Finanzausgleich – mit erheblichen Veränderungen im Bereich des kommunalen Finanzausgleichs – jetzt vorliegt. Notwendig ist es, die Gelegenheit wahrzunehmen, weil sich die kommunalen Rahmenbedingungen in den letzten Monaten und Jahren erheblich verändert haben.
Ich nenne gerne einige Beispiele: Der Bund übernimmt nunmehr die Grundsicherung im Alter komplett. Er will sich auch, was wir alle hoffen, verstärkt an der Eingliederungshilfe beteiligen, die immer weiter ansteigt.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen hohen Kommunalisierungsgrad, höher als in anderen Ländern. Die Frage, ob der finanzielle Ausgleich für solche kommunalen Dienstleistungen angemessen ist, führt nicht selten zu Streit – bis hin zu Verfahren in Münster. Die Regelungen über die Konnexität greifen nur bei zukünftigen Übertragungen von Aufgaben. Auch hier gibt es immer wieder Diskussionen. Ich denke dabei an die Debatte um die Inklusion, meine Damen und Herren.
Schließlich ist auch die Gerichtsbarkeit derzeit mit der Frage befasst gewesen: Was für eine Mindestausstattung muss eigentlich eine Kommune haben, um die kommunale Selbstverwaltung, die ihr kommunalverfassungsrechtlich garantiert ist, erfüllen zu können?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb ist unser Antrag als eine Einladung zu verstehen, grundsätzlich auch über die Auskömmlichkeit der kommunalen Finanzen zu diskutieren. Wir wollen jetzt in die Debatte einsteigen und die Diskussion breit anlegen. Es ist meine feste Überzeugung: Nur dann, wenn die kommunale Finanzmasse am Ende auskömmlich ist, kann es uns gelingen, das Klein-Klein zu überwinden, was wir hier im Landtag auch oft pflegen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wir brauchen daher ein Modell mit dauerhaft befreiender und befriedender Wirkung, das Planungssicherheit bietet und nicht ständig geändert werden muss. Das ist ein hehres Ziel. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, bleibt der Bund auch weiter in der Pflicht, sich kommunalfinanziell zu engagieren.
Wir als Land Nordrhein-Westfalen müssen uns aber fragen, ob wir nicht noch mehr tun können und müssen.
Sicherlich haben auch wir die Schuldenbremse vor Augen. Richtig ist auch, dass wir mit dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ – damals mit SPD, FDP und Grünen – ebenfalls einen wesentlichen Schwerpunkt bei den kommunalen Finanzen gesetzt haben.
Wenn man aber beispielsweise an die Eingliederungshilfe für Behinderte denkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann man schon zweifeln, ob auch wir als Land genug tun. Ich will da zwei Zahlen gegenüberstellen: Wir als Land Nordrhein-Westfalen leisten maximal 10 %, während der Rest der Kosten kommunal getragen wird. Im Land Niedersachsen leisten die Kollegen landesseitig 80 %. Ich glaube also, meine Damen und Herren, dass wir durchaus Anlass und Bedarf haben, eine grundlegende Debatte zu führen.
(Beifall von der FDP)
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir sollten daher nicht nur den horizontalen Finanzausgleich in den Blick nehmen, sondern eben auch den vertikalen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Abruszat.
Kai Abruszat (FDP): Reine Umverteilungsmaßnahmen innerhalb des bestehenden Systems sind aus unserer Sicht unzureichend. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie unseren Antrag, unsere Einladung zum Dialog, annehmen. Ganz herzlichen Dank.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Abruszat, ich konnte Sie eben nicht mehr richtig unterbrechen und fragen, ob Sie eine Zwischenfrage, und zwar vom Kollegen Mostofizadeh, zulassen wollen. Möchten Sie die jetzt noch zulassen?
Kai Abruszat (FDP): Wunderbar, gerne! Ich freue mich sehr. Es sind immer sehr schöne Fragen.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege, vielen Dank. – Sie haben das, was ich mit „Mehrausgaben“ – denn um nichts anderes geht es, wenn das Land den Kommunen mehr geben wird – bezeichnen würde, etwas verquast dargestellt. Mich würde interessieren, ob Sie bereit sind, die Größenordnung anzugeben und uns einen möglichen Gegenfinanzierungsvorschlag dazu zu benennen.
Kai Abruszat (FDP): Sehen Sie, das ist genau der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie wollen Denkverbote erteilen, bevor wir überhaupt über diese Dinge geredet haben.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das ist der Unterschied, Herr Kollege Mostofizadeh. Ich bin da ganz bei unserem und Ihrem Innenminister, Herr Mostofizadeh, und nehme das Bild von der Decke, das ich eingangs erwähnt habe, noch einmal auf:
Wir müssen in der Tat darüber sprechen, welche Finanzverantwortung das Land Nordrhein-Westfalen hat. Das ist am Ende, Herr Kollege Mostofizadeh, natürlich eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Dass Sie natürlich lieber Planstellen bei der Umweltverwaltung haben wollen, ist klar. Wir wollen lieber mehr Geld bei den kommunalen Finanzen sehen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Fraktion der SPD spricht Herr Kollege Kämmerling.
Stefan Kämmerling (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den kalten Füßen ist das so eine Sache; die kann man auch bekommen, wenn man hier den einen oder anderen Antrag liest oder vorgestellt bekommt.
(Beifall von der SPD)
Die finanzielle Situation vieler Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist nach wie vor schwierig; diese Tatsache ist unbestritten. Da sind wir uns einig, Herr Abruszat. Lassen Sie mich, bevor ich zu dem vorliegenden Antrag Stellung nehme, kurz einen Blick zurückwerfen; das kann und will ich Ihnen nicht ersparen.
Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hat einen beispiellosen kommunalen Raubzug in der Größenordnung von 3 Milliarden € vollzogen.
(Zuruf von der CDU: Und Sie haben das verursacht!)
Sie hat über das Gemeindefinanzierungsgesetz dafür gesorgt, dass die Kommunen – deren Finanzsituation Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, wesentlich zu verantworten haben – auch noch eine Hilfe zur Konsolidierung des Landeshaushaltes leisten mussten.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kämmerling, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Abruszat würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
Stefan Kämmerling (SPD): Bitte.
Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Wenn Sie schon Vergangenheitsbewältigung betreiben, dann sollten Sie das auch korrekt machen. Sind Sie darüber informiert, dass es die sozialdemokratischen Regierungen waren, die den Verbundsatz von 28 % auf 23 % abgesenkt haben?
(Zuruf von der SPD: Oje, oje!)
Hören Sie doch bitte endlich auf mit diesen Vergangenheitsbetrachtungen!
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Und wer hat es verursacht?)
Wir haben Sie eingeladen zu einem Dialog. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir einen Dialog wollen und keine Vergangenheitsbetrachtung?
(Beifall von der FDP)
Meine Güte!
Stefan Kämmerling (SPD): Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen – Herr Abruszat, das ist Ihre Frage gewesen –, dass Sie einen Dialog wollen. Das ist für Sie etwas Neues hier in diesem Hause, und deswegen begrüßen wir das natürlich ausdrücklich.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Zur Befrachtung. Eben die Befrachtung haben wir zurückgenommen, indem wir das Gemeindefinanzierungsgesetz im Jahr 2010 um 299 Millionen € aufgestockt haben. Allein die Hälfte davon galt der Abschaffung der schwarz-gelben Befrachtung unserer Städte und Gemeinden zur Konsolidierung des Landeshaushaltes.
Das ist ehrliche Politik auf der Grundlage eines Gesamtkonzepts, das die FDP-Fraktion mit dem vorliegenden Antrag wiederum zu hinterfragen versucht.
Wir haben in den vergangenen Debatten zu den Gemeindefinanzierungsgesetzen der Jahre 2012 und 2013 immer wieder betont, dass das GFG nicht in Stein gemeißelt ist und veränderte Realitäten in unseren Städten und Gemeinden Anpassungen im Gesetz erfordern. Mit dem FiFo-Gutachten haben wir jetzt neue Erkenntnisse, die wir sorgsam auf ihre Anwendbarkeit im kommunalen Finanzausgleich hin überprüfen müssen.
Ihre Schlussfolgerungen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, dass sich die Regressionsanalyse für die Bedarfsermittlung im kommunalen Finanzausgleich nicht eignet, widerspricht dem Fazit des Gutachtens, das auf Seite 51 zu dem Schluss kommt – ich zitiere –:
„… dass die Regression grundsätzlich ein geeignetes Werkzeug zur Ermittlung des fiktiven Finanzbedarfs der Gemeinden darstellt. … Denn die Nachteile konnten weitgehend entkräftet werden, wohingegen die Vorteile für sich sprechen.“
Darüber hinaus kommt das Gutachten – und Sie alle werden es mit Sicherheit ebenfalls gelesen haben – zu dem Schluss, dass neben dieser Art der Berechnung noch keine sinnvolle Möglichkeit zur alternativen Ermittlung des Finanzbedarfs in unseren Städten und Gemeinden besteht.
Zur Aufstellung von Zuweisungen. Die unter Ziffer 3 Ihres Antrags vorgeschlagene Beschlussfassung – Aufstellung von Zuweisungen des Landes an die Kommunen – existiert bereits, und zwar mit dem GFG. Alle außerhalb des GFG nach Maßgabe des Landeshaushaltes gewährten Zuweisungen werden alljährlich im Ministerialblatt des Landes durch das Ministerium für Inneres und Kommunales sowie durch das Finanzministerium veröffentlicht.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass es sich bei diesem Antrag – Herr Abruszat, Sie haben eben von kleinem Karo gesprochen; so weit möchte ich nicht gehen – um Stückwerk handelt, dem es an Substanz fehlt und das kein schlüssiges Gesamtkonzept erkennen lässt.
Ich freue mich dennoch auf die kollegiale Auseinandersetzung demnächst im Ausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Kuper das Wort.
André Kuper (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr sind die Kassenkredite – oder Überziehungskredite, wie man im Privaten sagen würde – wieder um 7 % – oder gut 1,6 Milliarden € – angestiegen, also eine gigantische Summe. Darüber hinaus hat es eine Bilanzkosmetik gegeben mit dem § 76 zur Neudefinition des Begriffs „Nothaushaltskommune“. In Anbetracht dessen ist die Finanzsituation unserer Städte und Gemeinden im Ergebnis desolat.
„Was sagen unsere Stadtratsmitglieder in Nordrhein-Westfalen dazu?“ mögen Sie vielleicht fragen. Sie sagen es sehr deutlich: Die in der Verfassung verankerte kommunale Selbstverwaltung existiert für sie nur noch auf dem Papier. Ja, das stimmt; die Stadträte haben nämlich angesichts der fehlenden Haushaltsmittel nichts mehr zu entscheiden.
Auch unsere Bürgerinnen und Bürger sind frustriert, wenn die Ratsmitglieder in ihren Städten nichts mehr bewegen können. Wenn es keinerlei Entscheidungsspielräume mehr für unsere Räte gibt, dann ist die kommunale Selbstverwaltung am Ende – und das in Ihrer rot-grünen Regierungszeit und unter Ihrer Verantwortung.
Deshalb ist es wichtig – das wurde bereits mehrfach an dieser Stelle betont, und ich möchte ich es ebenfalls sagen –: Es bedarf dringend eines neuen, eines transparenteren und gerechteren Systems einer Gemeindefinanzierung. Von Ihnen, meine Damen und Herren der Regierung und Regierungsfraktionen, haben wir als CDU-Opposition bereits mehrfach Ideen und Konzepte eingefordert. Bislang Fehlanzeige!
Wer die Medienberichte von SPD und teilweise von Bündnis 90/Die Grünen zum FiFo-Entwurf mitverfolgt, kann feststellen: Sie wollen gar kein transparentes und gerechtes Gemeindefinanzierungssystem, wenn dies nicht mit dem politisch Gewollten vereinbar ist.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Das zeigt sich auch an dem Umgang mit den Teilergebnissen von FiFo, wenn zum Beispiel Sie von der SPD per Vorfestlegung erklären, dass es keine Umsetzung bei fiktiven Hebesätzen und Soziallastenansatz geben soll. Sie wursteln sich allein mit dem Ziel der Bedienung ihrer Klientel durch. Von daher wundert es nicht, dass der erste Schritt in die richtige Richtung heute von den Kollegen der FDP kommt.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])
Inhaltlich finden sich in diesem Antrag viele unserer eigenen Standpunkte aus den letzten Sitzungen und aus eingereichten Kleinen Anfragen wieder. Von daher sympathisieren wir mit dem Antrag und freuen uns auf die bevorstehende Diskussion im Ausschuss für Kommunalpolitik.
Ich möchte noch auf ein paar Aspekte eingehen. Ihr Antrag benennt aus unserer Sicht korrekt die Probleme. Bislang wird mit rein fiktiven Zahlen gerechnet, sodass es nicht wirklich überraschend ist, wenn es keine Übereinstimmung mit den tatsächlichen Zahlen gibt. Von daher ist die Forderung nach wissenschaftlichen Methoden auf einer Basis tatsächlicher Zahlen grundsätzlich richtig.
Wie es gehen könnte, macht das Beispiel Thüringen deutlich, das einen gangbaren und diskussionswürdigen Weg aufzeigt, mit realen Bedarfen umzugehen. Der Gesetzgeber ist einer entsprechenden Vorgabe des dortigen Verfassungsgerichtshofes gefolgt und ist gehalten, im Rahmen eines Modells für eine Bedarfsermittlung auf der Grundlage der gegebenen und zu erzielenden Einnahmen sowie der tatsächlichen bzw. erwarteten Kostenlasten der Kommunen vorzugehen. Im Ergebnis wurde die Kostenbelastung bestimmt und hieraus eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen auf den Weg gebracht.
Im Ergebnis gibt es von unserer Seite also Sympathien für den heute vorgelegten Antrag, um mittelfristig eine für alle Kommunen befriedigende Lösung zu schaffen. Thüringen macht es vor. Wir mögen folgen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Herrn Kollegen Krüger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erteile, möchte ich die Debatte kurz unterbrechen, wenn Sie erlauben, weil wir auf der Zuschauertribüne einen Ehrengast begrüßen dürfen: den Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen. Herzlich willkommen im Namen des Hohen Hauses! Herr Brigadegeneral Peter Gorgels, seien Sie uns willkommen.
(Allgemeiner Beifall)
Wir freuen uns sehr, dass Sie heute als neuer Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen Ihren Antrittsbesuch bei uns im Landtag Nordrhein-Westfalen durchführen. Ihr Besuch ist Ausdruck der guten Beziehungen und der Verbundenheit zwischen Landesparlament und Bundeswehr. Wir wünschen Ihnen im Amt des Kommandeurs des Landeskommandos, das das zentrale Verbindungsorgan der Bundeswehr zur zivilen Verwaltung in Nordrhein-Westfalen darstellt, Erfolg und eine glückliche Hand. Wir haben später Gelegenheit, das Gespräch fortzusetzen; ich freue mich darauf. Herzlich willkommen!
Herr Kollege Krüger hat jetzt das Wort.
Mario Krüger (GRÜNE): Vielen Dank. – Meine Damen und Herren! Es gibt Anträge, bei denen es Sinn macht, sich etwas länger mit ihnen zu beschäftigen. Und es gibt Anträge, Herr Abruszat, die man ganz schnell zu den Akten legen sollte. Angesichts der langen Tagesordnung, die wir noch vor uns haben, macht es Sinn, diesen Antrag in Kategorie 2 einzuordnen. Das können Sie auch daran erkennen, dass meine Stichwörter relativ dürftig sind. Denn zu diesem Antrag ist nicht viel zu sagen.
Sie wollen einen größeren Finanzkuchen haben und hinterfragen, inwieweit der Finanzbedarf der kommunalen Familie über die Regressionsanalyse ausreichend ermittelt worden ist. Sie regen an, ein umfangreiches Forschungsvorhaben – so will ich es mal benennen – anzustoßen. Das können wir gerne machen.
Aber interessant finde ich Ihre Aussage, Herr Abruszat: Wenn wir dann geklärt haben, wie der horizontale Finanzausgleich aussieht, wollen wir uns mit der Verteilung zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften beschäftigen. Das heißt doch, Herr Abruszat, nichts anderes als Folgendes: Sie wollen FiFo zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht umsetzen, sondern wollen erst mal geklärt haben, was überhaupt an Finanzmitteln eingestellt werden muss. Das ist doch die Konsequenz, die wir zu ziehen haben. Das verwundert mich schon. Wenn ich mir vor Augen führe, mit welcher Inbrunst Sie zum Beispiel in Ostwestfalen auftreten und sagen: Rot-Grün ist nicht bereit, die Erkenntnisse aus FiFo umzusetzen. – Wie gesagt, es gibt Anträge, die man schnell zu den Akten legen sollte. Das ist einer von ihnen.
Wenn wir uns unterhalten, was wir in den kommunalen Finanzausgleich eingestellt haben – mein Vorredner hat dazu schon einiges ausgeführt –, werden Sie feststellen, dass diese Landesregierung und die sie tragenden Landtagsfraktionen all das getan haben, was möglich war, um der Finanzsituation der Kommunen Rechnung zu tragen. Wir haben die Befrachtung herausgenommen. Wir haben die Grunderwerbsteuer wieder einbezogen. Wir haben einen zusätzlichen Stärkungspakt aufgelegt. Wenn wir uns dann beispielsweise fragen,
(Zuruf von Kai Abruszat [FDP])
– Sie auch –, wie denn im Rahmen der Haushaltsberatung 2013 … Ich würde als Sprecher der kommunalpolitischen Familie in diesem Hause gerne sagen: Wir können mehr Geld verteilen. – Dazu, wie das gegenfinanziert werden soll, gibt es keine Vorschläge aus Ihren Reihen. Ganz im Gegenteil, es gibt Aussagen von Herrn Laumann, vorgetragen anlässlich der Debatte zum Haushaltsantrag 2013 der CDU: Der Stärkungspakt ist nicht finanzierbar, und wir würden ihn sofort einkassieren.
(Kai Abruszat [FDP]: Nicht von uns!)
– Das war Herr Laumann, CDU. Ich sehe Sie durchaus mit ihm in einem Boot.
Wir können das Angebot eines Dialogs gerne aufgreifen. Wir werden eine entsprechende Anhörung durchführen. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, wie die Aussagen des Gutachters FiFo lauten. Ich bitte Sie auch die Aussagen des seinerzeit beauftragten Ifo-Instituts zur Kenntnis zu nehmen. Die Regressionsanalyse, die zur Ermittlung der Finanzsituation der Kommunen herangezogen wird, ist bestätigt worden. Es ist ausdrücklich die Beibehaltung des Soziallastenansatzes angeregt worden. Insofern sehen wir da keinen Handlungsbedarf. Aber gut, wenn Sie das einfordern, werden wir die entsprechenden Gespräche miteinander führen. Das Ergebnis ist vorauszusehen. Insofern entspricht der Antrag der Kategorie 2: schnell zu den Akten legen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Stein.
Robert Stein (PIRATEN): Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Herr Krüger, ich möchte Ihnen widersprechen. Ich finde diesen Antrag sehr wichtig. Es geht hier um Transparenz, in erster Linie um die Grundlage für die Kommunalfinanzdaten.
(Widerspruch von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Diese Transparenz brauchen wir in der Tat, um überhaupt eine Diskussionsgrundlage zu haben. Insofern muss ich Herrn Abruszat auch recht geben.
Allerdings wissen wir auch, dass die Transparenz vielleicht nicht im Sinne von Herrn Jäger ist. Herr Jäger verbringt ja anscheinend lieber seine Zeit damit, Angstschreiben mit Panikszenarien zu entwerfen, um die BDA durchzudrücken. Dieser kleine Seitenhieb sei erlaubt.
Ich kann Ihnen an einem Beispiel sagen, was Transparenz ist. Transparenz ist, wenn ich eine E-Mail-Adresse nehme – „bda0@freenet.de“ und Ihnen dann das Passwort mitteile: „a k t e n k o f f e r“ – eine rein willkürliche Folge von Buchstaben. Das wäre ein Beispiel für Transparenz, die Sie ja im Sinne der BDA gut finden. Herr Jäger, Sie müssen sich da entscheiden – das ist der letzte Exkurs dazu –: Rasterfahndung oder Rastafari – Überwachung oder Freiheit?
(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der SPD)
Ich bin der Meinung, wir sollten hier die Bürgerrechte schützen und die Freiheit hochhalten.
Ich komme zum Thema zurück. Transparenz ist nicht das, was Sie mit den Kommunalfinanzdaten veranstalten. Wir haben in unserem Kommunalfinanzteam erhebliche Lücken bei der Meldung der Bilanzen, bei der Ergebnisrechnung festgestellt. Dabei ist uns auch aufgefallen, dass teilweise Bilanzen zum Stichtag 31. Dezember geliefert worden sind, ohne dass eine Jahresrechnung oder eine Ergebnisrechnung vorlag.
Da haben wir uns gefragt, wie das eigentlich sein kann, und eine entsprechende Mail an Mitarbeiter des Ministeriums verfasst, die ich natürlich jetzt nicht namentlich erwähnen werde. Wir haben dann eine hochinteressante Antwort bekommen. Ich zitiere einmal stellenweise daraus:
Daher bestehen in der von IT.NRW zur Verfügung gestellten Datei die von Ihnen monierten schwer verständlichen Lücken.
Sie sind also wohl darauf zurückzuführen, dass es wohl nur zu isolierten Meldungen kam und dass Sie die Bezirksregierungen – das sind ja da die Bevollmächtigten – nicht richtig angewiesen haben, diese Daten komplett einzusammeln. – Ich zitiere weiter:
Diesen Unregelmäßigkeiten ist IT.NRW bisher nicht mit wünschenswerter Intensität nachgegangen.
Ja, liegt es dann nicht in Ihrer Verantwortung als Minister, dafür Sorge zu tragen, dass die Daten nach jahrelanger Wartezeit jetzt auch einmal geliefert werden?
(Beifall von den PIRATEN)
Das ist für mich absolut unverständlich. Deshalb ist es auch völlig richtig, dass hier vonseiten der Opposition, vonseiten der FDP-Fraktion ein entsprechender Transparenzantrag gestellt wird, über den wir im Ausschuss zu reden haben. Wir müssen in dem Zusammenhang einige Fragen klären.
Die erste Frage, die sich mir stellt, ist, ob IT.NRW möglicherweise mehr Personal braucht. Das müssen Sie klären. Wir müssen auch darüber reden, ob vielleicht die Einführung des NKF in der vorliegenden Version schlichtweg noch gar nicht sinnvoll war, weil die Kommunen damit einfach überfordert waren. Weil die Daten ja nicht geliefert werden, stellt sich weiter die Frage: Ist es denn überhaupt überall umgesetzt worden?
Abschließend müssen wir einfach feststellen, dass wir mit der jetzigen Gesetzeslage die Transparenzziele anscheinend nicht erreichen können. Sie sind da gefordert, Herr Jäger. Sie sollten sich nicht so sehr darum kümmern, Ihre Kollegen in anderen Bundesländern mit Panikschreiben zu beeinflussen. Sie sollten dafür Sorge tragen, dass Sie Ihre Hausaufgaben hier im Land NRW machen, und dafür Sorge tragen, dass die Kommunen die Daten liefern. Die Kommunen müssen dazu in die Lage versetzt werden. Sie müssen notfalls eine entsprechende rechtliche Regelung auf den Weg bringen. Bisher bleiben Sie da Antworten schuldig. Das ist mangelhaft. – Danke sehr.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Stein, ich würde mich ja gerne, was das Bestandsdatenauskunftsgesetz angeht, mit Ihnen intellektuell duellieren.
(Die Mitglieder der Piratenfraktion halten Plakate hoch mit der Aufschrift „Achtung“. – Zuruf von der SPD: Frau Präsidentin!)
Aber Sie scheinen dabei unbewaffnet zu sein.
(Heiterkeit)
Präsidentin Carina Gödecke: Einen Moment bitte! Herr Minister Jäger, lassen Sie mich eben unterbrechen. – Ich bitte die Fraktion der Piraten, die Gepflogenheiten und die Geschäftsordnung des Hauses einzuhalten.
(Die Mitglieder der Piratenfraktion nehmen die Plakate wieder herunter.)
Der Plenarsaal ist der Ort von Wort und Widerwort und nicht der Ort von politischen Demonstrationen. Sie kennen die Spielregeln. Deshalb bitte ich Sie, die Schilder unten zu lassen. Vielen Dank. – Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
Ich würde jetzt gerne etwas zu dem Tagesordnungspunkt sagen. Er hat ja die Überschrift „Kommunen fair behandeln“. Fairness ist, finde ich, das oberste Gebot im Umgang mit den Kommunen und den Kommunalfinanzen. Das ist auch das Credo dieser Landesregierung. Insoweit stimmt die Landesregierung mit diesem Punkt des Antrags völlig überein. Allerdings fußt der Rest des Antrages größtenteils auf Ungenauigkeiten, Unrichtigkeiten oder schlichtweg Fehlern.
Lassen Sie mich als Erstes sagen: Ihre Behauptung, Herr Abruszat, es gäbe in dem Gutachten eine Empfehlung – Herr Abruszat, ich weiß, das Gespräch mit der Präsidentin ist ganz reizend, aber nehmen Sie das vielleicht mit – und der Gutachter würde ausdrücklich nicht von einer Rückführung des Soziallastenansatzes sprechen, ist schlichtweg falsch. Der Gutachter sagt vielmehr, dass der Soziallastenansatz genauso beibehalten werden soll, wie wir ihn hier in Nordrhein-Westfalen im Gemeindefinanzierungsgesetz praktizieren.
Das Gleiche gilt für die Ermittlung des kommunalen Bedarfs. Die Regressionsanalyse ist noch einmal durch den Gutachter ausdrücklich bestätigt worden. Sie ist das geeignete Mittel, um vorhandenes Geld gerecht zu verteilen. Auch hier kommt Ihr Antrag zu einem falschen Schluss, zu einer falschen Bewertung des FiFo-Gutachtens.
Aber in der Sache selbst, Herr Abruszat, brauchen wir uns meines Erachtens nicht lange an der Frage zu reiben, ob die kommunale Finanzausstattung in Nordrhein-Westfalen ausreichend ist oder nicht. Die Entwicklung der Defizite der letzten Jahre, der Kassenkredite, zeigt eindeutig, dass der Finanzbedarf in den 396 Kommunen deutlich größer ist, als er beispielsweise durch das Gemeindefinanzierungsgesetz und durch eigene Steuerkraft bedient werden kann. Da sollten wir jetzt nicht Ursache und Wirkung verkehren.
Zu dem Bild, das Sie aufgegriffen haben, Herr Abruszat, mit der zu kurzen Decke: Die zu kurze Decke wird nicht dadurch länger, dass man sie immer hin und her zieht. Eine zu kurze Decke kann nur länger werden, wenn man etwas dranstrickt. Das Dranstricken haben wir in großen Teilen getan, Herr Abruszat, übrigens – das muss man sagen – gemeinsam auch mit der FDP-Fraktion im Rahmen des Stärkungspaktes und mit der Auflösung der Befrachtung, die Sie zulasten der Kommunen zwischen 2005 und 2010 beschlossen haben. Aber jetzt ist der Bund am Zuge.
Es gibt vier Ausgabenarten, die für eine Kommune fast ohne jeden eigenen Einfluss immer vorhanden und sehr abhängig davon sind, wie sich die Sozialstruktur einer Gemeinde vor Ort darstellt. Der Zustand des Haushalts hat wenig mit eigenem Handeln zu tun.
Diese vier Ausgabenarten sind die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit im Rahmen der Unterbringungskosten, die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung – dynamisch wachsend, dynamisch steigend, da wir die erste vollständige Generation von Menschen mit Behinderung nach der Euthanasie der Nationalsozialisten haben –, die dynamisch wachsenden Jugendhilfeausgaben und nicht zuletzt die Grundsicherung. Das sind die Ausgaben, unter denen die Kommunen in Nordrhein-Westfalen ächzen, die ihnen die Luft zum Leben nehmen.
Deshalb gestatten Sie mir, mit einem Bild zu enden. Ich freue mich übrigens, Herr Abruszat, auf die inhaltliche Beratung. Sie möchten hier gern den Robin Hood geben. Aber ich glaube, dass die Kommunen sehr genau wissen, wo der Sheriff von Nottingham wohnt, und zwar auf der Willy-Brandt-Straße 1 in 10557 Berlin. Das ist übrigens der Sitz des Bundeskanzleramtes. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann schließe ich die Beratung, und wir kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2883 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen diese Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Ebenfalls nicht. Dann haben wir so überwiesen.
Ich rufe auf:
7 Neuntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2897
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Piraten Herrn Kollegen Marsching das Wort.
Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier und zu Hause! Wir alle haben die Schlagzeilen der letzten Wochen noch gut im Gedächtnis: Achtung, Vetternwirtschaft im Bayerischen Landtag!
Die Rede ist natürlich von der neuen Amigo-Affäre, wie sie genannt wird. Bis hin zur Kinderarbeit wurde diese zum Thema in den Medien. Andere Landtage wurden durchleuchtet, und auf Nachfrage konnte keine der großen Fraktionen, auch hier im Landtag, die Beschäftigung von Verwandten ausschließen.
(Marc Herter [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!)
Das alles kostet nicht nur viel Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern es kostet vor allem uns als Abgeordnete eins, nämlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in uns und in das politische System.
(Beifall von den PIRATEN – Marc Herter [SPD]: Ja, genau!)
Die Piratenfraktion bringt daher heute einen Gesetzentwurf in den Landtag ein, der helfen soll und helfen wird, dieses Vertrauen wiederzugewinnen und die hier im Land bestehenden Gesetze zur Beschäftigung von Verwandten angemessen auszuweiten.
Unser Gesetzentwurf sieht vor, die bestehenden Regelungen zur Nichtbeschäftigung von Ehegatten, von Partnern und von Kindern zu erweitern, sodass auch Verwandte dritten und vierten Grades von einer Beschäftigung durch einen Abgeordneten ausgeschlossen werden.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Denn bei den Cousins als Verwandte vierten Grades handelt es sich gerade um die berühmten Namensgeber des Wortes „Vetternwirtschaft“.
Wir wollen in Nordrhein-Westfalen ganz deutlich sicherstellen, dass die Auswahlkriterien für eine Beschäftigung ausschließlich Qualifikation und Fachwissen sind und schon der Anschein irgendeines Postenschiebens vermieden wird.
(Beifall von den PIRATEN)
In vielen Bundesländern gibt es hierzu bereits Regelungen und Gesetze. So ist zum Beispiel in Hessen und in Niedersachsen die Beschäftigung Angehöriger bis zum vierten Verwandtschaftsgrad verboten, jedoch nicht gesetzlich.
Wir wollen gern, dass Nordrhein-Westfalen bei diesem wichtigen Thema eine Vorreiterrolle annimmt. NRW wäre das erste Bundesland, das die Vetternwirtschaft im Wortsinn gesetzlich verbieten ließe. Lassen Sie uns hier am besten mit gutem Beispiel vorangehen.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir sind nicht sicher, und es ist uns auch völlig egal, ob ein zurzeit bei Abgeordneten Beschäftigter tatsächlich von einer solchen Gesetzesänderung betroffen wäre. Unsere „Achtung!!“ vor dem Datenschutz verbietet uns auch, da nachzufragen.
Aber um gegebenenfalls Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich mit ausreichend Zeit beruflich neu zu orientieren, haben wir als Datum des Inkrafttretens bewusst den 1. Oktober gewählt. Wir halten diesen Zeitraum unter Beachtung von Beratungs- und Änderungsprozesszeiten für angemessen.
Um sicherzugehen, dass dieser Gesetzentwurf nicht an parteipolitischem Klimbim scheitert, bitte ich Sie, einer Überweisung an den Hauptausschuss zuzustimmen, damit wir dort in ausreichender Form Änderungs- und Erweiterungswünsche diskutieren können. – Vielen Dank und „Freiheit statt Angst!“
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Gesetzentwürfe werden immer in die Fachausschüsse überwiesen
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Aha!)
und kommen zur zweiten Lesung ins Plenum zurück.
Herr Kollege Herter hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Marc Herter (SPD): Ich muss mich schon sehr wundern, Herr Marsching.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sonne für die Piraten muss schon sehr tief stehen,
(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)
wenn sie versuchen, eine bayerische Affäre in dieser Form nach Nordrhein-Westfalen zu ziehen. Die bayerischen Verhältnisse sind nicht die nordrhein-westfälischen Verhältnisse.
Der nordrhein-westfälische Landtag hat seit 1995 eine gute Regelung – konkret erster und zweiter verwandtschaftlicher Grad sind betroffen –, nicht als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten eingestellt zu werden. Wir sind da führend, weil nicht nur die Landtagsabgeordneten, die eigentlichen Verwandten betroffen sind, sondern auch über Kreuz diejenigen, die im Landtag als Kolleginnen und Kollegen tätig sind.
(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)
Ihr Anspruch, wir müssten da führend sein, ist also erfüllt, Herr Marsching.
Entgegen dem, was Sie gerade zu suggerieren versucht haben, ist hier kein einziger Missbrauchsfall in der Zeit seit 1995 aufgetreten
(Michele Marsching [PIRATEN]: Das habe ich auch nicht gesagt!)
– auch das sollten Sie der Wahrheit entsprechend sagen –,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
übrigens obwohl wir keine Überleitungsregelung hatten, die entsprechend gegriffen hätte, wie es gerade das Problem in Bayern ist.
Ich stimme Ihnen zu: Das, was wir gerade in Bayern erleben, hat etwas von einem Selbstbedienungsladen. Es hat etwas von Selbstbedienungsladen, wenn selbst die Justizministerin ihre Schwester beschäftigt, wenn sich selbst der Fraktionsvorsitzende dadurch ein Zubrot verdient, dass seine Frau bei ihm angestellt ist und nicht unerheblich besoldet wird. – Das muss man jetzt einmal aushalten, Herr Hovenjürgen.
(Unruhe)
In der Tat ist das kein einseitiges Parteiphänomen. Sie haben die Gnade der Nichtangehörigkeit im Landtag in Bayern. Nach dem, was wir hören, wird das auch so bleiben.
Mein konkreter Kritikpunkt hinsichtlich des Gesetzentwurfs, den Sie heute dem nordrhein-westfälischen Landtag vorlegen, ist folgender: Es hat von allen anderen Fraktionen die Zusage und die Bereitschaft gegeben, sich mit diesem Thema „Verwandte dritten und vierten Grades“ zu beschäftigen, und zwar im Zuge dessen, dass wir die Transparenzregeln für die Abgeordneten neu regeln wollen, soweit es um die Nebeneinkünfte geht. Sie haben diese ausgestreckte Hand nicht ergriffen, sondern gesagt: Nein, dieser Antrag muss von uns als Piraten ins Plenum!
Ich muss schon fragen: Sind Sie an einer Regelung interessiert, oder sind Sie nur daran interessiert – gerade haben wir wieder eine wunderbare Bekundung in diese Richtung gehabt –, hier im Plenum Symbolpolitik zu machen? Ich fände an dieser Stelle, an der es um mehr als Ihre Profilierung geht, sondern darum geht, Verantwortung für das gesamte Parteiensystem zu übernehmen, sehr bedauerlich.
(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)
Natürlich werden wir der Überweisung zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn wir im Zuge der Überweisung die Gemeinsamkeit wiederherstellen und uns sehr sachlich darüber unterhalten könnten, ob es – erstens – eine taugliche Regelung darstellt, den dritten und vierten verwandtschaftlichen Grad zu umfassen, und – zweitens – zu hinterfragen, wie das mit unserer Überkreuzregelung zusammenpasst. Das scheint mir nämlich das sachliche Problem zu sein, das wir zu klären haben. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Haardt.
Christian Haardt (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Sehr geehrter Herr Kollege Marsching, Überlegungen anzustellen, wie man bestehende Regelungen verbessern oder vermeintliche Lücken schließen kann, dagegen hat in diesem Hause niemand etwas. Die entscheidende Frage ist aber, welchen Weg man dazu beschreitet.
(Beifall von der CDU und der SPD)
Dieser Weg gibt dann auch darüber Auskunft, ob es einem eher um die Sache oder vielmehr darum geht, in populistischer Weise den Versuch zu unternehmen, auf einer Empörungswelle zu surfen, von der dieses Parlament Gott sei Dank überhaupt nicht betroffen ist.
(Beifall von der CDU und der SPD)
Tatsächlich gibt es in diesem Landtag keine fragwürdige Beschäftigung von Verwandten. NRW hat – mein Vorredner hat es bereits ausgeführt – schon 1995 ein entsprechendes Verbot festgeschrieben und das Ganze 2005 präzisiert. Das Überkreuzverbot für Ehepartner ist – bezogen auf die allermeisten anderen Bundesländer – vorbildlich.
(Beifall von der CDU)
Nach Auskunft des Landtagssprechers hat es in der Vergangenheit nie den Fall einer unzulässigen Beschäftigung gegeben. Also gibt es hier auch keinen akuten Handlungsbedarf.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Haardt.
Christian Haardt (CDU): Sie wissen es auch: Wir erhalten keine direkten Zahlungen zur Beschäftigung von Mitarbeitern. Das Ganze wird ausschließlich über die Landtagsverwaltung abgewickelt. Wir bekommen selber kein Geld in die Hand, das wir in irgendeiner Form für andere Zwecke einsetzen könnten.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Haardt, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der Kollege Marsching würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
Christian Haardt (CDU): Ja, gut.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Haardt. – Sie sagen, es habe keinen Fall gegeben. Warum muss ich dann in der „Recklinghäuser Zeitung“ vom letzten Montag die Aussage der beiden großen Fraktionen in diesem Hause lesen: „Wir können nicht bestätigen, dass es eine Anstellung von Verwandten in diesem Hause gibt“? – Bekomme ich von Ihnen jetzt die Zusage, dass die Aussage, die Sie gerade getroffen haben, zutrifft?
Christian Haardt (CDU): Die Aussage trifft zu. Im Übrigen weiß ich nicht, was Sie in irgendeiner Zeitung gelesen haben. Ich weiß, dass meine Fraktion auf Anfrage erklärt hat, es gebe eine klare gesetzliche Regelung in NRW. Alle Mitglieder der CDU-Landtagsfraktion halten sich an diese Regelung. Punkt!
(Beifall von der CDU)
Wie gesagt: Das heißt nicht, dass man nicht auch eine vorbildliche Regelung überprüfen kann. Akuter Handlungsbedarf aber, wie ihn Ihr Antrag suggeriert, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, besteht eindeutig nicht. Der besteht allenfalls dann, wenn es einem nicht um die Sache, sondern vorrangig darum geht, in populistischer Weise auf der derzeitigen Empörungswelle über das Verhalten einiger Kollegen in einem einzigen von 16 Bundesländern zu surfen.
Sie wissen, dass dieses Parlament gerade in einem Arbeitskreis über Fragen der Geschäftsordnung des Landtags diskutiert. Eine dieser Regelungen probieren wir zurzeit schon aus. Sie wissen, dass die Transparenzregeln diskutiert werden. Sie wissen auch, dass wir über die Ausstattung der Abgeordneten diskutieren. Und Sie wissen auch, dass demnächst voraussichtlich eine Kommission zu Fragen der Landesverfassung eingerichtet wird.
Es ist Ihnen also klar, dass in diesem Parlament keineswegs Stillstand herrscht, was die Frage der Abläufe, der Rechte und Pflichten von Abgeordneten betrifft.
(Beifall von der CDU und der SPD)
In diesen Zusammenhang gehört dann auch die Frage, ob und in welcher Form man die Beschäftigung von Mitarbeiter ändert. Das ist kein Thema, das man quasi eben einmal nebenbei durch einen auch inhaltlich allenfalls ansatzweise durchdachten Vorschlag einer Gesetzesänderung behandeln sollte.
(Beifall von der CDU)
Das gilt – liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, es wird jetzt fast ein bisschen problematisch – erst recht, wenn man durch einen solchen Antrag den Eindruck erweckt, dass es in NRW bei der Beschäftigung von Verwandten tatsächlich ein Problem gäbe, obwohl dies eindeutig nicht der Fall ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, ich gehöre diesem Landtag noch kein Jahr an. Trotzdem durfte ich schon die Erfahrung machen, dass sich das Herumhacken auf Abgeordneten draußen zu einer Art Volkssport entwickelt hat.
(Beifall von der CDU und der SPD)
Vom Fehlverhalten Einzelner – selbst in anderen Bundesländern – wird schnell der Schluss gezogen, alle würden sich so verhalten. Dabei kommt die Tatsache, dass alle in diesem Hause bemüht sind, konstruktiv und im Sinne der Bürger dieses Landes zu arbeiten, leider oft unter die Räder.
Umso schlimmer ist es aber, wenn wir solche Ansichten auch noch selbst befeuern.
(Beifall von der CDU)
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, müssen sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen, ob Sie mit den anderen Fraktionen konstruktiv an einer Überprüfung und eventuellen Überarbeitung auch der Beschäftigungsregeln mitwirken wollen oder ob Ihnen politische Effekthascherei, wie vorhin erlebt, wichtiger ist. Ich bin schon sehr gespannt, wie Sie diese Frage beantworten. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Haardt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Marsching, ich bin schon sehr erstaunt und irritiert über die Einbringung dieser Rede und das, was Sie hier an den Anfang gestellt haben. Das ist in der Tat der Versuch des Erzeugens einer Vorstellung, hier liefe irgendetwas falsch. Es gibt keinen Verstoß gegen das Abgeordnetengesetz! Das ist bereits vom Präsidium so ausgesagt worden. Außerdem bitte ich darum, dass Sie einen Vorgang, der den Rat von Recklinghausen betrifft, nicht mit Vorgängen auf der Ebene des Landtags vermischen.
(Beifall von der CDU)
Wenn Sie nicht Zeitung lesen können, dann bringen Sie hier doch keine falschen Behauptungen hinein und versuchen, Nebelkerzen zu werfen. Sie sollten auch einfach mal Ihr Verhältnis zum Parlamentarismus, dessen Teil Sie geworden sind, klären. Das wäre sehr angebracht.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP)
Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, es gäbe aktuellen Regelungsbedarf in Bezug auf die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen in Abgeordnetenbüros, weil die Vorgaben nicht korrekt gehandhabt würden. Das ist eben nicht der Fall.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Im Landtag von NRW – das haben meine Kollegen schon ausgeführt – gibt es seit Langem drei strikte Regelungen, die eine hohe Hürde bedeuten. Ich will sie noch mal nennen.
Erstens. Aufwendungen bei Abgeordneten, die anlässlich der Beschäftigung von Ehegatten, von Ehegatten anderer Mitglieder des Landtags, von eingetragenen Lebenspartnern und -partnerinnen, von Verschwägerten und Verwandten ersten und zweiten Grades entstehen, werden nicht übernommen.
Zweitens. Wie von Herrn Herter und Herrn Haardt schon richtig angemerkt worden ist, sind die Abgeordneten für Verträge mit Mitarbeitern gar nicht selbst zuständig, auch die Fraktionen nicht. Die Bearbeitung liegt in der Zuständigkeit der Landtagsverwaltung.
Drittens sind keine Überkreuzbeschäftigungen von Abgeordnetenmitarbeiterinnen zulässig. Das ist in der Tat eine sehr harte Regel, die so nicht flächendeckend gehandhabt wird.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulz zulassen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Ja, gerne, Herr Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin Beer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ist Ihnen bekannt und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass vonseiten des Kollegen Marsching mit keinem Wort behauptet worden ist, dass auf der Grundlage der bestehenden Gesetzeslage, sprich: des Abgeordnetengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen, ein Missbrauch in diesem Landtag vorliegt, dass stattdessen wir einen Antrag gestellt hatten, der diese Regelung, die im Abgeordnetengesetz vorhanden ist, erweitern möchte auf mindestens das Niveau der Bundesländer, die Herr Kollege Marsching eben genannt hat? Ich möchte darauf hinweisen, dass es zumindest in einem Bundesland, nämlich in Rheinland-Pfalz, sogar eine noch weiter gehende Regelung gibt, welche Verwandte grundsätzlich von einer Beschäftigung ausschließt.
Sigrid Beer (GRÜNE): Lieber Kollege Schulz, ich habe gelesen, was Sie vorgelegt haben, welche Regelung Sie wollen. Ich habe gehört, was Herr Marsching vorgetragen hat.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Das war der Vorwurf, hier hätte es in den letzten Jahren Unregelmäßigkeiten gegeben. Das hat er mit einem Zitat aus der „Recklinghäuser Zeitung“ belegt. Das war ein vollkommener Fehlstart. Wenn er seine Rede gelesen hat, erwarte ich, dass er sich hier beim Haus dafür entschuldigt.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir sind aber natürlich offen dafür, über die Weiterentwicklung von Regelungen miteinander zu sprechen. Das machen wir im Augenblick sowieso. Wir machen es in Bezug auf die Transparenzregeln. Wir machen es gemeinsam in der Arbeitsgruppe zur Erweiterung der Geschäftsordnung. Wir reden auch darüber, die Anpassung der Abgeordnetenbezüge in diesem Jahr aussetzen zu wollen.
Deswegen hätte es dieses Antrags und eines Gesetzentwurfs überhaupt nicht bedurft. Es gab in der Tat das Angebot, gemeinsam mit allen Fraktionen auf unsere Regelungen zu gucken und genau zu analysieren, wo was weiterentwickelt werden muss.
Von daher ist das hier eine reine Show- und Klamauk-Veranstaltung. Sie haben sich aus dem Prozess, den wir längst miteinander vereinbart hatten, verabschiedet, das ganz akribisch durchzugehen. Sie sind doch noch in die Arbeitsgruppen einbezogen. Tun Sie also nicht so, als ob das alles ohne Sie stattfinden würde. Diesen Anschein wollen Sie hier nämlich erwecken. Dabei befinden wir uns in gemeinsamen Prozessen und reden längst über alle Dinge.
Wir nehmen diesen Gesetzentwurf mit, werden ihn in die normalen Prozesse einbinden und in den Arbeitsverfahren beraten, die wir sowieso haben. Wir werden aber auch sehr genau hinschauen, was praktikabel und zuverlässig ist, damit wir eine klare Regelung erhalten. Gegebenenfalls werden wir die bestehende Regelung in Nordrhein-Westfalen erweitern. Schon die bestehende Regelung hat dafür gesorgt, dass wir ganz klare Beschäftigungsverhältnisse bei den Abgeordneten haben. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Fraktion der FDP spricht Herr Kollege Rasche.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen: Die fünf Fraktionen hier beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit der Geschäftsordnung, mit Transparenzregeln und mit dem Abgeordnetengesetz. Wir sind dabei, diese zu überarbeiten. Die Beschäftigung von Verwandten dritten und vierten Grades gehört natürlich zu dieser Diskussion. Da gibt es gar kein Vertun.
Wir sollten bei diesen Fragen, die alle Abgeordneten betreffen, allerdings in gewohnter und bewährter Weise einen breiten Konsens aller Fraktionen erarbeiten und dabei auf jegliche politische Profilierung verzichten.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Inhaltlich ist aber klar: Wir haben in Nordrhein-Westfalen keine bayerischen Verhältnisse. Die Rechtslage bei uns ist unter anderem durch das Überkreuzverbot bereits deutlich strenger als in vielen anderen Bundesländern und auch auf Bundesebene. Für einen überstürzten Aktionismus gibt es also überhaupt keinen Grund.
Im konkreten Fall benötigen wir eine praktikable Lösung. Ob ein Überkreuzverbot für Verwandte dritten und vierten Grades praktikabel ist, sollten wir in den angesetzten Gesprächen diskutieren. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs …
(Zuruf von den PIRATEN: Eine Wortmeldung noch!)
– Okay, Entschuldigung. Ich bitte, die Wortmeldung in Zukunft frühzeitig anzuzeigen. Das ist hier nicht angekommen.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich dachte, das wäre geschehen!)
Bitte schön.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte noch einige Sätze zu den vorherigen Wortbeiträgen sagen.
Zunächst einmal bereitet es mir ein bisschen Kopfzerbrechen – Sie müssen verdammt viel Angst haben –, wenn alle Fraktionen gemeinsam applaudieren bei allem, was ich hier zum Thema „Abgeordnetenbeschäftigung“ sage.
(Beifall von den PIRATEN)
Glauben Sie mir, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass hier Verwandte beschäftigt werden. Wenn Sie sagen, das ist so, dann glaube ich Ihnen das. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber wenn das so ist, dann ist es auch gar kein Problem, die Regelung auf Verwandte dritten und vierten Grades zu erweitern, weil das in diesem Haus ja niemanden betreffen würde.
(Beifall von den PIRATEN)
Noch eine Anmerkung: Ja, wir arbeiten daran in Arbeitsgruppen. Ich habe auch mit keinem Satz erwähnt oder den Eindruck erweckt – jedenfalls kann ich das nicht aus meiner Rede herauslesen –, dass wir an diesen Arbeitsgruppen nicht mehr beteiligt wären. Selbstverständlich machen wir weiter, und selbstverständlich arbeiten wir auch weiter mit. Es wäre aber doch überhaupt kein Problem, hier zu sagen: Diese Regelung kann man herausnehmen, über diese Regelung kann man einzeln sprechen, diese Regelung kann man auch einzeln beschließen – wenn niemand in diesem Hause ein Problem damit hätte, dass diese Regelung so eingeführt würde.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Jung zulassen?
Michele Marsching (PIRATEN): Ja, sicher doch.
Volker Jung (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sehen Sie das nicht so, dass Sie dadurch, dass Sie das konkrete Datum „1. Oktober“ nennen, den Eindruck erwecken, es wäre schon etwas anzuzeigen?
(Beifall von der CDU)
Michele Marsching (PIRATEN): Nein, das sehe ich nicht so. Verwandte dritten und vierten Grades anzustellen, das ist nach jetziger Rechtslage ja kein Problem. Aber es könnte sein, dass jemand sagt: Wenn diese Neuregelung käme, dann hätte ich damit ein Problem. – Das muss er unserer Meinung nach nicht unbedingt anzeigen. Er hat sich nicht illegal verhalten, er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Warum sollten wir dann nicht den 1. Oktober nehmen und jedem die Möglichkeit geben, sich entsprechend zu verhalten?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer zulassen?
Michele Marsching (PIRATEN): Ja, sicher doch.
Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Marsching. – Ich will nur, damit wir Klarheit haben, etwas dementieren, was in der heutigen Ausgabe von „Landtag Intern“ steht. Im Inhaltsverzeichnis ist ein Interview mit Christian Lindner von den Grünen angegeben. Er ist nicht bei uns beschäftigt, er gehört immer noch der FDP an. Ich weise das hiermit zurück und gebe das an das Landtagspräsidium zur Überarbeitung.
Michele Marsching (PIRATEN): Ich werde diese Querfinanzierung dann hinterher ansprechen.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich denke, wir brauchen keine Kommission einzusetzen, um diesen Druckfehler zu korrigieren. Dass Herr Kollege Lindner der FDP-Fraktion angehört, hat sich inzwischen herumgesprochen.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/2897 an den Hauptausschuss. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Eilantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2933
Die Fraktionen von CDU, FDP und Piraten haben den genannten Eilantrag mit Schreiben vom 13. Mai 2013 fristgerecht eingebracht.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Vogt das Wort.
Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 24. April 2013 wurde der Entwurf des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes nach langer Wartezeit endlich in den Landtag eingebracht. Dieser Gesetzentwurf kann den Erwartungen, die man vonseiten der am Schulleben Beteiligten in ihn setzte, jedoch in keiner Weise gerecht werden. Im Gegenteil: Viele wichtige Fragen nach Qualität, Standards und Ressourcen bleiben unbeantwortet. Neue Fragen eröffnen sich, wie zum Beispiel zum Umgang mit der sehr weitreichenden Evaluierungsklausel oder den Schülerfahrtkosten.
Es finden sich allerdings auch gute und wichtige Aspekte in diesem Gesetzentwurf. So ist das dort verankerte Elternwahlrecht für den besten Förderort der Kinder aus Sicht der CDU-Fraktion eine zentrale Gelingensbedingung für den Inklusionsprozess. Ein echtes Wahlrecht setzt jedoch voraus, dass es in erreichbarer Nähe neben dem Regelschulsystem überhaupt noch ein Förderschulsystem gibt.
In diesem Zusammenhang kommt dem Umgang mit der außerhalb des Gesetzes zu regelnden Größenverordnung der Förderschulen und der Schulen für Kranke eine hohe Bedeutung zu. Bestimmungen, wonach die Unterschreitung der Mindestschülerzahl zu einer automatischen Schließung dieser Schulen führt, würden ein massives Sterben von Förderschulen nach sich ziehen. Die Konsequenz daraus wäre eindeutig: Das Elternwahlrecht gäbe es zumeist nur noch auf dem Papier.
(Beifall von der CDU)
Es gibt aber beide Seiten. Es gibt Eltern, die sich für ihr Kind sehnlichst einen Platz an einer Regelschule wünschen. Aber es gibt auch Eltern, die wohl überlegt die Förderschule als den besten Lernort für ihr Kind sehen. Wie wichtig diese Verordnung ist, von der ich gerade sprach, kann man daran gut erkennen.
Und das ist nicht allein die Meinung der antragstellenden Fraktionen. Wir erhielten heute auch noch eine Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände. Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich gerne daraus zitieren.
Da heißt es: Über die Festlegung von Mindestgrößen für Förderschulen lässt sich im Hinblick auf die Inklusion, aber auch auf das vom Landtag befürwortete Wahlrecht der Eltern hinsichtlich des Förderortes eine enorme Steuerungswirkung erzielen. Weiter heißt es: Wir sind daher der Auffassung, dass im Sinne der sogenannten Wesentlichkeitstheorie auch die Größe der Förderschulen unmittelbar im Schulgesetz zu regeln ist.
Wie Sie sehen, ist das eine noch weiter gehende Forderung als die, die die drei antragstellenden Fraktionen hier am heutigen Tage stellen.
Auch das Schulministerium hat die hohe Bedeutung und Brisanz dieser Verordnung im vergangenen Jahr wohl erkannt und aus diesem Grund begleitend zum Referentenentwurf auch den Entwurf einer neugefassten Verordnung veröffentlicht. Umso erstaunter sind wir am heutigen Tage über die Pläne der Schulministerin, einen neuen Verordnungsentwurf nun doch erst nach dem Gesetzgebungsverfahren vorzulegen.
Die Abgeordneten dieses Hauses und die Sachverständigen in der Anhörung am 5. und 6. Juni sollen demnach wichtige inhaltliche Aspekte des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes diskutieren und bewerten, ohne überhaupt zu wissen, ob diese Punkte je Realität werden können und nicht nachträglich mal eben so auf dem Verordnungswege auszuhebeln sind.
Diesen Weg werden wir so mit Ihnen nicht gehen.
(Beifall von der CDU)
Wir fordern Sie auf, das zu tun, wovon Sie in ganz vielen Reden immer so gerne sprechen: Schaffen Sie Transparenz für alle Beteiligten im Hinblick auf die künftige Struktur unseres Förderschulwesens in Nordrhein-Westfalen! Bestärken Sie uns nicht noch in unserer Vermutung, dass Ihnen das Thema „Inklusion“ vielleicht gar nicht so wichtig ist. Oder wie sonst würde es sich erklären lassen, dass die Landesregierung für das letzte Plenum eine große Unterrichtung zur Inklusion ankündigt, sie dann kurzfristig ohne Begründung von der Tagesordnung nimmt und wir in diesem Plenum rein gar nichts mehr davon hören?
Frau Ministerin Löhrmann, wir hoffen, dass Sie das erklären können und dass Sie sich im Sinne der Kinder in unserem Land gleich dem Antrag der antragstellenden Fraktion anschließen können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Welche zentrale Bedeutung der zukünftigen Ausgestaltung der Förderschullandschaften für die Inklusion zukommt, hat uns in den vergangenen Tagen der Bericht des Landesrechnungshofs nochmals verdeutlicht. Auch wenn man die einzelnen dort genannten Aspekte intensiv abwägen und bewerten muss, ist klar und deutlich: Die Förderschullandschaft ist in Bewegung, und es besteht Handlungsbedarf.
In diesem Zusammenhang muss die Politik die entscheidenden Fragen beantworten, die da lauten: Was sind uns die Wahlrechte der Eltern, was ist uns die bestmögliche individuelle Förderung an den jeweils besten Förderorten wert?
Meine Damen und Herren, hier zeichnet sich bereits mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ab, dass Rot-Grün die Wahlrechte und die individuellen Bedürfnisse der Kinder leider in keiner Weise berücksichtigt. Im Zentrum des Gesetzentwurfs steht offensichtlich nicht das Individuum.
(Beifall von der FDP)
Sie haben einen Gesetzentwurf verfasst, dessen oberste Maxime die Vermeidung der Konnexität ist. Opfer dieses Vorgehens wird die Qualität der sonderpädagogischen Förderung sein.
(Beifall von der FDP)
Der Gesetzentwurf sieht eine massive Schließungswelle von Förderschulen vor – schon jetzt durch den Hochsauerlandkreis in vorauseilendem Gehorsam praktiziert. Vollzogen – Frau Löhrmann, wie Sie an dieser Stelle immer wieder sagen – wird es durch die Kommunen. Aber auf den Weg gebracht und ermöglicht wird es erst durch Sie, Frau Ministerin Löhrmann.
(Beifall von der FDP)
Ob dann den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder entsprochen wird, ist augenscheinlich leider nachrangig.
Dieser Gesetzentwurf ist aber – um mit Ihren Worten zu sprechen – nicht die einzige Stellschraube bei der zukünftigen Entwicklung unserer Förderlandschaft. Frau Ministerin Löhrmann, Sie hatten mit dem Referentenentwurf bereits den veränderten Entwurf einer Verordnung zu Mindestgrößen von Förderschulen vorgelegt. Der Gesetzentwurf im Nachgang zum Referentenentwurf ist jetzt eingebracht, aber die möglichen Änderungen an Ihrem Verordnungsentwurf werden der Öffentlichkeit vorenthalten.
Am vergangenen Mittwoch – Frau Vogt sprach es schon an – gab es die besagte Veranstaltung. Dort verdeutlichte man den Anwesenden, dass das Ministerium geplante Änderungen am ursprünglichen Entwurf zur zweitägigen Anhörung im Juni nicht bekannt geben werde. Sie sagten dort auch, dass das Gesetzgebungsverfahren ohne Beeinflussung durch diese Verordnung zum Ende gebracht werden solle. Gleichzeitig aber kündigte auf dieser Veranstaltung ein Mitarbeiter des Ministeriums an, dass Sie nun doch nicht planen, den 50%igen Zuschlag bei der Errichtung von Förderschulen einzuführen.
Meine Damen und Herren, einerseits werden einige geplante Änderungen in den Raum geworfen, andererseits soll den Teilnehmern der Anhörung der aktuelle Planungsstand vorenthalten werden. Ich sage: Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das den Gelingensbedingungen des Inklusionsprozesses nicht angemessen ist.
(Beifall von der FDP und Petra Vogt [CDU])
Frau Ministerin Löhrmann, ich denke, dass keiner der hier Anwesenden so gutgläubig ist, zu meinen, dass Sie dieses Instrument aus der Hand geben werden. Denn – Frau Vogt hat es schon erwähnt – dass es sich bei dieser Verordnung um ein wichtiges Steuerungsinstrument handelt, sehen nicht nur die antragstellenden Fraktionen so, sondern auch die kommunalen Spitzenverbände.
Sie haben immer wieder das wichtige Thema „Transparenz“ betont. Wir möchten Sie hier bitten, in diesem Verfahren Wort zu halten. Geben Sie den Anzuhörenden und den Abgeordneten eine Chance, Ihre Planungen zur Inklusion im Istzustand zu bewerten; denn nur so kommen wir zu einer gelingenden Inklusion. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Abgeordnete Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute wieder einmal um das Thema „Transparenz“. Wir befinden uns mitten in einem sehr aufwendigen Prozess, der die Inklusion an unseren Schulen voranbringen soll. Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch die Mindestgröße von Förderschulen. Dieser Aspekt verdient es, hier erörtert zu werden.
Die Umsetzung von Inklusion ist ein langwieriger Transformationsprozess, wie Sie, Frau Ministerin, letzte Woche selbst gesagt haben. Zu den Beratungen gehört dabei auch die Betrachtung der Rahmenbedingungen, also neben dem Gesetzentwurf die Betrachtung der Mindestgrößenverordnung. Dazu muss es jetzt zeitnah Aufklärung geben; denn die Diskussionen finden jetzt hier im Landtag in den Fachausschüssen und in den Arbeitskreisen der Fraktionen statt.
Anfang Juni werden die Sachverständigen in einer umfassenden Anhörung ihre Stellungnahmen abgeben und mit uns diskutieren. Doch ohne die Kenntnis der Regelung, nämlich der Mindestgrößenverordnung, kann nicht abgeschätzt werden, wie sich im nächsten oder übernächsten Schuljahr die Schullandschaft vor Ort verändern wird.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Die Öffentlichkeit interessiert sich aber vor allem für die Entwicklung der Schullandschaft vor Ort. Die Zuschriften, die uns erreichen, beschäftigen sich vorrangig mit der Frage, wie die Zukunft der Förderschulen vor Ort aussieht.
Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben in Ihrer Rede vom 8. Mai festgestellt: Alle Beteiligten bekennen sich vom Grundsatz her zur Inklusion. Aber wenn es konkret wird, gibt es Ängste und Vorbehalte. – Wir sagen: Gerade wenn es konkret wird, muss eine transparente Informationslage sichergestellt sein, ansonsten setzt die Landesregierung das Vertrauen der Bürger in den Inklusionsprozess aufs Spiel.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Sie haben außerdem auf der konstituierenden Sitzung des Beirats für Inklusion ausgeführt, dass man jetzt erst mal schauen wolle, wohin der Weg gehe. Das impliziert eine noch ergebnisoffene Diskussion, die wir hier in den nächsten Wochen führen werden. Ich hoffe sehr, dass diese Ergebnisoffenheit ernst gemeint ist.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Das bedingt aber auch, möglichst viele Informationen zur Verfügung zu haben, die eine transparente Diskussion zulassen. Ohne diese Informationen ist es so, als kaufe man eine schön dekorierte Kiste, ohne deren Inhalt zu kennen.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vor diesem Hintergrund fordern wir die Landesregierung auf, in der Frage der Mindestgrößenverordnung Transparenz herzustellen. Sie muss uns für den Beratungsprozess an die Hand gegeben werden. Die nebulöse Informationslage muss vor der Anhörung konkretisiert werden. Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände fordert heute in einem Schreiben, diesen elementaren Aspekt sogar mit in das Gesetz aufzunehmen. Das unterstreicht ebenfalls die Bedeutung der Mindestgrößenverordnung. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Pieper. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.
Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch nachdem ich jetzt sehr aufmerksam zugehört habe, was meine drei Vorrednerinnen zum Thema „Mindestgrößenverordnung“ vorgetragen haben, ist mir nach wie vor die Dringlichkeit dieses Antrags nicht ganz klar. Sehr klar dagegen war, wann wie und wo die Mindestgrößenverordnung vorgelegt wird.
Ich bin auch nicht auf der konstituierenden Sitzung des Fachbeirates gewesen, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Äußerungen von Frau Ministerin Löhrmann den Eilantrag heute rechtfertigen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es war ganz klar, dass der Verordnungsentwurf zu den Schulgrößen nicht Bestandteil der Anhörung zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz sein würde. Die Aussage, das Ministerium habe auf der Sitzung des Fachbeirates erstmalig mitgeteilt, zur Anhörung keinen Entwurf vorzulegen, ist schlicht und einfach falsch. Dies ist schon in der Vergangenheit immer wieder kommuniziert worden. Das kann man auf der Seite des „WDR“ nachlesen, das kann man in den Reden der Ministerin nachlesen, die sie auch richtig zitiert haben. Man kann es sogar in den Berichten des Landesrechnungshofs nachlesen, in denen deutlich drinsteht, dass das Ministerium die Hinweise des Landesrechnungshofes noch in die Mindestgröße einarbeiten will. Sie beziehen sich zurzeit ja auf die Mindestgröße, die sozusagen mit dem Referentenentwurf im letzten Jahr vorgelegt worden ist.
Meine Damen und Herren, ich hätte mir heute eigentlich gewünscht, dass Sie den Bericht des Landesrechnungshofes angesprochen hätten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Hat die Kollegin!)
Darin gibt es eine ganze Menge Hinweise, die es durchaus notwendig machen würden, sie im Parlament zu diskutieren.
Vielleicht noch ein Hinweis zum Thema „Mindestgrößenverordnung“: Wenn ich recht informiert bin, befindet sich das Ministerium gerade in einem Abstimmungsprozess mit den kommunalen Spitzen zum Thema „Mindestgrößenverordnung“. Insofern, meine Damen und Herren, muss ich einfach zur Kenntnis nehmen, dass sich die kommunalen Spitzen an die Fraktionen gewandt haben – ich selber habe das Schreiben noch nicht gesehen – und wir sicherlich mit den kommunalen Spitzen zu reden haben werden.
Meine Damen und Herren, in dem Bericht des Landesrechnungshofes, der eine ganze Reihe von Punkten aufweist, die als Problem bei der Förderung von Kindern mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen analysiert werden können, wird zum Beispiel deutlich – und das macht mir persönlich viel mehr Probleme als die Frage der Mindestgrößenverordnung –, dass es nicht gelingt, die Kinder aus den Förderschulen in die allgemeinbildenden Schulen zurückzuschulen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es gibt ein Weiteres, was mich an diesem Bericht ganz erheblich irritiert. Etliche Schüler und Schülerinnen aus dem Förderschwerpunkt Lernen werden in den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung bzw. hin bis zur Gruppe der Schwerstbehinderten hochgestuft. Diese Veränderung geht einher mit erhöhten Ressourcen für die Schulen. Ob damit in der Tat ein pädagogischer Erfolg erzielt wird, erschließt sich aus dem Bericht des Landesrechnungshofes nicht; auch ich mag ihn bezweifeln.
Der Landesrechnungshof hält fest, dass die in den letzten Jahren deutlich angewachsene Quote von Schülern und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf kritisch zu hinterfragen ist und nicht den demografischen Veränderungen im Land entspricht.
Wir, meine Damen und Herren, sind davon überzeugt, dass die Chancen der jungen Menschen auf einen Platz in der Gesellschaft in der Regel so nicht verbessert werden. Für das Land bedeutet diese Entwicklung Mehrkosten mit einem sehr fraglichen Mehrwert. Ich hoffe, dass dies unter dem Vorzeichen der Inklusion und mit dem Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen besser gelingen wird.
Statt den Eilantrag auf den Weg zu bringen, der ins Leere läuft, meine Damen und Herren, sollten Sie besser das nachlesen, was in der Vergangenheit veröffentlicht worden ist. Wir auf jeden Fall haben proaktiv den Vorsitzenden des Schulausschusses darum gebeten, die Ministerin im Ausschuss zu bitten, den Bericht des Landesrechnungshofs vorzustellen und auf diese Art und Weise in eine wirklich inhaltliche Diskussion einzutreten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Richtig ist, meine Damen und Herren, dass in der Vergangenheit, was die Fragen der Ressourcen in den Förderschulen angeht, der Bericht des Landesrechnungshofs eine Menge von Problemen aufweist.
Die Mindestgrößenverordnung existiert seit 30 Jahren. Sie entspricht noch dem alten Schulverwaltungsgesetz und ist immer eine Verordnung gewesen, die beim Ministerium angesiedelt ist. Bisher ist das so gewesen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Witzel zulassen?
Renate Hendricks (SPD): Aber ja doch!
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Das ist ausgesprochen freundlich. Frau Kollegin, Sie haben gerade mehrfach und sehr eindringlich daran appelliert, den Bericht des Landesrechnungshofs zu Förderschulen im Schulausschuss zu besprechen. Diesen Wunsch haben Sie so in keiner Weise gehabt, als es einen Bericht des Landesrechnungshofs zur massiven Ineffizienz der Gesamtschuloberstufen gab. Das war für Sie kein Thema, das im Ausschuss besprochen werden muss. Warum nehmen Sie hier eine solche Ungleichgewichtung vor?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, bitte.
Renate Hendricks (SPD): Mein lieber Herr Kollege Witzel, Ihre reflexartige Art und Weise, in das Thema „Gesamtschulen“ einzusteigen, werden wir sicherlich heute Abend auch noch im Zusammenhang mit der Einbringung Ihres Vorschlages zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz erleben.
Natürlich haben wir das möglicherweise nicht so diskutiert, wie Sie es gerne haben wollten. Aber Sie haben sich leider auch in keiner Weise in den letzten Jahren fortentwickelt. Und das finde ich an dieser Stelle so bedauerlich.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann mir natürlich die Unruhe der Opposition erklären. Es ist immer schwierig, wenn man an der der Entstehung nicht unmittelbar beteiligt ist. Wir hätten wahrscheinlich ähnlich reagiert. Aber damit wird Ihr Antrag nicht richtiger. Ich denke, wir gehen in ein geordnetes Verfahren der Gesetzgebung, werden eine Anhörung haben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin.
Renate Hendricks (SPD): Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. Auf diese Art und Weise werden Sie dann noch die Möglichkeit haben, sich an der entsprechenden Stelle einzubringen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, würden Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Witzel zulassen?
Renate Hendricks (SPD): Nein.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Nein.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Zentis.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir können die Notwendigkeit Ihres Eilantrages nicht erkennen. Am letzten Mittwoch hat sich auf Einladung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung der Fachbeirat „Schulische Bildung von Menschen mit Behinderung“ konstituiert, zu der wir auch als Politiker eingeladen waren.
Sie führen in Ihrem Antrag aus, dass Ihnen bisher nicht bekannt war, dass zeitgleich kein überarbeiteter Verordnungsentwurf zu Mindestgrößen von Förderschulen vorliege. Manchmal hatte ich bei Ihren Reden, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, das Gefühl, wir wären nicht auf gleichen Veranstaltungen gewesen, obwohl ich Sie da gesehen habe.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Ministerin hat in der Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung im März ausführlich den Standpunkt dargelegt, dass das Ministerium die Änderung der Verordnung zur Mindestgröße von Förderschulen nicht in und nicht mit dem Schulrechtsänderungsgesetz vorlegt, und betont, dass die Verordnung zu Mindestgrößen von Förderschulen zeitnah zum Beschluss des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes kommen wird.
Die Anhörung zum Gesetzentwurf erfolgt Anfang Juni an zwei Tagen. Hier geht es wirklich um Inhalte, um Organisation, um das Recht auf Bildungsteilhabe für alle Menschen.
Verständnis hätte ich für Sie als Oppositionsfraktionen gehabt, wenn Sie sich heute, wie es auch Frau Hendricks betont hat, mit dem Bericht über die Prüfung des Schulbetriebs an öffentlichen Förderschulen befasst hätten. Dies hätte heute hier auch thematisiert werden können. Wir thematisieren es im Ausschuss für Schule und Weiterbildung.
Frau Gebauer hat wenigstens auf die Inhalte Bezug genommen wie beispielsweise – das hätten wir heute thematisieren können – auf ein als zu aufwendig festgestelltes AO-SF-Verfahren, welches alleine 238 Vollzeitstellen bindet.
Es ist zu fragen, wieso diese Verfahren zu 95 % mit wiederkehrenden Begründungen geführt werden, wieso der Förderschwerpunkt Lernen auffällige regionale Unterschiede aufweist, wieso die Überprüfung des Förderbedarfs der jeweiligen Kinder nur in wenigen Fällen erfolgreich ist und es zu einer Rückschulung kommt oder wieso die Überprüfung des Förderbedarfs häufig das Ergebnis eines anderen Förderbedarfes beinhaltet, der eine günstigere Schüler-Lehrerinnen-Situation bedingt, wieso ein maßgeblicher Teil von Förderschulen die Mindestgröße auf Dauer unterschreitet und die Bezirksregierungen nicht eingegriffen haben.
Das wären Inhalte gewesen. Die hätten erkennen lassen, dass es Ihnen um die Sache geht, der bestmöglichen Förderung aller Kinder, und nicht nur um eine Schlagzeile, die morgen schon von den meisten wieder vergessen ist.
Die Verordnung zu den Mindestgrößen von Förderschulen hat seit über 30 Jahren Gültigkeit und war und ist nicht schlüssig. Das ist richtig. Verständnis hätte ich auch für Sie gehabt, wenn Sie erörtert hätten, wieso nie zuvor eine grundlegende Überarbeitung dieser Verordnung erfolgt ist, wieso die Schulaufsichtsbehörde nicht eingegriffen hat, wenn die Schülerinnenzahl über einen längeren Zeitraum unterschritten wurde. Hier hat in der Tat eine Schwalbe einen ganzen Sommer lang geschlafen.
Das Ministerium von Frau Löhrmann hat diesen Arbeitsauftrag erkannt. Er wird abgearbeitet und mit den direkt Betroffenen und Beteiligten, mit den kommunalen Spitzenverbänden erörtert. Da ist nämlich der nötige Fachverstand. Und da ist auch die Nähe zur Problematik. Das ist sachgerecht.
Es wird nichts über das Knie gebrochen. Alles wird ruhig und unaufgeregt und sachlich erarbeitet – zielgerichtet für mehr Teilhabe und mehr Bildungsgerechtigkeit aller Schülerinnen und Schüler unseres Landes. So soll es auch sein.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wir werden Anfang Juni dieses Jahres die Expertinnen und Experten anhören, unsere Schlüsse daraus ziehen und den vorliegenden Gesetzentwurf daraufhin prüfen.
Wir Grüne lassen uns in den Beratungen und in der Anhörung nicht von einem Verordnungsentwurf über die Mindestgröße von Förderschulen leiten oder bestimmen; denn die Mindestgröße einer Schule hat keinen Einfluss darauf und sollte keinen Einfluss darauf haben, die bestmögliche Bildung für unsere Kinder – erst recht für die Kinder, die es in ihrem Leben nicht so leicht haben – zu ermöglichen. Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Zentis. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Mich hat insbesondere die Herleitung Ihres Eilantrags doch sehr überrascht; denn darin haben Sie Versatzstücke aus unterschiedlichen Texten und verschiedenen Veranstaltungen zusammengeschrieben – offensichtlich durfte jede der drei Fraktionen fünf Sätze liefern; das erklärt auch, warum Sie hier so unterschiedlich argumentiert haben –, aber ganz wesentliche Aussagen unterschlagen, zum Beispiel die, die ich bei der besagten Sitzung des Fachbeirats auch getroffen habe. Dieses Vorgehen habe ich schon als sehr unredlich empfunden.
Zweitens. Sie bringen hier Abläufe durcheinander. Wir haben rechtsstaatliche Verfahren zu Gesetzentwürfen. Wir haben rechtsstaatliche Verfahren zu Anhörungen. Wir haben natürlich auch rechtsstaatliche Verfahren zu Anträgen und zu Berichten des Landesrechnungshofs. Diese müssen wir auseinanderhalten, damit wir uns – darauf hat Herr van den Hövel in der Fachbeiratssitzung auch hingewiesen – verfassungsrechtlich nicht angreifbar machen, meine Damen und Herren.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Mir ist bei diesem Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich daran gelegen, dass es nicht zu Verfahrensfehlern kommt, die eine weitere Verzögerung auslösen könnten.
(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD] und Sigrid Beer [GRÜNE])
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, eindeutig den Vorwurf zurückzuweisen, wir würden Geheimniskrämerei betreiben oder intransparent handeln. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe den Entwurf der Mindestgrößenverordnung für Förderschulen in eine sehr breite Öffentlichkeit gegeben – weit über den vorgeschriebenen, aus rechtlichen Gründen zu beteiligenden Kreis hinaus –, und zwar im September 2012 parallel zum Referentenentwurf für das 9. Schulrechtsänderungsgesetz. Wir haben sehr viele Stellungnahmen bekommen. Interessanterweise hat keine der Stellungnahmen die Forderung enthalten, das ins Gesetz zu schreiben. Alle diese vielen Stellungnahmen haben diese Forderung nicht enthalten.
Das zeigt: Hier wird nachgeschoben und es werden interessengeleitet bestimmte Dinge auf den Weg gebracht, weil man offensichtlich merkt, dass das, was die Landesregierung tut, insgesamt klug angelegt ist.
(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD] und Sigrid Beer [GRÜNE])
Offensichtlich hatten Sie sich von dem Fachbeirat versprochen, dass es Riesendiskussionen gibt. Es hat aber eine sehr konstruktive Arbeitsatmosphäre gegeben. Das ist eingetreten, seit der Gesetzentwurf vorliegt, weil nämlich klar ist, wohin die Reise gehen wird. Das Parlament wird jetzt entscheiden. Die Aufregung, die es zum Teil im Vorfeld des Gesetzentwurfs gegeben hat, hat sich doch erkennbar gelegt, weil sich alle zu Recht Gedanken über die Umsetzung machen.
Das Kabinett hat inzwischen seinen Gesetzentwurf für das 9. Schulrechtsänderungsgesetz eingebracht – selbstverständlich auch, ohne dies noch einmal in eine zweite Anhörung zu geben. Nun entscheidet das Parlament.
Die abschließenden Konsequenzen aus den Stellungnahmen zum Entwurf der Mindestgrößenverordnung habe ich noch gar nicht gezogen. Darauf hat Herr Fleischhauer in dem Fachbeirat ausdrücklich hingewiesen. Er hat sogar gesagt: Ich erläutere Ihnen jetzt etwas, was die Ministerin noch gar nicht weiß. – Das zeigt, wie transparent und vernünftig und offen wir hier mit den unterschiedlichen Themen umgehen – natürlich im Vertrauen darauf, dass damit dann auch verantwortlich umgegangen wird.
Zur Vorbereitung der Neufassung habe ich mein Haus gebeten, noch einmal die Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Landschaftsverbänden über mögliche Konsequenzen zu führen. Diese Gespräche sind noch nicht abschließend ausgewertet. Ich werde auch mit den Behindertenverbänden noch einmal über diese Verordnung sprechen, weil die UN-Behindertenrechtskonvention das nahelegt und weil deren Interessen natürlich substanziell betroffen sind. Das ist uns genauso wichtig wie die Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden.
Erst wenn ich das abschließend getan habe, wird der Meinungsbildungsprozess in der Landesregierung vorangetrieben. Erst dann kann und werde ich natürlich das Parlament informieren. Allein aus rechtlichen Gründen ist Ihr Antrag also nicht zustimmungsfähig. Mir gebietet der Respekt vor dem Gesetzgeber, nicht vor dem Ende des Gesetzgebungsverfahrens eine neue Verordnung zu erlassen. Schon aus diesem Grund ist Ihr Antrag abzulehnen.
Ich sage Ihnen gerne zu – so habe ich mich auch die ganze Zeit verhalten, wie Sie wissen –, dem Schulausschuss oder den Fraktionen in den Arbeitskreisen, wo immer gewollt, nach Abschluss der Meinungsbildung innerhalb der Regierung zu erläutern, welche Zielkonflikte in der Verordnung liegen und welche Lösungsmöglichkeiten wir vorsehen.
Meine Damen und Herren, eines ist mir allerdings wichtig – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen –: Das erste Gesetz zur Umsetzung der Inklusion soll die Inklusion voranbringen. Bei der FDP habe ich inzwischen den Eindruck, dass es nach ihrem Willen ein Gesetz zum Erhalt möglichst vieler Förderschulen werden soll. Das ist nicht Sinn und Zweck des Schulrechtsänderungsgesetzes.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das widerspricht auch dem Schulkonsens, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Hier werden die Dinge ein bisschen durcheinandergebracht, glaube ich.
Die Verordnung hatte früher den Zweck – das will ich bei dieser Gelegenheit noch einmal sagen –, das Recht auf Bildung überhaupt zu sichern. Jetzt sind wir Gott sei Dank weiter. Wir wollen das Recht auf inklusive Bildung sichern. Deswegen brauchen wir eine systematische, vernünftige Überarbeitung der Verordnung. Da machen wir keinen Schnellschuss, sondern wir werden das systematisch und vernünftig anlegen, wie es das geltende Recht und die Geschäftsordnung der Landesregierung vorsehen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Gebauer das Wort.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle nur zwei Dinge kurz ansprechen.
Erstens. Frau Hendricks und Frau Zentis, wenn Sie mir zugehört und nicht vorgefertigte Reden abgelesen hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich mich direkt am Anfang zum Thema „Landesrechnungshof“ geäußert habe.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Zweitens. Weil Ihnen das Thema „Landesrechnungshof“ und das gerade noch angesprochene Thema „Inklusion“ offensichtlich so wichtig sind, weise ich auf folgende Ausführungen im Jahresbericht des Landesrechnungshofs hin:
Sofern der Landesrechnungshof beanstandet, die Rückschulungsquote sei seit Jahren zu niedrig, werde dem vom Ministerium entgegengehalten, dass eine Rückführung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die allgemeine Schule meist nicht als realistisches Ziel angesehen werden kann.
Soviel zum Thema „Inklusion“ und dazu, dass wir an Förderschulen festhalten. Da bin ich gespannt, wie der Landesrechnungshof bzw. wie Sie diesen Bericht dann entsprechend auswerten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. Ich hätte das gerne in einer Kurzintervention gemacht, war aber etwas spät, Frau Hendricks.
Sie haben gerade auch über den Landesrechnungshof gesprochen. Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, dass die Förderschulen gerade im Bereich Lernen, emotionale und soziale Entwicklung gerne die Schüler hochstufen, damit sie eine Schwerbehinderung bestätigt bekommen. Dann haben Sie angeführt, das würde sehr viele Ressourcen kosten. Das hörte sich für mich ein bisschen so an, als machte die Förderschule das, um möglichst viele Lehrer dort zu halten.
Ich glaube, dass die Schüler in den letzten Jahren und auch in Zukunft zunehmend multiple psychische und sozial-emotionale Probleme haben. Ich weiß, dass die Schulen darum kämpfen, einen Schwerbehindertenstatus für diese Schüler zu bekommen. Insofern glaube ich nicht, dass die Lehrer an einer Förderschule oder Sonderpädagogen leichtfertig damit umgehen. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Beratung und kommen zur Abstimmung.
Über den Eilantrag ist direkt abzustimmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/2933 der Fraktionen der CDU, der FDP und der Piraten. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/2933 abgelehnt mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der FDP und der Piraten.
Wir kommen zu:
Mit der Drucksache 16/2905 liegen Ihnen vor die Mündlichen Anfragen 18 und 21 aus der Fragestunde vom 24. April 2013 sowie die Mündlichen Anfragen 22 und 23.
Ich rufe nun auf die
des Herrn Abgeordneten Ralf Witzel von der FDP-Fraktion aus der letzten Fragestunde:
Bereits im November 2012 ist öffentlich nach einer im „Handelsblatt“ begonnen habenden Serie an Veröffentlichungen bekannt geworden, dass der einstigen Landesbank WestLB AG mit ihrer Asset Management-Tochtergesellschaft für den Zeitraum von 2002 bis 2005 vorgeworfen wird, zahlreiche Beamte, Sparkassenrepräsentanten und Funktionäre von Stadtwerken zu luxuriösen Lustreisen eingeladen zu haben. Durch diese als Kundenevents deklarierten Weltreisen sollen dem Steuerzahler Kosten von mindestens einer halben Million Euro entstanden sein.
Nach Bekanntwerden dieser Vorgänge hat die Landesregierung gegenüber dem Plenum noch im November 2012 ausweislich Plenarprotokoll 16/14 Plenarprotokoll 16/14 Plenarprotokoll 16/14 unter anderem dazu ausgeführt:
„Die Landesregierung wird im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür Sorge tragen, dass die in der Presse beschriebenen Kundenevents bei der WestLB Mellon Asset Management, die anscheinend in den Jahren 2002 bis 2005 stattfanden, aufgeklärt werden. Sie wird das Parlament unaufgefordert und in geeigneter Form über den Sachstand informieren. Ich füge hinzu, um es noch einmal etwas deutlicher zum Ausdruck zu bringen: Wir haben ein mindestens genauso großes Interesse wie Sie daran, dass wir sämtliche Informationen bekommen. Dazu gehört meines Erachtens auch, eine Aufstellung aller Events und aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erhalten.“
Seitdem ist in den letzten fünf Monaten keine proaktive Information des Parlaments durch die Landesregierung erfolgt.
Auf Nachfrage des Fragestellers in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses bereits am 6. Dezember 2012 hat Staatssekretär Dr. Rüdiger Messal betont, der Finanzminister stehe bereits mit dem Aufsichtsrat der Portigon AG in Kontakt, um entsprechende Informationen zu bekommen, und hat gemäß Ausschussprotokoll 16/111 ergänzt:
„Ansonsten kann ich Ihnen mitteilen, dass wir im Finanzministerium seit gestern die Ergebnisse der Betriebsprüfung vorliegen haben. Wir werden sie auswerten und aufbereiten, um diese Informationen dem Parlament bzw. Ihnen hier im Haushalts- und Finanzausschuss zur Kenntnis zu geben.“
Vom 5. Dezember 2012 bis 22. April 2013 hat den Haushalts- und Finanzausschuss jedoch keinerlei weitergehende Information erreicht – weder zu den Ergebnissen der Betriebsprüfung noch zur Konzeption der Lustreisen seitens der früheren WestLB Asset Management-Tochter, obwohl darum seitens der Opposition für den Jahresbeginn 2013 gebeten worden ist.
Gemäß Berichterstattung des „Handelsblatts“ vom 23. November 2012 sind die Lustreisen von der WestLB-Konzernbetriebsprüfung selbst entdeckt worden und zur weiteren rechtlichen Prüfung an die Düsseldorfer Partner der internationalen Anwaltskanzlei Hogan Lovells übergeben worden. Diese soll ihr Untersuchungsergebnis am 21. März 2011 dem Vorstand präsentiert haben. Die Expertise besage, Betriebsausgaben steuerlich abzusetzen, sei verboten, wenn die „Aufwendungen im Zusammenhang mit Korruptionsstraftaten geleistet wurden“. Die Anwälte haben offenbar „nach intensiver Durchsicht der Akten ein sehr hohes Risiko“ erkannt, dass denkbare Vorteilsgewährungen an Würdenträger vorlägen, und ausdrücklich die Strafbarkeit solcher Vorgehensweisen betont. Nur bei einer Umetikettierung der Lustreisen als „Geschenk“ sei ein Verzicht auf unangenehme staatsanwaltschaftliche Ermittlungen realistisch. Nach „Handelsblatt“-Informationen ist die Bank dem Hinweis wohl gefolgt.
Die WestLB-Sparte Mellon Asset Management hat im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit offenbar 500 institutionelle Anleger als Kunden mit einem Gesamtvolumen von 40 Milliarden € betreut.
Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat weiterhin ein Anrecht auf Aufklärung der zweifelhaften Vorgänge innerhalb der WestLB AG durch die Landesregierung zum aktuellen Kenntnisstand bei Beantragung dieser Fragestunde. Falls die Ermittlungen noch andauern, sollte der Landtag einen Zwischenbericht zu dem gegenwärtigen Erkenntnisstand erhalten.
Welche bisherigen Ergebnisse aller Untersuchungen aus den letzten fünf Monaten liegen Finanzminister und Landesregierung im Detail mittlerweile als aktueller Kenntnisstand vollständig für die sogenannten Kundenevents und ihre bemerkenswerten Begleitumstände vor?
Ich bitte Herrn Minister Dr. Walter-Borjans um Beantwortung.
(Unruhe)
– Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Plenum leert sich gerade ein bisschen. Dafür kann man Verständnis haben oder auch nicht. Aber ich bitte Sie, das möglichst geräuschlos zu machen, damit Herr Minister Dr. Walter-Borjans in Ruhe die Frage beantworten kann. Das Wort hat der Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen versichern, dass die Landesregierung nach wie vor ein hohes Interesse an der Aufklärung des in der Fragestellung beschriebenen Sachverhalts hat.
Als Folge des Verkaufs der restlichen Anteile der WestLB Mellon Asset Management hat die Portigon AG allerdings keine gesellschaftsrechtlichen Informations- und Auskunftsrechte mehr gegenüber Mellon.
Ich selber habe mehrfach dezidiert nachgefragt und nicht nur nachgefragt, sondern auch darauf hingewiesen, dass ich ein Interesse habe, dazu auch Informationen zu bekommen. Die Auskünfte, die mir Portigon dazu gegeben hat, waren immer die gleichen, nämlich dass es einen Zugriff seitens der Portigon nicht mehr gibt. Nach der Umfirmierung heißt Mellon nun Meriten Mellon Investment Management GmbH. Die Bitte, die ich an Portigon gerichtet habe, hat Portigon weiter an Meriten gerichtet. Meriten hat hierzu erklärt, dass sie nicht bereit sei bzw. sich nicht in der Lage sehe, der Portigon AG Unterlagen herauszugeben, die vertraulichen Charakter haben. Die Portigon AG hat auf meine Prüfbitte erklärt, dass eine vertragliche oder gesellschaftsrechtliche Handhabe, ergänzende Informationen von Meriten einzufordern, nicht bestehe.
Da ein Einverständnis des betroffenen Steuerpflichtigen, nämlich der Meriten Investment Management GmbH, nicht vorliegt, darf ich Ihnen auch keine Informationen aus dem Betriebsprüfungsbericht der Gesellschaft vorlegen. Das gilt im Übrigen sogar für einen Untersuchungsausschuss. Also diese dem Steuergeheimnis unterliegenden Daten haben einen hohen Grad an Schutz, sodass ich nur unter Verletzung des Steuergeheimnisses Betriebsprüfungsberichte oder Steuerdaten weitergeben könnte, was ich nicht darf und deswegen auch nicht tun werde.
Das Thema „Gefälligkeitsreisen“ wird auch Gegenstand des Prüfauftrages des Untersuchungsausschusses zur WestLB sein. Das heißt, Fragen an die Betroffenen selbst bzw. an das betroffene Unternehmen sind da natürlich möglich. Das ist allerdings auch keine Neuigkeit. Aber es gehört offenbar zu dem Versuch, hier immer wieder das Thema neu auf die Tagesordnung zu bringen, es hier auch jetzt noch einmal zu diskutieren.
Die Handhabe, die man haben kann, die wird man am besten im Rahmen eines Untersuchungsausschusses haben. Ich gehe mit Blick auf die Auskunftsrechte des Untersuchungsausschusses davon aus, dass die Sachverhaltsermittlung durch dieses Gremium dann effektiv vorangetrieben werden kann, was auch sehr in meinem eigenen Interesse und im Interesse der Landesregierung wäre.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt eine Frage des Herrn Abgeordneten Witzel. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir die Gelegenheit zur Nachfrage geben. – Herr Minister, zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben, ist schon der Hinweis wichtig: Wir haben kein Interesse daran, häufig über dieses Thema zu reden, sondern wir haben ein Interesse daran, einmal die Antworten zu bekommen, die uns auch vonseiten der Landesregierung zugesagt worden sind. Auch die Landesregierung hat deutlich gemacht, dass sie an der Stelle ehrliches Aufklärungsinteresse hat. Das haben wir ja auch bilateral besprochen.
Es geht hier nicht um zwei völlig fremde Gesellschaften, sondern um langjährige Kooperationen auch bei Mellon Asset Management, zu der der frühere WestLB-Vorstand mit hin gewechselt ist. Es gibt da also – bis in den persönlichen Bereich hinein – Gesprächsmöglichkeiten, um für die seit mittlerweile einem halben Jahr bestehende Fragestellung eine Lösung zu finden. Deshalb lautet meine Frage an Sie: Welche Wege haben Sie sonst genutzt oder werden Sie noch nutzen, um dem Parlament die Informationen zur Verfügung zu stellen, die die Landesregierung bereits im November und Dezember letzten Jahres angekündigt hat?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich finde, die Vorstellung, dass man ein früheres Vorstandsmitglied der WestLB bzw. von Portigon, das jetzt in dieses Unternehmen gewechselt ist und uns oder der Portigon ganz offenbar Informationen vorenthält, einmal zur Seite nimmt und fragt „Kannst Du uns bitte eure Betriebsgeheimisse verraten“, ist ein bisschen illusionär. Ich habe den Weg beschritten, den ich für richtig halte, nämlich gegenüber dem Vorstand der Portigon, wie ich glaube, unmissverständlich klar zu machen, dass ich erwarte, dass Portigon alle – auch rechtlichen – Möglichkeiten ausschöpft, diese Informationen zu erhalten.
Mir ist – nachvollziehbar und glaubwürdig, aber trotzdem natürlich nicht befriedigend – mitgeteilt worden, dass man keinen Weg sieht, von Meriten diese Informationen zu bekommen. Das ist ärgerlich, weil ganz bewusst von diesem Unternehmen Daten zurückgehalten werden, die für die Aufklärung der Fragen, die uns alle interessieren, von Bedeutung wären.
Ich darf mich zu Daten über die Konzernbetriebsprüfung nicht äußern. Allerdings kann ich Ihnen sagen, dass die Konzernbetriebsprüfung verschiedene Reisen im Zeitraum 2002 bis 2005 aufgegriffen und den steuerlichen Abzug als Betriebsausgabe versagt hat, dass in diesen Aufzeichnungen Namen von Teilnehmern nicht enthalten sind, dass aber die Versagung des steuerlichen Abzugs von Kundenreisen als Betriebsausgaben dazu geführt hat, dass nachversteuert werden musste. Diesen Sachverhalt kann ich mitteilen.
Ich würde gerne – ich kann das nur wiederholen – selbst wissen, wer daran teilgenommen hat bzw. was die Anlässe und die Gründe waren. Mir fehlt da aber das Zugriffsrecht. Ich kann nur darauf bauen, dass wir im Zusammenhang mit dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss den dazu notwendigen Zugriff bekommen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun hat sich Frau Kollegin Schmitz gemeldet.
Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank für das Wort, Herr Präsident. – Herr Minister, die Medien berichten, Peer Steinbrück sei in seiner früheren Rolle mit wichtigen Aufsichtsfunktionen bei der WestLB ausgestattet gewesen. Hat das Gremienmitglied Steinbrück Ihrer Ansicht nach Kenntnis vom Umstand der Lustreisen darüber gehabt oder haben können?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe es heute im Verlauf dieses Plenartages schon einmal gesagt: Man hat bei den Fragen, die Sie stellen, immer den Eindruck, als ob Peer Steinbrück schon Jahrhunderte oder mindestens Jahrzehnte Finanzminister gewesen wäre. Peer Steinbrück ist von 2000 bis 2002 Finanzminister dieses Landes gewesen. Ich kann dazu nur sagen: Durch die Übergabe der Prüfungsfeststellungen zur Körperschaftsteuer 2006 – sie hat am 26. November 2010 stattgefunden – wurde die WestLB, nicht aber der Aufsichtsrat der Bank erstmals davon in Kenntnis gesetzt, dass die Konzernbetriebsprüfung bei der WestLB Mellon Aufwendungen im Zusammenhang mit Reiseveranstaltungen für Kunden als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben einordnet. Weder der Präsidialausschuss noch der Aufsichtsrat der WestLB sind in der Vergangenheit über die Vorfälle bei der WestLB Mellon informiert worden.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön, Herr Minister. – Jetzt hat sich Kollege Ellerbrock gemeldet.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, wenn man die Pressemitteilungen verfolgt, drängt sich der Eindruck auf, dass hier Sachzusammenhänge, rechtlich problematische Zusammenhänge vielleicht sogar bewusst nicht verfolgt worden sind und dann letztendlich verjährten. Wie stehen Sie zu diesen Pressedarstellungen, politisch oder rechtlich problematische Sachverhalte seien bewusst nicht rechtzeitig verfolgt worden, obwohl sie bekannt waren?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Dagegen würde ich mich, was meine Person und auch das Ministerium angeht und was die Zeit, für die ich Verantwortung trage, betrifft, absolut verwahren. Ich muss ganz klar sagen: Ich sage nicht nur hier an dieser und an anderen Stellen, dass ich ein Interesse an dieser Aufstellung habe, sondern ich habe, als ich Kenntnis davon erlangt habe, Portigon aufgefordert, uns die notwendigen Informationen zu beschaffen. Auch habe ich keinerlei Kenntnis, dass zu irgendeinem anderen Zeitpunkt ein Interesse bestanden hätte, diesen Sachverhalt nicht aufzuklären oder verjähren zu lassen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Nun hat der Abgeordnete Wedel das Wort.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Wenn ich das gerade richtig verstanden habe, haben Sie dargelegt, dass eine Nachversteuerung stattgefunden hat. Mich würde auch interessieren, in welchem Volumen Steuern nachentrichtet worden sind.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Dazu liegen mir jetzt keine Daten vor. Das müsste ich in Erfahrung bringen. Ich weiß nur aus den mir vorliegenden Informationen, dass eben genau diese Reisen beanstandet worden sind, dass die Abzugsfähigkeit verneint worden ist und dass man aus diesem Grund in der entsprechenden Höhe nachversteuert hat.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Eine Frage kommt von der Abgeordneten Schneider von der FDP-Fraktion.
Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Borjans, das „Handelsblatt“ bezeichnet Reisen zu Sportevents nach Dallas noch als harmloses Beispiel für Lustreisen. Welche weiteren Reiseziele oder Arten der Reiseaktivitäten könnten demnach öffentlich prekärer sein?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe auch auf Nachfragen bei Portigon keine Informationen erhalten, aus denen ich ersehen könnte, dass die WestLB oder andere Teile der WestLB vergleichbare Incentives für ihre Kunden organisiert hätten.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Als Nächste hat sich Frau Kollegin Gebauer gemeldet.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Minister Walter-Borjans, ich komme noch einmal auf die Presse zurück, und zwar auf das „Handelsblatt“. Hier wird gesagt, dass die Zielgruppe der Begünstigten zum Beispiel das Leitungspersonal von Stadtwerken und Sparkassen umfasste, aber eben auch Beamte.
Meine Frage lautet, ob Ihnen bekannt ist und, wenn ja, in welchem Umfang nordrhein-westfälische Amtsträger von diesen Vorgängen betroffen sind.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das ist mir nicht bekannt. Ich kann es nur noch einmal sagen: Mir liegt keine Liste von Namen vor; die ist uns gegenüber – auch Portigon gegenüber – verweigert worden. Deswegen kann ich auch nicht ersehen, ob davon jemand Amtsträger ist oder nicht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Zweite und letzte Frage für Frau Schmitz von der FDP-Fraktion. Bitte schön.
Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, interessant ist die Frage, seit wann jeweils welcher Personenkreis und die WestLB-Eigentümer Kenntnis von den Lustreisevorgängen hatten. Wann genau ist den jeweiligen Beteiligten – und darunter insbesondere der Landesregierung – erstmals der Umstand dieser Incentives bekannt geworden?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Mir – und damit uns – ist dieser Umstand in der gleichen Art und Weise bekannt geworden, wie Sie es auch erfahren haben und wie Sie es in der Formulierung Ihrer Anfrage auch dargelegt haben: aus der Presse, wenn ich es richtig sehe, im Jahr 2012. Das Ganze basiert – das habe ich vorhin schon gesagt – auf Prüfungsfeststellungen der Körperschaftsteuer für das Jahr 2006, die der WestLB im November 2010 übergeben worden sind.
Allerdings betone ich noch einmal: Das ist von der WestLB keinem Gremium, in dem ein Vertreter der Eigentümer, der Aufsichtsrat oder Teile davon vertreten waren, mitgeteilt worden. Das musste es auch nicht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Ellerbrock, zweite und letzte Frage. Bitte schön, Herr Kollege.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, ich hatte Ihre Antwort vorhin so verstanden, dass Sie selbst ein hohes Interesse an der Aufklärung der Sachzusammenhänge haben, inwieweit rechtlich problematische Vorgänge gezielt nicht verfolgt wurden und somit verjährt sind.
Haben Sie denn Hinweise, warum dem letztendlich – hinsichtlich der Verjährung – nicht nachgegangen worden ist?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es hat ja in Parlament und Landesregierung – jedenfalls bei denjenigen, bei denen ein Interesse besteht – vor 2012 keine Kenntnis gegeben. Wir haben dann die Fragen veranlasst; darauf haben wir keine Antworten bekommen. Portigon hat uns mitgeteilt, dass Mellon diese Daten nicht zur Verfügung stellt.
Wenn wir vor diesem Hintergrund wenige Monate später über die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses reden und damit jedenfalls die bestmögliche Chance besteht, an die Informationen zu gelangen, dann halte ich das ehrlich gesagt für den wirksamsten und arbeitsökonomischsten Weg. Das ist besser, als jetzt noch einmal dieselben Fragen zu stellen in dem Wissen, dass man dieselben Antworten bekommt.
Ich habe diese Fragen an den Portigon-Vorstand gestellt. Und noch einmal: Ich lasse mir nicht nachsagen, ich hätte ein geringeres Interesse an der Aufklärung dieses Sachverhalts, wenn ich diese Fragen nicht dreimal hintereinander stelle. Ich habe nicht nur einmal nachgefragt, sondern ich habe – um deutlich zu machen, dass es mir nicht reicht, mit der Antwort „Das haben die nicht geliefert“ abgespeist zu werden – nochmals deutlich gemacht, dass ich wissen will, ob es ein Recht gibt, diese Antworten zu bekommen.
Erst als diese Frage noch einmal verneint worden ist, habe ich mich auf die Position gestellt: Nun gut, es gibt noch eine andere Möglichkeit, an diese Informationen heranzukommen, nämlich im Zusammenhang mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ich würde mir sehr wünschen, dass man dann vorbehaltlos alle notwendigen Informationen erlangt.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Dr. Stamp, bitte schön.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr Walter-Borjans. – Welche einzelnen Konsequenzen sind nach Bekanntwerden der Vorgänge durch die WestLB im Umgang mit diesen Ereignissen und zur Prävention zukünftiger Wiederholungen ergriffen worden?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe es gerade schon gesagt: Nach dem Bekanntwerden der Vorgänge habe ich mich zweimal mit – ich formuliere es mal so – zunehmender Deutlichkeit an den Vorstand der Portigon gewandt, dass es mir nicht nur um eine formal richtige Beantwortung geht, sondern dass es mir darum geht, die Informationen zu bekommen, die ich Ihnen dann zur Verfügung stellen kann.
Ich muss die Antworten zur Kenntnis nehmen, die ich bekommen habe, nämlich dass es keinen rechtlichen Zugriff gibt. Insofern war dem Vorstand der Portigon bekannt, dass hier nicht nur eine kleine Anfrage gestartet worden ist, sondern dass es ein Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts gibt.
Das Problem ist nur: Wir reden jetzt über einen Sachverhalt, der einen früheren Unternehmensteil der WestLB betrifft. Dieser Unternehmensteil ist nun verkauft und entzieht sich daher unserem Zugriff, zumindest bislang, wenn wir nicht die zusätzlichen Möglichkeiten der Erforschung in Anspruch nehmen können, die sich mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ergeben.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Frau Schneider stellt ihre zweite und letzte Frage. Bitte schön, Frau Schneider.
Susanne Schneider (FDP): Herr Minister Borjans, haben die Vorgänge rund um die Lustreisen bislang zu irgendeiner rechtlichen Konsequenz oder Bestrafung bestimmter handelnder Personen geführt?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Soweit ich es erkennen kann, ist das nicht der Fall. Aus den Unterlagen, die mir vorliegen, erkenne ich lediglich, dass ein mir namentlich nicht bekannter Kreis in den Genuss dieser Reisen gekommen ist, dass die Konzernbetriebsprüfung das nicht als Betriebsausgabe anerkannt hat, dass daraufhin eine Nachversteuerung bei dem Unternehmen veranlasst worden ist und dass sich daraus – davon gehe ich jedenfalls aus, auch wenn uns keine Informationen gegeben werden – sicher auch keine Konsequenzen für die damaligen Teilnehmer an diesen Reisen ergeben haben.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Herr Wedel, die zweite und letzte Frage. Bitte schön.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, ich hatte Ihre Darlegungen gerade so verstanden, dass aufgrund des Steuergeheimnisses entgegen der Zusage des Finanzstaatssekretärs in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses vom 6. Dezember 2012 zu den Ergebnissen der Betriebsprüfung keine Angaben gemacht werden können. Ist das so zu verstehen? Sie hatten auch ausgeführt, das sei auch gegenüber dem Untersuchungsausschuss der Fall. Stehen Sie auf dem Standpunkt, dass das Steuergeheimnis entsprechenden Angaben auch im Rahmen des Untersuchungsausschusses generell entgegensteht?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Mir ist auf konkrete Nachfrage dazu noch einmal mitgeteilt worden, dass es auch den Fragestellungen des Untersuchungsausschusses entgegensteht, das Steuergeheimnis zu verletzen. Ich habe nicht die Möglichkeit, Ihnen dem Steuergeheimnis unterliegende Daten zukommen zu lassen. Wenn ich es recht sehe, ist es aber möglich, dass sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss an das Unternehmen wendet, das jetzt im Besitz dieser Daten ist und Zugriffsmöglichkeiten hat, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Aber ich kann Ihnen auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht ohne Zustimmung des Unternehmens Steuerdaten zur Verfügung stellen.
Der Staatssekretär hat Ihnen mitgeteilt – das haben Sie auch zitiert –, dass wir Ihnen die Daten zukommen lassen, sobald sie für uns verfügbar sind. Ich kann Ihnen nur noch mal sagen, er hat das in der gleichen Weise beurteilt wie ich: Wir wollen alles tun, um Ihnen Daten zukommen zu lassen, die wir Ihnen zukommen lassen dürfen. Ich weiß jetzt, dass ich diese Erlaubnis auf der Grundlage der Wahrung des Steuergeheimnisses nicht habe.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Frau Gebauer zu ihrer zweiten und letzten Frage.
Yvonne Gebauer (FDP): Ich komme noch mal auf das „Handelsblatt“ zurück, das speziell von den Lustreisen bei der WestLB-Tochter Mellon Asset Management berichtet hat. Meine Frage, Herr Minister Walter-Borjans, lautet: Welche weiteren Konzernbereiche der WestLB haben vergleichbare Incentives für ihre Kunden organisiert? Ist Ihnen darüber etwas bekannt?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nein, die Informationen, die ich bislang von Portigon bekommen habe, geben keinen Hinweis darauf, dass auch andere Konzernteile vergleichbare Incentives für Kunden bzw. überhaupt Incentives zur Verfügung gestellt haben.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Witzel, Ihre zweite Frage. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, Sie hatten freundlicherweise bei Ihrem Vortrag eingangs und auch gerade in der Antwort auf mehrere Nachfragen zu der Frage der rechtlichen Aufklärungsmöglichkeiten im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Stellung bezogen und sich damit offensichtlich auch im Vorfeld beschäftigt.
Mir ist nicht ganz klar: Wo verläuft für Sie die Grenze? Denn Sie haben gerade einerseits den Hinweis gegeben, der beste Ort, wo man weitermachen könnte, sei dieser Parlamentarische Untersuchungsausschuss. Andererseits haben Sie direkt relativierend gesagt, eine wirklich stärkere Position gegenüber dem erwerbenden Unternehmen würde uns das auch nicht geben.
Für uns als FDP-Landtagsfraktion ist völlig klar: Es gibt ein Steuergeheimnis – ein ganz hohes Gut. Wir würden Ihnen Vorwürfe machen, wenn Sie dagegen verstoßen würden – keine Frage. Vielleicht können Sie so nett sein und noch mal darstellen, welche Handlungsbefugnisse oder ?möglichkeiten Sie im Rahmen des PUA sehen. Da können mit Strafandrohung durchaus vertrauliche Vorgänge analysiert werden.
Ich sehe das so: Wenn ein Unternehmen im öffentlichen Besitz war, steht ein Unternehmensverkauf einer Aufarbeitung der früheren Geschichte, als sich das Unternehmen noch im öffentlichen Besitz befand, nicht generell entgegen.
Deshalb die Frage an Sie: Welche Möglichkeiten sehen Sie im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss über Ihre heutigen Möglichkeiten hinaus, und wo sind die Grenzen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich muss als Nichtjurist antworten und meine Antwort unter den Vorbehalt stellen, dass Rechtsexperten möglicherweise eine andere Einschätzung vornehmen.
Nach meinem Dafürhalten ist es aber so: Wenn Portigon heute noch Informationen über Teilnahmen an solchen Reisen in den eigenen Akten hätte, kann ich mir vorstellen, dass Portigon über die Zeit vor dem Verkauf berichten müsste. Das müsste man überprüfen. Ich sehe keinen Anlass zu sagen, Portigon muss uns das nicht mehr mitteilen, weil das Unternehmen anschließend verkauft worden ist.
Ich habe die Darstellung bekommen, dass das Unternehmen quasi mit allen Akten verkauft worden ist. Damit sind die Informationen nicht mehr vorhanden und müssen aus dem jetzt verkauften Unternehmen beschafft werden. Das Unternehmen, das gekauft hat, weigert sich.
Zum Zweiten glaube ich nach meinem jetzigen Informationsstand, dass der Untersuchungsausschuss mich nicht zwingen darf, das Steuergeheimnis zu verletzen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat aber bei Androhung von Zwangsmaßnahmen oder unter Benutzung welcher Instrumente auch immer die Möglichkeit, die neue Gesellschaft aufzufordern, die Informationen zur Verfügung zu stellen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Die dritte und letzte Frage von Herrn Witzel. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, ich habe eine letzte Frage zu den seinerzeitigen Verantwortlichkeiten, als sich Mellon Asset Management noch als Teil im alten WestLB-AG-Konzern befand.
Es muss für das, was das „Handelsblatt“ berichtet hat – falls die Angaben über Umfang, Dimensionierung und Brisanz dieser Incentive-Reisen zutreffend sind – Verantwortlichkeiten gegeben haben. Verantwortlich waren sowohl diejenigen, die das geschäftsleitend im operativen Betrieb genehmigt haben, als auch die Aufsichtsgremien, die über solche Vorgänge Kenntnis haben müssen – zumindest dann, wenn die juristische Komponente ins Spiel kommt und Anwaltskanzleien etwa mit Gutachten, vorbereitenden Sonderprüfungen etc. beauftragt werden.
Wo liegen denn die Verantwortlichkeiten sowohl im laufenden operativen Geschäft als auch in der Aufsicht nach dem, was bekannt geworden ist? Welche Stellen und Personen sind da involviert nach den Zuständigkeiten, die es zum seinerzeitigen Zeitpunkt dort bei der WestLB gegeben hat?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann Ihnen noch einmal sagen, dass es sich um die Prüfungsfeststellungen aus dem Jahr 2006 handelt und die Jahre 2002 bis 2005 betrifft.
Nach den von mir erfragten und mir gegebenen Informationen ist über diese Sachverhalte den Gremien – dem Aufsichtsrat, dem Präsidialausschuss – der WestLB nicht berichtet worden. Wenn es so ist, dass aufgrund der Überprüfung der Abzug als Betriebsausgabe rückgängig gemacht bzw. versagt worden ist und sich eine Nachversteuerung ergeben hat, dann ist das natürlich aus Sicht des Fiskus im Prinzip damit erledigt.
Auf der anderen Seite hat es bis bis zum letzten Jahr keine Kenntnis darüber gegeben – jedenfalls in den Gremien nicht –, dass es diese Incentives gab. Auch das ließe sich meines Erachtens am besten in dem gesamten Fragekomplex aufarbeiten, mit dem wir uns in den nächsten Monaten und Jahren beschäftigen wollen.
Ich kann nur noch einmal sagen: Wenn mir die Liste vorläge oder ich eine Möglichkeit hätte, an eine solche Liste zu kommen – ich würde sie gerne auch dem Parlament zur Verfügung stellen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Walter-Borjans. Ich habe jetzt keine weiteren Fragen, und damit ist die Mündliche Anfrage 18 erledigt.
Ich rufe die
– ebenfalls aus der letzten Fragestunde – auf. Frau Abgeordnete Schmitz von der FDP-Fraktion und Herr Kollege Josef Wirtz von der CDU-Fraktion haben gemeinsam die folgende Frage gestellt:
Was tut die Landesregierung, um einen Baubeginn der Ortsumgehung Frauwüllesheim in 2014 zu ermöglichen?
Für das Haushaltsjahr 2013 hat die Landesregierung massive Kürzungen im Bereich des Landesstraßenbaus vorgenommen. Entgegen der erklärten Absicht der Landesregierung unterbleibt die Umverteilung der Mittel zugunsten des Erhalts der Landesstraßen.
Die Einsparungen beim Neubau spiegeln sich nachweislich nicht in einer entsprechenden Anhebung des Erhaltungsansatzes wider. In der Folge unterbleiben Erhaltungsinvestitionen und dringend erforderliche Neubaumaßnahmen, wie die seit 2010 unanfechtbar baureife Ortsumgehung L 264n – Frauwüllesheim. In dem hochgradig vom Verkehr belasteten Ort treffen vier Landesstraßen aufeinander. Seit dem Regierungswechsel 2010 werden die Menschen der Gemeinde Nörvenich und der Ortschaft Frauwüllesheim vertröstet – eine Aufnahme der Umgehungsmaßnahme in das jährlich fortzuschreibende Landesstraßenbauprogramm erfolgt nicht. Wiederholt haben sich die Bürgerinnen und Bürger und ihre gewählten Vertreter in Gesprächen, mit Anschreiben, Unterschriftensammlungen und Resolutionen an die zuständigen Minister Voigtsberger und Groschek gewandt, zuletzt im März 2013 – ohne Erfolg. Eine Zusage für die Aufnahme in das Landesstraßenbauprogramm 2014 steht aus.
Was tut die Landesregierung, um einen Baubeginn der Ortsumgehung Frauwüllesheim in 2014 zu ermöglichen?
Jetzt hat Herr Minister Groschek die Möglichkeit, zu antworten. Bitte schön, Herr Minister.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Danke. – Die Landesregierung bleibt dabei: Die Erhaltung von Landesstraßen mit ihren Brücken und sonstigen Bauwerken hat Vorrang vor dem Neubau von Landesstraßen.
Neubau und Erhaltung verteilen sich wie folgt: Für den Neubau von Landesstraßen waren 2012 im Ansatz noch 53 Millionen € vorgesehen. In 2013 liegt der Finanzmittelansatz bei 44 Millionen €. So können wir erreichen, dass alle laufenden Bauprojekte weitergeführt werden und keine Baustellenruinen entstehen. Gleichzeitig haben wir in der Erhaltung für die Landesstraßen den Ansatz 2012 von 80,45 Millionen € auf 85,055 Millionen € angehoben.
Was die L 264, Ortsumgehung Nörvenich-Frauwüllesheim, betrifft, hat der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr in seiner Sitzung am 10. Januar 2013 das Landesstraßenbauprogramm 2013 erörtert und dabei das Benehmen hergestellt. Demnach stehen für den Bau dieser Ortsumgehung aufgrund der angespannten finanziellen Situation im Landeshaushalt auch im Jahre 2013 keine ausreichenden Finanzmittel bereit. Entsprechend konnte eine Neuaufnahme dieses Projekts in das Landesstraßenbauprogramm 2013 nicht erfolgen.
Die baurechtlichen Voraussetzungen für die Realisierung dieses Vorhabens bleiben vom Grundsatz her unverändert bestehen. Das Projekt ist im Landesstraßenbedarfsplan in Stufe 1 gesetzlich abgesichert und verfügt über einen bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss.
Ein Baubeginn und die Baudurchführung werden von den finanziellen Möglichkeiten der kommenden Jahre abhängen. Entsprechend wird im Rahmen der Aufstellung des Landesstraßenbauprogramms 2014 in diesem Gremium gemeinsam mit Ihnen über das Projekt beraten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wirtz hat eine erste Frage. Bitte schön, Herr Kollege Wirtz.
Josef Wirtz (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade zum Schluss geantwortet, dass im Rahmen der Haushaltsberatung für das Jahr 2014 das Parlament darüber befinden soll. Nun ist es ja üblich, dass das Ministerium und Sie als Minister dem Fachausschuss für Bauen und Verkehr die Vorschläge unterbreiten, wie laufende Maßnahmen im Landesstraßenneubauprogramm weiter finanziert werden und ob neue Maßnahmen dazukommen.
Deshalb frage ich Sie: Würden Sie denn für das Landesstraßenbauprogramm für 2014 dem Parlament den Vorschlag machen, dieses Projekt L 264, Nörvenich-Frauwüllesheim, mit aufzunehmen?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Dazu kann ich Ihnen heute keine qualifiziert belastbare Aussage machen, weil ich nicht weiß, wie der Landeshaushalt 2014 aussehen wird und welches Benehmen bezüglich des Landesstraßenbauprogramms 2014 im Ausschuss hergestellt wird.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Frau Schmitz hat eine Frage. Bitte schön, Frau Schmitz.
Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank für das Wort, Herr Präsident. – Herr Minister, welche Ziele verfolgt die Landesregierung mit der Kürzung der Mittel für das Landesstraßenausbauprogramm – die ja mit einer noch höherrangigen Priorisierung von Erhaltungsprojekten begründet wurde –, wenn die Umschichtung für die Erhaltung nicht ankommt und der Substanzverzehr ungebremst fortschreitet?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Dazu kann ich mehrschichtig antworten.
Die erste Antwort ist: Es gibt neben dem reinen Umschichten auch das Beachten der sogenannten Schuldenbremse. Mit der sogenannten Schuldenbremse ist verfassungsrechtlich vorgegeben, dass das Land Nordrhein-Westfalen 2020 die Schuldenbremse einhalten muss – und es wird sie einhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die Landesregierung mit Rückendeckung einer Landtagsmehrheit dazu verpflichtet, den Landeshaushalt zu konsolidieren oder, anders formuliert, im Landeshaushalt strukturelle Einsparungen vorzunehmen.
Von diesen strukturellen Einsparungen zum Erreichen der verfassungsrechtlich vorgegebenen Schuldenbremse ist auch der Straßenbau- und Verkehrsetat des Landes Nordrhein-Westfalen betroffen. Deshalb ist es in sich logisch, dass die Umschichtungen nach dem Prinzip „Erhalt geht vor Neubau“ niemals voll kompensatorisch sein können, weil ja dann kein Eigenbeitrag zum Erreichen der Schuldenbremse immanent wäre.
Weil wir jedoch einen Eigenbeitrag auch aus dem Straßenbereich – Straßenerhalt, Straßenneubau – zum Erreichen der Schuldenbremse liefern müssen, wird es voraussichtlich – es sei denn, der Landtag beschließt etwas anderes – auch beim Landeshaushalt 2014 so sein, dass die Mittel für den Straßenerhalt deutlich über den Mitteln für den Straßenneubau liegen und wir gleichwohl aus dem Etat des Ministeriums, den ich verantworten darf, einen erheblichen Beitrag zur Konsolidierung im Landeshaushalt 2014 werden leisten können und müssen, um zu erreichen, dass das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel der Schuldenbremse 2020 in Nordrhein-Westfalen auch garantiert erreicht wird.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Auf dem Platz von Herrn Kruse hat sich Herr Schemmer gemeldet. Bitte schön, Herr Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Danke, Herr Präsident. Ich sitze auf meinem Platz, habe aber das andere Mikro genommen. Doch so kleinlich sind wir nicht.
Herr Minister, Sie haben eben unter Weglassen anderer Dinge vorgetragen, dass „Erhalt vor Neubau“ in der Summe 80,5 Millionen € plus 52 Millionen € in 2012 und 85,5 Millionen € plus 44 Millionen €, also rund 130 Millionen € in 2013 bedeutet, während Schwarz-Gelb im Jahr 2009 79 Millionen € plus 67 Millionen € gleich 146 Millionen €, also über 10 % mehr, ausgegeben hat.
Sie haben das damit begründet, dass Sie einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten haben.
Meine Frage: Wenn sich das Haushaltsvolumen unter Rot-Grün vom Nachtrag 2010 bis 2013 um rund 20 % erhöht hat, wäre dann nicht schon nur das Beibehalten der alten Beträge bereits eine Kürzung von 20 % gewesen und ist insofern das darüber hinaus vorgenommene Kürzen nicht ein Doppelkürzen, was im Straßenbaubereich bei den maroden Straßen stattgefunden hat?
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Bei allem gebotenen Respekt, sehr geehrter Herr Abgeordneter Schemmer: Wenn ich eine solche Rechnung aufgemacht hätte, wie Sie sie gerade aufgemacht haben, würde ich mich nicht dagegen wehren, wenn Sie mir entgegenhalten würden, das sei eine Milchmädchenrechnung.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es gibt neben dieser pauschalen Charakterisierung auch viele Hinweise auf Haushaltssteigerungen, die extern zu verantworten sind.
Im Übrigen wissen Sie, dass die Ministerpräsidentin und die Landesregierung wie die sie tragenden Fraktionen sich darauf verständigt haben, zur Stärkung der Präventionspolitik drei herausragend wichtige Bereiche besonders zu behandeln. Darunter fällt einmal die besondere finanzielle Fürsorge für den Bereich Kinder, zweitens die besondere finanzielle Fürsorge für den Bereich Bildung und drittens die besondere finanzielle Fürsorge für den Bereich Kommunen. In diesem Dreiklang spiegelt sich auch die Schwerpunktsetzung der Landesregierung wider.
Jetzt wissen Sie wie ich, dass sich der Zustand der Infrastruktur in den letzten 15 bis 20 Jahren so dramatisch verschlechtert hat, dass ein enormer Erneuerungsbedarf sowohl der Straßen als auch der Schienen als auch der Wasserstraßen nicht zu leugnen ist.
Deshalb gibt es auch ein großes Einvernehmen der Länderverkehrsminister mit dem Bundesverkehrsminister, dass die entstandene Deckungslücke von 7,2 Milliarden € bundesweit für den Erhalt und Betrieb der schon vorhandenen Infrastruktur dringend mobilisiert werden muss.
Einvernehmlich gibt es von Länderverkehrsministern und vom Bundesverkehrsminister dazu die klare Positionierung, dass die Finanzierung zur Behebung dieser Defizite nur in einem Dreiklang erfolgen kann. Der Dreiklang besteht aus Sparanstrengungen durch Standardisierung und Standardüberprüfung und aus einem erhöhten garantierten Steuerzuschuss zur Instandsetzung der Infrastruktur durch den Bund.
Das kritisiert implizit auch das Vorgehen der Bundesregierung, seit 2011 massiv bei der Verteilung von Mauteinnahmen zu kürzen. Der Vorababzug von 1,5 Milliarden € an der eingenommenen Lkw-Maut ist unverantwortlich gemessen am Investitionsstau, vor allen Dingen in Westdeutschland. Deshalb hoffe ich, dass nach dem 22. September auch mit dieser finanzpolitischen Unverantwortlichkeit Schluss ist.
Neben der Stabilisierung der Steuerausgaben müssen wir gesondert über eine Erhöhung der Nutzergebühren befinden. Da gibt es zwei unterschiedliche Denkmodelle. Die Mehrheit im Landtag Nordrhein-Westfalen hat, wie Sie wissen, sehr überzeugend und vernünftig – wie ich finde – beschlossen, eine Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut umzusetzen, während sich der Bundesverkehrsminister dagegen wehrt und seinerseits die Einführung einer Pkw-Vignette, einer Pkw-Maut, fordert.
Das kann ich nur ablehnen, und zwar deshalb, weil die Pkw-Maut im Grunde nicht verursachergerecht eine Kostenbeteiligung zum Beseitigen des Investitionsstaus unserer nationalen Infrastruktur bedeuten würde, sondern dies vielmehr durch eine Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut gegeben ist.
Denn jedes Prozent Wachstum im Internethandel beispielsweise führt überproportional zu einer Belastung der Kommunal- und Landesstraßen, teilweise auch der Bundesstraßen. Warum? Weil all das, was wir bei Amazon oder Zalando bestellen, natürlich nicht durch das Netz, sondern durch die sogenannten Sprinter-Lieferverkehre geliefert wird. Wir haben beim Internethandel eine wesentlich größere Umtauschhäufigkeit. Das heißt, jedes Prozent Wachstum im Internethandel bedeutet ein Vielfaches an Straßenabnutzung und Verursachung von Straßenschäden.
Dass verursachergerecht unter Kostengesichtspunkten zu verteilen, erzwingt geradezu die Mautpflicht für die Nutzung von Kommunal-, Landes- und Bundesstraßen über das Netz der Bundesautobahnen hinaus.
Die Vertiefung in Richtung geringerer Gewichtsklassen ergibt sich aus dem Anwachsen gerade der Logistikverkehre in den unteren Lkw-Gewichtsklassen. Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen äußert sich mir gegenüber in Anerkenntnis dieser Gerechtigkeitslogik unter der einzigen Bedingung, dass aus Sicht der nordrhein-westfälischen Wirtschaft gewährleistet sein muss, dass zusätzliche Maut-Einnahmen wirklich 1:1 in die Beseitigung des Investitionsstaus fließen und nicht in allgemeinen Konsolidierungskassen auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene verschwinden.
Deshalb setzte ich mich nachdrücklich dafür ein, dass die Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut mit dem Einrichten eines Fonds- oder Kontenmodells einhergeht, das zugriffssicher vor den Finanzministern der Länder und des Bundes garantiert, dass die zusätzlich zu akquirierenden Maut-Einnahmen in die Beseitigung des Investitionsstaus unserer Infrastruktur fließen, wobei ich davor warnen möchte, an einer überkommenen Spartenfinanzierungsideologie festzuhalten. Wir dürfen nicht Straße mit Straßenmitteln, Schiene mit Schienenmitteln finanzieren, sondern wir müssen Mobilitätsgarantien auch über die Beseitigung des Investitionsstaus bewerkstelligen. Das funktioniert nur, wenn wir begreifen, dass beispielsweise ein schnellstmöglich einzurichtender Rhein-Ruhr-Express real 30.000 Pkw von den Straßen holt.
Das wäre ein riesiger Fortschritt, und zwar – erstens – zur Beseitigung eines künftigen Reparaturstaus auf unseren Straßen, zweitens eine Entlastung der Umwelt und drittens ein Stück vorbildliche Organisation des öffentlichen, schienengebundenen Verkehrs sowie eine Erleichterung für die Pendlerinnen und Pendler.
Sie erkennen, dass sich die Landesregierung mit ihrer pointierten, akzentuierten und sehr bewussten finanzpolitischen Festlegung nach dem Motto „Erhalt geht vor Neubau“ im Straßen-, Schienen- und Wasserstraßenbereich einer Logik anschließt, die für die absolute Mehrheit der Länderverkehrsminister und im Prinzip für den Bundesverkehrsminister gilt mit der Ausnahme: Herr Ramsauer will die Pkw-Fahrer belasten. Die Mehrheit der Länderverkehrsminister teilt nach meinem Eindruck jedenfalls die nordrhein-westfälische Position und will durch eine Verbreiterung der Lkw-Maut den Investitionsstau verursachergerecht beseitigen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wedel hat eine Frage. Bitte schön, Herr Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Herr Minister. – Welche Bedeutung hat der Einplanungsverzicht 2013 für die in der Koalitionsvereinbarung enthaltene Aussage – ich zitiere –: Wir konzentrieren uns bei der Finanzierung der Projekte des Landesstraßenbedarfsplans auf die innerhalb der Prioritätenliste festgelegten Projekte, weil damit die Neubaumittel für die nächsten Jahre ausgeschöpft sein werden?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Das tun wir. Und dieses Prinzip bleibt gültig.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wirtz hat das Wort für seine zweite Frage.
Josef Wirtz (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, das Projekt „Ortsumgehung Frauwüllesheim“ ist in der Region, wie Sie wissen, unumstritten. Sie erkennen das auch anhand der vielen Anschreiben, die Sie – versehen mit Unterschriftenlisten – von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch gewählten Vertretern aus Nörvenich bekommen haben.
In einem Schreiben hat ein Ratsvertreter der Gemeinde Nörvenich sorgenvoll die Frage gestellt: Was passiert eigentlich, wenn 2015 das Baurecht verfällt? – Sie erwähnten eben, dass wir seit gut drei Jahren Baurecht haben. Bekanntermaßen verfällt ein rechtskräftiger Planfeststellungbeschluss nach fünf Jahren.
Sie haben ihm mit Brief vom 22.02. geantwortet, dass der Landesbetrieb Straßen.NRW Sorge dafür tragen werde, dass der bestandskräftige Planfeststellungsbeschluss über das Jahr 2015 hinaus seine Gültigkeit behält.
Ich frage Sie: Kann man daraus schließen, dass Sie nicht vorhaben, in den nächsten beiden Jahren dem Ausschuss für Bauen und Verkehr dieses Projekt der „Ortsumgehung Frauwüllesheim“ vorzuschlagen und gleichzeitig mit einer Anschubfinanzierung zu versehen?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Nein, das kann man daraus nicht schließen, sondern im Gegenteil: Man kann daraus schließen die hohe Wertschätzung, die der Landesbetrieb gegenüber der Bedeutung dieses Projektes äußert, wenn er seine Sorgfaltspflicht so interpretiert, auf jeden Fall und garantiert sicherzustellen – selbst wenn kein Benehmen mit dem Ausschuss in dieser Sache zu erzielen sein sollte –, dass diese Baumaßnahme 2014 vollumfänglich Rechtsbestand erhält und so priorisiert bleibt, wie die Baumaßnahme jetzt priorisiert ist.
Ich würde Ihnen gegenüber anmaßend argumentieren, wenn ich als Nicht-Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags der Haushaltsbeschlussfassung dieses Hohen Hauses vorgreifen würde und so täte, als könnte ich verfügen, wie der Haushalt 2014 aussieht. Ein solches Recht würde ich mir als Nicht-Abgeordneter nie anmaßen. Deshalb will ich mich dazu auch nicht weiter äußern.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Frau Schmitz zu ihrer zweiten Frage. Bitte schön.
Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister Groschek, für welche weiteren prioritären Projekte ist ein Realisierungsstopp wie in Frauwüllesheim noch zu erwarten?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Wir haben im Jahre 2013 von einer ganzen Reihe von an und für sich, prinzipiell und im Grundsatz zu realisierenden und wünschenswerten Projekten Abstand nehmen müssen, weil die Konzentration bei den Neubaumaßnahmen ausschließlich den Projekten galt, die als Baustelle begonnen waren.
Deshalb hat die Landesregierung im Benehmen mit dem Ausschuss die Zielsetzung erreicht, dass keine Baustellenruinen im Land offen bleiben.
Wir haben gleichwohl der Priorisierung der Erhaltungsmaßnahmen dadurch Ausdruck verliehen, dass, wie bereits mehrfach festgestellt, im Neubaubereich deutlich gekürzt wurde, im Straßenerhalt der Ansatz merklich – wenn auch nicht in wünschenswert idealer Weise – erhöht wurde, sodass ich jetzt nicht definitiv prognostizieren kann, wie eine entsprechende Perspektive 2014 aussehen wird. Das werden wir gemeinsam erörtern können, wenn das Benehmen zum Landesstraßenbauprogramm im Ausschuss 2014 hergestellt sein wird.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Ellerbrock freut sich auf seine Frage. Bitte schön, Herr Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, Sie haben eben Ihrer Hochachtung vor dem Landesgesetzgeber als Haushaltsgesetzgeber deutlich Ausdruck verliehen. Aber der Landesgesetzgeber hat Ihnen im Ministerium in der Weisheit, dass dem Ministerium manchmal flexible Entscheidungen möglich gemacht werden müssen, einen Sammeltitel für Baumaßnahmen eingerichtet.
Können Sie sich vorstellen, dass aus diesem Sammeltitel nicht das Projekt, aber zum Beispiel schon einmal der Grunderwerb getätigt werden kann?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Ellerbrock, ich hoffe, Sie wissen, dass ich mir sehr vieles vorstellen kann. Manches von dem, was ich mir vorstellen kann, setze ich praktisch mit Hilfe der politischen Gremien auch um.
Was dieses konkrete Projekt der Ortsumgehung angeht, will ich mich hier nicht festlegen. Ich will nicht ausschließen, dass es kreative Lösungen geben könnte. Zunächst werde ich bestrebt sein, möglichst viele prioritär qualifizierte Projekte im Benehmen mit dem Ausschuss umzusetzen. Dann muss man sehen, welche Möglichkeiten sich an welcher Stelle ergeben. Die Ortsumgehung, über die wir hier sprechen, ist nicht die einzige, die aus Sicht der Betroffenen völlig zu Recht mit hoher Priorität versehen ist. Da müssen wir gemeinsam einen gerechten Ausgleich formulieren.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Schemmer stellt seine zweite und letzte Frage.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, bei der Erhöhung eines Haushaltsvolumens um 20 % und gleichzeitiger Streichung des Bereiches für Erhalt und Neubau von Straßen um 10 % ist die Partizipation am Haushalt für den Bereich Landesstraßen um 30 % gesunken. Da kann nun jeder rechnen, wie er will; das ändert nichts. Es macht gleichzeitig die Bedeutung des Bereiches Verkehr bei dieser Landesregierung klar.
Daraus ergibt sich die Frage: Welche planfestgestellten Straßen – einschließlich des Investitionsvolumens – liegen gleich dieser noch vor, bei denen die Planfeststellung 2012 bzw. früher vorlag, die aber noch nicht begonnen worden sind?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Abgeordneter Schemmer, die Frage will ich Ihnen gerne beantworten, obwohl diese Fragestellung überhaupt gar nichts mit der Mündlichen Anfrage zu tun hat, über die wir hier debattieren und die zugelassen wurde. Gleichwohl sage ich Ihnen zu, dass ich Ihre unkonventionell und nicht gerade formgerecht vorgetragene Frage parlamentarisch ernst nehme und schriftlich beantworten werde.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Möbius hat eine Frage. Bitte schön.
Christian Möbius (CDU): Herr Minister, was gedenken Sie im Ministerium konkret bis zum Verfall des Baurechts in zwei Jahren zu tun, um die Ortsumgehung Frauwüllesheim voranzutreiben?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich gedenke vor allen Dingen, den Landesbetrieb Straßen darin zu bestärken, seiner Sorgfaltspflicht Ausdruck zu verleihen und dafür Sorge zu tragen, das Baurecht nicht verfallen zu lassen. Der hochqualifizierte und prioritär behandelte Status dieser Ortsumgehung ist aufrechtzuerhalten, und zwar unabhängig vom realen Benehmen in 2014 zum Landesstraßenbauprogramm mit dem entsprechenden Fachausschuss.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Herr Rasche hat eine Frage.
Christof Rasche (FDP): Herr Minister, vielen Dank. – Ich gehe auf Ihre Äußerungen zum Bundesverkehrswegeplan und zur Lkw-Maut ein. Sie fielen aus Ihrer Sicht mit in die Beantwortung der Mündlichen Anfrage.
Sie haben das Defizit bei der Verkehrsinfrastruktur mit 7,2 Milliarden € beziffert. Sie haben die Ausweitung oder Vertiefung der Lkw-Maut vorgeschlagen. Von allen Experten – die übrigens auch Sie beraten – hören wir, dass dabei maximal 1 bis 2 Milliarden € herauskommen können. Damit bliebe immer noch ein Defizit in Höhe von 5,2 bis 6,2 Milliarden €. Das muss aus unser beider Sicht irgendwie gedeckt werden. Das geht nicht allein durch Effizienz. Wo sind da Ihre Ansätze, wenn Sie weitere Einnahmen ablehnen?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Rasche, zusammen mit anderen Mitgliedern werde ich die große Ehre und das Vergnügen haben, der Bodewig-Kommission anzugehören. Wir nehmen demnächst die Arbeit auf. Im Rahmen dieser Kommissionsarbeit, die am 27. September dieses Jahres mit der Vorlage eines Maßnahmenkatalogs und einer anschließenden Wertung durch die Sonderverkehrsministerkonferenz am 2. Oktober ihr Ende finden wird, werde ich meine Vorstellungen zur Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut einbringen. Ich gehe davon aus, dass die potenziellen Einnahmen höher sein werden als die von Ihnen zitierten Größenordnungen.
Daneben bin ich mir sicher, dass zum Beispiel bei einem Regierungswechsel am 22. September im Rahmen der dann zu vereinbarenden Koalitionsgrundlagen mindestens 2 Milliarden € dauerhaft mehr für die Infrastruktur zur Verfügung stehen.
(Zustimmung von Jochen Ott [SPD])
Das jedenfalls ist im Regierungsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nachzulesen. Andere Parteien sind eingeladen, diesem guten Beispiel zu folgen bzw. es zu übertreffen, sodass das Delta dann geringer würde.
Ich glaube jedenfalls, die Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur wird auch nach dem Wahlkampf nicht mehr wegzudrücken sein, sondern auf der Tagesordnung bleiben. Auch die Wirtschaft hat begriffen, welch große Herausforderung damit verbunden ist. Ich bin sicher, auch die Gewerkschaften werden sich dieses Themas öffentlich noch intensiver annehmen. Hinter den vermeintlichen Wirtschaftsinteressen stehen natürlich auch Arbeitsplatzinteressen. Arbeitsplatzinteressen sind ganz dominant Gewerkschaftsinteressen, sodass wir mit einem größeren außerparlamentarischen Bündnis zu rechnen haben. Uns, denen dieses Politikfeld naheliegt, kann das nur recht und lieb sein. Außerparlamentarische Bewegungen an dieser Stelle zu unterstützen wird mir eine besondere Ehre sein.
(Zustimmung von Jochen Ott [SPD])
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Wirtz stellt seine dritte und letzte Frage. Bitte schön, Herr Wirtz.
Josef Wirtz (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine letzte Frage ist ganz kurz und knapp, Herr Minister. Ist es richtig, dass die Ortsumgehung Frauwüllesheim das einzige Projekt in Nordrhein-Westfalen ist, das über bestandskräftiges Baurecht verfügt, bei dem mit dem Bau aber noch nicht begonnen wurde?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: In diesem Punkt verlasse ich mich auf meinen Fachexperten aus dem Haus. Sein Kopfschütteln deute ich so, dass ich Ihnen mit Nein antworten sollte, wenn ich mich auf die Fachlichkeit verlasse. Das tue ich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Ellerbrock mit seiner zweiten und letzten Frage.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, werden Sie mit der Ihnen eigenen Kreativität und der Kreativität Ihres Hauses versuchen, den Ausschuss davon zu überzeugen, dass die kreative Mittelverwendung aus dem Sammeltitel hinsichtlich des Grundstückskaufs für diese Straße sinnvoll ist? Kann ich Ihre Antwort auf meine eben gestellte Frage hinsichtlich des Sammeltitels und Grunderwerbs dahin gehend verstehen und mich darauf verlassen?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sie können sich darauf verlassen, dass wir überall dort möglichst viel sinnvoll und politisch im Benehmen festgelegten Straßenbau betreiben wollen, wo er trotz der Priorisierung „Erhalt vor Neubau“ unabweisbar, klug und rational nachvollziehbar ist.
Ob das jetzt dieses konkrete Projekt allein oder auch weitere Projekte betreffen wird, könnten wir dann sinnvoll erörtern, wenn das Benehmen zum Landesstraßenbauprogramm 2014 hergestellt worden ist und wir gemeinsam wissen, ob dieses Projekt Eingang gefunden hat in dieses Benehmen zum Landesstraßenbauprogramm 2014 oder nicht. Das wiederum wird abhängig sein von der Ausstattung des Landeshaushaltes in den unterschiedlichen Haushaltstiteln, und zwar immer unter der Maßgabe, dass alle Ressorts aufgerufen sind, einen angemessenen Beitrag zum Erreichen der Schuldenbremse des Landeshaushaltes zu leisten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister. – Herr Rasche hat das Wort für seine zweite und letzte Frage. Bitte schön.
Christof Rasche (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie sprachen in Ihrer Schilderung bei einer eventuellen Vertiefung der Lkw-Maut und zusätzlichen Einnahmen von einem Fondsmodell, mit dem man den Eingriff des Finanzministers verhindern kann. Wir haben diese Diskussion schon einmal bei der Lkw-Maut gehabt, wo reichlich Geld hereingekommen ist, auf der anderen Seite aber der Verkehrshaushalt reduziert wurde. Wenn wir jetzt bei diesem Fondsmodell das Geld im Fonds lassen, aber dem Finanzminister ermöglichen, dass er weiterhin den Verkehrshaushalt reduzieren kann, kommt am Ende doch erneut kein Euro mehr dabei heraus. Wie können wir denn da das Gesamtergebnis sichern?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Im Grunde ganz einfach, wenn man meinem Vorschlag parteiübergreifend vollumfänglich folgen würde, eine Gemeinschaftsinitiative unter dem Titel „Wir reparieren Deutschland“ zu starten. Teil dieser Gemeinschaftsinitiative wäre die verbindliche Verabredung über 15 Jahre, das Delta von 7,2 Milliarden € im Bund zu schließen mit den entsprechenden Verteilungseffekten auf Bund, Länder und Gemeinden und den entsprechenden Verteilungseffekten auf Straßen, Wasserstraßen und Schienenverkehrswegen. Diese Gemeinschaftsinitiative „Wir reparieren Deutschland“ fände ich eine angemessene Antwort auf die riesigen Infrastrukturherausforderungen, die dokumentiert sind. Sie wurden zuletzt dokumentiert durch die sogenannte Daehre-Kommission und schon fast vollumfänglich zuvor durch das Gutachten im Jahr 1999 durch die Pällmann-Kommission. Ich glaube, dass die Daehre-Kommission, von deren Sachkompetenz wir uns auch beim Vortrag von Dr. Daehre im Ausschuss hier im Landtag überzeugen konnten, eine höhere Durchschlagskraft hatte.
Hinzu kamen sehr versinnbildlichende Beispiele einer desaströsen Infrastruktur durch die Teilsperrung der Bundesautobahnbrücke A1 Rheinquerung Leverkusen und durch die desaströse Schleusenproblematik des Nord-Ostsee-Kanals in Schleswig-Holstein, quasi der A1 zur See; denn auf diesem Kanal liegen vergleichbare Verkehrsfrequenzen.
Wenn wir dazunehmen, dass das Bundeseisenbahnamt in einer Pressemeldung, die Herr Dr. Grube immer wieder selbst bestätigt, dargestellt hat, dass 1.400 Bahnbrücken in Deutschland – 270 davon in Nordrhein-Westfalen – dringend reparaturbedürftig sind und nahe an einem Verfallszustand sind wie die gesperrte Müngstener Brücke, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat zur Ertüchtigung unserer Infrastruktur. Dann kann man auch nachvollziehen, warum der Bundesverkehrsminister inzwischen vollumfänglich die von Rot-Grün vertretene Landtagsposition teilt „Erhalt geht vor Neubau“ und alle Länder – auch sein eigenes – auffordert, die Meldungen zum Bundesverkehrswegeplan kritisch zu überprüfen, weil er es anmaßend findet, abweichend vom Prinzip „Erhalt geht vor Neubau“ Meldungen zum Bundesverkehrswegeplan einzureichen. Seine Mahnung ist: Als Allererstes kommt Erhalt, dann kommt Erhalt, dann kommt Erhalt, dann kommt Engpassbeseitigung, Lückenschluss und Ausweiten von Autobahnkreuzen. Wenn dann noch Geld übrig sein sollte, so Herr Bundesverkehrsminister Ramsauer, dann können wir über reale Neubaumaßnahmen im Straßenbau reden.
Ich hoffe, dass das für die Schienenverkehrswege ein wenig anders akzentuiert wird. Denn da brauchen wir dringend Schienenneubaumaßnahmen in Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen dringend das überfällige dritte Gleis der Betuwe-Lijn, wir brauchen dringend die notwendigen Infrastrukturausweitungen insbesondere zwischen Köln, Bonn und Dortmund, was die künftige Rhein-Ruhr-Express-Linienführung angeht, wir brauchen weiter dringend den zweigleisigen Ausbau der Strecke Lünen–Münster, um endlich Westfalen angemessen schienenmäßig anzubinden. Ich finde es skandalös, dass der Bundesverkehrsminister sich weigert, diese Westfalen-Tangente endlich zu ertüchtigen. Westfalen und das Münsterland haben eine adäquatere Behandlung verdient.
All das hat letztendlich indirekt Auswirkungen auch auf die Fragestellung, was wir mit der Landesstraßen-Ortsumgehung Frauwüllesheim machen. Denn das Benehmen des Ausschusses zum Landesstraßenbauprogramm 2014 wird auch davon abhängen, inwieweit das Land gezwungen sein wird, Deckungslücken zu schließen, die der Bundeshaushalt lässt.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Es liegen keine weiteren Fragen vor. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Wir müssen dann noch über die Beantwortung der offenen Mündlichen Anfragen sprechen.
Herr Kollege Witzel, wie wollen Sie verfahren?
(Ralf Witzel [FDP]): Das nächste Mal aufrufen!)
– Also mündliche Beantwortung.
Frau Kollegin Schmitz, soll die Anfrage das nächste Mal aufgerufen oder schriftlich beantwortet werden?
(Ingola Schmitz [FDP]: Aufrufen!)
- Auch mündliche Beantwortung. Das wird so zu Protokoll genommen und dann, wie ich dieses Hohe Haus kenne, auch so passieren.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2880
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Landesregierung dem Finanzminister, Herrn Dr. Walter-Borjans, das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt in erster Lesung der Gesetzentwurf zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen vor.
Mit diesem Gesetz soll in erster Linie das für die Tarifbeschäftigten der Länder am 9. März erzielte Verhandlungsergebnis auf die verbeamteten Beschäftigten des Landes und der Kommunen übertragen werden.
Der Inhalt des Gesetzentwurfes ist mittlerweile hinreichend bekannt und viel diskutiert. Ich will noch einmal kurz darstellen, was die Eckpunkte unserer Entscheidungen und unserer Vorlage sind.
Wir wollen für die Beamtinnen und Beamten bis einschließlich Besoldungsgruppe A 10 die zeit- und wirkungsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses vornehmen, das heißt eine lineare Erhöhung der Grundgehälter um 2,65 % für das Jahr 2013 und um 2,95 % für das Jahr 2014.
Wir wollen für die Besoldungsgruppen A 11 und A 12 eine lineare Erhöhung der Grundgehälter vornehmen: in den Jahren 2013 und 2014 jeweils um 1 %.
Wir wollen für die Pensionäre entsprechende Anpassungen der Versorgungsbezüge vornehmen.
Für Anwärterinnen und Anwärter wollen wir die Anwärtergrundbeträge erhöhen, so wie es für die gesamten Tarifbeschäftigten gilt, nämlich um 50 € im Jahr 2013 und linear um 2,95 % im Jahr 2014.
Für die übrigen Besoldungsgruppen – das sind die Besoldungsgruppen A 13 und darüber – sowie für die Besoldungsgruppen B, R, C, H und W wird es nach dieser Vorlage in den Jahren 2013 und 2014 keine Erhöhung geben.
Das Tarifergebnis soll für alle Besoldungsgruppen – auch für die zuletzt genannten – in vollem Umfang übernommen werden: in Höhe von 2,65 % im Jahr 2013 und 2,95 % im Jahr 2014, soweit das die allgemeine Stellenzulage, den Familienzuschlag, die Amtszulagen, die Auslandszuschläge und einige Mehrarbeitsvergütungsbeträge und Erschwerniszulagenbeträge betrifft.
Wir haben zudem, nachdem eine unterschiedliche Bemessung des Urlaubs für unterschiedliche Altersgruppen als altersdiskriminierend verworfen worden ist, in unserer Vorlage vorgesehen – wie auch bei den Tarifverhandlungen –, den Urlaub für alle gleichermaßen auf die Dauer von 30 Tagen festzulegen. Wir werden auch, wie wir den Vertretern der Beamtenschaft und der Gewerkschaften insgesamt mitgeteilt haben, keine weiteren Abzüge vornehmen – etwa für die Versorgungsrücklage –, die diese von uns weiter vorgesehene Erhöhung in irgendeiner Weise mindern würden.
Wir konnten den Tarifabschluss der Angestellten für die Beamtinnen und Beamte nicht 1:1 übernehmen, so wie wir das im Jahr 2011 zeitnah getan haben. Wir haben ihn jetzt gestaffelt übernehmen müssen. Ich sage an dieser Stelle noch einmal, was ich hier auch in der ersten Runde gesagt habe: Das ist uns alles andere als leicht gefallen. Ich stehe zu der schon mehrfach zitierten Auffassung, dass der öffentliche Dienst auch in Zukunft attraktiv bleiben muss und dass wir ein Interesse daran haben müssen, dass Menschen, die im öffentlichen Dienst ihre Arbeit tun, dafür anständig entlohnt werden. – Ich sage genauso offen, ich hätte gerne einen Vorschlag eingebracht, in dem wir eine ähnlich hohe Übertragung des Ergebnisses hätten darstellen können, wie wir sie für die Tarifbeschäftigten erzielt haben.
Ich stehe allerdings genauso deutlich zu einer von mir ebenfalls immer wieder geäußerten Meinung, die sich allerdings in den Zitaten nicht wiedergefunden hat: Wir müssen sagen, was geht und was nicht geht, und wir müssen sagen, dass wir eine Beamtenbesoldung haben, die auch mit der Anpassung, wie wir sie jetzt vorschlagen, im Mittelfeld der Länder ist und damit die Attraktivität des öffentlichen Dienstes sicherstellt.
Ich habe auch immer gesagt, dass ein Kostenblock, der über 40 % des gesamten Landeshaushalts ausmacht, bei unseren Bemühungen um die Konsolidierung des Landeshaushalts nicht außen vor bleiben kann. Die komplette Übertragung des Tarifergebnisses hätte das Land bis 2014 mit rund 1,3 Milliarden € belastet. Wir sind nach dem Grundgesetz verpflichtet, die Schuldenbremse einzuhalten. Die Personalausgaben – ich habe das gesagt – liegen bei über 40 %. Wir müssen auch in diesem Bereich einen Beitrag zur Konsolidierung leisten.
Die eingeschränkte Übertragung des Tarifergebnisses hat deshalb mit mangelnder Wertschätzung für die Arbeit der Beamtinnen und Beamten nichts zu tun. Diese Arbeit ist und bleibt für unser Land von großer Bedeutung. Ich habe hier auch immer gesagt, anders als man es aus anderen Reden heraushört, es geht hier nicht darum, dass das, was wir vorschlagen, alternativlos ist, sondern schlicht und ergreifend darum, dass alle anderen Alternativen schlechter gewesen wären. Dazu gehören vor allen Dingen Alternativen, wie sie mir schon bei der Beratung des Haushaltes 2013 in vielen Anträgen der Oppositionsfraktionen entgegengehalten worden sind.
Beispielsweise hieß es, man könne die Personalausgaben Jahr für Jahr insgesamt um 2 % herunterfahren. Dazu brauche man auch keinen Aufgabenabbau, weil sich das aus der Steigerung der Produktivität von selbst ergebe. Erzählen Sie das einmal den Beamtinnen und Beamten in den unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes!
Was die Vorstellung betrifft, man könne mal eben 14.000 Stellen abbauen – mal waren es auch 12.000 –, weil das die Beteiligung des Personalkostenblocks des Haushaltes an der Konsolidierung sei: Das wäre unserer Meinung nach nicht das gewesen, was man uns jetzt vorwirft, nämlich dass man zwischen den niedrigeren und den höheren Besoldungsgruppen unterscheidet – also spaltet, wie das hin und wieder genannt wird –, sondern dann hätte man zwischen denen unterschieden, die jetzt einen Job haben, und denen, die anschließend keinen mehr bekommen hätten, weil die Stellen alle nicht mehr hätten nachbesetzt werden dürfen. Das hätte man deutlich sagen müssen. Wenn es im Laufe der Zeit so gekommen wäre, hätten auch diejenigen gemerkt, was das bedeutet, etwa wenn der Nachbar am Arbeitsplatz, der seinen Job aufgibt – wegen Pensionierung beispielsweise –, nicht ersetzt wird.
Wenn jetzt so leichtfertig erklärt wird, das liege alles daran, dass die Prestigeprojekte finanziert werden müssen und dass das zulasten der Beamtinnen und Beamten geht, sage ich noch einmal: Es ist wirklich nicht statthaft, diesen Zusammenhang herzustellen: dass man zwar auf der einen Seite sagt, man könne die Studiengebühren wieder einführen, und die Leute studieren lässt, es anschließend aber im öffentlichen Dienst keine Stellen mehr für sie gibt; denn diese müssen als Ersatz dafür abgeschafft werden.
Wir hätten andere Möglichkeiten gehabt, etwa wieder an die Arbeitszeiten heranzugehen, an einen Beförderungsstopp, an eine weitere Kürzung oder an die Streichung des Weihnachtsgeldes. Man hätte über die Versorgungsbezüge reden können. Das waren alles Dinge, die wir ausgeschlossen haben.
Wir haben stattdessen gesagt: Wenn es so ist – und daran geht kein Weg vorbei –, dass wir den Personalkostenanteil des Haushaltes an der Konsolidierung beteiligen müssen, dann ist es richtiger, dass ein bestimmter Bereich – ich sage noch einmal ganz deutlich, auch an die Adresse der FDP, dass ich nie von „Spitzenbeamten“ geredet habe, sondern vom „höheren Dienst“ –, nämlich der höhere Dienst, in zwei Runden nicht an der Besoldungserhöhung teilnimmt.
Die gestaffelte Anpassung gewährleistet einerseits allen Bezügeempfängerinnen und -empfängern auch weiterhin eine amtsangemessene Lebensführung,
(Christian Möbius [CDU]: Ha, ha!)
insbesondere im Vergleich zu entsprechenden Tarifbeschäftigten und auch im Vergleich – ich habe das schon gesagt – zu anderen Bundesländern.
Mit der Staffelung haben wir eine klare Entscheidung getroffen für den Erhalt der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes, für die Sicherung von Beschäftigung, für die Sicherung einer sozial gerechten Politik und für eine Politik für gute Bildung, Familienvorbeugung und leistungsfähige Kommunen.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Daneben sieht der Gesetzentwurf noch einige redaktionelle Änderungen im Besoldungsrecht vor und eine längst überfällige Anpassung der Fachleiterzulage für Lehrer.
Mit dem Ihnen im Entwurf vorliegenden Gesetz soll die notwendige gesetzliche Rechtsgrundlage für die Übertragung des Tarifergebnisses auf den Beamtenbereich geschaffen werden. Damit die Beamtinnen und Beamten nicht bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auf die Bezügeerhöhung warten müssen,
(Christian Möbius [CDU]: Das sind doch nur 20 %!)
sondern möglichst frühzeitig das erhalten, was jetzt an Erhöhung kommt, hat die Landesregierung wie schon bei Bezügeerhöhungen in früheren Jahren beschlossen, im Vorgriff auf den Gesetzesbeschluss die Mehrbeträge abschlagsweise unter Vorbehalt auszuzahlen. Das dürfte voraussichtlich Ende Juni der Fall sein.
Im Namen der Landesregierung bitte ich Sie deshalb, meine Damen und Herren, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben und ihn zunächst in die Ausschüsse zu überweisen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebhard.
(Zuruf von den PIRATEN: Die traut sich nicht! – Christian Möbius [CDU]: Es ist ja auch unangenehm, zu dem Thema zu sprechen! – Gegenrufe von der SPD)
– Es ist manchmal ein weiter Weg zum Rednerpult.
Heike Gebhard (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade vom Finanzminister die Einbringung des Gesetzentwurfes zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge entgegengenommen, einen Gesetzentwurf, mit dem das Ergebnis für die Angestellten des öffentlichen Dienstes, das mit den Gewerkschaften auf zwei Jahre angelegt ist, in der Tat nicht eins zu eins, sondern sozial gestaffelt auf unsere Beamtinnen und Beamte des Landes und der Kommunen übertragen werden soll.
Das bedeutet, dass für alle Beschäftigten und Pensionäre bis einschließlich A 10 das Tarifergebnis voll übernommen wird. Ich erlaube mir an dieser Stelle zu sagen: Wer sich die Gehälter in diesen Stufen anschaut, der wird leicht nachvollziehen können, dass dies eine gute und notwendige Entscheidung ist.
Richtig ist aber auch, dass mit dieser Entscheidung Beschäftigte und Versorgungsberechtigte der Besoldungsgruppen ab A 13 keine Grundgehalts- oder Pensionserhöhung bekommen, sehr wohl aber, wie der Minister gerade ausgeführt hat, eine Eins-zu-eins-Umsetzung bei allen Zulagen.
Eine solche Entscheidung – das will ich auch gar nicht verschweigen – ist für mich und meine Fraktion, die sich dem Leitprinzip „gute Arbeit“ verschrieben hat, keine leichte, man kann vielleicht sogar sagen: eine schmerzhafte. Dabei haben wir seit Regierungsübernahme 2010 gerade auch für den öffentlichen Dienst bewiesen, dass uns dieses Prinzip „gute Arbeit“ in allen Bereichen leitet.
(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)
Ich will das an dieser Stelle noch einmal uns allen ins Gedächtnis rufen.
Im Januar 2011 haben wir ein neues Landespersonalvertretungsrecht auf den Weg gebracht, ein Mitbestimmungsrecht, das seinen Namen wieder verdient, das nach der Demontage durch Schwarz-Gelb die Beschäftigten tatsächlich wieder auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber stellt. Denn auch wir sind uns im Klaren darüber, dass strukturelle Veränderungen im Personalbereich auch in Zukunft erforderlich sein werden. Aber diese sind nicht gegen die Beschäftigten, sondern nur mit ihnen erreichbar. Dazu brauchen wir eine starke Mitbestimmung. Dazu haben wir uns bekannt. Wir erhalten sie auch nach wie vor aufrecht.
Wir haben ferner den von Schwarz-Gelb verordneten 1,5%igen Stellenabbau nach dem „Prinzip Rasenmäher“ gestoppt. Wir haben trotz sinkender Schülerzahlen keine Kürzung der Lehrerstellen vorgenommen. Und wir haben nicht, wie die CDU es noch in der Haushaltsberatung 2013 gefordert hatte, den Abbau von 480 Lehrerstellen vorgenommen.
(Martin Börschel [SPD]: Hört, hört!)
Wir haben die Einstellungszahl bei der Polizei von zunächst 1.100 auf 1.400 und dieses Jahr auf 1.477 erhöht.
(Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Wir haben in der Justiz zur Entlastung der Beschäftigten die Stellenzahl im mittleren Dienst um 350 erhöht. Wir haben die Besoldung der Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister verbessert.
(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben überhaupt wieder Beförderungsmöglichkeiten geschaffen.
Und wir haben 2011 die Tarifanpassung 1:1 übernommen.
Wir haben beim BLB Leiharbeit bekämpft.
Wir haben beim Dienstrechtsanpassungsgesetz dafür gesorgt – das wird sich auch beim nächsten Tagesordnungspunkt zeigen –, dass eine entsprechende Respektierung und Wertschätzung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst erfolgt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Und wir haben – das will ich als Letztes nennen; ich will nicht alle Beispiele aufzählen – auch die Einstellungszahlen bei der Finanzverwaltung erhöht, unter anderem 200 neue Betriebsprüferstellen geschaffen. Dies ist ein ganz spezielles Projekt, mit dem wir hier in Nordrhein-Westfalen selbst eine Maßnahme ergreifen, um nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite des Landes zu verbessern. Verbessern würde sich die Situation des Landes natürlich auch, wenn seitens des Bundes eine gerechtere Steuerpolitik gemacht würde.
(Beifall von der SPD)
Meine Partei – Sie wissen es – hat dazu entsprechende Vorschläge vorgelegt. Darum setze ich nicht nur im Interesse meiner Partei, sondern auch im Interesse unseres Landes Nordrhein-Westfalen darauf, dass sich im September Rot-Grün durchsetzt, damit wir eine bessere Einnahmesituation auch hier in Nordrhein-Westfalen haben.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Uns liegt ein leistungsfähiger öffentlicher Dienst sehr am Herzen, und zwar nicht um seiner selbst willen, sondern weil nur mit ihm die Anforderungen, die die Menschen völlig zu Recht an den Staat stellen, befriedigt werden können. Gerade deshalb würde jede und jeder aus meiner Fraktion sicher gerne die Anpassung eins zu eins beschließen. Aber wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was“. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns eine verantwortungsvolle Politik in ihrer Gesamtheit. Dazu gehört es, dass wir, wenn wir Projekte auf den Weg bringen, auch darstellen, wie wir sie finanzieren können.
Wir haben es gerade vom Finanzminister gehört: Eine Eins-zu-eins-Übernahme würde bedeuten, dass wir ab dem Jahr 2014 Jahr für Jahr 1,3 Milliarden € zusätzlich bereitstellen müssten. Nach den Vorkehrungen, die wir in diesem Jahr bereits getroffen haben, würde sich dann nächstes Jahr eine Lücke von über 710 Millionen € auftun. Wie soll die denn geschlossen werden?
Ich denke, wir sind uns alle einig – Sie geben dazu ja regelmäßig Hinweise –, dass das nicht durch eine Nettoneuverschuldung passieren soll. Welche Vorschläge haben Sie denn zu bieten? Auf diese Frage kommen die Antworten, die Sie schon zigmal verfrühstückt haben: Wir sollen doch, bitte schön, die Studiengebühren wieder einführen, knapp 245 Millionen €. Und wir sollen zusätzlich das beitragsfreie Kindergartenjahr abschaffen, 150 Millionen €. Dann haben Sie für den Haushalt 2013 vorgeschlagen, insgesamt 1.400 Stellen im öffentlichen Dienst zu streichen, insgesamt ein Volumen von 70 Millionen €. Wer mitgerechnet hat, der wird feststellen: Da fehlen immer noch 230 Millionen €. Wo nehmen Sie die denn her? Welche Förderprogramme hätten Sie denn noch gerne gestrichen?
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Sie laufen ja schon Sturm, wenn gerade mal 500.000 € gestrichen werden, weil wir sagen, dass nicht einzusehen ist, dass ausgerechnet die Berufsgruppe der Apotheker ihre PTAs nicht selbst ausbilden kann.
Oder wollen Sie den gebeutelten Kommunen etwas wegnehmen?
Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Für die regierungstragenden Fraktionen kommt dies alles nicht infrage.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Beitragsfreie Kitajahre sind eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und damit in die Zukunft unseres Landes. Sie entlasten viele Familien, auch Beamtenfamilien.
(Beifall von der SPD)
Das Gleiche gilt für die hinzugewonnenen Studierenden, die sich dank wegfallender Studiengebühren nun nicht mehr von einem Studium abschrecken lassen.
Für uns kommt auch kein Arbeitsplatzabbau mit entsprechender Arbeitsverdichtung für die Übrigbleibenden infrage. Beschäftigungssicherung ist unser Ziel.
Nun gelten all diese Maßnahmen – Beschäftigungssicherung, Ermöglichung von Beförderung – in der Tat ausschließlich für Landesbedienstete und nicht für die kommunalen Beamten. Von daher werden wir sehr ernsthaft prüfen, wenn es denn der Wunsch der Kommunen sein sollte, ob sie abweichend vom Land selbst über die Tarifübernahme bestimmen können.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, mit dem heutigen Tag beginnt die Beratung über den vorliegenden Gesetzentwurf. Dazu gehört auch die Anhörung aller Beteiligten in den kommenden Wochen: von den Gewerkschaften und Berufsverbänden bis hin zu den kommunalen Spitzenverbänden. Ich hoffe auf konstruktive Beratungen auf Basis der von mir skizzierten Rahmenbedingungen.
In diesem Sinne wünsche ich uns eine kollegiale, zugunsten des Landes positive Beratung. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lohn das Wort.
Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Minister wäre vor seinem gelangweilten Vortrag eben besser mal zur Demo gegangen, dann wäre er ein bisschen in Stimmung gewesen.
(Beifall von der CDU)
Sie verkaufen hier Grausamkeiten, verteidigen Ihren Wortbruch und gehen mit keinem Wort darauf ein, dass draußen zehntausend Menschen stehen und sich über genau diese Ihre Politik aufregen.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Dann kommt nach dem Minister die nebelkerzenpolitische Sprecherin, Frau Gebhard: nur Ablenkungsmanöver, kein Wort zum Wortbruch, kein Wort zu den Zitaten – alles Ablenkung. So geht das nicht, Frau Gebhard!
(Beifall von der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist in der Tat ein schlechter Tag für die ungefähr 300.000 Landes- und Kommunalbeamten. Es ist ein schlechter Tag für die Attraktivität unseres Landes als Arbeitgeber. Aber es ist ein noch viel schlechterer Tag für Ministerpräsidentin Kraft. Ich freue mich, dass sie jetzt da ist und sich der Debatte stellt. Draußen bei der Demo war sie eben wahrscheinlich nicht.
Aber Frau Kraft hat es selbst verdient, dass sie heute so schlecht dasteht. Das sehen die Tausende von Beamten draußen genauso.
(Zurufe von der SPD)
Frau Kraft ist eklatant wortbrüchig geworden. Man konnte eben sehen, dass bei Frau Kraft – das wissen Sie auch selbst – der Lack der sympathischen Landesmutter zu bröckeln anfängt.
(Beifall von der CDU)
Das Vertrauen in Sie ist auch weg. Sie werden auf den Plakaten zu Recht als Wortbrecherin, als Lügnerin bezeichnet. Lügen-Hanni und auch Schande-Lore ist draußen bei der Demo überall zu hören.
(Zurufe von der SPD)
Mit diesem Gesetzentwurf haben Sie, Frau Kraft, ihren Wortbruch quasi in Stein gemeißelt. So etwas hält gewöhnlich ziemlich lange. Die Leute werden Ihnen das nicht vergessen.
(Beifall von der CDU)
Verehrte Damen und Herren, am 16. Dezember 2011 hat Ministerpräsidentin Kraft dem Deutschen Beamtenbund schriftlich bestätigt – ich zitiere einen Auszug ihres Schreibens –: „Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Landesregierung keine weiteren Einschnitte bei Beamtenschaft plant.“
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Nur den Betreff, lesen Sie den vor!)
– Frau Kraft, wenn Sie dazwischenrufen möchten, setzen Sie sich auf die Abgeordnetenränge!
(Beifall von der CDU)
Ich kann Ihnen auch ein weiteres Zitat nicht ersparen:
„Sie wissen, dass die Landesregierung bereits mehrfach verkündet hat, Beamte, Richter, Staatsanwälte und Versorgungsempfänger zukünftig nicht weiter von der Lohnentwicklung abzukoppeln.“
Das waren Sie, Herr Finanzminister. Sie haben sich eben völlig falsch zitiert. Da haben Sie nur von attraktivem Dienst geschwafelt.
Der Begriff „Wortbruch“ floss der SPD im Jahr 2009 noch ziemlich locker aus der Feder. Da heißt es: „Wortbruch stoppen: Tarifabschluss muss uneingeschränkt für den öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen übernommen werden“. So lautete der Eilantrag der SPD vom 16. März 2009.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das haben wir ja auch zwei Jahre gemacht!)
Verehrte Damen und Herren, raten Sie einmal, wer diesen Antrag an erster Stelle unterschrieben hat! Sie glauben es nicht? Richtig: Es war dieselbe Hannelore Kraft, die heute dreist und eigentlich auch recht peinlich leugnet, jemals irgendwelche Versprechungen gemacht zu haben.
(Beifall von der CDU)
Verehrte Damen und Herren, wie sehen die Auswirkungen und Belastungen aus? Der Minister hat sie eben vorgetragen. Für A 11 und A 12 gibt es zweimal 1 %; für A 13 aufwärts gibt es zwei Jahre lang nichts. Insgesamt heißt das, dass 80 % aller Beamten zum wiederholten Mal keinen Inflationsausgleich bekommen.
(Marc Herter [SPD]: Doch nicht zum wiederholten Mal!)
Insgesamt haben unsere Beamten – das musste der Finanzminister auf unsere Anfrage hin auch zugestehen – seit 2000 mit ungefähr 2,4 Milliarden € pro Jahr zur Haushaltskonsolidierung beigetragen.
Sehr geehrte Damen und Herren, wann, wenn nicht heute, bei höchsten Steuereinnahmen und geringster Arbeitslosigkeit, sollen die Beamten endlich wieder an der allgemeinen Gehaltsentwicklung teilhaben dürfen? Wenn es nach SPD und Grünen und auch nach Frau Kraft geht, wohl nie!
Das hat fatale Folgen für die Betroffenen, aber auch für die Attraktivität unseres Landes als Arbeitgeber. Ihre beabsichtigten Nullrunden führen schon ab dem nächsten Jahr dazu, dass zum Beispiel eine Lehrerin in Bayern 4.000 € im Jahr mehr verdient als eine Lehrerin bei uns in Nordrhein-Westfalen. Bei einem Oberinspektor der Besoldungsgruppe A 10 macht der Unterschied 1.300 € aus. Das sind keine Kleinigkeiten. Vor allen Dingen sind Oberinspektoren mit A 10 keine Großverdiener.
(Beifall von der CDU)
Wenn der Finanzminister dann behauptet, Nordrhein-Westfalen befände sich im Mittelfeld der Länder, was die Attraktivität und die Bezahlung der Beamten angeht, ist das schlichtweg falsch. Wir sind ab 2014 am unteren Ende der Liste. Das ist keinesfalls das Mittelfeld, Herr Minister.
Ihre Nichtübertragung ist zudem ungerecht und unsozial. Es trifft eben nicht nur die reichen Spitzenverdiener; es betrifft überwiegend Normalverdiener im öffentlichen Dienst bereits ab ungefähr 3.000 € brutto.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Darüber hinaus ist Ihr Vorgehen verwerflich und teilweise auch entlarvend.
Erstens ist es verwerflich, weil SPD und Grüne die Finanzmisere selbst und vorsätzlich herbeigeführt haben.
(Beifall von der CDU)
Zweitens ist es verwerflich, weil Frau Kraft und auch Herr Finanzminister eben noch von der sozialen Staffelung gesprochen haben. Eine soziale Staffelung, die nur die starken Schultern belastet, gibt es nicht. Das ist völlig falsch. Sie bedienen damit lediglich Neiddiskussionen gegen Beamte an den Stammtischen.
(Beifall von der CDU)
Entlarvend ist der vorliegende Gesetzentwurf, weil deutlich wird, was Sie mit reichen Besserverdienenden meinen. Wenn hiermit schon 80 % der normalen Beamten gemeint sind, dann ist auch klar, wen die Herren Steinbrück und Trittin mit ihren Steuererhöhungen meinen.
(Beifall von der CDU und Dirk Wedel [FDP])
Damit ist eindeutig klar: SPD und Grüne wollen der Mitte der Gesellschaft ganz tief in die Tasche greifen.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Frau Kraft, Sie haben NRW mit Ihrer Schuldenpolitik und mit drei vorsätzlich verfassungswidrigen Haushalten drei Jahre lang in eine schlimme Finanzkrise geführt.
(Zuruf von Volker Münchow [SPD]: – Gegenrufe von der CDU)
– Ich habe den Schreihals nicht verstanden. Das macht aber auch nichts. – Sie haben dadurch nicht nur die Möglichkeiten für eine Eins-zu-eins-Übernahme verspielt; Sie haben damit auch im Prinzip klargemacht, dass Ihr Ansatz der sogenannten präventiven Finanzpolitik heute schon gescheitert ist.
(Beifall von der CDU und Dirk Wedel [FDP])
Ständig neue und höhere Schulden und künftig auch noch massive Steuererhöhungen können kein Zukunftskonzept sein. Sie haben überhaupt kein Konzept für ordentliche Landesfinanzen. Sie haben auch nicht den Mut zu nötigen Strukturveränderungen.
(Thomas Stotko [SPD]: Das sagen die mit den 25 Milliarden €!)
Der „Westfälische Anzeiger“, wahrlich kein Partei- oder Presseorgan der CDU, schrieb gestern über Rot-Grün:
„Wenn keine Wohltaten zu verteilen sind, fällt das Regieren schwer.“
(Marc Herter [SPD]: Was ist denn mit dem Chefredakteur des „Westfälischen Anzeigers“?)
Weiter heißt es dort:
„Bei noch sprudelndem Steueraufkommen einseitig auf ein Einnahmeproblem zu verweisen, ... offenbart den mangelnden Sparwillen der NRW-Regierung.“
Ich finde, der „Westfälische Anzeiger“ hat recht.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmeltzer zulassen?
Werner Lohn (CDU): Ich möchte erst zu Ende vortragen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Also nicht.
Werner Lohn (CDU): Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Namen der CDU-Fraktion kann ich Ihnen versichern, dass wir Ihre Politik in den weiteren Beratungen als genau das brandmarken werden, was sie ist; denn sie ist tatsächlich Wortbruch, Willkür, soziale Ungerechtigkeit und eine völlige Missachtung der Interessen unserer Beamtenschaft.
(Beifall von der CDU)
Frau Kraft, das sehe ich nicht alleine so. Ihr Parteigenosse Sierau, seines Zeichens Oberbürgermeister in Dortmund, sieht das ganz genauso. Er hat Ihnen – wie viele andere auch – einen bösen Brief geschrieben. Was haben Sie gemacht? Sie haben Ihren „Beißwolf“ Römer aufgehetzt; der durfte dann zurückkeilen.
Genau so, wie Sie mit Ihren Abgeordneten von SPD und Grünen umgegangen sind, sind Sie mit den Gewerkschaften umgegangen. Alle wurden ignoriert. An allen vorbei haben Sie Fakten geschaffen, haben Ihren Wortbruch in die Tat umgesetzt. Das werden Ihnen nicht mal Ihre eigenen Leute verzeihen. Und auch in der Bevölkerung insgesamt wird der Wortbruch mit Sicherheit nicht in Vergessenheit geraten.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir diesen Anlass schnell hinter uns bringen.
(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Herr Kollege Lohn, bitte kehren sie ans Pult zurück; denn der Kollege Schmeltzer hat sich für eine Kurzintervention gemeldet
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Kurz kann der doch gar nicht!)
und erhält jetzt für 90 Sekunden das Wort. – Herr Kollege Schmeltzer, Sie haben das Wort.
Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Kollege Lohn, insbesondere wegen Ihrer Gestik sah ich mich genötigt, mich zu einer Zwischenfrage zu melden. Die haben Sie aber nicht zugelassen.
Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als der damalige Kollege Rüttgers dem öffentlichen Dienst versprochen hat, was er alles rückgängig macht, und was er dem öffentlichen Dienst dann an weiteren Kürzungen aufs Auge gedrückt hat?
Können Sie sich auch daran erinnern, dass Ihre Fraktion insbesondere eine Eins-zu-eins-Übertragung versprochen hat, wenn sie denn regieren würde – bei weiterem Personalabbau? Dann definieren Sie doch mal den Personalabbau, den Sie vorhaben – ohne Leistungsverdichtung und ohne die Aufgaben des Landes damit zu gefährden. Sie vergessen in Ihren Wortmeldungen immer sehr gerne, dass Sie hier Personal abbauen wollen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Lohn, Sie haben für 90 Sekunden das Wort zur Antwort.
Werner Lohn (CDU): Herr Kollege Schmeltzer, ich bin Ihnen dankbar für den Zwischenruf. Zur Wahrheit gehört, dass auch wir als Regierung damals den Beamten Belastungen zumuten mussten.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Trotz vorheriger Versprechungen in die andere Richtung?)
– Entweder Sie wollen zuhören oder schreien. Eines von beidem geht nur.
(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann bleiben Sie bei der Wahrheit!)
Zur Wahrheit gehört auch, dass wie in den Jahren, als wir die Belastungen vorgenommen haben, die Weltwirtschaftskrise und zurückgehende Steuereinnahmen hatten.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das war 2005/2006 noch nicht!)
Hohe Arbeitslosigkeit zeichnete sich ab.
(Beifall von der CDU)
Das ist mit der Situation heute in keiner Weise zu vergleichen. Heute sprudeln die Steuern. Die Arbeitslosigkeit ist gering. Die Konjunktur boomt. Wann wollen Sie denn eins zu eins übertragen, wenn nicht jetzt, frage ich Sie.
(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)
Sie haben im Jahr 2009 das gesagt und beantragt, was ich eben zitiert habe. Sie haben die Ministerpräsidentin losgeschickt. Sie hat die Beamten in dem Glauben gelassen, es gäbe keine Einsparungen mehr. Der Minister hat das Gleiche getan. Heute müssen Sie sich dieser Verantwortung stellen. Sie haben zu einer Zeit, als klar war, dass die Kassen leer sind, das Blaue vom Himmel versprochen – und können es heute nicht halten. Daran werden Sie gemessen. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sagen Sie etwas zu Ihren Personalabbauplänen! Das ist doch verlogen, was Sie hier machen!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit die Entgegnung auf die Kurzintervention durch Herrn Abgeordneten Lohn.
Wir schreiten weiter fort in der Debatte mit dem nächsten Redner von Bündnis 90/Die Grünen, Herrn Kollegen Mostofizadeh. Bitte schön.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich – das werde ich jetzt auch tun – wollte ich meinen Wortbeitrag damit beginnen, deutlich zu machen, dass wir uns durchaus schwer dazu durchgerungen haben, der teilweisen Übertragung der Besoldungserhöhung zuzustimmen, weil – das wollen wir auch klar zugestehen – wir der Auffassung sind, dass wir sehr wohl abwägen müssen, ob es gerechtfertigt ist, das so zu tun, wie wir es machen.
Wir haben es abgewogen. Wir stimmen den Argumenten, die der Finanzminister vorgetragen hat, zu. Wir sind der Auffassung, dass es angesichts der Alternativen, die uns zur Verfügung stehen, gerechtfertigt ist, es denjenigen, die etwas mehr verdienen – ich werde auch gleich noch etwas zu Spitzenverdienern und anderen Geschichten erzählen, die Sie hier vorgetragen haben –, eher zuzumuten, die Eins-zu-eins-Übertragung nicht zu bekommen, und denjenigen, die zwischen A 2 und A 10 liegen, mehr zu übertragen als den anderen. Das war in der Abwägung für uns notwendig und richtig.
Wir haben auch die Haushaltslage abgewogen. An der Stelle komme ich zu Herrn Lohn. Ich habe sehr viele CDU-Politiker gehört, bei denen ich das, was sie gesagt haben, bedenkenswert finde, nämlich dass wir den Menschen oftmals zu viel versprechen, dass wir rausgehen und das Bild erzeugen – egal, auf welcher politischen Ebene –, dass alles machbar sei.
Eines kann ich Ihnen sagen, Herr Kollege Lohn: Das, was Sie hier gemacht haben, war schlicht Stammtischniveau. Sie haben sich als Trittbrettfahrer auf die Debatte gesetzt und versucht, zu suggerieren,
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)
dass es Tausende von Möglichkeiten geben würde, das gegenzufinanzieren, was Sie hier versprechen. Das will ich auch sehr deutlich machen.
Sie haben in Ihrem Brief und auch heute in der Pressemitteilung gesagt, wir hätten Milliarden an Steuergeschenken gemacht. Fakt ist: Von den Sachen, die wir beschlossen haben, gehen 700 Millionen an die Kommunen. Wollen Sie davon einen Euro streichen? Davon habe ich nichts gehört. Die Mindereinnahmen durch Wegfall der Studienbeiträge und Beitragsfreiheit des dritten Kindergartenjahres betragen 400 Millionen €. Außerdem haben wir exakt 400 Millionen € bei der Grunderwerbsteuererhöhung gegenfinanziert. Das sagen Sie niemandem, weil Sie überhaupt nicht daran interessiert sind, zuzugeben, wie die Haushaltslage in Nordrhein-Westfalen ist. Aber gleichzeitig rennen Sie zum Verfassungsgericht und behaupten, wir müssten den Haushalt noch mehr kürzen als das jetzt schon der Fall ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was Herr Lohn hier vorgetragen hat – wir werden uns ja morgen noch ausführlicher über die Steuerpolitik unterhalten –, kann ich so nicht stehenlassen. Die Pläne zur Spitzensteuersatzerhöhung, die ja so sehr im Fokus sind, setzen bei uns bei 60.000 € Jahreseinkommen an und bei der SPD nach jetziger Programmlage bei 80.000 €
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: 100!)
– 100.000 €. Das sind aus unserer Sicht die Besserverdienenden. Das sind aber nicht die Beamtinnen und Beamten, über die wir jetzt reden. Das haben Sie in völlig unzulässiger Art und Weise in einen Topf geworfen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben gleichzeitig noch vorgetragen, dass wir behauptet hätten, das wären Spitzenverdiener. Die Zeitungen haben geschrieben, das seien Spitzenbeamtinnen und -beamte. Das ist doch nicht unser Verdienst gewesen. Ganz im Gegenteil! Ich habe mir mehrmals die Mitteilungen der Landesregierung durchgelesen. Da ist davon keine Rede, sondern da ist sehr dezidiert ausgeführt, in welchen Besoldungsgruppen das passiert.
Eines will ich Ihnen mal sagen, weil Sie die Ministerpräsidentin immer aus ihrer Zeit zitieren, als sie noch Fraktionsvorsitzende der SPD war: Als wenn sich die Zeit nicht weitergedreht hätte! Was ist denn seit 2009 passiert?
(Lachen von der CDU – Zuruf: Abenteuerlich!)
Sie haben doch Schwerpunkte gesetzt, und zwar auch bei der Einnahmenpolitik. Sie haben ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz gemacht. Sie haben Gesetze zur Einkommensteuerentlastung gemacht, die dieses Land mehrere Milliarden Euro kosten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das sind Ihre Schwerpunkte! Sie tragen ganz massiv zu dieser Haushaltslage bei!
Ich habe drei Kinder im Alter zwischen 17 und 13 Jahren. Ich möchte nicht die Verantwortung dafür tragen, dass unsere Haushalte durch unsere Kinder nicht mehr gesteuert werden können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Deswegen bin ich bereit, Herr Kollege, auch Entscheidungen zu treffen, die eben keinen Spaß machen.
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])
– Herr Laumann, Sie machen sich einen ganz schlanken Fuß. In Ihrer Pressemitteilung steht, dass Sie diese Gehaltserhöhungen mit den Summen, die wir seit 2010 mehr ausgegeben hätten, gegenfinanzieren wollten. Ich kann Ihnen sagen, Sie haben den Leuten das hiermit schwarz auf weiß gegeben: Sie werden, falls jemand Ihre Partei wählen sollte, nicht nur diese Besoldungserhöhung nicht nachholen, sondern Sie werden auch noch für Stellenabbau sorgen. Denn Sie wollen Stellen abbauen. Das haben Sie in Ihrer Pressemitteilung gesagt.
Ich kann den Unmut über uns gut verstehen.
(Beifall von der CDU)
Niemand möchte gerne solche Entscheidungen treffen. Aber ich kann allen Kolleginnen und Kollegen im Landesdienst nur empfehlen, sich sehr genau anzugucken: Was hat diese CDU, was hat diese FDP in diesem Land in aktiver Zeit gemacht? Was wird sie tun, falls sie wieder drankommen sollte, was wir zu verhindern wissen? Sie wird diesen Beamtinnen und Beamten bei der Besoldung keinen Deut nachgeben, sondern sie wird sie auch noch mit Stellenkürzungen bestrafen und diesen Haushalt nicht in Ordnung bringen; denn sie hat auch jetzt schon wieder im Bund angekündigt, eben nicht für Entlastung für diese Gruppen zu sorgen und auch nicht dafür zu sorgen, dass die Länder finanziell besser ausgestattet werden. Weitere Belastungen für die Länder stehen an.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Witzel das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Sonderopfer für die Beamten ist der rot-grüne Offenbarungseid in Bezug darauf, wie Sie mit Ihren Zusagen und auch mit Ihrer Haushaltspolitik umgehen. Es zeigt sich nämlich, dass Sie nicht nur eine leistungsabgewandte Pädagogik in Schulen betreiben, sondern auch eine leistungsfeindliche Besoldung bei unseren Beamten vornehmen.
(Beifall von der FDP)
80 % der Beamten werden gleich für mehrere Jahre von der allgemeinen Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst abgekoppelt. Sie bekommen trotz steigender Lebenshaltungskosten entweder gar nichts oder eine rein symbolische Anpassung unterhalb der Inflationsrate. 80 % dieser Beamten sind für SPD und Grüne dann eben die starken Schultern, die massive Einschnitte hinnehmen müssen.
Deshalb sagen wir sehr wohl: Es geht hier nicht um eine Gruppe von Spitzenverdienern und Topbeamten, wie es in Berichterstattungen zu lesen ist, sondern es geht hier um die breite Mitte im öffentlichen Dienst. Ab einem Familieneinkommen von 2.700 € sinkt die Kaufkraft. Ab einem Monatsbrutto von 3.200 € sehen Sie überhaupt keinen Anlass mehr für irgendeinen Inflationsausgleich. Deshalb sage ich Ihnen, weil es mir hier um eine ehrliche Debatte geht: Auch in NRW und in anderen Bundesländern hat es Situationen gegeben, wo nicht immer alles eins zu eins umgesetzt worden ist. Darauf ist hier auch völlig zu Recht hingewiesen worden. Sicherlich ist das auch niemandem leicht gefallen, der in Verantwortung dafür stand, wenn es auch geringfügige Abstriche gab. Aber das, worüber wir 2009 gesprochen haben, war eine Einmalzahlung von 40 € in zwei Monaten und die Kappung eines Sockelbetrags um 20 €. Das war in Zeiten, als NRW bei der Besoldung der Beamten über dem Bundesdurchschnitt lag und wir in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise massiv einbrechende Steuereinnahmen hatten. Was war hier damals los! Es gab einen gespielten Proteststurm der Entrüstung gerade auch bei unserer heutigen Ministerpräsidentin, die damals SPD-Fraktionsvorsitzende war. Das war schon ausgesprochen bemerkenswert. Da musste ein Eilantrag her, weil das nicht auch nur einen Tag länger warten konnte, das zu skandalisieren.
Deshalb müssen Sie sich natürlich an dem messen lassen, was Sie damals auch hier entsprechend vertreten haben. Sie nehmen jetzt nämlich einen Vorzeichenwechsel beim Vergleich der Bundesländertabelle vor. Bislang haben wir im Durchschnitt oder darüber gelegen. Das wird sich in Kürze ändern. Sie machen das im Kontext mit historischen Rekordsteuereinnahmen. Heute nehmen Sie 6 Milliarden € mehr ein als im Jahr 2010, und da nehmen Sie die entsprechenden Einschnitte vor. Beim Kriminalhauptkommissar sind es 1.200 €, beim Lehrer 2.200 € und beim Richter 2.900 €. Deshalb sagen wir hier völlig zu Recht: Mit dieser Vorgehensweise bzw. mit diesem Kahlschlag hat sich diese Regierung – und insbesondere auch die Ministerpräsidentin selbst – als Sozialschauspieler bzw. Sozialschauspielerin entlarvt.
Sie haben all die Jahre die Warnungen der Opposition ignoriert, diesen Haushalt dringend zu konsolidieren. Wir haben Sie immer darauf hingewiesen: Es wird der Tag kommen, wo Ihre unsolide Haushaltspolitik nicht nur dreimal in Folge vor dem Verfassungsgericht scheitern wird, sondern wo Sie selber in Schwierigkeiten kommen, die Kernaufgaben dieses Landes noch adäquat zu finanzieren. Genau das ist jetzt eingetreten. Das ist Ihre persönliche Bankrotterklärung, und das müssen nun die Landesbeamten ausbaden.
(Beifall von der FDP)
Parallel – das passt ja dann ins Gesamtbild – blockieren Sie auf Bundesebene eine volle Abschaffung der kalten Progression, damit der Staat derjenige ist, der bei gestiegener Produktivität an den Lohnerhöhungen und am Inflationsausgleich entsprechend profitiert. Deshalb sage ich hier für die FDP-Landtagsfraktion: Für uns ist es ausdrücklich eine Frage der Leistungsgerechtigkeit, dass auch Beamte einen fairen Anteil am Aufschwung erhalten. Das haben sie sich verdient.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Sie von SPD und Grünen rühmen sich immer gerne als das soziale Gewissen dieser Republik. Aber womit machen Sie das? – Mit Symbolpolitik. Es gibt dann irgendwo eine Freistellungsstunde mehr nach LPVG. Dann sind Sie die großen sozialen Wohltäter, weil Sie da ein bisschen korrigiert haben. Damit streicheln Sie die Seele des einen oder anderen Funktionärs, aber Sie entziehen durch diese Entscheidung real soziale Ressourcen der breiten Beamtenschaft, der Breite der Gesellschaft. Das halten wir für den falschen Weg. Wir fordern Sie auf: Kehren Sie zurück an den Verhandlungstisch. Setzen Sie sich mit den Verbänden hin. Gucken Sie, zu welchen Nachsteuerungen Sie bereit sind. Bei dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, kann es nicht bleiben. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Stein.
Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream! Unter lautstarkem Protest will Rot-Grün heute diesen Gesetzesentwurf, der eindeutig gegen Ihre Bediensteten gerichtet ist, behandeln. Mit dem vorliegenden Entwurf erfolgt auch ein klares Statement zur Wertschätzung, die diese Landesregierung samt der Regierungsfraktionen den Tarifbeschäftigten und Landesbeamten gegenüber pflegt, insbesondere denen in den Tarifgruppen A 11 und höher.
Ich sage hier ganz deutlich: Sie lassen Ihre Bediensteten im Regen stehen, obwohl Sie eindeutig und unmissverständlich noch kurz vor der Neuwahl versichert haben, dass die Zeiten des Verzichtes vorüber sein sollen. So geht man nicht mit seinen Bediensteten um!
(Beifall von den PIRATEN)
Ich konfrontiere Sie jetzt sehr bewusst mit zwei Beispielen, um deutlich zu machen, wie es um Ihre Glaubwürdigkeit bei diesem Thema bestellt ist:
Hannelore Kraft – ich glaube, sie hat den Saal schon wieder verlassen – …
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft [von einem Abgeordnetenplatz aus rufend]: Ich sitze hier!)
– Oh, schön, Frau Kraft. Von da aus dürfen Sie auch gerne dazwischenrufen. Das hat Herr Lohn gerade schon zu Recht moniert. Ich freue mich auf die Interaktion.
Hannelore Kraft richtete Folgendes an den Deutschen Beamtenbund – ich zitiere mit Erlaubnis –:
„Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Landesregierung keine weiteren Einschnitte bei der Beamtenschaft plant.“
Waren das Ihre Worte, Frau Kraft? Waren das Ihre Worte? – Das waren sie wohl.
Den ehemaligen Kämmerer aus Köln, Finanzminister Norbert Walter-Borjans, kann ich – mit Erlaubnis des Präsidiums – wie folgt zitieren:
„Sie wissen, dass die Landesregierung bereits mehrfach verkündet hat, Beamte, Richter und Staatsanwälte … nicht weiter von der Lohnentwicklung abzukoppeln.“
Das waren doch auch Ihre Worte, Herr Finanzminister, ist das richtig?
(Zuruf von der SPD: Wie tief sind die Piraten eigentlich gesunken?)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmeltzer zulassen?
Robert Stein (PIRATEN): Nein.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
– Sie können dann ja gleich die Kurzintervention wählen. – Vorsichtig ausgedrückt haben Sie beide hier stellvertretend für die gesamte rot-grüne Landesregierung Wortbruch gegenüber den Landesbediensteten, gegenüber der Beamtenschaft begangen. Das muss betont werden. So kann man sich im Vorfeld der Wahl einen Wahlsieg – so erdrutschartig er erschienen haben mag – erschummeln.
Hießen Sie Pinocchio, wären Ihre Nasen Hunderte Meter lang. Und wäre Pinocchios Nase so breit wie lang, dann müssten die vielen betroffenen Beamten und Landesangestellten jetzt wenigstens nicht im Regen stehen. So geht man nicht mit seinen Angestellten im Lande um!
(Beifall von den PIRATEN)
Ihre Art zu handeln ist eine Art, die Verdruss und Demotivation hervorruft, und zwar auf dem Rücken derer, die die wichtigen Aufgaben dieses Landes und dieses Staates schultern und meistern, und das trotz der viel zu hohen Arbeitslast, die sie bei dem ausgeprägten Personalmangel zu bewältigen haben. Diese enttäuschen Sie jetzt so schwer.
Erklären Sie doch einmal ausführlich, Herr Finanzminister, warum eigentlich kein Geld zumindest für den Inflationsausgleich vorhanden sein soll. Wo soll es denn bitte sehr fehlen? Kein Geld wegen der Schuldenbremse, wie Frau Kraft neulich, glaube ich, noch in Duisburg gesagt hat – heute Vormittag lief dazu ein Beitrag im Deutschlandfunk –, die erst 2020 greift? Papperlapapp, sage ich da.
(Lachen von der SPD)
Unser HFA-Team hat nämlich errechnet – ich sage Ihnen jetzt warum –, dass in der Zeit von 2001 bis 2011 die Staatseinnahmen um satte 29 % gestiegen sind. Jetzt raten Sie mal, wie hoch die Inflation in diesem Zeitraum war. Die hat nämlich nur 16 % betragen. Und da soll kein Inflationsausgleich drin sein? Wo fehlt denn bitte sehr das Geld, mit dem Sie den Angestellten den Inflationsausgleich verwehren? Da müssen Sie schon bessere Antworten liefern, als nur die „Schuldenbremse 2020“ wie ein Damoklesschwert zu schwingen.
Jetzt muss ich Sie noch ein wenig belehren:
(Lachen und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
– Sie können das mit Ihrer Arroganz hier abtun, weil Sie die Mehrheit haben; doch deshalb wird das Ganze nicht wahrer. – Die Inflation verhält sich neutral zur Schuldenbremse. Insofern ist Ihr Argument gar keines. Wenn man das Ganze um die Konjunktur und um Sondereffekte bereinigt, dann steigen die Staatseinnahmen natürlich im selben Maße wie die Inflation.
Wenn man dann berücksichtigt, dass es auch in der übrigen Wirtschaft eine entsprechende Lohnentwicklung gibt, und wir es außerdem noch mit der kalten Progression zu tun haben, die oft zitiert wird, dann müssen wir unter dem Strich sogar noch von einem positiven Effekt für die Staatseinnahmen durch die Inflation ausgehen. Ihr Argument ist hiermit eindeutig entkräftet; es ist schlichtweg falsch.
Ich kann Ihnen aber sagen, wo das Problem liegt: Sie gehen nicht verantwortungsvoll mit den Steuergeldern der vielen ehrlichen und fleißigen Bürgerinnen und Bürger und Beamten in unserem schönen Lande um. Deswegen müssen Sie hier einfach eingestehen, dass ein Inflationsausgleich zu gewähren ist.
Die Landesregierung hat es schon wiederholt bewiesen, wie sie mit den Steuergeldern umgeht. Sie behauptet, es sei kein Geld da. Für andere marode Geschichten wie für die WestLB ist allerdings Geld in Milliardenhöhe da. Das kritisieren wir weiterhin. Da hat Herr Borjans schlecht verhandelt; das betone ich nochmals. Auch das wird auf dem Rücken der Steuerzahler ausgetragen.
(Zuruf von der SPD)
Dazu zählen die Beamten natürlich auch. Das können wir nicht gutheißen. Alles soll immer alternativlos sein; wahrscheinlich war Ihr „Verhandlungsgeschick“, Herr Finanzminister, damals auch alternativlos. Danke sehr dafür an dieser Stelle.
Jetzt erfolgt dieser Wortbruch bei den Landesbediensteten. Ich bin mir sicher, die Quittung für Ihre unseriöse Politik, für Ihren Wortbruch wird es im Spätsommer geben.
(Zurufe von der SPD)
Halten wir fest: Die vielen fleißigen Landesangestellten und Beamten bieten einwandfreie Leistungen an. Das Mindeste, was sie dafür erwarten können, ist eine faire Bezahlung. Die Statistiken zeigen übrigens, dass es auch anders geht, zum Beispiel in Hessen und in Bayern oder auch im Bund. Dort wird deutlich besser entlohnt.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir Piraten schätzen die Leistungsbereitschaft der Bediensteten und Beamten im Land.
(Zuruf von der SPD: Sie nutzen die auch intensiv!)
Wir werden das auch in Zukunft zu schätzen wissen.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Das ist aber noch nicht alles; es geht ja noch weiter.
(Zurufe von der SPD)
Die rot-grüne Landesregierung sieht sich, wie in der „Rheinischen Post“ von gestern zu lesen war, mit einer möglichen Klage der NRW-Richter gegen Frau Kraft konfrontiert. Das haben Sie sicherlich auch gelesen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sie haben Ihre Angestellten, die Landesangestellten, die Bediensteten des Landes so sehr verärgert, dass diese sogar in Erwägung ziehen, gegen Sie zu klagen! Ich gehe einmal davon aus, dass die wissen, was sie tun. Eine viel größere Eiszeit zwischen Angestellten und Arbeitgebern kann ich mir gar nicht vorstellen, Frau Kraft.
In all Ihrer Ideenlosigkeit, die zu dieser fatalen Situation geführt hat, setzen Sie auf einen Mix aus Quasi-Nullrunden oder einen Verzicht auf Inflationsanpassung hier im Land. Dazu kommt noch die atemberaubende Steuererhöhung im Bund, die Sie vorhaben, um einen tragfähigen Haushalt zu präsentieren.
Da muss ich schon sagen: Die von Ihnen geplanten Steuererhöhungen treffen genau diejenigen ins Mark, die Sie jetzt leer ausgehen lassen wollen. Das geht alles nach dem Motto: Die Masse kann sich eh nicht wehren. – Das halte ich schlichtweg für falsch. Dieser Mix ist nicht korrekt.
(Unruhe)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie bitte, Herr Abgeordneter. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf doch bitten, dem Redner so zuzuhören, dass wir der Debatte gemeinsam folgen können.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Robert Stein (PIRATEN): Das mag Ihnen alles nicht passen. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Aber sprechen Sie mit den Menschen draußen! Ich habe es gerade getan. Die Stimmung ist eindeutig.
Ihre Argumente sind einfach falsch. Sie werden nicht besser dadurch, dass Sie hier einfach nur wild herumschreien.
(Beifall von den PIRATEN)
Was Sie planen – das ist ein Zitat, das ich von draußen mitgebracht habe –, ist nichts anderes als eine Enteignung der Beamtenschaft, der Landesbediensteten. Diese Enteignung wollen Sie noch befeuern durch die Steuererhöhungen, die Sie jetzt im Bund vorhaben.
(Zurufe von der SPD)
Man muss sich doch sagen: Es ist ideen- und verantwortungslos, dass Sie über diesen Weg versuchen, einen tragfähigen Haushalt auf die Beine zu stellen. Nehmen wir einmal die Unternehmenssteuerreform, die Rot-Grün vor zehn Jahren im Bund angestoßen hat: Sagt Ihnen das Wort „Dividendenstripping“ etwas? In deutschen Banken war es dadurch bis heute möglich, dem Fiskus bei Leerverkäufen von Aktien über 12 Milliarden € vorzuenthalten.
Das ist Geld, das heute fehlt. Mit diesem Geld – nicht nur hier; es gibt ja noch mehrere Schlupflöcher – könnte problemlos ein Tarifabschluss eins zu eins erfolgen. Ihre Antwort darauf ist allerdings wieder – ich betone es noch einmal – einfach verantwortungs- und ideenlos.
Sie wollen die Steuererhöhungen auf dem Rücken der Bürger austragen und nicht auf dem Rücken derjenigen, die die Steuerschlupflöcher ausnutzen. Das Geld könnte da sein. Auch das sind Mängel, die Sie im Bund mit zu verantworten hatten.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.
Robert Stein (PIRATEN): Ich komme zum Ende. – Sie haben bis jetzt leider sehr ideenlos und verantwortungslos agiert. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen doch noch zu einem anderen Ergebnis kommen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Peinlich, peinlich!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Bitte bleiben Sie noch einen Moment hier. Denn Herr Kollege Schmeltzer hat Ihre freundliche Einladung zu einer Kurzintervention angenommen
(Robert Stein [PIRATEN]: Ich freue mich!)
und bekommt für 90 Sekunden das Wort. Herr Kollege Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Lieber Herr Kollege Stein, vielen Dank dafür. – Sie haben selber darauf hingewiesen, nach Ihrem Wortbeitrag heute wundert mich die mediale Darstellung des Chaos der Piraten nicht. Wer zu dem Thema „Beamtenbesoldung“ spricht und bis heute nicht zwischen Tarifabschlüssen und Übertragung von Beamtenbesoldung differenzieren kann, wer bis heute nicht zwischen Angestellten und Beamten unterscheiden kann,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
wer Zitate aus einem Schreiben bringt und dabei wissentlich versäumt, den Betreff anzugeben – das Schreiben von Ministerpräsidentin Kraft, aus dem Sie zitiert haben, betrifft ausschließlich das Weihnachtsgeld –, wer hier so verfälscht und dann behauptet, er würde mit den Menschen draußen reden und ihre Meinung wiedergeben, zeigt, dass er von Finanzpolitik und von dieser Art der Politik keine Ahnung hat.
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie von anderen Bundesländern reden, möchte ich, dass Sie einmal nachlesen, welche Bundesländer in welcher Tausender-Größenordnung Personalabbau planen und durchsetzen werden. Wenn Sie das getan haben, werden Sie ganz schnell in der Realität ankommen, dass es mit uns Personalabbau, Arbeitsverdichtung nicht gibt und bei uns die Beschäftigungssicherung deutlich an erster Stelle steht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Robert Stein (PIRATEN): Lieber Kollege Schmeltzer, Sie – nicht Sie persönlich, sondern die Landesregierung – haben diesen Vorschlag erarbeitet. Die Landesregierung bringt in dieser Debatte Argumente, die schlichtweg falsch sind. Sie führt die Schuldenbremse als Grund an. Ich habe das gerade im Detail ausgeführt. Sie bleiben mir eindeutig Antworten schuldig. Ich möchte gerne wissen, wohin die Mehreinnahmen geflossen sind. Warum ist kein Geld da, um den Inflationsausgleich zu gewähren?
(Zuruf von der SPD)
– Ich will die Antwort von Ihnen hören und sie nicht selbst geben, warum Sie trotz der überproportional gestiegenen Steuereinnahmen, die über der Inflationsrate liegen, nicht in der Lage sind, den Landesbediensteten einen Inflationsausgleich zu gewähren.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Ich muss Sie weiterhin kritisieren. Ich bin der Auffassung, wir sollten den vielen fleißigen Landesbediensteten den Inflationsausgleich doch gewähren. Der Inflationsausgleich muss flächendeckend gewährleistet sein. – Danke sehr.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit die Kurzintervention und die Entgegnung des Abgeordneten, der angesprochen war. – Es geht mit dem nächsten Redner weiter, dem Kollegen Dr. Optendrenk für die CDU-Fraktion.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beamtinnen und Beamten des Landes sollen ein Sonderopfer zur Sanierung des Landeshaushalts leisten. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes soll schuld sein, dass es für die meisten Beamtinnen und Beamten in diesem und im nächsten Jahr keine Übertragung des Tarifergebnisses gibt. So steht es in der Gesetzesbegründung.
Wie immer bei unangenehmen Botschaften, die diese Landesregierung zu verkünden hat, sind es diesmal nicht sie selbst, auch nicht die Bundesregierung, sondern die anderen bösen Mächte, die diese Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben haben. Ich sage dazu: durchsichtige Ausrede.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Wir sprechen heute über das zweite Besoldungsanpassungsgesetz von Rot-Grün seit 2010. Heute begründet die Landesregierung, warum sie kein Geld hat, die Beamtenschaft an der allgemeinen Besoldungsentwicklung teilhaben zu lassen. Sie lassen die Beamtenschaft zurück. Das hörte sich am 30. März 2011 noch anders an, als Justizminister Kutschaty den Gesetzentwurf der Landesregierung begründete – ich zitiere –:
„Auch wenn die Übertragung des Tarifergebnisses auf den Beamtenbereich angesichts der derzeit angespannten Haushaltslage, die uns allen bekannt ist, eine nicht unbeträchtliche finanzielle Belastung für den Landeshaushalt darstellt, so hält die Landesregierung sie dennoch für erforderlich und richtig; denn wir wollen die Beamtinnen und Beamten nicht weiter von den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst abkoppeln und ihnen auch keine weiteren Sonderopfer abverlangen.“
In der Minderheitsregierung kam diese Regierung Kraft wohl als Wolf im Schafspelz daher. Jetzt hat Rot-Grün die Verkleidung ausgezogen und gezeigt, was sie wirklich von den Beamtinnen und Beamten des Landes hält.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Welch einen Krakeel haben Sie hier vor vier Jahren veranstaltet, als es um 20 € ging, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Heute koppeln Sie kaltlächelnd und lustlos die Beamtinnen und Beamten von den Tariferhöhungen ab und weinen Krokodilstränen dazu. Auch das hörte sich 2011 bei Minister Kutschaty noch anders an. Damals sagte er – nächstes Zitat –:
„Außerdem hat die Beamtenschaft einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Anpassung ihrer Besoldung entsprechend den allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen.“
So das damalige Plenarprotokoll. Der gesetzlich verankerte Anspruch besteht weiterhin, oder haben Sie ihn zwischenzeitlich aufgehoben?
Wie ist die Erhöhung für nur einen ganz kleinen Teil der Beschäftigten unter Ausschluss großer Teile der Beamtenschaft von der Tariferhöhung des öffentlichen Dienstes eigentlich mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes vereinbar? Was sagt Ihr Verfassungsminister zu diesem Gesetzentwurf? Eigentlich hätte er ihn im Kabinett stoppen müssen. Denn das Grundgesetz bindet auch das Land.
Ob der Gesetzentwurf mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, dahinter darf man auch ein großes Fragezeichen setzen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Es stellt sich noch eine weitere, sehr politische Frage. Herr Finanzminister, Sie wissen doch nicht erst seit gestern, dass Sie nicht in der Lage sind, den Tarifabschluss eins zu eins zu übernehmen. Sie wissen, was in Ihrem Haushalt an Vorsorge etwa für die Übernahme von Tarifergebnissen, den Tarifabschluss getroffen worden ist. Warum haben Sie dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst in der TdL zugestimmt, wenn Sie wussten, dass Sie die Beamtenschaft nicht eins zu eins daran beteiligen können? Das ist verantwortungslos und spaltet den öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
So dürfen Sie nicht verhandeln lassen, und Sie können sich als Mitglied der TdL auch nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie haben sich aber offensichtlich nicht entsprechend eingebracht.
Ich bin sicher, dass wir zu dieser Angelegenheit hier im Plenum und auch weiterhin im Ausschuss und in der Anhörung eine sehr interessante Debatte bekommen, und zwar auch zu den verfassungs- und beamtenrechtlichen Fragen.
Wenn die Beamtenschaft des Landes den Eindruck erhält, dass Recht und Gesetz durch das Kabinett nicht beachtet werden, dann legt das die Axt an den Rechtsstaat. Nicht umsonst haben die Richterinnen und Richter sich so verhalten, wie sie das in sehr unüblicher Weise jetzt getan haben. Denn dann geht es um die Übertragung eines Tarifabschlusses auf die Beamtenbesoldung nur in erster Linie – im Kern geht es um die Akzeptanz der Grundlagen unserer staatlichen Ordnung, nämlich von Recht und Gesetz.
Darum geht es auch heute in diesem Gesetzentwurf. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk. – Als nächstem Redner erteile ich für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Hahnen das Wort.
Uli Hahnen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich könnte ich mir etwas Schöneres vorstellen, als hier den Beamtinnen und Beamten der höheren Gehaltsgruppen sagen zu müssen: Wir können den Tarifabschluss nicht eins zu eins übernehmen. Natürlich!
Aber wir haben abwägen müssen sowohl vor der Haushaltslage als auch vor dem Thema der Schuldenbremse 2020. Wir mussten abwägen: Ist es richtiger, Teilen der Beamtenschaft die Erhöhung nicht zu geben, oder ist es richtiger, Personal zu entlassen? Ist es richtiger, zusätzliche Arbeitsverdichtung und Stellenabbau zu betreiben, oder ist der jetzt von der Regierung vorgegebene Weg der richtigere?
Wir haben uns sehr frühzeitig entschieden. Wir haben das auch sehr klar und deutlich gesagt, wissend darum, dass es natürlich vonseiten der betroffenen Beamtenschaft auch Proteste geben würde. Wir wussten: Wir werden nicht Everybody’s Darling sein. Aber, meine Damen und Herren, wer Everybody’s Darling sein will, der ist auch Everybody’s Depp.
Herr Lohn, ich darf Sie direkt ansprechen. Sie sind ja offensichtlich als Kampfmaschine der CDU in die Debatte geschickt worden.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Damit kann man aber keinen Krieg gewinnen!)
Ich sage Ihnen: Wir brauchten keine Diskussionen über einen Wortbruch zu führen, weil es keinen Wortbruch gab. Es gibt kein Zitat, wonach die Ministerpräsidentin oder der Finanzminister erklärt hätten: Wir werden den Tarifabschluss, wie immer er sei, eins zu eins übernehmen. – Dieses Zitat gibt es nicht.
(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben es aber von anderen gefordert!)
Herr Kollege Schmeltzer hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass Zitate aus Briefen zum Thema „Weihnachtsgeld“ hier nicht sachdienlich sind.
(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben es von anderen gefordert!)
– Herr Kollege Witzel, immer erst der Kopf, dann der Kehlkopf, bitte.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Herr Lohn, was ich aufs Entschiedenste zurückweise, ist Ihre diffamierende Äußerung, Ihre ehrabschneidende Äußerung zur Ministerpräsidentin, mit der Sie sie als Lügnerin darstellen. Ich weise das für die SPD-Fraktion ausdrücklich zurück!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Kollege Lohn, wenn Sie sich hier als personalpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion hinstellen und nicht einmal wissen, dass ein Oberinspektor in Besoldungsgruppe A 10 ist und es bei A 10 eine volle Übernahme des Tarifergebnisses gibt, dann sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie nicht einen anderen Job in der CDU-Fraktion übernehmen als ausgerechnet den des personalpolitischen Sprechers.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Lassen Sie mich einmal deutlich machen, was in anderen Bundesländern geschieht. Ich will nur eine kleine Auswahl nennen:
In Hessen werden Stellen abgebaut. In Bayern, was ja hier immer als Musterländle vorgebracht wird, wird der Pensionsfonds aufgelöst – und das, um die allgemeinen Schulden zu tilgen –, und es werden in der allgemeinen Verwaltung Stellen abgebaut. In Baden-Württemberg werden Einsparungen von über 60 Millionen € nur im Personalbereich diskutiert. In Schleswig-Holstein sollen bis 2020 über 5.000 Stellen abgebaut werden.
Meine Damen und Herren, wir haben einen anderen Weg gewählt. Wir wollen die Arbeitsverdichtung, die Sie unter der Regierung Rüttgers den Menschen zugemutet haben, nicht länger hinnehmen und den Beamtinnen und Beamten aufdrücken.
(Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, Sie fordern als CDU und als FDP die vollständige Übernahme, die Eins-zu-Eins-Übernahme, und sagen nicht, wie Sie sie finanzieren wollen. Sie sagen nicht: Jawohl, wir sind bereit, 14.000 Stellen abzubauen. Sie sagen nicht: Wir sind bereit, an anderen Maßnahmen entsprechende Einsparungen vorzunehmen. – Alles, was Sie hier gebracht haben, sind die Studiengebühren und die Kitagebühren. Die haben Sie aber schon vier oder fünf Mal in irgendwelchen Anträgen verfrühstückt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie können Geld als Deckungsvorschlag nur einmal ausgeben.
Nun habe ich, als Herr Witzel sich gemeldet hat, gedacht: Jetzt kommt der richtige Vorschlag. Herr Witzel beschäftigt sich ja auch immer wieder im Haushalts- und Finanzausschuss mit wichtigen Themen. Es kam nur nichts, Herr Witzel. Auch von Ihnen habe ich keine konkreten Vorschläge gehört, wie Sie die Eins-zu-Eins-Übernahme finanzieren wollen. Sie haben nichts dazu gesagt. Sie sollten vielleicht als Landtagsabgeordneter noch einmal darüber nachdenken, ob Sie nicht mehr in die Kategorie „Schaumschläger“ gehören.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Bisher habe ich Sie leider so kennengelernt. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ich habe die zwei Jahre zwischen 2010 und 2012 hier auch mitgemacht. Ich habe Ihre Kollegin Freimuth im Haushalts- und Finanzausschuss erlebt. Wir waren wahrlich nicht immer einer Meinung,
(Heiterkeit von Angela Freimuth [FDP])
aber, Frau Kollegin Freimuth, bei Ihnen habe ich den Sachverstand kennengelernt. Es wäre schön, wenn wir so etwas auch in dieser Legislaturperiode noch erleben würden.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ein Wort noch zu Herrn Stein von den Piraten. Herr Stein, Sie müssen noch ein bisschen am Vorlesen der Reden arbeiten. Der Kollege Schmeltzer sitzt näher am Rednerpult; er hat Sie offensichtlich in Teilen verstanden. Hinten kam aber nichts an – weder inhaltlich noch bezogen
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
auf die Art und Weise, wie Sie es vorgetragen haben. Daran müssen Sie noch ein bisschen arbeiten; dann würde ich mich auch mit Ihren Argumenten, so welche gekommen sind, auseinandersetzen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, wir als Rot-Grün haben einen Weg im öffentlichen Dienst mit einer Leistungsfähigkeit vorgegeben – die werden wir aufrechterhalten können –, aber auch mit sozial gerechter Politik, guter Bildung, Familienförderung, Vorbeugung und leistungsfähigen Kommunen. Das ist der Weg, den wir weitergehen werden. Sie werden sich weiterhin damit auseinandersetzen müssen, dass wir einen solchen Weg gehen und der von der Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen getragen wird. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Hahnen. – Als nächstem Redner erteile ich für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Wedel das Wort.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hahnen, das war schon ein „starker“ Auftritt von Ihnen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Was Sie hier zu den Kollegen Lohn und Witzel vorgebracht haben, kann man nur als Mischung aus Arroganz und Angst bezeichnen.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht vor, Beamte, Richter und Staatsanwälte ab einem Bruttoeinkommen von A 11, das heißt 2.700 €, von der Lohnentwicklung des öffentlichen Dienstes abzukoppeln. Laut Landesregierung soll dies eine „soziale“! Staffelung der Anpassung der Beamtenbesoldung sein.
Sozial ist also für SPD und Grüne, besonders stark bei einem Teil der eigenen Beschäftigten abzugreifen, um nicht an anderer Stelle sparen zu müssen.
Nicht nur für die betroffenen Beamten, Richter und Staatsanwälte ist es daher blanker Hohn, wenn Rot-Grün – wie etwa im Koalitionsvertrag – für sich reklamiert, sich für gute Arbeit und gerechte Löhne einzusetzen.
Meine Damen und Herren, gegenüber den 710 Millionen €, die sich die Landesregierung 2013/2014 von den Beamten holt, wirken die Vorschläge des Effizienzteams mit einem Volumen von 152 Millionen € geradezu lächerlich,
(Beifall von der FDP)
vor allem, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in dieser Summe reine Anpassungen an Ist-Werte enthalten sind, es sich also um Geld handelt, das niemals ausgegeben wurde. Kommissar Zufall beschert der Landesregierung Minderausgaben bei den Zinsen und den Zuschüssen für den Absatz deutscher Steinkohle. Doch selbst diese Summen wurden nicht gänzlich zur Konsolidierung genutzt; Einsparungen werden lieber bei der Beamtenbesoldung gemacht.
(Beifall von der FDP)
Stattdessen bläht die Landesregierung durch das bundesweit umfangreichste Personalvertretungsgesetz den Stellenapparat unnötig auf und hat seit dem Jahr 2010 über 2.000 neue Beschäftigte eingestellt. Bei einem Anteil der Ausgaben für Personal von rund 40 % und zusätzlichen Wahlgeschenken in dreistelliger Millionenhöhe muss der Landesregierung doch bereits damals klar gewesen sein, dass für eine angemessene Bezahlung dieses Personals die Mittel nicht ausreichen werden.
Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, Sie müssen an die Ausgaben ran. Klimaschutzgesetz, Tariftreue- und Vergabegesetz – all das, was mehr kostet als es bringt, muss vom Tisch, damit der Aufwuchs der Staatstätigkeit aufhört und endlich an den richtigen Stellen gespart wird. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen …
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
– Ich höre, es gab noch den Wunsch nach einer Kurzintervention. Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen die Regeln. Die Anmeldung der Kurzinterventionen muss bis zum Ende einer Rede vorliegen.
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
Jetzt ist das offenbar erst in letzter Sekunde erfolgt. Wer möchte intervenieren? – Herr Kollege Körfges.
Herr Kollege Wedel, ich gehe davon aus, Sie sind damit einverstanden, dass Sie gleich die Antwort vom Rednerpult aus geben.
Also, 90 Sekunden für Herrn Kollegen Körfges, dann 90 Sekunden für Herrn Kollegen Wedel. Los geht es!
Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Kollege Wedel! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit großem Erstaunen und auch mit einem gewissen Entsetzen habe ich bei diesem Wortbeitrag genau wie beim Wortbeitrag des Kollegen Witzel zur Kenntnis nehmen dürfen, dass Sie jetzt ganz offensichtlich die Errungenschaften des Landespersonalvertretungsgesetzes infrage stellen und es allen Ernstes hier so darstellen wollen, als könne man die Stunden, die wir zu Recht den Beschäftigen zur eigenen Interessenwahrnehmung, zur Arbeit innerhalb ihrer Behörden für ihre Kolleginnen und Kollegen eingeräumt haben, mit dem aufrechnen, was Sie uns im Bereich der Tarifanpassung vorwerfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das ist so was von unzulässig und lässt gerade bei der FDP ganz eindeutig hinter die Maske blicken. Ihnen geht es um billigen Populismus und nicht um die Interessen der Beschäftigten.
Denn eins ist klar: Wer hier versucht, Mitbestimmung gegen die Rechte der Arbeitnehmer auf der anderen Seite auszuspielen, kann nicht als Sachwalter für Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen ernst genommen werden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Jetzt Herr Kollege Wedel mit seiner Entgegnung. Bitte schön.
Dirk Wedel (FDP): Lieber Herr Kollege Körfges, das, was Ihre Wortmeldung noch einmal deutlich bestätigt, ist doch, dass die finanziellen Probleme, unter denen der Landeshaushalt leidet, von Ihnen hausgemacht sind.
(Lachen von Hans-Willi Körfges [SPD] – Nadja Lüders [SPD]: Das ist albern!)
Ich habe nicht behauptet, dass die 710 Millionen € beim LPVG entsprechend herauszuholen sind. Aber es ist doch eindeutig, wohin die Reise bei dieser Landesregierung geht: Sie wollen immer mehr Staatsdiener haben, wollen die aber immer schlechter bezahlen. Das halten wir nicht für den richtigen Weg.
(Beifall von der FDP – Zuruf von der FDP: Jawohl!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit die Kurzintervention und die Antwort des angesprochenen Abgeordneten. – Als nächsten Redner rufe ich Herrn Kollegen Mostofizadeh für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wedel hat eben seine immer wiederkehrende Rede zum Sparkurs der Landesregierung vorgetragen beziehungsweise abgelesen. Das sind aber Allgemeinplätze. Herr Kollege Wedel, sagen Sie doch ein einziges Mal, wo genau gespart werden soll außer beim LPVG. Wo genau wollen Sie gegenfinanzieren? Wo genau machen Sie etwas anders als wir? – Ich habe in der heutigen Debatte nur vernommen, dass der Kollege Abruszat vorgetragen hat, das Land solle bei der Kommunalfinanzierung noch mehr Geld hineinschießen und stärker zur Finanzierung beitragen.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Ich habe Ihr Muster verstanden. Ihr Muster lautet: Die Landesregierung hat versprochen, immer 1:1 zu übertragen und ordentlich draufzulegen und das aus dem Nirwana zu finanzieren. Das halten Sie uns jetzt vor.
Mich würde interessieren: Was wollen Sie denn? Was will die FDP? Was will die CDU?
(Lebhafter Widerspruch von Christian Möbius [CDU])
– Kollege Möbius, Sie führen immer die Verfassungsklagen an. Sie haben zehn Verfassungsklagen verloren, davon drei Verfassungsklagen gegen Maßnahmen zulasten der Kommunen, und zwar unter anderem, weil Sie den Landeshaushalt zulasten der Kommunen gegenfinanziert haben.
Noch etwas zum Thema „Personallüge“, die Sie zu verantworten haben. Sie haben gesagt, Sie würden den Landeshaushalt über Personalabbau sozusagen gegenfinanzieren. Fakt ist aber: 14.000 Stellen sind in der Legislaturperiode von 2005 bis 2010 tatsächlich gestrichen worden, davon 5.000 aufgrund der kw-Stellung, die Rot-Grün bis 2005 ausgebracht hat. Es verbleiben also noch 9.000 Stellen. Aber: 11.900 Stellen sind dazugekommen, 2.900 Stellen haben Sie zusätzlich aufgebaut.
(Lebhafter Widerspruch von Christian Möbius [CDU])
– Herr Kollege, eines kann ich Ihnen sagen: Ich habe sehr gut verstanden, was Sie wollen. Sie wollen Stimmung machen. Sie haben kein Konzept.
(Widerspruch von Karl-Josef Laumann [CDU])
Sie haben fünf Jahre lang bewiesen, dass Sie dieses Land nicht sinnvoll regieren können.
Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen noch etwas zurufen: Mir tut es leid, dass wir nicht 1:1 übertragen können. Sicher aber ist: Schwarz und Gelb sind die Garanten dafür, dass es nur noch viel schlimmer kommen kann
(Lebhafter Widerspruch von der CDU und der FDP)
– Moment! – und im Bund die Grundlage dafür gelegt werden muss, dass dieses Bundesland handlungsfähig ist. Das, meine Damen und Herren, werden wir im September dieses Jahres hoffentlich erleben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Mostofizadeh, würden Sie bitte am Rednerpult bleiben? – Vielen Dank. Es gibt eine Kurzintervention. Der Kollege Schulz aus der Piratenfraktion hat diese Kurzintervention angemeldet. Kollege Schulz, ich möchte Sie bitten, sich einzuloggen. Dann kann ich Ihr Mikrofon freischalten. Ihre 90 Sekunden laufen!
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Mostofizadeh, die Situation ist relativ eindeutig. Ich bin zunächst erstaunt, dass wir jetzt in eine Finanzierungsdebatte eingetreten sind und Fragen gestellt werden, wie refinanziert werden soll. Das hätte längst – zum Beispiel in der Haushaltsdebatte 2013 – erfolgen können. Denn es war absehbar, was am Ende der Tarifverhandlungen herauskommt, nämlich eine Erhöhung.
Der Punkt, um den es allerdings geht, ist der: Bei der derzeitigen Situation erfolgt eine ganz klare Trennung beziehungsweise Spaltung der Beamtenschaft in eine Zweiklassengesellschaft. Das genau ist der Kritikpunkt, den die Beamtenschaft vorträgt.
Nun stelle ich meine Frage: Warum unterhalten wir uns nicht schlicht und ergreifend über die Möglichkeit eines Nachtragshaushalts zum Haushalt 2013? Wie wir anschließend weiter verfahren, können wir dann für den Haushalt 2014 erneut beraten.
(Lachen von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Mostofizadeh, Sie haben 90 Sekunden Zeit, um zu reagieren. Bitte.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich ein bisschen zusammenreißen. „Ach, wie schön ist das Piratenleben!“ – Erst fragt der Kollege Stein: Wo stehen denn die Mehrausgaben, die seit 2000 angefallen sind? – Ich empfehle einen Blick in die blauen Bücher, und zwar nicht die von Marx, sondern die von Herrn Walter-Borjans.
(Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)
Eine zweite Bemerkung, Herr Kollege Schulz: Wer Geld ausgibt, sollte – zumindest halten wir das so – zusehen, wie er es einnimmt und gegenfinanziert. Deswegen haben wir diese Entscheidung getroffen. Es tut mir leid, dass Sie diesen Anspruch nicht haben. Aber das erklärt einiges an Beiträgen aus Ihrer Fraktion. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Landesregierung hat sich der Finanzminister zu Wort gemeldet. Herr Walter-Borjans, bitte.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe selten so viel Scheinheiligkeit wie in dieser Debatte erlebt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
CDU und FDP als die Spitze der Interessenvertretung der Landesbeamtinnen und Landesbeamten! Zwei Parteien, zwei Fraktionen, die während ihrer Regierungszeit das LPVG zerschlagen haben,
(Christian Möbius [CDU]: Zerschlagen?!)
die Kettenarbeitsverträge noch und nöcher auf die Tagesordnung gebracht haben, die ganze Behörden mit pauschalen 1,5-%-Kürzungen ausgetrocknet haben!
(Lebhafter Widerspruch von Dr. Robert Orth [FDP])
Sie können heute einmal ins LBV oder andere Behörden, etwa in die Bezirksregierungen, gehen und nachfragen, was dort passiert ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie haben an allen Ecken und Enden, über sämtliche Haushalte hinweg, an die ich mich erinnern kann, immer zuerst beim Personal gekürzt, zeigen aber jetzt mit dem Finger auf uns und sagen, Sie seien die Vertreter der Beamtinnen und Beamten.
Sie haben sich für die Haushaltskonsolidierung des Jahres 2008, die „natürlich“ völlig hausgemacht war, feiern lassen, aber – wie auch heute nicht – kein Wort darüber verloren, wo Sie 2010 aufgehört haben. Wir haben mit einem von Ihnen mit Mehrheit beschlossenen Haushalt mit 6,6 Milliarden € Nettoneuverschuldung angefangen. Das war natürlich alles Weltwirtschaft, vorher war alles hausgemacht!
2020 muss die Neuverschuldung bei null sein. Die rot-grüne Regierung ist seit drei Jahren im Amt. In dieser Zeit sind wir Schritt für Schritt von 6,6 Milliarden € heruntergegangen und für das Jahr 2014 bei einem Eckwert von 2,4 Milliarden €.
Die Ist-Werte waren drei Jahre lang so, dass wir insgesamt 4 Milliarden € weniger an Krediten aufnehmen mussten als die ohnehin schon ambitionierte Planung vorgesehen hatte, die Richtung null geht.
(Lachen von Christian Möbius [CDU])
Sie reden davon, das seien alles Steuermehreinnahmen gewesen. – Nein, die Verbesserung war immer mehr als zur Hälfte durch weniger Ausgaben als durch mehr Einnahmen bedingt.
Das muss man sich zunächst vor Augen führen und dann vergegenwärtigen, wie dieser Teil der Konsolidierung in den ersten Jahren gelungen ist. Er ist ohne eine Belastung des Personals gelungen. Im Gegenteil: Wir haben die Belastungen, die Sie vorgenommen haben, zurückgenommen. Wir haben das Landespersonalvertretungsgesetz repariert. Wir haben die Kettenarbeitsverträge in feste Stellen umgewandelt. Wir sind hingegangen und haben in der ersten Phase direkt und unmittelbar 1:1 übertragen. Wir haben diese 1,5%ige Kreissäge, die Sie überall angesetzt haben, durch die Möglichkeit ersetzt, die Einsparung über Sachmittel zu erbringen.
Jetzt kommen wir an den Punkt – das stand in allen Briefen, die Sie zitiert haben – zu sagen: Ja, auch der Personalanteil im Landeshaushalt ist mit zu berücksichtigen. Das kann ich gegenüber jedem draußen vertreten.Ich habe das oft genug gemacht. Das geht auch. Wenn draußen einer gerufen haben sollte „Mehr Lohn!“, dann hat er sicher nicht Sie gemeint, Herr Lohn.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Walter-Borjans. – Wir sind am Schluss der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/2880 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Kommunalpolitik, an den Innenausschuss, an den Rechtsausschuss und an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Ist jemand gegen diese Überweisungsempfehlung oder möchte sich enthalten?
(Günter Garbrecht [SPD] meldet sich.)
– Sie möchten sich enthalten?
(Günter Garbrecht [SPD]: Ich bin dagegen!)
– Sie sind dagegen.
Wir haben eine Gegenstimme aus der SPD-Fraktion und nehmen diese zu Protokoll. Damit ist der Gesetzentwurf an die Ausschüsse überwiesen.
(Unruhe)
Meine Damen und Herren, ich darf um ein klein wenig Ruhe bitten.
(Unruhe)
– Irgendetwas scheint amüsant zu sein.
Wir kommen zu:
11 Dienstrechtsanpassungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1625 – Neudruck
Änderungsanträge
der Fraktion der PIRATEN
Drucksachen 16/2948 und 16/2949
Änderungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2960
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/2904
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2950
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2961
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2979
Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Gebhard das Wort.
Heike Gebhard (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bei diesem Gesetzentwurf ist unstrittig, dass es endlich erforderlich ist, die Föderalismusreform, die bereits 2006 gegriffen und die Regelungskompetenzen für die Beamtinnen und Beamten auf die Länder übertragen hat, durch die Übernahme des Bundesrechts in Landesrecht tatsächlich zu praktizieren.
Mit unseren Änderungen stellen wir sicher, dass nur die Übernahme der für NRW relevanten Teile erfolgt.
Einigkeit besteht auch darüber, dass der eigentlichen Dienstrechtsreform nicht vorgegriffen werden soll.
Gleichwohl halten wir es für geboten, den Beschäftigten des Landes zu signalisieren, welche Punkte bei der eigentlichen Dienstrechtsreform für uns unabdingbar sind. Darum haben wir heute diesen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem sieben Eckpunkte genannt sind. Ich will sie hier in aller Kürze aufzählen.
Wir wollen klarstellen, wie die in unserem Koalitionsvertrag niedergelegte Haushaltsneutralität bei der Dienstrechtsreform definiert ist. Wir wollen klarstellen, dass Weihnachtsgeld in die Grundvergütung einzubauen ist. Die Dienstrechtsreform muss die Demografiefestigkeit des öffentlichen Dienstes sicherstellen. Wir wollen ein durchlässiges Laufbahnrecht schaffen. Unsere Zusage bezüglich der Ruhegehaltsfähigkeit von Feuerwehr-, Polizei- und Justizvollzugszulage wollen wir einlösen. Wir können nicht auf ein Gesundheitsmanagement verzichten. Im öffentlichen Dienst muss es gleiche Karrierechancen für Frauen geben.
Neben der Verabschiedung des jetzigen Gesetzes ist es wichtig, diese Botschaft zu senden.
Unstrittig ist auch, dass die Anforderungen, die sich aus der Rechtsprechung ergeben, angegangen werden müssen.
Wir wissen, junge Leute beklagen sich darüber, dass sie ausschließlich aufgrund ihres Alters niedriger eingestuft werden als andere, die dasselbe tun und die gleiche Ausbildung haben, aber eben schon älter sind. Deshalb werden Lebensaltersstufen durch Erfahrungsstufen ersetzt. Dies geschieht nicht, um auf Kosten der Beschäftigten zu sparen. Deshalb ist in diesem Gesetz ganz klar verankert, dass eine 1:1-Überleitung den Bestandsschutz sichert. Bei Neueinstellungen haben wir die bereits im Gesetzentwurf enthaltenen guten Anrechnungszeiten von Vorerfahrungen – wie zum Beispiel Kindererziehungs- und Pflegezeiten – im Zuge der Beratung im HFA nochmals deutlich ausgeweitet. Das betrifft insbesondere die Berufsgruppen von Feuerwehr und Polizei.
Wir haben auch bei den anderen Bereichen das Eintrittsdurchschnittsalter zur Grundlage genommen. Davon sind insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer betroffen. Auch dieser Berufsgruppe gegenüber handeln wir sehr verantwortungsbewusst. Das zeigt der Wegfall der Eingangsstufen. Bei A 12 haben wir die dritte Stufe und bei A 13 und A 14 sogar die dritte und vierte Stufe gestrichen, damit eine Gleichbehandlung der nachwachsenden Lehrerinnen und Lehrer stattfindet.
Durch unseren Änderungsantrag kommen diejenigen, die sich bereits im Anwärterstatus befinden, genau in die entsprechende Stufe, die sie bei Antritt ihres Anwärterdaseins erwartet haben.
Einem weiteren Gerichtsurteil folgend haben wir selbstverständlich auch die Professorenbesoldung angepasst. Dies war im Gesetzentwurf bereits so angelegt. Aus inhaltlichen Gründen sagen wir, das Prinzip der Leistungszulage in den Hochschulen ist ein sehr adäquates Prinzip. Deshalb haben wir eine Veränderung vorgenommen, bei der uns der HFA gefolgt ist. Es werden zwar alle Zulagen angerechnet, aber eben nur zu 45 %.
Sowohl den kommunalen Spitzenverbänden als auch den Lehrerverbänden war es wichtig, die Altersteilzeit fortzuführen. Auch dazu liegt heute noch einmal ein Änderungsantrag von uns vor. Er soll ausschließen, dass es aufgrund der Veränderungen beim Versorgungsrecht zu Irritationen darüber kommt, wie sich der Übergang für diejenigen gestaltet, die sich bereits im Altersteilzeitverfahren befinden. Infolgedessen bitte ich, auch diesen Änderungsantrag heute positiv zu bescheiden.
Ansonsten gibt es, glaube ich, für die anderen Änderungen eine große Mehrheit in diesem Hause.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin.
Heike Gebhard (SPD): Ich komme zum Schluss. Es gibt in diesem Hause eine große Mehrheit, wenn es darum geht, Verbote gendiagnostischer Untersuchungen bei Beamtinnen zu übernehmen, für die rückwirkende Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften, für Familienpflegezeiten analog zum Bundesgesetz. Ich glaube, dies alles sind wichtige Botschaften, dass wir auch mit diesem Gesetz gegenüber unseren Beamtinnen und Beamten im Lande eine Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Ich glaube, dass ist mit der jetzt vorliegenden Fassung auf jeden Fall gewährleistet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Lohn.
(Zuruf von Minister Dr. Norbert Walter-Borjans)
Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich höre ja selten auf den Finanzminister, aber wenn der Finanzminister nach mehr Lohn verlangt – hier bin ich. Danke schön.
(Heiterkeit und Beifall von der CDU)
Der vorliegende Gesetzentwurf wurde am 13. Dezember von eben demselben Finanzminister eingebracht. Er hat damals betont – das kann man eigentlich nur unterstützen –, wie wichtig und wertvoll ein Dienstrechtsanpassungsgesetz für einen attraktiven öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen sein kann. Doch daraus ist leider nichts geworden, Herr Finanzminister.
Ihr Gesetzentwurf ist in Grund und Boden gestampft worden. Ich erinnere mich an die Expertenanhörung vom 26. Februar. Es gab vom DGB bis zum Deutschen Beamtenbund keinen einzigen Sachverständigen, der irgendein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf gelassen hätte.
(Beifall von der CDU)
Das zeigt, dass die Landesregierung – in Person der Finanzminister – auf ganzer Linie versagt hat. Heute müsste man eigentlich schon davon reden, dass der Gesetzentwurf Vergangenheit ist. Es gibt nämlich so viele Änderungen, die die SPD nach ungefähr zweieinhalb Monaten eingereicht hat, dass wir eigentlich über einen ganz neuen Tatbestand reden. Es wurden in der Tat auch neue Tatbestände aufgeführt.
Ich will Ihnen die ganze Chronologie ersparen. Wir haben mindestens drei Änderungsanträge. Ein Änderungsantrag wurde bei der Sitzung noch einmal mündlich abgeändert, weil er redaktionelle Fehler enthalten sollte. In den letzten zwei Tagen haben uns allein drei Anträge erreicht.
Das Gesamtergebnis wird aber nicht besser. Sie haben die kommunalen Spitzenverbände aufgefordert, Stellung zu nehmen. Die haben gesagt, sie bräuchten keine neue Anhörung. Sie ließen es bei ihrem Urteil: Wir sind dagegen.
Wir haben als Opposition – CDU, FDP und Piraten – gemeinsam und geschlossen darauf hingewiesen, dass es das gute Recht der Opposition ist, bei wesentlichen Änderungen eine Anhörung zu beantragen. Diese Anhörung, die normalerweise völlig selbstverständlich ist und parlamentarischen Gepflogenheiten entspricht, wurde von Ihnen mit der Arroganz der Macht abgelehnt. Dafür gibt es nur einen Grund: Sie haben Angst davor, in eine erneute Sachverständigenanhörung zu gehen. Dann hätten wir die Änderungsanträge einmal bewerten lassen können.
Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist Stückwerk. Mit diesem Stückwerk können Sie unmöglich die Basis für eine vernünftige Dienstrechtsreform aus einem Guss schaffen. Genau das ist aber der Ansatz der CDU-Fraktion und auch der FDP-Fraktion, die sich uns angeschlossen hat.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Lohn, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Körfges zulassen?
Werner Lohn (CDU): Das kann er am Ende machen. – CDU und FDP haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, der zum Ziel hat, diesen vorliegenden Dienstrechtsanpassungsgesetzentwurf auf das zu reduzieren, was gerichtlich angeordnet ist. Es gibt ja ein oder zwei Punkte, die man machen muss. Darüber hinaus soll er auf das reduziert werden, was wirklich eilbedürftig ist.
Ansonsten sind wir dafür, dass endlich mindestens ein Versprechen wahrgemacht wird, was auch völlig kostenneutral und bürokratisch ohne Probleme umgesetzt werden kann, nämlich die Sonderzuwendung, also das ehemalige Weihnachtsgeld, in die Gehaltstabelle einzubauen.
Der dritte Punkt ist – dazu appelliere ich an alle Fraktionen in diesem Hohen Hause –: Der Bedeutung des öffentlichen Dienstes kann Ihr Dienstrechtsanpassungsgesetzentwurf auch mit den Änderungsanträgen nicht gerecht werden. Gerecht würde dem ein partei- und fraktionsübergreifendes Papier, was der Bedeutung des öffentlichen Dienstes für unser Land gerecht würde, was dann aber auch klarmachte, dass wir die Langfristigkeit eines solchen Gesetzeswerkes beachten.
Ihre Vorlage ist nicht zustimmungsfähig. Deswegen: Stimmen Sie dem Antrag von CDU und FDP zu. Dann haben wir die Basis gelegt für eine große Dienstrechtsreform aus einem Guss. Was Sie hier vorgelegt haben, ist konzeptionsloses Stückwerk und deswegen nicht zustimmungsfähig. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Lohn, ich darf Sie bitten, noch kurz hier zu bleiben. Ich interpretiere die eben noch gewünschte Zwischenfrage als Kurzintervention. Herr Körfges hat dann 90 Sekunden Zeit.
Hans-Willi Körfges (SPD): Ich bedanke mich ausdrücklich für die Uminterpretation und nehme gerne die Gelegenheit wahr, auf ein paar Sachverhalte hinzuweisen. – Ich will zum Beispiel darauf hinweisen, lieber Herr Kollege Lohn, dass Sie ganz offensichtlich die anhängigen Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Einführung von Erfahrungsstufen ausblenden, die damit verbundenen Risiken für das Land offensichtlich außer Acht lassen und das Sie darüber hinaus Fragen in der Anhörung gestellt haben, die dazu geführt haben, dass es einen Protokollvermerk gegeben hat mit einer Rechtsauskunft, die ganz eindeutig aussagt, dass wir bezogen auf die Anhörung absolut korrekt und konform mit unserer Geschäftsordnung verfahren sind. Insoweit ist das hohles Stroh, was Sie da hinsichtlich des Punktes der Anhörungen dreschen.
Ich möchte dann noch bei einem weiteren Punkt nachhaken. Ich halte es für diejenigen, die im Vertrauen auf die Fortsetzung der Regelung der Altersteilzeit jetzt eine schnelle Regelung von uns verlangt haben, für absolut notwendig, dass wir auch diesen Teil mitbeschließen. All das blenden Sie bei Ihrer Kritik aus. Das zeigt, dass es Ihnen auch in der Frage nicht um sachgerechte Lösungen für das Personal geht, sondern nur um billigen Klamauk.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Herr Lohn Sie haben dann auch noch einmal 90 Sekunden, wenn Sie darauf reagieren möchten.
Werner Lohn (CDU): Herr Körfges, vielen Dank für die Intervention.
Tatsächlich ist es so, dass Sie zwei Themen angesprochen haben. Das eine Thema sind die Erfahrungsstufen, wo die Bewertung der Sachverständigen verheerend war.
Ich möchte in Erinnerung rufen: Der Gesetzentwurf des Finanzministers sah vor, dass bei der Einführung der Erfahrungsstufen Berufsanwärter am Ende der Ausbildung, in der sie sich jetzt schon befinden, bis zu 4.000 € weniger Gehalt bekommen, als ihnen rechtlich zugesagt war. Deswegen ist diese Einführung von Erfahrungsstufen keine rechtliche Notwendigkeit. Das war eine schreiende Ungerechtigkeit.
Jetzt haben Sie in Ihrem Änderungsantrag versucht – das will ich gerne konstatieren –, diese Fehler abzumildern. Aber Sie haben sich geweigert, das von Experten neu beurteilen zu lassen. Wenn die Landesregierung mit dem ganzen Hinterbau der Ministerien schon beim ersten Mal so viele Fehler gemacht hat, wie viele Fehler macht dann die SPD-Fraktion alleine? Wir können uns auf Ihre Fachkompetenz nicht verlassen; wir verlassen uns auf die Kompetenz der Fachleute. Das haben Sie uns verweigert.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Das war‘s dann auch. Damit sind Sie vom Rednerpult entlassen. Herzlichen Dank!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Schäffer das Wort.
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut. Oder anders: Was schon gut war, machen wir jetzt noch besser.
Wir haben eine lange Debatte hinter uns; das ist völlig unbestreitbar. Die Anhörung war bereits im Februar. Aber im Gegensatz zu FDP und CDU haben wir uns eben auch inhaltlich mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und die Anhörung gebührend ausgewertet. Wir haben auch Kritik zugelassen und die entsprechenden Punkte aufgenommen. Vor diesem Hintergrund gibt es jetzt einige Änderungsanträge, die eine positive Fortentwicklung des Gesetzentwurfs zulassen.
In Bezug auf CDU und FDP kann man nur sagen: Sie haben im Ausschuss endlose Debatten über Formalia geführt: Es ist zulässig, dass man über Formalia diskutiert, aber Sie haben damit auch versucht, davon abzulenken, dass Sie sich mit dem Gesetzentwurf inhaltlich eigentlich gar nicht beschäftigt haben. Das hat man eben gerade in der Debatte noch einmal gemerkt; denn auch Sie müssen zugeben, es gibt eine aktuelle Rechtsprechung. Dass wir diese umsetzen müssen, ist, denke ich, völlig unbestreitbar. Die Frage ist eben, in welcher Form das erfolgt. Dazu machen Sie leider keine Alternativvorschläge. Das finde ich sehr schade; denn über die hätten wir gerne diskutiert.
Ich glaube, ein Stück weit muss man bei dem Gesetzentwurf aber abschichten. Wir befinden uns in der ersten Stufe der Dienstrechtsreform, das heißt bei der Anpassung an die aktuelle Rechtsprechung und veränderte Gesetzgebung. Beispiele dafür sind die W-Besoldung, die Erfahrungsstufen, die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften oder auch die veränderte Gesetzgebung, etwa die Ausbringung der Ämter an den Sekundarschulen, die wir hier gemeinsam mit der CDU beschlossen haben.
Die zweite Stufe kommt noch. Insofern haben wir von Anfang an nie falsche Hoffnungen geweckt, sondern immer gesagt, es geht bei den Besoldungs- und Versorgungsgesetzen um die Überleitung von Bundesrecht in Landesrecht, und es geht um die Anpassung an rechtliche Veränderungen. Genau das haben wir im Gegensatz zu CDU und FDP getan.
Deshalb finde ich es lustig, dass Sie in Ihrem Entschließungsantrag fordern, wir brauchen eine Dienstrechtsreform, um den öffentlichen Dienst attraktiver, flexibler, motivierter und leistungsfähiger zu machen. Das ist alles schön und gut. Aber das alles hätten Sie seit 2007 – seit der Föderalismusreform – machen können. Ich finde, auch das gehört zur Wahrheit dazu. Das haben Sie nicht gemacht.
Sie wissen, ein wichtiger Punkt unseres Gesetzentwurfs ist die Umstellung von Dienstaltersstufen auf Erfahrungsstufen. Anlass dafür ist das EuGH-Urteil, wonach niemand aufgrund seines Alters diskriminiert werden darf. Ich finde, es macht das Besoldungsrecht aber auch qualitativ besser, gerechter und fairer, und es macht es im Übrigen auch attraktiver für Quereinsteigerinnen und -einsteiger, die nicht mehr aufgrund der Dauer der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst eingestuft werden, sondern aufgrund von Qualifizierung und vorberuflicher Erfahrung.
Genau zu diesem Punkt gibt es jetzt von uns zwei Änderungsanträge. Die halte ich für wesentlich; deshalb werde ich sie noch einmal kurz vorstellen. Zum einen geht es um den Zeitraum der anrechenbaren Erfahrungszeiten. Diesen Zeitraum werden wir mit unserem Änderungsantrag dahin gehend ausweiten, dass alle Erfahrungszeiten unbegrenzt angerechnet werden können. Damit schaffen wir eine Regelung analog zum Bundesrecht. Ich halte sie für sehr vorbildlich. Dies ist längst nicht in allen Ländern gegeben. Auf die Vorteile für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger habe ich gerade schon hingewiesen.
Wir schaffen mit unserem Änderungsantrag aber auch eine Übergangsregelung für die Anwärterinnen und Anwärter, die derzeit schon eingestellt sind. Es war auch einer der Kritikpunkte der Gewerkschaften, dass die Umstellung von Dienstaltersstufen auf Erfahrungsstufen für bestimmte Berufsgruppen im Schnitt durchaus zu Verschlechterungen führen kann.
Wir haben uns bei diesem Gesetzentwurf angeschaut – ich bitte Sie darum, sich einmal die Besoldungstabellen anzusehen, also wirklich einmal in die Tiefe der Inhalte zu gehen –, wie die momentanen Durchschnittsalter bei der Einstufung in die Besoldungsstufen sind. Diese Durchschnittsalter sind dann bei der Umstellung auf die Erfahrungsstufen zugrunde gelegt worden.
Das heißt, im Durchschnitt wird niemand schlechter gestellt. Aber wie das bei Durchschnittswerten immer ist: Es gibt Personen, die unter den Durchschnittswerten liegen, und solche, die darüber liegen. Aber damit diejenigen, die jetzt schon Anwärterinnen und Anwärter sind, noch zu denselben Konditionen eingestellt werden, schaffen wir eine Übergangsregelung. Ich halte das für sehr fair und richtig.
Die zweite Stufe – darauf haben wir hingewiesen – kommt noch mit vielen guten Zielen: Flexibilität zwischen privatem und öffentlichem Sektor, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gleiche Karrierechancen für Frauen und flexiblere Arbeitszeitmodelle. All das kommt, und über all das muss auch diskutiert werden.
Was wir in dem vorliegenden Entschließungsantrag gemacht haben, war, genau diese Ziele als Arbeitsprogramm, das wir uns auferlegt haben, festzuhalten.
(Zuruf von der CDU: Noch schneller!)
– Ja, ich kann noch schneller reden, aber es wäre gut, wenn Sie einfach mal zuhören würden. Das würde die Debatte vielleicht ein Stück weit vereinfachen.
Wir halten in diesem Entschließungsantrag auch fest, dass wir bei der Ruhegehaltsfähigkeit Wort halten. Die Ruhegehaltsfähigkeit bei Polizei, Justiz und Feuerwehr wird kommen. Von Schwarz-Gelb ist sie damals abgeschafft worden.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, Ihre Redezeit.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ja, ich werde gleich aufhören. – Wir werden sie rückwirkend wieder einführen. Das halte ich auch für ein wichtiges Signal gerade an diese Berufsgruppen, die erhebliche Belastungen zu tragen haben. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Witzel das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind froh, dass wir seit der Föderalismusreform des Jahres 2006 in den Ländern die Gelegenheit haben, über die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz auch zentrale zukünftige Fragen zu entscheiden: das Laufbahn-, Besoldungs- und Versorgungsrecht.
(Zuruf von den GRÜNEN)
– Herr Kollege, das ist ein Mechanismus des Wettbewerbsföderalismus. Wir halten es als Partei des Wettbewerbs für richtig, dass wir uns diesem Wettbewerb unter den Bundesländern stellen. Das ist für uns natürlich eine Herausforderung und Verpflichtung, attraktiv zu sein. Aber das bietet natürlich auch Chancen, wenn man Dinge gut und zukunftsfähig regelt, auch in diesem Wettbewerb zu bestehen und zu punkten.
(Beifall von der FDP)
Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Hamburg und das Saarland haben bereits große Dienstrechtsreformen auf den Weg gebracht. Hier ist über die Genese und auch über den Vorlauf, den dieses Projekt in der wissenschaftlichen Beratung hatte, lange gesprochen worden. Ich glaube, da müssen gerade die Koalitionsfraktionen nach dem Stillstand der Rechtspflege der letzten Jahre nicht mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Gegend laufen.
Für die FDP-Landtagsfraktion gilt: Eine große Dienstrechtsreform bietet für Nordrhein-Westfalen, wenn man denn alles richtig macht, große Chancen zur Modernisierung und Stärkung des öffentlichen Dienstes, die wir brauchen, um auch zukünftig attraktiv zu sein für Neueinsteiger, Neuzugänge und Seiteneinsteiger. Da wird vieles im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel an Anforderungen neu auf uns zukommen.
Der Vorwurf der Koalitionsfraktionen, Ihr Gesetzentwurf sei von der Opposition nicht hinreichend bearbeitet worden, ist absurd. Wir haben nicht nur eine erste Anhörung gemeinsam durchgeführt, sondern auch ausgewertet und über all die Fragen debattiert, für die Sie Vorschläge gemacht haben: bei der Altersteilzeitregelung und bei der Umstellung von Lebensalters- auf Erfahrungsstufen. Wir haben auch die Frage diskutiert, wie sich das bei welchen Ämtern abhängig vom Lebensalter auswirkt. Was heißt das für die kritischen Fälle, die auch vorgetragen worden sind, im Arbeitsschutz, in der Justiz und bei der Polizei für die Laufbahnen A 7 bis A 9? Kann es da zu Einbußen kommen von mehreren tausend Euro, wie das die ursprüngliche Vorlage auch vorgesehen hat?
Da haben Sie als rot-grüne Landesregierung schlechte Arbeit in der Vorlage geleistet. Das haben Ihnen unisono die allermeisten Experten auch bestätigt. Deshalb haben Sie nachgebessert; das wollen wir konzedieren. Dabei sind viele Problemkonstellationen, die für massive Verärgerung gesorgt haben, von Ihnen an der einen oder anderen Stelle glattgezogen worden; das gehört zu einer ehrlichen Betrachtung dazu.
Aber noch nicht alle Probleme sind gelöst. Vor allen Dingen würden wir uns sehr viel besser fühlen, wenn wir die Gelegenheit gehabt hätten, im Rahmen einer zweiten Anhörung mit all denen, die berechtigte Kritikpunkte sehr sachlich und begründet dargelegt haben, auch noch einmal einen zweiten Durchgang zu machen und zu klären, ob damit auch alle praktischen Konstellationen an den Stellen geheilt sind, wo es die Probleme bislang auch gab. Das haben Sie als Koalitionsfraktionen uns im Beratungsverfahren verwehrt.
Ich möchte noch auf zwei, drei Einzelpunkte zu sprechen kommen. – Ein Aspekt, der immer eine Rolle gespielt hat, war die Frage, wie man das zukünftig mit dem Alterseintritt für die Beamten regelt, die freiwillig länger arbeiten wollen. Das ist nicht der Regelfall. Viele freuen sich auf ihren Ruhestand, aber es gibt diejenigen, die sich noch voll leistungsfähig und motiviert fühlen, im öffentlichen Dienst zu bleiben. Die haben bis jetzt eine starke Anspruchsgrundlage gehabt, wenn sie mit Qualifikation ihre Stelle oder ihre Position, die auch zukünftig noch gebraucht wird, gerne fortführen wollen, die Arbeitsphase um drei Jahre zu verlängern. Das ist nicht der Regelfall gewesen, aber diejenigen, die von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, haben das nicht bereut.
Da wollen Sie jetzt eine Beweislastumkehr. Zukünftig entscheidet das Gutdünken des Vorgesetzten sehr viel stärker, ob solche Lösungen möglich sind. Dadurch wird auch an einer wichtigen Stelle für Leistungsträger im öffentlichen Dienst ein Verbleib unnötig erschwert; ich will nicht sagen: ganz verbaut.
Die Frage der Altersteilzeit ist auch wichtig, deshalb hat das in den Beratungen auch eine Rolle gespielt. Ich will das mit Blick auf die Piratenfraktion und ihren Antrag sagen: Wir glauben, dass wir das Thema noch einmal grundsätzlicher diskutieren müssen. Wir haben ja noch die Kernbausteine für eine große Dienstrechtsreform vor uns. Heute tun wir uns schwer, Ihrem Antrag zu folgen. Deshalb werden wir uns an der Stelle enthalten und wollen weiter bei den zukünftigen Diskussionsrunden im Gespräch bleiben.
Eine allerletzte Anmerkung! Was ich ganz witzig fand: Im Entschließungsantrag von Rot-Grün, der uns heute vorgelegt worden ist, schreiben Sie, Sie wollten überprüfen, wie ein attraktives Personaleinsatzmanagement im öffentlichen Dienst zukünftig aussehen kann. Genau diese Institution haben wir gehabt. Das Personaleinsatzmanagement – PEM – haben Sie gerade auslaufen lassen und seine Strukturen zerschlagen, anstatt es zukunftsfähig zu machen und die Tätigkeit zu verlängern.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Ralf Witzel (FDP): Wenn es Ihre Erkenntnis sein sollte, dass Sie das ändern wollen, können wir jederzeit darüber reden. Ansonsten ist das hier nicht ganz ernsthaft gemeint.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Piratenfraktion steht jetzt am Pult der Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Mein sehr geehrter Herr Lieblingspräsident!
(Zurufe: Oh!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über einen Gesetzentwurf in zweiter Lesung, der von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Sie legten zu Beginn einen Gesetzentwurf vor, der strukturell und inhaltlich nur als katastrophal bezeichnet werden konnte. Ich habe den Eindruck, da hat sich ein Praktikant am Entwurf ausgetobt. Das sage ich nicht nur, weil ich in der Opposition bin, nein, auch alle Sachverständigen in der Anhörung, selbst Ihre eigenen, werte Mitglieder von Rot-Grün, waren sich unisono einig – das ist wirklich sehr selten –, dass dieser Entwurf einfach nur schlecht war.
Dann haben Sie sich fast zwei Monate Zeit gelassen, um einen Ihrer Meinung nach adäquaten Änderungsantrag auszuarbeiten. Diese Änderungen sind dann bis auf zwei Dinge, die wir auch noch ganz gerne geändert haben möchten, inhaltlich sogar ganz passabel. Allerdings beschränken Sie sich auch ausschließlich auf die inhaltlichen Aspekte. Strukturell haben Sie gar nichts geändert.
Deswegen ist dieses Gesetz handwerklich immer noch schlecht.
Das Gesetz ist weiterhin dermaßen undurchsichtig und von Verweisen geprägt, dass es schwerfallen wird, damit in der Praxis zu arbeiten, geschweige denn, es überhaupt in Gänze zu verstehen.
Teilweise haben Sie Bundesverordnungen auf Landesebene heruntergeholt, die sich mit der Bundeswehr beschäftigen. Und darin stehen zwei Landesbesoldungsgesetze nebeneinander.
(Heike Gebhard [SPD] und Hans-Willi Körfges [SPD]: Das hat unser Änderungsantrag alles rausgeschmissen!)
– Ja, das sieht aber nicht ganz so aus. Mit Normenklarheit hat dieses Gesetz nicht das Geringste zu tun.
Auch wir Piraten haben Änderungsanträge zu diesem Gesetzentwurf gestellt, obwohl wir dieses Gesetz auch weiterhin für schlecht halten. Wir halten es sogar für so schlecht, dass wir diesem Gesetz nicht zustimmen werden, auch wenn die anderen Anträge angenommen werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Unsere Anträge sind im Übrigen genau wie Ihrer rein inhaltlicher Natur. Inhaltlich beseitigt Ihr Änderungsantrag tatsächlich viele der von den Sachverständigen angesprochenen Mängel. Wir hätten dies gerne noch ergänzt. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzentwurf strukturell weiterhin schlecht ist.
Machen wir uns nichts vor: Dieser Gesetzentwurf wird trotzdem angenommen werden. Das ist sehr wahrscheinlich. Das haben wir auch an Ihren Redebeiträgen gehört. Weil das so ist und weil wir wissen, dass das so ist, wollten wir wenigstens sicherstellen, dass dieses Gesetz zumindest auf inhaltlicher Ebene akzeptabel wird, obwohl es uns lieber wäre, es würde gar nicht erst angenommen.
Umfassendere Anträge, die auch die strukturellen Mängel beseitigt hätten, sind uns in der kurzen Zeit leider nicht möglich gewesen. Ich möchte abschließend um eines bitten: Stimmen Sie wenigstens unseren Anträgen zu! Lassen Sie es nicht zu, dass über die Anrechnung von Erfahrungszeiten aus anderen Berufen nach Kassenlage entschieden wird. Das muss einzig und allein danach geschehen, ob der vorhergehende Beruf förderlich ist oder nicht. Das ist bei Ihren Anträgen leider so nicht der Fall.
Wir werden es verdammt schwer haben, erfahrene Menschen aus anderen Bereichen dorthin abzuwerben, wo große Erfahrungen essenziell und zum Teil auch lebensnotwendig sind wie zum Beispiel bei der Feuerwehr, wenn diese Menschen ihre Berufserfahrung nicht beim späteren Gehalt und vor allem auch nicht bei der Pension angerechnet bekommen.
Das betrifft auch die Altersteilzeit. Das ist ein Instrument, um auch die hohen Krankenstände wirksam zu bekämpfen. Sie gewähren lediglich den Lehrern diese Altersteilzeit mit der Begründung, dass das ein schwerer und belastender Beruf sei. Das ist zwar richtig, aber es gibt auch andere Berufszweige im öffentlichen Dienst, auf die diese Begründung ebenfalls zutrifft, wenn nicht sogar noch mehr. Entweder gibt es Altersteilzeit für alle Berufszweige, auf die diese Begründung zutrifft, oder eben für gar keinen. Aber diese Ungleichbehandlung ist für uns in dieser Form nicht hinnehmbar.
Heben Sie doch mit uns gemeinsam auch die Hinzuverdienstgrenzen für frühzeitig pensionierte Beschäftigte entsprechend den Bundesregelungen und den Regelungen anderer Länder auf ein Niveau an, das zum heutigen Berufsfeld passt! Die 325-Euro-Grenze stammt aus einer Zeit, in der es noch 325-Euro-Jobs gab. Die gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Leider gibt es auch keine Jobs mehr, die darauf zugeschnitten sind.
Viele haben es deshalb schwer, einen Job zu finden, der keine Einbußen nach sich zieht. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Mein „Lieblings-Schatz“ darf ich nicht sagen; sonst bekomme ich Stress zu Hause. Also: Vielen Dank, lieber Kollege Schatz. – Für die Landesregierung haben wir den nächsten Wortbeitrag vom Finanzminister, Herrn Dr. Walter-Borjans.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die Vorteile, die Nachteile, die Entstehungsgeschichte dieser Dienstrechtsanpassung, glaube ich, hinreichend diskutiert. Ich möchte kurz darauf hinweisen, wie die Vorgeschichte war.
Bevor diese Regierung 2010 ins Amt gekommen ist, war über Jahre nichts geschehen in der Frage, wie wir eine Dienstrechtsreform, eine Dienstrechtsmodernisierung für Nordrhein-Westfalen hinbekommen könnten. Wir haben uns darangemacht. Wir haben auch immer deutlich gemacht, dass das insgesamt ein schweres Unterfangen ist, und zwar einfach deshalb, weil wir eine ganze Reihe von Fragen, die das Dienstrecht, die die Besoldung, die die Versorgung betreffen, geregelt werden muss, und dass wir auf der anderen Seite sicherstellen wollen, dass das mit den Bemühungen der Konsolidierung des Landeshaushalts nicht in Konflikt gerät.
Auf der einen Seite müssen wir die Verbesserungen, die nötig sind, hinbekommen, wir müssen die Übertragung von Bundesrecht auf Landesrecht hinbekommen. Auf der anderen Seite müssen wir gleichzeitig eine ganze Reihe von gesetzlichen Auflagen umsetzen.
Sehr schnell war deutlich, dass ein großer Diskussionsbedarf gegeben ist, aber auch ein Handlungszwang vorhanden ist, weil bestimmte Bereiche – ich denke zum Beispiel an die Erfahrungsstufen oder an die W-Besoldung – schnell geregelt werden mussten. Das haben wir getan.
Wir haben uns entschieden, das in mehreren Stufen zu machen. Es hat eine Reihe von Diskussionen gegeben – das gebe ich gerne zu –, auch mit den Gewerkschaften, mit den Vertretern der Arbeitnehmerschaft des öffentlichen Dienstes, die gerne in einem Paket alles gleichzeitig sofort gehabt hätten. Wenn das möglich gewesen wäre, wäre ich der Letzte gewesen, der dem nicht entgegengekommen wäre. Aber wir hatten diesen Diskussionsbedarf und sind deswegen so vorgegangen, wie wir es jetzt vorlegen, und zwar in mehreren Stufen.
Ich finde, dass dafür diese schrittweise Veränderung, diese schrittweise Anpassung gut gelungen ist. Ich bin auch den Koalitionsfraktionen außerordentlich dankbar dafür, dass wir im Zusammenspiel die Punkte, die noch veränderungsbedürftig, anpassungsbedürftig waren, hinbekommen haben. Ich finde, dass das, was jetzt in der Schrittfolge zwischen einer Dienstrechtsanpassung und einer Dienstrechtsmodernisierung in einer weiteren Stufe vorliegt, das richtige Paket ist. Deswegen bitte ich für die Landesregierung noch einmal um die Zustimmung dieses Hauses. – Danke.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister Dr. Walter-Borjans, es gibt eine Zwischenfrage von dem Kollegen Lohn. Ich möchte Sie fragen, ob Sie die zulassen wollen.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Können wir machen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Das machen wir so. – Herr Lohn hat das Wort.
Werner Lohn (CDU): Herr Minister, vielen Dank. Wir sind uns einig, dass eine Dienstrechtsanpassung bei den dringenden und wichtigen Bereichen erfolgen muss. Nach unseren Informationen war es so, dass Sie beabsichtigen, eine Dienstrechtsreform in zwei Stufen zu realisieren, und zwar sollte sie dann – das ist mehrfach betont worden – 2014 ihren Abschluss finden.
In mehreren Gesprächen mit Gewerkschaftsvertretern, die zuvor Gespräche mit der SPD-Fraktion geführt haben, wurde die Information an uns herangetragen, dass die große Dienstrechtsreform auf 2015 verschoben sein soll. Ist das richtig?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wir führen mit den Gewerkschaften Gespräche darüber. Wir haben gesagt, dass wir uns, wenn wir den ersten Teil erledigt haben, der unter Zeitdruck steht, der schnell erfolgen muss und der entsprechend der gesetzlichen Auflagen erfolgen muss, dann zügig an den zweiten Teil und an die weitere Schrittfolge heranbegeben.
Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, wann das genau der Fall ist, wann wir da zu einem Abschluss kommen. Sicher ist, dass wir jetzt an den zweiten Teil intensiv herangehen, dass wir das im Austausch mit den Gewerkschaften machen. Dann kann es sein, dass das 2014 oder erst 2015 geschehen wird. Das wird aber im Einvernehmen mit allen Beteiligten gut zu bewerkstelligen sein.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung und kommen zur Abstimmung. Diesmal sind es nur sieben Abstimmungen.
Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/2904, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/1625 – Neudruck – in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Erstens stimmen wir über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/2948 ab. Wer ist für diesen Antrag? – Die Piratenfraktion. Wer ist gegen den Antrag? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – CDU und FDP. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Zweitens stimmen wir über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/2949 ab. Wer ist für diesen Antrag? – Piratenfraktion, CDU und FDP. Wer ist gegen den Antrag? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Drittens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2960 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Piraten, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen den Antrag? – Die CDU und die FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag angenommen.
Viertens stimmen wir über den Gesetzentwurf Drucksache 16/1625 – Neudruck – in der Fassung der Beschlussempfehlung Drucksache 16/2904 unter Berücksichtigung der eben angenommenen Änderung ab. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen den Gesetzentwurf? – Piraten, CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung unter Berücksichtigung der zuvor beschlossenen Änderung angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/1625 – Neudruck – in zweiter Lesung verabschiedet.
Fünftens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/2950 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Piratenfraktion. Wer ist gegen den Entschließungsantrag? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – CDU und FDP enthalten sich. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Sechstens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2961 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Piraten, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen den Antrag? – CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen.
Siebtens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 16/2979 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Piraten, CDU und FDP stimmen dafür. Wer ist gegen den Antrag? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Dann sind wir am Schluss dieses Tagesordnungspunktes und kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2899
Ich darf Sie bitten, einigermaßen ruhig den Saal zu verlassen, damit ich die Beratung eröffnen kann.
Für die antragstellende Fraktion hat – es gibt wieder mehr Lohn – der Kollege Lohn das Wort. Bitte sehr.
(Guido van den Berg [SPD]: Der hat sein Geld heute aber verdient!)
Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger bei uns im Land und auch wir im Landtag verlangen von unserer Polizei viel. Im Prinzip jeder will schnelle Hilfe, professionelle Hilfe, Schutz vor Kriminalität, hohe Aufklärungsquoten und dabei rechtssicheres und sozial angepasstes Verhalten. Zusätzlich müssen Woche für Woche Tausende Überstunden bei Bundesligaspielen und gewalttätigen Demonstrationen absolviert werden.
Dass diese Aufgaben trotz wirklich schwieriger Rahmenbedingungen immer noch sehr engagiert angegangen und bewältigt werden, haben wir unseren motivierten Polizeibeamtinnen und ?beamten zu verdanken. Für dieses Engagement möchte ich den Beamtinnen und Beamten zunächst einmal den Dank der CDU-Fraktion aussprechen.
(Beifall von der CDU)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Dank und Anerkennung sind natürlich nicht alles. Die Bürgerinnen und Bürger haben an den Staat einen Anspruch auf höchstmögliche Sicherheit.
Die Gewährleistung der inneren Sicherheit ist absolute Kernaufgabe des Landes. Leider klappt das unter SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen nicht immer hundertprozentig, manchmal auch schlecht. Nordrhein-Westfalen ist nach der heute vorgestellten Kriminalstatistik 2012 das gefährlichste Flächenland in Deutschland.
Die Ausreden der Landesregierung und auch des Polizeipräsidenten von Düsseldorf, Schenkelberg, waren geradezu zum Auf-die-Schenkel-Klopfen. Da sagt man in der Tat, Nordrhein-Westfalen habe so viele Großstädte, Bundesligavereine und Messeveranstaltungen; deswegen sei die Kriminalität bei uns so hoch.
Ich frage mich, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, aber vor allen Dingen auch die Landesregierung: Was ist denn mit München? Spielt München in der 3. Liga? Gibt es in München keine Messen? Ist München kein Ballungszentrum? Dort ist die Kriminalität aber nur halb so hoch wie bei uns.
Zurück zum Antrag „Polizeiverwaltungsassistenten“:
(Guido van den Berg [SPD]: Das wird aber auch Zeit!)
Die Kernaufgaben der Polizei sind unstrittig Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Kriminalprävention. Die Realität in den Dienststellen sieht leider so aus, dass man oft mit viel zu viel reiner Verwaltungstätigkeit, also Bürokram, beschäftigt ist. Viele Dienststellen sind an der Grenze der Belastbarkeit angekommen: Überstunden ohne Ende; die Krankenstände steigen. Trotzdem müssen studierte Polizeikommissare gelegentlich stundenlang am Kopierer stehen, alle Schreibarbeiten selbst erledigen und Statistiken führen.
Eigentlich braucht man auch keine studierten Polizisten für das bloße Durchführen von Geschwindigkeitsmessungen oder die Bewachung von Personen im Polizeigewahrsam.
Die CDU ist der Auffassung, dass unsere Polizei auf die Straße und in die Kriminalkommissariate gehört; denn dort wird die Sicherheit erzeugt und wirklich Dienst am Bürger getan, nicht hinter Aktenbergen.
(Beifall von der CDU)
Keinen Zweifel lassen wir daran, dass in allen Kernbereichen von Polizeivollzugsarbeit sehr gute Ausbildung, hohe Professionalität und auch Beamteneigenschaft gefordert sind. Reine Verwaltungstätigkeiten und Zuarbeiten können und müssen aber vermehrt von Assistenten oder Verwaltungsangestellten erledigt werden.
Das entspricht der Qualifikation der Polizeibeamten und steigert deren Motivation sowie die Polizeipräsenz auf der Straße. Es schafft Freiräume für echte Polizeiarbeit. Ganz im Sinne der Steuerzahler kann es auch noch preiswerter sein.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Wenn wir das beherzigen, werden bei uns auch wieder mehr Delikte aufgeklärt und weniger Menschen Opfer einer Straftat. Darauf haben auch die Menschen in Nordrhein-Westfalen einen Anspruch, nicht nur in Bayern und Baden-Württemberg.
Verehrte Kolleginnen, genau da setzt unser Antrag an. Wir wollen pro Jahr 200 sogenannte Polizeiverwaltungsassistenten – man kann es auch abkürzen: PVA – einstellen, bis zum Jahr 2017 also 1.000. Das heißt, im Durchschnitt bekommt jede der 47 Kreispolizeibehörden im Land 21 Polizeiverwaltungsassistenten bis 2017.
Aus reichlich Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen weiß ich, dass solche Hilfe dringend erwartet wird. Wir müssen relativ kurzfristig helfen. Die Polizeiverwaltungsassistenten könnten einen Teil dieser benötigten Hilfe darstellen.
Geschätzte Kolleginnen von SPD und Grünen, Ihre Kritikpunkte sind mir aus Gesprächen auch bekannt. Deswegen will ich es gleich betonen: Das, was wir vorhaben, ist nicht die Schaffung einer Billigpolizei. Es ist auch nicht die Abschaffung der zweigeteilten Laufbahn bei der Polizei.
Natürlich gibt es Polizeiverwaltungsassistenten nicht zum Nulltarif. Um gewollte oder versehentliche Missverständnisse zu vermeiden, rechnen Sie bitte einmal mit. Ein Polizeiverwaltungsassistent wird mit 30.000 € pro Jahr veranschlagt. Auf der Stelle eines Polizeibeamten, der mit 50.000 € veranschlagt wird, sollen zwei Verwaltungsassistenten eingestellt werden können. Die Entscheidungen treffen die Behördenleitungen vor Ort. Das macht bei 200 Polizeiverwaltungsassistenten für das Jahr 2013 ab Juni – früher ist es ja nicht möglich – 500.000 €.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Werner Lohn (CDU): Wir können so jährlich den Personalbestand bei der Polizei um 100 erhöhen. Das ist neben den erhöhten Einstellungen, die wir vorgenommen haben und die Sie vorgenommen haben, ein kleiner Schritt, auch um gegen die hohe Pensionswelle anzukämpfen, die uns demografisch erwartet.
Ich fordere Sie auf: Arbeiten Sie konstruktiv mit! Beschäftigen Sie sich mit dem Thema inhaltlich, nicht nur rein parteitaktisch! Es wäre ein gutes Ding, wenn wir den Polizistinnen und Polizisten dabei helfen würden, ihre eigentliche Arbeit zu tun. Ich freue mich auf Ihre Mitwirkung. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Dahm.
Christian Dahm (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lohn, man hat Ihnen das schon angemerkt: Dreimal am Rednerpult, da geht Ihnen leicht die Luft aus. Mich und uns konnten Sie, glaube ich, mit diesem Antrag nicht überzeugen.
(Beifall von der SPD)
Wir hatten eigentlich die Hoffnung, dass dieser Antrag nach den Beratungen des Einzelplans 03 längst erledigt sei. Da konnten Sie uns noch nicht mal die Gegenfinanzierung erläutern. Aber heute haben Sie zumindest den Versuch unternommen.
Sie gehen davon aus, dass es in den Kreispolizeibehörden eine nennenswerte Anzahl Funktionen in der Polizei gibt, die derzeit durch Polizeibeamte besetzt sind und dass diese künftig faktisch durch – wie haben Sie es genannt? – PVAs wahrgenommen werden könnten.
Aber ich glaube, diese Annahme, meine Damen und Herren, trifft nicht zu. Sie ist auch durch nichts belegt. Denn die überwiegende Anzahl von Funktionen im administrativen Bereich wird ja gerade deshalb von Polizeibeamten wahrgenommen, weil dazu polizeiliches Fachwissen erforderlich ist, beispielsweise – das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, Herr Lohn – auf den Führungsstellen in den Direktionen, aber auch bei der Verwaltung im Bereich Technik, Waffen sowie bei größeren Einsatzlagen, insbesondere bei besonderen Aufbauorganisationen.
Sie zeichnen hier heute ein Bild, dass es zahlreiche Beamtinnen und Beamte in Funktionen gibt, die offenbar nur lochen, abheften oder Strafzettel schreiben und nicht sachgerecht verwendet werden. Das ist unzutreffend und wahrlich nicht sachgerecht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Werner Lohn [CDU])
– Ja, das haben Sie nicht gesagt. Aber wer solch einen Antrag stellt – deswegen bin ich überrascht, Herr Lohn, dass Sie für diesen Antrag sprechen –, der hat wahrlich keine Ahnung, wie es in der Binnenorganisation unserer Polizei aussieht.
Ich selbst durfte jahrelang in Stäben und Führungsstäben bei der Polizei arbeiten. Ich darf Ihnen versichern, dass dort hervorragende und qualifizierte Arbeit geleistet wird. Denn wer professionelle und planbare Polizeieinsätze gewährleisten will, der muss auf gut aufgestellte und logistische Stäbe zurückgreifen können.
Sie wollen jährlich 200 Verwaltungsassistenten einstellen. In Ihrem jetzigen Antrag ist nach wie vor kein Wort der Gegenfinanzierung enthalten. Heute haben Sie erstmals ein wenig dargestellt, was das Ganze kosten soll.
Aber in Wahrheit, meine Damen und Herren der CDU, geht es Ihnen um Einsparungen bei der Polizei. Das hätte ich heute erwartet: dass Sie das noch einmal deutlich machen. Das haben Sie in Ihrem seinerzeitigen Haushaltsantrag dargestellt. Das kann man auch in Ihrem sogenannten Zukunftsprogramm nachlesen. Sie wollen im Polizeietat 2013 5,5 Millionen € einsparen, aufwachsend bis 2017 auf 55 Millionen €.
Das hätte ich von Ihnen erwartet, Herr Lohn: dass Sie heute rausgehen zu den Demonstrantinnen und Demonstranten und nicht nur mit denen diskutieren, sondern denen auch sagen, dass Sie jährlich 50 Millionen € einsparen wollen. Dadurch haben sie dann nämlich insgesamt 110 Polizeistellen weniger zur Verfügung, und das in Anbetracht der hohen Pensionierungswelle, die wir ab 2017 fortlaufend erwarten.
Im Ergebnis wollen Sie also Polizeiverwaltungsstellen für Polizeistellen schaffen. Da sage ich in aller Deutlichkeit: Das ist mit uns nicht zu machen.
(Beifall von der SPD)
Auch das sage ich in aller Deutlichkeit: und schon gar nicht zulasten der Einstellungen, die wir derzeit bei der Polizei vornehmen.
Ihr Antrag ist nach meiner Auffassung, nach unserer Auffassung ungeeignet. Damit gewinnen Sie nicht einen einzigen Wachtmeister für den Wachdienst oder die Ermittlungsdienste. Wir brauchen auch zukünftig eine starke und leistungsfähige Polizei im Backoffice.
Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, hören Sie doch auf, dieses abgegriffene Bild der Polizeibeamten oder der Polizeihauptkommissare auf dem Radarwagen ständig zu bemühen. Das ist doch alles eine Folge der zweigeteilten Laufbahn, die wir alle in diesem Hohen Haus gewollt haben und die Sie, insbesondere Sie, Herr Lohn, in Ihren letzten Kleinen Anfragen immer wieder hinterfragt haben.
Für die SPD-Fraktion darf ich sagen: Wir stehen zur zweigeteilten Laufbahn. Die lassen wir uns von Ihnen wahrlich nicht kaputtreden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Grundsätzlich – damit komme ich zum Schluss – stehen wir einer Entlastung der Polizei von nicht hoheitlichen Aufgaben durchaus positiv gegenüber. Wir sollten daher gemeinsam überlegen, wie wir die Polizei von solchen Aufgaben entlasten und entfrachten können, damit wir sie zukunftsfähig aufstellen.
Wir werden der geforderten Überweisung gerne zustimmen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Beantragen Sie eine Anhörung! Dann hören wir mal, was die Verbände, aber auch die Experten der Polizei dazu sagen. Wir haben hier erhebliche Vorbehalte. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Dahm hat es schon gesagt: Ihr Antrag ist letztendlich eine Fortsetzung Ihres Haushaltsänderungsantrags, der hier mehrheitlich abgelehnt wurde. Ein Nacharbeiten dieses Haushaltsänderungsantrags war ja auch in der Tat dringend notwendig. Das Problem ist nur, dass auch aus diesem Antrag kein Konzept ersichtlich ist, dass nicht klar ist, was genau Sie eigentlich damit wollen, für was diese Stellen eingesetzt werden sollen und was für Hilfstätigkeiten Sie eigentlich meinen. Die klassischen Hilfstätigkeiten, die Sie hier gerade aufgezählt haben, gibt es bei der Polizei so gar nicht mehr. Insofern läuft Ihr Antrag da ins Leere. Aus meiner Sicht haben Sie noch einiges zu tun, um diesen Antrag einigermaßen argumentativ anzufüttern und nachzuarbeiten.
Recht haben Sie allerdings – das haben wir auch hier schon häufig diskutiert – in Bezug auf die Frage: Wie können wir die Polizei entlasten? Wie können wir Ideen und Konzepte entwickeln und Aufgabenkritik vornehmen? Denn es ist völlig klar, dass die Anzahl der Pensionierungen und der Neueinstellungen im Jahr 2016 kippen wird. Deshalb machen wir hier ja auch Aufgabenkritik und diskutieren über Entlastungsmaßnahmen.
Ich finde, ein Thema, das wir eigentlich viel zu wenig diskutieren, das wir aber in diesem Zusammenhang auch ansprechen müssten, ist das Gesundheitsmanagement bzw. die Frage: Wie bekommen wir die verwendungseingeschränkten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wieder auf die Straße, dorthin, wo sie nahe bei den Bürgerinnen und Bürgern sind?
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von, ich vermute, Herrn Lohn, der gerade auf dem Platz von Herrn Schemmer sitzt. Würden Sie sie zulassen wollen?
Verena Schäffer (GRÜNE): Ja klar, bitte.
(Zuruf von Thomas Stotko [SPD])
Werner Lohn (CDU): Vielen Dank, Frau Schäffer. – Die Zwischenfrage geht dahin: Sie haben einige Tätigkeiten aufgezählt, wo Polizeiverwaltungsassistenten tätig werden können. Gerade haben Sie gesagt, Tätigkeiten wie Schreibarbeiten, Geschwindigkeitsmessung, Zuarbeiten in Verwaltungsbereichen und Aufsicht im Polizeigewahrsam gebe es gar nicht mehr. Können Sie mir erklären, wann und wo Sie diese Erfahrungen bei der Polizei gemacht haben?
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich selbst habe – das wissen Sie auch – keine Erfahrungen bei der Polizei gemacht. Es ist aber nicht so, dass ich mir Anträge der Opposition nicht auch mal angucken und prüfen würde, inwiefern diese sinnvoll sind oder nicht. Ich habe in der Tat in der letzten Woche, nachdem Sie den Antrag eingereicht hatten, Gespräche geführt und mich über dieses Thema kundig gemacht. Ich finde, es ist schon sehr berechtigt – das ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir hier anzugehen haben –, Entlastung zu fordern. Insofern bin ich gerne bereit, auch Vorschläge der Opposition zu prüfen. Das haben wir getan.
Sie führen Tätigkeiten wie zum Beispiel Schreibarbeiten auf. Es macht de facto keinen Sinn, sie auszulagern. Das wird auch nicht mehr gemacht. Es macht viel mehr Sinn, dass die studierten Polizeikräfte, die wir haben, wenn sie zum Einsatz kommen und Statistiken auszufüllen haben, dies direkt selber machen.
Ich vermute, Herr Lohn, dass Sie Ihre E-Mails auch selber beantworten und nicht erst handschriftlich etwas vermerken, was Ihre Mitarbeiterin oder Ihr Mitarbeiter nachher abtippen muss. Wenn Sie das täten, wäre das zumindest nicht sonderlich ökonomisch gedacht, nicht sonderlich ressourcenschonend.
Ich mache das, ich beantworte meine E-Mails selber. Auch finde ich es normal, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zum Beispiel Statistiken selber ausfüllen; denn nur das ist aus meiner Sicht ressourcenschonend. Tätigkeiten, die es früher einmal gegeben hat, machen überhaupt keinen Sinn mehr: dass man zum Diktieren eine Stelle angerufen und auf Band gesprochen hat, was dann nachher abgetippt wurde. Das gibt es so heute einfach nicht mehr. Ich halte es auch nicht für sinnvoll, das wieder einzuführen.
Nichtsdestotrotz können wir – das hatte ich gerade auch schon gesagt – über Vorschläge diskutieren. Ihr Antrag lässt zumindest hoffen, dass Sie sich in eine konstruktive Debatte auch über das Thema „Aufgabenkritik“ einbringen werden.
Zwei Sachen müssen aber, finde ich, klar sein – und das können Sie zumindest momentan nicht sicherstellen, wie Ihr Antrag zeigt –:
Sie müssen zum einen benennen können, um welche Tätigkeiten es sich hier handeln soll. Ein paar haben Sie gerade genannt. Das kann man in der Diskussion aber ziemlich schnell widerlegen, zumal wir hier auch über Aufgaben reden müssen, die eben nicht hoheitlich sind; denn nur dann können Sie diese Personen einsetzen. Ich will also ganz konkret sehen, welche Tätigkeiten Sie da vorschlagen.
Die zweite Voraussetzung muss sein, dass es bei der Polizei keine Rückkehr zum mittleren Dienst geben wird. Es gibt bei der Polizei die zweigeteilte Laufbahn. Ich halte das für sehr wichtig. Das macht den Polizeidienst attraktiv und sichert die hohe Qualität, die die nordrhein-westfälische Polizei auch im Bundesvergleich hat. Wenn Sie mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern reden, werden Sie feststellen, dass die nordrhein-westfälische Polizei hoch anerkannt ist dafür, was sie an Qualität mitbringt.
Insofern diskutieren wir immer gerne auch Vorschläge der Opposition. Ich sehe aber nicht, wie wir bei diesem Vorschlag auf einen grünen Zweig kommen können; denn ein Konzept legen Sie nicht vor. Die Milchmädchenrechnung, die Sie hier vorgestellt haben, ist sehr dünn und schwach. Ich bin gespannt, wie Sie das im Ausschuss noch argumentativ anfüttern werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Orth das Wort.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Teilen kann ich mich den Vorrednern anschließen – dieses Mal eigentlich allen, Herr Stotko. Insofern ist dieser Tagesordnungspunkt keiner, wo wir einen großen politischen Dissens haben.
Wir sind uns alle einig, dass die Polizei auf die Straße gehört und nicht hinter den Schreibtisch. Ich glaube, diese Aussage des CDU-Antrags können wir alle mittragen.
Auch wir haben 2005 bis 2010 – was das anbelangt, nehmen wahrscheinlich nicht mehr alle am Applaus teil – einiges gemacht. Wir haben gesagt: Mehr fahnden, weniger verwalten. – Wir haben Reformen durchgeführt, von denen Sie in der jetzigen Landesregierung noch heute profitieren. Jedenfalls haben Sie das nicht zurückgenommen.
Wir wollten immer, dass sich die Polizei auf ihre Kernaufgaben beschränkt, auf Eingriffs- und Hoheitsbefugnisse. Deswegen glauben wir auch –Stand heute –, den Vorschlag der CDU bezüglich Polizeiverwaltungsassistenten so nicht mitgehen zu können. Da sehen wir andere Schwerpunkte.
Auch wir stehen zur zweigeteilten Laufbahn.
Wir glauben nicht, dass wir Themen wie „Objektschutz“, die zu Problemen führen, quasi damit entschärfen, dass wir Verwaltungsassistenten einführen, zumal wir auch nicht ganz verstehen, wie viele das sein sollen und wie viel sie kosten sollen. Wir haben 47 Kreispolizeibehörden; da bleibt nicht viel übrig, wenn man die alle verteilt. Das würde vor allen Dingen auch viel Geld kosten.
In dem Sinne: Lassen Sie uns im Ausschuss darüber diskutieren. Das ist jedenfalls, glaube ich – Stand heute hier –, kein politisches Kampfthema. Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die Piraten spricht der Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lohn, ein Satz aus Ihrer Rede gerade ist mir im Gedächtnis geblieben. Sie sprachen von „Verwaltungsassistenten zur Bewachung von Menschen in Gewahrsam“.
Das zeigt mir zweierlei: Erstens. Sie wissen anscheinend nicht, wie es im Gewahrsam zugeht. Da brauchen Sie hoheitliche Rechte, das kann ich Ihnen sagen. Zweitens. Es zeigt mir, worauf Sie eigentlich hinauswollen; das sieht ein bisschen aus wie Ihre alte Forderung nach Hilfspolizisten.
(Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Ich habe ein grundsätzliches Problem mit Ihrem Antrag. Sie fordern Polizeiverwaltungsassistenten, die den Vollzugsbeamten zuarbeiten sollen, ohne jedoch genau darauf einzugehen, was sie denn konkret machen sollen. Sie beschreiben deren zukünftige Aufgaben ganz allgemein als „Zuarbeiten“ oder „Hilfssachbearbeitertätigkeiten“ auf den Polizeiwachen, den Kommissariaten etc., um so die Vollzugsbeamten für den operativen Dienst zurückzugewinnen.
Auch für Kopier- und Schreibarbeiten müssen Ihrer Meinung nach keine Kommissare eingesetzt werden. Ich gebe Ihnen im Prinzip recht. Das Problem ist nur: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie die Dimension dessen, wovon Sie reden, richtig überblicken und nicht einen falschen Eindruck von der tatsächlichen Sachlage haben.
Für die meisten reinen Verwaltungstätigkeiten gibt es bereits jetzt eine Vielzahl an Verwaltungsangestellten, die genau das machen, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Bei den paar reinen Verwaltungsstellen, die dann vielleicht noch übrig bleiben und die durch Vollzugsbeamte ausgefüllt werden, frage ich mich aber, ob es sich dabei nicht um solche Stellen handelt, die von Polizeivollzugsbeamten besetzt sind, weil sie beispielsweise krank sind und gar nicht mehr in den Außendienst können. Was würde dann Ihr Verwaltungsassistent dort bringen? Er würde den Vollzugsbeamten ersetzen, und was macht man dann mit diesem? Aussondern? Das wäre meiner Meinung nach nicht das Richtige.
Vielleicht haben Sie ja konkrete Zahlen, die Sie mir im Rahmen der Ausschussdebatte vorstellen können, die zeigen, dass viele dieser reinen Verwaltungstätigkeiten von Vollzugsbeamten ausgeführt werden, und das, obwohl sie noch im operativen Dienst arbeiten könnten. Wenn dem so ist, dann bin ich gerne bereit, Ihnen da zuzustimmen.
Ich vermute allerdings, dass Ihre Forderung in der Hauptsache auf einen ganz anderen Bereich abzielt, nämlich den der – ich nenne sie einmal so – Mischtätigkeiten, worunter beispielsweise die von Ihnen aufgeführten Schreib- und Kopierarbeiten zählen oder die Zuarbeiten.
Ich gebe Ihnen dahin gehend recht, dass beispielsweise reine Schreibarbeiten in den meisten Fällen keine hoheitlichen Aufgaben darstellen und dass diese Arbeiten theoretisch auch von anderen Personen übernommen werden könnten.
Lassen Sie mich ein ganz einfaches Beispiel nennen: Ein normaler, unkomplizierter Einsatz im Wach- und Wechseldienst dauert im Schnitt – mit dem Einsatz vor Ort und den anschließenden Schreibarbeiten – etwa eine bis anderthalb Stunden, wovon je nach Sachverhalt 30 bis 45 Minuten auf die eigentlichen Schreibarbeiten entfallen.
Es wäre natürlich super, wenn diese Schreibarbeiten von einem Verwaltungsassistenten übernommen werden könnten. Aber wie soll das in der Praxis funktionieren? Bis ich dem Assistenten den Sachverhalt erklärt habe, habe ich das Ding auch selber geschrieben.
Und Ihr Vorschlag mit dem Diktat auf Band: Das kann auch nicht jeder. Und ob das mit der Arbeitsweise eines jeden Vollzugsbeamten übereinstimmt, weiß ich auch nicht. Das klappt nicht überall.
Das ist nur ein Beispiel; aber es zeigt, was ich damit ansprechen möchte. Es gibt viele Aufgaben, die Sie in der Praxis gar nicht trennen können. Das klingt theoretisch gut, in der Praxis ist es dann aber schwierig. Nehmen Sie zum Beispiel die Statistiken: Die können Sie nur dann ausfüllen, wenn Sie wissen, was für einen Sachverhalt Sie vor sich haben. Bis ich dem Assistenten den Sachverhalt erklärt habe, ist mehr Zeit vergangen, als würde ich die Statistik selber ausfüllen.
Ich kann Ihnen aber sagen, was viel besser helfen würde: zum Beispiel eine ordentliche technische Ausrüstung auf dem Streifenwagen. Jeder Paketdienstfahrer ist heutzutage besser ausgestattet als unsere Polizisten auf dem Streifenwagen.
(Beifall von den PIRATEN)
Jeder noch so kleine Verkehrsunfall muss mindestens zweimal komplett bearbeitet werden. Einmal wird die Unfallmitteilung handschriftlich vor Ort ausgefüllt, und dann wird anschließend auf der Wache der ganze Mist nochmals ins IGVP eingehackt.
Es wäre viel besser, wenn beispielsweise ein Laptop und ein mobiler Drucker auf dem Streifenwagen vorhanden wären und man die Schreibarbeiten mobil vor Ort erledigen könnte. Zum einen könnte dadurch der Arbeitsaufwand halbiert werden, zum anderen könnte die Arbeit sogar draußen gemacht werden, während weiter Streife gefahren würde: Der eine würde fahren, der andere schreiben. Das ist praktisch möglich.
Das kostet auch nur einmal viel und danach nur sehr wenig, wohingegen Personal immer viel kostet. Und es würde tatsächlich eine Arbeitserleichterung darstellen für die Kolleginnen und Kollegen, für die Polizisten draußen.
Abschließend möchte ich noch eine grundsätzliche Bemerkung zu Ihrer Forderung machen. Sie möchten die Polizei entlasten. Das erkenne ich natürlich an, und das begrüße ich auch. Das tun alle hier, auch meine Vorredner. Das stellt Ihnen keiner in Abrede.
Über eines sollten Sie sich jedoch Gedanken machen: Trotz Ihres Entlastungswillens lehnen die Gewerkschaften Ihre Forderungen ab. Und spätestens da sollten Sie sich Gedanken machen, ob Ihre Forderungen tatsächlich vernünftig sind und überhaupt gewollt werden. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Jäger das Wort.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass dieser Antrag gut geeignet ist, Herr Lohn, sich in der Debatte um innere Sicherheit und Aufgabenfunktionen der Polizei in Nordrhein-Westfalen mal ehrlich zu machen.
Beginnen möchte ich damit, dass ich es gut finde, wenn Sie sagen, dass wir die Arbeit der Polizei in Nordrhein-Westfalen einmal loben müssen. Das ist gut und richtig, und das hat sie verdient. In den letzten Monaten haben wir in diesem Hause allerdings viel darüber diskutiert, dass die Polizei bei Rockerkriminalität angeblich wegschaut, dass es Motivationsdefizite gibt usw. Herr Lohn, morgen werden wir im Rahmen der Kriminalitätsstatistik wiederum über dieses Thema diskutieren, und Sie werden wieder anfangen, Äpfel mit U-Booten zu vergleichen, um dann den Schluss zu ziehen, dass unsere Polizei schlechter ist als die in anderen Ländern. Angesichts all dessen sage ich Ihnen deutlich: Ihr Bekenntnis zur guten Arbeit der Polizei in Nordrhein-Westfalen ist Heuchelei.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Ich finde, dass die Kolleginnen und Kollegen ein etwas Besseres verdient haben.
Zweitens sollten wir uns nicht ausschließlich auf die Frage konzentrieren, ob die Polizei Entlastung braucht. Da kann man über vieles reden. Ich glaube zum Beispiel, dass die Begleitung von Schwertransporten nicht unbedingt zu den hoheitlichen Aufgaben der Polizei zählt; aber es ist ein Randbereich ihrer Arbeit.
Viel wichtiger ist: Das Bild, das Sie von polizeilicher Arbeit vermitteln, ist eines, das mindestens ein Jahrzehnt alt ist. Das könnte daran liegen, dass Sie seit dieser Zeit nicht mehr im aktiven Dienst tätig sind. Sie vermitteln ein Bild von Aufbauorganisation – egal ob bei der Polizei, bei anderen Behörden oder Unternehmen –, das eigentlich der Geschichte angehört. Die Annahme, dass die Aufbauorganisation eines Unternehmens oder einer Dienstleistung durch Vielschichtigkeit der Laufbahnen zu gewährleisten ist, gehört längst der Vergangenheit an.
Was wir heute benötigen, sind Allrounder. Die breite Einsatzfähigkeit der gut ausgebildeten Polizei in Nordrhein-Westfalen in insgesamt 64 Berufsbildern für Beamtinnen und Beamten ist ein Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg waren und sind. Wir bilden sie gut aus, damit sie breit zu verwenden sind.
Drittens sollten wir uns dahin gehend ehrlich machen, Herr Lohn – dass die Polizei entlastet werden muss; da sind wir einer Meinung –, dass diese Situation durch Ihre Schuld eingetreten ist, durch Ihre Einstellungspolitik in den Jahren 2005 bis 2010,
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
wo Sie wussten, dass Sie – den Altersberichten zum Trotz – 2.100 Beamtinnen und Beamte zu wenig einstellen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich würde ganz gerne zu Ende ausführen.
Der vierte Punkt, bei dem wir uns ehrlich machen sollten, Herr Lohn, betrifft die Frage, was Sie eigentlich mit den Verwaltungsassistenten vorhaben. Ich finde es gut, dass Sie heute mal die Hose heruntergelassen haben.
(Zuruf)
– Bildlich gesprochen! – Ihnen geht es nicht um Verwaltungsassistenz. Sie haben sich ja gerade ehrlich gemacht und gesagt: Eigentlich meinen Sie den klassischen Hilfswachtmeister, der Objektschutz und Verkehrsüberwachung macht. Ihre Rede wird ja wörtlich nachzulesen sein. Diesen Weg hin zu einer Hilfspolizei in Nordrhein-Westfalen wird es mit dieser Landesregierung auf gar keinen Fall geben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von den PIRATEN: Hört hört!)
Der fünfte Punkt, bei dem wir uns ehrlich machen sollten, betrifft die Frage: Was ist eigentlich Ihre Absicht? Dazu ziehe ich Ihr Papier „Zukunft für unser Land“ zurate, in dem Sie grandios dargestellt haben, wie Sie es schaffen, diesen Haushalt zu konsolidieren.
Herr Lohn, jetzt passen Sie bitte auf; denn ich glaube, Sie haben dieses Papier nicht verinnerlicht. Darin steht, Sie wollen Verwaltungsassistenten im Modellprojekt einstellen, pro Jahr 500.000 € ausgeben, mittelfristig 5 Millionen bis 2017. So weit, so gut. Dann lesen Sie mal die Zeile darunter! Dort steht: Dadurch entstehen bei der Polizei Einsparungen von 55 Millionen €. – Sie wollen also 5 Millionen für Verwaltungsassistenten einsetzen und 55 Millionen bei den Polizeivollzugsbeamten sparen. Das ist nichts anderes als ein Abbau von 2.300 Stellen.
(Beifall von der SPD)
Auch das werden wir nicht mitmachen.
Der allerletzte Punkt, bei dem wir uns ehrlich machen sollten, Herr Lohn, ist der Inhalt Ihres Antrags. Er enthält das, was die Menschen sich in diesem Sommer wünschen, nämlich viel heiße Luft. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Dann schließe ich die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2899 an den Innenausschuss. Dort soll die abschließende Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dagegen stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung erfolgt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2884
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende FDP-Fraktion Herrn Kollegen Dr. Orth das Wort.
Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin hat den Titel unseres Antrags schon vorgelesen. Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir alle in diesem Hause uns hinter dieser Überschrift sammeln können.
Allerdings kam vor Kurzem ein Bundesparteitag der Grünen zu ganz anderen Ergebnissen. Die Grünen haben dort beschlossen, den Verfassungsschutz quasi komplett neu zu bauen und den Einsatz von V?Leuten zu beenden, zu verbieten, einzustellen.
Meine Damen und Herren, wir als liberale Fraktion sind etwas irritiert über die Haltung der Mehrheit des Hauses, die hier regiert, weil wir zeitgleich einen Gesetzentwurf beraten, bei dem der Innenminister nicht müde wird zu betonen, dass der Einsatz von V-Leuten nun endlich gesetzlich geregelt wird.
Frau Kollegin Schäffer von den Grünen hat diesen Gesetzentwurf in der bisherigen Plenarberatung immer gelobt,
(Zustimmung von Verena Schäffer [GRÜNE] und Reiner Priggen [GRÜNE])
sodass ich mir heute ein einvernehmliches Votum zu unserem Antrag erhoffe, damit wir als Parlament das klare Bekenntnis zu diesen beiden sehr simplen, aber selbstverständlichen Kernaussagen abgeben. Alles andere würde eigentlich bedeuten, dass der rot-grüne Entwurf Makulatur ist. Denn Sie können nicht auf der einen Seite die V-Leute verbieten und auf der anderen Seite ihren Einsatz gesetzlich regeln wollen.
Eben wurde schon mal gesagt: Hose runter! – Zu den Kolleginnen und Kollegen der Grünen kann ich nur sagen: Lassen Sie die Hosen runter! Zeigen Sie, wo Sie stehen! Sagen Sie entweder Ja zu einem effektiven Verfassungsschutz, zu dem auch V-Leute gehören, oder sagen Sie Nein und ziehen Ihren eigenen Regierungsentwurf zurück! – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.
Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe beinahe geahnt, wo der verehrte antragstellende Kollege seinen Schwerpunkt setzt. Es geht ihm offensichtlich nicht um das Verfassungsschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen, es geht ihm nicht darum, über V-Leute zu reden, sondern es geht ihm darum, sich den grünen Parteitag als Nebenkriegsschauplatz zu eigen zu machen, um von der eigenen Konzeptionslosigkeit im Bereich des Verfassungsschutzes und der entsprechenden Gesetzgebung abzulenken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, wenn Sie irritiert sind, ist das Ihr Problem. Ich glaube, wir sollten uns über das unterhalten, was hier in Nordrhein-Westfalen tatsächlich im Augenblick zu entscheiden ist und anliegt. Ich denke, all das, was Sie in Ihrem Antrag gefordert haben, wird von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen vorbildlich abgearbeitet.
Ich darf an der Stelle sicherlich konzedieren, dass Sie mit dem Antrag ganz groß herausgekommen wären, wenn sie ihn vor zwei Jahren gestellt hätten. Politik ist ja immer auch eine Frage des Timings.
Inzwischen reden wir über einen konkreten Regierungsvorschlag, der Folgendes beinhaltet: ein Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie und ein Bekenntnis – das ist für viele nicht leicht zu akzeptieren, das hat man in der Anhörung zum Verfassungsschutzgesetz gemerkt – zur Einrichtung des Verfassungsschutzes.
Der Traum von einer idealen Welt, in der Demokraten untereinander alles mit Menschenverstand und in gegenseitiger Hochachtung klären können, auch extreme Positionen, ist schön. Leider leben wir nicht in einer solchen Welt.
Insoweit bekennen wir uns zur wehrhaften Demokratie, zur Notwendigkeit des Verfassungsschutzes und trotz all der bösartigen Pannen, die nicht erst bei der NSU-Anschlagsserie zutage getreten sind, zu dem nachrichtendienstlichen Mittel der V-Leute – allerdings mit erheblichen Einschränkungen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Körfges, Entschuldigung, der Kollege Orth würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Hans-Willi Körfges (SPD): Ja.
Dr. Robert Orth (FDP): Herr Kollege Körfges, Sie haben gerade ausgeführt, dass der Antrag quasi zu spät käme. Aber der Parteitag der Grünen war erst jüngst. Es liegt ein Regierungsentwurf vor, aber das Parlament hat sich ja noch keine Meinung zu der Frage gebildet, ob nun V-Leute nötig seien oder nicht. Deswegen frage ich Sie, warum sich das Parlament denn diese Meinung jetzt nicht bilden sollte.
(Beifall von der FDP)
Hans-Willi Körfges (SPD): Lieber Kollege Dr. Orth, wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Ich pflege normalerweise hier keine Werbeveranstaltung für Pressemitteilungen anderer Fraktionen zu machen. Aber ich muss an der Stelle sagen: Nicht nur das, was die Kollegin Schäffer anlässlich der Einbringung hier gesagt hat, sondern auch das, was die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Presseerklärung zum Verfassungsschutzgesetz erklärt hat, lässt an der Stelle – aus Ihrer Sicht leider – keinen Zweifel zu. Das zeigt sicherlich, wie erfolglos Ihr Unterfangen an der Stelle ist, die Haltung der Grünen hierzu in Zweifel zu ziehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich darf an etwas erinnern – und das war der Punkt, an dem Sie mit der Zwischenfrage eingehakt haben –, was ich hier schon für die SPD-Landtagsfraktion artikuliert habe. Die Art und Weise, wie – nicht in Nordrhein-Westfalen, sondern insgesamt – durch die Pannen Vertrauen in den Verfassungsschutz geschwunden ist, haben auch wir als problematisch empfunden. Das fängt tatsächlich nicht erst bei dieser schrecklichen Mordserie der NSU an. Das fängt schon vorher an, zum Beispiel beim NPD-Parteiverbot. Da haben V-Leute und die Art und Weise, wie sie eingesetzt worden sind, sicherlich beim Ergebnis des damaligen Verfahrens eine Rolle gespielt. Das hätte im Prinzip Anlass genug geboten, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen.
Insoweit habe ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, für meine Fraktion gerade angesichts der Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NSU-Anschlagsserie stehen, sehr deutlich artikuliert: Da haben wir Handlungsbedarf. Dieser Handlungsbedarf wird an der Stelle, wo das Gesetz ganz genaue Vorgaben macht, wann und unter welchen Bedingungen und mit welchen Grenzen V-Leute einzusetzen sind, tatsächlich erfüllt. Das heißt, wir handeln da und setzen genau an der Stelle an.
Solange die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier im Landtag nichts anderes sagt, als sie bisher gesagt hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ich nur sagen: Es war bei Ihnen ein furchtbares Timing. Vor zwei Jahren wären Sie mit dem Antrag groß herausgekommen. Heute sind Sie wie beim „Hasen und Igel“ zweiter Sieger. An der Stelle, wohin Sie uns haben wollen, sind wir schon lange.
Insoweit habe ich nur eine freundliche Anregung an Sie. Dies ist ein netter Versuch gewesen. Sie haben versucht, sich an dem Parteitag einer anderen Partei zu profilieren. Wie muss es mit der FDP aussehen, wenn Sie das nötig haben, liebe Kolleginnen und Kollegen?
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich kann nur sagen: Das war ein nachvollziehbarer Versuch, Herr Dr. Orth. Er ist hier gescheitert. Ich will nicht vorgreifen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gleich wenig Zweifel daran lassen wird, dass wir mit unserem Verfassungsschutzgesetz auf dem richtigen Weg sind.
Sie sind herzlich eingeladen – und da nehme ich alle Oppositionsfraktionen beim Wort –, konstruktiv daran zu arbeiten, dass wir rechtsstaatlich, transparent und verantwortlich mit den uns gegebenen Mitteln umgehen. Dazu bietet unser Verfassungsschutzgesetzentwurf eine hervorragende Grundlage. Noch einmal vielen Dank an die Landesregierung. Zu Ihrem Antrag bleibt mir leider nicht mehr viel zu sagen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.
Peter Biesenbach (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hätte eine so schöne, ruhige Debatte werden können.
(Lachen von der SPD – Zuruf von Thomas Stotko [SPD])
– Herr Stotko, langsam, langsam. Aber wer vorher den Innenminister hörte und jetzt Herrn Körfges, der kann sich nur fragen: Was soll die Kraft, muss das alles sein? – Und diese Überheblichkeit, Herr Minister, gegenüber dem Kollegen Lohn muss weiß Gott nicht sein.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Sie haben recht: Wir werden morgen früh die Kriminalitätsstatistik hier debattieren. Wir wollen dann einmal sehen, ob Sie genauso kess, genauso deutlich und genauso kraftvoll auftreten, wie wir das vom Innenminister die letzten Jahre gewohnt sind.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Dann dürft ihr aber nicht den dritten Sturm auf ihn losschicken!)
Wir werden das Thema sicher morgen debattieren. Dass Sie einiges versuchen werden, glaube ich Ihnen gerne. Aber ob es Ihnen abgenommen werden wird? Sie kennen ja die Art, zu sagen: Ich bin mal so forsch und sehe mal, was dabei herumkommt. – Das sehen wir morgen.
Wir mögen jetzt, Herr Körfges, über den Inhalt des Antrags der FDP-Fraktion durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Aber dass die Frage aufgetaucht ist, wie der Grünen-Parteitag mit unserer Arbeit hier in Verbindung gebracht werden kann, das kann ich nachvollziehen.
(Lachen von Hans-Willi Körfges [SPD])
Ich gebe Ihnen ehrlich zu: Ich habe mich auch gewundert, als ich den Entwurf von Ihnen das erste Mal las.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Hören Sie einfach auf, dann sage ich Ihnen die Antwort ganz schnell!)
– Herr Priggen, ich habe mich natürlich auch gewundert. Denn wir kennen doch die Haltung der Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion, die zu solchen sicherheitsrelevanten Themen hier aufgeboten werden. Die Antworten passen nicht zu dem Gesetzentwurf. Sie sagen: Wir kennen doch Regierungshandeln. – Einverstanden. Wir werden Sie aber künftig auch daran messen, was denn nun stimmt: das, was vorgetragen wird, oder das, was im Gesetz steht.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Immer, was im Gesetz steht!)
– Lieber Herr Kollege Körfges, Entschuldigung, ich sage einmal ganz frech: Nehmen Sie doch nicht diese kesse Zunge! Was haben Sie denn gemacht? Sie haben doch nichts anderes getan, als das Ministerium zu bitten, sich einmal fleißig hinzusetzen und das, was Bundesstandard ist und was in allen Verfassungsschutzämtern geschieht, was alle Verfassungsschutzeinrichtungen der Länder inzwischen machen, weil sie sich darauf verständigt haben, zu Papier zu bringen. Das haben Sie getan, nicht mehr und nicht weniger.
Sie sagen, Sie hätten das modernste Gesetz beziehungsweise den modernsten Entwurf. – Nein, Sie haben eine Fleißarbeit gemacht, und jetzt können andere bei Ihnen abschreiben. Nur, über den Inhalt haben sich doch alle längst verständigt. Andere machen es gegenwärtig noch über Anweisungen oder interne Dienstregelungen; die werden es auch irgendwann in ein Gesetz hereinschreiben.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege.
Peter Biesenbach (CDU): Nein, nachher.
An einem Punkt sind Sie ein Stückchen weiter gegangen. Das ist die Anzeigepflicht dann, wenn die Quelle eine Straftat begeht, die nicht gerechtfertigt ist. Da haben Sie gesagt, das lassen wir nicht im Ermessensbereich, sondern da schreiben wir herein: Das soll gemacht werden. – Das ist der einzige Punkt, an dem Sie wirklich von allen anderen abweichen.
Ob das so toll und lobenswert ist, wie Sie sich hier auf die Schultern klopfen? Tun Sie es nicht! Wir gestehen Ihnen zu: Das Ministerium war fleißig, hat alles aufgeschrieben. Aber wir werden über den Inhalt des Gesetzes in einer anderen Stunde einmal debattieren.
(Monika Düker [GRÜNE]: Sie sollten es erst einmal lesen!)
Herr Jäger, das Lob gebührt nicht Ihnen, sondern Ihren Mitarbeitern, keinem anderen. Geben Sie das bitte weiter!
Von daher verstehe ich gut, dass die FDP gesagt hat: Hier müssen wir einmal nachfragen. Ich verstehe auch gut, dass wir sagen, wir passen mal auf. Von daher hätten wir so lange gar nicht geredet, wenn Sie nicht so kess vorgezogen wären. Über das Gesetz selbst reden wir, wenn wir diesen Tagesordnungspunkt wieder auf der Tagesordnung haben.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Jetzt war aber nicht nachher. Oder wollten Sie die Zwischenfrage, die ich als Frage noch zulassen würde, noch genehmigen?
(Peter Biesenbach [CDU]: Ja!)
Dann ist es Herr Körfges.
Hans-Willi Körfges (SPD): Verehrter Kollege Biesenbach, Sie werden mir doch sicherlich recht darin geben, dass wir die Ersten sind, die diese Erkenntnisse in gesetzgeberisches Handeln umsetzen und insoweit Nordrhein-Westfalen Vorreiter für alle anderen Bundesländer und für den Bund ist?
Peter Biesenbach (CDU): Herr Kollege Körfges, wie haben Sie Klassenkameraden genannt, die immer mit der Spitze vornweg waren, um zu sagen, ich habe etwas getan? Wo ist die eigene geistige Leistung? Sie waren fleißig im Aufschreiben. Dafür bekommen Sie auch ein Fleißkärtchen, aber auch nicht mehr.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Biesenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt seit drei Jahren Mitglied im Landtag und habe in dieser Zeit noch keinen Antrag gesehen, der so unnötig war wie dieser Antrag.
Herr Biesenbach, es ist schon sehr peinlich, wenn Sie sich hier hinstellen und über den Gesetzentwurf reden, den Sie selbst noch nicht einmal gelesen haben. Waren Sie nicht derjenige in der Anhörung zum Verfassungsschutzgesetz, der nachgefragt hat, wie die Online-Durchsuchung geregelt sei und ob sie ausreichend geregelt sei?
Hätten Sie den Gesetzentwurf gelesen, dann hätten Sie auch gesehen, dass die Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz gar nicht geregelt wird. Das ist ein klarer Beweis dafür, dass Sie sich in keinster Art und Weise mit der Materie beschäftigt haben.
Jetzt schauen Sie so verdutzt. Lesen Sie es im Protokoll zur Anhörung noch einmal nach. Es ist eine ziemlich peinliche Nummer, die Sie da gefahren haben. Insofern, finde ich, sollten Sie sich hier doch etwas zurückhalten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich finde, dass die Debatte über den Verfassungsschutz und über die Sicherheitsarchitektur insgesamt dringend notwendig ist. Natürlich gibt es Fragen, die sich aufdrängen: Wie konnte es sein, dass eine Terrorgruppe jahrelang unbemerkt vom Verfassungsschutz mordend und raubend durch Deutschland ziehen konnte? Auf welchem Wissen saß der Verfassungsschutz möglicherweise und hat das Wissen nicht weitergegeben? Hat der Verfassungsschutz den Rechtsextremismus und die davon ausgehende Gefahr in den vergangenen Jahren womöglich verharmlost?
Das sind alles berechtigte Fragen, denen wir nachgehen müssen. Deshalb finde ich diese Diskussion, die momentan hier im Parlament, in anderen Parlamenten und in der Zivilgesellschaft läuft, absolut legitim. Ich finde es auch legitim, die Frage zu stellen: Können wir eigentlich mit einem Verfassungsschutz weiterleben, einem Verfassungsschutz in einem demokratischen Rechtsstaat, wo der Verfassungsschutz schon immer per se ein Fremdkörper sein muss?
Deshalb finde ich es auch legitim und angebracht, nicht nur über den Verfassungsschutz als solchen, sondern natürlich auch über seine nachrichtendienstlichen Mittel und insbesondere über V-Leute zu diskutieren.
Sie schauen so verdutzt. Aber ich finde, es ist eine legitime Debatte, die man in einer Demokratie auch führen kann und die man aushalten muss, auch wenn man anderer Meinung ist.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Wir führen diese Diskussion. Wir führen diese Diskussion mit Zivilgesellschaft. Da wird sie sehr heiß diskutiert, und das zu Recht, weil es einen hohen Vertrauensverlust in der Bevölkerung gibt. Wir führen diese Diskussion auch innerparteilich. Die grüne Partei zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie Diskussionen und Debatten führt und sie auch aushält. Wir sind eine meinungsfreudige Partei, und das finde ich auch richtig.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung. Herr Kollege Biesenbach und Herr Dr. Stamp würden Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr gern.
Präsidentin Carina Gödecke: Dann der Kollege Biesenbach zuerst.
Peter Biesenbach (CDU): Ich wollte keine Zwischenfrage stellen. Ich will nur gleich gern intervenieren.
Präsidentin Carina Gödecke: Dann kommt jetzt Herr Kollege Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Kollegin Schäffer, wenn Sie ausführen, dass es legitim ist, die V-Leute infrage zu stellen, ist es dann nicht umgekehrt auch legitim, diese Position hier im Hause zu thematisieren und zu hinterfragen? Warum ist die Debatte dann bitte Quatsch? Da widersprechen Sie sich doch selbst.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Verena Schäffer (GRÜNE): Nein, ganz und gar nicht. Denn wir führen diese Diskussion, und wir führen sie mit Zivilgesellschaft, wir führen sie innerparteilich. Ich halte diese Diskussionen auch für notwendig, weil ich
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– ich komme gleich zu der Antwort – der Meinung bin, dass man Vertrauen nur dann wiedergewinnen kann, wenn man diesen Vertrauensverlust in der Bevölkerung ernst nimmt und wenn man diese Diskussionen ernst nimmt und sie entsprechend führt.
Wir sind in Nordrhein-Westfalen zu einem Ergebnis gekommen, dass wir gesagt haben: Ja, wir brauchen einen Verfassungsschutz. Ich sage es auch ganz klar: Wir brauchen eine Vorfeldbeobachtung. Denn es gibt Bestrebungen gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, gegen die Verfassung. Es gibt Verfassungsfeinde, wo ich glaube, dass es zu spät ist, wenn man erst bei konkreten Straftaten oder bei konkreten Gefahren durch die Polizei ansetzt. Wir brauchen eine Vorfeldbeobachtung durch einen Verfassungsschutz. Ich sage auch: Ja, wir brauchen V-Leute, weil wir auf die Informationen von V-Leuten nicht verzichten können.
Sie führen hier jedoch eine Diskussion, die völlig unnötig ist, weil wir vor Kurzem einen Gesetzentwurf eingebracht haben, der in der vorletzten Woche auch in der Anhörung diskutiert wurde. Wir befinden uns gerade in der Auswertung der Anhörung. Ich hoffe, Sie als Fraktion auch. Ansonsten wäre es schade, wenn Sie als FDP-Fraktion diese Debatte nicht nachvollziehen würden, was offensichtlich der Fall ist, dass Sie das nicht tun.
Insofern ist der Antrag völlig unnötig, weil wir uns natürlich als Regierungsfraktionen sehr deutlich für diesen Gesetzesprozess und diesen Reformprozess ausgesprochen haben. Das habe ich bisher in allen meinen Reden auch entsprechend getan. Wir brauchen im Plenum auch keine Glaubensbekenntnisse für Dinge, die völlig klar sind und bei denen wir uns bisher auch immer völlig klar positioniert haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, bevor Sie zu Ihrem eigentlichen Argumentationsgang zurückkommen, gibt es jetzt den Wunsch bei Herrn Dr. Orth, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.
Verena Schäffer (GRÜNE): Bitte.
Dr. Robert Orth (FDP): Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben ausgeführt, dass Sie dafür sind, V-Leute einzusetzen. Meine Frage: Sie setzen sich also als Abgeordnete der Grünen über den Parteitagsbeschluss der Grünen auf Bundesebene hinweg?
Verena Schäffer (GRÜNE): Wie Sie wissen, haben wir einen Parteitagsbeschluss zu unserem Bundestagswahlprogramm beschlossen. Wir befinden uns hier am im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf diesen Prozess verständigt und werden diesen auch fortführen. Das tue ich mit gutem Gewissen hier als Abgeordnete
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
– das habe ich gerade schon ausgeführt –, weil ich der Meinung bin, dass wir V-Leute brauchen, um entsprechende Informationen aus den verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu bekommen. Das sind vor allen Dingen die rechtsextremistischen und die islamistischen Bestrebungen. Deshalb gibt es in dem Gesetzentwurf auch eine klare Konzentration der nachrichtendienstlichen Mittel genau auf diese Bestrebungen, von denen Gewalt ausgeht.
Wenn Sie den Gesetzentwurf gelesen hätten, dann wüssten Sie das. Das halte ich nach wie vor für richtig, und diesen Prozess werden wir hier weiter führen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich finde, es ist dem Hohen Haus nicht würdig, dass Sie sich als FDP-Fraktion dieser politischen Debatte anscheinend völlig verschließen. Denn wir brauchen die Diskussion. Sie wollen anscheinend nicht mitdiskutieren, sondern wollen Behauptungen und Fragen in den Raum stellen, auf die Sie selbst jedoch keine Antworten geben wollen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Vorschlag, einen Bürgeranwalt als Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium in Gestalt des LDI einzuführen, ist Ihnen in der Anhörung ja um die Ohren geflogen. Der LDI hat selbst gesagt, dass er das nicht machen wird. Ich glaube, Sie versuchen, davon abzulenken, statt die eigentlichen inhaltlichen Diskussionen zum Verfassungsschutzgesetz zu führen.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein vorbildliches und richtungsweisendes Gesetz auf den Weg gebracht. Herr Biesenbach, ich muss Ihnen leider widersprechen: Es stimmt nicht, dass von anderen Gesetzen abgeschrieben wurde. Wir sind nämlich das Land, das vorangeht und sagt, dass wir klare Kriterien für den Einsatz von V-Leuten brauchen, gerade weil das ein so umstrittenes nachrichtendienstliches Mittel ist. Das müssen wir hier auch anerkennen.
Natürlich bewegen wir uns als Rechtsstaat auf einem schmalen Grat. Wenn wir V-Leute einsetzen, geht es immer um eine Abwägung zwischen rechtsstaatlichen Grundsätzen auf der einen Seite und der Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger und unserer Demokratie auf der anderen Seite. Insofern ist es richtig, diese gesetzlichen Regelungen einzuführen und zu sagen: V-Leute dürfen nicht abhängig sein vom Staat, auch nicht finanziell. Wir müssen klar sagen: Es muss bei den V-Mann-Führern eine Rotation geben. Das sind alles Aspekte, die wir im Gesetzentwurf regeln.
Es dürfen von V-Leuten keine erheblichen Straftaten begangen werden. Auch dort gibt es eine klare Linie, die wir erstmals gesetzlich festschreiben. Was vorher in geheimen Richtlinien festgehalten wurde, das packen wir jetzt auf den Tisch und wollen darüber diskutieren. Wir wollen mit den Bürgerinnen und Bürgern wirklich darüber diskutieren. Deshalb schreiben wir das ins Gesetz, auch um die Legitimation für den Einsatz von V-Leuten zu erhöhen.
Aber nicht nur das wird geregelt, sondern auch die Befugnisse im Verfassungsschutzgesetz werden transparent und abschließend geregelt, sodass jeder Bürger und jede Bürgerin nachvollziehen kann, welche Befugnisse der Verfassungsschutz eigentlich hat. Denn der Verfassungsschutz ist natürlich an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden, muss sich an das Gesetz halten. Insofern ist es richtig, das entsprechend darzustellen.
Wir werden durch die neuen Regelungen, die das PKG betreffen, die Transparenz und Kontrolle erhöhen. Ich halte das in der Tat für wegweisend. Sie sagen, wir hätten abgeschrieben. Legen Sie mir bitte auf den Tisch, wo wir abgeschrieben haben. Das möchte ich wirklich sehr gerne sehen. Sollte das der Fall sein, habe ich kein Problem damit, entsprechende Quellen zu benennen.
Ich sage Ihnen aber: Ich habe mir die Verfassungsschutzgesetze aller anderen 15 Länder angeschaut. Die Regelung, die die V-Leute betrifft, finden Sie in keinem anderen Verfassungsschutzgesetz. Sollten Sie andere Quellen haben, dann bin ich gerne zur Diskussion bereit. Diese Quellen werden Sie aber nicht finden. Dessen bin ich mir ziemlich sicher.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Bleiben Sie gleich hier. Der Kollege Biesenbach wollte ja intervenieren. – Herr Kollege Biesenbach, bitte schön.
Peter Biesenbach (CDU): Danke schön. – Frau Kollegin Schäffer, ich lade Sie gerne ein, mit mir gemeinsam das Protokoll der Anhörung anzuschauen. Ich lade Sie darüber hinaus gerne ein, dass wir uns einmal die schriftliche Stellungnahme des Landesdatenschutzbeauftragten zur Anhörung ansehen.
Wir werden dann feststellen, dass Herr Lepper seinerzeit eine Klarstellung zu § 5 des Entwurfs angeregt hatte, weil er daraus möglicherweise die Sorge entnahm, dass daraus das Recht zur Online-Durchsuchung hätte abgeleitet werden können. In diesem Zusammenhang habe ich mir die Frage zu Online-Durchsuchungen erlaubt. Nachdem wir beides gemeinsam gelesen haben, entscheiden wir unter uns, wer was nicht gelesen hat. – Einverstanden?
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Bitte schön, Frau Kollegin Schäffer.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich finde es großartig, noch die Möglichkeit zu einer Kurzintervention zu bekommen. Dann kann ich über dieses Thema noch länger reden.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
– Ich weiß, dass Herr Lepper zum § 5 bei den Befugnissen entsprechend Kritik geübt hat. Schaut man in die Begründung zum Gesetz, findet man, dass dort sehr klar beschrieben und geregelt wird, dass die Quellen-TKÜ, solange wir die entsprechenden Voraussetzungen nicht geschaffen und keine zertifizierungsfähige Software haben, nicht durchgeführt wird und auch sonst keine Befugnisse zur Online-Durchsuchung bestehen. Das ist im Gesetzentwurf sehr klar und eindeutig geregelt. Das haben auch alle anderen Sachverständigen entsprechend dargestellt. Als Sie in der Anhörung Ihre Frage gestellt haben, gab es bei den Sachverständigen ein großes Kopfschütteln und es ging ein Raunen durch den Saal, weil alle wussten: Herr Biesenbach hat diesen Gesetzentwurf nicht gelesen, sonst hätte er diese Frage nicht stellen dürfen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Wie lange Ihre Redezeit wirklich gewesen ist, wäre bestimmt interessant zu erfahren, weil es zwei Zwischenfragen und die Kurzintervention gab. Von daher haben Sie völlig Recht: Sie konnten jetzt länger reden.
Der nächste Redner ist für die Piraten Herr Kollege Schatz.
Dirk Schatz (PIRATEN): Noch einmal sehr großen Dank, Frau Präsidentin. – Ich kann es bei diesem Antrag eigentlich recht kurz machen, Herr Orth, und vorwegnehmen, dass die Piratenfraktion diesem Antrag in direkter Abstimmung definitiv nicht zustimmen wird. Logischerweise kann ich Ihnen auch sagen warum: Alle Vorredner und Sie selber auch haben gesagt, dass das Instrument der V-Leute umstritten ist. Sie versuchen, hier und jetzt in direkter Abstimmung mit Ihrem Antrag Fakten zu schaffen und das Instrument eben nicht mehr umstritten zu machen. Sie versuchen, Fakten zu schaffen, die Sie so gar nicht schaffen können, weil Sie gar nicht genau wissen, wie es tatsächlich ist. Wenn Sie etwas behaupten und beschließen, wird es nicht automatisch wahr. Sie können ja auch nicht sagen: „Gras ist blau“, nur weil der Landtag das beschließt.
Sie wollen feststellen und beschließen lassen, dass die NSU-Anschläge gezeigt haben, dass der Verfassungsschutz unbedingt notwendig ist. Bei dem Chaos, das dabei allerdings im Zuge der NSU-Affäre passiert ist, kann man durchaus auch ohne Probleme das genaue Gegenteil behaupten. Das wäre auch möglich. Von daher halte ich es an der Stelle für ganz falsch, Fakten zu schaffen.
Weiterhin wollen Sie beschließen, dass V-Leute ein unverzichtbares Instrument des Verfassungsschutzes sind. Aber genau dort – das ist der Kernpunkt – stimme ich Ihnen ausdrücklich nicht zu. Wenn man sich als Land oder auch als Bund grundsätzlich für einen Verfassungsschutz entscheidet, sind V-Leute allenfalls ein nützliches Instrument, wobei sich dann wiederum die Frage stellt, ob sie insgesamt nicht mehr schaden als nützen.
Aber unverzichtbar in diesem und vor allem im Bereich des Verfassungsschutzes sind sie meiner Meinung nach definitiv nicht.
(Beifall von den PIRATEN)
Der Verfassungsschutz und insbesondere der V-Leute-Einsatz beim Verfassungsschutz stellen alleine schon durch das geheime Vorgehen und die dadurch bedingten massiven Grundrechtseingriffe eine Durchbrechung wichtiger rechtsstaatlicher Regeln dar, und zwar in einem Bereich – ich möchte es ausdrücklich betonen –, in dem im Prinzip noch gar nichts passiert ist, abgesehen davon, dass komische Menschen abstruse Gedanken haben.
Jeder in einem Strafverfahren Beschuldigte hat mehr Rechte als die Menschen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Wir haben es noch gar nicht mit einem strafrechtlich relevanten Handeln zu tun. Nur dann nämlich darf der Verfassungsschutz überhaupt tätig werden.
Aus diesen Gründen kann ich diesem Antrag hier und jetzt in direkter Abstimmung in seiner vorgelegten Form so nicht zustimmen. Sie wollen Fakten schaffen, die, wie Sie selber sagen, umstritten sind. Diese Fakten sind einfach noch nicht geklärt. Die Debatte ist noch nicht beendet. – Ich bedanke mich.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Jäger das Wort.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Frau Schäffer, wollen Sie sich über den Bundesparteitagsbeschluss hier in diesem Landtag hinwegsetzen? – Wie entlarvend ist eine solche Frage für einen Möchtegern-Liberalen?
(Beifall von den GRÜNEN)
Das letzte Mal ist mir im real existierenden Sozialismus ein solches Parteienverständnis begegnet.
Herr Orth, es wird kurz und präzise, aber schmerzhaft für Sie:
Erstens. Wir haben heute den 15. Mai 2013.
Zweitens. Am 22. März 2013 fand hier im Plenum die erste Lesung eines Gesetzentwurfs zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes statt. Diesen Gesetzentwurf haben wir eingebracht. „Wir“ heißt die Landesregierung, Herr Dr. Orth.
Drittens. Sie können das, was ich am 22. März dazu gesagt habe, im Plenarprotokoll nachlesen.
Viertens. Am 3. Mai – ebenfalls im Jahre 2013 – fand eine öffentliche Anhörung statt. Öffentliche Anhörung bedeutet, von den Fraktionen bestimmte Sachverständigen haben sich zu unserem Gesetzentwurf geäußert.
Fünftens. Diese Äußerungen werden gerade ausgewertet.
Sechstens. Die zweite und dritte Lesung zu diesem Gesetzentwurf wird voraussichtlich in der Zeit vom 19. bis 21. Juni stattfinden.
Siebens. Ihr Antrag ist überflüssig.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. Das war in der Tat ein kurzer Redebeitrag. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Diese führen wir jetzt durch. Wer dem Antrag Drucksache 16/2884 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die anwesenden Kolleginnen und Kollegen der FDP. Wer stimmt dagegen? – Das sind die anwesenden Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer möchte sich enthalten? – Das sind die anwesenden Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Antrag der Fraktion der FDP abgelehnt.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 13 und rufe auf:
14 Bestehende Steuergesetze durchsetzen, Anreizsysteme schaffen, Steuerschlupflöcher schließen
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2890
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Stein das Wort.
(Unruhe)
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre schön, wenn diejenigen, die hineinkommen oder hinausgehen und festgestellt haben, dass wir bereits abgestimmt haben, dies relativ leise tun könnten, damit Herr Kollege Stein reden kann.
Robert Stein (PIRATEN): Danke sehr. – Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Stream! Zwei Personen sehe ich auch noch oben auf der Tribüne. Seien Sie gegrüßt. Wir leben trotz historisch hoher Steuereinnahmen in einer Zeit des Sparzwanges, da die vielfältigen Aufgaben und Ausgabenlasten des Staates immer noch die Steuereinnahmen übertreffen. Doch dieser Sparzwang führt auch dazu, dass der Handlungsspielraum des Staates immer massiver eingeschränkt wird. Der Sparzwang traf in der Vergangenheit und trifft auch in der Gegenwart insbesondere das Landespersonal.
Trotz aller Budgetrestriktionen möchte ich betonen: Wer beim Personal übermäßig und am falschen Ende spart, spart an der Zukunft unseres Landes. Unser Land braucht die erforderlichen Personalressourcen für handlungsfähige und starke Strukturen, die helfen, den Rahmen für unser friedliches Zusammenleben zu gestalten.
(Beifall von den PIRATEN)
Die negativen Folgen des falschen Sparens beim Personal zeigen sich deutlich. Dies zeigt beispielsweise die Kriminalstatistik zu Wohnungseinbrüchen und die damit verbundene niedrige Aufklärungsquote, die nicht daran liegt, dass wir schlechtes Personal haben, sondern daran, dass wir in dem Bereich unterbesetzt sind. Hohe Krankenstände infolge viel zu hoher Arbeitslast, Unterrichtsausfall, ewige Wartezeiten bei der Erstattung durch die Beihilfe und nicht zuletzt auch die sogenannten grünen Wochen bei den Finanzämtern sprechen Bände.
Die nachvollziehbaren Klagen der Vertreter der entsprechenden Spitzenverbände sollten uns allen aus den Anhörungen der letzten beiden Haushalte noch in den Ohren klingen. Es stellt sich mir die Frage, ob erhöhte Personalausgaben zwangsläufig zu einer Mehrbelastung des Landeshaushaltes führen. Vor allem im Bereich der Finanzbehörden möchte ich das deutlich anzweifeln. Besser ausgebildetes und zahlreicheres Personal wäre hier quasi eine kurzfristige Investition in die Zukunft. Dies würde dem drohenden Personalmangel der Zukunft und der heute schon hohen Arbeitsbelastung Rechnung tragen. Dies könnte zudem bessere Prüfungen der eingereichten Steuererklärungen im Rahmen der Finanzbehörden sowie eine ausgeweitete Steuerfahndung ermöglichen. Das könnte verbesserte Steuereinnahmen für den Staat bedeuten.
Wir sollten aber nicht nur alles dafür tun, um die bestehenden Steuergesetze mit mehr Personal in den Finanzbehörden durchzusetzen. Wir sollten auch alles dafür tun, um bestehende Steuerschlupflöcher so weit wie möglich zu beseitigen und zu schließen.
(Beifall von den PIRATEN)
Über ein solch unfassbares Steuerschlupfloch berichtete im Rahmen des sogenannten Dividendenstrippings letzten Monat das „Handelsblatt Online“. Ich zitiere mit Erlaubnis:
„Die rot-grüne Bundesregierung hatte 2002 bei ihrer Unternehmenssteuerreform einen Fehler gemacht, den deutsche Banken und Investoren jahrelang systematisch ausgenutzt haben.“
Die Unternehmenssteuerreform ist gut zehn Jahre her. Der Schaden für den Fiskus liegt bis heute dadurch bei etwa 12 Milliarden €.
Das Steuerschlupfloch ermögliche, bei Leerverkäufen von Aktien mindestens eine doppelte Erstattung einzustreichen: Das finde ich sehr bemerkenswert, da nun Steuererhöhungen angepriesen werden, die auf dem Rücken des Mittelstandes durchgesetzt werden sollen. Ich bin der Meinung, wir sollten wirklich zuerst einmal alle möglichen Schritte ausschöpfen, die vor einer Steuererhöhung greifen. Dazu gehört es natürlich auch, die bestehenden und bekannten Steuerschlupflöcher zu schließen.
Außerdem benötigen wir motiviertes Personal im Finanzbereich. Unser Landespersonal wird nicht dadurch motiviert, dass es im bundesweiten Vergleich schlechter bezahlt wird und Lohnverzicht zu Buche schlägt. Wir müssen andere Anreize setzen. Ständige Entbehrungen und der ausgeprägt hohe Krankenstand sind definitiv keine Anreize für junge Menschen, um eine entsprechende Laufbahn zum Beispiel in den Finanzbehörden einzuschlagen. Das ist aber bitter notwendig. Lassen Sie uns daher bitte dringend über die Schaffung von solchen Anreizen sprechen, um insbesondere die Berufe in den Finanzbehörden noch attraktiver zu machen. Lassen Sie uns alles Erdenkliche tun, um die Steuerorgien, über die wir morgen noch debattieren, zu vermeiden und vorher alle Steuerschlupflöcher zu schließen.
Ich hoffe, wir erzielen bei den Verhandlungen in den Ausschüssen einen tragfähigen und parteiübergreifenden Konsens und setzen die richtigen Signale für unser Land. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Andres.
Dagmar Andres (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Piraten, ich möchte vielleicht ein bisschen mehr auf Ihren Antrag eingehen, als der Kollege Stein das gerade getan hat, und ihn Punkt für Punkt kommentieren.
Sie beantragen, der Landtag möge feststellen, dass Gesetze, insbesondere Steuergesetze, durchgesetzt werden müssen. – Das ist ja grundsätzlich nichts Neues. Jedoch sind es ja gerade die bestehenden Gesetze, die zum Beispiel die Cash-GmbHs im Erbschaftsteuerrecht und weitere Schlupflöcher erst ermöglichen. Solche Gesetze sollten also nicht durchgesetzt, sondern viel eher reformiert werden.
Zweitens. Sie beantragen, vor einer Erhöhung von Steuersätzen bestehende Vollzugslücken zu schließen. Nun sind die Gesetze – auch die Steuergesetze – aber keine statischen Gebilde, sondern sie befinden sich vielmehr durch täglich neue Erlasse, Richtlinien, Verordnungen, durch Urteile, die Präzedenzfälle schaffen, in ständiger Entwicklung. Davon auszugehen, dass an irgendeinem fernen Tag sämtliche möglichen Steuerschlupflöcher geschlossen sein könnten, halte ich für Träumerei.
Es wird immer Menschen geben, die genug Zeit und kriminelle Energie haben, Umwege um bestehende Gesetze zu finden. Dennoch werden wir diesbezüglich natürlich nicht aufgeben. Denn Steuerschlupflöcher zu schließen ist unseres Erachtens genauso notwendig, wie die Erhöhung des Spitzensteuersatzes für hohe Einkommen, um mehr Steuergerechtigkeit zu erreichen.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Drittens. Sie stellen fest, dass gut ausgebildetes und motiviertes Personal notwendig ist, um die Aufgaben des Landes zu erledigen. – Da haben Sie natürlich recht. Ich will Ihnen auch nicht unterstellen, dass Sie damit meinen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Finanzverwaltung seien weder motiviert noch gut ausgebildet. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Das kann ich Ihnen aus meiner persönlichen 20-jährigen Berufserfahrung im Steuerbereich versichern.
Weiter beantragen Sie, der Landtag möge die Landesregierung auffordern, für entsprechende personelle Kapazitäten bei den Finanzbehörden zu sorgen. – Natürlich sind ausreichende personelle Kapazitäten notwendig. Das ist keine Frage. Deshalb wurden auch 2011 insgesamt 200 neue Betriebsprüferstellen geschaffen.
Unser Problem liegt doch vielmehr in der hohen Anzahl an zu erwartenden Abgängen in den kommenden Jahren. Um dem vorzubeugen, wurden die Ausbildungskapazitäten bis an die Grenze des Machbaren ausgeschöpft. Zusätzlich wirken sich die Einsparungen durch die Fusion der Oberfinanzdirektionen hier abmildernd aus, da weniger Personal aus den Finanzämtern nachgeführt werden muss.
Zweitens möchten Sie Anreizsysteme für Finanzbeamte schaffen. – Was Sie damit genau meinen, sagen Sie nicht. Meinen Sie vielleicht so etwas wie ein Handgeld im Fußball? Funktionierende Modelle für leistungsorientierte Bezahlung sind in der Vergangenheit immer problematisch gewesen. Nachwuchsprobleme bestehen zurzeit jedenfalls nicht. Für Finanzbeamte ist aber garantiert kein Anreiz eine mögliche Verhaftung bei Ausübung ihrer Arbeit, wie Sie es zum Beispiel für den Finanzminister mit Ihrer Strafanzeige gefordert haben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vielleicht sollten Sie doch lieber erst einmal an Ihrer Wertschätzung für die Arbeit der Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten arbeiten, bevor Sie zusätzliche Systeme fordern.
Zu drittens, der Umsetzung des Tarifabschlusses für die Beamten, ist schon viel gesagt worden. Wir halten die von uns vorgeschlagene Umsetzung nach wie vor für sozial ausgewogen und gerecht.
Viertens wollen Sie Portigon-Mitarbeiter für die Steuerfahndung einsetzen, schreiben in Ihrem Antrag aber selbst, dass Mitarbeiter der Finanzverwaltung, insbesondere Betriebsprüfer und Steuerfahnder, gründlich ausgebildet werden müssen. Die Portigon muss allerdings bis 2016 abgewickelt oder verkauft werden. Der Ausbildungszyklus für eine von Ihnen vorgeschlagene „Leiharbeit“ ist dementsprechend gar nicht zu schaffen. Im Übrigen war das auch schon Thema im HFA.
Wenn sich Portigon-Mitarbeiter selbst für eine weitere berufliche Karriere in der Finanzverwaltung entscheiden und die Voraussetzungen erfüllen, sind sie natürlich herzlich willkommen. Zwingen können wir die Portigon-Mitarbeiter nicht dazu, in der Steuerfahndung zu arbeiten.
Und fünftens beantragen Sie, die Landesregierung möge eine entsprechende Initiative zur Beseitigung möglicher Steuerschlupflöcher über den Bundesrat starten. – Korrekt, aber leider zu spät. Die Landesregierung hat nämlich ihre Hausaufgaben gemacht und gemeinsam mit den Ländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein genau diese Initiative bereits gestartet.
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie das nacharbeiten möchten, können Sie das unter dem Titel „Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit und gegen Steuerbetrug“ in der Bundesratsdrucksache 338/13 vom 25. April gern noch nachlesen.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Wir werden der Überweisung des Antrages in die Ausschüsse natürlich zustimmen, weil es gute Sitte in diesem Hause ist. Notwendig wäre dieser Antrag allerdings in keinem einzigen Punkt gewesen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Andres. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Krückel.
Bernd Krückel (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Tenor des Antrages der Piraten ist, die Motivation der Mitarbeiter der Finanzverwaltung zu stärken und die Steuererhebung zu sichern. – Was aber in den letzten Monaten durch die Landesregierung und den Finanzminister als Signale in die Verwaltung gegeben wurde, ist sehr bedenklich.
Ich bin seit nahezu 30 Jahren, beginnend mit meiner Ausbildung, in der Steuerberatung tätig. Ich habe in dieser Zeit keine Situation erlebt, in der die Stimmung in der Finanzverwaltung so niedergeschlagen war, wie sie zurzeit ist. Die Gründe hierfür liegen in den Entscheidungen der Landesregierung und in der fehlenden Wertschätzung der Mitarbeiter der Finanzverwaltung durch die Landesregierung.
(Beifall von der CDU)
Der Finanzverwaltung wurde mit der Verordnung der Zusammenlegung der Oberfinanzdirektionen durch den Finanzminister ohne Beachtung der Mitbestimmungsregeln ein erster Nackenschlag versetzt. Das war und ist demotivierend für die Finanzverwaltung. Für die Steuererhebung wird sich die Entscheidung als gravierende Fehleinschätzung erweisen.
Wer die Finanzverwaltung und insbesondere die OFDen als Mittelbehörde kennt, weiß um die Bedeutung der Behörde für die Finanzämter und die Beraterschaft und damit für die Sicherung der Steuereinnahmen.
Durch die Zerschlagung der Strukturen und die Zusammenlegung der beiden OFDen wird mehr kaputt gemacht, als dass Einsparungen positive Wirkungen zeigen werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt wohl kaum eine Behörde, die so nah an der Wirtschaft dran ist wie die Finanzverwaltung. Hochqualifizierte junge Menschen, die sich für eine gehobene Beamtenlaufbahn entschieden haben und in die Finanzverwaltung eingetreten sind, erleben zurzeit nach der Ausbildung in Nordkirchen massive Abwerbebemühungen durch Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.
Welche Perspektiven gibt die Landesregierung diesen jungen Menschen? Den jungen Beamten, aber auch den hochmotivierten langjährigen Mitarbeitern wird durch die Besoldungspolitik der Landesregierung ein verheerendes Signal gegeben. Trotz Leistungen und motivierter Arbeit werden Beförderungen nur noch in unzureichendem Maß möglich, und wenn die Besoldungsstufe A 13 erreicht wurde, schiebt die Landesregierung diese Leistungsträger in die Schublade „Besserverdienende“ und streicht die Teilhabe an der Lohnentwicklung.
(Beifall von der CDU)
Ich empfinde es als billig und peinlich, einen Teil der Beamtenschaft die Unfähigkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik bezahlen zu lassen. Wenn Lohnerhöhungen in Zeiten historisch höchster Steuereinnahmen nicht möglich sind, muss sich der öffentliche Dienst Sorgen um Zeiten mäßiger Steuereinnahmen machen. – So viel zum zukunftsträchtigen Signal an die jungen Menschen, die in den Dienst der Finanzverwaltungen eintreten sollen.
Ich sagte es bereits zu Beginn meiner Ausführungen: Der Tenor des Antrags der Piraten ist, die Motivation der Mitarbeiter der Finanzverwaltung zu stärken und die Steuererhebung zu sichern. – Die CDU-Fraktion stimmt der Überweisung des Antrags an den Haushalts- und Finanzausschuss zu. Dort können wir im Detail diskutieren, und wir werden sicherlich vom Finanzminister hören, dass unsere Wahrnehmung der Finanzverwaltung anders ist als der Zustand in der Behörde. Warten wir es ab! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Krückel. – Für die grüne Fraktion spricht Herr Mostofizadeh.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir zwei Redner und eine Rednerin gehört, und nur die Kollegin Andres hat zum Antrag geredet. Der Kollege Krückel hat ausgeführt, dass der Tenor des Antrags der Piraten die Motivation der Mitarbeiter der Steuerverwaltung sei. Ich habe den aus meiner Sicht extrem dünnen Antrag ohne großen Aufwand in kurzer Zeit fünfmal durchlesen können, aber ich habe von dem, was Sie da vorgetragen haben, Herr Krückel, nichts gefunden.
(Zuruf von Bernd Krückel [CDU])
Der nächste Punkt ist, Sie haben diesen Antrag zum Anlass genommen, um die Debatte, die wir vor zwei Stunden geführt haben, noch einmal zu führen. Sie standen nicht auf der Rednerliste. Dann müssen Sie innerhalb Ihrer Fraktion abklären, warum das nicht der Fall war. Zu diesem Antrag hat das nichts beigetragen.
Ich will es kurz machen; denn dieser Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, ist echt nicht das Papier wert, auf dem er steht. Die Kollegin Andres hat vorgetragen, welche Substanz er hat, und war dabei aus meiner Sicht extrem wohlwollend und freundlich. Sie hat nämlich immer versucht, in den Antrag hineinzuinterpretieren, was die Kollegen gemeint haben könnten.
Ich will nur eine einzige Kostprobe dieses Antrags geben:
„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, eine entsprechende Initiative zur Beseitigung möglicher Schlupflöcher über den Bundesrat zu starten.“
Was sind denn „mögliche Schlupflöcher“, liebe Kolleginnen und Kollegen? Sind das Springreifen, durch die man hindurchgehen kann? Sehen die gelb oder grün aus? Haben die mit dem Steuerrecht zu tun? Wo schlüpfen die rein, wo schlüpft man raus?
Liebe Kollegen, ich kann mit dem Antrag schlicht nichts anfangen. Ich werde mir auch nicht die Mühe machen, da etwas hineinzuinterpretieren, was Sie mangels Engagement, mangels Zielrichtung und mangels Kenntnis der Sachlage nicht hineingeschrieben haben.
Deswegen kann ich nur sagen: Eigentlich müssten wir diesen Antrag nicht überweisen; denn er wird zur Erkenntnis nichts beitragen. Aber der guten Ordnung halber werden wir das natürlich tun. Herr Kollege Krückel, wenn Sie das zum Anlass genommen haben, um zu sagen, was Sie immer schon sagen wollten, ist das Ihr Problem. Ich halte diesen Antrag schlicht für überflüssig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Witzel das Wort.
Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Auch ich sehe gegenwärtig nicht, dass wir dem Antrag am Ende des Beratungsverfahrens in Gesamtheit zustimmen werden. Dafür gibt es an der einen oder anderen Stelle zu viele Fragezeichen, auch wenn, zugegebenermaßen, gute und berechtigte Punkte aufgenommen worden sind.
Ich wollte zunächst einmal die mit den Äußerungen der Kollegin Andres die in den Raum gestellten Fragen beantworten. Ich sehe die Kollegin aber leider gerade nicht. Vielleicht könnte man ihr das ausrichten; sonst kann sie es auch im Protokoll nachlesen.
Sie hat sich hier in sehr kritischer Weise über Cash-GmbHs geäußert. Uns scheint, sie hat gar nicht in das aktuelle Jahressteuergesetz geschaut. Dort ist nämlich genau beschrieben, wie die Regelungen, die die Bundesregierung dort verankert hat, aussehen:
Nur wenn in einem Betrieb mehr als 20 Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, entfällt eine nähere Prüfung dessen, was da in den letzten fünf Jahren an Geschäften betrieben worden ist. Ich glaube, es ist allen klar: Niemand beschäftigt auf Dauer irgendwo 20 Köpfe, die den ganzen Tag nichts zu tun haben –
(Beifall von der FDP)
das erinnert einen eher an Zustände in anderen Landesgesellschaften, über die wir hier in den letzten Wochen sehr viel gesprochen haben –, nur damit er 20 Jahre später über die angebliche Cash-GmbH etwas erben oder vererben kann. Ich glaube, das anzunehmen ist unseriös. Bevor man hier falsche Eindrücke erweckt, sollte man, wenn man selber doch so gerne Noten an andere verteilt, einen Blick in das Jahressteuergesetz des Bundes werfen.
(Beifall von der FDP)
In der Sache gibt es in diesem Antrag unterstützenswerte Hinweise der Piraten. Dass es objektiv ein Problem ist, das Personal von Portigon einzusetzen, haben Sie völlig richtig festgestellt. Wir freuen uns, dass Sie unsere Meinung aufgreifen, nämlich dass es dort viele Kräfte gibt, die auch in der Finanzverwaltung zum Einsatz kommen und wertvolle Arbeit leisten könnten. Das sieht auch die Deutsche Steuer-Gewerkschaft so. In der Konzernbetriebsprüfung und auf anderen Feldern können sie wertvolle unterstützende Arbeit leisten. Das sind Modelle, über die wir auch diskutieren wollen.
Richtig ist aber auch, dass man sich, was die Arbeitsbe- bzw. -entlastung der Landesfinanzverwaltung angeht, schon Gedanken machen sollte – da will ich den Bund ausdrücklich mit seiner Gesetzgebung einbeziehen –, an welchen Stellen man Aufgaben durchaus straffen, Doppelarbeit vermeiden kann. Als Beispiel, wo Länder und Bund sicherlich noch einmal ins Gespräch kommen müssen, fällt mir immer die Kraftfahrzeugsteuer ein. Das könnte man alles über die Mineralölsteuer regeln. Der Einnahme von jährlichen Beträgen in sehr kleiner, im Schnitt dreistelliger Größenordnung steht eine riesige Erhebungsbürokratie gegenüber. Also auch über diese Möglichkeiten zur Aufgabenoptimierung und Aufgabenstraffung müssen wir natürlich reden.
Bei dem Thema „Steuerflucht und Steueroasen“ kennen Sie unsere Haltung. Wir wollen nach harten Kriterien, wie es der Bund mit einer Vielzahl von Staaten macht – insgesamt sind 90 Doppelbesteuerungsabkommen neu verhandelt worden mit harten Kriterien –, mit möglichst vielen Ländern Rechtsgrundlagen schaffen. Klar ist: Eine Vereinbarung setzt immer voraus, dass sich beide Seiten am Ende des Tages einigen. Das kann kein deutsches Diktat alleine sein, wenn es um andere Staaten geht. Aber je mehr Abkommen man hat, umso mehr wird natürlich auch die Finanzverwaltung entlastet.
Wir haben das am Beispiel der Schweiz deutlich gemacht. Da war nicht alles optimal. Aber wir haben gesagt: Besser dieses Abkommen mit der Schweiz als gar keines. – Es erspart sehr viel Arbeit in der fragwürdigen Beschaffung von Daten und deren Auswertung, wenn automatisiert die Ansprüche auf Basis eines rechtssicheren Steuerabkommens vorliegen. Das ist auch ein Aspekt, der diskutiert werden muss.
Die Bundesregierung hat das, was sie machen konnte, auch im Rahmen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes auf den Weg gebracht, was wir für richtig gehalten haben. Wir haben die Möglichkeiten für strafbefreiende Selbstanzeigen deutlich verschärft und damit auch ein klares Zeichen gesetzt – das hoffentlich auch wahrgenommen wird –, dass sich bestimmte unzulässige Praktiken zukünftig nicht lohnen.
Eine letzte Bemerkung zu dem Piratenantrag. Mich hat bei Ihrem Staatsverständnis, Herr Kollege, gewundert, dass Sie bei der Einbringung des Antrages gesagt haben, Sie wollten einen starken Staat. – Das wollen wir auch. Wir sagen, der starke Staat ist der schlanke Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert. So hatte ich eigentlich Piraten, Freibeuter wahrgenommen, die sagen, Infrastruktur muss es geben, aber doch nicht zu viel Staat, keinen Staat, der jede private Lebensritze kontrolliert. Je mehr staatliches Personal es gibt, umso mehr ist es hinter den Piraten her, um ihnen das Handwerk zu legen. Das kann nicht in Ihrem Interesse sein. Denken Sie insofern über diesen Punkt noch einmal nach! – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ach, Herr Witzel, was für eine Nullnummer!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Witzel. – Jetzt wollen wir hören, ob die Landesregierung eine Meinung zu dem Antrag hat. Der Finanzminister Herr Dr. Walter-Borjans hat das Wort.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein interessanter Antrag, wenn man sich den Sachverhalt einmal anschaut und dann liest, dass bisher offenbar nur über die Möglichkeit der Selbstanzeige und der moralischen Tragweite von Straftaten debattiert worden ist, wobei bisher gänzlich die Gründe, die die Hinterziehung von Steuern erst ermöglichen, außer Acht gelassen worden seien. Und das solle daran liegen, dass die Steuerprüfung durch die Finanzbehörden nicht ausreichend gestärkt worden sei.
Also, das entbehrt jeder realen Wahrnehmung dessen, was gewesen ist. Zugegebenermaßen ist die Piratenfraktion in der letzten Legislaturperiode noch nicht dabei gewesen, sonst müssten Sie eigentlich wissen, dass wir als Erstes 2010 200 Betriebsprüfer zusätzlich eingestellt haben, um die Lücke, die vorher entstanden und zugelassen worden war, wieder zu schließen, die Zahl wieder aufzufüllen und damit eine wirksamere Arbeit der Steuerprüfer und Betriebsprüfer wieder möglich zu machen.
Von daher ist allein schon die von Ihnen dargestellte Ausgangslage, der Sachverhalt, auf dem Sie dann ein Sammelsurium von Forderungen aufbauen, nicht zutreffend.
Ich finde es auch interessant, was man hier im Zusammenhang mit all diesen Punkten hört, dass es beispielsweise die Zusammenlegung von Oberfinanzdirektionen ist, die auf einmal die Verwaltung schwächt. Kein Wort dazu, dass Schwarz-Gelb Köln und Düsseldorf zusammengelegt hat, was noch vernünftig war. Aber Rheinland und Westfalen zusammenzulegen, soll nun nicht mehr vernünftig sein. Sie wissen genau, dass auch mein Vorgänger Münster und Köln zusammenlegen wollte, sich dann aber nicht mehr getraut hat, diesen Schritt zu vollziehen, aber nicht deswegen, weil er ihn nicht für sinnvoll gehalten hätte.
Und dass das Schweizer Abkommen den Steuerfahndern Zeit gespart hätte, glaube ich Ihnen gerne. Dann wären die Steuerhinterzieher weggewesen, man hätte sie nicht mehr kriegen können, und dann wäre das für die Steuerfahnder des Landes Nordrhein-Westfalen und anderer Länder auch keine Arbeitsbelastung mehr gewesen.
(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Sie hätten das Geld automatisch bekommen!)
Wenn man sich jetzt die Forderungen der Piraten anschaut, dann lautet die erste, für entsprechende personelle Kapazitäten bei den Finanzbehörden zu sorgen. – Das haben wir gemacht. Wir haben in der vorigen Legislaturperiode ganz bewusst den Streit darüber geführt – damals mit der Fraktion der Linken –, warum wir nicht 500, sondern nur 200 einstellen. Wir haben das nicht deshalb nicht gemacht, weil wir das nicht für sinnvoll hielten, sondern deshalb nicht, weil die Steuerprüfer, die Fahnder und die Betriebsprüfer nicht voll ausgebildet auf der Straße stehen und nur darauf warten, dass man ihnen einen Arbeitsplatz gibt. Das wäre auch – das haben Sie selbst beschrieben – eine lange Ausbildungszeit, die sie in Anspruch nehmen müssten.
Damit erledigt sich eigentlich all das andere, was Sie gesagt haben. Ich kann doch nicht Portigon-Mitarbeitern – diese Debatte hatten wir schon im Zusammenhang mit Vorschlägen von Herrn Witzel – anbieten, eine sechs- bis zehnjährige Ausbildung zu machen, wenn ich sie nicht einmal zwingen kann, überhaupt einen Job in der Verwaltung anzunehmen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Optendrenk?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ja.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen, Herr Minister. – Bitte schön, Herr Kollege.
Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich bedanke mich auch herzlich und möchte Sie fragen, ob Sie nicht doch noch einmal nachprüfen möchten, ob nicht die Zusammenlegung der Oberfinanzdirektionen im Rheinland durch Finanzminister Dieckmann und nicht durch Ihren Amtsvorgänger in Gang gesetzt worden ist und ob in der Zeit von 2005 bis 2010 der Entscheidung, die Oberfinanzdirektionen Münster und Köln nicht zusammenzulegen, durchaus eine sachliche Prüfung vorausgegangen ist und dass es sich nicht um eine Frage von Mut oder Nicht-Mut gehandelt hat.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Zunächst einmal: Zu der Frage, wer zu verantworten hat, dass Düsseldorf und Köln zusammengelegt wurden, können wir gern noch einmal die Geschichte der Landesverwaltung heranziehen. Es war eine richtige Entscheidung.
(Ralf Witzel [FDP]: Das bestreiten wir nicht!)
Damit ist es völlig egal, ob die Entscheidung von Herrn Dieckmann oder von Herrn Linssen angestoßen worden ist.
Genauso ist es eine richtige Entscheidung, jetzt auch den Schritt hin zu einer einzigen Oberfinanzdirektion für Nordrhein-Westfalen zu tun – was Ihnen im Übrigen sehr viele Menschen bestätigen, die nicht mit aller Macht danach suchen, wie man einen Schritt hin zu einer schlankeren Verwaltungsstruktur wieder schlechtreden möchte.
Das ist doch der Punkt: Wir können vorschlagen, was wir wollen, Sie finden das Gegenteil gut. Das ist auch in Ordnung. Dass jetzt Herr Witzel auch für den starken Staat ist, auch wenn es ein schlanker Staat ist, dann ist das auch eine Aussage, die ganz interessant ist.
(Ralf Witzel [FDP]: Der schlanke Staat ist der starke Staat, da er sich auf seine Kernaufgaben konzentriert!)
Die Forderung, eine entsprechende Initiative zur Beseitigung möglicher Schlupflöcher über den Bundesrat zu starten – Frau Abgeordnete Andres hat es schon angesprochen –: Alles eingetütet. Es läuft. Wir haben die Punkte angesprochen: von der Androhung des Entzugs der Banklizenz über die Frage eines gleichmäßigen Steuervollzugs in allen Ländern der Bundesrepublik über die Frage einer verlängerten Verjährung bis hin zur Forderung nach einem automatischen Informationsaustausch – all dieses ist in Gang gesetzt worden.
Dann kann man sich jetzt noch über die Motivation streiten. Da kann ich Ihnen nur sagen: Wir verzeichnen gerade durch die Aktivitäten, die Nordrhein-Westfalen im Bereich der Steuerfahndung in den letzten zwei, drei Jahren entfaltet hat, alles andere als ein Desinteresse am Job und an der Tätigkeit eines Steuerfahnders. Das kann man mit Sicherheit sagen.
Deswegen glaube ich, dass wir – unabhängig von der Frage der Anpassung der Besoldung für die nächsten zwei Jahre, die ich gerne anders beantwortet hätte, wenn es die Möglichkeiten erlaubt hätten – über viele andere Maßnahmen Motivation geschaffen haben, diese Tätigkeit interessant gemacht haben, die richtigen Schritte gegangen sind und in diesem Punkt all das tun, was Sie in einer etwas verwickelten Art aufgezählt haben. Von daher, glaube ich, erübrigt sich der Antrag im Wesentlichen. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Wir sind am Ende der Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der Piraten hat Überweisung beantragt. Der Ältestenrat empfiehlt, entsprechend zu verfahren und den Antrag Drucksache 16/2890 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Unterausschuss „Personal“ des Haushalts- und Finanzausschusses zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist einstimmig so überwiesen.
Wir kommen zu:
15 Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2723
Zur Einbringung erteile ich Frau Ministerin Steffens das Wort. – Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass eine weitere Debatte heute nicht geführt wird. Frau Ministerin Steffens, Sie haben das Wort.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte findet heute nicht statt, aber die Debatte wird stattfinden, weil ich glaube, dass der Gesetzentwurf für Nordrhein-Westfalen, für viele Menschen in diesem Land entscheidend ist.
Ich will kurz auf die Historie zurückgehen. 2003 ist nach einer sehr kontroversen Debatte im nordrhein-westfälischen Landtag das jetzt gültige Bestattungsgesetz verabschiedet worden. Dazu hat die schwarz-gelbe Landesregierung eine Evaluierung durchgeführt. Diese Evaluierung ist im November 2009 vorgelegt worden.
Es gab schon damals – das war klar – einiges an Änderungsbedarf und Notwendigkeiten in diesem Bestattungsgesetz. Klar war bei der Evaluierung, dass wir dringend die Einführung einer Nachweispflicht und einer Frist für die Beisetzung von Totenasche brauchen. Diesen Punkt wie auch andere Punkte, die damals schon auf dem Tisch lagen, haben wir mit diesem Bestattungsgesetz umgesetzt.
Ich will im Wesentlichen auf die drei politischen Schwerpunkte, zu denen zum Teil ein sehr breiter Konsens in diesem Parlament herrscht, eingehen.
Erstens möchte ich auf die Tatsache eingehen, dass wir mit diesem Bestattungsgesetz die Grundlage schaffen, dass sich kirchliche und kommunale Friedhofsträger entscheiden können, ob sie ein Aufstellungsverbot von Grabsteinen aus Kinderarbeit in ihre Friedhofssatzung aufnehmen wollen und welche Nachweise sie anerkennen.
Das ist die Umsetzung einer Initiative. Damals waren Karl-Josef Laumann und Günter Garbrecht gemeinsam in Indien. Dort haben sie sich die Situation angeguckt und sich vor Ort überzeugt, welche Dimension die Kinderarbeit gerade in Indien hat und welche Dimension sie für die Grabsteinproduktion hat. Wir wissen, dass im Jahre 2009 rund 837.000 t Grabsteine nach Deutschland importiert worden sind, wovon zwei Drittel der auf den deutschen Friedhöfen aufgestellten Grabsteine aus Indien kommen.
Angesichts dieser Dimensionen und der Tatsache, dass Kinder, die dort arbeiten müssen, eine Lebenserwartung von maximal 35 Jahren haben – an den Grabsteinen klebt das Blut der Kinder aus Indien –, schaffen wir hier die Möglichkeit für die Kommunen, die es wollen, für ihre Friedhöfe dieses Aufstellungsverbot zu erlassen. Die Kommunen gewinnen eine Rechtssicherheit, die heute noch nicht gegeben ist. Das ist ein ganz wichtiger Schritt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich weiß, dass es bei allen Fraktionen in diesem Parlament – bis auf die FDP – einen klaren Willen dahin gibt. Darüber bin ich sehr froh.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Punkt, der ganz wichtig ist, ist, dass wir endlich für Muslime, die in Deutschland leben, die Möglichkeit schaffen, Bestattungen in einer anderen Form durchzuführen. Denn die Städte und Gemeinden können entscheiden, ob sie die Errichtung und den Betrieb im Weg der Beleihung auch muslimischen Verbänden übertragen.
In Wuppertal ist man sehr weit. Da gibt es konkrete Pläne für einen islamischen Friedhof. Das wäre bundesweit der einzige in Deutschland. Diese Möglichkeit können wir hier gemeinsam schaffen. Das finde ich wichtig.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wenn wir über Integration reden, dann heißt das, den Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, hier so bestattet zu werden, wie es ihrer Kultur und ihrem Glauben entspricht. Andernfalls können sie nur in ihrem Herkunftsland bestattet werden. Wir müssen versuchen, das, was es heute an Problemen bei der Rückführung in das Herkunftsland gibt, im Rahmen der Ausschussdiskussion anzugehen.
Ich will aber noch auf einen dritten Punkt eingehen, nämlich auf die Frage der zweiten Leichenschau bei Erdbestattungen. Auch das ist in der Vergangenheit eine wichtige Debatte gewesen. Klar ist, dass – diese Diskussionen haben wir sehr oft und sehr breit geführt – unterschiedliche Zahlen darüber vorliegen, ob es bei Erdbestattungen eigentlich auch eine Reihe von Menschen gibt, die eines nicht natürlichen Todes gestorben sind, bei denen das aber nicht klar ist und auch nicht auffällt, weil bei der Erdbestattung keine zweite Leichenschau stattfindet.
Wir wollen jetzt ermöglichen, dass im Rahmen eines Modells erprobt und untersucht wird, wie die Faktenlage wirklich ist; denn alle Studien und alle Dinge, die bisher auf dem Tisch liegen, kommen nicht zu einer wirklich klaren und eindeutigen Aussage. Wir wollen also das derzeitige Verfahren verbessern und das Ganze mit einem wissenschaftlich begleiteten Modellverfahren erproben. Ich glaube, dass wir nach einer solchen Erprobungsphase auch wissen, ob das heutige Verfahren ausreicht oder ob wir mehr brauchen.
Diese drei Punkte wollte ich hier nur ansprechen. Im Ausschuss werden wir mit Sicherheit noch viele weitere Punkte diskutieren.
Ich freue mich darauf, dass wir für Nordrhein-Westfalen dann ein wirklich umfassendes und viele Probleme beseitigendes Bestattungsgesetz auf den Weg bringen können. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Wie eben schon angekündigt, wird heute keine weitere Debatte geführt.
Daher stimmen wir nun ab. Es ist empfohlen, den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/2723 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, den Ausschuss für Kommunalpolitik, den Integrationsausschuss sowie den Ausschuss für Europa und Eine Welt zu überweisen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.
Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2894
Ich eröffne die Beratung und erteile für die Piratenfraktion Frau Brand das Wort.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Zuschauer! Schweinehaut im Frischkäse, Kälberlab in salzigen Snacks, Schweineborsten im Brot, Gelatine im Orangensaft: Haben Sie gewusst, was in unseren Lebensmitteln enthalten ist oder bei der Herstellung verwendet wird?
Was für den normalen Verbraucher schon unappetitlich klingt, ist für andere Menschen schlichtweg eine Katastrophe. Ein Veganer, der Fruchtgummis kauft, die sogar als Veggie-Produkt gekennzeichnet sind, muss in diesem Land damit rechnen, tierische Gelatine zu sich zu nehmen; denn der Begriff „vegan“ ist bis heute nicht geschützt.
Oder erklären Sie einmal jemandem mit jüdischem oder muslimischem Glauben, dass zur Herstellung des Brotes Schweineborsten verwendet werden! Darauf muss man überhaupt erst einmal kommen. Als integrationspolitische Sprecherin meiner Fraktion sehe ich in diesem Umstand nicht gerade eine praktizierte Rücksichtnahme.
Das deutsche Lebensmittelrecht enthält bisher weder eine verpflichtende Regelung für die ausdrückliche Kennzeichnung des tierischen Ursprungs von Zutaten, Zusatzstoffen, Aromen oder Bestandteilen von Aromen und technischen Hilfsstoffen in Lebensmitteln noch eine Definition der Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“. Das macht es einer Vielzahl von Verbrauchern nahezu unmöglich, sich gemäß ihrer Überzeugung oder religiösen Zugehörigkeit zu ernähren. Ob als Trägerstoffe, als Vitamine, als Ausgangsstoff für Aromen oder als technische Hilfsstoffe während der Herstellung: Ohne jede Kennzeichnung werden viele Lebensmittel mithilfe von Zutaten oder Zusätzen tierischen Ursprungs hergestellt. Selbst wenn Lebensmittelhersteller freiwillig Produkte als vegetarisch oder vegan ausloben, besteht kein ausreichender Schutz vor Täuschung; denn diese Begriffe sind juristisch nicht definiert.
Der Definition von „vegetarisch“ und „vegan“ stehen keine rechtlichen Gründe entgegen. Das ist auch nach europäischem Primärrecht zulässig. Solange und soweit keine europarechtliche Regelung besteht, liegt die Kompetenz bei den Mitgliedstaaten. Der freie Warenverkehr wird dadurch nicht beeinträchtigt. Es geht bei dieser Änderung der Verordnung nur um eine rechtliche Definition, vergleichbar mit dem Bio-Siegel. Im Gegensatz zum unzulässigen CMA-Gütesiegel erfolgt hier kein Eingriff in den Warenverkehr durch die Absatzförderung inländischer Produkte. Eine vergleichbare Regelung der Food Standards Agency in Großbritannien wurde bislang auch nicht beanstandet. Wir können also loslegen.
Mein grundsätzlicher Ansatz im Verbraucherschutz war und ist immer: Nur der informierte Bürger kann die für sich richtigen Entscheidungen treffen.
(Beifall von den PIRATEN)
Daher ist es nur konsequent, jetzt diese Bundesratsinitiative zu fordern.
Insgesamt haben bis gestern bereits mehr als 66.000 Verbraucher per von foodwatch und vom Vegetarierbund Deutschland durchgeführter Unterschriftenaktion von Ministerin Aigner eine Gesetzesänderung gefordert, doch bis heute keine Antwort erhalten.
Das ist ein Gesetzentwurf von einer NGO. Darum kümmert sich natürlich keiner. Deshalb nehmen wir diese Forderung hier und heute auch gerne auf. Warum soll man das Rad neu erfinden, wenn ein juristisch geprüfter Antrag fertig vorliegt?
Meine Damen und Herren, in Berlin wird in Sachen Verbraucherschutz immer viel angekündigt. Die Zehn-Punkte-Pläne gelten schon fast als Synonym für Tatenlosigkeit.
Häufig wird darauf verwiesen – vielleicht wird das gleich auch geschehen –, auf europäischer Ebene sei es schon in Planung oder in Mache. Ich erinnere hier nur an die Greening-Quote. Sie war von Europa auf 7 % festgelegt worden. Bei Frau Aigner sind es schließlich noch 3 % geworden. Wir müssen also schon selber mit einer Bundesratsinitiative aktiv werden.
Lassen Sie uns mit diesem Antrag einen Vorstoß machen, um wenigstens bei diesem Aspekt der Lebensmittelkennzeichnung für mehr Transparenz zu sorgen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Brand. – Bleiben Sie bitte noch einen Moment hier vorne bei uns; denn zu Ihrer Rede ist von der FDP-Fraktion eine Kurzintervention angemeldet worden. Kollege Höne möchte 90 Sekunden lang sagen, was er jetzt meint.
(Heiterkeit)
Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Brand, in Ihren Ausführungen zu „Ihrem“ Antrag – „Ihrem“ müssen wir an dieser Stelle in Anführungszeichen setzen – haben Sie dann ja doch noch verraten, dass die Gedanken ursprünglich gar nicht von Ihnen kommen, sondern eigentlich von einer NGO, wie Sie es genannt haben, also von einer Lobbyorganisation, nämlich von foodwatch, stammen.
Ich finde, es ist schon erklärungsbedürftig, wenn Sie, die Sie den Transparenzanspruch wie eine Monstranz vor sich hertragen, hier einen solchen Entwurf 1:1 übernehmen.
(Christof Rasche [FDP]: 1:1! – Gegenrufe von den PIRATEN)
„1:1“ war ja heute auch das Motto der Piraten beim Thema „Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst“. Das hat man dann einfach hierauf übertragen. Das ging ja dann sogar so weit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten, dass Sie die Begründung von foodwatch, also etwas Subjektives, als objektiv in der Sachverhaltsdarstellung dieser Drucksachennummer einfach so übernommen haben.
Sie scheitern an dieser Stelle an Ihren sich selbst auferlegten Transparenzhürden, wenn Sie der Meinung sind, man könnte hier einfach etwas 1:1 übernehmen und in der Rede kurz andeuten, wo es eigentlich herkommt. Ich finde, solche 1:1-Übernahmen werden diesem Hause nicht gerecht. Ich bin der Meinung, dass an dieser Stelle auch ein bisschen mehr eigener geistiger Input ganz gut gewesen wäre.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin Brand, Sie haben jetzt 90 Sekunden Zeit für Ihre Antwort.
Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Ich habe mich dazu deutlich geäußert. Ich habe auch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass dieser Antrag von foodwatch ist. Man hätte natürlich irgendwie den Inhalt nehmen können und das Ganze noch einmal neu schreiben können.
Aber was ich bereits ausgeführt habe: Wir haben hier einen fertigen Antrag, der dort versauert wäre, weil sich da keiner um einen NGO-Antrag kümmert. Wir hatten von verschiedenen Juristen eine Prüfung dieses Antrags, der als gut befunden wurde. Er wurde Richtung EU und aller vorhandenen Vorschriften abgeklopft.
Transparenz ist, dass ich gesagt habe, er ist von foodwatch. Ich verstehe nicht ganz, warum Sie meinen, dass etwas Gutes, was bereits vorliegt, nicht einfach verwendet werden kann. Das kann ich nicht nachvollziehen.
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Weil die FDP mit Kopieren ein Problem hat! – Weitere Zurufe von Christian Lindner [FDP] und Christof Rasche [FDP])
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Frau Brand. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Blask.
Inge Blask (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Lebensmittelkennzeichnung ist für Verbraucherinnen und Verbraucher eine wichtige und notwendige Information. Befindet sich zum Beispiel in einem Produkt Alkohol, möchte ich das gerne wissen. Oder: In welchen Anteilen enthält es Fett oder Zucker? Das erleben wir alle bei unserem täglichen Einkauf.
Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, haben einen erhöhten Bedarf an Informationen. Dies ist in der Fachwelt unumstritten. Aber auch eine Definition zu finden, was wir eigentlich unter vegan verstehen oder was eigentlich vegetarisch ist, ist nur logisch, konsequent und nachvollziehbar.
Wie ist die Situation im Moment? Es gibt ein sogenanntes Label. Das ist ein grünes V auf gelbem Grund. Dieses V soll Vegetariern die Lebensmittelauswahl europaweit erleichtern. Es steht für Erzeugnisse, deren Herstellung ohne Rohstoffe aus Tierkörpern erfolgt, insbesondere ohne Fleisch, Gelatine, Knochen und Schlachtfette. Dieses Label wird auf Antrag und nach vorheriger Prüfung in Deutschland über den Vegetarierbund Deutschland e. V. vergeben. Es gibt heute auch schon viele Hersteller, die einen Hinweis geben: kann Spuren von Zutaten tierischen Ursprungs enthalten.
Meine Damen und Herren, der Antrag der Piratenfraktion begründet in seinen Forderungen aber auch verschiedene Anforderungen an Religionsgemeinschaften. Für diese hätte aber eine Gesetzesänderung unserer Ansicht nach keine Bedeutung, da für einen problemlosen Verzehr nicht nur die Angaben der verwendeten Zutaten relevant sind. Also ob ein Lebensmittel halal für die gläubigen Muslime ist oder koscher für die Juden, kann vielmehr nur eine religiöse Autorität bestimmen. Das kann der Staat nicht definieren oder bestätigen.
Es stellt sich nun die Frage, ob eine Ergänzung der nationalen lebensmittelrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften, so wie es im vorliegenden Antrag gefordert ist, möglich ist oder nicht. Bereits die derzeit gültige Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung enthält umfangreiche Regelungen zur Kennzeichnung fertig verpackter Lebensmittel. Diese wird durch die Verordnung 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates ab dem 13. Dezember 2014 abgelöst. Wir bekommen also eine europäische Lösung.
Die SPD hatte sich auch eine andere europäische Verordnung vorgestellt und gewünscht. Denn so Punkte wie zum Beispiel die Ernährungsampel für Zucker und Fette hätte man hier dringend in dieser europäischen Lösung noch umsetzen müssen. Das ist nicht erfolgt.
Aber gut, kommen wir zu dem vorliegenden Antrag zurück. – Ja, es ist möglich, europäische Regelungen auch mit nationalen Regelungen zu ergänzen. Dies ist aber nach der zitierten Ermächtigungsgrundlage des § 14 Abs. 1 Nr. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches nur für die Kennzeichnung tierischer Lebensmittel als Lebensmittelzutat möglich. Das ist die feine Unterscheidung, meine Damen und Herren. Denn Nebenbestandteile wie Zusatzstoffe, Aromen, Enzyme und technische Hilfsstoffe, die nicht aus Rohstoffen tierischen Ursprungs gewonnen werden, werden hiervon nicht erfasst. Das heißt, so wichtige Informationen, wie sie eigentlich die Veganer bedürfen, können nicht national geregelt werden.
Schwierig wird auch der zeitliche Rahmen. So soll nach dem vorliegenden Antrag bereits eine Umsetzung auf den 1. Juli 2013 festgesetzt werden. Übergangsvorschriften sind nicht vorgesehen. Normalerweise sollte man einem Unternehmen auch etwas Zeit für die Umstellung lassen.
Die Bundestagswahl würde zu weiteren Verzögerungen führen und damit eine Umsetzung frühestens Anfang 2014 ermöglichen. Damit fiele die vorgeschlagene Einführung einer nationalen Regelung fast zeitgleich mit der europäischen Kennzeichnungsverordnung zusammen, die dann natürlich Vorrang hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Wunsch nach mehr Transparenz für Menschen, die sich vegetarisch bzw. vegan ernähren wollen, ist verständlich. Im Hinblick auf die anstehenden europäischen Regelungen halten wir eine nationale Lösung für schwer durchsetzbar, zum einen weil rechtlich einiges dagegen spricht, aber auch weil Lebensmittel im Verkauf in Europa vor den Grenzen keinen Halt machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Fraktion wird der Überweisung in den Ausschuss natürlich zustimmen. – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Blask. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Schulze Föcking.
Christina Schulze Föcking (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Piratenfraktion fordert mehr Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher durch eine Neufassung der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung.
Kollegin Brand, Sie haben es jetzt gesagt. Sie haben es jetzt gesagt, nicht im Vorfeld, und vor allem nachdem Kollege Höne dies auch noch einmal deutlich angemerkt hat. Dieser Antrag ist annähernd 1:1 von foodwatch abgeschrieben worden. Nur: Leider wurde er nicht als solcher deklariert. Vielleicht sollten Sie hier einmal über Ihre Kennzeichnungspflicht nachdenken.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wir haben in den letzten Jahren vieles für die Sicherheit von Lebensmitteln getan. Das war auch gut und richtig. Denn bei Lebensmitteln sollten wir kompromisslos sein und bleiben.
(Beifall von der CDU)
Es darf nur das auf den Teller, was einwandfrei erzeugt wurde und gesundheitlich unbedenklich ist. Die Kennzeichnungsvorschriften müssen klar, eindeutig und transparent sein. Ich denke und hoffe, dass wir uns da alle hier im Hohen Hause einig sind.
Jeder Verbraucher hat zahlreiche Möglichkeiten, sich zu informieren. Die Vielzahl von Siegeln ist ein eindeutiger Beleg dafür. Die Informationen und die Transparenz im Bereich der Lebensmittel sind in den letzten Jahren stetig verbessert worden. Sie hingegen, meine Damen und Herren der Piratenfraktion, nutzen Begriffe wie „Täuschung“ und „Unsicherheit“ und verbreiten damit ein Stück weit Angst.
Ihr Antrag geht von der Annahme aus, es sei Mitgliedern verschiedener Religionsgemeinschaften nahezu unmöglich, bewusste Kaufentscheidungen zu treffen, da sie tierische Bestandteile in der Nahrung nicht erkennen könnten. Das sind sehr weitreichende Begriffe und auch harte Vorwürfe, mit denen Sie da operieren. Es sind ernste Zweifel erlaubt, ob diese Annahmen einer Überprüfung standhalten.
Nur wenige Produkte unterliegen solch umfangreichen Kontrollen wie unsere Lebensmittel. Es gibt nicht viele Erzeugnisse, für die eine derart umfangreiche Dokumentationspflicht gilt: über die verschiedenen Anbauschritte bis hin zur Kennzeichnungspflicht des Endproduktes. Diese Kennzeichnungspflicht ist im Übrigen europäisch harmonisiert. Frau Blask sprach es eben schon an: In ganz Europa muss diese Regelung bis zum 13. Dezember 2014 umgesetzt sein. Der Bundesgesetzgeber hat entsprechende Vorgaben bereits verabschiedet. Alle Lebensmittelzutaten müssen in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt ihrer Verwendung auf der Verpackung angeführt sein.
In einigen Fällen werden tierische Produkte im Herstellungsprozess eingesetzt – so etwa auch die von Ihnen im Antrag genannte Gelatine. Diese Gelatine ist jedoch ein Klärstoff und wird im Verarbeitungsprozess wieder abgetrennt. Wenn verbleibende Reste im Endprodukt sind, muss Gelatine als Zutat auf der Verpackung erscheinen. Also auch hier besteht keinerlei Regelungslücke.
(Beifall von der CDU)
Für Verbraucherinnen und Verbraucher, die nur tierische Lebensmittel aus bestimmten Haltungsformen konsumieren wollen, gibt es ebenfalls bereits heute eine Vielzahl von Siegeln und Kennzeichnungsmöglichkeiten. Dafür bedarf es auch hier nicht – wie Sie es vorsehen – des Anstrebens einer Änderung. Auch wer sich heute bewusst vegetarisch ernähren möchte, kann sich bei seiner Kaufentscheidung auf Siegel berufen. Ich nenne in diesem Zusammenhang das V-Label, welche vegetarische und vegane Lebensmittel deklariert.
Dies ist übrigens ein Logo, das es als Dachmarke gleichermaßen beispielsweise in Finnland, Frankreich, Großbritannien, Portugal, Schweden, in der Slowakei und in Spanien gibt, um nur ein paar wenige Länder zu benennen.
Vergleichbares gibt es auch in Bezug auf koschere Lebensmittel für Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens. Ebenso gibt es für Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens diese Möglichkeiten, um das nachzuvollziehen. Ich habe mich, Kollegin Brand, darüber mit Muslimen unterhalten und direkt nachgefragt mit dem Ergebnis, dass sie hier absolut keinen Handlungsbedarf sehen. Das fand ich äußerst interessant. Sie sagen: Es reicht aus.
Meine Damen und Herren, 2011 hat die Europäische Kommission die Lebensmittel-Kennzeichnungsvorschriften umfangreich geprüft. Von keinem der Länder wurde die Frage der verpflichtenden Kennzeichnung „vegan“ oder „vegetarisch“ angesprochen. Wir sollten also meines Erachtens keine Probleme lösen wollen, wo offensichtlich im täglichen Leben keine existieren.
(Beifall von der CDU)
Selbstverständlich stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu. Ich denke aber, wir sollten die Diskussion nicht zu sehr verengen. Insofern rege ich an, dass wir uns in der Fachdebatte einmal generell über die Anzahl existierender Siegel und Gütezeichen unterhalten sollten. Ich habe große Zweifel, ob diese Vielzahl für die Kunden noch eine wirkliche Erleichterung darstellt oder ob nicht das genau das Gegenteil passiert, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht.
(Beifall von der CDU)
Mit einem Siegelwald ist zumindest niemandem geholfen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin. Bleiben Sie bitte noch einen Moment am Pult. Wir haben eine Kurzintervention von Herrn Dr. Paul, dem Vorsitzenden der Piratenfraktion. – Sie haben das Wort.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Frau Schulze Föcking, für Ihre wirklich beeindruckenden Ausführungen. 66.000 Menschen haben eine solche Erklärung, einen solchen Antrag bei foodwatch unterschrieben. Sie haben gerade eindrucksvoll belegt, wer hier das Lobbyproblem hat. Sie haben für die Lobby der Lebensmittelindustrie gesprochen, die weiterhin die Inhaltsstoffe nicht gerne präzise und genau benennen und verschleiern will.
Ich verstehe wirklich nicht, warum man uns für einen aus einer Bürgerinitiative heraus entstandenen Antrag kritisiert, dass man uns dafür kritisiert, dass wir etwas ins Parlament getragen haben, was eigentlich schon längst ins Parlament hätte getragen werden müssen. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Christina Schulze Föcking (CDU): Herr Dr. Paul, zum einen fehlt ein Stück weit die Transparenz. Sie hätten dies offensichtlich schon zu Beginn Ihres Antrags miteinbringen können. Das wäre dann wirklich transparent gewesen. Ansonsten hat man eher das Gefühl, dass Sie dieser …
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das haben wir gesagt! Sie müssen zuhören!)
– Im Nachhinein, verehrte Kollegen! Da brauchen Sie gar nicht so loszuschreien.
Das andere ist: Wir sprechen von 66.000 Bürgerinnen und Bürgern, die man sehr wohl ernst nimmt. Dazu sagen wir, dass wir dies sehr gerne weiter im Ausschuss diskutieren. Gleichwohl tun wir unsere Bedenken hier auch kund. Ich glaube, wir können nicht alles bis ins Detail mit Siegeln usw. lösen.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin. Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Nun spricht als nächster Redner für die Grünen-Fraktion Kollege Rüße.
Norwich Rüße (GRÜNE) : Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich haben Sie mit Ihrem Antrag ein wichtiges Themenfeld angesprochen. Als ich den erst sah und den Titel las, habe ich gedacht: Ja schön, ich freue mich darauf, wenn wir das beraten. Dann lese ich in der neuesten „Landtag intern“: Die Piratenfraktion war unglaublich fleißig, sie hat 100 Anträge eingereicht. – Da habe ich gesagt: Super, die Fraktion macht sich ja mächtig, geht richtig voran.
Dann hatte ich aber genau dasselbe Problem – völlig identisch – wie Herr Höne und Frau Schulze Föcking.
(Zurufe von den PIRATEN)
– Hören Sie erst einmal zu! – Mit diesem Antrag haben Sie aus meiner Sicht diese Bilanz leider wieder ein bisschen versaut. Aus meiner Sicht haben Sie sich nämlich nicht besonders viel Mühe gegeben und nicht besonders viel Arbeit darin investiert. Sie haben einen Antrag von foodwatch übernommen. Sie stellen diesen Antrag – das haben die anderen noch nicht gesagt; ich finde das besonders seltsam – gleichzeitig in jedem Parlament, in dem Sie in Deutschland sitzen. Sie haben den im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Berlin und hier gestellt.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Zusammenarbeit! So sieht konsequente Politik aus! – Zurufe von den PIRATEN)
– Genau! Doppelt und dreifach! Wir müssen jetzt in vier Landesparlamenten parallel über einen völlig identischen Antrag reden.
(Beifall von den PIRATEN)
Das kann man natürlich so machen. Man sollte aber auch überlegen, was für Energie man hier verschwendet. Eine Vielzahl von Leuten wird beschäftigt: Protokolle sind zu führen, Anhörungen sind zu planen und durchzuführen – Sie wollen wahrscheinlich eine Anhörung zu diesem Thema –, die Experten müssen eingeladen werden. Wahrscheinlich werden viermal dieselben Experten eingeladen, nach Berlin, ins Saarland, nach Schleswig-Holstein und hierher nach Nordrhein-Westfalen.
(Zuruf von den PIRATEN: Kommen Sie doch mal zur Sache!)
Sie haben diesen Antrag viermal gestellt, um viermal vor Ort in den Ländern darstellen zu können, wie sehr Sie sich um Kennzeichnung bemühen.
(Zuruf von den PIRATEN: Die Grünen machen das ja nie!)
Was ich ebenfalls als Problem empfinde – das sehe ich genauso wie die anderen auch – ist die Tatsache, dass Sie sich einen Antrag von einem Lobbyverband – und foodwatch ist ein Lobbyverband – haben schreiben lassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dass gerade Sie als Piraten so verfahren, wo Sie die Transparenz immer vor sich hertragen, wundert mich. Mich würde interessieren, was Sie gesagt hätten, wenn wir das so gemacht hätten, wenn wir einen Antrag der Umweltverbände 1:1 übernommen hätten.
(Zuruf von den PIRATEN)
Oder wenn die CDU einen Antrag von einem Bauernverband übernommen hätte, dann hätten Sie hier ganz laut aufgeschrien und gefordert: Es geht nicht an, dass Sie Anträge von Verbänden ins Parlament tragen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, ich habe drei angemeldete Zwischenfragen. Mehr machen wir aber nicht, ist ja schon spät. Diese drei Fragen werden jetzt hier gestellt – natürlich nur, wenn Sie es zulassen, Herr Kollege Rüße. Die erste Frage stellt der Piratenkollege Herr Düngel. – Bitte schön, Herr Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Rüße, meine Frage ist: Wie entsteht denn so ein parlamentarischer Antrag bei den Grünen? Ist das ähnlich wie bei uns, dass das Verfahren offen auf Mailinglisten in offen gestreamten Fraktionssitzungen und sonstigen Arbeitskreisen erfolgt? Oder wie läuft das bei Ihnen?
(Beifall von den PIRATEN)
Norwich Rüße (GRÜNE): Soll ich die Frage direkt beantworten? Die Fragen könnten ja auch gesammelt werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, jede Frage wird direkt beantwortet. Ich habe ausnahmsweise die drei Fragen zugelassen, weil zwei direkt hintereinander eingedrückt wurden. Aber wenn es so schnell geht, ist das auch kein Problem.
Norwich Rüße (GRÜNE): Wenn Sie wissen wollen, wie ich einen Antrag entwickle, kann ich Ihnen das gerne erläutern. Ich führe Gespräche, zum Beispiel mit einem Lobbyverband wie foodwatch, aber ich lasse mir nicht von anderen die Anträge schreiben. Stattdessen hole ich Informationen ein, die ich anschließend zusammen mit unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin auswerte.
(Zuruf von den PIRATEN: Gesetze sind aber noch nie außerhalb des Hauses geschrieben worden, oder?)
Dann gehe ich in die Fraktion, dort bekomme ich noch Kommentare. – So läuft der normale Prozess. Dann bringen wir den Antrag hier ein.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Rüße. – Die zweite Zwischenfrage stellt der Kollege Wegner. Bitte schön.
Michele Marsching (PIRATEN): Die Zwischenfrage hat der Kollege Marsching auf dem Platz des Kollegen Wegner, aber das macht nichts. – Kollege Rüße, vielen Dank für das Zulassen der Frage. Die Kollegin Schulze Föcking hat gerade gesagt, wir redeten über eine Kennzeichnungspflicht; da hätten wir den Antrag vorher kennzeichnen können.
Jetzt wiederholen Sie einen ähnlichen Anwurf. Ich frage mich: Gibt es eine Kennzeichnungspflicht dafür, wenn ich gute Anträge von jemandem übernehme? Das wäre mir nämlich ziemlich neu.
(Zurufe von den GRÜNEN)
Norwich Rüße (GRÜNE): Auch diese Frage ist, ehrlich gesagt, ein vollkommenes Eigentor. Wenn eine Partei fordert, Prozesse sollen transparent sein, dann ist es doch selbstverständlich, dass sie zumindest selbst entsprechend handelt.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP – Zurufe)
Eine Truppe von Ihnen hat es ja vernünftig gemacht, und zwar die Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus. Die haben einen Hinweis unter den Antrag geschrieben.
(Christian Lindner [FDP]: Aha!)
Sie haben es hier nur klammheimlich so nebenbei erwähnt. Das ist der Unterschied. Sie hätten alle so wie die Berliner verfahren können, dann wäre ich zufrieden gewesen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Aber es geht auch noch um etwas anderes. Es geht nämlich darum, was für ein Selbstbild Sie von der Tätigkeit eines Abgeordneten haben. Man muss die Dinge doch auch kritisch beleuchten. Dann kommt am Ende ein anderer Antrag dabei heraus als der, den foodwatch Ihnen geschrieben hat.
(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)
Ich bringe mich doch in eine solche Sache ein. So ist das zu wenig.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Rüße. – Weil wir so nett waren, haben wir jetzt noch eine dritte Zwischenfrage. Es steht geschrieben, es sollten nur zwei zugelassen werden, aber wir können natürlich eine dritte Frage zulassen. Sie sind fast gleichzeitig gedrückt worden. Die Frage stammt vom Kollegen Sommer auf dem Platz von Herrn Kern. Wir lernen das noch. Es ist aber üblich, dass man sich eigentlich von seinem Platz aus eindrückt. – Bitte schön.
Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, Kollege Rüße, für die Möglichkeit der dritten Zwischenfrage.
Ich hätte gerne gewusst, ob die grüne Fraktion noch nie einen Antrag zusammen mit einer Bürgerinitiative entwickelt hat. Das würde mich wirklich sehr interessieren.
Norwich Rüße (GRÜNE): Leider bin ich erst seit 2010 im Landtag; ich kann Ihnen also keine Auskunft darüber geben, was die Grünen-Fraktion vorher gemacht hat. Ich könnte nur zu den letzten drei Jahren etwas sagen.
Zum Begriff „entwickeln“: Sie können einen Antrag gerne zusammen mit foodwatch besprechen, sich informieren, Anregungen geben lassen. Sie sollen sich aber nicht komplette Anträge Wort für Wort, Komma für Komma schreiben lassen und diese dann einbringen. Da werden Sie doch zum Handlanger von Lobbyverbänden – genau das, was Sie anderen vorwerfen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP- Zurufe von den PIRATEN)
Sie meinen, Sie tun das mit gutem Recht, weil Sie bei den Lobbyverbänden zwischen Gut und Böse unterscheiden. Aber so einfach ist das eben nicht. Da muss man vorsichtig sein. Das kann ich Ihnen für den weiteren Prozess nur empfehlen.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP – Zurufe)
Machen wir jetzt inhaltlich weiter.
(Unruhe)
Ich finde, Ihr Antrag verspricht im Titel sehr viel; aber die Lebensmittelkennzeichnung ist eben nicht nur vegetarisch-vegan. Das wissen Sie auch selbst, das ist mir völlig klar. Ganz sicher wollen nicht nur die 66.000 Menschen, die das Ganze unterschrieben haben, und diejenigen, die sich als Vegetarier oder Veganer verstehen, wissen, was in den Lebensmitteln enthalten ist. Das gilt vielmehr für uns alle als Verbraucherinnen und Verbraucher.
Wir alle erwarten doch, dass die Lebensmittelindustrie ihre Produkte ausreichend und hinreichend kennzeichnet. Ebenso erwarten wir alle, dass bestimmte Produkte gar nicht in Lebensmitteln landen; ich nenne nur Stichworte wie „Analogkäse“ oder „Klebefleisch“. Hierzu wollen wir natürlich genaue Informationen erhalten. Das ist jedoch genau das Problem. Ihr Antrag würde dieses Problem nicht lösen. Sie lösen allenfalls einen ganz kleinen Ausschnitt. Das ist aus meiner Sicht deutlich zu wenig.
Dass es bei der Lebensmittelkennzeichnung Probleme gibt, ist von den Vorrednern klar benannt worden. Ihr Antrag packt das Problem unzureichend an und konzentriert sich nur auf die eine Sache. Der Lösungsansatz sollte aber ein anderer sein. Er muss europäisch sein. Man muss auch noch mal gucken, inwieweit man die Dinge auf freiwilliger Basis über den Markt regeln kann.
(Zuruf von den PIRATEN: Über den Markt regeln, oh!)
– Ja, das sagen Sie doch sonst auch immer.
Wir stimmen der Überweisung zu und werden dann sehen,
(Beifall von den PIRATEN)
wie wir weiter mit dem Thema umgehen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Rüße. Bleiben Sie bitte am Pult, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Dr. Paul. Bitte schön, Herr Dr. Paul, Sie haben 90 Sekunden Zeit.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Rüße, ich bin Ihnen im Grunde meines Herzens für diese rhetorische Volte mit der Kennzeichnungspflicht unendlich dankbar. Ich gelobe für mich und meine Fraktion, dass wir in Zukunft alle unsere Anträge kennzeichnen. Und ich würde die Fraktionen von Union und FDP bitten, das für Gesetze, wie beispielsweise das Hochschulfreiheitsgesetz, noch nachzuholen. Denn auch diese sind nachweislich nicht in diesem Hause, sondern in Gütersloh geschrieben worden. – Vielen Dank!
(Beifall von den PIRATEN – Christian Lindner [FDP]: Belegen Sie das mal, Herr Paul! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Fragen Sie doch Wolfgang Lieb! – Unruhe)
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Paul, wenn eine andere Fraktion so verfahren würde wie Sie mit diesem Antrag, dann würde ich selbstverständlich auch von dieser Fraktion unter ihrem Antrag einen Vermerk erwarten. Insofern könnten wir uns vielleicht einigen. Sie hätten es jetzt machen sollen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Höne das Wort.
Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es erscheint bei dem vielen Hin und Her sinnvoll, noch etwas festzuhalten, bei dem wohl grundsätzlich Einigkeit besteht, nämlich dass Transparenz insbesondere bei einem so sensiblen Thema wie Lebensmitteln natürlich wünschenswert ist. Denn Verbraucher müssen umfassend informiert sein, um sich ein eigenes Bild von der Lage, von den Inhaltsstoffen machen zu können, um eine sichere und selbstbewusste Entscheidung treffen zu können. Das ist sicherlich nicht mit einer einzelnen Verordnung erledigt, sondern wir befinden uns da in einem kontinuierlichen Prozess, der weiterentwickelt werden muss.
Lassen Sie mich kurz in fünf Punkten auf den Antrag der Piraten eingehen:
Erstens. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piraten, auch ich kann Sie nicht daraus entlassen: Man kann Zwischenfragen stellen und intervenieren, wie man möchte. Aber ich finde, es ist eine Frage von Stil, ob man so etwas wie die Eins-zu-eins-Übernahme von Inhalten einfach direkt unter den Antrag schreibt, wie das Ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus offensichtlich getan haben.
(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] und Sigrid Beer [GRÜNE])
Ich bleibe dabei: Sie scheitern an Ihren eigenen Hürden. Es heißt auf der Internetseite der Piraten NRW:
„Die PiratenNRW setzen sich daher für eine Eindämmung des Einflusses von Lobbyistengruppen ein.“
(Lachen von Thomas Kufen [CDU])
Weiter heißt es dort:
„Die PiratenNRW fordern daher, die Übernahme von Gesetzesvorlagen … unter eine strenge öffentliche Kontrolle zu stellen und teilweise Verbote zu normieren.“
(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU – Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Was soll denn dann die strenge gesetzliche Kontrolle sein?
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das machen Sie doch auch!)
– Herr Dr. Paul, wollen Sie den Leuten dann sagen: „Wir haben es nicht in die Drucksache geschrieben, lesen Sie es bitte im Plenarprotokoll auf Seite 18 oder 22 ab Zeile 15 nach!“? Das ist doch wohl nicht Ihr Transparenzanspruch!
(Beifall von der FDP, Sigrid Beer [GRÜNE] und Josef Hovenjürgen [CDU])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Olejak von der Piratenfraktion zulassen?
Henning Höne (FDP): Mit Blick auf die Uhr nicht. Die Landfrauen warten unten.
(Beifall von der FDP, den GRÜNEN und Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von den PIRATEN: Lobby, Lobby!)
– Aber wir haben nicht abgeschrieben; das ist der Unterschied zwischen uns.
Zweitens. Sie wollen eine Umsetzung Ihrer Vorschläge bis zum 1. Juli dieses Jahres. Wir halten diesen Zeitrahmen in der Praxis für nahezu unmöglich. Gerade in einem so sensiblen Bereich muss doch gelten: Sorgsamkeit vor Schnelligkeit. Es liegt für mich der Eindruck nahe, dass Sie als Antragsteller mit dieser Initiative schnell Schlagzeilen in vier Bundesländern gleichzeitig generieren wollen, ohne überhaupt inhaltlich nachvollzogen zu haben, was foodwatch vorhat, und ohne den für eine Bundesratsinitiative notwendigen Zeitrahmen eingeplant zu haben. So wird das nichts mit einer Antwort auf die neuerlichen Lebensmittelskandale.
Drittens. Die Verhältnismäßigkeit eines jeden Vorschlags muss gewahrt bleiben. Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Zweifel daran, dass das bei dieser Initiative der Fall ist. Wir müssen das Ganze im Ausschuss sicherlich noch ein bisschen näher erörtern. Ich sehe aber schon die Gefahr, dass Ihr Vorschlag zu einem vollkommen unübersichtlichen Dokumentations-Klein-Klein führt.
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass schon heute eine große Zahl an Detailinformationen auf den Produkten so klein angegeben wird, dass sie beim Einkaufsvorgang kaum lesbar sind. Ein Supermarkt voller Inspektor-Gadget-Konsumenten, die mit der Lupe auf Spurensuche sind, kann doch nicht unser Ziel sein. Wir müssen aufpassen – das hat Kollegin Schulze Föcking eben auch schon gesagt –, dass es nicht nur ein Mehr an Informationen gibt, sondern bessere Informationen. Wir dürfen nicht Gefahr laufen, dass Verbraucher die sie betreffenden Informationen vor lauter Daten nicht mehr sehen.
Viertens. Wir müssen in der Beratung auch darauf achten, dass wir uns der Kontrolle der Kontrolleure weiter zuwenden, wie wir es schon in den letzten Diskussionen zu diesen Themen immer wieder gesagt haben. Wenn der Staat effektive Kontrollmöglichkeiten gewährleisten könnte, dass auch wirklich das drin ist, was draufsteht, hätten wir schon viel gewonnen. Notfalls muss man – da bin ich persönlich ganz bei Ministerin Aigner – die Branche an erhöhten Prüfkosten beteiligen. Die Vergangenheit zeigt uns, dass wir noch Optimierungspotenzial haben.
Fünftens. Ihr Antrag kritisiert, dass es keine juristische Definition von „vegetarisch“ oder „vegan“ gäbe. Ich glaube, der Staat muss das auch gar nicht definieren. Die Wirtschaft, die Branche schafft es doch, mithilfe von Gütesiegeln
(Lachen von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
auch gesetzliche Definitionen entsprechende Standards zu setzen. Die Regionallabels, die Biolabels sind dafür schon der Praxisbeweis. Es gibt hier Anknüpfungspunkte, die Ihre Kritikpunkte ohne einen gesetzlichen Eingriff regeln können.
Sie sehen, die Effektivität Ihrer Vorschläge wird von vielen anderen Fraktionen hier im Hause sehr kritisch betrachtet. Aber wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss und stimmen der Überweisung natürlich zu. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Remmel das Wort.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Teil mit der Textexegese und der historisch-kritischen Methode erspare ich mir jetzt. Da sind die Ergebnisse relativ schnell zu erzielen; das haben Sie alles schon dargelegt. Ich will mich mit der Sache beschäftigen. In der Tat ist es richtig: Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich vegetarisch oder vegan ernähren oder ernähren wollen, können bei fertig verpackten Lebensmitteln nur teilweise erkennen, ob Zutaten tierischen Ursprungs enthalten sind oder nicht. Die Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“ sind rechtlich nicht definiert. Ich möchte aber auch unterstreichen – das ist schon mehrfach dargestellt worden –, dass es selbstverständlich für jeden Anbieter möglich ist, die bekannten Kennzeichnungen zu verwenden.
Das hier ist also eine Forderung nach einer verpflichtenden Kennzeichnung. Im Grundsatz ist eine solche Forderung zu unterstützen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten, wenn sie am Markt agieren, ihre Kaufentscheidungen selbstverständlich transparent und umfassend informiert treffen können. Es ist auch richtig, dass es Absicht und politischer Auftrag dieser Landesregierung ist, Verbraucherinnen und Verbraucher in dieser Kompetenz, in diesen Möglichkeiten zu unterstützen.
Um das auf eine kurze Formel zu bringen: Der Einkaufszettel ist auch immer eine Regierungserklärung. Mit dem Einkaufszettel bestimme ich als Verbraucherin oder Verbraucher auch darüber, welche Produkte wie und an welcher Stelle erzeugt und vermarktet werden. Aber um das tun zu können, brauche ich entsprechende Informationen. Die Informationen müssen auch so gestaltet sein, dass ich sie bei der Kaufentscheidung schnell verfügbar habe.
Da fängt das Problem an: Wie komme ich zu diesen Informationen, und wie ist die entsprechende Darstellung?
Es ist klar: Zusammengesetzte Lebensmittel werden mit Zutaten wie Fisch, Käse, Fleisch und Ähnlichem angegeben. Andere Zutaten wie zum Beispiel Zusatzstoffe, Aromen oder Enzyme können nicht einfach so erkannt werden. Da gibt es in der Tat ein Problem.
Das Problem fängt an, wenn es um die Umsetzung geht. Da habe ich die eine oder andere Schwierigkeit mit dem, was die Piratenfraktion vorgeschlagen hat. Es ist darauf hingewiesen worden, dass es eine europäische Regelungsebene gibt, die hier maßgeblich ist. Wir befinden uns im Bereich der Kennzeichnung bei europäischen Normsetzungen. Die europäische Norm ist ab dem 13. Dezember 2014 gültig. Sie beinhaltet bereits explizit die Ermächtigung, allerdings nicht an die Länderebene, an die nationale Ebene, sondern an die Europäische Kommission, europaweite Regelungen zur Information über die Eignung von Lebensmitteln für Vegetarier und Veganer zu schaffen.
Zu der Frage, ob der nationale Gesetzgeber noch darüber hinaus befugt ist, eigene Regelungen hierzu zu schaffen, findet derzeit zusammen mit dem zuständigen Bundesministerium eine umfangreiche Erhebung, Untersuchung und rechtliche Prüfung statt. Wenn sich bei dieser Prüfung herausstellen sollte, dass eine solche Ermächtigungsgrundlage auch national umsetzbar ist, müssten entsprechende Handlungsschritte auf nationaler Ebene folgen.
Ohne eine solche gemeinsame rechtliche Prüfung macht das meines Erachtens keinen Sinn, weil die Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“ rechtlich bisher nicht geschützt sind. Wenn man sie in eine verpflichtende Kennzeichnung überführt, müssen sie rechtlich definiert und rechtlich geschützt werden. Auch das sind Vorleistungen, die jedenfalls in dem Zeitraum nicht zu leisten sind.
Darüber hinaus – und das ist noch schwieriger – fordert der Antrag der Piraten, dass zukünftig Kennzeichnungsregeln für alle Lebensmittel so geändert werden sollen, dass Lebensmittelherstellerinnen und -hersteller das Vorhandensein und die Verwendung von Haupt- und Nebenbestandteilen wie Zusatzstoffen usw. grundsätzlich verbindlich angeben müssen.
Das hört sich gut an, aber in der Praxis ist das ein Riesenproblem für die Herstellerinnen und Hersteller, wenn es beispielsweise darum geht, mit denselben Maschinen ähnliche Produkte zu erzeugen, wenn es darum geht, auch kleinste Bestandteile gegebenenfalls in ein Nachweisverfahren zu bringen. Das ist mit den derzeitigen Methoden nicht handhabbar. Wir erleben ja bei der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel, wie komplex der Sachverhalt ist und wie schwierig es in der Praxis ist, eine solche Kennzeichnung tatsächlich einzuführen.
Das heißt: Ihr Antrag ist im Grunde eine richtige Anfrage an einer richtigen Stelle. Aber die Arbeit, es dann umzusetzen, wird der Ausschuss erledigen müssen und werden auf internationaler Ebene und nationaler Ebene die Europäische Kommission und die Bundesregierung erledigen müssen, wenn es denn – und davon gehe ich aus; das haben alle Redner betont – politisch gewollt ist. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal für einen kurzen Beitrag Frau Kollegin Brand zu Wort gemeldet. Die Landesregierung hat um neun Sekunden überzogen. Frau Kollegin, dann haben Sie jetzt 34 Sekunden.
Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ganz kurz zwei Sachen.
Wir haben diesen Antrag weder geklaut noch uns schreiben lassen. Es ist etwas anderes, ob da etwas Fertiges liegt, was vergammelt, und man fragt dann die Erzeuger, ob man es benutzen darf. Ich würde da schon gerne differenzieren.
Das andere: Frau Blask hat gesagt, dass es rechtlich nicht geht. – Es geht nicht, wenn man nach Art. 169 Abs. 4 AEUV vorgeht. Es ist jedoch anders, wenn man Art 39 Abs. 1 der LMIV betrachtet. Danach sind einzelstaatliche Vorschriften über zusätzliche verpflichtende Angaben bei Lebensmitteln unter besonderen Voraussetzungen möglich, unter anderem aus Gründen des Verbraucherschutzes.
Also, wir haben das schon prüfen lassen. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor bzw. wären aufgrund der abgelaufenen Redezeiten ohnehin nicht mehr möglich. Wir sind damit am Schluss der Beratung angelangt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat, meine Damen und Herren, empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2894 an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig ...
(Zuruf)
– Gab es doch Gegenstimmen bei den Piraten?
(Zuruf)
– Nein. Das hätte mich auch irritiert. Aber ich bin darauf aufmerksam gemacht worden. – Ich darf also festhalten: Die Überweisungsempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir treten ein in den Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2891
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, eine Beratung heute nicht durchzuführen. Beratung und Beschlussfassung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.
Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2891 an den Innenausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation, an den Ausschuss für Europa und Eine Welt sowie aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen ebenfalls an den Integrationsausschuss. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gegenstimmen und Enthaltungen liegen nicht vor. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2885
Alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 1)
Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/2885 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gegenstimmen und Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2625
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, diesen Tagesordnungspunkt heute nicht zu beraten, sondern auf das nächste Plenum am 19., 20 und 21. Juni zu verschieben. Regt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann wird so verfahren.
Tagesordnungspunkt
20 Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zum Zensusgesetz 2011
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/2255
Beschlussempfehlung
des Innenausschusses
Drucksache 16/2906
Alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 2)
Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/2906, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer für diese Empfehlung des Innenausschusses ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Empfehlung des Innenausschusses mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP bei Enthaltung der Piratenfraktion mit großer Mehrheit angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/2255 in zweiter Lesung verabschiedet.
Tagesordnungspunkt
Antrag
des Finanzministeriums
gemäß § 64 Abs. 2 LHO
Vorlage 16/849
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/2901
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/2901, in die mit Vorlage 16/849 beantragte Veräußerung einzuwilligen. Wer dieser Empfehlung folgen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstim-
men? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktionen von FDP und Piraten ist diese Beschlussempfehlung mit Zustimmung der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen mit großer Mehrheit angenommen und die beantragte Einwilligung zur Veräußerung erteilt.
Tagesordnungspunkt
22 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Beirats der NRW.BANK
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2907
Eine Debatte ist hierzu nicht vorgesehen.
Wir kommen somit direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag, der in Drucksache 16/2907 vorgelegt worden ist. Wer diesem gemeinsamen Wahlvorschlag folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
23 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II und Wahl des Vorsitzenden
Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2908
Eine Debatte ist auch hierzu nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag. Wer diesem gemeinsamen Wahlvorschlag seine Zustimmung erteilen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/2908 einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
24 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 8
gemäß § 79 Abs. 2 GeschO
Drucksache 16/2909
Die Übersicht 8 enthält sechs Anträge, die vom Plenum nach § 79 Abs. 2 Buchstabe c an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht 8. Wer das Abstimmungsverhalten, das in der Übersicht niedergelegt ist, hier bestätigen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die in der Übersicht 8 Drucksache 16/2909 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig vom Plenum bestätigt.
Wir kommen zum letzten Tagesordnungspunkt für heute, nämlich
Mit dieser Übersicht liegen Ihnen Beschlüsse zu Petitionen vor. Wird dazu das Wort gewünscht? – Das kann ich nicht erkennen. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 91 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass die Beschlüsse in der Übersicht 16/10 bestätigt sind.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.
Ich berufe das Plenum für morgen, Donnerstag, den 16. Mai 2013, 10 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 22:22 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.
Zu TOP 18 – Gesetz zur chancengleichen Ausgestaltung der Errichtungsbedingungen und Teilstandortbildung von allgemeinbildenden weiterführenden Schulformen in Nordrhein-Westfalen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) – zu Protokoll gegebene Reden
Durch die Verabschiedung des 6. und 8. Schulrechtsänderungsgesetzes ist eine Bevorzugung einiger Schulformen bei den Errichtungsbedingungen und bei der Bildung von Teilstandorten festgelegt worden.
Dieser hier seitens der FDP-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf soll diese Ungleichbehandlung beheben. Es geht nicht darum, für einzelne Schulformen Bedingungen zu verschlechtern. Es geht um eine faire Behandlung der unterschiedlichen Schulformen.
Diese Ungleichbehandlung der Schulformen manifestiert sich insbesondere bei weiterführenden Schulen; daher haben wir hierauf auch bei der Beschreibung den Schwerpunkt gelegt.
Sie haben mit dem 6. und 8. Schulrechtsänderungsgesetz explizit gesonderte Teilstandortregelungen für einzelne Schulformen im Schulgesetz verankert. Verbände beanstandeten in der Anhörung zum 8. Schulrechtsänderungsgesetz die Benachteiligung von Schulformen. Auch die FDP hat diese Ungleichbehandlung während der Debatte kritisiert.
Anwesende erinnern sich vielleicht, in welch rauem Ton Ministerin Löhrmann eine Benachteiligung und gesonderte rechtliche Regelungen für einzelne Schulformen in der Plenardebatte bestritten hat. Der FDP wurde ausgesprochen rüde eine Falschbehauptung unterstellt. Erstaunlich offen waren dann allerdings nur wenige Wochen später die Aussagen der Ministerin in einem Interview zur Didacta.
Während die Ministerin kurz zuvor im Parlament eine Ungleichbehandlung noch massiv bestritten hatte, verkündete sie kurze Zeit später das Gegenteil. Sie erklärte explizit, dass man gerade für Gesamtschulen rechtliche Möglichkeiten der Teilstandortbildung geschaffen habe. Dieses Interview war insofern sehr erhellend.
Rot-Grün verkündet laufend, die Entscheidung über das benötigte Schulangebot in die Hände der Kommunen zu legen. Dem können wir als FDP folgen. Aber dann sollten für die bestehenden Schulformen aber auch gleichberechtigte faire Bedingungen gelten.
Es geht hier ausdrücklich um gleiche Chancen; daher soll es aus FDP-Sicht auch keine Verschlechterung geben. Wir wollen den Errichtungswert gleichberechtigt auf 25 Schülerinnen und Schüler festsetzen. Und wir schaffen übereinstimmende Regelungen bei der – auch horizontalen und vertikalen – Teilstandortbildung für die Schulformen der Sekundarstufe I sowie der Sekundarstufe I und II.
Aufgrund der unterschiedlichen benötigten Zügigkeiten und Fortführungsvorgaben der Schulformen werden die Änderungen oftmals nur begrenzte Auswirkungen haben. Diese abweichenden Zügigkeiten sind auf die pädagogischen Konzepte zurückzuführen, die an integrierten Schulformen eine höhere Zügigkeit verlangen. Dies wurde auch von Rot-Grün in der Vergangenheit immer wieder betont; insofern können Sie sich hierüber nicht mokieren.
Auch greift die Behauptung nicht, dass integrierte Schulformen alle Schulformen abbilden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wenn Sie Ihren Worten Taten folgen lassen wollen und wenn Sie es ernst damit meinen, dass Kommunen und Elternwille über das regionale Schulangebot entscheiden, können Sie gleichberechtigte Regelungen nicht ablehnen. Kommunen und Eltern erhalten so die Chance, dass ihren Bedürfnissen bestmöglich entsprochen wird.
Dieser Gesetzentwurf verschlechtert für keine Schulform die Errichtungsbedingungen. Er verschlechtert keineTeilstandortregelungen. Er stellt Chancengleichheit her. Und Frau Ministerin Löhrmann, es gibt einen Unterschied zwischen einer gesetzlichen Verankerung und einem zu begründenden Fall bei Teilstandorten.
Dieser Gesetzentwurf kann eigentlich nur dann abgelehnt werden, wenn man in Wahrheit keine fairen Bedingungen will.
Seit ihrer Abwahl in die Opposition verfolgt die FDP einen schulpolitischen Geisterfahrer-Kurs. Erinnern wir uns: An der Bildungskonferenz hat sie sich nicht beteiligt. Dem historischen Schulkonsens hat sie nicht zugestimmt. Aus der schulpolitischen Entwicklung in NRW hat sie sich selbst entfernt: Immer auf der falschen Spur.
Stattdessen versucht sie sich durch unrealistische Forderungen zu profilieren, die man unter dem Begriff „Stärkungspakt Gymnasium“ fassen kann. Ein aussichtsloses Unterfangen, das die verdienstvolle Schulform Gymnasium nicht verdient hat. In dieser Linie liegt auch die vorliegende Gesetzesvorlage der FDP, die stellenweise schwach kabarettistische Züge zeigt.
In der Bildungskonferenz und im darauf aufbauenden Schulkonsens ist vereinbart worden, dass die Schulstrukturen in unserem Land so fortentwickelt werden müssen, dass sie den demografischen Entwicklungen in NRW und dem veränderten Schulwahlverhalten der Eltern gerecht werden. Die Schulentwicklung in NRW soll sich an die kommunalen Gegebenheiten und die veränderte Nachfrage der Eltern anpassen können.
Wir haben in NRW einen Rückgang der Schülerzahlen bei fast allen Schulformen und insgesamt. Bei den Grund-, Haupt- und Förderschulen hat sich der Schülerrückgang auch im laufenden Schuljahr 2012/2013 fortgesetzt. Auch die Realschulen und die Gymnasien verzeichnen erneut Schülerrückgänge. Die Übergangsquoten an die Hauptschule sind dramatisch gesunken, nur noch 7,8 % der Schüler und Schülerinnen wechselten im Schuljahr 2012/2013 auf die Hauptschule. Gleichzeitig steigen die Schülerzahlen an den Schulen des längeren gemeinsamen Lernens.
Damit stellt sich für die Kommune derzeit nicht die Frage, welche Vielfalt an Schulformen sie erhalten oder gar ausbauen können. Die Frage lautet vielmehr: Wie können wir überhaupt noch ein umfängliches Bildungsangebot für die Schüler und Schülerinnen am Ort oder in der Region vorhalten?
Dem entspricht in der Ausgestaltung der Schulkonsens, der mit den Sekundarschulen und den Gesamtschulen – auch in Teilstandorten – auf diese Notwendigkeiten reagiert. Bei beiden Schulen handelt es sich um Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. Diese Schulen werden speziell in ländlichen Regionen nicht in Addition zum bestehenden System gebildet, sondern als Ersatz im Interesse eines umfassenden Bildungsangebots vor Ort. Kleine Gemeinden wollen mit der Gründung einer Sekundarschule dauerhaft ein Schulangebot sichern: die letzte Schule der Sekundarstufe am Ort.
Bei den Errichtungsgrößen, die im Schulgesetz festgeschrieben sind, wird berücksichtigt, dass es sich bei Sekundarschulen und Gesamtschulen um eine heterogene Schülerschaft handelt und dass in diesen Schulen zusätzliche Möglichkeiten für differenzierte Lernformen und Binnendifferenzierung erforderlich sind. Damit begründen sich auch die Errichtungsgrößen von dreimal 25 oder viermal 25 Schülern und Schülerinnen pro Klasse.
Wenn die FDP in ihrem Gesetzentwurf diese Klassengrößen nun pauschal für alle Schulformen ansetzen will, ist das schon ein wenig einfältig. Aber so ist es halt, wenn man statt sachlicher Differenzierung ideologische Schablonen in ein Gesetz eingehen lässt. Bereits heute sind für die Errichtung eines Gymnasiums nur 84 Schüler und Schülerinnen erforderlich und nicht 100 wie bei den Gesamtschulen. Ähnlich sieht es bei den Hauptschulen und den Realschulen aus. Die Errichtungsgröße beträgt hier 56 Schüler und Schülerinnen und nicht 75 wie bei den Sekundarschulen.
Besonders bemerkenswert wird Ihr Gesetzentwurf bei den Vorschlägen für Teilstandorte in § 83. Dort fordern Sie nun auch für Gymnasien, dass sie an Teilstandorten mit zwei oder drei Parallelklassen pro Jahrgang geführt werden können, „wenn nur dann das schulische Angebot der Sekundarstufe I in einer Gemeinde gesichert wird.“ Damit wird das Gymnasium zum letzten Schulangebot der Sekundarstufe I vor Ort!
Was sagen die Landeselternschaft Gymnasien oder der Philologenverband zu diesem wahrhaft innovativen Vorschlag? – Das Gymnasium als Schule für alle Kinder! Ist die FDP jetzt in der aktuellen schulpolitischen Diskussion angekommen? Oder war dies alles nur ein Missverständnis?
Auf die weitere Diskussion zu diesem Gesetzentwurf im Rahmen des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes sind wir gespannt.
Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion hat wichtige Aspekte. Teilstandortlösungen für alle Schulformen als Antwort auf den Rückgang der Schülerzahlen sind auf jeden Fall überlegenswert und bedürfen einer eingehenden Erörterung. Genauso wie Gesamtschulen und Sekundarschulen mit Teilstandorten geführt werden können, kann man sich das auch bei Gymnasien und Realschulen vorstellen.
Wir erwarten im Rahmen der Anhörung hierzu konkrete Hinweise aus der Praxis. Die unterschiedlichen Einrichtungsgrößen für neu zu gründende Schulen sind der unterschiedlichen Zusammensetzung und größeren Heterogenität der Schülerschaft geschuldet. Man darf nicht Gleiches mit Ungleichem vergleichen. Kleine Klassen sind für alle Schulformen immer und auch weiterhin wünschbar. Bei homogener Schülerschaft sind höhere Klassengrößen bei der augenblicklichen Finanzlage des Landes – das sei ehrlicherweise gesagt – eher zu verantworten. Wir haben im Schulkonsens vereinbart, schrittweise die Klassengrößen der weiterführenden Schulen abzusenken.
Wir freuen uns auf eine differenzierte Auseinandersetzung und Beratung im Schulausschuss.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE):
Sie werfen in Ihrem Antrag die Frage nach der Gerechtigkeit, der Gleichbehandlung unserer verschiedenen Schulformen auf. Die Frage nach Gerechtigkeit und gleichen Rechten für alle stellt sich für uns Grüne auch stets, und da sind wir Grüne sicherlich nah bei allen aufrechten Demokraten.
Zu den Teilstandorten:
Bei Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien ist nach derzeitiger Gesetzeslage eine Zweizügigkeit der Schule möglich. Bei Sekundar- und Gesamtschulen allerdings nur als Teilstandort, deshalb sind mit dem Schulkonsens extra Regelungen getroffen worden. Bei der Gesamtschule ist dies auch nur ausnahmsweise möglich. Ungleichbehandlung würde bedeuten, diesen Vorbehalt abzuschaffen.
Ihre Förderung der Teilstandortbildung geht bei den Hauptschulen vollkommen an der Lebenswirklichkeit vorbei. Hauptschulen kämpfen in weiten Teilen unseres Landes damit, überhaupt die Einzügigkeit zu erreichen, teilweise nur mit Sondergenehmigungen, weil die erforderliche MindestschülerInnenzahl nicht erreicht wird.
Ginge es Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der FDP, tatsächlich um Gleichbehandlung, dann dürften Gymnasien bei Gründung nur vierzügig zu genehmigen sein wie Gesamtschulen. Ginge es Ihnen um Gleichbehandlung, müsste Ihr Antrag anderes fordern. So ist Ihr Anspruch auf Gerechtigkeit und Chancengleichheit unglaubhaft. So ist es lediglich die Bedienung der Klientel der Privilegierten.
Wir sprechen hier über die chancengleiche Ausgestaltung von Schulen. Seit ich Schule denken kann, hat es diese nicht gegeben. Bisher hat jede Landesregierung versucht, die Rahmenbedingungen für ihre Lieblingsschulen zu verbessern. Egal ob es um die Einführung der Gesamtschule oder den Erhalt von Hauptschule ging, immer standen bildungspolitische Ideologien dahinter.
Das tatsächliche Ziel einer chancengleichen Ausgestaltung aller weiterführenden Schulen, hat angesichts dessen wohl eher keine der hier anwesenden Fraktionen. Da es aber aktuell verpönt ist und dem geschlossenen Schulkonsens widerspricht, eine offene ideologische Bildungsdebatte zu führen, wird diese Diskussion jetzt auf Nebenschauplätze verlegt.
Dass die Kollegen von der FDP sich für die Stärkung der Gymnasien einsetzen und das gegliederte Schulsystem bevorzugen, ist nun wirklich kein Geheimnis. Die CDU sitzt da, zähneknirschend und gefesselt durch den ausgehandelten Schulkonsens. Und Rot-Grün versucht aktuell den Erfolg der Sekundarschulen zu erzwingen. Diese Schulform muss ein politischer Erfolg werden.
Das alles ist politisch legitim, wenn es auch von den wirklichen Problemen, mit denen die Schulen zu kämpfen haben, ablenkt.
Dass die FDP nun befürchtet, die rot-grüne Landesregierung versucht ihre heiligen Gymnasien auszutrocknen, ist durchaus nachvollziehbar. Dies ist aber noch lange kein Grund, in der Öffentlichkeit das Gespenst einer „leistungslosen Sekundarschule“ zu verbreiten. Wir sehen eine vielfältige Schullandschaft, bei der die besten Schulen sich durchsetzen. Dafür müssen natürlich auch die Arbeitsbedingungen wenn schon nicht gleich, so aber wenigstens vergleichbar sein.
Eltern und Schüler sollen frei entscheiden können, welche Schulform am besten für sie geeignet ist und diese frei wählen können.
Eine Schule, wie wir sie uns wünschen, gibt es noch nicht. Aber wir stellen weder das gegliederte Schulsystem unter Denkmalschutz, noch ist es uns ein Anliegen, Realschulen und/oder Gymnasien zu schließen. Wir setzen uns nicht einseitig für eine Schulform ein. Maßgeblich für uns ist die Frage: Welche Schulen wollen die Bürger, die Eltern und Kinder? Und diese Entscheidung sollen die Betroffenen frei treffen, ohne dass einzelne Schulformen politisch deutlich bevorzugt werden, während andere verteufelt werden.
Ich habe den Eindruck, dass Versuche unternommen werden, die Elternwahl zugunsten der Sekundarschule zu beeinflussen, beispielsweise durch frühere Anmeldetermine für Sekundarschulen. Auch an den Verfahren bei Abfrage des Elternwunsches in den Kommunen wird dahin gehend Kritik laut.
Ob die vorgeschlagenen Änderungen im Gesetzentwurf zweckmäßig sind, ist fraglich. Denn dazu müsste man klären, mit wie vielen Errichtungen von Gymnasien, Haupt- und Realschulen in den nächsten Jahren zu rechnen ist.
Ich mache mir viel mehr Sorgen um zu erwartende Schulschließungen! Wir haben doch sinkende Schülerzahlen! Vor diesem Hintergrund sind aber die Vorschläge zu den Teilstandorten durchaus erwägenswert. Doch auch hierzu haben wir eine Reihe von Fragen:
Ist die horizontale Gliederung praktikabel oder nicht? Hier würden uns praktische Erfahrungen interessieren. Wie ist die Akzeptanz bei Schülern und Kollegien?
In welchem Ausmaß könnten durch die Änderungen Standorte erhalten werden, vor allem bei Hauptschulen und Realschulen? Also, wo wird vor Ort die erforderliche Anzahl von Klassen pro Jahrgang mittelfristig überhaupt noch erreicht?
Uns eines noch: Auch eine Größe von 25 Schülern pro Klasse ist noch deutlich zu hoch.
Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung:
Zwei Aspekte kennzeichnen den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion:
1. Die Schülerzahl pro Klasse bei der Errichtung von Schulen solle einheitlich auf 25 festgesetzt werden. Im Moment gilt diese Zahl für Grundschulen, Gesamtschulen und Sekundarschulen, im Übrigen die Zahl 28.
2. Die gesetzlichen Vorgaben für die Errichtung von Teilstandorten an Sekundarschulen sollten künftig auch für Haupt- und Realschulen, die für die Errichtung von Teilstandorten an Gesamtschulen auch für Gymnasien gelten.
Beide Forderungen resultieren aus der Ablehnung des Schulkonsenses durch die FDP – einer mir unverständlichen Haltung.
Die mit dem Konsens getroffenen Entscheidungen sind schulfachlich begründet, es gibt keinerlei Veranlassung, sie rückgängig zu machen!
Die Zahl der Schülerinnen und Schüler pro Klasse bei der Errichtung einer Grundschule folgt dem Grundsatz: Kurze Beine – kurze Wege.
Die Zahl von 25 Schülerinnen und Schüler pro Klasse bei der Errichtung von Sekundar- und Gesamtschulen berücksichtigt, dass Sekundarschulen in der Regel aus bestehenden Schulen hervorgehen. Außerdem sind bei der leistungsheterogenen Schülerschaft besondere Lernformen erforderlich.
Auch für die anderen Schulformen sehe ich keinen Änderungsbedarf. Hier muss weiterhin gelten, dass eine Neugründung eine auf Dauer stabile Schülerschaft verspricht.
Außerdem ist die tatsächliche Errichtungsgröße von Haupt- und Realschulen mit 56 erforderlichen Anmeldungen bereits jetzt deutlich geringer als die Errichtungsgröße von Sekundarschulen. Für die Errichtung eines Gymnasiums sind 84 Anmeldungen erforderlich, für die von Gesamtschulen 100.
Die Vorgaben zur Bildung von Teilstandorten sind dem Wunsch geschuldet, trotz des demografischen Wandels wohnortnahe Schulangebote in der Sekundarstufe I zu gewährleisten. Es gibt keinen Grund, die gesetzlichen Vorgaben auf andere Schulformen auszuweiten.
Denn: Es muss – wie im Schulgesetz und Ihrem Gesetzentwurf – zwischen horizontaler und vertikaler Gliederung unterschieden werden.
Bei horizontaler Gliederung werden sämtliche Parallelklassen eines oder mehrerer Jahrgänge an einem Standort und sämtliche Parallelklassen der übrigen Jahrgänge an dem anderen Standort geführt.
Vertikale Gliederung bedeutet, dass an jedem Standort das vollständige Angebot der Jahrgänge 5 bis 10 eingerichtet wird.
Die mit Ihrem Gesetzentwurf verfolgte horizontale Gliederung auch von Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien ist auch aktuell nicht ausgeschlossen. Das Schulgesetz (§ 83 Abs. 6) setzt hierfür begründete Fälle und Teilstandorte in zumutbarer Entfernung voraus.
Für die Zulassung der vertikalen Gliederung von Schulen der genannten Schulformen besteht kein Bedarf. In Nordrhein-Westfalen gibt es keine Realschulen, Hauptschulen und Gymnasien mit den in Ihrem Gesetzentwurf genannten Voraussetzungen (mindestens fünf Parallelklassen pro Jahrgang, bei Gymnasien sechs Parallelklassen pro Jahrgang, die außerdem das einzige schulische Angebot der Sekundarstufe I in einer Gemeinde sichern). Aus Schulstandorten dieser Größe ließen sich zwei eigenständige Schulen bilden.
Gern können wir dies im Ausschuss für Schule und Weiterbildung weiter besprechen. Ich sage Ihnen aber schon heute, dass die Landesregierung hier keinen Änderungsbedarf sieht, und plädiere daher dafür, den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion abzulehnen.
Dieser Tagesordnungspunkt hat eine „bewegte Geschichte“.
Am 20. März wurde die Einbringung hier im Parlament zu Protokoll gegeben. In einer weiterer Ausschusssitzung haben wir auf das Votum des Kommunalausschusses gewartet, dann ohne Debatte abschließend beraten, und heute geben wir unsere Reden zu Protokoll.
Die hohe Qualität des Gesetzes kann nicht besser bewiesen werden als durch dieses Verfahren und die positiven Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände.
Jedes weitere Wort ist überflüssig. Lassen Sie uns dieses Gesetz einstimmig verabschieden.
Die Anfertigung praxistauglicher, geschweige denn verfassungskonformer Gesetze ist wahrlich nicht die Stärke der rot-grünen Landesregierung. Das haben Sie bei den Haushaltsgesetzen der letzten Jahre ja bereits mehrfach unter Beweis gestellt, die Ihnen am Ende sogar vom Verfassungsgerichtshof in Münster um die Ohren gehauen wurden.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Beleg Ihrer Unprofessionalität. Es handelt sich nämlich um ein klassisches Reparaturgesetz, mit dem die rot-grüne Landesregierung – in buchstäblich letzter Sekunde – einen Fehler ausbügeln will, der ihr im Herbst 2010 unterlaufen ist.
Worum geht es?
Zum Stichtag 9. Mai 2011 fand der Zensus als europaweite Volks- und Wohnungszählung auf der Grundlage einer EU-Verordnung statt. Die Durchführung des Zensus 2011 in Nordrhein-Westfalen wurde durch das Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz 2011 geregelt, das der Landtag im November 2010 verabschiedet hat.
Am 31. Mai 2013 – also in 16 Tagen – sollen die durch den Zensus 2011 ermittelten amtlichen Einwohnerzahlen nun endlich veröffentlicht werden. In Nordrhein-Westfalen ist dafür der Landesbetrieb IT.NRW zuständig, der entsprechende Feststellungbescheide gegenüber den Kommunen erlassen wird.
So weit, so gut.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die landesweit einheitliche Geltung der neuen Einwohnerzahlen entfallen würde, wenn die Kommunen gegen die Feststellungsbescheide von IT-NRW Rechtsbehelfe mit aufschiebender Wirkung einlegen könnten. Genau dies ist nach dem rot-grünen Ausführungsgesetz bislang jedoch möglich!
Welches Durcheinander damit in vielen Bereichen der Landesverwaltung verbunden wäre, mag man sich kaum vorstellen. Denn die Einwohnerzahlen dienen ja in vielen wichtigen Bereichen als Bemessungsgrundlage für Zuweisungen des Landes an die Kommunen. Man denke etwa an das Gemeindefinanzierungsgesetz oder das Flüchtlingsaufnahmegesetz. Deshalb ist es wichtig, dass Rechtsbehelfe gegen die Feststellung der Einwohnerzahlen keine aufschiebende Wirkung entfalten.
Nachdem das rot-grüne Ausführungsgesetz zum Zensus inzwischen seit zweieinhalb Jahren in Kraft ist – und die amtliche Feststellung der Einwohnerzahlen durch IT.NRW, wie gesagt, unmittelbar bevorsteht – ist diese Gesetzesspanne – gewissermaßen um fünf vor zwölf (!) – nun auch dem NRW-Innenministerium aufgefallen und soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf behoben werden. Dem werden wir uns als CDU-Fraktion natürlich nicht verschließen und Ihrem Gesetzentwurf zustimmen.
Wenn Ihnen, Herr Minister Jäger, die Anfertigung von Gesetzentwürfen weiterhin schwerfällt, können Sie sich künftig auch gerne vorab mit uns abstimmen. Zeitraubende parlamentarische Verfahren wie dieses könnten wir uns dann nämlich alle gemeinsam ersparen.
Manch einer wird sich noch an den Zensus 2011 erinnern und auch an die Diskussionen, die es zu dieser Volkszählung gegeben hat. Sie waren weit geringer als der große gesellschaftliche Streit um die Volkszählung des Jahres 1987, aber dennoch wurden auch zum Zensus 2011 durchaus berechtigte Argumente vorgetragen.
Ich habe damals mehrfach darauf hingewiesen, dass das zugrundeliegende Zensusgesetz des Bundes Schwachstellen aufweist, aber diese Schwachstellen nicht zur Gänze durch Landesrecht zu reparieren sind. So wurde beispielsweise schon grundsätzlich der Zensus als registerdatengestützte Volkszählung kritisiert, bei der Datensätze zusammengeführt wurden. Dies wurde durchaus kritisch diskutiert, gerade auch mit Blick auf die Vorgaben des Volkszählungsurteils.
Nichtsdestotrotz haben wir Grüne, aber auch die beteiligten Stellen auf Landes- und Kommunalebene den Zensus hier in NRW begleitet und immer wieder versucht, für Transparenz zu sorgen, wenn Fragen auftauchten. Diskussionen ergaben sich zunächst um die Kostenerstattung für die Kommunen als durchführende Stellen; das haben wir als Landesgesetzgeber im November 2010 vernünftig gelöst. Ich erinnere aber auch an den Versuch von NPD-Funktionären, die eigenen Parteimitglieder als Erhebungsbeauftragte zu rekrutieren, oder auch an kritische Rückmeldungen zur Zensus-Hotline.
Als letzte Bemerkung zum Datenschutz beim Zensus 2011 möchte ich gerne auch auf den aktuellen Bericht des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit verweisen. Der LDI hat darin die durch das Zensusausführungsgesetz gebotene Abschottung des Zensus von anderen Verwaltungstätigkeiten dokumentiert, die statistische Erfassung als unproblematisch betrachtet und eine positive Gesamtbilanz gezogen.
Diese Bemerkungen zur Bilanz des Zensus 2011 wollte ich gerne voranstellen, bevor ich zum vorliegenden Gesetzentwurf komme. Dieser Gesetzentwurf regelt lediglich, dass die Feststellung der in absehbarer Zeit vorliegenden Ergebnisse durch Verwaltungsakt gegenüber den Gemeinden erfolgt. Dies ist eine sinnvolle Regelung, weshalb die Beratungen entsprechend kurz waren. Wir stimmen dem Gesetzentwurf natürlich zu.
Die Einwohnerinnen- und Einwohnerstatistik wird somit 24 Jahre nach der letzten Volkszählung auf den Stand der Dinge gebracht. Die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen werden infolge des Zensus 2011 wieder eine aktuelle Datenbasis für ihre Entscheidungen haben.
Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung verweise ich auf die Beschlussempfehlung des Innenausschusses.
Mit dem Gesetzentwurf soll klargestellt werden, dass die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen der Gemeinden durch Verwaltungsakt des Landesbetriebes IT.NRW – Geschäftsbereich Statistik – gegenüber jeder einzelnen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen erfolgt.
Zudem wir hiermit bestimmt, dass Rechtsbehelfe gegen die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl keine aufschiebende Wirkung haben.
Für die allein betroffenen Kommunen haben die kommunalen Spitzenverbände in einem vom Innenausschuss durchgeführten schriftlichen Beteiligungsverfahren dem Gesetzentwurf zugestimmt bzw. keine Bedenken erhoben (Vergleiche die Stellungnahmen 16/671 und 16/675). Sie halten es für sachgerecht, dass die auf dem Zensus 2011 basierenden amtlichen Einwohnerzahlen der Gemeinden ab einem landesweit möglichst einheitlichen Zeitpunkt Geltung erhalten, um eine einheitliche Anwendung der amtlichen Einwohnerzahlen in den fachgesetzlichen Normen zu erreichen. Der Gesetzentwurf trage diesem Anliegen Rechnung.
Der Kommunal- sowie der Innenausschuss haben dem Gesetzentwurf insoweit folgerichtig einstimmig – bei Enthaltung der Piratenfraktion – zugestimmt.
Die FDP-Fraktion wird auch hier im Plenum zustimmen.
Die spannendere Diskussion zum Zensus 2011 war sicher die in der 15. Wahlperiode. Damals konnten wir Piraten uns allerdings nur von außerhalb des Parlaments daran beteiligen. Wir haben dabei auf die Gefahren des Registerabgleichs, der fehlenden Anonymisierung bei der Datenerfassung und auf den ungenannten Zweck des Zensus 2011 als Testlauf für ein Bundeszentralregister hingewiesen.
Grundsätzlich ist ein Zensus natürlich für die Ermittlung der Einwohnerzahlen und weiterer statistischer Größen für Landesplanung nötig. Es gab aber auch genügend Verfahrensvorschläge, die zum Beispiel die Anonymität der Befragten sichergestellt hätten. Diese hätten wir dann gerne auch unterstützt.
Bei dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf geht es jedoch um all das nicht. Der Zensus 2011 ist durchgeführt, die Daten sind abgeglichen. Ein zentrales Bundes-Melderegister, vermutlich auf Basis der abgeglichenen Daten, ist in Vorbereitung. Das hier vorliegende Gesetz regelt einzig und allein, nach welcher Norm die ermittelten Einwohnerzahlen für die Gemeinden festgestellt werden.
Die von der Landesregierung dazu vorgeschlagene Verfahrensweise unterbindet Klagemöglichkeiten der Gemeinden gegen die für sie möglicherweise ungünstige Feststellung der Einwohnerzahlen mit aufschiebender Wirkung. Negative Folgen der Feststellung müssten dann für die Dauer eines eventuellen Klageverfahrens von der Gemeinde getragen werden.
Die Gemeinden sind damit gezwungen, im Falle einer Klage gegen die festgestellte Einwohnerzahl im Verwaltungsgerichtsverfahren gleichfalls die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit zu beantragen. Die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände lassen jedoch erkennen, dass deren Vertreter mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind. Dann soll das so sein!
Da wir Piraten zu dem Gesamtkomplex des Zensus 2011 eine kritische Haltung eingenommen haben, werden wir uns jedoch auch an dieser Stelle bei der Abstimmung enthalten. Wir erwarten aber spannende Gerichtsverhandlungen, sollte sich eine Gemeinde tatsächlich zu einer Klage gegen die Feststellung ihrer Einwohnerzahl entschließen.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:
Statistiken erfüllen viele Zwecke. Sie sind weit mehr als Zahlen auf einem Stück Papier. Sie und ich, wir alle interpretieren sie und ziehen aus ihnen Schlüsse.
Für die Einwohnerzahlen in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen gilt nichts anderes. Auch sie bilden den Ausgangspunkt für viele Entscheidungen. Sie sind bedeutend, weil viele Gesetze sich auf sie beziehen. Gerade deshalb ist es mir so wichtig, dass sie auch tatsächlich stimmen.
Mit dem Änderungsgesetz wollen wir größtmögliche Einheitlichkeit erreichen. Wir wollen, dass die amtlichen Einwohnerzahlen in ganz NRW möglichst zum gleichen Stichtag gelten.
Am 31. Mai werden die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder die ermittelten Einwohnerzahlen veröffentlichen. IT.NRW wird diese Zahlen dann gegenüber jeder einzelnen Kommune per Bescheid feststellen.
Unser Wunsch nach Einheitlichkeit ist auch der einzige Grund, weshalb wir die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen ausschließen. Würden wir das nicht tun, hätten wir möglicherweise die folgende kuriose Situation: In Kommune A gelten die neuen, im Jahr 2011 ermittelten Zahlen. In Kommune B gelten hingegen die Zahlen von 1987.
Das wollen wir nicht, und das ist auch nicht im Interesse unserer kommunalen Familie. Deshalb bin ich froh über die Rückendeckung der kommunalen Spitzenverbände, die keine Bedenken gegen unseren Vorschlag haben.
Ich freue mich auch, dass fast alle Parteien in den Ausschüssen ihre Zustimmung erteilt haben (Ausnahme: Piraten im Innenausschuss).
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es würde Ihnen gut zu Gesicht stehen, viel öfter der Vernunft die Vorfahrt zu gewähren, als blindlinks auf Konfrontationskurs zu gehen.