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  • Porträt der Woche: Gisela Meyer-Schiffer (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 12 - 30.06.1992

    Nein, als "Quotenfrau" fühle sie sich nicht, meint die junge Abgeordnete aus Duisburg. Aber sicherlich seien ihr die Diskussion in der SPD und der Quotenbeschluß zugute gekommen, als sie sich im dritten Wahlgang überraschend gegen die männliche Konkurrenz bei der Nominierung für die Landtagswahl 1990 durchsetzen konnte.
    Das sozialdemokratische Elternhaus hat das politische Engagement von Gisela Meyer-Schiffer wesentlich beeinflußt. Mit 16 trat sie bereits in die SPD ein, engagierte sich bei den Jungsozialisten, im Ortsverein und bei den SPD-Frauen. Heute ist sie Vorsitzende der Duisburger AsF und stellvertretende Unterbezirksvorsitzende der SPD. Mitte dreißig und fast zwanzig Jahre Parteiarbeit, da kennt man den Laden und auch seine wunden Punkte. So macht sich die gelernte Historikerin Gedanken darüber, ob Politik noch richtig "angeboten "wird, wie man vor allem junge Leute für die Mitarbeit in einer Partei gewinnen kann, um die drohende Überalterung der SPD in den Griff zu bekommen. Die Idee, etwa bei Wahlen Listenplätze für junge Leute vorzuhalten, hält sie zumindest für überlegenswert. Untersuchungen belegten, daß junge Leute wieder verstärkt Interesse an der Kommunalpolitik hätten. Daraus müsse die Partei Konsequenzen ziehen und zum Beispiel Mandate auch denen anbieten, die nicht schon 25 Jahre dabei seien. Parteiveranstaltungen müßten dringend den Charakter des "Rituals nur für Eingeweihte" verlieren, um auch "normale Bürger" neugierig auf Politik zu machen. ,Wir müssen auf die Leute zugehen, denn sie kommen nicht mehr zu uns."
    Entscheidend sind für sie Offenheit und, wo nötig, auch das Eingeständnis eigener Schwächen und Fehler. "Es ist schlimm, wenn wir so tun, als hätten wir für alles fertige Konzepte."
    Die Erfahrung, daß diese Einstellung angreifbar macht, mußte sie auch im Parlament rasch machen. Vertrauliche Gespräche mit Kollegen aus anderen Fraktionen blieben nicht vertraulich und wurden für die parteipolitische Auseinandersetzung ausgenutzt.
    Trotzdem würde sie den Schritt in den Landtag wieder tun. Anfangs habe sie wie viele Neulinge ein Ohnmachtsgefühl gegenüber den Ministerien gehabt, gegenüber den absoluten Fachleuten aus dem Regierungsapparat. Der Rat von Kollegen, sich thematisch zu konzentrieren, habe geholfen. Haushalts- und Finanzpolitik und die Schulpolitik sind jetzt ihre Schwerpunkte.
    Ihre erste Rede im Parlament hielt sie dann auch zu einem schulpolitischen Thema. Das ganze Wochenende habe sie sich darauf vorbereitet, doch in der kurzen Redezeit konnte sie nur wenig von dem sagen, was sie eigentlich zu sagen hatte. Und sie erinnert sich daran, daß Herbert Reul sie mit einem Zwischenruf fast aus dem Konzept gebracht hätte. Mittlerweile nutze sie selbst dieses Instrument der parlamentarischen Debatte, und sie hat Spaß daran. Freude macht ihr die Arbeit im Landesparlament vor allem dann, wenn in Entscheidungen der Arbeitskreise und der Fraktion kommunale Interessen berücksichtigt werden. Die enge Verbundenheit mit der Kommunalpolitik ist für Gisela Meyer-Schiffer nach wie vor ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer politischen Arbeit. Als Mitglied des Duisburger Schulausschusses etwa weiß sie unmittelbar, wie sich landespolitische Entscheidungen vor Ort auswirken.
    Die Situation vor Ort, in Duisburg, war für sie auch ein Grund, sich für das Ausländerwahlrecht einzusetzen. "Der Umgang mit den ausländischen Mitbürgern gebietet einfach dieses Recht." Das hat der jungen Sozialdemokratin selbst in der eigenen Partei nicht nur Freunde gemacht. Die Erfahrung, daß in großen Veranstaltungen kaum jemand bereit ist, sich für ausländische Mitbürger stark zu machen, hat sie ernüchtert. Trotzdem ist sie von ihrem Weg überzeugt. Die kritische Grundeinstellung verdanke sie ihrem Vater, den die Nazis als Kommunalbeamten aus dem Dienst jagten, und dessen Familie fast vollständig im KZ Buchenwald umgekommen sei. Er habe ihr die Demokratie als unschätzbaren Wert und die Vorsicht vor allzu leichter Zustimmung zu offiziellen Leitbildern beigebracht.
    Ihren Mann hat Gisela Meyer-Schiffer übrigens, wie könnte es anders sein, bei der politischen Arbeit kennengelernt. Kinder sind nicht da, doch mit diesem Thema sei sie noch nicht fertig, meint sie augenzwinkernd. Eine schwierige Entscheidung — denn ein Leben ohne Politik könne sie sich nicht vorstellen. Das nimmt man ihr ohne Zögern ab.
    Ralf Kapschack

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921268

  • Porträt der Woche: Dr. Rolf Hahn (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 11 - 10.06.1992

    Anders als manche junge Kollegen, die unmittelbar nach dem Studium den Entschluß fassen, "jetzt werde ich Politiker", und dann karrierebetont nach Mandat und Ämtern streben, schuf sich Rolf Hahn zunächst eine berufliche Existenz und gründete eine Familie. Als sogenannter Seiteneinsteiger trat der gebürtige Kölner erst mit 41 Jahren in die CDU ein und stieg dann relativ schnell auf der politischen Erfolgsleiter nach oben. Heute ist er Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises und Landtagsabgeordneter seiner Partei. "Als meine drei Söhne in weiterbildende Schulen wechselten, sagte ich mir, jetzt kannst du dich engagieren."
    Der Christdemokrat, Jahrgang 1937, studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften an den Universitäten Köln und Freiburg. Nach beiden juristischen Staatsprüfungen wurde er Staatsanwalt in seiner Geburtsstadt Köln. 22 Jahre lang, bis zu seinem Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag 1990, vertrat der promovierte Jurist die Anklage in politischen Verfahren und in Strafsachen gegen das Presserecht. "Die politischen Sitten sind rauher geworden, und die Grenze, wo die Beleidigung beginnt, hat sich deutlich verschoben", resümiert heute bedauernd Rolf Hahn.
    Bereits ein Jahr nach Parteieintritt wurde er Mitglied des Kreistages des Rheinisch-Bergischen Kreises, später Fraktionsvorsitzender, und nach der letzten Kommunalwahl 1989 zum Landrat gewählt. Dazwischen gehörte der Christdemokrat eine Legislaturperiode auch dem Rat der Gemeinde Overath an. Aufgrund dieser jahrelangen kommunalpolitischen Erfahrungen drängte es Rolf Hahn nach seinen Worten an den "Ort, wo die Wurzel des Übels" für die Gemeinden liegt — den Landtag. "Hier wird über die Finanzzuweisungen entschieden."
    Und für den CDU-Kommunalpolitiker steht fest, daß die ländlichen Regionen durch die sozialdemokratische Landesregierung vernachlässigt werden. So habe Ministerpräsident Johannes Rau in Bergkamen erklärt, die Kohlereviere sollten wissen, "daß sie Mittel bekommen, die Solidarbeiträge anderer Regionen sind". Auch das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz und die Abwasserregelungen gingen nach seiner Einschätzung zu Lasten der Landgemeinden. "Und die Hilfen des Landes für die Landwirtschaft sind gleich Null." So ist das Mitglied des Landtagsausschusses für Kommunalpolitik auch Anwalt insbesondere der ländlichen Gemeinden.
    Im Rechtsausschuß engagiert sich Rolf Hahn für eine bessere Personalausstattung von Polizei und Justiz und sorgt sich um die innere Sicherheit. Denn bei zunehmendem Mangel an Polizeibeamten werde das Risiko für Straftäter geringer und wachse demzufolge auch die Kriminalität. Bei der Drogenbekämpfung sieht er eines der Probleme in der mangelnden Kommunikation zwischen den Jugendlichen. "Wenn sie isoliert leben, sind sie für Drogen anfälliger." So hätten insbesondere die Sportvereine eine neue wichtige Aufgabe, Jugendliche für die Mitarbeit zu gewinnen. Eher als andere Vereine könnten sie die Jugendlichen ansprechen und sie auch "von der Straße holen". Der CDU- Abgeordnete ist selbst seit zehn Jahren Vorsitzender des Heiligenhauser Sportvereins und war bis zum 23. Lebensjahr aktiver Fußballer bei Preußen Dellbrück.
    Nach fast zweijähriger Landtagszugehörigkeit äußert sich der Parlamentarier kritisch über den Verlauf der Plenarsitzungen. Für die Besucher seien sie oft unattraktiv, "weil sie nach einem Ritual ohne Spannungen ablaufen". Das beginne schon bei den starren Redezeiten, die die großen Parteien teilweise benachteiligten. So gebe es beispielsweise mit dem sogenannten Acht-Minuten-Block die gleiche Redezeit für alle vier Fraktionen. Im Interesse der Abgeordneten der beiden großen Fraktionen hält der Christdemokrat die Geschäftsordnung für dringend reformbedürftig. Kritik übt Rolf Hahn in diesem Zusammenhang auch an seiner eigenen Fraktion, in der nach seiner Einschätzung Sachverstand und Talent von Abgeordneten "nicht voll ausgeschöpft" würden. Der Fraktionsvorstand müsse diese Kollegen mehr in die Verantwortung nehmen.
    Mit Blick auf das künftige "Europa der Regionen" fragt der Christdemokrat, ob alle gegenwärtig installierten Verwaltungsebenen fortbestehen müßten. So hält er angesichts der vorgesehenen Zusammenarbeit der Regionen die Abschaffung von Mittelbehörden, wie die Regierungspräsidenten und Bezirksplanungsräte, für sinnvoll.
    An den Wochenenden schnürt der Overather des öfteren noch die Fußballschuhe oder aber verfolgt auf dem Sportplatz die Aktionen seiner drei Söhne — auch sie sind aktive Fußballer. Die Familie ist es auch, die für den Christdemokraten der ruhende Pol ist.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921138

  • Porträt der Woche: Heinrich Meyers (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 10 - 26.05.1992

    "Meyers für Meyers" hieß im Frühjahr 1990 ein Wahlkampfslogan im Kreis Wesel. Der eine mit Vornamen Franz hatte zu diesem Zeitpunkt längst der politischen Plattform im Düsseldorfer Landtag den Rücken gekehrt, der andere wollte diese Hürde eben erstmals erklimmen. Franz Meyers, bis 1966 CDU-Ministerpräsident, warb auf einer Veranstaltung für Senioren in Wesel für den christdemokratischen Kandidaten Heinrich Meyers.
    Ob mit Erfolg oder nicht — das läßt sich heute statistisch nicht messen. Auf jeden Fall legte der andere — Heinrich — Meyers im Kreis Wesel gegenüber dem CDU-Wahlergebnis von 1985 noch um einige Punkte zu und rückte über die Landesreserveliste in die Landtagsfraktion. Ein Mandat, "das sich mit dem Amt des Bürgermeisters ideal ergänzt", sagt der 53jährige. "Ich halte es für ganz wichtig, auch als Landespolitiker permanent ganz konkret vor Ort mit den Ergebnissen der Landespolitik konfrontiert zu werden. Daraus wieder kann man Rückschlüsse für die Arbeit in Düsseldorf ziehen." Als Beispiele nennt er die Förderpraxis bei der Abwasserbeseitigung ("eine klare Benachteiligung des ländlichen Raums") und vor allem die Asylproblematik, Stichwort Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, mit der er sich als Mitglied des Innenausschusses u.a. beschäftigt. "Gerade in der Innenpolitik ergeben sich viele Berührungspunkte zur Kommunalpolitik." Das trifft auch auf den Bereich Schule zu. Der 53jährige Rektor a. D., dessen Hauptschule wegen der Gesamtschule kurz vor der Landtagswahl geschlossen werden mußte, ist stellvertretendes Mitglied im Schulausschuß.
    Ein weiteres Anliegen ist für den CDU-Politiker die Kulturpolitik. Auch für ländliche Gemeinden dürfe nicht allein die materielle Infrastruktur zählen, sondern auch die geistige, meint er. "Es besteht die Pflicht, ein kulturelles Angebot vorzuhalten." Daher habe seine Gemeinde auch den Kulturetat bei der Durchforstung nach Einsparmöglichkeiten außen vorgelassen. Mit Betroffenheit denkt er noch an den vergangenen Herbst zurück, als bei einem Brandanschlag auf ein Asylantenwohnheim im benachbarten Hünxe zwei kleine Mädchen schwer verletzt wurden. Noch am gleichen Tag, am 3. Oktober 1991, brachte Heinrich Meyers mit städtischen Angestellten zwei Familien mit neun Kindern aus einem Wohnheim, dessen Fensterscheiben eingeworfen wurden, in einem sicheren Haus unter. Einen Tag später appellierte er in einer mit viel Beifall und Lob bedachten Rede im Plenum, "nicht den Teufel der Ausländerfeindlichkeit an die Wand zu malen und in die Köpfe der Menschen hineinzugeben.... Wenn wir mit dem Gerede von Ausländerfeindlichkeit so weitermachen, dann ist das eine Beleidigung für den überwiegenden Teil der Menschen in unserem Lande."
    Berührungs- und Gesprächspunkte mit den Bürgern im Kreis Wesel ergeben sich genug, sei es als CDU-Kreisvorsitzender, als einziger CDU-Landtagsabgeordneter für das Kreisgebiet oder als Bürgermeister von Hamminkeln. Für überregionale Schlagzeilen sorgte diese Gemeinde, als sie 1991 als erste in NRW gegen die Anrechnung der Fläche bei der Verteilung neuer Asylanten vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster Klage einreichte. Das Urteil steht noch aus, "aber ich bin überzeugt, daß sich diese Regelung im Gesetz nicht halten läßt".
    Für die Politik entschied er sich als junger Lehrer in der einklassigen Schule Marienthal im niederrheinischen Brünen. Dort herrschten 1966 — weit und breit wohl ein Kuriosum — außergewöhnliche politische Verhältnisse: Die F.D.P. besaß die absolute Mehrheit. Heinrich Meyers beschloß, sich der CDU anzuschließen "mit dem Ziel, im christlich-demokratischen Sinne die Verhältnisse in meiner Heimatgemeinde mitzugestalten". Dazu hatte er auch bald Gelegenheit. 1969 zog er in den Rat ein, avancierte zum Fraktionssprecher, bis die kommunale Neugliederung Brünen in die Gemeinde Hamminkeln aufgehen ließ. In Brünen gehörte der Pädagoge mit den Fächern Deutsch, Mathematik, Geschichte/Politik und katholische Religion noch der Oppositionsbank an, in Hamminkeln nun lernte er die andere, sicherlich angenehmere Seite kennen, "nämlich welche Möglichkeiten sich eröffnen, wenn man die Mehrheit hat." Im Landtag wiederum sitzt Heinrich Meyers erneut auf der Oppositionsbank. Er sieht da Parallelen zu seinem Lieblingsautor, dem er sich, wie er bedauert, wegen der politischen Arbeit nicht mehr viel widmen kann. In den Werken Franz Kafkas komme immer wieder das vergebliche Anrennen gegen festgefahrene Strukturen zum Ausdruck, die Zweifel an der eigenen Existenz. "Dieses Grundmotiv Kafkas ist bei den derzeitigen Verhältnissen im Landtag für die Opposition leicht nachzuvollziehen." Doch im Gegensatz zu Kafka, bei dem die Akteure vergeblich gegen das Unabwendbare aufbegehren, ist Meyers optimistisch, daß hier der Schriftsteller nicht recht behält.
    Peter Kummer

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI921055

  • Porträt der Woche: Hermann-Josef Arentz (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 12.05.1992

    Auch wenn er längst nicht mehr der jüngste Abgeordnete des Landtags ist wie 1980, als seine Parlamentarierlautbahn begann, so sieht er für viele doch immer noch so aus. Hermann-Josef Arentz ist durchaus geneigt, dies auf der Habenseite abzubuchen, zum Berufsjugendlichen will er sich deshalb jedoch nicht machen lassen. Dazu ist das CDU-Mitglied mit inzwischen 39 Jahren auch viel zu alt und die Sozialpolitik außerdem seine große Leidenschaft.
    Aus kleinen Verhältnissen stammend, der Vater war Versicherungsangestellter, hätte er eigentlich auch den Weg in die Sozialdemokratie finden können, wo es viele Gleichgesinnte gab, die sich ebenfalls wie er "für die kleinen Leute einsetzen wollten". Daß es nicht so kam, liegt an dem rheinisch-katholischen Milieu, in dem er aufwuchs und das ihn bis heute prägt. Wer als kleiner Junge schon in der Knabenschola Gregorianische Gesänge schmetterte und jede Woche zum "Neu Deutschland" pilgerte, der läuft nie Gefahr, "Im Kohlenkeller Schlagschatten zu werten". Im heimischen Köln war es für die Arentz' eben klar, in welche Kirche sie sonntags zu gehen und welche Partei sie zu wählen hatten.
    Nur Sozialdemokrat sein und sich dann "für die kleinen Leute einsetzen,", das wäre dem Katholiken Arentz zu wenig gewesen. Er will nicht nur Solidarität, er will auch "Brücken bauen zwischen denen, die Hilfe brauchen, und denen, die sie geben wollen". Er will weg von der Allzuständigkeit des Staates hin zu einer Familie, die in der Lage ist, ihre Probleme weitestgehend selbst zu lösen; mit öffentlichen Hilfestellungen zwar, aber ohne die Mentalität: Der Staat wird's schon richten. Arentz will dieses Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre wieder stärker ins öffentliche Bewußtsein rücken, weil "Sozialpolitik auch Wirtschaftspolitik ist". Dieser Sozialstaat, in dem es für jedes "Wehwehchen" der Gesellschaft eine entsprechende Zuständigkeit gibt, werde wohl bald nicht mehr finanzierbar sein, so fürchtet Arentz. Auch deshalb müsse die Pflegeversicherung kommen und eine größere Bereitschaft der Bürger, sich persönlich einzusetzen.
    Der Anhänger von Oswald von Nell-Breuning sammelte sein theoretisches und praktisches Rüstzeug bei der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) und als Abteilungsleiter für Sozialpolitik in der Bundesgeschäftsstelle der CDU. Ans Gymnasium mit den Fächern Geschichte und Sozialwissenschaften wollte er nicht. Dafür hat es ihn immer zu sehr gereizt, theoretisches Wissen in praktische Politik umzusetzen, seit 1971 in der CDU und CDA, dem Arbeitnehmerflügel seiner Partei. Und er Ist einer der wenigen Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen, der einem Bundesfachausschuß seiner Partei vorsitzt, dem für Sozialpolitik natürlich. Auf diesem Gebiet hat er sich von Anfang an durch Sachkompetenz und auch rhetorisches Geschick Aufmerksamkeit und Anerkennung erworben, auch bei seinem Hauptgegner in der parlamentarischen Arena, Sozialminister Hermann Heinemann. "Der ist ein Kämpfertyp", sagt Arentz über Heinemann, "und das mag Ich; der haut unheimlich drauf, aber das tu' Ich auch." Es macht Freude, ihm zuzuhören, weil es ihm Freude macht, zu argumentieren. Seine Lust am gesprochenen Wort ist unverkennbar, differenziert im Denken, volksnah In der Darstellung. Oder wie es der Abgeordnete selber ausdrückt: "Weizsäcker-Ideen in Adenauer-Deutsch." Daß er aus der Heimatstadt des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland stammt, hört man nicht nur an seiner Sprache, sondern ist fast zu spüren, wenn er mit Verve über den "Kölschen Klüngel" doziert. Seinen Werdegang in der Kölner CDU bezeichnet er als "Ranger-Ausbildung" In Sachen Politik: "wer das überstanden hat, der kann's". Andererseits kann natürlich auch ein Hermann-Josef Arentz nicht darüber hinwegsehen, "daß sich keiner mehr engagiert", weder in den Kirchen noch in den Gewerkschaften oder Parteien. Deshalb sei es unabdingbar, mehr "Mitwirkungsrechte" zu schaffen, mehr basisdemokratische Elemente einzuführen in den Parteirichtlinien, aber zum Beispiel auch in einer neuen Gemeindeordnung. Denn es stimme ja nicht, so hat Arentz festgestellt, 'daß die Leute sich nicht mehr engagieren wollten', sie wollten das bloß nicht mehr in so großen Einheiten wie den Kirchen oder den Parteien tun. Erkannt hat der Sozialpolitiker das vor allem in Berlin, wo von Weizsäcker und Fink vor Jahren zum ersten Mal selbstverwaltete kleine Projekte mit staatlichen Mitteln unterstützt haben und "auf eine große selbstlose Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung stießen". Wenn von den 30 Prozent, die damals in Berlin angaben, sich ehrenamtlich betätigen zu wollen, nur die Hälfte wirklich mitmache, so resümiert Arentz, "dann wären das schon fünfmal soviel, die es heute wirklich tun". Das "menschliche Potential", sich zu engagieren, gibt es also, "es wird nur nicht richtig genutzt". Oder nicht richtig angesprochen. Es müsse zum Beispiel auch die Möglichkeit geben, so findet der Abgeordnete, zeitlich begrenzt in einer Partei, in kirchlichen Gremien oder einer karitativen Institution mitzumachen, für ein bestimmtes Projekt oder eine bestimmte Aufgabe, für die man dann sein eigenes Spezialwissen einbringt. "Das nützt dem Projekt und dem, der es unterstützt." Das setzt allerdings auch eine hohe Flexibilität bei den Organisationen voraus. Die Leute wollen sich — so ein Modell — in einem festgelegten Zeitraum in einer Sache, die ihnen am Herzen liegt, engagieren. Dazu brauchen sie Mitwirkungs- und Stimmrechte, aber auch eine Arbeitsplatzsicherheit, die es ihnen ermöglicht, nach Beendigung ihres Engagements wieder auf ihren alten Posten zurückkehren zu können. "Die typische Parteikarriere mit Soldatenmentalität wird es vielleicht in Zukunft nicht mehr geben", denkt Arentz, und sie paßt vielleicht auch nicht mehr so ganz in die individualisierte Zeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die dringend benötigte Hilfe und Erneuerung von außen können allerdings schon bald unerläßlich werden, wenn das gemeinsame Haus Europa seiner Vollendung entgegensieht. Arentz gehört nicht zu denen, die meinen, daß die Bundesländer, sprich Landtage und Landesregierungen, dann weniger zu sagen hätten als jetzt. "Europa der Regionen kann doch nur heißen", so ist er überzeugt, "weniger Bund und mehr Land." Vielleicht gelingt es dann auch "öfter als bisher, Landesthemen überzubringen, weil durch die Neugestaltung Europas die Landesparlamente auch mehr Zuständigkeiten erhalten". Wichtige Voraussetzung für eine selbstbewußte Landespolitik ist allerdings ein echtes Landesbewußtsein, das den Nordrhein-Westfalen bislang fehle. "Da sind uns die Bayern oder Hamburger ein gutes Stück voraus", findet Arentz, "aber danach bemißt sich auch der Stellenwert, den ein Landesparlament hat." Dessen Größe sei dagegen weniger wichtig als die Qualität. Weniger Abgeordnete, wie immer wieder diskutiert, bedeute außerdem weniger Kontakt zwischen Politik und Bürgern. Und wenn erst einmal der Bundestag nach Berlin umgezogen ist, "dann fehlen diese Kolleginnen und Kollegen auch noch in den Wahlkreisen", fürchtet Arentz. Viel wichtiger wäre ihm, "diese endlos langweiligen Rituale" abzubauen, um die Attraktivität des Landesparlaments zu erhöhen. Jeder Plenumstag solle zum Beispiel mit einer Fragestunde zwischen Parlamentariern und Regierungsmitgliedern beginnen, ohne Redemanuskripte und "abgekartete Fragen". Jeder solle so reden, wie "ihm der Schnabel gewachsen ist und nicht länger als 17.30 Uhr", wie Arentz schnell hinzufügt, "damit man auch die Chance hat, daß es am nächsten Morgen in der Zeitung steht". Denn was nützt die schönste Politik, wenn keiner darüber redet. "Da kann man sich ja gleich in die Toscana zurückziehen", was Hermann-Josef Arentz übrigens überhaupt nicht schwerfällt; allerdings nur in den Ferien.
    Rolf Kiefer

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920940

  • Porträt der Woche: Walter Grevener (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 8 - 05.05.1992

    Im Grundsatz würde sich Walter Grevener am wohlsten fühlen, wenn jeder Haushalt — auch der öffentliche — ohne Kredite auskäme. Und daher ist der SPD-Landtagsabgeordnete aus dem rheinischen Velbert "höchst unzufrieden" über die weiter wachsende Schuldenlast des Bundes, der Länder und Kommunen. Sie sei nach seiner Einschätzung unverantwortlich. "Der private Haushalt verhält sich im allgemeinen anders, er gibt nicht mehr aus, als er hat."
    In diesem Zusammenhang bedauert es der Sozialdemokrat, daß die NRW-Landesregierung mit ihrem Vorstoß im Finanzausschuß des Bundesrates keinen Erfolg hatte, die Obergrenze für Kredite einzugrenzen. Da der Bund und die anderen Länder zu dieser Eingrenzung nicht bereit gewesen seien, müsse Nordrhein-Westfalen notgedrungen in diesem apolitischen Konzert das gleiche Instrument" spielen, wolle es sich nicht selbst zur Erfüllung seiner öffentlichen Dienstleistungen die Finanzierungsmöglichkeit über den Kreditmarkt nehmen.
    Der langjährige Dozent am Studieninstitut für kommunale Verwaltung und an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung mit Schwerpunkt Haushalts- und Finanzrecht ist ein Experte im Finanzbereich —und auch ein "Mann der Praxis". Im sauerländischen Letmathe 1930 geboren und in Hohenlimburg aufgewachsen, absolvierte Walter Grevener nach Besuch der Volks-, Berufs- und Verwaltungsschule die Verwaltungsakademie mit dem Abschluß Kommunal-Diplom. Als späterer Kämmerer und Stadtdirektor von Langenberg im Rheinland (mit 35 Jahren!) war er stets darauf bedacht, daß nur volkswirtschaftlich vertretbare Kredite aufgenommen wurden. "Dort, wo künftig auch laufende Einnahmen zu erwarten sind."
    Als 1975 im Rahmen der kommunalen Neugliederung die Stadt Langenberg ihre Selbständigkeit und der Sozialdemokrat seinen Wirkungsbereich als Stadtdirektor verlor, verstärkte er seine Dozententätigkeit. Doch schon wenige Jahre später, 1979, nahm Walter Grevener wieder am kommunalen Geschehen aktiv teil: Er wurde in den Rat der Stadt Velbert gewählt. Seit der letzten Kommunalwahl 1989 ist er auch Vorsitzender der SPD- Ratsfraktion. Bereits zweimal holte der Velberter den Landtagswahlkreis Mettmann IV mit weit über fünfzig Prozent der Wählerstimmen für seine Partei. In der laufenden Legislaturperiode berief ihn die Fraktion in den Ausschuß für Haushaltskontrolle, den Kommunalpolitischen Ausschuß sowie den Ausschuß für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz.
    Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen schätzt auch Walter Grevener im Kommunalpolitischen Ausschuß die Möglichkeiten eines engen Kontaktes mit den Städten und Gemeinden. Sein Anliegen ist es, die Gesetzesfesseln der Kommunen zu lockern. Sie müßten einen stärkeren eigenen Gestaltungsspielraum haben. So erinnert der Kommunalexperte daran, daß die Gemeinden sich beispielsweise schon für die Kindergärten engagiert hätten, als es noch kein Kindertagesstättengesetz gegeben habe. "Wir brauchen keine totale Gleichheit der Kommunen, beispielsweise im kulturellen Bereich."
    Für Walter Grevener, dessen Vater auch Sozialdemokrat war und dem bei einem politischen Strafverfahren die Einweisung in ein Konzentrationslager drohte, war es eine Selbstverständlichkeit, in frühen Jahren auch dieser Partei beizutreten. Seitdem engagiert er sich in zahlreichen Funktionen, so im Vorstand des Ortsvereins und Unterbezirks für die Partei. In diesen Ämtern wie auch als Stadtverordneter und Landtagsabgeordneter sucht der Sozialdemokrat den Kontakt zum Bürger. In der politischen Alltagsroutine dürfe man den "Einzelfall" nicht vergessen. "Ein Bürger, der in Not ist und Hilfe braucht, kann von einem Abgeordneten erwarten, daß er auch Samstag oder Sonntag für ihn da ist." Mit einem gewissen Stolz erwähnt der Velberter seine drei Söhne, die nach dem Studium alle in der Wirtschaft ein berufliches Betätigungsfeld fanden. Früher aktiver Feldhandballspieler, findet Walter Grevener heute beim Tennis einen Ausgleich zum Polit-Streß. Bei seinen zahlreichen privaten Reisen interessieren ihn besonders die Kulturen anderer Länder. Zweifellos zählt der Sozialdemokrat zu jenen Parlamentariern, die mit einer Portion gesundem Selbstbewußtsein sich ihre Unabhängigkeit bewahrt haben.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.)

    ID: LI920838

  • Porträt der Woche: Achim Reichel (F.D.P.)
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 7 - 07.04.1992

    "Ich will die Führungslücke schließen zwischen Landes- und Fraktionsvorsitzendem." Ambitioniert und selbstbewußt beschreibt Andreas Reichel seine künftige Aufgabe. Die Wahl zum Generalsekretär auf dem jüngsten Landesparteitag ist ein weiterer Meilenstein in einer politischen Blitzkarriere. Mit 21 Jahren wurde er Landesvorsitzender der Jungen Liberalen NRW und saß bereits ein Jahr später im Landesvorstand der Gesamtpartei. 1985 war er der absolute 'Benjamin' im Düsseldorfer Parlament, als er mit gerade 25 Jahren Landtagsabgeordneter wurde. Der jüngste Abgeordnete ist er bis heute geblieben, nach immerhin sechs Parlamentsjahren. Und jetzt, knapp 31 Jahre alt, soll er die Partei in Nordrheinwestfalen managen. Es gebe 'Defizite zu beheben', die durch einen als Bundeswirtschaftsminister im Land zu wenig präsenten Landesvorsitzenden Möllemann entstanden seien. "Es muß wieder eine NRW-F.D.P.-Position pur erkennbar werden."
    Zielstrebig will der erste Generalsekretär der NRW-F.D.P. die neue Aufgabe angehen. Die Partei brauche "programmatischen Schwung". Und: "Die Kompetenz der Liberalen müsse über die reinen Wirtschaftsthemen hinaus erweitert werden." Reichel selbst hat als schul- und bildungspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Landtag bereits einen ersten Schritt dahin getan: Das Zwei-Säulenmodell, das neben dem Gymnasium nur noch eine berufsorientierte Realschule mit Berufsgymnasium vorsieht, trägt im Kern seine Handschrift, ein Modell, mit dem sich SPD wie CDU derzeit lebhaft auseinandersetzen. Und unter den Kollegen hat sich der Jung-Parlamentarier über die Parteigrenzen hinweg durch geschliffene und pointierte Plenarreden profilieren können, wenn er beispielsweise die Schulpolitik der Landesregierung mit Begriffen wie 'populistischer Lehrerschelte' und 'unwürdiger Flickschusterei' brandmarkte. Längst ist er in der Fraktion über das Stadium hinaus, wo er als Jung-Parlamentarier in erster Linie über Jugendfragen im Plenum reden durfte.
    Der Partei im Lande will der frischgebackene Generalsekretär nun auch ökologisches Profil verleihen. "Die F.D.P. muß wieder die Themenführerschaft beim Umweltschutz zurückgewinnen". Dabei erinnert Reichel daran, daß bereits 1980 die Jungen Liberalen ein Thesenpapier zur ökologischen Marktwirtschaft verabschiedet haben. Und das Fehlen der Grünen im Bundestag müsse die Partei als Chance begreifen: "Schließlich kann man auch mit Umweltschutz Geld verdienen", charakterisiert Reichel die Möglichkeiten ökologischer Marktwirtschaft.
    Politisch will sich Reichel durchaus von seinem Ziehvater und Förderer Jürgen Möllemann absetzen: Schon als Vorsitzender der Jungen Liberalen habe er unterschiedliche Auffassungen zum Beispiel beim Schnellen Brüter in Kalkar und der Bedeutung regenerativer Energien deutlich zum Ausdruck gebracht. "Inhaltlich gibt es zwischen uns Unterschiede, aber persönlich können wir gut miteinander", umschreibt Reichel sein Verhältnis zum F.D.P.-Landesvorsitzenden. Das wundert nicht, ist die Typenverwandtschaft doch unverkennbar: Zielgerichtet, karrierebewußt, öffentlichkeitsorientiert. Und dabei scheinen beide stets das sichere Gefühl zu haben, alles ein wenig besser zu wissen als andere. "Allen Parteien im Lande mangelt es an kompetenten Lösungsmustern", sagt Reichel. Dem würde Möllemann wohl kaum widersprechen.
    Als politisches wie menschliches Vorbild fällt Andreas Reichel spontan ein Name ein: John F. Kennedy. Der sei "einer der letzten großen Reformpolitiker" gewesen, einer, "der die Welt verändern wollte". Den amerikanischen Glaubenssatz vom "what we can dream we can do" ist Reichel näher als die Politikermentalität hierzulande: "Politik in NRW ist doch alles nur kraftlose Verwaltung!"
    Und so erkläre sich auch die zunehmende Politikverdrossenheit, gerade bei jungen Menschen. Gerade sie will der knapp 31 jährige auf seinem Fachgebiet Bildungs- und Hochschulpolitik gewinnen. Als Parteimanager will er diese Themen auch außerhalb des Parlaments diskutieren, zum Beispiel in Foren und Fachkongressen. Die neue Rolle wolle er nutzen, um das Thema Bildungspolitik insgesamt zu verstärken. Denn dieses 'Kernthema der Landespolitik' sei in NRW 'völlig ungelöst'.
    Trotz der unaufhaltsam erscheinenden Parteikarriere will der Jungpolitiker den Beruf als zweites Standbein nicht aus den Augen verlieren. Nach einer Bankausbildung folgte ein Jurastudium in Köln. Die Promotionsarbeit über 'Auswirkungen von EG-Kompetenzen der Bundesländer, dargestellt am Beispiel der beruflichen Bildung' ist abgeschlossen, auf das Rigorosum will er sich in der Parlamentspause im Sommer vorbereiten. Mit dar Doppelbelastung, parallel zu seinem politischen Amt, werde er schon fertig. "Das Studium habe ich als Abgeordneter abgeschlossen, warum sollte ich die Promotion nicht als Generalsekretär abschließen können."
    Junge Politikautsteiger wie Reichel, gut ausgebildet, aber wegen ihres Alters zwangsläufig ohne Berufspraxis, laufen indes leicht Gefahr, von der Partei abhängige Berufspolitiker zu werden. Genau das will der F.D.P.-Abgeordnete vermeiden:"Wir haben ja alle nur Zeitverträge." Über seine weitere politische Karriere will der neugekürte Amtsinhaber gegenwärtig nicht öffentlich spekulieren. Zweifellos wäre er einer der Anwärter für ein Ministeramt, sollten nach 1995 die Liberalen mit einer der großen Landtagsparteien eine Regierungskoalition bilden.
    In Düsseldorf möchte er aber für absehbare Zeit auf jeden Fall bleiben. Andreas Reichel strahlt Selbstsicherheit und Selbstbewußtsein aus. Gewandt in der Wortwahl, sicher im Auftreten, modisch in der Kleidung, verkörpert er den Typ von Politiker, der einen immer an das Klischee des Yuppies erinnert: Jung, ehrgeizig, erfolgreich. Mit diesem Schlagwort immer wieder konfrontiert, betont der Shooting-Star der NRW-F.D.P., die 'ausgeprägte Sozialempfindlichkeit' der Yuppies in den USA. Dort habe es sich stets um eine Modernisierungsbewegung gehandelt. "Warum sollte einer, der hart arbeitet, nicht auch gut leben?": fragt Reichel, der deutlich macht, daß er sich mit Yuppies in dem Sinn, wie sie in den USA verstanden werden, durchaus identifizieren kann.
    Ja, er habe sich gefreut, vom Landesvorsitzenden Möllemann ein so verantwortungsvolles Amt übertragen bekommen zu nahen. Aber Stolz könne er über das bloße Amt des Generalsekretärs nicht empfinden. "Vielleicht darf ich in drei Jahren stolz auf das sein, was ich bis dahin geleistet habe." Das klingt vernünftig, abgeklärt, wie das Wort eines alten politischen Routiniers.
    Richard Hofer

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.)

    ID: LI920766

  • Porträt der Woche: Dr. Manfred Busch (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 24.03.1992

    "Die Opposition ist in erster Linie dazu da, Ungereimtheiten in der Regierungsarbeit aufzudecken und eigene Vorschläge einzubringen. " Dr. Manfred Busch, der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, weiß, daß die Aufgabenerfüllung als Landtagsabgeordneter vor allem von der harten Bank einer Oppositionsfraktion aus Kärrnerarbeit gleicht. Diese Erfahrung ist für den 37 jährigen Düsseldorfer bereits bei Antritt seines Landtagsmandates nichts Neues gewesen. Schon als wissenschaftlicher Mitarbeiter der GRÜNEN-Fraktion im Bonner Bundestag hatte er gelernt, daß zwischen dem Idealbild eines Abgeordneten und der täglichen Sisyphusarbeit Welten liegen können.
    Dennoch will Busch seine Zeit in der Bundespolitik nicht missen. Hat sie ihm doch das nötige Rüstzeug beschert, um als Neuling im Abgeordnetenamt sofort effektiv an die Arbeit gaben zu können. "Alle Fragen, mit denen wir uns hier in der Landespolitik beschäftigen müssen, haben schon auf Bundesebene eine Rolle gespielt, da war ich für mein jetziges Pensum von Anfang an voll eingearbeitet", zieht Busch den Vergleich zwischen den Aufgabenstellungen in Bonn und Düsseldorf.
    Sein Pensum, das ist besonders die Wirtschafts- und die Finanzpolitik. Das nötige theoretische Rüstzeug dafür kommt aus seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, seiner Geburtsstadt. Nach dem Abschluß als Dr. rer. oec. arbeitete Busch dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für theoretische Wirtschaftslehre der Ruhr-Uni.
    Seine Erfahrungen aus dem Wissenschaftsbetrieb sind allerdings nicht die besten, wie sein rückblickendes Urteil über den Unibetrieb zeigt. Nicht gerade schmeichelhaft ist es besonders für die in der Politik hochangesehenen Wirtschaftsforscher: Wissenschaftliche Arbeit, das hat Busch festgestellt, sei unehrlich, weil interessengebunden. "Umwelt und Verbraucher haben in den Wirtschaftswissenschaften keinen relevanten Stellenwert. Dabei hat jeder Bürger im Grunde mehr Ahnung von Wirtschaft als mancher Wissenschaftler."
    Entsprechend fiel ihm 1983 der Wechsel vom Assistentenjob zur GRÜNEN-Fraktion nach Bonn nicht übermäßig schwer. Noch heute wertet er die Zeit in der Bundeshauptstadt als "spannend". Und das nicht nur, weil sie ihm die Einarbeitung in sein landespolitisches Aufgabengebiet innerhalb der GRÜNEN-Fraktion, die Haushalts- und Finanzpolitik, erheblich erleichterte. Spannend auch deshalb, weil in diese Zeit die Entwicklung einer ökologisch orientierten, "grünen" Wirtschaftspolitik fiel, an der er als wissenschaftlicher Fraktionsmitarbeiter beteiligt war.
    "Grün" zu sein, war und ist für Busch eher eine Frage der Lebenseinstellung, nicht unbedingt der Parteizugehörigkeit. So erfolgte sein Eintritt bei den Grünen auch nicht schon vor Antritt seines Bonner Fraktionsjobs. Erst 1986 wurde er Mitglied im NRW-Landesverband der Partei. Solchermaßen unbelastet von den innerparteilichen Querelen grüner Gründerzeiten, ließ er sich nota bene in die Pflicht nehmen, als es galt, 1988 den aufgeflogenen Finanzskandal aufzuarbeiten. Busch nahm die schwere Aufgabe als Rechnungsprüfer wahr. Das Ergebnis war so überzeugend, daß die Partei ihn Ende 1988 zum Schatzmeister wählte, was er bis zu seiner Wahl in den NRW-Landtag blieb.
    Die Aufgaben als geschäftsführendes Mitglied des Landesvorstandes für die Übernahme des Abgeordnetenmandats aufzugeben, ist Busch indes nicht allzu schwer gefallen, ist es ihm doch jetzt möglich, an die politische Arbeit anzuknüpfen, die er in Bonn auf Bundesebene begann, und die er, übertragen auf die landespolitischen Bedingungen Nordrhein-Westfalens, in Düsseldorf fortsetzen möchte.
    Busch sieht sich und seine Partei durchaus nicht als wirtschaftsfeindlich an. Die Grünen verständen sehr wohl die Motive und Interessen der Unternehmer, versichert er. Seine Kritik am unternehmerischen Handeln setzt aber da an, wo es zur Belastung der Umwelt führt. Auf diesem Sektor würde er noch gerne weitere Überzeugungsarbeit leisten, gerade bei der breitgefächerten mittelständischen Unternehmerschaft. Doch auch den Landtagsabgeordneten Busch holt die Routine des politischen Tagesgeschäfts nur allzu schnell und immer wieder ein. Und die bedeutet in der politischen Opposition nun einmal: Kontrolle der Regierenden.
    Sievert Herms

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920641

  • Porträt der Woche: Franz-Josef Britz (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 17.03.1992

    Sein beruflicher und politischer Werdegang haben Franz-Josef Britz für zwei Parlamentsgremien prädestiniert: die Ausschüsse für Kommunalpolitik und Haushaltskontrolle. In beide bringt der CDU- Abgeordnete seine Erfahrungen als Kommunalpolitiker und Kenntnisse des Wirtschaftswissenschaftlers ein. Erst seit Mai 1990 im Landtag und in den beiden Gremien tätig, hat sein Wort aufgrund von Sachkenntnis und vorurteilslosem politischem Handeln bereits Gewicht.
    Der gebürtige Essener, Jahrgang 1948, studierte nach dem Abitur Wirtschaftswissenschaften an der Bochumer Ruhr-Universität mit dem Abschluß Diplom-Ökonom. Nach der anschließenden Referendarzeit an der berufsbildenden Schule in Gelsenkirchen und der Zweiten Staatsprüfung wurde er als Oberstudienrat nach Gladbeck berufen. Dort unterrichtete Franz-Josef Britz bis zur Wahl in den Landtag insbesondere Volkswirtschaft und allgemeines Rechnungswesen. Bereits in frühen Jahren in der katholischen Jugend und später in der Studentengemeinde aktiv, trat der Essener 1971 der CDU bei und gehört heute dem Kreisvorstand seiner Partei an.
    Kommunalpolitisch engagierte sich der Christdemokrat zunächst in der Bezirksvertretung des Stadtteils Steele/Kray mit seinen 80000 Einwohnern und wurde dann 1979 in den Essener Stadtrat gewählt. Als Finanzexperte seiner Fraktion und stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses machte sich Franz- Josef Britz stark für eine Privatisierung freiwilliger öffentlicher Leistungen bzw. dafür städtische Projekte in eine private Rechtsform zu überführen.
    Als Beispiel nennt der Abgeordnete das Theater in Essen, von der Stadt initiiert, aber von einer GmbH gebaut. Statt der geplanten Baukosten von 135 Millionen Mark kam man mit 120 Millionen Mark aus. "Durch diese private Rechtsform waren erhebliche Einsparungen möglich", resümiert der Christdemokrat. Diese Theaterbau GmbH hat das Theater dann an eine von der Stadt gegründete Gesellschaft verpachtet. Im Aufsichtsrat der Stadtwerke tätig, hat Franz-Josef Britz übrigens auch den Bau des Müllheizkraftwerkes mit Entschwefelung mitinitiiert. Inzwischen ist er aus dem Stadtrat ausgeschieden, weil nach einem ungeschriebenen Gesetz der örtlichen Partei Abgeordnete kein Doppelmandat ausüben sollen.
    Seine Motivation für die Arbeit im Landesparlament sieht der frühere Kommunalpolitiker insbesondere darin, auf die Probleme und Sorgen der Städte und Gemeinden aufmerksam zu machen und deren finanzielle Grundausstattung zu verbessern. In den früheren Jahren ärgerte es den Essener, daß Landtagsabgeordnete vor Ort die "Mütze des Kommunalpolitikers" aufsetzten und dann in Düsseldorf ausschließlich die Interessen des Landes vertraten. Der Landesparlamentarier drängt insbesondere darauf, daß die Zuweisungen des Landes an die Kommunen längerfristig verläßlich sind "andernfalls haben sie keine Planungsübersicht." Weiter tritt er dafür ein, daß bei einer Steigerung der Gemeinschaftssteuern auch der Anteil der Gemeinden wächst und sie die Zuweisungen des Landes möglichst nicht zweckgebunden erhalten. "Andernfalls besteht die Gefahr, daß die Kommunen manche Projekte planen, nur weil es dafür Zuschüsse gibt."
    Nachdrücklich plädiert der Parlamentarier auch für eine Reform der Gemeindeordnung mit Abschaffung der kommunalen Doppelspitze und der Urwahl des dann hauptamtlichen Bürgermeisters. Die Kommunalpolitik kann nach seiner Ansicht nur davon profitieren, wenn der Bürger unmittelbar darüber mitentscheiden kann, wer für sechs oder mehr Jahre die Geschicke einer Gemeinde verantwortlich leitet.
    Im Ausschuß für Haushaltskontrolle tritt Franz-Josef Britz dafür ein, daß das Parlament stärker seine Kontrollfunktionen gegenüber der Regierung wahrnimmt. Zu bemängeln sei auch, daß die Regierung aus den Berichten des Landesrechnungshofes nur selten, und dann ungenügend Folgerungen zieht. In diesem Zusammenhang erinnert er daran, daß die Rechnungsprüfer schon lange vor den Kienbaum-Gutachtern die Stellenberechnungen im Kultusministerium kritisiert hatten. "Ihre damaligen Feststellungen blieben aber ohne Resonanz."
    Auch in der Freizeit engagiert sich der Vater von zwei Kindern, acht und zwölf Jahre alt, noch regelmäßig im kirchlichen Raum; er gehört u.a. dem Pfarrgemeinderat an. In den Sommerferien geht's aber mit der ganzen Familie in die Berge, vornehmlich ins Salzburger Land. Dann wird von der Politik völlig abgeschaltet.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920556

  • Porträt der Woche: Heinz Paus (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 4 - 25.02.1992

    "Dort kann man einen Teil seiner zeitlichen Sündenstrafen sicherlich abbüßen." Heinz Paus (CDU) weiß, wovon er spricht: Seit 1985 hat er seine Fraktion in drei Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Landtags vertreten, die beiden ersten standen in Zusammenhang mit den Parteispenden, der dritte befaßte sich mit dem Gladbecker Geiseldrama.
    Unter parteien- und landesgeschichtlichen Aspekten seien seine beiden ersten Untersuchungsausschüsse durchaus "interessant und spannend" gewesen, zieht Paus ein Fazit aus heutiger Sicht. Festzuhalten bleibe, daß Spender verurteilt worden seien, während "Parteien sich in Grauzonen bewegt" hätten. Der Gladbeck-Ausschuß habe für ihn zutage gebracht, daß "die Führung sicherlich versagt hat". Doch die sich über 55 Sitzungen hinziehende Arbeit dieses Untersuchungsausschusses ließ bei ihm die Erkenntnis reifen, daß diese Form der Kontrolle durch das Parlament dringend reformbedürftig ist.
    Nach Auffassung von Paus mangelt es vor allem an "professioneller Zuarbeit" für die Mitglieder eines Untersuchungsausschusses. Denn diese würden mit einem "fast unübersehbaren Wust von Material konfrontiert", dessen Aufarbeitung so lange dauere, daß das öffentliche Interesse sehr rasch nahezu erlösche. Je länger ein Untersuchungsausschuß laufe, desto größer werde der Frust bei den Abgeordneten. Paus hält es für notwendig, daß ein Untersuchungsausschuß in kurzer Zeit — nach etwa sechs Wochen — ein Ergebnis seiner Arbeit vorlegen können muß. Neben einer verbesserten Zuarbeit von hauptamtlichen Fachkräften sei eine weitere Entlastung der Abgeordneten im Untersuchungsausschuß erforderlich: Während der Sitzungswochen des Ausschusses müßten sie weitgehend von anderer parlamentarischer Arbeit freigestellt werden.
    Seit fast sieben Jahren ist Paus, der 1980 erstmals in den Landtag gewählt wurde, innenpolitischer Sprecher und Justitiar der CDU-Fraktion. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Notar sieht eines seiner Hauptarbeitsfelder im Landtag im Bereich der Inneren Sicherheit. Aus der Opposition heraus könne man zwar nicht viel bewegen; doch er zeigt sich zufrieden darüber, daß die Landesregierung jetzt erste Ansätze zu einer besseren Polizeibesoldung erkennen lasse, nachdem die CDU dazu bereits 1988 ein Gutachten vorgelegt habe. Eine Politik der Inneren Sicherheit nach dem Prinzig von "Law and Order" weist er keineswegs von sich, doch schränkt er sofort ein: "Eine friedliche Gesellschaft kann man aber nicht durch immer mehr Polizei erreichen." Im "Vorfeld" seien die Weichen zu stellen, in der Familienpolitik, in der Schule, in der Jugendarbeit.
    Durch den "Bagatell-Erlaß" von Innenminister Herbert Schnoor (SPD) sieht Paus "den Staat in seiner Glaubwürdigkeit nachhaltig betroffen". Es sei "schlimm", wenn die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen nur zwischen 16 und 17 Prozent liege. Durch den Erlaß werde die Polizei zwar "von Kleinkram entlastet". Wenn aber Straftaten nicht mehr verfolgt würden, dann könne dies "kriminelle Karrieren" fördern.
    In einem Punkt zeigt sich Paus "stolz" darüber, daß man aus der Opposition doch etwas bewegen könne. Jahrelang hätten SPD und Landesregierung die CDU-Forderungen nach Sammellagern und Sachleistungen statt Geld für Asylbewerber abgelehnt, jetzt seien sie aber auf diese Linie eingeschwenkt.
    Aus seiner lippischen Wahlheimat Detmold benötigt Paus, der im März 1948 im westmünsterländischen Alstätte geboren wurde, über zweieinhalb Stunden Zugfahrt, um die Landeshauptstadt zu erreichen. Nachdem er vor 20 Jahren in die CDU eingetreten war, übernahm er zunächst einige kommunale und regionale politische Aufgaben und Ämter. Neben seinem Landtagsmandat ist er Vorsitzender des Landesfachausschusses Innenpolitik der NRW-CDU und stellvertretender Vorsitzender des entsprechenden Ausschusses der Bundes-CDU. Dennoch, so versichert er, wendet er die Hälfte seiner Arbeitszeit für seine Anwaltssozietät in Detmold auf. Dort ist er auch in einem katholischen Kirchenvorstand und in einem Museumsverein aktiv. Als sportlichen Ausgleich nennt der Vater von zwei Söhnen das Joggen.
    Ludger Audick

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920446

  • Porträt der Woche: Birgit Fischer (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 3 - 18.02.1992

    Wenn eine Frau Routinearbeit macht, die zu leisten bislang Männern vorbehalten schien, dann wird das meistens mit öffentlichem Erstaunen registriert und mit Verblüffung kommentiert. Birgit Fischer ist eine dieser Frauen, denen es gelungen ist, in eine Männerdomäne einzubrechen. Aber das natürlich (!), nicht ohne männliche Hilfe. Den "Job" (Fischer) der Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion hätte sie schwerlich bekommen, wenn sie nicht von Fraktionschef Friedhelm Farthmann vorgeschlagen worden wäre.
    Die 38jährige, erst seit Mai 1990 Landtagsabgeordnete und nun unverhofft nach dem bei seiner fälligen Wiederwahl gescheiterten Gerhard Wendzinski, die einzige Frau in deutschen Parlamenten in einem solchen Amt, sieht sich prompt einer Fülle kritischer Fragen ausgesetzt: Ob denn überhaupt eine Frau eine solche Funktion, die Härte verlange, wahrnehmen könne; ob sie einen Apparat von 35 hauptamtlichen Mitarbeitern, der den 121 Abgeordneten zuarbeitet, dirigieren und motivieren könne; ob sie denn im notwendigen Zusammenspiel mit den anderen Fraktionsgeschäftsführern nicht untergebuttert werde; ob sie denn genügend Autorität habe, die SPD-Abgeordneten, deren Abstimmungsdisziplin Farthmann Sorgen macht, in die Pflicht zu nehmen? Die Frau aus Bochum, wo sie bis zu ihrer Wahl in den Landtag Gleichstellungsbeauftragte war, formuliert selbst dieses Problem, ist aber selbstbewußt genug, die Herausforderung anzunehmen. .Bei einer Frau denkt jeder: Schafft sie das? Aber ich hätte es nicht gemacht, wenn ich mir das nicht zutraute." .Organisieren", sagt die gelernte Diplompädagogin über sich selbst, könne sie .gut".
    Seit dem 10. Dezember 1991 ist Birgit Fischer im Amt. Damals folgten 72 von 113 anwesenden SPD-Abgeordneten dem Fachmann-Vorschlag. 30 stimmten gegen sie, elf enthielten sich ihrer Stimme. Von Mitarbeitern erhielt sie zur Begrüßung ein provokantes Geschenk: einen großen Hampelmann, die Geschäftsordnung des Düsseldorfer Landesparlaments in der Hand. Das hat sie, wie die nicht gerade große Zustimmung ihrer Fraktionskollegen, als Aufforderung begriffen, nicht als Spott. Denn eine fremdgesteuerte, fremdbewegte, marionettenhafte Polit-Managerin will sie nicht sein. Sie versteht sich nicht nur als Organisatorin, sondern will auch politisch-inhaltlich Einfluß nehmen.
    Das könnte ein bißchen zuviel sein. Denn Birgit Fischer weiß auch, daß sie ein .konfliktreiches Amt" hat. Da werden Versuche, sich selbst zu profilieren, von anderen nicht gerne gesehen. Und doch reizt sie das. Denn als diskussionsfreudige Linke in der SPD hat sie längst ausgemacht, daß .zuviel auf Konsens hinausläuft". Obwohl doch, aus ihrer Sicht, für die Politikfähigkeit ihrer Partei eine .interne Streitkultur nützlich" sei.
    Eine Frau mit Machtgelüsten? Noch scheint sie diese Frage sozusagen von außen anzugehen. Sich noch nicht bewußt, daß sie spätestens seit dem Tag ihrer Wahl mit dabei ist, Macht auszuüben. Sie fragt sich, wie sie an den Schaltstellen, auf die sie nun Zugriff hat, handeln könne — und möchte doch immer noch eher analysieren, "wie die politischen Entscheidungsprozesse ablaufen", an denen sie selbst nun intensiv beteiligt ist. Diese Neugier brachte Birgit Fischer 1981 zu den Sozialdemokraten. Damals, sie war Fachbereichsleiterin für Gesellschaft, Politik, Kultur und berufliche Bildung an der Volkshochschule im sauerländischen Werdohl, forderten sie die .Formation und Verkrustungen" heraus, in denen sich ihr die örtlichen politischen Strukturen darstellten. So erscheint der Parteieintritt wie der Versuch, einem anziehenden, anheimelnden Geheimnis auf die Spur zu kommen. Dieselbe distanzierte Nähe hat sie heute zu ihrem neuen Amt.
    Natürlich weiß sie, daß der größte Teil ihrer Arbeit öffentlich unsichtbar bleibt, weil er Organisatorisches betrifft. Und andersherum gilt, daß eine hinter den Kulissen reibungslos gemanagte Fraktion in ihrer "Außenwirkung" (Fischer) gut ankommt. Und das ist es, worum es auch geht. Denn davon profitieren beide.
    Einem Polit-Profi wie Friedhelm Farthmann ging es aber nicht nur darum, als er sie nominierte und durchsetzte. Der Fraktionschef, dem manche despektierlichen Sprüche über Frauen im allgemeinen und in der (SPD-) Politik im besonderen nachgesagt werden, machte mit der Fischer-Wahl nicht nur den (erfolgreichen?) Versuch, sich von seinem Ruf zu befreien. Der 61 jährige Farthmann, wegen seiner robust vorgetragenen Forderung, einige Minister im Kabinett Rau müßten durch jüngere ersetzt werden, konnte zugleich demonstrieren, daß er es mit dem Generationswechsel ernst meint. Die Analytikerin Birgit Fischer, mit einem Betriebswirt verheiratet, Mutter eines achtjährigen Sohnes, weiß um ihre doppelte Symbolbedeutung. Noch sagt sie, ihr sei .klar, daß ich in diesem Job Gefahr laufe, mich zwischen sämtliche Stühle zu setzen". Und sie weiß auch, daß sie .viel Gespür und Diplomatie" brauchen wird, um die allerorts aufgestellten Fettnäpfchen zu umlaufen. Aber sie könnte auch eine neue Perspektive der politischen Kultur eröffnen.
    Bernd Kleffner

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche"ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920366

  • Porträt der Woche: Günter Weber (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 2 - 28.01.1992

    Er ist ein Sozialdemokrat mit Tradition und Bodenhaftung, den das Ruhrgebietsmilieu und die Nachkriegsjahre geprägt haben — Günter Weber aus Mülheim an der Ruhr. Sein Großvater war Bergmann, sein Vater und er selbst wuchsen auf in der Bergarbeitersiedlung "Mausegattstraße" im Ortsteil Heißen. Und zur Tradition dieser Arbeiterfamilie gehörte es auch, sich politisch zu engagieren. So schloß sich Günter Weber, Jahrgang 1935, zunächst den "Falken" an und trat dann als 21 jähriger der SPD bei. Daß er einmal Bürgermeister seiner Heimatstadt werden und auch in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen würde, als damaliger Schlosserlehrling hätte er diesen späteren Lebensweg nicht für möglich gehalten.
    Sein gewinnendes offenes Wesen wie sein Gespür für die Sorgen der Mitbürger dürften dem auch heute noch tätigen Sachbearbeiter in der Entwicklungsabteilung bei Siemens/KWU Turbo-Generatoren-Fertigung diesen erfolgreichen Weg in Beruf und Politik geebnet haben. Als er 1964 mit 29 Jahren erstmals in den Rat gewählt wurde, war er damals der "Benjamin" unter den Parlamentskollegen, und als Günter Weber 1990 aufgrund des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Partei von Kommunal- und Landtagsmandat aus dem Mülheimer Stadtrat schied, war er nach neuneinhalb Jahren der bislang am längsten amtierende Bürgermeister von Mülheim. Übrigens, Bürgernähe praktizierte der Sozialdemokrat neben dem Ratsamt auch eine Zeitlang als Bezirksvertreter und -Vorsteher. Und es entspricht den gemeinsamen Interessen im Hause Weber, daß sich um diesen Bereich heute seine Frau kümmert.
    Die Stadtentwicklung, und hier insbesondere der öffentliche Nahverkehr, war sein kommunalpolitisches Hauptbetätigungsfeld. Als Vorsitzender der U-Bahn-Kommission und Mülheimer Vertreter im Aufsichtsrat der Stadtbahn-Gesellschaft war der notorische Fußgänger ein engagierter Anwalt der Interessen der Bürger, die nicht zum Heer der Autofahrer zählen und deswegen ein leistungsfähiges Netz des öffentlichen Personennahverkehrs zu schätzen wissen. Für seine erfolgreiche Tätigkeit in den kommunalen Gremien wurde der Mülheimer mit dem Ehrenring seiner Heimatstadt ausgezeichnet.
    Auch heute, als Mitglied des Verkehrsausschusses und des Ausschusses "Mensch und Technik", engagiert er siec im Düsseldorfer Landtag für dieses Anliegen. "Wir müssen das Zulaufen der Städte mit Autos in den Griff bekommen", betont der Abgeordnete. Allerdings hält er nicht viel von generellen Lösungen für die Städte. Was beispielsweise für Düsseldorf richtig sei, müsse noch lange nicht für Mülheim beispielhaft sein. Der "Nicht-Führerschein- Besitzer" (!) plädiert für mehr Fußgängerzonen, Geh- und Fahrradwege. Seinem auf Ausgleich bedachten Wesen würde es jedoch widersprechen, das Auto zu "verdammen". Das Kraftfahrzeug sei vor allem in den Außenbezirken der Städte und in den ländlichen Regionen ein notwendiges Fortbewegungsmittel. "Wir müssen die Mobilität erhalten, aber zu viel Mobilität macht sie wieder kaputt."
    Nach fast 26jähriger Ratstätigkeit wechselte der Sozialdemokrat 1990 in den nordrhein-westfälischen Landtag, um auch die »grauen Zellen" wieder zu aktivieren. "Irgendwann hat man nämlich das Gefühl, es wiederholt sich alles, es wird zu Routine." Doch seine tiefe Verwurzelung mit der Heimatstadt und seinen Mitbürgern ist geblieben. Und wenn Günter Weber seine Bürgerstunden abhält, sind es vor allem kommunale Fragen, die an ihn herangetragen werden. Viele Alltagsprobleme lernt er ohnehin in eigener Berührung kennen, wenn er durch die Stadt radelt und auf die Menschen zugeht. Im Landtag hat sich der kontaktfreudige Abgeordnete schnell heimisch gefühlt, und er pflegt auch Verbindungen zu Parlamentariern der anderen Fraktionen. Was dem Mülheimer allerdings nicht gefällt, ist der nach seiner Einschätzung oft "rüde Ton" bei den parlamentarischen Auseinandersetzungen.
    Von geselliger Natur und kunstbeflissen, gehört Günter Weber einer Weinbruderschaft an und ist ein oft gesehener Besucher von Konzerten und Opern sowie ein eifriger Sammler von Bildern heimischer Künstler. Im Urlaub zieht es ihn insbesondere in die nordischen Länder. Für den Sozialdemokraten ist die Politik eben nicht einziger Lebensinhalt. Und das ist gut so. Jochen Jurettko (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist der Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920227

  • Porträt der Woche: Anne-Hanne Siepenkothen (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 1 - 14.01.1992

    Ihr parlamentarisches Herz gehört dem Petitionsausschuß, "kommt man doch dort viel mehr in Kontakt mit den Bürgern als in den anderen Ausschüssen", sagt Anne-Hanne Siepenkothen, die 1985 erstmals und 1990 erneut für die CDU ein Landtagsmandat errang. "Immerhin gehen rund ein Viertel aller Petitionen für die Potenten günstig aus — das sind schöne Erfolgserlebnisse für eine Politikerin in der Opposition." Zwar engagiert sich die Düsseldorferin bei dieser Arbeit besonders für die Behinderten und Kriegsverletzten, doch versucht sie, möglichst viele Themengebiete abzudecken. "Man darf sich nicht allein auf einen Bereich konzentrieren. Das macht nur betriebsblind."
    Nun arbeitet die 42jährige in ihrer zweiten Legislaturperiode für die CDU-Fraktion im Landtag. Ihr politisches Engagement geht auf eine spontane Entscheidung zurück: Als sie im Landtagswahlkampf 1975 auf einen Informationsstand der Jungen Union stieß, entschloß sie sich prompt, der Jungen Union und der CDU beizutreten. 1980 wurde sie in den vorstand der Düsseldorfer JU gewählt, wo sie zuletzt stellvertretende Kreisvorsitzende war. Sie wurde Mitglied der Frauenunion — dies aber anfangs, wie die Verbandsvorsitzende der KABF Westdeutschland heute freimütig gesteht, zuerst mit einer gewissen Skepsis. "Leider Gottes ist jedoch eine Vereinigung wie die Frauenunion auch heute noch sehr notwendig. Die Frauen brauchen eine Lobby, um sich durchzusetzen." Allerdings: Von einer Quotenregelung hält sie nichts, man sehe ja in der SPD, wohin dies führe, wenn zum Beispiel in Dortmund — trotz der Quote — alle sechs Wahlkreise mit Männern besetzt seien. Was nützten da die schönsten Absichtserklärungen? Frauen müßten statt dessen auch in der politischen Arbeit durch Qualität überzeugen.
    Als 1985 die damalige CDU-Landtagsabgeordnete des Wahlkreises, Margarete Verstegen, nicht mehr für ihren Düsseldorfer Bezirk antrat, schlug die JU mit Erfolg den Delegierten vor, Anne-Hanne Siepenkothen als neue Kandidatin vorzuschlagen. Als "waschechte" Düsseldorferin kannte sie die Probleme der dort lebenden Menschen. Allerdings waren in diesem "roten Wahlkreis" die Chancen für den direkten Einzug ins Parlament gering. Auch der Listenplatz schien nicht viel Hoffnung auf ein Landtagsmandat zu geben. Doch zur eigenen Überraschung schaffte sie den Sprung in den Landtag. Nach erstem Liebäugeln mit dem Schulausschuß entschloß sie sich dann — als aktive Reiterin und Vorsitzende des Reitsportvereins Düsseldorf-Eller lag dies nahe — für den Sport- und eben auch für den Petitionsausschuß, wo "eben ein ganz besonderes Klima herrscht. Hier geht man freundlicher und kooperativer miteinander um." Die Kleinarbeit im stillen, so porträtierte die Lokalpresse Frau Siepenkothen, sei mehr ihre Sache als die großen Reden. Sie sei "eine gute Adresse für alle, die von einem Abgeordneten nicht Gesten, sondern praktische Hilfen erwarten".
    Oft ist aber der Weg zum Erfolg mühevoll, wie das Beispiel der Düsseldorfer Polizeiwachen zeigt. Über eine Petition wurde sie auf die Zustände in der Wache an der Tannenstraße aufmerksam, durchgerostete Leitungen, mangelhaft ausgestattete Umkleideräume, alte Schreibmaschinen, bröckelnder Putz, der Personalmangel, der besonders deutlich wurde, als die Politikerin an einer nächtlichen Streifenfahrt teilnahm. "Da sieht man erst, wie groß der Schutzbereich ist und daß es zu wenig Einsatzwagen gibt, weil es an Beamten fehlt. Dann merkt man hautnah, wie schlecht es um die personelle Situation bei der Polizei bestellt ist."
    Inzwischen haben sich die Zustände in den Wachen gebessert, allerdings nur ansatzweise, denn "heute sitzen die Mäuse im Sofa".
    Peter Kummer

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist der Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI920138

  • Porträt der Woche: Professor Dr. Friedheim Farthmann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 21 - 20.12.1991

    Die Sprache der Diplomaten, das Einpacken harter Sachen in Watte, das nichtssagende Geplauder oder das bewußt unscharfe Formulieren bei der Beschreibung durchaus ernstgemeinter und unverrückbarer Positionen sind seine Sache nicht: Friedhelm Farthmann sagt klar, verständlich für alle, die hören können und wollen, was er denkt und manchmal sogar, was er empfindet, wenn er von irgend etwas angerührt worden ist. Daß solches Verhalten nicht gerade ein Existenzbeweis für die stromlinienförmige, jede Ecke und Kante zudeckende Hülle des modernen Allerweltspolitikers ist, versteht sich von selbst. Aber so einer will er auch gar nicht sein. Dabei weiß er ganz genau, daß ihm die "Lust an provokativen Formulierungen", wie er selbst es nennt, schon "allzu oft Im Wege gestanden hat".
    Aber immer, wenn viele ihm schon prophezeiten, daß dieser oder jener Ausrutscher wohl das nahe Ende der Karriere bedeuten könnte, kam es doch ganz anders. Die Freunde, die Farthmann hat, sorgten dann mit ihrem Einfluß und ihrem Stimmverhalten dafür, daß es ganz anders kam, als die Unkenrufer vorausgesagt hatten. Jüngstes Beispiel: Farthmanns Wiederwahl zum Vorsitzenden der SPD-Mehrheitsfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, und dies für den Rest der Legislaturperiode bis 1995. Nicht nur die Wiederwahl allein war es, die überzeugte, sondern vor allem das Ergebnis. Nur ganze 13 Neinstimmen mußte der alte und neue Fraktionsvorsitzende hinnehmen. Wer also aus dem Schweigen der Fraktion anläßlich des Rau-Tadels für Farthmanns "Pensionärsliste" den voreiligen Schluß zog, jetzt hätten auch die Freunde in der Fraktion von ihm genug, muß sich revidieren.
    Daß Farthmann sich nicht schont und nicht schon vor jedem Satz, den er aussprechen will, überlegt, wie das wohl bei diesen oder jenen ankommen könnte, Ist ja nicht erst seit seinen jüngsten Interview-Äußerungen bekannt. Als in den 70er Jahren auf einem SPD-Landesparteitag in Münster der damalige Juso-Vorsitzende Wilhelm Vollmann den Ministerpräsidenten Heinz Kühn in rüdem Ton, den Sachverhalt souverän ignorierend, angriff, blieb die ganze SPD-Vorstandsriege auf dem Podium stumm. Keiner meldete sich zu Wort, offenbar wollte es niemand mit dem damals wesentlich stärker und einflußreicher als heute daherkommenden Parteinachwuchs verderben. Nach peinlichen Schweigeminuten meldete sich Farthmann, als Delegierter im Saal sitzend, zu Wort. Und dann bekam es Vollmann von dem empörten Farthmann knüppeldick. Was die Jusos über die Abfuhr für ihren Boß dachten, scherte Farthmann nicht Im geringsten. Eine Belohnung bekam der "Kumpel und Professor" (Kühn über Farthmann) von Kühn dafür nicht; er hat sie auch gar nicht erwartet. Als Farthmann unlängst mit seinen Interview-Äußerungen über eine Kabinettsumbildung Furore machte und den Vorwurf anhören mußte, er rede die Partei krank, kam das, was sein eigentliches Anliegen war, wie er versichert. In der Diskussion viel zu kurz. Ganz schuldlos daran war er zweifellos nicht; er hätte wissen müssen, daß Namen Nachrichten sind, die zu Spekulationen Anlaß geben und alles andere in den Hintergrund drängen können. Was ihn wirklich umtreibt, so sagt er, ist die Sorge, ob die SPD In allen Bereichen so gerüstet ist, daß sie 1995 in Nordrhein-Westfalen zum vierten Mal die absolute Mehrheit erringen kann. Im Programmatischen und In der Struktur der Partei sieht Farthmann Schwächen, die er abgestellt wissen möchte. Er selbst will als Fraktionsvorsitzender alles tun, daß er ein "ordentliches Erbe" hinterläßt, wenn 1995 ein anderer an seine Stelle treten sollte.
    Die "Zeit der großen Weichenstellungen" in der Politik ist vorbei, so sieht es Farthmann. Diese großen Weichenstellungen sind für Ihn die Entscheidung der Bundesrepublik für den Westen, die Marktwirtschaft und die Öffnung nach Osten. Diese "großflächige Politik" ist gestaltet. Jetzt stehen nicht die "qualitativen, sondern die quantitativen" Problemlösungen an. Dazu gehört Unpopuläres wie Emotionales. Das Unpopuläre ist mit materiellen Opfern für Landsleute und Nachbarn umschrieben, das Emotionale mit .Heimat in Europa'. Farthmann ist davon ebenso wie Rau überzeugt, daß gerade in einem immer mehr politische Gestalt annehmenden vereinten Europa die 'Region' als engere Heimat Bedeutung gewinnt. Mit ihr könnten sich die Menschen identifizieren, zu ihr hätten sie die gefühlsmäßige Bindung.
    Nach Farthmann hat die SPD weit und breit keinen besseren Mann als Rau, wenn es um die "Menschlichkeit in der Politik" geht. Wie kein anderer könne Rau die Wähler ansprechen, weil er auf ihre Akzeptanz für seine Politik Rücksicht nehme. Aber in der SPD sieht der Fraktionsvorsitzende Defizite. Ihre Struktur hindere die Partei oft daran, rechtzeitig zu erfahren, was die Bürger wirklich wollen. Meinungsumfragen seien ein nur unzureichender Ersatz für das direkte Gespräch. Diese Defizite müßten aufgearbeitet werden, und nicht nur in Vorwahlzeiten müsse man auf den Bürger unmittelbar zugehen, um neben "Gefiltertem und Hochgerechnetem" Klartext zu bekommen.
    Ist ein Mann, den solche Probleme neben der Alltagsarbeit als Fraktionschef beschäftigen, zufrieden mit dem, was er geworden ist? "Uneingeschränkt ja", lautet die Antwort. Nein, eine Karriere als Hochschullehrer hat den Honorarprofessor der Freien Universität Berlin nicht gereizt. Die Mutter, Gattin eines Lehrers in Farthmanns Geburtsort Bad Oeynhausen, habe gehofft, daß es "der Junge doch wenigstens zum Inspektor" brächte. Nun, es reichte zum Göttinger Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften, zum Universitätsassistenten in Heidelberg, Geschäftsführer des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zum Mitglied des Deutschen Bundestages, zum Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen und schließlich zum Fraktionsvorsitzenden im Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. "Voll zufrieden" ist der 61jährige mit dem, was er geworden Ist. Und nur noch eine Leidenschaft hat er neben der Politik, die Jagd. Ihr gehört die karge Freizeit.
    Karl Lohaus

    ID: LI912151

  • Porträt der Woche: Manfred Bruckschen (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 20 - 03.12.1991

    Der Mann ist eine Berühmtheit. Sein Name ist jenseits der Grenzen von Nordrhein-Westfalen geläufiger als der der meisten Minister im Kabinett Rau. Man kennt ihn weltweit. Im sowjetischen Fernsehen war er ebenso zu sehen wie auf den Mattscheiben in Frankreich oder in den USA: Und doch:. Manfred Bruckschen ist nur ein Hinterbankier im Düsseldorfer Landtag — wenn auch, wohl noch vor dem Dressurreiter Klimke, der bei der CDU nicht so recht aus dem Sattel kommt, der prominenteste.
    Den Ruhm hat er sich als Betriebsratsvorsitzender von Krupp in Duisburg-Rheinhausen erworben. Von seinen Kollegen bestärkt, manchmal auch gedrückt, hatte er hartnäckig und tapfer in der Sache, aber verbindlich in der Art, 1987/86 erfolgreich den Kampf der Rheinhausener Stahlkocher gegen die Stillegungspläne von Krupp'Chef Cromme organisiert, ohne ihn zu befehligen. So wurde der Name Bruckschen zu einem Synonym für gewerkschaftliche Gegenmacht gegen den blanken Marktkapitalismus.
    Der inzwischen 53jährige lebt von dieser Erinnerung, sie prägt sein politisches Bewußtsein. Und sie schmeichelt seinem Selbstbewußtsein. In jenen Kampftagen biederten sich ihm Deutschlands TV- und Pop-Lieblinge in Scharen an. Goetz George alias Kommissar Schimanski, der ihm am Tatort Duisburg manche fette Spende zukommen ließ, Katja Ebstein, der Ruhrbarde Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen, ARD-Moderator'Hans Joachim Friedrichs und viele andere. Sie alle hofierten ihn, manche schlössen mit ihm Freundschaft. Einer wie Bruckschen genießt das.
    Seine nahezu grenzenlose Popularität weiß er zu nutzen. "Ich kann anrufen, wen ich will,.die rufen alle zurück', sagt er stolz, Und derselbe Stolz ist herauszuhören, wenn er, nicht nur der Vollständigkeit seiner Erinnerungen halber, bemerkt, daß er im November 1997 länger als eine halbe Stunde auf einem Parteitag habe reden können /dürfen /wollen — vor den Delegierten der NRW-CDU, die In Duisburg tagten. Landeschef Norbert Blüm, der ihn geladen hatte, kam fast eine Stunde zu Spat. Ein solches Vorkommnis schildert der Sozialdemokrat und IG Metaller Manfred Bruckschen mit derselben unangestrengten Aufgeräumtheit wie seine Begegnungen mit führenden Politikern. Mit Kanzler Kohl etwa. Bruckschen ist davon überzeugt, daß die Kanzler- Runde über Hilfen für das Ruhrgebiet nie stattgefunden hätte, wenn es Rheinhausen nicht gegeben hatte. War nicht auch daran gedacht worden, ihn vor dem Bundestag reden zu lassen?
    Der Mann mit dem wohlgestutzten Vollbart und der großen Metallbrille, die ihm etwas Intellektuelles verleiht, was ganz und gar in Widerspruch zu seiner typischen Revier- Beredsamkeit steht, stammt aus einer sozialdemokratischen Familie. Seinen Vater warfen die Nazis ins KZ: Er hatte polnische und russische Zwangsarbeiter mit Essen versorgt. Sein Schwiegervater, auch ein "Roter", wurde 1935 von SS-Männern erschlagen. Das prägte und verlangte nach dem Krieg den demokratischen Neubeginn.
    Bruckschen trat 1955 als 17jähriger der SPD bei. Von 1956 bis 1963 war er Vorsitzender der Sozialistischen Jugend .Die Falken" in Rheinhausen, von 57 bis 77 Vorstandsmitglied der SPD im Ortsverein Rheinhausen, elf Jahre gehörte er dem Kreistag Moers an, zehn Jahre der Bezirksvertretung. 'Parallel dazu sein gewerkschaftliches Engagement: Nach Volksschule (1953) und Facharbeiterprüfung als Dreher (1956) zehn Jahre Krupp, seit 1966 Mitglied des Betriebsrates, seit 1984 als 1. Vorsitzender, jetzt 2. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates. Er trägt den Ehrenring der Stadt Duisburg.
    1987 — Bruckschen legt Wert darauf, daß es bereits im Februar war und nicht erst nach der Rheinhausen-Krise — meldete er seine Kandidatur für den Landtag an. Daß er sich schließlich gegen vier Mitbewerber durchsetzen konnte, hat natürlich mit dem Cromme-Coup und seinen Folgen zu tun. Jen würde lügen, wenn Ich behaupten wurde, der Arbeitskampf hat mir nicht geholfen", bekennt er ganz freimütig. Um gleich hinzufügen, daß sich .damals" viele um ihn rissen. Es habe sich »ganz gut gemacht für Politiker, sich mit dem Bruckschen fotografieren zu lassen", läßt er auf der Rechnung des gegenseitigen Nutzens quittieren.
    "Irgendwann ist der Arbeitskampf zu Ende", weiß Bruckschen. Dann müsse es auch ohne weitergehen. Und das heißt: .Ganz normal". Er mache seine Arbeit weiter. Er sitzt für die SPD im Wirtschaftsausschuß, in dem er Einfluß auf für das Land und die Region Duisburg wichtige Entscheidungen nehmen möchte. Da geht es immerhin um Kohle und Stahl. Weitergehende Ambitionen habe er nicht, sagt Bruckschen. Er wolle noch eine Legislaturperiode, also bis zum Jahr 2000, für seinen Duisburger Wahlkreis, den er 1990 mit über 57 Prozent der Stimmen holte, Im Landtag arbeiten. Und dann in den Ruhestand gehen. Solange aber will er auch noch als Betriebsrat und Gewerkschafter tätig sein. Und zwischendurch beim MSV Duisburg oder bei Schalke reinschauen, wenn er nicht auf dem Flugplatz ist, um seinem Hobby, der Segelfliegerei, zu frönen.
    Das ist aber Zukunftsmusik. Jetzt beschäftigt ihn, was Cromme — .Obwohl wir uns bekämpft haben bis aufs Messer, sind wir heute Freunde' — mit Krupp und Hoesch in Dortmund vorhat. Da steht die .Fusion im Raum". Die Betriebsräte von Krupp und Hoesch, versichert Bruckschen, werden sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.. Wir lassen da keinen Keil reintreiben", sagt er. Und erinnert daran, daß die vorhergegangenen Fusionen bei Krupp die Zahl der Arbeitsplätze um zwei Drittel auf 17000 verringert habe. Deshalb müsse in Sachen Krupp/Hoesch jetzt erst einmal ein Konzept auf den Tisch. Aber daß es ohne Arbeitsplatzverluste abgehen werde, glaubt auch der Optimist Bruckschen nicht.
    Bernd Kleffner

    (Das namentlich gekennzeichnete .Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI912068

  • Porträt der Woche: Hans-Dieter Moritz (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 19 - 19.11.1991

    Fine bürgernabe Politik mit Augenmaß zu machen, ist für Hans-Dieter Moritz der Leitfaden seines bislang fast drei Jahrzehnte langen Wirkens, ob in Gewerkschaft, Partei oder als Kommunalvertreter und Landtagsabgeordneter. Voraussetzung für ein solches Handeln ist für den Sozialdemokraten nicht nur der persönliche Kontakt zum Bürger, sind ferner die Verbindungen zu den örtlichen Vereinen und Verbänden. Zu dieser Bürgernähe gehört nach seiner Überzeugung auch, daß die Politiker sich erst vor Ort sachkundig machen, bevor sie im Parlament Entscheidungen treffen. So hat für den Neunkirchener die Landespolitik große Bedeutung, weil die im Düsseldorfer Parlament gefaßten Beschlüsse in der Regel erhebliche Auswirkungen auf die Kommunen und Kreise haben.
    Hans-Dieter Moritz, der aus einer Arbeiterfamilie stammt, wurde am 13. Januar 1940 im rheinland-pfälzischen Daaden geboren, berufsbedingt zogen seine Eltern bald nach dem siegerländischen Neunkirchen, wo er auch die Volksschule besuchte und später eine Bauschlosserlehre im Erzbergbau absolvierte, auf der Grube "Pfannenberger Einigkeit". Dort wählten die Lehrlinge den damals 16jährigen zu ihrem Jugendsprecher, anschließend übernahm er diese Aufgabe für den gesamten Konzern, die Erzbergbau Siegerland AG. Auf diesem Wege fand das heutige DGB- Kreisvorstandsmitglied schon in frühen Jahren Kontakt zur IG Bergbau und Energie, besuchte verschiedene Weiterbildungsseminare und Aufbaukurse und wurde anschließend Heimleiter der Gewerkschaft.
    Mit 21 Jahren trat der Neunkirchener der SPD bei, bereits zwei Jahre später wurde er Ortsvorsitzender — übrigens, bis zum heutigen Tage immer wiedergewählt. 1965 berief die Partei ihn auch zu ihrem Geschäftsführer in den Kreisen Olpe und Siegen-Wittgenstein. Mit dem Einzug in den Landtag 1985 mußte er sich von dieser hauptamtlichen Tätigkeit trennen. Wie viele seiner heutigen Parlamentskollegen ging Hans-Dieter Moritz zunächst aber durch die "kommunalpolitische Schule". Als 29jähriger wurde er in den Neunkirchener Gemeinderat gewählt, sogleich übernahm er den Vorsitz der dortigen SPD-Fraktion und wurde später stellvertretender Bürgermeister. Seit 1979 gehört der Sozialdemokrat auch dem Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein an, wo er dort die Fraktion führt.
    Sein Wirkungsbereich ist insbesondere die Verkehrspolitik. Erfolgreich setzte sich Hans-Dieter Moritz dafür ein, daß wichtige Ortsumgehungen in den Landesstraßenbedarfsplan aufgenommen wurden, und er engagiert sich heute im Kreistag für den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs. Dazu zählt für ihn ebenfalls der Ausbau der Ruhr-Sieg- sowie der Siegtal- Strecke der Bundesbahn. Das Schienenangebot müsse attraktiver werden, fordert der Politiker.
    Auch im Verkehrsausschuß des Landtages, dem er seit 1985 angehört, setzt sich der Siegerländer für den ÖPNV ein. So kann er es als ein persönliches Erfolgserlebnis werten, daß mit erheblichen Zuschüssen des Landes zum Jahresbeginn ein Pilotprojekt in der Region Siegen gestartet wurde, das Umwelt-Ticket. Dieses Programm, preisgünstige City-Karten von sechzig Mark für Einzelfahrgäste und von neunzig Mark für Familien, soll eine sinnvolle Ergänzung zum Individualverkehr bieten und damit ein "gesundes Miteinander" von privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen.
    Als Abgeordneter des waldreichsten Kreises in der Bundesrepublik gehört er auch dem Ausschuß für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz an. So initiierte der Sozialdemokrat 1989 eine Änderung des Landesforstgesetzes. Seitdem sind Kahlschläge auf mehr als drei Hektar zusammenhängender Waldflächen eines Besitzers innerhalb eines Jahres verboten. Die früheren teilweise massiven Abholzungen führten nicht nur zu nachhaltigen negativen Beeinträchtigungen der Ökologie und des Landschaftsbildes, auch die Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes für Mensch und Tier wurde gestört. Mit der damaligen Gesetzesnovelle habe man die große Mehrheit der Waldbesitzer, die vernünftig und verantwortungsbewußt handelt, nicht geschädigt, sondern geschützt, resümiert der Abgeordnete heute.
    Der große Aktionsradius des Vaters von zwei Jungen läßt in der knappen Freizeit kaum Raum für Hobbies. Das Hobby des SPD-Abgeordneten ist die Politik, die er engagiert und sachkundig betreibt.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI911939

  • Porträt der Woche: Dr. Michael Vesper (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 12.11.1991

    Wer er wirklich ist, läßt sich nicht leicht festklopfen. Manche in der eigenen Partei kritisieren ihn als Opportunisten. Andere rühmen ihn als Profi, der der Sache der Grünen im Landtag Schwung und Profil gibt. Aufgefordert, sich selbst zu definieren und seinen Standort in der Partei zu beschreiben, beginnt Michael Vesper mit einer Verneinung: Ein Masochist sei er nicht. Sich am eigenen Leiden zu ergötzen und politische Niederlagen als Beweis für die Blödheit der politischen Konkurrenz zu betrachten, die im Bewußtsein für das Nötige und Erforderliche noch nicht soweit sei wie er — das sei sein Verständnis von grüner Politik nicht. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag sagt vielmehr ganz trocken: "Ich will gewinnen. So oft wie möglich. Möglichst immer." Und weil auch er nicht frei von Eitelkeit ist, wurmt es ihn mächtig, wenn ihn ausgerechnet die Mehrheit in der eigenen Fraktion nach gelungenen Auftritten im Plenum deckelt und für eine Weile wieder in die zweite Reihe zurückschiebt. Doch Michael Vesper weiß auch, daß er das nicht besonders belastbare Geflecht der Animositäten und versteckten Neidhammeleien innerhalb der Fraktion für die eigene Karriere nicht über Gebühr belasten darf, wenn er nicht ins Abseits geraten will und schluckt solche Demütigungen — fast — klaglos. Mehr noch: Daß solch Häkeleien zwischen Mehrheit und Minderheit in der Fraktion gewöhnlich nicht an die Öffentlichkeit dringen, daß die Fraktion der GRÜNEN entgegen manchen Erwartungen und/oder Befürchtungen nach außen meistens geschlossen agiert, rechnet sich Vesper als das nicht geringste seiner Verdienste an. Sein Job als Parlamentarischer Geschäftsführer ist allerdings auch durch die Entwicklung innerhalb der nordrhein-westfälischen Grünen zumindest etwas leichter geworden. Denn die Gräben zwischen den Flügeln sind niedriger geworden. Es ragen nicht mehr nur die Waffen, es schauen vielmehr schon hier und da die Köpfe heraus. Vesper beteiligt sich an diesen Einebnungsarbeiten nach eigener Einordnung als Realo. Das war nicht immer so. Der 39jährige Soziologe, der mit einer Arbeit über die Strukturen der Homelands in Namibia promovierte, begann seine Karriere bei den Grünen in der einstigen Bielefelder Hochburg der Ökosozialisten. Selbstbewußt aber beharrt er heute darauf, daß er seiner politischen Linie immer treu geblieben sei. Nicht er, sondern seine einstigen grünen Weggefährten hätten ihren Standort geändert. Ob diese Sicht der Dinge ganz den Realitäten entspricht, mag dahingestellt sein. Fest steht jedenfalls, daß Vesper 1989 bei der Kandidatenkür der Grünen für die Landtagswahl mit den Stimmen der Ökosozialisten und der Realos auf den ersten "Männerplatz" der Liste gewählt wurde, ein Kunststück in einer Versammlung, in der die Nicht-Realos über eine breite Mehrheit verfügten. In der elfköpfigen Landtagsfraktion sind die Realos denn auch noch immer in der Minderheit. Daß ihn die Fraktion dennoch erst kürzlich wieder neben Bärbel Höhn zum gleichberechtigten Sprecher wählte, verbucht Vesper mit einem Anflug von Koketterie als Zeichen, daß auch bei den Grünen auf Dauer ordentliche Arbeit anständig honoriert wird. Daß er von Anfang an Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion wurde, war ohnehin unbestritten, hatte er diesen Job zuvor doch schon fast sieben Jahre lang ohne Mandat in der wesentlich chaotischeren Bundestagsfraktion der Grünen gemanagt. Heute betrachtet sich Michael Vesper als einen "Berufspolitiker auf Zeit", wobei er die Dauer dieser Zeit vielsagend offenläßt. Im Plenum des Landtags gehört er zu den wenigen Abgeordneten, die — fast — zu jedem Thema frei sprechen können und dabei noch mit der Aufmerksamkeit der eigenen Fraktion und der Konkurrenz rechnen können. Regelmäßige Beobachter der Debatten im Landtag wissen, daß das keine Selbstverständlichkeit ist. Vesper seinerseits weiß, daß es dem eigenen Image und der Karriere nicht schadet, wenn man die Medien nicht zu aufdringlich, aber sorgfältig pflegt, daß Diskretion zum Geschäft gehört und eine gelegentlich gezielte Indiskretion genauso — ein richtiger Profi eben. Wie sehr viele andere Grüne hat der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion eine tiefschwarze katholische Vergangenheit, ein sehr bürgerliches Elternhaus und — daraus resultierend? — einen offenen Sinn für die Freuden dieses Lebens. Nur Politik als Lebensinhalt, nein, das wäre dem Berufspolitiker Vesper zu wenig. Diesem stets spürbaren Mangel an berufsbezogener Verbissenheit ist es wohl auch zuzuschreiben, daß Vesper im Kreis der Parlamentarischen Geschäftsführer und Fraktionsvorsitzenden respektiert wird. Verläßlich, aber nicht von vornherein berechenbar — dieser nur scheinbar widersprüchliche Kurs des grünen Parlamentarischen Geschäftsführers hat ihm und der Fraktion bislang im Düsseldorfer Landtagsallerlei Achtung und Aufmerksamkeit verschafft. Michael Vesper genießt auch das. Manchen Neider stört das. Aber diese Freude am Job und am Erfolg und den damit verbundenen kleinen Annehmlichkeiten erscheint Vesper ehrlicher als die von manchen Abgeordneten zur Schau getragene Leichenbittermiene, ob der schier unerträglichen Last der Verantwortung für Nordrhein-Westfalen, der sich im Landtag alle 237 Frauen und Männer in Wahrheit doch nur zu gern unterworfen haben...
    Reinhard Voss
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI911856

  • Porträt der Woche: Ernst Walsken (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 17 - 22.10.1991

    Wer das bisherige politische Wirken des Solinger Diplom-Verwaltungswirtes Ernst Walsken bilanziert, wird dem oft geäußerten öffentlichen Vorurteil, die Sozialdemokraten könnten "nicht mit Geld umgehen", widersprechen. Für den SPD-Landtagsabgeordneten war das Gebot zur strikten "Ausgabendisziplin" schon in der Vergangenheit keine Worthülse. Als neuer Landesgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten — zusammen mit seinem Fraktionskollegen Bernhard Kasperek — dürfte er in diesem Bereich vor eine neue schwere Herausforderung gestellt werden. 1947 in Solingen geboren, besuchte Ernst Walsken nach der mittleren Reife die Höhere Handelsschule. Anschließend bei der Landesverwaltung tätig, wechselte er später zur SPD-Bundestagsfraktion und war dort einer der ersten Assistenten. Bereits mit 18 Jahren SPD-Mitglied, nahm er 1970 das Angebot des SPD-Bezirksverbandes Niederrhein an, dessen hauptamtlicher Geschäftsführer zu werden.
    Neben anderen ehrenamtlichen Funktionen in der Partei, war der Solinger auch zehn Jahre lang bis 1985 im Rat seiner Heimatstadt tätig. Die Wirtschaftsförderung war dabei der Schwerpunkt seines kommunalpolitischen Wirkens. Die SPD-Ratsfraktion wählte ihn zudem nach fünf Jahren zu ihrem Vorsitzenden. Mit den von ihm initiierten Forderungen an die Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), .endlich etwas zu tun" für den Umweltschutz und auch aus der Kernenergie auszusteigen, machte die Stadt Solingen bundesweit Schlagzeilen.
    Mit knapp vierzig Jahren, wo es nach seinen Worten "sinnvoll ist, sieb einer anderen Aufgabe zuzuwenden", bewarb sich Ernst Walsken 1985 für ein Landtagsmandat. Mit absoluter Mehrheit holte er übrigens auch fünf Jahre später den Wahlkreis 38, Solingen I, für die Sozialdemokraten. Gleich nach seinem ersten Einzug in das Düsseldorfer Landesparlament wurde der Solinger von seiner Fraktion in den gewichtigen Haushalts- und Finanzausschuß berufen, in den "sehr exklusiven Kreis", wie er heute meint. Und nach Ernennung des damallgen SPD-Finanzexperten Heinz Schleußer zum Finanzminister im Mai 1988, übernahm er in seiner Fraktion Verantwortung für die Personaletats der Landesministerien. Die Spannungen zwischen den öffentlich Beschäftigten sowie deren Interessenverbänden und dem relativ engen finanziellen Handlungsspielraum des Landes waren vorprogrammiert.
    Unter dem Druck der gespannten Finanzlage drängt der Sozialdemokrat auf eine kritische Prüfung aller Landesaufgaben und erwartet von der im Finanzministerium eingesetzten Kommission "hilfreiche Erkenntnisse ". Man müsse sich von allen Aufgaben trennen, die nicht "originäre Landesaufgaben" seien, fordert Ernst Walsken. So sieht er nicht ein, daß beispielsweise die Polizei sich mit der Aufnahme von Verkehrsunfällen mit Sachschaden beschäftigt. Das sollten die Versicherungen übernehmen. Auch sollten die Sportvereine eigenständig die Verantwortung für die Ordnung in den Stadien tragen, und die Fluggastkontrolle sollte dem Staat nicht länger aufgebürdet werden. .Wenn wir nicht genügend Personal haben und zusätzliche Stellen nicht finanzieren können, sollten wir nicht so tun, als könnten wir uns alles leisten", betont der SPD-Parlamentarier folgerichtig.
    Auch als Mitglied eines weiteren Parlamentsgremiums, des Kulturausschusses, sieht er sich in seiner Verantwortung für den sparsamen Umgang mit Landesmitteln verpflichtet. Während viele seiner Kollegen vor allem Forderungen stellen, verlangt der Solinger, erst einmal stärker zu definieren, "was Landes- und was Kommunalaufgaben im Kulturbereich sind". Bei knapper Landeskasse könne man es sich nicht länger leisten, daß der Kulturetat als "verlängerter Finanzierungsarm" der Städte und Gemeinden angesehen wird. So plädiert er dafür, die Förderung der Bibliotheken und Musikschulen zwar generell nicht einzuschränken, sie aber stärker auf die "Landesinteressen" hin zu untersuchen. Nach seiner Auffassung sei es effektiver, wenn beispielsweise das Land alle paar Jahre eine neue Bücherei finanziert, nicht aber laufend geringe Unterhaltungskosten zahlt. "Das macht für die einzelnen Bibliotheken nicht viel aus, landesweit sind es aber mehrere Millionen Mark."
    Nicht zuletzt dieser verantwortungsbewußte wie kritische Umgang mit Geld dürfte SPD- Landeschef, Ministerpräsident Johannes Rau, bewogen haben, den Solinger Parteifreund als Landesgeschäftsführer zu berufen. Seine Marschroute verriet er bereits: "Sparen und trotzdem Politik vermitteln." Der Sozialdemokrat, verheiratet, hat über seinen Vater, der Maler ist, Zugang zu den bildenden Künsten erhalten. Eine inzwischen stattliche Sammlung von Bildern insbesondere junger Künstler bekundet seine Liebe zur Malerei. Auch greift er gern zu einem Buch, am liebsten zu historischen Werken oder modernen Romanen. Doch die Politik läßt nicht viel Zeit für entspannende Lektüre. "Das merke ich am schmerzlichsten", gesteht Ernst Walsken bedauernd.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911763

  • Porträt der Woche: Johannes Gorlas (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 16 - 08.10.1991

    Der familiäre Hintergrund hat Johannes Gorlas, der sich heute noch als einen Linken bezeichnet, den Eintritt in die SPD nicht leichtgemacht. 1957 wagte der damals 23jährige den Schritt, Vater und Mutter haben — so erinnert sich der Landtagsabgeordnete aus Essen heute — das aufs schärfste mißbilligt. Johannes Gorlas stammt aus einem, wie er sagt, "stockkatholischen" Elternhaus. Die ältere Schwester, die inzwischen verstorben ist, schlug politisch nicht so aus der Familien-Art, sie wurde CDU-Mitglied.
    Gorlas berichtet, wie der Pastor zu Hause von der Kanzel gewettert hat gegen die jungen "Heinemänner", die Gefolgsleute von Gustav Heinemann und dessen später mißglückten Versuch, mit der GVP zu reüssieren. Als Gorlas merkte, daß es mit der GVP in der deutschen Politik nichts mehr werden würde, ging er zu den Sozialdemokraten — mit linkskatholischen politischen Positionen, wie er hinzufügt.
    Auf die Frage, ob er sich damals eine Mitgliedschaft bei der CDU hätte vorstellen können, zögert er ein wenig, sagt dann klipp und klar: "Diese Frage hat sich für mich mit der Wiederaufrüstungspolitik erledigt." Für ihn sei die SPD nie die große "Vorzeigepartei" gewesen. Er verweist auf seiner Meinung nach kritikwürdige Punkte in der langen Geschichte der Partei. Daß man nach der Revolution 1918 auf die alte autoritäre Beamtenschaft gesetzt hat, das habe ihm nie gefallen. Gorlas hätte es lieber revolutionärer gehabt. Die Wende zur Demokratie war ihm, dem Linken, nicht radikal genug.
    In der Partei beschritt er die sogenannte Ochsentour: Es begann mit der üblichen Arbeit im Ortsverein, vom Unterkassierer an aufwärts." 1975 wurde Gorlas in den Landtag gewählt, als Umwelt- und Landwirtschaftsexperte hat er sich einen guten Ruf erworben. Die Zeiten, in denen er sich vielleicht politisch allzu wichtig nahm, seien vorbei, sagt er: "Besser, man hält sich für einen Hinterbänkler, als wenn man sich fälschlich für einen großen Mann hält, wie das einige tun." Hier spricht Gorlas die kurze, knappe Sprache des Ruhrgebietsmenschen, zu denen er sich zählt und zu denen er sich hingezogen fühlt. In Gelsenkirchen wurde er geboren, später ging's über die Stadtgrenze nach Essen. Der Vater war Bergmann und entschied: "Mein Sohn Johannes kommt niemals unter Tage." Der Sohn arbeitete sich beruflich hoch, wie es laut Johannes Gorlas typisch ist für viele sozialdemokratische Lebensläufe: Facharbeiter, Ingenieur, Gewerkschafts-Engagement und dann Politik als Full-Time-Job.
    Aus dem Laboranten wurde der Chemieingenieur, der irgendwann dann in der Politik gelandet ist. In Stadträten hat Gorlas nie gewirkt. Ob er Landtagsabgeordneter bzw. Parlamentarier mit Leib und Seele sei? Gorlas winkt ab: "Ist mir ein bißchen zu hoch gegriffen." Hat er jemals daran gedacht, ein Regierungsamt anzustreben ? Die Antwort: "Nie ernsthaft daran gedacht, und jetzt würde es mich auch gar nicht mehr reizen." Den DGB-Kreisvorsitz in Essen hat er aus Gesundheitsgründen niedergelegt. Da habe man, findet er, in einem bestimmten Bereich Alleinverantwortung getragen, seinen Kopf allein hinhalten müssen. Als Nur-Abgeordneter fühlt er sich ein wenig unwohl, man entscheide eigentlich sehr wenig selbst, alles müsse in Gremien abgestimmt werden.
    Gorlas charakterisiert sich selber als sehr aufgeregten Menschen. In der ersten Urlaubswoche kommt er zum Leidwesen der Familie nicht richtig zur Ruhe. Dann bastelt er, weil er nicht einfach die Seele baumeln lassen kann —jedenfalls nicht in den ersten Ferientagen. Politik sei eben doch so etwas wie eine Droge, der Streß, der Streß...
    Fast selbstverständlich, daß ein innerlich so aufgewühlter Mensch wie Johannes Gorlas die Frage nach Freizeitvergnügen trocken beantwortet: "Freizeit findet nicht viel statt." Bücher, ja, die lese er, vor allem Sachbücher, während die Tochter ihm Krimis besorge. Insgesamt jedoch gelte: Es häuften sich die Bücher, die ungelesen im Hause herumstünden.
    Früher war die Familie begeistert auf Ferientour mit dem Camper, bis der bei einem Sturm zu Bruch ging. Damals sind Vater, Mutter, Tochter und Sohn weit unterwegs gewesen, zum Lago Maggiore, nach Spanien, Frankreich oder nach Dänemark. Mittlerweile lockt mehr das Wandern im Sauerland: "Wir sind bodenständiger geworden, aber vielleicht kaufen wir uns noch einmal ein Campmobil."
    Reinhold Michels

    ID: LI911658

  • Porträt der Woche: Gerhard Wächter (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 15 - 24.09.1991

    Herkunft, Beruf und Umgebung haben Gerhard Wächter mit dem ländlichen Raum fest verwurzelt. So sieht sich der CDU-Abgeordnete aus Wünnenberg-Helmern auch als Anwalt dessen Bewohner. Der heute 45jährige fordert für sie gleichwertige Lebensbedingungen — wirtschaftlich, sozial und kulturell — ein, wie in den städtisch geprägten Regionen.
    Im Kreis Paderborn geboren, besuchte Gerhard Wächter nach der Volksschule das Gymnasium; nach zweijährigem Bundeswehrdienst studierte er Volks- und Betriebswirtschaft an der Universität Münster. Während der Semesterferien halfen ihm In- und Auslandspraktika in Unternehmen und Behörden, sein Studium mitzufinanzieren. Anschließend wurde der Diplom-Volkswirt als Dozent für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an die Katholische Landvolkshochschule "Anton Heinen" in Hardehausen berufen. Ländliche Entwicklungspolitik war dabei sein Schwerpunkt. Auch heute noch als Landtagsabgeordneter lehrt er in zeitlich begrenztem Umfang an dieser Schule; nicht zuletzt deshalb, um selbst "vor Ort" praxisnahe Erfahrungen für seine Mandatstätigkeit zu sammeln.
    Der langjährige Diözesanreferent der Katholischen Landvolkbewegung im Erzbistum Paderborn trat 1971 der CDU bei und ist seitdem in mehreren Führungsämtern auf Orts- und Kreisebene tätig. Die parlamentarischen "Lehrjahre "absolvierte der Ostwestfale im Wünnenberger Stadtrat und Paderborner Kreistag. Als Nachfolger seines Parteifreundes Toni Schröder nominierten ihn die Delegierten einmütig 1990 zum CDU-Kandidaten für den Wahlkreis 117, Paderborn I, wo er im letzten Frühjahr mit einem deutlichen Wählervotum von 57,1 Prozent erstmals in den Düsseldorfer Landtag einzog. Die Fraktion berief ihren "Neuling "in den Verkehrs- und den Umweltausschuß.
    Der CDU-Abgeordnete sieht in einer bedarfs- und umweltgerechten Verkehrspolitik einen der Grundsteine für ein zukunftsorientiertes Nordrhein-Westfalen. Das Land im Schnittpunkt Europas müsse seine Chancen und Standortvorteile nutzen, die ihm die politische Öffnung des Ostens sowie der bevorstehende EG-Binnenmarkt bieten. Das gelte für alle Verkehrsträger. In einem neuen Verkehrskonzept sollte nach seiner Ansicht der öffentliche Nahverkehr mit seinen erwarteten starken Zuwachsraten ein Schwerpunkt sein. Ebenso entschieden lehnt der Christdemokrat allerdings eine "Verteufelung" des Autos ab.
    In der Umweltpolitik ist für Gerhard Wächter der Müll das gegenwärtig größte Problem. Die "Müll-Lawine" von jährlich 73 Millionen Tonnen müsse gestoppt werden. Dabei habe die Vermeidung von Abfällen in allen Bereichen die höchste Priorität. Und der unvermeidbare Restmüll müsse so entsorgt werden, daß alle denkbaren Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Natur auszuschließen seien. Weiter müsse die Recyclingquote weiter erhöht werden. Dazu zähle auch eine Optimierung der Abfallsortierung. Der CDU- Abgeordnete möchte Unternehmer wie Verbraucher stärker in die Pflicht nehmen. Die einen sollten im eigenen Interesse energiesparend produzieren, die anderen umweltbewußter kaufen. Angesichts des inzwischen hohen Standards der Umwelttechnologie zählt für Wächter zu einer umweltverträglichen Entsorgung auch die Müllverbrennung.
    Wenn Mandat und berufliche Tätigkeit es zulassen, widmet sich der heimatverbundene Ostwestfale den Vereinen. Nach der Kommunalreform 1975 hätten sie den drohenden Identitätsverlust der Dörfer aufgefangen und bildeten heute das Rückgrat der Ortsteile. Seine Vorliebe gilt dabei dem "runden Leder". Noch bis vor einem Jahr spielte der Abgeordnete als Rechtsaußen in der Altherren-Mannschaft des VfJ Helmern, jetzt zählt er zu den Stützen des FC Landtag. Dem Vater von zwei Kindern fiel im übrigen der Einstieg in das Landesparlament nach eigenem Bekunden "relativ leicht". Dafür nennt er das gute Fraktionsklima; aber auch Aufgeschlossenheit und Kontaktfreude des Paderborners mögen dazu beigetragen haben.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911545

  • Porträt der Woche: Dr. Eugen Gerritz (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 14 - 10.09.1991

    Eugen Gerritz ist ein kultivierter Mensch. Archäologie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte hat der 56jährige Sozialdemokrat aus Krefeld in München und Freiburg studiert. Später ging er in die Politik, da war er bereits Studienassessor. Kaum in den Landtag gewählt, wurde der Krefelder Ratsherr kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Der Kulturpolitik blieb er seither besonders eng verbunden. Er regt sich furchtbar über seine schlimmste politische Niederlage im Parlament auf, als im Etat 1981 die Landesmittel für Bibliotheken um 75 Prozent reduziert wurden: "Daran erinnere ich mich mein Leben lang."
    Noch heute spricht er von einem "kulturpolitischen Verbrechen", das allerdings in den Folgejahren wettgemacht worden sei. Der Kulturhaushalt NRW sei Jahr um Jahr gestiegen, 1989 gar um 17,5 Prozent. Für die Neunziger Jahre rechnet Gerritz realistisch damit, daß große Wachstumsraten für die Kultur nicht mehr zu erwarten sind. Auch dies liege an der Entwicklung in Deutschland: "Wir im Westen haben bei der Erhaltung von Kultureinrichtungen im Osten Verantwortung zu tragen, und das heißt, verdammt noch mal, auch Geld rüberzuschicken."
    Seit 20 Jahren ist Gerritz Jahr für Jahr in die frühere DDR gereist und hat nicht nur Kontakt zu den Kulturschaffenden gepflegt. Etwas bedrückt ihn, wenn er jetzt, nach der Wende, dorthin fährt. Es sei erschütternd festzustellen, daß etwa im Osten Berlins keine einzige der alten großen Buchhandlungen mehr existiere. Es werde nur noch "Minderware" der alten Bundesrepublik verschoben — sozusagen Konsalik im Dutzend billiger.
    Wie ist ein junger Lehrer aus einer katholischen CDU-Familie seinerzeit zur SPD gekommen? Der gebürtige Bitburger, der in Xanten am Niederrhein aufgewachsen ist, erinnert sich: Nicht so sehr das Programm der SPD, vielmehr deren Geschichte habe ihn fasziniert. Eine so alte Partei, und dann keinerlei Dreck am Stecken, was Mitverantwortung für Krieg und ähnliches angehe: das habe ihm imponiert. Als Eugen Gerritz 1964 SPD- Mitglied wurde, traf das offenbar Vater und Mutter tief. Die Mutter erklärte dem Sohn, sie wolle von nun an täglich für ihn beten. Der Sohn ließ sich nicht umstimmen. Nein, er kann sich auch heute nicht vorstellen, in der CDU zu sein, obwohl er Freunde in dieser Partei hat. Noch weniger behagt dem Sozialdemokraten mit konservativen Zügen die F.D.P. Sie sei ihm zu oberflächlich, laufe mit der "zerfledderten Fahne, genannt Liberalismus" umher, ohne zu begreifen, daß ohne soziale Flankierung das Liberale zu Manchester-Liberalismus verkomme.
    Ähnlich präzise äußert sich Gerritz über die Katholische Kirche und deren Ansicht zum Paragraphen 218. Er sei zehn Jahre lang Katholikensprecher der Fraktion gewesen, aber sein Verhältnis zur Katholischen Kirche sei beim Thema §218 ein "eher bestürztes". Die Kirche begebe sich mit ihrer Bewegungslosigkeit jeder Autorität, meint er. Es mache Sinn, gegen Abtreibung zu sein, dann müsse man aber auch ein positives Verhältnis zur Empfängnisverhütung haben.
    Er glaube, daß niemand in Deutschland, der im zeugungs- und gebärfähigen Alter sei, hier der Kirche folge. Wenn sie in einer solch zentralen Frage ihr Glaubwürdigkeit verliere, dürfe sie sich nicht wundern, daß die Gotteshäuser immer leerer würden. Schon 1987 hat der Krefelder überraschend verkündet, er werde zum Ende dieser Legislaturperiode im Landtag aufhören. Was er dann macht, möchte er nicht verraten. Vielleicht ein Buch schreiben? Wer weiß, aber sicher nichts Politisches. Überhaupt: Politische Bücher liest er nicht, die Sprache mißfällt ihm.
    Zu Hause stehen 5000 bis 6000 Bücher. Ohne Bücher könne er nicht leben, gesteht der feinsinnige Mann, der bei der Frage nach "Hobbys" zusammenzuckt. Das Wort mag er nicht, "Freizeitbeschäftigung" behagt ihm mehr. Sohn und Tochter meinten, er sei ein glücklicher Mensch, weil berufliche und private Interessen übereinstimmen. Ein Leben also für die Kunst? Nicht ganz: Er gehe auch zum Fußball und fahre gerne Rad, bekennt der Abgeordnete. Doch schnell ist er wieder beim Thema Kunst. In der Musik könne er eigentlich auf alles verzichten, nur nicht auf Bach. Und für die Beatles findet er ein gutes Wort: "Ich habe 15 Jahre gebraucht, um zu begreifen, daß die Beatles zu den musikalischen Höhepunkten dieses Jahrhunderts gehören."
    Reinhold Michels
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI911464

  • Porträt der Woche: Franz-Josef Balke (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 13 - 16.07.1991

    "Es ist schon ein Unterschied, ob man als Politiker Regierungsverantwortung mitträgt oder Oppositionsarbeit leisten muß." Seit er das Direktmandat im Gütersloher Wahlkreis 102 errang, hat Franz-Josef Balke ein neues Gefühl für Politik entwickelt. In seiner ostwestfälischen Heimat bestimmt der CDU-Politiker als Mitglied der Mehrheitsfraktionen im Verler Gemeinderat und Gütersloher Kreistag die Politik vor Ort mit. Im Landtag muß er mit den "harten Bänken der Opposition" vorlieb nehmen.
    Doch das ficht den 52jährigen Tischlermeister nicht an. Als Abgeordneter im Landesparlament hat er sich zwei Schwerpunkte für seine politische Arbeit vorgenommen. In erster Linie sieht er sich als Vertreter seines Wahlkreises, "denn dafür wurde ich gewählt", umreißt er den einen Teil seiner selbstgestellten Aufgabe. Zum anderen will sich Balke in den Dienst einer "verantwortungsvollen Politik" stellen. Das bedeutet für ihn, in die Arbeit seiner Fraktion — angesichts einer dritten oppositionellen Kraft in der neuen Legislaturperiode jetzt ohnehin schwieriger — seinen Sachverstand und seine immerhin zwanzigjährige politische Erfahrung einzubringen.
    Das alles wird allerdings, so Balkes eigene Einschätzung, eher "unauffällig" geschehen. Er hält nichts davon, sich unnötig in den Vordergrund zu spielen. Zuhören, sich erst sachkundig machen und in die parlamentarische Arbeit hineinwachsen, um ihr dann möglichst große Effizienz zu verleihen, ist seine Devise, nicht aber "Fensterreden in der Fraktion" zu halten. Sein Motto: "Wer hoch fliegt, kann tief fallen." Diese Unauffälligkeit entspricht auch seinem Prinzip, aus der Politik keinen Beruf zu machen. Selbst als er sich durch Veränderungen bei seinem Arbeitgeber im vergangenen Jahr zum Schritt in die Selbständigkeit entschloß, gab es für ihn zu keinem Zeitpunkt die Alternative, zum Berufspolitiker umzusatteln. Balke: "Die Sicherheit für meine Familie und mich kann nur in meiner beruflichen Arbeit liegen." So hat er bewußt die Bürde auf sich genommen, neben seinen Aufgaben auf kommunaler und Landesebene eine handwerkliche Vertriebsgesellschaft für Bauelemente aufzubauen.
    Zur Politik kam der gebürtige Paderborner "eher durch Zufall". Die Kolpingfamilie, der er seit über 25 Jahren angehört, überredete ihn 1970, den Vorsitz der Jungen Union (JU) in Verl zu übernehmen. Schon 1973 wurde er in den Kreistag Gütersloh gewählt. Die kommunalpolitische Arbeit als finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion prädestinierte ihn, der inzwischen zum stellvertretenden JU-Kreisvorsitzenden avanciert war, alsbald für ein zweites kommunalpolitisches Amt. 1975 begann seine erste Legislaturperiode im Gemeinderat von Verl, wo er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union bis zur Kommunalwahl 1990 Verantwortung trug. Sein zurückhaltender, deswegen aber nicht weniger effektiver Arbeitsstil in der Politik brachte ihm nicht nur in den eigenen Reihen Anerkennung. 1985 wurde Balke vom Kreistag Gütersloh zum stellvertretenden Landrat gewählt, 1988 schließlich übernahm er das Landratsamt. Als "Neuling" in der Landtagsfraktion — Balke zog als Wahlkreis-Nachfolger von Hubert Doppmeier, dem langjährigen wohnungsbaupolitischen Sprecher und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU, ins Parlament ein — kam es ihm nicht darauf an, sich sein Arbeitsfeld frei auszusuchen. Er hätte auch die eher "undankbaren", weniger auffälligen Aufgaben übernommen, in der Einsicht, daß sie nicht nur gemacht werden müssen, sondern auch wichtige Rädchen im Getriebe der Volksvertretung sind. Mit seinen Sitzen in den Ausschüssen für Städtebau und Wohnungswesen sowie für Haushaltskontrolle ist er jetzt in zwei Entscheidungsgremien präsent, die gerade in der heutigen Zeit wichtige politische Funktionen haben. Balke ist zudem für beide Bereiche kompetent, hat er doch in den vielen Jahren kommunalpolitischer Arbeit seine Schwerpunkte im Bauwesen und Planungsrecht sowie in der Finanzpolitik gefunden.
    Mit seinen politischen Aufgaben in Wahlkreis, Kommune und Landtag ist Balkes Arbeitszeit ausgelastet. Die Abstimmung der Termine vor Ort in Verl und Gütersloh mit den neuen Herausforderungen in Düsseldorf klappt, und auch -die Mandate ergänzen sich gut. Doch ganz ohne Einschränkung läßt sich die Mehrbelastung auch für Tischlermeister Balke nicht verkraften. Hatte er es noch bis in den Wahlkampf hinein geschafft, sich die Mittwochabende freizuhalten für "seinen" Kirchenchor in Verl, nach der Devise: "Mein Chorsingen lasse ich mir von niemanden nehmen!", mußte der musikantische Handwerker nun doch "klein beigeben". Langen Atem zu beweisen, ist dem Westfalen jetzt erst einmal wichtiger im Konzert der Politik.
    Sievert Herms

    ID: LI911352

  • Porträt der Woche: Dr. Bernhard Kasperek (SPD).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 12 - 09.07.1991

    Er sei nicht "von oben angeflogen" und auch kein Seiteneinsteiger, wie Bernhard Kasperek nicht ohne ein gewisses Selbstwertgefühl resümiert. Nach teilweise harten Lehrjahren brachte es der heute 39jährige Sozialdemokrat zum Dr. Ing., zum Vorsitzenden des 21000 Mitglieder zählenden SPD-Unterbezirks Recklinghausen und Landtagsabgeordneten. Seine Stimme hat Gewicht in Partei und Regierungsfraktion.
    In der oberschlesischen Revierstadt Hindenburg geboren, wuchs Bernhard Kasperek im "anderen", im westlichen Kohlegebiet auf. Nach Besuch der Volksschule in Westerholt begann er als 14jähriger eine Schlosser- und Installateurlehre. Schon während der Ausbildungszeit besuchte er die Fachoberschule und setzte später sein Studium in Versorgungs-/Sicherheitstechnik an der Fachhochschule Münster sowie der Gesamthochschule Wuppertal fort. Während all dieser Jahre wurde gleichzeitig »praktisch" gearbeitet, um ein paar Mark dazuzuverdienen. So finanzierte er beispielsweise sein zweites Studium als selbständiger Handwerker.
    Nach der wissenschaftlichen Assistentenzeit an der Fernuniversität Hagen und der Gesamthochschule Wuppertal, wechselte der Sozialdemokrat für fast drei Jahre in den Bergbau, um sich der Sicherheitstechnik über und unter Tage zu widmen. arbeit menschlicher, sicherer und umweltverträglicher zu machen", lautete seine Devise, die er auch heute bei den Chemischen Werken Hüls AG zu realisieren versucht.
    Der Berufsweg führte den promovierten Ingenieur schon früh zu den Jungsozialisten und bereits als 19jährigen in die SPD. Die Partei wurde schnell auf ihr engagiertes Mitglied aufmerksam: 1975 wurde er in den Hertener Stadtrat gewählt und mit 22 Jahren gleichzeitig jüngster Kommunalvertreter in Nordrhein-Westfalen. Galt im Stadtparlament zunächst sein Interesse der Jugend- und Sozialpolitik, so rückten dann die Bereiche Wirtschaft und Umwelt in den Vordergrund der kommunalen Aktivitäten des späteren SPD-Fraktionsvorsitzenden. Er rief in dieser Problemregion die Initiative Emscher-Lippe ins Leben und organisierte öffentliche Gespräche zwischen seiner Partei sowie Vertretern der Wirtschaft und Gewerkschaften.
    Nach 16 kommunalpolitischen »Lehrjahren" kandidierte Bernhard Kasperek 1990 für die SPD im Wahlkreis 81 — mit den mehr als 14000 Bergleuten "Kohle-Wahlkreis" schlechthin, und verbuchte satte 55,8 Prozent. Mit den Problemen dieser Menschen eng verbunden, sieht er die Kohle auch künftig als gewichtige heimische Energiebasis und regionalen Wirtschaftsfaktor. Trotzdem verschließt er sich nicht der erforderlichen Umstrukturierung der Emscher-Lippe-Region, die aber nur schrittweise und sozialverträglich erfolgen dürfe. Als Landtagsabgeordneter sieht sich der Sozialdemokrat auch als Interessenvertreter dieses Raumes, wo er jetzt in Düsseldorf die bisherigen Schwerpunkte seiner Sachpolitik fortsetzen könne: Umwelt-, Wirtschafts-, Struktur- und Kohle/Energiepolitik.
    Für den Vorsitzenden des mit 21000 Mitgliedern zweitgrößten SPD-Unterbezirks sind Integration und Öffnung der Partei zwei Hauptanliegen. Der Mitverfasser des Modernisierungspapiers des SPD-Landesvorstandes ficht für eine SPD, die "offen, attraktiv, kompetent, handlungs- und mehrheitsorientiert, sozial- und ökologisch ist, mit zwei Worten: moderne Volkspartei". Sein Naturell hilft Bernhard Kasperek auch dabei, zwischen den Parteiflügeln auszugleichen. "In einer immer differenzierter werdenden Gesellschaft müssen wir zusammenhalten, um mehrheitsfähig zu bleiben."
    Vielseitig wie sein politisches Wirken sind auch die Interessen des "Privatmanns" Bernhard Kasperek: Sie reichen vom Kochen über moderne Malerei bis zum Bergwandern. Auch dabei zählt Ausdauer zu einer der Tugenden des Herteners.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911258

  • Porträt der Woche: Regina van Dinther (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 11 - 18.06.1991

    Regina van Dinther aus Wetter an der Ruhr gehört zur Riege der jungen und ehrgeizigen Frauen, die gleich zu Beginn ihrer Landtagsarbeit vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Helmut Linssen mit Führungsaufgaben bedacht wurden. Die 32jährige weist mit spürbarem Stolz darauf hin, daß sie nicht irgendwo in den hinteren Reihen, sondern in der zweiten Reihe im Plenum ihren Platz habe. Die Diplom-Ingenieurin für Bekleidungstechnik ist frauenpolitische Sprecherin der größten Oppositions- Fraktion; in dieser Eigenschaft ist sie im ganzen Land unterwegs.
    Manche Frauen, so klagt Frau van Dinther, hätten immer noch Hemmungen, Führungsaufgaben wahrzunehmen. Sie hingegen betrachte es als ganz normal, wenn Frauen in herausgehobener Funktion wirkten. Sie gesteht, auch überhaupt kein schlechtes Gewissen zu haben gegenüber Männern, die sich angesichts des Vormarsches der Politikerinnen vielleicht hintangesetzt fühlen. "Ich habe schon zehn Jahre intensiv für die Partei gearbeitet, davon acht Jahre als eine der wenigen weiblichen Kreisvorsitzenden der Jungen Union."
    Bei der Jungen Union hat die junge Abgeordnete ihren Mann kennengelernt, einen Wirtschaftswissenschaftler, der momentan vor dem zweiten juristischen Staatsexamen steht. Die Arbeit im Landtag betrachtet sie als ihren neuen Beruf; als Assistentin des Betriebsleiters sei es ihr in ihrem erlernten Beruf schnell aufgegangen, daß Frauen es im Arbeitsleben immer noch viel schwerer hätten als ihre männliche Kollegen. Frauen müßten ehrgeiziger sein, um das gleiche zu erreichen wie Männer, behauptet sie.
    Regina van Dinther legt jedoch Wert darauf, nicht als kühl kalkulierendes "Karriereweib" mißverstanden zu werden. Nie hätte sie unverheiratet bleiben wollen, um Karriere zu machen. Und auch die Mutterrolle nimmt sie mit Selbstverständlichkeit an. Die noch nicht ein Jahr alte Tochter wird von ihrer Zwillingsschwester in Wetter mitversorgt. Aus dem Ruhrgebiet will sie nicht weg. Dort leben die Verwandten, die Freunde. Sie sei sich mit ihrem Mann darin einig, daß selbst ein lukratives Angebot die Familie nicht fortlocken könnte aus der Heimat: "Ein paar Mark mehr oder weniger — was hat das mit Lebensqualität zu tun?" 1978 kam Regina van Dinther zur CDU. Als Grund für die Entscheidung nennt sie unschöne Schulerlebnisse. Linke Lehrer hätten ihr, der Tochter eines selbstständigen Handwerksmeisters, oft zu verstehen gegeben, sie sei ja eigentlich auch ein Kapitalisten-Sprößling. Der Ärger saß tief: Die Eltern hätten hart arbeiten müssen, zu Hause habe man auch manchmal verzichten müssen, und dann solch ungerechte Anspielungen!
    Schon bei ihren ersten Schritten in der Politik entdeckte van Dinther ein Thema, das sie heute noch sehr bewegt und beschäftigt: Die Problematik des Paragraphen 218 und den Schutz des ungeborenen Lebens. Sie vertritt eher konservative Positionen, wehrt sich aber ebenso entschieden gegen Sexualvorstellungen der Kirche wie einer Abtreibungs-Beliebigkeit, wie sie den Grünen vorschwebt. Das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau dürfe nicht im Vordergrund stehen, es sei durch das andere, das werdende Leben, eingegrenzt. Sie tendiert zum Vorschlag von Rita Süssmuth, der eine Straffreiheit bei Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche vorsieht, sofern sich die Frau zuvor einer Beratung unter-' zogen hat. Von ihrer katholischen Kirche, der sie sehr verbunden ist, erwartet sie einen Dialog und die Bereitschaft, neue Antworten zu suchen auf Fragen nach der Sexualität. Die strenge Sexualmoral des Papstes mißfällt ihr: "Gott hat uns Menschen schließlich nicht mit Sexualität ausgestattet, weil das was Schlimmes ist."
    Ihre politischen Vorbilder in der CDU gehören sämtlich zum sogenannten fortschrittlichen Parteiflügel: An erster Stelle nennt die 32jährige den früheren Generalsekretär Heiner Geißler, dann den ehemaligen CDU-Chef von NRW, Kurt Biedenkopf, und Rita Süssmuth. Über Helmut Kohl spricht sie anerkennend von der "Leistung" des Kanzlers. Die Qualitäten ihrer Fraktionsumgebung im Landtag möchte sie noch nicht beurteilen, dazu sei sie noch nicht lange genug dabei. Sie räumt ein, daß es für die CDU schwierig sei, "in der Opposition Stars zu entwickeln".
    Am historischen Abend vor der Wiedervereinigung war Regina van Dinther zunächst in der Kirche; anschließend wurde im großen Kreis gefeiert. Eine emotionale Beziehung zum vormals anderen Teil Deutschlands hatte sie nach eigenem Bekunden schon lange. Sie erinnert an zahlreiche Protestaktionen der Jungen Union an der Mauer. In Turnhallen habe man damals in West-Berlin übernachtet. Ihr Hobby ist Singen. Seit Jahren gehört sie einem Chor an, bei dem auch Behinderte mitwirken. Als politisches Credo gilt der jungen Frau der Satz Geißlers, wonach die Menschen spüren müßten, daß es bei einer CDU-Regierung gerecht zugehe im Lande.
    Reinhold Michels

    ID: LI911156

  • Porträt der Woche: Stefan Frechen (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 10 - 04.06.1991

    Einen seiner beiden parlamentarischen Tätigkeitsbereiche hat die SPD-Fraktion zum Schwerpunkt dieser Legislaturperiode erklärt — das andere Wirkungsfeld rückt in Anbetracht der gesellschaftlichen Veränderungen und der deutschen Einheit zwangsläufig in den Vordergrund: Stefan Frechen, SPD-Abgeordneter aus Neukirchen-Seelscheid, ist innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und widmet sich außerdem der Haushalts- und Finanzpolitik.
    So hat das Mitglied des Fraktionsvorstandes das Fünf-Punkte-Programm und die Große Anfrage der Sozialdemokraten zur inneren Sicherheit maßgeblich mitinitiiert. Der gebürtige Bonner, Jahrgang 1936, räumt denn auch ein, daß aufgrund der in der Vergangenheit drängenden Arbeistlosen- und Strukturprobleme andere Bereiche, wie die innere Sicherheit, finanziell zu kurz kamen. So müsse jetzt die Polizei auf allen Ebenen kontinuierlich und nachhaltig personell verstärkt sowie mit modernen Informations- und Kommunikationstechniken ausgestattet werden. Auch die Unterbringungsverhältnisse der Polizeibeamten seien teilweise sehr schlecht.
    Die SPD-Fraktion habe sich bis 1995 zum Ziel gesetzt, die Polizei in Nordrhein-Westfalen so auszurüsten, auszubilden und personell zu verstärken, daß sie ihre Aufgaben effizient und bürgernah wahrnehmen könne. Die Bürger haben eine Anspruch darauf, daß der Staat sie wirksam vor Gewalt und Kriminalität schützt, betont ihr innenpolitischer Sprecher.
    Bei seinem zweiten Wirkungsbereich sieht Stefan Frechen aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen immer mehr Forderungen auf die öffentlichen Haushalte zukommen. Als Beispiele nennt er den Kindergarten-, Schul-, Hochschul- und den Umweltbereich. Die Haushalte von Land und Kommunen seien aber angesichts dieser Herausforderungen überfordert. Daher sei eine Neuverteilung der Gelder zwischen Bund, Ländern und Kommunen dringend erforderlich. Der Sozialdemokrat verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß der Bund sich kraft seiner Gesetzeskompetenz finanzieren kann — "er erhöht bei Bedarf die Steuern". Entsprechend ihres Aufgabenzuwachses müßten daher die Länder und Gemeinden an den Gesamteinnahmen des Staates stärker partizipieren.
    Der SPD-Abgeordnete wurde aufgrund seines beruflichen und kommunalpolitischen Werdeganges mit diesen Problemen schon in der Vergangenheit konfrontiert. Nach bestandenem Abitur studierte er Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Bonn, Köln und Paris. Nach dem Diplomexamen waren die Verwaltungen des Erftkreises und des Landschaftsverbandes Rheinland Etappen seines beruflichen Weges. In den 70er Jahren engagierte er sich beim Aufbau der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln und leitete später dieses Institut. Nach der Wahl in den Landtag 1985 mußte er entsprechend dem Abgeordnetengesetz seine Kölner Tätigkeiten aufgeben.
    Auch in der Kommunalpolitik engagierte sich der Rheinländer. Seit 1975 gehört er dem Kreistag Rhein/Sieg und seit 1979 dem Gemeinderat von Neunkirchen an. In beiden Parlamenten ist Stefan Frechen Fraktionsvorsitzender der SPD. Regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik sind die Schwerpunkte seines kommunalen Wirkens.
    Relativ spät, mit 35 Jahren, trat er der SPD bei — und eher zufällig. Nach dem Wohnungswechsel nach Neunkirchen suchte der Vater von drei Kindern damals vergeblich nach Kindergartenplätzen. Daraufhin gründete er mit einer Anzahl weiterer Eltern eine alternative Kindertagesstätte. Unterstützung fanden die Eltern in ihrem erfolgreichen Bemühen bei der Evangelischen Kirche und dem SPD-Ortsverein. So wurden die ersten Kontakte zu den Sozialdemokraten geknüpft. Vor der Landtagswahl 1985 ermunterte die Partei Stefan Frechen im Wahlkreis Rhein-Sieg l zu kandidieren — einer Domäne der Christdemokraten. Überraschend gelang es ihm auf Anhieb, den Wahlkreis erstmals für die SPD zu holen; auch fünf Jahre später, 1990, setzte er sich gegenüber seinem CDU-Mitbewerber durch. Engagement gepaart mit großer Sachkompetenz brachten dem Sozialdemokraten einen vorderen Platz in den Reihen der Mehrheitsfraktion.
    Trotz vielfältiger Aktivitäten hat sich Stefan Frechen von der Politik nicht ganz ,vereinnahmen" lassen. So ist der Vater von inzwischen vier Kindern ein regelmäßiger Besucher von Konzerten und ein sachkundiger Gast vieler Ausstellungen insbesondere zeitgenössischer Kunst. Schließlich ist die Bretagne sein bevorzugtes Urlaubsziel.
    Jochen Jurettko

    ID: LI911048

  • Porträt der Woche: Michael Ruppert (F.D.P.)
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 14.05.1991

    Mit 15 Jahren schon sei er politisiert worden, erinnert sich Michael Ruppert an die Zeit, als der F.D.P.-Bundesvorsitzende noch Erich Mende hieß und der Bundeskanzler noch Konrad Adenauer. Damals, 1961 bei der Bundestagswahl, fand der junge Ruppert Gefallen an der F.D.P. 1968, er war Student der Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Bochum, trat der in Wuppertal-Elberfeld geborene Ruppert in die F.D.P. ein. Männer wie Dahrendorf und Scheel, Frauen wie Hamm-Brücher — aber vor allem Hans-Dietrich Genscher — hatten ihn stark beeindruckt. Genscher, der seinen Wahlkreis seit 1965 in Wuppertal habe, halte er auch heute noch für unverzichtbar für die Liberalen: "Ihn wünsche ich mir noch etliche Jahre als die in unserer Parteisatzung eigentlich nicht vorgesehene Leitfigur."
    Bei Namen wie Jürgen Möllemann oder Otto Graf Lambsdorff formuliert der Landtagsabgeordnete erheblich zurückhaltender. Möllemann wisse, daß er bestimmte Dinge nicht "überdrehen" dürfe, er, Ruppert, gehe im übrigen davon aus, daß keineswegs schon alle in der F.D.P. in Möllemann den künftigen Bundesvorsitzenden sähen. Wohl sei Möllemann momentan der sichtbarste Kandidat für die Lambsdorff-Nachfolge an der Spitze der F.D.P. Bei der Frage nach Lambsdorffs Qualitäten weicht Ruppert zunächst aus, indem er wieder über Genschers Fähigkeiten und dessen "enormes politisches feeling" schwärmt. Etwas später dann immerhin der Satz: "An Lambsdorff hat mir immer gefallen, wie kurz und knapp er politische Fragen beantwortet." Doch gerade hierin liege wohl auch ein Problem: Je klarer man sich in der Politik äußere bzw. festlege, um so größer sei die Gefahr, daß man sich hernach korrigieren müsse.
    Im Landtag, dem Ruppert seit 1985 angehört, war der Freidemokrat fünf Jahre lang umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Wie beurteilt er diese Zeit, hat er etwas erreicht? In der Opposition, meint der F.D.P.-Mann mit einem Anflug von Resignation, lerne man Bescheidenheit, was das Erreichen von Zielen angehe. Er, der seit der letzten Wahl kommunalpolitischer Sprecher der F.D.P. im Landtag ist, widmet sich seinem neuen Betätigungsfeld auch deshalb so gerne, weil er aus praktischer Erfahrung schöpfen kann: Ruppert ist F.D.P.-Fraktionschef im Wuppertaler Stadtrat. Zur Kommunal-Verfassungsreform gefallen ihm weder die Vorschläge von Innenminister Herbert Schnoor noch die Positionen der CDU. Die F.D.P. sei zwar für einen gestärkten politischen verwaltungschef in den Kommunen, das heißt für die Abschaffung der Doppelspitze, aber auch der Rat sollte in Anlehnung an die Landesparlamente und den Bundestag einen Präsidenten haben. Zur Rolle der F.D.P. im Landtag äußert sich Ruppert vorsichtig bis selbstkritisch. Der Einzug der Grünen ins Düsseldorfer Parlament wirke sich schon aus: "Vor fünf Jahren waren wir alleine Hecht im Karpfenteich." Die Grünen nähmen den Liberalen ein bißchen die Aufmerksamkeit weg, die F.D.P. müsse deshalb über die eigene Rolle im Landtag mehr nachdenken. Seine Devise laute: Realitätsbezogen, seriös und glaubwürdig arbeiten und argumentieren, denn was die F.D.P. mache, müsse auch dann Bestand haben, wenn es dafür eine politische Mehrheit gäbe.
    Natürlich glaubt er, daß 1995 die Chance besteht, die politischen Gewichte im Land NRW zu verschieben. Daß dies nicht völlig undenkbar sei, habe sich doch am 13. Mai 1990 gezeigt, meint Ruppert. Der Freidemokrat, der als Student in Bochum einmal zusammen mit Ingo von Münch einen Freidemokratischen Hochschulverband ins Leben gerufen hat, um gegen die vereinigten Linken zu protestieren, war nach der Hochschulzeit zunächst Journalist mit dem Schwerpunkt Sport. Sport spielt bis heute eine wichtige Rolle in seinem Leben. Seit über 20 Jahren ist er aktiver Fußballer, fast ebenso lange spielt er Tennis zu Hause in Wuppertal, dem Wuppertaler SV gehört er als Verwaltungsrats-Mitglied an. Zusammen mit seinem erwachsenen Sohn (Chemiestudent) besucht Michael Ruppert die Eishockeyspiele der Düsseldorfer EG. Er sei Fan und Dauerkarteninhaber, gesteht er.
    Reinhold Michels

    ID: LI910952

  • Porträt der Woche: Norbert Giltjes (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 8 - 30.04.1991

    Die Politik interessiert ihn nach seinen Worten schon von "Kindesbeinen an". Die ersten Lebensjahre von Norbert Giltjes, Jahrgang 1942, prägten stark sein späteres politisches Engagement: Sein Vater fiel im Krieg, seine Heimatstadt Emmerich wurde durch Bombenangriffe zerstört, und ein enger Freund seiner Familie, Kaplan Theodor Storm, starb im Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Der heutige CDU-Landtagsabgeordnete wuchs in einer politisch interessierten Umgebung auf, die nach Kriegsende sich die Frage stellte, wie der neue demokratische Staat aufgebaut werden solle und die dann selbst Hand anlegte.
    So schloß sich Norbert Giltjes schon in frühen Jahren einer politischen Jugendorganisation an, der Jungen Union, wurde bald darauf Orts- und dann Kreisvorsitzender. Zur selben Zeit absolvierte er das Gymnasium in Emmerich und studierte anschließend Pädagogik und Geschichte an der münsterischen Universität. Zunächst Lehrer an einer Volks- bzw. Hauptschule, wurde er nach dem Zweiten Staatsexamen ins Lehrer-Studienseminar in Emmerich berufen und 1970 dann dessen Leiter. 1984 avancierte der Niederrheiner zum Schulrat beim Düsseldorfer Schulamt, wo er die Aufsicht über vierzig Schulen übernahm. Heute ist er als Schulamtsdirektor wegen seiner Mandatsübernahme vom Dienst freigestellt.
    Parallel zur beruflichen Tätigkeit engagierte sich Norbert Giltjes in der CDU und für seine Heimatstadt. Bereits 1969 wurde er Ratsmitglied und seit 1979 ist er Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion. Zwischendurch, 14 Monate lang, war der Christdemokrat Bürgermeister, bei der letzten Kommunalwahl 1989 fehlten seiner Partei genau 185 Stimmen, um wieder den "ersten Bürger" stellen zu können. Finanzen, Wirtschaftsförderung und natürlich der Schulbereich sind die Schwerpunkte seines kommunalpolitischen Wirkens.
    Der stellvertretende Vorsitzende des CDU- Kreisverbandes Kleve gewann 1990 den Wahlkreis 61 Kleve II wieder für die Union, wie zuvor schon mehrere Male sein Parteifreund und frühere Landtagsabgeordnete Gert Brock. Die Fraktion berief den Niederrheiner in den Schulausschuß sowie als stellvertretendes Mitglied in den Haupt- und kommunalpolitischen Ausschuß. Er ist auch Obmann der Fraktion für Europafragen.
    Als Kenner der Sorgen der Grenzregion plädiert der Emmericher für eine mittel- und langfristige Strukturhilfe für diesen Raum, um die unmittelbaren Nachteile nach Einführung des EG-Binnenmarktes 1993 auszugleichen. Am Beispiel der dort zahlreich ansässigen Zöllner und Spediteure weist er daraufhin, daß viele Bewohner derzeit "von der Grenze leben". Überhaupt müsse das Land nach seiner Auf fassung mehr Verantwortung gegenüber den Kommunen zeigen und sie an seinen Einnahmen angemessen beteiligen. Das Gemeinde finanzierungsgesetz 1991 trage dieser Verantwortung keine Rechnung.
    Als Lehrer mit den Problemen der Schule vertraut, plädiert er für eine größere Autonomie der Schulen. Ihnen müsse mehr Gestaltungsspielraum zugebilligt werden, was natürlich auch die Pädagogen selbst zu größerer Verantwortung verpflichten würde. Der CDU-Abgeordnete ist ein entschiedener Befürworter einer Verkürzung des Weges zur Hochschulreife um ein auf zwölf Jahre. Sie würde den Jugendlichen mehr Chancen im beruflichen Wettbewerb mit den anderen Europäern geben. Die jungen Menschen erreichten erst mit durchschnittlich 28 Jahren den Hochschulabschluß. Damit werde ihnen auch lange die Chance vorenthalten, ihr Leben selbst zu gestalten und in Beruf wie Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen.
    Norbert Giltjes macht es nach seinen Worten "Spaß", in einer sehr kollegial eingestellten Fraktion zu arbeiten. "Viele neue Abgeordnete müssen wie ich erst Erfahrungen sammeln, was den eigenen Start erleichtert." Der Vater von zwei Kindern empfindet die Abgeordnetentätigkeit denn auch als ein Hobby, wo man sehr viel dazulernen könne. Und anspielend auf die Diäten meint der Niederrheiner, "wer gut bezahlt wird, muß auch gute Leistungen bringen". So kümmert er sich intensiv um den eigenen Wahlkreis, hält Bürgerstunden ab und erkundigt sich bei seinen Gängen durch die Ortsteile vor der Haustür nach den Alltagssorgen der Bewohner.
    Jochen Jurettko

    ID: LI910848

  • Porträt der Woche: Maria Theresia Opladen (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 7 - 23.04.1991

    Natürlich war Maria Theresia Opladen von der CDU am Wahltag, 13. Mai 1990, in aller Munde. Sie hatte der SPD den Wahlkreis Bergisch-Gladbach abgenommen, gar den sich haushoch überlegen dünkenden damaligen Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen geschlagen. Frau Opladen bekam zwar nur 209 Stimmen mehr als Jochimsen, aber die Sensation war perfekt im Rheinisch-Bergischen. "Ich bin eben — anders als der Wirtschaftsminister es war — in Bergisch-Gladbach verwurzelt, bin dort bekannt, zur Schule gegangen, war ortskundig und wußte stets, worüber ich mit den Leuten redete." So versteht die Rechtsanwältin, die in einer Kölner Kanzlei bislang vier Stunden vormittags arbeitete ("Meinen Beruf werde ich wohl jetzt weitgehend drangeben"), politische Arbeit: Engagement vor Ort, Sorgen und Nöte der Bürger unmittelbar erfahren und dann möglichst schnell helfen.
    Sie habe gar nicht unbedingt in die Landespolitik gewollt, sagt die junge Mutter (Jahrgang 1948) von drei Kindern zwischen 16 und elf Jahren. Die CDU, der sie seit 1969 angehört und für die sie seit 1983 im Rheinisch-Bergischen Kreistag wirkt, sei an sie herangetreten. Natürlich habe sie ihren Mann, einen Studiendirektor für Mathematik und katholische Religion, um Rat gefragt. Der habe gemeint, sie müsse die "einmalige Chance" wahrnehmen.
    Frau Opladen, die sehr selbstbewußt wirkende Tochter des früheren Bundesinnenministers Paul Lücke (CDU), bekennt sich zur Frauenpolitik. Frauen hätten es in Politik und Beruf immer noch schwer, würden kritisch beäugt nach dem Motto: Kann die das, was hat die für Beine? Sie ist überzeugt, daß Frauenpolitik solange nötig ist, solange die Repräsentanz von Frauen in Politik und Gesellschaft noch nicht selbstverständlich ist. Sie könne sich wenig beklagen, habe als Tochter aus einer bekannten Politiker-Familie, als Anwältin vergleichsweise gute Startmöglichkeiten als Frau gehabt.
    Fast mehr noch als die Frauenpolitik interessiert sich die neue CDU-Abgeordnete für den Umweltschutz — nach ihrer Ansicht ein geradezu klassisches Thema für eine im besten Sinne konservative Partei wie die Union. Es dürfe nicht sein, daß sich die CDU im Zweifel für Wirtschaftsinteressen entscheide. Die Vorstöße von Bundesumweltminister Töpfer (CDU), etwa zum Pfand auf Plastikverpackungen, unterstützt sie lebhaft. Müllvermeidung, nicht hingegen Müllverbrennung, sei das Ziel. Wenn die Wohlstandsgesellschaft so weitermache wie bisher, sitze sie in 100 Jahren auf einer riesigen Müllgrube. Dem Umweltausschuß des Landtages gehört Frau Opladen nur als Stellvertretendes Mitglied an. Sie findet sich damit ab, meint gar, das helfe ihr, politisch nicht einseitig zu werden. Dafür möchte sie sich zum Beispiel im Innenausschuß künftig auch um hochaktuelle Themen wie Innere Sicherheit, Asylanten, Aussiedler kümmern.
    Im Gespräch mit ihr meint man eine gewissen Enttäuschung darüber zu spüren, daß sie in der CDU-Fraktion — anders als andere weibliche Abgeordnete — noch kein Sprecheramt erhalten hat. Sie widerspricht aber energisch beim Stichwort "Enttäuschung". Sie wolle erst einmal schauen, was werde. Sie halte nichts von Politikern, die kommen, sehen und siegen. Dann folgt der Satz: "Wenn ich gewollt hätte, wäre ich was geworden." Auf jeden Fall will sie in fünf Jahren den Wahlkreis Bergisch-Gladbach verteidigen. Sie will beweisen, daß sie "nicht umsonst einen Vorsprung gegenüber einem amtierenden Minister" erreicht hat.
    Zu Hause möchte sie trotz aller zusätzlichen Arbeit ihr Klavierspiel wieder verbessern; früher habe sie sehr gut gespielt, nun nehme sie noch einmal Unterricht. Zur weiteren Entspannung zählen Kriminalromane, bevorzugt die von Patricia Highsmith. Den großen Öko-Garten daheim pflegt und hegt der Ehemann, während die Dame des Hauses die ganze Familie aus eigenem Anbau "bekocht".
    Reinhold Michels

    ID: LI910740

  • Den Menschen nah und bereit zur Hilfe.
    Landtagspräsidentin Ingeborg Friebe (SPD) begeht am 20. April ihren 60. Geburtstag.
    Porträt;

    S. 12-13 in Ausgabe 6 - 26.03.1991

    Müßte man für die bald 60jährige Ingeborg Friebe einen Wappenspruch aussuchen, böte sich an: Den Menschen nah und hilfsbereit. Im Rat der rheinischen Stadt Monheim geht das geflügelte Wort vom "friebeln" um, wenn jemand aus schierer Hilfsbereitschaft einem anderen, auch wenn er politischer Gegner ist, aus der Patsche hilft. Bürgermeisterin Friebe ist zum erstenmal als "friebelnde" Ingeborg aufgefallen, als sie den ersten, noch ungeübten Ratsmitgliedern der Grünen vor einigen Jahren den einen oder anderen Geschäftsordnungs-Tip gab.
    "Bürgermeisterin zu sein", sagt Frau Friebe, "das ist mir sehr wichtig", und weiter: "Monheim gebe ich nicht auf, ich muß den Menschen nah sein, mit ihnen reden." Als Parteifreunde sie im Vorjahr fragten, ob sie Präsidentin des Landtags werden wolle, hat sie zunächst gezögert, sich auch mit dem gerade pensionierten Ehemann beraten. Wenn das bedeutet hätte, das Bürgermeisteramt in Monheim aufzugeben, hätte sie Nein gesagt, wäre Vizepräsidentin geblieben ("Das ist ja auch schön"). Sie erzählt, daß es damals vier gewesen seien, die in den Startlöchern gesessen hätten, um Denzers Nachfolge anzutreten. Vielleicht hat sie wiederum — wie schon vor der erstmaligen Landtagskandidatur 1975 — die Mitbewerber im stillen eingeschätzt, um sich hernach zu sagen: Was die können, kannst du auch. Ingeborg Friebe ist nie spürbar vorgeprescht, wenn es um neue politische Aufgaben ging. Erst hat sie ein bißchen gezögert, doch wenn die Chance sich konkret bot, dann hat sie auch zugepackt und für sich gekämpft. Wieviel Ehrgeiz verbirgt sich dahinter? Im Gespräch weicht sie aus, sagt nur, ein wenig Ehrgeiz müsse jeder Politiker haben. Wahrscheinlich hat es sie stets gereizt, es als Mädel aus einfachen Verhältnissen und ohne akademische Ehren zu etwas zu bringen. Stolz schwingt mit, wenn sie berichtet, sie sei im früheren Rhein-Wupperkreis 1972 der erste weibliche Unterbezirksvorsitzende der SPD in NRW gewesen. Noch zufriedener allerdings erzählt sie von dem Monheimer Karnevalswagen, der sie den decken am Straßenrand als "Mutter Courage" vorstellte. Dahinter steckte eine kommunale Rettungsaktion, über die in Monheim noch heute manchmal gesprochen wird. 1975 war die Stadt dem großen Nachbarn Düsseldorf zugeschlagen worden. Ingeborg Friebe, gerade im Landtag, erinnert sich heute: "Da habe ich gewirbelt." Das Engagement der Braunschweigerin, die 1966 mit der Familie an den Rhein gezogen war, zahlte sich aus: Im Sommer 1976 gewann Monheim seine Selbständigkeit zurück. So etwas vergessen Bürger nicht, wenig später wurde die SPD-Politikerin Friebe (seit 1969 Ratsfrau) Bürgermeisterin. Auch Politiker anderer Couleur, sagt sie, hätten ihr damals den Einsatz für Monheims Eigenständigkeit gedankt. Aus der Zeit rühren parteiübergreifende Freundschaften. Wie hält es die Sozialdemokratin mit "Stallgeruch" überhaupt mit den Vertretern "der anderen Feldpostnummer"? Spontan erwähnt Frau Friebe Vizepräsident Klose von der CDU, mit dem sie seit langem eine Duzfreundschaft pflege. Zu Hause jedoch schätzt sie mehr die eine politische Wellenlänge. Ihren Mann, den früheren Bundesgeschäftsführer der DGB-Kulturorganisation Arbeit und Leben, hat sie für die SPD geworben. Die beiden Söhne, Jens (37) und Jochen (33) sind zwar nicht in der Partei, aber beide in der Gewerkschaft. "Gewerkschaft" — die gehört zu ihrem Leben. Rechtsschutzsekretärin wollte sie werden, wurde aber nicht fertig mit der Ausbildung, weil sie heiratete und Kinder bekam. 15 Jahre lang war sie Hausfrau und Mutter, hat sich dabei nach eigenem Bekunden nie als Frau zweiter Klasse gefühlt. Als die Söhne zum Gymnasium gingen und erst nachmittags um drei nach Hause kamen, da — so Frau Friebe — "fiel mit daheim die Decke auf den Kopf". Ihre Energie verlangte nach einer Arbeit außer Haus. Sie nahm eine Stelle als Schulsekretärin in Monheim an. Schnell verwischt sie den Eindruck, da habe jemand nur an der Schreibmaschine gesessen und getippt, was andere diktierten. Oft sei sie bei Lehrerberatungen dabeigewesen, habe auch schon mal vor der Klasse gestanden, bis der Herr Lehrer eintraf, und weiter: "Wenn das Kollegium einen Ausflug machte, war ich immer dabei." Die unausgesprochene Botschaft solcher Erzählungen lautet: Ingeborg Friebe hat sich nicht ducken lassen. Es folgt ein Satz wie ein Glaubensbekenntnis: "Man muß immer das Beste aus seiner Lage machen."
    Das wird sie in der Kindheit so noch nicht für sich formuliert haben, als sie und ihr Bruder die Mutter zu Verhören der Gestapo begleitet haben. Mutter und Großmutter waren überzeugte Sozialdemokratinnen, der Vater, ein Kommunist, wurde von den Nazis ermordet. Die beiden Kinder gingen mit der Mutter zu den Verhören, weil das Schreien, besonders das des Bruders, die hartgesottenen Nazi-Schergen etwas glimpflicher mit der Mutter umgehen ließ.
    Eine Frau, die von unten kommt, der nichts in die Wiege gelegt wurde, kann wenig anfangen mit Jungakademikern, die glauben, ihr Hochschulabschluß ziehe ein politisches Mandat geradezu zwangsläufig nach sich.
    Denen schildert sie den eigenen politischen Lebenslauf und daß man sich ein solches Mandat erarbeiten müsse. Ingeborg Friebe hat selbstverständlich Plakate geklebt für die Partei, hat sich als Neuling im Landtag erst einmal hinten angestellt und zugehört. Wer zu Beginn seiner parlamentarischen Karriere glaube, er sollte zu jedem Thema etwas mitteilen, der werde doch nicht ernst genommen. Man meint, Herbert Wehner sprechen zu hören, der junge Abgeordnete auch auf die Hinterbänke zu verweisen pflegte. Im Petitionsausschuß und im Ausschuß für Arbeit und Soziales hat Ingeborg Friebe erste Landtags-Erfahrungen gesammelt und sich, wie sie bemerkt, mit viel Energie an die Arbeit gemacht.
    Man zögert, eine Frau "Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn" zu nennen — falsch wäre es bei der Landtagspräsidentin nicht. Hat sie Vorbilder in der SPD? Es fallen die Namen von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Man müßte sich aus beiden einen "backen". An Schmidt imponiert ihr die analytische Schärfe, an Brandt und vielleicht auch Johannes Rau das Nachdenklich-Abwägende. Mit Oskar Lafontaine verbindet sie wenig. Bei einem Zwiegespräch auf einem Parteitag sei ihr Lafontaines Arroganz unangenehm aufgefallen. Ihr Urteil: "So etwas ist nicht sozialdemokratisch." Sie sei weder Verehrerin von Oskar, noch funke man auf der selben Wellenlänge: "Aber gewählt habe ich ihn am 2. Dezember — aus Solidarität." Und was ist mit Björn Engholm? "Vielleicht", so Frau Friebe, "brauchen wir in der SPD an der Spitze einen, der für Ehrlichkeit und Nachdenklichkeit steht, ich werde ihn Ende Mai in Bremen jedenfalls wählen." Zur Frauen-Quote ihrer Partei hat sie ein eher distanziertes Verhältnis. Sie sei unter anderem auch deshalb lange gegen die Quote gewesen, weil sie keine Probleme gehabt habe, als Frau in Politik und Arbeitswelt anerkannt zu werden. Dennoch habe sie auf dem Bundesparteitag in Münster aus Solidarität mit ihren Geschlechtsgenossinnen für die Quotierung gestimmt, nachdem ihr Frauen von ihren ganz anderen, und zwar schlechten Erfahrungen mit der Gleichberechtigung berichtet hätten.
    Auch das ist typisch für Frau Friebe: Sie prüft und bildet sich ihr Urteil gerne, nachdem sie auch die andere Seite gehört hat. Dahinter verbergen sich Vorsicht und Skepsis, genährt aus manchen Erfahrungen: "Man wird ja auch belogen, ich habe mir Distanz angeeignet."
    Eine dicke Haut hat sie jedoch durch das lange politische Leben nicht bekommen. Es gibt Bürgerbriefe, die sie zu Tränen rühren. Zu ihren Lieblingstugenden zählt sie Gerechtigkeit, Zähigkeit sowie das Vermögen, zuhören zu können. Was für sie das größte Unglück wäre? Sie überlegt kurz, sagt dann: "Krieg und überhaupt das Leid von Menschen." Den Begriff "Heiliger Krieg" hält sie für völlig absurd, beim Stichwort "Gerechter Krieg" sagt sie, sie habe ja Hitler miterlebt und sich in den Tagen vor und während des Golfkrieges oft gefragt, ob nicht auch dem deutschen oder jüdischen Volk und anderen vom Zweiten Weltkrieg Betroffenen viel Leid erspart geblieben wäre, wenn Hitler frühzeitig bekämpft worden wäre.
    Zurück zum Menschen Ingeborg Friebe und ihrem Wunsch, die Politik allgemein etwas zu vermenschlichen. Als JohannesRau nach der Wahl im Mai 1990 im Landtag wiedergewählt worden war, schaute die Präsidentin auf die Tribüne, wo Christina Rau und die drei Kinder saßen. Ihre damalige Mahnung an Johannes Rau, sich etwas mehr Zeit für die Familie zu nehmen, sei ihr aus dem Herzen gekommen. Wenn sie Freizeit hat, geht sie gerne mit dem Ehemann in die Sauna. Eine richtige Leseratte sei sie im übrigen, und bei Fernsehkrimis ist es ein beliebtes Spiel im Hause Friebe, "die Krimi-Nuß vorab zu knacken".
    Wenn dereinst Schluß ist mit der Politik, möchte sie mit ihrem Mann auf Weltreise gehen, man hat sich schon vorsorglich einen Sparkassenbrief zugelegt. Fernweh ist Ingeborg Friebe nicht fremd. Sie liebt besonders Afrika, vor allem Senegal mit seinen fröhlichen, toleranten Menschen und den abwechslungsreichen Landschaften. Über Weihnachten und Silvester geht es wieder dorthin. Ingeborg Friebe, Landtagspräsidentin und Bürgermeisterin

    ID: LI910621

  • Porträt der Woche: Marie-Luise Morawietz (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 6 - 26.03.1991

    Drei ehemalige Strafgefangene boten ihr Hilfe im Wahlkampf an, sie nahm sie dankbar an: Marie-Luise Morawietz errang 1990 erneut das Direktmandat Viersen I, das sie 1985 erstmals bekommen hatte. Damals war es überhaupt das erste Mal gewesen, daß ihre Partei, die SPD, im Kreis Viersen ein Direktmandat für den Landtag geholt hatte. Darauf ist sie noch heute stolz: den Erfolg verbucht sie — wohl zu Recht — auf dem Konto ihres persönlichen Einsatzes, die Partei komme da erst an zweiter Stelle.
    Natürlich hat sie die Wahl nicht wegen der Hilfe der ehemaligen Strafgefangenen gewonnen. Doch ein wenig Genugtuung schwingt in ihrer Stimme mit, als sie über die Hilfsangebote berichtet. Denn seit 1977 kümmert sie sich ehrenamtlich um die Probleme von Strafgefangenen während der Haftzeit und nach der Entlassung. Im Frauengefängnis Willich-Anrath ist sie Vorsitzende des Anstaltsbeirats. Nach einem ersten Gefängnisbesuch war ihr soziales Engagement geweckt: "Bis heute bin ich hängengeblieben". Über persönliche Hilfen will sie nicht erzählen, um so lieber berichtet sie darüber, daß sie für durchsichtige Fensterscheiben (statt Milchglas), für einen Aufzug und für eine große Bratpfanne im Gefängnis gesorgt hat. Mit Erfolg hat sie sich dafür eingesetzt, daß Jugendliche nicht mehr in Einzelhaft untergebracht werden. Im Laufe der Jahre hat sie sich sowohl bei den Bediensteten des Strafvollzugs als auch bei den Inhaftierten ein Vertrauenspolster erworben. Davon konnte sie profitieren, als es im Zuge der deutschen Einheit zu einer Amnestie für viele Gefangene in der ehemaligen DDR kam, die zu Meutereien und Unruhen auch in nordrhein-westfälischen Strafvollzugsanstalten führte. Frau Morawietz erinnert sich: "Mit leeren Händen bin ich nach Geldern gefahren, wo die Gefangenen ebenfalls eine Amnestie forderten." Sachlich habe sie die Gefangenen davon überzeugen können, daß es für rechtsstaatliche Urteile in NRW — im Gegensatz zur DDR — keine Amnestie geben könne. In Geldern brach keine offene Meuterei aus.
    Aufgrund solch vielfältiger Erfahrungen ist Marie-Luise Morawietz Sprecherin der Vollzugskommission des Rechtsausschusses des Landtags geworden. Neben der Gefangenenbetreuung ist sie auch in der Drogenberatung und in einer Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft in Viersen führend engagiert. Offen räumt sie ein, daß sie ihr Herz für Randgruppen entdeckt habe. Im Vergleich dazu bringe die Mitarbeit in Parteivorständen nichts. Manch ein Genösse habe ihr prophezeit, daß sie mit ihrem Einsatz für Randgruppen "raus aus dem politischen Geschäft" sei. Selbstbewußt stellt sie fest: "Mit meinen Erfolgen bei den Landtagswahlen habe ich das Gegenteil bewiesen."
    Erst als 40jährige —1972 nach Mitarbeit in einer örtlichen Bürgerinitiative — stieß die gelernte Industriekauffrau zur SPD. Sie baute im Kreis Viersen die SPD-Frauenarbeit auf und startete 1975 eine kommunalpolitische Karriere als Mitglied im Stadtrat und im Kreistag. Seit 1984 gehört sie dem SPD-Landesvorstand an.
    Als typische "Frauenpolitikerin" versteht sich Marie-Luise Morawietz nicht, obwohl sie seit Bildung des Frauenausschusses des Landtags dessen Vorsitzende ist. Stark beeinflußt zeigt sie sich von der ehemaligen Landesministerin Inge Donnepp, aus deren lebenslanger politischer Arbeit sie "sehr viel praktischen Nutzen" habe ziehen können. Im Anfang ist sie eine strikte Gegnerin der Frauenquote gewesen: "Ich glaubte, wir Frauen sind keine Minderheit oder eine Gruppe, die eine Schutzzone braucht." Die Quote habe sie damals immer als Rückschritt gesehen. Sie sei davon überzeugt gewesen, daß gleiche Bildung auch zur Gleichstellung im Beruf führen werde. Heute räumt sie ein: "Ich habe mich geirrt, ich gebe es zu." Wie ist sie dann doch zur Quoten-Befürworterin geworden? Noch nachträglich klingt aus ihrer Antwort die damalige Enttäuschung heraus: Bis Mitte der 80er Jahre hätten die Frauen in der SPD "sehr intensiv und vertrauensvoll" mit den Genossen in den Entscheidungsgremien zusammengearbeitet mit dem Ziel einer stärkeren Beteiligung der Frauen in der Partei: "Passiert ist nicht nur nichts, sondern sogar Rückschritte hatten wir zu verzeichnen." Theoretisch seien die Männer alle dafür gewesen, den Einfluß der Frauen zu stärken; doch wenn es konkret wurde, sei es in der Regel bei der Männer-Solidarität geblieben. Noch heute sei es für sie unfaßbar, daß noch 1990 alle sechs Dortmunder SPD-Mandate im Landtag von Männern gehalten wurden und keine einzige Frau als Direktkandidatin aufgestellt wurde.
    Als "Feministin" kann sich die Mutter von zwei Kindern allerdings bis heute nicht verstehen. Dazu sei sie wohl nicht radikal genug: "Auf die Barrikaden gehen, das müssen andere machen."
    Ludger Audick

    ID: LI910640

  • Porträt der Woche: Hannelore Brüning (CDU).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 5 - 19.03.1991

    Die "Nüchternheit des Landtagsbetriebes" und der Wust von Anträgen, durch den sich die Landespolitiker ständig durchzuarbeiten haben, nennt Hannelore Brüning als gravierendste Eindrücke in ihrem ersten Jahr als Abgeordnete der CDU-Fraktion.
    Andererseits aber habe ihr die gute Zusammenarbeit der Abgeordneten untereinander Mut gemacht: "Wir Kollegen helfen uns gegenseitig", nennt sie eine ihrer positiven Erfahrungen in ihrer noch jungen parlamentarischen Laufbahn. Dabei hat die Münsterländerin mit dem Direktmandat des Wahlkreises 95 (Steinfurt I — Coesfeld II) Hilfe zumindest in einem Bereich kaum mehr nötig: Bei der Mittelstandspolitik.
    Dieses Metier hat sie von der Pike auf gelernt, angefangen von der kaufmännischen Lehre über die Arbeit als Buchhalterin bis hin zur "Chefin" des kaufmännischen Bereichs in dem Handwerksbetrieb, den sie vor 20 Jahren zusammen mit ihrem Ehemann, einem Gas- und Wasserinstallateurmeister und Heizungsbauermeister, in Neuenkirchen/Kreis Steinfurt aufbaute und der heute zehn Mitarbeiter beschäftigt. Die Mitarbeit im Handwerksunternehmen liegt ihr sehr am Herzen. Die daraus erwachsende wirtschaftliche Unabhängigkeit macht ihr das politische Geschäft leichter, selbst wenn zusätzliche Belastungen damit verbunden sind, und Firma und Familie immer wieder einmal hinter den politischen Pflichten rangieren müssen. Seit 1979 ist die CDU-Politikerin auf kommunaler Ebene aktiv, hat inzwischen einen reichen Erfahrungsschatz über den rein mittelständischen Bereich hinaus sammeln können. Unter anderem als Ratsmitglied in ihrer Heimatgemeinde, wo sie den Jugend- und Kulturausschuß leitet und als stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion amtiert. "Für das Mandat muß gearbeitet werden", nimmt sich Frau Brüning selbst in die Pflicht ihres direkten Wahlerfolges vom Mai 1990. Jetzt trägt sie doppelt auf ihren Schultern, im Neuenkirchener Rat und in Düsseldorf, wo sie neben ihrer Heimatgemeinde weitere 14 Kommunen vertritt: "Der Wahlkreis erwartet etwas."
    Für ihre Düsseldorfer Tätigkeit macht sich zusätzlich zu ihren kommunalpolitischen Kenntnissen bezahlt, daß sie ihre beruflichen Erfahrungen in die politische Arbeit einbringen kann. So setzt sie sich beispielsweise dafür ein, den ausufernden Bürokratismus einzudämmen und den Paragraphendschungel zu lichten, der vor allem die kleinen und mittelgroßen Betriebe zu überwuchern droht. "Das Handwerk braucht Bewegungsfreiheit und nicht immer noch mehr Einengung durch oft viel zu strenge und belastende behördliche Auflagen", lautet eine ihrer aus Erfahrung gewonnenen Überzeugungen.
    Als besonders wertvoll empfindet es Hannelore Brüning, daß sie aus ihrer kommunalpolitischen Arbeit heraus die Landespolitik besser auf ihre Auswirkungen hin überprüfen kann. Dabei schneidet das Land nicht gerade gut ab: "Die Gemeinden brauchen viel mehr Spielraum, aber das Land blockiert eine gewerbefreundliche Kommunalpolitik." Gerade bei der Wirtschaftsförderung vermißt sie die nötige Phantasie, die dann auch den kleinen und mittleren Betrieben im ländlichen Bereich einmal Vorteile brächte. Ein weites Betätigungsfeld tut sich da der Politikerin auf, die bei der Nominierung für die Parlamentsausschüsse durch ihre Fraktion an zwei wichtige Schaltstellen politischer Entscheidungen delegiert wurde.
    Die Mitarbeit im Ausschuß für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie ist bei Frau Brünings Hintergrund schon nahezu als Pflicht anzusehen, aber auch im Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen ist sie als ausgewiesene Mittelständlerin und Handwerksfrau eine "Bank" für die Union. Dabei gerät weder für die CDU-Abgeordnete noch für ihre Fraktion ihr wichtigstes Anliegen aus den Augen, nämlich dem Mittelstand und dabei besonders Handwerk und Handel mehr Gehör zu verschaffen und damit auch eine gewisse Portion Öffentlichkeitsarbeit für die kleinen und mittleren Unternehmen in NRW zu betreiben.
    Immer wieder hat Hannelore Brüning die Erfahrung gemacht, daß selbst profilierte Wirtschaftsfachleute — und besonders die aus der Politik — die Funktionen, Aufgaben und Organisationsformen des Mittelstandes nur gerade eben oberflächlich kennen, von den Auswirkungen politischer Entscheidungen und den daraus oftmals existenzbedrohenden Nöten ganz zu schweigen. Besonders die Unübersichtlichkeit der Wirtschaftsförderung mit ihrer undurchschaubaren Programmvielfalt geht ihr als praxisverbundene Mittelständlerin gegen den Strich: "Der Papierkram wächst jedem kleinen und mittleren Unternehmer über den Kopf." Für Frau Brüning ist daher die Gewerbeförderung mit ihren jetzigen Auswüchsen eine schiere "Wirtschafts-Verhinderungspolitik".
    Den Verdacht, daß die Neuenkirchenerin ihren Wahlkreis der herrschenden Modeströmung frauenfreundlicher Politik verdanken könnte, als sie für die Nachfolge des langjährigen CDU-Abgeordneten Franz Riehemann kandidierte, räumt allein schon das Gespräch mit ihr aus. Aber sie macht aus ihrem Selbstbewußtsein auch kein Hehl: "Ich bin keine Quotenfrau, sondern möchte aufgrund meiner Kenntnisse und Fähigkeifen anerkannt werden." Die Tendenz, sich in den parteilichen Personaldiskussionen mehr auf die Frauen zu besinnen, möchte sie in diesem Sinne weiter unterstützen. "Es müßten noch viel mehr Frauen in der Politik aktiv mitarbeiten, und zwar jede auf dem Fachgebiet, das sie am besten beherrscht." Das muß beileibe nicht immer der alibibehaftete Sozialbereich sein. Das beste Beispiel dafür, daß es auch anders geht: Hannelore Brüning selbst.
    Sievert Herms

    ID: LI910532

  • Porträt der Woche: Hans Schwier (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 4 - 12.03.1991

    "Junge, hast Du das auch gut überlegt?" Hans Schwier, seit 1980 Minister in den Kabinetten von Johannes Rau, hörte die besorgte Frage seiner Mutter vor nahezu 21 Jahren, als er im Alter von 44 Jahren als wohlbestallter Schulrat sich anschickte, ein Abgeordneten-Mandat im nordrhein-westfälischen Landtag anzustreben. Die Sorge der alten Dame war ja nicht ganz unbegründet; die Einkünfte aus Abgeordnetentätigkeit und die bescheidene Pension eines Schulrats im einstweiligen Ruhestand machten zusammen gerade so viel aus wie das Amtsgehalt. "Die Familie mußte nicht darben", erinnert Schwier sich heute. Die Tätigkeit als Landtagsabgeordneter erforderte auch 1970 schon die ganze Arbeitskraft, doch die finanzielle Entschädigung entsprach keineswegs dem, was später, nach dem Spruch der Verfassungsrichter über den .Full-time-Job" eines Abgeordneten, gezahlt wurde. Daß mit der Neuregelung der gesetzlichen Stellung der Abgeordneten, die ja nicht nur die Vergütung festlegte, sondern auch viele Beamte und gut verdienende Freiberufler vor die Frage Beruf oder Mandat stellte, eine gewisse Negativauslese verbunden war, findet den Widerspruch des Ministers Schwier nicht.
    Den Mut zu Unpopulärem hat Schwier auch bei vielen anderen Gelegenheiten bewiesen. Nie war übersteigertes Selbstbewußtsein der Antrieb dazu, sondern immer war sein Urteil, sein Handeln das Ergebnis einer vorurteilsfreien Prüfung des Sachverhalts. Freunde macht man sich damit nicht immer. So ist es auch kein Wunder, daß die Sprecher von Lehrergewerkschaft und Lehrerverbänden nur selten gut auf den Kultusminister zu sprechen sind. Und auch die Bildungspolitiker der eigenen Partei und der SPD-Fraktion im Parlament sind häufig gar nicht mit dem einverstanden, was der "Genösse im Ministeramt" tut oder unterläßt. Hier sollen Stichworte wie .flächendeckende" Einführung der Gesamtschule, freiwilliger Verzicht der Lehrer auf vier Prozent des Gehalts zugunsten arbeitsloser Pädagogen, stärkeres Gewicht auf Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule und der ministerielle Hinweis darauf, daß 75 Tage Schulferien und 30tägiger Lehrerurlaub "zwei ganz verschiedene Dinge "sind, genügen.
    Obwohl die Landesverfassung nach Ansicht von Schwier in Fragen der Gesamtschule gar nicht so eindeutig ist, wie die Gesamtschulgegner argumentieren, geht der Minister, sehr zum Ärger der SPD-Verfechter dieser Schulform, bei der Einrichtung von Gesamtschulen eher behutsam vor. Sein Argument ist ebenso eindeutig wie überzeugend: "Schule kann man vernünftigerweise nur im Konsens betreiben, mit 51 Prozent Zustimmung geht es nicht." Die Erfahrung, daß man nicht gegen die Auffassung von respektablen Minderheiten regieren soll, hat noch der Abgeordnete Hans Schwier gemacht. Das von ihm und anderen Sozialdemokraten favorisierte Modell einer "Kooperativen Schule" scheiterte im Frühjahr 1978 — entgegen vielen Erwartungen — in einem Volksbegehren. Die Lehre daraus hat der Minister beherzigt, obwohl der gelernte Schulmann 'noch heute die .Koop-Schule "für eine von der Sache und dem Interesse der Schulkinder her gebotenes Modell hält.
    Wenig Freude bei den Ideologen jeder Couleur dürfte auch die Maxime Schwiers auslösen, daß es nicht gestattet sei, Schulkinder für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Und damit gar nicht erst der Verdacht aufkomme, lediglich eine ganz bestimmte Richtung sei gemeint, fügt er hinzu: "Gleichgültig, für welche Zwecke." Was treibt einen Mann, der unlängst seinen 65. Geburtstag gefeiert hat (und seiner Familie aus diesem Anlaß ein Abendessen in einem rheinischen Sterne-Restaurant .schenkte"), zu solcher Mahnung? Will er nichts mehr werden? Gewiß richtig. Doch das ist es nicht. Viel näher kommt man sicher seinem Motiv für die Offenherzigkeit in durchaus umstrittenen Komplexen, wenn man seine nachdenkliche Frage bemüht, ob es denn genüge, Erfahrungen bestenfalls nur schriftlich zu fixieren, ob es nicht besser und wirkungsvoller sei, sich in direkter Rede an die nachfolgende Generation zu wenden? Es ist nicht die Furcht, sich mit dem, was man niedergeschrieben hat, ein für alle Mal festzulegen, sondern er möchte gehört werden, will ankommen.
    Für Opportunismus hat Schwier, der seit 41 Jahren der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und seit 39 Jahren der SPD angehört, nur milden Spott übrig. Er wählt dafür kein Beispiel aus der aktuellen Politik, sondern er bemüht die eigene Bibliothek. In ihr stehen auch Geschichtsbücher für die deutsche Schule, aus der Zeit des Großvaters, Schulmann wie der Enkel, des Vaters und der eigenen. Ein und derselbe Sachverhalt ist in ihnen unterschiedlich dargestellt. Jedesmal hatte der Autor die Staatsräson beachtet. Geschichtsschreibung ist ihrer Natur nach nicht nur die Sammlung und Echtheitsprüfung von Fakten, sondern immer auch ihre Zuordnung und Deutung. Und da sind die Freiräume weit oder auch die Gatter hoch.
    Wie kritisch der nordrhein-westfälische Kultusminister aktuelle deutsche und sozialdemokratische Politik sieht, macht er wiederum nur an einem scheinbar harmlosen Beispiel deutlich. Sein Sohn, der an der Georgetown-Universität in Washington studiert, bat den Vater dringend um Unterlagen, um die deutsche Haltung zum Golfkrieg und gegenüber Deutschlands Nato-Verbündeten erläutern und vertreten zu können. Der Vater halt mit Gedrucktem aus. Daß der Sohn darum bitten mußte, entlockte Schwier nur die besorgte Frage: .Ist das nicht schlimm?" Wie lange wird Hans Schwier noch Minister sein ? Das ist offen. Ganz selbstverständlich wäre es aber für ihn, wenn die Persönlichkeit, die im Landtagswahlkampf 1995 für die sozialdemokratische Kulturpolitik stehen soll, schon rechtzeitig im Ministeramt die nötige Erfahrung sammeln könnte. Wäre der Kultusminister, der 1983 auf Wunsch von Johannes Rau vom Wissenschaftsressort in das Kultusministerium wechselte, lieber Wissenschaftsminister geblieben? .Ja, Wissenschaftsminister wäre ich gern geblieben', bekennt Schwier. Er ist der bislang einzige Inhaber dieses Ressorts, für dessen Verbleib im Amt die Rektoren aller wissenschaftlichen Hochschulen öffentlich eingetreten sind. Das ist mehr als eine Auszeichnung.
    Karl Lohaus

    ID: LI910442

  • Porträt der Woche: Beate Scheffler (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 27 in Ausgabe 3 - 26.02.1991

    Das wäre, weiß Gott, für die Frau Pfarrerin, wie sie zu Hause in Bochum von manchen Menschen genannt wird, eine Karriere gewesen! Mit Ach und Weh gerade noch einen aussichtsreichen Platz auf der Kandidatenliste ergattert, mit Bibbern und Beben über die Fünf-Prozent-Hürde gezittert und dann gleich Vizepräsidentin des nordrhein-westfälischen Landtags — wie gesagt, das wäre eine Karriere gewesen. Doch die Sozialdemokraten hatten nach der Landtagswahl vom Mai vergangenen Jahres die ohnehin unwillkommene grüne Konkurrenz nicht auch noch — wie es anderenorts durchaus parlamentarischer Brauch ist — in einem repräsentativen Amt an der Spitze der Volksvertretung dulden wollen. Ebenso wie die F.D.P. wurden die Grünen bei ihrem Griff nach einem der Ämter des Vizepräsidenten des Landtags von der SPD-Mehrheit abgebügelt. Für Beate Scheffler blieb deshalb "nur" das Amt einer Schriftführerin im Landtagspräsidium. Die junge Abgeordnete macht im Rückblick auf die scharfen parlamentarischen Auseinandersetzungen über den alleinigen Zugriff von SPD und CDU auf die Ämter der Landtagsvizepräsidenten aus ihrem Herzen keine Mördergrube und räumt freimütig ein, daß sie gern "Vize" geworden wäre. Aber sie weiß auch, daß dies der Schnee von gestern ist, dem nachzutrauern bekanntermaßen nichts bringt.
    Im 18köpfigen Präsidium des Landtags hat sich die Repräsentantin der Grünen inzwischen längst von einer gerade noch akzeptierten, mißtrauisch beäugten zu einer anerkannten und geachteten Volksvertreterin hochgerappelt. Ein bißchen ironisch lächelnd meint sie, daß dabei wohl ihre Herkunft aus einer "bürgerlichen Ecke" in den Augen der Kolleginnen und Kollegen von den anderen Parteien hilfreich gewesen sei. In ihrer eigenen Partei hatte ihr diese Herkunft aus der bürgerlichen Ecke, in der sie bis heute gern geblieben ist, eher geschadet. Die gelernte Grund- und Hauptschullehrerin, die zehn Jahre lang unterrichtet hatte, bis das dritte Kind sie dann noch zwang, sich beurlauben zu lassen, die Frau eines evangelischen Pfarrers, die Vorsitzende des Kirchenchors in der Gemeinde ihres Mannes, sie gehörte nie zur "richtigen" grünen Szene.
    Erst nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu den Grünen gestoßen, wurde sie zwar im Januar 1989 schon zu einer der Sprecherinnen des Landesvorstandes der Grünen gewählt. Doch dieses Führungsgremium der Grünen hatte in der Partei noch nie wirklich Macht und/oder Einfluß. Wahlen an die Spitze der Partei sind eher beliebig. Beate Scheffler mußte das schmerzhaft erfahren, als sie sich innerparteilich um ein Landtagsmandat bewarb. Zweimal kandidierte sie als damals amtierende Sprecherin des Landesvorstandes vergeblich, wurde, wie sie es selbst nannte, von der Parteibasis "abgestraft", bis sie in einem dritten Anlauf dann doch noch Platz neun der Landesliste erhielt. Im Gegensatz zu den anderen Parteien, bei denen irgendwelche Führungszirkel die Kandidatenlisten vorher hinter verschlossenen Türen zusammenbasteln und das Ergebnis von Landesparteitagen nur noch absegnen lassen, wird bei den Grünen jeder Platz auf einer Liste in sozusagen offener Feldschlacht ausgekämpft. Ein "mörderisches Verfahren, das Menschen beschädigt und längst nicht so demokratisch ist, wie es zu sein vorgibt", urteilt Beate Scheffler. Aber als eine in vieler Hinsicht Realpolitikerin weiß die 38jährige Bochumerin, daß sie und alle anderen "Realas"und "Realos"'an dieser Praxis nie etwas werden ändern können.
    An einer anderen Praxis der Partei will sie dagegen nie etwas geändert wissen. Und das betrifft den Parteitagsbeschluß', das in der grünen Partei Frauen mindestens die Hälfte aller zu vergebenden Mandate erhalten. Beate Schefflers Begründung für diese Praxis ist lapidar und realistisch: "Der Quotenbeschluß muß bleiben, weil grüne Männer nicht besser als die Männer in anderen Parteien sind" — soll heißen, daß auch die männlichen Grünen freiwillig nie die Hälfte von irgend etwas abgeben würden. Es sei denn unangenehme Arbeit, für die es nichts gibt.
    Fragte man Beate Scheffler, was sie als "Bürgerliche", als Christin, als Ehefrau und Mutter von den Kolleginnen — die Männer bleiben bei dieser Frage mal unbeachtet — aus den anderen Fraktionen unterscheidet, hat sie eine selbstbewußte und eine überraschende Antwort parat. Die selbstbewußte: "Ich habe keine Schere im Kopf." Und die überraschende: "Ich habe konservative Ansätze, ideologisches Denken ist mir fremd, weil es nach all meinen Erfahrungen weniger als Nichts bringt." Daß sie mit dieser Haltung in der grünen Fraktion klarkommt, hat sie zugestandenermaßen selbst schon dann und wann überrascht. Ein bißchen verwundert und sehr erfreut konstatiert sie mit Blick auf die Arbeit in der eigenen Fraktion: "Wir haben noch keine einzige Debatte außerhalb der Realität geführt." Richtig verstehen kann diese Freude nur jemand, der schon Diskussionen in anderen grünen Gremien beobachten durfte oder mußte.
    Jetzt ist Beate Scheffler Berufspolitikerin. Sie scheut dies Wort und diesen Zustand nicht. Sie verhehlt nicht, daß ihr das Spaß macht, daß sie es auch schon mal genießt, zu Hause in Bochum als "unsere Frau Abgeordnete" angeredet zu werden, an die man sich um Hilfe nicht nur in Kirchen- und Glaubensfragen wendet. Ihretwegen könnte das noch lange Zeit so weitergehen, nach 1995 möglichst als Regierungspartnerin der Sozialdemokraten. Denn als "Systemopposition" — um ein grünes Schlagwort zu benutzen, das zur Freude Beate Schefflers in der innerparteilichen Diskussion rapide an Faszination verliert — hat die Abgeordnete bei aller Lust am Mandat kein Interesse. Da wüßte sie mit ihrer Zeit, mit ihrem Leben doch etwas anderes anzufangen als Systemopposition zu treiben, meint die Abgeordnete, die noch die Hoffnung nicht verloren hat, auch als Parlamentarierin der kleinsten Fraktion im großen Düsseldorfer Landtag etwas bewegen zu können. Nichts Großes, Dolles, Weltbewegendes. Das gibt es im Landtag sowieso nicht, hat Beate Scheffler schnell gelernt. Aber wenn die anderen Abgeordneten der anderen Parteien angesichts der Anträge und der Argumente der Grünen nur dann und wann mal nachdächten und gewohnte Denkmuster verließen, dann wäre das doch schon etwas, übt sich die Jung-Parlamentarierin in bescheidenem Realismus. Sie weiß, daß die Lage nichts anderes erlaubt.
    Reinhard Voss

    ID: LI910365

  • Porträt der Woche: Dr. Jürgen Schwericke (CDU).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 2 - 29.01.1991

    Lange zu fackeln — das ist Jürgen Schwerickes Sache nicht. Wenn Dinge, die er für entscheidungsreif hält, noch lange und breit begutachtet, beredet, hinterfragt werden, versteht er die Welt nicht mehr. Seit Mai sitzt der Chefjurist der Bayer AG für die CDU im nordrhein-westfälischen Landtag. Blüm und Worms haben ihm zur Kandidatur geraten, mehr noch: Sie haben die Kandidatur gewünscht. Der 59jährige gebürtige Berliner, der seit 1961 in Leverkusen lebt, ist ein Mann der Wirtschaftspraxis, der im politischen Gespräch sehr zurückhaltend wirkt, wenn nicht über sein Fachgebiet, sondern über allgemeinpolitische Angelegenheiten oder gar über Personalfragen diskutiert wird. Dann blickt er manchmal geradezu hilflos in die Runde, sagt etwas eher Belangloses oder verweist darauf, daß er doch erst seit wenigen Monaten im Landtag sei.
    Schwericke ist skeptisch gegenüber den Parlamentskollegen, die zu allem und jedem etwas beizutragen haben. Das geht seiner Ansicht nach zu Lasten der Sachkompetenz. Im Landtag werde zu lange geredet, findet er; es müsse doch möglich sein, zu einem Thema nach der Devise zu reden: Wo liegt das Problem? Welche Lösungsmöglichkeiten bestehen? Für welche davon entscheiden wir uns? Basta, und dann solle gefälligst gehandelt werden. Er ärgert sich über Verzögerungen etwa zum weiteren Braunkohleabbau im rheinischen Revier Garzweiler II, oder über mangelnde Entscheidungsfreude in punkto "Transrapid". Die Landesregierung wolle bei Garzweiler nur Zeit schinden, er halte den weiteren Braunkohleabbau unter Berücksichtigung von Naturschutzgesichtspunkten für geboten. Und zu "Transrapid" habe er noch kein grundsätzliches Nein gehört. "Warum", so scheint er zu fragen, "sagen wir dann nicht einfach Ja?"
    "Ich bin für schnelle und robuste Entscheidungen", ergänzt der Fußball- und Boxsportfreund, der von 1974 bis 1984 Präsident von Bayer 04 Leverkusen war. An den Bundesligaaufstieg von 1979 erinnert sich Schwericke besonders gerne. Bei seinen Fußballern fühle er sich wohler als bei manch feinem Essen, meint er und blickt da etwas mißmutig auf das schaumige Dessert im Erster-Klasse-Restaurant: "Lieber wäre mir statt dessen eine anständige Portion roter Grütze."
    Er sei halt ein Naturbursche. Geradeheraus und ehrlich, auch unkompliziert, so gibt er sich: Politik betrachtet er wie sportlichen Wettkampf. Bis 1969 gehörte er der F.D.P. an. Als die Liberalen den historischen Schwenk zur SPD machten, wandte sich Schwericke ab: Er sei politisch immer gegen die Sozialdemokraten gewesen. 1975 folgte der Eintritt in die CDU, mit der er besonders wegen Kohls Führung sehr zufrieden sei. Er nimmt sich als unabhängiger Mensch natürlich die Freiheit, in manchen Dingen anderer Meinung zu sein als die NRW-Union. Zur CO2-Abgabe sagt er deutlich Nein, das Regierungssitz-Votum pro Bonn lehnt er ab. Die Historie spreche für Berlin als Sitz von Parlament und Regierung, man werde sich in einigen Jahren ."dorthin orientieren".
    Über sich selber gibt Schwericke freimütig weitere Auskünfte: Er repräsentiere nicht den Kultur- und Sozialflügel der CDU, sondern den wirtschaftskonservativen Flügel der Partei. Er sei aus Überzeugung und Freude in der Landespolitik tätig und nicht wegen der Diäten, die es im Landtag gebe. Offen bekennt er seine auch wirtschaftliche Unabhängigkeit. Kapitalist sei er aber nicht, eher ein Kumpel in der CDU. Mit den handfesten Betriebsmeistern bei Bayer kommt er nach eigenem Bekunden oft politisch und menschlich besser klar als mit Theoretikern, die "so furchtbar lange studiert haben". Von des Gedankens Blässe sieht man bei Schwericke nichts: das politische Leben sollte sich ein bißchen an den Gepflogenheiten beim Fußball orientieren: Schuß und Tor, so muß es sein. Schwericke liebt die schlichten Botschaften. Eine davon lautet: Privatisierung öffentlicher Aufgaben, wo immer möglich. An das Thema "Privatisierung " will er "rangehen", über dieses und anderes solle bloß nicht lange "rumgeredet" werden. Immer wieder kommt diese Botschaft: Probleme erkennen und lösen, nur nichts allgemeinpolitisch oder auch parteipolitisch "zerquatschen".
    Das gilt auch für die Debatte über die Senkung der Unternehmenssteuern. Daß die Koalition damit bis 1995 warten will und daß gar aus der Wirtschaft selbst dafür Verständnis signalisiert wird, versteht er überhaupt nicht. Spätestens zum 1. Januar 1993, wenn der Binnenmarkt komme, müßten die deutschen Firmen aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit steuerlich entlastet werden.
    Jürgen Schwericke, der so provozierend nüchtern redet, leistet sich eine schwärmerische Erinnerung an journalistische Anfänge in Berlin. Beim Vater der Publizistik, Emil Dovivat, habe er studiert, bis der eigene Vater, ein Militär, den Sohn drängte, doch besser etwas Handfesteres, eben die Juristerei, zu treiben. Gerne denkt er zurück an die Austausch-Studentenzeit in den USA; 1952 durfte er aus unmittelbarer Nähe den schließlich erfolgreichen Wahlkampf von Eisenhower miterleben. Die unideologische, äußerst pragmatische Art der Nordamerikaner, Politik zu machen, hat ihn seither beeindruckt. Schwericke ist verheiratet und Vater einer Tochter.
    Reinhold Michels
    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI910249

  • Porträt der Woche: Charlotte Kann (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 1 - 15.01.1991

    Wie kaum eine andere kennt Charlotte Kann den Duisburger Süden, und wie nur wenige ist sie in "ihrer" Partei verwurzelt. So wurde die Sozialdemokratin vor den letzten Landtagswahlen im Mai denn auch einstimmig in den Ortsverein als Kandidatin für den Wahlkreis 66 nominiert und holte ihn dann mit satten 63,2 Prozent für die SPD. Der Entschluß, dem Votum der Partei und später der Wähler zu folgen und die politische Arbeit nunmehr auf den nordrhein-westfälischen Landtag zu konzentrieren, fiel der gebürtigen Duisburgerin, Jahrgang 1937, nicht leicht. "Vor Ort kommt man mit den Bürgern schnell in Berührung und kann auch rascher für sie etwas tun."
    Nach Besuch der Hauptschule und Absolvieren einer Lehre als Verkäuferin, trat Charlotte Kann 1957 als hauptamtliche Mitarbeiterin in den SPD-Unterbezirk Duisburg ein. Dort war sie bis zur Mandatsübernahme im Mai dieses Jahres beschäftigt, zuletzt als Fachreferentin für Finanzen und zuständig für die Betreuung der 34 Ortsvereine sowie der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Nicht zuletzt durch ihr sozialdemokratisch geprägtes Elternhaus beeinflußt, trat die Duisburgerin bereits mit 19 Jahren in die SPD ein und arbeitete sich dort hoch", wie sie heute sagt. Seit zehn Jahren ist sie stellvertretende Vorsitzende des Ortsvereins Großenbaum-Rahm und auch seit längerem im Unterbezirksvorstand tätig.
    Den engen Kontakt zum Bürger knüpfte die Sozialdemokratin insbesondere nach ihrer Wahl in die Bezirksvertretung Duisburg Süd 1975. Zehn Jahre später wurde sie sogar Bezirksvorsteherin, als einzige Frau übrigens unter den sieben Duisburger Vorstehern. In Anbetracht des Schrumpfungsprozesses in der Stahlindustrie engagierte sie sich in diesem Gremium mit Erfolg vor allem für die Ansiedlung kleinerer Gewerbebetriebe. Aufgrund des Parteibeschlusses, der ein Doppelmandat untersagt, mußte sie nach dem Einzug in den Landtag den Bezirksvorsitz #schweren Herzens" abgeben. Den Kontakt zur Kommunalpolitik und zu den Bürgern will Charlotte Kann aber auch als Landesparlamentarierin weiter intensiv pflegen. So hält sie regelmäßig Bürgerstunden ab und sucht so oft wie möglich das Gespräch mit den örtlichen Vereinen. Die Landtagsfraktion berief den "parlamentarischen Neuling" in den Verkehrs-, den Sport- und in den Petitionsausschuß. Insbesondere das letzte Gremium ist zwar sehr arbeitsintensiv ("da muß man viele Hausaufgaben machen"), aber bereitet auch ebenso viel Freude. 28 Prozent aller Petitionen seien in der Vergangenheit positiv entschieden worden, "und da kann man allerhand für jene Bürger tun, die oft zu Unrecht behandelt wurden".
    Als Mitglied des Sportausschusses tritt sie dafür ein, daß im Streit zwischen den Interessen des Sports und den Lärmklagen der Anwohner von Sportstätten durch Rechtsverordnung zugunsten der Vereine entschieden wird. andernfalls müßte jede dritte Sportanlage geschlossen werden", gibt sie zu bedenken.
    Im Verkehrsausschuß — ihrem "Wunschausschuß", macht sich die Duisburgerin stark für ein größeres und flexibleres Angebot des öffentlichen Nahverkehrs insbesondere während der Berufszeiten. Auch ärgert sie sich schon seit langem über das "triste B;/d" der Bahnhöfe. Im Individualverkehr hält Charlotte Kann den Ausbau von Ortsumgehungen sowie die Anbindung der Strecke Düsseldorf/Duisburg an die A59/B288 für erforderlich. Entgegen den Vorstellungen ihres Parteifreundes, Verkehrsminister Franz-Josef Kniola, meint die Abgeordnete, daß Pläne von Städten für eine Untertunnelung von Verkehrswegen "nicht mit einem Federstrich weggestrichen werden können". Schließlich engagierte sie sich für den Ausbau des Duisburger Hafens zu einem Freihafen.
    Die ersten Monate in ihrem neuen Aufgabenbereich bewertet sie positiv. Fraktion und Landtagsverwaltung hätten ihr sehr geholfen, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. "Und wenn ich was nicht weiß, wird halt gefragt." Trotz zahlreicher Belastungen ist Charlotte Kann gern private Gastgeberin — und ihre Kochkünste sind bei Freunden geschätzt ...
    Jochen Jurettko

    ID: LI910140

  • Porträt der Woche: Bodo Hombach (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 21 - 18.12.1990

    Wer Bodo Hombach nur als Parlamentarier erlebt, kann sich kaum vorstellen, daß er ein überaus erfolgreicher Wahlkampfmanager ist. Und wenn es denn ein Widerspruch wäre: Beide Rollen hat der Landtagsabgeordnete und Landesgeschäftsführer der NRW-SPD in seinem Repertoire. Und das spielt er souverän aus.
    Im Landtag, in den er am 13. Mai 1990 in Mülheim direkt gewählt wurde, tritt er mit kühler Sachlichkeit und unterkühlter Rhetorik auf, fast schon ganz Staatsmann. Seine Jungfernrede — so heißt der erste Plenarauftritt eines neu gewählten Abgeordneten, gemeint ist freilich die rhetorische Selbstdefloration — war kein Medienereignis — es ging um den Abbau der alliierten Truppen in NRW — wohl aber ein Test auf seine Gebrauchsfähigkeit als Redner. Der Hüne Hombach, schwere 192 Zentimeter groß, bestand ihn unter den wohlmeinenden Blicken von Johannes Rau und Friedhelm Farthmann zu deren Zufriedenheit.
    Als Wahlkämpfer braucht der 38jährige nicht mehr zu beweisen, was er drauf hat. Seit 1981 Raus rechte Hand im SPD-Landesverband, hat er zwei Wahlkämpfe erfolgreich geführt. 1985 traf er mit der Identifikationskampagne "Wir in NRW" die Wählerstimmung so genau, daß Raus Sozialdemokraten erstmals in der Geschichte des Landes die absolute Mehrheit gewannen. Fünf Jahre später konnte er diesen Erfolg wiederholen. Nicht so zum Zuge, wie Hombach und sein inzwischen als Chef der Staatskanzlei amtierender Polit-Zwilling Wolfgang Clement es sich gedacht hatten, kam Rau als Kanzlerkandidat 1987. Die Bonner Baracke, grollt Hombach auch mehr als drei Jahre danach noch, verhinderte durch ihre Unfähigkeit ein besseres Ergebnis, als Rau es dann tatsächlich holte. Seither sind die Spannungen zwischen den Parteifreunden in Bonn und Düsseldorf unübersehbar.
    Raus Niederlage gegen Kohl, vor allem die Art, wie sie zustande gekommen war, hatte Hombach an einen Ausstieg aus der Parteiarbeit denken lassen. Daß er das öffentlich tat, auch Ambitionen auf Ämter etwa bei der Ruhrkohle oder der Westdeutschen Landesbank zu erkennen gab, stoppte ihn. In dieser Phase der Desorientierung agierte er unprofessionell. Und auch mit der Presse, empfindlich gegenüber Lenkungsversuchen, legte er sich da schon mal an.
    Hombach ist ein ebenso bodenständiger wie kosmopolitischer Mensch von hoher Aufnahmefähigkeit. Der gebürtige Mülheimer, der sich im Revier zu Hause und den Menschen nahe fühlt, sich auch völlig frei von ideologischen Fixierungen wähnt, ist — gemeinsam mit seinem Bonner CDU-Kollegen Radunski — einziges deutsches Mitglied im exklusiven Club einer bedeutenden US-Vereinigung von Werbeexperten. Und solche Mitteilungen macht er nicht ohne Stolz.
    Bodo Hombach stammt aus einfachen Verhältnissen. Nach der Volksschule machte er eine Lehre als Fernmeldehandwerker bei der Post, dann über den zweiten Bildungsweg das Abitur, leistete Zivildienst, studierte Sozialarbeit, schloß mit der Graduierung ab. Dann ging er zum DGB und formulierte die Antwort der Gewerkschaften auf die Filzokratie-Vorwürfe Biedenkopfs. Später machte er noch das Diplom der Sozialwissenschaften. Einige Zeit war Hombach Pressesprecher der GEW-Landesvorsitzenden Ilse Brusis, heute Bauministerin im Kabinett Rau. Hombach sammelt akademische Auszeichnungen und ist gegenwärtig dabei, an der Fern-Universität in Hagen zum Doktor zu promovieren.
    Die wohl in seiner Biographie begründete manische Lust, es sich und der Welt zu zeigen, macht Hombach auch zu einem rastlosen Autor und Herausgeber. Über "Die SPD von innen" hat er Auskunft gegeben, Geschichte und Geschichten aus dem sich ökonomisch und ökologisch erneuernden alten Industrieland NRW unter dem bezeichnenden Titel "Der Lokomotive in voller Fahrt die Räder wechseln" herausgebracht. Für eine Essaysammlung des Philosophen und Publizisten Peter Sloterdijk ("Kritik der zynischen Vernunft") hat er zwei Arbeiten beigesteuert.
    Gleichwohl wirkt Hombachs beachtlicher Ehrgeiz nicht verkrampft. Verhalten und ein bißchen bärig-tapsig, wie einer, der sich geschmeichelt fühlt, wenn er für Würden und Ämter im Gespräch ist, reagiert er auf Fragen nach seinen Karrierevorstellungen. Das sei "kein aktuelles Thema", sagt er. Zunächst und ganz einfach fühle er sich als Abgeordneter. Und das sei er gerne. Mit seinen Wählern in Mülheim hält er intensiven Kontakt über regelmäßige Bürgersprechstunden.
    Indes meinen viele zu wissen, daß Bodo Hombach schon bald nicht mehr nur einfacher Abgeordneter sein werde. Es gilt ihnen als sicher, daß er bei der in der Mitte dieser Legislaturperiode von Regierungschef Rau erwarteten größeren Kabinettsumbildung in die Landesregierung eintreten und Arbeits- und Sozialminister Hermann Heinemann beerben wird, der dann sein Amt aufgeben möchte.
    Bernd Kleffner

    ID: LI902142

  • Porträt der Woche: Siegfried Martsch (DIE GRÜNEN).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 20 - 11.12.1990

    Der Abgeordnete Siegfried Martsch, den fast alle "Siggi" nennen, ist kein typischer Vertreter der Grünen: Kein Akademiker, sondern gelernter Kfz-Schlosser, kein Wehrdienstverweigerer, sondern Soldat für 15 Monate, kein Pazifist, sondern jemand, der offen sagt: "Wenn man mich angreift, wehre ich mich, das gilt nicht nur für den persönlichen Bereich."
    Der 37 jährige ist in Bochum geboren, seit vielen Jahren lebt er mit Ehefrau und drei Söhnen (elf, neun und sechs Jahre) auf einem gepachteten Sechs-Hektar-Hof in Borken als Nebenerwerbs-Bauer. Im Hauptberuf ist Martsch seit Mai Landtagsabgeordneter. Ein kurzer Ausflug in die Selbständigkeit Anfang der 80er ist mißlungen. Schlimmer noch: Der Versuch des Bauunternehmers Martsch endete mit einer siebenmonatigen Strafe auf Bewährung wegen Konkursvergehens. Offen räumt er ein, dies sei nun einmal Bestandteil seiner Biographie, nicht gerade eine Auszeichnung, aber,das ist halt so".
    Zur Partei der Grünen findet der schwergewichtige Mann im Januar 1984. Ab 1983 war er zu Grünen-Versammlungen gegangen. Dann habe er nicht mehr nur dabei sein wollen. "Mitmachen" lautete seine Parole. Und schnell stieg er auf, allerdings nicht als "Überflieger", sondern, wie er sagt, "auf der Ochsentour", also über die Kommunalpolitik in Borken. Zwei Jahre war der Agrarexperte der Grünen-Landtagsfraktion auch Sprecher des Landesvorstandes der Partei in NRW.
    In einer Zechensiedlung in Bochum und später in Lippstadt wurde Siegfried Martsch groß: Neun Jahre Volksschule, Kfz-Schlosser-Lehre, Wehrdienst, Fernfahrer (viel in Italien) — das sind weitere Stationen auf seinem Lebensweg. Er wollte ganz bewußt zur Bundeswehr, weil er dort, wo die meisten männlichen Altersgenossen waren, politisch argumentieren wollte. "Ich traute es mir zu, in der Bundeswehr zu diskutieren." Im "Bau" sei er nie gelandet. Auch heute akzeptiere er die Soldaten, habe keinerlei Vorurteile.
    Erste politische Aktivitäten gab es im CVJM, dann folgte Engagement in der linken Lehrlingsbewegung, in den Republikanischen Clubs, später bei der Evangelischen Studentengemeinde (ESG). Vier Jahre wirkte Martsch als Nicht-Akademiker im Vorstand der ESG. Solidarität mit Palästina und Afrika war für ihn ein großes Thema damals. Ein Höchstmaß an Sympathie mit Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 wich zunehmender Irritation über die Siedlungspolitik der Israelis: "Für mich war es nicht verständlich, daß die Juden, die selbst soviel Unbegreifliches erlitten haben, nun gegenüber Palästinensern zu menschenverachtenden Mitteln griffen."
    Das heutige Vorgehen der USA am Golf nennt Martsch ein "überflüssiges und gefährliches Spiel". Der Westen habe gegenüber Saddam jahrelang alles andere als glaubwürdige Politik betrieben. Mit solchen Leuten hätte man eben keine Geschäfte treiben dürfen. Statt zum Krieg, würde er zu "schärfsten politischen und wirtschaftlichen Sanktionen" gegen Irak raten.
    Martsch, der sich nicht eindeutig den Flügeln in der GRÜNEN-Fraktion zuordnen läßt, sagt, er nabe viele wertkonservative Züge. Hat er Probleme mit der Haltung seiner Partei zur Abtreibung? Martsch zögert einen Moment. Dann erzählt er von heftigen Diskussionen daheim mit seiner Frau. Er möchte, daß keine Frau in diesem Land meint, abtreiben zu müssen. Das sei seine gesellschaftliche Utopie. Solange diese nicht Wirklichkeit werde, müsse man wohl jeder Frau zubilligen, selbst darüber zu befinden, ob sie das Kind austragen soll oder nicht. Martsch: "Deshalb bin ich dafür, den Paragraph 218 abzuschaffen, er löst das Problem nicht."
    Wie steht es um das Verhältnis des Grünen Martsch zum Auto? Schließlich war er einmal Kfz-Schlosser und Lastwagenfahrer. Das gleichsam erotische Verhältnis zum Auto sei längst passé. Heute empfindet der Diesel-Fahrer (demnächst soll ein Kat-Fahrzeug angeschafft werden) Autofahren als Last und als Streß. 90 Prozent seiner Wege lege er mit der Bahn zurück. Ein schlimmer Unfall zu Jahresbeginn hat ihm das Autofahren zusätzlich vermiest. Damals, am 10. Januar, sei er verletzt aus seinem Autowrack gekrabbelt. Er zeigt ein Foto, das belegt, daß Siegfried Martsch unwahrscheinliches Glück gehabt hat: Das Überleben sei wie ein zweiter Geburtstag gewesen, meint er rückblickend.
    Untypisch für einen Grünen ist auch Martschs Haltung zur deutschen Einheit. Stets sei er dafür gewesen, mit dem Wegfall der Mauer sei von sehr vielen Menschen eine schwere Last genommen worden. Zu Silvester 1989 ist er mit seiner Familie zu einer Tante nach Dresden aufgebrochen: "Ich war erheblich gerührt." Jetzt ärgert er sich darüber, daß seiner Meinung nach der Kanzler den Leuten drüben "das Blaue vom Himmel" verspricht, daß fortschrittliche Politik-Konzepte der revolutionären Bewegung vom vergangenen Herbst keine Chancen mehr haben.
    Martsch bezeichnet sich als einen Politiker, der zwar für Visionen offen, aber doch eher praktisch orientiert ist. 30 oder 40 Jahre am Schraubstock zu arbeiten und mit den Kollegen über Politik reden, um sie zu überzeugen, erscheine ihm viel heldenhafter als fünf Minuten etwas Spektakuläres zu veranstalten. Noch eine Abweichung von anderen Grünen: Mansch sagt, er sei ungebrochen optimistisch, glaube an die gute Substanz in jedem Menschen. Dafür werde er in der Partei oft belächelt.
    Reinhold Michels

    ID: LI902050

  • Porträt der Woche: Helga Gießelmann (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 19 - 27.11.1990

    Sie ist nach ihren eigenen Worten ein »Kind der Arbeiterbewegung" und fühlt sich ihr auch heute noch besonders verpflichtet — Helga Gießelmann, SPD- Landtagsabgeordnete aus Bielefeld. Und in der Tat, die 41 jährige Sozialdemokratin stand in ihrer Jugendzeit nicht auf der "Sonnenseite des Lebens". Der Weg bis zur Diplom-Soziologin führte über die kaufmännische Lehre in einem metallverarbeitenden Betrieb, über Abendkurse, Berufsaufbauschule und später über die Universität in Bielefeld. Bereits als Lehrling trat die gebürtige Ostwestfalin in die Industrie-Gewerkschaft Metall ein, kurz darauf auch in die Sozialistische Jugend, die "Falken". Schon früh festverwurzelt in der Gewerkschaftsbewegung, arbeitete sie später beispielsweise an einem Forschungsprojekt, das Kooperationsformen zwischen Hochschulen und Gewerkschaften zum Inhalt hatte.
    Geradlinig verlief Helga Gießelmanns "Karriere" in der SPD, der sie sich 1970 anschloß. Als damals 21 jährige engagierte sie sich zunächst bei den Jungsozialisten, später im Ortsverein und Unterbezirk, und wurde dessen stellvertretende Vorsitzende. Zugleich ist sie ostwestfälische Bezirksvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF).Als der frühere Landtagspräsident Karl-Josef Denzer vor der letzten Wahl im Mai dieses Jahres auf eine erneute Kandidatur für das Landesparlament verzichtete, bewarb sich Helga Gießelmann mit Erfolg zunächst in den Parteigremien, dann bei den Wählern um den Wahlkreis 105, Bielefeld l.
    Schon während ihrer früheren politischen Tätigkeit sah es die Sozialdemokratin als eine persönliche Herausforderung an, die Gewerkschaften mit den neuen Bürgerbewegungen, wie beispielsweise der Friedens- und ökologischen Initiativen, ins Gespräch zu bringen. Es gab in der Vergangenheit eine gewisse Abschottung" seitens der Arbeiterbewegung, stellt sie bedauernd fest. Sie ist aber überzeugt, daß zwischen ihnen gemeinsame Interessen existieren und auch die SPD auf diese Störungen ein größeres Augenmerk richten müsse. Als Abgeordnete sieht sie eine neue, eine parlamentarische Plattform für ihre Anliegen.
    Ihre Fraktion berief die "Neu"-Parlamentarierin auf Anhieb in zwei gewichtige Ausschüsse, den Haupt- und den Wirtschaftsausschuß. Für die engagierte Frauenrechtlerin ist es wichtig, daß Frauen in allen Parlamentsgremien mitarbeiten und auch deren Aspekte vertreten. Insbesondere in jenen sogenannten klassischen Gremien gebe es nach ihrer Ansicht "noch viel für die Frauen zu tun". Derzeit beschäftigt sich der Hauptausschuß mit den Chancen und Risiken des Truppenabzugs bzw. der -Verminderung für die einzelnen betroffenen Regionen Nordrhein-Westfalens, wobei die Sozialdemokratin die Federführung für ihre Fraktion übernommen hat. Für Helga Gießelmann, die sich viele Jahre in der Friedensbewegung engagierte, überwiegen eindeutig die Vorteils. So nennt sie es beispielsweise ein "schönes, erstrebenswertes Ziel", einen "Nationalpark Senne" zu schaffen. "Wir haben die einmalige Chance, dieses gegenwärtig noch militärisch genutzte Gebiet der Ökologie zuzuführen."
    Seit Mai erstmals im Landtag, benötigt auch die Bielefelderin eine gewisse "Eingewöhnungszeit". "Der Riesenbau erschlägt einen zunächst", resümiert sie und fügt gleich hinzu, daß sie bei ihren Kollegen sehr viel Hilfsbereitschaft erfahren habe. Zu ihrem künftigen Parlamentsstil meint die Abgeordnete, sie wolle sich jeweils auf ein bestimmtes Thema konzentrieren und sich mit ihm dann intensiv beschäftigen. Eine gehörige Portion Sachverstand bringt die Sozialdemokratin, die von 1985 bis zur Mandatsübernahme die Kommunale Gleichstellungsstelle in Herford führte, zweifellos ein. Gefragt nach ihrem Hobby, kommt schnell die Antwort — "dafür habe ich keine Zeit". Schließlich ist Helga Gießelmann Mutter von drei Kindern, und nicht nur diese Aufgabe nimmt sie sehr ernst.
    Jochen Jurettko

    ID: LI901958

  • Porträt der Woche: Günther Einert (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 18 - 13.11.1990

    "Ja, doch", sagt Günther Einert nach nur ganz kurzem Zögern auf die Frage, ob auch er eine gewisse Trauer darüber empfinde, daß seine schlesische Heimat nun endgültig verlorenes Land sei. Obschon er als Fünfjähriger bereits nach Görlitz kam, heute Grenzstadt an der Neiße, kann er Gefühle von Heimatvertriebenen, an die unlängst Landtagsvizepräsident Hans-Ulrich Klose in seiner Parlamentsrede zur deutschen Einheit erinnerte, nachempfinden. Aber Einert führt sofort den Gedanken weiter, spricht davon, daß seine drei Kinder, alle schon längst selbst erwachsen, in ganz anderen Kategorien denken und in europäischen Grenzen nicht mehr Trennendes sehen. "Das ist die positive Botschaft. Das Haus Europa bekommt gerade jetzt neue Attraktivität."
    Mit diesen wenigen Sätzen charakterisiert der Mann, der heute für die Wirtschaftspolitik des stärksten Bundeslandes die erste Verantwortung trägt, sich gewissermaßen selbst: Gefühle darf man haben und sich dazu bekennen, doch sich dem Gefühl ganz überlassen, das darf man nicht. Dieses nur scheinbar einfache Rezept läßt sich auch auf sozialdemokratische Politik übertragen. Nach ihm haben viele Sozialdemokraten in Vergangenheit und Gegenwart gehandelt: Stimmungen der Menschen aufnehmen, ihren Sorgen und Ängsten nachspüren, aber dann so entscheiden, wie die Vernunft gebietet und es Umsicht und Rücksicht auf die Interessen anderer erfordern.
    Günther Einert, mit einer kurzen Unterbrechung seit 1966 im Landtag und damit einer der erfahrensten Parlamentarier, legt es bei dem, was er tut und sagt, nicht unbedingt darauf an, überall Beifall einzuheimsen. Er sagt dem Kumpel, dem Stahlkocher, daß der Strukturwandel der Wirtschaft nie abgeschlossen ist und immer neue Herausforderungen bringt, und er mahnt ebenso die Verantwortung des Unternehmens und der Unternehmen für die Regionen und ihre Menschen an, in denen sie sich niedergelassen haben. Und Einert verschont auch Parteifreunde in anderen Landesregierungen nicht, wenn die Sache, um die es geht, dies erfordert. So forderte er erst unlängst in einer Debatte des Landtags die gesamtstaatliche Verantwortung Niedersachsens in der Frage der Endlagerung von atomarem Abfall ein. Gefallen hat dies dem Parteifreund Gerhard Schröder in Hannover nach dessen eigenem Bekenntnis ganz und gar nicht. Gleichwohl war es richtig und notwendig.
    Die Wirtschaftspolitik des Landes, die auch immer Strukturpolitik sein muß, ist für den Sozialdemokraten Einert eine Aufgabe, die den Ausgleich der Interessen ebenso suchen muß wie die Einbindung aller in die Verantwortung. Daß eine so schwierige Phase der Umstrukturierung wie im letzten Jahrzehnt ohne allzu große Verwerfungen bewältigt werden konnte, ist seiner Meinung nach ein Beweis dafür, daß größtmögliche Übereinstimmung gesucht und gefunden werden konnte. Die Rolle des Staates bei der Bewältigung der künftigen Herausforderungen in der Wirtschafts- und Strukturpolitik sieht Einert, der seine wissenschaftliche Ausbildung zum Nationalökonomen in den USA und in Deutschland erst nach einer praktischen Lehr- und Arbeitszeit als Schlosser und Schweißer absolvierte, ganz nüchtern. Es kommt nach seiner Meinung weniger darauf an, daß der Staat mit finanziellen Anreizen lockt, sondern Unternehmen und Investoren müssen darauf setzen können, daß die Politik verläßlich ist, langfristige Perspektiven eröffnet.
    Für diese Art von Wirtschaftspolitik steht Einert. Und er tut das Seine, bei anderen dafür um Unterstützung zu werben. Daß die Kammern des Handwerks und der Industrie sich ihrer Verantwortung für den Erfolg von Politik stellen, freut ihn ganz offensichtlich. Und ausgesprochen lobend erinnert er an den ermordeten Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und den verstorbenen Veba-Vorstand Rudolf von Benningsen-Foerder, die maßgeblich dazu beigetragen hätten, daß der Initiativkreis Ruhrgebiet eine so große Signalwirkung entfalten konnte.
    Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister geht davon aus, daß er eine große Übereinstimmung für eine Wirtschaftspolitik, die den Interessen der Menschen und denen der Unternehmen gleichermaßen dient, auch künftig braucht. Denn neue Herausforderungen stehen vor der Tür. Die Elektronikbranche, jahrelang kraftstrotzend immer neue Umsatzrekorde meldend, fängt an, Arbeitsplätze abzubauen. Mit Subventionen ist dagegen nichts zu machen. "Keiner kann gegen den Markt ansubventionieren", weiß der Minister. Doch die Wege freischlagen für neue Produkte, das kann in ständiger, gemeinsamer Anstrengung sehr wohl gelingen, wenn alle sich ihrer Verantwortung stellen.
    Karl Lohaus

    ID: LI901845

  • Porträt der Woche: Hans Klaps (SPD).
    Porträt
    S. 23 in Ausgabe 17 - 30.10.1990

    Das war ein Geburtstags-Vorabend für Hans Klaps: Am 13. Mai, dem Tag der Landtagswahl, schaffte der SPD-Mann vom Niederrhein als einziger sozialdemokratischer Wahlkämpfer, einen Wahlkreis von der CDU zu "holen".
    Noch 1985 war Klaps bei dem Versuch, den populären Landrat Manns Backes (CDU) im Wahlkreis Viersen (Land) aus dem Feld zu schlagen, knapp gescheitert. Jetzt konnte der erste Textilgewerkschafter im Landesparlament am Tag danach seinen Geburtstag besonders fröhlich feiern.
    Klaps ist 54 Jahre alt. Der gelernte Samtweber gehört zur großen Schar der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, die politische Bodenhaftung haben. Seit 1972 ist der im ländlichen Brüggen-Bracht lebende Abgeordnete freigestelltes Betriebsrats-Mitglied. Seine Bewährungsprobe als Arbeitnehmer-Vertreter bestand Klaps als Vorsitzender des Betriebsrates einer niederrheinischen Textilfirma, die in eine arge Krise geraten war.
    1968 trat er in die SPD ein — nicht, weil damals die große innenpolitische Politisierung stattfand, sondern — typisch für den Afa-Mann — weil er von Betriebsrats-Kollegen dazu animiert worden war.
    Man tritt Hans Klaps sicherlich nicht zu nahe, wenn man ihm eine gehörige Portion Skepsis gegenüber der akademischen 68er Bewegung und ihren Repräsentanten unterstellt. Zu den GRÜNEN hat er ein distanziertes Verhältnis. "Das sind ja meistens studierte Leute", sagt er, zwar nicht abschätzig, aber doch so, als wolle er andeuten, daß solche Leute eben wenig von der wirklichen Arbeitswelt verstünden. "Ich habe 15 Jahre Nachtschicht in einer Weberei gemacht, ich kenne das Arbeitsleben." Hans Klaps räumt ein, daß GRÜNE so manchen vernünftigen Vorschlag machen, fügt aber dann sofort hinzu: "Wenn die doch bloß ein bißchen gemäßigter wären." Und weiter: "Als Arbeitnehmer sage ich, wenn die Vorstellungen der GRÜNEN realisiert würden, gingen eine ganze Menge Arbeitsplätze einfach drauf." Es bedarf kaum des Hinweises, daß Klaps seine Probleme mit Parteifreund Oskar Lafontaine hat. Er selbst spricht deutlich von "Reserven", die er habe: "Ich bin kein Fan von Oskar, ich hätte Jochen Vogel noch einmal kandidieren lassen." Friedhelm Farthmann und Johannes Rau stehen dafür hoch im Kurs von Hans Klaps. Mit Farthmann verbindet ihn die Nähe zur Gewerkschaft und die Abneigung zur SPD-Frauenquote. Farthmann sei im übrigen auch der einzige Politiker gewesen, der bei ihm mal auf einer Betriebsversammlung gewesen sei. Ja, und daß Johannes Rau möglichst noch über das Jahr 1995 Ministerpräsident von NRW bleiben möge — das wünscht sich der neue Landesparlamentarier.
    Bei der Frage nach möglichen "Kronprinzen" fällt ihm nicht viel ein: "Da bin ich vorsichtig, über die Jahre hinweg kann sich vieles ergeben."
    Er selbst ist jemand, der das Geschehen im Landtag aus den hinteren Reihen verfolgt. Das leicht diffamierende Wort "Hinterbänkler" stört ihn nicht, wie erbetont. Es folgt dann ein Satz, der wie das politische Credo des Basis-Politikers Klaps klingt: "Für mich findet die wichtigste Arbeit im Wahlkreis statt, dort sind auch die Wähler, dort muß man sich einsetzen, denn die nächste Wahl kommt bestimmt."
    Das Landtags-Büro im 4. Stock wirkt noch sehr uneingerichtet knapp fünf Monate nach der Wahl. Die karge Atmosphäre scheint das Wohlbefinden des neuen Abgeordneten nicht zu beeinträchtigen. Er spricht von einem angenehmen Klima in der Fraktion, von hilfreichen Kollegen wie Marie-Luise Morawietz oder Landtags-Vize Schmidt, die ihm, dem Neuling, mit Rat und Tat zur Seite gestanden hätten.
    Klaps arbeitet im Ausschuß für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz; im Umweltausschuß wurde er nur stellvertretendes Mitglied. "Leider", wie er bekräftigt. Der Privatmann Hans Klaps ist seit jeher dem Sport, vor allem dem Fußball, zugetan. Bis zum 46. Lebensjahr hat er aktiv gespielt, dann zwangen Probleme im rechten Knie zum Aufhören. Heute ist er Präsident der 1. Altherren im Brachter TSF. Den Sonntag hält er sich — wenn irgend möglich — frei. Der Tag gehört der Ehefrau. Die einzige Tochter ist erwachsen, bewohnt aber ein Haus in unmittelbarer Nähe der Eltern. Weiteres Hobby neben dem Fußball: Rausgehen mit dem Schäferhund.
    Reinhold Michels

    ID: LI901746

  • Porträt: Dr. Wilhelm Lenz (CDU).
    Porträt
    S. 12 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Über Dr. Wilhelm Lenz, den CDU-Politiker, einstigen Fraktionsvorsitzenden, Oppositionsführer und Ministerpräsidenten-Kandidaten seiner Partei, ein Porträt zu schreiben, würde nicht schwerfallen. Den Landtagspräsidenten gleichen Namens würdigen zu wollen, ist kaum ein Vierteljahr nach seiner Wahl in dieses hohe Amt unmöglich.
    Die siebente Wahlperiode, für die Dr. Lenz am 27. Juli dieses Jahres als Nachfolger von Ernst Gnoss, Robert Lehr, Josef Gockeln, Wilhelm Johnen, Josef Hermann Dufhues und John van Nes Ziegler berufen wurde, ist erst "vier Plenarsitzungen alt". Allerdings: Es kündigen sich Veränderungen sowohl innerhalb der parteipolitischen Landschaft als auch auf parlamentarischer Ebene an. Da man in naher Zukunft wahrscheinlich mit noch knapperen Mehrheitsverhältnissen im Landtag als bisher wird rechnen müssen, dürfte bereits mit den nächsten Sitzungen die erste "heiße Phase" für den Präsidenten beginnen.
    Sie wird von ihm jene Art der Amtsführung erfordern, die Wilhelm Lenz unmittelbar nach seiner Wahl für sich, für die neuen Vizepräsidenten, aber auch für die Fraktionen so umschrieb: "Diese Arbeit sollten wir trotz aller politischen Gegensätze, die sein müssen, in jener sachlichen Atmosphäre vollziehen, die dieses Parlament seit seinem Bestehen ausgezeichnet hat."
    Diesen Landtag kennt sein neuer Präsident seit mehr als zwölf Jahren. Als der damals 37-jährige Kölner im Juli 1958 als Abgeordneter ins Haus am Kaiserteich zog, war noch sein wenige Monate später tödlich verunglückter Parteifreund Josef Gockeln Landtagspräsident, stellte die SPD mit Alfred Dobbert zum vierten Male den Vizepräsidenten, saß die heutige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages noch in den Reihen der F.D.P.-Landtagsfraktion.
    Diese beinahe schon historischen Fakten findet man im Handbuch, das über Lenz selbst nur fünf Zeilen enthält. Sie umschreiben seinen nichtpolitischen Werdegang sogar in nur zwei dürren Zeilen: Geboren am 2. Juli 1921 in Köln; verheiratet fünf Kinder, Abitur Dr. phil., Geschäftsführer. Schon bei der letzten Angabe wäre zu ergänzen "...des Deutschen Beamtenbundes". Es ist ebenso erwähnenswert, daß der junge Philologe eine sprachwissenschaftliche Doktorarbeit über Georg Büchner schrieb, an einer privaten Abendschule Deutsch, Englisch und Geschichte lehrte und einmal davon geträumt haben soll, Publizist zu werden, was der Parlamentsjournalist um so lieber vermerkt, als sich ihm damit die Gelegenheit bietet, die Pressefreundlichkeit des Parteipolitikers Lenz zu loben und die gleiche Tugendübung vom Landtagspräsidenten Lenz zu erwarten.
    In einem Porträt über den Landtagspräsidenten Lenz darf man Anmerkungen über den Politiker Lenz ungestraft vernachlässigen, da die Elle am Parteimann anzulegen wäre, von dem hier nicht die Rede ist. Als man noch über "diesen" Lenz schrieb, gab es Attribute in Hülle und Fülle. Sie reichten von "unauffällig im Auftreten "und "ohne Neigung zu politischen Höhenflügen" bis "immens fleißig, zielstrebig und ehrgeizig". Man bescheinigte ihm "politisches Profil" sowie "überzeugende Haltung "und vermißte gleichzeitig "charismatische Züge" und eine "große Ausstrahlung". Auf der Wertungs-Waagschale lag hüben ein "klar denkender wie scharf analysierender Kopf" eines "mit allen kölnischen Wassern gewaschenen Taktikers " und häufte man drüben Lenzsche "pragmatisch-politische Fähigkeiten" und seine "Begabung", ein Team zu leiten.
    Nun wohl: Ein Landtagspräsident zieht mit dem neuen Amt das Gewand des Politikers nicht aus. Parteiliche Überzeugung im besten Sinne dürfte parteiisches Handeln sogar ausschließen. Man darf daher dem Präsidenten des Hohen Hauses sogar wünschen, daß er diese ihm zugeschriebenen Eigenschaften in das neue neutrale Amt mitnehmen möge. Sie sind der handwerkliche Nachweis eines, wie Wilhelm Lenz sich selbst schlicht nennt, "praktizierenden Demokraten ".
    Max Karl Feiden
    (Erschienen am 8. Oktober 1970)

    ID: LI90S124

  • Porträt: John van Nes Ziegler (SPD).
    Porträt
    S. 13 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Mit dem rapiden Abschied des 64jährigen John van Nes Ziegler von der politischen Promenade verstärkt sich der Eindruck, daß die nachdrükkende Generation den Traditionsbruch pflegt, wie ihn Soziologen vornehmlich seit den 60er APO-Jahren in allen Gemeinschaften und Parteien konstatieren: Die Söhne stützen die Väter nicht!
    Es waren Sozialdemokraten jüngeren Datums, die Nes Ziegler den schon geebneten Weg vom Düsseldorfer Präsidentenamt zum Sitz des Europa-Parlaments in Straßburg verbauten. Ob die Verweigerer glaubten, es handele sich um eine Alters-Apanage durch die Parteiführung, ob sie meinten, der Kandidat sei schon zu alt — einerlei! Ein Politiker starken Geblüts, jenseits aller Ideologie und Technokratie, wurde abgeblockt, auf Leistung und Persönlichkeit keine Rücksicht genommen, auch nicht auf Autorität, die zusehends in der politischen Landschaft von Bund und Ländern nebst Kommunen versandet, weil zu viele Politik nur noch als Geschäft wie jedes andere begreifen, weil zu viele Politiker sich immer mehr nur als Manager verstehen. Gesichtslose und geschichtsarme Karrierejünglinge schieben sich in allen Organisationen nach vorn. Originale werden oft durch Abziehbilder ersetzt.
    Die Popularität des Parlamentarismus steht und fällt mit einem Repräsentanten. Ein Landtagspräsident hat wenig Macht und doch große Verantwortung. John van Nes Ziegler war sich bewußt, daß sein Amt dem Landtag gehört, der allzeit Schutz und Glanz nötig hat. — Kein Staat lebt ohne Symbol, van Nes Ziegler hat dies nach unrühmlichen Schwächeanfällen seiner Vorgänger gegen alle Widerstände praktiziert, als er Zug um Zug den wie ein Kollosseum anmutenden Neubau des Landtags durchsetzte.
    Durch und durch Pragmatiker, der nicht abends rechts einschläft, um morgens links aufzuwachen, ging er seinen bemerkenswert geraden Weg: 1946, nach Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg, schloß sich der 1921 in Köln geborene Patriziarsohn der SPD an. Zwei Jahre später stand der Jurastudent auf der ersten politischen Plattform, und dies als Vorsitzender des Sozialistischen Studentenbundes (SDS). Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer waren seine Chefs, Helmut Schmidt schlichtes Mitglied der sozialdemokratischen Akademiker-Quelle, die seinerzeit noch klares Wasser und Solidarität spendete. Van Nes Zieglers Blick zurück: "Sonst wären wir auch rausgeflogen..."
    1956 zog der junge Rechtsanwalt in den Kölner Stadtrat ein, um auf Anhieb Fraktionschef zu werden und es bis 1973 zu bleiben. Dann löste er Theo Burauen ab, dessen Oberbürgermeister-Kette der Kölner John, seine Hamburger Urverwandten nicht verleugnend, voller Stolz sieben Jahre trug. Nur ungern und nach selbstquälerischem Erforschen der weiteren Laufbahn machte er den Stuhl des großen Stadtvaters frei. Die Konsequenz einer bis dato schon erfolgreichen Vergangenheit holten den handfesten, zuweilen auch derben Politiker ein... Nach Heinz Kühns Wahlsieg 1966 in Nordrheinwestfalen war van Nes Ziegler zum Landtagspräsidenten gewählt worden, ab 1970 dann für die Dauer von zehn Jahren Landtagsvizepräsident gewesen, und so bewahrte das Haus am Schwanenspiegel würdige Kontinuität, indem es 1980 abermals dem ersten Kölner Repräsentanten wiederum das erste Präsidentenamt des Parlaments einstimmig übertrug.
    Gemessen an allen seinen Vorgängern ähnelte der Führungsstil des van Nes Ziegler dem des verstorbenen und fast schon vergessenen Wilhelm Johnen. Beide Politiker, obwohl in ganz verschiedenen Parteien zu Hause, handhabten Mehrheit im Sinne von Herrschen. Beide Männer ließen sich aber nicht von ihren Parteifreunden den Eintopf der Majorität aufzwingen. Im Falle des Nes Ziegler ging dies so weit, daß er gegen Druck vieler Sozialdemokraten zum Pressesprecher im Landtag den engsten Mitarbeiter des am 20. April 1980 plötzlich verstorbenen Heinrich Köppler berief, ohne jenen versierten Friedhelm Geraedts persönlich näher gekannt zu haben. Mit gleicher Umsicht setzte der Präsident seinen Kandidaten für die Nachfolge des Landtagsdirektors Brentrup durch. Diesmal lief die CDU vergeblich Sturm ...
    Erfrischend, wie er alten Kurialien zu Düsseldorf schon 1966 den Bart abnahm und zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode nicht im bis dato üblichen Bratenrock erschien ...
    Reformerisch, wie er etwa als plötzlich gerufener Kapellmeister sich in die fremde Partitur des Vorgängers stürzte, sie presto umkrempelte und sogleich zum großen Dirigenten wurde.
    Der arg konservativ ausgerichtete Landtag bis 1966 war stets zuerst die Arena der Regierung, die Opposition durfte Saaldienern ähnlich Eintrittskarten abreißen. Mehr Demokratie wagen, dies wurde jetzt erst zum Programm, die verstaubten Geschäftsordnungen mit ihren knebelnden Bedingungen zu Lasten der Regierungs-Kontrolleure korrigiert — so unter anderem das Recht des Oppositionsführers, gleich nach dem Ministerpräsidenten sprechen zu können: so die Pflicht, "aktuelle Stunden" jederzeit durchzusetzen, so die Notwendigkeit des "schnellen" Antrags, so Erleichterung für Abgeordnete, in der Fragestunde jeden einzelnen Minister zu stellen. Die vielen peinigenden Vorrechte der Regierungen Amelunxen, Arnold, Steinhoff und Meyers wurden abgeschafft.
    Ganz gewiß hat John van Nes Ziegler auch seiner Hinterlassenschaft manchen Gegner überantwortet, freilich konnte auch er nicht immer im Gewande Salomons den ganz gerechten Ausgleich zwischen den streitenden Parteien finden, aber: Auch den Journalisten wird er lange im Gedächtnis bleiben als robuste, eigenwillige, nicht biegbare Natur. Weder Praline-Journalisten, die es mit Süßigkeiten versuchten, noch Pressur-Kommentatoren gab er nach. Manche Medien-Nase stieß sich an diesem Politicus, der auch ein Stück Bad Godesberger SPD-Geschichte zwei Jahrzehtne lang durchdachte, auf daß Sozialdemokraten als Bewahrer der linken Volkspartei nicht ihre Mitte im Volk einbüßen, ohne die Heinz Kühn wie auch Johannes Rau die Führung in Nordrhein-Westfalen nie gewonnen hätten.
    Horst-Werner Hartelt
    (Erschienen am 7. Mai 1985)

    ID: LI90S126

  • Porträt: Karl Josef Denzer (SPD).
    Porträt
    S. 14 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Kein Landtagspräsident in der mehr als 40jährigen Geschichte Nordrhein-Westfalens war stets so umgeben und umringt von Freund und Gegner wie Karl Josef Denzer, der sich nach der Parlamentswahl im Mai aus der Landespolitik gänzlich zurückzieht und in seinen Bielefelder Garten heimkehrt.
    Den Gegnern hat er es meist nicht schwer gemacht, indem er ihnen spontan, impulsiv und ehrlich die höchstpersönliche Meinung geigte ... Da gab es kein Drumherumreden, da stand Denzer, fast Herbert Wehner gleich, laut, überdeutlich auf der Walstatt, auf daß den Rechtschaffenen, ob in Verwaltung oder im Landtag selbst, Hören und Sehen verging. Den eigenen Freunden wiederum machte es der "Jupp" auch nicht leicht, weil er gelegentlich erhoffte Zustimmung gar nicht erst abwartete, den Beschlüssen vorauseilte.
    Ein Mensch in seinem Widerspruch, ein Sozialdemokrat aus der Kurt-Schumacher- Ära, die Karl Josef Denzer in Bielefeld vor allem unter Emil Gross erlebte, dessen Bedeutung für die SPD und den gesamten Detmolder Regierungsbezirk gleichrangig neben der Statur Heinrich Drakes zu werten ist.
    Der Jungsozialist Denzer hat es damals erfahren: Die Geschlossenheit der Partei war oberster Grundsatz, Abweichler überrollte die Disziplin der Mehrheit, nicht das Programm, sondern die Person war alles. Es gab noch keinen linken Flügel, der Erzfeind waren die KPD und Nachfolger.
    Die Jusos galten damals als Avantgarde der alten SPD, nur so ist heute erklärbar, daß beispielsweise Denzers Juso-Mitstreiter Heinz Castrup zum persönlichen Referenten Erich Ollenhauers aufstieg, als dieser nach Schumachers Tod zum ersten Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gewählt wurde. Denzer ging den anderen Weg, schlug sich neben seinem Beruf als Verwaltungsfachmann durch die Kommunalpolitik, bis er 1970 in den Landtag gelangte.
    Der politischen Gesäß-Geographie zufolge, die inzwischen auch die SPD erfaßt hatte, galt der Abgeordnete aus Bielefeld als "Rechter"; zweifellos war er kein Linker im Sinne der APO, auch kein Freund der Ideologen. Die politische Praxis hatte ihn zum Pragmatiker gemacht, und dies im Geiste seiner Partei- Ahnen. Daß sich auch in Ostwestfalen-Lippe die SPD-Mehrzahl verjüngte, daß beispielsweise mit dem Aufbau der Bielefelder Universität auch eine gesellschaftliche Umschichtung der Partei einherging und nicht mehr die Metallarbeiter das Sagen hatten, dies bekümmerte freilich zuweilen einen "alten" Sozialdemokraten wie Denzer.
    Immerhin, die SPD Nordrhein-Westfalens wußte, was sie an ihm hatte: in der Landtagsfraktion rückte er auf, wurde als Etat-Sprecher Nachfolger von Friedel Neuber, den der Rheinische Sparkassenverband zum Präsidenten gewählt hatte. Beim Rücktritt des Finanzministers Professor Dr. Friedrich Halstenberg blieb tagelang die Frage in der Schwebe, ob Diether Posser oder Karl Josef Denzer das wichtigste Ressort der Landesregierung übernehmen sollte. Daß der damalige Ministerpräsident Heinz Kühn Posser den Vorzug gab, erwies sich alsbald für die Landtagsfraktion als Glücksfall, denn sie brauchte einen neuen Vorsitzenden. Dieter Haak übergab sein Amt an Denzer; die Fraktion, auch die Regierung, nun schon mit Ministerpräsident Johannes Rau, war glücklich mit ihm.
    In einer Zeit, da die SPD erstmals die absolute Mehrheit in den Landtag einbrachte und nur noch zwei Parteien im Parlament abstimmten, war die Führung der Majoritäts-Fraktion um so schwieriger, denn so viele Begehrlichkeiten in der siegreichen SPD mußten abgeschlagen werden, konnten nicht ausweichend wie entschuldigend mit Hinweisen auf Koalitionspartner leicht ins Abseits gedrängt werden. Dazu gehörte auch mancher Ansturm auf die Landeskasse, auch auf die Schulpolitik etc. Zudem mußte sich Karl Josef Denzer im Plenarsaal mit keinem Geringeren als Professor Kurt Biedenkopf herumschlagen, dessen Reden immer gefürchtet waren. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge nahm Fraktionschef Denzer Abschied von dem ihm auf den Leib geschriebenen Führungsamt. Die Partei bestand darauf, ihn zum Landtagspräsidenten zu wählen, es wurde keine leichte Zeit für ihn. 227 Abgeordnete, also 27 mehr, waren 1985 ins Parlament eingezogen, auch die dritte Partei, die F.D.P., war wieder da. Schwierige Gewöhnungsprozesse auf beiden Seiten kamen in Gang. Der Präsident, traditionsgemäß persona grata, wurde plötzlich angerempelt. Einzelne Abgeordnete verstiegen sich zu Gemeinheiten.
    Am schwierigsten indes vollzog sich der materielle und geistige Umzug vom Altbau am Schwanenspiegel in das überdimensionale neue Gebäude am Rhein. Der Landtagspräsident mußte für alles geradesteben, obschon er den Neubau nicht forciert hatte. Einzig und allein seine beiden Vorgänger im Amt, John van Nes Ziegler (SPD) und Wilhelm Lenz (CDU), haben das gewaltige Millionen-Projekt betrieben, wenngleich die ersten hochfliegenden Pläne Wilhelm Johnen ausgedacht hatte, jener legendäre "Herzog von Jülich". Dieser Christdemokrat wollte schon in den sechziger Jahren den Neubau, aber Oppositionsführer Heinz Kühn schlug ihm alles aus der Hand. Auch die F.D.P. mit Willy Weyer legte sich quer.
    Karl Josef Denzer hat alles auf sich genommen, entzog sich nicht der Geschichte und nicht der Verpflichtung, auch nicht der Moral. Erst unlängst würdigte er alle seine Amtsvorgänger, gab ein Beispiel, das leider seltener auf der Tagesordnung des Landtags steht — die Solidarität der Demokraten.
    Horst-Werner Hartelt
    (Erschienen am 2. Mai 1990)

    ID: LI90S128

  • Porträt: Ingeborg Friebe (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe S1 - 23.10.1990

    Gratulationen und Glückwünsche nahm sie auffallend gelassen hin. So schnell läßt sich die Landtagspräsidentin nicht aus der Ruhe bringen, und dies ist gut so! Die vier Fraktionen werden ihr kaum etwas schenken. Ingeborg Friebe ist darauf eingerichtet.
    Was die Frau vom Jahrgang 1931 mitbringt, ist Lebensklugheit, erworben in der Familie und im Beruf, vor allem aber erlitten im Kindesalter. Den Vater haben die Nazis zum Tode verurteilt und umgebracht, weil er kommunistischer Widerstandskämpfer war. Die Mutter wurde bis zum letzten Kriegstag 1945 verfolgt, das hat die Tochter mit ihren beiden Brüdern in der Enge von Polizeidienststellen erfahren, dort wo SS und Gestapo kommandierten. Viele Jahre der Angst und der Not.
    Über den Weg der kaufmännischen Berufsschule gelangte das Mädchen an ihrem Geburtsort Braunschweig zum Deutschen Gewerkschaftsbund. Dort lernte sie ihren Ehemann kennen, mit dem sie in den 60er Jahren nach Monheim bei Düsseldorf zog. Die beruflichen Verpflichtungen machten den sonst gar nicht gewollten Umzug unumgänglich, denn Ehemann Horst wurde zum Bundesgeschäftsführer einer DGB-Organisation berufen.
    Frau Friebe entschied sich für die Familie, zog zwei Söhne groß und sagt heute noch: "Eines geht nur, entweder Mutter zu Hause oder frei von allem im Beruf!" 13 Jahre hat sie es so gehalten und war glücklich. Erst danach ging sie in ihren Beruf zurück, arbeitete als Schulsekretärin und kümmerte sich um die Politik im kleinen. Ganz unten fing Ingeborg Friebe an, Ortsvereinsvorstand und dann Kreisvorsitzende, schließlich gar als eine der ersten Frauen überhaupt die Chefin eines ganzen Unterbezirks, und dies gleich fünf Jahre an Rhein und Wupper. Alles ist glatt gelaufen, alles ohne Komplikationen, denn diese Funktionärin war nie kompliziert, immer offen und ehrlich, konnte gar dem bulligen Bezirksvorsitzenden Hans Otto Bäumer die Meinung geigen.
    Die SPD Willy Brandts hat sie geformt, obschon in ihren Jugenderinnerungen auch Niedersachsens Hinrich Wilhelm Kopf und Alfred Kübel eine Rolle spielen. Diese beiden Ministerpräsidenten und Braunschweigs Oberbürgermeisterin Martha Fuchs schärften das Interesse an Landes- wie an Kommunalpolitik. Mit diesem Rüstzeug kam Ingeborg Friebe 1976 in das Bürgermeisteramt der Stadt Monheim und ein Jahr davor schon in den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der Aufstieg vollzog sich lautlos und ohne Blaustrumpf. Die männlichen Parlamentskollegen freuten sich, nicht neben einer "Emanze" sitzen zu müssen. In den Ausschüssen Arbeit und Soziales nebst Gesundheit war sie schnell eine Fachfrau und im Gremium für Petitionen eine Hilfe für die Schwachen in der Gesellschaft. Wohltun ohne Glockengeläut, dies erwies sich als ihr Wochenprogramm, so hat sie überzeugt; so wählte sie der Landtag 1985 guten Gewissens zur Vizepräsidentin.
    Daß sie gar eines Tages den ersten Stuhl im Parlament einnehmen würde, wollte sie vor wenigen Monaten noch nicht glauben, zumal sie das sozialdemokratische Quoten-Diktat zugunsten von Frauen nicht als Weisheit letzter Schluß empfindet.
    Die erste Landtagspräsidentin in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen wird es nicht leicht haben. Man wird sie an Vorgängern messen, vor allem an der kompliziert gewordenen Tagesarbeit. Der Landtag startete in den Gründerjahren mit fünf Fraktionen, nämlich CDU, SPD, F.D.P., Zentrum und KPD. Ab 1954 aber fehlte schon die fünfte Gruppierung, und vier Jahre später hatte auch das Zentrum keinen parlamentarischen Bestand mehr. Von 1958 bis in den Mai 1990 setzte sich der Landtag mit einer Ausnahme zwischen 1980 und 1985 (der Wähler hatte der F.D.P. für diese Zeit kein Mandat gegeben) aus drei Fraktionen zusammen. Mit den überraschend eingezogenen Grünen stehen nun auf einmal wieder vier Parteien auf der Tagesordnung.
    Frau Friebe muß es richten, denn sie ist für alle da. Aber auch diese Tatsache nahm sie gelassen hin, schon in der Wahlnacht meinte sie, dies sei nun die vierte Dimension — "und mir ist nicht bange, solange wir immer Demokraten sind". Die Bürgermeisterin aus Monheim hat keine Angst vor der Zukunft, sie macht sich Mut und dem scheidenden Präsidenten Karl Josef Denzer wie auch der Landesverwaltung ein Kompliment: Das Hohe Haus sei viel besser als sein Ruf.
    Horst Werner Hartelt
    (Erschienen am 6. Juni 1990)

    ID: LI90S130

  • Porträt der Woche: Jörg Twenhöven (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 16 - 09.10.1990

    Er zählt zwar zu den vierzig "Neulingen" in der Düsseldorfer Landtagsfraktion — ein politischer Newcomer ist Jörg Twenhöven, Oberbürgermeister der Stadt Münster, aber wahrlich nicht! So ist denn auch nicht überraschend, daß seine Fraktionskollegen ihn gleich als Vorsitzenden des Landtagsausschusses für Kommunalpolitik vorschlugen. Nur kurze Zeit später wählte die Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) der NRW-CDU den gebürtigen Sauerländer aus Bigge auch zu ihrem Vorsitzenden. So dürfte der heute 49jährige künftig ein noch gewichtigeres Wort in der Kommunalpolitik des bevölkerungsreichsten Bundeslandes mitreden.
    Nach dem Abitur studierte er Geschichte, Jura sowie Philologie an den Universitäten in Münster und Fribourg (Schweiz) und promovierte im öffentlichen Recht. Nach Erlangung seiner Doktorwürde zunächst Assistent im Franz-Hitze-Haus, wechselte Jörg Twenhöven bald zum Bischöflichen Generalvikariat. Mit großem Engagement packte er dort die Neustrukturierung des Bildungswesens der Diözese Münster an, erwarb sich Verdienste beim Aufbau des Diözesan-Bildungswerkes mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung und des Büchereiwesens.
    Mit der CDU kam der Vater von vier Kindern schon früh in Berührung, zunächst über den Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS), später über die Junge Union, deren Kreisvorsitzender er eine Zeitlang war. 1975 wählten ihn die Münsteraner dann in den Stadtrat, seit 1984 ist er ihr "erster Bürger". Daß die CDU bei den letzten Kommunalwahlen 1989 wieder stärkste Partei in der Universitätsstadt wurde, verdankte sie vor allem ihrem Oberbürgermeister Jörg Twenhöven, war die übereinstimmende Meinung von Analytikern der Oktoberwahl.
    Der münsteraner OB setzt bei seinem erfolgreichen Wirken auf Bürgernähe, Selbsthilfe und Subsidiarität. "Nicht der Bürger geht zum Oberbürgermeister, sondern umgekehrt." So besucht der Christdemokrat samstags einen Stadtteil, hört die Sorgen und Anliegen von deren Bewohnern und anschließend werden die Fragen in der Verwaltung "nachgearbeitet". Dabei ist die soziologische Struktur Münsters eine besondere: Jeder zweite Bürger ist unter 30 Jahre alt und wohnt nicht länger als erst zehn Jahre in der Stadt. Von hundert Ehen werden vierzig geschieden. Achtzig Prozent der Beschäftigten sind im Dienstleistungsbereich tätig. Jörg Twenhöven vertraut bei der Lösung vieler Probleme der Mitverantwortung und Mitarbeit der Bürger. So spricht er in diesem Zusammenhang häufig vom "Selbsthilfe-Staat", der solidarischen Gesellschaft, wo dem Einzelnen seine persönliche Entfaltung aber gesichert werden müsse. Eher skeptisch steht das Stadtoberhaupt Großorganisationen gegenüber, die nicht immer die Gewähr für Subsidiarität bieten würden. Die Stadt Münster unterstützt daher gezielt Selbsthilfe-Gruppen und Bürgerinitiativen. Die Bürger ermuntert der OB, öffentliche Einrichtungen nicht nur zu benutzen, sondern sich auch für sie mitverantwortlich zu fühlen.
    So erhalten beispielsweise Sportvereine die Schlüsselgewalt über städtische Anlagen. Die Mittel, die die Stadt für die Unterhaltung eines Sportplatzes in der Regel aufwenden müßte, empfängt der einzelne Verein, der dann für die Anlage verantwortlich ist. Ein anderes Beispiel: Die Schulen bekommen pauschale Zuwendungen, sie können so in Eigenverantwortung Prioritäten setzen.
    Als neuer Landtagsabgeordneter will sich Jörg Twenhöven für ein stärkeres Gewicht des Münsterlandes in der Landespolitik einsetzen. "Mich ärgert die 'Ruhrgebiet- Fixierung' der Landesregierung. Sie sieht das Münsterland als die Erholungsreserve und den Vorhof des Reviers." Tatsächlich sei das Münsterland aber eine strukturell höchst innovative Region mit einem Exportanteil über dem Landesdurchschnitt. Eine große Bedeutung hätten auch Universität und Fachhochschule. "Die regionale Entwicklung ist entscheidend abhängig von der Entwicklung dieser beiden Einrichtungen." So sieht der CDU-Parlamentarier die Hochschulpolitik als einen zweiten Schwerpunkt seiner künftigen Arbeit im Landtag.
    Zweifellos zählt Jörg Twenhöven zu den personellen Aktivposten des neugewählten Düsseldorfer Landesparlamentes.
    Jochen Jurettko

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI901639

  • Porträt der Woche: Karl Böse (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 15 - 25.09.1990

    Zu der Zeit, als für dieses Porträt mit Karl Böse ein Gespräch geführt wurde, lag die SPD im offenen Streit mit sich und ihrem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine zum deutsch-deutschen Staatsvertrag und zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Karl Böse gibt sich vorsichtig. Er fühle sich ein bißchen zu weit entfernt vom Geschehen, um zu beurteilen, ob Lafontaine vielleicht die Vereinigung nicht wolle oder gar aus der Kanzlerkandidatur "rauswolle". Soviel gibt der Landtagsabgeordnete aus Dortmund jedoch preis: Er sei für die Einheit, auch nicht gegen die schnelle Einführung der D-Mark drüben. Nur müsse man alles politisch flankieren, weil das Leben mit der DM in der DDR doch viel teurer werde für die Leute. Eben sei er in Zwickau gewesen, dort, wo der Trabbi gebaut werde. Es sei nicht ausgeschlossen, daß mangels Absatzmöglichkeiten fast die Hälfte der 28000 Beschäftigten entlassen werden. Böses Fazit: "Wir dürfen die Einheit nicht an den Bürgern vorbei machen." Abseits der aktuellen Lagebeurteilung kommt eine politische Unterhaltung mit dem 50jährigen SPD-Politiker (der runde Geburtstag war am 25. Juli) schnell zu seinem Lieblingsthema — der Verkehrspolitik. NRW brauche in Zukunft noch erhebliche Investitionen auf diesem Gebiet. Als ein Beispiel nennt Böse die Rheinquerung bei Düsseldorf. Sie müsse kommen. Später gibt er zu bedenken, daß das Vorhaben möglicherweise daran scheitern könnte, daß der Bund das nötige Geld für Verkehrs-infrastruktur-Maßnahmen in der DDR verwendet.
    An diesem Morgen ist Böse mit dem Auto von Dortmund nach Düsseldorf zur Fraktionssitzung gekommen. Einen Lkw nach dem anderen habe er auf der rechten Spur gesehen, da frage man sich doch, ob nicht viele der dort transportierten Güter besser auf dem Schienenweg transportiert würden. Es sei Sache des Bundes, für mehr Bundesbahn-Investitionen zum Güter-Transport zu sorgen. Böse gehört zu den praktisch denkenden Politikern, die aus der alltäglichen Erfahrung heraus ihre Schlüsse zu ziehen suchen. Da fällt dem Abgeordneten z.B. auf, daß frühmorgens, im dichten Berufsverkehr, Arbeiter am Grünstreifen der Fahrbahn werkeln und dadurch einen Stau verursachen. Das könne doch wohl zu einer anderen Tageszeit gemacht werden, meint Böse, wohl wissend, daß dahinter die knifflige Arbeitszeit-Regelung von Arbeitnehmern betroffen wäre.
    Zur Magnetbahn Transrapid hat Böse, wie er sagt, eine vorurteilsfreie Einstellung. Das Argument, der Transrapid sei zu laut, läßt er nicht gelten, nachdem er auf der Versuchsstrecke im Emsland den mit 400 Stundenkilometer vorbeirasenden Zug keineswegs so laut empfunden hat wie einen weniger schnell fahrenden Intercity. Böse ist sich der Umweltschutz-Problematik des Transrapid-Projekts und jedes anderen verkehrspolitischen Großvorhabens bewußt. Zum ordentlichen Planverfahren gehöre eine Umweltverträglichkeits-Prüfung. Auch Bürgerbeteiligung sei notwendig, was nicht heiße, daß die Politik mit jeder kleinen Gruppe zum Konsens kommen müsse. Wenn das zur Pflicht würde, könne man Politik gleich an den Nagel hängen.
    Auch als früherer Hauptschulrektor, der 1980 in den Landtag kam, hat er Verständnis für den Elternwunsch, ihre Kinder etwas Besseres werden zu lassen, folglich nicht zur Hauptschule, sondern auf weiterführende Schulen zu schicken. In seinem Elternhaus hat Karl Böse das selbst erlebt. Sein Vater, ein Kesselschmied, habe ihn nach der 4. Volksschulklasse zum Gymnasium anmelden wollen. Nachdem der Hausmeister gemeint hatte, ein Arbeiterkind habe auf dem Gymnasium doch keine Chance, habe der Vater die Anmeldung zunächst wieder rückgängig gemacht. Erst nachdem der Volksschul-Klassenlehrer gedrängt habe, sei das Arbeiterkind Karl Böse nach der 5. Klasse auf die Oberschule gekommen. Heute plädiert der Sozialdemokrat für mehr Ganztagsbetrieb an allen Schulen des Landes. Das koste zwar Geld, aber — so Böse: "Wir sind doch ein reiches Land — insgesamt." Den schmunzelnden Hinweis auf den am Nebentisch sitzenden Landesfinanzminister Schleußer wehrt er ab. Man müsse eben die Lehrerverteilung besser organisieren und auch "eine Menge Pfründe" von Lehrern überdenken, zum Beispiel die Pflichtstundenzahl-Ermäßigung je nach Alter. Es sei auch fast unmöglich, Lehrer schnell dorthin zu versetzen, wo sie gebraucht würden; auch da müsse etwas geändert werden.
    Der Privatmann Karl Böse erzählt von seinem sechsjährigen Sohn, von seiner Zeit als aktiver Feldhandballer. Heute betreibe er nur noch Sport auf Sportabzeichen-Niveau: Laufen, Springen, Werfen.
    Reinhold Michels

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist ein Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI901533

  • Porträt der Woche: Dr. Reiner Klimke (CDU).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 14 - 18.09.1990

    Man braucht nicht lange, um Superlative für den Münsteraner Reiner Klimke zu finden: Er ist der erfolgreichste bundesdeutsche Olympionike, der erfolgreichste Reiter der Welt mit dem erfolgreichsten Pferd des Jahrhunderts. Nach einer beispiellosen sportlichen Karriere begann für den Ehrenbürger seiner Heimatstadt jetzt eine neue "Laufbahn" — die des Parlamentariers.
    Bereits seit 1959 Mitglied der CDU, verhehlte er zwar niemals seine politische Überzeugung, in die Pflicht nehmen ließ sich der promovierte Rechtsanwalt und Notar aber erst durch seinen Landesvorsitzenden Norbert Blüm. Sein Ja zur Offerte Blüms, über die CDU-Landesliste für den nordrhein-westfälischen Landtag zu kandidieren, begründet der heute 54jährige: "Wenn ich mich schon immer offen zur Union bekannt habe, dann sollte man sich für sie auch engagieren."
    Der Münsteraner, der in seiner sportlichen wie beruflichen Karriere stets selbstkritisch war, will es auch als Abgeordneter sein. "Ich werde nur das tun, wozu ich die Fähigkeit habe und wo ich über Sachkenntnis verfüge." Und das werden insbesondere der Sport und die Sportpolitik sein. Als stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses will er sich auch um einen möglichst breiten Konsens mit den anderen Fraktionen bemühen — und um Fairneß vor allem gegenüber dem politischen Gegner. "Etwas anderes habe ich auch als Sportler nicht gekannt."
    Als Parlamentarier möchte er das Subsidaritätsprinzip auch im Sport realisieren. "Mir gefällt es nicht, daß beispielsweise die vom Staat finanzierten Volkshochschulen Sportdisziplinen anbieten." Das Geld sollten statt dessen die Vereine erhalten, um ihr Angebot vervielfältigen zu können. Die Vereine stünden ohnehin in beschwerlicher Konkurrenz zu den vielen Sport- und Fitneßstudios. In diesem Zusammenhang kritisiert der erfahrene Sportler, daß dort teilweise unausgebildete Kräfte die Kunden beispielsweise an die Hanteln bringen. "Es muß Auflagen geben, um die Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen."
    Der CDU-Abgeordnete spricht sich weiter dafür aus, anstelle von "Prachtbauten" die Instandsetzung vorhandener Sportstätten der Vereine öffentlich zu fördern. Da sei ein großer Nachholbedarf vorhanden, und man dürfe die Vereine finanziell nicht "im Regen stehen lassen". "Ich bin gegen den Bau weiterer Großstadien."
    Der Parlamentarier stammt aus einer angesehenen münsterischen Professorenfamilie, studierte Jura und promovierte im öffentlichen Recht. Heute in einer Sozietät mit fünf Anwälten, widmet sich der Jurist insbesondere dem Verwaltungs-, Handels- und Beamtenrecht. Zu seinen Klienten zählen verschiedene Banken. Der Beruf erlaubte es Reiner Klimke nach eigenen Angaben auch, sich "diesen Sport zu leisten" — die Reiterei.
    Die Liebe zum Pferd wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. Sein Vater, seine Mutter, seine Geschwister, alle ritten, er hatte das größte Talent. Mit 18 Jahren, 1954, war er bereits der erfolgreichste deutsche Amateur in der Dressur. Die erste Station auf dem folgenden beispiellosen Karriereweg: Sechsmal Olympisches Gold und zweimal Olympische Bronze, zehn Europameister- und sechs Weltmeistertitel. Trotz Erfolg und Ruhm blieb der Westfale stets bescheiden, kritisch gegenüber sich selbst.
    Die größte Freude: Die drei Kinder traten in die sportlichen Fußstapfen ihres Vaters. Sohn Michael und Tochter Ingrid sind bereits auf den internationalen Turnierplätzen erfolgreich. Der erfolgreichste Reiter der Welt ist nicht nur Betreuer seiner Kinder — er möchte möglichst viele Jugendliche zum Sport heranführen. "Und jeder, der am Sport interessiert ist, sollte ihn dann auch betreiben können." Er sei im übrigen die preiswerteste Gesundheitsvorsorge.
    Jochen Jurettko

    ID: LI901444

  • Porträt der Woche: Ulrich Schmidt (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 13 - 28.08.1990

    Für seine neue Tätigkeit als Vizepräsident des Düsseldorfer Landtags bringt Ulrich Schmidt die besten Voraussetzungen mit. Schließlich weiß der 48jährige Sozialdemokrat, der persönlich Verletzendes selbst in der schärfsten Debatte verabscheut, seine Freunde im Landtag auch außerhalb der engen Fraktionsgrenzen seiner Partei. "Das muß möglich sein, auch wenn man in der Sache oft unterschiedliche Positionen einnimmt." Doch seine politische Heimat hat der Bürgermeister aus Wetter, für den das Wort "Genosse" noch etwas gilt, stets im Kreis der Sozialdemokratie gehabt, "Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch. Ich muß mich wohlfühlen können", weiß der allseits beliebte SPD-Politiker.
    Daß der gebürtige Wittener schon in jungen Jahren die Gemeinschaft in Gewerkschaft und Partei suchte, dürfte nicht zuletzt mit dem schrecklichen Schlüsselerlebnis zusammenhängen, daß sein Vater im Kriegsjahr 1942 fiel, als Ulrich Schmidt gerade geboren wurde. Ulrich Schmidt ist kein Pazifist geworden, aber die Parole "Nie wieder Krieg" hat ihn in seinem bisherigen Leben nicht losgelassen. Sohn und Mutter zog es immer wieder zum heimischen Kriegerdenkmal. Und bis heute hat Ulrich Schmidt es sich nicht nehmen lassen, dort jedes Jahr eine Rede gegen den Krieg zu halten.
    1964 trat der überzeugte Sozialpolitiker in die SPD ein. Obwohl vom kirchlichen Elternhaus her eigentlich kein geborener Sozialdemokrat, engagierte er sich und wurde bereits 1968 Ortsvereinsvorsitzender in Volmarstein. Er habe schon früh erkannt, daß kirchliche Arbeit allein in der Sozialpolitik nicht viel bewirken könne und sich in der Partei engagiert, erinnert sich Schmidt. Beruflich zog es den tatkräftigen Macher zur Betriebskrankenkasse von Hoesch, wo er es bis zum Gruppenleiter brachte. Berufspolitiker wollte das IG Metall-Mitglied damals noch nicht werden. Ulrich Schmidt stand stets auf der Seite der Arbeitnehmer. Beim Kampf um den Stahlstandort Hattingen hat der Abgeordnete manche Tag- und Nachtschicht vor den Werkstoren verbracht und den oftmals verzweifelten Menschen Mut gemacht.
    Über die Gemeinde Volmarstein gelangte Schmidt auch ins Kuratorium der Orthopädischen Anstalten. Berührungsängste mit den Behinderten waren dem jungen Mann fremd, schließlich hatte er schon im heimatlichen Sandkasten feste Freundschaften geschlossen. Zeitgleich mit seiner ersten Wahl in den Landtag wurde der "Sozialpolitiker durch und durch" auch Bürgermeister in der 30000-Einwohner- Gemeinde Wetter. Hier, wo die "Roten"seit Kriegsende regieren, bekam Ulrich Schmidt seinen letzten kommunalpolitischen Schliff. Noch heute ist der SPD-Politiker zutiefst der Überzeugung, daß sich Landtags- und Bundestagsabgeordnete zuerst die Sporen in der Kommunalpolitik verdienen müßten, statt sich "als Seiteneinsteiger auf dem Markt der Abgeordnetenmandate zu tummeln". Für absolut nicht ideal hält der bodenständige Politiker deshalb auch die immer häufiger anzutreffende Karriere: Abitur, Studium, Promotion, Mandat. Ein Greuel ist Schmidt die Lehrerlastigkeit in allen Fraktionen.
    Im Sozial- wie im Finanzausschuß hat der neue Vizepräsident stets Kompromisse gesucht, zwischen den Fraktionen, aber auch zwischen dem Wunsch und dem Machbaren. "Die Bilanz stimmt", resümiert Schmidt rückschauend. Auch als langjähriger Kreisvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Ennepe-Ruhr stand die Sozialpolitik im Vordergrund, so daß es nur ein kurzer Schritt war bis zum Vorsitzenden der Stiftung Wohlfahrtspflege. Hier streitet der Sozialdemokrat "überparteilich "dafür, daß die Stiftung vom Land das ihr zustehende Geld erhält. Eigentlich sollen die Überschüsse der Spielbanken in die Stiftung fließen. Dennoch hat das Land vor Jahren die Hälfte der Mittel zur Haushaltssanierung geschluckt und Alten und Behinderten diese Gelder entzogen. Ulrich Schmidt hat diesen Vorgang seiner Parteifreunde stets aus innerer Überzeugung heraus öffentlich kritisiert.
    Trotz der Belastung durch das neue Präsidentenamt will der verheiratete Wetteraner Bürgermeister seiner Heimatgemeinde treu bleiben. Wer Ulrich Schmidt kennt, der weiß, daß seine Mitbürger dies gern gehört haben werden.
    Wilfried Goebels

    ID: LI901329

  • Porträt der Woche: Heinrich Dreyer (CDU).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 12 - 21.08.1990

    Heinrich Dreyer wurde zu einem Zeitpunkt Mitglied der CDU, als die Partei in Nordrhein-Westfalen die Regierungsverantwortung einbüßte: 1966. War der Beitrittsentschluß Dreyers eine Art Trotzreaktion nach dem Motto: Nun erst recht? "Nein", sagt der Landtagsabgeordnete aus Löhne im Kreis Herford, "ich war damals als Vertreter der Christlichen Jugend Beauftragter für politische Bildung." "Da", so fährt Dreyer fort, "erschien es mir irgendwie ehrlicher, mich zu meiner politischen Überzeugung auch als Mitglied in der CDU zu bekennen." Eine Mitgliedschaft etwa bei den Sozialdemokraten habe er sich nicht vorstellen können, er sei schon vor 1966 langjähriger Unions-wähler gewesen.
    Der 55jährige ist ein Mann der Sozialausschüsse CDA, er spricht von "seiner politischen Heimat". Im Landtag, dem er seit 1975 angehört, befaßte sich Dreyer zunächst mit Sozialpolitik. "Mein politisches Standbein war zehn Jahre lang die Sozialpolitik, Verkehrspolitik war das Spielbein." Seit 1985 ist es umgekehrt. Als Bundesbahn-Beamter hat sich Dreyer beurlauben lassen; er lebt von und für die Politik. Ein Landtagsmandat werde als Vollzeitjob angesehen, da könne der Bürger auch erwarten, daß er sich mit seiner ganzen Arbeitskraft für das Mandat einsetze. Bei Freiberuflern sei das vielleicht anders, räumt Dreyer ein; er könne anders als Freiberufler ohne Probleme wieder zur Bahn zurück nach Beendigung des Mandats.
    Das Ende als Abgeordneter sieht er noch längst nicht gekommen. Ob er jemals mit der Bundespolitik, mit einem Mandat als Bundestagsabgeordneter, geliebäugelt habe? "Nein, nie ", sagt Dreyer. "Ich komme aus der Kommunalpolitik, habe die Landespolitik stets als Kommunalpolitik mit anderen Mitteln betrachtet. Bonner Politik ist abstrakter, hier im Landtag ist man politisch näher an den Menschen und deren Problemen."
    Sehr überzeugt zeigt sich der Sozialausschüßler vom CDU-Bundesvorsitzenden Kanzler Kohl, dem er ausgezeichnete Führungseigenschaften bescheinigt. Kohl könne Menschen zur Leistung motivieren, könne qualifizierte Menschen neben sich dulden. Den Einwand: "Und was war mit Geißler?" läßt Dreyer nicht gelten. Geißler sei erst von Kohl gefeuert worden, nachdem er ihn als untreu empfunden habe. Als nordrhein-westfälischer Politiker plädiert Dreyer nicht für den vollständigen Umzug der Bundespolitik von Bonn nach Berlin. Gut, Berlin könne Hauptstadt sein, aber auch andere Länder hätten schließlich Hauptstadt und Stadt des Regierungssitzes getrennt. Der Bundespräsident könne in Berlin seinen Amtssitz haben, auch eine Fülle von Parlamentssitzungen dort sei möglich.
    Als Verkehrspolitiker im Landtag bekennt sich der Abgeordnete zur Magnetbahn "Transrapid" als einer technischen Innovation, welche die Geschwindigkeitslücke zwischen Flugzeug einerseits und Straße sowie Schiene andererseits schließe. "Transrapid ist auch industriepolitisch von großer Bedeutung, in dieser Technik sind wir Japan um fünf Jahre voraus." Die Landesregierung vollführe hier einen politischen Eiertanz. Dreyer setzt sich ferner für mehr Straßenbau in NRW ein. Bis zum Jahre 2000 werde es 4,5 Millionen zusätzlicher Fahrzeuge auf unseren Straßen geben, man brauche also aus Sicherheitsgründen zusätzlich Ortsumgehungen und Autobahn-Teilstücke. Dreyer nennt die A 33 in Ostwestfalen, die A 30 (Nordumgehung Bad Oeynhausen) A 44 im Revier, die Sechsspurigkeit von A 2 und Ruhrschnellweg, der heute "Ruhrschleichweg" heiße. Auch die Verlängerung der A 44 in die DDR hinein sei sinnvoll. Alle Maßnahmen seien an NRW-Verkehrsminister Zöpel (SPD) gescheitert.
    Der Privatmann Heinrich Dreyer, dessen Haus auf einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück steht, arbeitet oft im Garten, liest jeden Tag, oder besser jede Nacht, ein paar Zeilen (früher nur Sachbücher, jetzt auch Belletristik). Außerdem malt er, bevorzugt Landschafts-Aquarelle. Die vier Kinder sind längst aus dem Gröbsten raus — zwischen 20 und 29 Jahren, aber ohne den Hang, sich wie der Vater politisch zu engagieren.
    Reinhold Michels

    (Das namentlich gekennzeichnete "Porträt der Woche" ist Text eines jeweiligen Gastautors und muß nicht immer mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen)

    ID: LI901244

  • Porträt der Woche: Ilse Ridder-Melchers (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 11 - 19.06.1990

    Die Frage, ob sie sich als Feministin verstehe, beantwortet Ilse Ridder-Melchers ungenau: Eine Radikalfeministin sei sie nicht. Doch man tut der bisherigen parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann und neuen Ministerin wohl auch kein Unrecht, wenn man festhält, daß sie nicht nur keine Radikalfeministin — was immer das sei —, sondern auch keine ganz gewöhnliche Feministin ist. Es ist auch schwer vorstellbar, daß Johannes Rau einer Feministin zu Staatssekretärs- oder gar Ministerin-Ehren verhilft. So weit ist die Frauenförderung hierzulande noch nicht gediehen, galt es lange Jahre doch als völlig natürlich, daß ein Mann den Frauenbeauftragten der Düsseldorfer Landesregierung mimte.
    Seit dem 2. Mai 1986 ist das Vergangenheit. An jenem Tag wurde die sozialdemokratische Politikerin aus dem westfälischen Coesfeld die erste parlamentarische Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann in Nordrhein-Westfalen. "Meine Aufgabe ist es, parteilich für Frauen zu sein", beschreibt Ridder-Melchers ihre nun schon vierjährige Tätigkeit in der neugeschaffenen Position. Und um noch einmal zu den Feministinnen zurückzukommen: Mit denen komme sie gut aus, glaubt sie feststellen zu können. In den Kreisen der autonomen Frauenbewegung werde anerkannt, daß sie — beispielsweise — für die finanzielle Förderung der Frauenhäuser nicht müde werde zu streiten, wohl wissend, daß die Forderungen auch auf diesem Gebiet nie völlig zur Zufriedenheit der Fordernden erfüllt werden können. Aber guter Wille und Engagement und so mancher kleine Erfolg werden der Staatssekretärin von den autonomen Frauen nicht abgesprochen. Und wer diese Szene etwas kennt, der weiß, daß dies nicht wenig ist.
    Ilse Ridder-Melchers hatte auch deshalb gute Aussichten, die erste Frauenministerin in Nordrhein-Westfalen zu werden. Sie selbst wies eine solche Möglichkeit zwar händehebend zurück, um den Ministerpräsidenten nicht zu verärgern, der es nicht gern hat, wenn über Kabinettsposten öffentlich geredet wird, ehe er sie verteilt hat. Doch Johannes Rau ist bei den Frauen im Wort. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach versprochen, den für eine sozialdemokratische Landesregierung bislang skandalös niedrigen Frauenanteil in seinem Kabinett nach der Landtagswahl zu erhöhen und — auch — ein Frauenministerium zu schaffen.
    An der bisherigen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann kam Rau dabei kaum vorbei. Und das um so weniger, weil vom Ministerpräsidenten kein einziges kritisches Wort über die bisherige Arbeit der Staatssekretärin bekannt geworden war. Ihr ruhiges Naturell, allen lauten und schrillen Tönen abhold, kam Rau dabei sehr entgegen. Dabei hätte Ilse Ridder-Melchers in der Vergangenheit oft genug Gelegenheit gehabt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Denn die Coesfelder Mutter von zwei Söhnen, die sich in die Kommunalpolitik stürzte, als die Kinder — wie es so schön heißt — aus dem Gröbsten heraus waren, ist seit 1982 auch Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Nordrhein-Westfalen. Und da war es schon bitter für sie, mit ansehen zu müssen, wie die sozialdemokratischen Männer im Vorfeld der Landtagswahl reihenweise sozialdemokratische Frauen bei den Landtagskandidaturen abblockten oder mit gänzlich aussichtslosen Wahlkreisen abspeisten. Das Ergebnis dieses männerbeherrschten Postenschachers entlarvte wieder einmal alle Sonntagsreden über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der SPD als Gerede: Als am Wahlsonntag alle Stimmen ausgezählt und alle Mandate verteilt waren, rangierten die Sozialdemokratinnen hinter den Grünen, hinter der F.D.P. und der CDU gemessen am prozentualen Frauenanteil in den Fraktionen auf dem beschämenden letzten Platz. Ridder-Melchers Hinweis, daß die Sozialdemokratinnen in absoluten Zahlen gezählt die größte Frauenmannschaft im Landtag stellen, kann da nur als billiger Trost gewertet werden. Und daß sich die Zahl der Frauen im neuen Landtag fast verdoppelt hat, eine Feststellung, auf die die Staatssekretärin besonderen Wert legt, ist eben zuallerletzt Verdienst der SPD. Ilse Ridder-Melchers zieht aus diesem für die SPD-Frauen deprimierenden Wahlergebnis die Schlußfolgerung, daß das Wahlrecht in Nordrhein-Westfalen geändert werden müsse. Die Entscheidung über die Kandidaturen dürfe nicht länger fast ausschließlich vor Ort gefällt werden, was dann zu solch Verhältnissen wie in Dortmund führte, wo in sechs Wahlkreisen sechs Männer nominiert wurden, sondern auf die Landesebene verlagert werden. Die Landeslisten müssen nach den Überlegungen der Ministerin mehr Gewicht bekommen, um Ungerechtigkeiten und Ungleichgewichtigkeiten — unter denen nicht nur die Frauen leiden — auszugleichen. Aber ob es für solche Wahlrechtsänderungen im Landtag eine Mehrheit gibt, ist eher fraglich. Da bleibt wohl nur die Überzeugungsarbeit in der Partei. "Die Männer müssen es noch lernen", beschreibt Ilse Ridder-Melchers lapidar die schwere Aufgabe des Machtverzichts, der ja auch immer mit dem Verzicht auf Geld und andere Annehmlichkeiten verbunden ist.
    Die Ministerin selbst meint, daß sie in diesen vier Jahren in dem neuen Amt viel gelernt habe. Und in einem Anflug selten hervorgekehrten Selbstbewußtseins fügt sie hinzu: "Ich denke schon, ich war recht erfolgreich." Sie möchte diese Arbeit gern weitermachen, möchte auch gern noch einmal als Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauen in Nordrhein-Westfalen wiedergewählt werden. Aber über beide Posten entscheidet nicht sie, entscheiden vielmehr Johannes Rau im ersten und die AsF-Frauen im zweiten Fall. So ist das nun mal in der Politik, die sich Ilse Ridder-Melchers als Beruf ausgesucht hat.
    Reinhard Voss

    ID: LI901131

  • Porträt der Woche: Die Präsidentin Ingeborg Friebe (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 10 - 06.06.1990

    Von Horst-Werner Hartelt
    Gratulationen und Glückwünsche nahm sie auffallend gelassen hin. So schnell läßt sich die Landtagspräsidentin nicht aus der Ruhe bringen, und dies ist gut so! Die vier Fraktionen werden ihr kaum etwas schenken. Ingeborg Friebe ist darauf eingerichtet.
    Was die Frau vom Jahrgang 1931 mitbringt, ist Lebensklugheit, erworben in der Familie und im Beruf, vor allem aber erlitten im Kindesalter. Den Vater haben die Nazis zum Tode verurteilt und umgebracht, weil er kommunistischer Widerstandskämpfer war. Die Mutter wurde bis zum letzten Kriegstag 1945 verfolgt, das hat die Tochter mit ihren beiden Brüdern in der Enge von Polizeidienststellen erfahren, dort wo SS und Gestapo kommandierten. Viele Jahre der Angst und der Not.
    Über den Weg der kaufmännischen Berufsschule gelangte das Mädchen an ihrem Geburtsort Braunschweig zum Deutschen Gewerkschaftsbund. Dort lernte sie ihren Ehemann kennen, mit dem sie in den 60er Jahren nach Monheim bei Düsseldorf zog. Die beruflichen Verpflichtungen machten den sonst gar nicht gewollten Umzug unumgänglich, denn Ehemann Horst wurde zum Bundesgeschäftsführer einer DGB-Organisation berufen.
    Frau Friebe entschied sich für die Familie, zog zwei Söhne groß und sagt heute noch: "Eines geht nur, entweder Mutter zu Hause oder frei von allem im Beruf!" 13 Jahre hat sie es so gehalten und war glücklich. Erst danach ging sie in ihren Beruf zurück, arbeitete als Schulsekretärin und kümmerte sich um die Politik im Kleinen. Ganz unten fing Ingeborg Friebe an, Ortsvereinsvorstand und dann Kreisvorsitzende, schließlich gar als eine der ersten Frauen überhaupt die Chefin eines ganzen Unterbezirks, und dies gleich fünf Jahre an Rhein und Wupper. Alles ist glatt gelaufen, alles ohne Komplikationen, denn diese Funktionärin war nie kompliziert, immer offen und ehrlich, konnte gar dem bulligen Bezirksversitzenden Hans Otto Bäumer die Meinung geigen.
    Die SPD Willy Brandts hat sie geformt, obschon in ihren Jugenderinnerungen auch Niedersachsens Hinrich Wilhelm Kopf und Alfred Kübel eine Rolle spielen. Diese beiden Ministerpräsidenten und Braunschweigs Oberbürgermeisterin Martha Fuchs schärften das Interesse an Landes- wie an Kommunalpolitik. Mit diesem Rüstzeug kam Ingeborg Friebe 1976 in das Bürgermeisteramt der Stadt Monheim und ein Jahr davor schon in den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der Aufstieg vollzog sich lautlos und ohne Blaustrumpf. Die männlichen Parlamentskollegen freuten sich, nicht neben einer "Emanze" sitzen zu müssen. In den Ausschüssen Arbeit und Soziales nebst Gesundheit war sie schnell eine Fachfrau und im Gremium für Petitionen eine Hilfe für die Schwachen in der Gesellschaft. Wohltun ohne Glockengeläut, dies erwies sich als ihr Wochenprogramm, so hat sie überzeugt; so wählte sie der Landtag 1985 guten Gewissens zur Vizepräsidentin.
    Daß sie gar eines Tages den ersten Stuhl im Parlament ein nehmen würde, wollte sie vor wenigen Monaten noch nicht glauben, zumal sie das sozialdemokratische Quoten-Diktat zugunsten von Frauen nicht als Weisheit letzter Schluß empfindet.
    Die erste Landtagspräsidentin in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen wird es nicht leicht haben. Man wird sie an Vorgängern messen, vor allem an der kompliziert gewordenen Tagesarbeit. Der Landtag startete in den Gründerjahren mit fünf Fraktionen, nämlich CDU, SPD, F.D.P., Zentrum und KPD. Ab 1954 aber fehlte schon die fünfte Gruppierung, und vier Jahre später hatte auch das Zentrum keinen parlamentarischen Bestand mehr. Von 1958 bis in den Mai 1990 setzte sich der Landtag mit einer Ausnahme zwischen 1980 und 1985 (der Wähler hatte der F.D.P. für diese Zeit kein Mandat gegeben) aus drei Fraktionen zusammen. Mit den überraschend eingezogenen Grünen stehen nun auf einmal wieder vier Parteien auf der Tagesordnung.
    Frau Friebe muß es richten, denn sie ist für alle da. Aber auch diese Tatsache nahm sie gelassen hin, schon in der Wahlnacht meinte sie, dies sei nun die vierte Dimension — "und mir ist nicht bange, solange wir immer Demokraten sind". Die Bürgermeisterin aus Monheim hat keine Angst vor der Zukunft, sie macht sich Mut und dem scheidenden Präsidenten Karl Josef Denzer wie auch der Landesverwaltung ein Kompliment: Das Hohe Haus sei viel besser als sein Ruf.

    ID: LI901024

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Die Fraktionen im Landtag NRW