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  • Kampf um Bochumer Opelwerk geht weiter.
    Politik appelliert an Konzern: Schließung unbedingt vermeiden!
    Plenarbericht;
    ;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 3 in Ausgabe 13 - 24.11.2004

    Die von General Motors ins Gespräch gebrachte Schließung eines europäischen Automobilwerks hat die Menschen in Bochum und Umgebung schwer getroffen. Um die Angelegenheit im Landesparlament zur Sprache zu bringen, hatte die SPD-Fraktion für den 11. November eine aktuelle Stunde beantragt. Ihr Thema: "Keine betriebsbedingten Kündigungen - Die Produktion am Opel-Standort Bochum muss erhalten bleiben."
    Carina Gödecke (SPD) erklärte: Wir fordern und unterstützen Verhandlungen, die die Sicherheit des Standorts und Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten zum Ziel haben." Dabei sei die breite politische Solidarität eine wichtige Hilfe für Lösungen und nicht zuletzt für 9.600 Familien in Bochum, die um die Zukunft der Arbeitsplätze bangen. Solche perspektivlosen Entscheidungen wie die Schließung eines ganzen Werks fielen von einem Management in den USA, dem es nur um Kostenminimierung, nicht um Sanierung gehe. Managementfehler der Vergangenheit sollten einseitig auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Über Anzeichen, dass die harte Linie verlassen werde, sei sie froh, schloss sie: "Daran können wir weiterarbeiten.Wir als Politik können helfen. Wenn es darum geht, um die Standort- und Beschäftigungssicherung zu kämpfen, dann sind wir an der Seite der Belegschaft."
    Lothar Hegemann CDU) erklärte, es tue weh, wenn solche Ankündigungen gemacht werden". Seine Betroffenheit sei bei den vielen Familien in Bochum und um Bochum. Bochum habe Ausstrahlung ins gesamte Ruhrgebiet, meinte er und fand, nicht nur Opel kranke, "sondern das ganze Ruhrgebiet". Der Standort Bochum sei nicht erst seit kurzem im Gerede, sondern seit vielen Jahren. Die Politik kann wenig machen, aber das, was sie machen kann ist nicht gemacht worden", stellte Hegemann unter Hinweis auf die zugesagte und bisher noch nicht gebaute Opelspange fest. Der Landesregierung schrieb er ins Stammbuch: "Hinfahren, betroffen sein, nach Hause fahren und eine neue Sau durchs Dorf treiben reicht nicht aus - tun Sie, was Sie tun können, damit Massenentlassungen nicht stattfinden."
    Dr. Ute Dreckmann (FDP) führte die Krise von Opel hauptsächlich auf Managementfehler zurück. Im Moment gehe es darum, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten, "für die Zukunft aber brauchen wir dringend eine andere Wirtschafts- und Verkehrspolitik". Seit Jahren werde das Autofahren von Rot-Grün systematisch verteufelt. In keinem Land gebe es so schlechte Straße und so viele Staus wie in NRW. Die Realisierung der Opelspange, der Verbindung der A 40 im Westen der Stadt bis zur A 44 und A 43 im Osten, lasse auf sich warten. Hauptblockierer seien die Grünen. Die Lohnnebenkosten seien in Deutschland zu hoch, die gleich gut qualifizierten Arbeitnehmer in Polen seien genauso motiviert, aber viel preiswerter.
    Rüdiger Sagel (GRÜNE) fragte den Redner der CDU nach seiner Standortpolitik für NRW: "Was Sie hier machen, ist ein Tritt in den Hintern für den Standort NRW und gegen die Beschäftigten", kritisierte er und verdeutliche den Standpunkt seiner Fraktion: "Jetzt ist ein eindeutiges Signal der Konzernleitung in Richtung Standort und Beschäftigungssicherung notwendig." Die Grünen unterstützten die Bestrebungen zum Abschluss eines Standortsicherungs- und Zukunftsvertrages für die einzelnen Standorte. Dazu seien die Beschäftigten mit ihren Zugeständnissen bereits Vorleistung getreten. Sagel weiter: "Ich gehe davon aus, dass die Opelkrise kein Zeichen für die Schwäche des Industriestandorts NRW ist. Vielmehr hat die Konzernspitze hier eine falsche Standortpolitik, beziehungsweise eine falsche inhaltliche Politik gemacht."
    Wirtschafts- und Arbeitsminister Harald Schartau SPD) fand: "Es ist nicht vorstellbar, dass es Opel in Bochum nicht gibt." Opel sei im Ruhrgebiet mehr als eine Marke, "Opel gehört einfach dazu". Die Landesregierung stehe nicht nur mit den Betriebsräten, sondern auch mit dem Opel-Management "in täglichem und direktem Kontakt", betonte der Minister. Weiter teilte er mit, dass die Landesregierung Druck darauf ausübe, dass die Entscheidungen im laufenden Planfeststellungsverfahren zeitlich wie vorgesehen fallen; die Gesamtinvestitionssumme für die Opelspange bezifferte er auf 140 Millionen Euro. Schartau zum Schluss: "Das Land ist zu dem, was wir machen können, bereit. Dazu zählt sicherlich nicht, dem Unternehmen General Motors in irgendeiner Form mit Geld imponieren zu wollen. Das hieße wirklich, die falschen Mittel anzuwenden."

    Systematik: 2010 Gewerbliche Wirtschaft/Industrie; 2410 Arbeitsmarkt

    ID: LIN00838

  • Was wird, wenn VIVA geht?
    Medienausschuss: Standortverlagerung und DVB-T-Start.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 13 - 24.11.2004

    Der US-Konzern Viacom überlegt, die Standorte der Musiksender Viva und Viva Plus nach deren Übernahme von Köln nach Berlin zu verlagern. Damit wären am Rhein bis zu 540 Arbeitsplätze bedroht. Eine Nachricht, die kurz nach dem Tag der Medienkompetenz (siehe Bericht Seite 12) auch im zuständigen Ausschuss die Debatte über Ansiedlungspolitik von Medienunternehmen in NRW auslöste.
    Das Nachrichten-Magazin Spiegel hatte Medienstaatssekretärin Professor Miriam Meckel in diesem Zusammenhang zitiert, ein Umzug sei gegen informelle Absprachen. Man werde gegebenenfalls die Lizensierungsbedingungen prüfen. Darüber hinaus habe sie auch eine Änderung des Landesmediengesetzes nicht ausgeschlossen.
    "Ich habe mit dieser Form der Kommunikation nicht begonnen, sondern nur auf eine Aussage von Frau Mühlemann (Anmerkung: designierte Chefin des neuen Unternehmens) reagiert", betonte Meckel. "Alles, was Sie gelesen haben, ist reine Spekulation." Natürlich sei die Standortwahl eine unternehmerische Entscheidung. Selbstverständlich führe die Landesregierung aber Gespräche mit Viacom, zu deren Konzern ja auch der Sender MTV gehört.
    "Durchaus positiv", bewertete Meckel diese Sondierungen. Über Details habe man aber Stillschweigen vereinbart. Generell gebe es jedoch klare informelle Absprachen.Viacom habe den Standort Köln geprüft und festgestellt, dass eine Fortführung von Viva ohne ihn nicht möglich sei. "Ich gehe davon aus, dass diese Absprachen gelten", so Meckel.
    Eine endgültige Entscheidung über die Standortverlagerung kann laut Meckel sowieso erst Anfang nächsten Jahres fallen. Hintergrund hierfür sei die Rechtsform der Übernahme. Dies soll mittels eines so genannten Beherrschungsvertrages geschehen und dieses Verfahren dürfte inklusive Eintrag ins Handelsregister und Hauptversammlung erst im Februar abgeschlossen sein.

    Sendelizenz

    Es gebe klare gesetzliche Grundlagen für die Erteilung von Lizenzen, verwies Anke Brunn (SPD) auf die Zuständig- und Unabhängigkeit der Landesanstalt für Medien (LfM). "Wenn sich an den Voraussetzungen seitens der Sender etwas ändert, was nicht mit der Landesmedienkommission besprochen wurde,muss neu verhandelt werden", machte Brunn, selbst Mitglied dieser bei der LfM zuständigen Kommission, deutlich, dass man den ganzen Vorgang auch da genau beobachtet.
    Dabei geht es jedoch nicht in erster Linie um den Schwerpunkt Standort, sondern um die Struktur des Programms. Viacom habe mittlerweile zugesagt, dass sich die Struktur von Viva Plus nicht ändern werde, so LfMSprecher Dr. Peter Widlok gegenüber Landtag intern. Deshalb habe die Kommission wie geplant am 19. November über die Kabel- Lizenzen entschieden - und dabei auch Viva und Viva Plus berücksichtigt.
    "Sind wir mit unserem offenen Medienmarkt wirklich gut aufgestellt?", verwies Marc Jan Eumann (SPD) auf ein generelles Problem angesichts der "unstreitigen Konzentrationsphase der internationalen Medienkonzerne". Während US-Konzerne wie Viacom problemlos in der BRD agieren können, sei das beispielsweise für deutsche Unternehmen in den Staaten kaum möglich. Das werden wir aufgreifen müssen", sah auch Meckel seitens der Landesregierung Handlungsbedarf.

    Flächendeckung

    Wesentlich positiver waren die Nachrichten, die Joachim Bareiß, Leiter des Projektbüros DVB-T in Nordrhein-Westfalen", zu dem am November gestarteten digitalen Antennenfernsehen für die Region Düsseldorf und Ruhrgebiet im Gepäck hatte. Wie bereits am 24. Mai in der Region Köln/Bonn habe es einen problemlosen Start gegeben.
    Für die reibungslose Einführung sei die Kooperation mit der Verbraucherzentrale NRW besonders wichtig gewesen. Das Interesse DVB-T sei hoch, was einerseits an dem großen Informationsbedarf der Bürgerinnen und Bürger, aber auch den Verkaufszahlen für die erforderlichen Set-Top-Boxen zu erkennen sei. Etwa 390.000 gingen allein in NRW in diesem Jahr über die Ladentheken.
    Derzeit erreicht die neue Technik 14 von Millionen Einwohnern. Im nächsten Schritt kommt der Raum Bielefeld/Ostwestfalen hinzu. Damit beschäftigt sich bereits eine technische Arbeitsgruppe.Danach folgen Aachen und Münster. Ziel, so Dr. Michael Brinkmeier (CDU), müsse sein, bis zur WM 2006 das neue System flächendeckend eingeführt zu haben.
    vok

    Bildunterschrift:
    Schon die Koffer für Berlin gepackt? Der Eingang des Gebäudes des Musiksenders Viva in Köln.

    Systematik: 7720 Rundfunk/Fernsehen

    ID: LIN00852

  • Sicher in Informationsdickicht und Dschungelcamp.
    Tag der Medienkompetenz im Landtag NRW.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 13 - 24.11.2004

    3-2-1- meins - der Slogan eines Internetauktionshauses ist mittlerweile fast so bekannt wie das ABC. Aber welche Kompetenzen braucht der Bürger, um sicher durch das digitale Überangebot zu navigieren? Was müssen Eltern können, um den Videospiel-Enthusiasmus ihrer Sprösslinge verantwortlich zu begleiten? Antworten auf diese Fragen lieferte der zweite "Tag der Medienkompetenz in NRW", den der Landtag NRW am 9. und 10. November ausrichtete.
    NRW macht Lust auf Medien", eröffnete Landtagspräsident Ulrich Schmidt das Symposium "NRW: Neues Lernen - Tag der Medienkompetenz".
    "85 Prozent der 12- bis 19-Jährigen haben von zu Hause aus Zugang zum Internet. 100 Prozent in ihrem weiteren Umfeld. Das ist eine erfreuliche Tendenz", äußerte sich die Vorsitzende des Medienausschusses, Claudia Nell- Paul (SPD). "Jedoch wird vor allem der kritische Umgang mit den Inhalten immer wichtiger", betonte sie. Das gelte nicht nur für die neuen Medien, sondern gerade heute auch für die "Klassiker" Zeitung, Radio und Fernsehen. Denn: "Welche Inhalte vermittelt uns eigentlich das Dschungelcamp?"
    Professor Dr. Miriam Meckel, Staatssekretärin für Internationales, Europa und Medien in NRW, zeigte sich besorgt über die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen. "Es geht nicht, dass unsere Gesellschaft geteilt ist in die, die Zugang zum Internet haben, und jene, die keinen Zugang haben." Ziel der Landesregierung sei es, allen Menschen die gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.

    "Kompetente Alte"

    Die Hauptpersonen des Nachmittags waren die Teilnehmer der Arbeits- und Mediengruppen, bestehend aus Schülerinnen und Schülern, Abgeordneten und Vertretern der Generation der Junggebliebenen. "Nennen Sie uns ruhig ,kompetente Alte‘", so eine Vertreterin dieser Personengruppe augenzwinkernd.
    Gruppe eins widmete sich dem Thema "Mit Medien unternehmen - welche Kompetenzen brauchen wir?" und forderte vor allem Lebenslaufmanagement. Das bedeutet: Schule macht fit für die selbstständige Lebensplanung, während eine stärkere Vernetzung von Schule und Arbeitsmarkt den jungen Leuten mit Informationen über die Berufswelt Perspektiven aufzeigt. Außerdem gehöre zu Medienkompetenz auch Methodenkompetenz: Im Unterricht muss gelehrt werden, wie man lernt.
    Die Schüler des Georg-Simon-Ohm- Berufskollegs in Köln feierten mit ihrem fetzigen Hip Hop Video Weltpremiere, wohingegen die Video-Arbeitsgemeinschaft der Goetheschule Essen in einem nachdenklichen Dokumentarfilm zum Thema "Games without frontiers - Spiele ohne Grenzen?" auf die vielfältigen Gefahren ausschweifenden Videospielkonsums aufmerksam machte. Wer die Rolle von Terroristen und Monstern schlüpft, kann schnell die Bodenhaftung verlieren.
    Computerspiele sind spannend, sie machen Spaß, sind lehrreich und nicht mehr weg zu denken. Nicht selten sind sie aber auch gewalttätig. Es bedarf also der Fähigkeit zu wählen. Deswegen wünschte sich Arbeitsgruppe zwei den Einzug der Computerspiele in die Schule. Außerdem sollten auch Eltern ihre Hemmungen abbauen und sich ans Videospiel heranführen lassen.

    Computerspiele

    In der Podiumsdiskussion stellten sich Vertreter der vier Landtagsfraktionen dem direkten Dialog mit Schülerinnen und Schülern. Zum Auftakt verlangte die Frage: "Sollen gewalttätige Computerspiele verboten werden?" nach einer Antwort.
    Marc Jan Eumann (SPD) hielt es für sinnvoll, die Jugendlichen in die Diskussion über die altersgestaffelte Freigabe von Computerspielen mit einzubeziehen. Der Tag der Medienkompetenz böte für diese Auseinandersetzung eine Plattform. "Ihre Vorschläge werden in die politische Auseinandersetzung mit einfließen", versprach er.
    "Viel interessanter finde ich die Grenze zwischen Grenzenlosigkeit und Tabulosigkeit", wandte Oliver Keymis (GRÜNE) ein. Zur Medienkompetenz gehöre die Entwicklung einer hinterfragenden Haltung. "Wir brauchen kein neues Gesetz, sondern müssen die Menschen in die Lage versetzen, technisch, geistig und moralisch mit den Angeboten umzugehen", erklärte Keymis.
    "Wo ziehen wir die Grenze, damit die Menschenwürde nicht verletzt wird?" fragte Dr. Stefan Berger (CDU), der als Mitglied im Medienausschuss die CDU-Fraktion vertrat. Die Gesellschaft müsse sich in erster Linie klar werden, was sie wolle und was nicht. Die CDU zöge den Weg der freiwilligen Selbstkontrolle einem Verbot vor. Im Übrigen gelte: "Medienkompetenz wird nicht verordnet, sondern vor Ort an den Schulen entwickelt."
    Der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dr. Stefan Grüll, wies darauf hin, dass Verbote unter anderem auch wegen des Reizes des Verbotenen nicht weiterhelfen. "Die FDP setzt auf Freiwilligkeit." Besonders in Erinnerung geblieben sei Grüll außerdem das von einem Schüler zitierte Bild des unmotivierten Lehrers, der hinter dem Pult mehr liege als stehe. Für die Bereitschaft der Kollegien, mit neuen Medien zu arbeiten, müsse etwas getan werden.
    Dr. Elmar Schulz van Heyden, Staatssekretär im Ministerium für Schule, Jugend und Kinder forderte, dass die Schule überlegt, wie sie das Medium selber zum Gegenstand des Unterrichts machen könne. Dazu bedürfe es keines neuen Fachs. Vielmehr sollten diese Inhalte fächerübergreifend integriert werden.

    Ausstellung

    "Schauen ist gut, durchschauen ist besser!" Professor Dr. Norbert Schneider, Chef der Landesanstalt für Medien NRW, gab das Motto für den zweiten Teil des Tags der Medienkompetenz vor. Oder anders:"Wenn wir wissen, wo wir die Sahne finden, müssen wir sie nur noch schlagen."
    Bei der Suche behilflich war die Medienkompetenz- Ausstellung, die Claudia Nell-Paul (SPD), Vorsitzende des Medienausschusses, in Vertretung des Landtagspräsidenten gemeinsam mit Ministerpräsident Peer Steinbrück am Vormittag des 10. November im Landtag eröffnete.
    "NRW ist stolz auf 350.000 Arbeitsplätze in der Medienwirtschaft", stellte Steinbrück die Wichtigkeit der Medien für die Wirtschaft NRWs heraus. "Aber an Stelle eines Videospiels könnte man vielleicht hin und wieder zu einem Brettspiel greifen oder eine Unterhaltung führen", warb der Ministerpräsident auch für die altbewährten Kommunikationsformen.

    Rallye

    ",dipp.nrw’ ist die Abkürzung für ... ?" lautete Frage 24 der Rallye zur Medienkompetenz-Ausstellung, bei der 50 Aussteller ihre Projekte und Angebote präsentierten. Die Antwort: "dipp.nrw" ist keine rheinisch-westfälische Nacho-Sauce, sondern die Abkürzung für "Digital Peer Publishing", was wiederum für den Auf- und Ausbau von elektronischen Fachzeitschriften steht.
    Anhand von 31 Fragen hangelten sich Schülergruppen und Einzelteilnehmer an der bunten Angebots- Palette entlang. Die Radio-Olympiade vom Jugendradio NRW und LizzyNet - ein Angebot für onlinekompetente Mädels von Schulen ans Netz, waren nur einige Stationen auf den Rallyepfaden durch die Wandelhalle. Am Stand von Inter-Ned, dem Kompetenz-Netzwerk Niederlande /NRW, konnte man sich über alles rund um Geschäfte in und mit den Niederlanden informieren, wohingegen bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen der Einstieg in die Medienkarriere durch Praktikumsplätze winkte.
    Es blieb der Wunsch, dass auf den gelungenen zweiten Tag der Medienkompetenz im Landtag NRW im nächsten Jahr Teil drei folgt.Vertreter aller vier Fraktionen versprachen, sich für die Fortsetzung einzusetzen.
    YV

    Bildunterschrift:
    "Medienkompetenz bedeutet nicht, nur zu konsumieren, sondern auch, Radio, Fernsehen oder Internet selber zu machen", ermutigte Claudia Nell-Paul die Besucher.

    Zusatzinformation:
    Gemeinsames Anliegen
    Selten kommt es vor, dass sich die vier Fraktionen einig sind. Beim Tag der Medienkompetenz war das der Fall. Der entspringt einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, und war im letzten Jahr so erfolgreich, dass nun die Fortsetzung folgt. Auftraggeber sind die Staatskanzlei und der Landtag NRW als Mitveranstalter und Gastgeber. Im Vorfeld setzten sich Abgeordnete, Schüler und Junggebliebene in Arbeitsgruppen zusammen und bereiteten das Symposium "NRW: Neues Lernen" vor. Eine begleitende Ausstellung am 10. November band Medienkompetenzprojekte und die Medienwirtschaft NRWs ein.

    Systematik: 7700 Informationsgesellschaft/Medien

    ID: LIN00853

  • Höchst erfreute Queen im Landtag.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 12 - 11.11.2004

    Siebzig Meter roter Teppich vor dem Landtag. 15 weiße Mäuse fahren vor. Ihre Majestät Elizabeth II Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland steigt aus. Kamelhaarfarbener Mantel, der dazu passende Hut. Direkt nach ihr kommt Seine Königliche Hoheit Prinz Philip Herzog von Edinburgh aus dem Bentley heraus. Draußen jubeln rund 1.000 Menschen.
    Landtagspräsident Ulrich Schmidt und Ehefrau Marlies stehen bereit, um die Königin und ihren Mann in Empfang zu nehmen. Blitzlichtgewitter, Kameraklicken. 200 Journalisten warten auf die Ankunft Ihrer Majestät.
    Für Präsident Ulrich Schmidt, für das ganze Parlament, ist es eine hohe Ehre, dass die britische Königin zur Festveranstaltung in den Landtag kommt. 39 Jahre nachdem sie das letzte Mal offiziell in der Landeshauptstadt war.
    700 Gäste, 200 Journalisten
    Ihr Gefolge ist groß: eine britische Delegation, britische Presse, der britische Generalkonsul, der Landtagspräsident, der Ministerpräsident, Botschafter und viele Prominente. Erwartet wird sie von allen Abgeordneten, insgesamt 700 Gäste befinden sich im Landtag.
    Etliche Staatsmänner haben sich schon in das Gästebuch des Landtags eingetragen: So zum Beispiel Arafat und Gorbatschow. Jetzt wird das Buch auch durch die Unterschriften von Elizabeth II und Prinz Philip gekrönt.
    Ihr zu Ehren spielen die Bergischen Symphoniker aus Remscheid/Solingen "Pomp and Circumstance" von Edward Elgar. Welch ein Empfang! Alle erheben sich von ihren Sitzen, als die Queen den Plenarsaal betritt. Drei kurze Reden: Präsident Ulrich Schmidt spricht von "Freundschaft", Ministerpräsident Peer Steinbrück redet über "die vielen Schulpartnerschaften", die Königin selber lobt die wirtschaftliche Zusammenarbeit.
    Bevor alle Gäste den Plenarsaal verlassen, schaut sich die Königin das Engagement britischer Investoren in NRW an. Sie ist beeindruckt.
    Bei ihrem Weg aus dem Landtag lernt sie drei junge Schülerinnen und Schüler aus einem Düsseldorfer Gymnasium kennen, die mit neuester Handytechnik live nach London kommunizieren. Und kurz bevor sie das Haus verlässt, überreichen ihr zwei Essener Kinder noch rote Rosen. Dann fährt sie Richtung Ständehaus.
    Ein großer Moment fürs Parlament, ein wichtiger Schritt für Europa.
    SH

    ID: LIN00788

  • Wirtschaftliche Verpflechtung und freundschaftliche Bande.
    Englische Queen würdigt Verbindung ihres Landes zu NRW.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 12 - 11.11.2004

    Angelsächsische Missionare brachten das Evangelium ins Land. Die britische Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte für demokratische Verhältnisse. Englische Fabrikanten lieferten - unfreiwillig - die Blaupausen für die erste Textilfabrik Cromford auf dem europäischen Kontinent in Ratingen. Florence Nightingale, die spätere Heldin des Krimkriegs, absolvierte im Krankenhaus des Theodor Fliedner in Kaiserswerth eine Ausbildung als Pflegerin. Nach seiner Karriere als Keeper für Manchester United, wo er als deutscher Kriegsgefangener hängen geblieben war, arbeitete die Fußballlegende Bert Trautmann als Trainer von Preußen Münster.
    Man sieht: Die Verbindungen zwischen Großbritannien und dem Land, das sich nach 1945 Nordrhein-Westfalen genannt hat, sind Jahrhunderte alt und umfassend - politisch, wirtschaftlich, kulturell, sportlich und menschlich.
    Sie kamen als Besatzer und wurden Freunde. Manchmal auch Ehemänner: Die britische Rheinarmee mit ihrem Hauptquartier in Mönchengladbach umfasst über 14.000 Soldaten und über 21.000 Menschen im zivilen Gefolge. Die Zahl der Ehen zwischen britischen Soldaten und deutschen Frauen hat noch niemand nachgezählt. 140 nordrhein-westfälische Städte und Gemeinden knüpften freundschaftliche Bande mit der Insel. In 133 weiterführenden Schulen im Land wird in Deutsch und Englisch unterrichtet. 27 Kooperationen gibt es auf dem Hochschulsektor. Und nicht nur der späte Abglanz der von frühen britischen Touristen begründeten Rheinromantik ließ im vergangenen Jahr über 300.000 mal ein britisches Haupt auf dem Kissen eines nordrhein-westfälischen Hotelbetts ruhen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind eng.

    Tochterfirmen

    Zwischen Aachen und Höxter, Rheine und Siegen leben 60.000 britische Staatsbürger. Die Hälfte von ihnen ist bei den 300 Tochterfirmen britischer Unternehmen beschäftigt. Sie erwirtschaften einen Gesamtumsatz von etwa 20 Milliarden Euro im Jahr. Auf der anderen Seite verdanken 46.000 Menschen in NRW ihren Arbeitsplatz britischen Investitionen. Bei der wirtschaftlichen Kooperation belegt NRW den Spitzenplatz unter den Bundesländern. Unternehmer aus dem Vereinigten Königreich schätzen die zentrale Lage, die gute Infrastruktur und die hohe Qualifikation der Menschen hier in NRW. Das Land im Herzen der EU ist eine gute Ausgangsbasis für überregionales und internationales Handeln - in Deutschland, Europa und weltweit.
    Die Beziehungen zwischen NRW und dem Vereinigten Königreich sind keine Einbahnstraße. Acht Prozent der Exporte des Landes NRW gehen auf die Insel, von dort her kommen sieben Prozent der Gesamtimporte in unseren Raum. Auch nordrhein-westfälische Firmen investieren auf der Insel, sie schätzen den Standort als besonders unternehmerfreundlich und ausbaufähig, auch wenn Großbritannien, was den Euro angeht, noch abseits steht. Das hinderte aber 1.200 deutsche Firmen nicht daran, dort ihre Niederlassung zu errichten und bei den deutschen Tochtergesellschaften in Großbritannien eine Viertelmillion Arbeitsplätze zu bieten. Größte Investoren jenseits des Kanals sind aus NRW Bertelsmann, Degussa, Deutsche Post, Eon, Henkel, RWE, Telekom und ThyssenKrupp. Vor kurzem war Umweltministerin Bärbel Höhn in London, um die Zusammenarbeit beim Umwelt- und Klimaschutz - ein Thema, das beim Besuch der Queen in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt hat - zu vertiefen und den Technologietransfer in den Bereichen Abfall- und Wasserwirtschaft sowie bei den Erneuerbaren Energien anzukurbeln.
    Albrecht Dürer im British Museum, Max Beckmann in der Tate Modern - deutsche bildende Kunst ist stets ein Magnet fürs britische Publikum. Auf der anderen Seite genießt im gesamten englischen Sprachraum eine Einrichtung des Landes NRW, das Europäische Übersetzerkolleg in Straelen, großes Ansehen. Was in den Buchhandlungen als Bestseller verkauft wird oder auf der Bühne immer noch Furore macht, ist in diesem Haus am Niederrhein neu übersetzt worden - von Rosamunde Pilcher bis William Shakespeare. Ein Nachbau des Globe Theatre des englischen Dichterfürsten steht in Neuss und lockt die Theaterfreunde der Umgebung an.

    Nachbarschaft

    Bei ihrem Besuch im Landtag verweilten die Queen und Prinz Philip länger in der Ausstellung, mit der das Landesarchiv zwölf Jahrhunderte gelebte Nachbarschaft zwischen Großbritannien und NRW in ihrem ganzen Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander dokumentierte. Auf dieses Verhältnis ging die Queen auch in ihrer Rede vor dem Landtag ein: "Gegenseitige Investitionen, der wissenschaftliche Austausch und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nordrhein- Westfalen und Großbritannien sind heute schon so sehr Bestandteil unseres Alltags geworden, dass wir uns davor hüten müssen, dies alles als selbstverständlich zu nehmen. Darin zeigt sich deutlich, wie stark unsere Beziehungen inzwischen sind." JK

    Bildunterschrift:
    Eheliche Bande anno 1540 - Heiratsvertrag zwischen dem in Liebesdingen nicht unproblematischen englischen König Heinrich VIII - er ließ etliche seiner Ehefrauen hinrichten - und Anna von Kleve-Jülich-Berg. Die Ehe hielt nur kurz, Anna überlebte.

    Systematik: 1510 Internationale Beziehungen; 2060 Außenwirtschaft

    ID: LIN00803

  • "Ein großer und schöner Tag für unser Land".
    Visite im Zeichen gegenseitiger Freundschaft.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 12 - 11.11.2004

    Ein minutiös geplantes Protokoll - die Königin kostete es nur ein Lächeln, es über den Haufen zu werfen. Sie nahm sich Zeit. Sie genoss die Begegnung mit Menschen, führte ohne Eile ihre Gespräche und lauschte interessiert den Erläuterungen. Am Ende bedauerte es niemand, dass der Besuch im Landtag am Rheinufer rund 15 Minuten länger gedauert hat als veranschlagt.
    Ihre Majestät Elisabeth II Königin des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland und seine Königliche Hoheit Prinz Philip Herzog von Edinburgh gaben am 4. November guten Freunden die Ehre. Im Lauf ihres Lebens, so die Queen vor dem Landtag, habe sich das Verhältnis der beiden Länder Großbritannien und Deutschland gewandelt: "Vom Krieg zum Frieden und von einer Partnerschaft zur heutigen dauerhaften Freundschaft."
    Sie blickte zurück: "Als ich 1965 zum ersten Mal nach Düsseldorf kam, war ich sofort ergriffen davon, welche Herzlichkeit Großbritannien hier entgegen gebracht wurde, und davon, wie sehr die Hilfe, die mein Land in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg geleistet hat, hier geschätzt wurde." Wenn sie heute, am dritten und letzten Tag ihres Staatsbesuchs nach Hause zurückkehre, dann reise sie "mit neuem Vertrauen in die tiefe Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern, die im vor uns liegenden 21. Jahrhundert für beide Seiten so überaus wichtig ist". Und sie sei dankbar für den herzlichen Empfang, "den man mir überall bereitet hat".
    "Dies ist ein großer und schöner Tag für Nordrhein-Westfalen! Wir sind glücklich und stolz, dass Sie unserem Land die Ehre ihres Besuchs erweisen", hieß Landtagspräsident Ulrich Schmidt die britischen Gäste im Landtag willkommen. Der Präsident würdigte die Rolle der britischen Militärregierung bei der Gründung des Bundeslandes: "Unsere politischen wie gesellschaftlichen Strukturen einschließlich der föderalen Prinzipien sowie unsere liberale Verfassung, die die Briten uns mit auf den Weg gegeben haben, sie haben sich bestens bewährt."
    Der Präsident nannte den Staatsbesuch eine Bekräftigung gegenseitiger Freundschaft und obendrein eine persönliche Bereicherung. "Unsere Völker sind sich in ungezählten persönlichen Begegnungen und Partnerschaften inzwischen so nahe und vertraut geworden, wie das in ähnlicher Form kaum anzutreffen ist", fuhr er fort und schloss mit dem Wunsch nach einer glücklichen und friedlichen Zukunft unserer Völker in einem geeinten Europa.
    In seiner kurzen Ansprache im Anschluss an die Worte des Landtagspräsidenten schilderte Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD), wie sehr sich NRW seit dem letzten Besuch der Queen gewandelt habe: Seinerzeit von der Montanindustrie geprägt, sei NRW heute ein "Land von innovativen Unternehmen und Technologie, Wissenschaft und Forschung". Es sei auch ein wichtiger Standort für britische Unternehmen: "Die Enge unserer wirtschaftlichen Verflechtungen im europäischen Binnenmarkt zählt heute zu den festen Banden zwischen unseren beiden Ländern." Man habe an diesem Tag allen Grund, "auf das gemeinsam Erreichte stolz zu sein und mit Optimismus in eine gemeinsame Zukunft zu blicken".
    JK

    Systematik: 1510 Internationale Beziehungen

    ID: LIN00804

  • Ja zur Organspende!
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 11 - 06.10.2004

    In Deutschland wäre mein Kind gestorben." Monika Kracht hat ihre Tochter, als sie viereinhalb Jahre alt war, zur Lebertransplantation nach Amerika gebracht. Seitdem kümmert sie sich um Organtransplantierte. Sie ist die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Organtransplantierten (BDO), in dem sich auch Christina Rau als Schirmherrin engagiert. Bundesweit gibt es mittlerweile 20 regionale Selbsthilfegruppen, der Verband zählt inzwischen 1.300 Mitglieder. Die meisten von ihnen haben ein neues Herz, eine neue Leber oder neue Nieren bekommen.
    Eine transplantierte Niere funktioniert im Schnitt elf, ein Herz sieben Jahre lang. Die Lebensqualität der Betroffenen hat sich in vielen Fällen deutlich verbessert. Doch in Nordrhein-Westfalen warten immer noch 2.400 Menschen auf eine Organspende.
    Schlusslicht
    Viele Organe, die in NRW transplantiert werden, kommen aus anderen Bundesländern. Etwa 700 Transplantationen werden pro Jahr in NRW in acht Kliniken gemacht. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) stellt rund um die Uhr einen Bereitschaftsdienst für die Koordination der Organspende zur Verfügung. In NRW gibt es folgende Transplantationszentren: Aachen, Bochum, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Münster und Bad Oeynhausen. Die Besonderheit in NRW: Es gibt 343 Krankenhäuser mit Intensivstationen. Viele Kliniken davon sind klein, 48 Prozent haben weniger als 300 Betten.
    Nordrhein-Westfalen bildet das Schlusslicht in Sachen Organtransplantation. Und dies, obwohl die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger groß ist. Einer Umfrage nach ist die Zustimmung zur Organspende hier am höchsten, doch die Spenderzahl am geringsten. Kritisiert wird vom BDO, aber auch von der DSO, dass sich nur 40 Prozent der Kliniken mit Intensivstationen in NRW an der Organspende beteiligen. 60 Prozent der Kliniken geben die potenziellen Spender erst gar nicht an.
    Das hat vielfältige Gründe: Die Kliniken in NRW klagen über zu wenig Personal. Auch wird zu wenig Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Landtagspräsident Ulrich Schmidt ruft alle Bürgerinnen und Bürger in NRW dazu auf, sich einen Organspendeausweis zuzulegen.
    SH

    ID: LIN00743

  • "Aktion Leben retten".
    Viele kranke Menschen warten zu lange auf neues Organ.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 11 - 06.10.2004

    Die eine bezeichnet es als "Ausdruck großer Solidarität", der andere denkt über materielle Anreize nach - beim Thema Organspende herrschen unterschiedliche Ansichten bei Politikern wie bei der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und dem Essener Transplantationsexperten Professor Christoph Broelsch. Eines steht fest: Es gibt für schwer kranke Menschen zu wenig Organe. Der Tod auf der Warteliste ist zu oft Alltag in deutschen Kliniken. Aber wie ist dem Mangel abzuhelfen?
    Die Bereitschaft zur Spende eigener Organe bei festgestelltem Hirntod muss, das ist politisch heutzutage unumstritten, gefördert werden. Vorbehalte und Ängste von Menschen, die fürchten, zum Ersatzteillager zu werden, sind ernst zu nehmen, um sie - vielleicht - auszuräumen. Die medizinischen und organisatorischen Voraussetzungen sind zu schaffen; das medizinische und pflegerische Personal ist zu sensibilisieren und vorzubereiten. Besonders in Nordrhein-Westfalen ist da noch einiges zu tun: Dieses bevölkerungsreichste Bundesland steht am Ende der Bereitschaft zur Organspende in Deutschland.
    Von einer Million Menschen sind in NRW zwölf willens, der Entnahme von Organen nach dem Tod zuzustimmen. In Bayern sind es 15, Mecklenburg-Vorpommern nimmt mit knapp 26 die Spitzenstellung ein. Bundesweit kommt man auf einen Durchschnitt von 14. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 20, in Spanien 34 Organspender pro Million.
    An fehlenden gesetzlichen Voraussetzungen liegt es nicht, dass in Deutschland nur halb so viele Organe verpflanzt werden, wie eigentlich erforderlich wären. Ende 1997 ist das deutsche Transplantationsgesetz in Kraft getreten. Damit hat die Bundesrepublik als eines der letzten europäischen Länder gesetzliche Regelungen für die Transplantation geschaffen.Vorangegangen war eine breite Diskussion.
    Vor fünf Jahren. Ende September 1999, hat sich der Landtag Nordrhein- Westfalen mit einem Ausführungsgesetz dieses Bundesgesetzes befasst. Auf den letzten Drücker sozusagen, denn als Termin für das Inkrafttreten dieses Ausführungsgesetzes war der 1. Dezember 1999 festgelegt. Bis dahin musste die Grundlage für die Landeskommission geschaffen sein, die bei einer besonderen Form der Organtransplantation, der Lebendspende, gutachterlich Stellung zu nehmen hat. Mit diesem Gesetz sollte nicht zuletzt dem Organhandel ein Riegel vorgeschoben werden.
    Auch bei dieser Debatte ging es um mehr als diese Kommission."Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir es erreichen können, dass möglichst viele Menschen eine klare und eindeutige Entscheidung in der Frage ihrer Bereitschaft zur Organspende treffen", meinte der CDU-Abgeordnete Rudolf Henke. Das war aber damals nicht Konsens. Daniel Kreutz von den Grünen wandte ein, es sei begrüßenswert, dass im Gesetz keine Regelungen zu finden seien, die der Förderung der Transplantationsmedizin dienten und die "Signale in die Landschaft setzen, der ordentliche Bürger habe spendebereit zu sein".
    Man sieht: ein umstrittenes Thema, zu dem jeder Einzelne seine eigene Entscheidung treffen muss. Die Daten der Statistik sprechen eine klare Sprache. "Sehr unbefriedigend" sei, was sich in Nordrhein-Westfalen abspielt, erklärte das Landesgesundheitsministerium vor kurzem. Nach einem Anstieg der Zahl der gespendeten Organe von 2001 auf 2002 um rund ein Viertel, sei im vergangenen Jahr die Zahl leicht von 642 auf 592 zurückgegangen. Für das laufende Jahr zeichne sich für NRW ein deutlicher Rückgang ab. Das hat Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) auf den Plan gerufen: "Ich werde mich nicht damit abfinden", erklärte sie, "dass immer noch viel zu viele Menschen sterben müssen, weil Spenderorgane fehlen. Wir brauchen eine ‚Aktion Leben retten‘."
    JK

    Bildunterschrift:
    Kann Leben retten - ein Organspendeausweis, den aber immer noch zu wenig Menschen (in NRW ist es nur jeder achte Einwohner) mit sich tragen.

    Zusatzinformation:
    Tod auf der Warteliste
    "Die Kluft zwischen Bedarf und tatsächlich gespendeten Organen ist in NRW besonders groß.Viele Patienten müssen fast ein Jahr auf die Herztransplantation warten. Trotz Überbrückungsmaßnahmen mit künstlichen Herzen sterben immer noch 20 Prozent der Patienten auf der Warteliste. Daher ist es wichtig, dass jeder Mensch eine Entscheidung zu Lebzeiten trifft, diese in einem Organspendeausweis dokumentiert und auch im Familien- und Freundeskreis darüber spricht."
    Das sagt Professor Dr. Reiner Körfer, Ärztlicher Direktor des Herzund Diabeteszentrums NRW in Bad Oeynhausen. Das Herz- und Diabeteszentrum zählt zu den renommiertesten Kliniken für Herztransplantationen. Seit 1989 wurden dort 1.387 Herzen verpflanzt, in diesem Jahr wurden bisher 62 Herztransplantationen vorgenommen. Körfer und sein Team setzen sich seit Jahren für eine Lobby der Organspende ein.

    ID: LIN00761

  • Scheffler, Michael (SPD); Henke, Rudolf (CDU); Dr. Dreckmann, Ute (FDP); Steffens, Barbara (Grüne)
    "Spendenbereitschaft besser nutzen".
    Interviews mit den gesundheitspolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 11 - 06.10.2004

    Glaubt man den Umfragen, so ist die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung sehr hoch. Trotzdem herrscht in Deutschland ein Mangel an Spenderorganen. Laut Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sind die Zahlen im ersten Halbjahr 2004 besonders in NRW rückläufig: nur 248 Organspenden, 76 Organspenden weniger als im Vorjahr wurden gemeldet. Über die möglichen Gründe sprach Landtag intern mit Michael Scheffler (SPD), Rudolf Henke (CDU), Dr. Ute Dreckmann (FDP) und Barbara Steffens (GRÜNE).
    Das bevölkerungsreichste Land NRW bildet im Vergleich zu anderen Bundesländern das Schlusslicht bei den Transplantationen. Fehlen die Spender oder mangelt es an den medizinisch-organisatorischen Voraussetzungen?
    Scheffler: Ich möchte vorab anmerken, dass die Organspendezahlen in NRW von 2001 auf 2002 um 24 Prozent gestiegen sind. Dieser Trend hat sich 2003 stabilisiert. Leider müssen wir jetzt in 2004 feststellen, dass die Zahlen wieder rückläufig sind. Ich glaube, dass dies einerseits damit zusammenhängt, dass das Spendebewusstsein in der Bevölkerung noch nicht so ausgeprägt ist, wie wir es uns wünschen. Wenn ich mir zudem ansehe, dass 2002 in NRW rund 50 Prozent der Organspenden von 15 Krankenhäusern gemeldet worden sind, spricht das dafür, dass hier im Rahmen des organisatorischen Ablaufs nach wie vor Handlungsbedarf besteht. 2002 hat die Gesundheitsministerin mit ganz vielen Akteuren der gesundheitspolitischen Landschaft so genannte Kommunikationsteams in den Krankenhäusern verabredet. Das hat bereits einen Schub in die richtige Richtung gegeben. Trotzdem müssen wir weiterhin dafür sorgen, dass durch eine vernünftige Öffentlichkeitsarbeit mehr Aufklärung betrieben wird.
    Henke: Umfragen zufolge sind bis zu 80 Prozent der Menschen grundsätzlich dazu bereit, Organe zu spenden. Über einen Organspendeausweis verfügen aber nur etwa zwölf Prozent. Insofern ist man im Todesfall auf die Hilfe der Angehörigen angewiesen, um die Haltung des Verstorbenen zu erfahren. Solche Gespräche sind schwierig, man braucht dafür Kräfte, die entsprechend vorbereitet und geschult sind. Daher hat die CDU-Fraktion schon vor drei Jahren gefordert, in jedem Krankenhaus obligatorisch einen Transplantationsbeauftragten zu bestimmen und dessen Vergütung zu regeln. Dies wurde von Rot-Grün abgelehnt. Stattdessen hat die Landesregierung auf so genannte Kommunikationsteams gesetzt. Deren Aufgabe sollte es sein, im Krankenhaus für die Organspende zu werben und das Krankenhauspersonal zu unterstützen. Trotz des vermutlich großen Engagements der Gesundheitsministerin für dieses Konzept ist es bis heute wenig vorangekommen. Kommunikationsteams existieren höchstens in einem guten Drittel der Krankenhäuser. Stattdessen profitieren wir in NRW weiter davon, dass die Organspende- Zahlen in allen anderen Bundesländern sowie im europäischen Ausland höher sind als bei uns, zum Teil mehr als doppelt so hoch.
    Dr. Dreckmann: Einerseits besitzen zu wenige Menschen in NRW einen Organspendeausweis. Andererseits nehmen viele Kliniken mit Intensivstationen ihre gesetzliche Pflicht nicht wahr, potenzielle Organspender an die DSO zu melden. Grund hierfür ist oftmals die Überlastung der Krankenhausärzte. Zudem ist die Barriere, Angehörige beim Tod eines Patienten auf eine Organspende anzusprechen, sehr hoch. Deshalb wäre es wichtig, dass in jeder dieser Kliniken ein Arzt speziell für den Bereich Organspende verantwortlich ist.Wir haben im Jahr 2001 über den Antrag der CDU diskutiert, in jeder Klinik mit Intensivstation einen Transplantationsbeauftragten zu installieren. Meine Fraktion hat sich damals bei der Abstimmung enthalten. Der Vorschlag der Gesundheitsministerin, in den Kliniken so genannte Kommunikationsteams für diese Aufgabe zu bilden, entspricht eher der Grundüberzeugung der FDP, selbstverpflichtenden Regelungen gegenüber gesetzlichen Vorgaben den Vorzug zu geben. Im Rückblick muss man jedoch feststellen, dass dies nicht den gewünschten Erfolg hatte. In nur 30 bis 35 Prozent der Kliniken sind diese Teams tatsächlich gebildet worden. Das zeigt mir, dass eine freiwillige Lösung nicht ausreicht. Insofern halte ich aus heutiger Sicht das feste Installieren eines Transplantationsbeauftragten auf gesetzlicher Grundlage für die bessere Lösung.
    Steffens: Zunächst einmal ist mit Blick auf die Unfallstatistiken festzustellen, dass die Zahl der Hirntoten in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgegangen ist. Demnach haben wir auch weniger "potenzielle Spender". Darüber hinaus haben wir in NRW eine ganz andere Krankenhausstruktur als in anderen Bundesländern. NRW ist sehr stark von kirchlichen Krankenhäusern geprägt, die sich am Anfang der Transplantationsdebatte vehement dagegen gewehrt haben. Daher war von Seiten dieser Krankenhäuser lange Zeit kein aktives Vorantreiben auszumachen. Das ist auch mit ein Grund dafür, dass in NRW bis heute ein Nachholbedarf in der Frage herrscht, wie motivieren wir die Menschen dazu, sich einen Organspendeausweis anzuschaffen. Über Kampagnen haben wir und insbesondere das Gesundheitsministerium vor einigen Jahren verstärkt damit begonnen. Aber wir müssen auch weiterhin aktiv werden und Aufklärungsarbeit leisten, um potenzielle Spender so früh wie möglich zu erreichen. Ich meine sogar, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod und die Aufklärung über Organspende bereits in die Schulen gehören.
    Hat die Politik alles getan, um die Bereitschaft zur Organspende zu fördern?
    Scheffler: Wie bereits erwähnt, gibt es in einigen Bereichen noch Handlungsbedarf. Wir müssen in der Bevölkerung nach wie vor Aufklärungsarbeit leisten. Bei der Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Organspende stoßen wir in unserer Gesellschaft immer noch auf Tabus. Zum anderen werden wir durch Fortbildung an den Krankenhäusern das Personal, allen voran die Ärzte, dafür sensibilisieren müssen, mögliche Organspender auch tatsächlich zu melden. Selbst Kliniken, an denen transplantiert wird, melden nicht immer automatisch an die DSO. Vielfach haben die Krankenhausärzte das Thema Organspende noch nicht verinnerlicht. Ich weiß nicht, inwiefern bei uns in NRW die sehr stark kirchlich geprägte Struktur der Krankenhäuser dabei eine Rolle spielt. Schließlich befinden sich rund 70 Prozent der Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft.
    Henke: Nein. Die Politik schätzt die Situation in den Krankenhäusern falsch ein. Wir dürfen nicht nur von den wenigen Häusern der Maximalversorgung und solchen mit großen Unfallstationen und neurochirurgischen Abteilungen ausgehen. Dort gehört die Organspende zum Alltag. Gott sei Dank geht die Zahl der Unfallopfer als potenzielle Spender zurück. Wenn wir mehr Menschen helfen wollen, müssen wir also die Schwerpunkthäuser und die Krankenhäuser der Grundversorgung stärker an der Organspende beteiligen. Dort handelt es sich aber oft um Ausnahmesituationen, die vielleicht nur einmal im Monat vorkommen. Ich habe den Eindruck, dass das Thema Organspende in solchen Häusern oft weit unten auf der Prioritätenliste steht. Dafür sorgt auch die Politik, indem sie die Häuser und ihre Verantwortlichen mit ständig neuen bürokratischen Regulationen und Normen von derartigen Aufgaben ablenkt.
    Dr. Dreckmann: Wir müssen ganz sicher die vorhandene Spendebereitschaft in der Bevölkerung besser nutzen. Wir brauchen groß angelegte Kampagnen mit Plakaten, vielleicht sogar Fernsehspots. Wenn ich mich heute beispielsweise in Apotheken umgucke, dann fällt mir ein Organspendeausweis nicht direkt ins Auge.Man kann ihn zwar dort bekommen, aber meiner Ansicht nach gehören die Ausweise dort auf den Tresen. Ebenso sollten sie in allen öffentlichen Einrichtungen wie zum Beispiel in den Bürgerbüros ausliegen. Ich würde sogar soweit gehen, dass jeder Führerscheinneuling zu seinem Führerschein auch einen Organspendeausweis erhält. Das wäre aus meiner Sicht die einfachste Möglichkeit, den Menschen dabei zu helfen, ihr positives Denken auch in positives Handeln umzuwandeln. Der Hinweis zur Bereitschaft auf Organspende gehört auch in eine Patientenverfügung, eine Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht.
    Steffens: Ich glaube, dass in dem Bereich schon viel passiert ist. Organspende fußt bei uns auf einer soliden Gesetzesgrundlage. Natürlich ist unsere Arbeit damit aber noch nicht abgeschlossen. Ich halte es für wichtig, auch an anderer Stelle, wie zum Beispiel in Straßenverkehrsämtern oder Fahrschulen, für Organspende zu werben. Wir sollten den Mut aufbringen, auch unkonventionelle Wege zu gehen und die Auseinandersetzung mit dem Tod an andere Orte zu tragen. In unserer Gesellschaft ist dieses Thema meist auf Arztpraxen und Krankenhäuser beschränkt. Dabei müssen wir natürlich im Auge behalten, inwieweit man das der Gesellschaft zumuten kann, da es gerade beim Thema Tod immer noch viele Tabubereiche gibt. Diese sollten jedoch langsam gebrochen werden.
    Hand aufs Herz: Haben Sie einen Organspendeausweis?
    Scheffler: Ja. Beweggründe waren für mich zahlreiche Gespräche, die ich mit Vertretern der Selbsthilfe geführt habe. Zudem kenne ich einen Patienten, der vor vielen Jahren im Herzzentrum in Bad Oeynhausen operiert worden ist und dessen Lebensqualität sich durch eine Herztransplantation deutlich verbessert hat.
    Henke: Ja. Ich habe lange gedacht, es reicht, wenn meine Familie weiß, dass ich die Organspende befürworte und selbst dazu bereit bin. Als Arzt kommt man ja auch zu Hause immer wieder auf das Thema zu sprechen. Seit ich mich öffentlich für die Spende engagiere, habe ich einen Ausweis, weil es dann leichter ist, bei anderen für die Spendebereitschaft zu werben. Meine Familie wusste immer, dass ich im Fall der Fälle zur Spende bereit bin.
    Dr. Dreckmann: Ich habe keinen Organspendeausweis, aber mein Mann weiß, dass ich Organe spenden will.
    Steffens: Ich habe keinen Organspendeausweis. Aufgrund einer schweren Erkrankung in der Jugend darf ich auch keine Organe spenden. Ich habe mir aber immer die Frage gestellt, was würde ich machen, wenn ich mit meinen Kindern in diese Situation käme. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich weiß es nicht.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 5210 Gesundheitsschutz

    ID: LIN00763

  • Jugend hat Bock auf Politik.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 10 - 22.09.2004

    Wählen heißt Demokratie lernen. Junge Menschen interessieren sich für Politik. Das zumindest meint der Düsseldorfer Parteienforscher Professor von Alemann. Seiner Meinung nach liegt die Crux darin, dass Jugendliche mit der Politik der Parteien und Parlamente nicht viel anfangen können. Wenn sie sich für Politik interessieren, gehen sie nun mal nicht unbedingt zu Wahlkampfveranstaltungen, sondern informieren sich über das Internet.
    Aktiv einsetzen
    Dagegen findet der Duisburger Politikwissenschaftler Professor Schmitt-Beck es eher normal, dass sich Jugendliche wenig für Politik interessieren. Das komme mit dem Alter, kommentierte er eine Internet-Umfrage der Universität Duisburg-Essen unter Erst- und Jungwählern zur anstehenden Kommunalwahl. Seiner Meinung nach wollen Jugendliche nicht lange debattieren, sondern sich aktiv für etwas einsetzen.
    Der Städte- und Gemeindebund NRW fordert jetzt die stärkere projektbezogene Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen in der Lokalpolitik. Es sei Aufgabe der Politik, Partizipation in Form von möglichst selbstständigem und eigenverantwortlichem Handeln sicherzustellen, fordert der Zusammenschluss der Kommunen im Land.
    Wahlbeteiligung
    In Nordrhein-Westfalen werden zur Kommunalwahl fast 900.000 Erstwähler erwartet. Jugendliche ab 16 Jahren dürfen zum zweiten Mal in NRW mit entscheiden, wer in ihrer Stadt und Gemeinde für die kommenden fünf Jahre das Sagen hat. 1999 lag die Wahlbeteiligung der 16 bis 20-Jährigen bei nur 46,5 Prozent.
    Vertraut man der Shell-Studie, sinkt das Politikinteresse der Jugend weiter. Doch wer sich enthält und nicht zur Wahl geht, kann nicht über seine Zukunft mit entscheiden. Die eigenen Interessen bleiben dann auf der Strecke. Daher sollten sich Jugendliche einmischen. Denn nur gemeinsam können Jugend und Politik die Zukunft bestimmen. Darum sollten sich beide Seiten füreinander mehr interessieren. Denn im Gespräch mit jungen Menschen wird ganz schnell klar: Die meisten haben doch Bock auf Politik.
    SH

    ID: LIN00688

  • Schmidt, Ulrich (Landtagspräsident)
    Aktiv auf die Menschen zugehen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 10 - 22.09.2004

    Etwa 14 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes können am 26. September über die Zusammensetzung von Rat und Kreistag und die Besetzung der Ämter von Bürgermeister und Landrat entscheiden. Wie viele von ihnen werden ihr Wahlrecht nutzen? Es gibt gute Gründe, sich einzumischen und mit der eigenen Stimme Partei zu ergreifen, meint Landtagspräsident Ulrich Schmidt im Interview mit "Landtag intern".

    Am 26. September sind Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Warum soll der Bürger gerade bei dieser Wahl seine Stimme abgeben?

    Schmidt: Nirgendwo können die Menschen direkteren Einfluss ausüben und größeren Anteil nehmen als an der Politik "vor Ort", der Kommunalpolitik. In der Gemeinde besteht eben noch die Möglichkeit, den Kandidaten unmittelbar auf den Zahn zu fühlen - und bei der Kommunalwahl geht es nun mal um Einzelpersonen. Deshalb appelliere ich an die Bürgerinnen und Bürger, sich kritisch mit dem politischen Geschehen in ihrem persönlichen Lebensumfeld auseinanderzusetzen und mit zu entscheiden, also zur Wahl zu gehen.

    Trotzdem geht die Beteiligung an Kommunalwahlen zurück.Warum ist das so?

    Schmidt: Wir müssen feststellen, dass die Wahlbeteiligung insgesamt rückläufig ist. Das ist weniger eine Besonderheit bei Kommunalwahlen. Bei der jüngsten Landtagswahl im Saarland beispielsweise hat die Wahlbeteiligung mit knapp über 50 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht. Ich hoffe nicht, dass es bei der nächsten Landtagswahl in NRW genauso sein wird. Natürlich frage ich mich, ob die Menschen von den politischen Parteien noch richtig angesprochen werden und deshalb glauben, mit ihrer Stimme eh’ nichts verändern zu können und daher der Wahl fern bleiben. Zudem stelle ich mit Schrecken fest: Es gibt immer mehr Populisten, die durch unser Land ziehen und die Menschen davon überzeugen wollen, nicht mehr wählen zu gehen. Das ist für uns alle eine schwierige Situation. Ich kann nur sagen, wenn wir, wie bereits 1999 geschehen, den jungen Menschen auf kommunalpolitischer Ebene ab 16 Jahren das Wahlrecht zugestehen, dann erwarte ich auch, dass diejenigen, die sich wählen lassen wollen, gezielt den Kontakt mit den Jugendlichen suchen.
    Wir müssen der Entwicklung entgegenwirken, dass viele junge Menschen gar nicht zur Wahl gehen oder, wenn sie denn wählen, nach rechts oder links außen abdriften. Gleiches gilt natürlich auch für die Erwachsenen: Aus meiner 20-jährigen Erfahrung als Bürgermeister weiß ich, wie wichtig es ist, auf die Menschen aktiv zuzugehen. Wenn dies die Politik vor Ort beherzigt, dann sehe ich der Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl in NRW optimistisch entgegen.

    Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat gerade die Instrumente zu mehr direkter Bürgerbeteiligung geschaffen. Weckt dies Überdruss oder das erwartete stärkere Engagement für die Gestaltung des Gemeinwesens?

    Schmidt: Ich sehe diese Instrumente zu mehr direkter Bürgerbeteiligung als eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Beteiligungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene. Auf diesem Wege haben Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, konkret auf einzelne, kommunalpolitisch relevante Themen Einfluss zu nehmen. Die Instrumente haben oftmals die wirksame Funktion eines Feuermelders im Notfall, und zwar dann, wenn der Rat ein berechtigtes Bürgeranliegen nicht erkennt bzw. nicht erkennen will. Dass dies Anlass für Überdruss sein sollte, kann ich nicht erkennen.

    An der Kommunalwahl können junge Leute ab 16 teilnehmen.Was glauben Sie - sollte das Wahlalter auch bei anderen Wahlen gesenkt werden?

    Schmidt: Ich sage ganz ehrlich, ich war seinerzeit kein großer Freund von der Entwicklung, das Wahlalter auf 16 Jahre herunterzusetzen. Aber es ist so gekommen, ich akzeptiere das, und die Erfahrungen, die wir bislang gemacht haben, sind durchaus positiv. Aber man sollte diese Erfahrungen jetzt zunächst einmal zur Kenntnis nehmen und versuchen, damit politisch umzugehen. Ich hielte es also nicht für sonderlich klug, zum jetzigen Zeitpunkt bereits weitere Schritte zu unternehmen, um die Absenkung des Wahlalters auch auf andere Wahlen auszuweiten.

    Systematik: 1080 Wahlen; 1230 Kommunale Angelegenheiten

    ID: LIN00705

  • Weichen werden gestellt.
    Nordrhein-Westfalen vor der Entscheidung.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12 in Ausgabe 10 - 22.09.2004

    Waren das Zeiten! Vor zehn Jahren schritten 81,7 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl der NRW-Räte und Kreistage. Vorbei - bei der nächsten Kommunalwahl 1999 schafften nur noch 55 Prozent der Wahlberechtigten an Rhein und Ruhr den Weg zur Urne: Die "Partei der Nichtwähler" hat Zulauf erhalten. Gilt das auch im nächsten Jahr, wenn der neue Landtag zu wählen ist, der weniger Sitze hat als der jetzige? Die Verkleinerung auf 181 (statt bisher 201) Mandate ist doch ein gutes Argument gegen "Politikverdrossenheit".
    Warum die Beteiligung so schwankt, darüber machen sich jetzt Studierende und Forscher der Universität Duisburg-Essen ihre Gedanken. Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Rüdiger Schmitt-Beck will in einer wissenschaftlichen Untersuchung der Frage nachgehen, warum die Wahlbeteiligung so dramatisch sinkt: "Das Wahlverhalten bei Kommunalwahlen ist weitgehend unerforscht", erklärte er vor kurzem.
    Ein Blick in die NRW-Zeitungen beschreibt Stimmungslage und Ziele der Parteien für das anstehende Ringen. "Grüne erhoffen zweistelliges Ergebnis", heißt es da, "wir arbeiten daran, möglichst viel Grün zu erreichen bei der nächsten Kommunalwahl", sagt Vorsitzende Britta Hasselmann. Eine Verdoppelung der Mandate gegenüber 1999 (4,3 Prozent) streben die Liberalen an, die auf ihr gutes Ergebnis bei der Europawahl verweisen. Die CDU will ihren Erfolg von 1999 bestätigen und Landeschef Jürgen Rüttgers warnt angesichts positiver Meinungsumfragen vor verfrühter Euphorie. Ministerpräsident Steinbrück findet, "die Stimmung kippt" - zu Gunsten der Landes-SPD nämlich.
    Man sieht: Die Landtagsparteien nehmen die Kommunalwahl ernst. Man unterstreicht ihre landespolitische Dimension als Etappe auf dem Weg zur alles entscheidenden Landtagswahl im Mai nächsten Jahres. Das ist des Schweißes der Edlen wert. Also werden im NRW-Kommunalwahlkampf Klinken geputzt und der Wähler dort aufgesucht, wo er zu Hause ist. Wie nannte man den früheren Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten Johannes Rau (manches Mal ein wenig abschätzig)? "Menschenfischer" - genau das wird hier praktiziert.
    Prognosen auf der Basis von Kommunalwahlergebnissen haben ihre Tücken. Es ist schier unmöglich, von ihnen auf das Ergebnis der nächsten anstehenden Wahl zu schließen. Bei der Kommunalwahl 1994 stimmten fast gleich viele Menschen für SPD und CDU - ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das die SPD für sich entschied. Ein Jahr später war Landtagswahl. An der Rangfolge änderte sich nichts, aber der Abstand vergrößerte sich. 1999, nächste Kommunalwahl: Die Wählerinnen und Wähler machten diesmal die CDU zur stärksten Kraft, die SPD landete dahinter. Ein Jahr später, wieder Landtagswahl. Der Sieger der Kommunalwahl, die CDU, wurde diesmal auf den zweiten Platz verwiesen, für die SPD lief es umgekehrt.
    Was kann man daraus lernen? Nur das Eine: Der Wähler ist ein Mensch wie du und ich. Er ist und bleibt ein unerkanntes Wesen. Klingt das zu nüchtern-negativ? Dann sagen wir so: Weil er unberechenbar ist, ist er auch nicht manipulierbar.
    JK

    Systematik: 1080 Wahlen; 1070 Politische Kräfte; 1230 Kommunale Angelegenheiten

    ID: LIN00706

  • Nach der Wahl ist vor der Wahl.
    Interview mit Landeswahlleiterin Helga Block.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12 in Ausgabe 10 - 22.09.2004

    Die Kommunalwahl in NRW steht vor der Tür. Welche Rolle hat die Landeswahlleiterin (LWL), damit dieser Urnengang regulär und reibungslos vonstatten geht?

    Hauptverantwortlich für die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahl sind die Wahlleiterinnen und Wahlleiter vor Ort. Anders als bei der Landtagswahl hat die LWL hier nur wenige Aufgaben. Als Vorsitzende des Landeswahlausschusses entscheidet sie mit über Beschwerden gegen (Nicht-) Zulassung von Wahlvorschlägen durch die Wahlausschüsse der kreisfreien Städte und Kreise. Allerdings ist die LWL als für die oberste Aufsicht in Wahlangelegenheiten zuständige Abteilungsleiterin gerade in den Wochen vor der Wahl sehr beschäftigt. Das Innenministerium regelt per Erlass die Durchführung jeder Kommunalwahl. Das Wahlteam bietet mit zahlreichen Rechtsauskünften an Privatpersonen und Verwaltungen nicht nur einen Service, sondern auch Gewähr für eine ordnungsgemäße und einheitliche Abwicklung der Wahl.

    Bitte nennen Sie ein paar Daten und Fakten zum aktuellen Verfahren!

    Etwa 14 Millionen Wahlberechtigte in NRW, davon 900.000 Jungwähler der Jahrgänge 1984 bis 1988, darunter 370.000 16- und 17-Jährige, können am 26. September 2004 in 373 kreisangehörigen Gemeinden den Rat sowie in 23 kreisfreien Städten den Rat und die Bezirksvertretungen und in 31 Kreisen den Kreistag wählen. Zugleich werden auch die Landräte und Landrätinnen, (Ober-) Bürgermeister und Bürgermeisterinnen gewählt, sofern diese nicht während der letzten Wahlzeit (1999-2004) wegen des Ausscheidens der Amtsvorgänger neu eingesetzt wurden.

    Immer öfter Wahlen - immer größere Personalprobleme? Sind noch genug ehrenamtliche Wahlhelfer zu gewinnen?

    Bisher hat es noch immer genügend Hilfe gegeben. Aber die kurze Abfolge von Europa-, Kommunal- und Landtagswahl in NRW macht die Suche natürlich nicht leichter. Immerhin benötigen wir für rund 17.000 Stimmbezirke insgesamt etwa 110.000 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer. Die Kommunen sind aber über das Internet und mit der Ansprache von Jungwählern bei der Gewinnung Freiwilliger erfolgreich.

    26. September, abends, die Kommunalwahl ist gelaufen. Atempause für Sie und Ihre Leute? Wie geht es weiter?

    Die Atempause setzt vermutlich nicht abends, sondern erst nachts ein, wenn wir, das sind die Kolleginnen und Kollegen aus dem Innenministerium und auch die aus dem Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS), die eine unentbehrliche Hilfe für uns sind, nach Hause gehen. Wirklich vorbei ist es dann aber nicht, denn unmittelbar nach der Wahl werden - durch das LDS - mehrere Informationshefte zu den (vorläufigen) Wahlergebnissen erstellt. Außerdem finden am 10. Oktober 2004 ja noch Stichwahlen statt.

    Systematik: 1080 Wahlen; 1230 Kommunale Angelegenheiten

    ID: LIN00707

  • Blick nach vorn.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 13 in Ausgabe 10 - 22.09.2004

    Ob man es gut findet oder nicht - NRW steht mit seiner Kommunalwahl im Fokus des öffentlichen Interesses. 14 Millionen Wahlberechtigte werden an die Urnen gerufen, im Saarland bei der Landtagswahl am 5. September waren es gerade mal 816.000. Trend für die anstehende Landtagswahl, Denkzettel für Berlin und Hinweis auf mögliche bundespolitische Entwicklungen - die nordrhein-westfälische Kommunalwahl wird in ihren Ergebnissen bundesweit hin und her gewendet werden. Dazu drei Stimmen.
    Landtagspräsident Ulrich Schmidt: Aus der Vergangenheit wissen wir, dass sich Trends sehr schnell wieder verändern können. Ich beobachte aber mit Sorge, dass immer stärker versucht wird, durch mehr oder weniger seriöse Umfragen politisch Stimmung zu machen. Das führt letztlich nur zu Verunsicherung, was die Wahlbeteiligung sicher nicht positiv beeinflusst.
    Professor Dr. Ulrich von Alemann: Diese Kommunalwahl ist ein Stimmungsbarometer für den Augenblick. Die Politik im Land wird 2005 weiter gehen und bald davon unberührt sein, was im Herbst 2004 geschehen ist.
    Helga Block: Es wird niemanden überraschen, dass bei der Landeswahlleiterin bereits jetzt die Vorbereitungen für die Landtagswahl am 22. Mai 2005 laufen. Ob es danach, bis zur Bundestagswahl im Herbst 2006 ruhiger wird, bleibt abzuwarten.

    Systematik: 1080 Wahlen

    ID: LIN00708

  • "Das Barometer ist nicht das Wetter".
    Politikwissenschaftler zur Kommunalwahl in NRW.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 13 in Ausgabe 10 - 22.09.2004

    Politiker blicken von Plakatwänden, Wahlhelfer bauen Marktstände auf und verteilen in Fußgängerzonen Broschüren. Mandatsträger (und solche, die es werden wollen) putzen Klinken, bunte Anzeigen in den Medien heischen um Aufmerksamkeit - "Wähl mich!" lautet die Botschaft, "leih mir deine Stimme, und alles wird gut".
    Angesichts dieser schier unentrinnbaren Werbung - wie entscheiden sich die Bürgerinnen und Bürger des Landes bei der Kommunalwahl im Lande: Gehen sie zu den Urnen oder bleiben sie ihnen fern? Die Parlamentszeitschrift "Landtag intern" hat dazu den Politikwissenschaftler Professor Dr. Ulrich von Alemann von der Universität Düsseldorf befragt.
    Die Menschen teilen ihr Interesse zwischen Haupt- und Nebenwahlen auf, hat er festgestellt. Hauptwahlen sind Wahlen zum Bundestag; es geht in den Augen der Menschen dabei um die "große" Politik. Hohe Beteiligung, um die 80 Prozent, ist die Regel. Landtagswahlen, Europawahl und eben auch Kommunalwahlen sind dagegen "Nebenwahlen" - mit entsprechenden Folgen für die Zahl derer, die ihre Stimme abgeben. Sie ist deutlich geringer als bei Bundestagswahlen. Von Alemanns aktuelle Schätzung für die Beteiligung an der kommenden Kommunalwahl NRW: Zwischen 50 und 55 Prozent.
    Geringe Beteiligung und damit größere Chancen für extremistische Parteien von rechts und links? Der Politikwissenschaftler gibt für Nordrhein-Westfalen Entwarnung: Hier sei es zum Beispiel rechtsextremen Gruppierungen nie gelungen, in den Landtag zu kommen. Wenn es in anderen Bundesländern einmal geklappt habe (in der Vergangenheit 14 mal, wie von Alemann nachgerechnet hat), dann seien die Vertreter meist sang- und klanglos wieder untergegangen: Keine vernünftige Arbeit, von den Ankündigungen nichts erreicht, im Streit aufgerieben. "In 50 Jahren Deutschland haben diese Gruppierungen nie eine Gefährdung der Demokratie bewirkt", meint von Alemann und rät: "Lassen wir die Kirche im Dorf." Sicher, es gebe angesichts der wirtschaftlichen Lage eine "kleine Konjunktur" für Wahlboykott oder Protestwahl: Aber das ebbe wieder ab, sobald die Politik etwas Sichtbares zu Stande bringe.
    Amerikanische Wahlkämpfe mit ihrer starken Personalisierung, der hohen Professionalisierung und dem besonderen Einsatz des Fernsehens sieht er nicht als Vorbild für deutsche Verhältnisse. Im Gegenteil, die deutschen Wähler sind nüchterner, sachlicher. Viele, so der Wissenschaftler, störten sich hierzulande am Kult der Personen, der auf manchen Plakaten getrieben wird. Sie vermissten inhaltliche Aussagen; Schlagworte seien den Menschen für ihre Entscheidung an der Urne nicht genug.
    Internet
    Von Alemann hat noch etwas anderes beobachtet. Das klassische Wahlkampfmittel, die Broschüre, bekommt langsam aber sicher Konkurrenz. Vor allem junge Leute setzen immer mehr auf das Internet. Sie informieren und tauschen sich über das Netz aus. Ein neuer Kommunikationsweg, den sich auch clevere Einzelbewerber ohne großen Parteiapparat im Rücken zu Nutze machen, mit eigener Homepage, kostengünstig, schnell und nah am Wähler.
    Die Kommunalwahl im September als Stimmungsbarometer für die kommende Landtagswahl? Der Professor räumt zwar ein, in den Medien gebe es eine Tendenz, jede Wahl zu einem Plebiszit über die Bundesregierung hoch zu schreiben. Das werde aber der eigentlichen Bedeutung von Kommunalwahlen nicht gerecht. Bei ihnen gehe es um die Stadt, die eigene, nähere Umgebung. Und, gibt von Alemann zu bedenken: "Das Barometer ist nicht das Wetter."
    JK

    Systematik: 1070 Politische Kräfte; 1080 Wahlen; 1230 Kommunale Angelegenheiten

    ID: LIN00709

  • Fortschritte beim Schutz der Umwelt.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 9 - 21.07.2004

    "Tue Gutes und rede darüber." Dieses Motto, nach dem sich der amerikanische Milliardär John D. Rockefeller zeit seines Lebens gerichtet hat, klingt anrüchig, weil unbescheiden: Denn Gutes tut man am besten im Verborgenen. Der Alltag sieht aber oftmals anders aus. Wer für einen mildtätigen Zweck spendet, will für die Steuererklärung eine Spendenbescheinigung, aus der die Wohltat auf Euro und Cent hervorgeht.
    Auch in der Politik ist Bescheidenheit eine Zier, aber wie heißt es ebenso schön wie richtig: "Doch weiter kommt man ohne ihr." Muss man auch, denn in der Politik wird mit dem Geld des Steuerzahlers gearbeitet. Der hat ein Recht darauf zu erfahren, was mit seinen Abgaben geschieht, in welche Projekte der Bildung, des Arbeitsmarktes, der Verkehrsinfrastruktur, der inneren Sicherheit von der öffentlichen Hand investiert wird.
    Oder in den Umweltschutz. Unumstritten ist die Pflicht, den nachwachsenden Generationen eine Welt zu hinterlassen, in der es sich leben lässt. Nachhaltigkeit lautet das Stichwort, das Aktivitäten zum Schutz von Boden, Luft und Wasser ausgelöst hat - und darüber hinaus: So wird heute Nachhaltigkeit auch für das Finanzgebaren der öffentlichen Hand verlangt.
    Verfassungsrang
    Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist seit fast 20 Jahren in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen verankert. Damit ist dieses Grundrecht Richtschnur des politischen Handelns des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände, wie es die Verfassung ausdrücklich bestimmt.
    Mit Milliardenaufwand wurde in den letzten Jahrzehnten die Abfallbeseitigung verbessert, die Gewässerqualität angehoben, die Abgasreinigung vorangetrieben. Wir alle trennen unseren Müll, zahlen gutes Geld für die Abwasserbeseitigung und fahren, wenn wir nicht das Fahrrad benutzen, Autos mit Katalysatoren. Wir haben viel erreicht, also reden wir darüber.
    Verschweigen wir nicht: Umweltschutz kostet. Moralische Verpflichtungen sind in der Regel nicht einklagbar. Aber moralisch lässt sich nichts dagegen einwenden, dass derjenige, der die Umwelt schont, dafür belohnt wird - siehe Emissionshandel. Gutes tun, darüber reden und etwas davon haben - wenn "Moral" und Markt an einem Strick ziehen, dann lässt sich viel erreichen.
    J.K.

    ID: LIN00636

  • Von der Kloake zum Trinkwasserlieferanten.
    Lachse kehren in Rhein zurück.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 9 - 21.07.2004

    Wie fühlt sich der Lachs im Rhein? Vor zehn Jahren vor allem einsam. Denn er hatte sich rar gemacht. Vorbei die Zeiten, in denen er zu Hunderttausenden den Strom bevölkerte und als das "Brot der Armen" galt. Um 1900 fingen die Fischer im Rhein 85.000 Tonnen Lachs pro Jahr, 1953 waren es noch ganze 30 Kilo. Dann starb der Rheinlachs aus, der früher bis zum Schaffhauser Rheinfall und weit die Nebenflüsse hinauf gewandert war. Und mit der Rheinfischerei war es auch vorbei. Immer mehr Fischer gaben auf, in der "Kloake Europas" ging ihnen nichts mehr in die Netze.
    Ein paar arbeitslose Fischer - na und? Erst eine Umweltkatastrophe, als 1986 in Basel 30 Tonnen hochgiftige Pestizide in den Rhein flossen und über mehrere hundert Kilometer im Fluss alles Leben auslöschten, schreckten Öffentlichkeit und Politik auf. Die Rheinanliegerstaaten beschlossen das Aktionsprogramm Rhein. Ziel: "Das Ökosystem des Rheins soll in einen Zustand versetzt werden, bei dem heute verschwundene, aber früher vorhandene höhere Arten im Rhein als größtem europäischen Strom wieder heimisch werden können." Die Vision: Der Lachs kehrt bis zum Jahr 2000 wieder zurück.
    1994, als sich der Abgeordnete Siegfried Martsch von den Grünen nach dem Wohlergehen des einstigen Speisefischs erkundigte, hielten es namhafte Fischexperten immer noch für "puren Unsinn und Augenwischerei", wenn Politiker behaupteten, der Lachs könne bis 2000 wieder heimisch sein. Das sah der damalige Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) in seiner Antwort im Juli 1994 auf die kleine Anfrage 2618 des Abgeordneten Martsch ganz anders und verwies auf die Tatsachen: "Für die Sieg, Agger und Bröl ist inzwischen der Nachweis gelungen, dass Lachse dort natürlich, das heißt ohne menschliches Zutun, abgelaicht haben."
    Knapp zehn Jahre später konnte seine Nachfolgerin, Umweltministerin Bärbel Höhn (GRÜNE), mitteilen, dass an der Kontrollstation Buisdorf/St. Augustin einige hundert laichbereite Lachse in der Sieg gezählt wurden. Das "Naturschauspiel springender Lachse" sei der erfolgreichen Kooperation beim Gewässerschutz und bei den Wanderfischprogrammen zwischen NRW und Rheinland-Pfalz zu verdanken. Außerdem stiegen in der Sieg in großer Zahl Fluss- und Meerneunaugen sowie Meerforellen auf. Aber nicht nur die Sieg ist Teil des Programms, hinzukommen Wupper, Eifelrur, einzelne Weserzuflüsse und Teile des Ruhrsystems.
    Es geht dabei nicht nur um die Verbesserung der Wassergüte, sondern auch um die Beseitigung von Hindernissen, die die Fische in ihrer Wanderung beeinträchtigen. An dieser Stelle droht der Konflikt zwischen den Betreibern von Wasserkraftwerken und der Ministerin, die sich für Wanderfische stark macht. Deren Auflagen, fürchten die Betreiber, würden die Wirtschaftlichkeit ihrer Anlagen mindern.

    Lebensmittel

    Szenenwechsel. Nicht nur Fische brauchen das immer sauberer werdende Wasser des Rheins, auch die Menschen, die an ihm leben, nutzen ihn als Trinkwasserlieferanten. 55 Millionen wohnen an seinen Ufern, rund 20 Millionen trinken aufbereitetes Rheinwasser. Sie haben Anspruch auf ein unbedenkliches und reines Lebensmittel. Bis etwa 1950 reichte die natürliche Uferfiltration des Rheinwassers aus.Heutzutage geht es nicht ohne erheblichen technischen Aufwand.
    600.000 Menschen in der Landeshauptstadt und im angrenzenden Kreis Mettmann versorgen die Stadtwerke Düsseldorf aus vier Wasserwerken mit Trinkwasser über ein Leitungsnetz von knapp 2.000 Kilometern. Die Kunden können mit dem gelieferten Produkt, einer aufbereiteten Mischung von uferfiltriertem Rheinwasser (80) und Grundwasser (20 Prozent), zufrieden sein. "Perfekt" lautete vor drei Jahren das Urteil des Magazins "Stern" bei seiner Trinkwasserverkostung: "Feines Leitungswasser", urteilten die Prüfer.Weiter hieß es fast in der Sprache eines Weintests: "Die klare Farbe und ein frischer neutraler Duft versprechen, was der süßliche und nur im Nachklang etwas breite Geschmack hält."
    Das kommt nicht von ungefähr. In der Landeshauptstadt wird das Rohwasser mit einem schonenden, speziell entwickelten Filtersystem aufbereitet, das als Düsseldorfer Verfahren international bekannt geworden ist. Erst kommt eine Sauerstoff-Frischkur, um Bakterien und Viren abzutöten. Dann folgt die biologische Filtration, die unter anderem Eisen und Mangan herausfischt. Den Schluss bildet ein Aktivkohlefilter, der organische Stoffe und störende Einzelsubstanzen festhält. Hygienische Beschaffenheit und Wohlgeschmack sind das Ergebnis, für das ein 15-köpfiges Team in der Qualitätskontrolle geradesteht. Der Biologe Dr. Hans-Peter Rohns zapft ein Glas Wasser direkt an der Trinkwasserquelle im Wasserwerk Düsseldorf-Holthausen und nimmt einen Schluck: "Das kann auch unbedenklich für Säuglingsnahrung verwendet werden."

    Bildunterschrift:
    Wohl bekomm’s - in der Filterhalle des Wasserwerks Düsseldorf- Holthausen nimmt der Biologe Dr. Hans-Peter Rohns einen Schluck aus der Leitung: Es schmeckt. Allen denen es nicht schmecken will, die Geruch in ihrem Leitungswasser feststellen, rät der Leiter der Qualitätsüberwachung Wasser, sich an den heimischen Trinkwasserversorger zu wenden, damit den Beanstandungen nachgegangen werden kann.

    Systematik: 6100 Umwelt; 6110 Natur; 6140 Wasser

    ID: LIN00651

  • Dr. Kasperek, Bernhard (SPD); Lindlar, Hans Peter (CDU); Ellerbrock, Holger (FDP); Remmel, Johannes (Grüne)
    "EU-Umweltstandards eins zu eins umsetzen".
    Interviews mit den umweltpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 9 - 21.07.2004

    NRW nimmt beim Umweltschutz eine Vorreiterrolle ein. Willy Brandts Traum vom "blauen Himmel über der Ruhr" ist in den vergangenen Jahrzehnten wahr geworden. Auch die Gewässerqualität verdient heute wieder das Prädikat "gut". Zweifellos ein Erfolg. NRW befindet sich also beim Thema Umweltschutz auf dem richtigen Weg? Darüber sprach Landtag intern mit den umweltpolitischen Sprechern des Düsseldorfer Landtags: Dr. Bernhard Kasperek (SPD), Hans Peter Lindlar (CDU), Holger Ellerbrock (FDP) und Johannes Remmel (GRÜNE).
    Das Ökosystem Rhein gesundet, der Lachs kehrt zurück. Kann sich die Politik angesichts des Erfolgs zurücklehnen oder gibt es noch einiges zu tun?
    Dr. Kasperek: Die Rückkehr des Lachses in den Rhein ist Resultat unserer seit langem betriebenen nachhaltigen Wasserschutzpolitik. Wir dürfen uns auf unseren Erfolgen aber nicht ausruhen, sondern müssen diese dauerhaft sichern und ausbauen. Dazu verpflichtet uns auch die neue EU-Wasserrahmenrichtlinie. Wir werden daher in den nächsten Jahren Schritt für Schritt im Gewässerschutz weitergehen, um im Rhein und den anderen Flüssen in unserem Lande einen guten ökologischen Zustand bzw. ein gutes ökologisches Potenzial herzustellen. Das liegt nicht zuletzt auch im Interesse eines wirksamen Hochwasserschutzes.
    Lindlar: Allein mit der erzielten Verbesserung der Gewässerqualität ist der EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht Genüge getan. Neben dem biologischen und chemischen Wasserzustand spielt auch das morphologische Erscheinungsbild der Gewässer künftig eine große Rolle. Das Umweltministerium hat eine Bestandsaufnahme durchführen lassen und stuft im Ergebnis 95 Prozent aller NRW-Flüsse als verbesserungswürdig ein. Diese völlig überzogene Bewertung hat bereits heftigste Reaktionen von Unternehmen und Kommunen hervorgerufen und wird zu erbitterten Diskussionen über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie führen, weil hier neue erhebliche Kosten für Bürger und Kommunen und vor allem auch für die Anlieger drohen. Zudem haben wir den Eindruck, dass damit ein Wust an Bürokratie auf die kommunalen Wasserbehörden und die Wasserwirtschaft zukommt. Von Zurücklehnen kann also keine Rede sein.
    Ellerbrock: Es gibt sicherlich noch einiges zu tun. Wir sollten aber auch die bisherigen Erfolge nach außen hin darstellen. Wir haben eine wesentliche Verbesserung der Gewässerqualität erreicht. Heute haben wir die Möglichkeit, im Rhein zu schwimmen.Noch vor 15 Jahren wäre das undenkbar gewesen. Jetzt stellt sich die Frage: Ist es sinnvoll, in diesem Bereich in NRW noch kostenträchtig aufzusatteln oder lassen sich die Mittel nicht an anderer Stelle effizienter einsetzen? Wie viele Nordsee- Anrainer haben wir, die lange nicht die hohe Gewässerqualität des Rheins vorweisen können? Wenn wir das Ökosystem Nordsee stärken wollen - und das wollen wir -, dann müssen wir bei anderen Gewässern in die Qualitätsverbesserung investieren.
    Remmel: Dass wir uns nicht zurücklehnen können, ergibt sich schon aus den Vorgaben der EU, die EU-Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Die EU legt neue Maßstäbe im Wasserrecht fest, indem sie von dem natürlichen Zustand der Gewässer ausgeht. Sie hat die Länder zu einer Bestandsaufnahme aufgefordert und das passiert derzeit in NRW. Dabei wurde festgestellt, dass die meisten Gewässer in NRW von ihrem natürlichen Urzustand weit entfernt sind. Es wird also nicht nur die biologisch-chemische Gewässerqualität unter die Lupe genommen - darauf haben wir bislang das Hauptaugenmerk gerichtet -, sondern auch die morphologische Struktur, das Ökosystem Wasser sowie das Verhältnis von Gewässerkörper und Umgebung. Und dieser umfassende Ansatz wird für die Politik und die Verwaltung in den nächsten zehn bis 15 Jahren eine sehr wichtige Aufgabe sein.
    Herkömmliche und alternative Energiegewinnung im Widerstreit - ist NRW da auf dem richtigen Weg?
    Dr. Kasperek: Es gibt keinen Widerspruch zwischen herkömmlicher und alternativer Energiegewinnung. Der von anderen Parteien konstruierte Widerspruch ist politische Steinzeit. Die Politik Nordrhein-Westfalens ist vielmehr beispielhaft für eine verbraucherfreundliche, wirtschaftliche und zukunftsweisende Verbindung der verschiedenen Energieformen. Mit der Braunkohle und Steinkohle verfügen wir über Energieträger, die dauerhaft der Sicherung unseres Energiebedarfs dienen werden und zugleich Grundstein für die Entwicklung innovativer Kraftwerkstechnologien bilden. So werden in NRW Kraftwerke entwickelt und gebaut, deren Wirkungsgrade internationale Topplatzierungen erreichen. Zugleich ist für NRW klar: Erneuerbare Energien sind ein fester und stetig wachsender Teil im künftigen Energiemix. Biomasse,Windkraft, Photovoltaik und Geothermik werden eine zunehmend größere Rolle in der Energieversorgung Nordrhein-Westfalens und weltweit spielen. Auch mit Blick auf die Exportmärkte hat sich das Land die Aufgabe gestellt, erneuerbare Energien technologisch und wirtschaftlich voranzubringen.
    Lindlar: Richtig ist, dass wir einen Energiemix brauchen. Allerdings ist die Gewichtung der einzelnen Bestandteile umstritten. Die Vorstellungen der CDUFraktion richten sich einerseits auf einen schnelleren Abbau der Steinkohlenutzung. Zum anderen kritisieren wir die einseitige Überbetonung der Windenergie unter den erneuerbaren Energien. Hier bedarf es dringend einer neuen Gewichtung, damit auch andere regenerative Energien besser ausgebaut und gefördert werden. Darüber hinaus stehen wir mit Nachdruck hinter der Nutzung der Braunkohle, weil sie in mehrfacher Hinsicht eine wirtschaftliche Komponente ist. So bietet sie indirekt die Chance für NRW, innovative Technologien in Form von wesentlich effizienteren Kraftwerken zu entwickeln und zu exportieren. Gleichzeitig könnte damit eine erhebliche Einsparung beim Kohlendioxidausstoß erreicht werden.
    Ellerbrock: Nein. NRW ist auf dem Holzweg, wenn wir im Bereich der fossilen Energieträger weiterhin auf die heimische Steinkohle setzen. Das Argument Energiesicherheit zieht nicht. Schließlich kommen bei uns lediglich drei Prozent der Stromversorgung aus der heimischen Steinkohle. Ich sage ja zur Importkohle, ja zur Braunkohle aber nein zur heimischen Steinkohle. Ja sage ich auch zur Öffnung der Kernkraft, weil es eine Zukunftstechnik ist. Stichwort alternative Energien - in meinen Augen eine falsche Bezeichnung. Denn selbst wenn die Technologie in diesem Bereich so weit fortschreiten sollte, dass wir im Jahre 2020 vielleicht 25 Prozent unseres Energiebedarfs hierüber decken könnten, wäre doch "additive Energie" die treffendere Bezeichnung. Die FDP sagt eindeutig ja zur Entwicklung, Forschung und gegebenenfalls zur Anschubfinanzierung. Dauersubventionen, egal ob bei Windkraft oder bei Kohle, darf es jedoch nicht geben. Windkraft ist eine Ideologie, deren Nutzen hierzulande in keinem Verhältnis zu den immensen Kosten und zur Belastung von Mensch und Landschaft steht. Im Verhältnis zur Windkraft ist ja selbst die Steinkohlesubvention hoch effizient.
    Remmel: Wir sind in NRW auf dem Weg zu einem Energiemix, bei dem regenerative Energien einen immer größeren Stellenwert einnehmen müssen. Insofern haben wir eine richtige Perspektive. Dabei haben wir nicht nur NRW, sondern auch die Exportchancen aufgrund der Friedensperspektive "Weg vom Öl" im Auge. Uns ist klar, welche Möglichkeiten der weltweite Einsatz erneuerbarer Energien auch hierzulande für die wirtschaftliche Stabilität und Weiterentwicklung bieten. Dabei verzichten wir nicht auf die traditionellen Energieträger und deren Effizienz steigernde Weiterentwicklung, wobei wir im Bezug auf die Steinkohle eine klare Perspektive haben, die um das Jahr 2015 endet. Ich möchte an dieser Stelle jedoch nochmals betonen, dass der Vorstoß der Oppositionsfraktionen - insbesondere der FDP -, aus vorgeschobenen Klimaschutzgesichtspunkten künftig stärker auf Atomkraft zu setzen, eine politische Groteske erster Güte ist.
    Die EU gibt immer mehr Standards im Umweltschutz vor. Werden die in NRW zeitnah umgesetzt oder durch Befrachtung übererfüllt?
    Dr. Kasperek: Eine zeitnahe Umsetzung von EU-Umweltstandards ist wichtig. Bei uns - aber auch in allen anderen Staaten. Die Standards dürfen aber nicht nur Theorie bleiben. Sie müssen vollzugsgerecht sein und von Betroffenen angenommen werden. Daher ist es unverzichtbar, die Umsetzung in einem transparenten Prozess mit allen Beteiligten abzustimmen. Nur so ist ein praxisund vollzugsgerechter Einbau in unser bisheriges Schutzsystem möglich.Mit dem Düsseldorfer Signal haben wir nochmals sichergestellt, dass die EU-Standards eins zu eins umgesetzt werden, also ohne Verschärfungen, und so, dass Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Regionen vermieden werden.
    Lindlar: Die EU-Umweltvorgaben werden bei uns ganz klar überreguliert. Etwa 80 Prozent der Landes-Gesetzgebung im Umweltbereich dienen allein der Umsetzung von EU-Richtlinien. Statt einer angemessenen 1:1-Umsetzung packt das NRW-Umweltministerium jeweils eine Fülle von zusätzlicher Bürokratie und weitergehenden inhaltlichen Forderungen auf die EU-Vorgaben drauf. Umweltministerin Höhn misstraut Bürgern und Wirtschaft und gängelt sie lieber durch Vorschriften. Diese Regelungswut lähmt zusätzlich die Arbeit des Umweltministeriums; so ist aktuell das Landeswassergesetz zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie schon längst überfällig.
    Ellerbrock: EU-Umweltvorgaben eins zu eins umsetzen ist unser Motto. In NRW haben wir in der Vergangenheit leider gerne Sonderwege beschritten. Wir haben uns das bislang auch leisten können, weil wir in NRW einen hohen Lebensstandard haben. Doch jetzt, wo das Geld knapp wird, müssen wir uns fragen: Können wir uns das noch leisten und welchen ökologischen Mehrwert erzielen wir durch solche Wettbewerbsverzerrungen solcher Orchideenspiele? Nachhaltigkeit heißt eben nicht nur ökologisch verantwortbar, sondern auch sozial tragbar und wirtschaftlich machbar.
    Remmel: Das ist eine Chimäre, die in der Diskussion mit der Opposition immer wieder auftaucht. Dahinter steckt die Annahme, die Bundesrepublik bzw. NRW seien "Umwelt-Weltmeister". Diese Annahme ist grundfalsch. Wir sind in manchen Bereichen des Umweltschutzes zweifellos gut, in manchen Bereichen sind andere Nationalstaaten jedoch sehr viel besser. Stichwort Ausweisung von Naturschutzgebieten. Im Übrigen ist die Umweltwirtschaft ein Wachstumsmarkt. Hohe Standards schaffen Investitionssicherheit, bieten große Chancen für den Wettbewerb und befördern Innovationen.

    Die Interviews führten Jürgen Knepper und Axel Bäumer.

    Systematik: 1600 Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; 2110 Herkömmliche Energien; 2130 Alternative Energien; 6100 Umwelt; 6140 Wasser

    ID: LIN00652

  • Die Ängste ernst nehmen.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 8 - 30.06.2004

    Monatelang wurde verhandelt. Das neue Zuwanderungsgesetz will die Arbeitsmigration, die Integration und das humanitäre Flüchtlingsrecht regeln. Aber auch gewährleisten, dass sich die Menschen sicherer fühlen. Seit den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA herrscht vielerorts ein Gefühl von Unsicherheit. Ein Empfinden, das sich nicht unbedingt durch massiv ansteigende Kriminalitätszahlen begründen lässt. Doch auch der nordrhein-westfälische Innenminister erklärte nach dem Anschlag von Madrid im Frühjahr, dass die "Gefährdungslage in NRW leicht erhöht" sei. Alle Sicherheitsbehörden gingen davon aus, dass Deutschland auch Ziel von Anschlägen islamistischer Terroristen werden könnte.

    Straftaten

    Wenn man auf die Fakten schaut, ist beispielsweise die politisch motivierte Kriminalität in NRW leicht zurückgegangen. Laut Verfassungsschutzbericht 2003 gab es 2.883 politisch motivierte Straftaten in NRW, das sind 47 Fälle weniger als im Vorjahr. Erfolgreich präsentiert sich das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten, dagegen stieg die Zahl der rechtsextremistischen Taten an. Dagegen verliert der Linksextremismus in NRW - laut Innenministerium - zunehmend an Bedeutung.
    Doch wie begegnet man der Gefahr? Bundesinnenminister Schily wollte die selbstständigen Landeskriminal- und Verfassungsschutzämter auflösen und stattdessen in Berlin zentralisieren. Das wollen die Länder nicht, NRW auch nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie effektiv die Sicherheitsbehörden miteinander arbeiten. Ein Netzwerk muss her, um den Terrorismus zu bekämpfen, um damit die innere Sicherheit zu gewährleisten.

    Gefahr

    Denn keiner möchte beim morgendlichen Brötchenholen der Gefahr ausgesetzt sein, überfallen zu werden. Der Ruf nach Sicherheit und Ordnung ist nun mal ein elementares Bedürfnis. Und die sich seit dem 11. September 2001 ausbreitende Sicherheitspanik, beschert der Gesellschaft dieses Gefühl der diffusen Unsicherheit. Da kann Politik nur eines machen: die Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen.
    SH

    ID: LIN00555

  • Vorreiterrolle in Deutschland.
    Datenschutz in NRW.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 8 - 30.06.2004

    Die Geschichte des personifizierten nordrhein-westfälischen Datenschutzes beginnt mit einer Panne. Am 13. Juni 1979, vor 25 Jahren, scheiterte die Wahl des ersten Datenschutzbeauftragten, weil die SPD-FDP-Koalition des ersten Kabinetts Rau die erforderliche absolute Mehrheit nicht zustande brachte.
    Grundlage der Wahl bildete das nordrhein- westfälische Datenschutzgesetz, das sechs Monate zuvor in Kraft getreten war. Sein Ziel war es, "den Bürger durch Verhinderung des Missbrauchs bei der Verarbeitung (Speicherung, Übermittlung, Veränderung und Löschung) personenbezogener Daten zu schützen und seiner Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange entgegenzuwirken". Gleichzeitig wurde Ende 1978 der Datenschutz in Verfassungsrang erhoben. Nordrhein-Westfalen spielte hier die Vorreiterrolle.
    Was in der Anfangszeit nur für den Schutz gegenüber Behörden galt, ist vor vier Jahren auf den "nichtöffentlichen" Bereich erweitert worden. Der Landtag baute den Datenschutz aus und erweiterte ihn zu einem modernen, wegweisenden und bundesweit vorbildlichen Informationsfreiheitsgesetz. Aufgaben, Befugnisse und Rechte der Datenschutzbeauftragten wurden angepasst.
    Jedes Jahr erhält der Landtag den aktuellen Datenschutzbericht - in diesem Jahr ist es der 16. Seit acht Jahren ist in NRW Bettina Sokol siehe Interview) in diesem Amt. Bei ihrer Ernennung war die gelernte Richterin die jüngste Datenschutzbeauftragte eines Landes.
    Datenschutz ist keine statische Aufgabe. Sie entwickelt sich analog zur technischen Entwicklung. Und sie ist Gegenstand politischer Gestaltung. Die letzte größere regten die Liberalen 2002 an: Sie wollten den Datenschutz (statt beim Innenminister) beim Landtag ansiedeln und zur obersten Landesbehörde machen, mit Rederecht im Landtag und in den Ausschüssen. Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Bedenken fand dieser Vorstoß keine Mehrheit.
    Heute erfüllt die Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit unangefochten ihr Amt. Ende März wurde sie vom Landtag einstimmig für weitere acht Jahre wieder gewählt. Sie habe ihre Aufgabe "mit Bravour" gelöst, attestierte ihr Innenminister Dr. Fritz Behrens (SPD) in einer Pressemitteilung. Bei der Landtagsdebatte über den jüngsten Datenschutzbericht Anfang des Jahres lobte der CDU-Sprecher Dr.Wilhelm Droste, bei der Beauftragten Sokol sei der Datenschutz "in wirklich guten Händen". Auch die Sprecherin der Grünen, Monika Düker, hob die "hervorragende Arbeit" hervor. Jürgen Jentsch (SPD) bat die Datenschutzbeauftragte: "Machen Sie weiter so. Wir haben es nötig."

    Bildunterschrift:
    Kameras - fast- allerorten: Behörden, Firmen, öffentliche Einrichtungen sichern sich mit dem elektronischen Auge. Was geschieht mit den gesammelten Informationen, wie lange werden sie aufbewahrt, an wen weitergegeben? Fragen, denen der Datenschutz im Interesse der Bürgerinnen und Bürger nachgeht.

    Systematik: 7750 Datenschutz

    ID: LIN00568

  • "Die Bedeutung des Grundrechts ist gestiegen".
    Interview mit der Landesbeauftragten Bettina Sokol.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 8 - 30.06.2004

    25 Jahre Datenschutz in NRW - wie ist in Ihren Augen die Bilanz?

    Sokol: Wenn ich zurückdenke an die Zeit des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts haben wir heute sehr viel im Datenschutz erreicht. Die Rechtsentwicklung hat dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung weitgehend klare Konturen verliehen. Sowohl in der Verwaltung als auch in weiten Teilen der Privatwirtschaft ist der Gedanke präsent geworden, dass Informationen über eine Person kein Allgemeingut sind, sondern ihre Verarbeitung einer Legitimation bedarf. Auch in der Bevölkerung gibt es ein großes Interesse am Datenschutz, was die ständig zunehmenden Anfragen an mich belegen. Eine besondere Herausforderung des Datenschutzes in derjüngsten Zeit besteht in der rasanten technischen Entwicklung.

    Welchen Stellenwert hat das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Zeiten von Al-Quaida?

    Sokol: Die Bedeutung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist keinesfalls geringer geworden, sondern eher noch gestiegen. Die Achtung der Grundrechte, die die Wesenselemente der Demokratie sind, kann nicht je nach "Großwetterlage" zur Disposition stehen. Gerade in schwierigen Zeiten muss sich der Rechtsstaat als Rechtsstaat bewähren. Ein stetiger Abbau grundrechtlicher Freiheit wäre demgegenüber der Weg auf eine gefährliche Rutschbahn. Denn die Missachtung von Freiheitsrechten kennzeichnet gerade diejenigendiejenigen Staaten, die die Terroristen errichten wollen.

    Biometrische Daten im Pass - wird dadurch die Welt sicherer?

    Sokol: Die Bundesdruckerei hebt immer wieder die absolute Fälschungssicherheit der deutschen Ausweispapiere hervor. Unter diesem Gesichtspunkt bedarf es keiner weiteren biometrischen Merkmale in unseren Pässen. Biometrische Verfahren sind zudem nach wie vor noch nicht so ausgereift, dass sie für eine Massenanwendung wirklich geeignet wären. Eine hohe Rate fälschlicher Zurückweisungen würde die betroffenen Personen zu Verdächtigen abstempeln, die sich erst entlasten müssten. Eine niedrige Rate fälschlicher Zurückweisungen würde demgegenüber die vermeintlich gewonnene Sicherheit zur Illusion werden lassen. In beiden Fällen könnte kein Vertrauen in das Verfahren gesetzt werden. Es kommt hinzu, dass unser geltendes Recht - zum Glück - die Schaffung einer Zentraldatei mit den biometrischen Daten nicht erlaubt. Hier könnten ansonsten Begehrlichkeiten geweckt werden, die Daten zu vielfältigen anderen Zwecken nutzen zu wollen.

    Systematik: 7750 Datenschutz

    ID: LIN00569

  • Jentsch, Jürgen (SPD); Kruse, Theodor (CDU); Engel, Horst (FDP); Düker, Monika (Grüne)
    Sicherheit und Bürgerrechte: "Kein Widerspruch".
    Interviews mit den innenpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 8 - 30.06.2004

    Die Terroranschläge in Madrid im März diesen Jahres haben auch hierzulande die Diskussion über die Sicherheitslage und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Nordrhein-Westfalen neu entfacht. Während die eine Seite eine neue Sicherheitsarchitektur für NRW fordert, melden Datenschützer verfassungsrechtliche Bedenken an. Sicherheit versus Bürgerrechte? Landtag intern sprach darüber mit den innenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern: Jürgen Jentsch (SPD), Theo Kruse (CDU), Horst Engel (FDP) und Monika Düker (GRÜNE).

    Birgt das neue Zuwanderungsgesetz Chancen in sich, um in Zukunft in Fällen wie Kaplan anders handeln zu können?

    Jentsch: Ich glaube, die Chance besteht, Leute wie Kaplan, die Hass predigen, künftig schneller los zu werden. Das setzt allerdings voraus, dass die Behörden und die Gerichte nicht wieder erhebliche Einwände anmelden, wie wir es zurzeit erleben. Ich hoffe, dass das Gesetz so stark ist, dass es den Willen des Gesetzgebers respektiert. Ansonsten müssen wir endlich die nötige Verteilung der Flüchtlinge regeln, die sich hier illegal aufhalten. NRW ist da in besonderem Maße betroffen. Es muss so sein, dass die illegalen Flüchtlinge künftig über alle Bundesländer gerechter verteilt werden.
    Kruse: Wir sind froh darüber, dass jetzt ein einvernehmliches Zuwanderungsgesetz auf den Weg gebracht worden ist. Ich glaube sehr wohl, dass wir in Zukunft mit so genannten "Hasspredigern" anders umgehen werden als im Fall Kaplan. Bislang haben die Asylverfahren hierzulande deutlich länger gedauert als in anderen Bundesländern. In NRW dauert es mitunter 20 bis 24 Monate im Gegensatz zu sechs bis sieben Monaten in Baden-Württemberg oder Bayern. Seitens der CDU-Fraktion werden wir nun mit dafür sorgen, dass der erzielte Kompromiss auch in NRW Anwendung findet und die Asylverfahren beschleunigt werden.
    Engel: Ganz sicher ja. Der Rechtsweg soll künftig begrenzt werden. Wir haben jetzt einen Instanzenweg, der in Fällen wie Kaplan die Republik der Lächerlichkeit preisgibt. Zwei Instanzen reichen hier. Und wenn dies nun tatsächlich so umgesetzt werden sollte, dann bedeutet das für die Zukunft eine erhebliche Erleichterung. Wir werden uns im Fall Kaplan noch wundern: Ob in diesem Verfahren am Ende tatsächlich noch eine Abschiebung herauskommen wird, ist noch lange nicht sicher. Grundsätzlich muss gelten: Wer nicht die Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung anerkennt, der muss dahin zurückgeschickt werden, wo er herkommt.
    Düker: Der Fall Kaplan ist kein gutes Beispiel, weil bereits nach geltendem Recht klare Ausweisungsgründe gegen ihn vorlagen. Verhindert wurde dies bislang dadurch, dass die Frage des Abschiebeschutzes nicht endgültig geklärt ist. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention gilt: Keiner darf Menschen in Länder abschieben, wo ihnen beispielsweise Folter droht. Dies können und dürfen wir auch mit dem Zuwanderungsgesetz nicht außer Kraft setzen. Ein wirklicher Gewinn des neuen Gesetzes ist es, dass der Rechtsweg bei solchen Verfahren deutlich verkürzt werden soll. Neu ist auch die Möglichkeit, Personen aufgrund einer tatsachengestützten Gefahrenprognose schneller abschieben zu können.

    Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will die Arbeit der Sicherheitsbehörden bündeln. Welche Kompetenzen gehören nach Berlin, welche nach Düsseldorf?

    Jentsch: Die Idee unseres Bundesinnenministers, die Landesverfassungsämter zu einer Bundesbehörde zusammenzufassen, halte ich für verkehrt - insbesondere für NRW. Wir sind mit über 18 Millionen Einwohnern das größte Bundesland. Die Verfassungsbehörde in NRW muss dezentral bleiben, weil sie dann viel schneller auf Themen reagieren kann, als das eine zentrale Mammutbehörde könnte, die erst durch die örtliche Polizei oder den Staatsschutz auf Dinge aufmerksam gemacht werden müsste. Bei kleineren Bundesländern wie Bremen oder dem Saarland wäre eine Zusammenlegung der Behörden hingegen durchaus denkbar. Stichwort Bundeskriminalamt: Hier sagen wir ganz deutlich, dass die Führung in Berlin sein muss. Gleichzeitig sollten aber die ausführenden Beamten weiterhin dezentral vor Ort bleiben, damit von hier aus schnell und effektiv Einsätze gefahren werden können.
    Kruse: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist die zentrale Herausforderung. Die CDU ist der Auffassung, dass wir in Deutschland und somit auch in NRW eine neue Sicherheitsarchitektur benötigen. Wir erlauben uns derzeit 16 Verfassungsschutzämter,16 Landeskriminalämter, zudem Zoll, Staatsschutz und Bundesgrenzschutz - insgesamt weit über 30 Behörden. Aus der Vergangenheit gibt es eine Reihe von Beispielen dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Stellen nicht funktioniert hat. Ich denke da an das NPD-Verbotsverfahren oder, ganz aktuell, an den Fall Kaplan. Wir plädieren dafür, dass hier gestrafft, zusammengelegt und der Informationsfluss verbessert wird. Natürlich muss die Polizei Angelegenheit der Länder bleiben. Andererseits sind wir der Auffassung, dass die Verfassungsschutzämter nach regionalen Besonderheiten gebündelt werden müssen.
    Engel: Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich ein absoluter Gegner des Zentralismus bin. Ich halte sehr viel davon, dass wir in den 16 Bundesländern über je einen Verfassungsschutz verfügen, der, weil er näher dran, auch erfolgreicher ist. Vor dem Hintergrund der Bedrohungen in Deutschland seit dem 11. September 2001 ist für mich die Konsequenz: Nicht die Zentralisierung des Verfassungsschutzes, sondern die Vernetzung des Denkens und der Beurteilung der Lagebilder aus den Ländern. Nur so kann ein differenziertes Gesamtlagebild entstehen, auf dessen Basis zum Beispiel dem internationalen und strategischen Djihad-Terrorismus auch in Deutschland wirkungsvoll begegnet werden kann.
    Düker: Der internationale Terrorismus stellt eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Dafür brauchen wir eine zentrale Kompetenz. Bei Bund und Ländern ist unstreitig, dass die Zentralstellenfunktion des Bundeskriminalamtes für die Polizei und für das Bundesamt für Verfassungsschutz gestärkt, gebündelt und besser koordiniert werden muss. Auch der Informationsaustausch muss optimiert werden. Den Vorschlag von Otto Schily, in den Bereichen Polizei und Verfassungsschutz originäre Zuständigkeiten von den Ländern auf den Bund zu verlagern, halte ich hingegen für völlig falsch. Dies würde die föderale Sicherheitsstruktur in unserem Land grundsätzlich in Frage stellen. Andererseits ist es Quatsch, dass wir 16 Landesämter für Verfassungsschutzhaben. Es gibt ein Modell, was vorsieht, die 16 Behörden in sechs zusammenzufassen. Das würde ich als sinnvoll ansehen. Also: Reduzierung ja, Zentralisierung nein.

    Behindert der Datenschutz die innere Sicherheit? Wie "gläsern" müssen die Menschen in NRW sein?

    Jentsch: Der Datenschutz, den wir in NRW haben, stellt meines Erachtens nach keine Behinderung der inneren Sicherheit dar. Ganz im Gegenteil: Der Datenschutz fügt sich in die Sicherheitsgesetze ein. Sie haben außerdem gefragt, wie gläsern die Menschen in NRW sein dürfen. Da muss es ganz klare Grenzen geben, nämlich im sozialen Bereich und im Gesundheitsbereich. Diese Informationen müssen geschützt sein und dürfen auch künftig auf keinem Personalausweis gespeichert werden. Dieser Persönlichkeitsschutz gilt selbstverständlich auch für Menschen, die in Vergangenheit straffällig geworden sind und ihre Strafe verbüßt haben. Auch diese Informationen gehören in die Datenbanken der zuständigen Behörden, aber nicht einen Personalausweis.
    Kruse: Für mich hat das Sicherheitsbedürfnis der Menschen absolute Priorität. Der Datenschutz wird im Verhältnis zur Sicherheit überbewertet. Wir haben in den letzten Jahren in NRW eine unerträglich hohe Kriminalitätsrate zu beklagen: fast 1,5 Millionen Straftaten allein im vergangenen Jahr. Davon sind nur zirka 47 Prozent aufgeklärt worden. Wir liegen damit unter den 16 Bundesländern an vorletzter Stelle. Leider hat die rotgrüne Landesregierung in der Vergangenheit die innere Sicherheit sträflich vernachlässigt. Beispiel Videoüberwachung. Da hat man der CDU immer vorgeworfen, wir wollten den Überwachungsstaat. Das ist völliger Unsinn. Aber an bestimmten Kriminalitätsbrennpunkten, wo aus Sicht der örtlichen Polizeibehörden eine Videoüberwachung sinnvoll wäre, sollte dies auch Berücksichtigung finden. Denn: Sicherheit kommt vor Datenschutz.
    Engel: Diese Frage ist eine ganz zentrale. Ich habe vor wenigen Tagen einen in Fachkreisen viel beachteten internationalen Workshop zum Thema "Neue Sicherheitsarchitektur" veranstaltet. Dort habe ich den Experten genau dieselbe Frage gestellt. Keiner der Teilnehmer konnte uns im Bereich der inneren Sicherheit von Behinderungen durch Datenschutz berichten. Ich kann Ihnen deshalb kein einziges Beispiel nennen. Datenschutz stellt, anders als vielfach behauptet, kein Aufklärungshindernis dar. Dies muss aber auch für die Zukunft gelten und im Einzelfall kritisch hinterfragt werden können.
    Düker: "Datenschutz gleich Täterschutz" ist ein gern verwendeter Kampfbegriff der CDU-Fraktion. Es liegt mir jedoch kein einziges konkretes Beispiel vor, wo dies in der Vergangenheit zutreffend war. Hier sind diejenigen, die das immer wieder behaupten, in der Nachweispflicht. Datenschutz ist nicht etwa Luxus, sondern basiert auf verfassungsmäßig zugesichertem Grundrecht. Und wenn Sicherheitsbehörden in diese Grundrechte eingreifen, dann muss sichergestellt sein, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, die Maßnahme zeitlich befristet ist und ihre Wirksamkeit von unabhängigen Gremien kontrolliert wird.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Zusatzinformation:
    Politisch motivierte Kriminalität
    Die politisch motivierte Kriminalität (PMK) in NRW ist im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Insgesamt wurden dem Landeskriminalamt 2.838 politisch motivierte Straftaten gemeldet. Das waren 47 Delikte (- 1,6 Prozent) weniger als 2002.Von den 2.838 Fällen entfielen 1.769 (62 Prozent) auf den Phänomenbereich "Rechts", 349 (12 Prozent) auf den Bereich "Links" und 420 (15 Prozent) auf den Bereich "Ausländer". 300 Fälle waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Damit war in den Bereichen "Ausländer" und "Rechts" im Vorjahresvergleich ein Anstieg um 240 Delikte (+ 133 Prozent) beziehungsweise 54 Delikte (+ 3 Prozent) zu verzeichnen. Gleichzeitig führte der starke Rückgang der nicht zuzuordnenden Fälle um 318 (- 51,5 Prozent) dazu, dass die Gesamtzahl aller Straftaten 2003 unter der Vorjahreszahl lag. Im Bereich PMK "Ausländer" bewegten sich die meisten der 420 Delikte in den Themenfeldern Islamismus/Fundamentalismus (354) und Innen- und Sicherheitspolitik (391). Der starke Anstieg im Bereich "Ausländer" ist aber in erster Linie auf 339 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Anhänger des verbotenen Kalifat-Staates zurückzuführen.
    Quelle: Verfassungsschutzbericht des Landes NRW 2003

    Systematik: 1300 Innere Sicherheit; 1010 Staatsaufbau; 7750 Datenschutz

    ID: LIN00570

  • Einfluss auf die Politik.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 7 - 16.06.2004

    Bürgerinnen und Bürger können in Nordrhein-Westfalen mitentscheiden. Dies gilt genauso auf kommunaler wie auch auf Landesebene. Und das ist ein Erfolg.
    Auf kommunaler Ebene gibt es das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid. Diese Mittel sind darauf gerichtet, dass die Bürgerinnen und Bürger zur direkten demokratischen Beteiligung angeregt werden. Die Menschen in NRW machen davon regen Gebrauch und haben realistische Chancen, auf die Kommunalpolitik Einfluss zu nehmen.
    Mit der Einführung dieser Instrumente hat der Gesetzgeber ein wichtiges Element "unmittelbarer und direkter Demokratie" geschaffen.Konnten bislang Bürgerinnen und Bürger nur alle fünf Jahre mit dem Stimmzettel auf die Willensbildung im Rat einer Gemeinde Einfluss nehmen, so ist ihnen nun eine Letztentscheidungsbefugnis in einzelnen kommunalen Angelegenheiten eingeräumt.
    Seit der Einführung im Jahre 1994 sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zum Beispiel bei folgenden Themen realisiert worden: Erholung, Freizeit, Sport, Schule, Verkehr, Umwelt, Abfall, Wohnen, Bauen, Grundstücksangelegenheiten.

    Landtag

    Die Landesebene misst dem Bürgerwillen ebenfalls eine große Bedeutung zu. Mit den gesetzlichen Regelungen hierzu befassen sich allein drei Fachausschüsse im Landtag Nordrhein-Westfalen. Der Ausschuss für Kommunalpolitik wird aktiv, sobald die Gemeinden betroffen sind. Geht es um Verwaltungsabläufe wie Strukturreformen, Verfahrensabläufe etc. (Zahl der Unterschriften, Auslegungsmodalitäten) kommt der Ausschuss für Innere Verwaltung und Verwaltungsstrukturreform zum Einsatz.
    Geht es aber um Verfassungsfragen, ist der Hauptausschuss gefragt. Wie zurzeit bei dem "Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid" vom Mai 2004. Der wird jetzt auf Antrag von SPD und den Grünen diskutiert. Letztendlich geht es darum, die Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger zu vereinfachen. Im Moment hat der Hauptausschuss alle kommunalen Spitzenverbände in dieser Sache angeschrieben und um Stellungsnahme gebeten.
    Fragt man die Politikerinnen und Politiker auf Landesebene, in welcher Form die Bürgerinnen und Bürger ein Wörtchen mitreden sollen, gibt es grundsätzlich positive Resonanz. Bei den Finanzen zieht die Politik die rote Karte.
    Demokratie ist nie bequem. Sie lebt vom Streit und von der Diskussion um den richtigen Weg. Auf dem richtigen Weg sind die, die sich engagieren und diejenigen, die Strukturen verändern, damit Mitreden möglich ist.
    SH

    ID: LIN00503

  • Politische Mitwirkung wird gestärkt.
    Parteien wollen Gemeinsamkeit bei Verbesserung der direkten Demokratie.
    Titelthema / Schwerpunkt;
    Plenarbericht
    S. 10 in Ausgabe 7 - 16.06.2004

    SPD und GRÜNE haben einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Drs. 13/5396) vorgelegt. Der Landtag hat den Gesetzentwurf nach erster Lesung am 13. Mai einstimmig an Hauptausschuss (federführend) und Innenausschuss überwiesen.
    Dorothee Danner (SPD) wies auf die vor zwei Jahren erfolgte Senkung der Quoten für Volksbegehren und Volksentscheid hin. Seitdem seien im Lande zwei Initiativen, zur Forensik und zur Jugendförderung, durchgeführt worden. Dabei habe sich der damit verbundene hohe Verwaltungs- und Kostenaufwand gezeigt. Es gebe also Handlungsbedarf. Die Sprecherin nannte drei Verbesserungen, mit denen man erreichen wolle, "dass sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes stärker ins politische Geschehen einmischen und die Kosten nicht weiter steigen, sondern eher sinken". So werde das umständliche und teure Zulassungsverfahren beim Volksentscheid wegfallen, zum zweiten sei mit der freien Unterschriftensammlung der Verwaltungsaufwand geringer. Als dritte Änderung nannte Danner die Einführung einer Anhörungspflicht vor den zuständigen Ausschüssen: Dies werte die Volksinitiative und ihre Vertrauensleute noch einmal deutlich auf. Beim Volksbegehren würden die Mindestzahl der Erfassungsstellen und die der Auslegung auf acht Sonntage festgelegt. Ganz neu sei die Möglichkeit, sich per Briefwahl an einem solchen Volksentscheid zu beteiligen. Auch dies sei ein großer Schritt zu mehr Bürgerfreundlichkeit.
    Monika Düker (GRÜNE) betonte, mit dem vereinfachten Anzeigeverfahren, der freien Unterschriftensammlung, der Pflicht zur Anhörung der Vertrauensperson durch die Landtagsausschüsse bei der Volksinitiative und mit den Regelungen, die das Amtseintragungsverfahren beim Volksbegehren konkretisieren, vereinfachen und straffen, erreiche man weniger Verwaltungsaufwand, geringere Kosten bei den Beteiligten und eine Senkung der Hürden für den Erfolg der direkten Bürgerbeteiligung.
    Werner Jostmeier (CDU) erinnerte an die Urheberschaft seiner Fraktion: Die habe vor zwei Jahren schon gefordert, die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheid zu senken und die Volksinitiative in die Verfassung des Landes aufzunehmen. Die Initiatoren der beiden bisher durchgeführten Volksinitiativen "Forensikstandort Herne" und "Jugend braucht Zukunft" hätten sich über das sehr aufwendige Verfahren beklagt. Aber der entsprechende Antrag sei, "weil er von der CDU stammte", von Rot-Grün abgelehnt worden. Das solle jetzt gemeinsam korrigiert werden. Dabei werde seine Fraktion zu prüfen haben, ob mit der gewünschten Übertragung vieler Zuständigkeiten an die Kommunen wirklich die angestrebte Entfrachtung erreicht wird. Das Anhörungsrecht bei der Volksinitiative gehe auf die CDU zurück, die sich auch habe vorstellen können, "dass es im Rahmen einer Volksinitiative keine thematischen Beschränkungen gibt". Ob die freie Unterschriftensammlung in Fußgängerzonen eine Erleichterung darstelle, müsse zu fragen sein, denn die Unterschriften müssten immer noch überprüft werden. Ferner sei darüber nachzudenken, ob diese Art von Sammlung nicht das Thema einer solchen Initiative entwertet. Jostmeier stufte die Vorschläge von Rot-Grün insgesamt als bedenkenswert ein.
    Marianne Thomann-Stahl (FDP) beschrieb den Sinneswandel ihrer Fraktion bei der Bewertung der Volksinitiative: Erst ziemlich kritisch, jetzt nach Durchführung des ersten erfolgreichen Begehrens sei man der Auffassung, "dass dies ein gutes und positiv zu nutzendes Instrument für die Bürger ist, an dem gesellschaftlichen und politischen Diskurs teilzunehmen". Sie verlangte genaue Angaben über die Kosten, denn man müsse verhindern, "dass auf diesem Weg die Hürden für diese Art von Volksgesetzgebung indirekt erhöht werden". Im weiteren Verfahren müsse die Mitwirkung des Landtags über das vorgesehene "Benehmen" hinaus festgeschrieben werden.
    Innenminister Dr. Fritz Behrens (SPD) urteilte, der Gesetzentwurf bringe "substanzielle Fortschritte für die direkte Demokratie in unserem Land und für die Demokratie überhaupt". Wenn der Gesetzestext "so oder so ähnlich" verabschiedet werde, dann sei das eine gute Initiative, "die die Glaubwürdigkeit von Politik und politischen Institutionen in diesem Lande, Landtag und Landesregierung ein gutes Stück weiter befördern kann". So gebe es bei einer positiven Entscheidung des Landtags nur Gewinner, die Bürgerinnen und Bürger, die Initiatoren von Volksinitiativen und Volksbegehren, die Kommunen und das Land, dessen demokratische Grundlagen gestärkt würden.

    Systematik: 1070 Politische Kräfte; 1080 Wahlen

    ID: LIN00515

  • So kann der Bürger mitreden.
    Einfluss in Land und Kommune.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 7 - 16.06.2004

    Politikverdrossenheit - für viele Bürger folgt sie daraus, wesentliche politische Entscheidungen nicht mitbestimmen zu können. Und doch gibt es in NRW auf Landesebene drei Elemente, über die die Bürger unmittelbar Einfluss auf die demokratische Willensbildung nehmen können. Zusätzlich bieten Bürgerbegehren und -entscheid seit zehn Jahren die Chance der direkten Beteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung.
    Vor zehn Jahren wurden "Bürgerbegehren" und "Bürgerentscheid" durch das Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung vom 6. Mai 1994 in die Gemeindeordnung eingeführt. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung heißt es unter anderem: "Die Bürger sollen über wichtige kommunale Angelegenheiten anstelle der Gemeindevertretung bzw. des Kreistages selbst entscheiden können. Voraussetzung ist ein Bürgerbegehren, also ein Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids."
    Generell lassen sich drei Gründe unterscheiden, aus denen "Bürgerbegehren" angestrebt werden: Es soll etwas Neues erreicht werden, mit dem sich die Gemeindevertretung bisher nicht beschäftigt hat, ein Vorhaben, das die Gemeindevertretung bereits abgelehnt hat, soll doch noch durchgesetzt werden oder ein durch die Gemeindevertretung bereits gefasster Beschluss soll aufgehoben oder verändert werden. Sind die formalen Bedingungen erfüllt und das Bürgerbegehren eingereicht, ist der Rat am Zuge. Er muss über die Zulässigkeit entscheiden.

    Praxis

    Die Möglichkeiten des Bürgerbegehrens sind durch einen "Negativkatalog" beschränkt, der bestimmte kommunalpolitische Entscheidungen dem Rat vorbehält. Nicht zulässig sind etwa Bürgerbegehren, die die Auflösung der Ämter einer Gemeindeverwaltung oder die Einführung von Fachbereichen zum Ziel hat. Gleiches gilt für Bebauungspläne oder die Abschaffung und Senkung von Steuern. Seit der Einführung 1994 sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Erholungs-, Freizeit- und Sportangelegenheiten (62), Schulangelegenheiten (30), Verkehrsangelegenheiten (53), Umwelt und insbesondere Abfallangelegenheiten (25) initiiert worden. Insgesamt wurden seit 1994 zwischen Rhein und Weser 269 Bürgerbegehren auf den Weg gebracht; in 90 Fällen kam es zu einem "Bürgerentscheid".
    Auf Landesebene wurden die vergleichbaren Instrumente "Volksbegehren" (VB) und "Volksentscheid" (VE) bereits in die Landesverfassung 1950 aufgenommen. 2002 wurde das Gesetz um die "Volksinitiative" (VI) erweitert. Man unterscheidet dabei wie folgt: Ziel der VI ist das Befassen des Landtags mit einem politischen Sachthema oder Gesetzentwurf. Voraussetzung ist die Unterschrift von mindestens 0,5 Prozent der Stimmberechtigten (rund 65.000) innerhalb von acht Wochen auf den Listen, die in den Ämtern der Städte und Gemeinden ausliegen.
    Ziel des "Volksbegehrens" (VB) ist der Erlass, die Aufhebung oder die Änderung eines Gesetzes. Dem VB muss ein Gesetzentwurf zu Grunde liegen, er ist nur auf Gebieten zulässig, die der Gesetzgebungsgewalt des Landes unterliegen. Ein VB muss von mindestens acht Prozent der deutschen Stimmberechtigten (ca. eine Million) gestellt werden. Entspricht der Landtag einem VB nicht, kommt es zum Volksentscheid. In diesem Fall kann das Volk das Gesetz selbst durch Abstimmung beschließen.
    Die Landesregierung kann ein von ihr eingebrachtes Gesetz zum Thema eines VE machen, wenn der Landtag das Gesetz abgelehnt hat. Landtag oder Landesregierung können die Zustimmung zu einer vom Landtag mangels Zweidrittelmehrheit abgelehnten Verfassungsänderung durch einen VE einholen. Mitte Mai legten SPD und Grüne einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes vor, der das umständliche und teure Zulassungsverfahren abschaffen und eine freie Unterschriftensammlung sowie eine Anhörungspflicht vor den zuständigen Ausschüssen einführen möchte (siehe auch Seite 10).
    In der Verfassungsgeschichte des Landes NRW gab es in über 50 Jahren keinen Volksentscheid. Es hat nur drei zugelassene Volksbegehren gegeben, von denen nur zwei vollzogen wurden. Auch die Form der Volksinitiative wurde seit 2002 erst zwei Mal von den Bürgern als Mittel der Einflussnahme gewählt. Während die Volksinitiative "Forensikstandort Herne" im Herbst 2002 scheiterte, verlief die VI "Jugend braucht Zukunft" erfolgreich. Im Januar gaben die Initiatoren 174.858 Unterschriften im Landtag ab, der sich nun mit dem Thema Kinder- und Jugendarbeit befassen muss. Derzeit läuft die VI "Ein Porz - Ein Wahlkreis", die eine erneute Befassung des Landtags mit der jüngst erfolgten Aufteilung des Landtagswahlkreises Köln-Porz anstrengt.
    NB

    Systematik: 1070 Politische Kräfte; 1080 Wahlen

    ID: LIN00516

  • Jäger, Ralf (SPD); Britz, Franz-Josef (CDU); Dr. Wolf, Ingo (FDP); Groth, Ewald (Grüne)
    Bürgerbeteiligung: Einfach und unbürokratisch.
    Interviews mit den kommunalpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 7 - 16.06.2004

    "Mehr Demokratie wagen!" - diese einst von Willy Brandt formulierte Forderung ist auch in NRW nicht ohne Folgen geblieben. Mit der Kommunalverfassungsreform im Jahre 1994 sind direkt-demokratische Beteiligungsformen wie das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid in die Gemeindeordnung aufgenommen worden. Heute - zehn Jahre danach - ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Landtag intern sprach mit den kommunalpolitischen Sprechern des Landtags: Ralf Jäger (SPD), Franz-Josef Britz (CDU), Dr. Ingo Wolf (FDP) und Ewald Groth (GRÜNE).

    Direkte Demokratie in NRW wagen. Führt das zu Kompetenzverlusten des Landtags?

    Jäger: Nein, natürlich nicht. Der Wunsch ist da, mehr plebiszitäre Elemente in die Entscheidungsprozesse zu integrieren. Nehmen wir das Beispiel Jugendfördergesetz: Hier ist eine breite Bewegung erkennbar gewesen, die sich auch auf den Landtag ausgewirkt hat. Die Volksinitiative zu diesem Thema hat gezeigt, dass ein Parlament auf so eine Bewegung reagiert, sich mit dem Thema erneut befasst und zum Teil - wie bei dem erwähnten Beispiel - auch zu neuen Ergebnissen kommt. So werden wir noch vor der Sommerpause einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen, der eine Stabilisierung der Finanzen bei der Jugendarbeit vorsieht. Der Vorteil von plebiszitären Elementen liegt auf der Hand: Die Politik erhält Anstöße von außen. Mit Kompetenzverlust hat das nichts zu tun.
    Britz: Ich glaube nicht, dass damit Kompetenzverluste verbunden sind. Ich sehe dadurch eher eine Stärkung der Qualität der Entscheidungen des Landtags gegeben. Das bedeutet, dass wir Politiker in stärkerem Maße auf Themen eingehen müssen, die in der Bevölkerung aktuell diskutiert werden und beispielsweise im Rahmen einer Volksinitiative an den Landtag herangetragen werden. Dadurch steigt die Aktualität dessen, was wir tun. Es steigt aber auch die Verpflichtung, uns mit den Themen auseinanderzusetzen, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen. Die Kompetenz bleibt aber selbstverständlich beim Landtag.
    Dr. Wolf: Ich glaube, dass das nicht der Fall ist. Die repräsentative Demokratie muss natürlich der Ausgangspunkt für unsere politische Arbeit sein. Aber es ist wichtig, in den entscheidenden Punkten der politischen Auseinandersetzung und des politischen Zusammenlebens die Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden zu lassen. Wir erleben das in der aktuellen Diskussion auf europäischer Ebene, wo wir als FDP - wie drei Viertel der Bevölkerung - sagen: Über eine Verfassung in Europa muss abgestimmt werden. Wir haben zudem die Forderung aufgestellt,dass über denBundespräsidenten das Volk direkt bestimmen sollte. Und wir sind der Auffassung, dass man auch auf Landesebene den Bürgerinnen und Bürgern in vielen Punkten mehr Mitspracherechte einräumen sollte. Insgesamt dürfen wir auf den verschiedenen Ebenen durchaus etwas mutiger sein.
    Groth: Das glaube ich nicht. Der wichtigste Teil dieses Bereichs ist sowieso das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene, wo der Landtag überhaupt nicht betroffen ist. Aber auch bei der Volksinitiative oder beim Volksbegehren habe ich nicht den Eindruck, dass wichtige Kompetenzen des Landesparlaments verletzt werden. Im Gegenteil: Ich empfinde es als eine wohltuende und wichtige Ergänzung, dass ein plebiszitäres Element eingeführt oder verstärkt wird. In dem jetzigen Verfahren geht es darum, das Zu-Stande-Kommen einer Volksinitiative deutlich zu erleichtern. Konkret bedeutet das: freie Listensammlung, runter mit den Kosten und weniger Bürokratie.

    Bürgerinnen und Bürger bestimmen mit. Mehr Informationen, weniger Politikverdrossenheit?

    Jäger: Ich bin da immer zwiespältig. Wenn man die Wahlbeteiligung bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden betrachtet, dann stellt man fest, dass sich im Wesentlichen nur diejenigen daran beteiligen, die glauben, in irgendeiner Weise betroffen zu sein, während diejenigen, die das Thema nicht interessiert oder unmittelbar betrifft, sich an solchen Verfahren in der Regel auch nicht beteiligen. Das ist die Schwäche eines Bürgerbegehrens. In dem Fall ist es nicht die Artikulation eines Volkswillens, sondern von Partikularinteressen. Andererseits: Die Tatsache, dass Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, die Politik dazu zu bewegen, sich mit einem bestimmten Sachverhalt erneut auseinanderzusetzen, kann der Politikverdrossenheit entgegenwirken.
    Britz: Das hängt damit zusammen, wie die Sache letztendlich ausgeht. Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden es vielleicht schon als zufrieden stellend, ihre Anliegen auf politischer Ebene einbringen zu können. Der entscheidende Punkt ist jedoch, ob und wieweit das Anliegen umgesetzt werden kann. Hier ist der Landtag gehalten, seine Entscheidungen erneut zu überdenken, den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Rechenschaft abzulegen und gegebenenfalls seine bisherige Haltung zu revidieren. Zudem kommt es entscheidend darauf an, dass die Verfahren einfach und unbürokratisch sind. Wir haben ja bei der jüngsten Volksinitiative zum Thema Jugendarbeit erlebt, dass diese in manchen Bereichen noch viel zu kompliziert sind. Das muss vereinfacht werden.
    Dr. Wolf: Direkte Bürgerbeteiligung ist ein absolut wichtiger Punkt, um Politikverdrossenheit entgegenzutreten. Dabei ist es wichtig, dass auch klar herauskommt, worüber abgestimmt wird. Das heißt, die Thematik muss fassbar sein. Wir erleben ja nicht selten, dass die Beteiligung an Abstimmungen durchaus zu wünschen übrig lässt. Man darf daraus jedoch nicht den Schluss ziehen, dass wir künftig so etwas nicht mehr anbieten. Vielmehr geht es darum, Angebote zu verbessern, Angebote attraktiver zu machen und darum zu werben, dass sich die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich an den Abstimmungen beteiligen. Das ist der richtige Weg.
    Groth: Das ist zu hoffen. Man muss jedoch darauf achten, dass plebiszitäre Instrumente nicht wieder zu neuer Verdrossenheit führen. Ein Beispiel ist der Kostendeckungsvorschlag: Der führt vielfach dazu, dass Bürgerentscheide vom Rat gar nicht erst zugelassen werden. Das muss man abschaffen. Denn das ist eine Hürde, die Bürgerinnen und Bürger oftmals gar nicht nehmen können, weil ihnen dafür die nötigen Kenntnisse fehlen. Andere Gemeindeordnungen in der Bundesrepublik - zum Beispiel in Bayern - kennen so etwas auch nicht. Hier haben wir uns aber bislang noch nicht durchsetzen können. Rot-Grün ist jedoch im Begriff, eine neue Verordnung auf den Weg zu bringen: Da wird erstens drinstehen, dass künftig alle Bürgerinnen und Bürger schriftlich über anstehende Bürgerentscheide informiert werden. Zum zweiten wird es die Möglichkeit zur schriftlichen Abstimmung geben, so dass auch Alte, Kranke und Behinderte mitentscheiden können. Drittens wird eine Mindestzahl von Wahllokalen vorgeschrieben und viertens wird die Gemeinde verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger über den abzustimmenden Gegenstand inhaltlich aufzuklären. Das sind vier wichtige Punkte, die den Bürgerentscheid nochmals aufpeppen werden.

    In welchen Bereichen sollen die Menschen in NRW künftig mitentscheiden und wo nicht?

    Jäger: Grenzen muss es da geben, wo Partikularinteressen artikuliert werden, aber das Gemeinwohl tangiert ist. Erstes Beispiel: Wenn es um die Finanzierbarkeit von Vorhaben geht. Bürgerbegehren müssen da Grenzen finden, wo in das Haushaltsrechts des Parlaments beziehungsweise des Rats eingegriffen wird und wo diejenigen, die ein bestimmtes Anliegen verfolgen, nicht artikulieren können, wie es zu finanzieren ist. Das Zweite ist der Bereich Planungsverfahren: Über einen Autobahnbau, der beispielsweise die Stadt Duisburg tangiert, kann nicht nur in Duisburg in Form eines Bürgerbegehrens abgestimmt werden. Hierbei geht es gleichzeitig um Gemeinwohlinteressen wie Mobilität, Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes oder Erschließung von Randgebieten zur Großstadt hin. Auch bei solch übergeordneten Interessen muss ein Bürgerbegehren wiederum seine Grenzen finden.
    Britz: Bisher haben wir über Möglichkeiten gesprochen, Themen zu benennen und zur Diskussion anzuregen. Der andere Strang der Mitentscheidung existiert ja mit dem Volksbegehren und dem Volksentscheid ohnehin, auch wenn in NRW selten bzw. gar nicht davon Gebrauch gemacht worden ist. Diese Instrumente sollte man auch nicht inflationär anwenden. Bei vielen Themen reicht es schon aus, dass der Landtag sich nochmals damit befasst. Dann gibt es Themen, wo es sich anbietet, die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung bis zur letzten Stufe - dem Volksentscheid - zu nutzen. Allein die Androhung von Volksentscheiden hat ja oftmals schon zu Veränderungen der Politik geführt. Gleiches gilt für Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene, die häufig gar nicht erst den Weg zum Bürgerentscheid finden, weil die Politik auf die Forderungen bereits eingegangen ist. Das Bürgerbegehren hat also eine Präventivwirkung. Insgesamt halte ich viel von Anregungen und offener Diskussion. Aber es gibt Themen wie zum Beispiel aus dem Bereich Haushalt und Finanzen, wo direkte Bürgerbeteiligung ihre Grenzen finden sollte.
    Dr. Wolf: Vor allem auf kommunaler Ebene muss es mehr Bürgerbeteiligung geben. Deshalb streben wir Liberale insbesondere beim Bürgerbegehren eine thematische Erweiterung an. Das war auch Teil unseres Gesetzentwurfes zur Änderung der Gemeindeordnung, der leider abgelehnt worden ist. Demnach sollte unter anderem über Bebauungspläne mitbestimmt werden können. Das ist ja etwas, was die Bürgerinnen und Bürger ganz hautnah berührt, wenn in ihrer Kommune festgelegt wird, in welcher Art und Weise die Bebauung ihres Umfelds erfolgen soll. Auch über mögliche Gebietsänderungen, wie etwa Zusammenschlüsse zwischen Kommunen und Kreisen, sollten die Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden. So etwas muss von der Bevölkerung letztendlich mitgetragen werden. Andererseits ist völlig klar, dass es immer Bereiche wie die Finanzhoheit der Parlamente geben wird, die auch weiterhin nicht zur Diskussion stehen. Das ist selbstverständlich und unstreitig repräsentative Demokratie pur.
    Groth: Sicherlich werden sie nicht bei der endgültigen Haushaltsaufstellung in der Kommune mitentscheiden. Das muss weiterhin den Repräsentanten vorbehalten bleiben. Wobei wir in NRW auch in dem Bereich bereits Schritte hin zu mehr Bürgerbeteiligung gemacht haben - nicht bei der Beschlussfassung, sondern beim Aufstellungsverfahren. Es gibt ein Modellprojekt, wo es um den so genannten "Bürgerhaushalt" geht. Aber auch in anderen Bereichen, wie bei der Bauleitplanung, halte ich eine direkte Bürgerbeteiligung für wünschenswert.

    Die Gespräche führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer

    Systematik: 1070 Politische Kräfte; 1080 Wahlen; 1230 Kommunale Angelegenheiten

    ID: LIN00517

  • Europa: Was sonst!
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 6 - 12.05.2004

    Schleckermäuler wissen schon längst, dass die Osterweiterung der Europäischen Union eine kulinarische Offenbarung ist: Szegediner Gulasch aus Ungarn besitzt die nötige Schärfe, Piroggi aus Polen duften deftig.Vitaminbomben sind die säuerlichen Moosbeeren aus Lettland, der Käsestrudel aus Slowenien verlangt nach süßer Sahne, der gegrillte Schafskäse aus Zypern macht dem italienischen Parmesan Konkurrenz. Die slowakischen Würste Ponitran und Cedron sind reine Bioprodukte, die maltesischen Erdbeeren verlangen nach Mascarpone.
    In Estland stärkt man sich mit Kamamehl. Der Renner der Ungarn heißt: Pusztabrot und Höllenwurst. Und die Litauer essen an allen Festtagen Baumkuchen. Wem jetzt nicht das Wasser im Munde zusammen läuft, dem kann in Europa nicht geholfen werden. Die Reise geht gen Osten. Schon das nordrhein-westfälische Kabinett hat den 1. Mai, das historische Datum der EU-Osterweiterung um zehn neue Länder rund um das Düsseldorfer Stadttor gefeiert. Und viele Menschen aus NRW waren neugierig und testeten sich nicht nur kulinarisch durch die neuen Nachbarstaaten.
    "Es gibt gute Gründe für die Erweiterung" - so nennt die Bundesregierung ihre Kampagne für das neue Europa: vom Gewicht des EU-Binnenmarktes über die Sicherung der Arbeitsplätze bis hin zum leichteren Reisen. Auch in NRW klingen die Stimmen optimistisch. Hört man den Vorsitzenden der Parlamentariergruppen genau zu. Sie werben für die Idee der Zusammenarbeit auf parlamentarischer Ebene und sind auf dem richtigen Weg, die partnerschaftlichen Beziehungen auszubauen.

    Staatsgäste

    Der politische und menschliche Kontakt zwischen den Parlamentariergruppen kommt positiv bei den Nachbarn an: So besuchte der ehemalige slowakische Staatspräsident Rudolf Schuster den Landtag im September 2003. Fünf Abgeordnete des Sejmik der Wojewodschaft Schlesien trafen zum Parlamentarischen Abend "NRW trifft Schlesien" im April 2003 im Landtag ein. Der ehemalige litauische Staatspräsident Vytautas Landsbergis sprach im Oktober 2002 vor NRW-Parlamentariern über die "Baltischen Staaten auf ihrem Weg zurück nach Europa". Auch der estische Präsident Lennert Meri ließ sich den persönlichen Besuch nach NRW nicht nehmen.
    Das Parlament hat sich noch am 25. März mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Investitionen in den neuen Beitrittsstaaten im Rahmen einer Aktuellen Stunde beschäftigt. Die Sorge einiger Politiker: Das die Unternehmen aus NRW lieber ins Ausland flüchten, als vor Ort zu produzieren. Grund für die Aktuelle Stunde war die Ankündigung der Firma Siemens, 10.000 Arbeitsplätze aus NRW nach Osteuropa zu verlegen.
    Natürlich bringt die Erweiterung der EU nicht gleich das Paradies. Es gibt Pessimisten, aber auch viele Optimisten. Europa braucht Zeit.Mit dem 1.Mai hat die Zukunft begonnen. Es geht um Einigkeit und Recht und Freiheit für einen Kontinent. Was sonst!
    SH

    ID: LIN00457

  • "Endlich reisen, wohin ich möchte!"
    In Nordrhein-Westfalen leben 110.000 Menschen aus den neuen EU-Beitrittsländern.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 6 - 12.05.2004

    Europa - Genug gewartet! Blick nach vorn! Zehn neue Länder sind am 1. Mai der Europäischen Union beigetreten. Über jedes Land gibt es Anekdoten: Die Esten sind die wahren Handy-Freaks, die Letten knabbern noch an ihrer Vergangenheit mit den russischen Besatzern, die Litauer sind gläubige Katholiken, die Polen küssen ihren Frauen die Hand, die Zyprioten sind gespalten, die Malteser lieben Schlagermusik, die Tschechen trinken gerne Bier, die Ungarn lieben Operetten, die Slowenen setzen auf Volksentscheide und die Slowaken arbeiten auch sonntags. Doch was haben die zehn neuen Länder mit Nordrhein-Westfalen zu tun. Fakten hat Landtag intern zusammen getragen.
    Als Anita Ozarowski 1972 nach Deutschland einreiste, war sie staatenlos. Die damals 18-Jährige kam als Spätaussiedlerin mit ihren Eltern und zwei Brüdern von Pommern nach Deutschland. Vor allem die Reise im Zug über die Grenze der DDR hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt. "Der Zug wurde verriegelt und die Zollbeamten mit ihren schweren Stiefeln marschierten mit ihren Hunden durch", erinnert sie sich an diesen bedeutenden Moment. Das Geräusch hat sie heute, 32 Jahre danach, ab und zu noch in den Ohren.
    Das Gefühl der Freiheit ist geblieben. "Ich kann einfach nach Polen fahren, wann ich will und muss niemandem darüber Rechenschaft ablegen", sagt Anita Ozarowski, die heute in Duisburg als Dolmetscherin und Sekretärin arbeitet. Seit dem Beitritt Polens zur EU öffnen sich für sie jedoch viele weitere Türen.
    Insgesamt leben 110.000 Menschen aus den zehn neuen EU-Beitrittsländern in Nordrhein- Westfalen. Die meisten von ihnen stammen aus Polen (85.500). Rund ein Fünftel (22.239) der hier Lebenden hat eine Arbeitsstelle; davon arbeiten 2.650 im Bereich der Landwirtschaft, 2.604 sind in Dienstleistungsberufen tätig und weitere 2.146 im Bereich Verwaltung und Büro, hat das Landesarbeitsamt ausgerechnet. Zudem meldet die Handwerkskammer NRW 147 registrierte Betriebe, die einen Chef aus den neuen EU-Staaten haben. 81 der Betriebe sind im Bau- und Ausbauhandwerk gemeldet. Auffällig dabei: 83 Prozent der Unternehmer sind nicht im Besitz eines Meisterbriefes.
    Einer von ihnen ist Daniel Gasparic. Vor einem Jahr gründete der in Deutschland geborene Slowene seine eigene Firma in Kamp- Lintfort, einen Kabelverlegerbetrieb. Dass er keinen Meisterbrief hat, macht die Arbeit für ihn teilweise schwierig. "Ich darf zwar die Kabel verlegen, aber nicht anschließen", erzählt Gasparic, der gerne einen Elektrobetrieb gründen würde: "Ich hoffe, dass sich Deutschland im Zuge der EU-Erweiterung ein Beispiel an anderen EU-Ländern nimmt und die Gesetze bezüglich der Meisterbetriebe etwas lockert."
    NRW-Wirtschaftsminister Harald Schartau (SPD) sieht in der EU-Osterweiterung vor allem Chancen für die Wirtschaft im Land: "Von dem erweiterten Binnenmarkt werden positive Impulse für mehr Wirtschaftswachstum und neue Beschäftigung ausgehen, und zwar nicht nur in den Beitrittsländern, sondern auch in NRW." Allein von 1998 bis 2003 seien die Ausfuhren von NRW in die Beitrittsländer von 7 Milliarden Euro um 40 Prozent auf rund 9,8 Milliarden Euro gestiegen. Die wichtigsten Exportgüter sind dabei Maschinen, Kraftfahrzeuge, Kraftfahrzeugteile sowie Eisen-, Metallund Stahlerzeugnisse. Die Importe NRWs aus diesen Ländern liegen etwa auf dem gleichen Niveau. Die enge Verbindung des Landes mit den neuen EU-Beitrittsstaaten zeigt sich auch anhand der Anzahl der Direktinvestitionen nordrhein-westfälischer Unternehmen in den neuen Märkten. Die wichtigsten Zielländer sind hier Polen, Ungarn und die Tschechische Republik. Nach einer von der Landesregierung durchgeführten Unternehmensbefragung im Herbst 2003 engagieren sich bislang 16 Prozent der nordrhein-westfälischen Firmen in Mittel- und Osteuropa. Führend ist das produzierende Gewerbe, gefolgt vom Handel. Ein Viertel der befragten Firmen erwartet, dass sie durch die Erweiterung der EU ihre Exporte in die neuen Mitgliedsländer weiter steigern können.
    Düsteren Prognosen einer verstärkten Abwanderung von Unternehmen in den Osten erteilt das Wirtschaftsministerium eine deutliche Absage. Neue Arbeitsplätze, die NRW-Unternehmen in den Beitrittsländern schaffen, führten nicht zwangsläufig zu Arbeitsplatzverlusten bei uns. Im Gegenteil, indem NRW-Firmen die Kostenvorteile nutzen, neue Märkte erschließen, sich an Absatz- und Produktionsunternehmen beteiligen und in Forschung und Entwicklung enger kooperieren, würden sie auf lange Sicht ihre Konkurrenzfähigkeit im globalen Wettbewerb stärken, ist der Minister überzeugt.
    Spektakuläre Einzelfälle von Unternehmensverlagerungen, wie jüngst bei Siemens oder Philips schlugen auch im Landtag Alarm. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde "Letzte Ausfahrt Ausland: NRW muss drohender Deindustrialisierung wirksam begegnen", wurde Ende März das Problem im Plenum diskutiert. Auf Antrag der CDU kam die Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung. Die Befürchtung: dass Produktionen u.a. von Siemens aus NRW nach Ungarn verlagert werden sollen. Dabei geht es um 2.000 Arbeitsplätze, die in Nordrhein- Westfalen gefährdet sind.

    Parlamentsdebatten

    Immer wieder beschäftigte sich das Landesparlament mit der EU: Mit der aktiven Mitgestaltung Nordrhein-Westfalens an der Reform der europäischen Struktur- und Regionalpolitik setzte sich der Landtag bereits im Dezember 1996 auseinander. Die Beteiligung des Landes am EU-Erweiterungsprozess beschloss der Landtag im April 2000. Im Mai 2003 kamen im Rahmen einer Großen Anfrage die Folgen der EU-Erweiterung für Nordrhein- Westfalen auf die Tagesordnung. Dabei ging es um alle Bereiche: von der Wirtschaft über die Rechtspolitik bis hin zum Klimaschutz. Wenn Martin Bartella an Politik denkt, bekommt er ein mulmiges Gefühl im Magen: "Die "Die Wirtschaftslage ist nicht gut. Ich habe jeden Tag Angst, dass ich meinen Arbeitsplatz verlieren könnte." Bartella ist Bergmann, Aufträger im Bergwerk West in Kamp-Lintfort. Der 38-Jährige reiste als 13-jähriger Junge mit seinen Eltern aus Zabrze (Hindenburg) in Polen über Friedland und Unna-Massen nach Moers. Das war im März 1970. "Meine Familie ist deutschstämmig. Ich bin Schlesier", sagt er stolz. Und jeder Mann in der Familie arbeitete im Bergwerk. Sein Vater war Steiger. So fing der Sohn 1982 seine Lehre unter Tage an. Bartella ist einer von zahlreichen Bergmännern, der aus den EU-Osterweiterungsstaaten kommt, eine deutsche Staatsangehörigkeit hat und bei der Deutschen Steinkohle (DSK) arbeitet. Geht man ausschließlich nach der Staatsangehörigkeit, zählt die DSK lediglich fünf Bergmänner aus Polen, vier aus Slowenien, drei aus Ungarn und einen aus Tschechien. Die Freude über die EU-Osterweiterung kann Martin Bartella verstehen: "Das stundenlange Warten an der Grenze zu Polen ist jetzt endlich vorbei." Seine polnischen Freunde freuen sich schon auf den nächsten Besuch.
    Freundschaftliche Kontakte pflegen auch viele Städte in NRW mit den zehn neuen Ländern. Erste zarte Bande wurden zwischen Lünen und Cammin (Pommern) bereits nach Ende des Zweiten Weltkriegs geknüpft, die Städtepartnerschaft wurde dann endgültig am 5. Mai 2000 besiegelt. Duisburg und Vilnius schufen 1985 Fakten. Nächstes Jahr feiert die Ruhrgebietsstadt dann auch 20-jähriges Städtepartnerschaftsjubiläum mit der litauischen Stadt.Wuppertal vertiefte die Kontakte zu Kosice in Slowenien bereits 1980. Insgesamt verbinden Nordrhein-Westfalen 130 freundschaftliche Kontakte und davon 85 Städtepartnerschaften mit den neuen Nachbarn, die meisten mit Polen - insgesamt 56, 14 mit Ungarn.
    Ein reger Austausch existiert auch zwischen den Hochschulen in NRW und den neuen Beitrittsländern. Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung zählte bereits Ende 2002 insgesamt 216 Kooperationen. Allein 107 mit Polen, 42 mit Ungarn und 23 mit Tschechien. Auch auf Schulebene passiert eine Menge: 402 Schulen aus NRW vertiefen ihr Interesse für die neuen EU-Länder mit Partnerschaften. 226 Schulen zieht es nach Polen, 60 nach Ungarn, 28 nach Litauen.
    Für Kosmetikerin Andrea Werner erfüllt sich mit der EU-Osterweiterung ein Traum: "Jetzt kann meine Tochter endlich unbürokratisch nach Deutschland reisen und als Studentin während der Ferien hier jobben." Andrea Werner lebt erst seit knapp einem Jahr in Moers. Dort hat sie ein Kosmetik-Unternehmen und beschäftigt eine Mitarbeiterin. Die 39-Jährige ist der Liebe wegen nach Deutschland gekommen: "Ich habe meinen Mann in Spanien kennen gelernt, dort hatte ich auch ein Kosmetik- Unternehmen. Bis wir heiraten konnten, mussten wir viel Papierkram erledigen." Andrea Werner wurde in dem kleinen Dorf Lucenec in Slowenien in der Nähe der ungarischen Grenze geboren. Dort leben auch ihre Tochter und ihre Tante. Ihre größte Hoffnung, die sie mit der EU-Osterweiterung verbindet: "Weniger Bürokratie."
    Autoren: Nicole Bolz, Katja Goldberg und Stephanie Hajdamowicz

    Tabelle: Zahl der in NRW lebenden Menschen aus den zehn neuen EU-Mitgliedsländern
    Estland 800
    Slowenien 3.650
    Lettland 2.350
    Ungarn 7.200
    Litauen 2.700
    Malta 100
    Polen 85.500
    Zypern 200 S
    lowakei 2.400
    Tschechische Republik (seit 1990) 2.950
    Tschechoslowakei (bis 1989) 2.150
    Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW

    Tabelle: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Staatsangehörigkeiten aus den neuen EU-Beitrittsländern (Land und Anzahl der in NRW Beschäftigten )
    Estland 134
    Slowenien 857
    Lettland 293
    Litauen 402
    Malta 26
    Polen 17.777
    Slowakei 465
    Tschechische Republik (seit 1990) 897
    Tschechoslowakei (bis 1989) 6
    Ungarn 1.345
    Zypern 37
    Quelle: Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit

    Systematik: 1510 Internationale Beziehungen; 1600 Europäische Gemeinschaften/Europäische Union

    ID: LIN00473

  • Dr. Freimuth, Frank (SPD); Söffing, Jan (FDP); Müller, Edith (Grüne)
    "Wir verstehen uns nicht als Missionare".
    Landtag NRW pflegt intensive Kontakte mit fünf EU-Beitrittsländern.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 14-15 in Ausgabe 6 - 12.05.2004

    Mit dem 1. Mai sind zehn neue Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa in das "Haus Europa" eingezogen.Mit fünf dieser Länder unterhält der Landtag intensive Kontakte durch Parlamentariergruppen: Landtag intern sprach mit den Vorsitzenden der Deutsch-Slowakischen, Dr. Frank Freimuth (SPD), der Deutsch-Baltischen, Jan Söffing (FDP), und der Deutsch-Polnischen, Edith Müller (GRÜNE).

    Die EU-Osterweiterung beschleunigt den Aufbau der parlamentarischen Strukturen und der Demokratie in den neuen Beitrittsländern. Was haben die Parlamentariergruppen des Landtags dazu geleistet?

    Dr. Freimuth: Im Rahmen ihrer Möglichkeiten viel. Wir stehen in einem regen Kontakt mit unserem Partnerland. Meine Stellvertreterin im Vorsitz der Parlamentariergruppe, Jutta Appelt, und ich waren noch vor kurzem in der Slowakei. Am Beispiel der deutsch-slowakischen Parlamentariergruppe lässt sich belegen, dass fast alle der ihr angehörenden Abgeordneten vielfältige und direkte Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen des slowakischen Parlaments aufgebaut und sich sehr aktiv für die Aufnahme der Staaten Ostmitteleuropas in die Europäische Union eingesetzt haben.An den Treffen der deutsch-slowakischen Parlamentariergruppe hier im Düsseldorfer Landtag nehmen außerdem zahlreiche kompetente Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten Lebensbereichen teil, die für die engagierte Zusammenarbeit mit der Slowakei stehen. Besonders gefreut hat uns natürlich der Besuch des Staatspräsidenten der slowakischen Republik bei Parlamentspräsident Ulrich Schmidt und uns im vergangenen Jahr.
    Söffing: Neben Wirtschaft und Kultur war auch Politik ein Schwerpunkt unserer Abeit. Wenn man versucht, sich den osteuropäischen Ländern zu nähern, setzt das voraus, dass man sich auch mit der Denkweise der Menschen vertraut macht. Dazu hatten wir uns Politiker aus den Beitrittsländern eingeladen. Zum einen hatten wir Lennert Meri, den ehemaligen estländischen Staatspräsidenten, zu Gast, zum anderen Vytautas Landsbergis, den ehemaligen Staatspräsident aus Litauen. Es war für die Parlamentariergruppe hochinteressant, aus erster Hand zu erfahren, wie die beiden das vorherige Regime, den Umbruch und schließlich auch den demokratischen Neubeginn erlebt haben. Das war überhaupt die Basis dafür, um politische Hilfestellung leisten zu können, auch wenn dies bei einer kleinen Parlamentariergruppe nur sehr beschränkt möglich ist.Wichtig war und ist es für uns, nicht als Missionare aufzutreten, die den Staaten etwas überstülpen wollen. Was für uns selbstverständlich ist, ist nicht automatisch für die Menschen im Baltikum verständlich.
    Müller: Auslöser für die Gründung der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe waren die Verhandlungen über den rot-grünen Koalitionsvertrag im Jahre 2000. Hier tauchte ein Abschnitt über die Intensivierung der Beziehungen zu unserer Partnerregion Schlesien auf. Damals habe ich mir überlegt, die ganze Zusammenarbeit mit Polen kann eigentlich nicht nur als Auftrag der Regierung formuliert werden. Daraus entstand die Idee, das, was die Regierung an Verträgen und Kooperationen mit Schlesien eingeht, parallel auch auf parlamentarischer Seite zu begleiten. Unsere Gruppe tritt bescheiden auf.Wir haben keinen eigenen Etat, wir tagen auch nicht öffentlich. Wir verstehen uns als ein Baustein im großen Netzwerk der deutsch-polnischen Beziehungen. Unsere Aufgabe ist es, für die Idee der deutsch-polnischen Nachbarschaft und Freundschaft und jetzt eben auch für die deutschpolnische Zusammenarbeit in der EU zu werben. Zu diesem Zweck haben wir beispielsweise 2001 auf Einladung des polnischen Auswärtigen Amtes eine Informationsreise mit Stationen in Warschau, Kattowitz und Krakau unternomm- en.

    Welche Aufgaben kommen auf die Parlamentariergruppen in NRW zu?

    Dr. Freimuth: Zum ersten die allgemeine Zielperspektive der europäischen Integration. Die EU Osterweiterung bietet die historische Möglichkeit einer auf Frieden ausgerichteten europäischen Innenpolitik, in der die Vielfalt der Staaten und Kulturen zur Geltung kommt. Die zweite Ebene umfasst vor allem wirtschaftspolitische Kontakte. Die dritte ist die der menschlichen Begegnung und des Aufbaus von persönlichem Vertrauen. Eine gute Basis sind die bestehenden Städte-, Schul- und Unipartnerschaften, die Jugendbegegnungen sowie der Sport- und Kulturaustausch. Wir haben unsere Ziele in einem "Letter of Intent" festgehalten, den wir im Juni gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen im slowakischen Parlament in Bratislava unterzeichnen wollen. Bei der Festigung der noch jungen Demokratie braucht die Slowakei mehr denn je verlässliche Freunde. Sie macht zurzeit eigene Erfahrungen, die aktuell auch für Irritationen sorgen. Ich habe aber keinen Zweifel, dass die demokratischen Strukturen das aushalten.
    Söffing: Dass sich mit der Erweiterung jetzt schlagartig etwas für uns verändert hätte, ist sicherlich nicht der Fall.Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, die wir uns vorgenommen haben. Die Schwerpunkte habe ich bereits genannt. Darüber hinaus ist eine Reise der Parlamentariergruppe ins Baltikum angedacht, um vor Ort unsere Eindrücke, die wir bislang gewonnen haben, mit der Realität abzugleichen
    Müller: Ich gehe davon aus, dass sich für uns nicht sehr viel ändern wird.Wir werden so weiterarbeiten wie bisher. Schließlich haben wir bereits lange vor dem Beitritt Kontakte aufgebaut. Neu ist die Tatsache, dass wir ab jetzt in Brüssel kooperieren können. Am 13. Juni sind Europawahlen. Dann wird es erstmalig auch polnische Abgeordnete im Europaparlament geben. Wir sollten also im Blickfeld haben, dass wir die politische Willensbildung jetzt gemeinsam in Brüssel betreiben können.

    Für den schwedischen Möbelgiganten Ikea ist Polen einer der wichtigsten Produktionsstandorte, Waschmaschinen kommen aus Slowenien, Fertighäuser aus Tschechien. Beflügelt "Made in Osteuropa" jetzt auch den NRW-Markt und damit die NRW-Politik?

    Dr. Freimuth: Ja, auch die nordrheinwestfälische Wirtschaft profitiert. Die slowakische Republik ist für NRW bereits heute ein interessanter Partner. Das wird sich sehr bald noch deutlicher zeigen.
    Söffing: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen NRW und Osteuropa ist traditionell gut geworden in den letzten zehn Jahren. Ich erwarte, dass mit der wirtschaftlichen Prosperität gleichzeitig auch die politische Stabilität in den neuen Beitrittsstaaten wachsen wird. Diesen Prozess müssen wir weiter fördern. Zum anderen ist die Entwicklung dieser Länder für unser Land unheimlich interessant. Beispiel Estland, Stichwort Internet: Hier sind uns die Esten um Lichtjahre voraus. Wir dürfen also nicht so überheblich sein zu glauben, nur wir könnten dem Osten etwas beibringen. Wir können uns andersherum auch eine ganze Menge abgucken. Diese Dynamik und die Aufbruchsstimmung ist etwas, was uns hier in NRW und in ganz Deutschland fehlt.Wenn sich davon etwas auf unsere Gesellschaft übertragen würde, hätten wir schon viel gewonnen. Ich möchte andererseits nicht verhehlen, dass der Druck auf die NRW-Wirtschaft größer werden wird, wenn wir Länder vor der Tür haben, die billiger produzieren als wir. Ich sehe dies jedoch als Herausforderung
    Müller: Die festen wirtschaftlichen Kontakte zwischen NRW und Polen bestehen bereits seit vielen Jahren. Auch für die Wirtschaft ändert sich also fast gar nichts. Der Beitritt war in erster Linie ein historisches Datum und stellt einen Endpunkt nach langjährigen Verhandlungen dar. Wir müssen weiterhin unsere Stärken stärken. Unsere Stärke ist es nun mal nicht, mit billiger Arbeitskraft gute Produkte herzustellen. Das können eher die neuen Beitrittsländer leisten. Ich rate in diesem Zusammenhang zu mehr Gelassenheit. Ich glaube nicht, dass künftig massenweise Arbeitsplätze in NRW verloren gehen, weil verstärkt in Polen produziert wird. Im Gegenteil: Alles, was im Binnenmarkt produziert wird, wirkt sich auch positiv auf unsere Wirtschaft aus. Unhaltbar ist auch die Unterstellung, durch die Erweiterung würden erhebliche Migrationsprozesse in Gang gesetzt.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 1510 Internationale Beziehungen; 1600 Europäische Gemeinschaften/Europäische Union

    ID: LIN00474

  • Kohle Ja! Kohle Nein!
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 5 - 28.04.2004

    Zechenschließungen, Kohlesubventionen, Arbeitsplatzverluste: Düstere Nachrichten. Die deutsche Steinkohle ist zu teuer, weil sie in Tiefen von 1000 Metern gefördert wird. Auf dem Weltmarkt kostet eine Tonne 60 Euro, wird sie hier in NRW ans Tageslicht geholt, summiert sich das auf 130 Euro. Die Differenz wird öffentlich gefördert. Das ist einfach zu viel, zumal die öffentliche Hand kein Geld mehr hat. Wären da bei der Kohlediskussion nicht die ganzen "Aber"!
    Aber Nr. 1:
    Der Steinkohlenbergbau sorgt dafür, dass der Strukturwandel im Ruhrgebiet sanft voranschreiten kann, ohne dass weitere Regionen wirtschaftlich geschwächt werden. Denn an jedem Bergmannsjob hängen noch 1,3 Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie. Jede Zechenstilllegung schafft Probleme.
    Aber Nr. 2:
    Die deutsche Bergbautechnik genießt international einen guten Ruf. Damit wird u.a. in Asien, Lateinamerika und Australien Geld gemacht. Weltweite Marktführerschaft in der Bergbautechnik wird angestrebt. 800 Millionen Euro Umsatz - 80 Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Bergbauzulieferer - werden von 200 mittelständischen Unternehmen mit 15.000 Beschäftigten in NRW gemacht.
    Aber Nr. 3:
    Stromausfälle haben gezeigt, wie abhängig Länder von Energieimporten sind. Zehn Prozent der deutschen Stromversorgung kommt aus heimischer Steinkohle. Die Sicherstellung der deutschen Energieversorgung müsste ohne Kohle auf andere Beine gestellt werden.
    Aber Nr. 4:
    Da gibt’s dann noch die Menschen. Über 600.000 waren es Ende der 50-er in Deutschland, die im Steinkohlebergbau malochten. Jetzt sind es 40.000, davon fast 35 000 in NRW. Für 40 Stunden harte Arbeit in Schwindel erregender Tiefe bei über 25 Grad kommen am Monatsende gerade mal 2.000 Euro brutto herum - die Schichtzulagen nicht eingerechnet. Hart verdientes Geld. Heute wird umgeschult, Bergmänner werden in andere Handwerksberufe erfolgreich integriert. Auch der Nachwuchs wird gefördert. Immerhin werden in NRW im Bergbau in vielen Berufen über 2.300 junge Menschen pro Jahr ausgebildet.
    Aber Nr. 5:
    Die Gegner: Angst vor Deichbrüchen unterm Rhein.Verständlich. Der Umweltsensibilität muss Rechnung getragen werden. Doch die Gegner standen hinter der Kohle, als sie 1997 bei der Menschenkette für die Steinkohle mit 250.000 Teilnehmern mitdemonstrierten.Meinungen ändern sich.
    Bleibt nur zu hoffen, dass die geplanten Zechenstilllegungen für NRW kein Bumerang werden. Denn was bringen eingesparte Subventionen (pro Jahr in NRW immerhin 500 Millionen Euro bis 2005), wenn die öffentliche Hand auf der anderen Seite Arbeitsplatzverluste, Konsumeinbußen und Unternehmensabwanderungen hinnehmen müsste.
    SH

    ID: LIN00405

  • Hoffen auf ein Ende der Talfahrt.
    1968/69: Geburtsstunde der Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 5 - 28.04.2004

    1967: Der deutsche Bergbau steckt in der Krise. Bundesregierung, Unternehmer und Gewerkschaften verhandeln über einen möglichen Ausweg - zunächst ergebnislos. Ende 1968 schließlich wird mit der Gründung der Ruhrkohle AG ein Konzept zur Neuordnung des Ruhrbergbaus aus der Taufe gehoben und nicht nur bei den Bergleuten kommt Hoffnung auf ein Ende der Talfahrt auf. Mit Beginn des Jahres 1969 fusionieren rund 75 Prozent der Steinkohlestandorte im Revier. Doch Strukturwandel und Subventionsabbau gehen weiter. 1998 tritt die Deutsche Steinkohle AG (DSK) die Nachfolge der Ruhrkohle AG an. Sie ist eine 100-prozentige Tochter des international agierenden Multikonzerns "RAG Aktiengesellschaft". Die DSK betreibt heute noch zehn Bergwerke und eine Kokerei in Deutschland.
    Durch billige Importkohle, preisgünstiges Erdöl und verringerten Einsatz bei Strom- und Stahlerzeugung hatten sich in den 60-er Jahren die Probleme des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet zugespitzt. Erklärtes Ziel der in Bonn regierenden Großen Koalition war eine geordnete Rückführung der Bergbaukapazitäten. Zu diesem Zweck trat Mai 1968 das Kohlegesetz in Kraft. Auf seiner Basis folgte im November des Jahres die Gründung der Ruhrkohle AG. Am 18. Juli 1969 unterzeichneten die Bergbaugesellschaften, die Bundesrepublik Deutschland und die Ruhrkohle AG den Grundvertrag. Jetzt hatte es die öffentliche Hand nicht mehr mit einer Vielzahl von Zecheneigentümern, sondern mit einem Unternehmen, der Ruhrkohle AG, zu tun. Das erleichterte wesentlich den gegenseitigen Umgang miteinander.
    Auch im nordrhein-westfälischen Landtag rückte die Diskussion über die Schaffung einer Einheitsgesellschaft ins Zentrum zahlreicher Debatten. Haushaltsberatung, Herbst 1968: Dr. Heinz Lang (FDP) sprach von den "unbezweifelbaren Vorteilen" einer Einheitsgesellschaft und nannte die Idee einen "Meilenstein in der Geschichte des deutschen Steinkohlenbergbaus". Auch Dr. Wilhelm Lenz (CDU) bezeichnete die Gründung der Einheitsgesellschaft als "entscheidenden Durchbruch zu Gunsten der weiteren Entwicklung im Ruhrgebiet".
    Juni 1969: Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) legte dem Landtag ein "Abkommen über die Beteiligung des Landes NRW an den zur Förderung des Zusammenschlusses der Bergbauunternehmen des Steinkohlenbergbaugebiets Ruhr zu einer Gesamtgesellschaft gewährenden Leistungen" (Drs. 06/1310) vor. In der Begründung hierzu hieß es: "Die seit mehr als zehn Jahre anhaltenden strukturellen Schwierigkeiten des Steinkohlebergbaus haben erkennen lassen, dass eine Neuordnung seiner Unternehmensstruktur unerlässliche Voraussetzung für eine nachhaltige Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit ist."
    In der Plenardebatte über das Abkommen am 10. Juni 1969 sagte WirtschaftsministerDr. Fritz Kassmann (SPD): "Die vorgesehene Zusammenfassung des Ruhrbergbaus in der Ruhrkohle AG ist und bleibt die notwendige Voraussetzung, um die Produktionskapazitäten des Steinkohlenbergbaus auf die energiewirtschaftliche Entwicklung auszurichten, um die Förderung auf die leistungsfähigsten Zechen zu verlagern und um endlich auch den Arbeitsplatz des Bergarbeiters und seine soziale Stellung zu sichern."

    Soziale Sicherheit

    Auch im Hauptausschuss erklärten alle Fraktionen einmütig ihre Zustimmung zu dem Abkommen. Als Berichterstatter stellte Rudolf Nickels (CDU) dem Plenum Anfang Juli desselben Jahres das Beratungsergebnis vor: "Der Hauptausschuss hat das Abkommen im Hinblick auf seine erhebliche energiepolitische Bedeutung und auf Grund der Tatsache, dass dieses Abkommen der Gründung der Ruhrkohle AG eine wesentliche Verbesserung der Lage im Ruhrgebiet bedeutet und große soziale Sicherheit für die im Bergbau tätigen Menschen bringt, einstimmig gebilligt." Dieses Ergebnis wurde auch bei der abschließenden Abstimmung im Parlament bestätigt.
    Doch verlassen wir das Jahr 1969: Die damalige Gründung der Ruhrkohle AG konnte und sollte den Strukturwandel im Steinkohlenbergbau nicht aufhalten, sondern in geordnete Bahnen lenken. Die Zahl der Zechen sank stetig. Zwei weitere Stilllegungen sind bereits für 2006 und 2007 beschlossen. Allein seit 1990 sind die Jahresproduktion um über 60 Prozent zurückgeführt und über 67 Prozentder Arbeitsplätze abgebaut worden. Aufgrund der Steinkohlesubventionen konnte dieser Strukturwandel bislang ohne wirtschaftliche und soziale Brüche vollzogen werden, obgleich die öffentlichen Hilfen von 1998 bis 2005 nahezu halbiert wurden - von zunächst fünf Milliarden auf dann noch 2,7 Milliarden Euro. Sie sollen auch weiter gekürzt werden. Gleichzeitig haben die Subventionen aber auch bewirkt, dass überhaupt noch Steinkohlenbergbau in Deutschland betrieben werden kann.
    ax

    Bildunterschrift:
    Steinkohlestandorte in Deutschland

    Systematik: 2200 Bergbau/Bodenschätze

    ID: LIN00418

  • Dr. Linssen, Helmut (CDU)
    "Die Verträge sind einzuhalten".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12 in Ausgabe 5 - 28.04.2004

    2005 läuft der 1997 geschlossene Kohlekompromiss aus. Zwar hat der Bundeskanzler zugesagt, die Steinkohle von 2006 bis 2012 mit weiteren 16 Milliarden zu unterstützen, eine klare Finanzierungsregelung über die Beihilfen ab 2006 gibt es jedoch bislang nicht. Was das für die Steinkohle in NRW bedeutet, darüber sprach Landtag intern mit dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses Dr. Helmut Linssen (CDU).

    Hat der Steinkohlenbergbau auch in Zukunft noch eine Perspektive in NRW?

    Aus dem Kohlekompromiss von 1997 gibt es eine klare Zusicherung bis zum Jahre 2005. Die Verträge sind einzuhalten. Dazu haben sich auch drei der vier Fraktionen im Landtag bekannt. Zudem gibt es eine verbale Zusage des Kanzlers bis 2012 und für einen Sockelbergbau darüber hinaus. Finanziell gibt es jedoch nur eine Zusicherung bis zum Jahre 2008, und das auch nur dann, wenn der Haushaltsvorbehalt beseitigt wird. Da ein Unternehmen wie die Deutsche Steinkohle sehr langfristig planen muss, ist damit eine Zukunftssicherung durch diese Zusagen der Regierungen in Berlin und Düsseldorf aus meiner Sicht nicht gegeben. Der Streit geht ja darum, ob es ein sozialverträgliches Auslaufen des Bergbaus mit einem fest terminierten Ende geben soll, oder ob sich die Bundesrepublik aus Energiesicherheitsgründen das Fördern auf einem Sockelniveau von 16 Millionen Tonnen - so der Vorschlag des Kanzlers Schröder - leisten soll und kann.
    Die meisten Experten sind der Meinung, dass aus Energiesicherheitsgründen so etwas nicht erforderlich ist, denn diese 16 Millionen Tonnen sind ein so geringer Anteil am Primärenergieverbrauch, dass damit eine Sicherheit nicht zu gewährleisten ist. Zudem bleibt die Frage, ob wir in NRW für die Existenz von Kraftwerken auf Steinkohlebasis eigene Kohle fördern müssen, oder ob sich die Kraftwerkstandorte an die Küste verlagern, um importierte Steinkohle zu verbrennen. Ich glaube, dass wir mit Standorten an der Rheinschiene und der Anlieferung von Importkohle aus Rotterdam auch weiterhin gute Chancen für die Existen von vielen Kraftwerken in NRW haben. Ein weiteres Element in der Frage nach Perspektiven für die Steinkohle in NRW ist die Haltung der EU. Aus ihrer Sicht wird es 2006 eine Überprüfung, ein so genanntes Monitoring, geben. Ich glaube daher, dass wir die Frage einer Kohleförderung über das Jahr 2012 hinaus erst dann abschließend und seriös beantworten können, wenn die Ergebnisse dieses Monitorings vorliegen.

    Koks- und Kokskohle-Preise sind stark angestiegen. Ein Großteil des Bedarfs wird nach Deutschland importiert. Gibt es daher Gründe, die heimische Kohle landesweit wieder stärker zu fördern?

    Die momentane Kokskohleproblematik ist sicherlich kein ausschlaggebender Grund, weiter Kohle in Deutschland zu fördern. Wir haben einfach zu wenige Kokereien auf der Welt, um den Bedarf insbesondere von China zu decken. Das hat aber nichts mit der Frage einheimische oder importierte Steinkohle zu tun.

    Bergbautechnik und Kraftwerkstechnologie sind in NRW ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Welche Entwicklungschancen sehen Sie in diesen Bereichen?

    Ich sehe hier gute Entwicklungspotentiale. Ich glaube, dass wir auf dem Weltmarkt eine hervorragende Position eingenommen haben und auch dauerhaft weiter Exporteur für diese Bergbautechnik sind und sein sollten. Schließlich werden die weltweite Kohleproduktion und der Kohleverbrauch auch in den nächsten Jahren weiter steigen. Um auf die Frage nach der Zukunft der Steinkohle in NRW zurück zu kommen: In diesem Zusammenhang wird oftmals das Argument vorgebracht, man könne nur dann Bergbautechnik exportieren, wenn man die Praktizierung von Bergbautechnik in eigenen Bergwerken aufrechterhalte. Das ist in einer globalisierten Welt aus meiner Sicht kein wirklich begründendes Element für das Weiterführen von Schachtanlagen. Entscheidend wird sicherlich auch die Antwort auf die Frage sein: Können wir bis 2012 eine Branche mit fast 17 Milliarden Euro subventionieren und gleichzeitig Kahlschlag in vielen sozialen Bereichen herbeiführen?

    Systematik: 2200 Bergbau/Bodenschätze

    ID: LIN00419

  • Budschun, Peter (SPD)
    "Unfallvorbeugung ist eine ständige Aufgabe".
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 13 in Ausgabe 5 - 28.04.2004

    Die Unfallzahlen im nordrhein-westfälischen Steinkohlenbergbau sinken kontinuierlich und haben im Jahre 2003 einen neuen Tiefstand erreicht. Eine Entwicklung, die zuversichtlich stimmt. Ist der Ausschuss für Grubensicherheit des Landtags NRW daher nicht mittlerweile zu einer verzichtbaren Einrichtung geworden? Landtag intern im Gespräch mit dem Ausschussvorsitzenden Peter Budschun (SPD).

    Der Bergbau ist so sicher wie noch nie, die Unfallzahlen sinken kontinuierlich. Was hat sich in den vergangenen Jahren in Sachen Sicherheit verbessert? Und wo muss noch weiter dran gearbeitet werden?

    Grundsätzlich sind die gesunkenen Unfallzahlen erfreulich. Als ich noch aktiv im Steinkohlenbergbau tätig war, hatten wir ganz andere Unfall- und Opferzahlen zu beklagen. Grund für diese positive Entwicklung ist zum einen natürlich der Fortschritt in der Bergbautechnologie. Zum anderen haben Sicherheit und Unfallschutz in den Betrieben einen ganz anderen Stellenwert bekommen.Mitbestimmungsvertreter und Betriebsrat arbeiten heutzutage eng zusammen, um die Sicherheitsvorkehrungen in den Betrieben so hoch wie möglich zu halten. Festzuhalten bleibt: Bei den Unfallzahlen kann der Bergbau mittlerweile mit der übrigen gewerblichen Wirtschaft mithalten, in einigen Bereichen steht er sogar besser da. Was uns Sorgen bereitet, sind die so genannten Wegeunfälle, also die Unfälle auf dem Weg zum Arbeitsplatz. Davon sind überwiegend junge Bergleute betroffen, was sicherlich damit zusammenhängt, dass die Verkehrsrisikobereitschaft bei jungen Menschen höher ist. Die Unfälle, die am häufigsten im Bergbau selbst vorkommen, sind ebenfalls die Wegeunfälle, also die Transportunfälle innerhalb des Zechengeländes. Hier muss auch in Zukunft noch etwas geschehen, um das Unfallrisiko weiter zu minimieren.

    50 Jahre Grubenausschuss im Landtag! Was gibt es für die Zukunft noch zu tun?

    Wichtiges Ziel wird es sein, das derzeitige Niveau zu halten. Wir dürfen also in unseren Bemühungen um Arbeitsschutz und Grubensicherheit nicht nachlassen. Wenn wir dass tun, würden die Unfallzahlen wieder steigen. Darüber hinaus müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der Bergbau bis heute schwierige Arbeitsbedingungen mit sich bringt, die im Grunde genommen mit keiner anderen Sparte vergleichbar sind. Trotz allen Fortschritts ist nicht vollkommen auszuschließen, dass es auch im modernen Bergbau zu größeren Grubenunfällen kommen könnte. Von daher ist die Vorbeugung solcher Unfälle eine ständige Aufgabe. Und ich glaube, dass der Ausschuss mit seinen intensiven Kontakten zu den Gewerkschaften, zur Bergbehörde, zur Berufsgenossenschaft und zu den Unternehmensleitungen hierfür unerlässlich ist.

    Sicherheitstechnik im Bergbau als Exportschlager? Welche Rolle spielt dabei NRW und was kommt durch die EU-Osterweiterung auf den Ausschuss zu?

    NRW nimmt im Export von Sicherheitstechnik eine Vorreiterrolle ein. Das ergibt sich allein schon daraus, dass wir das stärkste Kohle fördernde Land in Deutschland sind. Zudem ist in NRW sehr viel Geld in entsprechende Forschungsprogramme geflossen. Grundsätzlich sollte der Export sowie die Vermittlung und Beratung anderer EU-Staaten nicht nur den Fachbehörden überlassen bleiben, sondern auch politisch begleitet werden. Der Ausschuss denkt derzeit darüber nach, sein Aufgabengebiet in diese Richtung zu erweitern, auch wenn das bislang noch nicht in den politischen Gremien des Landtags diskutiert worden ist. So könnte der Ausschuss für Grubensicherheit mit seinen jahrelangen Erfahrungen im Bergbau - salopp gesagt - Amtshilfe in den neuen EU-Staaten leisten. Dieser Vorschlag wurde von den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen sehr positiv aufgenommen.

    Systematik: 2200 Bergbau/Bodenschätze; 2450 Arbeitsbedingungen

    ID: LIN00420

  • Mit Vollgas zur Kulturhauptstadt.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 4 - 24.03.2004

    2010 ist es soweit. Dann wird Deutschland eine Kulturhauptstadt Europas stellen. Diesen Adelstitel der Europäischen Union für eine nordrhein- westfälische Stadt erringen zu können, beflügelt die Landtagsabgeordneten, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen. Für NRW ins Rennen gehen Essen, Köln und Münster.Wer von den Städten auserkoren wird, in den Bewerbungsmarathon einzusteigen, bestimmt Kulturminister Vesper am 30. Juni. Ende September ist der Bundesrat aufgerufen, einen deutschen Finalisten auszuwählen. Bis Ende 2005 gibt die EUKommission den Sieger bekannt.
    Eine Internetumfrage des WDR zeigte, dass das Ruhrgebiet die Nase vorn hat, gefolgt von Köln und Münster. "Think Big" prangt es von Plakaten in Essen. Das Revier denkt in großen Dimensionen bei der Bewerbung um kulturelle Hauptstadtehren. Essen wächst zum Ballungsraum mit vielfältiger Kulturlandschaft zusammen - nach dem Motto "Region lebt Stadt". Wichtig ist bei der Bewerbung, alle Ruhr-Städte unter eine Haube zu bringen. Das Ruhrgebiet hat den Vorzug, dass es Kultur satt gibt. Und Essen hat das renommierte Aalto-Theater, die Zeche Zollverein und die Folkwang-Hochschule.
    Nachhaltigkeit
    "Wir leben das", so lautet das Motto der Kölner. Prominente wie Alice Schwarzer und Anke Engelke werben dafür. Nicht auf Hochglanz, sondern auf Nachhaltigkeit wird gesetzt. Köln kennt man als Stadt der Musik, der Literatur, der Museen und der neuen Medien. Die Stadt hat den Vorteil, dass der Dom längst internationales Wahrzeichen ist. Und eine lebendige freie Kulturszene wird seit Jahren gelebt.
    Münster lebt die europäische Idee.Die westfälische Metropole wirbt mit dem Slogan der "Stadt des Dialogs". Sie steht für Tradition, den westfälischen Frieden, eine lebendige Studentenstadt, das neue Picasso-Museum und für das "Skulptur. Projekte Münster". Der Charme der Stadt ist unumstritten. Der Oberbürgermeister findet, dass die Leistungen in der Geschichte Münsters eine Aussagekraft für Europas Zukunft haben.
    Egal, welche Stadt es wird, gewonnen haben schon alle Bewerber.Denn allein die Tatsache, sich wieder mit der eigenen Kultur zu beschäftigen, gibt wichtige Impulse für die Region, zieht Touristen an, macht sie für Investoren interessant.
    Wenn im Frühsommer eine NRW-Stadt im Wettstreit um die europäische Kulturhauptstadt auserkoren wird, müssen alle an einem Strang ziehen. Der Unterstützung des Landtags kann sich die Kandidatin sicher sein.
    SH

    ID: LIN00299

  • Das Ringen um den "europäischen Adelstitel".
    Der steinige Weg zur Kulturhauptstadt.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 4 - 24.03.2004

    Melina Mercouri - sie hat die Idee der Europäischen Kulturhauptstadt geboren. Auf Initiative der ehemaligen Kulturministerin Griechenlands wurde seit 1985 jedes Jahr einer anderen Stadt der Titel "Kulturhauptstadt Europas" verliehen. Zentraler Gedanke dieses Wettstreits war und ist es, die Völker Europas einander näher zu bringen, die kulturelle Zusammenarbeit zu verbessern und neben dem politischen auch den kulturellen Einigungsprozess zu fördern.
    Die bisherigen Kulturhauptstädte Europas wie Lissabon, Weimar und Porto haben gezeigt, welche Faszination von Stadtkulturen ausgeht und wie sie zum Impulsgeber für die Region, die regionale Wirtschaft, den Einzelhandel, den regionalen Tourismus und vor allem natürlich für die kulturellen Institutionen wurden. Die damit verbundenen Chancen werden vielerorts innerhalb der Europäischen Union (EU) erkannt. Allein in der Bundesrepublik haben sich derzeit 17 Städte von Bremen bis Regensburg um den Status Europas beworben. Bis jedoch Brüssel darüber entscheidet, welche deutsche Stadt letztendlich als Sieger aus diesem Wettbewerb hervorgehen wird, haben die Bewerber noch einige Hürden zu nehmen.
    Bereits 1999 legte die EU die Reihenfolge der Bewerberländer bis zum Jahre 2019 fest. 2010 sollen Deutschland und Ungarn zum Zuge kommen. Zu den Kriterien der Begutachtung zählen unter anderem, dass die Bewerberstadt über eine eigenständige kulturelle Tradition verfügt, dass sie sich touristisch vermarkten kann und dass ihre Einwohner Weltoffenheit repräsentieren.

    Entscheidung

    Zum Verfahren: Bis Ende März haben die Bewerbungsunterlagen der Städte dem jeweils zuständigen Landes-Kulturministerium vorzuliegen. Hier muss bis Ende Juni die Entscheidung fallen, welche Stadt für das jeweilige Land ins Rennen geschickt wird. Die Vorschläge der Bundesländer gehen dann an den Bundesrat. Der wiederum wird seine Empfehlung an die EU weiterleiten. Ende 2005 wird die endgültige Entscheidung fallen.
    ax

    Systematik: 1600 Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; 7100 Kunst/Kultur

    ID: LIN00317

  • Die Hoffnungsträger für Nordrhein-Westfalen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 4 - 24.03.2004

    Die Spannung steigt bei den Bewerbern aus NRW. Spätestens jedoch Mitte Mai, wenn sich NRW-Kulturminister Dr. Michael Vesper (GRÜNE) zusammen mit einer Jury aus Kulturexperten auf Städtereise begibt, um die Bewerbungsunterlagen mit den Eindrücken vor Ort abzugleichen, wird diese Spannung in Nervosität umschlagen. Hoffnung, für NRW ins Rennen geschickt zu werden, machen sich derweil Münster, Essen und Köln. Die Teilnahme Detmolds ist bislang ungewiss. Der Stadtrat wird am 25. März darüber entscheiden. Zu den Bewerbungen:

    Münster
    Münster kann es offenbar kaum erwarten: Als erste der konkurrierenden Städte aus NRW stellte sie bereits in der zweiten Märzwoche ihre komplette Bewerbung der Öffentlichkeit vor. Darin setzt die westfälische Metropole auf ihr Image als "Stadt des Dialogs". Im Vordergrund der gesamten Präsentation steht die Frage "Was ist eigentlich Europa?" Darauf sollen zahlreiche Ausstellungen und Projekte, die sich um drei Themenfelder drehen, Antworten geben: 1. Der Westfälische Frieden 1648 als Markstein der Entwicklung Europas, 2. Das "Skulptur.Projekte Münster" als zeitgenössisch-avantgardistisches Kunstprojekt und 3. Die Bürgerstadt als die Münstertypische bürgerschaftliche Haltung.

    Essen
    Erstmals in der Geschichte des Kulturhauptstadt-Wettbewerbs bewirbt sich eine Stadt stellvertretend für eine ganze Städteregion um den Titel; Essen wird für das gesamte Ruhrgebiet antreten. Das Ruhrgebiet als Ballungsraum bietet eine der vielfältigsten Kulturlandschaften Europas und berge als Städtestadt im Wandel enormes Potential für die Zukunft. Aus dem Leitgedanken "Region lebt Stadt" heraus gliedert sich die Bewerbung in fünf Themenfelder: Region als Stadt der Gäste, der Künste, der Möglichkeiten, des Lernens und der Kulturen. Als Referenzobjekte werden unter anderem das Aalto-Theater, die Alte Synagoge, die Zeche Zollverein und die Folkwang Hochschule hervorgehoben.

    Köln
    "Wir leben das!", so das selbstbewusste Bewerbungsmotto der größten Stadt im Lande. Gemeint ist die europäische Idee, die seit mehr als 2000 Jahren die Geschichte und Entwicklung der Stadt prägt. Die Anzahl der Galerien und Kunsthandlungen, die in der Stadt arbeitenden und lebenden Künstler sowie die vielen städtischen und privaten Museen sind ein deutlicher Beweis für die lebendige und freie Kulturszene. Bereits 2002 hat Köln elf Kooperationen zu verschiedenen kulturellen Sparten (so etwa Kölsches Lebensgefühl, Dom und Karneval, Narren und Heilige) ins Leben gerufen, die als Vorbereitung der Bewerbung dienen sollen. Dabei will man bewusst auf Hochglanz-Events verzichten.

    Systematik: 1600 Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; 7100 Kunst/Kultur

    ID: LIN00318

  • Böcker, Manfred (SPD); Blömer, Richard (CDU); Capune-Kitka, Brigitte (FDP); Keymis, Oliver (Grüne)
    Nachhaltigkeit statt reiner Event-Kultur.
    Landtag intern sprach mit den kulturpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 4 - 24.03.2004

    Eins steht jetzt schon fest: Der Titel "Kulturhauptstadt Europas" wird im Jahre 2010 an eine deutsche Stadt verliehen. Die Konkurrenz unter den 17 Bewerberstädten aus dem gesamten Bundesgebiet ist groß. Mit Münster, Essen und Köln haben sich drei viel versprechende Kandidatinnen beworben. Welche Chancen den NRW-Bewerberinnen im nationalen Vergleich zuzurechnen sind, darüber sprach Landtag intern mit den Sprecherinnen und Sprechern des Kulturausschusses: Manfred Böcker (SPD), Richard Blömer CDU), Brigitte Capune-Kitka (FDP) und Oliver Keymis (GRÜNE).

    Welche Chancen rechnen Sie den Bewerbern aus NRW in der Konkurrenz auf Bundesebene aus?

    Böcker: Ich glaube, dass wir auf der Bundesebene ganz gute Chancen haben, einen der Bewerber aus NRW durchzubekommen. Alle Bewerberstädte bzw. die Region Ruhrgebiet haben sehr viel vorzuweisen. Wichtig werden letztlich jedoch die Programme der einzelnen Bewerber sein. Diese liegen ja derzeit noch nicht in ihrer endgültigen Fassung vor. Wenn wir diese bei unserer Bereisung im Mai vor Ort vorgestellt bekommen, kann man zu diesem Punkt mehr sagen. Nach meinem Empfinden kommt es nicht nur darauf an, aufzulisten, was man an Kultur in der jeweiligen Stadt oder Region vorzuweisen hat. Es ist darüber hinaus wichtig, dass das Programm auf Nachhaltigkeit und nicht nur auf eine reine Event-Kultur setzt. Das haben auch unsere Bereisungen der bisherigen Kulturhauptstädte Europas deutlich gemacht. Als gutes Beispiel hierfür ist die Stadt Graz zu nennen.
    Blömer: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt schlecht sagen. Bei insgesamt 17 Bewerbern in der Bundesrepublik ist das Auswahlverfahren nicht zu steuern und schwierig einzuschätzen. Da fallen unterschiedliche Aspekte wie zum Beispiel die besonderen Eigenarten der Bewerberstädte ins Gewicht. Nehmen wir beispielsweise Görlitz - ein nicht ungefährlicher Gegner - weil Görlitz als Stadt an der Nahtstelle zu Ost- und Mitteleuropa für das neue und größere Europa steht. Darüber hinaus ist es eine Stadt von ausgesprochener kulturhistorischer Bedeutung. Ein anderes Beispiel ist Regensburg: Da wird der politische Einfluss der bayerischen Staatsregierung nicht zu unterschätzen sein. Ich will jedoch die Bewerberstädte im Einzelnen gar nicht benoten. Ich glaube, dass die Konkurrenz zu den Bewerbern aus NRW sehr groß ist. Deshalb müssen wir uns zunächst auf den Auswahlprozess in Nordrhein-Westfalen konzentrieren. Festzuhalten bleibt: Mit Münster, Köln und Essen gehen drei ganz starke Mitbewerber ins Rennen.
    Capune-Kitka: Für NRW wird es sicherlich schwer werden, weil es die Tendenz gibt, dem Osten auf diesem Wege Struktur- und Aufbauhilfe zu geben. Insofern liegt es wirklich an der überzeugenden Präsentation unserer Städte; zudem auch an der Art und Weise, wie das Land hinter der Kommune steht, die sich bewirbt. Ich persönlich bin der Meinung, dass Regionen wie das Ruhrgebiet schlechtere Karten haben. Ich glaube, dass Europa sich auf eine Kulturhauptstadt und nicht auf eine Region festgelegt hat. Den Städten Köln und Münster, die beide auf eine lange Kulturgeschichte zurückblicken können, rechne ich daher schon bessere Chancen aus. Beide Bewerbungskonzepte halte ich für sehr überzeugend. Aber es wird nicht einfach werden, gegen Städte wie beispielsweise Görlitz anzutreten.
    Keymis: Zunächst einmal alle, weil ich davon ausgehe, dass es sich um einen gleichberechtigten Wettbewerb handelt, bei dem alle, die sich mit guten Ideen einbringen, auch Gehör finden. Innerhalb Deutschlands erachte ich die Chancen der nordrhein-westfälischen Bewerberstätte als nicht schlecht. NRW ist ein sehr vielfältiges Kulturland mit einer großen Dichte an bedeutsamen kulturellen Einrichtungen. Von daher kann sich NRW hier sehr selbstbewusst präsentieren.

    Was kann der Landtag dazu beitragen, dass die Kulturhauptstadt im Jahre 2010 wirklich in Nordrhein-Westfalen liegt?

    Böcker: Ich glaube sehr viel. Wenn der Landtag dahinter steht, dann kommt dem eine große Bedeutung zu, weil damit klar wird, dass dies von allen kulturpolitisch gewollt und getragen wird. Ein wichtiger Diskussionspunkt ist in diesem Zusammenhang immer die Frage nach einer finanziellen Unterstützung der Bewerberstädte oder -regionen durch das Land. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Land im Falle eines Falles keine finanziellen Mittel bereitstellen wird. In welcher Höhe, dazu kann man im Moment noch nichts sagen. Das wird vom jeweiligen Programm abhängen. Ich bin der Meinung, dass es gerade für die Internationalität und für das Image des Landes NRW ungeheuer wichtig ist, sich als Kulturhauptstadt Europas zu präsentieren und damit den internationalen Bogen zumindest auf europäischer Ebene zu schlagen.
    Blömer: Zunächst einmal muss der Landtag ein objektives Verfahren garantieren. Die drei Bewerberstädte unterscheiden sich sowohl von ihren Strukturen als auch von den kulturellen Angeboten her. Das damit verbundene bürgerschaftliche Engagement muss strikt neutral anhand der vorgegebenen Zielsetzungen gewichtet werden. Wenn sich das Land auf eine Bewerberstadt festgelegt hat, muss es sowohl ideelle als auch finanzielle Unterstützung im innerdeutschen Auswahlverfahren gewähren. Nach einer erfolgreichen Entscheidung im Bund bzw. in Brüssel bedarf es weiterer finanzieller Hilfen des Landes für die Modernisierung von Strukturen, Stadterneuerungsmaßnahmen, Tourismusförderung sowie Öffentlichkeitsarbeit und Werbung.
    Capune-Kitka:Wir müssen versuchen, auf allen politischen Ebenen unseren Einfluss geltend zu machen. Letztendlich wird ja die landeseigene Jury ihre Empfehlung aussprechen. Inwiefern die Sprecher des Kulturausschusses noch Einfluss auf die Entscheidung ausüben können,wird sich zeigen. Wenn jedoch Minister Vesper und die Jury ihre Entscheidung gefällt haben, dann müssen wir Abgeordnete aktiv werden. Ich werde dann sofort mit meinen NRW-Abgeordneten im Bundestag und Bundesrat in Kontakt treten und versuchen, hier Einfluss auszuüben. Fraglich bleibt jedoch, ob wir es dieses Mal noch schaffen werden, uns gegen die östlichen Bewerberstädte durchsetzen zu können.
    Keymis: Erstens sollte er den Optimismus verbreiten, wie ich ihn verbreite. Das ist schon mal Voraussetzung für alles, was man anpackt. Zweitens kann er faire Rahmenbedingungen mitgestalten, indem er die Diskussion nicht parteipolitisch instrumentalisiert, indem er den Kulturminister gemeinsam in seinem Bemühen stützt, hier wirklich ein ausgeglichenes Verfahren zu entwickeln und indem der Landtag am Ende, wenn man sich auf eine Stadt verständigt hat, diese dann gemeinsam nach vorne trägt. Wir sind ja als Abgeordnete nicht operativ in das Geschäft eingebunden, was sicherlich auch so richtig ist. Wenn wir uns in Nordrhein-Westfalen auf eine Stadt geeinigt haben, wird es sinnvoll sein, Landesmittel zur Verfügung zu stellen und der Stadt bei ihren Bemühungen unter die Arme zu greifen - so, wie man dass ja analog zur Olympiabewerbung auch gemacht hätte.

    Welcher Aufwand kommt auf die Bewerberstädte in NRW zu und was ist der mögliche Gewinn für Stadt und Land?

    Böcker: Zunächst einmal muss sich jede Bewerberstadt darüber im Klaren sein, dass sie erhebliche Eigenmittel wird aufbringen müssen. Sollte sich eine der Bewerberstädte aus NRW tatsächlich durchsetzen können, wird sowohl das Land als auch die jeweilige Stadt von diesem Imagegewinn profitieren können. In jedem Fall werden auch die Bereiche Tourismus und Wirtschaft einen positiven Aufwind erfahren. Unabhängig von dem derzeitigen Bewerbungsverfahren sollte NRW künftig generell mehr Wert darauf legen, die Bereiche Wirtschaft und Kultur stärker zu verzahnen. Leider ist das in NRW nicht so einfach durchzusetzen, da wir kaum landeseigene Kulturinstitute haben.
    Blömer: Der finanzielle Aufwand für die Bewerberstädte wird nicht unbeträchtlich sein, wenn man allein schon an die infrastrukturellen Maßnahmen denkt, die hier geleistet werden müssen. Ein gutes Beispiel ist Salamanca.Hier hat nicht nur das kulturelle Angebot eine Rolle gespielt, sondern man hat diese alte Universitätsstadt in ihren Kernbereichen erneuert und weiterentwickelt. Ein Titelgewinn bietet den Städten natürlich in vielfacher Weise Zukunftschancen: Kongresse, Kulturprogramme locken Touristen in die Stadt. Investoren fühlen sich angesprochen und vor allem: Die Menschen werden für die Kultur begeistert.
    Capune-Kitka: Um Kulturhauptstadt zu werden, muss eine Stadt wahrscheinlich schon mit einem finanziellen Aufwand von rund 50 bis 60 Millionen Euro rechnen. Was den Gewinn betrifft: Den haben die Städte für meine Begriffe jetzt schon, weil für sie Kultur zum Hauptthema wurde, der Bürger sich wieder viel mehr mit der Kultur identifiziert und neue Bündnisse und Netzwerke mit der Wirtschaft geschlossen wurden. Einen Gewinn bringt also allein schon das Bewerbungsverfahren mit sich. Aufgrund dieser positiven Bewegung wird meine Fraktion im April einen Kulturantrag stellen, in dem wir das Land dazu auffordern werden, in Zukunft eine Landeskulturhauptstadt auszurufen. Unserer Meinung nach lassen sich die positiven Signale, die durch das jetzige Bewerbungsverfahren bereits erkennbar sind, auch auf einen landesweiten Wettbewerb übertragen. Ich sehe das als große Chance für unser Land.
    Keymis: Der Aufwand lässt sich pauschal sehr schwer abschätzen. Das hängt immer auch von der jeweiligen Bewerberstadt und deren Konzept ab. Wenn man den Aufwand rein finanziell misst, geht er sicherlich in viele Millionen Euro hinein, die man als Stadt in so ein Projekt einbringen muss. Auf der anderen Seite ist es, glaube ich, entscheidend, dass es der Stadt gelingt, ein Bewusstsein für die Bedeutung von kulturellem Leben zu entwickeln und diese Entwicklung auch nachhaltig und auf Dauer zu gestalten. Aufgabe der Städte wird es sein, auszuprägen und zu signalisieren: Wir haben ein kulturelles Selbstverständnis, Kultur ist für uns Lebenselixier und Basis unseres städtischen Miteinanders. Und wenn man weiß, dass sich im Grunde jeder Euro vervielfacht, den man in die Kultur investiert, dann ist das in jeder Hinsicht eine sinnvolle Investition.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 1600 Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; 7100 Kunst/Kultur

    ID: LIN00319

  • NRW: Eine boomende Tourismusregion.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 3 - 10.03.2004

    Nordrhein-Westfalen bietet viel. In Sachen Städtereisen haben die Besucherinnen und Besucher die große Wahl: von Stadtführungen in Paderborn über Erlebnisspaziergänge durchs historische Münster bis zum Aufstieg auf den Kölner Dom. In Sachen Kultur lockt das Eifelstädtchen Bad Münstereifel mit Touren auf den Spuren eines Eifeler Räubers, andere Orte bieten kulinarische Küchenreisen und Bonn gilt als attraktive Museumsstadt.
    Wer sich lieber sportlich betätigen will, steigt aufs Rad und fährt durch die Niederrhein- Landschaft oder sucht sich die Herausforderung beim Berge bezwingen in der Bike Arena Sauerland. Ebenso gefragt: Auf Schusters Rappen entlang des Rothaarwegs, Schritt für Schritt durchs Bergische Land oder alternativ mit strammen Waden durchs Revier.
    Auch als Sportland zeigt sich NRW von seiner rekordverdächtigen Seite: Hoch zu Ross zu erloschenen Vulkankegeln aufbrechen, mit Paddel und Ruder durchs Ruhrtal skippern oder mal einfach einen Blick in die "Heiligtümer" der modernen Fußballstadien werfen.Wer das Land liebt, bricht zum neuen Nationalpark Eifel auf.

    Gesunde Luft

    Die größte "Teddybärenmesse" der Welt begeistert in Münster, "boot" und "Caravan" ziehen die Gäste nach Düsseldorf und die Essener bieten mit der "Fibo" Neues für Fitnessbegeisterte. Gesunde Luft gibt es an vielen Orten: In Vlotho an der Weser muss keiner Kurtaxe bezahlen. Wer will, kann einfach mal in einem der vielen nordrhein-westfälischen Wellness-Hotels die Seele baumeln lassen.
    Der Reiz von Kohle und Stahl lässt Touristenherzen höher schlagen: Wie beim Übernachten unterm Förderturm auf Zeche Zollverein in Essen, bei der Grubenfahrt auf der Zeche Zollern in Dortmund oder im Duisburger Landschaftspark Nord mal mit den Tauchern ins Kühlbecken steigen. Und zu guter Letzt gibt es da ja auch noch den Rhein. Da ist es so schön, weil sich hier die Touristen mit Rhein in Flammen", romantischen Schiffstouren und auf Party-Booten amüsieren.
    Wenn jetzt noch einer sagt, in Nordrhein- Westfalen kann man keinen Urlaub verbringen, der kennt sein Land überhaupt nicht. Und genau hier liegt das Problem: Der Tourismus steigt zwar zum großen Wirtschaftsfaktor mit vielen Arbeitsplätzen auf, doch so richtig vernetzt sind die Regionen noch nicht. Der Traum vom "Tourismusland NRW" wird erst Stück für Stück zusammen geschmiedet. Attraktionen gibt es genug.
    SH

    ID: LIN00243

  • Mehr Gäste durch Sport und Städtereisen.
    2004 bringt den Aufwärtstrend.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 3 - 10.03.2004

    Der Tourismus ist eine der tragenden Säulen der Wirtschaft in NRW. 45.000 kleine und mittlere Unternehmen mit mehr als 240.000 Beschäftigten engagieren sich in der nordrhein-westfälischen Tourismus-Branche. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern ist es Nordrhein-Westfalen gelungen, sich auch im Jahr 2003 vergleichsweise gut zu behaupten. So gab es nur leichte Rückgänge bei den Gästeankünften von Minus 0,8 Prozent und bei den Übernachtungen von Minus 2,3 Prozent zu verzeichnen. Damit spielt die Branche beim Strukturwandel des Landes weiterhin eine ganz zentrale Rolle.
    Im bundesdeutschen Vergleich liegt NRW bei den Übernachtungszahlen knapp hinter Bayern und Baden-Württemberg. "Nordrhein- Westfalen ist es gelungen, seinen Status als beliebtes Reiseland zu behaupten", kommentierte der für Tourismus zuständige Wirtschaftsminister Harald Schartau (SPD) die neuesten Daten zur Beherbergungsstatistik des Landes. Deutliche Zuwächse verzeichneten die Besucherzahlen aus dem Ausland. Ein Grund sind die Billigfluglinien in NRW, die die Region noch besser an den Rest Europas anbinden. Die Menge der Ankünfte ausländischer Gäste legte um knapp vier Prozent auf 2,6 Millionen zu, die ihrer Übernachtungen um 1,5 Prozent auf knapp sechs Millionen. Insgesamt lag die Zahl der Gästeankünfte in NRW im Jahr 2003 bei rund 14 Millionen. Die Übernachtungen summierten sich auf rund 36 Millionen.

    Schwerpunkte

    Experten erwarten für das Jahr 2004 einen Aufwärtstrend für den Tourismus. Die Prognosen für eine Wende in diesem Jahr scheinen einzutreten, die Urlaubsbuchungen für die Wintersaison 2003/2004 liegen bei fast allen deutschen Reiseveranstaltern im Plus. Trotzdem werde man im Rahmen der Tourismusförderung des Landes das Profil der NRW-Regionen als attraktive Reiseziele weiter stärken. In diesem Jahr stehen rund 1,7 Millionen Euro für die Tourismusförderung im Landeshaushalt bereit.
    Zu den touristischen Schwerpunkten gehören in diesem Jahr der Wassertourismus Nordrhein-Westfalen, der Nationalpark Eifel und auch weiterhin die Städtereisen. Stärker in den Vorjahren wird ab 2004 aber der Sport- Tourismus in Nordrhein-Westfalen in den Mittelpunkt rücken. Als "Generalprobe" für die Fußball- Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland gilt der Confederations-Cup 2005 mit Austragungsstädten in NRW; unter anderem ist Köln mit dabei. Und nicht zu vergessen sind die World- Games im Ruhrgebiet 2005. Das absolute Highlight wird 2006 sein. Dann wird es NRW Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft, die Hockey-WM, die Behinderten-Weltmeisterschaft im Fußball und die Reiter-WM geben.
    Am Beispiel des Ruhrgebiets lässt sich die Entwicklung und Bedeutung des Tourismus NRW besonders gut ablesen. Auch hier hat sich der Tourismus inzwischen zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Seit 1990 hat das Ruhrgebiet rund eine Million Übernachtungen hinzugewonnen, das entspricht einer Steigerung von 28 Prozent. Der durch die Tourismusbranche generierte Umsatz lag 2002 bei 1,3 Milliarden Euro. Daraus resultieren rund 14.000 Vollzeitarbeitsplätze direkt in der Tourismusbranche. Hinzu kommt die große Zahl an Teilzeit-, Saison- und Nebenerwerbstätigen.
    Die erste Phase der Schaffung einer attraktiven touristischen Infrastruktur ist hier abgeschlossen, nun muss die Ausbauphase erfolgen. Das Markenzeichen der Region: Die Route der Industriekultur. Aber auch andere spezifische Themenfelder wie Kultur oder Sport können noch intensiver für den Tourismus beworben und erschlossen werden, wie der Bericht eines Expertenforums im Juli letzten Jahres zeigte. So böten die Ruhr-Triennale oder die Bewerbung des Ruhrgebiets als Europas Kulturhauptstadt 2010 erhebliche touristische Potentiale, heißt es in diesem Bericht. Ein neues Projekt, das das NRW-Wirtschafts- und Arbeitsministerium Anfang März 2004 in Oberhausen vorstellte, ist das Ruhrgebietskabarett. Das soll künftig als ein neues touristisches Angebot Touristen ins Ruhrgebiet locken und wird jetzt erstmals im breiten Umfang vermarktet.
    NB

    Bildunterschriften:
    Auch der "neue" Tourismus in NRW braucht sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen: Nächtliche Beleuchtung des alten Stahlwerks Duisburg-Meiderich. Es war von 1903 bis 1985 in Betrieb. Das Hüttengelände verwandelte sich in einen Landschaftspark.
    Ein "Leuchtturm" des Tourismus seit mehr als einem Jahrhundert - der Kölner Dom, Wahrzeichen am Rhein. Wer die international gemischten Besucher auf der Domplatte anschaut weiß, dass der Dom über die Jahre nichts von seiner Strahlkraft verloren hat.

    Systematik: 7400 Freizeit

    ID: LIN00257

  • Gießelmann, Helga (SPD); Weisbrich, Christian (CDU); Dr. Papke, Gerhard (FDP); Sagel, Rüdiger (Grüne)
    "Wir brauchen uns in NRW nicht zu verstecken".
    Abgeordnete des Wirtschaftsausschusses sprachen mit Landtag intern.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 3 - 10.03.2004

    Übermorgen öffnet die Internationale Tourismus-Börse (ITB) in Berlin ihre Pforten. Auch das Land Nordrhein-Westfalen wird wieder ein Anziehungspunkt für Touristen aus der ganzen Welt sein und an zahlreichen Ständen für seine vielfältigen Attraktionen und abwechslungsreichen Landschaften werben. Über die Bedeutung der Tourismusbranche für die nordrhein-westfälische Wirtschaft sprach Landtag intern mit den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses: Helga Gießelmann (SPD), Christian Weisbrich (CDU), Dr. Gerhard Papke (FDP) und Rüdiger Sagel (GRÜNE).

    Welchen Stellenwert nimmt der Tourismus als Wirtschafts- und Standortfaktor in NRW ein?

    Gießelmann: Einen ganz großen.Wir haben in NRW in dieser Branche gut 240.000 Beschäftigte in 45.000 überwiegend mittelständisch organisierten Betrieben. Diese erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund elf Milliarden Euro. Damit steht der Tourismus bei den Beschäftigungszahlen an dritter Stelle aller Branchen in NRW. In der Vergangenheit hat sich der Landtag immer wieder dafür stark gemacht, diese Entwicklung voranzutreiben. So haben wir beispielsweise als Delegation mehrfach die Tourismusbörse in Berlin besucht, haben auf die Entwicklung der Verbandsstrukturen Wert gelegt, die sich mittlerweile modernisiert und gestrafft haben, und wir sind politisch mitvertreten im NRW Tourismus e.V., wo wir uns in einem Beirat mit den Verbänden und den Unternehmensvertretern austauschen. Man kann also sagen: Der Tourismus wird von uns als Wirtschaftsfaktor sehr ernst genommen.
    Weisbrich: Der Tourismus ist eine feste Größe in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft. Nach der Medienwirtschaft, aber weit vor Kohle, Stahl oder Chemie, ist die Tourismusbranche mit mehr als 240.000 Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber im Land. Zum Fremdenverkehrsgewerbe zählen in Nordrhein-Westfalen 45.000 überwiegend kleine und mittlere Unternehmen. Sie betreuen jährlich über 14 Millionen Besucher mit rund 36 Millionen Übernachtungen und erwirtschaften damit einen Umsatz von ca. elf Milliarden Euro. Der Tourismus kann speziell in den ländlichen Regionen einen wertvollen Beitrag zum Strukturwandel leisten, indem er neue Arbeitsplätze schafft und neues Einkommen ermöglicht. Auch wenn sein Beitrag an der Bruttowertschöpfung des Landes insgesamt noch gering ist, trägt der Tourismus entscheidend dazu bei, das Land NRW auf dem Weg zum internationalen Dienstleistungsstandort zu profilieren.
    Dr. Papke: Der Tourismusbereich ist bereits heute einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in NRW. Wir haben ca. 45.000 überwiegend mittelständische Betriebe, die im Gesamtbereich der Tourismuswirtschaft tätig sind und jährlich etwa elf Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften sowie weit über 200.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bereitstellen. Zudem ist der Tourismus eine Branche mit enormen Wachstumschancen. Die Tourismuswirtschaft in NRW hat ihre Potentiale bei weitem noch nicht ausgereizt. Ich halte es daher für ein ganz wichtiges Aufgabenfeld der nordrhein-westfälischen Wirtschafts- und Strukturpolitik, den Tourismus in und nach NRW gezielt zu entwickeln.
    Sagel: Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für NRW, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen gibt. Als positives Beispiel ist der Nationalpark Eifel zu nennen. Hier hat es eine deutliche Standort-Belebung gegeben. Ich habe mir kürzlich selbst ein Bild vor Ort machen können. Dort wurde mir von einem Nachfragezuwachs von 50 bis 70 Prozent berichtet. Diese positive Entwicklung könnte auch als Vorbild für weitere Regionen dienen. Wir Grünen wollen beispielsweise die Einrichtung eines "Nationalpark Senne". Das würde auch dieser Region einen erheblichen Schub geben. Als weiteres Tourismus-Highlight in NRW ist die Route der Industriekulturen im Ruhrgebiet zu nennen. Neben diesen neuen Faktoren haben wir natürlich auch eine Fülle an alten Tourismus-Regionen, wie die rheinische Region, den sauerländischen Bereich, den Teutoburger Wald oder das Münsterland mit Anziehungskraft bis in den holländischen Raum hinein. Grundsätzlich ist zu sagen: Die Tourismuszahlen in NRW sind relativ konstant. Wir haben im letzten Jahr 13,3 Millionen Gäste gehabt mit 35,5 Millionen Übernachtungen - eine nicht zu unterschätzende Menge. Durch die neuen Entwicklungen werden sich diese Zahlen sicherlich noch steigern lassen.

    Wie kann das Tourismusziel NRW besser vermarktet werden? Welche Zielgruppen wurden bislang vernachlässigt?

    Gießelmann: Ich glaube nicht, dass wir Zielgruppen vernachlässigt haben. Wir haben uns in der Vergangenheit immer um eine sehr ausdifferenzierte Tourismus-Vermarktung bemüht. Dafür gibt es regionale Verbünde, die zielgerichtet die thematischen Schwerpunkte mit der Region vermarkten sollen. Dabei nimmt sich jede Region unterschiedliche Kernpunkte vor. Unsere Aufgabe als Landespolitiker muss es sein, diese regionalen Initiativen auch künftig weiter zu unterstützen und stärker zu bündeln. Bisher hat die Vermarktung gut funktioniert, sonst hätten wir im Tourismusbereich auch nicht die Zuwächse der letzten Jahre erlebt. Im Jahr 2003 mussten wir zwar geringfügige Besucherrückgänge von 0,8 Prozent verzeichnen, aber damit lagen wir trotzdem noch weit unter dem Bundesdurchschnitt. Auch im Hinblick auf den Ausländeranteil im touristischen Bereich stehen wir im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut da. Wir können also mit unserer Politik, die Regionen zu stärken, damit diese ihre Schwerpunkte definieren und auf den Markt bringen, nicht so falsch gelegen haben.
    Weisbrich: Für die Gewinnung von neuen Gästen ist es wichtig, mit einer eindeutigen und erkennbaren Marke zu werben. Kirchturmpolitik zählt nicht mehr. Die Regionen müssen zu gemeinsamen und abgestimmten Konzepten kommen, deren Alleinstellungsmerkmale im Wettbewerb auch international wahrnehmbar sind. Entscheidend für den Erfolg wird es sein, dass die herausgestellten Attraktionen mit Dienst- und Serviceleistungen zu einem überzeugenden Gesamtpaket verbunden werden, das über eine zentrale Plattform kundengerecht buchbar ist. Im Rahmen eines Deutschland-Marketings sollte versucht werden, mehr internationale Touristen, mehr Messe- und mehr Städtetouristen zu gewinnen.
    Dr. Papke: Die Tourismuskommunikation in NRW ist insgesamt noch nicht effizient genug. Hierfür wird zwar sehr viel Geld ausgegeben, aber mit den erzielten Effekten können wir nicht zufrieden sein. Das Problem ist: Wir haben es mit zahlreichen lokalen Einheiten zu tun, die trotz hohen Mitteleinsatzes in den Bereichen Außenkommunikation, Marketing und Akquisition keine nachhaltigen Effekte erzielen können. Dafür sind sie zu klein. Um ein vernünftiges und wirksames Tourismusmarketing zu betreiben, braucht man größere Einheiten und ein Höchstmaß an Professionalität. Es reicht nicht aus, wenn sich jede Gemeinde ihre eigene kleine Homepage bastelt. Zumeist werden diese nicht einmal über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus wahrgenommen. Hier sehe ich Handlungsbedarf der Landespolitik: Wir brauchen ein landesweites Tourismuskonzept.
    Meine Fraktion stellt sich vor, eine Dachmarke, ein Label "Tourismusland NRW" zu entwickeln, verbunden mit einem parallel laufenden Marketingkonzept "Tourismus in NRW". Unter dieser Dachmarke würden wir die viefältigen lokalen Tourismusangebote bündeln. Wir hätten dann eine Präsentationsplattform all dessen, was NRW als Tourismusstandort anzubieten hat. Und das ist eine ganze Menge.
    Sagel: Wir Grüne haben im letzten Jahr eine so genannte "Lange Tourismusnacht" veranstaltet, wo wir uns sehr intensiv die Internetauftritte der einzelnen Städte, Kreise und Gemeinden zum Thema Tourismus angesehen haben. Hier gibt es Verbesserungsbedarf, um mehr Interessenten im In- aber auch Ausland zu erreichen. Der regionale Zusammenhang wird noch unzureichend dargestellt. Statt vieler kleiner beschreibender Angebote einzelner Städte oder Gemeinden, sollten die Internetpräsentationen für ganze Regionen besser vernetzt werden. Auch die Bedienerfreundlichkeit, Buchungsmöglichkeiten und die Vielsprachigkeit der Seiten müssen zum Standard werden.Wichtig ist uns auch, die Angebote im sanften Tourismus, das heißt ökologische Angebote und den Fahrradtourismus, voranzubringen.

    Ihr Lieblings-Ausflugsziel in NRW - Was ist das Besondere daran, das auch ausländische Touristen anlocken könnte?

    Gießelmann: Ich komme ja aus Ostwestfalen-Lippe und finde diese Gegend wunderschön. Dort haben wir den Teutoburger Wald, den Herrmannsweg und das Ravensberger Hügelland. Aber ich finde auch Fahrradtouren durchs Münsterland oder am Rhein entlang phantastisch. Ich würde mich also nicht auf einen Landschaftsstrich begrenzen wollen, sondern genieße die Vielfalt in unserem Land.
    Weisbrich: Persönlich zieht es mich immer wieder in kleine Städte wie Kempen oder Xanten am Niederrhein, die quirlendes Markttreiben, Kultur, Architektur und Gastronomie mit dem besonderen Charme der "Gemütlichkeit" verbinden. Hier kann man für einen Tag oder für ein ganzes Wochenende Romantik erleben und Kultur genießen. Eine exzellente Medizin gegen Stress.
    Dr. Papke: Ich kenne so viele interessante touristische Ziele in NRW, dass ich mich spontan für gar kein Lieblingsziel entscheiden kann.Mich hat immer die kulturelle und landschaftliche Vielfalt fasziniert, die wir in NRW zu bieten haben - vom Siebengebirge bis zur Route der Industriekulturen im Ruhrgebiet. Diese attraktive Vielfalt müssen wir künftig besser als Standortfaktor nutzen.
    Sagel: Ich bin jemand, der viel im Nahbereich touristisch unterwegs ist. Ich besuche des Öfteren das Ruhrgebiet, fahre in den Teutoburger Wald oder ins Sauerland, was besonders im Winter sehr reizvoll ist. Ein Lieblingsziel kann ich allerdings nicht benennen.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 7400 Freizeit

    ID: LIN00258

  • Das neue Bonner Profil.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 2 - 11.02.2004

    Bonn boomt. Vor Jahren wurde Bonn noch als "Bundesdorf am Rhein" belächelt. Heute hat Bonn ein neues eigenständiges Profil: Als Hauptsitz von Weltunternehmen in den Zukunftsbranchen Telekommunikation und Logistik, als Zentrum einer bedeutenden Wissenschaftsregion und als UNO-Stadt mit vielen UN-Organisationen, Heimat internationaler Schulen und Sitz von Bundesbehörden. Große Firmen wie die Telekom haben dort ihren Hauptsitz, die Deutsche Post AG hat ihren Tower errichtet.
    Die Kaufkraft in Bonn ist nach dem Wegzug von Bundestag, Regierung und Bundesrat gestiegen, die Einwohnerzahl auch. Die Immobilienpreise sind nicht gefallen, Bonn hat eine beneidenswert geringe Arbeitslosenquote. Neue Firmen haben sich angesiedelt, neue Arbeitsplätze sind entstanden. Im alten Regierungsviertel arbeiten heute mehr Menschen als einst. Bonns Wohn- und Freizeitwert ist ein wesentlicher Standortfaktor geworden.

    Ausgleich

    Etwa 1,4 Milliarden Euro erhält Bonn bis 2004 als Ausgleich für den Berlin-Umzug. Mitgeholfen haben dabei vor allem das Bonn- Berlin-Gesetz, das jetzt zehn Jahre alt wird, und die damit verbundenen Ausgleichsvereinbarungen. Der Deutsche Bundestag hatte am 20. Juni 1991 beschlossen, den Sitz von Parlament und Teilen der Regierung von Bonn nach Berlin zu verlagern. Der Landtag NRW sprach sich vor einiger Zeit in einem Antrag dafür aus, "dass die negativen Auswirkungen dieser politischen Standortentscheidung auf alle Lebensbereiche in der Stadt Bonn und in der Region Köln, Bonn und Nachbarn auszugleichen" sei. Der Landtag NRW erwartet, dass der Bundestag diesem selbstverständlichen Anspruch nachkommt und die Bundesregierung darauf verpflichtet. Der rechtliche Rahmen dafür ist das Bonn-Berlin-Gesetz.
    Die Aufteilung der Bundesregierung auf zwei Standorte hat sich eingespielt und funktioniert. Vor allem die Landespolitiker aus Nordrhein- Westfalen halten an dem Bonn-Berlin-Vertrag fest. Verlässlichkeit und Sicherheit, dass alle gegebenen Zusagen vom Bund für Bonn eingehalten werden, sind jetzt nötiger denn je. Das macht auch die Diskussion um die geplante Verlegung des BKA-Standortes in Meckenheim nach Berlin deutlich. Der Landtag hat sich für den Verbleib des Bundeskriminalamtes in Meckenheim ausgesprochen. Die derzeitige Umzugsdebatte schadet dem Geist des Bonn-Berlin-Gesetzes.
    SH

    ID: LIN00088

  • Weichenstellung für die Zukunft.
    Vor zehn Jahren stimmte der Landtag dem Staatsvertrag zum "Bonn-Ausgleich" zu.
    Titelthema / Schwerpunkt;

    S. 11 in Ausgabe 2 - 11.02.2004

    Anfang diesen Jahres hat Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) eine positive Bilanz aus zehn Jahren "Bonn-Ausgleich" gezogen. Mit einem Aufwand von 1,44 Milliarden Euro hat der Bund den Strukturwandel finanziert, der 1991 durch die politische Entscheidung über den Berlin-Umzug von Regierung und Parlament ausgelöst worden war, und der heute als vorbildlich gilt. 1991, als das Bundesparlament seinen Weggang aus der bisherigen Bundeshauptstadt beschloss, schien das nicht so sicher.
    Als am 20. Juni 1991 nach neunstündiger Debatte mit hundert Wortmeldungen das Ergebnis der Bundestagsabstimmung über den Umzug von Parlament und Teilen der Regierung nach Berlin den Bonner Bürgerinnen und Bürgern verkündet wurde, waren viele in der Bundeshauptstadt wütend und resigniert. 338 Bundestagsabgeordnete hatten dem Umzug vom Rhein an die Spree zugestimmt; die 320 Gegenstimmen konnten die Entwicklung nicht mehr aufhalten. Die damalige Bundeshauptstadt war durch den Regierungs- und Parlamentsumzug, dem sich auch die meisten Medien-Dependancen, Auslandsvertretungen und Verbände anschlossen, plötzlich um etwa 14.000 Arbeitsplätze ärmer - und zur "Bundesstadt" geworden. Bonn stand vor einer der größten Herausforderungen seiner Geschichte: einem einzigartigen Strukturwandel.
    Faire Teilung
    Damit der möglichst gut gelingen konnte, beschloss der nordrhein-westfälische Landtag auf Antrag von SPD, CDU und FDP in einer gemeinsamen Entschließung am 11. Juli 1991, eine faire Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn sowie Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn gesetzlich zu verlangen. "Der Bundestag hat die Verpflichtung, die negativen Auswirkungen dieser politischen Standortentscheidung auf alle Lebensbereiche in der Stadt Bonn und in der Region Köln, Bonn und Nachbarn auszugleichen. Der Landtag Nordrhein- Westfalen erwartet, dass der Bundestag diesem selbstverständlichen Anspruch nachkommt und die Bundesregierung darauf verpflichtet", heißt es in diesem Beschluss.
    Mit dem Bonn-Berlin-Gesetz, das am 26. April 1994 in Kraft trat, verabschiedeten die Abgeordneten das Gesetz, das eine "dauerhafte und faire Arbeitsteilung" zwischen der alten und der neuen Hauptstadt und einen Ausgleich für die Region Bonn vorschrieb. Der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern Nordrhein- Westfalen und Rheinland-Pfalz und der Region Bonn geschlossene Ausgleichsvertrag vom Juni desselben Jahres, schrieb die Maßnahmen zur Umsetzung dieses Gesetzes im Detail fest und konzentrierte sich dabei auf eine Reihe von Eckpunkten.
    Danach sollen insgesamt acht Ministerien in Bonn verbleiben. Daneben sollen die Bereiche Bildung und Wissenschaft, Kultur, Forschung und Technologie, Telekommunikation, Umwelt und Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen und Verteidigung in Bonn erhalten und gefördert werden. Finanzmittel für Strukturförderung, Städtebau, Wohnumfeldverbesserung, Wirtschaftsförderung sind in gleicher Weise vorrangig in die durch die alte Bundeshauptstadtfunktion einseitig strukturierte Region Bonn/Köln/Rhein-Sieg umzulenken und einzusetzen. Dies gelte insbesondere dort, wo gemäß Verfassung die originäre Zuständigkeit beim Land NRW liegt. Von den 21.000 Arbeitsplätzen in den Bundesministerien sollen knapp 14.000 in Bonn erhalten werden (65 Prozent).
    Ebenfalls im Gesetz enthalten: Eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur durch eine Anbindung der Region an den Flughafen Köln/Bonn. Die Deutsche Bundesbahn solle die ICENeubaustrecke Köln- Rhein-Main mit einem Haltepunkt am Flughafen Köln/Bonn ausstatten (der wird in Kürze eingeweiht).Am 22. September 1994, der zweiten Lesung, stimmte der Landtag NRW dem Staatsvertrag zu. Dabei plädierte Hans Kern (SPD) für ein positives Votum, weil, wie er sagte, "der Staatsvertrag einen noch akzeptablen, wenn auch keineswegs optimalen Ausgleich für die Verluste in der Region Köln/Bonn und vor allen Dingen in Bonn selbst darstellt". Die damalige CDU-Abgeordnete Ruth Hieronymi bewertete den Vertrag als "gute Grundlage für die Zukunft der Region". Darin sei man sich mit Ausnahme der Grünen einig gewesen. Für die Liberalen begrüßte Dr. Achim Rohde (FDP) die geplante Entwicklung Bonns zum Wissenschaftsstandort: "Das kann in der Standortdiskussion für Bonn einen weltweiten Standortvorteil bedeuten." Für die Grünen unterstrich Dr.Michael Vesper noch einmal die ablehnende Haltung seiner Partei zu dem Vertrag: "Es ist einfach für die Region Bonn zu wenig herausverhandelt worden", kritisierte er. Für die Landesregierung stellte Staatskanzleiminister Wolfgang Clement (SPD) die Bedeutung des Vertrages heraus: "Es ist wichtig, nicht nur ein Bonn-Berlin-Gesetz zu haben, sondern einen Vertrag mit drei Beteiligten; aus dem kann man nämlich nicht einfach aussteigen." Daher sei man gut beraten, diesen Ausgleichsvertrag schnell unter Dach und Fach zu bringen, meinte der spätere NRW-Ministerpräsident und jetzige Bundeswirtschaftsminister.
    NB

    Systematik: 1010 Staatsaufbau; 1050 Nation

    ID: LIN00102

  • Danner, Dorothee (SPD); Jostmeier, Werner (CDU); Thomann-Stahl, Marianne (FDP); Löhrmann, Sylvia (Grüne)
    Bonn - blühende Region mit attraktiven Arbeitsplätzen.
    Sprecherinnen und Sprecher des Hauptausschusses ziehen Bilanz.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 2 - 11.02.2004

    Als 1991 die Entscheidung zum Berlin-Umzug fiel, fürchteten viele Bonner, dass dies ein "Ausbluten" der gesamten Region zur Folge haben würde. Aus diesem Grund verabschiedete der Bundestag seinerzeit das so genannte Berlin/Bonn-Gesetz, in dem der Region Bonn Ausgleichsmaßnahmen zugesichert wurden. Heute, zehn Jahre nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes, stellt sich die Frage, ob und inwieweit diese Vereinbarungen umgesetzt worden sind. Landtag intern befragte hierzu die Sprecherinnen und Sprecher des Hauptausschusses: Dorothee Danner (SPD),Werner Jostmeier (CDU),Marianne Thomann-Stahl (FDP) und Sylvia Löhrmann (GRÜNE).

    Zehn Jahre Bonn-Ausgleich. Wie haben das Land, die Stadt Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis den Verlust von Bundesparlament und Regierungsfunktionen verkraftet?

    Danner: Ich denke, die Stadt Bonn hat diesen Verlust, wenn man heute nach zehn Jahren zurückblickt, ausgesprochen gut verkraftet.Wenn man überlegt, dass ungefähr 6.700 Arbeitsplätze aus Bonn weggegangen sind, hat es einen deutlichen Ausgleich gegeben. Ein Blick auf die Arbeitslosenstatistiken aus der Region verrät, dass Bonn mit dem Großraum Bonn/ Rhein-Sieg-Kreis weit unter dem Bundesdurchschnitt und auch im Landesdurchschnitt an führender Stelle liegt. Außerdem ist es auch dadurch zu einer erheblichen Aufwertung der Region gekommen, dass sich dort UN-Organisationen angesiedelt haben. Bonn war die erste Stadt in der Bundesrepublik, in der sich die Vereinten Nationen niedergelassen haben. Dass schafft wiederum Arbeitsplätze und Kaufkraft.
    Jostmeier: Im Ergebnis muss man sagen, sie haben es gut verkraftet. Die Bonner Region hat offensichtlich nicht den wirtschaftlichen Einbruch erlebt, den einige befürchtet hatten, und Bonn hat heute mehr Schreibtische als 1994.Grund hierfür ist vor allem das erfolgreiche Bemühen um Dienststellen der Vereinten Nationen und die Entwicklung der Postnachfolge- Unternehmen mit ihren Konzernzentralen in Bonn.
    Thomann-Stahl: Es ging ja alles überraschend gut in den letzten Jahren. Sowohl die Stadt Bonn als auch die Region haben unter dem Strich von dem Umzug profitiert. Es ist gelungen, dort internationale Organisationen anzusiedeln, es ist gelungen die Telekom anzusiedeln und es ist nicht zuletzt gelungen, der Stadt Bonn ein moderneres Aussehen zu verleihen. Das ist sicherlich ein Erfolg. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, die Ansiedlung der diversen UN-Sekretariate hat noch nicht den gewünschten Umfang erreicht. Bisher sind um die 600 UN-Mitarbeiter in Bonn, und man sagt, es seien etwa 1.000 Mitarbeiter nötig, um die "kritische Masse" zu erreichen. Um dies zu realisieren, müssen also noch einige Anstrengungen auf internationaler Ebene hinzukommen, und zwar sowohl von Seiten der Bundes- als auch der Landesregierung.
    Löhrmann: Nach dem ersten Schock haben Land und Region die Ärmel aufgekrempelt. Die Voraussetzungen waren gut und wurden durch die Ausgleichsvereinbarung noch besser, mit der uns der Bund 1,44 Milliarden Euro zur Verfügung stellte, um den Strukturwandel zu bewältigen. Auch die 22 Bundesbehörden, die aus Berlin und Frankfurt nach Bonn kamen, um Arbeitsplatzverluste auszugleichen, haben enorm geholfen. Viele neue Arbeitsplätze sind in der Dienstleistungsbranche entstanden. Konzerne wie die Telekom und die Post haben viele kleine und mittlere Unternehmen angezogen. Besonders wichtig erscheint mir zudem: Die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Universität und zum Beispiel von CAESAR ist attraktiv für Forschende und Studierende aus der ganzen Welt.

    Hat sich der Bund an die Absprachen im Berlin/Bonn-Gesetz gehalten? Meinen Sie, dass er das in Zukunft tun wird?

    Danner: Dem war bisher so und davon gehe ich auch in Zukunft ganz sicher aus. In den letzten Jahren hat es hier im Landtag immer wieder fraktionsübergreifende Anträge und Meinungsäußerungen gegeben, dass sich sowohl der Bund als auch das Land an die im Bonn/Berlin-Gesetz gemachten Zusagen auch halten. Ein Betrag von 200.000 Euro war noch nicht ganz verausgabt, aber das soll jetzt in den nächsten Monaten erfolgen bzw. ist zum Teil auch schon erfolgt. Für die Zukunft habe ich zudem einen Wunsch: Unabhängig von der Stadt Bonn ist es mir ein wichtiges Anliegen, dass der Standort des Bundeskriminalamts in Meckenheim verbleibt. Der Bund sollte hier nochmals sehr genau überlegen, ob er einen Umzug wirklich durchsetzen möchte. Hiervon hängt ja schließlich auch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in Nordrhein-Westfalen ab.
    Jostmeier: Die Entwicklung, die in den letzten Jahren mit dem "Rutschbahneffekt" stattgefunden hat,widerspricht Geist und Buchstaben des Gesetzes. Nach dem Kopfstellen-Modell sollte jedes Ministerium in Bonn vertreten sein. Ferner sollten einige Ministerien wie das Verteidigungs-, Gesundheits- und Umweltministerium voll in Bonn verbleiben. Zu beobachten ist jedoch, dass die Regierung alles in Berlin konzentriert, angeblich, um schneller entscheiden und Kosten sparen zu können. Beides trifft jedoch nicht zu. Im Gegenteil: Eine Verlagerung aller Ministerien nach Berlin würde kurz- und mittelfristig zu erheblichen Mehrkosten führen. Es gibt jedoch noch eine andere Sogwirkung: Die in Bonn verbliebenen Mitarbeiter gelten leider oft als die weniger engagierten, weniger strebsamen, "saturierten" Beamten, während die "Klugen, Aufstrebenden, Ehrgeizigen" sich nach Berlin berufen fühlen. Dieses Denken tut Bonn nicht gut. Karrierechancen und Fortkommensmöglichkeiten müssen auch den Bonnern" ermöglicht werden. Meine große Sorge ist, dass bis zur nächsten Bundestagswahl 2006 noch eine Art Schamfrist gilt und danach die Dämme brechen. Und das sage ich bewusst als Westfale aus dem Münsterland. Denn das ganze Land NRW leidet, wenn die Bundesstadt politisch und strukturell geschwächt wird. Zudem schadet es unseren föderalen Zielen. Wir werden im Hauptausschuss die Entwicklung genau beobachten.
    Thomann-Stahl: In den ersten Jahren hat sich der Bund auf jeden Fall daran gehalten, denn die positiven Effekte sind ja nicht von der Hand zu weisen. In den letzten Jahren fehlt es offensichtlich an Planungssicherheit. Und das, was in den letzten Wochen ablief - Stichwort Bundeskriminalamt - ist natürlich ein Verfahren, mit dem man eine Region nicht stärkt, sondern erheblich schwächt. Natürlich hat es einen Bedeutungsverlust für die Region gegeben: Bonn war Bundeshauptstadt, jetzt ist sie "nur" noch Bundesstadt. Man darf dies aber nicht zum Anlass nehmen, diese Region so zu behandeln, als messe man ihre keine Bedeutung mehr zu. Der Bund muss also in Zukunft unbedingt für mehr Planungssicherheit sorgen.
    Löhrmann: Insgesamt hat der Bund sich an Geist und Buchstaben des Gesetzes gehalten.Auch wenn das Thema sicher immer wieder von einzelnen zur Profilierung benutzt werden wird, gehen wir auch zukünftig von einem fairen Interessenausgleich mit der Bundesregierung aus. Ohne Zweifel hat Berlin eine starke Anziehungskraft, aber auch die Region Köln/ Bonn ist attraktiv. Abwanderungstendenzen sind bekannt und kommen oft aus den Ministerien selbst. Wir stellen uns vernünftigen Reformen nicht in den Weg, müssen aber immer auf die Wahrung einer föderalen Struktur und der Interessen von NRW bedacht sein. Umzüge als Ersatz für notwendige organisatorische Reformen halten wir jedenfalls nicht für sachgerecht und überzeugend.

    Welche Auswirkungen hat der Umzug des Bundes von Bonn nach Berlin auf die Vertretung der Interessen des Landes NRW auf Bundesebene gehabt? Ist die Kommunikation so direkt wie früher?

    Danner: Es kommt immer darauf an, aus welcher Perspektive des Landes man das sieht. Für mich als Ost-Westfälin ist der Weg nach Berlin genau so weit wie nach Bonn. Wenn ich zur Landesvertretung müsste, wäre das für mich kein Unterschied. Von Düsseldorf aus ist der Weg natürlich weiter geworden. Aber wir leben ja heute in einem Zeitalter moderner Kommunikationsmittel, und von daher ist die Kommunikation meines Erachtens noch genau so direkt wie früher. Auch unsere Landesniederlassung in Berlin kann sich sehen lassen. Dort findet ja eine Menge an Begegnungen statt.
    Jostmeier: Die aktuelle Diskussion um den Umzug des BKA zeigt alarmierend, wie schwach die Interessen des Landes beim Bund derzeit vertreten werden. Insbesondere scheint eine Kommunikation mit der Landesregierung gar nicht stattgefunden zu haben. Alle Fachleute sind sich parteiübergreifend über dieses verheerende Signal für die Region und über die unverantwortlich hohen Kosten einig. Wenn wir nicht gemeinsam die Bundesregierung an diesen Plänen hindern, wird der "Rutschbahneffekt" kaum noch aufzuhalten sein.
    Thomann-Stahl: Zunächst hatte man ja mit dem Umzug die Hoffnung verbunden, dass der Regierungsstandort Düsseldorf als Landeshauptstadt gestärkt wird.Meines Erachtens ist das bisher nicht gelungen. Ich vermag zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht zu unterscheiden, ob das an den handelnden Figuren lag, da die Vertretung des Landes NRW in Berlin durchaus zu wünschen übrig ließ, oder ob das ein ganz normaler Prozess ist, der jedem so passiert wäre, weil sich einfach das Augenmerk auf die neue Bundeshauptstadt richtet und dabei eine Landeshauptstadt aus dem Blickfeld gerät. Festzuhalten bleibt:Wir müssen viel mehr tun, um der Landeshauptstadt Düsseldorf wieder zu dem Ansehen zu verhelfen, das sie einmal genoss - nämlich als Landeshauptstadt des stärksten Landes in der Bundesrepublik.
    Löhrmann: Die Vertretung der Interessen des Landes ist heute mindestens genauso gut wie früher - die Vertretung des Landes NRW in Berlin macht hier einen sehr guten Job, und die vielen persönlichen Kontakte in die Ministerien und in den Bundestag sind äußerst wichtig. Nordrhein-Westfalen wird auch in Berlin als das größte und wichtigste Bundesland wahrgenommen. Allerdings ist naturgemäß allein aufgrund der Entfernung nach Berlin die Kommunikation manchmal nicht so ganz einfach und so direkt wie früher. Bonn lag von Düsseldorf aus "um die Ecke". Gesprächsbedarf in Berlin nimmt jetzt mindestens einen ganzen Tag in Anspruch. Da müssen wir heutzutage häufiger die Kommunikationsmedien zu Hilfe nehmen; das direkte persönliche Gespräch ist nicht mehr so häufig.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 1010 Staatsaufbau; 1050 Nation

    ID: LIN00103

  • Begabte fördern ist kein Luxus.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 1 - 28.01.2004

    Nordrhein-Westfalen ist das Land mit den meisten Hochschulen. Über ein Viertel aller Studenten in Deutschland studieren in dem bevölkerungsreichsten Land. Das sind mehr Studierende als Bayern, Baden- Württemberg und Thüringen zusammen haben. Auch in Sachen Spitzenforschung hat NRW in manchen Sparten die Nase vorn. So zum Beispiel zählt Aachen zu den internationalen Spitzenstandorten in Sachen Maschinenbau, die Uni Bonn genießt Weltruf bei der Kombination Mathematik und Volkswirtschaftslehre, die Uni Bochum bei den Neurowissenschaften, die Uni Dortmund in Sachen Robotic, die Uni Münster profiliert sich in den Nanowissenschaften, die Uni Bielefeld bei der Bio-Informatik und die Uni Siegen bei der Sensortechnik.
    Ein Blick auf die Fakten: In NRW gibt es 33 staatliche Hochschulen, vier refinanzierte private Fachhochschulen und 21 weitere private Fachhochschulen. 523.000 Studierende zählt das Land. Auf der Seite der Lehrenden arbeiten 7.719 Professoren und 13.691 Wissenschaftler. Ein Blick auf den geplanten Etat 2004: 5.376.000 Euro sind im Haushaltsentwurf für den Wissenschaftsbereich vorgesehen.

    Vorbild Harvard

    Der Glanz Harvards blendet zurzeit Deutschland. Doch Harvard war bei seiner Gründung vor fast 370 Jahren auch nicht gleich Weltspitze. In der von Bundeskanzler Schröder aufgeworfenen Forderung, spezielle Elite-Universitäten für Deutschland zu schaffen, darf die Frage gestellt werden: Was ist es uns zusätzlich wert, Top-Universitäten zu etablieren? Müssen wir in der Hochschulausbildung den Vergleich mit den USA scheuen? Und welche Rolle spielt dabei NRW?
    NRW braucht beides: Elite und die breite qualitativ hochwertige Ausbildung. In diesem Punkt sind sich alle einig. Gut ist auch, dass jetzt die öffentliche Diskussion um Hochschule und Bildung wieder in den Mittelpunkt rückt.
    Doch der Begriff Elite ruft bei vielen einen unerfreulichen Beigeschmack hervor. Deshalb redet zum Beispiel auch die Bildungsministerin in NRW von ?Exzellenz? und ?Spitzenforschung?. Demnach sollten die Unis ihre angestaubte Hülle ablegen. Junge Forscher müssten früher und freier forschen können.Weniger Hierarchien sind gefordert, mehr Eigenverantwortung, mehr Wettbewerb, Teamgeist. Das alles trägt dazu bei, dass es bald ein neues Verhältnis zwischen Studierenden und Professoren gibt.Denn es darf kein Luxus sein, Begabte zu fördern. Es ist sträflich, dies nicht zu tun.
    SH

    ID: LIN00048

  • Kessel, Dietrich (SPD); Kuhmichel, Manfred (CDU); Prof. Dr. Wilke, Friedrich (FDP); Dr. Seidl, Ruth (Grüne)
    Das Modell Harvard auch für NRW?
    Interview mit den hochschulpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 1 - 28.01.2004

    Mit ihrem überraschenden Vorstoß, Elite-Universitäten nach amerikanischem Vorbild auch in Deutschland einzurichten, ist die Spitze der Bundes-SPD sowohl bei der Opposition als auch in den eigenen Reihen auf Skepsis gestoßen. Auch NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD) äußerte Vorbehalte hinsichtlich dieser Pläne. Braucht NRW wirklich Elite-Universitäten, um sich im internationalen Wettbewerb behaupten zu können? Über diese und andere Fragen sprach Landtag intern mit den hochschulpolitischen Sprechern der Fraktionen: Dietrich Kessel (SPD), Manfred Kuhmichel (CDU),Professor Dr. Friedrich Wilke (FDP) und Dr. Ruth Seidl (GRÜNE).

    Sind staatliche Elite- Universitäten ein sinnvolles Mittel, um den wissenschaftlichen Wettbewerb zu fördern oder droht eine "Zwei-Klassen-Bildung"?

    Kessel: Ich halte den Begriff Elite-Universität zur Beschreibung des Ziels, die Möglichkeiten für Spitzenleistungen im Hochschulbereich verbessern, für ungeeignet. Spitzenleistungen in Forschung und Lehre entstehen nicht einfach aus sich heraus oder durch die Verwendung belasteter Begriffe. Ihre Voraussetzung ist eine breit gefächerte und hervorragend aufgestellte Hochschullandschaft. Nur aus dieser kann sich dann etwas entwickeln, was Spitze ist. Wir haben in NRW ein Hochschulkonzept, das auf die Bildung von Profilen zielt. Wir setzen darauf, dass die Universitäten in den Bereichen, in denen sie jetzt schon stark sind, exzellent werden. Diese Entwicklung fördern wir unter anderem auch durch die Nutzung wettbewerblicher Elemente bei der Zuteilung von Mitteln aus dem Landeshaushalt. Wer mehr leistet, wer besser ist als die anderen, bekommt auch mehr Geld. In NRW haben wir durchaus Forschungsbereiche, die im internationalen Vergleich konkurrenzfähig sind.
    Kuhmichel: Die CDU hat nichts gegen Eliten. Aber wir müssen erstmal unsere Hausaufgaben in NRW nachholen und die Hochschullandschaft in einen finanziellen Zustand bringen, der den Wettbewerb zwischen den einzelnen Standorten ermöglicht. Daraus können sich dann auch Eliten entwickeln. Eliten kann man nicht von oben verordnen. Seit Jahr und Tag fordert die CDU-Fraktion, den gigantischen Sanierungsstau in NRW aufzuarbeiten. Es fehlen allein 250 Millionen Euro, was die Baulichkeiten unserer Hochschulen angeht. Das geht zu Lasten der Studierenden. Des Weiteren fordern wir, dass man in NRW zumindest modellhaft Stiftungshochschulen entwickeln sollte. Das geht nicht von heute auf morgen. In zehn bis 15 Jahren wäre es jedoch möglich, eine Stiftungshochschullandschaft zu entwickeln, in der die Wirtschaft sich in einem größeren Maße als bisher engagieren könnte.
    Prof. Dr. Wilke: Elite entsteht im Wettbewerb aus einer breiten Qualität und Elite erzeugt eine qualitative Breite. Deshalb brauchen wir Elite- Universitäten, aber wir brauchen auch in der Breite eine qualitativ hervorragende Ausbildung. Beides muss sich gegenseitig befruchten. Das Positive der derzeitigen Debatte ist allein, dass die reale Situation unserer Hochschulen ins Zentrum der öffentlichen Diskussion gerückt wurde. Ansonsten ist es falsch zu glauben, man brauche nur ein wenig Geld in die Hand zu nehmen, um Elite-Universitäten entstehen zu lassen. Elite in Wissenschaft und Forschung entsteht aus Wettbewerb und Freiheit heraus. Dafür müssen wir geeignete Rahmenbedingungen schaffen und die Autonomie der Hochschulen ernst nehmen. Das erfordert eine Änderung der geistigen Grundeinstellung, und die erkenne ich bei Rot-Grün nicht.
    Dr. Seidl: Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich die derzeitige Diskussion als sehr positiv empfinde, weil damit das allgemeine Augenmerk auf die Situation an den Hochschulen und den Bildungsbereich insgesamt gelenkt wurde. Es stellt sich nun die Frage, was meint man überhaupt mit dem Begriff Elite- Hochschule? Wenn es darum geht, Bildung zu stärken, die vom Geldbeutel der Eltern abhängt, dann ist der Elitebegriff natürlich abzulehnen. Ich glaube jedoch, dass wir bei uns eine sehr gute, solide und breite Ausbildung haben, die sich auch im Ausland sehen lassen kann. Diese müssen wir sowohl in der Spitze als auch in der Breite fördern. Zusammenfassend: Wir brauchen keine Elite- Hochschule für einige wenige Studierende, wir müssen die Qualität der Lehre für alle 500.000 Studierenden in NRW verbessern.

    Spitzenforschung an den Unis braucht Förderung, doch wo kann in Zukunft das Geld dafür hergenommen werden?

    Kessel: Es ist ja so, dass wir den Anteil der Gelder für die Hochschulen an den Gesamtausgaben des Landeshaushaltes in den letzten Jahren auch dank des Qualitätspakts leicht steigern konnten. Das wird sich jetzt auch in diesem Doppelhaushalt wieder zeigen, bei dem wir im Wissenschaftshaushalt einen Zuwachs von 1,3 Prozent haben. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass die Hochschulen im Rahmen des Qualitätspakts und in Verbindung mit der Einführung der 41-Stunden-Woche nicht gerade wenige Personalstellen verlieren. Gleichzeitig soll die Anfängerquote bis auf 40 Prozent eines Jahrgangs angehoben werden. Das wird angesichts der personellen Ausstattung der Hochschulen nur mit einem sich weiter verschlechternden Betreuungsverhältnis möglich sein. Auch deshalb brauchen wir zusätzliche Mittel für die Hochschulen und eine zielgerichtete Lenkung der jetzt vorhandenen Mittel. Wenn der Bund zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen würde, dann ist uns das natürlich herzlich willkommen.
    Kuhmichel: Die CDU hat zu dem Zeitpunkt, als das Bau- und Liegenschafts- Betriebs- Gesetz in der Debatte war, deutlich gemacht, dass hier eine gute Gelegenheit bestünde, die Hochschulen in die Autonomie der Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften zu entlassen. Darüber hinaus haben wir angeregt, Landesbeteiligungen zu Gunsten von Hochschulen abzugeben. Das ist bei dem immer desolater gewordenen Haushalt jetzt kaum noch möglich. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, ob im Zusammenhang mit der Rückführung der Kohlesubventionen hier nicht Milliarden freigesetzt werden müssen, um in einem mehrjährigen Programm die Hochschulen in eine Situation zu bringen, dass sie ordentlich arbeiten können. Und in diesem Zusammenhang ist auch das Stichwort Studiengebühren durchaus angebracht. Ich kann nicht verstehen, warum sich Bundesministerin Bulmahn auch im Rahmen der Elitedebatte gegen Studiengebühren ausgesprochen hat.
    Prof. Dr. Wilke: Ich erinnere mich noch sehr gut an vergangene Haushaltsdebatten. Die FDP hat stets deutlich mehr Geld für Bildung, auch für unsere Hochschulen gefordert. Unsere Anträge wurden abgeschmettert, es sei kein Geld vorhanden. Heute muss ein viel größerer Betrag eingespart werden ? und plötzlich geht es. Es ist also keine Frage des Geldmangels, sondern der Prioritätensetzung.Wenn man die vielen großen und kleinen "rot-grünen Spielwiesen" auflistet und addiert, dann wird deutlich, was wirklich vorhanden ist, von der Kohlesubventionierung ganz abgesehen. Mit diesem Geld in Wissenschaft und Forschung wäre viel gewonnen. Deutschland gehört nach wie vor zu den reichen Nationen. Wir müssen und wir können uns mehr Geld für unsere Hochschulen leisten.
    Dr. Seidl: Das ist eine gute Frage, da wir derzeit auf der Grundlage eines schwierigen Haushaltes diskutieren. Im Vergleich zu anderen Bundesländern stehen wir in NRW jedoch noch sehr gut da, weil die Hochschulen dank des Qualitätspaktes Haushaltssicherheit haben. Aber wenn man zusätzliche Spitzenförderung erreichen möchte, braucht man natürlich auchmehr Geld. Und man kann nur dankbar sein, wenn die Bundesebene uns dieses Geld anbietet, z.B. in Form von Goldreserven. Ich halte es für keine schlechte Idee zu sagen, wir bilden einen Fonds und lassen die Zinserträge in die Bildung fließen. Ob das ausreicht, wird sich zeigen. Darüber hinaus sind wir derzeit dabei, die vorhandenen Ressourcen sinnvoller einzusetzen. Mit dem Hochschulkonzept 2010 greifen wir die Verbesserungsvorschläge aus dem Bericht des Expertenrates auf, der ja eine Analyse der Stärken und Schwächen unserer Hochschul-Landschaft gemacht hat, und entwickeln sie weiter.

    Muss die Hochschulpolitik Ländersache bleiben? Oder macht es tatsächlich Sinn, Elite-Unis über den Bund zu fördern?

    Kessel: Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte über die Entwicklung der Hochschullandschaft macht eine Diskussion über Zuständigkeiten von Bund und Ländern keinen Sinn. Hochschulpolitik muss in erster Linie Ländersache bleiben. Der Bund beteiligt sich mit erheblichen Geldern an der Forschungsfinanzierung. Zusammen mit Förderprogrammen z.B. auf den Feldern Zukunftstechnologien trägt er dazu bei, Spitzenforschung in Deutschland zu ermöglichen.
    Kuhmichel: Ich meine, dass man zunächst einmal ? dem Verfassungsauftrag Kulturhoheit der Länder folgend ? sehen muss, wie man im eigenen Hause klar kommt. Vielleicht kann sich aus einem Zusammenwirken in den einzelnen Ländern auch über Ländergrenzen hinweg die Idee entwickeln, bundesweit so etwas zu machen. Aber das muss von unten wachsen, sonst wird sich die jeweils vorhandene Hochschullandschaft zurückgesetzt fühlen und hier der Eindruck entstehen: Wir kämpfen dafür, mit wenig Geld noch das Beste herauszuholen und jetzt kommt der Staat und stampft Elite-Universitäten aus dem Boden, nur um sich nach außen damit brüsten zu können.
    Prof. Dr. Wilke: Wenn man den Gedanken autonomer Hochschulen im Wettbewerb ernst nimmt, dann ist Spitzenleistung nicht in erster Linie eine Frage der Zuständigkeiten der Länder oder des Bundes, sondern Angelegenheit der Hochschulen selbst. Sie muss sich unabhängig von Ländergrenzen im nationalen und internationalen Wettbewerb gegen andere Hochschulen beweisen. Die Länder müssen entsprechende Rahmenbedingungen gestalten, dies muss auch Ländersache bleiben. Selbst das Hochschulrahmengesetz ist weitgehend überflüssig. Es gibt wenige Bereiche, die auf Bundesebene angesiedelt sein können, wie eine gemeinsame Baufinanzierung oder auch bundesweite Forschungsförderung. Allerdings ist die Vorstellung der SPD-Spitze, man könne durch ein paar Bundesgelder in Deutschland bis 2010 Harvard kopieren, an Naivität kaum zu überbieten und angesichts der Mittelkürzungen unehrlich.
    Dr. Seidl: In der aktuellen Föderalismusdebatte geht es darum, in einem zusammenwachsenden Europa die Länder zu stärken. Ich halte es deshalb für richtig, dass die Länder verantwortlich bleiben für die Hochschulpolitik. NRW hat die größte Hochschullandschaft Europas. Diese könnte aus meiner Sicht nicht vom Bund aus gesteuert werden. Aber wenn uns der Bund im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau oder Forschungsförderung zusätzliche Mittel zukommen lässt, dann begrüßen wir das natürlich.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 4300 Hochschulen

    ID: LIN00054

  • Motto: Was lange währt, wird endlich gut.
    Allgemeine Freude über den ersten Nationalpark des Landes.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9 in Ausgabe 17 - 23.12.2003

    Ab Januar kommenden Jahres hat das Land Nordrhein-Westfalen, wenn der Bund zustimmt, in der Eifel seinen ersten Nationalpark. Er erstreckt sich im Wesentlichen auf einem Gebiet, das den belgischen Truppen rund um die von den Nationalsozialisten als Schulungsstätte errichteten Ordensburg Vogelsang als Übungsgelände zur Verfügung steht und das sie nach eigenem Bekunden aufgeben werden.
    Hans Günter Hafke (SPD) stellte fest, der Nationalpark Eifel mit seinen rund 11.000 Hektar reihe sich in die bisher 13 Nationalparks der Bundesrepublik ein. Neben der Bewahrung der Artenvielfalt und der Beobachtung natürlicher Prozesse sei eine Nationalpark verträgliche Erholung mit entsprechenden touristischen Potenzialen möglich, fand der Sprecher und fuhr fort, hier fänden sich 82 Pflanzen und 30 Tierarten, darunter Schwarzmilan, Wildkatze und Uhu, als schützenswerte und teilweise vom Aussterben bedrohte Arten. Es handele sich zudem um eine schützenswerte Buchenwaldgesellschaft, die weltweit nur ein kleines Verbreitungsgebiet habe: Auch hier übernehme man eine herausragende Verantwortung für den Fortbestand dieser Waldformation. Zur Erschließung verlangte der Abgeordnete unter anderem die Wiederbelebung der Oleftalbahn, der Dürener Bördebahn und der Vennbahn. Den Bund erinnerte Hafke an seine historische Verantwortung, bei der Umgestaltung der Ordensburg Vogelsang zu einem historischen Lernort mit Einrichtung einer internationalen Jugendbegegnungsstätte mitzuwirken und das mitzufinanzieren.
    Reiner Priggen (GRÜNE) betonte, es sei Verdienst vieler: In einem Konsens über Parteien hinweg hätten viele, zum Teil 20 Jahre lang, daran gearbeitet. In weniger als drei Wochen sei der Nationalpark jetzt zu Stande kommen - "er ist praktisch das Weihnachtsgeschenk der Landesregierung für das Land Nordrhein- Westfalen". Priggen drückte die Erwartung aus, dass das Gebiet des Nationalparks Eifel in zehn, 15 Jahren seine Erweiterung auch auf belgischer Seite gefunden haben werde: "Spätestens dann werden wir ein großes, zusammenhängendes Gebiet haben." Ähnlich lang hätten sich die Menschen in einem anderen Landesteil, in Ostwestfalen, um die Senne bemüht, fügte er an. Dort sei man jetzt traurig, dass es mit der Eifel zuerst gegeklappt habe. Priggen: "Es wird auch in der Senne so weit kommen. Man muss nur daran arbeiten." Nordrhein-Westfalen vertrage auf seinem Gebiet zwei Nationalparks, einen im Rheinland und einen in Westfalen.
    Clemens Pick (CDU) machte darauf aufmerksam, wenn der Nationalpark in so kurzer Zeit zu einer Erfolgsstory geworden sei, "liegt das maßgeblich daran, dass sich die Bevölkerung vor Ort schon seit Jahrzehnten mit dem Gedanken an eine entsprechende Nutzung auseinander gesetzt hat und dass der Konsens in den regionalen Parlamenten von daher überhaupt kein Problem war". Er dankte allen beteiligten Bürgermeistern und Landräten der Region. Und, so Pick weiter: "Die CDU war immer für den Nationalpark Eifel." Der Landesregierung warf er vor, sie habe den Prozess nicht genügend finanziell unterstützt, so wie es die CDU in einem Antrag verlangt habe. Außerdem habe sie gezögert, rechtzeitig einen Grundsatzbeschluss zu fassen und sich gegenüber der Bundesregierung politisch zu äußern. Er bedauerte, dass man im Parlament nicht zu einem fraktionsübergreifenden Antrag gefunden habe.
    Felix Becker (FDP) drückte die Freude auch seiner Fraktion aus, dass dieser Nationalpark kommt. Diese Freude werde allerdings ein wenig getrübt, denn es habe lange gedauert und es sei im Wesentlichen bloß dem Umstand zu danken, dass die belgischen Truppen abziehen und das Gelände freigeben. Zur Rechtssicherheit sei noch die Zustimmung des Bundesumweltministers erforderlich.
    Umweltministerin Bärbel Höhn (GRÜNE) nannte diesen Tagesordnungspunkt der Plenarsitzung eine "Feierstunde"; alle könnten darauf stolz sein. Es sei der erste Nationalpark, der nicht gegen, sondern mit der Bevölkerung zu Stande komme. Aber: "Es bleibt noch viel zu tun.Wir müssen zum Beispiel ein Nationalpark- Fachkonzept erarbeiten. Wir wollen die beiden ersten Nationalpark-Servicestationen errichten. Wir müssen natürlich auch noch ganz viel bei der Konversion der Ordensburg machen. Das wird ein dicker Brocken."

    Systematik: 6110 Natur

    ID: LIN01413

  • "Die Ordensburg bewusst verfallen lassen".
    Paul Spiegel zum Erbe des Nationalsozialismus im Nationalpark Eifel.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 17 - 23.12.2003

    Freude herrscht allenthalben über die Einrichtung des ersten Nationalparks auf nordrhein-westfälischem Gebiet. Aber mit der Freigabe des belgischen Truppenübungsplatzes Vogelsang erbt das Land auch die "Burg" gleichen Namens. Dieses Erbe könnte zur Hypothek werden : Was soll mit den umfangreichen Gebäuden geschehen und wer kommt für die Kosten von eventuellem Umbau oder anstehender Sanierung auf? Die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen. "Landtag intern" fragte den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Paul Spiegel macht dazu einen interessanten Vorschlag.

    Die ehemalige Ordensburg Vogelsang liegt wie ein Fremdkörper inmitten der Landschaft des ersten nordrhein-westfälischen Nationalparks.Was hat der Bau für eine Zukunft - Lernort für die deutsche Geschichte oder Wallfahrtsort für unbelehrbare Nazis?

    Spiegel: Die Ordensburg ist ein baugeschichtliches Dokument nationalsozialistischen Rassenwahns, und sie ist, ebenso wie das Reichsparteitagsgelände, ein reiner Täterort. Anders als die Wevelsburg: diese hat eine Vorgeschichte vor der Nazizeit, und zu ihr gehörte vor allem auch ein KZ-Außenlager, was die Wevelsburg zu einem Ort des Gedenkens an die Opfer macht.
    Am Lernort Ordensburg Vogelsang lässt sich in der Tat etwas lernen, zum Beispiel können Architekten hier die Selbstinszenierung der Nazis studieren. Aber muss man sie dafür unter immens hohen Kosten sanieren, während man gleichzeitig die KZ-Gedenkstätte Lichtenburg, dem Lager, dessen Häftlinge Buchenwald und Ravensbrück bauen mussten, mit dem Argument hoher Kosten verfallen lässt? Ich meine, die Prioritäten sollten genau andersherum gesetzt werden: die Ordensburg Vogelsang bewusst verfallen lassen und sie in diesem Zustand als Lernort nutzen, dafür aber die KZ-Gedenkstätte Lichtenburg sanieren.

    Fast 60 Jahre nach Ende der Naziherrschaft - wie soll man heute mit dem baulichen Erbe allgemein und besonders an dieser Stelle umgehen: Erhalten (um jeden Preis), verkleinern (Teilabriss, um die Kosten zu senken) oder ganz beseitigen - wie es einigen Naturschützern vorschwebt?

    Spiegel: Nein, nationalsozialistische Baudenkmäler, jedenfalls die reinen Täterorte, dürfen nicht um den Preis erhalten werden, dass ihre kostspielige Sanierung die Projektmittel für viele andere wichtige Projekte gefährdet.
    Auch im Zustand des allmählichen baulichen Verfalls ist die Ordensburg für wissenschaftliche und pädagogische Zwecke nutzbar, dafür gilt es intelligente, kostengünstige Konzepte und begleitende Dokumentationen zu entwickeln.

    Vergnügungspark, Wellnesstempel, Quartier für Massentourismus - das alles ist in die Debatte um die künftige Nutzung der Anlage gebracht worden. Halten Sie etwas davon für eine angemessene Verwendung?

    Spiegel: Die historischen Orte der NS-Verbrechen sind kein Tourismusmagnet. Die Frage des Umgangs mit dem Erbe der Nazis muss sich diesen Zweckmäßigkeitserwägungen entschieden widersetzen. Deshalb ist für mich außer der vorgeschlagenen Nutzung als Lernort kaum eine andere denkbar.

    Ganz etwas anderes: Weihnachten steht vor der Tür, ein "typisch" deutsches, ein christlich geprägtes Fest. Wie verbringen Sie persönlich diese Tage und wie die Juden in Deutschland? Kauft sich Paul Spiegel einen Weihnachtsbaum?

    Spiegel: In diesem Jahr fällt Weihnachten mit dem Lichterfest Chanukka zusammen. In dieser Woche feiern wir Juden die Wiedereinweihung unseres Tempels nach dem Sieg der Makkabäer über die Griechen, die das Zentralheiligtum geschändet hatten. Man fand nur noch eine Lampe mit geheiligtem Öl für einen Tag. Durch ein Wunder brannte die Lampe mit dem ewigen Licht acht Tage lang, so lange, wie es brauchte um neues Öl herzustellen. Also feiern wir acht Tage lang mit unseren Familien Chanukka. Wir zünden jeden Tag ein weiteres Licht an. Auch Festessen und Geschenke gibt es.

    Da wir vor einem neuen Jahr stehen: Was ist Ihr größter Wunsch für Deutschland im Jahr 2004 und für Sie persönlich?

    Spiegel: Meine Neujahrswünsche zu Beginn des jüdischen Jahres 5764 gelten auch für 2004: Ich hoffe, dass die Gesellschaft antisemitischen Tendenzen geschlossen entgegen tritt, und dass die Regierungen der Welt im kommenden Jahr den Terror wirksam bekämpfen. Und ich hoffe, dass die jüdischen Gemeinden weiter wachsen und blühen. Für mich selbst wünsche ich mir Frieden und Gesundheit für mich und meine Familie.

    Die Fragen stellte Jürgen Knepper.

    Bildunterschriften:
    Zahlreiche Gebäude stehen auf dem Gelände
    Die Ordensburg aus Richtung Urft-Stausee gesehen

    Systematik: 6110 Natur; 1060 Ideologien

    ID: LIN01414

  • Nationalparkverträgliche Folgenutzung der Ordensburg.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 17 - 23.12.2003

    Eine besondere Herausforderung stellt die zukünftige Nutzung des Kerns des bisherigen Truppenübungsplatzes des "Camp Vogelsang" dar. Der Gebäudekomplex liegt im Bereich des künftigen Nationalparks Eifel.
    Eine Folgenutzung der ehemaligen NS- "Ordensburg" Vogelsang ist in Verbindung mit einer angemessenen Aufarbeitung der Geschichte des Gebäudekomplexes und des Nationalsozialismus von gesamtstaatlicher Bedeutung. Angesichts dieser Bedeutung und der Historie ist der Bund als Eigentümer in besonderer Weise in der Verantwortung und aufgefordert, für eine nationalparkverträgliche Folgenutzung des Komplexes Sorge zu tragen.
    Die Landesregierung wird aufgefordert, bei der Auswertung der vom Bund mitfinanzierten "Machbarkeitsstudie für eine zivile Folgenutzung des Truppenübungsplatzes und der ehemaligen Ordensburg Vogelsang" und der anderen vorliegenden Vorschläge aus der Region insbesondere folgende Zielvorstellungen für ein nationalparkverträgliches Konzept sowie geeignete Trägermodelle zu prüfen:
    ■ Aufbau des Nationalparkzentrums einschließlich der hierfür notwendigen Infrastrukturen;
    ■ Entwicklung der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang zu einem historischen Lernort;
    ■ Schaffung einer internationalen Jugend-Begegnungsstätte.
    Die Landesregierung wird aufgefordert, in Abstimmung mit den Entscheidungsträgern in der Region, gegenüber dem Bund auf eine zeitnahe und nationalparkverträgliche Folgenutzung der Ordensburg hinzuwirken, die der dargelegten besonderen Verantwortung und finanziellen Verpflichtung des Bundes Rechnung trägt.
    Aus: Antrag der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Nationalpark Eifel: Erster Nationalpark in Nordrhein-Westfalen"(Drs. 13/4700).

    Systematik: 6110 Natur; 1060 Ideologien

    ID: LIN01415

  • Integrieren statt ignorieren.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 16 - 10.12.2003

    Nordrhein-Westfalen hat bei der Integration eine Vorreiterrolle übernommen. Der Ausschuss für Migrationsangelegenheiten ist der einzige Ausschuss eines Landesparlaments, der sich mit allen Fragen der sozialen, kulturellen und politischen Integration aller Zuwanderungsgruppen in NRW beschäftigt. Sein Ziel ist die Integration der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und der deutschen Spätaussiedler. Damit leistet NRW einen wichtigen Beitrag zur Integrationspolitik.
    Doch das Bild der Migranten vor Ort ist oft geprägt durch negative Medienschlagzeilen. Da wird über die Zunahme des fundamentalistischen Islamismus berichtet, über Terroranschläge, schlechte Bildung, hohe Arbeitslosigkeit und Ghetto-Zusammenleben.
    Das hat Gründe: So leben in einigen Städten in NRW zum Beispiel Türkischstämmige in einem ganz bestimmten Stadtteil eng aufeinander. Damals sind sie dort hin gezogen, um mit Landsleuten zusammen zu leben, die ihnen ein Stück Heimat vermittelten. Man sprach dieselbe Sprache und ging in dieselben Läden einkaufen. Das ist verständlich. Nicht anders haben es die deutschen Rentner gemacht, die nach Spanien gezogen sind.

    Gleichberechtigt

    Die jetzige Generation der Migranten hat gute Chancen, gleichberechtigt in unserer Gesellschaft leben zu können. Arbeit spielt dabei eine zentrale Rolle. Positiv: Viele Menschen mit Migrationshintergrund gründen ihr eigenes Unternehmen.Haben sie erst einmal die Hürde der Bankkredite geschafft, sind sie erfolgreich und bieten Arbeitsplätze auch für Deutsche. Negativ: Etliche fallen durch das gesellschaftliche Netz: ohne Schulabschluss, schlechte Sprachkenntnisse, keine Ausbildung.
    Deshalb muss Integration jeden Einzelnen in der Gesellschaft betreffen. Man kann nicht gleichzeitig über Integrationswilligkeit von Migranten reden, ohne zugleich die Integrationsfähigkeit von Gesellschaft einzufordern. Gleichberechtigte Teilhabe bedeutet Chancengleichheit.
    Alle fordern Integration. Doch wer Integration als bloße Anpassung begreift, die nur die anderen leisten müssen, führt die Diskussion in die Sackgasse.Wir werden uns über die gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens verständigen müssen. Integrieren statt ignorieren heißt mehr als bloße Duldung und braucht einen wechselseitigen Verständigungsprozess auf gleicher Augenhöhe. Das kann der Migrationsausschuss in NRW leisten.
    SH

    ID: LIN01452

  • Speth, Brigitte (SPD); Recker, Bernhard (CDU); Witzel, Ralf (FDP); Löhrmann, Sylvia (Grüne)
    Integration oder kulturelle Identität - was hat Vorrang in der Schule?
    Wort und Widerwort;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10 in Ausgabe 16 - 10.12.2003

    Von Brigitte Speth (SPD)
    Die Fragestellung trifft leider nicht den Punkt. Sie unterstellt, Integration und kulturelle Identität seien Gegensätze.Wer aber - gewollt - trotzdem einen solchen "Gegensatz" aufbaut,muss sich die Frage gefallen lassen, ob die Diskussion um die "Leitkultur" neu belebt werden soll? Daran allerdings, sollte man sich wirklich nicht beteiligen.
    Sollte sich hinter dieser Frage aber die Diskussion um das "Kopftuchurteil" verbergen, bin ich der festen Überzeugung, dass 1. Muslima ihr Kopftuch tragen können und sollen: im Privaten, auf der Strasse, im Theater, überall; 2. eine Lehrerin den Staat vertritt und insofern zur Neutralität verpflichtet ist und 3. es im Kern um das "politische Kopftuch" geht. Dieses ist wiederum das Symbol für islamistischen Fundamentalismus, für Ungleichheit zwischen Frau und Mann und für Ungleichheit zwischen den Muslima selbst.
    Daher spreche ich mich für ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen aus. Der von der CDU dazu eingebrachte Gesetzentwurf wird aber einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Auch aus diesem Grund hat die SPD-Fraktion den Verfassungsjuristen Professor Battis beauftragt, Vorschläge für eine verfassungskonforme Formulierung zu finden. Denn Integration und kulturelle Identität gehören zusammen. Integrationspolitik beinhaltet Respekt vor der je anderen Kultur und damit auch vor der kulturellen Identität des Einzelnen. Besonders Kindergärten und Schulen erbringen täglich eine solche hohe Integrationsleistung. Ihr Bildungs- und Erziehungsauftrag ist der Demokratie und der Toleranz verpflichtet.Die vorrangige Aufgabe der Politik ist es, gerade jetzt, Schulen und Kindergärten bei dieser schwierigen Aufgabe materiell und ideell zu unterstützen.

    Von Bernhard Recker (CDU)
    Die Frage ist falsch gestellt. Kulturelle Identität bedeutet ein klares Selbstverständnis eigener Werte. Nur wer seine Werte kennt, kann auch andere integrieren. Eine erfolgreiche Integrationspolitik kann sich kein Laisser-faire und keine Beliebigkeit bei den Grundwerten erlauben. Wir brauchen eindeutige "Spielregeln" für das Zusammenleben in unserem Land, gerade weil unsere Gesellschaft pluralistischer wird. Integration bedeutet nicht Assimilation und nicht Relativierung unserer eigenen Grundwerte - dazu gehört die Religionsfreiheit. Unsere Kinder müssen lernen, dass dieses Gut unverzichtbar ist. Deshalb darf es keinerlei politische und religiöse Indoktrination im Klassenzimmer geben. Jeder Form von Fundamentalismus ist eine entschiedene Absage zu erteilen. Nur wer die Spielregeln der freien Demokratie kennt und akzeptiert, kann sich in unsere Gesellschaft erfolgreich integrieren. Schule muss die Grundlagen für Orientierungsfähigkeit und Identitätsfindung bieten. Geschichte, Religion und Philosophie sind dafür selbstverständlich. Doch leider verschlechtern sich die Rahmenbedingungen zusehends. Im Haushalt wird es keine weiteren Stellen für praktische Philosophie geben. Versprochen - gebrochen. Integrationsstellen werden in einem Sammeltopf verwaltet und die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Integration weiter verschlechtert. Integration muss endlich Vorrang in den Schulen haben.

    Von Ralf Witzel (FDP)
    Obwohl wir im Zeitalter der Globalisierung leben, betrachten wir Begriffe wie Integration und kulturelle Identität noch immer als Gegensatz. Gerade dies darf jedoch nicht Ansatz unserer Gesellschaft sein. Vielmehr gilt: Integration und kulturelle Identität müssen als verbundene Begriffe angesehen werden. Oftmals ist eine stabile kulturelle Verwurzelung Voraussetzung für die Akzeptanz anderer Kulturen und damit für Integrationsfähigkeit.
    Es gehört zu unserem Schulalltag, dass Schüler unterschiedlicher Nationalitäten zusammen unterrichtet werden. Dies geht nicht ohne ein Mindestmaß an Anpassungsfähigkeit. Für einen reibungslosen Unterricht ist es unerlässlich, dass die deutsche Sprache einwandfrei beherrscht wird. Mangelnde Sprachkenntnisse sind bis heute ein großes Problemfeld bei der Suche nach Ausbildungsplätzen. Hier steht das Land in der Pflicht, sich stärker in der Sprachförderung zu engagieren.
    Integration erfordert keineswegs eine Abkehr von der eigenen kulturellen Identität. Im Gegenteil: Jede Kultur hat ihre Stärken, von der die jeweils andere profitieren kann. Kinder mit muttersprachlichem Unterricht beherrschen die Herkunftssprache sicher und lernen daher auch andere Sprachen leichter. Und entgegen den Lehrern dürfen sich die Schüler auch künftig so kleiden, wie sie mögen. Grundsätzlich gilt: Debatten um Leitkultur oder Leitreligion werfen unsere Integrationspolitik zurück.

    Von Sylvia Löhrmann (GRÜNE)
    Für uns Grüne steht beides nicht im Widerspruch zueinander - und darf auch nicht zu einem solchen stilisiert werden. In gewisser Weise bedingen sich Integration und kulturelle Identität sogar: Wer sich seiner selbst bewusst ist, und dazu zählt die kulturelle Herkunft, kann auch andere besser annehmen und respektieren und Teil einer pluralen Gemeinschaft sein. In NRW besuchen Schülerinnen und Schüler mit fast einhundert unterschiedlichen Muttersprachen unsere Schulen. Dort treffen mehr als an jedem anderen Ort unserer Gesellschaft unterschiedliche Kulturen, Religionen und Sprachen aufeinander. Schule ist der Ort, an dem es früh zu einem Austausch und zur Entwicklung von Verständnis und Verständigung von und mit dem "Anderen" und dem "Fremden" in unserer Gesellschaft kommen kann und kommen muss. Toleranz und Anerkennung darf aber nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Natürlich muss die kulturelle Identität der Einzelnen in unseren Schulen da ihre Grenze haben, wo verfassungsrechtlich geschützte Rechte ins Spiel kommen - beispielsweise wenn es um die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Anwendung von Gewalt geht. Hier müssen die Schulen vor Ort klar Stellung beziehen und ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag gerecht werden. Vor allem muss aber die Chance des sich Kennenlernens in unseren Schulen genutzt werden, um ein friedliches Zusammenleben der Kulturen in unserem Land zu gewährleisten.

    Systematik: 5070 Ausländer/Vertriebene/Aus- und Übersiedler; 4200 Schulen

    ID: LIN01464

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