Betty Pallas (1910-1988)

Die gebürtige Solingerin Betty Pallas engagierte sich vor und während des „Dritten Reiches“ für die KPD und deren gewerkschaftlichen Organisationen. Nach ihrer Inhaftierung zog sie sich zurück und wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder politisch aktiv. Betty Pallas war Mitglied der ersten beiden ernannten Landtage und rückte in der zweiten Wahlperiode als Abgeordnete in den Landtag nach.

Bertha „Betty“ Pallas (geb. Martin) wurde am 14. März 1910 in Ohligs (heute Solingen-Ohligs) in eine Arbeiterfamilie hineingeboren. Schon früh lernte sie durch ihr Elternhaus die sozialistische Arbeiterbewegung kennen: Ihr Vater war gewerkschaftlich organisiert, ihre Mutter unterstützte Streiks in der Stadt durch Lebensmittelspenden und im Elternhaus hing ein Bild des SPD-Mitbegründers August Bebel.1 Bereits in jungen Jahren war sie Mitglied der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) und nahm am „Arbeitersport“ teil.2

Mit 14 Jahren begann Betty Martin als ungelernte Arbeiterin in der Kartonagenfabrik eines Nachbars zu arbeiten. Zu dieser Zeit erlebte sie auch einen Streik der Arbeiter und Arbeiterinnen vor dem Rathaus in Ohligs. Bei einer Protestversammlung gegen geringe Löhne kam es zu Ausschreitungen, zwei Polizisten schossen in die Menge und verletzten zwei der Demonstranten tödlich. Betty Pallas erinnerte sich 60 Jahre später: „Das hat mich so erschüttert, da denk ich, ja die haben doch nichts zu essen, ja wie kann man denn einfach so in die Leute reinschießen. Ist doch ihr gutes Recht.“3 Zu dieser Zeit erlebte sie in ihrem neuen Betrieb, der Schirmfabrik Konenbach und Rauch, auch Handgreiflichkeiten ihres Vorgesetzen gegenüber den Angestellten und entschloss sich daher, einer Gewerkschaft beizutreten.4 Später schloss sie sich der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) der KPD an. Deren Ziel war es, die Freien Gewerkschaften zu unterwandern, deren Mitglieder abzuwerben, um dann alle Gewerkschaften durch Betriebsräte zu ersetzen.5 Davon versprach man sich eine stärkere Durchsetzung der Interessen der Arbeiterschaft.

In den 1980er Jahren bewertete Betty Pallas die Spaltung der Gewerkschaften in der Weimarer Republik rückblickend als Fehler, da es bestimmte Fragen gäbe „in denen man zusammengehen muss.“6 Als Kommunistin initiierte sie Anfang der 1930er Jahre in der Schirmlackiererei einen Streik, der dazu führte, dass sie mit 20 anderen Frauen – die ebenfalls der RGO angehörten – aus dem Betrieb entlassen wurde.7 Bis Betty Pallas in den 1970er Jahren ihre Rente beanspruchte, sollte sie aufgrund ihres gewerkschaftlichen Engagements immer wieder ihre Anstellungen verlieren.8

Zu Beginn der 1930er Jahre war die KPD in Solingen und Umgebung mit rund 40 % aller Stimmen die stärkste politische Kraft.9 Ein zentraler Grund dafür war vor allem die hohe Arbeitslosigkeit in der Stadt.10 Da aber auch die NSDAP immer größere Zustimmung erfuhr, griff die SA „immer offener, brutaler und rücksichtloser“11 Kommunisten an. Auch Betty Pallas‘ Ehemann Otto wurde 1932 auf dem Heimweg von der SA angegriffen und schwer verletzt.12

Nach der „Machtergreifung“ verteilte Betty Pallas für die RGO Flugblätter gegen die Nationalsozialisten. Als sie im April 1934 im Rahmen der „Wuppertaler Prozesse“ – einer Reihe großer Hochverratsprozesse gegen Aktivitäten der KPD im Raum Wuppertal – festgenommen und der Vorbereitung des Hochverrats beschuldigt wurde, bestritt sie vor Gericht ihr antifaschistisches Engagement.13 Grund für ihre Festnahme war die Aussage eines ebenfalls Angeklagten, nach der sie für „die Verwaltung und Auszahlung der für die Flüchtlinge bestimmten Geldbeträge“14 zuständig gewesen sei. Weiter war ausgesagt worden, sie habe Treffen mit anderen Kommunisten beigewohnt, um die illegale RGO wiederaufzubauen.15 Später erinnerte Betty Pallas sich an ein Gespräch aus der Nachkriegszeit, in dem der Belastungszeuge ihr von seiner Hafterfahrung erzählte: „Da hat man den 14 Tage lang windelweich gehauen. Und da hat er mir später gesagt: Ich wußte mir keinen Ausweg mehr und ich hab mir gedacht, wen sie am wenigsten belasten können.“16 Im Rahmen des Prozesses sagte sie aus, dass sie keiner politische Organisation angehört habe und bei Gesprächen zwischen den RGO-Funktionären nur als „unbeteiligte und uninteressierte Zuhörerin“ anwesend gewesen sei.17 Die Gestapo aber hatte nach einer „Frau mit weißen Söckchen“ gefahndet und Betty Pallas erinnerte sich in den 1980er Jahren daran, eben jene weiße Söckchen18 häufiger getragen zu haben, wenn sie Flugblätter für die RGO austeilte.

Am 25. Januar 1935 wurde sie vom Oberlandesgericht Hamm wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt.

Nach ihrer Entlassung litt Betty Pallas an den Folgen ihrer Haft und erfuhr jahrelang plötzliche Anfälle von Schmerzen, Fieber und Schüttelfrost.19 Im Jahr 1937 wurde sie erneut von der Gestapo verhaftet und nach Düsseldorf überführt.20 Grund dafür war die Aussage eines Gemüsehändlers, der sie bezichtigte, politische Schriften verteilt zu haben. Betty Pallas sagte aus, sie habe die Flugblätter direkt verbrannt und nie austeilen wollen. Sie wurde nach acht Wochen Haft wieder entlassen.21 Ob Betty Pallas die Flugblätter tatsächlich besessen und verbreitet hatte, lässt sich nicht mehr feststellen.

Im Rahmen der „Aktion Gitter“ nach dem gescheiterten Hitler-Attentat sollte sie im Jahr 1944 ein weiteres Mal verhaftet werden. Ein Nachbar setzte sich dafür ein, dass sie bei ihrer zweijährigen Tochter und ihrem sterbenden Mann, der durch die Zwangsarbeit in einem Rüstungskonzern schwer erkrankt war, bleiben konnte22 – somit entging Pallas einer dritten Inhaftierung. Auch nach dem Tod von Otto Pallas 1944 wurde die Familie weiterhin bis zum Ende des Nationalsozialismus von der Gestapo überwacht.23

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges vertrat Betty Pallas die KPD in der Solinger Stadtverordnetenversammlung und trat für die Rechte der Frauen und für einen „Hausarbeitstag“ ein. Dieser sollte es vollzeitbeschäftigten Frauen erleichtern, Arbeit und Familie zu vereinbaren.24 Als Betriebsrätin in einer Schlüsselfabrik setzte sie den Hausarbeitstag 1949 auch in ihrem Betrieb durch.25

Während ihrer Zeit als Abgeordnete im Landtag Nordrhein-Westfalen war Betty Pallas in mehreren Ausschüssen aktiv. Von 1946 bis 1947 war sie erst ordentliches und dann stellvertretendes Mitglied des Ernährungsausschusses und Mitglied des Wohlfahrtsausschusses. Von 1952 bis 1954 war sie Mitglied im Flüchtlingsausschuss, im Kulturausschuss und im Wiedergutmachungsausschuss sowie stellvertretendes Mitglied des Sozialausschusses und des Kommunalpolitischen Ausschusses. Während sie politische Ämter auf Landes- und Kommunalebene innehatte, arbeitete Betty Pallas weiterhin halbtags. In den 1980er Jahren erinnerte sich Betty Pallas an ein Gespräch mit einer Arbeitskollegin, als sie selbst als Reinigungskraft in einer Gießerei arbeitete. Auf die Frage der Kollegin, warum sie dort putze, obwohl sie doch Stadtverordnete sei, erwiderte Pallas nach eigener Erinnerung: „Da vertrete ich doch eure Interessen. Ich bin genauso ein Arbeiterkind wie du, das werd' ich nie vergessen.“26 Bevor die KPD im Jahr 1956 als Partei verboten wurde, schloss auch ihre Gewerkschaft Betty Pallas aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit aus. Ihr Wiederaufnahmeantrag wurde abgelehnt.

Im Juni 1953 leitete das Landgericht Düsseldorf eine Strafanzeige gegen Betty Pallas ein und stellte dazu auch einen Antrag auf die Aufhebung ihrer Immunität als Abgeordnete. Grund dafür war das Flugblatt „Der Tag X“, das von der Solinger KPD verteilt wurde und auf dem Betty Pallas als verantwortliche Herausgeberin angegeben war.

Der Text des Flugblattes beschäftigte sich mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR. Die Streikwelle, die sich aus der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung über Lebensmittelengpässe und die wachsende staatliche Überwachung ergab, überraschte Ost- und Westmächte gleichermaßen.27 Da die handlungsunfähig gewordene SED dem drohenden Zusammenbruch der DDR nichts entgegenzusetzen hatte, intervenierte die Sowjetunion sowohl militärisch als auch politisch. Insgesamt wurden 15.000 Menschen verhaftet, außerdem kam es zu standgerichtlichen Erschießungen.28 Auf beiden Seiten entstanden schon während der Streikwelle Theorien über Sabotage und Inszenierung des Volksaufstandes. So propagierte die Sowjetunion ebenfalls den 17. Juni ausdrücklich als „inszenierten Putschversuch faschistischer Provokateure“.29

Auch die Solinger KPD übernahm dieses Narrativ und fordert 1953 den „Sturz der Adenauer-Regierung“30: „Nur ja keine Verständigung, keine Einheit Deutschlands, keine Viermächteverhandlung, kein Friedensvertrag – das ist ihre Losung! Die Kriegspolitik der amerikanischen Imperialisten und ihrer treuesten Stützen in Westdeutschland droht zusammenzubrechen. Manche Menschen fragen: War es notwendig, daß die sowjetischen Truppen angegriffen haben? Jawohl, es war notwendig, denn es mußte den Kriegsprovokateuren aus dem Westen eine entschiedene Abfuhr erteilt werden.“31 Ob Betty Pallas tatsächlich für den Inhalt des Flugblattes verantwortlich war, lässt sich nicht mehr feststellen. 

Am 12. April 1954 wurde Betty Pallas in einer Sitzung des Landtages die Immunität aberkannt. Damit wurde ein Ermittlungsverfahren gegen sie wegen „Staatsgefährdung und Beleidung“32 sowie „Verunglimpfung der Bundesregierung“ eingeleitet. Der Generalstaatsanwalt ließ das Ermittlungsverfahren aber vier Monate später wieder einstellen, da das Flugblatt nicht erkennen lasse, „daß der darin geforderte Sturz der ‚Adenauer-Regierung‘ mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt erfolgen sollte.“33 Betty Pallas sagte 1954 aus, sie habe von „dem im Grundgesetz verankerten Recht der freien Meinungsäusserung [sic] Gebrauch gemacht.“34 Trotz des laufenden Ermittlungsverfahrens kandidierte Betty Pallas im Juni 1954 wieder für die KPD auf der Reserveliste, neben Karl Schabrod, Grete Thiele und Josef Angenfort. Die Zeitgenossen werteten dies als deutliches Zeichen dafür, „wie sehr dieser Partei daran gelegen ist, für ihre Spitzenfunktionäre erneut die Immunität zu sichern.“35 In ihrem Wahlkampf warb Betty Pallas mit dem Slogan „Frieden Freiheit Demokratie“ vor allem um die Stimmen der arbeitenden Frauen. Sie sprach sich – wie bereits 194636 – für gleiche Löhne für Frauen aus und warnte vor der Remilitarisierung.37 Betty Pallas gelang der Wiedereinzug in den Landtag nicht.

Betty Pallas beteiligte sich an der „Frauenfriedensbewegung“ Solinger Demokratinnen, die später in den „Demokratischen Frauenbund“ überging. Außerdem war sie Mitglied der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). Dort lag ein Antrag auf Verleihung der Ehrenmedaille für „hervorragende Verdienste im Widerstandskampf gegen das nationalsozialistische Gewaltregime“38 vor – ob sie diese verliehen bekam, ist nicht mehr nachzuweisen. Betty Pallas verstarb am 29. Januar 1988 in Solingen

Endnoten
1 StA Solingen – Na 144 Nr. 072 ; Transkription eines Interviews mit Betty Pallas von Margot Müller, Sigrid Quack und Brigitte Lüdecke mit Betty Pallas für das Projekt Lebenslauf und Regionalgeschichte, im Oktober 1981, S. 2. Die Zitate aus der Transkription wurden hier zur verbesserten Leserlichkeit in Rechtschreibung und Zeichensetzung korrigiert.
2 Ebd., S. 51.
3 Ebd., S. 3.
4 Ebd., S. 3.
5 Heer-Kleinert, Lore: Die Gewerkschaftspolitik der KPD in der Weimarer Republik, Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1983, S. 61.
6 StA Solingen – Na 144 Nr. 072, S. 4.
7 Ebd., S. 6-7.
8 Ebd., S. 19.
9 Neufurth, Bernd: Solingen 1929-1933 – Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Machtübernahme in einer Kommune, in: Duisburger Studien (Bd. 3), Hg. von E. Horst Schallenberger und Helmut Schrey, Verlag Hans Richarz, St. Augustin, 1984, S. 28.
10 Ebd., S. 82.
11 Ebd., S. 148.
12 StA Solingen – Na 144 Nr. 072, S. 8.
13 BArch R 3018 / 5849 – Oberlandesgericht Hamm, vom 24.04.1934, Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.
14 BArch R 3018 / 5849 – Oberlandesgericht Hamm, vom 24.04.1934, Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.
15 BArch R 3018 / 5849 – Oberlandesgericht Hamm, vom 24.04.1934, Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.
16 StA Solingen – Na 144 Nr. 072, S. 9-10.
17 BArch R 3018 / 5849 – Oberlandesgericht Hamm, vom 24.04.1934, Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.
18 StA Solingen – Na 144 Nr. 072, S. 9.
19 Ebd., S. 44.
20 LAV NRW RW 0058 Nr. 66318.
21 StA Solingen – Na 144 Nr. 072, S. 12.
22 Ebd., S. 14.
23 Ebd., S. 14.
24 BArch BA-BY-6154, Pressebericht. Volks-Echo, 132/10.06.1950.
25 StA Solingen – Na 144 Nr. 072, S. 16.
26 Ebd., S. 18.
27 Gehler, Michael; Steiniger, Rolf:17. Juni 1953 – Der unterdrückte Volksaufstand – Seine Vor- und Nachgeschichte, Lau-Verlag, Reinbek, 2018, S. 80-81.
28 Kowalczuk, Ilko-Sascha: 17. Juni 1953, C.H.Beck, München, 2013, S. 105-106.
29 Gehler, Michael; Steiniger, Rolf:17. Juni 1953 – Der unterdrückte Volksaufstand – Seine Vor- und Nachgeschichte, Lau-Verlag, Reinbek, 2018, S. 87.
30 LAV NRW NW 0377 _ JM Berichte in Strafsachen Nr. 3117, Bl. 2 und Rückseite.
31 Ebd., Bl. 2 und Rückseite.
32 Ebd., Bl. 1.
33 Ebd., Bl. 30 und Rückseite.
34 LAV NRW Rep 230 Nr 287, Bl. 18.
35 LT NRW 118 A0208/561 , Kompendien 1 und 3.
36 StA Solingen – Ve 73-33, Betty Pallas. Wählerbrief zur Stadtverordnetenwahl vom 13. Oktober 1946, Blatt 3.
37 BArch BA-BY-6154.
38 StA Solingen – Ve 73-33, Betty Pallas, Bl. 7.

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