Mit Diether Posser hat ein Mann das Kabinett verlassen, der seit 1968 dem Land 20 Jahre lang als Minister für Bundesangelegenheiten, Justiz und Finanzen gedient hat. Posser ging aus freien Stücken, rechtzeitig vor seinem geplanten Ausscheiden angekündigt; keine Spur von Ärger oder Resignation war dabei. Die Motive, warum der Rechtsanwalt und Notar aus Essen den Rückweg ins Private angetreten hat, sind klar: Der 66jährige will die Jahre, die ihm noch bleiben, dafür nutzen, zu reisen und, vor allem, Bücher zu schreiben. Mit ihnen, so sieht es der Schreiber dieser Zeilen, wird der Versuch unternommen werden, ein Stück Lebenserfahrung, die profunden Kenntnisse darüber, warum die Dinge so kommen müßten, wie sie gekommen sind, weiterzugeben. Ob diejenigen, die Lehren daraus ziehen könnten, es tun werden, bleibt Hoffnung, mehr nicht. Aus der Geschichte lernen kann man nur insoweit, wie man die Fähigkeit entwickelt hat, Vergleichbares ebenso scharf zu erkennen wie Fehler, die zu Mißerfolgen geführt hatten. Die bloße Kopie das Vergangenen paßt nie auf dia 8egen wart. Daß der Abgang Possers für Regierungschef Johannes Rau ebenso wie für die Landespolitik allgemein ein Verlust ist, hat niemand bezweifelt, am allerwenigsten Rau selbst. Ihm hat der Freund seit den Zeiten der politischen Lehrjahre unter dem Mentor Gustav Heinemann und der Rivale um die Nachfolge Heinz Kühns als Ministerpräsident 1978 nicht nur stets loyal gedient, sondern ihn auch offen beraten und gestützt. Die Klugheit Possers, seine Fairneß auch im Umgang mit dem politischen Gegner, die menschliche Lauterkeit und Aufrichtigkeit haben dem engagierten evangelischen Christen Respekt und Achtung in allen politischen Lagern eingetragen. Feinde, das scheint gewiß, hat er sich nicht gemacht. Dabei war er in jeder verbalen Auseinandersetzung, die der forensisch begabte und mit einem fulminanten Gedächtnis ausgestattete Mann stets offen und fair führte, ein eher unbequemer Gegner. Das Besänftigen nach allen Seiten, das Glattbügeln von schroffen Gegensätzen, schien ihm immer so überflüssig wie der Versuch, Feuer und Wasser zu vereinen oder die als unmöglich bewiesene Quadratur des Kreises noch einmal anzugehen.
Wenn die Erinnerung nicht trügt, ist es in all den vielen Jahren niemandem gelungen, Posser im Landtag mit Argumenten zu widerlegen. Das soll nicht heißen, daß der Ständpunkt des Ministers gebilligt worden wäre. Schließlich gehört es zur Pflicht einer jeden Opposition, ihr Argument, ihre Sicht der Dinge dagegen zu setzen. Aber wenn dann die Redeschlacht vorüber war, ist so mancher Parlamentarier aus dem anderen Lager gekommen und hat eingestanden, daß er es in der Sache auch nicht anders machen könnte. Denn die Macht des Faktischen, so weiß man, schert sich nicht im geringsten darum, ob die Staatsmacht in roten oder schwarzen Händen liegt oder ob blaugelbe Griffe dabei sind. Bleibt noch anzumerken, daß sie sich auch nicht durch irgendwelche Ideologien oder Wachträume verändern läßt. So richtig ärgerlich konnte Posser, der dem Landtag seit 1966 angehört und somit schon zur,alten Garde"zählt, nur werden, wenn ein Kontrahent die Fakten "zurechtbog". Dann ging es hart zur Sache, und der Unwahrheit mußte die Entschuldigung folgen. Daran führte, wie aus der ersten Hälfte der 70er Jahre erinnerlich, auch der Umweg über den Ältestenrat des Parlaments nicht vorbei. Zum Glück blieben solche Fälle die Ausnahme. Im allgemeinen, so kann man feststellen, war das nordrhein-westfälische Parlament Stätte des Austauschs von Argumenten und nicht von Beschimpfungen. Und nicht gerade selten fanden alle Lager zum Konsens, auch und gerade in wichtigen Fragen.
Mit Ratschlägen an seine Freunde und an die Landespolitik hält sich Diether Posser zurück. Nur wenn es darum geht, ob die enormen finanziellen Leistungen des Landes für die Kohle und alle damit zusammenhängenden Probleme der Lastenverteilung noch einmal zum Streitpunkt gemacht werden sollten, plädiert er klar für die Auseinandersetzung in Karlsruhe. Und er ist voller Zuversicht. Denn er glaubt nicht nur schlicht an die Gerechtigkeit, sondern er kann Chancen kühl ausrechnen. Das hat der "Anwalt im Kalten Krieg", wie sein erstes Buch heißen soll, bewiesen, als er vor dem Verfassungsgericht eine Bestimmung des Strafrechts kippte, nach der bereits Kommunisten zu Strafhaft verurteilt waren. Ein in der Rechtsgeschichte bislang einmaliger Fall.
Vor Mißdeutungen seines Handelns hat sich Posser nie gefürchtet, wenn es ihm geboten schien, so zu handeln, wie er es tat. Als der mitten im Kalten Krieg gestorbene prominente Kommunist Heinz Renner in Essen beigesetzt wurde, waren Gustav Heinemann und Posser am Grabe. Heinemann, weil er mit Renner gemeinsam in einer Landesregierung gesessen hatte, Posser, weil Renner sein Mandant gewesen war. Der Verfassungsschutz, der zu Recht davon ausging, daß die Beerdigung Mitglieder der verbotenen KPD und andere zusammenführen würde, fotografierte eifrig. Er packte die Kameras erst ein, als das vorletzte Kondolenzschreiben verlesen war: Konrad Adenauer war der Absender. Beispiele des persönlichen Mutes ließen sich für Posser, der aus dem Krieg als Leutnant der Reserve heimkehrte, noch viele finden. Daß er selbst Beispiel für andere werden möge, kann man nur wünschen und hoffen.
Karl Lohaus
Bildunterschrift:
Dr. Diether Possr (SPD)
ID: LI881040