Mit dem rapiden Abschied des 64jährigen John van Nes Ziegler von der politischen Promenade verstärkt sich der Eindruck, daß die nach-drückende Generation den Traditionsbruch pflegt, wie ihn Soziologen vornehmlich seit den 60er APO-Jahren in allen Gemeinschaften und Partien konstatieren: Die Söhne stützen die Väter nicht!
Es waren Sozialdemokraten jüngeren Datums, die Nes Ziegler den schon geebneten Weg vom Düsseldorfer Präsidentenamt zum Sitz des Europa-Parlaments in Straßburg verbauten. Ob die Verweigerer glaubten, es handele sich um eine Alters-Apanage durch die Parteiführung, ob sie meinten, der Kandidat sei schon zu alt - einerlei! Ein Politiker starken Geblüts, jenseits aller Ideologie und Technokratie, wurde abgeblockt, auf Leistung und Persönlichkeit keine Rücksicht genommen, auch nicht auf Autorität, die zusehends in der politischen Landschaft von Bund und Ländern nebst Kommunen versandet, weil zu viele Politik nur noch als Geschäft wie jedes andere begreifen, weil zu viele Politiker sich immer mehr nur als Manager verstehen. Gesichtslose und geschichts-arme Karrierejünglinge schieben sich in allen Organisationen nach vorn. Originale werden oft durch Abziehbilder ersetzt.
Die Popularität des Parlamentarismus steht und fällt mit einen Repräsentanten. Ein Landtagspräsident hat wenig Macht und doch große Verantwortung. John van Nes Ziegler war sich bewußt, daß sein Amt dem Landtag gehört, der allzeit Schutz und Glanz nötig hat. - Kein Staat lebt ohne Symbol, van Nes Ziegler hat dies nach unrühmlichen Schwächeanfällen seiner Vorgänger gegen alle Widerstände praktiziert, als er Zug um Zug den wie ein Kolosseum anmutenden Neubau des Landtags durchsetzte.
Durch und durch Pragmatiker, der nicht abends rechts einschläft, um morgens links aufzuwachen, ging er seinen bemerkenswert geraden Weg: 1946, nach Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg, schloß sich der 1921 in Köln geborene Patriziersohn der SPD an. Zwei Jahre später stand der Jurastudent auf der ersten politischen Plattform, und dies als Vorsitzender des Sozialistischen Studentenbundes (SDS). Kurt Schumacher und Erich Ollenhauser waren seine Chefs, Helmut Schmidt schlichtes Mitglied der sozialdemokratischen Akademiker-Quelle, die seinerzeit noch klares Waser und Solidarität spendete. Van Nes Zieglers Blick zurück: "Sonst wären wir auch rausgeflogen..."
1956 zog der junge Rechtsanwalt in den Kölner Stadtrat ein, um auf Anhieb Fraktionschef zu werden und es bis 1973 zu bleiben. Dann löste er Theo Burauen ab, dessen Oberbürgermeister-Kette der Kölner John, seine Hamburger Urverwandten nicht verleugnend, voller Stolz sieben Jahre trug. Nur ungern und nach selbstquälerischem Erforschen der weiteren Laufbahn machte er den Stuhl des großen Stadtvaters frei. Die Konsequenz einer bis dato schon erfolgreichen Vergangenheit holten den handfesten, zuweilen auch derben Politiker ein ... Nach Heinz Kühns Wahlsieg 1966 in Nordrhein-Westfalen war van Nes Ziegler zum Landtagspräsidenten gewählt worden, ab 1970 dann für die Dauer von zehn Jahren Landtagsvizepräsident gewesen, und so bewahrte das Haus am Schwanenspiegel würdige Kontinuität, indem es 1980 abermals dem ersten Kölner Repräsentanten wiederum das erste Präsidentenamt des Parlaments einstimmig übertrug.
Gemessen an allen seinen Vorgängern, ähnelte der Führungsstil des van Nes Ziegler dem des verstorbenen und fast schon vergessenen Wilhelm Johnen. Beide Politiker, obwohl in ganz verschiedenen Parteien zu Hause, handhabten Mehrheit im Sinne von Herrschen. Beide Männer ließen sich aber nicht von ihren. Parteifreunden den Eintopf der Majorität aufzwingen. Im Falle des Nes Ziegler ging dies so weit, daß er gegen Druck vieler Sozialdemokraten zum Pressesprecher im Landtag den engsten Mitarbeiter des am 20. April 1980 plötzlich verstorbenen Heinrich Köppler berief, ohne jenen versierten Friedhelm Geraedts persönlich näher gekannt zu haben. Mit gleicher Umsicht setzte der Präsident seinen Kandidaten für die Nachfolge des Landtagsdirektors Brentrup durch. Diesmal lief die CDU vergeblich Sturm ...
Erfrischend, wie er alten Kurialien zu Düsseldorf schon 1966 den Bart abnahm und zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode nicht im bis dato üblichen Bratenrock erschien ... Reformerisch, wie er etwa als plötzlich gerufener Kapellmeister sich in die fremde Partitur des Vorgängers stürzte, sie presto umkrempelte und sogleich zum großen Dirigenten wurde.
Der arg konservativ ausgerichtete Landtag bis 1966 war stets zuerst die Arena der Regierung, die Opposition durfte Saaldienern ähnlich Eintrittskarten abreißen. Mehr Demokratie wagen, dies wurde jetzt erst zum Programm, die verstaubten Geschäftsordnungen mit ihren knebelnden Bedingungen zu Lasten der Regierungs-Kontrolleure korrigiert - so unter anderem das Recht des Oppositionsführers, gleich nach dem Ministerpräsidenten sprechen zu können: so die Pflicht, "Aktuelle Stunden" jederzeit durchzusetzen, so die Notwendigkeit des "schnellen" Antrags, so Erleichterung für Abgeordnete, in der Fragestunde jeden einzelnen Minister zu stellen. Die vielen peinigenden Vorrechte der Regierungen Amelunxen, Arnold, Steinhoff und Meyers wurden abgeschafft.
Ganz gewiß hat John van Nes Ziegler auch seiner Hinterlassenschaft manchen Gegner überantwortet, freilich konnte auch er nicht immer im Gewände Salomons den ganz gerechten Ausgleich zwischen den streitenden Parteien finden, aber: Auch den Journalisten wird er lange im Gedächtnis bleiben als robuste, eigenwillige, nicht biegbare Natur. Weder Praline-Journalisten, die es mit Süßigkeiten versuchten, noch Pressur-Kommentatoren gab er nach. Manche Medien-Nase stieß sich an diesem Politicus, der auch ein Stück Bad Godesberger SPD-Geschichte zwei Jahrzehnte lang durchdachte, auf daß Sozialdemokraten als Bewahrer der linken Volkspartei nicht ihre Mitte im Volk einbüßen, ohne die Heinz Kühn wie auch Johannes Rau die Führung in Nordrhein-Westfalen nie gewonnen hätten.
Horst-Werner Hartelt
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