Dr. Herbert Schnoor (52), verheiratet, zwei Töchter, seit Ende Mai Innenminister im größten deutschen Bundesland, gilt als glänzender Jurist mit einem ausgeprägten politischen Fingerspitzengefühl und taktischem Geschick - eine Kombination, die man nicht allzu häufig antrifft. Daß profunde juristische und staatswissenschaftliche Kenntnisse gerade im großen Innenressort, in dem die meisten staatsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen auftauchen, von großem Nutzen sind, ist unbestritten.
Dabei ist Schnoor nur aus Zufall - durch einen glücklichen Zufall, wie er heute sagt - Jurist geworden. Denn als der 21jährige nach Kriegsgefangenschaft und Abitur Studienpläne hegte, entschied er sich für die Laufbahn des Studienrats mit dem Hauptfach Deutsch. Und auch damals - 1948 - gab es so etwas wie den Numerus clausus. Er mußte sich an der Universität Göttingen einer Aufnahmeprüfung stellen. In Germanistik bestand er sie. Aber dann prüfte der aus Königsberg gekommene Philosoph Nicolai Hartmann an Hand des Abiturzeugnisses den allgemeinen Bildungsstand. Schon war Herbert Schnoor durchgefallen. So ging er nach Würzburg und nahm dort das Jurastudium auf, das er später in Göttingen abschloß.
Zufall war es auch, daß Schnoor, der Lehrerssohn aus dem kleinen ostfriesischen Moordorf bei Aurich, 1964 in das Kultusministerium nach Düsseldorf kam. Der Mann, der schon eine Karriere bei der Bezirksregierung in Stade hinter sich hatte, war 1963 in das Bundesgesundheitsministerium nach Bonn übergewechselt. Aber im Bonner Ministerium war ihm alles viel zu praxisfern, und so packte er schon nach einem Jahr wieder die Koffer und ging nach Düsseldorf. Dort wurde Schnoor, der evangelisch ist, mit etwas konfrontiert, was in Niedersachsen niemals eine Rolle gespielt hat: Konfessionsproporz und - damals noch - Konfessionsschule. Und nicht zuletzt aus Protest dagegen trat er mit Datum vom 1. Januar 1965 in die SPD ein. Mit ihm, so erinnert sich Schnoor heute, gab es damals im Kultusministerium ganze drei Beamte, die SPD-Mitglied waren.
Eine parteipolitische Bindung war für Schnoor, der später Staatssekretär im Wissenschaftsministerium wurde und bis zu seiner Berufung zum Minister fünf Jahre lang Chef der Staatskanzlei war, bis dahin kein Thema, obwohl er immer sozialdemokratisch gewählt hatte und obwohl er aus einer keineswegs unpolitischen Familie kam. Der Großvater, ein Kirchenbeamter, hatte der Stresemann- Partei angehört und mußte in der Nazizeit, weil er Verfolgten half, mehrfach Hausdurchsuchungen erleben. Daß dabei alles relativ gut ablief, lag auch daran, daß in dem eher winzigen Ort von kleinen Nazifunktionären schon einmal ein Tip kam, wenn die Gestapo aus Wilhelmshaven anrückte.
Das Glück, das der Großvater hatte, half auch dem Enkel, als dieser im bitterkalten Winter 1947 aus französischer Kriegsgefangenschaft floh (ein erster Versuch, bei dem er sich als Pole ausgab, scheiterte). Von einer Abraumhalde in Lothringen sprang er nachts einfach davon, verbarg sich in einem Gebüsch und schlich, als die Luft rein war, über die Grenze. Im Saarland besorgte ein katholischer Priester Zivilkleidung und gab Fahrgeld. Über Mosel, Eifel und das Rheinland (den ersten Kontakt mit NRW hatte er als Kriegsgefangener im Lager Rheinberg gehabt) ging es heim nach Ostfriesland. Der Dorfbürgermeister ein alter Kommunist - rückte Lebensmittelmarken heraus, obwohl Herbert Schnoor keinen Entlassungsschein vorzeigen konnte.
Warum der Minister, der es nach Marinehelferzeit in der Infanterie bis zum Fahnenjunker gebracht hatte, diese abenteuerliche Flucht noch in so scharfer Erinnerung hat? Als er am 20. Mai ernannt war und Kurzbiographien in den Blättern standen, bekam er Post. Der Kamerad, der damals von der Abraumhalde in Lothringen ohne vorherige Verabredung mit den Worten "Ich komm' mit" Schnoor nachgesprungen und mit ihm zusammen geflohen war, schrieb, nach dem "Steckbrief" in den Zeitungen könne der Minister mit jenem Herbert Schnoor aus Moordorf identisch sein, dem er damals nachgesprungen sei. Schnoor schrieb dem " lieben Hermann", der mitgeteilt hatte, daß er CDU- Mitglied sei, einen drei Seiten langen Brief und schloß: "Ruf mich doch einfach an". Ein unterkühlter Ostfriese, wie manche meinen ? Karl Lohaus
ID: LI801621