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  • Porträt der Woche: Loke Mernizka (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 26.01.1981

    Über die Gewerkschaftsarbeit ist er in die Politik gekommen, weil er "schon in jungen Jahren" erkannt hat, daß man "die Interessen der Kollegen und seine eigenen in der Gesellschaft wahrnehmen muß". Loke Mernizka (41), SPD- Abgeordneter seit dem letzten Mai, versteht sich denn auch in erster Linie als Anwalt derjenigen, aus deren Reihen er kommt: der Arbeiter. "Walzwerker" nennt er als Berufsbezeichnung, und er ist stolz darauf, daß er in diesem Metier 25 Jahre lang gearbeitet hat, ehe er 1979 freigestelltes Betriebsratsmitglied im Krupp-Stahlwerk Siegen-Geisweid wurde.
    Er fußt auf der "realistisch-praktischen Basis", deren Bedeutung er stets herausgestellt hat. So besonders in den fünf Jahren von 1970 bis 1975, als er stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungsozialisten war und auf Kongressen und in Interviews immer wieder dagegen wetterte, daß die SPD "zu intellektuell" geführt werde. "Damals war es doch weitgehend so", erinnert sich Mernizka, "daß auch in Ortsvereinen, die zu zwei Dritteln aus Arbeitern bestanden, in den Vorständen nur Lehrer und Diplom- Volkswirte saßen."
    Die SPD habe seinerzeit "in der Gefahr gestanden, sich von ihrer Basis zu entfernen". Doch inzwischen sei dies besser geworden. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) habe manches geändert, "auch im Blick auf die Besetzung von Funktionen".
    Der früher sehr streitbare Jungsozialist Loke Mernizka hat Frieden mit seiner Partei geschlossen. Und dies "keineswegs aus Resignation". Nein, er ist heute überzeugt, "daß wir in Bonn und auch hier in Düsseldorf sehr viel geschafft haben, besonders auf den Feldern der Gesellschafts- und der Sozialpolitik". Nur müsse dies "noch weiter aufgearbeitet und allgemein begreifbarer" gemacht werden. Daß die finanziellen Mittel jetzt spärlicher fließen, ist für ihn kein Grund, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. So sieht er "auch wieder mehr Engagement und Bereitschaft zur praktischen Mitarbeit" bei der Jugend, bewertet deren Stellung zu Staat und Gesellschaft " viel positiver als die meisten Studien" und glaubt, "daß der überwiegende Teil unserer Bürger zum Mitgestalten bereit ist". Protesthaltungen einzelner Gruppen dürfe man nicht überbewerten und das "Reden von der allgemeinen Staatsverdrossenheit" kann man nach Mernizkas auf intensiven Basiswissen gründender Erkenntnis "getrost aufhören".
    Der schwergewichtige Politiker, der auch seinen Worten durch die Klarheit der Diktion Gewicht zu geben versteht, ist bereits 1954 als Anlernling bei den damaligen Stahlwerken Südwestfalen, wo schon der Großvater und der im Zweiten Weltkrieg gefallene Vater gearbeitet hatten, zur Gewerkschaft gestoßen. In der Jugendarbeit der IG Metall wurde er "so häufig mit politischen Entscheidungen konfrontiert", daß er sich 1966 "nach reiflichem Überlegen" der SPD anschloß und dann "gleich aktiver Juso" wurde.
    Ebenso wie seinerzeit im Bundesvorstand der Nachwuchsorganisation macht Loke Mernizka auch die Arbeit im Landtag "viel Spaß". Wobei es ihm "nicht so sehr auf die direkte Tätigkeit im Parlament ankommt, sondern auf den Brückenschlag zwischen der Kommunal- und der Landespolitik". Deshalb hat er auch keine Bedenken, die Doppelfunktion als Mandatsträger in Düsseldorf und als SPD-Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Siegen beizubehalten. Um die Belastung nicht zu groß werden zu lassen, gehört Loke Mernizka "bewußt nur einem Ausschuß" an, dem für Jugend, Familie und politische Bildung, und ist Stellvertreter in den Ausschüssen für Städtebau und Wohnungswesen sowie für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
    Der verwitwete Vater eines Sohnes (21 Jahre "und auch Juso") füllt seine knappe Freizeit mit Lesen und dem "Abschalten bei leichter klassischer Musik" aus und fährt "oft hinaus ins Land", um sich "etwas anzusehen". Daß er nie einen Führerschein besessen hat, ficht ihn dabei nicht an. Er läßt sich vom Sohn oder auch von Freunden fahren und meint lachend: "Ich bin auch ohne dieses Wohlstandszeugnis in der ganzen Welt herumgekommen."
    Karlegon Halbach

    ID: LI810202

  • Porträt der Woche: Robert Schumacher (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 28 - 19.12.1980

    Es ist so leicht zu fordern, daß sich mehr Selbständige für die Politik zur Verfügung stellen. In der Praxis kann es ein hartes Brot sein, der doppelten Aufgabe von Beruf und Politik gerecht zu werden. Von der Familie einmal ganz abgesehen.
    In dem 44jährigen Robert Schumacher (verheiratet, zwei Kinder) aus Remscheid hat der Landtag, hat die SPD einen solchen Mann, einen gestandenen Kommunalpolitiker obendrein. Der Meister im Zentralheizungs- und Lüftungsbauhandwerk und staatlich geprüfte Heizungstechniker hatte sich schon während seiner Lehrzeit für Politik interessiert und verschiedene Positionen in den Jugendverbänden der Europa-Union innegehabt, unter anderem im Landesvorstand der Jungen Europäischen Föderalisten.
    In die SPD trat er 1963 ein, weil er aus dem Besuch zahlreicher Versammlungen die Erkenntnis gezogen hatte, daß "hier der Ausgleich der Interessen von Arbeit und Kapital am aufrichtigsten verfolgt wird, daß hier auch innerparteilich Demokratie großgeschrieben wird". 1964 saß er bereits als "sachkundiger Bürger" im Bauausschuß der Stadt, ein Jahr später wurde er Ratsherr. Seit 1971 ist Schumacher Fraktionsvorsitzender der SPD im Rat der Stadt Remscheid. Seit 1975 gehört er auch dem Aufsichtsrat der Stadtwerke GmbH an.
    Im Wahlkreis 37 (Remscheid) hat Schumacher bei der letzten Landtagswahl 4,4 Prozent zugelegt für die SPD und sie damit auf einen Stimmenanteil von 49,8 Prozent hochgezogen. Er löste Heinz Janssen ab, der dem Parlament zehn Jahre lang angehört hatte. Im Hohen Haus wie in der Fraktion hat der Neuling "noch keinen Moment vor der Tür gestanden", wurde er "sofort voll akzeptiert und integriert". In welchem Ausschuß er sitzt, bedarf kaum der Frage - im Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen. Die Bildung des neuen Ministeriums für Landes- und Stadtentwicklung hat die Aktivitäten des "Bauausschusses" nicht nur auf eine neue Basis gestellt, Schumacher hält es auch für wichtig, daß Fachleute aus der Bauwirtschaft wie aus der Kommunalpolitik hier ihren Sachverstand, ihre praktischen Erkenntnisse von "vor Ort" einbringen. Somit "wird nicht nur theoretisiert in den Sitzungen, ist vielmehr der Bezug zur Praxis immer gegeben".
    Schumacher bekennt, daß er auch gerne Mitglied des Wirtschaftsausschusses geworden wäre (er ist hier "nur" stellvertretend tätig). Als selbständiger Handwerksmeister mit dem vielzitierten gesunden Mittelbetrieb kennt er "die Klagen von vielen Kollegen, daß den meisten Abgeordneten angeblich die Erfahrungen aus dem Alltag der gewerblichen Wirtschaft fehlen, daß bürokratische Hemmnisse abgebaut werden müssen". Da will er seine speziellen Kenntnisse einbringen in die Fraktionsarbeit, auch mithelfen am Konzept zur Wirtschaftsstrukturpolitik für das Bergische Land. Wer sich so engagiert für Partei und Politik einsetzt wie Meister Schumacher, dem "kann nicht viel Platz für Freizeit, für ein Hobby bleiben". Und wenn doch mal Zeit ist, gehört sie dem Lesen von Büchern, geschichtlichen vor allem. Hans Krieger

    ID: LI802822

  • Porträt der Woche: Günther Sieg (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 26 - 08.12.1980

    Als Mitte 1978 im neugegliederten Wahlkreis 97 (Steinfurt III) die SPD zur Kandidatenkür für die Landtagswahl 1980 schritt, schlug der Landesoberverwaltungsrat Günther Sieg aus Tecklenburg zwei Mitbewerberinnen aus dem Felde. Als am 11. Mai dieses Jahres die Bürger den neuen Landtag wählten, gab es wieder einen Sieg für Sieg. Der inzwischen 44jährige besorgte der SPD in seinem Wahlkreis erstmals das Direktmandat. Damit hat die Volksvertretung einen Juristen mehr in ihren Reihen. Er sitzt in den Ausschüssen für Wirtschaft und Kultur. Im ersteren kann Sieg für das nördlichste Steinkohlenrevier der Bundesrepublik (Raum Ibbenbüren/Lengerich), wo im Laufe der Jahre von 8000 Arbeitsplätzen die Hälfte verlorenging, seine Stimme erheben und "in Sachen regionale Wirtschaftsförderung hoffentlich etwas tun", im Kulturausschuß will der musik- und theaterkundige Münsterländer (aus alteingesessenen Bauern- und Handwerkerfamilien) Beiträge dafür leisten, daß das Stadt-Land-Gefälle im kulturellen Bereich sich weiter abflacht.
    Illusionen macht sich der Neuling, der sich "sehr kollegial aufgenommen" fühlt und ein halbes Jahr Anlaufzeit so nutzte, daß er "zum richtigen Durchblick" kam, nicht - "Politik machen in Düsseldorf wird sicher nicht leicht werden!" Aufgrund der veränderten Finanzlage, begründet Sieg seine vorsichtige Prognose, ist der Boden in der Kasse gut sichtbar geworden, kann auch die allgemeine wirtschaftliche Situation keinen Landespolitiker zu Hochsprüngen veranlassen oder auch nur zu Versprechungen - die Jahre dafür sind unwiderruflich dahin.
    Sieg ist ein Mann, der die Dinge gründlich analysiert, ehe er etwas dazu sagt. Diese Einstellung mag mit ein Ergebnis seiner juristischen Studien in Münster sein, die er mit beiden Staatsprüfungen abschloß. Er war damit zugleich an seinen Geburtsort zurückgekehrt, den er kurz vor Kriegsende hatte verlassen müssen - die Familie wurde ausgebombt und siedelte nach Tecklenburg über, wo er auch das Abitur baute. Nach dem Studium, zu dem einige Semester Staatswissenschaften gehört hatten, arbeitete Sieg in Anwaltspraxen, ehe er als Justitiar in die Dienste des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Münster trat. Seit seinem Einzug in den Landtag befindet sich der Landesbeamte im einstweiligen Ruhestand.
    1959 war Sieg Mitglied der SPD geworden, ein Jahr später bereits ihr Fraktionsvorsitzender im Rat der "alten" Stadt Tecklenburg. 1969 schickte ihn die Partei auch in den Kreistag des ehemaligen Kreises Tecklenburg; 1975, nach der kommunalen Neugliederung, in den des Kreises Steinfurt.
    In der Partei brachte es Sieg inzwischen zum stellvertretenden Unterbezirksvorsitzenden von Steinfurt. Der seit 1968 verheiratete Jurist sagt freimütig: "Mein wichtigstes Hobby ist die Politik, besonders die Kommunalpolitik. Hier kann man den Menschen schon noch am wirkungsvollsten helfen. " Gestützt auf seine langjährigen kommunalpolitischen Erfahrungen Sieg ist seit Mai dieses Jahres auch Bürgermeister der Stadt Tecklenburg - möchte er diese Zielvorstellungen für die achtziger Jahre auch im Landtag "hautnah" für die Bürger mitverwirklichen: "Technik muß dem Menschen dienen, darf die Umwelt nicht zerstören und nicht zur Arbeitslosigkeit führen; die Selbstverwirklichung freier und mündiger Bürger darf nicht durch Bevormundung abgelöst werden." Dazu hat Sieg, dessen Lieblingsfach in der Schule Geschichte war, die Entwicklung der demokratischen Parlamente in Westeuropa gut studiert - es ist seine bevorzugte Lektüre. Hans Krieger

    ID: LI80261E

  • Porträt der Woche: Albert Klütsch (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 24 - 17.11.1980

    Er will,,Politik zum Anfassen" machen, "anschaulich für den Bürger". Das hat er auf der kommunalen Ebene praktiziert, als er gegen die Bedenken der Verwaltung durchsetzte, daß Eltern Spielstraßen mitgestalten durften und alte Leute freie Hand bei der Einrichtung ihrer Altenstube bekamen.
    Albert Klütsch (36) möchte aber auch über den lokalen Bereich hinaus ,, Zuwendung als politisches Prinzip" verwirklicht sehen. Er rückt damit ebenso in die Nähe seines Landesvorsitzenden Johannes Rau wie mit seinem Wahlergebnis vom 11. Mai. Im zweiten Anlauf schaffte Newcomer Klütsch das zweitbeste SPD-Ergebnis im Land hinter dem Ministerpräsidenten. Im Wahlkreis Erftkreis Hl/Euskirchen I betrug sein Zugewinn gegenüber 1975 satte 5,2 Prozent bei etwa gleich hohen Verlusten seines CDU-Kontrahenten Lothar Theodor Lemper, der ihm damals das Direktmandat noch mit 1000 Stimmen Vorsprung vor der Nase weggeschnappt hatte. Albert Klütsch führt solchen Erfolg auf "Glück durch den Landestrend, aber auch auf viel Kleinarbeit an der Basis" zurück. Besonders in seiner Heimatstadt Wesseling hat er, der sich selbst als "rheinische Frohnatur" sieht, viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das galt vor allem, als die 30000 Wesselinger im Chemiegürtel der Rheinschiene am 1. Januar 1975 im Zuge der kommunalen Neuordnung gegen ihren Willen Kölner wurden.
    Der junge Jurist Klütsch, der im Jahr zuvor sein Assessor-Examen abgelegt hatte, wurde nicht nur zu einem der Wortführer in der örtlichen Los-von- Köln-Bewegung, sondern auch zum Mitautor der schließlich erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen die Eingemeindung. Als die Wesselinger gesiegt hatten, zog er als Lokalgröße in Stadtrat und Kreistag ein.
    Das Ratsmandat hat er 1979 wegen höherer Ambitionen wieder aufgegeben. Der junge und durchsetzungsbewußte SPD-Mann weiß: "Wenn man eine Sache macht, muß man sie ernsthaft machen. Das Jagen von einem Termin zum anderen nützt weder dem Politiker noch dem Bürger." Im Kreisparlament des Erftkreises leitet er den in der Ballungsrandzone zwischen den großen Nachbarn Köln und Bonn besonders wichtigen Planungsausschuß.
    Die Arbeit im Landtag sieht Albert Klütsch, der als Arbeitsrichter in den einstweiligen Ruhestand gehen mußte, als "reizvoll" an und hofft, daß er sich "neue Möglichkeiten zur Mitwirkung" erschließen kann. Politische Tätigkeit macht ihm "ausgesprochenen Spaß" und der treibt ihn nach eigener Erkenntnis "mehr als der Ehrgeiz". Er möchte "ein Stückchen Zukunft mitgestalten" und hat sich deshalb in den Ausschuß für Landesplanung und Verwaltungsreform und in den Justizausschuß delegieren lassen. Stellvertreter ist er außerdem im Petitionsausschuß sowie bei Arbeit, Gesundheit und Soziales. Zuviel? "Nein, keineswegs, ich bin belastbar. " Er fühlt sich in kommunizierender Funktion: "Transformator der Bürgerinteressen nach der einen, Moderator der Landespolitik nach der anderen Seite." Zur Politik kam der ehemalige Klosterschüler, als er noch Jura und Politologie studierte. Die Studentenbewegung von 1968 brachte ihn aktiv zu den Jusos, deren Vorsitzender er im ehemaligen Kreis Köln-Land von 1970 bis 1972 war. Doch "einseitig-doktrinär" sei er nie gewesen, sagt der frühere Fallschirmjäger- Leutnant und begeisterte Freizeitsportler. Skifahren, Wandern, Surfen und Volleyball stehen noch regelmäßig auf Wochenend- und Feierabendprogramm. Der weißen Piste ist Albert Klütsch besonders verbunden. Auf ihr hat er auch seine Frau Ingrid, aktive politische Mitstreiterin, schon als 21 jähriger kennengelernt. Karlegon Halbach

    ID: LI80241C

  • Porträt der Woche: Ursula Kraus (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 22 - 03.11.1980

    Das "Ja" kam nicht spontan, als der Wuppertaler SPD-Unterbezirksvorstand die Industriekauffrau Ursula Kraus (50) eines Tages fragte, ob sie am 11. Mai für den nordrhein-westfälischen Landtag kandidieren wolle. Schließlich hatte sie Erfolg im Beruf, und ihre Tätigkeit als Leiterin des Verkaufs-Innendienstes einer Druckerei machte ihr viel Spaß. Mandat und Beruf waren aber miteinander nicht zu verbinden. Daß sich die Sozialdemokratin schließlich trotzdem für die Kandidatur im Wuppertaler Wahlkreis 36 entschied, begründet sie heute: "Man kann nicht immer wieder fordern, daß mehr Frauen in die Parlamente kommen, aber sich persönlich davon ausschließen." Mit einem Stimmenanteil von 53 Prozent sicherte Ursula Kraus schließlich ihrer Partei den neugeschnittenen Wahlkreis, der sich übrigens zur Hälfte aus dem alten Wahlkreis von Ministerpräsident Johannes Rau zusammensetzt.
    Im saarländischen Neunkirchen geboren, kehrte sie schon in frühen Kindesjahren mit ihren bergischen Eltern nach Wuppertal zurück, wo sie auch die Schule besuchte, das "Einjährige" machte und anschließend die kaufmännische Lehre absolvierte. Schon früh davon überzeugt, daß auch eine Frau auf "eigenen Beinen" stehen müsse, verbrachte die heutige SPD-Landtagsabgeordnete einige Zeit in Großbritannien, wo sie als sogenanntes Au-pair-Mädchen ihre englischen Sprachkenntnisse erweiterte.
    Es gehörte zur Familientradition, daß Ursula Kraus schon früh in der SPD mitarbeitete, bevor sie schließlich 1956 in die Partei eintrat. Ihre Parteifreunde beriefen sie in den folgenden Jahren in mehrere Vorstandsämter auf Orts- und Bezirksebene. So ist die engagierte Gewerkschaftlerin und Betriebsrätin im niederrheinischen Bezirksvorstand der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Die SPD-Politikerin, die "niemals geglaubt hat, ein Mandat zu übernehmen", wurde von ihrer Fraktion in den Wirtschafts- und den Petitionsausschuß des Düsseldorfer Landtages berufen.
    Die Landtagsabgeordnete möchte die Wirtschaftspolitik verstärkt darauf ausgerichtet sehen, die Arbeitslosigkeit auf ein Mindestmaß einzudämmen. Dafür seien natürlich auch strukturelle Hilfen des Staates erforderlich. Bezüglich der Klagen vor allem des Mittelstandes über "zuviel Bürokratie" bei der staatlichen Mittelvergabe macht Ursula Kraus darauf aufmerksam, daß es sich dabei schließlich um Steuergelder handele, deren mißbräuchliche Verwendung die öffentliche Hand verhindern müsse. In diesem Zusammenhang legt sie ein besonderes Gewicht auf die Berufsausbildung für Mädchen. Die Frauen seien nämlich in der Regel stärker von der Arbeitslosigkeit bedroht, da sie im allgemeinen nicht so gut ausgebildet seien wie ihre männlichen Kollegen.
    Bei einem weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit nutzen nach Auffassung der SPD- Politikerin keine Hilfsprogramme - die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft. Zwar sei die Gleichberechtigung in der Bundesrepublik gesetzlich verankert, doch die Praxis sehe noch anders aus. Es werde noch eines langen Weges zu diesem Ziel bedürfen. "Da muß vor allem eine Bewußtseinsänderung bei Frauen und Männern eintreten." Und ihre Mitarbeit im Petitionsausschuß sieht Ursula Kraus vor allem unter dem Aspekt, ratsuchenden Menschen auf direktem Weg helfen zu können. Überhaupt habe die Politik die Aufgabe, das Gefühl der Mitverantwortung für diejenigen in unserer Gesellschaft zu stärken, die oft auf der Schattenseite des Lebens stehen.
    Fragt man die SPD-Politikerin nach ihrer Freizeitbeschäftigung, so stehen Wandern und Schwimmen an bevorzugter Stelle. Auch greift sie gern zu einem Buch. "Es müssen nicht unbedingt politische Bücher sein, die moderne Literatur schätze ich." Mit dem Einzug der Wuppertalerin in den nordrhein-westfälischen Landtag stieg die Zahl der weiblichen Abgeordneten der SPD-Fraktion von sechs auf sieben. Die Sieben soll eine Glückszahl sein . .. Jochen Jurettko

    ID: LI80221F

  • Porträt der Woche: Dr. Peter Heinemann (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 19 - 29.09.1980

    Zunächst habe er sich "im Beruf etabliert" und sich "wirtschaftliche Unabhängigkeit gesichert", sagt er mit unverhohlener Zufriedenheit über seinen bisherigen Lebensweg. Daß der Essener Rechtsanwalt und Notar Peter Heinemann (44) dann auch noch in den Landtag kam, war eigentlich nicht programmiert. Das lag "mehr am Landestrend als an persönlicher Absicht".
    Unbedingt angestrebt hat Heinemann, jüngstes von vier Kindern und einziger Sohn des 1976 verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Gustav Heinemann, das Parlamentsmandat nicht. Seine Direktkandidatur im traditionellen CDU-Wahlkreis Essen-Süd mit dem Nobel-Stadtteil Bredeney und dem überwiegend bürgerlichen Werden beruhte mehr auf dem "Drängen vieler Freunde, die die Hoffnung hatten, ich könnte einige Wechselwähler zur SPD herüberziehen", als auf eigenem politischen Ehrgeiz.
    Zu Heinemanns persönlicher Überraschung gewann er das Mandat jedoch mit 45,8 gegen 45,2 Prozent und sitzt nun in Düsseldorf, wo auch der Vater 1947 seine wechselvolle politische Karriere als Landtagsabgeordneter und Justizminister begonnen hatte. In Vaters Fußstapfen will er aber dennoch nicht treten. Nein, ein Ministeramt strebe er "auch auf längere Sicht nicht an", sagt er bestimmt. Konsequent hat sich der Senior einer florierenden sechsköpfigen Anwaltskanzlei deshalb auch in keinen Ausschuß wählen lassen, in dem juristisches Fachwissen besonders gefragt ist. Er ist ordentliches Mitglied in "Wissenschaft und Forschung" sowie "Schule und Weiterbildung" und Stellvertreter im Petitionsausschuß.
    Wohlüberlegte Arbeitsfelder, weil nach Peter Heinemanns Erkenntnis "die weltweiten Probleme nur noch technischwissenschaftlich lösbar sind und auch der Umweltschutz in verstärktem Maße der Technik bedarf". Der Schule gilt sein besonderes Interesse als Vater von drei Kindern, aber auch weil er den Versuch mit der Gesamthochschule Essen stets aufmerksam verfolgt hat und für "durchaus gelungen" hält.
    Ins Rampenlicht will der junge Heinemann nicht treten. Wie einst sein Vater kann er "Publicity zwar ertragen , sucht sie aber nicht. Er will mehr ,,im Hintergrund arbeiten, hinzulernen und gemachte Erfahrungen einsetzen". Der prominente Vater war für ihn zwar ein "bleibendes Vorbild", sein Beispiel aber "nicht nur ermutigend". Peter Heinemann denkt dabei an das "Opfer an Zeit, das auch ein Stück Verzicht auf persönliche Freiheit beinhaltet" und erinnert sich ungern daran, "wie Vater nach 1950 diffamiert wurde". Negative Erinnerungen haben sich damals bei dem 14jährigen Schüler tief eingegraben: "Sie müssen sich vorstellen, daß es Leute gab, die wir für Freunde gehalten hatten und die uns plötzlich nicht mehr grüßten."
    Ähnliches soll ihm und seinen Kindern nicht passieren. So will er lieber unauffällig bleiben und "meinen Status als unabhängiger Abgeordneter genießen". Dabei soll auch ein wenig Zeit für Privates und besonders für die Familie bleiben. Wer den zurückhaltenden, aber dennoch selbstbewußt-sicher wirkenden SPD-Politiker im Gespräch erlebt, glaubt ihm die Ernsthaftigkeit seiner persönlichen Zielsetzung, nimmt es ihm ab, daß er für sich selbst "nicht in strahlenden Ämtern letzte Erfüllung" sieht. Er neige zu starker Selbstreflexion, sagt Heinemann, ohne daß dies prätentiös klingt.
    Der erfolgreiche Jurist, 1961 in die SPD eingetreten und bis zu seiner Landtags- Kandidatur über Mitarbeit im Ortsvereinsvorstand hinaus nicht ins politische Blickfeld gekommen, übt auch bei anderen Ämtern Zurückhaltung. Als evangelischer Christ geht er "gelegentlich zur Kirche", hat aber auch hier im Gegensatz zu seinem Vater keine Funktion. Er ist ein Mensch der Stille, liebt einsame Wanderungen, das Reisen "abseits vom Touristikrummel" und vertieft sich, wenn er neben Kanzlei- und Parlamentsarbeit noch Zeit dazu findet, gern in politische Biographien und Sachbücher. Aber auch theologische Schriften sind ihm geläufig, weil "man sich mit den Fragen des Lebens ja auseinandersetzen muß". Karlegon Hafbach

    ID: LI80191D

  • Porträt der Woche: Dr. Eugen Gerritz (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 18 - 15.09.1980

    Es ist sehr selten, daß ein Abgeordneter gleich zu Beginn seiner parlamentarischen Tätigkeit im nordrhein-westfälischen Landtag mit einer Führungsaufgabe betraut wird. Für die SPD-Fraktion war jedoch der "Neuling" aus Krefeld, Studiendirektor a. D. Dr. Eugen Gerritz prädestiniert, Vorsitzender des Arbeitskreises Kultur zu werden - nicht allein seines beruflichen Werdeganges wegen, sondern auch ob seines kulturellen Wirkens als Stadtrat im niederrheinischen Krefeld.
    In Bitburg geboren, verbrachte der heute 45jährige seine Jugendjahre in so geschichtsträchtigen Orten wie Xanten und Geldern. Die Landschaft prägte früh den Lehrersohn, der nach dem Abitur Studienfächer wie Geschichte und Kunstgeschichte belegte und später über das Thema "Troia sive Xantum" promovierte. Als mehrjähriger Assistent des bekannten Archäologen Professor Borger stand er an dessen Seite bei mittelalterlichen Ausgrabungen in Neuss und Xanten. "Ich habe in der freien Landschaft den Tacitus nachvollzogen", resümiert heute Eugen Gerritz über jene Zeit. 1962 in den Schuldienst eingetreten, siedelte er sich in Krefeld an "wegen der archäologischen Nähe". Und sehr schnell erklomm der heutige Studiendirektor die beruflichen Sprossen.
    In katholischen Jugend- und Standesorganisationen aktiv tätig gewesen, stieß der Katholik Gerritz 1964 zur SPD. Das demokratische und das Widerstands-Potential der Sozialdemokraten als ein "Kapital der deutschen Geschichte" hätten ihn sehr beeindruckt, begründet der Pädagoge seinen Schritt. Und auch während seines Werkstudiums als Bergmann, wo er eine für ihn völlig ungewohnte Umgebung betrat, entwickelte sich ein "Solidarisierungsprozeß mit den Arbeitern und der SPD". 1970 in den Krefelder Stadtrat gewählt, rückte der Sprecher des Kulturausschusses seiner Fraktion später in den Vorstand auf und ist seit 1979 Vorsitzender der SPD- Fraktion. Neben Kultur und Schule ist es vor allem die Regionalpolitik, die Stärkung des linken Niederrheins und die Herstellung von Verbindungen zum rechten Ufer, die seine besondere Aufmerksamkeit finden. Dabei ist es für den SPD-Politiker selbstverständlich, daß die zu bewältigenden Aufgaben nur in einer Kooperation mit dem politischen Gegner, der CDU, gelöst werden können. Und der Kommunalpolitiker Gerritz suchte den Dialog mit den Christdemokraten, und der Krefelder Landtagsabgeordnete Gerritz möchte diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit auch im Landesparlament fortsetzen.
    Als Vorsitzender des SPD-Arbeitskreises Kultur hat er schon beachtliche konkrete Vorstellungen über seinen künftigen Aktionsradius. Nicht zu unrecht stellt er fest, daß das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich selbst über die deutschen Grenzen hinaus viel beachtete Bundesland überraschenderweise starke Zurückhaltung in seiner kulturellen Selbstdarstellung übt. Im Gegensatz beispielsweise zu Bayern, das durch seine kulturelle Präsenz eine große nationale und internationale Wirksamkeit erreiche. ., Wir täten gut daran, darüber mal nachzudenken." Dabei weist der SPD-Politiker auf die beiden "vorzüglich" arbeitenden Landschaftsverbände hin, zu denen die Kulturpolitik des Landes nicht in Konkurrenz treten dürfe. Vielmehr müsse eine Komplettierung der kulturellen Arbeit durch Land, Landschaftsverbände und Kommunen gemeinsam erfolgen.
    Drei Schwerpunkte setzt der Kulturpolitiker: Neben der für 1984/85 geplanten Landesausstellung ist es vor allem die seit Anfang der sechziger Jahre existierende Landesgalerie, die ihm am Herzen liegt und ausgebaut werden sollte. Das Land müsse seine Künstler fördern, beispielsweise auch durch Artotheken. Und schließlich möchte der Niederrheiner dem Übersetzer-Zentrum in Straelen Ausstrahlung über die Bundesrepublik hinaus geben. Wenn es viele seiner Mitbürger in den Ferien nach dem Süden drängt, fährt Eugen Gerritz mit Frau und zwei Kindern nach Irland - "wo das Volk sich noch das Verhältnis zur Wirklichkeit erhalten hat, und der Katholizismus progressiv und dialogfähig ist". Nicht alltäglich auch sein Hobby, er sammelt niederländische Kacheln aus dem 17. Jahrhundert. Jochen Jurettko

    ID: LI80181D

  • Porträt der Woche: Dr. Herbert Schnoor (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 16 - 01.09.1980

    Dr. Herbert Schnoor (52), verheiratet, zwei Töchter, seit Ende Mai Innenminister im größten deutschen Bundesland, gilt als glänzender Jurist mit einem ausgeprägten politischen Fingerspitzengefühl und taktischem Geschick - eine Kombination, die man nicht allzu häufig antrifft. Daß profunde juristische und staatswissenschaftliche Kenntnisse gerade im großen Innenressort, in dem die meisten staatsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen auftauchen, von großem Nutzen sind, ist unbestritten.
    Dabei ist Schnoor nur aus Zufall - durch einen glücklichen Zufall, wie er heute sagt - Jurist geworden. Denn als der 21jährige nach Kriegsgefangenschaft und Abitur Studienpläne hegte, entschied er sich für die Laufbahn des Studienrats mit dem Hauptfach Deutsch. Und auch damals - 1948 - gab es so etwas wie den Numerus clausus. Er mußte sich an der Universität Göttingen einer Aufnahmeprüfung stellen. In Germanistik bestand er sie. Aber dann prüfte der aus Königsberg gekommene Philosoph Nicolai Hartmann an Hand des Abiturzeugnisses den allgemeinen Bildungsstand. Schon war Herbert Schnoor durchgefallen. So ging er nach Würzburg und nahm dort das Jurastudium auf, das er später in Göttingen abschloß.
    Zufall war es auch, daß Schnoor, der Lehrerssohn aus dem kleinen ostfriesischen Moordorf bei Aurich, 1964 in das Kultusministerium nach Düsseldorf kam. Der Mann, der schon eine Karriere bei der Bezirksregierung in Stade hinter sich hatte, war 1963 in das Bundesgesundheitsministerium nach Bonn übergewechselt. Aber im Bonner Ministerium war ihm alles viel zu praxisfern, und so packte er schon nach einem Jahr wieder die Koffer und ging nach Düsseldorf. Dort wurde Schnoor, der evangelisch ist, mit etwas konfrontiert, was in Niedersachsen niemals eine Rolle gespielt hat: Konfessionsproporz und - damals noch - Konfessionsschule. Und nicht zuletzt aus Protest dagegen trat er mit Datum vom 1. Januar 1965 in die SPD ein. Mit ihm, so erinnert sich Schnoor heute, gab es damals im Kultusministerium ganze drei Beamte, die SPD-Mitglied waren.
    Eine parteipolitische Bindung war für Schnoor, der später Staatssekretär im Wissenschaftsministerium wurde und bis zu seiner Berufung zum Minister fünf Jahre lang Chef der Staatskanzlei war, bis dahin kein Thema, obwohl er immer sozialdemokratisch gewählt hatte und obwohl er aus einer keineswegs unpolitischen Familie kam. Der Großvater, ein Kirchenbeamter, hatte der Stresemann- Partei angehört und mußte in der Nazizeit, weil er Verfolgten half, mehrfach Hausdurchsuchungen erleben. Daß dabei alles relativ gut ablief, lag auch daran, daß in dem eher winzigen Ort von kleinen Nazifunktionären schon einmal ein Tip kam, wenn die Gestapo aus Wilhelmshaven anrückte.
    Das Glück, das der Großvater hatte, half auch dem Enkel, als dieser im bitterkalten Winter 1947 aus französischer Kriegsgefangenschaft floh (ein erster Versuch, bei dem er sich als Pole ausgab, scheiterte). Von einer Abraumhalde in Lothringen sprang er nachts einfach davon, verbarg sich in einem Gebüsch und schlich, als die Luft rein war, über die Grenze. Im Saarland besorgte ein katholischer Priester Zivilkleidung und gab Fahrgeld. Über Mosel, Eifel und das Rheinland (den ersten Kontakt mit NRW hatte er als Kriegsgefangener im Lager Rheinberg gehabt) ging es heim nach Ostfriesland. Der Dorfbürgermeister ein alter Kommunist - rückte Lebensmittelmarken heraus, obwohl Herbert Schnoor keinen Entlassungsschein vorzeigen konnte.
    Warum der Minister, der es nach Marinehelferzeit in der Infanterie bis zum Fahnenjunker gebracht hatte, diese abenteuerliche Flucht noch in so scharfer Erinnerung hat? Als er am 20. Mai ernannt war und Kurzbiographien in den Blättern standen, bekam er Post. Der Kamerad, der damals von der Abraumhalde in Lothringen ohne vorherige Verabredung mit den Worten "Ich komm' mit" Schnoor nachgesprungen und mit ihm zusammen geflohen war, schrieb, nach dem "Steckbrief" in den Zeitungen könne der Minister mit jenem Herbert Schnoor aus Moordorf identisch sein, dem er damals nachgesprungen sei. Schnoor schrieb dem " lieben Hermann", der mitgeteilt hatte, daß er CDU- Mitglied sei, einen drei Seiten langen Brief und schloß: "Ruf mich doch einfach an". Ein unterkühlter Ostfriese, wie manche meinen ? Karl Lohaus

    ID: LI801621

  • Porträt der Woche: Günter Herterich (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 10 - 21.04.1980

    Von denen, die nach dem 11. Mai aus eigenem Entschluß nicht mehr wiederkommen, ist Günter Herterich (40) mit Abstand der Jüngste. Er wollte "nicht in Routine erstarren, sondern endlich einmal etwas Neues machen". Daß er dem Landesparlament nur eine Legislaturperiode angehört hat, ist dazu kein Widerspruch.
    Günter Herterich sieht Kommunal-, Regional- und Landespolitik als "einen Block, eine geschlossene Einheit". Und darin war er gut neun Jahre tätig. Nur Kenner der Kölner Szene und vor allem SPD-Insider im Rathaus der größten Stadt an Rhein und Ruhr wissen, mit welcher Intensität er diese Tätigkeit ausgeübt hat.
    Jetzt will er die Ebene wechseln, die Sessel in Stadtrat, Bezirksplanungsrat und Landtag gegen einen Sitz im Bundestag tauschen. Daß dies kein Wunschdenken bleibt, dafür hat der "Macher der Kölner SPD" seit Jahren vorgesorgt. Die Direktkandidatur ist ihm sicher, sein Wahlkreis nach eigener Einschätzung der "beste im ganzen Regierungsbezirk". Herterich tritt in Köln rechtsrheinisch an, in den Arbeitervierteln Kalk, Humboldt, Mülheim und Dellbrück. SPD-Ergebnisse zwischen 55 und 60 Prozent sind hier Tradition.
    Von Düsseldorf nimmt der gebürtige Schwabe, der 1963 als Student nach Köln gekommen war und heute "in keiner anderen Stadt mehr leben" möchte, leichten Herzens Abschied. "Ich hatte als Fraktionsvorsitzender im Rat immer die Hauptaufgabe, im Landtag Lobby für Köln zu machen. Das ist bei uns seit Jahren so abgesprochen", sagt er dazu lakonisch. Und er ist überzeugt, "in dieser Beziehung einiges erreicht" zu haben. Die Tätigkeit im Haushalts- und Finanzausschuß hat ihm nebenbei "aber auch viel Spaß" gemacht. Als stellvertretendes Mitglied im Wirtschafts- und auch im Petitionsausschuß hat er "unbedingt dazugelernt".
    Spaß an der Politik war stets das Hauptmotiv für den uneingeschränkten Einsatz des gelernten Historikers. Den gedenkt er sich auch in Bonn zu erhalten. Dabei ist er bereit, "noch mal ganz neu anzufangen". Günter Herterich ist Realist: "Ich bin mir darüber klar, daß niemand im Bundestag händeringend auf mich wartet. Ich werde viel Kärrnerarbeit leisten müssen." Aber er stellt auch sein Licht nicht unter den Scheffel, indem er betont, daß er "einer der ganz wenigen" Bundestagsabgeordneten sein wird, "die an der Basis alles gemacht haben". Deshalb glaubt er, einen "guten, kenntnisreichen Parlamentarier" abgeben zu können, der "genau weiß, wie ein Gesetz unten ankommt". Um den Rücken freizubekommen für die neue Aufgabe, will er unter die bisherigen einen rigorosen Schlußstrich ziehen. "Nach dem 5. Oktober komme ich nicht mehr ins Kölner Rathaus. Einen Abschied in Etappen gibt es für mich nicht", sagt Günter Herterich. Er hält im übrigen auch "Abrüstung, Rohstoff- und Energiesicherung und die allmähliche Lösung des Nord-Süd-Konflikts für wichtiger als den Rheinufertunnel".
    Seinen nimmermüden Einsatz will er beibehalten, weil er "ohne den keinen Erfolg für möglich" hält. In den neun Jahren Kölner Aktivität hat er "nur zweimal Urlaub gemacht und siebenmal im Sommer die Stallwache gehalten". Doch das hat ihm "nichts ausgemacht", da er Arbeit "keineswegs als Mühsal" empfindet und darauf setzt, daß er auch in Zukunft "ein robuster Typ" bleibt, den so schnell nichts umwirft". 15 Pfund Übergewicht stören den Milchtrinker und Nichtraucher Herterich "höchstens beim Treppensteigen". Allerdings hat er sich doch vorgenommen, ab Herbst "etwas gesünder zu leben" und frühere sportliche Betätigung wieder aufzunehmen. Das will er allerdings "ohne jeden Ehrgeiz" tun, den er auf dem politischen Feld freimütig einräumt.
    Der Vorsitzende des großen SPD-Unterbezirks Köln hält Politik für eine "faszinierende Sache", für das er "jedes Opfer an Privatem" zu geben bereit ist. "Junggeselle bin ich vielleicht nicht durch die Politik geblieben, ich bleibe es aber wegen ihr", sagt Herterich. Seine nächste Karriere scheint programmiert.
    Karlegon Halbach

    ID: LI80101C

  • Porträt der Woche: Werner Linkner (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 8 - 17.03.1980

    Keine leichte Aufgabe hat Werner Linkner übernommen, als er acht Monate vor Ende der Legislaturperiode über die Landesreserveliste der SPD in den nordrhein-westfälischen-landtag nachrückte. Der zeitlich bedingte parlamentarische Vorsprung der übrigen Kollegen im Landtag ist nicht aufzuholen, selbst wenn man sich - wie der Abgeordnete aus dem niederrheinischen Kleve - mit viel Engagement und nicht minder hohem Zeitaufwand diesem neuen politischen Wirkungsfeld widmet.
    Wenn der heute 51jährige Sozialdemokrat trotzdem im Oktober letzten Jahres "ja " zur Mandatsübernahme gesagt hat, dann hatte es vor allem einen Grund: "Ich will möglichst viele Kontakte auf Landesebene während dieser Zeit knüpfen, die für den unteren linken Niederrhein, insbesondere für den Kreis Kleve, von Nutzen sein können." Und in Düsseldorf wird eben "Politik gemacht" für dieses Land.
    Allerdings, der gebürtige Duisburger ist kein parlamentarisches "Greenhorn", er hat jahrelange Erfahrungen auf der Kommunalebene. So gehörte der SPD-Landtagsabgeordnete von 1964 bis zur Kommunalwahl im letzten Jahr dem Stadtrat von Kleve an und rückte 1969 in den Klever Kreistag ein, wo er lange Zeit Fraktionsvorsitzender der SPD war. Im selben Jahr wurde Werner Linkner in die Landschaftsversammlung Rheinland berufen.
    Der SPD-Politiker, dessen besonderes Interesse als Stadtrat und Kreistagsvertreter dem Kultur- und Baubereich gilt, wurde damals in den Gesundheitsausschuß dieses rheinischen Gremiums gedrängt. Verständlich, liegt doch mit dem Landeskrankenhaus Bedburg das größte psychiatrische Zentrum Europas vor den Toren Kleves. Was Werner Linkner damals mehr als einen Auftrag seiner Parteifreunde empfand, ist für ihn inzwischen ein persönliches Anliegen geworden: eine bessere Umwelt für die geistig und körperlich behinderten Mitmenschen zu schaffen. Zwar wurde besonders in den letzten Jahren Beachtliches im Bau- und Ausstattungsbereich der Landeskrankenhäuser getan, doch zumindest ebenso wichtig ist eine allgemeine Klimaverbesserung für diese benachteiligten Menschen. "Wir müssen mehr Verständnis und Gefühl für die Behinderten aufbringen, daran fehlt es noch sehr", bedauerte Werner Linkner. Der Niederrheiner, dessen Vater Gewerkschafter und ebenfalls Sozialdemokrat war, stieß 1958 zur SPD und wurde 1966 Unterbezirksvorsitzender des Kreises Kleve. 1972 wählten ihn seine Parteifreunde zum Vorsitzenden des niederrheinischen Bezirksausschusses der SPD, und vier Jahre gehörte er zudem dem Landesausschuß an.
    Anerkennung für einen Parteifreund, der in einer "SPD-Diaspora" für seine Partei wirbt und kämpft. Zwar brachten es die Sozialdemokraten im Kreis Kleve inzwischen auf "Mitte 30 Prozent" der Wählerstimmen, und sie hatten bei der Landtagswahl 1975 mit 3,4 Prozent den höchsten Zugewinn im ganzen Land, aber ein Machtwechsel ist in diesem von der CDU politisch geprägten Raum kaum in Sicht. "In so einer Lage muß man sehr viel Idealismus haben, dann freut man sich um so mehr, wenn einige Prozente dazugeholt werden." Nicht selten wünscht sich der Klever Unterbezirksvorsitzende mehr Verständnis von seinen Parteifreunden aus den SPD-Hochburgen. "Gerade sie sollten unsere Anliegen in den verschiedenen Gremien stärker unterstützen", meint er offen. Auf die Frage nach den ersten Eindrükken von seiner neuen Wirkungsstätte zögert Werner Linkner mit der Antwort. "Man muß sich fragen, welchen Einfluß der einzelne Abgeordnete auf so wesentliche Entscheidungen wie beispielsweise einen 51-Milliarden-Landesetat hat", meint er dann kritisch. Und auch das erforderliche Zusammenspiel zwischen Legislative und Exekutive scheint nach Ansicht des Abgeordneten verbesserungsfähig zu sein.
    Der Niederrheiner, dessen berufliche Laufbahn beim Zoll begann und der heute Vorsteher des Bundesbahn-Grenzzollamtes Kranenburg ist, entspannt sich in seiner durch Mandate und Parteiämter rar gewordenen Freizeit beim Wassersport. Und natürlich ist es dem Vater von vier Kindern am liebsten, wenn dann möglichst viele Familienangehörigen mit von der Partie sind.
    Jochen Jurettko

    ID: LI800818

  • Porträt der Woche: Werner Figgen (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 4 - 12.02.1980

    Er hat, wie er rückblickend sagt, "eigentlich alles durch". Werner Figgen (58) war Minister, Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des größten Parteibezirks der SPD und auch ihr Landeschef, weit vorher jüngster Abgeordneter im Kreistag von Arnsberg und seinerzeit mit 34 Jahren auch einer der jüngsten Oberbürgermeister in der Bundesrepublik. Jetzt schickt er sich an, nur noch in dem Bereich tätig zu sein, dem seine "ganze Liebe" gehört, der Kommunalpolitik.
    Schon 1975 war Werner Figgen in den Rat seiner Wahlheimat Hamm zurückgekehrt und hatte als Vorsitzender der SPD-Fraktion "wie auch als ein Stück Integrationsfigur" dazu beigetragen, die Wunden zu heilen, die die kommunale Neuordnung hier und da geschlagen hatte. Seit der Wahl vom 30. September letzten Jahres sitzt er auch wieder auf dem Sessel des Oberbürgermeisters. Wie er meint, "fester", als dies bei einem Kräfteverhältnis von 30 (SPD) zu 29 (CDU) gemeinhin vermutet werden könne. Und der Erste Bürger in der heute 178000 Einwohner zählenden Stadt Hamm will "mit vollem Einsatz" dazu beitragen, daß sich bald auch die letzten Zweifler in Pelkum, Bockum-Hövel und Heessen unter dem gemeinsamen kommunalen Dach wohl fühlen.
    Der am 9. November 1921 in der Freiheit Husten geborene Sauerländer Figgen selbst ist längst in der Stadt heimisch geworden, in die er Anfang der fünfziger Jahre übergewechselt war. Da stand der gelernte Dreher noch am Anfang seiner steilen politischen Karriere. 1946 war er der SPD beigetreten, war ein Jahr später Jugendsekretär in Warstein geworden und hatte hier viel Basisarbeit geleistet. Bei "oft abenteuerlichen Touren durchs schwarze Sauerland" hatte er mehr als die Hälfte der SPD-Ortsvereine mitgegründet, 1950 wurde er dann Geschäftsführer des Unterbezirks Hamm. Chronologisch folgten die Stationen Stadtrat (1952), Oberbürgermeister (1956) und Bundestagsabgeordneter (1961). Nachdem Werner Figgen 1965 zum Chef des Bezirks Westliches Westfalen und stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt worden war, holte ihn Heinz Kühn im Dezember 1966 als Arbeits- und Sozialminister in sein Kabinett. 1970 zog Figgen auch in den Landtag ein, 1973 übernahm er den Parteivorsitz in NRW.
    Doch zwei Jahre später kam das, was er heute den "großen Abbau" nennt. Zunächst verzichtete er auf das Ministeramt, anschließend auf alle anderen überörtlichen Führungspositionen. Nicht ohne ein wenig Stolz erwähnt er dabei, daß dies "alles persönlicher Entschluß" war: "Ich bin an keiner Stelle abgewählt worden." Und er bestreitet auch, daß Resignation im Spiel gewesen sei. Nein, irgendwann habe ihn einfach der Ehrgeiz verlassen.
    Künftig will er sich nur noch zwei Aufgaben widmen, an der Basis, die er nie verlassen hat: Dem Ratsvorsitz und dem Vorsitz in der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe. "Solche Ämter erfordern die ganze Arbeitskraft, das kann man nicht nebenbei machen", hat Werner Figgen erkannt.
    Ja, und ein bißchen mehr Zeit will er künftig auch für seine Liebhabereien haben: Die Jagd, die er "aber mehr als Ausgleich denn als ausgeprägtes Hobby" betreibt, das Wandern in Sauer- und Münsterland und das Lesen. "Ich habe mein Leben lang viel gelesen. Ich hatte als Volksschüler nie eine andere Wahl, wenn ich weiterkommen wollte."
    Karlegon Halbach

    ID: LI80041B

  • Porträt der Woche: Heinz Janssen (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 2 - 28.01.1980

    Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zieht der SPD-Abgeordnete Heinz Janssen die Konsequenz der Verweigerung: Wenn die Karlsruher Richter von ihm verlangen, daß er Berufspolitiker werden soll, dann macht er nicht mit, sondern geht zurück - "zurück in meinen erlernten Beruf als Kommunalbeamter". Am Ende dieser Legislaturperiode ist für den 46jährigen Janssen Schluß mit der Landespolitik. Nicht mehr dabeisein will der Sozialdemokrat bei einer in seinen Augen "falschen Entwicklung, daß für die Parlamentarier nur die parlamentarische Arbeit Beruf sein soll". Die solcherart mit einem außerparlamentarischen Berufsverbot belegten Abgeordneten, so seine Befürchtung, verlören den Bezug zu den Alltagsproblemen der Bürger, die sie vertreten sollen.
    Seinem Abschied gibt er aber auch ein positives Motiv: Zehn Jahre Zugehörigkeit zum Landtag seien genug. Da könne Routine aufkommen, die der politischen Arbeit schade. Demokratie lebe schließlich vom Wechsel. Zeit also, einem Nachfolger Platz zu machen.
    Zu den lauten Parlaments-Debattern hat der zurückhaltend und effizient operierende Abgeordnete Janssen nie gehört. Zum Nutzen der Bürger und seines heimischen Wahlkreises Remscheid hat er trotzdem oder deshalb viel erreicht. Er paukte in der vorigen Legislaturperiode bei der kommunalen Neuordnung die "Lex Remscheid" durch, sicherte Remscheid trotz mangelnder Einwohnerzahl den Status der kreisfreien Großstadt, hielt ihr damit die Chancen für eine eigenständige Zukunftsentwicklung offen und freut sich, "daß bei uns der Oberbürgermeister noch Oberbürgermeister ist und nicht bloß Bürgermeister oder gar nur Bezirksvorsitzender eines Stadtteils von Wuppertal".
    Während der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode war Janssen die Arbeit im Petitionsausschuß "die liebste Tätigkeit". Schon vor einigen Jahren hatte er als Handlungsmaxime zu Protokoll gegeben: "Denen zu helfen, die ohne Hilfe nicht zu Rande kommen; die Mühlsteine der Bürokratie anhalten, wenn ein Bürger dazwischengerät." Als Beamter wisse er schließlich, wie Bürokraten mitunter mit Bürgern umgingen. So weiß Janssen aber auch, wenn er wieder in die heimische Kommunalverwaltung zurückkehrt, nach seiner Tätigkeit im Petitionsausschuß erst recht, "was ich als Beamter zu tun und zu lassen habe".
    Kritik und Sorge schwingen mit, wenn der Abgeordnete Heinz Janssen am Ende seiner Parlamentszugehörigkeit resümiert: Der Aufbau der Bundesrepublik sei endgültig abgeschlossen. Die Aufgabe der Parlamente beschränke sich zunehmend auf Kleinarbeit. Damit gehe die Gefahr einher, daß die Volksvertreter den Blick für die großen Zusammenhänge verlören, daß Parlamentarier-Tun unübersichtlich und für den Bürger undurchschaubar werde, daß eine unkontrollierte Verwaltung nur noch von Spezialisten beherrscht werde und sich zunehmend als Selbstzweck empfinde. "Dies muß das Parlament im Auge behalten." Regelrecht ärgerlich wird Janssen, kommt das Gespräch auf die "ausgesprochen miserablen Arbeitsbedingungen" im Düsseldorfer Landtag. Gerade wenn das Parlament seine Kontrollfunktion gegenüber einer immer perfekteren Verwaltung erfüllen wolle, seien "grundlegende Verbesserungen zwingend". Janssens "Büro" ist - oder bald war - ein einziges Regal eines Blechschrankes im Keller des Landtags.

    Christoph Lütgert

    ID: LI800221

  • Porträt der Woche: Werner Kuhlmann (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 32 - 14.12.1979

    In den 18 Jahren, die Werner Kuhlmann (58) dem Landtag angehört, hat er es Gegnern und Freunden nie leichtgemacht. In der eigenen Fraktion trat er auch dann mit allem Nachdruck, manchmal mit aller Schärfe für seine Überzeugung ein, wenn er in einer hoffnungslosen Minderheit war. Von ihm heißt es mit Respekt: "Er sagt, was er denkt." Aus dem Landtag scheidet er freiwillig aus. Er kann mit der Gewißheit gehen, einiges auf den Weg gebracht zu haben.
    Kompromißlos ist Werner Kuhlmann im Landtag seit 1962 dafür eingetreten, daß die Polizei ihren zivilen Charakter behielt. Mit Argwohn wachte er darüber, daß nicht "alte Kommißköppe" eine Chance bekamen, eine halbmilitärische Truppe zu kommandieren. "Nach dem Mißbrauch durch die Nazis mußte die Polizei wie keine andere Berufsgruppe aufpassen, daß der Zug nicht wieder in die falsche Richtung ging", sagt Kuhlmann.
    Aus dieser Sorge heraus sind die hitzigen Wortgefechte mit dem früheren Innenminister Weyer zu verstehen, dem er auch als Gewerkschaftsvorsitzender gegenüberstand. 1956 war Kuhlmann GdP-Landesvorsitzender, 1958 Bundesvorsitzender und 1964 Präsident der Internationalen Union der Gewerkschaften geworden. 1975, nach der Wahl zum Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Gelsenkirchen, legte er seine Gewerkschaftsämter in Land und Bund, 1977 das Präsidium nieder. Wenn er jetzt auf ein Landtagsmandat verzichtet, so ist das für ihn folgerichtig.
    "Ich engagiere mich in einem Amt total", sagt er. Die Entscheidung zwischen Mandat und OB sei ihm leichtgefallen. Den unmittelbaren Erfolg des eigenen Einsatzes erlebe man so recht nur in seinem überschaubaren Bereich. Werner Kuhlmann versteht sich als Anwalt des Bürgers, der sich der Bürokratie oft hilflos ausgeliefert fühle. Jeder kann mit seinen Sorgen zu ihm kommen. Allen Beschwerden geht der OB nach. 20000 Briefe von Bürgern hat er seit 1975 beantwortet und sich vorher nicht auf unbefriedigende Auskünfte der Verwaltung verlassen.
    Vor 1975 hat Werner Kuhlmann, von Beruf Kriminaloberkommissar, dem Innenausschuß angehört. Er setzte sich ein gegen die gesetzliche Regelung des "Todesschusses", gegen die Ausrüstung der Polizei mit schweren Waffen, gegen den Kombattantenstatus der Polizei im Kriegsfall. Nach 1975 wechselte er als OB in den Kommunalpolitischen Ausschuß. Der Oberbürgermeister der Stadt, die in NRW am stärksten unter Arbeitslosigkeit leidet, stritt für eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen nach dem Fortfall der Lohnsummensteuer, für neue Arbeitsplätze, für preiswerte Mieten, für bessere Lebensbedingungen in den Ballungsgebieten. Dabei sah er nicht nur egoistisch seine Stadt allein, sondern das Revier insgesamt.
    Der Unterbezirk der SPD, dem Kuhlmann gleich nach Kriegsende 1945 beitrat, hatte einen Grundsatzbeschluß gegen Doppelmandate gefaßt. Für Kuhlmann galt eine Ausnahmeregelung. Er sieht heute ein, daß Ämterhäufung einen Mann überfordern kann. Aber es sollte, so meint er, immer Ausnahmen von der Regel geben. Was wäre der Landtag ohne den Sachverstand der Oberbürgermeister und der Kommunalpolitiker?
    Wenn er auf 18 Jahre im Parlament zurückschaut, zieht Werner Kuhlmann die Bilanz, daß die Arbeit des Landtags nicht unwichtiger geworden ist. Die großen politischen Entscheidungen, gewiß, sie hätten sich nach Bonn verlagert. Dem Landtag bleibe aber als wichtigste Aufgabe, das Zusammenleben der Bürger harmonischer zu gestalten, die Bürokratie zu vermenschlichen und im Griff zu behalten.
    Gerd Goch

    ID: LI793204

  • Porträt der Woche: Richard Kasper (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 30 - 26.11.1979

    Eigentlich würde er "gern noch mal mitmischen". Doch Richard Kasper hat seiner schwerkranken Frau Bruni bereits vor Jahren versprochen, daß diese Legislaturperiode für ihn die letzte sei. So zieht sich Kasper ungewöhnlich früh - er wird am 7. Februar 48 Jahre alt - aus familiären Gründen aufs politische Altenteil zurück. Auch zu Hause hat er schon alles auf einen grundlegenden Wechsel vorbereitet. Das schmucke Eigenheim in der Erftniederung von Quadrath-lchendorf bei Bergheim wurde in diesen Tagen verkauft, in Trieben/Steiermark hat er sich ein neues Haus gebaut. Der endgültige Umzug ist für Mai geplant. Frau Bruni hofft in der klaren Gebirgsluft auf Linderung ihres Leidens. Und "König Richard", wie er in seinem Heimatkreis Bergheim wegen seines Durchsetzungsvermögens aber auch wegen seiner Volkstümlichkeit genannt wurde, wird Wahl-Österreicher.
    Der Abschied fällt ihm schwer. "Besonders auch von den vielen Freunden, die ich in den 14 Jahren hier im Landtag gewonnen habe", unterstreicht er. Er hofft, "daß sie mich alle einmal in der Steiermark besuchen". Die persönlichen Freundschaften über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg zählt er denn auch zu seinen Erfolgserlebnissen als Parlamentarier. Richard Kasper zollt allen Kollegen pauschales Lob, indem er sagt: " Wir können hier auch nach den hitzigsten Debatten immer noch ein Bier zusammen trinken." Und so kommt es nicht von ungefähr, daß einer seiner Zukunftswünsche auf die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten am Schwanenspiegel zielt, obwohl er selbst nicht mehr davon betroffen ist: "Jeder Landtagsabgeordnete sollte zumindest einen eigenen Schreibtisch und ein eigenes Telefon haben. Das sind die Mindestvoraussetzungen für gute parlamentarische Arbeit." Kasper empfiehlt dabei "die kostengünstigste Lösung", die er in zwei Anbauten an das Ständehaus sieht. Der Verlust eines Teils der Grünanlage wäre nach Meinung des Naturschützers und passionierten Jägers "sicher schmerzlich, aber dennoch vertretbar; auch wenn die Düsseldorfer Jonges das anders sehen".
    Obwohl Richard Kasper so früh in den Ruhestand tritt, kann er doch schon auf mehr als 20 Jahre aktive politische Arbeit zurückblicken. Der Sohn eines Braunkohlenarbeiters, gelernter Schlosser und späterer Jugend- und Rechtsschutzsekretär der IG Bergbau, wurde schon 1958 Ortsvereins vorsitzender der SPD in seiner Heimatgemeinde Quadrath-lchendorf und 1962, gerade 30jährig, auch Bürgermeister. Seine Erfolgskurve stieg dann steil an. Bei der Kommunalwahl 1964 gab es unter seiner Führung einen Erdrutsch, als die SPD die Zahl ihrer Ratsmandate von 9 auf 14 erhöhte, die der CDU von 8 auf 4 halbiert wurden. Im gleichen Jahr wurde Kasper auch Landrat des damaligen 140000-Einwohner-Kreises Bergheim, was er bis zur kommunalen Neuordnung am 1. Januar 1975 ununterbrochen blieb.
    1966 gelang ihm das Husarenstück, den 16 Jahre lang von der CDU gehaltenen Landtagswahlkreis zu erobern. Mit 50,2 Prozent der Stimmen wurde Richard Kasper nach Düsseldorf entsandt. Über die engeren Grenzen hinaus bekannt wurde er 1970, als die CDU ihren Spitzenkandidaten Heinrich Köppler gegen ihn aufstellte, um Bergheim zurückzugewinnen. Aber Kasper siegte auch gegen den prominenten CDU-Mann und gewann sogar noch 1,3 Prozent hinzu, während die SPD im Landesdurchschnitt 3,4 Prozent verlor. Und auch die dritte Direktkandidatur 1975 wurde für ihn zu einer klaren Angelegenheit.
    Siege auf dem politischen Feld sind für Richard Kasper jetzt nur noch Erinnerung. In den steirischen Bergen will er demnächst "geruhsam leben", das Waidwerk pflegen und sich intensiv seinem zweiten Hobby widmen: der Zucht von Bullterriers. Karlegon Halbach

    ID: LI793026

  • Porträt der Woche: Julius Drescher (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 27 - 05.11.1979

    Julius Drescher trägt mit Vorliebe grüne Kleidung - und auf seiner Krawatte prächtige Hirschgrandeln. "Jule", wie er bei Freund und Gegner gerufen wird, ist ein "Grüner", und das nicht erst, seit Bürgerinitiativen für den Umweltschutz diese Farbe für sich reklamieren. 20 Jahre lang hat er sich im nordrhein-westfälischen Landtag für den Schutz der Landschaft eingesetzt. Äxte und Motorsägen sollten in den Wäldern zwar ernten, nicht aber deren Fläche verringern dürfen.
    "Ich habe im Parlament ein brachliegendes Feld beackern können", sagte er rückblickend. Mit Argusaugen hat er darüber gewacht, daß im zuständigen Fachausschuß, dem er von Anfang an angehörte, über den schwergewichtigen Aufgaben "Ernährung und Landwirtschaft" nicht die Forsten zu kurz kamen.
    Dabei hat sich, so Julius Drescher, die wirtschaftliche Bedeutung des Waldes erheblich geändert. " Vor zwei Jahrzehnten hatten wir noch 35 Millionen DM Einnahmen aus den Staatsforsten, heute buchen wir 45 Millionen DM Defizit", sagte er. Doch der Wert der sozialen Funktion der Wälder in unserem dichtbesiedelten Land sei gar nicht zu ermessen.

    Julius Drescher ist Jäger. Besitzer eines kleinen Reviers 15 Kilometer von seiner Heimatstadt Brilon entfernt. Waidmänner haben es gar nicht gern, wenn Spaziergänger unter ihrem Hochsitz herumlaufen. Julius Drescher setzte jedoch mit seinem SPD-Arbeitskreis das Waldbetretungsrecht durch. Alle Wälder müßten dem Bürger geöffnet werden.
    Die Liebe zum Wald und zum Wild, die er an seine beiden Söhne weitergab, hat er von seinem Vater geerbt, der in einem Försterhaus geboren worden war, seine Familie aber als Landvermesser ernährte.
    Julius Drescher wurde von seinem Vater streng katholisch erzogen. Als er aus dem Krieg heimkehrte und, von den Reden Kurt Schumachers beeindruckt, der SPD beitrat, konnte die Familie, in der Zentrum gewählt wurde, es nicht fassen. Aus Julius wurde der "rote Jule".

    Der dickschädelige, aber stets frohe Laune ausstrahlende SPD-Jungpolitiker wurde 1948 in den Gemeinderat gewählt. Acht Jahre später gelang ihm das Kunststück, auch Zentrum, F.D.P. und BHE hinter sich zu bringen. Zwei Jahre lang war er Bürgermeister von Brilon, dann spaltete sich das Zentrum. Das Amt ging wieder an die CDU. 1961 trug er noch einmal für zwei Jahre die Amtskette.
    SPD und CDU hatten vereinbart, die Amtszeit zu teilen. Im Mai 1980 wird er den Landtag, in dem er auch dem Haupt-, dem Petitions-, dem Jugend-, dem Rechnungsprüfungs- und dem Ausschuß für Wohnungsbau und Städteplanung angehört hat, verlassen.
    "20 Jahre sind genug", sagt Julius Drescher ohne jede Wehmut. "Ich habe es abgelehnt, wieder aufgestellt zu werden. Ich will nicht in den Sielen sterben." Mit 60 Jahren sei für Parlamentarier das Alter gekommen, jüngeren Platz zu machen. "Wer am Sessel klebt, muß mit Knieschüssen rechnen. Ich hasse beides. " Er ist 59 und schon weise.

    Dem nächsten Landtag gibt Julius Drescher den Rat, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen. Die Arbeit sei in den letzten zwei Jahrzehnten enorm gewachsen, weil die ausufernde Bürokratie immer mehr Papiere produziere und den Parlamentariern "zuwerfe". Berge von Drucksachen müßten gelesen werden. Es sei nicht notwendig, jeden nur denkbaren Fall gesetzlich abzudecken. Es genüge, wenn das Parlament den Rahmen stecke, in dem die Regierung mit Einverständnis des Fachausschusses Verordnungen erlasse.

    In der Aufblähung des Beamtenapparates sieht Julius Drescher eine große Gefahr für den Bestand der Demokratie, weil die Parlamente die Bürokratie eines Tages nicht mehr im Griff haben könnten. Die Gängelei der Bürger durch die Exekutive müsse verhindert werden. Diese Mahnung eines erfahrenen Abgeordneten sollte von den jüngeren nach der Wahl aufgegriffen werden.
    Gerd Goch

    ID: LI792714

  • Porträt der Woche: Heinrich Sporleder (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 23 - 01.10.1979

    Als er dieser Tage die Vollendung seines sechzigsten Lebensjahres feierte, lud er zu einer Dampferfahrt auf der Ruhr ein. Und weil von dieser Geburtstagsfeier auch Nicht-Eingeladene etwas haben sollten, hielt der Gastgeber während der Fahrt bei seinen Gästen diskret die Hand auf. Denn statt "Bücher, die ich schon habe, oder Alkohol, der mir nicht bekommt", wie er in der Einladung geschrieben hatte, wollte er lieber den Gegenwert zugedachter Geschenke einer Gruppe behinderter Kinder geben - damit sie wieder an einer Ferienfreizeit teilnehmen könnten.
    Dies Engagement für andere zieht sich durch Heinrich Sporleders politisches Leben und steht auch an dessen Anfang. Der gelernte und von 1944 bis 1973 an verschiedenen Schulen in unterschiedlichen Funktionen (zuletzt: Rektor einer Volksschule) tätige Lehrer engagierte sich bald nach dem Kriege in einer Berufsorganisation, die dann in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aufging.
    Unmittelbar parteipolitisch aktiv wurde Sporleder 1952. Damals hatte er den wegen der Wiederbewaffnungspläne Adenauers als Bundesinnenminister zurückgetretenen Gustav Heinemann reden hören - und zwar fasziniert von Persönlichkeit und Programm dieses Mannes. Sporleder trat der von Heinemann gegründeten " Gesamtdeutschen Volkspartei" (GVP) bei.
    Dieser Parteieintritt fiel ihm um so leichter, als ihn der Krieg, in dem er ein Bein einbüßte, zum Pazifisten hatte werden lassen. Sein friedenspolitisches Engagement praktizierte Sporleder weiter, nachdem er sich schon 1955 - und nicht erst bei Überführung der GVP in die SPD anno 1957-den Sozialdemokraten angeschlossen hatte, weil er hier größere Wirkungsmöglichkeiten sah. So gründete Sporleder in Mülheim nach Etablierung der Bundeswehr eine der ersten Beratungsgruppen für Kriegsdienstverweigerer.
    Denn zur Wahrnehmung des neuen Verfassungsrechtes auf Kriegsdienstverweigerung schien ihm solche Beratung ebenso nötig wie politisch sinnvoll.
    Den größten Teil seiner politischen Arbeit leistete Sporleder in der Kommunalpolitik. Er war insgesamt neun Jahre Mitglied des Stadtrates von Mülheim und saß von 1969 bis 1975 dem wichtigen Schulausschuß vor. Wer von Schulen, Kindergärten und Sportanlagen Mülheims redet, kommt ohne die Erwähnung Sporleders nicht aus, der viel daran "mitgebaut" hat. Daß er dabei immer auch um "Basisnähe" bemüht blieb, dafür sorgten seine acht Kinder wie sein Engagement in Sportvereinen und in der Evangelischen Kirche.
    Was Wunder also, daß Heinrich Sporleder, nachdem er 1975 erfolgreich für den Landtag kandidiert hatte, von seiner Fraktion in die Ausschüsse für Schule und Kultur sowie für Wissenschaft und Forschung delegiert wurde.
    Daß ihm seine Grundüberzeugungen sehr ernst sind und er für koalitionstaktische Überzeugungsdehnungen nicht zu haben war, hat er erst kürzlich wieder bewiesen: Sporleder war einer der beiden SPD-Abgeordneten die wider die Fraktionsmehrheit dagegen stimmten, die Vertreter in den Beschlußorganen des "Kommunalverbandes Ruhrgebiet" durch imperatives Mandat zu binden.
    Weil er meint, daß es mit sechzig für ihn genug sei, wird Heinrich Sporleder mit dem Ende dieser Legislaturperiode die aktive Politik quittieren. Dann will er seine heimatgeschichtlichen Forschungen am Beispiel seiner aus dem Weserbergland stammenden Familie zu Papier bringen; denn "wie die Leute früher gelebt haben, wie ihr Alltag aussah, wissen wir viel zu wenig". Ein sinnvolles Programm, das zu ihm paßt.
    Hartwig Suhrbier

    ID: LI79231B

  • Porträt der Woche: Rudi Bahr (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 20 - 31.08.1979

    Der Mann, der den Landtagswahlkreis Duisburg IV seit 1966 dreimal mit respektablen Mehrheiten für die SPD gewonnen hat, ist kein Kind des Reviers, sondern ein Preuße aus dem pommerschen Stettin: Rudi Bahr. Und er ist legt man allein sein Eintrittsdatum in die Partei als Maßstab an - nicht einmal ein "alter" Sozialdemokrat. Denn der heute knapp 59jährige entschloß sich erst 1957 dazu, sich um Aufnahme zu bewerben. Er hatte dafür einen plausiblen Grund: seit 1947 in den Diensten der Stadt Duisburg stehend, mochte er, der gerade die erste und zweite Verwaltungsprüfung erfolgreich hinter sich gebracht hatte, das Wort widerlegen, wer in Duisburg etwas werden wolle, müsse das Parteibuch der SPD besitzen. Er wurde etwas und trat erst dann in die Partei ein. Dabei bekennt er, und das nimmt man diesem ehrlichen Mann ohne weiteres ab, daß es für ihn nie eine andere Partei als die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gegeben habe. Kein Wunder: der Vater, der sich vom Arbeiter zum technischen Betriebsleiter emporgearbeitet hatte, war alter Sozialdemokrat. Und dies färbte, so Rudi Bahr heute, natürlich auf die Kinder ab.

    Dem Nationalsozialismus entzog sich der im Christlichen Verein Junger Männer engagierte im Jahre 1938 - als es ein Jugenddienstpflichtgesetz bereits gab - auf eine damals weder seltene noch ungewöhnliche Art: er ging freiwillig zum Militär. Aus den gedachten zwei Jahren wurden dann sieben. Und für den mehrfach Verwundeten begann die zivile Karriere als Landwirtschaftshelfer und aktiver Wahlhelfer der SPD in einem kleinen hessischen Ort.

    " Widerstrebend", so sagt er, bewarb er sich 1946 bei der Stadtverwaltung Duisburg. Er kam, weil unbelastet, zur Entnazifizierungskammer. Doch schon nach einem halben Jahr hatte er "die Schnauze voll". Straßenbahnschaffner, so erinnert sich Bahr, wurden bestraft, "Kameraden, die braun getränkt waren, kamen relativ ungeschoren davon".

    Seine nächste Stelle war das Schulamt. Und damit erreichte der Mann, dem sein Vater als Maxime mitgegeben hatte, " was Du tust, das tue ganz", die Station, die ihn nicht mehr losließ und durch die er sich zwangsläufig zu einem allseits anerkannten Schulpolitiker im Parlament gemacht hat. Als Referent des nachmaligen Kultusministers Prof. Fritz Holthoff in dessen Duisburger Zeit hat er "unheimlich viel gelernt bei diesem Arbeitstier". Zum Mandat kam der Mann, der 60 bis 70 Stunden in der Woche hart arbeitet, wie die "Jungfrau zum Kind". Daß er es jetzt aufgibt, entspringt eigenem Entschluß. Die Schulpolitik ist zu einem vorläufigen Abschluß gebracht, der Platz muß frei gemacht werden für jüngere und unverbrauchtere Kräfte.

    Zeit für eine Bilanz? Man hört Kritisches. Ungewollt habe die Politik viele zu Egoisten erzogen. Es sei ihr gelungen, das Konsumbedürfnis zu decken, dabei seien aber "innere Werte" außer acht gelassen worden. Von der Ideologie hält der Mann, der sich selbst als links von der Mitte einordnet, nicht viel. Sie tauge nicht, um Politik zu machen. In der Landespolitik habe ihm die Arbeit Freude gemacht, obwohl große Erfolgserlebnisse ausgeblieben sind. "Und wenn Erfolgserlebnisse zur absoluten Seltenheit werden, dann zehrt es an der Kraft."

    Es "tut ihm weh, wie menschlich brutal Parteien mit Altgedienten umgehen", die sich um den Staat und seine Menschen verdient gemacht haben. Urteile und Einschätzungen eines Mannes, der seine Arbeitskraft in drei Ausschüssen des Parlaments eingesetzt hat und Freunde nicht nur in den eigenen Reihen besitzt. Ob auch diese Erfahrungen - vielleicht ganz unbewußt - den Entschluß von Rudi Bahr gefestigt haben, sich nicht mehr für eine Kandidatur zur Verfügung zu stellen? Möglich scheint es bei einem so aufrechten Mann.

    Karl Lohaus

    ID: LI79202F

  • Porträt der Woche: Wissenschaftsminister Professor Dr. Reimut Jochimsen (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 18 - 18.06.1979

    Neue Besen kehren gut. Der aus Bonn herbeigeholte Prof. Dr. Reimut Jochimsen blickt zuweilen in seiner verschwiegenen wie verschmitzten Art in verdutzte Beamtengesichter, denn Besprechungen mit dem Minister morgens, gleich nach acht Uhr, sind ein neues und vermutlich auch dauerhaftes Erlebnis. Im Wissenschaftsministerium an der Völklinger Straße wird hart gearbeitet... Ein Planungs-Fetischist war angekündigt worden, ein Professor, der sich angeblich hinter Theorien verkriecht wie jener malerische arme Poet in der Dachkammer. Zwar hat der 46jährige seinen eigenen Horizont weit in die Zukunft verlegt, weil ihn das Jahr 2000 mehr interessiert als das ausklingende 19. Jahrhundert, doch an seiner Präsenz ist kein Zweifel, und dies in jeder Hinsicht.
    Staatssekretär a. d. Prof. Dr. Jochimsen, seit Herbst vergangenen Jahres Nachfolger von Johannes Rau auf dem Stuhl des Ministers, ist Wissenschaftler und Politiker zugleich. Wer ihn in seiner distanzierten, bedächtigen, gleichwohl nicht kühlen Art dozierend erlebt mag sich wundern, warum die SPD nicht ihn in der heimatlichen Region Schleswig-Holstein zum Ministerpräsidenten-Kandidaten ausgerufen hat. Jochimsen wäre ein natürlicher Gegenspieler Stoltenbergs; er hätte ihn als personifiziertes Kontrastprogramm bei der letzten Landtagswahl im April durchaus schlagen können - so wie sich dieser Norddeutsche durchs ganze Leben geschlagen hat: Intelligent, fair und ehrlich!
    In Niebüll/Schleswig kam Jochimsen als Sohn eines Studiendirektors im deutschen Schicksalsjahr 1933 zur Welt. Nach dem durch Krieg und Nachkriegszeit verzögerten Abitur, das er 1953 in Flensburg absolvierte, ging Jochimsen ins Ausland. Ein Jahr verbrachte er an der berühmten Harvard-Universität, dann zog es ihn von Nordamerika nach Italien, nach Bologna, und von dort wieder zurück nach den USA an die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Lehrjahre sind keine Herrenjahre - Jochimsen verdiente sich nebenbei das nötige "Kleingeld" als Tellerwäscher.
    1957 schloß er sein Studium in Freiburg als Diplom-Volkswirt ab, arbeitete an dieser Universität als Assistent weiter und promovierte 1959 zum Dr. rer. pol. über das reizvolle Thema "Ansatzpunkte der Wohlstandsökonomik, Versuch einer Neuorientierung im Bereich der normativen Lehre vom wirtschaftlichen Wohlstand". Es war die Zeit, da in der Bundesrepublik über allem der politische Lehrsatz Konrad Adenauers stand - "keine Experimente", es war die Zeit, da die halbe Welt Ludwig Erhard als "Mr. Wirtschaftswunder" feierte, und Dr. Jochimsens kritische Neu-Orientierung erregte Aufsehen auch im politischen Bereich, zumal der junge Denker keiner Partei zuzurechnen war. Erst viele Jahre später, nämlich 1965, trat er in die SPD ein, nun schon Professor auf dem ordentlichen Lehrstuhl für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Kiel, wo er schließlich noch zum Rektor aufstieg. Und das Rad drehte sich immer weiter, immer schneller: Bundeskanzler Willy Brandt holte ihn auf Vorschlag des damaligen Chefs im Bundeskanzleramt, Prof. Horst Ehmke, nach Bonn; ein Leiter der Planungsabteilung beim Regierungschef war damit gefunden. Drei Jahre danach wurde Jochimsen zum Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft berufen. Johannes Rau hatte schon lange ein Auge auf ihn geworfen, die Ernennung Jochimsens zum Landesministerin Düsseldorf kam nur für das Ministerium selbst und für den Landtag überraschend. Der neue Mann hat sich in die ihm keineswegs fremde Arbeit hineingekniet, die Familie mit Tochter und Sohn in Bad Godesberg muß auf den Vater nolens volens oft verzichten, denn bis tief in die Nacht ist er beschäftigt, und wird es zu spät, übernachtet der Minister für Wissenschaft und Forschung im Büro.
    Unkompliziert wie er ist, kann er seine Umwelt immer wieder verblüffen, und sei es wie an jenem Morgen, da Experten und Techniker der Kernenergie anrückten und Prof. Dr. Reimut Jochimsen nach langer Unterhaltung ohne jede Schnörkelei sich räusperte: "Die Kernenergie ist viel zu ernst, als daß man sie den Technikern allein überlassen könnte..."
    Horst- Werner Hartelt

    ID: LI79181E

  • Porträt der Woche: Arbeits- und Sozialminister Professor Dr. Friedhelm Farthmann (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 17 - 11.06.1979

    Friedhelm Farthmann (48), Doktor der Jurisprudenz, Honorarprofessor der Freien Universität Berlin, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Sozialdemokrat und Gewerkschafter seit 1959. Dies sind nur einige Anmerkungen zur Person eines Mannes, dessen Karriere nach eigenem Bekunden immer anders gelaufen ist, als sie geplant war. Und der im Urteil seiner Weggenossen, ob Verbündete oder Gegner, zu den aufrichtigen und klugen Politikern der jüngeren Generation gezählt wird. Das schafft Achtung und Schwierigkeiten zugleich. Der kluge Rat wird geschätzt, das offen-unbekümmerte Wort nur selten. Jüngster Fall: seine schnörkellose Warnung an das Verfassungsgericht vor dem Mitbestimmungsurteil.
    Geboren ist Farthmann in Bad Oeynhausen als Sohn eines Lehrers, aufgewachsen ist er jedoch überwiegend bei seinem Großvater, der sich vom Angestellten zum selbständigen Zigarrenfabrikanten mit 120 Beschäftigten hinaufgearbeitet hatte. "Der war zunächst entsetzt, als er in mir den ersten Sozialdemokraten in der Familie hatte", bekennt Farthmann heute. Am guten Verhältnis der beiden zueinander, geprägt auch von der pietistischen Gesinnung der evangelischen Christen dieses Landesteils, hat das nichts geändert. Wurzeln hat der Minister noch heute im Ostwestfälischen, dort, knapp hinter der Grenze zu Niedersachsen, besitzt er ein ererbtes Haus. Es ist sein Refugium, in das er sich mit Frau und zwei Kindern zurückzieht, sooft er kann.
    Der junge Jurist, der sich auf Arbeitsrecht spezialisiert hatte ("eine faszinierende Sache"), zog mit seinem Doktorvater, Professor Wolfgang Siebert, von Göttingen nach Heidelberg, um eine ganz normale Hochschulkarriere mit Assistentenzeit, Habilitation und dann vielleicht einem Lehrstuhl anzustreben. Dann starb Siebert 1959 mit 53 Jahren am Herzinfarkt. Im Zeitalter der festgefügten Ordinarienuniversität bedeutete das für Farthmann einen Knick in der Karriere. Er ging dann, entgegen der Planung als gesuchter Arbeitsrechtler, zum DGB, wo er bald schon "als Marine-Infanterist des DGB" das "Glück hatte", an jedem wichtigen arbeitsrechtlichen Streit der frühen 60er Jahre beteiligt zu sein. Man wurde auf den jungen Mann, der fleißig wissenschaftlich geschrieben und in schwierigen Verhandlungen fachkundigen Rat gegeben hatte, aufmerksam. Der Aufstieg im DGB bis hin zur Position eines Geschäftsführers des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts war programmiert, der Mitbestimmungsexperte schlechthin vorhanden.
    Diese Arbeit am "Schnittpunkt von Recht und Politik" verlangte von Farthmann die Entscheidung: "Ich mache Politik, und zwar Gewerkschaftspolitik." Und damit war die Wissenschaft "abgeschrieben". Nun so ganz - und wiederum gegen seine Erwartung - stimmt das nicht. 1973 wurde ihm der Professorentitel "mehr oder weniger unverdient nachgeschmissen" - typisch Farthmannsches flapsiges Understatement - und noch immer hält er, wenn auch stark unter Zeitdruck, an der FU ein Seminar.
    Der Parteipolitiker Farthmann, der heute als Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD eine starke Stellung hat und der davon überzeugt ist, daß seine Niederlage gegen Johannes Rau in der Wahl zum Landesvorsitzenden der Partei ihm in Partei und Öffentlichkeit keine "Macke" eingetragen hat, kam "ohne Ambitionen" zum ersten Amt. Auf Vorschlag eines Genossen, den er gar nicht kannte, wurde Farthmann von seinem Ortsverein als Bundestagskandidat vorgeschlagen. Obwohl schon andere "ausgekungelt" waren, wie ihm bedeutet wurde, schaffte er es - dank der Unterstützung der vielen Freunde aus den Gewerkschaften. Im Januar 1971 rückte er in den Bundestag nach, 1972 gewann er den Wahlkreis Rheydt-Grevenbroich direkt.
    Im Bundestag führte sich der Neuling nach wenigen Tagen mit einer glänzenden und vielbeachteten Rede zur Mitbestimmung ein. Später stimmte er als einziger der SPD-Fraktion gegen den Mitbestimmungskompromiß und manövrierte sich damit in eine Außenseiterposition. "Heinz Kühn hat mich da rausgerissen", als er ihm das Ministerium in Düsseldorf in einer Zeit übertrug, da Umweltschutz und Gesundheitskosten zu Themen und damit zur Kletterstange für den Politiker Farthmann wurden.
    Um den Landesvorsitz der SPD hat er nach eigener Einlassung nicht gekämpft, um Ministerpräsident zu werden: "Repräsentation ist nicht meine starke Seite." In der AfA sieht er keine Speerspitze gegen andere in der Partei, sondern ein Mittel, um die Stammitgliedschaft zu aktivieren. 1980 will er übrigens "in jedem Fall" für den Landtag kandidieren, dem er heute nicht angehört, der ihm aber schon jetzt aufmerksam zuhört in der richtigen Einschätzung, daß er etwas zu sagen hat.
    Karl Lohaus

    ID: LI79171E

  • Porträt der Woche: Ministerpräsident a.D. Heinz Kühn (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 14 - 11.05.1979

    Wie der Kreis sich schließt! Vor 17 Jahren kehrte Heinz Kühn in den Landtag zurück, ließ hinter sich Zeit und Amt in Paris, wo er als Vorsitzender der sozialistischen Fraktionen im Europarat am politisch-moralischen Fundament einer großen Vereinigung mitarbeitete. Im Sommer dieses Jahres kehrt Ministerpräsident a. D. Kühn Düsseldorf den Rücken, um als einer der deutschen Spitzenkandidaten in das erste direkt zu wählende Europäische Parlament einzuziehen.
    200 Millionen Europäer in neun Ländern sind aufgerufen, 410 Abgeordnete nach Straßburg zu entsenden. Letztlich wird es an diesem Parlament liegen, ob ein politisch-geistiges europäisches Bewußtsein entsteht, das jenseits der Brüsseler Marktordnungen mit ihrem unausstehlichen Gefeilsche rund um Butterberge und Käsetonnen die Völker vereint.
    Es bedarf dazu auch der Macht des Wortes, und wenn einer der deutschen Politiker prädestiniert ist, diese Kraft in der Vielsprachigkeit unseres Kontinents zu transformieren, dann Heinz Kühn.
    Der Landtag verliert mit diesem Abgeordneten seinen unnachahmlichen "Cicero", das Parlament Europas gewinnt ihn für die größere, wichtigere Bühne, wo nicht der Gleichmacherei von Nationen das Wort geredet werden soll, wo jedoch die fast träumerischen Worte des Franzosen Jean Jaurés, den Kühn gern zitiert, ein Programm sein könnten. "Jede freie demokratische Nation soll in einem vereinten Europa wie die schwingende Saite eines Saitenspiels an der Lyra der Menschheit zur Harmonie der Solidarität zusammenklingen..."
    Der 1912 in Köln geborene Kühn hat schon 1933 auf der Flucht vor faschistischen Totschlägern das freie Europa gesucht, und dies als Student der Staatswissenschaften, als Hundertschaftsführer des Reichsbanners, als Sozialdemokrat, dessen Mutter die Hitlers als Geisel nahmen. Zuflucht fand der Flüchtling in Brüssel; das Versteck in Belgien rettete ihm das Leben, und während noch die Geschütze des Weltkrieges abgefeuert wurden, schrieb der Emigrant "für ein europäisches Deutschland in einem föderalistischen demokratischen Europa".
    In einer der bewegendsten Reden, die der Ministerpräsident Kühn 1972 gehalten hat, kam er auf diese Jahre zurück:
    " Wir leben in einer Zeit, in der fast jeder zweite in Europa seine Odyssee erlebt hat! - Flucht, Emigration, Exil, Vertreibung haben viele Millionen auf die Landstraßen geworfen - die zaristischen Flüchtlinge vor der bolschewistischen Revolution, die italienischen Flüchtlinge vor Mussolinis Faschismus, die spanischen Republikaner vor Francos Terror, die deutschen Emigranten vor Hitlers Gewaltherrschaft und auch die, die als Konsequenz dieser Gewaltherrschaft vor Stalins Heeren in die Vertreibung fliehen mußten, und die, die vorher als Flüchtlinge vor den Greueln des Krieges auf die Landstraßen Europas geworfen wurden... Wir leben in einer Geschichte, in der die Vertreibung aus dynastischen, religiösen, rassischen, politischen Gründen immer wieder das Schicksal von Menschen war... "
    Daß eine umfassende europäische Lebensordnung die Freiheit des einzelnen und den Frieden aller sicherer macht, ist die Hoffnung des Kosmopoliten Kühn, der die Welt besser kennt, als etwa jeden Winkel rund um den Familiensitz in Köln-Dellbrück unter den roten Eichen.
    Ein Staat kann nicht ohne Gedanken leben, ein Staatenbund schon gar nicht, und Heinz Kühn dürfte als Parlamentarier Europas die Rolle des geistigen Mitträgers einer neuen, wohl auch entscheidenden Phase für die Hälfte unseres Kontinents übernehmen, ohne sich zu verleugnen. Kühn sagt, die Sozialdemokratie könne durch ihre Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit "die höhere humane Qualität gegenüber Konservativen und Kommunisten für sich beanspruchen". Kühn hofft, daß noch zu seinen Lebzeiten die soziale Demokratie ganz Westeuropa erfüllt.
    Horst-Werner Hartelt

    ID: LI791421

  • Porträt der Woche: Horst Sommerfeld (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 11 - 02.04.1979

    Politisch engagiert hat er sich schon mit 19 Jahren. Gleich nach der Gesellenprüfung als Handwerker bei einem Brückenbaubetrieb in seiner Vaterstadt Gelsenkirchen trat Horst Sommerfeld 1949 der IG Metall bei und wurde noch als Jugendlicher in den Betriebsrat gewählt. 1951 folgte der Eintritt in die SPD. Gewerkschafts- und Parteiarbeit haben seit fast drei Jahrzehnten im Leben des heute 48jährigen eine zentrale Rolle gespielt.
    Den Weg gewiesen hatten ihm die Mutter - "sie ist länger in der SPD als ich" - und das "Beispiel älterer Kollegen". Horst Sommerfeld hatte bereits als Lehrling den Vater verloren und "vielleicht auch deshalb mein Umfeld kritischer betrachtet als meine Altersgenossen". Die Verhältnisse in dem Betrieb, in dem er als Maschinen-Schweißer arbeitete, und auch die Lage im Revier ein Jahr nach der Währungsreform hatten ihm jedenfalls früh die Erkenntnis vermittelt, "daß man sich engagieren muß". Und das hat er dann auch stets getan, zunächst in der Gewerkschaft, später auch in der Partei.
    Nachdem er sich als Funktionsträger im Betrieb und in Schulungskursen Rüstzeug und Erfahrung erworben hatte, wurde er 1958 als Jugendsekretär im DGB-Bezirk Wanne-Eickel/Heme/Castrop-Rauxel angestellt; ein Jahr später heiratete er und zog "für immer" nach Castrop um. 1961 wurde er zum Geschäftsführer des dortigen DGB-Kreises gewählt, der mit 15000 Mitgliedern für die Verhältnisse im Ruhrgebiet eine nur kleine Einheit ist und den Horst Sommerfeld bis heute im "Ein-Mann-Betrieb" verwaltet.
    Nach verschiedenen Parteifunktionen "auf der untersten Ebene" kandidierte er 1964 erstmalig für den Stadtrat von Castrop-Rauxel und wurde direkt gewählt, 1971 übernahm er den Vorsitz der SPD-Ratsfraktion. Weitere Stationen politischen Wirkens waren die Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe, Vorstandsämter im heimischen SPD- Ortsverein, im Unterbezirk Dortmund und nach der kommunalen Neuordnung im Unterbezirk Recklinghausen. Im gleichen Jahr wurde Horst Sommerfeld als Landtagskandidat benannt und holte das Mandat "mit dem erwarteten Ergebnis". Die knapp 58 Prozent waren aber immerhin doch etwas mehr als sein Vorgänger 1970 geschafft hatte.
    Die Arbeit im Landtag empfindet er nach vierjähriger Erfahrung als "sinnvolle Ergänzung zur kommunalpolitischen Tätigkeit", und Spaß macht sie ihm auch. Im Wirtschaftsausschuß richtet Horst Sommerfeld sein besonderes Augenmerk auf die "für uns an der Ruhr besonders wichtige Strukturpolitik", daneben versucht er, die Interessen der Verbraucher zu wahren. Ein spezielles Anliegen ist ihm aber auch das öffentliche Gesundheitswesen, dem er sich im Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales in erster Linie widmet, "öffentliche Gesundheitsvorsorge ist heute wichtiger denn je ", hat der SPD-Politiker erkannt. Daran ändere auch nichts, daß die Zahl der frei praktizierenden Mediziner in den letzten Jahren "erfreulich zugenommen" habe.
    Neben der Gewerkschaftsarbeit und den vielfältigen politischen Aufgaben hat der Vater eines 17jährigen Sohnes immer noch Zeit für sein großes Hobby gefunden, das Theater. Als junger Mann hat er selbst aktiv bei Laienspiel und Polit- Kabarett mitgewirkt, noch heute ist er ein "leidenschaftlicher Theaterbesucher". So ist es kein Zufall, daß Horst Sommerfeld seit vielen Jahren Vorsitzender der Volksbühne Castrop-Rauxel ist und auch im Verwaltungsrat des Westfälischen Landestheaters mitarbeitet.
    Sehr aktiv ist er aber auch, wenn es um Verständigung über die Grenzen hinweg geht. Der Vorsitzende der Mehrheitsfraktion im Castroper Stadtrat hat nicht zuletzt Anteil daran, daß es seit Jahren vier Patenschaften mit Holland, Frankreich, England und Finnland gibt. Und mit besonderem Stolz hat Horst Sommerfeld erfüllt, daß Castrop-Rauxel Anfang März den Theodor-Heuss-Preis als Europastadt verliehen bekam.

    Karlegon Halbach

    ID: LI79111D

  • Porträt der Woche: Erich Heckelmann (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 10 - 26.03.1979

    Es war eine Wahlversammlung der CDU in Rheinland-Pfalz mit dem Außenpolitiker Ernst Majonica, die in dem jungen Studenten Erich Heckelmann den Entschluß gefestigt hat, in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands einzutreten. Heute, rund 23 Jahre später, hält der Landtagsabgeordnete, der im April 1978 für den in das Amt des Kölner Regierungspräsidenten übergewechselten Franz-Josef Antwerpes in das Parlament einzog, die Begründung von damals immer noch für richtig: die außenpolitischen Vorstellungen der Union "mit einseitiger Blickrichtung nur nach Westen" schienen und scheinen dem Mann, der sich selbst als frankophil einstuft, falsch für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland.
    Wie gesagt, der Auftritt Majonicas hatte den Entschluß gefestigt. Daß Heckelmann der SPD auch schon vorher nicht fernstand, ergibt sich aus der Haltung des Vaters, der schon vor 1933 der SPD angehörte. Verfolgung durch die Nazis war fast zwangsläufig. "Aber unmittelbar hat mein Vater meinen Entschluß nicht beeinflußt", sagt Heckelmann, dessen Karriere in der SPD zwar stetig, aber nicht steil verlief. Heute ist er stellvertretender Unterbezirksvorsitzender im Unterbezirk Neuss seiner Partei. Er führt die SPD- Fraktion im Kreistag von Neuss und gehört auch noch dem Rat in Grevenbroich an.
    Diese Ämter fordern eigentlich mehr, als ein Mann leisten kann. Heckelmann, der seinen Beruf als Rektor einer Hauptschule in Kaarst mit dem Einzug in das Landesparlament nach dem Gesetz aufgeben mußte, weiß das. "Man hat praktisch keine Freizeit mehr." Er selbst war bereit, in Grevenbroich auszuscheiden, aber seine Parteifreunde baten ihn - nicht zuletzt wohl im Hinblick auf die Kommunalwahlen im Herbst dieses Jahres -, das Mandat zu behalten. Vom Grundsatz her hält der SPD-Politiker das Engagement eines Landtagsabgeordneten auf der kommunalen Ebene auf jeden Fall für richtig. "Man braucht die Verbindung zur Basis. Wer Politik für die Menschen machen will, muß sich selbst ständig davon überzeugen, wie das wirkt, was man vorhat." Für ihn steht fest, daß Landespolitik nicht theoretisch sein kann.
    Heckelmann schaffte erst im dritten Anlauf den Einzug in das Landesparlament. Das hat den ruhigen Mann, der Deutsch, Geschichte, Musik und - später noch - evangelische Theologie für die Sekundarstufe eins studiert hat, nicht entmutigt. Ohne Widerspruch nahm er es auf sich, gleich in drei Ausschüssen des Landesparlaments (üblich sind zwei) als ordentliches Mitglied zu arbeiten. Der Schulausschuß ist nicht darunter. "Es sollten im Schulausschuß die Lehrer in der Minderheit bleiben. Sonst wird zu sehr gefachsimpelt, und Betriebsblindheit droht."
    Freude macht ihm vor allem die Arbeit in den beiden Ausschüssen für Arbeit und für Jugend und Familie. Mit Skepsis blickt er auf den Wirtschaftsausschuß. Er findet die dort übliche Fachsprache nicht gerade leicht verständlich. "Große Teile der Fraktion werden durch sie frustriert. Die Wissenschaft verliert dadurch ihre Lobby." Dies wiederum betrübt ihn im Interesse der Wissenschaft. Ihn selbst, immerhin einen akademisch gebildeten Mann, beschleichen dabei manchmal Zweifel in die eigene Kompetenz. "Es hat keinen Zweck, über etwas zu reden, von dem man nichts versteht" - Worte, die man aus Politikermund nicht gerade oft hören kann. Heckelmann ist eben nicht das, was man modisch einen "Überflieger" nennt. Dafür ist er ein Flieger, begeisterter Segelflieger. Dieser Leidenschaft frönt er, sooft er kann, sehr gern auch bei französischen Freunden, deren Klub er angehört. Das andere Hobby, die Musik, kommt zu kurz. Der 17jährige Sohn hat sich deshalb schon beschwert, weil ihm zur Konzertgitarre die Begleitung des Vaters fehlt.

    Karl Lohaus

    ID: LI791022

  • Porträt der Woche: Heinz-Werner Meyer (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 9 - 19.03.1979

    Als Hamburger Junge hatte auch ihn das Fernweh erfaßt, wenn er im Hafen die großen Pötte mit den fremden Namen und Flaggen sah. "Klar wollte ich zur See fahren", sagt Heinz-Werner Meyer, "aber die Verhältnisse erlaubten es nicht." Als er, 1932 in Hamburg-Harburg geboren, eine Lehrstelle suchte, da gab es nach dem verlorenen Krieg keine deutsche Seefahrt mehr. "Für mich vielleicht zum Glück", sinniert der verhinderte Seemann heute, "denn ob ich, wie mein Großvater, auf großer Fahrt zufrieden gewesen wäre?"
    So nahm sein Lebensweg denn einen völlig anderen Verlauf. In den ersten Jahren nach dem Krieg warb der Bergbau mit großem Aufwand um Nachwuchs. Heinz-Werner Meyer übertrug seine Abenteuerlust auf die Arbeit unter Tage. Mit 16 Jahren schuftete er als Berglehrling im Streb. Die Arbeit war viel schwerer, die Arbeitsbedingungen waren viel schlechter, die Löhne unbefriedigender, die gesundheitlichen Gefahren größer, als er es geahnt hatte. Das Betriebsklima damals bezeichnet er heute als "katastrophal". In der Hierarchie des Bergbaus sei nur "kommandiert" worden.
    In dem Lehrling wuchs der Wille, etwas zu verändern. Als ihn alte Gewerkschaftler ansprachen, war er sofort bereit, mitzumachen. Er wurde Jugendleiter und Jugendsprecher, kam in den Bezirksvorstand der IGBE. 1954 machte er die Hauerprüfung. Dann schickte ihn die Gewerkschaft "auf den Bildungsweg". An der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg legte er das Examen als Volkswirt (grad.) ab. Von 1957 bis 1969 war er Gewerkschaftssekretär der IGBE. Mit 37 Jahren zog er in den Geschäftsführenden Vorstand ein, zuständig für Organisation, Finanzen und Jugendfragen.
    Die Einführung der paritätischen Mitbestimmung 1951 sieht Heinz- Werner Meyer, der in Dortmund wohnt, als wichtige Weichenstellung für den Bergbau an. Sie habe das Bewußtsein der Bergleute verändert, sie vom Untertanengeist befreit, meint er.
    Als 1958 die ersten Feierschichten gefahren wurden, habe niemand den gewaltigen Umbruch, der zum Verzicht auf Förderkapazität und zur Konzentration führte, erkannt, sagt der Gewerkschaftler. Damals, in jungen Jahren, habe er noch mit der Sozialisierung des Bergbaus sympathisiert. Heute sehe er darin keine Verbesserung. Der Staat könne nicht viel mehr tun. In der übrigen Wirtschaft habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß im eigenen Interesse die gegenwärtigen Kapazitäten erhalten werden müßten, weil Ende der achtziger Jahre wieder mehr Kohle benötigt werde.
    Mitglied der SPD ist Heinz-Werner Meyer seit 1953, Abgeordneter des Landtags seit 1975. Seit 1970 ist er ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht. Als Mitglied des Großen Senats wird er bald über die Zulässigkeit der Aussperrung urteilen müssen.
    Im Wirtschaftsausschuß des Landtags gilt sein besonderes Interesse Fragen der Kohle und Energie sowie der Strukturpolitik. Im Ausschuß für Jugend, Familie und politische Bildung setzt er sich dafür ein, daß die Jugendarbeitslosigkeit auch mit Sonderprogrammen für bestimmte Problemgruppen, wie Jugendlichen, die keinen Schulabschluß haben, aber doch zum Einstieg in einen Beruf befähigt werden sollen, bekämpft wird. Wenn man den Vater von fünf Kindern nach seinem Hobby fragt, dann sagt er schlicht: "Ich habe keins." Beruf und Mandat ließen ihm schon zu wenig Zeit für die Familie.

    Gerd Goch

    ID: LI79091E

  • Porträt der Woche: Ernst Lück (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 8 - 09.03.1979

    Beeindruckend, wie schnörkellos und offen der SPD-Landtagsabgeordnete Ernst Lück die "Juckepunkte" anspricht. Ehrenwert, daß er Schwächen seiner Partei gar nicht erst wegzureden versucht, sondern sie zugibt; nicht gerade selbstverständlich, daß Lück dabei über jeden Verdacht erhaben ist, sich mit Leidensmiene und Genossen-Schelte eigentlich nur profilieren zu wollen.
    Unter den 91 Sozialdemokraten im Landesparlament ist der gebürtige Ostpreuße eine Rarität: Er ist Arbeiter, Maschinenbauer bei Ford Köln, und das schon seit 25 Jahren. Nicht, daß er sich beklagen wollte, aber wenn man ihn danach fragt, dann streitet er nicht ab, daß die Akademiker in der SPD den Arbeitnehmern die Teilhabe am Parteileben mitunter recht schwer machen. Und da steckt sogar ein wenig Bitterkeit drin, wenn er konstatiert, die Beamten und Angestellten hätten in Scharen doch erst nach den Wahlerfolgen zur Sozialdemokratie gefunden und sich auf die Seite des Siegers geschlagen. "Wenn man 1959 ein Parteiabzeichen trug, da guckten noch alle", erinnert sich Lück, der genau in jenem Jahr der SPD beigetreten war. Da hatte er schon im Betrieb Engagement gezeigt, war als 21 jähriger 1954 in die IG Metall gegangen, wurde 1957 Vertrauensmann und zwei Jahre später zum Betriebsrat bei Ford gewählt. In der Gewerkschaft kam er schnell zu der Überzeugung, "daß man nicht alles über Tarifverträge regeln kann". So schloß sich Lück der SPD an, die - davon ist er noch heute trotz mancher Kritik überzeugt - auch als Volkspartei die politische Heimat der Arbeitnehmer ist.
    Ob es ihn bitter ankommt oder nicht, er läßt es sich nicht anmerken, sondern stellt knapp fest, die Arbeiter seien im Parlament unterrepräsentiert, auch in seiner SPD-Fraktion. Dies zu durchbrechen, aufzuheben, abzuändern, sei schwer. Viele Arbeitnehmer scheuten schon den Versuch, den redegewandten Akademikern erst einmal innerparteilich Paroli zu bieten. Unzufrieden mit diesem Zustand, hatte sich vor Jahren in Köln ein Kreis von Betriebsräten und Vertrauensleuten darüber Gedanken gemacht, ob und wie man mehr Arbeitnehmer auf allen politischen Ebenen installieren könnte. Lück eine Landtagskandidatur anzutragen, bot sich geradezu an. Bewährt hatte er sich schon als Gesamtbetriebsratsvorsitzender aller deutschen Ford-Werke, als ehrenamtliches Mitglied im Vorstand der IG Metall, in Führungsgremien der Parteigliederungen und als Ratsherr der Stadt Köln, um nur einige Posten zu nennen aus jener Vielzahl, die Lück innehatte und die schließlich so groß geworden war, daß er sich 1975 mit Einzug in den Landtag von dem meisten trennte, um nicht den Vorwurf der Ämterhäufung zu hören.
    Von seiner Fraktion wurde er in den kommunalpolitischen Ausschuß und in den Sportausschuß delegiert. "Beides war nicht mein Ziel", bekennt Lück ganz offen. Er wollte sich in der Sozialpolitik engagieren. Doch im dafür zuständigen Ausschuß war kein Platz mehr. Doch keine Klage: "Es ist ja meistens so: Wo man rein will, da kommt man nicht rein." Bedenklich stimmt auch eine parlamentarische Grunderfahrung des Abgeordneten Lück. Immer drängender stelle sich das Problem der Verbürokratisierung. Vieles erstarre in einem selbst auferlegten Zwang zum Perfektionismus in Unbeweglichkeit. "Da wird viel zuviel Papier rumgewälzt."
    Als es im Gespräch um den Begriff "Solidarität" ging, nannte Lück keine Namen. Welche Vorgänge gerade der letzten Woche und Monate er meinte, war jedoch klar. Solidarität, das sei für viele in der SPD "nur noch ein Wort". Auch jene benutzten es ständig, die sich gar nicht mehr daran hielten. "Und das ist bedauerlich."

    Christoph Lütgert

    ID: LI79082A

  • Porträt der Woche: Ilse Ridder (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 7 - 26.02.1979

    Ilse Ridder ist das, was man eine "Selbstdreherin" nennt. Die 34jährige Sozialdemokratin aus Coesfeld macht ihre Zigaretten eigenhändig. Und raucht deshalb "etwas weniger". Denn die Erfahrung lehrt, daß man am Telefon und auch beim Autofahren nicht "drehen" kann. Sie lebt, wenn sie dem Rauchen frönt, zwischen Zwang und Eigeninitiative.
    So ist der Hausfrau und Mutter von zwei Söhnen - acht und zwölf Jahre alt - auch die Politik ein vertrautes Geschäft. Als Ilse Ridder 1966 sich entschloß, der SPD beizutreten, tat sie es mit Überzeugung und zugleich auch aus der Gewißheit, nur dort ihre sozialpolitischen Vorstellungen verwirklichen zu können. Schon drei Jahre später zog sie in den Rat der Stadt Coesfeld ein, war zuletzt sogar Fraktionssprecherin der 13 Köpfe zählenden SPD im Gemeindeparlament der münsterländischen Stadt.
    Ihre Aktivitäten hatten lokalen, praktischen Bezug. Und ein bißchen wehmütig sagt die Landtagsabgeordnete Ridder deshalb: "In der Kommunalpolitik ist Hilfe direkt möglich, direkt in die Praxis umsetzbar." So kümmerte sie sich um Spielplätze, opferte ganz unheroisch-westfälisch einen Teil ihres Urlaubs - wie andere Coesfelder Ratsmitglieder auch - um Kinder, die nicht verreisen konnten, in den Ferien zu betreuen.
    Das soziale Engagement sitzt Ilse Ridder "tief in den Knochen". Ursprünglich wollte sie das werden, was man heute Sozialarbeiter nennt. Daraus ist nichts geworden. Aber ihre Position, die sie als eine Linke ausweist, ist nach wie vor eigentlich nur menschlich: "Wo es um Dinge geht, die den Menschen direkt in seiner Persönlichkeit treffen, da kann ich radikal werden."
    Dabei geht es natürlich auch um das Problem der Frauenemanzipation. Ilse Ridder, selbst emanzipiert genug, ihre eigene Situation richtig einzuschätzen, hält freilich nicht viel vom Krieg der Geschlechter, den manche "Emanze" gern vom Zaun brechen möchte. Wirkliche Entfaltung der Persönlichkeit könnten Frauen und Männer nur gemeinsam erreichen. Und listig legt sie den Köder aus, daß solches gemeinsames Engagement "auch zum Vorteil der Männerwelt" ausschlagen werde.
    Der sanft geschürte Emanzipations- Optimismus gilt freilich auch für die Coesfelder SPD, die sich bei den Wählern noch immer unter der magischen 30-Prozent-Marke bewegt. Die gestandene Kommunalpolitikerin Ridder kam 1975 auf runde 28 Prozent. Das reichte nicht für den direkten Einzug in den Landtag. Erst als Anfang 1977 durch das Ausscheiden Richard Grünschlägers aus dem Landtag ein Platz in der SPD-Fraktion frei wurde, rückte Ilse Ridder über die Reserveliste nach.
    Die gut zwei Jahre parlamentarischer Arbeit seitdem haben ihr das typische Unsicherheitsgefühl aller Neulinge noch nicht ganz nehmen können. Aber im Haupt- und Verkehrsausschuß, in die es sie verschlug, hat sie schon ihren festen Platz gewonnen. Besonders der Verkehrsausschuß bietet Ilse Ridder auch den Bezug zur lokalen Politik. Sie sieht da die Chance, Einfluß zu nehmen und die Entwicklung des Verkehrs im Kreis Coesfeld voranzutreiben. Dazu gehört auch die als "Ostfriesenspieß" geschmähte Autobahn Ruhrgebiet-Ostfriesland, für deren Bau sich die Sozialdemokratin nachhaltig stark macht.
    Die Doppelbelastung durch Familie und Politik sieht Ilse Ridder mit Unbehagen. Es sei "nicht ganz leicht, beides unter einen Hut zu bringen", gesteht sie. Deshalb hat sie es sich zum Prinzip gemacht, schönen, aber überflüssigen Verpflichtungen aus dem Weg zu gehen, Theater und Konzert aus dem Kalender zu streichen. Dafür geht sie, wenn's geht, mit ihren Söhnen schwimmen oder Tennis spielen.

    Bernd Kleffner

    ID: LI79071B

  • Porträt der Woche: Rainer Maedge (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 5 - 12.02.1979

    Die Arbeit im Landtag macht ihm "ausgesprochen Spaß". Denn er hat in knapp vier Jahren Parlamentszugehörigkeit erfahren: "Man kann doch viel mehr erreichen, als draußen allgemein angenommen wird." Für Rainer Maedge, SPD-Mann aus Köln und mit gerade 35 Jahren einer der jüngeren Abgeordneten, liegt das Schwergewicht dessen, was er erreichen will, auf einer Verbesserung der Wirtschaftsförderung, einer weiteren Liberalisierung der Justizpolitik und in einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle der öffentlichen Unternehmen.
    So ist es nicht zufällig, daß er als ordentliches Mitglied im Wirtschaftsausschuß und im Justizausschuß mitarbeitet und von seiner Fraktion auch in den West LB-Untersuchungsausschuß delegiert worden ist. Die Fülle der Arbeit, vergrößert durch eine Reihe von Funktionen in der SPD-Parteiorganisation, empfindet er dabei nicht als Belastung: "Politik erfordert nun einmal volles Engagement." Doch wiewohl er meint, was man mache, müsse man ganz tun, hat er noch eine zweite persönliche Devise: "Man muß immer Distanz wahren und von heute auf morgen Schluß machen können. Abhängigkeit vom Mandat kann nämlich allzu leicht korrumpieren."
    Deshalb hat der gebürtige Leipziger Rainer Maedge, der mit 13 Jahren nach Köln kam und hier "uneingeschränkt heimisch" geworden ist, vor seinem Einstieg ins politische Geschäft zuerst einmal für seine berufliche Absicherung gesorgt. Nach dem Besuch der Aufbaurealschule und dem Abschluß einer Verwaltungslehre wurde er 1965 Stadtinspektor in Köln, kam drei Jahre später als "jüngster Beamter und einziger aus dem gehobenen Dienst" in den Planungsstab des Oberstadtdirektors, arbeitete hier als Referent für Städtebau, Wohnungswesen und Verkehr und wechselte 1974 ebenfalls als Referent zum Verband kommunaler Unternehmen mit Sitz in Köln.
    Mitglied der ÖTV und der SPD war er 1965 "zwei Tage nach der Inspektorenprüfung" geworden. Und da es in seiner Familie "sozialdemokratische Tradition schon von beiden Großvätern her" gab, hatte er sich gleich voll engagiert. Schon in der ersten Versammlung, die er im Ortsverein Köln- Brück besuchte, wurde Rainer Maedge in den Vorstand gewählt, "weil ich durch Kritik aufgefallen war"; 1971 wurde er als 27jähriger OV-Vorsitzender. Das blieb er wegen seines Umzugs nach Köln-Dellbrück allerdings nur zwei Jahre.
    Der Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) im Unterbezirk Köln folgten 1977 die gleiche Funktion auf Landesebene und die Berufung zum stellvertretenden Vorsitzenden des SPD-Bezirks Mittelrhein. Daß er inzwischen ein Multifunktionär geworden sei, weist Maedge entschieden zurück: "Ich sammle keine Ämter. Zum Engagement gehört nun aber einmal, daß man sich auf verschiedenen Ebenen zur Verfügung stellt."
    Der 1975 im Wahlkreis 19 (Mülheim, Dellbrück) mit 51,9 Prozent direkt gewählte Abgeordnete sieht in der AfA, die er in Köln mit aufgebaut hat, "meine Basis". Er ist sich jedoch klar darüber, daß "nicht die Arbeitsgemeinschaften den Verfassungsauftrag erfüllen können, sondern nur die Partei selbst".
    Der früher sehr vielseitige Sportler Rainer Maedge (Tennis, Fußball und Tischtennis bis zur Verbandsliga) hat heute nur noch wenig Zeit für dieses Hobby. Für ein anderes "stehle ich mir immer mal eine halbe Stunde": die Modelleisenbahn mit einer stattlichen Sammlung von 40 Loks. Töchterchen Sandra (7) spielt mit dem Papi um die Wette.

    Karlegon Halbach

    ID: LI790520

  • Porträt der Woche: Helmut Pardon (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 3 - 26.01.1979

    Der Bergbau hat Helmut Pardon geprägt. 25 Jahre lang hat er unter Tage gearbeitet, 24 Jahre war er Mitglied des Betriebsrates, zehn Jahre stellvertretender Abteilungsleiter im Sozialwesen der Herne-Recklinghauser Bergbau AG, bevor er bei einer Zusammenlegung mit 55 Jahren über den Sozialplan vorzeitig in die Rente ging. Bei seiner Erfahrung ist es selbstverständlich, daß er im Landtag dem Ausschuß für Grubensicherheit angehört.

    Pardons Vater, früher Unterkassierer der SPD in Recklinghausen, war noch an hundertprozentiger Steinstaublunge gestorben. "Die Vorkehrungen gegen Silikoseerkrankungen, intensive ärztliche Betreuung der Kumpel, aber auch die Sicherheit im Bergbau allgemein liegen mir besonders am Herzen", sagt der gelernte Maschinenbauer, der auf dem Schacht König Ludwig 4/5 nur mit Glück eine Explosion überlebte. 15 tote Arbeitskameraden liegen noch unter dem Gestein.

    Dem Bergbau gibt Helmut Pardon eine gute Chance für die Zukunft, wenn Bund und Land mithelfen, eine kurze Durststrecke zu überwinden. Die Arbeit unter Tage müsse für deutschen Nachwuchs wieder attraktiver gemacht werden. Neue Wohnungen, längeren Urlaub, kürzere Arbeitszeiten seien vor allem für die Untertage- Arbeiter wichtig.

    Im Sportausschuß tritt Pardon dafür ein, daß jedermann Gelegenheit haben soll, sich zu trimmen und etwas gegen die Bewegungsarmut zu tun. "Die Zahl der Sportstätten reicht nicht aus. Viele Anlagen, die gebaut werden, sind schon an Gruppen oder Vereine vergeben bevor sie fertig sind." Als SPD-Fraktionschef in Recklinghausen hat er es durchgesetzt, daß jeder, der es will, unter der Fachaufsicht von Übungsleitern die Turn- und Sporthallen benutzen kann. Lauftreffs und Familiensport werden angeboten. 80 Freizeitgruppen und Thekenmannschaften nutzen bereits das Angebot der Stadt.

    Als stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft und Verkehr sieht Helmut Pardon im Landtag darauf, daß die Emscherzone mehr als bisher gefördert wird. "Die wirtschaftliche Entwicklung ist an uns vorbeigegangen", sagt er. Allein in Recklinghausen, wo er 1923 geboren wurde, sank durch die Zechenstillegungen die Zahl der Bergleute von 19000 auf 5000. Die Infrastruktur der Emscherzone müsse auf den höchsten Stand gebracht werden, damit neue Betriebe gewonnen werden könnten.

    Privat pflegt Helmut Pardon ein Hobby, das im Revier zu Hause ist. Er züchtet, "leidenschaftlich" wie er sagt, Brieftauben. Mehr als 200 gurrende Vögel hält er in seinen Schlägen. Jede Woche im Sommer hocken er oder sein passionierter Sohn auf dem Dachboden und warten auf die Heimkehr der Tauben.

    Dem Vater war 1933 von den Nationalsozialisten Berufsverbot auferlegt worden. Mit 70 DM Rente, von denen 30,75DM Miete abgingen, brachte er Frau und sechs Kinder durch eine schwere Zeit. "Ich komme aus einer sehr armen Familie, und ich meine, daß es die erste Aufgabe eines Politikers ist, zu helfen", sagt er. Bruder Heinrich hat von 1958 bis zu seinem Tode 1968 dem Landtag, in den Helmut Pardon 1975 einzog, angehört.

    Wie zwei Brüder hat auch Helmut Pardon Radrennen gefahren, oft gegen damals bekannte Profis. Mit seinem Fußballverein, in dem er bis zum 34. Lebensjahr aktiv war, stieß er bis in die Landesliga vor. Er war Mittelläufer. In dieser Position würde er sich auch in der Partei einordnen. "In meiner Recklinghauser Fraktion", sagt er, "muß ich allerdings oft auch den Libero machen!"
    Gerd Goch

    ID: LI79031C

  • Porträt der Woche: Lutz Koch (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 1 - 12.01.1979

    Er war einer der Rebellen gegen die Neuordnung des Duisburger Raums im Zuge der zum 1. Januar 1975 wirksam gewordenen Gebietsreform. In Walsum unterstützten er und seine Parteifreunde massiv das Volksbegehren gegen das Gesetz: 90 Prozent der Bürger traten mit ihrer Unterschrift damals für das Volksbegehren ein. Wenngleich der Einsatz vergeblich blieb, weil das Volksbegehren nicht die landesweit erforderliche Zahl von Unterschriften erhielt, so ist doch das Engagement für die Sache der Bürger vielleicht ein Grund dafür gewesen, daß bei der Landtagswahl im Mai 1975 Lutz Koch den Wahlkreis 79 für die SPD mit einem besseren Ergebnis gewann als sein Vorgänger. Und vor allem: dies geschah, als allgemein die Sozialdemokraten geringe Einbußen gegenüber der vorangegangenen Landtagswahl 1970 hinnehmen mußten.
    In den Landtag gekommen, hat Koch sofort versucht, dort Einfluß zu nehmen, wo er korrigieren kann, was die Neuordnung nach seiner Meinung nicht geschafft hat. Er arbeitet im Ausschuß für Landesplanung aktiv mit. Dieser Ausschuß des Parlaments ist einer der wichtigsten für die Vorberatung und Ausformulierung der Gesetzentwürfe zur Funktionalreform. "Die Gebietsneuordnung drehen wir nicht zurück", sagt Lutz Koch, "aber wir können mit der Neuverteilung der Verwaltungsaufgaben und Zuständigkeiten jene Versprechen einlösen, die wir mit der Gebietsreform gegeben haben." Ziel sei es, die Gemeinden zu stärken. Jetzt gelte es, die Inhalte festzulegen.
    Nicht nur in der Neuordnung, auch in anderen Fragen vertritt Lutz Koch, vor 41 Jahren (13. Januar 1938) in Duisburg geboren, eine Meinung, die nicht unbedingt der Mehrheitsmeinung entspricht. So ist er beispielsweise strikt dagegen, daß ein Landtagsabgeordneter Berufspolitiker sein soll. "Spätestens nach zwei Legislaturperioden geht der Kontakt zur Arbeitswelt, der für einen Politiker unerläßlich ist, verloren." Für sich selbst hat er daraus die Konsequenz gezogen. Er arbeitet nach wie vor als Abteilungsbereichsleiter in der Datenverarbeitung eines großen Unternehmens, zuständig für Programmierung und Systemanalyse. Gegenwärtig stehen die Planungen einer elektronischen Steuerung für Walzwerke auf dem Programm. "Bei der schnellen technischen Entwicklung kann man es sich nicht leisten, dem Beruf länger fernzubleiben, sonst hat man keinen mehr."
    In die Politik ist Koch, der aus einer parteipolitisch nicht engagierten katholischen Arbeiterfamilie stammt, über die IG Metall gekommen. " Und wenn man in der Gewerkschaft ist, bekommt man zwangsläufig Kontakt zur SPD." Er schränkt ein, daß es meistens nicht zur Mitgliedschaft führt. Bei ihm und einem Bruder war es anders.
    Der "links von der Mitte stehende Pragmatiker" büffelte sich in einem Alter, in dem er schon verheiratet und Vater eines Sohnes war, in sechs Semestern Technischer Abendschule vom Elektrogesellen zum Elektrotechniker hoch. "Das war hart." Diese Erfahrung mag es sein, die ihn heute dazu bringt, "für den Bürger da zu sein", und zwar für alle, nicht nur die Freunde aus der eigenen Partei. Ihre Bitten, Anregungen und ihre Kritik versucht er da, wo es geht, umzusetzen in praktische Politik. Bei soviel Engagement ist ihm eine 60-Stunden- Woche sicher. Sonntags wird dann die Post erledigt. Für Hobbies - Tennis, Segeln, Musikhören - bleibt nicht mehr viel Zeit übrig. Der Sohn, der bald sein Abitur "bauen" wird, ist seit zwei Jahren in der SPD. "Aber nicht auf Zureden des Vaters; solche Entscheidungen muß jeder allein treffen."
    Karl Lohaus

    ID: LI790125

  • Porträt der Woche: Karl Heinz Kenn (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 29 - 08.12.1978

    Nicht nur mit Herz und Engagement, auch mit dem analytischen Verstand des Konstrukteurs und Statikers geht Karl Heinz Kenn politische Probleme an. "Nur wenn die Rahmenbedingungen gegeben sind, kann man etwas Vernünftiges machen", sagt er. Stimmt für ihn eine Formel, dann verteidigt er sie vehement.
    So tritt er kompromißlos dafür ein, daß der "Schnelle Brüter" in Kalkar als Versuchsreaktor so schnell wie möglich vollendet werden soll. Als Mitglied des Unterausschusses "Reaktorsicherheit" im Landtag nennt er die Behauptung von Wirtschaftsminister Riemer (F.D.P.), daß es schon jetzt in Kalkar um den risikoreichsten Einstieg in die Plutonium-Wirtschaft gehe, eine "Irreführung". Erst nachdem Versuch und anschließenden Erfahrungen mit einem weiteren Prototyp könne um das Jahr 2000 die Entscheidung fallen, ob Plutonium "gebrütet" und die Energieproduktion weitgehend vom Uran unabhängig gemacht werden solle.
    Kenn ist in der vierten Generation Sozialdemokrat. Der Großvater hatte wegen Majestätsbeleidigung noch im Arrest gesessen, wie die Familienchronik stolz überliefert. Enkel Karl Heinz wurde schon am 8. August 1945 Mitglied der "Falken", aber erst 1956, mit 30 Jahren, trat er in die SPD ein.
    Warum diese lange Spanne? "Die SPD war mir damals nicht sozialistisch genug", sagt er. "Heute ist es bei meinen Kindern ebenso; aber aus meinen Erfahrungen heraus nehme ich das gelassen hin. In der Jugend sieht halt alles einfacher aus."
    Von 1961 bis 1974 war Kenn Stadtverordneter in Homberg und Mitglied des Kreistages in Moers. Der Kommunalpolitik gilt heute noch seine Liebe. "Dort ist alles überschaubar, und die Arbeit befriedigt mehr. Im Landtag ist es unpersönlicher." Schwerpunkt seiner Arbeit im Wirtschafts- sowie im Arbeits- und Sozialausschuß sind Energiepolitik und Sicherheit. Jetzt schon haben ihn Ortsvereine seines Wahlkreises für die Landtagswahl 1980 wieder als Kandidaten vorgeschlagen.
    Nach Volksschule und Lehre als technischer Zeichner bildete sich Karl Heinz Kenn, 1926 in Homberg geboren, wo er heute noch wohnt, in Abendkursen und später ordentlichem Studium bis zum graduierten Ingenieur (1953), Schweißfachingenieur (1959) und Projektingenieur (1963) weiter. In der Entwicklungsabteilung von Krupp Industrie- und Stahlbau arbeitete er am riesigen Radioteleskop Effenberg mit, das 100 Meter Durchmesser hat. Beim Ausbau der Bodenstation Weilheim für die Sonnensonde "Helios" war er Projektleiter. Er ist Autor vieler Fachveröffentlichungen.
    Der Mann, der Rheinbrücken und Bagger baute, bedauert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem Abgeordnete einen Vollzeit-Job ausüben und entsprechend bezahlt werden sollen. "Wir Parlamentarier müssen unsere Berufe ausüben, um vor Ort Kontakt zu behalten", meint er. Für ihn sei die mit dem Mandat verbundene Arbeit nicht Beruf, sondern eine "Vollzeitaufgabe nach Feierabend". Auf höhere Diäten will er gern verzichten. "Die bestehende Regelung reicht mir völlig aus."
    Auch heute noch sei er ein "Falke", sagt er. In Ferienlagern ist er als Gruppenleiter aktiv. Mit den inzwischen angegrauten Freunden aus den alten Jugendgruppen trifft man sich heute noch zum Tanz, Kegeln oder Singen. Sein ganzer Stolz ist sein Garten, den er allein pflegt.
    Gerd Goch

    ID: LI782928

  • Porträt der Woche: Hilmar Selle (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 27 - 20.11.1978

    Das Wort "Senkrechtstarter" mag Hilmar Selle "überhaupt nicht hören", eine ausgeprägte "Ochsentour" war es aber auch nicht, wenn man den politischen Weg des 44jährigen selbständigen Versicherungskaufmanns aus Kreuztal verfolgt. Noch vor wenigen Jahren kannte man seinen Namen allenfalls im kommunalpolitischen Bereich, in dem er seit 1961 ununterbrochen tätig ist; seit dem vorletzten Wochenende ist er in der SPD wie im mittelständischen Wirtschaftsbereich bundesweit bekannt: Die Delegierten der Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS) wählten Selle in der Bundeskonferenz in Gelsenkirchen zum Vorsitzenden.
    Gerade die Funktionen bei den Unternehmern in der SPD hätte Selle niemand vorauszusagen gewagt; er kommt nämlich aus dem Gewerkschaftslager. Als die Eltern 1944 Holland verlassen müßten (der Vater war Musikdirektor in Enschede), kam man notdürftig im Siegerland unter, und Hilmar, eines der vier Kinder, wurde im Forsthaus eines Onkels groß. Selle heute: "Daher wohl meine Beziehungen zur Land- und Forstwirtschaft", die ihn Jahrzehnte später im Landtag Nordrhein-Westfalen in den Ausschuß für Ernährung, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft führten.
    Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg für den Dreher-Lehrling in einem Industrie-Unternehmen, der die Facharbeiterprüfung ablegte und sich in Aufbaulehrgängen nach Feierabend die Qualifikation zur Aufnahme eines Studiums erwarb. Das reizte ihn dann aber nicht mehr, die Arbeit im Betrieb und für die Arbeitskollegen hatte für ihn Vorrang. Bevor er in den Betriebsrat gewählt wurde, hatte der 1,96 Meter große Selle ein "an sich unbedeutendes kleines Erlebnis im Berufsalltag", das aber zum Ansporn für seine weitere Laufbahn wurde. "Ich nahm für meinen Meister, der sehr klein war, den Hut vom Schrank und mußte dann hören: 'Mein Sohn, du bist nicht groß, nur lang!'" Eine "Nummer größer" war anschließend die Tätigkeit beim Hauptvorstand der IG Metall in Frankfurt (1958 bis 1960). Dann trat Selle als Sekretär für Schulung, Bildung und Organisation für sechs Kreise in die Dienste des DGB in Siegen. Er kam, in direkter Wahl, in die Gemeindevertretung, wurde 1962 mit 28 Jahren jüngster Amtsbürgermeister von Nordrhein-Westfalen und 1964 Bürgermeister der Gemeinde Kreuztal.
    Als Selle sein nächstes Ziel, Bevollmächtigter der IG Metall in Siegen zu werden, knapp verfehlte bei einer Wahl, Ehefrau und vier Kinder aber gegen einen Ortswechsel waren, nutzte er die Möglichkeit, sich selbständig zu machen, indem er eine Versicherungsagentur übernahm.
    So begann ein neuer Lebensabschnitt im Arbeitgeberlager. Der junge Selbständige gründete im Unterbezirk Siegen eine AGS und wurde bereits 1974 zu deren Landesvorsitzenden gewählt. 1975 wurde ihm der Wahlkreis 132 Siegen II angetragen für die Landtagswahl; Selle blieb Zweiter, rückte aber über die Landesreserveliste im Januar 1976 ins Parlament nach.
    Als im Zuge der Kabinettsumbildung in diesem Frühjahr Dr. Christoph Zöpel das Amt des wirtschaftspolitischen Sprechers der Fraktion abgab, rückte Selle, bis dahin "nur" mittelstandspolitischer Sprecher, erneut auf. Er gehört dem Fraktionsvorstand und auch dem Vorstand der Landespartei an und sitzt längst im Wirtschaftsausschuß des Landtags, wo sein Wort Gewicht hat. Er kennt "beide Seiten der Wirtschaftspolitik, die Probleme der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleichermaßen aus eigenem Erleben."
    Die Parlamentstätigkeit möchte er "auch 1980 nicht gern aufgeben, weil in Nordrhein- Westfalen gerade im mittelständischen Bereich noch viele Probleme zu lösen sind und davon starke Impulse für Bonn ausgehen"; doch bedeutet die Wahl zum AGS-Bundesvorsitzenden die Trennung von Ämtern, die mit dem Bürgermeisteramt zusammenhängen.
    Die Familie, darunter zwei Söhne, die noch einen Kopf größer sind als der Vater, hatte "keinen Grund zu gratulieren, als ich von Gelsenkirchen aus das Wahlergebnis mitteilte. Jetzt bist du ja noch weniger zu Hause, meinte meine Frau." So wird Selles Hobby, stundenlanges Wandern, wohl seltener möglich sein. "Doch gerne zu lachen, auch über mich selbst, das bleibt."
    Hans Krieger

    ID: LI782722

  • Porträt der Woche: Franz-Josef Kniola (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 25 - 06.11.1978

    Franz-Josef Kniola gibt's auch den Seinen - und nicht zu knapp. Welche Ministerien der 35jährige SPD- Abgeordnete meint, sagt er zwar nicht, sein Rüffel ist aber auch so deutlich genug: Die eigentliche Belastung des Abgeordneten der stärksten Regierungsfraktion liege nicht in der Auseinandersetzung mit der oppositionellen CDU, "sondern im zähen Ringen mit der Ministerialbürokratie". So ist der junge Parlamentarier "immer wieder verwundert, in welch geringem Maße politische Entscheidungen gegen die Bürokratie durchsetzbar sind". Seit 1975 im Düsseldorfer Landtag, hat Kniola die "bedrückende Erfahrung" machen müssen, "daß der Abgeordnete vor Ort Prügel einstecken muß für Entscheidungen, die er im Grunde gar nicht beeinflussen kann". Am berüchtigten "grünen Tisch" träfen Bürokraten, "die oft gar keine Ahnung haben, was die Bürger bewegt, praxisferne Entscheidungen".
    Für seine Umgebung, ob familiär oder politisch, war und ist er selten bequem. Als Junge noch St.-Georg-Pfadfinder, schockte er seine bürgerlich-katholischen Eltern später doppelt und dreifach: 1963 Eintritt ausgerechnet in die SPD; dazu aktiver Ostermarschierer und konsequenter Wehrdienstverweigerer; einziger Mitarbeiter im väterlichen Steinmetzbetrieb und Mitglied in der IG Bau, Steine, Erden - "das war ein Affront". In die Fußstapfen des Vaters sollte er treten, das Geschäft übernehmen, da wechselte er den Beruf und wurde erst mal Sozialarbeiter.
    1968 folgte der zweite Berufswechsel: Hauptamtliche Tätigkeit für die SPD, erst als Parteisekretär im mächtigen Unterbezirk Dortmund, dann Juso-Sekretär im mitgliederstärksten Parteibezirk Westliches Westfalen. Da wurde er Betriebsratsvorsitzender im Bezirk und zog in den Gesamtbetriebsrat der Bundespartei ein. Den arbeitgebenden Genossen war er offenkundig kein bequemer Gesprächspartner. Kniolas für die Arbeitnehmer-Partei SPD bemerkenswertes Resümee: "Das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist in der SPD durchaus mit dem in anderen Betrieben vergleichbar."
    Mit Einzug in den Landtag gab er seine hauptamtlichen Partei-Funktionen ab. "Man kann beides nicht vernünftig ausfüllen", befand er und verzichtete - im deutlichen Gegensatz zu manchen Genossen - auf opulente Doppel-Einkünfte. Weil er, seine Frau und die beiden Söhne auch von den Diäten leben konnten, votierte er in der Diskussion über die Neuregelung der Abgeordneten-Bezüge von Anfang an gegen allzu großzügige Zuwachsraten.
    Die sachpolitischen Schwerpunkte seiner Tätigkeit im Landtag waren von vornherein vorgegeben, da mußte Kniola nicht erst lange suchen. In seinem Wahlkreis liegen die Dortmunder Uni und die PH: also Bildungspolitik. Seine berufliche Qualifikation als Sozialarbeiter prädestinierte ihn zudem für die Jugendpolitik.
    Nicht nur selbstkritisch ist es, wie Kniola kommentiert, daß er Anfang dieses Jahres nach dem plötzlichen Tod seines Vaters doch Chef im Steinmetz-Geschäft werden mußte: " Vom Betriebsratsvorsitzenden zum Klein-Unternehmer - eine typische Juso-Karriere."
    Christoph Lütgert

    ID: LI782524

  • Porträt der Woche: Erich Kamp (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 23 - 09.10.1978

    Es ist wohl nicht zu bestreuen: Die einstige Arbeiterpartei SPD wird in ihren Mandatsträgern immer weniger ein Spiegelbild ihres ursprünglichen Anspruchs. In der zur Volkspartei gewandelten Sozialdemokratie sind deshalb Leute wie Erich Kamp eine Rarität.
    Der Enddreißiger aus Ennepetal, Jahrgang 1938, verheiratet, Vater einer Tochter, erlernte nach der Volksschule das Kraftfahrzeugmechanikemandwerk. Nach der "Lehre stieg er von der ölwanne hinter den Lenker um und heuerte beim Keks- und Knabberriesen Brandt in Hagen, 2500 Beschäftigte, an. Heute ist Kamp dort freigestelltes Mitglied des Betriebsrats.
    Mit dem Arbeitsplatzwechsel vollzogen sich auch erste Prozesse der politischen Bewußtwerdung. Kamp trat 1958 der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) bei, vier Jahre später stieß er zur SPD.
    Eine lokale Parteiveranstaltung, in die er zufällig hineingeriet, gab den Ausschlag für ein Engagement, das über die üblichen innerparteilichen Hierarchie-Stationen inzwischen in den Vorstand des mächtigen SPD- Bezirks Westliches Westfalen und nicht zuletzt in den Landtag führte. Kamp, bedächtig-solider Repräsentant der linken Mitte in der SPD, ist auch durch Zufall an Stellen der Landespolitik geraten, deren Bedeutung im Zusammenspiel ihm erst im nachhinein aufging. Konkret: Er gehört dem Ausschuß für Funktionalreform und zugleich dem Petitionsausschuß an. Und wo der Funktionalreformer Kamp durch Neuverteilung der Aufgaben Vereinfachung und mehr Bürgernähe der Verwaltung erzielen will, leistet er im Petitionsausschuß bei der Bearbeitung der Eingaben von Bittstellern, die sich von sturen Bürokraten umstellt wähnen, ganz konkret seinen Entbürokratisierungsbeitrag. Daß er in der notwendigen Aufgabenverteilung im Petitionsausschuß das Verkehrsressort übernahm, versteht sich, nebenbei, von selbst.
    Kamp ahnt, daß Entbürokratisierung eine "Aufgabe für viele Jahre" sei. Wirksame Hilfe für den Bürger gegenüber einer immer mächtiger werdenden Verwaltung, der man nahezu hilflos ausgeliefert ist, komme ja "so schlecht voran". Dabei geht es Kamp schlicht darum, "die Dinge für den Bürger überschaubarer zu machen". Denn wo man den Durchblick hat, da kann man auch seine Rechte wahrnehmen. Die abgedroschene, mittlerweile schon zur Verschleierung gebräuchliche Vokabel von der Bürgernähe kommt Kamp nicht über die Lippen. Kamps Engagement fußt auf einer Erfahrung, die sich aus dem Vergleich zwischen Wirtschaft und Politik ergibt. Aus der Industrie nämlich sei er "schnelle Entscheidungen gewohnt". In der Landespolitik seien hingegen "die Dinge sehr langfristig zu betrachten". Und der Zusammenhang von langwierigen demokratischen Entscheidungsprozessen im Parlament und paragraphentreuer Durchführung in der Verwaltung - "das ist für den Bürger schwer zu verstehen".
    Der SPD-Politiker, Absolvent der DGB-Bundesschule, hält sich an seine Selbstverpflichtung. Den Kontakt zum Wähler pflegt er durch Sprechstunden, sonntägliche Frühschoppen und andere persönliche Begegnungen. Denn es gelte, meint der einstige Jungsozialist, Ratsherr in Ennepetal, "nahe an den Problemen der Bürger dran zu sein". Und deshalb ist für ihn auch klar: "Ein Abgeordneter darf sich nicht als Oberbürger fühlen."
    Kamp, am 10. Oktober 40 Jahre alt, mit leichten Stimmverlusten an die CDU, aber immer noch sicher direkt nach Düsseldorf gewählt, sitzt denn auch nicht auf dem hohen Roß. Durchgehende Pferdestärken weiß er als Kraftfahrzeugmechaniker zu zügeln. Und sein eigenes Auto repariert er immer noch selbst. Bernd Kleffner

    ID: LI782321

  • Porträt der Woche: Maria Jammes (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 21 - 25.09.1978

    Sie stammt aus einer konservativkatholischen Arbeiterfamilie, und ihre Mutter sagt noch heute: "Das geht eigentlich gar nicht, daß man in der SPD ist." Doch bei ihren vier älteren Brüdern ist Maria Jammes sicher, daß von denen "mindestens drei SPD wählen". Für sie war das nie eine Frage. Schon als 21jährige ist sie zu den Sozialdemokraten gestoßen und hat sich hier stets an den linken Flügel gehalten.
    Für die unterschiedliche politische Einstellung im Hause Jammes hat die diplomierte Sozialwissenschaftlerin eine plausible Erklärung: "Mein Vater ist als ungelernte Arbeiter aus der Eifel an die Ruhr gekommen. Der hat nie politisches Bewußtsein gebildet." Bei ihr und ihren Brüdern, alle in Essen aufgewachsen, sei das "zwangsläufig anders" gewesen.
    Am ausgeprägtesten war das politische Bewußtsein offenbar bei der Tochter. Mit 24 Jahren kam sie in den Ortsvereinsvorstand Essen-Rüttenscheid, kurz darauf auch in den Unterbezirksvorstand der Jusos und der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Die Kommunalpolitik lernte sie als Mitglied des Bürgerausschusses bis 1967 kennen. Danach ging es "gar nicht besonders weiter". Maria Jammes verlegte Aktivität und ausgeprägten Tatendrang in die berufliche Sphäre. Die Realschülerin und ausgebildete Chemielaborantin hatte bereits 1962 auf dem Kolleg das Abitur nachgeholt und auch noch Versicherungskaufmann gelernt, nach der Eröffnung der Ruhruniversität Bochum "traute ich mich dann 1966 zum Studium". Vier Jahre später hatte sie ihr Diplom und ging als Dozentin zur Friedrich-Ebert-Stiftung nach Bergneustadt. Doch da sie zwischen hier und Essen pendelte, kam wie schon zur Studentenzeit "die Politik zu kurz".
    Das änderte sich Ende 1972 nach dem beruflichen Wechsel als pädagogische Mitarbeiterin an die Volkshochschule Dortmund und dem Umzug ins Essener Arbeiterviertel Frohnhausen. Maria Jammes hat da "viel Frauenkram" aufgezogen, sie ist heute Vorsitzende des eingetragenen Vereins "Frauen helfen Frauen" in Essen. 1973 kam sie wieder in den Ortsvereins-Vorstand. "Da gab's dann Ärger", weil sie dazu angeregt hatte, den mit 800 Mitgliedern "viel zu großen" Ortsverein zu teilen. Im Verlauf der Diskussion hätten sich Aversionen "gebildet und zugespitzt", was sie jedoch mit Fassung getragen habe, sagt die streitbare SPD-Politikerin.
    Jedenfalls trat dann Ende 1974 ein, "was einflußreiche Essener Parteizirkel ein Unglück nennen". In Kampfabstimmung wurde Maria Jammes Direktkandidatin in dem für die SPD sicheren Landtagswahlkreis Essen II, in dem sie dann auch mit 59 Prozent gewählt wurde.
    Die auch heute noch spürbare Freude über ihren Sieg gegen viele Widerstände wird dabei zuweilen überlagert von einer "gewissen Frustration" durch die Parlamentsarbeit. "Der einzelne Abgeordnete hat ziemlich wenig Einfluß darauf, was politisch im Land läuft. Die Entscheidungen konzentrieren sich auf wenige Personen. Auch bleibt zuviel in der Ministerialbürokratie hängen", moniert Maria Jammes, die dennoch "auch Erfolgserlebnisse" resümiert. Nur, "die sind nicht so doll". In Düsseldorf arbeitet sie engagiert mit im Ausschuß für Jugend, Familie und politische Bildung sowie im Justizausschuß, außerdem ist sie Stellvertreterin im Schulausschuß.
    Als ihren größten Erfolg wertet sie die im November anstehende Eröffnung des ersten Frauenhauses in Essen, "natürlich in Selbstverwaltung". Wenn ihr ihre mannigfachen Aktivitäten ab und an Zeit dazu lassen, wandert die Junggesellin "meist allein" durch die Eifel. Sie ist passionierte Orchideen- und Pilzsammlerin und lacht verschmitzt: "Wie man sieht, war noch kein falscher Pilz im Korb."
    Karlegon Halbach

    ID: LI782125

  • Porträt der Woche: Horst Henning (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 19 - 08.09.1978

    Er ist von Geburt Westfale, aber inzwischen "gelernter" und damit überzeugter Rheinländer: Horst Henning, 1937 in Lünen geboren, lebt seit 1951 in Leverkusen. Der Zufall, besser die Nachkriegsumstände, haben ihn hierher verschlagen: der arbeitslose Vater fand in Leverkusen einen neuen Job - also zog die Familie Henning dorthin. Heute sieht Horst Henning dies als Glücksfall, denn er fühlt sich rundum wohl in seiner Wahlheimat, die inzwischen auch für den Politiker zur relativ sicheren und erfolgversprechenden Wahlheimat geworden ist.
    Lehre als Laborfachwerker, dann Chemielaborant, Betriebsmeister bei der Bayer-Tochter "Erdöl-Chemie" in Köln-Worringen - das sind die Berufsstationen, bis 1975 die Wahl in den Landtag Hennings weiteren beruflichen Werdegang stoppte. Er wurde beurlaubt mit einem Teil seiner Bezüge - Bayer ist da großzügig wie der öffentliche Dienst. Trotzdem ist er - soweit es die politische Arbeit erlaubt - oft an seinem alten Arbeitsplatz, er will den Anschluß und den Einblick in die Arbeitswelt nicht verlieren. Daher bedauert Henning die vom Bundesverfassungsgericht veranlaßte neue Diätenregelung: sie macht das Parlamentsmandat zum Beruf, schneidet den Abgeordneten dadurch möglicherweise von seinem Beruf und seiner Arbeitswelt ab. Die Gefahr: der Abgeordnete "ohne Antenne nach unten" könnte betriebsblind werden.
    Der Weg in die SPD war für Henning schon in der Familie vorgezeichnet: beide Großväter und auch Vater Henning waren Sozialdemokraten - er selbst gehörte seit 1948 den "Falken" an. Daß er 1957 der SPD beitrat, hatte aber einen konkreten Anlaß. Da in Leverkusen - vor allem in den Randgebieten viele Einrichtungen fehlten, wollte er über die Kommunalpolitik mithelfen, das für den Bürger Nötige zu schaffen. Horst Henning ist ein Mann der Mitte. Er hat Marx gelesen und verarbeitet - aber ebenso auch Luther. Nach wie vor ist er Presbyter in der Evangelischen Gemeinde. Ideologie spielt für ihn eine untergeordnete Rolle. "Glückseligkeit findet im Jenseits statt, Politik braucht Realitätsbezogenheit und Augenmaß. Sie setzt ein hohes Maß an Pragmatismus voraus."
    Andererseits sieht Henning in der Solidarität zu seiner Partei eine hohe Verpflichtung. Zwar ist der Abgeordnete seinem Gewissen verantwortlich, doch "95 Prozent aller Entscheidungen haben mit Wissen und nur fünf Prozent etwas mit Gewissen zu tun". Wenn ein Abgeordneter einer Partei- oder Fraktionsentscheidung nicht folgen kann, dann sollte er sein Mandat niederlegen, denn der Wähler wählt wohl- vor allem die Partei und erst in zweiter Linie eine bestimmte Person. Für Abweichler hat Henning also nicht viel übrig.
    Pragmatismus, Loyalität, kommunalpolitisches Engagement und Erfahrung waren das Rüstzeug, mit dem Henning 1975 sein Landtagsmandat antrat. Hilfe für den einzelnen Bürger - dazu gibt ihm die Arbeit im Petitionsausschuß Möglichkeiten. "Der Bürger soll nicht in den Mühlen der Bürokratie zerrieben werden." Henning möchte erreichen, daß der Ausschuß dem Bürger auch Rechtsauskünfte erteilen darf - aber dazu "muß wohl erst ein gordischer Knoten durchgeschlagen werden".
    Die kommunale Neugliederung hat Henning als Kommunalpolitiker sozusagen hautnah zu spüren bekommen, denn Leverkusen war heftig umstritten. Jetzt kann Henning sich als Landtagsabgeordneter aktiv an der Funktionalreform beteiligen - im Ausschuß für Verwaltungsreform. Dabei sieht er die widerstrebenden Interessen, die unter einen Hut gebracht werden müssen, sehr deutlich: Die neu geschaffenen größeren kommunalen Einheiten müssen auch größere Kompetenzen bekommen. Der Bürger hat Anspruch auf Ortsnähe der Verwaltung - aber auch auf sach- und fachgerechte Abwicklung.
    Seit einem halben Jahr hat Henning zusätzlich ein schwieriges Amt übernommen. Er sitzt im parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der die Hintergründe der Poullain-Affäre klären soll. Obwohl Ausschüsse solcher Art in der Öffentlichkeit heftig diskutiert werden, hält er sie für sinnvoll. Er glaubt, daß sich durch die Ausschußarbeit erwiesen habe, wie notwendig es ist, ein so großes Kreditinstitut besser zu kontrollieren, andererseits ist er überrascht über die Leichtigkeit, mit der riesige Summen hin- und hergeschoben wurden. Und schließlich bewertet er als positiv, daß bisher keine der beteiligten Parteien versucht hat, aus dem Untersuchungsausschuß ein politisches Spektakel zu machen.
    Es liegt auf der Hand, daß ihm als Familienvater nicht viel Freizeit bleibt. Er liest gerne, bestellt seinen kleinen Garten und betreibt mit Begeisterung Ahnenforschung. Im übrigen ist die Politik sein Hobby. Das Materielle dabei ist für ihn nur von untergeordneter Bedeutung, denn: "wer an Geld denkt, sollte die Finger von der Politik lassen".
    Bernd Müller

    ID: LI781931

  • Porträt der Woche: Lothar Hentschel (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 17 - 23.06.1978

    Von seiner äußeren Erscheinung her wirkt Lothar Hentschel (48) so gar nicht wie ein Parteifunktionär. Mit seinem imponierenden, dichten Haarschopf und der kräftigen Statur würde er, wäre sein Beruf zu raten, wahrscheinlich mit einer musischen Profession in Verbindung gebracht. Ihm fehlt alles, was den "Geschaftlhuber" ausmacht. Doch Lothar Hentschel, in Gelsenkirchen-Buer geboren und heute noch wohnhaft, ist seit 24 Jahren "Hauptamtlicher". Vom Jugendsekretär in Hagen (1954) über den Geschäftsführer des Unterbezirks Recklinghausen (1962) und des Bezirks Westliches Westfalen (1969) stieg er bis zum Landesgeschäftsführer seiner Partei in Nordrhein-Westfalen (1973) auf.
    Weil ihn die Luftfahrt faszinierte, hatte er im letzten Kriegsjahr noch eine Lehre als Flugzeugelektromechaniker angefangen. Doch dann wurden in Deutschland keine Flugzeuge mehr gebaut. 1949 machte er seine Gesellenprüfung als Elektroinstallateur und ging zu Gelsenberg. In die Parteilaufbahn kam er durch aktive Jugendarbeit. Schon im Mai 1945 war er in den Gewerkschaftsbund eingetreten, der sich damals noch FDGB nannte. Im selben Jahr gründete er mit Freunden die Sozialistische Jugend "Die Falken" in seiner Heimatstadt und organisierte Zeltlager und Freizeiten. Lothar Hentschel stammt aus einer Familie mit sozialdemokratischer Tradition. Beide Großväter waren aktiv gewesen. Der Vater, der nach 40 Jahren Arbeit unter Tage mit Steinstaublunge in die Rente gehen mußte, öffnete seinem Sohn erst nach Kriegsende seinen Bücherschrank mit politischer Literatur. "Ich habe damals viel über die Geschichte der Arbeiterbewegung gelesen und gelernt, wie wichtig es ist, sich für andere Menschen einzusetzen und sich in einer Gemeinschaft zu solidarisieren", sagt er. Lothar Hentschel bezeichnet sich selber als einen Pragmatiker. Die Theorien von Marx und Engels bedeuten ihm wenig.
    Seine Partei kennt Hentschel "aus dem Effeff". Er bemüht sich, allen Gruppierungen gegenüber loyal zu sein. Auch "die Linke" habe Anspruch auf Toleranz, sagt er. Man müsse in der Partei miteinander reden, denn mancher Streit gehe nur auf mangelhafte Information zurück, wie er oft erfahren habe. In Flügelkämpfe läßt sich Hentschel, der eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlt, nicht verwickeln. Wie er politisch denkt, geht aus einer Episode hervor, die er erzählt. Im Bundesvorstand der Falken hatte ein Kollege moniert, daß ein Genosse erster Klasse angereist sei. Das sei für einen Falken unmöglich. Hentschel erwiderte dem Zürnenden: "Nun reg' dich mal ab, wir müssen dafür sorgen, daß alle Menschen erster Klasse fahren können."
    In seiner Arbeit als Landesgeschäftsführer und als Landtagsabgeordneter gibt es manche Berührungspunkte. Beim Landesvorstand ist Hentschel u. a. für Juristen, Agrarier und Wohnungspolitiker zuständig. Im Landtag gehört er als ordentliches Mitglied dem Justiz- und als Stellvertreter dem Ernährungs- und Wohnungsbauausschuß an.
    Besonders wichtig aber ist für ihn die Mitgliedschaft im Hauptausschuß, in dem viele Fäden der parlamentarischen Arbeit zusammenlaufen. Hentschel hat sich in letzter Zeit vor allem mit Problemen des Datenschutzes befaßt.
    Während in der SPD die Meinung überwiegt, der Datenschutzbeauftragte solle beim Landtag angesiedelt werden, hält Lothar Hentschel es für zweckmäßiger, ihn dem Innenminister zuzuordnen. Der Beauftragte habe dann das Recht, auch in den heiklen politischen Bereich der Polizei und des Verfassungsschutzes hineinzusehen.
    Sein Repertoire an Wander- und Jugendliedern ist unerschöpflich. Bei Wandertouren begleitet er Parteichef Willy Brandt nicht nur auf Schusters Rappen, sondern auch auf der Gitarre. Drei Tage lang war man einmal 60 km weit durch den Teutoburger Wald gezogen. Trocken erzählt Hentschel: "Das war kein Problem. Das Schlimme war nur, daß ich eine Woche vorher die Strecke in zwei Tagen vorgewandert war!"
    Gerd Goch

    ID: LI781724

  • Porträt der Woche: Günter Herterich (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 15 - 13.06.1978

    Wenn er seine persönlichen Wünsche durchsetzen kann, wird man ihn in Düsseldorf nicht mehr allzu lange sehen. Günter Herterich, ein Schwabe aus Köln, möchte 1980 die politische Ebene wechseln. Bonn lockt ihn.
    Das sagt er ohne Umschweife, ohne strategischen Vorbehalt. "Meine Parteifreunde sollen das früh genug wissen, sollen das kritisieren können. Ich gehe aber auch nicht in den Rhein, wenn es nicht klappt."
    Doch dafür, daß alles wunschgemäß läuft, wird der SPD-Politiker Herterich schon sorgen. Denn in seiner Wahlheimat - "aus Köln kriegt mich niemand mehr weg" - ist der gebürtige Stuttgarter ein mächtiger Mann. Es gibt sogar Leute, die behaupten, in der größten Stadt des Landes gehe "aber auch gar nichts" ohne den Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion der Sozialdemokraten. Herterich schwächt solche Einschätzung ab: "Natürlich habe ich Einfluß. Aber in der Politik wird viel dämonisiert und personalisiert."
    Ehrgeiz? Ja, den räumt er ein. "Ich möchte mitgestalten, sonst gehörte ich nicht in die Politik." Seine Konsequenz verschrecke andere oft, gibt er freimütig zu, und außerdem arbeite er "für manche Leute beängstigend viel". Was er jedoch nicht als Last, sondern als "ungeheuren Spaß" empfindet. In der Tat erreicht man den " Vorreiter der Kölner SPD" auch am Wochenende eher in seinem Büro im Rathaus als zu Hause. Die privaten Konsequenzen hat er aus solchem Engagement gezogen. Günter Herterich, der am Donnerstag 39 Jahre alt wird, ist Junggeselle geblieben. "Andernfalls müßte ich meinen Lebensstil ändern, und dazu habe ich keine Lust."
    Im Landtag, dem er seit 1975 angehört, ist er bei weitem nicht so sehr in Erscheinung getreten wie im Rat der Domstadt. Die Gründe sieht er in der "Arbeitsteilung der Kölner Abgeordneten" und darin, daß "meine Möglichkeiten nicht so groß angelegt sind. Ich suche mir einige Themen, speziell an den Nahtstellen von Kommunal- und Landespolitik, heraus, ohne das an die große Glocke zu hängen." Seine Aufgabe in Düsseldorf schätzt er "vielleicht als die einer kurzen Rippe" ein. Er stehe in der Landespolitik "nicht im Kern der Entscheidung, aber durchaus als Mitakteur", sagt Herterich. Er gehört dem Haushalts- und Finanzausschuß an und ist stellvertretendes Mitglied im Wirtschafts- und im Petitionsausschuß.
    Spaß an der Politik hatte schon der Schüler Günter Herterich bekommen. Es seien in erster Linie die Diskussionen über die NS-Zeit gewesen, die ihm das Gefühl gegeben hätten, "du muß dich engagieren". So studierte er Geschichte, unter anderem in Paris, London und Madrid, trat 1963 der SPD bei und widmete sich ab 1965, nachdem er an die Kölner Universität gekommen war, auch der ehrenamtlichen Parteiarbeit. 1970 kandidierte er im feinen Vorort Lindenthal für den Stadtrat und - fiel durch. Immerhin war sein Gegenkandidat Max Adenauer, Sohn des Altbundeskanzlers und langjähriger Oberstadtdirektor in Köln. Ende 1971 rückte Herterich dann über die Reserveliste in den Rat nach.
    Von da an ging es schnell bergauf. Schon im Mai 1972 zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden berufen, wurde er nach der Kommunalwahl 1975 Speerspitze der Sozialdemokraten im Rat. Zugleich zog er auch als Direktkandidat in den Landtag ein. Das Mitgestalten fasziniere ihn, aber auch das Risiko des Berufs, sagt Herterich. Und auch damit ist er einige Male konfrontiert worden, ohne Schlappen ist es dabei nicht abgegangen. Die letzte erlitt er, als er vor Jahresfrist um den Vorsitz des SPD-Bezirks Mittelrhein kandidierte, aber dem weiter links stehenden Günter Schlatter unterlag. Für 1980 ist Günter Herterich jedoch voller Optimismus. In Bonn will er, wenn ihm denn der Sprung gelingen sollte, "an den Fragen mitwirken, die ich für vordringlich halte".
    Der Nichtraucher Herterich, mit 15 Kilo Übergewicht "behaftet, aber davon nicht geplagt", zieht am stets sehr späten Feierabend eine Schorle oder ein Glas Wein dem bodenständigen Kölsch vor und kümmert sich neben der Politik "auch viel um kulturelle Dinge". Er ist ein Musikfreund mit dem breiten Spektrum von Mozart "bis Stockhausen und darüber hinaus", interessiert sich für bildende Kunst und geht auch "häufiger ins Theater, als dies die Kölner Theaterleute wissen". Seine Leidenschaft gilt "guten Büchern", doch die hat er nur zu Hause und nicht in dem überdimensionalen Aktenkoffer, den er stets mit sich herumträgt.
    Karlegon Halbach

    ID: LI781527

  • Porträt der Woche: Horst Hein (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 13 - 22.05.1978

    "Jungsozialist mit weißem Kragen" hatte eine westfälische Lokalzeitung den SPD-Landtagsabgeordneten Horst Hein vor Jahren einmal tituliert. In der Tat - der 37jährige Mann aus Höxter ist sein eigener Kontrast und - sieht man es vordergründig: ein Widerspruch in sich. Nehme man die Tätigkeit im Parlament ernst, dann sei es ein "Fulltime-Job". Nur " verklärt" denke er an die 40-Stunden-Woche seiner Beamtenzeit zurück. Gleichwohl ist er einer der neun Opponenten in seiner Fraktion, die gegen die Diäten-Neuregelung gestimmt hatten. Der Betrag sei zu hoch.

    Schon 1966 wollte er in die SPD eintreten. Doch der damals 26jährige, der nach dem Besuch eines schöngeistig-humanistischen Gymnasiums nüchterner Steuerbeamter geworden war, hatte das Bündnis der Sozialdemokraten mit der CDU/CSU in der großen Koalition "so verärgert, daß ich es ließ". Um so steiler war seine parteiinterne Karriere, nachdem er den Eintritt 1969 nachgeholt hatte: 1970 Wahl in den Vorstand des SPD-Unterbezirks Höxter-Warburg, ein Jahr später Unterbezirksvorsitzender, wieder nur 12 Monate darauf Einzug in den Vorstand des SPD-Bezirks Ostwestfalen-Lippe, für einige Jahre Mitgliedschaft im Landesvorstand der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), die Horst Hein aufgab, als er 1975 Landtagsabgeordneter wurde. Abgeben wird er möglicherweise auch demnächst den stellvertretenden Vorsitz der SPD-Fraktion im Rat seiner Heimatstadt. Der Landtag fordere den ganzen Mann.

    Hatte ihn, der sich auch heute noch zu den Linken in seiner Partei zählt, die große Koalition seinerzeit regelrecht abgestoßen, so beurteilt Horst Hein es "heute ganz anders". Wieder so ein Kontrast: Der Linke denkt ernsthaft über Möglichkeiten eines späteren Bündnisses auch mit der CDU nach. Der Satz stammt nicht von ihm, aber er stimmt ihm zu: "Es gibt zwei große Parteien und eine wichtige", die F.D.P. Fast möchte man an den berühmten Schwanz denken, der mit dem Hund wedelt, hört man den SPD-Abgeordneten über das Verhältnis mit dem kleineren Koalitionspartner sagen: "Ich habe den Eindruck, daß wir manchmal etwas unterrepräsentiert sind." Die SPD müsse doch etwas stärker ihre Vorstellungen durchbringen. Es sei nachgerade "unerträglich", daß die Sozialdemokraten "im Grunde überhaupt keinen Koalitions-Spielraum" hätten.
    Horst Hein will seine Partei nicht in der Rolle des angstvollen Betrachters sehen, der schüchtern abwartet, wie lange der Partner bei der Stange bleibt. Die "Absetzbewegungen" der Liberalen seien "auf einigen Feldern so stark", daß es ein Gebot der Selbsterhaltung, aber auch der Selbstachtung sei, "daß die Sozialdemokraten von sich aus wieder mehr Koalitionsfreiheit erhalten". Da müsse was "aufgebrochen werden".
    Der bis 1980 geschlossene Koalitionsvertrag mit der F.D.P. sei unbedingt einzuhalten. Für spätere Zeiten hält Horst Hein aber auf Länderebene eine große Koalition "ebenso für möglich, wie ein Bündnis mit der F.D.P.". In seinen Augen sind eben nicht nur die Liberalen "im höheren Sinne offen".

    Bewegen will der jugendhaft zurückhaltend wirkende Parlamentarier aber nicht nur "große" Koalitions-, sondern auch die nüchterne Alltags-Politik. Sein "großes Glück" sei es gewesen, daß er mit Einzug ins Parlament gleich in den Haushalts- und Finanz- sowie den Innenausschuß geschickt worden sei. In beiden Gremien hätten sich sehr schnell Verbindungen zu seinem Beruf als Steuerbeamter und seinen Interessen - er war sieben Jahre Personalratsvorsitzender und aktiver Gewerkschafter - ergeben. Ernst ist es ihm um die Entkrampfung des Verhältnisses von Bürger und Verwaltung. Er wolle die "Bürokratie entbürokratisieren". Kürzlich zum Vize des SPD-Arbeitskreises für öffentliche Verwaltung gewählt, gab Hein den Haushalts- und Finanzausschuß wieder auf, denn dieses Gremium tagt zu oft gleichzeitig mit dem Innenausschuß. Jetzt geht er in den Landwirtschaftsausschuß, weil er vorhat, "da noch einiges" für seinen ländlich strukturierten Heimatkreis zu tun. Zusätzlicher Ansporn: Vor ihm war der Kreis Höxter noch nie durch einen SPD-Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag vertreten.

    Mag sein, daß Horst Hein die SPD-Diaspora Höxter, in der es seine Partei trotz beachtlicher Zugewinne bei der letzten Wahl noch immer nicht auf 29 Prozent brachte, bereits in der nächsten Legislaturperiode im Bundestag vertritt. 1972 hatte er schon einmal für das Bonner Parlament kandidiert. Und hätte er auf der SPD-Liste nur wenige Plätze höher rangiert, wäre er längst Bundestagsabgeordneter. Befragt, ob er nicht 1980 ins Bundeshaus umsteigen wolle, meint Horst Hein, er "hätte Interesse". Vorerst aber ist er noch mit Leib und Seele Landtagsabgeordneter, fest davon überzeugt, daß auch der einzelne etwas ausrichten kann. Nur sollte man statt ärgerniserregender Diätenerhöhungen "lieber etwas drauflegen, um im Landtag die miserablen Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern".
    Christoph Lütgert

    ID: LI781324

  • Porträt der Woche: Theo Heimes (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 11 - 28.04.1978

    Ein Unternehmer in der SPD, Landtagsabgeordneter gar - das gilt weithin noch als verwegene Vorstellung. Theo Heimes (54) aus Lennestadt hat sie verwirklicht. Im zweiten Anlauf (nach 1966), diesmal über einen günstigeren Platz auf der Reserveliste; denn der Wahlkreis 130 Olpe ist fest in der Hand der CDU. Immerhin hat Heimes 1975 "ein Prozent zugelegt" in jenem Teil des Sauerlandes, der für die SPD einer Diaspora gleichkommt. (SPD: 28,2 Prozent, CDU: 68,5 Prozent.) Das alles focht Heimes nie an; mit der ihm eigenen Zähigkeit ist er seinen Weg gegangen, bis hinauf in den SPD-Parteirat, dem er seit 1976 auf Vorschlag des Bezirkes Westliches Westfalen angehört.

    1949 begann die politische Laufbahn des gelernten Maurers. In jenen Nachkriegsjahren, als der Mörtel noch auf der Schulter zur Baustelle getragen wurde, begab er sich nach knochenharter Tagesarbeit als Zuhörer in die Ratssitzungen im heimischen Saalhausen. "Anschließend wurde diskutiert und kritisiert." 1952 Eintritt in die SPD. Bei den Kommunalwahlen im selben Jahr hieß es dann: " Theo, du hast immer soviel gemeckert; jetzt zeig mal, was du kannst!" Die Folgen: Mitglied des Gemeinderats Saalhausen (bis 1969), 1956/60 und 1964/66 stellvertretender Bürgermeister, seit 1960 Mitglied des Kreistags Olpe, seit 1972 dort Fraktionsvorsitzender. Nach der kommunalen Neugliederung Mitglied des Stadtrates und erster stellvertretender Bürgermeister von Lennestadt, jetzt zweiter stellvertretender Landrat im Kreis Olpe und seit 1975 Mitglied des Bezirksplanungsrats beim Regierungspräsidenten zu Arnsberg.

    Im vergangenen Jahr legte Heimes sein Ratsmandat nieder; denn aus dem Bauführer und Polier der fünfziger Jahre war nicht nur ein Maurermeister geworden, sondern 1961 auch ein selbständiger Bauunternehmer. Da es nun nicht mehr Aufträge regnet wie in den Boom-Jahren, möchte Heimes sich "auch mal an Ausschreibungen beteiligen. Ein Amt im Rat und Aufträge für die eigene Firma - das muß man auseinanderhalten." Einen Betriebsrat im 60 bis 70 Mitarbeiter zählenden Unternehmen hatte er "lange bevor das gesetzlich vorgeschrieben wurde. Das ist sinnvoll; wir kommen gut miteinander aus." Das Mandat in Düsseldorf "macht trotz vieler Arbeit Freude, zumal man schon mal helfen kann..." Dies ist vorrangig auf seine Tätigkeit im Petitions-Ausschuß gemünzt, wo der gestandene Kommunalpolitiker und Bauexperte inzwischen fast 200 Eingaben "vor Ort" erledigen half. Da ist sein Herz für den kleinen Mann, den der Schuh drückt, ebenso angesprochen wie sein Sachverstand - jede dritte Petition betrifft das Bauen im weitesten Sinne, zumal die Bürger recht umweltbewußt geworden sind.

    Hobbys? Keine. Frau, vier Töchter (beide Söhne sind verstorben) und sieben Enkel füllen die freie Zeit gut aus. Und die Arbeit für den Fremdenverkehr. Hier ist Heimes, dessen Vorfahren seit fast 500 Jahren "in dieser Kante" ansässig waren, als Vorstandsmitglied des Kreisverkehrsverbandes Südsauerland besonders aktiv - "Fremdenverkehr ist für diesen Raum eine Lebensnotwendigkeit". Dazu gehören Anlagen und Einrichtungen, für die er sich unermüdlich einsetzt. Eines seiner Erfolgserlebnisse: Saalhausen wurde im Dezember 1973 erster anerkannter Luftkurort im Kreis Olpe.

    Theo Heimes lebt vor, was er denkt: "Das Handwerk, der Mittelstand muß weit mehr in den politischen Gremien vertreten sein und nicht nur klagen, daß es nicht so ist, wie man es möchte." Sein Mandat bringt "keine finanziellen Vorteile. Als Selbständiger muß man für seinen Betrieb einen Chef-Ersatz anheuern und - so man ihn findet sehr gut bezahlen." Wohl einer der Gründe, warum Selbständige in den Parlamenten so spärlich vertreten sind.
    Hans Krieger

    ID: LI781124

  • Porträt der Woche: Johannes Gorlas (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 9 - 17.04.1978

    Gockelgehabe und selbstdarstellerische Schaustückchen sind seine Sache nicht. Und sowenig, wie er andere blenden will, möchte er sich selbst etwas vormachen lassen. Nachfragen, dahinterschauen und dann das für sich als richtig Erkannte auch konsequent vertreten: dafür hat Johannes Gorlas schon früh Unbequemlichkeiten in Kauf genommen, und daraus zieht er auch seine Art von Selbstbewußtsein.

    Weil ihm zu Beginn der fünfziger Jahre das "Nie-wieder-Waffen"-Versprechen auch von der katholischen Kirche allzu plötzlich wieder vergessen wurde, geriet der Sohn eines Gelsenkirchener Bergmanns in einen prägenden Konflikt mit der Amtskirche. Als er dann, im Gefolge "sehr intensiver Beschäftigung mit dem Problem Krieg/Frieden/Wiederbewaffnung", einen Arbeitskreis "Katholische Jugend gegen Wiederaufrüstung" gründete, wurde er aus der Katholischen Jugend ausgeschlossen.

    Da sein religiöses Engagement durch die Situation seiner Familie stark sozial gefärbt war, wurde Gorlas schon 1952 Gewerkschaftsmitglied. Und da der Dissens mit der Kirche von der Sache her auch einen Graben zur CDU gezogen hatte, kam Gorlas über Kontakte zur Gesamtdeutschen Volkspartei Gustav Heinemanns 1957 zur SPD. Hier machte er keine Partei-Karriere, sondern engagierte sich inhaltlich: Er organisierte bald verantwortlich die Bildungsarbeit der Partei am Ort und ist immer noch Vorsitzer der "Sozialistischen Bildungsgemeinschaft e. V.", Essen. Ziel solcher Bildungsarbeit ist "die Vermittlung politischer Wertvorstellungen, weil Politik sich sonst rasch in Postengerangel und kurzatmigem Pragmatismus erschöpft".

    Beruflich hatte sich der gelernte Chemie-Ingenieur bei der Emschergenossenschaft "mit dem Letzten befaßt, was die Menschen hinterlassen"; folglich schickte seine Fraktion den Abwasserfachmann in den Ausschuß für Ernährung, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft; hier hat er es weiterhin vordringlich mit Umweltschutzproblemen zu tun, konnte aber auch eine Menge anderes hinzulernen: "Was die konkreten Lebensumstände der Menschen auf dem Lande angeht, so sind dies ja für einen Großstädter Bücher mit sieben Siegeln." Gorlas sieht darin auch einen Vorteil: Unbelastet von Vorwissen stoße er auf Probleme und könne folglich auch unbefangener über Lösungen diskutieren.

    Sein zweiter Arbeitsschwerpunkt im Landtag ist der Innenausschuß, in den Gorlas Erfahrungen als Personalrat einbringen konnte. Doch hat er sich darauf nicht allein verlassen, sondern auch neue Erfahrungen zu machen versucht. So fuhr er vier- oder fünfmal eine volle Acht-Stunden-Schicht im Polizeistreifenwagen mit, um Arbeitsbedingungen und -belastungen der kleinen Polizeibeamten genauer kennenzulernen.

    Radikal-Demokrat geblieben, mißfällt ihm der Extremisten-Erlaß und seine Anwendung; Gorlas hält die bestehenden Gesetze für ausreichend bei konsequenter Anwendung und sieht seine Befürchtungen bestätigt, daß die Handhabung des Extremisten-Erlasses durch die Bürokratie nur restriktiv ausfallen könne. Eine Erziehung selbstbewußter und verantwortlicher Demokraten sei damit nicht möglich.

    Ins Parlament kam der - mehr zufällig als Kompromißkandidat für seinen Wahlkreis nominierte - Essener mit einer schlechteren Meinung von der Landtagsarbeit, als er sie jetzt hat: "Wenn man wirklich etwas tut, ist der Spielraum größer, als ich dachte." Aber auch das Maß der nötigen Arbeit sei größer, als er erwartet habe.

    Zum Benutzen seines Campingwagens oder zum Lesen von Literatur kommt er folglich kaum mehr. Immerhin hatte auch die Landtagsarbeit eine Art Weiterbildungseffekt für ihn: "Ich habe gedacht, die großen Leute in den Parlamenten, das sind alles große Könner. Heute sehe ich das nüchterner."
    Hartwig Suhrbier

    ID: LI78092F

  • Porträt der Woche: Bernd Feldhaus (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 7 - 06.03.1978

    Der Abgeordnete Bernd Feldhaus, 47 Jahre alt, trat in seinem 33. Jahr der SPD bei. Für ihn hieß und heißt das: Man kann Christ und Sozialist zugleich sein. Feldhaus stammt aus einer tief katholischen und ursprünglich zentrumsnahen Familie. Sein Weg zur SPD ist denn auch mehr grundsätzlicher Art, als es der Wechsel vom Zentrum zur CDU, den viele Zentrumspolitiker getan haben, hätte nahelegen können.
    Der sozialkatholische Aspekt christlich-sozialer Nachkriegspolitik, festgeschrieben im Ahlener Programm, beeinflußte Feldhaus nur so lange, wie Ahlen, Reflex düsterer deutscher Vergangenheit, als Absage an den Kapitalismus verstanden werden konnte. Die Ordnungspolitiker, deren Verfassungsinterpretation die Marktwirtschaft zum eigentlichen Grundgesetzprinzip erhoben, unterHefen in Feldhaus' Augen den positiven linkskatholischen Ansatz. Feldhaus, frustriert, trat der SPD bei (1964) und ward das "rote Schaf" seiner Sippe.
    Im westfälisch-katholischen Münsterland sind solche Schritte noch immer Bekenntnis. So mußte Feldhaus wegen seines parteipolitischen Engagements erfahren, daß er als Vorsitzender eines Vereins der katholischen Deutschen Jugend-Kraft (DJK) in seinem Heimatort Greven nicht mehr tragbar sei: Der Pfarrer riet ihm zum Amtsverzicht. Inzwischen ist Feldhaus dennoch wieder Vorsitzender eines katholischen Sportklubs in Münster-Kinderhaus. Selbst Familienbande wurden auf eine Zerreißprobe gestellt. Eine Anekdote belegt das: Die Geschwister des heutigen Landtagsabgeordneten (seit 1975) berichteten der Mutter im Wahlkampfjahr 1965 vom parteipolitischen Engagement ihres Sohnes: "Muer, use Beand is inne SPD. Da hat Krach mitten Bischof." Die Mutter: "Nä, dat duet use Beand nich." Die Zwistigkeiten mit Münsters Bischof Heinrich Tenhumberg wären natürlich wenig schlagzeilenträchtig, wäre Feldhaus nicht dessen Vetter - des Oberhirten, der noch vor einigen Jahren SPD-nah schien, "rotes Schaf". Beide treffen sich einmal im Jahr zum Kaffee. Der Kontakt ist freilich gestört, seit Feldhaus nicht mehr dem Diözesanrat des Bistums Münster angehört. Vetter Heinrich berief Vetter Bernd nicht mehr.
    Gleichwohl ist Feldhaus, der ein paar Jahre Vorsitzender der SPD/ FDP/Zentrums-Fraktionsgemeinschaft im Münsteraner Kreistag war, nicht der Alibi-Katholik der Sozialdemokraten. Der gelernte Studienrat, Vater von drei Kindern und Raucher selbstgedrehter Zigaretten, versucht vielmehr einfach Kontakt zu halten zu einem Teil der nordrhein-westfälischen Bürger, dessen Parteinahme von vornherein klar zu sein scheint.
    Der temperamentvolle Münsteraner, Mitglied im Schul- und im Jugendausschuß des Landtags, hält sehr viel vom "Profitum" des Abgeordneten. Landtagsparlamentarier könne man nicht mehr nebenberuflich sein, meint er. Feldhaus ist Studiendirektor für die Fächer Deutsch, Erdkunde und Sport. Diesen Beruf wird er so lange nicht ausüben, wie er MdL ist. Dabei drängt es ihn, die "Identität von Sagen und Tun" herzustellen. In einer Zeit der Staatsverdrossenheit gelte es, "vorzuleben". Ob man den Grund dafür Ideologie, Weltanschauung, Glauben oder - alles in einem Atemzug nennt, das ist für Feldhaus ziemlich unwichtig. Aber Hintergrund muß es haben. Bernd Kleffner

    ID: LI780727

  • Porträt der Woche: Ingeborg Friebe (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 5 - 17.02.1978

    "Hausfrau" steht im Landtagshandbuch neben dem Foto von Ingeborg Friebe. Fast schon kokettes Understatement. Denn treffendere Berufsbezeichnung für die 46jährige SPD-Abgeordnete wäre "politische Frau". Karriere hat sie in der Politik gemacht, aufgebaut auf Engagement und nicht auf Geschlechterproporz mit penetranter Selbstbemitleidung und Klage über vermeintliche oder echte Benachteiligung der Weiblichkeit in Beruf und Gesellschaft. So steht Frau Friebe ganz selbstverständlich ihren Mann und freut sich ihrer politischen Erfolge genauso wie darüber, daß sie als Mutter nach wie vor ein "ausgesprochen gutes Verhältnis"zu ihren beiden erwachsenen Söhnen hat. Bei ihr ist die Emanzipation zu echt, als daß sie darüber noch groß redete.

    Sie stammt aus einer "sehr politischen Familie". Der Vater wurde von der Gestapo abgeholt, die Mutter auch immer wieder. 1945 hatte das 14jährige Mädchen "unheimlich viele Fragen", die eine "verbitterte Mutter" aber nicht beantworten wollte. Erste Antworten suchte und fand Ingeborg Friebe beim "Braunschweiger Jugendbund", der 1947 in der "Sozialistischen Jugend - Die Falken" aufging.
    Nach der Volksschule wurde sie Fabrikarbeiterin und erlebte, "wie wir Steine kloppen müßten, damit der Arbeitgeber sein Haus bauen konnte". Für sie zwangsläufige Konsequenz: Eintritt in die Gewerkschaft, in der sie von 1947 bis zur Geburt ihres ersten Sohnes 1953 hauptberuflich tätig war, zum Schluß in der DGB-Rechtsschutzabteilung. Aber auch danach machte die Sozialdemokratin, seit 1950 in der Partei, ehrenamtlich bei der Gewerkschaft weiter mit.
    Als sie einer beruflichen Versetzung ihres Mannes wegen 1966 ins rheinische Monheim zog, wollte sie "was Neues machen". Mit der Frauenarbeit " war das nun erst mal genug". Planmäßig wie zielstrebig stürzte sie sich auf die Kommunalpolitik. Von nun an ging's weiter bergauf und nicht einmal zehn Jahre später war Frau Friebe Frau Bürgermeister ihrer neuen Heimatstadt. Im damaligen SPD-Unterbezirk Rhein-Wupper schloß sie sich dem kommunalpolitischen Arbeitskreis an, wurde 1970 erste und bis heute einzige Unterbezirksvorsitzende in der nordrhein-westfalischen SPD, wurde in Stadtrat und Kreistag gewählt und kandidierte 1975 für den Düsseldorfer Landtag.
    Im Landtag arbeitet sie im Sozial- und Justizausschuß, nachdem sie zunächst auch im Petitionsausschuß aktiv war. Ihre große Stunde war die Schlacht um oder richtiger für Monheim, dessen 1974 beschlossene Eingemeindung nach Düsseldorf von den Münsteraner Richtern Ende 1975 für verfassungswidrig erklärt worden war und das die Landesregierung daraufhin zu Langenfeld schlagen wollte. Da kannte Frau Friebe keine Parteien mehr, da kannte sie nur noch Monheim und "fing an, gegen diesen Gesetzentwurf zu kämpfen". Als sie die SPD-Fraktion gegen die SPD/F.D.P.-Landesregierung für die Selbständigkeit der 39000-Einwohner-Stadt gewonnen hatte, ging die Überzeugungsarbeit bei CDU und F.D.P. weiter. Besonders schwer war's mit der F.D.P., deren Fraktionschef Hans Koch aus Langenfeld kommt, das Monheim schlucken wollte. Bei der dramatischen Hammelsprung-Abstimmung am 19. Mai 1976, deren Ergebnis die Selbständigkeit Monheims war, postierte sich die resolute Frau Friebe an strategisch wichtiger Stelle. Sie paßte auf, daß keiner, der ihr zuvor Unterstützung zugesichert hatte, im letzten Augenblick doch noch durch die "falsche" Tür lief.
    Seitdem heißt sie in Monheim "Mutter Courage". Denn dort hatte man es nicht für möglich gehalten, "daß eine einen ganzen Landtag plus Regierung umdrehen kann". Wen wundert's, daß Ingeborg Friebe als Bürgermeisterkandidatin für die wieder freie Stadt Monheim die absolute SPD-Mehrheit von 52 auf 54 Prozent hochschraubte und in ihrem Wahlbezirk sogar auf 68 Prozent kam. Und wer will da noch behaupten, der oder die einzelne hätten im Staat keine unmittelbaren Einflußmöglichkeiten mehr?

    Christoph Lütgert

    ID: LI78052C

  • Porträt der Woche: Kurt Denkert (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 3 - 27.01.1978

    An der Laufbahn von Kurt Denkert (48), SPD-Abgeordneter aus dem Wahlkreis 112 (Dortmund IV/Lünen), ist kaum etwas Außergewöhnliches zu entdecken. Fast zwangsläufig vollzog sich die Entwicklung dieses - so möchte man meinen - " vorprogrammierten" Sozialdemokraten. Doch am Beginn stand, wie er selbst mit Schmunzeln und Stolz zugleich einräumt, so etwas wie eine Urkundenfälschung.
    Um als 16jähriger 1946 überhaupt in die SPD hineinzukommen - das Mindesteintrittsalter lag damals bei 18 Jahren -, mußte er sich älter machen, als er war. Mit Hilfe des Bruders - bereits Hauptkassierer in der Partei - gelang das Unternehmen.

    Zu den Jusos hat er nie gehört.
    "Die waren uns ,Falken' damals in Lünen viel zu rechts", sagt der Mann, der heute von sich bekennt, ein "Pragmatiker der Mitte " zu sein.
    Und die Wandlung vom Linken in der Fassung der vierziger Jahre zum Pragmatiker der Mitte von heute erklärt Denkert mit der zunehmenden Erfahrung, die bewirkt, daß beim Formulieren von Politik immer mehr der Verstand an die Stelle des Gefühls tritt.
    Das heißt aber beileibe nicht, daß Kurt Denkert sich nicht ein Herz für seine Mitmenschen bewahrt hätte.
    Ganz im Gegenteil. Das wird auch dadurch deutlich, daß er sich neben der Arbeit im Innenausschuß - ganz besonders im Petitionsausschuß des Parlaments engagiert.
    Dieser Ausschuß, der für die Nöte und Sorgen aller Bürger ein offenes Ohr hat und denen zu helfen versucht - soweit geltendes Recht es zuläßt -, die im Kampf mit Behörden und Paragraphen auf der Strecke blieben, ist einer der arbeitsintensivsten und einer der in der Öffentlichkeit am wenigsten beachteten zugleich. Für Denkert ist er quasi eine Parlamentarierschule.
    "Alle Abgeordneten sollten erst einmal ein Jahr im Petitionsausschuß arbeiten, damit sie überhaupt lernen, wie Politik und Gesetze sich unten, bei den einfachen Leuten, auswirken."

    Das Engagement für die kleinen Leute kommt bei Denkert nicht von ungefähr. Eigene Kindheitserlebnisse könnten da prägend gewirkt haben. Sein heute 88jähriger Vater, der im Sommer 70 Jahre in der SPD sein wird, wurde als Sekretär der Bergarbeitergewerkschaft im niederschlesischen Waidenburg von den Nazis inhaftiert, war dann mehrere Jahre arbeitslos, ehe er 1939 kriegsdienstverpflichtet wurde. Wie es der siebenköpfigen Familie damals in Schlesien ergangen ist, kann man sich unschwer ausmalen. "Es hatte aber für mich auch sein Gutes", sagt Kurt Denkert heute. "Mein Vater hatte viel Zeit für mich." 1946 wurde die Familie ausgewiesen und kehrte in die westfälische Heimat nach Lünen zurück.

    Der Karriere Kurt Denkerts stand danach nicht mehr viel im Wege, denn zum politischen Engagement kam die Bereitschaft zur soliden Berufsausbildung mit dem Abschluß der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Düsseldorf.
    Seine letzte berufliche Stellung, die eines Beigeordneten der Stadt Lünen, mußte er mit der Annahme der Wahl in den Landtag 1975 aufgeben. Es ist ihm leichtgefallen. "Beides kann man nicht ordentlich nebeneinander machen." Ebenso leicht war es für ihn, "seinen" Wahlkreis, den er schon 1962 und 1966 gewonnen hatte, 1970 dem damaligen Arbeitsminister Werner Figgen anzubieten, denn die Berufung zum Beigeordneten stand bevor.

    Hat ein engagierter Politiker, der auch noch am Wochenende arbeitet, weil die Erledigung der von der Ehefrau vorsortierten Post allein einen ganzen Tag erfordert, noch Zeit für ein Hobby? "Sportkegeln", bekennt der Mann, der bis zum 35. Lebensjahr Handball gespielt hat.
    "200 Kugeln zählen für das Sportabzeichen soviel wie ein 5000-Meter-Lauf." Einmal in der Woche wird trainiert, meist sonntags geht es zum Wettkampf. Die Familie - zwei Söhne (11 und 15) und eine verheiratete Tochter von 23 - hat den Vater bei so prall gefülltem Terminkalender vermutlich nur in den Ferien - "am liebsten am Meer oder in den Bergen " - ganz für sich.
    Karl Lohaus

    ID: LI780313

  • Porträt der Woche: Lutz Eichhorn (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 1 - 16.01.1978

    Er ist, im März werden es 54 Jahre her sein, unter den damals noch dunkler qualmenden Schloten im Duisburger Industrie-Stadtteil Hochfeld geboren worden. Bis heute wohnt Lutz Eichhorn im Schatten der großen Fabriken. Sein Leben hat ihn sensibilisiert für alle Fragen des Umweltschutzes.
    Schon als Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Wanheim kämpfte er seit 1953 für strengere Vorschriften gegen Abgase und Gestank, wie er heute als Mitglied des Verkehrsausschusses im Landtag dem Lärmschutz an Straßen besondere Bedeutung beimißt.

    Lutz Eichhorn ist durch solchen Einsatz in seinem engeren Umkreis politisch aufgestiegen. Er hatte Textilkaufmann gelernt, in diesem Beruf nach dem Krieg aber wenig Chancen gesehen und "auf Schweißer umgeschult". 1950 wurde er im Eisenwerk Wanheim Betriebsratsmitglied, 1955 für diese Arbeit freigestellt und 1969 Betriebsratsvorsitzender des inzwischen zu Thyssen gehörenden Betriebes, der in seiner Glanzzeit 4400 Menschen beschäftigte, dann aber im Zeichen des strukturellen Wandels Gießerei, Brücken- und Maschinenbau verlor und bis heute auf 1600 Arbeitskräfte schrumpfte.
    "Das war eine harte Zeit", erinnert sich Lutz Eichhorn. Die Konzentration in der Industrie stellte die Betriebsräte vor große Belastungsproben. Aber auch als Kommunalpolitiker war Eichhorn in diesen schweren Jahren stark gefordert. Dem DGB gehört er seit dem 1. September 1945, der SPD seit 1951 an. "Da war ich vom Vater, einem alten Sozialdemokraten, vorbelastet", meint er.

    Im Rat der Stadt Duisburg, dem er 15 Jahre lang angehörte, befaßte sich Eichhorn vor allem mit Planungsfragen. Er saß im Hauptausschuß, im Vorstand der SPD-Fraktion und vertrat als Vorsitzender des Bezirksausschusses die Interessen des Duisburger Südens.

    Als Lutz Eichhorn 1975 in den Landtag gewählt wurde, war er wohl einer von ganz wenigen Neulingen, die auf Anhieb in ihre "Wunsch-Ausschüsse" geschickt wurden: Er gehört dem Verkehrs- und dem Sportausschuß an.
    Vor allem sei wichtig, den Verkehrsverbund an Rhein und Ruhr unter Dach und Fach zu bringen, erklärt Lutz Eichhorn in seiner bedächtigen, aber stets den Punkt treffenden Art. Die Stadtbahn und die U-Bahnen in den großen Städten müßten schnell vollendet werden, um dem Bürger eine attraktive Alternative zum Auto zu bieten. Nur so könne der innerstädtische Straßenverkehr entlastet werden. Dann sei endlich mehr Platz für Fußgängerzonen, in denen sich die Passanten ohne Gefahr bewegen könnten.
    Im Sportausschuß will Lutz Eichhorn sich dafür einsetzen, daß die Bürger nicht nur den Wettkämpfen und Spielen zusehen, sondern auch mitmachen. "Wer sich sportlich betätigen und damit etwas für seine Gesundheit tun möchte, der muß auch eine Anlage und einen Fachmann, der ihn anleitet, in seiner Nachbarschaft finden", fordert er. Auch die Schulsportanlagen sollten dem Bürger geöffnet werden. Nur so seien die Millionenbeträge für Plätze und Turnhallen sinnvoll angelegt.
    Lutz Eichhorn gehört zu denen, die eine Leidenschaft für den Sport haben, ohne selber aktiv zu sein. Er interessiert sich vor allem für Fußball und Ringen, doch nur von der Zuschauerbank aus. "Man meint immer, es fehle die Zeit", sinniert er, "aber es wäre doch gut, auf dem Sportplatz nebenan mal wieder ein paar Runden zu drehen."
    Gerd Goch

    ID: LI780109

  • Porträt der Woche: Manfred Dammeyer (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 31 - 09.12.1977

    Früher hieß er der "Rote Manni". Zuweilen für seine Partei, die SPD, aber permanent für den politischen Gegner galt er als rotes Tuch. Daran hat sich auch nichts geändert, seit Manfred Dammeyer (38) Abgeordneter des Düsseldorfer Landtags ist - mithin eine verfassungsmäßige Respektperson. Allemal heißt Dammeyer auch Herausforderung.
    Seinen Ruf verdankt der ehemals jüngste Volkshochschul-Direktor der Bundesrepublik (mit 25 in Oberhausen) zwei äußeren Umständen und seiner Konsequenz. Die Umstände: Dammeyer war der letzte von der SPD bestätigte Bundesgeschäftsführer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der nach seinem Bruch mit der Sozialdemokratie zu einer der Keimzellen der APO in den sechziger Jahren wurde; und Dammeyer war drei Jahre lang Chef der nordrhein-westfälischen Jungsozialisten. Die Konsequenz seiner Haltung, die er in seinem Politik-Bekenntnis ohne Umschweife "links" und "realistisch" nennt, wurzelt in Dammeyers Herkunft. Sein Vater war Hilfsarbeiter. Den steinigen Weg des Sohnes über die höhere Schule und Hochschule zum Diplom-Sozialwirt und schließlich in die Politik markiert sein politisches Bewußtsein.
    "Realistisch" aber meint Dammeyer, daß diese Welt zum Guten hin veränderbar sei. Überzeugung müsse gelebt, vorgelebt werden. Deshalb macht der Sozialist aus Oberhausen Politik. Und nimmt dabei in Kauf, mißverstanden und/oder verspottet zu werden. "Lieber für eine gute Sache stottern als für eine schlechte singen", sagt er.
    "Das Singen an sich will mir nicht gefallen." Der gebürtige Ostwestfale Dammeyer, der sich ganz als politisches Wesen begreift, sieht auch seine künstlerischen und ästhetischen Vorstellungen nicht abstrakt. Sein Engagement ist jederzeit und überall politischer Art - ob als Rundfunkautor über die Marx-Haushälterin Lenchen Demuth, die gutbürgerliche Kochbuchautorin Henriette Davidis oder den Westernhelden Wild Bill Hickock, ob als einer der Hauptverantwortlichen für die internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage oder gar als - unbezahlter - Star in einem Ruhrpott-Film des Cineasten Michael Lentz: Dammeyer spielt darin paradoxerweise einen pedantisch-preußischen Polizeipräsidenten.
    Dammeyers Freund- und Bekanntschaften mit Künstlern und Politikern aus Ost und West, mit Filmern, Bildhauern, Schriftstellern, Malern haben seine Sensibilität für Unrecht und Disharmonie geschärft. "Eine Minute Dunkel macht uns nicht blind", zitiert er gern ein chilenisches Gedicht. Seit Strauß kürzlich im Chile Pinochets war, ist Dammeyer erst recht stolz darauf, daß er einer der ersten bundesdeutschen Politiker war, die mit der Regierung des Sozialisten Allende Kontakt aufnahmen. Dammeyer vereinbarte einen ständigen Jugendaustausch; aber dazu ist es dann nicht mehr gekommen. Die Alltagsarbeit im nordrhein-westfälischen Parlament - vor allem im Ausschuß für Schule und Kultur - indes ist unübersehbar ein Reflex seiner realen Utopie. Gleichwohl räumt Dammeyer, der 1975 in Oberhausen mit satter Mehrheit direkt in den Landtag gewählt wurde, ein, daß Ideal und Wirklichkeit am Düsseldorfer Kaiserteich auch für einen Realisten nur schwer vereinbar seien. Er habe "ein paar Streifen abschminken müssen", sagt er.

    Bernd Kleffner

    ID: LI773117

  • Porträt der Woche: Herbert Dahlhof (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 29 - 25.11.1977

    Die große Pose liegt ihm nicht, eher die kontemplative Gebärde. Und so würde wohl niemand, der ihm im Zugabteil gegenübersitzt, Herbert Dahlhof für einen Politiker halten. Ein unbefangener Tip trifft jedoch voll ins Schwarze: Lehrer.
    Er sagt denn auch, er sei stets "mit viel Freude Schulmeister gewesen". Was nun allerdings nicht heißen soll, daß ihm die Politik keinen Spaß mache. Im Gegenteil. Seit er sich in schon reiferen Jahren entschlossen hat, auf der parlamentarischen Szene mitzuspielen, tut er das mit vollem Engagement. Denn außer dem Landtagsmandat, das er 1975 im Wahlkreis Solingen wieder für die SPD gewann, ist er auch Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Klingenstadt und vertritt seine Partei außerdem im Bezirksplanungsrat.
    In der Verknüpfung von Landes- und Kommunalpolitik sieht er das Schwergewicht seiner Arbeit. Vor allem dem Bezirksplanungsrat gibt er "als Zwischeninstanz für die Zukunft große Chancen". Im Landtag arbeitet er im Ausschuß für Landesplanung und Verwaltungsreform und im Rechnungsprüfungsausschuß.
    Dem 1925 in Friedland/Ostpreußen geborenen Bergmannssohn wurde es nicht an der Wiege gesungen, daß er einst Politik im Bergischen Land machen und zu einem Bindeglied zwischen seiner Wahlheimat und der zwar räumlich nahen, aber im gegenseitigen Verständnis oft doch so fernen Landeshauptstadt werden würde. Die erste Weiche stellte der Vater, der zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes nach Westen aufbrach und in der Zechenstadt Oberhausen Arbeit und neues Lebensumfeld fand.
    Herbert Dahlhof, der bis in sein 38. Jahr zwischen Schloten und Hochöfen blieb, ist deshalb weit mehr "Kohlenpötter" denn Ostpreuße. Was man im Gespräch auch sehr schnell feststellen kann. Als er die Volksschule hinter sich hatte, kam Hitlers Krieg, den er als Luftwaffensoldat und trotz des gefahrvollen Postens des Flugzeugführers glücklich hinter sich brachte. Danach holte er in Aufbaulehrgängen sein Abitur nach und wurde Lehrer in Oberhausen.
    Der passionierte Pädagoge stieg zum Konrektor und Rektor auf, trat 1959 in die GEW ein und wurde schon kurze Zeit später deren Stadtverbandsvorsitzender. 1960 wurde er Mitglied der SPD. Daß er relativ spät erst mit 35 Jahren den Weg in die Politik fand, obwohl schon der Vater Sozialdemokrat und Vorsitzender eines Arbeitervereins gewesen war, erklärt Herbert Dahlhof damit, "daß ich meinen beruflichen Werdegang ganz bewußt nicht an die Parteipolitik gebunden habe". Gegen Leute, die "sich ein Parteibuch besorgen, um schneller Karriere zu machen", hat er etwas.
    Mit 38 Jahren wurde Herbert Dahlhof Schulrat in Wuppertal, fand spontan Spaß am Bergischen und baute im benachbarten Solingen. Und hier wurden neben seinen pädagogischen auch seine politischen Fähigkeiten entdeckt. Nachdem er 1969 in den Stadtrat eingezogen war, übernahm er 1973 den Fraktionsvorsitz, der beim Stimmenpatt zwischen den beiden großen Parteien und einer recht starken, mit der CDU koalierenden F.D.P.-Fraktion viel Fingerspitzengefühl erfordert.
    Der Schulrat a. D. ist mit einer Medizinerin verheiratet, die "mir zuliebe aus dem Krankenhaus mit Nachtdienst auf den Posten einer Werksärztin übergewechselt ist", weil "ja nicht beide Ehepartner Jobs haben können, die eigentlich nur für Junggesellen geeignet sind". Das große Hobby Herbert Dahlhofs, der früher ein guter Leichtathlet bei Rot-Weiß Oberhausen war, ist auch heute noch der Sport. Jedoch ist solche Ambition aus Zeitmangel auf "Wandern im Urlaub und die Sportschau im Fernsehen" beschränkt.

    Karlegon Halbach

    ID: LI77292E

  • Porträt der Woche: Hans Jürgen Büssow (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 27 - 07.11.1977

    Als er 1975 in den Landtag gewählt wurde, hatte Hans Jürgen Büssow trotz seiner damals 29 Jahre bereits genug Gelegenheit gehabt, in unterschiedlichen Berufs- und Lebensbereichen Erfahrungen zu sammeln. Als gelernter Orthopädie-Mechaniker, der über den zweiten Bildungsweg sich zum graduierten Sozialarbeiter und dann zum Diplom-Pädagogen hochstudierte, hatte er den — statistisch für jeden Zweiten notwendigen — Berufswechsel schon hinter sich (von der Wehrdienstzeit einmal abgesehen).
    Die Berufsarbeit - als Referent der "Hans-Böckler-Stiftung" - möchte Büssow auch als Abgeordneter nicht missen; denn "die Zwänge der Arbeitswelt an sich selbst zu erfahren", scheint ihm gerade für Abgeordnete notwendig zu sein, die vergleichsweise abstrakte Gesetzesarbeit machen, von der Millionen Bürger konkret betroffen sind. Überdies weiß Büssow sich mit seinem Beruf unabhängiger von jenen Gruppenzwängen, die auf jeden einwirken, der eine Gruppe oder Partei vertritt.
    Aber Büssow hat auch gelernt, daß angesichts der - einen Zwölfstundentag und eine Siebentagewoche erfordernden — Arbeitsbelastung für einen Abgeordneten Mandatsausübung und Berufsarbeit zusammen "über unbegrenzte Zeit" nicht durchzuhalten wären. So hält er sich weiter die Möglichkeit offen, den "MdL", der für ihn "kein Statussymbol" ist, auch wieder abzulegen nach dem Ende dieser Legislaturperiode 1980.
    Die Schwerpunkte seiner Arbeit als Abgeordneter ergaben sich für Büssow zwanglos aus den politischen Erfahrungen, die er neben seiner beruflichen Entwicklung machte und die sein starkes Engagement zugunsten von mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft für die Masse der Arbeitnehmer ausformten. Diese "politische Sozialisation" verlief folgerichtig für einen, den seine Situation als Arbeiterkind und ein guter Geschichtsunterricht in der Schule allmählich aufgeweckt hatten:
    über die Arbeit als nicht-konfessioneller Pfadfinder im Stadtjugendring lernte er die politischen Jugendorganisationen kennen; davon sagten seinen eigenen sozialen Interessen die Jungsozialisten am meisten zu, und so trat Büssow 1964 in die SPD ein.
    Eine wesentliche Erfahrung für ihn war sein Engagement für Lehrlingsfragen in Form der Mitarbeit am Lehrlingszentrum Düsseldorf während der Jahre 1968 bis 1970; dabei arbeitete er auch auf dem Feld der Theorie eng mit der Abteilung Jugend im DGB-Bundesvorstand zusammen.
    Ausbildungs- und Schulproblemen gilt denn auch sein Hauptinteresse als Mitglied im Kulturausschuß; daneben bearbeitet er im Hauptausschuß Probleme der Medien- und Energie-Politik sowie Verfassungsfragen. Gelegenheiten, sich bei dieser Arbeit "noch ein bißchen als handelndes Subjekt zu erleben", so die Erfahrung von Büssow, sind "sehr selten". Eine solche Gelegenheit ward ihm unlängst, als der Regierungsentwurf für ein Schulmitwirkungsgesetz in 56 Punkten ergänzt wurde von den Koalitionsfraktionen und er mit speziellem Sachverstand helfen konnte.
    Dieser Vorgang war für Büssow auch deshalb erfreulich, weil er es als "das große Problem des Parlamentarismus" empfindet, daß der Abgeordnete - wie es seine Aufgabe ist - den mächtigen Regierungsapparat nur unter großen Schwierigkeiten kontrollieren kann. Um nicht völlig zum spezialisierten Abgeordneten und Politiker zu werden, legt er Fach- und Parteipapiere regelmäßig beiseite: nachts vorm Einschlafen liest er zeitgenössische Literatur - Böll, Grass oder auch den Klassiker sozial engagierter Belletristik B. Traven.

    Autor: Hartwig Suhrbier

    ID: LI772719

  • Porträt der Woche: Werner Brenne (SPD).
    Porträt
    S. 19 in Ausgabe 25 - 18.10.1977

    Den Westfalen Werner Brenne hat es "erst" mit 44 Jahren in die Landespolitik gezogen. Das hing nicht mit Brennes Qualifikation zusammen, sondern damit, daß sein Amtsvorgänger im Wahlkreis 144, Werner Hüftmeier, 14 Jahre lang den Wahlkreis Herford II im Landtag vertrat. In etwa dem gleichen Zeitraum war Brenne neben seinem Beruf als Studienrat, später Oberstudienrat und Oberstudiendirektor, auf kommunalpolitischer Ebene tätig, zuerst als Gemeinderat von Holsen und später als Stadtrat von Bünde, davon allein sieben Jahre als sozialdemokratischer Fraktionsvorsitzender. Der Pfeifen-, manchmal auch Zigarettenraucher aus der Zigarrenstadt, der mit seiner Wahl in den Landtag den Fraktionsvorsitz und das Bünder Ratsmandat aufgegeben, dafür aber den Parteivorsitz im Stadtverband übernommen hat, gehört zu denen, die wenig Aufhebens von ihrer parlamentarischen Arbeit machen. Ihm liegt weder das politische Show-Geschäft, noch möchte er zur Riege der "Dünnbrettbohrer" gezählt werden, was immer man darunter versteht. Mit Fleiß und Sachkenntnis, auch in Spezialfragen, sucht er seinen Weg und stellt sich dabei die selbstkritische Frage, ob dies nicht vielleicht doch zu naiv gedacht sei, jedenfalls im politischen Raum. In einem hatte er das Glück des Tüchtigen: er gehört zu den verhältnismäßig wenigen Parlamentariern, die in jene Parlamentsausschüsse kamen, die auch ihren speziellen Interessen entsprechen. Für Werner Brenne sind das der Kulturausschuß und neuerdings auch der Haushalts- und Finanzausschuß. Eine abgeschlossene Lehre als Export-Import-Kaufmann, acht Semester Betriebs- und Volkswirtschaftsstudium, das Diplom als Handelslehrer und langjährige pädagogische Erfahrung sind die Voraussetzung, um vor allem in der Ausschußarbeit mitreden zu können, wenn es beispielsweise um die berufliche Weiterbildung oder die Unterbringung der geburtenstarken Jahrgänge an den Schulen und auf dem Arbeitsmarkt geht.
    Brenne sieht darin die große Herausforderung der Nachkriegsjahre an die Schul-, Finanz- und Wirtschaftspolitiker. Der Pädagoge und Politiker aus dem Kohlenpott — er ist in Wanne-Eickel geboren —, dem nach einem pommerschen Zwischenspiel Ostwestfalen zur zweiten Heimat geworden ist, zählt nicht zu den Illusionisten und Phantasten, die für alles Patentlösungen anzubieten haben, auch nicht zu denjenigen, die Problemen mit der Brechstange zuleibe rücken. Wer mit ihm diskutiert, merkt bald besonnenes Abwägen des Für und Wider und Sorge um die Schwierigkeiten, die sich vor manchen Problemen, die dringend gelöst werden müßten, auftürmen. Persönlich zählt Brenne zu den Abgeordneten, die den längsten Anmarschweg haben: sechs Stunden täglich hin und zurück. Aber er macht mit seinen ostwestfälischen Kollegen, soweit sie die Bundesbahn benutzen, den enormen Standortnachteil durch Erfahrungsaustausch, "rollende" Vorbereitung und nachfolgende Manöverkritik weitgehend wett. Das aber wiederum schließt ein, daß für Familie und Freizeit nicht allzuviel Zeit übrigbleibt. Aktive sportliche Betätigung wie einst bei den Fußballklubs Ennigloh 09 und VfL Holsen oder Teilnahme an den Hochschulmeisterschaften, gehören lange der Vergangenheit an. Laufen und Tennisspielen sind das einzige, was dem Politiker und Vater von drei Töchtern davon übrigbleibt. Er spricht darüber mit einem leisen Anflug von Wehmut, vor allem was die knappe Zeit für die Familie anbetrifft, und er verhehlt auch nicht, daß der zeitweilige Abschied vom Schuldienst ein erheblicher Eingriff in sein Leben war. Sympathische Züge an einem Landespolitiker in einer Zeit, in der tatsächliche oder auch nur vermeintliche landespolitische Vollprofis die Tonart angeben.
    Karl Fischer

    ID: LI772529

  • Porträt der Woche Karlheinz Edelbrock (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 23 - 30.09.1977

    Karlheinz Edelbrock, Jahrgang 1928, liebt große Worte nicht, klopft keine Sprüche. Er ist ein schnörkelloser "Sohn des Reviers", eine in Festreden zwischen Duisburg und Unna gern gebrauchte Beschreibung nicht nur der Herkunft eines Mannes, sondern auch dessen, was ihn ausmacht. Edelbrock stammt'aus Wattenscheid. Sein Vater war Steiger; er trat in seine Fußstapfen — 1954 legte er, damals einer der jüngsten Bergingenieure, als Elektro-Steiger in Bottrop an. Drei Jahre später und ein Jahr bevor alle Welt erfahren mußte, daß die Zukunft des Ruhrbergbaus zu Ende sei, ging Edelbrock nach Gelsenkirchen, wo er seitdem lebt und seinen Landtagswahlkreis (seit 1975) hat.
    Wie fast alle Kumpel war (und ist) auch der Steiger Edelbrock Mitglied der IG Bergbau und Energie. Erst über das gewerkschaftliche Engagement, das er schon im April 1945, als die IG Bergbau noch gar nicht gegründet war, im Ruhrgebiet eingegangen war, stieß er 1965, 37 Jahre alt, zur SPD, machte dort still und beharrlich Karriere und ist gegenwärtig Ortsvereinsvorsitzender in Gelsenkirchen-Buer-Hassel sowie stellvertretender Unterbezirkschef der SPD und der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA).
    Sein erstes Mandat, ein Sitz im Rat der Stadt Gelsenkirchen, den er bei seiner Wahl in den Landtag niederlegte, verdankt Edelbrock bescheiden "zwei Zufällen". Er war 1968 in die Berufsausbildung für den Bergbaunachwuchs "eingestiegen", hatte eine "gleichmäßige Schichtzeit", abends also frei; zudem erklärte sein Vorgänger aus Altersgründen den Verzicht auf eine erneute Kandidatur.
    Erst im nachhinein erscheint als zwangsläufige Karriere, was zufällig so und nicht anders kam, meint Edelbrock. Denn einmal so weit, war auch Düsseldorf in Reichweite. Und wer in Gelsenkirchen kandidiert, ist normalerweise nicht zu schlagen, vorausgesetzt, er kandidiert für die SPD.
    Edelbrocks Landtagsfraktion betraute den Neuling gleich mit einer denkwürdigen Ausschußkombination. Und auch das ist unter der Rubrik "Zufall" zu führen. Edelbrock gehört, obwohl kein Schulmann, aber wohl wegen seiner Erfahrungen in der Berufsbildung, dem Schul- und Kultucausschuß an. Vor allem das Problem der Jugendarbeitslosigkeit macht ihm zu schaffen. Daneben arbeitet er — notabene — im Ausschuß für Grubensicherheit mit und setzt so eine Gelsenkirchener Tradition — bis 1975 war Edelbrocks Mandatsvorgänger Heinz Urban Vorsitzender dieses Gremiums — fort. Und hier läßt Edelbrock auch Routine ab. Er habe da "einen klaren Auftrag mitgenommen", sagt er. Ihm liege nämlich die "spezielle Situation Gelsenkirchens unter Berücksichtigung des Bergbaus am Herzen". Immerhin hat die Stadt an der Emscher außer Schalke 04 auch noch vier fördernde Zechen. Und da gilt es, Arbeitsplätze abzusichern.
    Aber 22 Jahre unter Tage machen dennoch nichtbetriebs- und berufsblind. Denn Edelbrock gehört auch dem Petitionsausschuß an, dessen Mitglieder oft sogar ihre Freizeit über Eingaben benachteiligter oder sich benachteiligt fühlender Bürger verbringen müssen. Edelbrock kann das bewältigen. Er braucht "als Nachtmensch wenig Schlaf. Sein Betrieb ist großzügig und läßt ihm weitgehend freie Hand und Freiheit. Und notfalls wird eben der Sonntag geopfert.
    Doch zuweilen ist auch der Abgeordnete Edelbrock frei von selbstgewählten Zwängen. Dann macht er Camping mit dem Zelt, "jedes Jahr in einem anderen Land", liest nächtelang moderne Literatur, die später im Freundeskreis diskutiert wird. Aber obwohl er die Arbeiterschriftsteller-"Gruppe 61" um Max von der Grün mitbegründen half — literarische Ambitionen hat Karlheinz Edelbrock nicht. Bernd Kleffner

    ID: LI772324

  • Porträt der Woche: Heinz Wegener (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 21 - 16.09.1977

    Heinz Wegener, 57, Lehrer außer Diensten, seit 1946 in der SPD, von 1957 bis 1965 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 1966 von der Wählermehrheit seiner lippischen Heimat in den Landtag von Nordrhein-Westfalen entsandt, entspricht so gar nicht dem landläufigen, wenn auch vielfach falschen Bild eines Politikers, der so ungefähr nach der Devise handelt: "Tu Gutes und rede darüber." Und dem man unterstellt, rhetorische Begabung und polemisches Talent in erster Linie dafür zu gebrauchen, dem politischen Gegner so richtig zu zeigen, wo der Bartel den Most holt. Und von dem man sogar argwöhnt, hinter Verhandlungsgeschick verberge sich eine noch größere Portion Schlitzohrigkeit.
    Nun, dieses in der Öffentlichkeit vielfach anzutreffende Bild vom Aus- und Ansehen eines Politikers mag auch auf viele andere Parlamentarier nicht zutreffen. Für Heinz Wegener paßt es ganz bestimmt nicht. Wegener handelt eher nach der Maxime, das Richtige zu tun und kein weiteres Wort darüber zu verlieren. Für Selbstdarstellung hat er wenig übrig, und es scheint ihm fast peinlich zu sein, einem Journalisten über sich und seine politischen Ambitionen zu berichten. Seine Sache ist die ernsthafte Arbeit, der Einsatz für seine Wähler und Mitbürger, der Kampf für seine politischen Überzeugungen und das zähe Ringen um die beste Lösung. An ihm ist viel zu entdecken, was guter preußischer Tradition von der selbstverständlichen Pflichterfüllung entspricht.
    So mag es denn auch kein Zufall sein, daß Wegener, der im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet wurde, heute im Landtag nicht etwa auf den Feldern der Politik arbeitet, für die er selbst von der Berufsausbildung her besonders sach- und fachkundig wäre, sondern sich dort engagiert, wo die von ihm vertretenen Wähler der Schuh am meisten drückt. Als Landesparlamentarier arbeitet er vorwiegend im Innenausschuß und im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Einmal um die Funktionalreform, die ja nicht zuletzt für die Bürger etwas bringen soll, mitzugestalten, und zum anderen, um Fragen der Wasserwirtschaft, des Landschaftsschutzes und der Umwelt zu lösen. Beides Dinge, auf die man im Lipper Land besonders achtet. Als Landrat von Lippe aber tut Wegener am liebsten das, was er am liebsten unerwähnt ließe: den Alten und Behinderten helfen. Lippe hat - relativ - mehr alte Bürger über 65 als jeder andere Kreis, Lippe hat aber auch fünf Altenheime in eigener Trägerschaft und organisiert kostenlose Erholungsfahrten für alte Mitbürger in den Harz. Hier geht alles schnell und lautlos. Nicht zuletzt dürfte da der direkte Draht nach Düsseldorf mitspielen.
    "Fasziniert" hat ihn, so bekennt Wegener, die These Gustav Heinemanns in dessen Einführungsrede als Bundespräsident, daß es eine der wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft sei, den Menschen die Angst vor dem Altwerden zu nehmen.
    Die Doppelbelastung durch Landtags- und Kreismandat fordert den ganzen Mann, physisch vor allem. Wegeners Arbeitstag beginnt am frühen Morgen und endet spätabends. Politische Schwierigkeiten durch das Doppelmandat sieht er nicht, eher Vorteile. Dazu fallen dann Stichworte wie "ungehemmter Informationsfluß" und "direkter Draht". Den Kontakt zum Wähler sucht der Mann, dessen Vater schon Sozialdemokrat war und nach dem "Durchbruch" Hitlers in der Lippe-Wahl am 15. Januar 1933 das "große Unglück" für Deutschland heraufkommen sah, so oft er kann, um zu informieren und um selbst zu hören. Fürs Private bleibt dem Vater zweier erwachsener Kinder nicht mehr viel. Ein wenig Gartenarbeit, Zeitgeschichtliches lesen, aber auch Lyrik — und wenn es ein kleines Reclambändchen mit Lenau-Gedichten ist.
    Karl Lohaus

    ID: LI772128

  • Porträt der Woche: Manfred Braun (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 19 - 27.06.1977

    Sein nach eigener Einschätzung bisher größter politischer Erfolg war nicht sein Einzug in den Landtag, den er 1975 mit fast 57 Prozent SPD-Wählerstimmen schaffte, sondern eine Zerstörung: Die von "Glabotki", jener 200 OOO-Einwohner-Stadt nördlich von Essen, die nur ganze 16 Monate existierte. Die Kurzlebigkeit von Groß-Bottrop, das durch das Ruhrgebietsgesetz am 1. Januar 1975 seinen fast gleichgroßen Nachbarn Gladbeck und dazu noch das kleinere Kirchhellen geschluckt hatte, ist nicht zuletzt auf den Kampf des Manfred Braun zurückzuführen.
    Er gehörte zur Speerspitze der Gladbecker, die jahrelang gegen den Großstadtplan der Neuordner opponierten und die knapp zwölf Monate nach der Fusion vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster obsiegten. "Der 6. Dezember 1975 war mein schönster Tag in der Politik", erinnert sich der heute 48jährige Sozialdemokrat an den Tag der Urteilsverkündung. Zwar verlor die Stadt ein Stück ihrer früheren Selbständigkeit und wurde in den Kreis Recklinghausen eingegliedert, aber die 82 000 Bürger, die meisten Industriearbeiter vom alten Kumpel-Schrot, behielten ihr eigenes Rathaus.
    Doch es sei nicht Lokalpatriotismus gewesen "und schon gar nicht Krähwinkelei", sagt Manfred Braun mit einem Blick zurück ohne Zorn,sondern "dieGewißheit, daß wir mit unserer Größe und Steuerkraft unsere Probleme allein besser lösen können". Die Mehrheit der Gladbecker denkt ebenso. Bei der Neuwahl des Stadtrates im letzten Oktober konnte die SPD entgegen dem allgemeinen Trend ihren Anteil noch um drei Prozent verbessern, so daß im geretteten Rathaus jetzt von 51 Stadtvätern 31 Sozialdemokraten sind. Und Manfred Braun ist, wie schon seit Beginn dieses Jahrzehnts, ihr Fraktionschef. Der "starke Mann" in Gladbeck, hier geboren und aufgewachsen und als Vermessungstechniker des RWE auch stets hier geblieben, führt auch den SPD-Ortsverein Stadtmitte und ist stellvertretender Stadtverbandsvorsitzender. Zwar ist er "unbedingt gegen Ämterhäufung, aber wenn man einmal drin ist, ergibt sich manches zwangsläufig".
    Dabei ist Manfred Braun eigentlich ein "Spätstarter". Obwohl er schon 1948 als 20jähriger der Gewerkschaft ÖTV beitrat, hatte er hier "nie eine Funktion" und übte auch auf politischem Feld bis 1966 völlige Abstinenz. Dann trat er der SPD bei, "weil man nicht immer nur kritisieren kann, sondern sich auch selbst engagieren muß, wenn man etwas verändern will". Er wollte etwas verändern, wurde 1969 direkt in den Stadtrat gewählt und gleich stellvertretender Fraktionssprecher, zwei Jahre später war er der maßgebende SPD-Mann im Gladbecker Rat.
    Der begeisterte Sportler, der früher selbst Fußball gespielt hat ("Rechtsaußen, was aber nie Rückschlüsse auf meine politische Einstellung zuließ") und Fan des FC Schalke 04 im benachbarten Gelsenkirchen, hat dafür gesorgt, daß in Gladbeck "vorbildliche Sportanlagen gebaut wurden, die landesweite Anerkennung finden", hat sich aber auch "um allgemeine Verbesserung der Infrastruktur" gekümmert. Sein zufriedenes Fazit: "Wir können uns gegenüber unseren wesentlich größeren Nachbarstädten durchaus sehen lassen."
    Mit viel Fleiß engagiert sich Manfred Braun in der Politik. Auch im Landtag gehört er als Newcomer gleich drei Ausschüssen an, dem für Landesplanung und Verwaltungsreform, dem Innen- und dem Petitionsausschuß. Er sei nach Düsseldorf gekommen, um zu arbeiten und nicht, um nur "die Diäten abzuholen", sagt er. Vom Vollzeitparlamentarier hält er dennoch nichts: "Wissen Sie, dazu ist die Wählergunst doch viel zu schwankend. Und wenn man auch nur für wenige Tage aus dem Beruf aussteigt, verliert man leicht den Kontakt zur Entwicklung."
    Karlegon Halbach

    ID: LI77191F

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Die Fraktionen im Landtag NRW