Peter Zimmer (1868-1957)

Peter Zimmer konnte am Ende seines Lebens auf einige leidvolle Erlebnisse zurückblicken. Er wurde Opfer eines schweren Bergmannsunfalls, überlebte einen gewalttätigen Angriff aggressiver Kommunisten und erduldete eine lange Gefängnishaft im Nationalsozialismus. Freude dagegen bereitete es ihm, als erster nordrhein-westfälischer Alterspräsident die Wahl des Landtagspräsidenten leiten zu dürfen.1

Peter Zimmer wurde am 3. September 1868 im hessischen Seibelsdorf geboren und wuchs in einem Arbeiterhaushalt auf. Nach dem Ende seiner Schulzeit begann er eine Schreinerlehre in Remscheid. Als Schreinergeselle begab er sich dann auf Wanderschaft und zog sogar bis in die Schweiz, nach Frankreich, Belgien und in die Niederlande. Mitte der 1880er Jahre kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete auf der Essener Zeche Pörtingsiepen als Bergmann. 1890 trat er der Bergarbeitergewerkschaft „Alter Verband“ bei und wenig später der SPD. Den christlichen Gewerkschaften sowie der Deutschen Zentrumspartei hatte er sich nicht angeschlossen, obwohl er sein ganzes Leben Mitglied der römisch-katholischen Kirche war. Als Bergmann erlitt er – infolge eines verfrühten Sprengschusses – eine Grubenunfall. Sein Gesicht war durch den Kohlenstaub mit blauen Narben übersäht, weshalb er den Spitznamen „blauer Peter“ erhielt. Aufgrund seines politischen Engagements war er darüber hinaus als „roter Zimmer“ bekannt. 1901 heiratete er in Werden seine Frau Maria Luise, mit der zusammen eine Familie gründete. 1906 wurde Peter Zimmer Gewerkschaftssekretär des Bergarbeiterverbands – erst in Essen und ab 1911 in Moers.2

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beteiligte sich Peter Zimmer im Arbeiter- und Soldatenrat in Moers. Obwohl er sich in seinem Beruf mit viel Engagement für die Interessen der Arbeiterschaft einsetzte, war er kein Revolutionär, sondern ein Verfechter des sozialen Ausgleichs. Seine Absage an gewaltsame Umsturzversuche erzürnte daher die örtlichen Kommunisten. 1921 – im Zuge der kommunistischen Unruhen – wurde er schließlich von einer aufgebrachten Menge schwer misshandelt.3 Im Bericht des Moerser Bürgermeister heißt es, dass Zimmer u.a. mit Ziegelsteinen beworfen worden sei: „Einer dieser Ziegelsteine traf Zimmer am Hinterkopf, sodaß er zu Fall kam und wenigstens vorübergehend bewußtlos wurde. Nachdem er zu Fall gekommen war, wurde sein Kopf mit Knüppeln bearbeitet, sodaß besonders die linke Kopfseite ganz verfärbt ist. Er hat auch einige Rippen gebrochen und außerdem (von kleineren Verletzungen abgesehen) eine schwere Verletzung am linken Unterarm erlitten.“4 Der Vorfall, der zu einer Reihe von Verhaftungen und Verurteilungen führte, wurde überregional bekannt. Sogar im Preußischen Landtag wurde er thematisiert. Zimmer verbrachte mehrere Monate im Krankenhaus. 1923 protestierte er an der Spitze eines viele tausend Menschen umfassenden Demonstrationszugs gegen die Handlungen der belgischen Besatzungsmacht im Rheinland. Zimmer übte noch bis 1926 seine Stelle als Gewerkschaftssekretär aus. Danach ging er als Invalide in Rente. Dies bedeutete jedoch für ihn keineswegs einen Rückzug aus dem öffentlichen Leben. 1927 wurde er Kassierer im SPD-Ortsverein. Zudem war er für längere Zeit Mitglied des Stadtrats, des Kreistags sowie des rheinischen Provinziallandtags. Auch war er Gründungsmitglied der Republikschutzorganisation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ und seit 1920 Verwaltungsrat bei der Bergmannsiedlung „Linker Niederrhein“.5

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor Peter Zimmer seine Ämter. Ferner wurde er vier Tage in „Schutzhaft“ genommen. Zimmer versuchte während des „Dritten Reichs“ ein zurückgezogenes Leben zu führen. Er wurde lediglich einfaches Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Als aber 1935 der – vorwiegend von Hermann Runge angeführte – sozialdemokratische Widerstand in der Region von der Gestapo enttarnt wurde, wurde auch Zimmer Anfang Juni verhaftet. Er befand sich ab dem 24. Juni im Gerichtsgefängnis Duisburg in Untersuchungshaft und wurde der „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ angeklagt. Eine Beteiligung am Widerstand konnte ihm aber im Laufe des ausufernden Gerichtsprozesses nicht bewiesen werden. Zimmer hatte lediglich zugegeben, von Runge eine Ausgabe der „Sozialistische Aktion“ erhalten zu haben. Laut eigener Aussage habe er aber die Zeitschrift vernichtet.6 Das Oberlandesgerichts Hamm kam dann im Juli 1936 zu folgendem Urteil: „Der Angeklagte konnte daher nicht im Sinne der Anklage bestraft werden. Dagegen hat er sich eines Vergehens gegen § 21 der Verordnung vom 4. Februar 1933 schuldig gemacht, da er seiner Verpflichtung, das Blatt unverzüglich der Polizei abzuliefern, nicht nachgekommen ist. Eine Strafe von 8 Monate Gefängnis ist trotz des Alters des Angeklagten eine angemessene Sühne.“7 Da sich Zimmer bereits über ein Jahr in Haft befand, wurde er nach Urteilsverkündung entlassen. Die Gestapo verdächtigte ihn jedoch weiter, sich illegal zu betätigen. Nach dem gescheiterten Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 wurde Zimmer dann abermals verhaftet.8

Zimmer engagierte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beim Wiederaufbau der SPD und der Bergarbeitergewerkschaft sowie erneut kommunalpolitisch. Zudem wurde er 1946 Mitglied des ernannten Landtags von Nordrhein-Westfalen und dort mit 78 Jahren der erste Alterspräsident.9 In seiner kurz gehaltenen Ansprache in der ersten Sitzung des Landtags erinnerte er an die Opfer des Krieges: „Alterspräsident Zimmer (SPD): […] Unser erstes Gedenken in dieser historischen Stunde geht zu unseren Toten, es geht zu den Männern und Frauen und Kindern, die da draußen und in der Heimat ihr Leben lassen mußten, es geht zu all denen, die im Kampf gegen das Nazitum gefallen, die in den Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen zu Tode gekommen sind. In unser Gedenken schließen wir alle Toten des Krieges ein, die Opfer aller Völker und Nationen.“10 Dem Landtag gehörte er lediglich in der ersten Ernennungsperiode vom 2. Oktober bis 19. Dezember an. Seit 1945 war er außerdem Geschäftsführer der Bergmannsiedlung „Linker Niederrhein“. 1953 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Peter Zimmer starb am 19. Januar 1957 nach längerem Leiden in Moers. Dort trägt mittlerweile eine Straße seinen Namen.11

Endnoten
1 Vgl. Stenographischer Bericht über die Eröffnungssitzung des Landtags des Landes Nordrhein-Westfalen vom 02.10.1946, S. 5-6. (https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMPEP1.pdf).
2 Vgl. Kirchenbuch Ruhlkirchen, in: Landesarchiv Hessen. Bestand Kirchenbuchduplikate (Sig.: C 11, Ruhlkirchen); Sterbeurkunde Peter Zimmer vom 19.01.1957, in: Stadtarchiv Moers. Standesamt Moers (Sig. 38-1957); Anklageschrift des Generalstaatsanwalts vom 16.05.1936, in: Bundesarchiv. Bestand Akten des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof (Sig.: R 3017/6062); Urteil Oberlandesgericht Hamm vom 22.07.1936, in: Bundesarchiv. Bestand Akten des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof (Sig.: R 3017/6062); Personalbogen Peter Zimmer der Gestapo, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Gestapoakten (Sig.: RW 0058 Nr. 71759); Zimmer, Peter: Fragebogen der britischen Militärregierung vom 17.07.1946, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1012 Nr. 14248); Schmidt, Bernhard: Widerstand und demokratischer Neubeginn im Altkreis Moers. Begleit- und Arbeitsheft zur Ausstellung, Moers 1995, S. 66; Kemper, Ulrich: Alles andere als ein Revolutionär. Am 3. September vor 150 Jahren wurde Peter Zimmer geboren. Der Bergmann, Gewerkschaftler und Sozialdemokrat wurde über die Stadtgrenzen hinaus geachtet, in: Neue Ruhr Zeitung (NRZ) vom 01.09.2018; o.V.: Peter Zimmer. 12 Jahre im Landtag. Feiert heute 87. Geburtstag – Bleibt Niederrhein treu, in: Neue Ruhr Zeitung (NRZ) vom 03.09.1954; o.V.: Peter Zimmer: Arbeitete für Kumpel. 65 Jahre in der Bergarbeiter-Gewerkschaft – 88 Jahre alt, in: Neue Ruhr Zeitung (NRZ) vom 19.03.1955 sowie o.V.: Wo kommt der Straßenname her: Peter-Zimmer-Straße: Lieber zu Fuß als im Auto des Generaldirektors, in: Moers-Magazin vom 21.06.1979.
3 Vgl. Schreiben Bürgermeister in Moers an den Landrat vom 06.04.1921, in: Stadtarchiv Moers. Bestand Entschädigungsakten (Sig.: 5-3160); Schmidt: Widerstand und demokratischer Neubeginn, S. 66; o.V.: Der Osterputsch in Mörs vor Gericht, in: Grafschafter vom 09.07.1921 sowie Kemper: Alles andere als ein Revolutionär.
4 Schreiben Bürgermeister in Moers an den Landrat vom 06.04.1921.
5 Vgl. ebd.; Auszug aus dem Protokoll des Preußischen Landtags vom 16.04.1921, in: Grafschafter vom 18.04.1921; Anklageschrift des Generalstaatsanwalts vom 16.05.1936; Urteil Oberlandesgericht Hamm vom 22.07.1936; Personalbogen Peter Zimmer der Gestapo; Zimmer: Fragebogen der britischen Militärregierung vom 29.07.1945, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Entnazifizierungsakten (Sig.: NW 1012 Nr. 14248); ders.: Fragebogen der britischen Militärregierung vom 17.07.1946; Schmidt: Widerstand und demokratischer Neubeginn, S. 66; o.V.: Der Osterputsch in Mörs vor Gericht; o.V.: Peter Zimmer. 12 Jahre im Landtag; o.V.: Peter Zimmer: Arbeitete für Kumpel sowie o.V.: Wo kommt der Straßenname her; o.V.: Steckenpferd Politik. Wird Samstag 87 Jahr alt – In letzter Zeit viel krank, in: Neue Ruhr Zeitung (NRZ) vom 10.09.1955; Kemper: Alles andere als ein Revolutionär sowie Terheyden, J.: Mutige Kämpfer für Recht und Freiheit. Zum Tode eines verdienten Kommunalpolitikers – Achtung vor dem politischen Gegner, in: Rheinische Post (RP) vom 24.01.1957.
6 Vgl. Anklageschrift des Generalstaatsanwalts vom 16.05.1936; Urteil Oberlandesgericht Hamm vom 22.07.1936; Personalbogen Peter Zimmer der Gestapo; Zimmer: Fragebogen der britischen Militärregierung vom 29.07.1945; ders.: Fragebogen der britischen Militärregierung vom 17.07.1946; Krampitz, Martin: „Lichter in der Finsternis“ des Widerstands, in: Neue Ruhr Zeitung (NRZ) vom 22.07.2011; o.V.: Peter Zimmer. 12 Jahre im Landtag; o.V.: Wo kommt der Straßenname her; Schmidt: Widerstand und demokratischer Neubeginn, S. 66 sowie ders.: Hermann Runge, in: Internetportal Rheinische Geschichte. URL: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-runge/DE-2086/lido/57cd23e7446d15.13931610 (abgerufen am 29.05.2024).
7 Urteil Oberlandesgericht Hamm vom 22.07.1936.
8 Vgl. ebd.; Personalbogen Peter Zimmer der Gestapo; Zimmer: Fragebogen der britischen Militärregierung vom 29.07.1945; Schmidt: Widerstand und demokratischer Neubeginn, S. 66; Kemper: Alles andere als ein Revolutionär sowie o.V.: Bundespräsident verlieht Peter Zimmer Verdienstkreuz. Regierungspräsident Baurichter überreichte es gestern feierlich dem alten Kämpfer, in: Neue Ruhr Zeitung (NRZ) vom 26.06.1953.
9 Vgl. Schmidt: Widerstand und demokratischer Neubeginn, S. 66 sowie Kemper: Alles andere als ein Revolutionär.
10 Stenographischer Bericht über die Eröffnungssitzung des Landtags des Landes Nordrhein-Westfalen vom 02.10.1946, S. 5.
11 Vgl. Brief Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen an den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.06.1953, in: Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland). Bestand Ordensakten (Sig.: NW O Nr. 360); Sterbeurkunde Peter Zimmer vom 19.01.1957; Kemper: Alles andere als ein Revolutionär; o.V.: Peter Zimmer. 12 Jahre im Landtag; .V.: Peter Zimmer: Arbeitete für Kumpel; o.V.: Wo kommt der Straßenname her sowie o.V.: Verdiente Auszeichnung. Bundesverdienstkreuz für Peter Zimmer, in: Rheinische Post (RP) vom 26.06.1953.

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