Im gleichen Jahre wurde Spiecker „Bevollmächtigter des Staatskommissars für die Überwachung der öffentlichen Ordnung“ in Oberschlesien, wo er Vorbereitungen für die Volksabstimmung 1921 über die Zugehörigkeit der Region zu Deutschland oder Polen treffen sollte. Spiecker, der in seinem Amt weitreichende Handlungskompetenz besaß, baute in der umkämpften Region Oberschlesien ein eindrückliches Informationsnetzwerk auf, wodurch die preußische Regierung zuverlässig über die aktuellen Entwicklungen und Stimmungen unterrichtet wurde. Umstritten ist allerdings, ob oder inwieweit er in die politischen Fememorde der damaligen Zeit verwickelt war. Er selbst musste sich diesbezüglich Jahre später auch vor Gericht rechtfertigten. Trotz vieler offener Fragen wurde das Verfahren gegen ihn wegen Anstiftung zum Mord eingestellt.2
1922 widmete sich Spiecker wieder dem journalistischen Metier – er wurde Verlagsdirektor der Zentrumszeitung „Germania“. Dort sorgte er für eine Neuausrichtung des Blattes, weg von konservativ-aristokratischen Standpunkten hin zu sozialen und republikanischen Inhalten. Innerhalb des Zentrums, das eine erhebliche Spannbreite an politischen Positionen zu integrieren vermochte, gehörte Spiecker eindeutig zu den linkeren Vertretern, die sich nicht nur mit der Weimarer Republik identifizierten, sondern sich auch verstärkt für soziale Belange einsetzten. Im Dezember 1923 wurde Spiecker dann Chef der Vereinigten Presseabteilung der Reichsregierung und des Auswärtigen Amtes im Rang eines Ministerialdirektors. Diese Stellung verschaffte ihm Einfluss auf die Politik des Reichskanzlers, vorausgesetzt, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit war möglich. So endete Spieckers Zeit als Pressechef am 16. Januar 1925, als der parteilose Hans Luther den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx als Reichskanzler ablöste. Spieckers Gestaltungsspielraum schwand in den darauffolgenden Jahren zusehends. Das Amt des Untergeneralsekretärs beim Völkerbund, eine Staatssekretärsstelle, wie auch 1928 ein Reichstagsmandat blieben ihm verwehrt. Die wachsende Zahl an Republikskeptikern machten sein berufliches Fortschreiten schwierig, genauso wie sein Handeln in Oberschlesien ihn bei progressiven Kräften verdächtig machte.3
Derartige Rückschläge verminderten sein Engagement für den Erhalt der Republik keineswegs. So war er seit 1926 im Vorstand des Deutschen Republikanischen Reichsbunds und trat zwei Jahre später dem Vorstand der Republikschutzorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold bei. Auch im publizistischen Bereich war er aktiv: Er war im Vorstand der Vereinigung Republikanische Presse und gründete zusammen mit anderen Demokraten die Zeitschrift „Deutsche Republik“, die als Organ einer demokratischen Sammlungsbewegung gedacht war. Am 1. Oktober 1930 wurde Spiecker dann von Reichskanzler Heinrich Brüning zum Sonderbeauftragten zur Bekämpfung des Nationalsozialismus ernannt. Diese Stelle war eigens geschaffen worden, nachdem die NSDAP bei den Wahlen im September 1930 ihren Stimmenanteil von 2,6% auf 18,3% erhöhen konnte. Als Sonderbeauftragter sollte er belastendes Material über die Nationalsozialisten zusammentragen. Wie in Oberschlesien bewegte er sich wieder im demokratisch-rechtsstaatlichen Graubereich. U.a. pflegte er engen Kontakt zu dem ehemals führenden NS-Politiker Otto Strasser. Die finanziellen Mittel, die Spiecker zur Verfügung standen, waren jedoch zu gering, um ernsthaft brauchbare Resultate zu liefern. Nach einem Jahr wurde die Stelle wieder abgeschafft. Die Zeit reichte allerdings aus, um den Hass der Nationalsozialisten auf sich zu ziehen.4
1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, floh Spiecker nach Paris ins Exil, wo er am 14. September eintraf. Dort nahm er Kontakt zu weiteren Exilpolitikern aus anderen Parteien auf. Im Gegensatz zu den zahlreichen Sozialdemokraten und Kommunisten verließen nämlich nur sehr vereinzelt Zentrumspolitiker das nationalsozialistische Deutschland und die wenigen Exilkatholiken, wie die ehemaligen Reichskanzler Joseph Wirth und Heinrich Brüning, hielten sich in ihrer politischen Betätigung sehr zurück. Spiecker war mit seinem regen politischen Aktionismus sicherlich ein Sonderfall. Damit zusammenhängend ist es bemerkenswert, dass er keine Vorbehalte hatte, mit Vertretern der politischen Extreme zu kooperieren, beispielsweise mit dem Kommunisten Willi Münzenberg. Mit der Beteiligung am Pariser „Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront“, in dem sich Intellektuelle, Sozialdemokraten, Linkssozialisten und Kommunisten zusammenfanden, und vor allem mit der Gründung der Deutschen Freiheitspartei 1937 versuchte er nämlich eine antinationalsozialistische Sammlungsbewegung ins Leben zu rufen. Auch publizistisch war Spiecker erneut umtriebig. So brachte er die „Deutschen Freiheitsbriefe“ wie auch die Zeitschrift „Das wahre Deutschland“ heraus, die beide illegal nach Deutschland geschmuggelt wurden. Darüber hinaus verfasste er das Buch „Hitler gegen Christus“, welches ebenso wie die meisten seiner Artikel aus Schutz vor seiner in Deutschland verbliebenen Familie nicht unter seinem Namen erschien. Dass die Nationalsozialisten seine Familie in Sippenhaft nehmen würden, musste er zu Recht befürchten; schließlich war eine seiner Töchter kurzzeitig verhört und inhaftiert worden.5
Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges siedelte Spiecker nach London über, wo er seine Aktivitäten gegen das NS-Regime fortsetzte. Dort verfasste er für die Radiosendereihe „Hier spricht Deutschland“ mehrere Beiträge und baute den Schwarzsender „Freiheitssender der Deutschen Freiheitspartei“ auf. Doch trotz seines Engagements, die Resultate seines Wirkens blieben bescheiden. Die Freiheitspartei war in den anderen Exilländern und innerhalb Deutschlands kaum vernetzt und die Vertriebs- und Organisationsverbindungen der Freiheitsbriefe wurde 1938 von der Gestapo enttarnt, was dazu führte, dass zahlreiche Sympathisanten in Deutschland verhaftet wurden. Der Freiheitssender konnte zudem in Deutschland kaum empfangen werden und wurde 1941 eingestellt. Im Zuge des fortschreitenden Zweiten Weltkriegs ging Spiecker dann weiter in die USA und nach Kanada. Diesen Schritt bereute er allem Anschein nach, fühlte er sich doch in seinem amerikanischen Exil zur politischen Untätigkeit verdammt. Allerdings verfasste er hier sein Buch „Germany – From Defeat to Defeat“.6
Nach Ende des NS-Regimes kehrte Spiecker nach Deutschland zurück und sah dort seine Familie wieder. Der neugegründeten CDU stand er skeptisch gegenüber, wie auch einige andere Sozialkatholiken. Er hätte sich vielmehr eine Arbeiterpartei gewünscht, die nach Vorbild der britischen Labourpartei konfessionelle und nicht-konfessionelle Arbeitnehmer zusammenbringen sollte. Da sich diese Hoffnungen zerschlugen, engagierte er sich bei der Wiedergründung des Zentrums und wurde deren stellvertretender Vorsitzender. Zudem wurde er Lizenzträger des Zentrumsblatts „Rhein-Ruhr-Zeitung“ in Essen. Nach den ersten Wahlen am 20. April 1947 zog er in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein. Landtagsabgeordneter blieb er allerdings nur bis zum 2. Juli, da er von dort in den Exekutivausschuss des Frankfurter Bizonen-Wirtschaftsrats wechselte. Zuvor war er bereits Mitglied des Zonenbeirats der britischen Zone in Hamburg gewesen.7
Im Dezember 1948 wurde Spiecker erster Vorsitzender der Deutschen Zentrumspartei. In dieser Funktion plante er, als Konsequenz des permanenten Stimmenverlusts der Partei, die Fusion mit der CDU. Dabei hatte er selbst zuweilen große Vorbehalte gegenüber Konrad Adenauer und seiner politischen Agenda. Innerhalb des Zentrums fand er jedenfalls für dieses Vorhaben keinerlei Unterstützung. Auf dem Delegiertentag in Oberhausen am 30. Januar 1949 wurde die Einigungsinitiative mit 239 zu 26 Stimmen abgelehnt. Spiecker trat am nächsten Tag als Vorsitzender zurück und im März in die CDU ein. Anders als zu Konrad Adenauer pflegte Spiecker zum NRW-Ministerpräsidenten Karl Arnold ein vertrauensvolles Verhältnis. Dieser ernannte ihn bereits im April 1948 zum Landesminister und Bevollmächtigten des Landes Nordrhein-Westfalen beim Länderrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet der britischen und amerikanischen Zone. Ab September 1949, nach Gründung der Bundesrepublik, war er dann Bevollmächtigter des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund und vertrat das Land auch im Bundesrat. In dieser Funktion wurde Spiecker 1952 auch Mitglied der deutschen Delegation im Ministerrat der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Das Amt des Bevollmächtigten hatte er bis zu seinem Tod inne. Eine Kandidatur für den ersten Deutschen Bundestag hatte Spiecker abgelehnt.8
Neben all diesen beruflichen Aktivitäten war Spiecker nach dem Krieg Vorsitzender der Gesellschaft Imshausen, in der sich NS-Widerstandskämpfer unterschiedlicher politischer Lager zusammenfanden. Unter dem Druck des sich zuspitzenden Ost-West-Konflikts scheiterte die Initiative jedoch bereits wieder im Mai 1948. 1922 hatte Spiecker das Komturkreuz mit Stern des päpstlichen Sankt-Gregorius-Ordens erhalten. Carl Spiecker starb am 16. November 1953 im Alter von 65 Jahren bei einem Kuraufenthalt in Königstein im Taunus an einem Herzschlag.9