Abstoßend empfindet Gisela Ley Heuchelei, Intrigantentum und Ungeduld. Wieso Ungeduld? fragt man sich. Führt die Gesprächspartnerin die Unterhaltung nicht ohne eine Spur von Hektik, verzichtet sie nicht auffallend auf den verstohlenen Blick zum Handgelenk, dort, wo die Uhr ist? Wirkt sie nicht ganz entspannt an diesem vergleichsweise lebendigen Plenartag jedenfalls bis zu dem Moment, als ein Fraktionskollege an den Tisch eilt und etwas von Kampfabstimmung sagt? "Nein", sagt Gisela Ley, "das meine ich nicht mit Ungeduld." Wenn es sein müsse, nehme sie sich ausgiebig Zeit, sei sie die Ruhe selbst. Was sie nicht leiden könne und ungeduldig mache, seien wichtige Dinge, deren Erledigung sich hinziehe, sei richtig Erkanntes, bei dem man nicht, zu Potte" komme.
Tugenden, welche die Sozialdemokratin aus Leichlingen besonders schätzt, sind Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit. In ihrer politischen Arbeit versucht sie, sich danach zu richten. Ein selbstbewußter Blick soll signalisieren, daß es meistens gelingt. Gisela Ley ist in der Großstadt geboren worden und aufgewachsen. Die Düsseldorferin zog 1966 mit ihrem ersten Mann ins beschauliche Leichlingen. Das war eine Entscheidung, die sie bis heute nicht bereut hat. Frau Ley ist überzeugte Kleinstadtbewohnerin, wo der Kontakt der Menschen untereinander noch funktioniere, jedenfalls besser als in der Anonymität der Metropole. Der Kontakt zu Menschen ist ihr äußerst wichtig. Vereinzelung wäre für sie ganz schlimm. Gisela Ley macht nicht den Eindruck einer Betriebsnudel, aber wie ein roter Faden zieht sich durch ihr Leben, besonders das politische, der Wunsch, sogar der Drang, unter Menschen zu sein, ihnen zur Verfügung zu stehen, zu helfen, wo es nötig oder sinnvoll erscheint.
Die Frau hat ein großes soziales Herz. 1969 entschied sie sich für die SPD-Mitgliedschaft. Eine andere Partei kommt für sie nicht in Frage. Käme es irgendwann einmal dazu, daß ihr die SPD nicht mehr passe, würde sie austreten, nicht jedoch die Partei wechseln.
Mit dem üblichen "Du", gar der für manche Ohren peinlich klingenden Anrede Genossin bzw. Genosse, hat die Frau, die ladylike wirkt, keine Probleme. "Das stört mich nicht, im Gegenteil, das zeigt ein bißchen unsere Verbundenheit in der Partei." "Im übrigen", fügt sie hinzu, "was kann die alte SPD dafür, daß die Anrede Genosse von den Kommunisten mißbraucht wurde?"
Zu Beginn ihrer politischen Arbeit fällt die Mutter zweier damals noch kleiner Söhne durch reichlich Engagement in verkehrspolitischen Angelegenheiten auf. Die Kinder gingen in Leichlingen in den Kindergarten, dann dort zur Schule. Als Mutter wisse man besser als der ganztägig beschäftigte Vater, wo Gefahrenpunkte an Schul- und Kindergartenwegen lauern, wo ein Radweg not tut. Es sind die kleinen, aber wichtigen Dinge des Alltagslebens, für deren vernünftige Regelung sich die Leichlinger Stadträtin von Anfang an ins Zeug legte ob im Verkehrsausschuß oder im Sozialausschuß. Ihr Engagement fiel Parteifreunden angenehm auf, so angenehm, daß bald schon die Mitgliedschaft im Kreistag folgte.
Mindestens dreimal im Monat ruft Gisela Ley zur Bürgersprechstunde. Einmal pro Jahr lautet das Angebot an alle: Kaffeeklatsch mit Gisela. Da kommen sie dann mit ihren großen und kleinen Sorgen, und Gisela Ley hört viel zu und freut sich später riesig, wenn sie das eine oder andere im Sinne ihrer Kaffeegäste erledigen konnte.
Sie geht nicht gerne mit der Brechstange vor, eher mit weiblicher Klugheit, was einschließt, auch mal einen Schritt zurückzutun im Wissen, hernach zwei Schritte weiter zu kommen. Die Frau bezeichnet sich als Pragmatikerin. Kein ideologisch gefärbter Ton kommt ihr im ausgiebigen Gespräch über die Lippen. Sie versteht sich als emanzipierte Frau, ohne das Wort "Emanzipation" wie eine Standarte vor sich her zu tragen. Schon die Mutter habe ihr und den beiden Schwestern eingetrichtert, daß es für Mädchen genauso wichtig sei wie für Jungen, beruflich auf eigenen Beinen zu stehen. Gisela Ley wurde Bürokauffrau, ging, wiederum auf gutes Zuraten der Mutter, 1959 für zwei Jahre nach London. Hätte sie heute noch einmal zu wählen, würde sie Psychologie studieren. Faszinierend sei für sie, das Wesen der Menschen zu ergründen. Wohl auch deshalb übernahm sie 1988 eine neue berufliche Aufgabe in der Rheinischen Landesklinik Langenfeld, von der sie beurlaubt ist, seit sie 1995 in den Landtag gewählt wurde. Die Arbeit im Düsseldorfer Landtag sei die logische Fortsetzung dessen, was sie in zwei Jahrzehnten kommunalpolitischer Tätigkeif erreicht habe. Da drängt sich dann die Frage auf, ob nicht die Kandidatur für den Bundestag eine weitere logische Fortsetzung wäre. Das Nein folgt prompt. Im Bundestag würde sie den Bezug zu den Menschen doch stärker verlieren, allein schon wegen der größer geschnittenen Wahlkreise.
Daß die Unlust am Bundestag vielleicht auch damit zu tun haben könnte, daß der demnächst nicht mehr in gemütlichen rheinischen Gefilden tage, bestreitet Gisela Ley mit dem Satz: "Berlin würde mich als alte Reisetante nicht stören." Beim Stichwort "Reisen" räumt die Touristikkauffrau ein, daß ihr manche Gegenden der Erde noch fremd seien, sie beispielsweise sehr gerne Südostasien kennenlernen möchte. "Sie wissen, wenn man Kinder hat und großziehen muß, dann bleibt eben mancher Reisewunsch unerfüllt." Das bejammert sie nicht, findet es ganz normal. Mit 65 Jahren wird Gisela Ley, die gerne eine zweite Legislaturperiode in Düsseldorf sein möchte, der Politik "tschüs" sagen. Spätestens dann folgt der Trip nach Südostasien.
Reinhold Michels
ID: LI971965