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  • Porträt der Woche: Karlheinz Bräuer (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 17 - 13.06.1977

    Karlheinz Bräuer war das bei Sozialdemokraten nicht selten zu beobachtende Übel leid: Da wurde filibustert und diskutiert, bis auch der letzte Arbeiter die Parteiversammlung verlassen hatte, um nicht noch später ins Bett zu kommen. So setzte Bräuer in seinem SPD-Ortsverein Lohmar unweit von Köln durch, "daß Parteiversammlungen um 23 Uhr zu Ende sind, egal ob die Tagesordnung bis dahin abgewickelt wurde oder nicht". Das habe dort zu einer spürbaren Aktivierung der Arbeitnehmerschaft geführt, freut sich der Abgeordnete und Gewerkschafter.
    "In der SPD wird viel zu oft viel zu intellektuell diskutiert, theoretisiert und mit Fremdwörtern operiert, die der normale Mensch nicht mehr versteht." Auch das habe die Arbeitnehmerschaft veranlaßt, "sich etwas zurückzuziehen", schreibt Bräuer seinen Genossen ins Stammbuch. Dabei brauche die Partei "einen kräftigen Anschub aus der Arbeitnehmerschaft, um sich wieder auf ihre ureigenste Zielrichtung zu besinnen". Konsequentes Bekenntnis aus einer konsequenten Entwicklung heraus. Dabei ist es dem Kölner Bezirksleiter der IG Metall "an der Wiege nie gesungen worden, daß ich mal Gewerkschaftsfunktionär werden würde". Bräuer stammt aus einer "durch und durch bürgerlichen Kaufmannsfamilie".
    Für bürgerliche Idylle ließ die Geschichte dem gebürtigen Breslauer keine Zeit: Die jüdische Großmutter litt im KZ Theresienstadt, er selbst wurde "mit Kriegsabitur aus der Oberrealschule rausgeholt", genau an seinem 18. Geburtstag zur Wehrmacht eingezogen und an die Ostfront nach Rußland abkommandiert. In mörderischer Kälte verlor er während der sowjetischen Kriegsgefangenschaft vier Finger seiner rechten Hand. 1947 kehrte er heim und war zunächst ein Jahr arbeitslos.
    In einer nordhessischen Textilfabrik fand Bräuer dann als Pförtner Arbeit, brachte es dort bis zum Werkmeister, wurde Betriebsratsvorsitzender, "und so bin ich 1949 zur Gewerkschaft gekommen". Als DGB-Stipendiat besuchte er von 1953 bis 1955 die Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg, wo er seinen graduierten Betriebswirt machte. Nach dieser Zeit, aus der auch sein Eintritt in die SPD datiert, war er wieder einmal arbeitslos. Dem mit Gewerkschaftshilte und -geldern Qualifizierten wollte sein alter Betrieb nur eine Stelle geben, die mit aktiver Gewerkschaftstätigkeit unvereinbar gewesen wäre. Gut dotiert, aber für Bräuer moralisch nicht akzeptabel.
    Als die IG Metall in Köln einen Fachsekretär suchte, meldete er sich, wurde genommen und arbeitet nun schon 21 Jahre an derselben Stelle, seit zehn Jahren als Bezirksleiter, was ihm auch die Mitgliedschaft im DGB-Landesbezirksvorstand NW einbrachte. In der SPD konzentrierte er sich von Anfang an auf die Arbeitsgemeinschaft für Betriebsgruppen- und Gewerkschaftsarbeit, später Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), wurde bereits 1956 deren Chef im Bezirk Mittelrhein und gab diesen Posten erst mit seiner Wahl zum Landtagsabgeordneten vor zwei Jahren ab.
    Dreierlei wäre zuviel geworden, "das kann man nicht mit voller Konzentration machen". Schon die Doppelbelastung bedeutet für den Gewerkschaftsboß und Parlamentarier: "Ich haue morgens um sechs Uhr ab und bin abends in der Regel gegen zehn, halb elf wieder zu Hause." Oft werde es auch später.
    Der Versuch, den Prototyp des sozialdemokratischen Gewerkschafters und gewerkschaftlichen Sozialdemokraten mit Biedenkopf-Positionen zu provozieren, schlägt fehl. Daß der neue westfälische CDU-Chef die Filzokratie-Kampagne weiterführen will, entlockt Bräuer nur: "Soll er doch."
    Christoph Lütgert

    ID: LI771728

  • Porträt der Woche: Friedrich Karl Schulte (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 15 - 27.05.1977

    Friedrich Karl Schulte — deftiger, gravitätischer kaum kann ein Name daherkommen. Es ist ganz und gar ein Name vom spröden Adel, wie ihn besonders ausgeprägt die Bergleute im "Gulaschtopf der Nationen", wie Ministerpräsident Kühn den Schmelztiegel Ruhrgebiet nennt, hervorgebracht haben. Der SPD-Abgeordnete Schulte (47) aus Bergkamen folgte freilich nicht väterlichem Vorbild. Er wurde nicht Kumpel auf "Monopol", sondern nach Schreinerlehre, Gesellenprüfung und Staatsbauschule Architekt.
    Und doch oder gerade drum: Der "Handwerker" Schulte fühlt sich im Bergbau "fest verwurzelt", kann und will "da nicht raus". Sein Prinzip, ein durchaus konservativer Grundzug, heißt Seßhaftigkeit. Deshalb auch Schuttes fast schon "unbedachter" Zorn über jene drei Männer, die in Berg kamen den Umweltschacher des Jahrhunderts — Gesinnung gegen Geld - inszenierten. Deshalb aber auch sein Ärger über einzelne Genossen vor Ort, die beim anrüchigen "Millionending" munter mitmischten — nach Schuttes Ansicht in einer moralisch nicht zu rechtfertigenden Weise. Aber mit der SPD in seinem Wahlkreis lebt er schon seit langem auf einer Art freundschaftlichem Kriegsfuß.
    Nonkonformistische Ausflüge ins politische Niemandsland traut man dem seit knapp sieben Jahren dem Landtag angehörenden Westfalen durchaus zu, erwartet sie vielleicht sogar von ihm. Schulte gehört zu einer SPD-Minderheit, den Selbständigen. In Düsseldorf zählt seine Fraktion derer drei - mitunter gesuchte Raritäten.
    Den Architekten Schulte konnte seine Fraktion beispielsweise gut "gebrauchen", als sich Landtagspräsident Lenz nach vielen Mühen mit dem Versuch durchgesetzt hatte, das altehrwürdige Domizil des Parlaments modernen Anforderungen anzupassen. Schulte nahm Platz in der Baukommission und gilt seitdem als "Mister Plenarsaal", den individualpolitischen Mahnfinger stets in der Luft: "Wenn es nur ein Prestigebau wird, dann müssen wir es lassen." Politisch weit wichtiger aber wird Schuhes Rolle im Untersuchungsausschuß über die Praktiken der Hochschulbau- und Finanzierungsgesellschaft vor allem beim skandalumwitterten Aachener Großklinikum sein. Der Architekt gehört für die SPD diesem ins schier undurchdringlich erscheinende Gestrüpp bürokratischer und kommerzieller Verstrickungen entsandten Suchtrupp an. Und tiefe Skepsis befällt Schulte, der von Skrupeln nicht frei ist und Selbstdarstellungen fast prüde scheut, wenn er an das Ende der Untersuchung irgendwann im Wahljahr 1980 denkt: "Ich möchte gerne Realist sein", ahnt Schulte parteipolitische Finessen in einer dafür wenig geeignet erscheinenden Angelegenheit.
    Gleichwohl und wie alle, die ihre berufliche Existenz durch politisches Engagement aufs Spiel setzen, betreibt Schulte seine Sache aus Liebhaberei, natürlich. Politik, verrät Vater Schulte (zwei Kinder — Tochter und Sohn), könne man nur machen, "wenn es Spaß macht". So wird diese vielgerühmte hohe Kunst des Möglichen praktisch entideologisiert, nicht anders.
    Schultes Mut, wenn es denn einer sein soll, kommt ganz unambitiös daher, wohl aber engagiert. Auch beruflich. Seine Mitarbeiter hat er an dem gemeinsam aufgebauten Architekturbüro beteiligt, sehr zum Ärger manches seiner Standeskollegen. Da ist dann nicht purer Neid, sondern endlich doch noch Ideologie im Spiel.
    Bernd Kleffner

    ID: LI771526

  • Porträt der Woche: Helmut Weikart (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 13 - 06.05.1977

    Wer Helmut Weikart nach Studium seines Lebenslaufes als Norddeutschen anspricht, hört energischen Protest: "Ich bin nur zufällig in Bremen geboren." 1917, als es im Ruhrgebiet nur wenig zu essen gab, hatte der Vater die Mutter zu Verwandten nach Bremen geschickt, die "Beziehungen" hatten. Das Kind, das unterwegs war, solle "ein ordentlicher Junge werden". Nun, es wurde ein kräftiger Junge, der später Schwerathletik betrieb und in Sportvereinen Erfolge hatte.
    Helmut Weikart ist stolz darauf, "ein echtes Dortmunder Kind" zu sein. Die Familie ist seit Generationen im Süden der Stadt zu Hause. Schon der Großvater arbeitete als Blasemeister im Thomaswerk von Phoenix, der Vater war Vorarbeiter im gleichen Betrieb und auch Helmut Weikart ist als Bauführer in diesem Unternehmen, den heutigen Hoesch-Hüttenwerken, beschäftigt.
    Aber der Weg dahin war steinig. Helmut Weikart hatte schon nach der Schulentlassung 1931 als Lehrling die Familientradition auf der Hütte fortsetzen wollen, aber wegen der Wirtschaftskrise wurde kein einziger gewerblicher Lehrling eingestellt. So begann er als Hilfsarbeiter. Diese persönliche Erfahrung hat ihn sensibilisiert für das heutige Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Er fordert von Staat und Wirtschaft, der Schaffung von Lehrstellen höchste Priorität einzuräumen.
    Nach dem Arbeitsdienst zog das Fernweh Weikart zur Kriegsmarine. Er fuhr auf einem Segelschulschiff und erhielt das Steuermannspatent für große Fahrt. Den Krieg erlebte er auf einem Kreuzer im Atlantik, ab 1944 in einem U-Boot. 1945 fing er völlig neu an. Er ging in die Maurerlehre, 1948 Geselle, 1953 Meister. Abends besuchte er die Technikerschule in Hagen, 1969/70 den Baumeisterlehrgang in Dortmund.
    Schon als 28jähriger "Stift" war Helmut Weikart 1946 Betriebsratsvorsitzender eines großen Bauunternehmens. Er verzichtete auf die Arbeitsbefreiung, um die Lehre beenden zu können. Von den Gewerkschaften führte ihn sein politischer Weg 1950 in die SPD. Im heimatlichen Dortmund-Berghofen kümmerte er sich vor allem auch in den Vereinen um die Anliegen der Mitbürger. Dem Rat der Stadt gehörte er von 1964 bis 1970 an. Seither ist er Landtagsabgeordneter.
    Im Wirtschaftsausschuß interessiert sich Weikart besonders für Energiefragen und Umweltschutz. Der gelernte Wärme- und Feuerungstechniker ist davon überzeugt, daß es keine Eile hat, Kernkraftwerke zu bauen. Kohlekraftwerke könnten heute auch strengsten Auflagen des Umweltschutzes entsprechen, weil ihre Abgase vollständig zu entschwefeln seien.
    Helmut Weikart widerspricht energisch Behauptungen, daß durch Maßnahmen des Umweltschutzes Arbeitsplätze verlorengehen würden. Er ist vom Gegenteil überzeugt. Neue Techniken für den Schutz der Umwelt würden neue Arbeitsplätze erfordern.
    Im Sportausschuß des Landtags setzt sich der ehemalige Ringer für den Ausbau von Erholungs- und Sportstätten ein, die allen Bürgern offenstehen sollen. Um Kondition zu halten, ist er auch heute noch aktiv. Im TV 04 Berghofen spielt er ein Spiel, das einem Politiker angemessen ist: "Prellball".
    Gerd Goch

    ID: LI77131F

  • Porträt der Woche: Georg Aigner (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 11 - 22.04.1977

    "Man muß als Politiker glaubhaft sein. Das ist das Wichtigste überhaupt. Man darf keine politischen Eiertänze aufführen, sondern muß die eigene Linie sauber durchhalten." Georg Aigner,1975 in Bochum direkt gewählter SPD-Abgeordneter des Landtags, faßt seine politischen Leitsätze so zusammen.
    Daß er 1960 seine politische Heimat in der SPD fand, begründet er mit dem Programm dieser Partei und persönlichen Erlebnissen. Wie Politik "vor Ort" sich auswirkt, dafür kann auch die Familie Aigner Zeugnis ablegen. Der Vater — ein waschechter Bayer, Bergmann von Beruf und Sozialdemokrat aus Überzeugung — kam Ende der zwanziger Jahre nicht etwa deshalb an die Ruhr, weil er des weißblauen Himmels überdrüssig geworden war, sondern weil es für ihn in Bayern keine Arbeit bei der Förderung von Pechkohle mehr gab. Und auch der Sohn, am 15. Mai 1934 in Bochum geboren, mußte am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, Arbeit oder eine Lehrstelle zu finden.
    Als der Volksschüler Georg Aigner 1949 eine Lehrstelle suchte, war es "viel schlimmer als heute". Notgedrungen wurde er Kürschner. Als Geselle verdiente er zunächst 99 Pfennig in der Stunde, später bis zu zwei Mark. Dafür fand er im Sommer manchmal nur für 20 Wochenstunden Arbeit, saß allerdings im Winter — der Saison dieses Handwerks — oft bis Mitternacht am Arbeitsplatz. Also sattelte er bei Gelegenheit um und wurde Bergmann. Von ganz unten arbeitete sich der inzwischen verheiratete Kumpel hoch, besuchte neben der Knochenarbeit unter Tage die Schule und baute 1963 sein Examen als Steiger. Doch zu dieser Zeit gab es in Bochum keinen Pütt mehr, wohl aber eine Kohlenkrise an der Ruhr. So suchte der graduierte Ingenieur — wie 80 Prozent seines Examenjahrgangs — eine Stelle außerhalb des Bergbaus und fand sie als Straßenbau-Ingenieur. Als Prüfingenieur kam er nach Bochum zurück, wo er seit 1957 im Bergarbeiter-Reihenhaus wohnt.

    Diese persönlichen Erfahrungen faßt Aigner knapp zusammen:
    Betteln nach Bildung ist für ihn schlimm. Ein Segen ist es hingegen, wenn man in jungen Jahren lernen kann. Sozialpläne im Bergbau, die es damals nicht gab, genügen ihm nicht. Man muß neue Arbeit zu den Menschen bringen, und nicht die Menschen an die neuen Arbeitsplätze karren wollen.
    Aigner ist Realist genug, um zu wissen, daß man als Landtagsabgeordneter auf diesen Gebieten nur begrenzt direkte Wirkung erzielen kann. Das hindert ihn jedoch nicht, ständig dafür einzutreten.
    Freilich liegen seine Aufgabenfelder in der Landespolitik woanders: Verkehr und Grubensicherheit. Und hier knobelt der Ingenieur und Politiker an einem Plan, der die Verkehrsunfallzahlen senken könnte, so hofft er jedenfalls. Ausgehend von der Tatsache, daß Anzahl und Schwere der Grubenunfälle nach systematischer Ursachenforschung und nachfolgender Ursachenbeseitigung drastisch gesunken sind, will er das Verkehrsunfallgeschehen systematischer als bisher analysieren lassen und scheut sich auch nicht, die direkte Einwirkung des Parlamentsausschusses auf die Exekutive — wie sie der Grubensicherheits-Ausschuß gewissermaßen hat — zur Diskussion zu stellen.
    Der Mann, der sich außerhalb der Urlaubszeit keine Hobbys gönnt, ist auch zu Hause diskussionsfreudig. "Schon beim Frühstück fängt es an. Über Politik natürlich." Und nur selten, so räumt er ein, sind die 17 und 19 Jahre alten Söhne einer Meinung mit dem Vater. Die Ehefrau, die ihm die Korrespondenz erledigt, ist es schon eher. Wie politisch diese "Bayern aus dem Kohlenpott" sind, zeigt auch, daß sich der Jüngste zum 16. Geburtstag die Aufnahme in die SPD wünschte.
    Karl Lohaus

    ID: LI771126

  • Porträt der Woche: Günther Einert (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 8 - 14.03.1977

    Bis Günther Einert im Westfälischen seßhaft wurde, "hat es lange gedauert". Kein Wunder, stehen sich doch Schlesier, deren einer Einert ist, und Westfalen nicht in der Ansicht nach, daß man Wurzeln nur einmal schlage und deshalb der Pflanzplatz sorgfältig gewählt sein müsse. Klischee hin, Klischee her: Einert, Jahrgang 1930, setzte sich im sauerländischen Iserlohn fest. Heute verraten nur noch Sprachrhythmus und ein typisches Roll-R, daß er eine im Strom der Kriegs- und Nachkriegszeit umgepflanzte Eiche ist — inzwischen eine westfälische ohne Zweifel. Holz — um beim Bild zu bleiben - ist freilich nicht seine Sache. Eher Metall, das Einert als Schlosser zu bearbeiten lernte. Das führte ihn prompt in die Gewerkschaftsbewegung. Und folgerichtig ergab sich daraus schließlich ein Engagement in Sachen Arbeitnehmerfragen, das Einert zum Iserlohner DGB-Geschäftsführer machte.
    Der Gewerkschafter Einert hat diese Karriere so gewollt, wie er sie bisher durchlaufen hat — in einer spröden Weise, die Pflichterfüllung mit unterkühlter Beiläufigkeit tarnt - Ehrgeiz mit stillem Selbstbewußtsein. Aber weltläufig sind die umgepflanzten schlesisch-westfälischen Eichen auch. In den USA war Einert, hat dort ein Jahr studiert, bevor er hierzulande zum Volkswirt graduierte. Und zu kommunalen Ehren auf westfälischer Erde kommen Sozialdemokraten wie Einert allemal: Von 1964 bis 1974 war er Oberbürgermeister von Iserlohn, bevor die kommunale Neuordnung die Wahlwürfel anders fallen ließ.
    Dem Landtag gehört der nüchterne Iserlohner seit mehr als zehn, der SPD seit 26 Jahren an. Die Partei, die für den engagierten Sozial- und Kommunalpolitiker zunächst ein Vehikel zur Durchsetzung von Arbeiterforderungen war, mochte ihrerseits auch nicht auf die stille, unverdrossene Hartnäckigkeit verzichten, die Einert auszeichnet.
    Der Politiker, der zu seinen Steckenpferden "Juristerei" — ein paar Jahre war er auch DGB-Rechtsschutzsekretär — zählt, ist, wie man so sagt, ein "strammer Sozialdemokrat". Er nimmt nicht übel, daß ihn sein eigener Unterbezirk vom Amt des Arnsberger Regierungspräsidenten fernzuhalten trachtete, für das er zeitweise im Gespräch war. Disziplin gehört zu den Tugenden eines altgedienten SPD-Mitglieds.
    Seit Anfang des Jahres leitet Einert den kommunalpolitischen Ausschuß des Landtags, der in Sachen "Funktionalreform" federführend ist. Dabei geht es wie schon in der Gebietsneuordnung darum, einen möglichst breiten Konsens aller Beteiligten herzustellen. Einert: "Keine schwarzen, roten oder gelbblauen Vorzeichen." Zusammenarbeit statt Konfrontation. Was natürlich entgegen dem Spottwort "Einert von vielen" nicht bedeute, daß die politischen Unterschiede nicht doch "scharf und hart" zu diskutieren seien; Nivellierungen soll es nicht geben.
    Der Mann aus Iserlohn, Vater von drei Kindern, der sich gern in Saloppes kleidet, ist nicht von Pappe. Das "schlichte Mitglied" im Sportausschuß des Landtags liebt den Skilauf und das Kegeln sehr. Und im Sommer macht Einert sein Segelboot flott, auf dem nahen Sorpesee, in Holland oder anderswo. Und wenn Einert die Segel streicht, dann nicht aus Resignation, sondern eher deshalb, damit sie besser aussehen.

    Bernd Kleffner

    ID: LI770812

  • Porträt der Woche: Anton Riederer (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 6 - 18.02.1977

    Bescheiden ist Anton Riederer auch dann, wenn Zurückhaltung nicht geboten zu sein scheint. Wer Wahlergebnisse von über 60 Prozent für sich und seine Partei verbuchen kann, brauchte das eigentlich nicht. Aber für den gelernten Maurer mit lupenreinem Arbeiterstammbuch (SPD-Mitglied seit 1953) ist es offenbar eine der natürlichsten Sachen der Welt, 65,2 Prozent der Wählerstimmen bei der letzten Landtagswahl geholt zu haben. Sicher läßt es sich für Sozialdemokraten im Wahlkreis Duisburg-Hamborn ungleich leichter an als für die Konkurrenten von CDU oder F.D.P. Doch der Erfolg kam — auch in Zeiten, wo die SPD insgesamt Schlappen einstecken mußte — durch Kärrnerarbeit vor Ort, oft bis in die späten Nachtstunden.
    Der 47jährige kommt dann auch zwangsläufig zu dem knappen Schluß: "Hobbys hab' ich keine!" Wer sich so in den Dienst der Partei und in Riederers Fall auch der Gewerkschaft spannen läßt, müßte den trockenen, biederen und oft gescholtenen Funktionär verkörpern. "Kumpel" Anton Riederer jedoch strahlt Wärme und Herzlichkeit aus; setzt keine Maske auf und spricht frei von der Leber weg. "Spaß muß immer dabeisein, man darf sich nicht zu wichtig nehmen", sprudelt es aus ihm mit schönstem Kohlenpott-Deutsch. Der "nebenamtliche" Prokurist eines gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmens beschränkt sich bei seiner Abgeordnetentätigkeit im wesentlichen denn auch auf das, was er versteht. In den elf Jahren als Landtagsabgeordneter legte er den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Kommunalpolitik sowie den Wohnungs- und Städtebau.
    Seit Beginn der jetzigen Legislaturperiode ist noch der Umweltschutz hinzugekommen, den er durch seine Mitarbeit im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten verbessern helfen will. Beim emotionsgeladenen Thema "Umweltschutz" verfolgt Riederer eine nüchterne Linie: Ein vernünftiges Verhältnis zwischen Wohnen und Arbeiten! Diese Ansicht hindert Riederer jedoch nicht daran, bei der Errichtung belastender Industrien entschieden auf Umweltschutzeinrichtungen zu bestehen. Auch hier bleibt er sich treu. Pragmatisch und nüchtern, durch zähe Verhandlungen oder durch mühselige Aufklärungsarbeit ebnet er Wege, räumt Vorurteile beiseite, um zum Ziel zu kommen. Er trägt nicht dick auf, sondern erwähnt all dies nur in Nebensätzen.
    Sich selbst will er nicht im Mittelpunkt sehen, sondern die Sache, um die es geht. Parteipolitisch heißt das für ihn, daß sich die SPD wieder auf ihre Ursprünge und Inhalte verstärkt besinnt. "Die Arbeiter sind bei uns unterrepräsentiert, wir müssen uns mehr um sie kümmern." Die Entfremdung einiger Sozialdemokraten von dieser Bevölkerungsschicht wird jedermann deutlich, der Parteitage besucht. Ob junge oder alte Genossen, meist geben die Akademiker oder Lehrer auf diesen Versammlungen den Ton an. Hier gilt es, wieder umzuschichten, durch harte Arbeit an der Basis neues Vertrauen zu gewinnen und auch die Sprache wieder verständlich zu machen.
    Wie dies aussehen soll, hat Anton Riederer in seinem Wahlkreis vorexerziert. Arbeiter, junge Parteimitglieder und Frauen werden von ihm voll mit in die Verantwortung gezogen, sei es durch Funktionen oder auch nur durch schlichte Parteiarbeit. Kein Wunder, daß in seiner Wahlkampfmannschaft regelmäßig über 50 Arbeiter mitstreiten.
    Die Frage nach der Familie beantwortet er mit einer Episode: Als er einmal vollkommen unerwartet einen freien Abend hatte, war Ehefrau Inge aushäusig. Ebenfalls der SPD verschrieben, kehrte sie zu später Stunde von einer Parteiversammlung heim. Dem vorwurfsvollen Gatten hielt sie entgegen: "Auf dem Sessel, auf dem du sitzt, habe ich zehn Jahre lang auf dich gewartet."
    Martin O. Schmuck

    ID: LI770613

  • Porträt der Woche: Hans Otto Bäumer (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 4 - 07.02.1977

    Wäre er ein Boxer, hätte man ihn längst ausgezählt und dazu bedauernd: "they never come back" gemurmelt. Nicht, daß er sich nicht auf das Fighten verstände, sondern weil er stets seine Deckung vernachlässigt. Dieser Fehler unterläuft allerdings auch dem Politiker Hans Otto Bäumer. Kein Wunder, daß ihn deshalb seine politischen Gegner, aber auch seine Intimfeinde in den eigenen Reihen bereits wiederholt abgeschrieben haben. Doch Hans Otto Bäumer - 1962 bis 1967 zum erstenmal im Landtag und jetzt wieder seit 1975 - ist immer für Überraschungen gut.
    Bäumer, jetzt 50, paßt nicht in das landläufige Karrierebild — weder in das eines Bürgermeisters noch eines Regierungspräsidenten und auch nicht in die Vorstellungen von einem "Kronprinzen". Dabei würde das bergische Urgestein wohl alle Rollen tragen. Aber Hans Otto, wie ihn Freunde und Gegner nennen, hält nicht sehr viel von Wohlverhalten; diplomatisches Schweigen ist ihm sowieso zuwider.
    So hat sich der als Rechtsschutzsekretär des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen in die politische Arena getretene Bäumer denn auch mit fast allen angelegt, die ihm über den Weg liefen und mit denen zu streiten er für angemessen fand; auch mit seinen jeweiligen Vorgesetzten, ob das Innenminister Weyer oder dessen Staatssekretär Stakemeier war, aber auch mit dem Regierungschef Heinz Kühn selbst.
    Als er noch Regierungspräsident in Düsseldorf war — auch hier war sein Kommen und Gehen untypisch und freiwillig —, zeigte Bäumer seinen Besuchern gelegentlich Briefe von Heinz Kühn, der den Regierungspräsidenten zur Mäßigung und staatsmännischen Weitsicht ermahnte.
    Bekannt wurde Bäumer mit einer Narrenwette, der "Bienenstich- Wette", die er prompt verlor. Weil er entgegen seiner Voraussage an einem Rosenmontag Mitte der sechziger Jahre noch immer Junggeselle war, was er heute auch noch ist, mußte er damals 250 000 Stück Bienenstichkuchen für Kinder und alte Leute in seiner Heimatstadt Velbert bezahlen. Diese Riesenwette stottert er heute immer noch in Raten ab. Am markantesten zeigte sich Bäumer auf dem Niederrheinischen SPD-Bezirksparteitag im Mai 1976 in Duisburg. Mit dem Rücken an der Wand lieferte er, selbst von vielen Freunden insgeheim schon aufgegeben, nach dem Motto "viel Feind, viel Ehr" einen grandiosen Kampf. Er provozierte die Ministerriege der Kronprinzen im Ring und gewann seine Wiederwahl als Bezirksvorsitzender in einer Höhe, die ihn selbst am meisten überraschte.
    Hans Otto Bäumer hat auch Fehler, und er weiß das selbst am besten. Ja, er versucht es nicht einmal mit dem Trick: "Erfolg hat man nur, wenn die anderen die Fehler, die man selbst macht, nicht erkennen." Gerade diese unter Politikern selten gewordene Spezies macht ihn für viele liebenswürdig, veranlaßt die Parteibasis, einen Mann auch dann nicht im Stich zu lassen, wenn er einmal "Mist gebaut hat".
    Bäumer hat im Lauf seiner politischen Karriere alle in die Schranken gefordert: Kriminalkommissare und gewiefte Juristen, Minister und Landtagspräsidenten, Fraktionsvorsitzende und Geschäftsführer, und mancher traut ihm zu, was seinem Parteifreund und ehemaligen Finanzminister Hans Wertz in den Mund gelegt wird, den Ausspruch nämlich: "In welches Fettnäpfchen bin ich noch nicht getreten?" Bohrt man im Gespräch mit ihm nach den Maximen seiner Entscheidungen, dann ergibt sich eigentlich nur ein Motiv: Er will vor sich selbst bestehen, was für ihn auch heißen kann, sich für seine Partei in Stücke reißen zu lassen oder aber auch, wenn es sein muß, von seiner Partei. Karl Fischer

    ID: LI77040E

  • Porträt der Woche: Josef Rademaker (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 2 - 24.01.1977

    Wenn man Josef Rademaker einen alten, gestandenen Sozialdemokraten nennt, so bezieht sich das nicht in erster Linie auf die fast 25 Jahre, die er der SPD angehört. Vielmehr ist damit seine Geradlinigkeit gemeint, mit der er seinen Weg — sowohl den beruflichen wie den politischen — gegangen ist. Rademaker — Jahrgang 1919 — stammt aus einer alten Weber- Familie im westlichen Münsterland. Obwohl er zwischenzeitlich als Furnierer arbeitete, ist er der textilen Tradition seiner Familie treu geblieben: Zunächst gründete er — das war 1948 — eine Holzgewerkschaft, dann — drei Jahre später, also vor ziemlich genau 25 Jahren — wurde er Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Textil/Bekleidung. Dieses Amt führt er auch heute noch.
    Auch die gewerkschaftliche Aktivität hat er vom Vater übernommen. Obwohl seine Eltern katholisch waren und obwohl es damals starke christliche Gewerkschaften gab, war Vater Rademaker "frei organisiert". Des Juniors Elternhaus war stark sozialpolitisch engagiert und — was damals sicher schwerer war als heute — "links".
    Zur SPD stieß er in einer Gegenreaktion auf eine Entwicklung in der CDU. Als die Union sich immer mehr vom Ahlener Programm abgewandt habe, so berichtet er, habe er die Konsequenz gezogen: Er wurde Mitglied der SPD.
    Seither ist sein Verhältnis zum politischen Gegner distanziert. Eine Koalition mit der jetzigen CDU hält er für nicht möglich, in der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (Sozialausschüsse) sieht er nur ein linkes Aushängeschild für Wahlkampfzeiten, ansonsten eine Gruppierung ohne Bedeutung.
    Schon 1956 vertrat Rademaker die Sozialdemokraten in Kreistag und Gemeinderat. Seit sieben Jahren ist er stellvertretender Landrat. 1971 rückte Josef Rademaker in den Landtag nach, 1975 war er bereits auf Platz 17 der NRW-Reserveliste.
    Im Landtag hat er sich spezialisiert auf Wohnungs- und Städtebau und — mehr aus Pflicht als aus Neigung — mit Landwirtschaft und Ernährung beschäftigt. Auch hier erweist er sich wieder als pflichtbewußter Genosse: Er arbeitet an der Stelle, wo er gebraucht wird; und Solidarität ist für ihn kein leerer Begriff. So sieht er sich in erster Linie als Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion und dann erst als Interessenvertreter seines Wahlkreises. Das erwies sich erst jüngst, als es um den Neuzuschnitt der Regierungsbezirke ging. Als er — um die Interessen seiner westfälischen Heimat zu vertreten — mit der CDU stimmen sollte, machte er nicht mit. Nicht aus Feigheit, sondern: "Das Landesinteresse muß Vorrang haben, die Prügel zu Hause muß ich dann eben einstecken." Der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Borken ist zwar nicht unbeeindruckt von lokaler Kritik, aber "das muß man eben durchstehen".
    Für sein Privatleben bleibt ihm nicht allzuviel Zeit: Zwei Tage Düsseldorf, zwei bis drei Tage Gewerkschaft, dazu Betriebsversammlungen und Parteitage am Wochenende, so ist die Woche ausgefüllt ("Samstags gehört Vati mir — seinerzeit haben die Gewerkschaften dafür gekämpft, jetzt haben wir's erreicht. Nur — für uns Gewerkschafter gilt das nicht!")
    Bleibt ihm dennoch Zeit, so gehört sie der Familie, insbesondere seinen Enkeln, dem Spazierengehen oder dem Lesen. Aber selbst dem Frühaufsteher Rademaker (jeden Tag sechs Uhr) gelingt es nur selten, dem Beruf oder der Politik Zeit zu stehlen.
    Bernd Müller

    ID: LI770210

  • Porträt der Woche: Franz Busch (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 29 - 10.12.1976

    Franz Busch ist ein Kumpel. Nicht nur, weil seine Kollegen und Freunde ihm diese menschlich-positive Eigenschaft nachsagen; nein: Busch, Jahrgang 1922, seit 1970 Mitglied des Landtags am Düsseldorfer Schwanenspiegel, ist ein "richtiger" Bergmann. Zwar haben ihn seine Tätigkeiten als Gewerkschafter im DGB-Kreis Essen, dessen Vorsitzender er ist, und als — direkt gewählter - Volksvertreter im nordrhein-westfälischen Parlament so in Beschlag genommen, daß er seinen erlernten Beruf nicht mehr ausübt; als Sproß einer alten Bergmannsfamilie fühlt er sich aber auch heute noch den Belangen des "schwarzen Handwerks" verpflichtet. "Schließlich habe ich sogar eine Bergmannstochter geheiratet", erzählt er.
    Mit 14 Jahren ging Franz Busch als Bergmannslehrling in Essen "auf Zeche", gleich nach Krieg und Gefangenschaft arbeitete er wieder in der Schachtanlage "Zollverein" unter Tage. Die Besatzungszeit ("Da lag bei Verhandlungen mit den Betriebsräten immer die Pistole auf dem Tisch"), der Hunger und das Bedürfnis, in einer Gemeinschaft den Schrotthaufen des "Dritten Reiches" beiseite zu räumen, brachten ihn beinahe zwangsläufig zur Sozialdemokratischen Partei und zur IG Bergbau und Energie, denen er sich 1947 anschloß. Sein soziales Engagement für die Kumpel nutzte er gleichzeitig als damals jüngstes Betriebsratsmitglied der Zeche. In dieser Zeit hat er gelernt, "daß es nichts hilft, verbissen auf seinem Standpunkt zu beharren. Nach einem Schnäpschen mit der Gegenseite verhandelt es sich viel besser und: Man erreicht mehr."
    So lernt man denn Franz Busch nicht als ideologisierenden Theoretiker kennen, sondern als Praktiker, der weiß, worum es geht, wenn er zum Beispiel die Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit beklagt. Er lebt schließlich im Brennpunkt der Probleme, dort, wo sich eine Kohlenkrise und eine allgemeine Wirtschaftskrise immer zuerst widerspiegelt.
    Im Wirtschaftsausschuß und im Landwirtschaftsausschuß des Landtags nimmt Busch, wann immer sich die Möglichkeit bietet, die Gelegenheit wahr, nach Lösungen aktueller Probleme zu suchen. Daß der ehemalige Kumpel sich dabei für eine vernünftige Kohlepolitik stark macht, entspringt dann nicht etwa einer wehmütigen Erinnerung an vergangene Zeiten. Das ist vielmehr die nüchterne und harte Konsequenz aus der Ölkrise: daß man sich langfristig auf die eigenen Energiequellen besinnen und sich nicht von zeitlich begrenzten Notständen in seinen Entscheidungen leiten lassen sollte.
    Die gegenwärtigen Diskussionen um die Ansiedlung von Kernkraftwerken sieht Franz Busch mit gemischten Gefühlen: Einmal weiß er zu gut, was Umweltverschmutzung ist und wie auf diesem Gebiet im Zwang des schnellen Wiederaufbaus "geschludert" worden ist; zum anderen ärgert ihn die emotionale Voreingenommenheit uniformierter Protestler. "Da ist noch ein gewaltiges Stück Aufklärungsarbeit nötig", meint Busch.
    Nicht selten dauert der Arbeitstag des "Kumpel-Abgeordneten" zwölf Stunden: Morgens mal eben beim DGB-Kreis in Essen nach dem Rechten sehen, dann in den Landtag nach Düsseldorf, anschließend zum Bezirksvorstand der SPD, dem er ebenso angehört wie dem Unterbezirksvorstand in Essen. Wenn's dicke kommt", hat er noch Termine bei der Industrie- und Handelskammer (hier ist er Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses) oder beim Landessozialgericht in Essen, dem er als Richter angehört. Schließlich nimmt auch der Vorsitz im Verwaltungsausschuß des Essener Arbeitsamtes ein gerüttelt Maß an Zeit in Anspruch.

    Dieter Bartel

    ID: LI762928

  • Porträt der Woche: Kurt Nowack (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 27 - 29.11.1976

    Zu bundesweiter Bekanntheit verhalf dem eher unauffälligen Sozialdemokraten Kurt Nowack der letzte Bundestagswahlkampf. Unter dem Stichwort "Filzokratie" hatte CDU-Generalsekretär Biedenkopf den 54jährigen IG-Bergbau-Sekretär als ein Musterbeispiel für angebliche parteipolitische Indoktrination der Gewerkschaften dokumentarisch erfaßt. Dem Essener Sozialdemokraten mit dem guten Ruhrgebietsnamen ist solch unverhoffter Ruhm, wenn auch unwillkommen, so doch nicht peinlich. Denn Nowacks "Filz", und dessen rühmt er sich in aller Bescheidenheit, besteht aus einer Vielzahl zwischenmenschlicher Beziehungen und "guter persönlicher Kontakte" zu seinen Wählern im Wahlkreis Essen-Altenessen. Es gibt dort kaum einen Verein, kaum eine Organisation, deren Mitglied er nicht ist oder zu denen er nicht irgendwelche Beziehungen pflegt.
    Auf solcher Vertrauensbasis wachsen Wahlsiege. Im vorigen Jahr zog Nowack mit 66,5 Prozent der Erststimmen direkt in den Landtag, legte 1,2 Prozent gegenüber 1970 drauf und hat damit den sichersten SPD-Wahlkreis im ganzen Lande.
    Sein politisches Engagement ist dennoch ganz und gar unprätentiös. Es hat sich, wie er selbst sagt, eher "zufällig" so ergeben, daß er dort ist, wo er ist. Und das hat Nowack freilich einer besonders in der SPD hochgeschätzten Eigenschaft zu verdanken: Er steht zur Verfügung. "Überall, wo ich dabei bin, habe ich, wenn nötig, Verantwortung übernommen, weil ich meine, daß das Wesen unserer Demokratie darin besteht, nicht auf irgendwen zu warten, sondern selbst aktiv zu werden." Diese Polit-Philosophie, die für ehrgeiziges Karriere-Denken keinen Raum läßt, hat sich bewährt. Sie ist auch ein Merkmal der Politiker-Familie Nowack. Frau Nowack: SPD-Fraktionssprecherin einer Essener Bezirksvertretung, Sohn: jüngstes Ratsmitglied in Essen. Die Partei machte Nowack zum stellvertretenden Vorsitzenden des Unterbezirks Essen.
    Der Politiker, seit 1947 Sozialdemokrat, seit 1945 Gewerkschafter, ist wohl auch so etwas wie ein "Generalist". Er gibt sich im Verkehrsausschuß und im Petitionsausschuß des Landtags zwar mit einer Fülle von Einzelfragen und Detailproblemen ab, aber er legt Wert darauf zu wissen, "wo's lang geht". Und dann ist es auch "ein wohltuendes Gefühl festzustellen, daß man zu Rande kommt".
    Nowack kommt auch als Gewerkschaftssekretär beim IG-Bergbau-Hauptvorstand "zu Rande". Dort ficht er in der Landesrechtsschutzstelle mit drei Kollegen die Ansprüche von Bergleuten auf Rente oder Krankengeld vor den Sozialgerichten durch: 20 bis 22 Millionen DM jährlich werden da erstritten. Die Probleme des Bergmanns kennt Nowack aus eigener Erfahrung: 1945 wurde er zum Bergbau dienstverpflichtet. Und Betriebsrat war er auch. Später, in den fünfziger Jahren, waren im Altenessener Bergbau 20 000 Kumpels beschäftigt. Heute hat der Stadtteil keinen einzigen Pütt mehr. Notwendige Veränderungen nimmt Nowack jedoch gelassen und anpassungsfähig hin. Und doch fühlt er sich ein bißchen strapaziert von Beruf und Mandat. Und er vermißt Bewegung, die er als Sportler früher suchte und fand. Zuweilen aber wandert Nowack samt Frau über Land, schwimmt oder liest Bücher über Grundsätzliches. Wer einen sucht, der auf dem Weg der "Demokratie von unten" fast beiläufig nach oben gekommen ist, Nowack wäre einer.
    Bernd Kleffner

    ID: LI762723

  • Porträt der Woche: Reinhard Wilmbusse (SPD).
    Porträt
    S. 15 in Ausgabe 24 - 02.11.1976

    Seinem 17jährigen Sohn riet der SPD-Landtagsabgeordnete Reinhard Wilmbusse: "Geh nicht jetzt in die Partei. Dann bist du zu früh gebunden." Beim ersten Hinhören sicher ein ungewöhnlicher Ratschlag eines Politikers und überzeugten Sozialdemokraten. Näher betrachtet, ist dies jedoch keine väterliche Empfehlung gegen die Politik und die SPD, sondern eher für sie. Denn das politische Credo des waschechten "Herdbuch-Lippers" kann seine Ursprünge aus der Bergpredigt, dem elterlichen Arbeiterhaushalt und der teilweise traditionell "links" geprägten Landschaft des Lippe-Landes nicht verleugnen.
    Wenn Reinhard Wilmbusse bedächtig, Wort für Wort abwägend und sich selbst immer wieder kritisch korrigierend seinen Werdegang schildert, dann weiß man: "Das ist kein Mann übereilter Entschlüsse, emotionsgeladener Glaubensbekenntnisse, sondern er findet sich erst in reiflich überlegten Überzeugungen wieder, die er als Bürgermeister in Lemgo vor Ort und als Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag durchsetzen will." Spät — erst 1965 — trat er in die SPD ein, um zu helfen, daß "das durch die Unions-Regierungen verkrustete Gesellschaftssystem im positiven Sinn aufgelöst wird". Diesem, aus seiner evangelisch-christlichen Haltung geborenen Schritt folgte eine Blitzkarriere in der Partei.
    Nach der Mitarbeit in verschiedenen Ausschüssen und in der Kommunalpolitik gelangte Wilmbusse bereits 1971 auf dem Stuhl des Lemgoer Bürgermeisters. Skeptisch kam er als Neuling zu Beginn dieser Legislaturperiode in die Landeshauptstadt, um hier auf der höchsten landespolitischen Ebene zwei Schwerpunkte vor Ort gewonnener Einsichten zu verwirklichen: Die Reform der Gemeindeverfassung, bei der auch lieb gewordene Amter in Frage gestellt und die Kommunalparlamente gegenüber den Verwaltungen vor allem durch verbesserte Kontrollen verstärkt werden sollten. Nicht von ungefähr kommt der auch privat-berufliche bedingte Wunsch, die Rechtsberatung vor allem für Minderbemittelte, die immer noch häufig durch den "Rost der Gesellschaft" fallen, zu verbessern. In der SPD-Landtagsfraktion leitet Wilmbusse, von Beruf Rechtspfleger, den justizpolitischen Arbeitskreis.
    Der manchmal auch im Haus am Düsseldorfer Schwanenspiegel zu spürenden Arroganz von Großstädtern ("wer kennt schon Lemgo?") setzt Wilmbusse nicht nur die auch durch seinen persönlichen Einsatz zustande gekommenen SPD-Erfolge in seinem ländlich geprägten Wahlbezirk entgegen, sondern vor allem eine einfache politische Formel. Dort an der niedersächsischen Grenze, wo sich scheinbar "die Füchse gute Nacht sagen", geht er für seine Sache mit dem Gespür für das Machbare und Notwendige unter die Leute und schafft für Abhilfe. Genannt seien hier die Probleme der industriellen, kulturellen und sozialen Unterversorgung im Lipperland, das sich durch eine überproportionale Arbeitslosigkeit "auszeichnet".
    Daß Reinhard Wilmbusse dadurch früh- und rechtzeitig wichtige politische Vorentscheidungen treffen kann, zeigt ein Beispiel. Als in der 40 000 Einwohner zählenden Stadt Lemgo vor einiger Zeit 1000 Arbeitsplätze durch Betriebsschließungen verlorengingen, hatte der Stadtrat bereits vorgesorgt. Ein neues Industriezentrum der Stadt gab 1000 Arbeitskräften eine neue Beschäftigung. Apropos: Wilmbusses Sohn trat, wie die gesamte Familie, entgegen dem väterlichen Rat in die SPD ein.
    Martin O. Schmuck

    ID: LI76241F

  • Porträt der Woche: Hans Reymann (SPD).
    Porträt
    S. 11 in Ausgabe 22 - 08.10.1976

    Hans Reymann gehört zu den Abgeordneten, die die Kunst der freien Rede beherrschen. Das sind so viele nicht. Wenn es gilt, eine Sache zu verteidigen, die ihm am Herzen liegt, dann meldet er sich spontan zu Wort, läßt die Zettel in der Tasche und setzt sich mit seinen Vorrednern engagiert auseinander. Dabei ist er schlagfertig und nicht ohne Witz. Reymann wirkt immer irgendwie frisch und sportlich, obwohl ihm für Sport — "gelegentlich Schwimmen, und dann hab' ich ein Paddelboot" — kaum Zeit bleibt.
    Ich habe den Gewerkschafter Reymann einmal in einer Versammlung von Einzelhändlern erlebt, die ihm gewiß nicht freundlich gesonnen waren. Er verlor nicht einen Augenblick die Haltung. Reymanns Engagement ist immer durch Fairneß gezügelt. Auch richtet es sich nicht auf Abstraktes. Er ist kein Ideologe. Aber für den Einzelfall, für den Kriegsversehrten aus dem Wahlkreis oder für den Rentner, der mit seiner Versicherung nicht klarkommt, legt er sich voll ins Zeug. Man könnte das idealistischen Pragmatismus nennen.
    Wer in ihm nur den Funktionär und Sozialpolitiker sieht, geprägt durch DGB-Ämter und Referatsarbeit im SPD-Parteivorstand, der kennt nur einen Pol seines Wesens. Der andere ist der Bereich der Bildung. Reymann ist ein wißbegieriger Mensch. Auch im Urlaub plätschert er nicht an flachen Stränden, sondern sucht die unbekannten Ecken und Flecken eines fremden Landes. Dabei drängt es ihn, Wissen nicht nur aufzunehmen, sondern auch weiterzugeben. Schon als blutjunger Kriegsgefangener in Wilton-Park, dem Krieg als Pionier entronnen, entwarf er Bildungsprogramme.
    Das Abitur "baute" er auf einem Abendgymnasium. Tagsüber war er Betonbauer-Lehrling. Und wenn er vom anschließenden wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Studium in Hamburg spricht und von den Jahren danach in der Bonner "Baracke", von den Diskussionen mit Schelsky, Ortlieb, Lohmar, auch mit Fritz Erler und Herbert Wehner, dann leuchten heute noch seine dunklen Augen. Seine Frau ist Lehrerin — ein Zufall?
    Das Gespräch springt immer wieder zurück zum Elternhaus in Düsseldorf — "nicht wohlhabend, aber Mittelstand" — und besonders zum verehrten Vater. Er hatte noch bei der Reichstagswahl im März 1933 die Rote Fahne mit den drei Pfeilen zu hissen gewagt — und dann kamen die SA-Rollkommandos.
    Dies ist eine der frühesten Kindheitseindrücke von Hans Reymann, Jahrgang 1925. Er spricht aber auch von den menschlichen Konflikten, die für einen Jungen entstehen konnten, der damals politisch mit seinen Altersgenossen nicht konform war und der außerhalb der "Staatsjugend" stand. Hans Reymann spricht davon unpathetisch und ohne nachträgliche Heldenpose.
    Er war schon einmal von 1966 bis 1970 im Landtag. Im Wahlkampf 1970 unterlag er. Daß er damals auch einige tausend Mark, die er aus eigener Tasche im Wahlkampf zugeschossen hatte, in den Rauch schreiben konnte, muß man aus ihm herausfragen.
    Bei der Landtagswahl 1975 schaffte er es dann mit absoluter Mehrheit im Düsseldorfer Wahlkreis 47. Die SPD-Fraktion machte ihn zum Vorsitzenden ihres Arbeitskreises für Arbeit und Soziales; gleichzeitig wurde er Mitglied des entsprechenden Landtagsausschusses. Außerdem gehört er dem Rechnungsprüfungsausschuß an. Außerhalb des Parlaments gehört die Arbeitskraft Reymanns unverändert den Gewerkschaften und der Sozialarbeit. Dazu gehört auch sein Posten als Vorstandsvorsitzender (im jährlichen Wechsel mit den Arbeitgebern) der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, die es mit fast drei Millionen Versicherten zu tun hat.
    Wolfram Köhler

    ID: LI762221

  • Porträt der Woche: Wilhelm Pohlmann (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 20 - 12.07.1976

    Auf das Löschen von Bränden versteht sich Wilhelm Pohlmann im doppelten Sinne und ganz professionell auf das Beste. Der 48jährige SPD-Landtagsabgeordnete, zur Zeit Chef a. D. der Herner Berufsfeuerwehr, ist auch politisch eine Art Brandamtmann. Seine Freunde, die den soliden Westfalen kurz Willi nennen, rühmen Pohlmanns ausgleichendes, zur Sanftmut im Umgang miteinander leise, aber bestimmend drängendes Temperament.
    Dabei ist Pohlmann, Sozialdemokrat seit 30 Jahren, von jener eigentümlichen warmherzig-spröden Ruhrgebietsart, die in der Politik mancher als Mangel mißversteht, obwohl es sich doch eher um Manger handelt. Er findet denn auch die Arbeit im Landesparlament, dem er seit 1970 angehört, "manchmal frustrierend". Und lustig, wie er gerne ist nach eigenem Eingeständnis, möchte er dennoch "nicht auf wer weiß wieviel Hochzeiten tanzen".
    Der gelernte Kaufmann, spatere Stahlbauschlosser, Feuerwehrmann, übernimmt sich folglich in seiner Abgeordnetentätigkeit nicht, obwohl er "lieber mehr machen möchte". Das erhöht die Effizienz. Zumal Pohlmann längst erkannt hat: "Als Geschaftelhuber hier herumzulaufen, das bringt nichts." Dieser Ökonomie der Unaufdringlichkeit ist Pohlmann auch in seiner Parteiarbeit treu. Eben deshalb hat er kein kommunalpolitisches Mandat angestrebt, obwohl er Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Herne ist, Mitglied des Bezirksvorstands Westliches Westfalen und des Innenausschusses beim Bonner Parteivorstand.
    Gleichwohl ist Pohlmanns Einbindung in die "Basis" für ihn tragendes Element. Es sei zwar "kein persönlicher Erfolg" gewesen, spielt er herunter, daß er sein Landtägswahlergebnis im vorigen Jahr gegenüber 1970 noch einmal und auf über 60 Prozent steigern konnte, aber ein Spiegel seiner Popularität an der Emscher ist es wohl doch. Und dabei fühlt sich Pohlmann "links von der Mitte und manchmal sicher linkser als die Linken", Godesberg freilich fest unter den Füßen.
    Als Mitglied im Innen- und im Verkehrsausschuß des Landtags liegen Willi Pohlmann gegenwärtig Fragen des Katastrophenschutzes, der inneren Sicherheit und insbesondere die Dauerbrennerproblematik des defizitären öffentlichen Nahverkehrs am Herzen. Das Problem etwa, wie der Nahverkehr aus den roten Zahlen gebracht werden könne, ohne daß gleichzeitig sein sozialer Aspekt geschmälert werde, ist für Pohlmann schlicht die "Gretchenfrage". Er setzt dabei auf mehr Hilfe des Landes und weiteres "vernünftiges Rationalisieren"; von einer Privatisierung kommunaler Einrichtungen und Leistungen hält er nichts. Im neuen Katastrophenschutzgesetz, das die Befehls- und Einsatzkompetenzen strafft und damit mehr Schutz verspricht, sieht Pohlmann schon fast das Ideal ebenso wie im Entwurf eines ländereinheitlichen Polizeigesetzes, das eine "gute Lösung" darstelle.
    Vater Willi Pohlmann — ein studierender Sohn, eine Tochter, die, wie man so sagt, das Bankfach eingeschlagen hat — findet für seine kleinen Feierabendvergnügen wenig Zeit. Wandern mit seiner Frau, Tischtennis, Skat, früher auch Fußball machen ihm wie die Politik Spaß, und zuweilen kommt er auch dazu. Nebenbei ist der Pohlbürger, wie man in Westfalen einen gestandenen, heimatverbundenen Mann nennt, Pohlmann auch Mitglied von zwei Herner Fußballvereinen und einem Billardclub. Aber der Mathematikerstil des Billardspielers, der dürr-nüchtern die beste Kombination für die nächste Karambolage ausspäht, liegt Pohlmann nicht. Als einem "Mann des Ausgleichs" und Optimisten sind ihm Zusammenstöße eigentlich zuwider.
    Bernd Kleffner

    ID: LI762002

  • Porträt der Woche: Friedrich Schreiber (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 17 - 21.06.1976

    Er hatte "schon aufgegeben" - damals, als er fünf Jahre auf Düsseldorfer Spitalstationen in Gips lag. Obwohl ein Hüft- und Knieschaden chronisch wurde, legte der Gerichtsreferendar mit neugewonnenem Lebensmut sein Assessorexamen ab. Bereits 1947 hatte das Knochenmarksleiden begonnen, Folge der Unterernährung und eines Unfalls.
    Friedrich Schreiber, 1934 in Kronstadt/Siebenbürgen geboren, siedelte 1952 mit den Eltern in die Bundesrepublik über. Seine persönlichen Erfahrungen mit langer Krankheit, Schmerzen, Ärzten und Operationen bringt er auf die politische Kurzformel: Das Gesundheitswesen muß reformiert, die Hierarchie der Ärzte abgebaut werden.
    Er merkt dies aber nur beiläufig an. Schreibers Hauptaufgaben im Parlament liegen nämlich im Justizausschuß, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist, und im Petitionsausschuß. Gern hätte der Steuerfachmann auch im Haushalts- und Finanzausschuß einen Sitz erhalten. Doch zu diesem Gremium ist der Andrang allemal groß, kanalisiert es doch das Lebenselixier jeder praktischen Politik, den Geldstrom.
    "Neuling" Schreiber, der 1975 für den Wahlkreis Iserlohn-Land I in den Landtag einzog, steht aber auf der Liste der stellvertretenden Mitglieder dieses Ausschusses. Als Oberregierungsrat der Oberfinanzdirektion Münster führt er das für Abgeordnete, die aus dem öffentlichen Dienst kommen, obligatorische "a. D." hinter seinem Amtstitel.
    Nach Reifeprüfungen in Kronstadt und in Hausach/Schwarzwald (das Siebenbürger Abitur galt in der Bundesrepublik nicht) entwickelten sich Schreibers politische Prinzipien während des Jurastudiums. Seine Sympathie für die Programmatik der Sozialdemokratie begründet er: "Keine andere Partei hat so pointiert wie diese die Hilfe für die Kleinen und Schwachen auf ihre Fahne geschrieben."
    Ingenieurssohn Schreiber, der Deutsche aus Rumänien im nordrheinwestfälischen Landtag, war nie Juso. Er trat der Partei im eher abgeklärten Alter von 30 Jahren bei und fühlt sich "absolut in der Mitte der SPD" beheimatet. Er ist durch die Schule der Kommunalpolitik gegangen. Der kommunalen Selbstverwaltung dient er heute als stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Schwerte. Eine reizvolle politische Konstellation ergab sich vor der kommunalen Neugliederung im Familienverband auf dem elterlichen Bauernhof seiner Frau: Schwiegervater Hermann Spaemann präsidierte dem Gemeinderat von Geisecke als stellvertretender Bürgermeister (CDU), Schwiegersohn Schreiber gehörte ihm als Ratsherr (SPD) an. "Den Schwachen stärken" — das will Schreiber in den beiden Landtagsausschüssen. Was ihm an Schicksalen verzweifelter Bürger im Petitionsausschuß begegnet und ihn bewegt, erweist sich oft als direkte Klammer zur Arbeit im Justizausschuß. Schreiber bringt seine erste Bilanz aus beiden Gremien auf einen Nenner: "Trotz Rechtsstaat gibt es manche Bürger, die nicht zu ihrem Recht kommen und sich einer übermächtigen Staats- und Verwaltungsbürokratie ausgeliefert fühlen." Ihnen müsse durch die geplanten Rechtsberatungsstellen für jedermann nicht wirkliche Hilfe geboten werden.
    Der Acker, auf dem Schreiber und seine Ausschußkollegen arbeiten, ist steinig. Von seinem anstrengenden politischen Alltag erholt Friedrich Schreiber sich im neuen Haus neben dem Bauernhof mitten im Grünen. Der Akkordeon-Autodidakt (Spezialität: Wanderrhythmen) begleitet seine drei Töchter gern bei ihrem Klavierspiel. Ein paar Schreiber-Hobbys noch dazu: Skat, Doppelkopf, Briefmarken, Münzen.
    "Wäre ich gesund, hätte ich den jetzt verpachteten Bauernhof selbst übernommen — wegen meiner Verbundenheit zur Scholle", verrät der Abgeordnete. Dem Parlament hat er sieben "lebende Rasenmäher" opfern müssen: "Nachdem ich gewählt worden war, blieb mir keine Zeit mehr für die Wolltiere." Ihre Weidegründe verwandelte er, dem Graswuchs vorbeugend, in Tennisplätze und schaffte die sieben Schafe ab. Hans Wüllenweber

    ID: LI761702

  • Porträt der Woche: Günter Meyer zur Heide (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 15 - 04.06.1976

    Vor sechs Jahren, als Günter Meyer zur Heide erstmals direkt in den Landtag gewählt worden war, meinte eine — inzwischen eingestellte - Zeitschrift für SPD-Mitglieder, daß er sicherlich nicht widerspräche, wenn man ihn als Linken einstufe. Er widerspricht auch heute nicht generell, aber er wehrt sich mit Vehemenz gegen diesen mehr und mehr negativ befrachteten, oberflächlichen Klischeebegriff.
    Nicht Ideologie, sondern die Bewältigung praktischer Probleme sei Aufgabe der Politik, sagt Meyer zur Heide. Dem Denken in Extremen ist er abhold. Aber er bekennt auch, sich niemals einfach mit vorgefundenen Gegebenheiten abzufinden, die negative Auswirkungen auf welchem Gebiet auch immer hätten. "Wenn man das tut, dann hat man den Anspruch verspielt, Politiker sein zu wollen."
    Er hat seine Meinung, dieser Elektromechaniker aus dem ostwestfälischen Lippinghausen. Und er sagt sie auch. Aber nicht vorschnell, so scheint es, sondern erst nach reiflicher Überlegung. Und er sagt sie auch dann, wenn er mit seiner Überzeugung nicht einmal Parteifreunden eine Freude machen kann. Dafür gibt es ein Beispiel, das er heute am liebsten übergangen sehen möchte:
    Als vor Jahren die Parlamentarier ihre Diäten erhöhten, machte der auch heute noch aktive Arbeiter Meyer zur Heide nicht mit. Da er aus Rechtsgründen nicht verzichten konnte, überwies er die Erhöhungsbeträge einer karitativen Organisation. Doch als ihm daraufhin der Steuerzahlerbund den "Eisernen Steuergroschen" antrug, lehnte er diese Auszeichnung ab. "Man sollte so etwas nicht wie ein Aushängeschild vor sich hertragen. Und schon gar nicht Auszeichnungen für Selbstverständliches annehmen."
    Die Herkunft hat sicherlich die starke soziale Komponente im politischen Engagement Meyer zur Heides entscheidend geprägt. Vor nicht ganz 40 Jahren kam er in einem Bauernkotten zur Welt, in dem noch nicht einmal elektrisches Licht brannte. Mit sechs Jahren mußte das vierte von sechs Kindern dem Bauern schon auf dem Felde helfen. Der Vater, ebenso wie der Patenonkel als Arbeiter schon vor 1933 SPD-Mitglied, war zu jener Zeit Soldat. Von der durch ihr stark evangelisch betontes Elternhaus geformten Mutter, so glaubt Meyer zur Heide, hat er das Gerechtigkeitsempfinden "geerbt".
    1961, als er schon aus dem Christlichen Verein Junger Männer ausgeschieden war, stieß Meyer zur Heide zur SPD - besser: wurde er gestoßen. Der Bürgermeister fragte ihn, ob er nicht Mitglied werden wolle. Er wurde. Erst viel später bekam er Kontakt zu den Jusos, als der Jugendring eine gemeinsame Fahrt nach Berlin arrangiert hatte. Die Jusos allerdings, so weiß er sich zu erinnern, hielten ihn damals für ein Mitglied der Jungen Union. Sie lernten ihn aber bald besser kennen und schätzen und wählten ihn in viele führende Ämter.
    Klischeevorstellungen passen nicht auf diesen Mann, der heute dem Vorstand der SPD-Landtagsfraktion angehört. Auch aus der Tatsache, daß er sich zur "Keulenriege", dem Kreis der auch "Teutonen" genannten ostwestfälischen SPD-Abgeordneten, bekennt, sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen. "Selbstverständlich" trifft man gewisse Absprachen, aber man ist keine "scheuklappenbehaftete" Gruppe. Toleranz und Loyalität gehen vor.
    Privat ist der Hobby-Angler Meyer zur Heide auch gern "Hausmann", wenn seine Frau abends "in Politik macht". Eltern und Kinder - eine siebenjährige Tochter und ein vierjähriger Sohn — nennen sich beim Vornamen. Fürsorglich fragt denn auch die Kleine bei gemeinsamer Radtour: "Du, Günter, wenn ich dir zu schnell fahre, mußt du das sagen." In der Politik fährt Meyer zur Heide nie zu schnell, aber immer zielbewußt.
    Karl Lohaus

    ID: LI761502

  • Porträt der Woche: Karl Heinz Nolzen (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 12 - 06.05.1976

    Die Bergsteigerleidenschaft hat dem Sozialdemokraten Karl Heinz Nolzen in seiner Heimatstadt Hagen sicher nicht ohne Grund den Spitznamen "Luis Trenker von Hagen" eingebracht. Volkstümlichkeit liegt ihm offenbar, dem Pragmatiker aus der märkischen Stadt, aber sicher nicht Volkstümelndes. Er kann die Herkunft aus einem Arbeiterelternhaus mit langjähriger sozialdemokratischer Tradition nicht verleugnen. Der westfälische Dialekt mit Ruhrgebiets-Zungenschlag verrät zumindest ständigen Kontakt zur Basis, die der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt trotz eines völlig ausgebuchten Arbeitstages immer wieder sucht.
    Wer von seinen Parlamentskollegen geht denn heute noch von Haustür zu Haustür, um allmonatlich den Beitrag von Parteimitgliedern zu kassieren? Für Karl Heinz Nolzen ist dies eine Selbstverständlichkeit, weil er "den Finger ständig am Puls der Bürger halten will, um ihre Sorgen und Nöte zu erfahren". Für Nolzen zählt im politischen Engagement, was heute vielfach vermißt wird: Überzeugter Christ zu sein, für den das "S" im Namen seiner Partei herausragende Bedeutung hat. Sozial zu sein heißt für den gelernten Kaufmann, der vor 25 Jahren in die SPD eintrat, "mitfühlen und schrittweise bestehende MißStände abbauen". Offenbar ist ihm das in seinem Wahlkreis gelungen: Bei der Landtagswahl schenkten ihm im Mai vorigen Jahres 56 Prozent der Wähler ihr Vertrauen.
    Die schwierigste Aufgabe in seinem Leben bewältigte er im Jahre 1968, als der damalige Angestellte der Klöckner-Werke in Hagen für 3500 Arbeitnehmer, die entlassen wurden, einen Sozialplan ausarbeitete. Dieser damals im Montanbereich richtungweisende Sozialplan schloß Härten aus und eröffnete zahlreichen Entlassenen neue Arbeitsplätze.
    Die "Sozialpolitik der kleinen Schritte" verwirklicht der Abgeordnete nicht nur als stellvertretender Vorsitzender im Landtagsausschuß für Gesundheit und Soziales, sondern vor allem auch in der Heimatstadt, wo er als Chef von 200 hauptamtlich Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt "vor Ort" Dienst für die Schwachen der Gesellschaft tut. Die Verwirklichung und Kontrolle von Sozialgesetzen, die er im Düsseldorfer Parlament mit beschließt, sind bei ihm in guten Händen. Ob im Altenkrankenhaus, in den 13 Kindergärten oder 27 Altenbegegnungsstätten der AWO, überall sieht er die Aufgabe auf dem "sozial-caritativen" Feld.
    Vorstellungen für die parlamentarische Arbeit der nächsten Jahre hat er natürlich in diesem Bereich entwickelt. Für Karl Heinz Nolzen steht fest, daß bei Schließungen kleinerer Krankenhäuser diese Einrichtungen neuen Aufgaben, wie Altersheime oder Sozialstationen, zugeführt werden müßten. Dies wäre ein weiterer Knoten im Netz der Sozialfürsorge, an dem der Parlamentarier seit Jahren unauffällig, aber strebsam knüpft. Kein Wunder, daß ihm wenig Freizeit bleibt. Die nutzt er, und da macht er wiederum seinem Spitznamen alle Ehre, zu Spaziergängen oder Bergtouren mit seiner Frau und dem Dackel.
    Martin O. Schmuck

    ID: LI761220

  • Porträt der Woche: Hans Ferner (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 10 - 26.03.1976

    Hart an der Grenze lag der bisherige Lebens- und Berufsweg Hans Ferners. Er stammt aus dem Eifeldörfchen Malbergweich im Grenzkreis Bitburg, aus einer Gegend also, in der sich Anfang des vorigen Jahrhunderts noch die letzten Wölfe Deutschlands "gute Nacht" sagten. Die herbe Eifellandschaft ist dort auch heute noch so ursprünglich, daß sie die künstliche Linie zwischen der Bundesrepublik, dem Königreich Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg verwischt. So gesehen, bot sich die Natur vor ein paar Jahren geradezu an, die ersten grenzüberschreitenden Naturparkes - Südeifel und Nordeifel — zu schaffen. Von Bitburg gut 100 Kilometer nordwärts fühlt man sich in eine andere Welt versetzt, in eine typische Industrielandschaft: im Kreis Aachen qualmen die Schlote des — neben der Ruhr — zweiten Steinkohlenreviers Nordrhein-Westfalens. Unter Tage ignorieren die holländischen Bergleute, Flözen und bergrechtlichen Vereinbarungen folgend, die oberirdischen Grenzpfähle, die die Bundesrepublik vom Königreich der Niederlande trennen. Es ist das Revier des Eschweiler Bergwerks-Vereins (EBV), eines zum luxemburgischen ARBED-Konzern gehörenden Unternehmens, das im Aachener Raum bei Kohle und Stahl 20000 Beschäftigte zählt und damit als einer der stärksten Wirtschaftsfaktoren der Region gilt.
    Hans Ferner ist hier zu Hause: Hier ist sein Wahlbezirk Aachen-Land Nord, die Revierstädte Alsdorf, Würselen und Herzogenrath umfassend; hier ist der gelernte Telegrafenhandwerker, der 1949 zum Bergbau und dessen Industrie-Gewerkschaft stieß, als Betriebsdirektor der EBV-Direktion "Kohlenumwandlung" tätig, zuständig für das Personal- und Sozialwesen von 3000 Beschäftigten, die in den Kokereien, Brikettfabriken, Kraftwerken und Dienstleistungsbetrieben arbeiten; hier, in Alsdorf, Elbinger Straße 7, lebt der 47jährige mit seiner Frau und seinem 17jährigen Sohn, der das Gymnasium besucht, während der 23jährige Sohn in Heidelberg Jura studiert und dort sein Herz an eine Finnin verloren hat. Ferner ist seit 1953 Mitglied der SPD, er kennt die Politik an der kommunalen Basis, kam er doch schon 1958 in den Alsdorfer Stadtrat und 1964 in den Kreistag von Aachen-Land, wo er seit 1969 Vorsitzender der SPD-Fraktion ist.
    1966 zog er, direkt gewählt, in den Landtag ein. Die Problemstoffe der kommunalen Neugliederung "versalzten" ihm 1970 das nächste Direktmandat. Doch 1975 eroberte er es zurück, erschien er wieder auf der Düsseldorfer Szene. Zwischen beiden Legislaturperioden verschoben sich für Ferner die Akzente ein wenig, jedoch nicht grundlegend; denn damals wie heute ging und geht es ihm darum, das schwere Schicksal der Bergleute abzusichern: wieder gehört er dem Landtagsausschuß für Grubensicherheit an, heute wie 1966 ist er dessen Vorsitzender. Zwar war er in den ersten vier Jahren Mitglied des Sozialausschusses, dafür ist er diesmal Mitglied des Wirtschaftsausschusses. Beides, betont Ferner, bot und bietet ihm aber Gelegenheit, für den Bergbau und dessen Zukunft politisch zu wirken. "Das bedeutet gleichzeitig", erklärt er, "daß ich mich langfristig um Strukturpolitik kümmern kann, insbesondere für den Aachener Raum und den dortigen Arbeitsmarkt." Dies kann im Aachener Raum aber niemand sagen, ohne auch über den Zaun nach den beiden westlichen Nachbarn zu schauen, mit denen zur Zeit an der Bildung einer Europäischen Region "Euregio" am Dreiländereck gearbeitet wird. Denn hart an der Grenze kann man weder eine Förderturm- noch eine Kirchturmpolitik treiben!
    Horst Pomsel

    ID: LI761002

  • Porträt der Woche: Heinz Janssen (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 7 - 27.02.1976

    Sein Vater war "ein alter Gewerkschafter, als es noch gefährlich war, am 1. Mai zu demonstrieren, weil man dann aus dem Betrieb rausgeschmissen werden konnte". Als elfjähriger Junge wurde er 1943 für die letzten Kriegsjahre vom heimischen Bremen nach Sachsen "kinderlandverschickt" und lebte da bei einem aktiv Altliberalen, den die Nazis aus dem Lehreramt gejagt hatten. 1950 wollte er zu den "Falken". Doch da sagte der Vater zu ihm: "Du bist als Pimpf groß geworden; willst du dich schon wieder festlegen?" "Also hab' ich's bleiben gelassen." Von dem sächsischen Lehrer beeindruckt, vom Vater wesentlich geprägt, dann aber wieder aus bitterer Erfahrung vor dem ersten frühen Einstieg ins organisierte politische Engagement gewarnt, suchte Heinz Janssen weiter, suchte als "einer aus der Zeit des politischen Wiederbeginns mit all den euphorischen Gedanken, die nach 1945 geboren worden waren". Nur zögernd näherte er sich der Sozialdemokratischen Partei, wollte erst abwarten, ob sich das Godesberger Programm in der SPD realisieren ließe. Die planwirtschaftlichen Vorstellungen der Partei Kurt Schumachers hatten ihn warten lassen. Für Janssen wurde zum "Kernspruch des Godesberger Programms: So viel Freiheit wie möglich, so viel Planung wie nötig". Längst verheiratet und als Beamter des gehobenen Dienstes bei der Stadtverwaltung Remscheid tätig, trat er im Mai 1965 in die SPD ein und engagierte sich erst einmal bei den Jusos. "Auf dem Weg ist man wohl auf mich aufmerksam geworden", mutmaßt er im nachhinein. Denn schon 1967 saß er im Vorstand des SPD-Unterbezirks Remscheid, avancierte zwei Jahre später zum stellvertretenden Vorsitzenden und zog 1970 in den Landtag ein. Seine Maxime für die parlamentarische Arbeit: "Denen zu helfen, die ohne Hilfe nicht zu Rande kommen." Sofort meldete er sich bei seiner Fraktion für den Petitionsausschuß. "Als Beamter weiß ich am ehesten, wie Beamte mit Bürgern umgehen, deshalb bin ich da reingegangen." Hinzu kamen: der kommunalpolitische Ausschuß, in dem er sich für die verstärkte Leistungsfähigkeit der Gemeinden einsetzte, "weil sich in den Gemeinden die Demokratie am deutlichsten und für den Bürger am nächsten vollzieht"; der Jugendausschuß, aus dem heraus er das Innenministerium nötigte, per Erlaß in den Bebauungsplänen ausreichende Spielplatzflächen sicherzustellen. In der neuen Legislaturperiode mußte Janssen, weil es die Sitzungstermine nicht anders zuließen, auf die Mitarbeit im Jugend- und kommunalpolitischen Ausschuß verzichten. Im Petitionsausschuß, in dem er weiter "die Mühlsteine der Bürokratie anhalten will, wenn ein Bürger dazwischengerät", ist er jetzt stellvertretender Vorsitzender. Im Ausschuß für Funktionalreform sieht er als ein Zentralproblem die Neuaufteilung der Regierungsbezirke. "Nachdem vielen Gemeinden bei der kommunalen Neuordnung zugemutet wurde, auf Kosten der Selbständigkeit in größere leistungsfähigere Einheiten aufzugehen, muß das auch für Regierungsbezirke gelten." Es soll Regierungspräsidenten geben, die das nicht gerne hören.
    Christoph Lütgert

    ID: LI760702

  • Porträt der Woche: Richard Winkels (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 5 - 13.02.1976

    Den Sport parlamentsfähig zu machen, das ist so eine Sache. Außerparlamentarisch nutzen auch Politiker gern das popularitätsfördernde Vehikel Sport, aber die Parlamente sind sich, scheint's, manchmal zu fein für die sogenannte schönste Nebensache der Welt.
    Richard Winkels, Sozialdemokrat aus dem münsterländischen Warendorf, will das ändern. Der 55jährige gelernte Journalist fühlt sich und sein Anliegen zu Recht falsch bewertet. Denn noch nie hat das Plenum des Landtags über Sportpolitik debattiert, war es ihm deshalb auch selten vergönnt, Winkels' Stentorbaß zu vernehmen. Das soll noch in dieser Legislaturperiode anders werden. Der Sportausschußvorsitzende aus dem "Mekka des Sports" — Leistungszentrum für modernen Fünfkampf, Reiterzentrum, Sportzentrum der Bundeswehr, auch mit "Winkels-Zügen" nach Warendorf geholt — will mit dafür sorgen, daß schon im nächsten Jahr das Parlament über den Sportbericht der Landesregierung debattiert. Dabei müsse die gesellschaftspolitische und soziale Stellung des Sports endlich einmal "ganz deutlich" werden, sagt Winkels.
    Er rechnet es sich als bescheidenes Verdienst mit an, daß es neben der sogenannten "Kohlefraktion" auch so etwas wie eine "Sportfraktion" aus Abgeordneten aller drei Parteien im Landtag gibt. Ohnehin kennt er kaum Parteien, sondern vor allem Sportler — drei bis vier Millionen allein in NRW, welche Wählermassen! Sie können die Vorstellungskraft eines Politikers schon fesseln. Und dazu gibt das Land in diesem Jahr eine halbe Milliarde Mark für die Sportförderung aus.
    Solche Summen wollen richtig verteilt sein. Nach des Sozialdemokraten Winkels Vorstellung hauptsächlich für Breitensport und damit aktive Freizeitgestaltung, erst dann für den Leistungssport. Den Profis sollen Etat-Millionen nicht in die ohnehin schon vollen Taschen fließen. Der Leistungssport im übrigen dürfe nicht zum Überlaufbecken gesteigerten Nationalgefühls entarten. Krieg, auch wenn er nur in den Sportarenen stattfinde, habe hier eigentlich nichts mehr verloren. Das Wort Wettkampf kommt in Winkels' Vokabular nicht vor.
    Der Abgeordnete Winkels möchte auch den Kompetenzwirrwarr beseitigt sehen. Der Sport sei eine viel zu wichtige Sache, als daß sich fast alle Ministerien darum kümmern dürften. Durch die Verzettelung der Zuständigkeiten werde die Wirkung der staatlichen Fördermaßnahmen stark in Frage gestellt. Und deshalb macht sich Winkels dafür anheischig, daß Sportliches künftig in einer Hand gebündelt werde, nach seiner Meinung am besten in der des Kultusministers. Sportpolitik, findet der Politiker Winkels, sei "heute mehr denn je auch Freizeitpolitik". Da seien neue Wege zu gehen. An Altensport, gar Altensportvereine zu denken, liegt beispielsweise nahe. Die Gemeinschaft aller als eine Art gemeinnütziger Sportverein, organisiert in einer wochenendlichen Freizeitgesellschaft, das ist eine Vorstellung.
    Eine andere Vorstellung ist die des auch in seiner Partei sportpolitisch höchstengagierten Parlamentariers: Winkels möchte für die Düsseldorfer Abgeordneten im neu zu bauenden Landtag einen Fitneß-Winkel haben. Ein Schwimmbecken für die streßgeplagten zweihundert Abgeordneten wäre "kein Luxus", meint er. Und der Westfale Winkels, der vor lauter politischen Verpflichtungen auf aktives Sportmachen verzichten mußte, will auch nicht lokkerlassen. Die Sportfraktion zieht da wohl auch mit. Denn ob Fußballkreisklasse, Schwangerschaftsgymnastik oder Spitzenleichtathletik oder Profifußball: Sport ist eben wohl eine der neuen sozialen Fragen. Und die Einigkeit in dieser Frage sei ebenso nötig wie erfreulich, sagt Winkels frischauf.
    Bernd Kleffner

    ID: LI760502

  • Porträt der Woche: Wilhelm Schlüter (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 2 - 23.01.1976

    Eigentlich wollte Wilhelm Schlüter die 8. Wahlperiode des nordrheinwestfälischen Landtages gar nicht mehr als Abgeordeter mitmachen. Aber dann wurden aus den bis dahin zwei lippischen Wahlkreisen drei geschnitten, und damit war Not am Mann. So kam es, daß der Hauptschulrektor a. D. am 4. Mai 1975 sich zum dritten Male als direkt gewählter Abgeordneter der SPD aus dem lippischen Teil Nordrhein-Westfalens gratulieren lassen konnte. Und er wurde in das Präsidium des Landtags entsandt.
    "Nach Mandaten und Funktionen hat der Jubilar nie gestrebt. Sie sind ihm zugefallen, weil bei seinen politischen Freunden seine Lauterkeit und Redlichkeit unbestritten und seirr umfassendes Wissen gepaart mit einem immensen Fleiß und nie ermüdender Einsatzbereitschaft anerkannt wird." Mit derlei Lobpreis, wenn er, wie auch in diesem Fall, zur Feier eines 60. Geburtstages erschallt, ist es natürlich so eine Sache; das bestätigte auch Schlüter mit einem Grienen und Kopfnicken. Aber die Richtung dieses Lobpreises stimmt für ihn.
    Denn mag er mittlerweile auch ein alter Fuhrmann sein im politischen Geschäft — dies auch im ursprünglichen Wortsinne, denn aus dem Lippischen zum Landtag zu fahren braucht besonders viel Zeit — und mag er seit dem Beginn seiner politischen Arbeit im Rat der Gemeinde Werl-Aspe und dann später als Fraktionschef im Stadtrat von Bad Salzuflen allerhand gelernt und auch mitgemacht haben - einer, der die Politik wesentlich auch zur Befriedigung von Geltungsstreben und Eitelkeit betreibt, ist Schlüter beileibe nicht. In einem Thesenpapier zum "Selbstverständnis der Abgeordneten", das die "Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft" Anfang 1975 ihren Mitgliedern schickte, hat Schlüter jedenfalls zwei Punkte am Rande mit einem deutlichen "Nein" versehen. Er sieht sich im Landtag nicht als "jemand, der sich politische Macht verschaffen will" (und als "Vertreter von Interessen seines Standes" mochte sich das GEW-Mitglied auch nicht verstehen).
    "Der Abgeordnete verkörpert das menschliche Element im Apparat der Macht. Er hat dafür zu sorgen, daß von mehreren annehmbaren Lösungen die menschlich überzeugende den Vorrang vor der technokratisch perfekten erhält." Diesem Selbstverständnis hat Schlüter freilich nicht immer Bahn brechen können. Und weil ihm das nicht möglich war, hat er - Sohn eines preußischen Bahnbeamten und also korrekt — beispielsweise mitten in der vorigen Legislaturperiode den Ausschuß für Verwaltungsreform verlassen. Ihm wurde die Arbeit des sogenannten "Zehnerclubs", in dem alle drei Parteien die strittigen Fragen der kommunalen Neugliederung quasi oberhalb der Fraktionsebene ausgehandelt haben, "unheimlich". Die früheren Neuordnungen seien "wesentlich sorgfältiger gemacht" gewesen, meint Schlüter. Und in seiner Ansicht, daß "manche Entscheidung weniger von der Sache her und kaum im Interesse der Bevölkerung getroffen" worden ist, sieht er sich durch die Urteile des Landesverfassungsgerichtshofes bestätigt. "Jetzt muß einiges repariert werden." Seit Mai wieder im Ausschuß für Verwaltungsreform, um die Zuständigkeitsreform mitgestalten zu können, will Schlüter nun auch bei diesen Reparaturarbeiten erst einmal mit anfassen.
    Daß Wilhelm Schlüter in seiner knappen Freizeit angelt, besser: sich als "Sportfischer" (darauf besteht er, wenngleich lächelnd) betätigt, weist ihn als einen Menschen der geduldig-verträglichen Sorte aus: und davon kann's auch im Landtag nie genug geben.

    Hartwig Suhrbier

    ID: LI760202

  • Porträt der Woche: Inge Donnepp (SPD), Minister für Bundesangelegenheiten.
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 25 - 19.12.1975

    Über Inge Donnepp schreiben, heißt auch, ihre drei Handikaps zu nennen: Als Sprößling einer alten Juristen-Familie ist sie nicht gerade der Typ der "geborenen Sozialdemokratin". Als Frau gehört sie jener kleinen, aber noch nicht radikalen Minderheit im Hohen Haus am Düsseldorfer Schwanenspiegel an, die dort nur ein knappes Dutzend Köpfe zählt. Und als Minister für Bundesangelegenheiten verfügt sie noch über keine nennenswerten parlamentarischen Erfahrungen. Über Inge Donnepp schreiben, heißt aber auch, ihre spezifischen Vorgaben zu registrieren: Als examinierte Dolmetscherin versteht sie sich gleichzeitig auf verschiedenen Sprachebenen zu bewegen. Als gelernte Juristin hat sie leichten Zugang zu den öffentlichen Angelegenheiten, die sich zumeist in Rechtsform darbieten. Und als Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen hat sie, SPD-Mitglied seit 1957, politische Praxis im vorparlamentarischen Raum, die auch der Frau Minister zugute kommt.

    Was aber am meisten an ihr auffällt, ist ihre bodenbeständige, auf den ersten Blick mütterlich wirkende Natürlichkeit, die sich nicht hinter Emanzipations-Maskeraden zu verstecken braucht. Nach sieben Jahren, die sie als Anwältin, und nach 20 Jahren, die sie als Richterin in der Sozialgerichtsbarkeit ihren Mann gestanden hat, ist der Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Söhnen nichts Menschliches fremd.
    "Mich hat niemand gezwungen, Minister zu werden", sagt Frau Donnepp rückschauend. Aber so ganz leicht ist ihr der Übergang nicht gefallen — einmal abgesehen von den parteiinternen Verwicklungen, die es bei der letzten Kabinettsbildung gab, als den Ministerpräsidenten vorübergehend mehr Ministeranwärter als verfügbare Ministersessel zu umgeben schienen. "Ich komme aus der dritten Gewalt. Dort gibt es das Streben nach Objektivität. In der Ministerialbürokratie ist vieles politisch." Daß sie sich trotzdem weiter darum bemüht, allem und jedem gerecht zu werden, glaubt man Inge Donnepp gern.

    Ein Achtstundentag - er ist für sie unerreichbarer denn je geworden. Hin und her pendelnd zwischen Oer-Erkenschwick, wo sie nach wie vor wohnt, Düsseldorf, wo ihr Regierungschef residiert, und Bonn, wo ihr eigentliches Aktionsfeld liegt, erfüllt sich Inge Donnepps Wunschbild von der "Arbeit als Hobby" fast im Übermaß. Reisediplomatie oder Schwebezustand? Von beidem wohl etwas — nicht einmal ihren eigenen Etat kann sie in den Haushaltsberatungen vor dem Landtag vertreten, weil er Teil des Haushalts der Staatskanzlei ist.

    Für ihre "Repräsentations"-Pflichten in Bonn stehen ihr heuer nur 50 000 Mark zu Gebote - ein Taschengeld im Vergleich zu den 200 000 Mark, mit denen beispielsweise der Freistaat Bayern seine Landesvertretung dotiert. Wenn es im Haus Nordrhein-Westfalen hoch hergeht, muß sich manche Bürokraft schon einmal das weiße Kellnerjäckchen überstreifen. "Leben ist wieder in diesem Haus. Aber es ist nicht Folklore, was wir machen", sagt die Frau Minister nicht ohne Stolz. Als im September in Bonn über den sogenannten "Versorgungsausgleich" beraten wurde, hatte Inge Donnepp die weiblichen Abgeordneten des Landtages und des Bundestages bei sich zu Gast. Und das ist es wohl, was ihr vor allem vorschwebt: Anstöße und Informationen geben, damit zwischen der Bundes- und der Landesebene mehr Kommunikation herrscht als bisher.

    Der Landtag hat keine direkten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Bundesrat. Einmal hat Frau Donnepp bisher dem Hauptausschuß des Landesparlaments über ihre Bonner Tätigkeit Bericht erstattet. Daß sie nicht so im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht wie andere Minister, mag Inge Donnepp persönlich zwar als Entlastung empfinden. Aber sie weiß auch, wo sie gefühlsmäßig hingehört: Als sie an der ersten Sitzung der SPD-Fraktion nach der Wahl teilnahm, setzte sich die Frau Minister zu den Abgeordneten aus Recklinghausen und nicht nach vorn zu den anderen Regierungsmitgliedern.
    Dirk Bavendamm

    ID: LI752503

  • Porträt der Woche: Erich Kröhan (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 22 - 28.11.1975

    Als Sohn eines Schneidermeisters im Zille-Hinterhaus-Milieu in Berlin- Charlottenburg aufgewachsen, wurden für Erich Kröhan (50) schon früh die Weichen seiner politischen Zukunft gestellt. Das soziale Elend der Arbeiter, ihre Ohnmacht vor dem Nazi-Regime und der Krieg bewogen den Siemens-Arbeiter mit seiner Frau, kurz nach dem Hochzeitstermin im Jahre 1947 der SPD und wenig später der IG Metall beizutreten.
    In den Berliner Hinterhöfen, wo Generationen "nur im Schatten lebten", wurde auch sein politisches Credo geboren: "Ich bin damals in die SPD eingetreten, weil sie für uns Arbeiter am meisten getan hat und vor allem aber am entschiedensten gegen den Krieg war." Seinem schon in Berliner Zeiten gefaßten Leitspruch ist sich der Vater eines Sohnes ("ebenfalls SPD-Mitglied") bis heute treu geblieben: "Lieber im zweiten Glied stehen und den Knopp auf, als vornean und bis obenhin zugeknöpft." Erich Kröhan liebt nicht den Aufwand, das große Zurschaustellen und Reden in der Öffentlichkeit, sondern "ich bin eher ein Mann der zweiten Reihe und schätze so etwas nicht".
    Verständlich deshalb, daß man den Landtagsabgeordneten, der bei der Wahl am 4. Mai für die Sozialdemokraten in seinem Mülheimer Stimmbezirk die Ja-Stimmen noch um einige Punkte auf 60,8 Prozent erhöhen konnte, nicht zu den in der Öffentlichkeit bekanntesten Politikern zählt. Für ihn, der seit Beginn der Wahlperiode auch dem Präsidium des Landtags angehört, heißt es vielmehr, die Kärrner-Arbeit in den Ausschüssen zu leisten, die von den Wählern kaum wahrgenommen wird. Jetzt in den Ausschüssen für Verkehr und für Sport setzt der gelernte Maschinenschlosser das fort, womit er nach seiner Übersiedlung aus der ehemaligen Reichshauptstadt im Mülheimer Stadtrat begonnen hatte.
    Bereits im Jahre 1956 widmete er sich als eines der jüngsten Ratsmitglieder den Bau-, Planungs-, Verkehrs- und Sportfragen der Ruhrgebietsstadt. Dies sind heute seine landespolitischen Schwerpunktbereiche, in denen es "noch viel zu tun gibt". Erich Kröhan betrachtet sich als entschiedener Verfechter des öffentlichen Nahverkehrs, dem auch weiterhin die erste Priorität beigemessen werden müsse. Was er an seiner politischen Tätigkeit heute vermißt, ist, "daß ich nach dem Inkompatibilitäts-Gesetz nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig sein kann und nicht mehr wie bisher als technischer Angestellter bei der Stadt Duisburg Kontakt mit der Basis halten kann".
    Dieses Manko versucht er jedoch durch seine Arbeit in der Bezirksvertretung und zahlreichen Verbänden wettzumachen. In den Mülheimer Sportverbänden ist er jedenfalls als "Basismitglied" in seiner Freizeit ständig aktiv. Doch auch hier behält er Distanz zu denen, "die im Rampenlicht stehen". "Zum bezahlten Fußball habe ich ein ausgesprochen gespanntes Verhältnis." Sportlich fair blickt er auch in die politische Zukunft. "Ich werde diese Periode voll zu Ende machen. Was dann passiert, weiß ich nicht, da die Jungen nachstoßen. Auf alle Fälle werde ich politisch aktiv bleiben."
    Aktivität schreibt Erich Kröhan auch in seiner Freizeit groß. Als ehemaliger "Laubenpieper" (Kleingärtner) tankt er Frischluft und Fitness im heimischen Nutz- und Ziergarten. Dem "mittleren Einkommen" des Familienvorstandes gemäß steuern die Kröhans mit einem Motorboot mittlerer Klasse über die Ruhr oder holländische Seen, "wenn die Politik das zuläßt". Martin O. Schmuck

    ID: LI752202

  • Porträt der Woche: Alfred Dobbert (SPD) ehem. Vizepräsident des Landtages.
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 21 - 21.11.1975

    "Sein Buch" hat der Journalist im Gewände des Politikers nicht mehr geschrieben, obwohl er mit 69 Jahren, bei seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik, ein Stück Parlamentsgeschichte mitgenommen hatte, um es zu durchforschen und zu beschreiben. Schade, denn gerade sein Buch wäre eine Fundgrube deutscher Nachkriegs- und nordrhein-westfälischer Landesgeschichte geworden. Aber Dobbert war, wie er selbst bescheiden bekannte, intellektuell zu redlich, um ohne Notizen und Zettelkasten, sich nur auf sein Gedächtnis verlassend, ein Stück Zeitgeschichte zu schreiben. In dieser Woche starb Dobbert, 78 Jahre alt, in seiner Heimatstadt Wuppertal.
    So mutig und wichtig Dobberts Haltung als sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter bei der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes war, seine bedeutendste Zeit lag in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, in denen er 18 Jahre lang als erster Vizepräsident des Landtags und Mitglied des Vorstandes seiner Fraktion, kämpferisch und fair zugleich, den parlamentarischen Stil des neuen Landtags durch seine überzeugende persönliche Haltung mitprägte.
    Auch nach seinem Tode bleibt Dobberts Handschrift in der Landesverfassung, in der Geschäftsordnung des Landtages, nicht zuletzt auch in den sozialen Absicherungen des Abgeordneten- Entschädigungsrechtes erhalten. Sein Name ist in zahllosen Landtags- und Ausschußprotokollen zu finden, aber selbst das getreueste Wortprotokoll vermag auch nicht annähernd die menschliche Ausstrahlung, die Persönlichkeit dieses Politikers wiederzugeben, der es wie kein anderer zu seiner Zeit verstanden hat, Brücken zu schlagen, auch über ideologische Gräben hinweg, wenn es darum ging, das Gemeinwohl zu fördern. Dazu hatte Dobbert in einer Zeit, in der es, wie gerade in den ersten Nachkriegsjahren, darum ging, Not zu lindern und die Kriegswunden zu heilen, nur allzuoft Gelegenheit.
    Dobbert, dem noch beim Eintritt in die Berufsausbildung als Riemendreher niemand hätte weismachen können, daß er einmal zu den Spitzenpolitikern an Rhein und Ruhr zählen würde, hat sich den brennenden Fragen der Zeit über seine berufliche Tätigkeit hinaus als Stadtverordneter und zeitweilig auch Bürgermeister in Wuppertal, als Vorsitzender des SPD-Parteibezirks Mittelrhein, als Mitglied des sozialdemokratischen Parteivorstandes auf Bundesebene, später des Parteirates, ebenso gestellt wie als Landtagsabgeordneter, Fraktionsvorstandsmitglied und Landtagsvizepräsident.
    Dobbert hat dabei nicht immer nur Sternstunden erlebt und Ehrungen, wie 1961 bei seiner Auszeichnung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und fünf Jahre später auch mit dem Schulterband oder 1967 mit dem Ehrenring der Stadt Wuppertal, sondern sogar auch Stunden bitterer Enttäuschung, wie die des Jahres 1952. Damals wurde er wegen seines testen Eintretens für die prowestliche Allianz aus dem Parteivorstand, dem höchsten Gremium seiner Partei, herausgewählt. Auch als Dobbert Mitte der sechziger Jahre, wie schon einmal Anfang der fünfziger Jahre, sich für eine Große Koalition von Sozialdemokraten und Christdemokraten in diesem Lande einsetzte, fand er, der ein Leben lang Toleranz und Fairneß auch dem politischen Gegner gegenüber übte, nicht nur Zustimmung für diese Einstellung.
    In den letzten Jahren sah Dobbert, mit Abstand vom politischen Alltagsgeschäft und mit der Weisheit des Alters, die Vergangenheit, auch seine eigene, und die Zeitgeschichte in vielen Dingen in einem etwas anderen Licht als in der Zeit, in der er selbst noch mit Engagement Politik betrieb. Die Konturen waren weicher geworden. Karl Fischer

    ID: LI752102

  • Porträt der Woche: Heinz Chmill (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 19 - 31.10.1975

    "Wenn man noch an zwei oder drei Tagen in der Woche im ßlaumann' an der Drehbank steht, dann bekommt man von den Kollegen nicht nur Tips, sondern man muß auch sehr viel Kritik einstecken." Der das sagt, heißt Heinz Chmill, wurde vor 60 Jahren im sauerländischen Plettenberg geboren, wohnt noch heute nur 80 Meter von seinem Geburtshaus entfernt und vertritt diese Region seit 1966 im nordrhein-westfälischen Landtag als im Wahlkreis 128 Lüdenscheid I direkt gewählter Abgeordneter der SPD. Er ist, wie das Zitat belegt, einer der wenigen Arbeiter, die diesen im industriereichen Nordrhein-Westfalen nicht gerade schwach entwickelten Stand im Parlament und auch in dessen Präsidium repräsentieren.
    Zur SPD, der schon sein aus Westpreußen in das Sauerland eingewanderter Vater angehörte, stieß der gelernte Werkzeugschlosser 1947. Seitdem ist er auch Mitglied der mächtigen IG Metall. Wie viele seiner Generation hatte Chmill nach acht Soldaten- und Kriegsjahren 1945 "erst einmal die Nase voll". Aber dann erkannte er, "daß man etwas tun muß". Er handelte damals nach dieser Erkenntnis, und auch heute könnte sie noch als Motiv für sein politisches Engagement gelten. Denn er bekennt frei und offen, daß ihn die politische Praxis mehr reizt als die theoretische Diskussion.
    An der Werkbank der Firma, der er nun schon mehr als 25 Jahre angehört, machte Chmill auch eine Erfahrung, die manchem Abgeordneten nicht gerade wie Musik in den Ohren klingen dürfte: "Landespolitik läßt Sich vor Ort nur schwer verkaufen." Selbst die Gebietsreform hat die Gemüter nicht so sonderlich erregt, wie mancher in Düsseldorf glauben mochte. "Da hat der Fall Meyfarth viel mehr Staub aufgewirbelt." Nein, der Landespolitiker Chmill muß bei den Kollegen an der Werkbank den Buckel hinhalten für "große, schlagzeilenträchtige Politik" und versucht dann, schnell erzeugte oder schon lange vorhandene Vorurteile abzubauen und über Sachverhalte und Zusammenhänge aufzuklären. "Meistens gelingt das auch", freut er sich.
    Gesunden Sinn für das Praktische offenbart Chmill bei der Belegung der Arbeitsfelder der Landespolitik. Hielt er in den Zeiten der Gebietsreform in den dafür zuständigen Ausschüssen "die Finger drin", so hat er sich in dieser Legislaturperiode den Finanz- und den Verkehrsausschuß des Parlaments als Schwerpunkte seiner Abgeordnetentätigkeit ausgesucht. Er weiß warum: Zu Hause sitzt er dem Aufsichtsrat eines kommunalen Nahverkehrsunternehmens vor. Deshalb ist für ihn klar, daß auf dem Gebiet des Nahverkehrs sich "einiges tun wird", daß Fusionen ins Haus stehen, schwierige finanzielle Probleme einer Lösung harren. Auch die Sozialtarife gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken: "Höchstens 75 Prozent des Normaltarifs".
    In einer Zeit, in der manche die Fehler der Vergangenheit am liebsten ignorieren, scheint der bedächtige Westtale Chmill eher bereit zu sein, aus der Vergangenheit und ihren Fehlern zu lernen: "Als Parlamentsneuling ging ich in den Rechnungsprüfungsausschuß. Da lernt man schneller, was geht und was falsch ist." Und auch ein kommunales Mandat sollte ein Landespolitiker ruhig behalten: "Da erkennt man schneller, wie die eigenen Entscheidungen sich auswirken."
    So hält er es. Obwohl er der Bürgermeister- und Landratswürde entsagt hat und nur "einfacher" Abgeordneter ist, bleibt nicht viel Zeit für Privates: Garten, Schwimmen, Lektüre und Reisen, am liebsten nach Tunesien. Von dort hat er — Vater von zwei eigenen Kindern - vor Jahren einen Jungen mitgebracht ("der sagt heute Vater zu mir") und ihm zu Berufsausbildung und Stellung verholten.
    Karl Lohaus

    ID: LI751902

  • Porträt der Woche: Waltraud Lauer (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 16 - 26.09.1975

    Waltraud Lauer ist eine der wenigen (elf) Frauen im 8. nordrhein-westfälischen Landtag. Die 49jährige Duisburgerin, als Neuling im Landes-Parlament durchaus keine politische Anfängerin, sieht sich freilich nicht als Lobbyistin für im Jahr der Frau unverhofft entdeckte sogenannte Frauenfragen. Die Sozialdemokratin, die so gar nichts von dem hat, was man weniger amüsiert denn frustriert über SPD-Genossinnen des öfteren zu hören bekommt, meint schlicht: "Wir haben die gleiche Arbeit zu leisten wie die Männer. Wenn man das tut, wird man auch anerkannt." Dieser unprätentiösen Linie treu, macht Waltraud Lauer keinen Hehl daraus, daß sie gerne kocht und "schrecklich gerne" Gäste hat.
    Die Politikerin, Tochter eines von den Nazis verfolgten Sozialdemokraten und späteren NRW-Landtagsabgeordneten, mit einem Funktionär der Duisburger SPD verheiratet, Mutter eines 18jährigen Oberprimaners, der eine Schülergruppe der Sozialistischen Jugend "Die Falken" leitet, trat 1946 in die SPD ein. Eine Oberschule oder gar Hochschule hatte sie im "Dritten Reich" wegen des väterlichen Engagements nicht besuchen dürfen; statt dessen absolvierte sie nach der Volksschule die Handelsschule, eine kaufmännische Lehre und wurde Buchhalterin.
    In Gremien der Partei, in der Arbeiterwohlfahrt und bei den "Falken" bekleidete Waltraud Lauer verschiedene Funktionen. Von 1961 bis 1974 war sie Mitglied des Rates der Stadt Duisburg, zuletzt als stellvertretende Fraktionschefin, außerdem Mitglied der Landschaftsversammlung Rheinland.
    Das besondere Interesse Waltraud Lauers, die dem Landtagspräsidium angehört, gilt jugendpolitischen Problemen. Sie arbeitet in den Parlamentsausschüssen für Jugend und Familie, Gesundheit und Soziales, Justiz sowie Kultur mit. Dabei will sie ihre Kraft auf die außerschulische Bildung, auf die nach ihren Vorstellungen künftig die Bürger Nordrhein-Westfalens einen Rechtsanspruch haben sollen, auf weitere Reformen des Jugendstrafvollzugs und nicht zuletzt auf eine Änderung des Armenrechts konzentrieren. Denn gerade hier gehe es "ganz schrecklich" zu. Künftig, so macht sich Waltraud Lauer für die kostenlose, kommunale Rechtsberatung stark, müsse sichergestellt werden, daß jedermann, vor allem auch der sozial Schwache, sein Recht voll ausschöpfen könne, ohne zum Aufgeben gezwungen zu sein, weil das Geld fehlt.
    Aus langjährigen Erfahrungen in der Kommunalpolitik glaubt Waltraud Lauer zu wissen, "was der Bürger will und wo es auf den Nägeln brennt". Deshalb will sie die Chance nutzen, ihr "Basiswissen" in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß einzubringen — nach dem Motto "Stadt und Land - Hand in Hand". Denn die im Landtag beschlossenen Gesetze hätten ihre Auswirkungen vor allem in den Kommunen.
    Dem Duisburger Stadtparlament gehört die Politikerin nicht mehr an. Nach dem Willen ihrer Ortspartei sind Doppelmandate nicht zulässig. Der Verzicht fällt ihr indessen gar nicht so schwer. "Es macht mir viel Spaß", sagt sie über ihre kurzen Erfahrungen im Landtag. Über das "Katergefühl" aller Neulinge, die an der Anonymität des Parlaments leiden, wird sie hinweggetröstet. "Die Bürger meines Duisburger Kommunalwahlkreises kommen immer noch mit ihren Anliegen zu mir. Sie haben noch gar nicht gemerkt, daß ich nicht mehr im Rat bin."

    Bernd Kleffner

    ID: LI751625

  • Porträt: Dr. Heinz Engelhardt (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 9 - 21.03.1975

    Er wünscht kein geschriebenes Porträt von sich, kein freundliches Abschildern seiner Person inklusive Hobbys und Kinderzahl. Der SPD-Abgeordnete Dr. Heinz Engelhardt, der nach nur einer Legislaturperiode den Düsseldorfer Landtag wegen des Zungenbrechers "Inkompatibilität" schon wieder verlassen muß, will noch was loswerden; ein "Rückblick" auf fünf Jahre Parlamentsarbeit ist ihm wichtig; kein Rückblick im Zorn, doch durchsetzt mit Kritik.
    Darum schnell vorweg sein politischer Werdegang, gleichsam zum Abhaken im Telegrammstil: Geboren 1930 in Wuppertal-Elberfeld; starke Prägung schon des Jungen durch das echte Arbeitermilieu in seiner aus Tradition sozialdemokratischen Familie; Schulbesuch noch zu einer Zeit, da er und seinesgleichen gegenüber "bürgerlichen" Kindern deutlich benachteiligt und vom Lehrer attackiert wurden, wenn sie etwa den teuren Atlas nicht bezahlen konnten. 1947 Eintritt bei den "Falken"; seit 1954 SPD-Mitglied; 1956 Wuppertaler Juso-Chef, bevor Johannes Rau das machte; Weihnachten 1969 Aufforderung an ihn, für den Landtag zu kandidieren. Obwohl es seiner beruflichen Entwicklung als Chirurg "nicht besonders förderlich" sein würde und er "noch nicht einmal wußte, was es für Diäten gibt", nahm Engelhardt das ihn überraschende Angebot an, zog 1970 in das Parlament ein und leistete wesentliche Beiträge für das Zustandekommen des Krankenhaus-, des Rettungsdienst- und des Facharztgesetzes.
    Gerne würde er für weitere fünf Jahre Volksvertreter am Schwanenspiegel sein. Aber Engelhardt hat selbst dabei mitgewirkt, daß er "inkompatibel" ist, daß er als von der Stadt Köln bezahlter Krankenhauschirurg und somit Angestellter im öffentlichen Dienst dem Parlament in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr angehören darf, wenn er seine berufliche Position nicht aufgeben will. Er findet es auch "im Grunde richtig", daß Kontrollierte und Kontrolleure nicht in Personalunion die Parlamentsbänke drücken sollen. Doch bevor die von ihm mitgetragene "Inkompatibilität", die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat, überhaupt zum erstenmal wirksam werden kann, kommen Engelhardt schon Zweifel, ob das seinerzeit angepeilte Ziel "überhaupt erreichbar" ist. Er befürchtet gar, daß die Beamten jetzt erst recht in hellen Scharen in den Landtag strömen.
    "Es ist schlimm", meint Engelhardt ganz offen, "für manchen Beamten werde das Mandat doch zu einem 'lukrativen Geschäft'." Denn der brauche sich ja nur beurlauben zu lassen, womit er nicht mehr unter die Unvereinbarkeitsbestimmung falle, "seine Bezüge laufen zumindest zu 50 Prozent weiter, und dann kommen noch die Diäten drauf". So würden "bestimmte Personengruppen angelockt, die die Qualifikation gar nicht haben". Der wirtschaftlich unabhängige Abgeordnete sei sehr wohl nötig; "aber warum muß ein Beamter, der ins Parlament kommt, mehr verdienen als vorher?!"
    Auch zur Möglichkeit, einem Parlament viele Legislaturperioden hindurch angehören zu können, hat Engelhardt seine eigenen und ketzerischen Gedanken: "Es ist verderblich für den einzelnen Abgeordneten, sich nach einer gewissen Zeit wiederwählen lassen zu müssen." Damit sehe der Parlamentarier doch oft "mehr auf den Wähler als auf die sachliche Notwendigkeit". Beispielsweise in der kommunalen Neuordnung sei "viel Unehrlichkeit produziert worden. Wenn ich das schon höre, wenn einer sagt: das kann ich in meinem Wahlkreis nicht vertreten." Wenn Abgeordnete etwas sachlich Richtiges nicht politisch durchsetzen wollen, "disqualifizieren wir unsere eigene parlamentarische Arbeit".
    Christoph Lütgert

    ID: LI750902

  • Porträt der Woche: Wilhelm Mayfeld (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 7 - 07.03.1975

    Wilhelm Mayfeld wird dem nächsten Landtag nicht mehr angehören. "In meinem Alter muß man wissen, wann man Schluß machen sollte", meint er. Der Rektor einer Hauptschule in Castrop-Rauxel, am 9. Januar 1913 in Bövinghausen (Kreis Dortmund) geboren, will sich ab Mai auf die Kommunalpolitik zurückziehen.

    Soziales Engagement hat Wilhelm Mayfeld im Elternhause gelernt. Er stammt aus einer alten Bergmannsfamilie. Vater Wilhelm und Großvater Friedrich, der 1952 im Alter von 99 Jahren starb, waren Hauer unter Tage. Der Opa ging fast bis zum 70. Lebensjahr jeden Tag anderthalb Stunden zu Fuß zum Pütt und wieder zurück, gehörte schon früh zum Bergarbeiterverband und erzählte dem Enkel von Tarifkämpfen, Streik, Aussperrung und Solidarität der Kumpel.

    Vater Wilhelm war Sozialdemokrat und nach 1928 sechs Jahre lang arbeitslos. Die Eltern sparten sich den letzten Groschen ab, damit die beiden Jungen das Abitur machen konnten. "Uns half es sehr, daß wir musikalisch begabt waren", erzählt Wilhelm Mayfeld von den Notjahren. Der Vater und die beiden Söhne spielten gut Klavier. Mit Unterhaltungsmusik in Cafes verdienten sie das Geld für Schule und Studium. Der Vater hatte schon vorher Stummfilme in Kinos musikalisch untermalt und damit das Familieneinkommen aufgebessert.

    Weil die Familie politisch belastet war, mußte Wilhelm Mayfeld junior zur Nazizeit "freiwillig" dem studentischen Arbeitsdienst beitreten, um zum Studium zugelassen zu werden. Seine erste Lehrerstelle trat er am 1. Mai 1937 in Trakehnen an. "Ich kam gerade richtig zur Maifeier." Innerhalb von zwei Jahren wurde er, als Lehrer und Kantor zugleich, in fünf verschiedene ostpreußische Kreise versetzt. "Ich lernte ein herrliches Land kennen", sagt er.

    1939 wird Wilhelm Mayfeld eingezogen. Am 6. Mai 1945 erleichtert er einen General, "der ohnehin einen Wagen hatte", in Mecklenburg um ein Fahrrad und ist bereits am 24. Mai bei seiner Frau in Castrop-Rauxel, wo er Anfang 1946 Lehrer und später Rektor wird. Er ist Mitbegründer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Ich habe aber bald eingesehen, daß gewerkschaftliche Tätigkeit nicht ausreicht, politisch Einfluß zu nehmen", sagt er. 1954 tritt er in die SPD ein. Ein Jahr später ist er Vorsitzender des Ortsvereins. 1956 wird er in den Rat, in dem er viele Jahre die SPD-Fraktion führt, 1966 in den Landtag gewählt. Im Landesparlament gehört er dem Haupt- und dem Kulturausschuß sowie als Stellvertreter dem Innen- und dem Petitionsausschuß an. In Schulfragen spricht er als alter Praktiker ein gewichtiges Wort mit, aber ihn interessiert das gesamte Feld der Kulturpolitik. Besonders hat er sich für das Musikschulgesetz eingesetzt.

    Auch an Plenartagen hat Wilhelm Mayfeld in seiner Hauptschule wenigstens die erste Stunde Unterricht erteilt. "In meiner ganzen Zeit als Abgeordneter habe ich jeden Schultag vor einer Klasse gestanden", versichert er. Fit hält er sich auf stundenlangen Wanderungen, mit Kneippschen Wassergüssen und am geliebten Klavier. Besonders gern spielt er Haydn-Sonaten.

    Gerd Goch

    ID: LI750702

  • Porträt der Woche: Aloys Schwarze (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 5 - 21.02.1975

    Wegen einer Wahlrede vor dem Rathaus von Paderborn mußte sich der SPD-Landtagsabgeordnete Aloys Schwarze 1958 gegenüber dem Bonner Parteivorstand verantworten. Der praktizierende Katholik hatte dem Marxismus eine Absage erteilt - zu einer Zeit, da das Godesberger Programm in der Sozialdemokratie das Verhältnis zu den Katholiken noch nicht neu bestimmt hatte.

    Im Spannungsverhältnis zwischen der Zugehörigkeit zur SPD und dem Bekenntnis zum katholischen Glauben war der junge Abgeordnete vom "Stalingrad-Jahrgang" (1921 geboren) auf gewachsen. Schon sein Vater war in der Erzbischofsstadt Paderborn vor 1933 Sozialdemokrat und aktives Mitglied seiner Kirche zugleich gewesen. Daß er selbst für seine Partei mit Mut und konsequentem Einsatz ein neues Verhältnis zur katholischen Kirche in seinem politischen Arbeitsbereich mitgeschaffen hat, das würde der zurückhaltende Aloys Schwarze von sich selbst kaum behaupten. Führende Geistliche des Paderborner Erzbistums sind da weit eher bereit, seinen Bemühungen ihren Respekt zu zollen.

    Seit Schwarze 1956 mit 34 Jahren als jüngster Abgeordneter über die Reserveliste in den Landtag von Nordrhein-Westfalen "nachrückte", hat er dem Landtag angehört — mit zwei kurzen Unterbrechungen nach Wahlen, bis jeweils sein ostwestfälischer Listenplatz zum Nachrücken dran war. Seine journalistische Tätigkeit als Leiter der Paderborner Bezirksredaktion der "Neuen Freien Presse" (heute "Neue Westfälische") hat er in all diesen Jahren beibehalten. Trotz der Doppelbelastung wurde er in der vorletzten Wahlperiode sogar als Nichtjurist zum Vorsitzenden des Justizausschusses gewählt.

    Seine Ausbildung nach der Heimkehr aus Kriegsgefangenschaft in Italien hatte Schwarze in Bielefeld erhalten. Schreibtisch an Schreibtisch Carl Severing gegenüber, dem früheren preußischen und Reichsinnenminister in der Zeit der Weimarer Republik. Als Chefredakteur einer zunächst nur zweimal wöchentlich erscheinenden Zeitung hatte Severing viel Zeit, seinen einzigen Volontär Leitartikel "zur Probe" schreiben zu lassen und ihn in die Politik einzuführen. Für das eigentlich angepeilte Hochschulstudium hatte Schwarze in den Nachkriegsjahren keinen freien Studienplatz finden können. Schließlich ging er nach Frankfurt, um sich eine Weile fremden Wind um die Nase wehen zu lassen, ehe er als Redakteur ins heimatliche Paderborn zurückging.

    Mit der Wahl in den Stadtrat kam 1953 der erste Schritt in die Politik selbst. Daß die Partei ihn dann bald in den Landtag schickte, daß er immer neue Aufgaben erhielt — Aloys Schwarze hat dies alles so akzeptiert, wie es der strengen preußischen Pflichterfüllung seines Lehrmeisters Severing entsprochen hätte. Zum politischen Kern der SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf hat er schon bald gehört. Nach 19 Jahren, in denen er im Landtag mit Sachverstand und Überzeugungstreue gelegentlich auch gegenüber den Wünschen der eigenen Parteifreunde unnachgiebig, gewirkt hat, will Aloys Schwarze zur Neuwahl am 4. Mai 1975 nicht mehr kandidieren.

    "Ich habe es meiner Familie versprochen, daß ich es nun nicht noch einmal tue", sagt Schwarze. "Die Belastung ist zu groß geworden, man kann heute nicht mehr Abgeordneter sein und das mit einem vollen Beruf vereinbaren." Sein Sohn ist Jurastudent, die Tochter steht vor dem Abitur. Der Abgeordnete aus Paderborn weiß, daß er sich oft kaum ausreichend hat um seine Kinder kümmern können, "ein wenig Hilfestellung brauchen sie vielleicht noch".
    Aber es ist nicht nur die Familie, nicht nur die physische Belastung des Landesparlamentariers, der allwöchentlich für mehrere Tage aus einem der entferntesten Landesteile nach Düsseldorf fahren muß. "Es sind Jüngere da, die sich rechtzeitig in diese Aufgabe einarbeiten müssen." Und ein wenig stolz ist er darauf, daß es in seinem Partei-Unterbezirk kein Juso- Problem gibt, weil er auch dort dafür gesorgt hat, daß die nächste Generation in die Verantwortung aufrückt.

    Peter Weigert

    ID: LI750529

  • Porträt: Gerhard Wendzinski (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 3 - 31.01.1975

    Gerhard Wendzinski gehört zu den SPD-Abgeordneten, die ihr Mandat mehr als Auftrag der Wähler denn als Befriedigung persönlicher politischer Leidenschaften betrachten. Er fühlt sich in die Pflicht genommen, ist deshalb auch fähig, hinter die Sache zurückzutreten. Rein äußerlich - randlose Brille, glattes Gesicht, kurzes linksgescheiteltes Haar, Konfektionsanzug - scheint er dem Klischee des unscheinbaren Parlamentariers zu entsprechen, dem Stereotyp des fleißigen, nüchtern-technokratischen Abgeordneten.
    Das ist freilich auf den zweiten Blick ein Irrtum und wohl auch der einzige Widerspruch in der Person des 39jährigen Dortmunder Physik- Ingenieurs. In seinem Beruf — wie in der Politik - wirkt er als "Übersetzer" ausgleichend, überträgt er als Dolmetscher die strengen Terminologien der Physik in die Sprache der Technik, wird damit zum Medium für die Nutzanwendung neuer naturwissenschaftlicher Ergebnisse und Erkenntnisse in der Industrie. Und deshalb notwendig darauf angewiesen, immer auf dem laufenden zu bleiben, kann Wendzinski beispielsweise sagen: "Ich werde immer zu denen gehören, die das Bestehende überprüfen."
    So motiviert, mag der heimliche Weinliebhaber aus Deutschlands berühmtester Bierstadt seine Fähigkeiten und Kenntnisse nur sachgerecht einsetzen, etwa im Verkehrs- oder Jugend- und Familienausschuß oder und vor allem im Planungsausschuß.
    "Planung", sagt der Vater von zwei Töchtern (8, 5), "ist ein Teil der Sozialpolitik." Aus diesem nur entfernt technokratischen Verständnis heraus versucht Wendzinski seine Politik "an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren". Ein Allerweltssatz, sicher, aber deshalb nicht notwendigerweise weniger ehrlich.
    "Stillstand", artikuliert sich der sozialreformerische Elan Wendzinskis, "heißt für mich Rückschritt. Um dann doch klärend einzuschränken: "Aber es gibt nichts, was stillsteht." So eingegrenzt kann er auch von Systemveränderung reden. In diesem Verständnis sieht er sich selbst als Systemveränderer.
    Ob er Veränderung bewirkt hat, läßt er offen. In 20 Jahren SPD- Mitgliedschaft, 22 Jahren Zugehörigkeit zur IG Metall, mehr als zehn dahren Kommunal- und Landespolitik sind Erfolge natürlich nicht ausgeblieben. Das überzeugt den Wähler. Und aufs Überzeugen kommt es dem Politiker Wendzinski an. Sein äußerlich kühles Engagement, in dem immer auch der Zweifel mitschwingt und das Vorurteil, daß ein Techniker sich nicht politisch zu betätigen habe, setzt er in Dortmunds Norden zusammen mit seiner Frau nicht nur in der SPD, sondern auch in Kreisen der evangelischen Kirche ein. Überzeugen will er als konsequenter christlicher Sozialist, aber nicht als Theoretiker, sondern als Praktiker.
    Deshalb hält Wendzinski auch viel davon, sich aus eigener Anschauung ein Urteil zu bilden. Das gilt nicht allein für die Politik. Früher, als er noch Zeit hatte, unternahm Wendzinski jedes Jahr große, mehrere Monate dauernde Reisen in den Orient. Heute reicht es gerade noch für den Urlaub im Norden. Das bißchen Freizeit gestaltet Wendzinski zweckdienlich. Im Technikerjargon: "Wenn ich Muße habe, versuche ich zu speichern." Er lädt Wissen auf, aber auch Nervenkraft, denn "in der Politik muß man sich konzentrieren".
    Gelassen sieht er seinem neuerlichen Landtagswahlsieg entgegen. 62 Prozent holte Wendzinski 1970, als er zum erstenmal für das Düsseldorfer Parlament kandidierte. Frau und Familie vor allem, nicht zuletzt auch der Stahlriese Hoesch, werden auch in den nächsten fünf Jahren "ihren Mann" nicht ungeteilt haben. Bernd Klettner

    ID: LI750302

  • Porträt: Reinhold Trinius (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 1 - 17.01.1975

    Auf den ersten Blick das, was man einen zerstreuten Professor nennt, im Gespräch ein konzentrierter Denker, in der politischen Debatte ein unnachgiebiger Reformwilliger: Der SPD-Abgeordnete Reinhold Trinius.
    Der Bundestag müßte ihn doch eigentlich stärker reizen als das Landesparlament, möchte man meinen, wenn der 40jährige seine Vergangenheit Revue passieren läßt und dabei Geschichte und Geschehen streift, die ihn politisch prägten und motivierten. Doch der Bundestag wäre für Trinius "wohl eine Nummer zu groß", nicht weil er Komplexe hätte. Er will nur seine politische Arbeit überschauen und deren Erfolg, soweit das geht, kontrollieren können.
    Der in Langendorf bei Zeitz (Sachsen-Anhalt) geborene Pfarrerssohn setzte sich als 19jähriger Literaturstudent 1952 "von drüben in den Westen" ab. Seinen Weggang oder Umzug zu Verwandten in Bochum belegt er nicht mit dem schicksalschweren Wort "Flucht". Er habe ohnehin damit rechnen müssen, von der Uni in Halle zu fliegen. "Wir haben uns damals angesichts des Loches West-Berlin ungeschickt und leichtfertig verhalten. Oppositionelles Verhalten kam sich engagiert vor, war es aber nicht. Denn man hielt sich für sich selbst immer beide Möglichkeiten offen: Bleiben oder abhauen. Wer heute drüben lebt, muß sich ganz anders verhalten. Die Mauer zwingt jetzt jeden dort, die DDR ernst zu nehmen", vergleicht Trinius seine Vergangenheit mit der Gegenwart.
    Wo und wie er sich in den nächsten Jahren auch politisch engagierte, ständig spielte das Zurückliegende mit, war, um es mit diesen Chiffren zu umschreiben, Gesamtdeutsches oder Deutschlandpohtisches im Spiel: Veranstaltungsreihe an der Tübinger Uni über den Menschen im kommunistischen System, studentischer Arbeitskreis für Ost- West-Fragen, der sich schon damals für die Auflösung der Fronten und Blöcke einsetzte. Von Studenten mitgetragene Schülerlehrgänge zum Ost-West-Thema, deren hauptamtliche Leitung in Vlotho/Weser er 1964, vier Jahre nach seinem Gymnasial-Lehrerexamen, für 24 Monate übernahm; Eintritt in die SPD, weil er sich nach dem Bau der Berliner Mauer "dringend" einen Wechsel der Deutschlandpolitik und deshalb einen SPD-Bundestagswahlsieg wünschte und weil er Jahre zuvor in der DDR erkannt hatte, "daß die Trennung zwischen der Arbeiterschaft und den akademischen Schichten die Chancen für Reformen sinken läßt". Diesen Konflikt zu lösen, hielt er nur die Sozialdemokraten für fähig.
    Und weil es gerade in der Kulturpolitik jene Trennung zu überwinden gelte, legte der 1970 in den Landtag gewählte Trinius "von Anfang an großen Wert darauf, in den Kulturausschuß zu kommen". Kulturpolitik, findet der Gymnasial-Lehrer, sei anfangs sehr isoliert von Pädagogen entwickelt worden, müsse aber zunehmend unter gesellschaftspolitischen Aspekten gesehen werden. Daß der für das umstrittene Schulstrukturgesetz streitende Trinius auch in der nächsten Legislaturperiode für bessere Orientierungsmöglichkeiten in der Schullaufbahn und die Erweiterung des Bildungsangebotes, um nur weniges anzureißen, kämpfen wird, steht fest: Sein bombensicherer Wahlkreis Minden Süd garantiert Wiederwahl.
    Christoph Lütgert

    ID: LI750102

  • Porträt: Fritz Wirtz (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 32 - 13.12.1974

    Fritz Wirtz (53) ist, wie man so schön sagt, ein Sohn des Kohlenpotts: geboren in Gelsenkirchen, aufgewachsen in Wattenscheid, Wahl- Bochumer seit vielen Jahren. Wobei ihn übrigens nicht im geringsten stört, daß er, wohnte er noch in Wattenscheid, durch die Verwaltungsreform jetzt ohnehin Bochumer würde. Das ganze Industrierevier ist für ihn eine Einheit, Stadtgrenzen sind Nebensache.
    Der Kumpel aus dem Revier und der in der Arbeiterbewegung aktive Vater haben die Entscheidung von Wirtz zum politischen Engagement vorausbestimmt. Als er 1946 der Sozialdemokratie und der Gewerkschaft beitrat, bot sich für ihn "eine andere Alternative nicht". Vor und hinter diesem Datum liegen Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse, die Wirtz in einem bescheidenen Satz zu seiner politischen Zielaussage komprimiert hat: "Meine Arbeit gilt vorwiegend den Arbeitnehmern." Die Einschränkung "vorwiegend" klingt dabei schon fast verlegen — typisch westfälisches (falls es so etwas gibt) Diminutiv für ein Engagement, das sich gegen große Worte sträubt. Und deshalb ist das, was Wirtz für "seine" Arbeitnehmer herausgeholt hat, nicht der großen Rede wert, wenn es auch zu verhaltenem Stolz berechtigt.
    In dieser unaufdringlich-wortwägenden, zurückhaltenden Denk- und Sprechweise manifestiert sich der "Godesberger" Wirtz. Das Godesberger Programm der SPD bestimmt auch die zuweilen stattfindenden Diskussionen mit den beiden Söhnen, 30 und 25 Jahre alt, beide auch Sozialdemokraten.
    Die politische Anatomie des Abgeordneten Fritz Wirtz ergibt mithin keinerlei Überraschungen, keine Frakturen, keine Schatten: als einer der ersten Absolvent der Akademie der Arbeit in Frankfurt, DGB-Jugendsekretär, DGB-Vorsitzender in Neuss-Grevenbroich, Bochum-Wattenscheid, Bevollmächtigter und Geschäftsführer der IG Metall Bochum-Wattenscheid, Stadtverordneter in Bochum bis 1970, Mitglied des SPD-Kreisverbandsvorstands, auch 1975 wieder Landtagskandidat in einem mit über 60 Prozent SPD- Wählern "bombensicheren" Wahlkreis — ein Bilderbuch-Sozialdemokrat.
    Diesem besonderen Klischee, das sich dem über Westfälisches mühelos anpaßt, wirkt Wirtz nur beiläufig entgegen. Er trägt seine Haare so wie sonst kaum ein 50er — etwas lang; mit der im Augenblick in der SPD leicht gängigen Münze der werktätigen Vergangenheit, die im Gegensatz zu "linken Schwärmereien" als orthodoxes Passepartout herhalten muß, zahlt er selten. In seiner Partei steht er indessen sicher nicht links — für Theorie fehle ihm die Zeit, meint er.
    In Düsseldorf konzentriert sich Wirtz ganz selbstverständlich auf die Mitarbeit im Ausschuß für Arbeit und Soziales und im Ausschuß für Grubensicherheit. Gerade hier fühlt er sich den Bürgern seines Wahlkreises im Bochumer Norden besonders verpflichtet: Von ihnen gehen noch immer etliche, wenn auch auswärts, als Bergleute "auf Schicht". Zum Zeitvertrödeln hat der untersetzte Mittfünfziger sehr zum Leid seiner Frau keine Zeit. Und das Wort Hobby kommt im aktiven Sprachschatz des Vielbeschäftigten nicht vor. Bernd Kleffner

    ID: LI743202

  • Porträt: Friedrich Marquardt (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 30 - 29.11.1974

    Ein Westpreuße vom Schädel bis zur Sohle, das sieht man auf den ersten Blick. Die große Seenplatte von Danzig bis Bromberg ist Friedrich Marquardts verlorene Heimat. Das Elternhaus stand in Nakel an der Netze. Aber schon nach dem ersten Weltkrieg bei Einrichtung des polnischen Korridors zog die Reichsbahner-Familie mit dem zehnjährigen Sohn zu Verwandten nach Essen ins Ruhrgebiet. Dort hat der Unternehmer Friedrich Marquardt seit Jahrzehnten einen guten Namen als Spezialist für Nachrichtenanlagen und Antennenbau.
    Ein Unternehmer als SPD-Landtagsabgeordneter? Ein Kapitalist gar? Marquardt hat zeitlebens schwer gearbeitet. Von der Berufsschule weg wurde er Radio-Volontär. "Radio - das war damals etwas ganz Neues, eine Lehrlingsausbildung gab's noch gar nicht." So führte der Weg zum sehr frühen Engagement in der Sozialistischen Arbeiterjugend, im Metallarbeiterverband und schon 1930 in der SPD. Hitler zerstörte alles. Doch der Soldat Marquardt ist nicht "marschiert." Bei einer Radar- und Nachrichteneinheit konnte er fachliche Leidenschaften befriedigen. 1945 ist er aus der Tschechoslowakei "sofort in Zivil zu Fuß nach Hause getürmt".
    Wiederaufbau hieß die Gemeinschaftsaufgabe. Marquardt schuf sich eine erste kleine Werkstatt und stellte sich — nunmehr als Radio- und Fernsehtechnikermeister — seiner Innung und dem Mittelstand, dem Einzelhandel, der Handwerkskammer, dem Stadt- und dem Sparkassenrat, schließlich 1966 auch der SPD im Düsseldorfer Landtag zur Verfügung. Ein sicheres Direktmandat im Wahlkreis Essen III gewährte scheinbar Freiheit, gebar jedoch alsbald große Konflikte.
    Jahrelange "grausame" Auseinandersetzungen mit den Jungsozialisten haben diesen Abgeordneten schwer getroffen. Er wurde als Lehrlingsschinder, Ausbeuter, Blutsauger, als "Dracula" gebrandmarkt.
    Marquardt gewann seine Prozesse wegen Verleumdung, Geschäftsschädigung und Schadenersatz. "Die Jusos von damals sind heute fast alle in der DKP", sagt er. Doch das Geschäft und die Familie nahmen Schaden. Marquardt will seiner alten Arbeiterpartei zwar treu bleiben, obwohl seine Frau die SPD verlassen hat. Aber auch der 65jährige Abgeordnete wird mit Ende dieser Legislaturperlode das Parlament verlassen. "Die jungen Leute wollen alles besser wissen, sollen sie's doch machen!"
    Da spricht Resignation mit, doch bleibt auch Stolz. Marquardt ist überzeugt, daß er für Handwerk und Handel in diesen zwei Wahlperioden viel hat tun können. Es sei eine gute Zeit gewesen, es habe sich gelohnt, für die Bürger politisch zu arbeiten, meint er. Freilich sieht er auch mit Sorge, "daß Selbständige sich kaum noch für die SPD engagieren". Aber Marquardt bleibt in der "Arbeitsgemeinschaft Selbständige" tätig, auch in den berufsständischen Organisationen, seitdem sein Sohn sich nach erfolgreichem Studium mehr dem Familienunternehmen widmen kann.
    Das scheint ihm überhaupt das größte Problem zu sein, daß die Abgeordnetentätigkeit, so man nicht gerade Beamter ist, mit einem privatwirtschaftlichen Beruf zeitlich kaum noch zu vereinbaren ist. Und dann gibt es da noch ein Freizeitproblem, das seit langem gut verpackt auf dem Speicher seines Hauses liegt. Denn Friedrich Marquardt - Vorsicht an der Bahnsteigkante! - ist auch Modelleisenbahner. Lothar Bewerunge

    ID: LI743002

  • Porträt: Karl Josef Denzer (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 28 - 08.11.1974

    In seinem äußeren Erscheinungsbild ist der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Josef Denzer der unauffällige Kommunalpolitiker und Verwaltungsbeamte geblieben, als der er vor vier Jahren in den Landtag einzog. Dem äußeren Erscheinungsbild aber widerspricht sein ausgeprägtes Engagement, mit dem er seinen kommunalpolitischen Sachverstand im Landtag und dessen Gremien zur Geltung bringt und mit dem Durchsetzungsvermögen vertritt, das seiner Zielstrebigkeit entspricht.
    Ursprünglich hatte der 1925 in Trier geborene Denzer, der in der Nachkriegszeit zum unverwechselbaren Westfalen wurde, den Landtag gar nicht zu seinem Ziel erkoren. Ihm erschien es wichtiger, in der Kommunalpolitik zu wirken. 1954 schon wurde er Ratsmitglied in Werl-Aspe, übernahm dort später den Vorsitz der SPD-Fraktion und zog 1969 in den Rat der Stadt Bielefeld ein. Als Ratsmitglied aber spürte er zunehmend die Abhängigkeit der Kommunen von den Entscheidungen des Landtags. Weil er aber die Situation der Kommunen verbessern und ihre Interessen wahrnehmen wollte, mußte er sich zwangsläufig für eine Landtagskandidatur entscheiden.
    Für die SPD-Fraktion war es schließlich selbstverständlich, daß ein derart intimer Kenner der Gemeindefinanzen in den Haushalts- und Finanzausschuß gehört, dessen Arbeit entscheidenden Einfluß auf die gesamte Landespolitik ausübt. Denzer nahm dabei in Kauf, daß er mit dem Ausschuß das Feld der Politik beackerte, über dessen Früchte kaum gesprochen wird. Es entspricht seinem Naturell, um seine Arbeit nicht viel Aufhebens zu machen, sondern sie eher still in Übereinstimmung mit den Zielen seiner Partei zu erledigen.
    Drei Tage der Woche gehören seither dem Düsseldorfer Landtag und seinen Ausschüssen, unter anderen auch der Arbeitsgruppe Stellenpläne, die erst jüngst die Stellenanforderungen der Landesministerien kräftig gestutzt hat. Der Landtagsabgeordnete Denzer plädiert zwar auch für eine vertretbare personelle Ausstattung der Verwaltung, doch will er verhindern, daß die Verwaltung eine unkontrollierte Eigengesetzlichkeit entwickelt.
    Die zur Routine gewordenen Fahrten mit der Bundesbahn von und nach Düsseldorf nutzte der 49jährige Kommunal- und Landespolitiker auf seine Art. Im Zugabteil erledigt er seine Landtagspost, macht sich mit Vorlagen vertraut oder tauscht Erfahrungen mit Landtagskollegen aus. Die auf diese Weise gewonnene Zeit verwendet der überzeugte Nichtautofahrer für sein kommunales Mandat und für sein Parteiamt. Als Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Bielefeld-Halle mit 9000 Mitgliedern drängen sich ihm einfach Verpflichtungen auf, die er nicht mit der linken Hand erledigen kann und nicht will.
    Mit der linken Hand hat der Vater zweier Kinder und Bewunderer Golo Manns im Grunde noch nie etwas getan. Seine Verwaltungsausbildung absolvierte er mit Bravour und entschloß sich noch als 36jähriger zum Studium der Sozial- und Verwaltungswissenschaften, das er mit dem Diplom abschloß. Nunmehr ist er mit gleicher Intensität Landtagsabgeordneter, und um sein Mandat ernsthaft wahrnehmen zu können, ließ er sich freiwillig in den einstweiligen Ruhestand versetzen, lange bevor der Landtag die Diskussion über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat eröffnete.
    Klaus Simson

    ID: LI742802

  • Porträt der Woche: Hans Schwier (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 26 - 18.10.1974

    Hans Schwier ist einer von den vielen Schulmeistern, die im Kulturausschuß das Sagen haben. Der SPD-Politiker wehrt sich freilich mit Entschiedenheit dagegen, allein auf Kulturpolitik festgelegt zu werden. "Ich habe immer einen Horror vor Leuten gehabt, die die Politik ausschließlich als Schulpolitik betrachten." Und: "Die Ganzheit der Politik muß gesehen werden. Darin hat ein Spezialgebiet eben seinen Stellenwert."
    Unter diesem geradezu polit-universellen Aspekt interessiert sich der frühere Bielefelder Schulrat, der seit 1970 im Düsseldorfer Landtag Sitz und Stimme hat, nachhaltig für Justiz- und vor allem Wirtschaftspolitik, "die für alles, was wir tun, der Schlüssel ist".
    Als "rüstiger Rentner" von 48 Jahren — der Beamte Schwier trat nach seiner Wahl in den einstweiligen Ruhestand — hat er häufig Gelegenheit, seine Sicht von Politik an der Basis darzustellen. "Dabei versuche ich so zu sprechen, daß ich verstanden werde."
    Das fallt dem gelernten Lehrer Schwier nicht schwer. Erst recht nicht, weil er meint, nur ein profundes Wissen erlaube die einfache Darstellung von politischen Vorgängen und Zusammenhängen. "Elementarisierung", so nennt er das, "ist nur möglich, wenn man eine Sache voll begriffen hat." Schwierig ist keine Steigerung von Schwier.
    Die Fähigkeit, diskursiv zu denken und zu sprechen, komplexe Sachverhalte nach dem Blick auf Volkes Maul anschaulich darzustellen, hat Schwier in die erste Garnitur der SPD-Landtagsfraktion vorrücken lassen. Dabei ist er weder ein geschichtsloser Pragmatiker, der sich ausschließlich zur Bewältigung aktueller Probleme stark macht, noch ein geschichtsklitternder Ideologe, der zur Lösung von Problemen der Gesellschaft Patentrezepte zu Höchstpreisen feilbietet. Reformen kann er sich "ohne Blick in die Geschichte" einfach nicht vorstellen.
    Denn: "Man kann nicht so tun, als ob man jetzt erst anfinge, Politik zu machen." Deshalb warnt Schwier vor Dogmatikern, Nur-Pragmatikem und — selbstironisch — Pädagogen: "Für jeden Lehrer besteht die Gefahr, daß er meint, die Welt bestünde nur aus Kindern."
    Kinder hat Schwier indessen wohl auch eigene — zwei "junge Damen" und einen Sohn. Durch sie und seine Frau hat er "Basiserfahrung in allen Bereichen" — vor allem na-a türlich bildungspolitisch. Fragen der Bildungspolitik bewogen ihn auch, der SPD beizutreten - beiläufig am 1. April 1952. Der Junglehrer Hans Schwier hatte nach dem Krieg im Kohlenpott erfahren, daß die Bildungschancen für Bergarbeiterkinder erschreckend geringer waren als für Angestellten- oder Beamtenkinder. Deshalb ist er heute beispielsweise für die "systemüberwindende" integrierte Gesamtschule, die allen gleiche Bildungschancen geben soll.
    Eingespannt ins politische Geschirr bleibt Schwier wenig Zeit für Tucholsky und Theorie. Indes: "Im politischen Handeln halte ich viel von Praxis. Gegen Theoriediskussion habe ich nichts, nur muß man mal fragen können: Wo läuft das hin?" Schwier meint, daß sich Programmatisches leicht an der Realität bricht. Politik ist für ihn deshalb nicht mehr und nicht weniger als die Kunst des Möglichen. Und: "Wäre alles schon so, wie man gerne wollte, gäbe es keine Motivation für Politik." Bernd Kleffner

    ID: LI742602

  • Porträt: Rudolf Erberich (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 24 - 04.10.1974

    Rudolf Erberich hat ein Händchen für Organisation. Der 46jährige Direktor des Kreis Moerser Nahverkehrsunternehmens NIAG geht mit seinem Terminkalender so rationell um, daß er nicht nur Beruf, Mandat und zahlreiche Parteiämter, sondern auch noch freiwillig übernommene Bürden auf einen Nenner zu bringen weiß. Weil er gern und schnell hilft, geht in seiner Umgebung das ihn verpflichtende Wort um: "Der Rudi macht das schon!"
    Ja, der Rudi macht es. Er betreut 800 Beschäftigte und holt die Verluste der NlAG-Autobuslinien über zwölf Reisebüros, firmeneigene Ferienwohnungen auf Mallorca und ein 53 Kilometer langes Eisenbahnnetz wieder herein. Er gehört dem arbeitsintensiven Landtagsausschuß für "Innere Verwaltung" an und übernahm vor einem Vierteljahr noch den Vorsitz des entsprechenden Arbeitskreises der SPD.
    Wenn es im Landtag um Besoldungsfragen geht, spricht Rudi Erberich für seine Fraktion. In den nächsten Monaten steht das Personalvertretungsgesetz an, das bis Jahresende Verabschiedetsein muß. Der pragmatische Abgeordnete, der sich jungenhaftes Aussehen bewahrt hat, sieht im "Sparkassenmodell", das den Arbeitnehmern eine "Drittelparität" gibt, einen Kompromiß mit dem Koalitionspartner F.D.P. über die Mitbestimmung in kommunalen Eigenbetrieben.
    Rudi Erberichs Weg in die Politik war nicht vom Elternhaus vorgezeichnet. Der Sohn eines unpolitischen Waldfacharbeiters hatte Lehrer werden wollen. Als er 1946 schon in einer Schule hospitierte, sollte er in einem Kloster die Lehrbefähigung für den Religionsunterricht nachholen. Ein alter Gewerkschaftler riet ihm damals: "Junge, es muß doch nicht die Schule sein. Du solltest Arbeitnehmer unterrichten. Mach bei uns die Bildungsarbeit!" Und der Rudi machte es.
    Mit großer Energie bereitete er sich in neun Lehrgängen, Volkswirtschaft und Redetechnik eingeschlossen, vor. An den Verwaltungsakademien Düsseldorf und Münster studierte er bis zum Abschluß "Sozialverwaltungsdiplom". 22 Jahre alt, wurde er 1950 Bildungssekretär der ÖTV. 1952 kam er als Geschäftsführer der ÖTV-Kreisverwaltung nach Moers. Genau zehn Jahre später war er Vorsitzender des SPD-Unterbezirks. Dem Rat der Stadt gehörte er von 1956 bis 1971 an, von 1961 bis 1968 als Chef der SPD-Fraktion. Zum Landtagsabgeordneten wurde er erstmals 1966 gewählt. Von 1964 bis 1971 war er stellvertretender Bürgermeister. Er trat ab, als er NIAG-Vorstand wurde.
    Erberich ist noch einmal zurückgetreten. Das war im Februar 1974, als er mit der ihm eigenen Konsequenz seinen Sitz im Ausschuß für Verwaltungsreform niederlegte. Er wollte den seiner Meinung nach "unsinnigen" Mehrheitsbeschluß seiner Fraktion, den südlichen Kreis Moers nach Duisburg zu geben, im Ausschuß nicht vertreten.
    Um Tennis spielen zu können, hat Rudi Erberich gleich einen ganzen Club gegründet. Erholung sucht er auch auf der Jagd. Einmal nur im Jahr aber steigt der immer sachlich-korrekte Verkehrsunternehmer auf ein Gefährt besonderer Art um. Zu Karneval kauft er einen Zentner "Kamelle", die er in seiner Heimatstadt Lich (Kreis Jülich) vom Prinzenwagen aus in die jubelnde Menge wirft. Viele Jahre lang hat er bei der KG "Maiblömsche" als gefeierter Büttenredner beim "Damengruß" die Männer und auch die eigene Partei durch den Kakao gezogen.
    Gerd Goch

    ID: LI742402

  • Porträt: Dr. Christoph Zöpel (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 22 - 20.09.1974

    In diesen Landtag kam er nur, weil der Genösse Schluckebier vor eineinhalb Jahren in den Bundestag gewählt wurde — davor hatte er den 26. Platz auf der Landesreserveliste der SPD eingenommen. Seit Fronleichnam 1974 aber ist Dr. Christoph Zöpel (31), Diplom-Ökonom und Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Ruhruniversität, Direktkandidat in einem "eigenen" Wahlkreis: Nr. 105, im Nordwesten Bochums, einem echten Arbeiterbezirk. Und einiges spricht dafür, daß er — als Nachfolger des Abgeordneten Friedhelm Simelka dem Hohen Hause auch nach der nächsten Landtagswahl angehören wird.
    Wer anderer Leute Nachfolger sein muß hat es nicht leicht, ein eigenes Profil zu gewinnen. Auch Zöpel tat sich damit eher schwer: Seine Jungfernrede hielt er im Juni vorigen Jahres zum Karlsruher Urteil über die Hochschulreform — nach dem Motto: "Wenn man von der Hochschule kommt, muß man auch über sie reden können." Es folgten rhetorische Auftritte in zwei weiteren Hochschuldebatten, zweimal sprach er zur Lage in der Textilindustrie, einmal zum Thema Fremdenverkehr.
    Zöpels parlamentarischer Rednereinsatz zeigt bereits, auf welchen Gebieten er sich bevorzugt bewegt - sie wurden ihm durch Neigung und Beruf angewiesen. Dem gebürtigen Schlesier liegt es nicht, über Dinge zu reden, von denen er nichts versteht. Folgerichtig wurde er von seiner Fraktion in die Ausschüsse für Wirtschaft und Rechnungsprüfung entsandt. Dort kann er seinen Sachverstand spielen lassen.
    Dies heißt nun freilich nicht, daß Zöpel sich als Nur-Fachmann verstünde, der den Landtag lediglich als intellektuelle Spielwiese betrachtet. Entscheidend für seinen Parteibeitritt, den der Beamtensohn im Alter von zwanzig Jahren vollzog, waren die "weltanschauliche Neutralität der SPD" und die "Erkenntnisse des ökonomischen Studiums", die aus ihm einen Anhänger der Kritischen Theorie gemacht haben. Einen Intellektuellen könnte man ihn schon nennen. Aber muß er deshalb auch gleich ein "Linker" sein? Einiges in seiner Biographie spricht dafür: Ende der sechziger Jahre war er Bundesvorsitzender des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB), Anfang der sechziger Jahre stellvertretender Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen Jungsozialisten. Er studierte am Berliner Otto-Suhr-Institut und ist Mitglied der GEW. Auf dem letzten Landesparteitag der SPD stimmte er für die Verstaatlichung der Banken.
    Tatsächlich rechnet sich Zöpel dem linken Parteiflügel zu, lehnt aber die "dogmatische Übernahme marxistischer Positionen" ab, "weil sie dem Prinzip weltanschaulicher Neutralität entgegenstehen". Er steht für eine Demokratisierung der Gesellschalt ein, weil er sich davon "eine Synthese von Individualität und solidarischem Verhalten" verspricht.
    Trotz dieser hehren Ziele fühlt sich Zöpel, der als Mitglied des SPD-Untervorstandes Ruhr-Mitte nicht mehr als engagiertes Juso-Mitglied auftreten kann, von seiner parlamentarischen Arbeit weder frustiert noch enttäuscht. "Politische Tätigkeit ist die notwendige Umsetzung von theoretischen Erkenntnissen in Praxis", sagt er kühl. Wirtschaftspolitik in diesem Lande muß nach seiner Meinung vor allem Strukturpolitik sein. Kein Wunder also, daß er in seiner Fraktion ("Ich rede nicht öfter, als es sein muß") maßgeblich an der Formulierung einer Großen Anfrage mitwirkte, die einschlägig geworden ist.
    Die Struktur seiner vielfältigen Verpflichtungen stellt ihn augenscheinlich zufrieden: ein Drittel Wahlkreis, ein Drittel Landtag, ein Drittel Universität, an der er im Winter über das anspruchsvolle Thema "Ökonomie und Demokratie" habilitieren will. Immerhin bleibt ihm noch so viel freie Zeit, daß er - neben Skat- und Tennisspiel — gemeinsam mit seiner Frau, die als Richterin in einer Strafkammer tätig ist, "relativ systematisch" europäische Städte besichtigen kann - Städte in Nordrhein-Westfalen nicht ausgenommen.
    Dr. Dirk Bavendamm

    ID: LI742202

  • Porträt der Woche: Reinhard Grätz (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 20 - 13.07.1974

    Am auffälligsten an Reinhard Grätz (34) ist seine Unauftälligkeit. Doch die manchmal an Schüchternheit grenzende Zurückhaltung, die wenig polit-professionelle Art zu sprechen — das täuscht. Der gebürtige Schlesier Grätz, der schon mit 17 Jahren der SPD beitrat, weiß was er will.
    Er hat es im Kulturausschuß bewiesen, in den er 1970 als Parlamentsneuling sozusagen aus Verlegenheit "abkommandiert" wurde. Da fühlte er sich "unter den Schulmeistern zunächst als Außenseiter". Das änderte sich aber, als die berufliche Bildung immer mehr in den Vordergrund kultur- und gesellschaftspolitischer Überlegungen trat. Und Grätz ist immerhin einer der wenigen Kulturpolitiker, die die Probleme in diesem Bereich von der Pike auf kennen.
    Nach der Volksschule in einer niedersächsischen Zwergschule mit "miserablen Entwicklungschancen" lernte die Kriegswaise Reinhard Grätz den Beruf des Ofensetzers und Fliesenlegers — mit Erfolg, denn er wurde Bundesbester im Berufswettkampf der Handwerksjugend. Nach der in Abendkursen erworbenen mittleren Reite Studium an der Ingenieurschule für Keramik. Seit 1964 arbeitet Grätz, der in Wuppertal wohnt und seit zwei Jahren verheiratet ist, in einem Forschungsinstitut. Dort hat er es inzwischen zum Abteilungsleiter gebracht. Der "linke Realist" Grätz, der erst als Erwachsener Schwimmen gelernt hat, ist ein harter Arbeiter, der auch vor der gefürchteten Feinarbeit, die Reformeifer und Reform mit sich bringen, nicht zurückschreckt. Beruflich wie auch politisch mit sprödem Material vertraut, meint Grätz, noch vor wenigen Jahren Juso-Vorsitzender in Wuppertal: "Es hat keinen Zweck, verbal dauernd auf das linke Bein zu stampfen. Ideen muß man im Hinterkopf haben und Stück für Stück zu verwirklichen suchen."
    Freilich führt die "Kärrnerarbeit" (Grätz) leicht zur Frustration, gar zur Verzweiflung; Gefühlsregungen, die ein Politiker sich genausowenig leisten kann wie beispielsweise ein Bergsteiger: Gibt er sich auf, fällt er um so eher.
    Reinhard Grätz hat die unausbleibliche Frustration der ersten Jahre parlamentarischer Arbeit durch "seinen" großen Wurf kompensiert: Von ihm ist das Weiterbildungsgesetz — hie umstritten, da beklatscht — initiiert worden. Dabei sind ihm die inzwischen weitgehend ausgeräumten Bedenken der freien Träger, vor allem der Kirchen, ebenso fremd wie unmotiviert: Der engagierte evangelische Christ Reinhard Grätz ist bei aller Konfliktfähigkeit durchaus auch in der Lage, an die Richtigkeit und den Erfolg "seiner" Sache zu glauben.
    Sein nüchtern-distanzierter, sachbezogener Stil, der nicht zuletzt vom politischen Gegner geschätzt wird, gemischt mit einem kräftigen Schuß politischen Ehrgeiz, hat auch in der Partei das Fortkommen gefördert. Allem Radikalen fremd, gehört Grätz seit Anfang dieses Jahres zum Vorstand des SPD-Bezirks Niederrhein. "Parteiarbeit", weiß Grätz, "ist sehr wichtig — auch für die Meinungsbildung der Abgeordneten." Er muß sie pflegen, will er seine Vorstellungen durchsetzen. Dabei kommen notgedrungen . die Steckenpferde Theater, moderne Malerei, Literatur und Schwimmen immer häufiger "viel zu kurz". Bernd Kleffner

    ID: LI742002

  • Porträt der Woche: Georg Pauly (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 18 - 28.06.1974

    "Nur keinen Weihrauch, bitte . Diese Worte stehen am Anfang unseres Gesprächs, und sie sind typisch für Georg Pauly. Als Mitglied des Haupt- und Innenausschusses sowie des SPD-Fraktionsvorstands gehört "Schorsch" Pauly zu den einflußreichen Abgeordneten im Landtag, aber er wehrt sich geradezu, daß darüber geschrieben wird. Bescheiden, fleißig und geradlinig arbeitet er im Parlament.
    Warum er in die Politik gegangen ist? Bittere Erlebnisse in seiner Kindheit haben ihn auf diesen Weg geführt: Der Vater wird kurz nach Hitlers "Machtergreifung" von den Nazis in Haft genommen. Er gehört keiner Partei an, aber er hat mutig das totalitäre System kritisiert. Drei Jahre lang bringt die Mutter ihre fünf Kinder von 14,20 RM Wochenunterstützung durch. Als der Vater 1933 abgeholt wurde, war Georg Pauly fünf Jahre alt, aber diesen Augenblick und die Sorgen der Mutter in den Notjahren danach kann er nicht vergessen.
    So steht, als der Krieg zu Ende geht, für den 17jährigen fest, daß er sich für einen neuen, einen demokratischen, einen gerechten Staat aktiv einzusetzen habe. 1945 tritt er der IG Metall bei, 1946 der SPD. Der gelernte Schlosser besucht VHS- und Gewerkschaftslehrgänge, studiert 1948/49 an der Sozialakademie Dortmund. In Friedrichsfeld (Kreis Dinslaken), wo er geboren wurde und heute noch lebt, wird er Jugendobmann und Betriebsratsvorsitzender, später Meister und Abteilungsleiter eines großen Industriewerks. Mit 24 Jahren wird er — wegen seiner Jugend und nur mit ministerieller Ausnahmegenehmigung — Arbeitsrichter in Wesel.
    Nachdem er auch dem Gemeinderat und als Fraktionschef dem Kreistag angehört, wird Pauly eine Art Markenartikel der SPD im Kreise Dinslaken. Unermüdlich hilft er ratsuchenden Bürgern im Instanzendschungel der Bürokratie. Doch 1964 werden ihm in einem Parteiverfahren alle Ämter aberkannt, als er für die Lauterkeit und Integrität eines Freundes stritt, der damals verbotener Ostkontakte verdächtigt wurde. Das politische "Aus" für Pauly schien besiegelt.
    Man muß das Schlüsselerlebnis Paulys aus der Kindheit kennen, um eine Erklärung dafür zu haben, warum der verbindliche Niederrheiner so dickschädelig, so unbequem, ja, so kompromißlos sein kann, wenn es für ihn um Überzeugungsfragen geht. Er sieht sich als Mann "genau in der Mitte" der Partei, der sich mit "linken Utopisten nicht identifizieren kann", sondern praktische Lösungen direkt anstrebt.
    1966, zwei Jahre nach dem spektakulären Zwist mit der Parteiführung, ist Schorsch Pauly schon wieder "da". Die SPD stellt ihn als Kandidaten für den Landtag auf. Pauly wird mit dem Rekordergebnis von 62 Prozent der Stimmen gewählt. Im Landtag spezialisiert er sich auf Personalfragen, Besoldung, Polizei. Hart ringt er darum, die überflutenden Personalkosten wieder einzudämmen.
    In freien Stunden wandert Schorsch Pauly mit seiner Frau durch die heimatlichen Wälder. Nur wenige wissen, daß er daheim eine bedeutende Sammlung ostasiatischer und moderner europäischer Plastiken besitzt.
    Gerd Goch

    ID: LI741802

  • Porträt der Woche: Rudi Bahr (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 16 - 07.06.1974

    Rudi Bahr, SPD-Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag, erzählt nicht gern über sich und kann doch vieles erzählen: Über sein Leben, eine Mischung aus Glück und Pech, nicht ungewöhnlich für eine Generation, die "Drittes Reich", Kriegs- und Nachkriegswirren überstehen mußte; über seinen politischen Werdegang, geprägt von Ehrlichkeit, ohne Rücksicht auf persönliche Vorteile, was schon außergewöhnlicher ist.
    Nach Schule, Ausbildung zum Industriekaufmann, Krieg und durch glückliche Zufälle abgekürzter US- Gefangenschaft verdingte Bahr sich bei einem hessischen Bauern als Land hei f er, ehe er im April 1946 nach Duisburg zog, wo Frau und das älteste von inzwischen drei Kindern schon auf ihn warteten. In seinem eigentlichen Beruf war der 26jährige gebürtige Stettiner nicht gefragt. Er wurde Gleiswerker bei der Bahn, hatte keinen Ehrgeiz zum Obergleiswerker und bewarb sich bald bei der Stadtverwaltung. Zuerst im Entnazifizierungsamt eingesetzt - "da kam mir manches nicht geheuer vor; da herrschte kein Höchstmaß an Gerechtigkeit" — wechselte er 1947 ins Duisburger Schulamt über, "wo ich heute noch sitze", jetzt als stellvertretender Leiter.
    Daß er sich politisch engagieren müsse, war ihm schon Ende 1944 deutlich geworden. Er hatte miterlebt, "wie SS-Soldaten und -Offiziere Juden behandelt haben". Aber erst 1957, zwölf Jahre nach Kriegsende, trat er in die SPD ein. Warum so spät? Er habe in der Stadtverwaltung sehr schnell gemerkt, daß das Parteibuch bei Beförderungen eine "bestimmte Rolle" spiele, wollte aber sein Ziel "aus eigener Kraft und ohne Schubkarre" erreichen, antwortete Bahr. Als es soweit war, kam für ihn nur die SPD in Frage. Denn der Vater, von den Russen verschleppt und in der Sowjetunion gestorben, war engagierter Gewerkschafter. "Wir sind mit sozialdemokratischem Gedankengut groß geworden."
    Nach der Parteiarbeit "von der Pike an" bis zum Chef des Ortsvereins und stellvertretenden Vorsitzenden des Bezirksvereins kam Bahr 1966 in den Landtag. Er wurde Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses und, was ihn besonders freute, des Kulturausschusses. Dort konnte er auch politisch eng mit dem Mann zusammenarbeiten, der zehn Jahre Duisburger Schuldezernent und somit sein Chef war: Ex-Kultusminister Professor Fritz Holthoff. "Von ihm habe ich eine Menge Rüstzeug bekommen, beruflich wie politisch."
    Bahrs politisches Streben: "Die Chancengleichheit im Bildungswesen verbessern, da gibt's immer noch Schwierigkeiten." Daß er, beratendes Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, nicht zu jenen Schwärmern gerechnet werden darf, die Reformgegnern immer wieder Munition liefern, macht er schnell deutlich: "Die SPD hat selbst gelegentlich nicht das rechte Maß gefunden; da war manchmal zuviel Euphorie, ohne zu fragen, ob theoretisch Erdachtes auch praktisch durchsetzbar ist."
    Bahr weiß, daß die Kulturpolitik unter "Ermüdungserscheinungen" zu leiden hat, daß im Parlament quer durch alle Fraktionen, aber auch außerhalb des Parlaments, angesichts der Vielzahl von Reformvorhaben Verdruß geäußert wird. Jene Kollegen, die etwa hämisch über Kulturpolitik herziehen, mahnt er knapp: "Bitte keine Polemik." Die Schule leiste einen wichtigen gesellschaftspolitischen, ja gesellschaftsverändernden Beitrag. Da könne man nicht einfach hergehen und vorrechnen, was ein Kumpel verdiene und was eine Lehrerin. Bildungsreformen seien nun einmal teuer und brächten immer wieder neue Probleme mit sich, gibt er zurück, und versucht gar keine Entschuldigung bei den politischen Widersachern. In seiner "Publikumsbeschimpfung" nimmt er sich auch die Eltern vor: "Die bringen meistens nicht das wünschenswerte Interesse an der Schule auf." Bahr will seiner Maxime treu bleiben: "Lange planen, und hat man es als richtig erkannt, dann klotzen."
    Christoph Lütgert

    ID: LI741602

  • Porträt der Woche: Hans-Georg Vitt (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 14 - 17.05.1974

    Er selbst charakterisiert die Siegerländer, zu denen er gehört, als einen harten, die bedingungslose Offenheit schätzenden Menschenschlag; der sprichwörtliche Sack Salz müsse erst gegessen sein, ehe der rechte Kontakt möglich sei. Der das sagt, heißt Hans-Georg Vitt, ist 51 Jahre alt, "gelernter" Flieger und Politiker, Mitglied in 25 Vereinen sowie im Vorstand der SPD-Landtagstraktion, Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Hüttental, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten in der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe, Angehöriger des Hauptausschusses des Deutschen Städtebundes und des Städtebundes Nordrhein-Westfalen, Verwaltungsrat der Westdeutschen Landesbank und der Provinzialversicherung Westfalen, Vorsitzender des Zweckverbandes Regionalflughafen Siegerland.
    Wen wundert es angesichts dieser Liste noch, daß V/ff einen 16-Stunden-Tag und, so berichtet der Postfachinhaber, täglich den Posteingang eines mittleren Betriebes hat. Verwunderlich ist nur, daß ein Mensch diese Belastungen über Jahre hinweg aushält. Hans-Georg Vitt hat das Glück, daß ihm seine Frau, die er einst im Hagener Vorzimmer von Fritz Steinhoff, des ersten SPD-Ministerpräsidenten dieses Landes, kennengelernt und bald darauf geheiratet hat, praktisch das Sekretariat führt. - Und die werte Gesundheit? Als Siegerländer, Bewohner einer Gegend, die — so steht zu lesen — durch "Eisen zur Blüte" getragen wurde und der Legende nach Wieland den Waffenschmied hervorgebracht hat, ist man eben ehern hart. Doch Glück, so darf man hinzufügen, gehört wohl auch dazu.
    Möglicherweise haben sich Vitts Freunde auch an die alte Bauernregel erinnert, nach der man Pferden, die gut ziehen, ruhig viel anhängen darf. So ist bei ihm nicht nur die Last vieler Ämter herausgekommen, sondern er ist auch so etwas wie der Typ des englischen Abgeordneten geworden, dem die Arbeit im und für den eigenen Wahlkreis ganz wichtig ist. Pragmatismus in der Politik als Erfolgsrezept? Keineswegs, denn gerade im Siegerland, das nach dem zweiten Weltkrieg die jahrhundertealte Basis seiner wirtschaftlichen Blüte, den Erzbergbau, verloren und eine Strukturkrise zu bewältigen hatte, erwies sich sozialdemokratische Politik als wirksam. Hans-Georg Vitt und seine Freunde haben es geschafft, immer mehr ihrer Mitbürger, die man früher gemeinhin eher dem Konservativen zuneigend einschätzte, davon zu überzeugen. Dafür nennt Vitt ein Beispiel: In Weidenau, wo er als Sohn eines Sozialdemokraten geboren wurde, hatte die CDU 1946 im Rat 18 Abgeordnete, die SPD drei. Heute sitzen im Rat von Hüttental, der neuen Großgemeinde, in der auch Weidenau aufgegangen ist, 23 Sozialdemokraten, 16 CDU- und zwei F.D.P.-Abgeordnete.
    Wie stabilisiert man Mehrheiten? Durch Fleiß und Klarheit der politischen Aussage. An beidem hat es Vitt nie mangeln lassen. Daß dabei das Privatleben zu kurz gekommen und als einziges Hobby des Liebhabers schneller Autos nur das Werkeln im eigenen Garten und am eigenen Haus übrigblieb, ist der Preis, den ein Politiker vor Ort dafür zu zahlen hat. Seine Siegerländer allerdings sind dabei, so hört man, nicht schlecht gefahren.
    Karl Lohaus

    ID: LI741402

  • Porträt der Woche: Richard Kasper (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 10 - 29.03.1974

    Bevor wir über Lebensweg und Politik sprachen, erzählte mir Richard Kasper von seinen Hunden, wie man von seinen besten Freunden spricht: Von den beiden seltenen Bullterriern und dem gutmütigen Deutsch-Drahthaar. Die scharfen, aber folgsamen Terrier züchtet er im eigenen Zwinger.
    Richard Kasper, der die Lizenz für das "Richten und Führen" hat, versteht nicht nur etwas von der komplizierten Hundepsyche. Viel mehr noch hat er ein Gespür dafür, wie man bei seinen Mitbürgern "ankommt", wie man Wähler mobilisieren kann. "König Richard", wie er in seinem Heimatkreis Bergheim genannt wird, hat sich mit vielen Ideen, mehr aber noch durch seinen enormen kommunalpolitischen Fleiß eine ungewöhnliche Popularität erworben.
    Mit 30 Jahren wurde Richard Kasper in Quadrath-Ichendorf, wo er am 7. Februar 1932 als Sohn eines Braunkohle-Arbeiters geboren worden war, zum Bürgermeister gewählt. Zwei Jahre später gab es bei den Gemeindewahlen einen Erdrutsch. Unter Kasper erhöhte die SPD die Zahl ihrer Mandate von neun auf 14, die CDU wurde von acht auf vier halbiert.
    Im gleichen Jahr 1964 wurde der Sozialdemokrat Landrat des Kreises Bergheim. Seine Partei hatte im Kreistag erstmals die absolute Mehrheit errungen. Fünf Jahre später verbesserte sie entgegen dem Landestrend in Gemeinde und Kreis die vorher schon unwahrscheinlichen Ergebnisse noch.
    Richard Kasper war nicht mehr zu stoppen. Um den 16 Jahre lang von der CDU gehaltenen Landtagswahlkreis zu erobern, stellte ihn 1966 die SPD auf. Der Landrat und Bürgermeister zog mit 50,2 Prozent der Kreis Bergheimer Stimmen in den Landtag ein.
    Über die Heimatgrenzen hinaus wurde er 1970 bekannt, als die CDU ihren Spitzenkandidaten Heinrich Köppler gegen ihn aufgestellt hatte, um Bergheim zurückzugewinnen. Neben Diether Deneke (plus 0,5 Prozent) war Kasper der einzige SPD- Kandidat, der sein Wahlergebnis gegenüber 1966 verbessern konnte. Während die SPD im Landesdurchschnitt um 3,4 Prozent verlor, gewann sie im Kreis Bergheim noch 1,3 Prozent der Stimmen hinzu.
    Wenn man den Mann mit den lebhaften Augen fragt, wie er sich selber seinen Erfolg erkläre, dann zuckt er schmunzelnd mit den Schultern. "Man muß so ein wenig Hansdampf in allen Gassen sein", sagt er. Zu Hause kennt ihn jedes Kind. Er organisiert Erntedankfeste für die Bauern, gehört aber auch zu dem Kreis von Politikern, die der Kölner Kardinal regelmäßig zu einer Gesprächsrunde bittet.
    Als Bürgermeister, Landrat und Abgeordneter führt er ein "offenes Haus". Sogar sonntags steht er früh auf; denn schon vor neun Uhr steht der erste Besucher in der Tür. Ob es sich um Ärger mit den Behörden, um berufliche oder private Probleme seiner Bürger handelt, Richard Kasper setzt sich für jeden ein. Das hat sich schnell herumgesprochen, macht viel Arbeit, bringt aber eben den Erfolg.
    Dennoch will der Rechtsschutzsekretär der IG Bergbau und Energie im nächsten Jahr mit der "Ämterhäufung" Schluß machen und nur noch für den Landtag kandidieren. Im Parlament, in dem Kasper dem Wirtschaftsausschuß und dem Ausschuß für Ernährung, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft angehört, ist seine scharfe Zunge vor allem beim Establishment gefürchtet. Wenn andere in der SPD-Fraktion, deren Vorstand er angehört, nicht gegen den Stachel locken, dann sagt Richard Kasper auch einmal dem Genossen Regierungschef pointiert die Meinung. "Zur Demokratie gehört, daß man die eigenen Leute kritisch begleitet", sagt er.
    Gerd Goch

    ID: LI741001

  • Porträt der Woche: Helmut Hellwig (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 8 - 15.03.1974

    Am Anfang der Entwicklung des Politikers Helmut Hellwig standen Schock und Desorientierung nach der Niederschlagung des Hitler-Faschismus. Schockiert war der Zwölfjährige durch die nach dem 8. Mai 1945 in vollem Umfang bekannt werdenden Verbrechen des braunen Unrechts-Regimes. Desorientiert war der "durch Erziehung, Umwelt und Schule zum freiwilligen HJ- Pimpf" gewordene Hellwig durch den plötzlichen und radikalen Verlust des ihm bislang vermittelten Weltbildes.
    Langsam wieder Boden unter den Füßen bekam der gewesene Pimpf ein Jahr nach Kriegsende: in einer Gemeinschaft von Jugendlichen, die sich nicht wie die HJ auf die Prinzipien Befehl und Gehorsam gründete, sondern auf die Solidarität aller. Helmut Hellwig wurde 1946 Mitglied der Sozialistischen Jugend Deutschlands "Die Falken". Und durch sie wurde er auch was. Durch die Schulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten des Verbandes konnte er seinen Horizont laufend erweitern; in der Verbandspraxis erhielt er rasch Verantwortung: Mit 16 Jahren war er Leiter einer "Falken"- Gruppe, mit 18 Stadtverbandsleiter. Der Eintritt in die SPD schloß sich ein Jahr später "organisch an".
    Bei den "Falken" entwickelte Hellwig sein Talent zum Organisieren, Koordinieren, Verhandeln, so daß er bald in Positionen gewählt wurde, in denen er diese Talente anwenden und entfalten konnte: im geschäftsführenden "Falken" -Bundesvorstand, im geschäftsführenden Ausschuß des NRW-Landesjugendringes, als Geschäftsführer des "Falken"-Landesverbandes NRW, der er, hauptamtlich, noch ist. Sozusagen nebenbei wuchs er aus seinem Beruf als Postbediensteter heraus und qualifizierte sich für den kommunalen Dienst.
    Daß die verantwortliche Arbeit in den politischen Jugendverbänden schließlich über die SPD auch zur Übernahme konkreter politischer Verantwortung in Form eines Ratsmandats in seiner Heimatstadt Wanne-Eickel führte, erscheint als natürliche Konsequenz aus Tüchtigkeit und Talenten Hellwigs. Den Ratssitz, den er 1965 einnahm, und den Fraktionsvorsitz, mit dem er 1969 betraut wurde, behielt Hellwig auch nach seiner Wahl in den Düsseldorfer Landtag am 26. Juli 1970 bei: er braucht die Basisverankerung nach eigenem Bekunden, um die Landtagsarbeit so konkret wie möglich auf die Probleme vor Ort ausrichten zu können.
    "Mir sind Dinge lieber, die ich konkret in die Praxis umsetzen kann", so Hellwig über Hellwig, "die Theorie liegt mir aufgrund meines Bildungsweges nicht so." Was aber nicht heißt, daß Hellwig kein Bewußtsein von seiner Tätigkeit habe. Dazu sitzt der Schock von 1945 zu tief. Und die Erfahrung, wie vor 1945 mit Minderheiten umgegangen worden ist, dürfte mit für seine Empfindlichkeit gegenüber Maßregeln wie den Extremisten-Erlaß sein: Hellwig war Hauptredner einer Protestkundgebung des Landesjugendringes im Landtag gegen diesen Erlaß.
    Den Hauptschwerpunkt seiner politischen Arbeit sieht dieser quirlige, stets vergnügt erscheinende Politiker in der Veränderung der sozialen Umwelt derer, die unter ihr leiden, sich aber in unserer Gesellschaft am wenigsten selbst artikulieren können: Kinder, Jugendliche, Alte und auch Ausländer.
    Jüngster Ausfluß der Aktivität Hellwigs, der den Arbeitskreis "Jugend" der SPD-Landtagsfraktion leitet, ist ein neuartiges Studentenwohnheim in Essen, dessen Bau im Oktober anläuft. Durch die Kombination mit einem Haus der offenen Tür und einem Jugendheim soll ein Mehr an Integration zwischen Studenten und Bevölkerung erreicht werden.
    Daß Helmut Hellwig, verheiratet, drei Kinder, keiner der kühlen technokratischen Macher und Organisatoren ist, wird außer an seinem Temperament und seinem Engagement auch an seinen beiden politischen Vorbildern deutlich: an Herbert Wehner, diesem politischen Urgestein, und an Erich Ollenhauer, "der mit Herz Politik machte".
    Hartwig Suhrbier

    ID: LI740802

  • Porträt der Woche: Alfred Gaertner (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 6 - 22.02.1974

    Sohn eines aktiven preußischen Offiziers, der Kurt Schumacher sympathisch fand, auf der Bühne Homburg und Piccolomini, im Beruf Vertreter des Bundesbeauftragten für den Zivildienst, als Parlamentarier justizpolitischer Sprecher seiner Fraktion — der SPD-Landtagsabgeordnete Alfred Gärtner spielte und spielt viele Rollen.
    Zuerst verkleidet und geschminkt, denn nach seinem Abitur ging Gaertner aufs Bühnenfach los, dem Rat eines Patenonkels folgend. Nach dem Besuch der renommierten Max-Reinhardt-Schule in Berlin erhielt der damals 25jährige 1955 im schwäbischen Memmingen einen "Fachvertrag als jugendlicher Held und Liebhaber", spielte "alles, was gut ist", trat dann auf in Hof an der Saale, Essen und zu Sommerzeiten bei gutem Wetter im Freilufttheater auf der Lorelei.
    Sosehr ihm auch die Bretter, auf denen er Held und gut war, die Welt bedeuteten und wohl auch noch bedeuten, "Theater allein genügt nicht, wenn man etwas am Kulturbetrieb ändern will", fand er, schminkte sich ein für allemal ab und verpflichtete sich selbst für eine ganz andere Rolle. 1958, ein Jahr nach seinem Eintritt in die SPD, wagte Gaertner, schon verheiratet und Vater zweier Kinder, den Neubeginn.
    Ausgestattet mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und beachtlichem "Speichervermögen" ("mein gutes Gedächtnis habe ich vom Rollenlernen"), machte er schon nach drei Jahren sein juristisches Referendarexamen. Was dann jedoch kam, hatte mit Kultur und Bühne gar nichts mehr zu tun: Finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Kreistag Bonn-Land, Dezernent für Recht, Sicherheit und Ordnung, mit der Finanzplanung betrauter persönlicher Referent des Stadtkämmerers in Bonn und seit 1970, was Offizierssohn Gaertner nach wir vor ist, Vertreter des Bundesbeauftragten für den Zivildienst.
    In den Düsseldorfer Landtag zog er Oktober 1972 als Nachfolger des tödlich verunglückten Hans-Joachim Bargmann ein. Und erst hier schloß sich für ihn wieder der Kreis, denn wie vor ihm Bargmann, kam er in den Kulturausschuß. Nachdem er sich erst einmal um die Hochschulpolitik kümmerte — das verabschiedete Studentenwerksgesetz trägt deutlich seine Handschrift — widmet er sich jetzt, wie könnte es anders sein, dem Theater und dessen Strukturreform. Daß er, ebenfalls Mitglied des Justizausschusses und seit Dezember justizpolitischer Sprecher seiner Fraktion, das Theater und die Kultur bald wieder aus dem Auge verlieren könnte, fürchtet Gaertner nicht: "Ich brauche wenig Schlaf".
    Dem Streiter für ein flächendeckendes Angebot an Repertoiretheatern und — auf der anderen Seite — für Rechtsberatung Minderbemittelter durch die öffentliche Hand, der von Bonn aus außerdem noch neue Einsatzfelder für Kriegsdienstverweigerer sucht, macht die Tätigkeit als Abgeordneter "richtig Spaß".
    Leidtragende des Engagements in derart vielen Rollen sind natürlich Gaertners Frau, der 18jährige Sohn und die 15jährige Tochter. Wenngleich die als Bonner Stadträtin ebenfalls von der Politik beanspruchte Frau für die "politischen Eskapaden" ihres Mannes Verständnis hat, so "deprimiert" es ihn doch, "daß man so wenig Zeit für die Familie hat". Nur selten findet Hobbykoch Gaertner Zeit, sein Lieblingsgericht Spaghetti mit Curry-Sauce und Hammelfleisch anzurichten und sich an seinen Weinbeständen (rund 800 Flaschen) zu laben.
    Christoph Lütgert

    ID: LI740602

  • Porträt der Wochwe: Johannes Michael Geuenich (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 4 - 08.02.1974

    Nach Ablaut der ersten Halbzeit der jetzigen Legislaturperiode ist niemand mehr versucht, von dem gelernten Dreher und erprobten Gewerkschafter Johannes Michael Geuenich (SPD) als Landtagsneuling zu sprechen. Längst hat er sich seine parlamentarischen Sporen verdient, nur trägt er sie nicht zur Schau. Die Arbeit für einmal gesteckte Ziele erscheinen ihm wichtiger als Bemühungen, Erfolge darstellen zu lassen. Diese Einstellung resultiert bei Geuenich, der 1935 in Morschenich im Kreis Düren geboren wurde, aus der Erfahrung, daß Ergebnisse engagierten Tuns für sich allein sprechen. Das Engagement hat ihm bereits der Vater als aktiver Gewerkschafter vorgelebt, doch mochte der jetzige SPD-Landtagsabgeordnete das Verhaltensmuster des Vaters nicht ungeprüft übernehmen. Er wollte eigene Erfahrungen sammeln und verzichtete dafür bereits als 14jähriger auf das Fußballspielen, wenn eine Bundestagsdebatte im Radio übertragen wurde.
    Schon während der Dreher-Lehre, die er entgegen seinem ursprünglichen Wunsch nach einer Lehrerausbildung als 15jähriger begann, kam er zur Gewerkschaft, um für die Kollegen zu arbeiten. Er wurde Jugendvertreter, Betriebsrat, Vertrauensmann und nutzte dabei jede Möglichkeit der Fortbildung. Heute gilt der Autodidakt in seiner Partei und in der Fraktion als Fachmann für volkswirtschaftliche Fragen. Den 1957 vollzogenen Beitritt zur SPD bezeichnet Geuenich als "logische Fortsetzung meiner gewerkschaftlichen Tätigkeit, weil ein gerüttelt Maß Gesellschaftspolitik nur mit der Partei durchgesetzt werden kann".
    Als 25jähriger hätte er schon Gemeinderats- und Kreistagsmitglied sein können, wenn nicht 1960 die Kommunalwahlen um ein Jahr verschoben worden wären. So wurde er beides ein Jahr später, ohne indes seine privaten Studien zu vernachlässigen. Seine Frau hat sich längst daran gewöhnt, ihn nur mit Buch oder Zeitung zu sehen. 1964 holte ihn die Gewerkschaft als Sekretär für Jugendfragen nach Köln, bald wurde er Referent für Betriebsrätefragen und schließlich Erster Bevollmächtigter der Industrie-Gewerkschaft Metall in Neuss mit 17 000 Mitgliedern. 1970 wurde er beim ersten Anlauf in seinem Kölner Wahlkreis in den Landtag gewählt, in dem er sich allen Gebieten widmet, die den Lebensbereich der Arbeitnehmer berühren. Die SPD- Fraktion erkannte schon bald seine ?Stärken und sein Durchsetzungsvermögen und wählte ihn zum Vorsitzenden des Arbeitskreises für Wirtschaft und delegierte ihn in den Hauptausschuß.
    Bei allem Interesse für politische und gewerkschaftliche Arbeit ist Geuenich freilich der Sportfan geblieben, der er immer gewesen ist. Früher spielte er aktiv Handball, heute beschränkt er sich zwangsläufig auf die Beobachtung sportlichen Geschehens und boxt sich dafür möglichst die Nachmittagsstunden des Samstags frei. Dann will er auf jeden Fall Bundesliga- Berichte verfolgen. Klaus Simson

    ID: LI740402

  • Porträt der Woche: Egbert Reinhard (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 2 - 25.01.1974

    Egbert Reinhard ist kein Sozialdemokrat der ersten Stunde, eher der "verzögerten Stunde null". Seine Entscheidung, sich parteipolitisch links zu engagieren, wurde durch die Erfahrung mit Hitlerismus und Krieg, der ihn zum Pazifisten machte, geradezu provoziert, wenn auch auf die sprichwörtliche westfälische Weise nicht spontan vollzogen: Sieben Jahre nach dem Ende des Nazismus trat er der SPD bei.
    Und auch die Berufswahl Reinhards, der 1928, ein knappes Jahr vor der ersten großen Eingemeindungswelle im Ruhrgebiet, im heute zu Gelsenkirchen gehörenden Buer-Erle geboren wurde, ist Resultat westfälischer Nüchternheit und Wohlbedachtsamkeit: Nach dem Abitur 1947 und fünf Jahren im Bergbau (als Lokführer unter Tage) studierte er von 1952 bis 1956 in der westfälischen Metropole Münster mit Erfolg Jura.
    Damit war er der Automatik eines stetigen, wenn auch nicht überschäumend ambitionierten Fortkommens in der späteren Nachkriegsära unterworfen. Dazu mag man Heirat (1951) und Familie zählen — er hat vier Töchter, von denen zwei inzwischen "Vaters" Partei angehören, und natürlich viel zu wenig Zeit für sie und seine Frau; dazu gehören auch beruflich die verwaltungsjuristische Karriere bis hin zum Rechtsdirektor seiner Heimatstadt Gelsenkirchen und politisch über die Mitgliedschaft im frühen SDS, dessen Landesverband er 1954 mitgründete, das Avancement in der Gelsenkircnener Sozialdemokratie, die den "Parteilinken" 1970 wider Erwarten für die Landtagswahl nominierte. Dazu kommt schließlich ein langjähriges Engagement in der IG Bergbau und in der ÖTV.
    Reinhard ist kein Freund großer Auftritte, geschweige denn temperamentvoller Ausbrüche. Auch auf der Tribüne seines Fußballklubs Erle 08, dem er als Anhänger des Amateurfußballs eben die Treue gelobt hat, die man von einem Ehrenmitglied verlangen kann, oder von Schalke 04, das zu seinem Wahlkreis gehört, wird er nicht zum Fan. Freilich fühlt er sich den "jungen Leuten" nahe, mitunter auch den Jusos, als "stark rational bezogen" und ohne Heißsporn-Dogmatismus will er aber "Sozialismus, wenn's vernünftig ist". Die "Sache", das ist ganz schlicht seine Sache. Und: "Halbe Sachen mache ich nicht. Wo ich mal ja gesagt habe, da mache ich mit."
    Mithin läßt sich Egbert Reinhard auch in der des öfteren rheinische Kapriolen schießenden parlamentarischen Auseinandersetzung nicht beirren. Als Mitglied des Justizausschusses, dem er seit seiner Wahl in den Landtag angehört, wird es ihm nicht schwer gemacht, Eindruckschinden zu vermeiden. Und auch, nachdem er für John van Nes Ziegler den Justizausschuß leitet, sind Reinhard stiller Fleiß und der Wille, hart an der Sache zu arbeiten, nicht verlorengegangen. Er hat dabei dennoch Größeres im Auge: endlich auch in Nordrhein-Westfalen das Problem der Richterwahl zu lösen. Noch in dieser Legislaturperiode will er erreichen, daß sich der Landtag dafür zuständig weiß, die Richter zu ernennen. Freilich reizt auch da so gut wie nichts zu spektakulärem Auftritt.
    Gerne spielt der "Reviermensch" Egbert Reinhard nach einem "guten Fußballspiel" seines Klubs "einen guten Skat mit Freunden". Die Regeln könnten jedoch kaum von dem Politiker Egbert Reinhard erfunden worden sein: Wer überreizt, darf seine Gegner nicht aus dem Schneider kommen lassen. Egbert Reinhard überreizt nie, aber er macht seinen Stich.
    Bernd Kleffner

    ID: LI740218

  • Porträt der Woche: Heinz Urban (SPD).
    Vorsitzender des Parlamentarischen Ausschusses für Grubensicherheit.
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 32 - 21.12.1973

    Er kann und will seine Herkunft nicht verleugnen: Heinz Urban, neuer Vorsitzender des Parlamentarischen Ausschusses für Grubensicherheit, ist ein echtes Kind des Reviers. Landschaft und Leute haben ihn ebenso geprägt wie die sozialdemokratische Überzeugung der Familie, in die er als das jüngste von acht Kindern am 15. Januar 1925 hineingeboren wurde. Schon der Achtjährige mußte Nazi-Terror miterleben, als die Schergen des Regimes den Vater abholten. Der älteste Bruder emigrierte nach Holland, um dort später dann doch den Nazis in die Hände zu fallen. Dieser Bruder überlebte die Befreiung aus dem Konzentrationslager nicht lange.
    Fritz Henssler, Käthe Schaub und Heinrich Wenke, Sozialdemokraten der "ersten Stunde", waren dem schwerverwundet aus dem Krieg heimgekehrten Heinz Urban Lehrmeister und Helfer für die politische Arbeit. Sie stellten damit Weichen für den Weg des jungen Mannes.
    Es ist also kein Wunder, daß er so vorprogrammiert Politik immer als Dienstleistung am Mitmenschen verstanden hat. In dieses Bild paßt eigentlich auch hinein, daß er in jetzt elf Landtagsjahren im Plenum noch nie "das Wort ergriffen" hat. Er hält nicht viel vom Deklamatorischen, lieber "macht er dat Dingen", würde man in seiner Heimat sagen. Das will heißen, er steht seinen Mann dort, wo — von der Öffentlichkeit kaum bemerkt — der größere Teil der parlamentarischen Arbeit geleistet wird, in den Ausschüssen, in den Arbeitskreisen der Fraktion. Mindestens ebensoviel Energie investiert Urban an der politischen Basis, um einen, diesem Manne gewiß nicht zuzuordnenden Modebegriff zu gebrauchen. Dort, in Gelsenkirchen, erschöpft sich sein Wirken jedoch keineswegs darin, in stundenlangem Politpalaver die Unentbehrlichkeit der eigenen politischen Potenz darzutun. Vielmehr erwirbt er Anerkennung durch Leistung.
    Mit alten Freunden gründete er — das ist einmalig in der Bundesrepublik — den "Bauverein der Falken- Jugend", um Jugendheime bauen zu lassen. Sie stehen allen Jugendlichen offen, und die Heimleiter müssen die meiste Zeit, so weiß Heinz Urban zu berichten, den "Nichtorganisierten" widmen. Acht Heime stehen in Gelsenkirchen, das neunte ist im Bau. Geld des Landes und der Stadt helfen. Vieles aber macht Urban, gelernter Bauschlosser und deshalb im technischen Zeichnen versiert, selbst. So vor allem Zeichnungen. "Ich hab' sogar die Nägel mit eingezeichnet, das tun Architekten nicht", bekennt er mit Stolz.
    Das Bauzeichnen nennt er Freizeitbeschäftigung. Sein zweites Hobby hat einen Namen: FC Schalke 04. "Ob die gewinnen oder verlieren und ich mich ärgern muß, entspannen tu ich mich." Und zur Entspannung zählt auch, daß er Schalker Spieler mit Jusos über die Wirkung des Spitzensports auf den Breitensport diskutieren ließ.
    Panem et circenses? Oder sollte man besser und freundlicher sagen "Sozialpolitik und Fußball" — eine echte Reviersynthese.

    Karl Lohaus

    ID: LI733202

  • Diether Deneke (SPD).
    Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 30 - 07.12.1973

    Das Musische ist nicht seine Sache. Sein tägliches Brot ist "die Natur und alles, was darin an Leben ist"! Der Berliner Großstadt-Junge wollte deshalb Förster werden. Doch zunächst reichte es nur zum Gärtner-Gesellen. Heute ist er Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Nordrhein-Westfalen.

    Als der Sozialdemokrat Heinz Kühn 1966 das Landeskabinett bildete, war der damalige Regierungsdirektor im Bundesernährungsministerium für den neuen Regierungschef nicht viel mehr als eine Verlegenheitslösung. Der heute 55jährige, der 1939 als Externer das Abitur gemacht hatte, als Oberleutnant aus dem Krieg zurückgekehrt war und seit 1947 im öffentlichen Dienst stand, mußte sich durchboxen. Der noch immer Ungeduldige wollte die Bedächtigen — das ist die Masse der Ministerialbürokratie — zu schnellerer Gangart bewegen. Das gab Spannungen. Heute hat er sich durchgesetzt. Diether Deneke sitzt fest in der Regierungsmannschaft und im Apparat.
    In Bonn mußte er sich mit ländlichen Sozialfragen beschäftigen. Er hatte damit sein Thema, von dem er noch heute nicht läßt. "Das Soziale" steht überall im Mittelpunkt seiner Planungen. Manche behaupten deshalb, er sei der einzige Sozialdemokrat in der Regierung. Allerdings war es nicht der Marxismus, der ihn 1949 zum Anschluß an die SPD veranlaßte, diese Doktrin ist auch heute nicht die Triebfeder. Es ist ein humanitärer Grundzug, von dem er ausgeht. Vor 25 Jahren wurde er politisch aktiv — und das geht in diese Richtung —, "um der künftigen Generation das Vergangene zu ersparen".
    Was das Ministerium selbst angeht, so hat er die Bereiche über "Ernährung, Landwirtschaft und Forsten" hinaus ausgeweitet. Deneke — in der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft so aktiv wie in evangelischen Sozialausschüssen — war von Anbeginn kein Agrarminister im alten Sinn. Er setzt zwar auf das Eigentum und will den bäuerlichen Existenzen die wirtschaftliche Grundlage erhalten. Gleichzeitig aber will er den gleichen Raum, in dem Land- und Forstwirte tätig sind, den Großstädtern als Freizeitraum zur Verfügung stellen. Er hat ein gesundes Verhältnis zu dem, was "das Volk" will. Jedermann kann jetzt im Wald herumspazieren, bald sollen auch die Ufer der Gewässer frei für Herrn Jedermann sein. Durch ein neues Teichschutzgesetz machte er sich bei 150 000 Freizeitanglern beliebt.
    Jetzt versucht er einen weiteren Einbruch in bürgerliche Wählerschichten, indem er 155 000 Freizeitreitern Reitwege schafft. Als "Herr über alle Müllkippen" im Lande macht er sogar den Dreck zu einem Politikum.
    Auch hier setzt er neue Akzente. "Ich lasse mich nicht zum Romantiker stempeln!", meinte er kürzlich sehr engagiert. Das Wort zielte auf jene, die die sonntäglichen Müllsammel-Aktionen bespötteln, zu denen der oberste Umwelt- und Naturschützer des Landes Sport- und Heimatvereinsmitglieder an Wald- und Straßenrändern um sich versammelt. (Daß ein Fernsehteam meist dabei ist, spricht für seine Fähigkeit, auf dem Jahrmarkt der kleinen Eitelkeiten stets präsent zu sein.)
    Deneke ist ein zäher Arbeiter. Er ist energischer, als manche vermuten. Als nach seinem Dienstantritt in Düsseldorf die Präsidenten der Bauernverbände zu den üblichen "Präsidentengesprächen" ins Ministerium kamen, verlangte er auch die Anwesenheit der Vizepräsidenten, die die Arbeitnehmerseite vertreten. Seitdem hört er beide Seiten. Die Marschrichtung bestimmt er allerdings ganz allein.
    Gerhard Malbeck

    ID: LI733002

  • Porträt der Woche: Prof. Dr. Friedrich Halslenberg (SPD).
    Minister für Bundesangelegenheiten und Chef der Staatskanzlel.
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 28 - 23.11.1973

    Friedrich Halstenberg, sozialdemokratischer Minister und juristischer Professor, ist immer korrekt gekleidet, der Schlips fehlt nie, die Anzüge sind von dezenter Farbe, die Umgangsformen stets konventionell bis freundlich, aber nie kumpelhaft vertraulich. Er repräsentiert den gebildeten Bürger im guten Sinn, einen Typus, der immer rarer wird. Und er weiß das. "Ich habe nie den Ballonmützensozialisten zu spielen versucht, sondern immer mit Aufrichtigkeit mich selbst verwirklicht." So ist man zu der Frage provoziert, warum Halstenberg 1964 Mitglied der SPD wurde. Die Antwort kommt prompt: Nur in der SPD könne er seine fachlichen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen verwirklichen. Es ist bezeichnend, daß ein Halstenberg den Weg zur SPD über theoretische Überlegungen fand. Insofern ist er ein typischer Intellektueller unter den Landespolitikern. Bei ihm steht nie ein Erlebnis oder eine Emotion am Anfang einer Entscheidung, sondern immer eine Überlegung. Halstenberg denkt gerne. Nachdenken, so sagt er, sei ihm reine Erholung und Freude.
    Ein so strukturierter Politiker muß eine Funktion einnehmen wie Halstenberg sie als Chef der Staatskanzlei, als Chefplaner und Chefdenker der Regierung, tatsächlich hat. Aller Repräsentationszauber ist ihm zuwider, auch als Minister für Bundesangelegenheiten. Ihm kommt es auf Verhandlungen am Verhandlungstisch und nicht am Biertisch an. Er hat keine Freude am Witze-Erzählen. Er weiß, daß er nie ein Parteiführer sein kann, der die Emotionen anderer weckt und an sich bindet. Er weist sich deshalb nicht eine Rolle vor der Öffentlichkeit zu, sondern die Rolle intellektuell-handwerklicher Tätigkeit hinter dem Schreibtisch.
    Und dort, wo sauber gedacht und geplant wird, ist sein Platz nicht erst, seit er 1966 Chef der Staatskanzlei und damit rechte Hand von Heinz Kühn wurde. Friedrich Halstenberg, geboren 1920 in Westfalen, promovierte 1957 an der Universität Köln mit einer Arbeit über das parlamentarische Untersuchungsrecht. Seine Justizausbildung absolvierte er beim Deutschen Städtetag. Weitere berufliche Stationen: Deutscher Städtetag, Volksheimstättenwerk, Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung, Verband Kommunaler Unternehmen, Ministerialdirigent im Bundeswohnungsbauministerium, Verbandsdirektor des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk. Hinzu kommen 15 Jahre wissenschaftlicher Arbeit als Honorarprofessor. Halstenberg und der Begriff "Planung" sind fast identisch. Wie er jeden einzelnen Tag bis ins Detail durchplant, sucht er Leerlauf in der Verwaltung zu verhindern. Was planbar ist, soll geplant werden. Politik ist für ihn Generalstabsarbeit, bei der Planung und nicht Intuition entscheidend ist. Überschätzt Halstenberg damit die Möglichkeiten der Planung, ist er ein Planungsfetischist? Danach gefragt, meint er, Planung habe nicht den verplanten Bürger zum Ziel, sondern solle umgekehrt die Chance für jeden Bürger bieten, sich selbst zu verwirklichen. So weist der Intellektuelle Halstenberg sich selbst eine Grenzposition zwischen Verwaltung und Politik zu. Er sieht es als seine Aufgabe an, politische Entscheidungen in Verwaltung umzusetzen und umgekehrt die Verwaltungsvorhaben auf ihre politische Realisierbarkeit zu überprüfen.
    Ein solcher Mann auf der Grenze von Politik und Verwaltung wird sich nur schwerlich danach drängen, einen politischen Spitzenplatz einzunehmen. "Ich bin kein Parteiführer." Und so ist Halstenberg in den letzten sieben Jahren auch nie dem "Parteiführer" Heinz Kühn gefährlich geworden. Die Frage der Nachfolge Kühns und die Rolle, die er selber dabei spielen könnte, interessiert deshalb letzten Endes den Planer Halstenberg nicht. Und da zur Planung Ehrlichkeit gehört, ist ihm dies auch zu glauben.
    Cornelius Bormann

    ID: LI732802

  • Porträt der Woche: Hans Wertz (SPD).
    Finanzminister.
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 26 - 02.11.1973

    Ein "Zu-allem-ja-und-amen-Sager"-Typ ist ER nicht. Nach eigenen Aussagen zieht ER die Auseinandersetzung dem Appeasement vor und macht es damit sich und den Anderen nicht immer leicht. ER ist Nordrhein-Westfalens Finanzminister, erst 51 Jahre, aber schon länger in diesem Amt als jeder seiner sechs Vorgänger. Mitglied des Bundesrates, bereits zum fünften Mal Vorsitzender des Finanzausschusses dieser Länderkammer und ebensooft Vorsitzender der Finanzministerkonferenz der Bundesländer. ER ist aber auch Mitglied des Bonner Konjunkturrates, des Finanzplanungsrates der Bundesregierung und der Bund-Länder-Kommission zur Vorbereitung der Finanzreform. Dazu Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik und Inhaber der "Silbernen Steuerschraube" des Bundes der Steuerzahler.
    Die Anderen, das ist nicht nur die Opposition, die er sicherlich insgeheim manchmal zum Teufel wünscht und doch wieder braucht wie ein Lebenselixier; das sind auch seine Kabinettskollegen, die er gelegentlich als eine "Tischrunde personifizierter Prioritäten" apostrophiert. Und das sind auch die Landtagsabgeordneten, zu denen er zwar selbst gehört, von denen aber seiner Überzeugung nach gar so mancher vor Geschäftigkeit zuviel an seinen eigenen Wahlkreis denkt und zu wenig Augenmaß für den Gemeinnutz hat. Zu den Anderen zählen aber auch der Hauptpersonalrat seines Ministeriums und die Interessenvertretung der Steuerbeamten, mit denen er sich, vor allem in der ersten Zeit seiner Ministertätigkeit, mehr angelegt hat als seine Amtsvorgänger zusammen. Und last not least gehören dazu auch Journalisten, seine Kollegen aus Aachener Anfangszeiten.
    Wer Hans Wertz, der sicherlich nicht das landläufige Naturell eines Rheinländers hat, Arroganz, Kontaktarmut, Sarkasmus und Sturheit vorwirft, wie es oft geschieht, weiß nicht, daß dieser vielbelesene Selfmademan auch Witz und Charme versprühen und richtig flachsen kann. Von dem Vorwurf, Landesverfassung und Etatrecht während der Rezessionszeit mit einer parlamentarisch abgesicherten 900 Millionen Konjunkturspritze verletzt zu haben, hat ihn das Verfassungsgericht des Landes befreit. Den Vorwurf, wann immer nur möglich auf die parlamentarische Opposition einzudreschen und dabei in seinem rhetorischen Repertoire nicht gerade wählerisch zu sein, zieht er sich Immer wieder von neuem zu. Dabei vergißt Wertz offenkundig, daß er vor einem Jahrzehnt selbst als Oppositionssprecher und Etatexperte seiner Fraktion sich durch scharfe Angriffe auf die damalige Landesregierung profiliert hat.
    Die drei Berufe, die Wertz vor seiner Berufung zum Minister ausgeübt hat: kaufmännischer Angestellter, politischer Redakteur, Stadtkämmerer und erster Beigeordneter mögen wichtige Sprossen auf seiner Berufsleiter gewesen sein. Ministeriabel haben Wertz erst seine politischen Aktivitäten im Aachener Stadtrat, in der Rheinischen Landschaftsversammlung und vor allem im Landtag gemacht. Die Finanzierung des Nordrhein-Westfalen-Programms ist dem Fleiß und der Hartnäckigkeit dieses Finanzministers zu verdanken, der mit Landesmitteln nicht kleckern will, um klotzen zu können, beispielsweise beim Hochschulbau.
    Entspannung findet der Finanzminister auf seinem Rennrad (bis vor einiger Zeit im Porsche), beim Schwimmen und beim Waldlauf. Darüber hinaus hat er noch Zeit zum Lesen und ist im Karolingischen Kirchenbau fast ebenso beschlagen wie in der Reichshaushaltsordnung. Wissenschaftliche Literatur in Englisch und Französisch liest er im Original. Vielleicht findet er keine Zeit, auch Schopenhauer zu lesen, etwa das Kapitel über die Höflichkeit, die nach Ansicht des Philosophen die Menschen so biegsam macht wie die Wärme das Wachs.
    Karl Fischer

    ID: LI732602

  • Porträt der Woche: Peter Hamel (SPD).
    Porträt
    S. 2 in Ausgabe 24 - 19.10.1973

    Klagt der eine: "Der Hamel hat mich damals so oft gedöpt." Erwidert der andere: "Aber zweimal zuwenig, sonst wärst Du nicht Minister geworden." Mit diesen Frotzeleien pflegen sich Willi Weyer und Peter Hamel an jene Zeiten zu erinnern, da sie Ende der zwanziger und in den frühen dreißiger Jahren — der eine als Stürmer bei Hagen 94, der andere als Verteidiger bei Lüdenscheid 01 — in Wasserball-Turnieren aufeinandertrafen.
    Heute kämpfen die beiden auf anderem Feld und nicht mehr gegen-, sondern miteinander, nämlich als Bundesgenossen innerhalb der sozial-liberalen Koalition. Während der eine inzwischen als Innenminister und (Ehrenvorsitzender seiner Landespartei von sich reden machte, gehört der andere freilich eher zu den Stillen im Lande: Als ehemaliger Bürgermeister von Lüdenscheid, als SPD-Fraktionsvorsitzender im dortigen Kreistag sowie als Chef von SPD-Ortsverein und Stadtverband ist Peter Hamel (58) in seiner engeren westfälischen Heimat zwar "bekannt wie ein bunter Hund" (Hamel über Hamel). Als direkt gewählter Landtagsabgeordneter (seit 1970) und stellvertretender Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses ist er aber bisher kaum ins Rampenlicht getreten. Vor dem Plenum hat er überhaupt er einmal gesprochen, als er Anfang 1972 den Bericht seines Ausschusses abstattete.
    Ihn deshalb als farblosen Hinterbänkler zu bezeichnen, würde den sprichwörtlichen Nagel dennoch nicht, auf den ebenso sprichwörtlichen Kopf treffen. Denn Peter Hamel, dessen Gesichtszüge bereits seinen widerborstigen Eigensinn verraten, ist alles andere als farblos und schon gar nicht bequem. Und in der Not, als "kleiner" Parlamentarier die Ausgabenwirtschaft einer mächtigen Exekutive zu kontrollieren, hat er eine Tugend entwickelt, die billige Popularitätshascherei ausschließt, nämlich Diskretion. Will heißen: "Es gibt eine Grenze, hinter der das Menschenrecht höher steht als alles andere." Gelegentlich auch höher als das Recht der Öffentlichkeit auf Information: Mancher Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst, der Steuergelder aus menschlicher Schwäche ordnungswidrig verwaltete, verdankt es Hamel, daß er der Presse nicht geradenwegs zum Fraß vorgeworfen wurde.
    Einsicht in die Fehlsamkeit des Menschen hindert den gebürtigen Lüdenscheider freilich nicht daran, die staatliche Ausgabenwirtschaft an den strengen Maßstäben des pedantisch wirtschaftenden Hausvaters zu messen. Denn diesen Maßstäben hat sich Peter Hamel, der nach Obersekundareife und Lehre den Kaufmannsgehilfenbrief erwarb und heute Inhaber einer gutgehenden Schleifmittelfirma ist, allemal selbst unterworfen.
    Der Erfolg als mittelständischer Unternehmer hat dem ehemaligen Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger in der nordrhein-westfälischen SPD zudem jene Selbstsicherheit verliehen, die ihn daran hindert, sich in der eigenen Partei, der er seit 1947 angehört, heute als Fremdkörper zu fühlen. Hamel, der in seiner Jugend wohl selbst so etwas wie ein "Revolutionär" gewesen ist, hat zu den meisten Jusos in Lüdenscheid sogar "ein politisch gutes Verhältnis". Denn seine Devise "Man muß den Menschen helfen" kann auch der Parteinachwuchs unterschreiben.
    Dirk Bavendamm

    ID: LI732402

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Die Fraktionen im Landtag NRW